2019 Book AdditiveFertigungVonBauteilenU
2019 Book AdditiveFertigungVonBauteilenU
2019 Book AdditiveFertigungVonBauteilenU
Britta Schramm
Thomas Zipsner Hrsg.
Additive Fertigung
von Bauteilen und
Strukturen
Neue Erkenntnisse und Praxisbeispiele
Thomas Zipsner
Essenheim, Deutschland
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V
Vorwort
Additive Fertigungsverfahren gelten als zukunftsweisend und erfreuen sich daher großer Auf-
merksamkeit. Der Fertigungsprozess erfolgt schichtweise, was die Herstellung von Bauteilen
hoher Komplexität sowie von filigranen und dennoch steifen und hochfesten Strukturen erlaubt.
Einzelfertigung und Kleinserienfertigung ist somit möglich, bei nahezu unbegrenzter gestalteri-
scher Freiheit. Dabei werden umfangreiche Anforderungen, wie z. B. Reproduzierbarkeit, Vor-
hersagbarkeit, Betriebsfestigkeit und Bruchsicherheit an reale additiv gefertigte Bauteile und
Strukturen gestellt.
Das vorliegende Fachbuch ist entstanden im Anschluss an die zweite und dritte Tagung „Additiv
gefertigte Bauteile und Strukturen“ des Deutschen Verbands für Materialforschung und -prüfung
(DVM), die am 09. und 10. November 2017 und am 07. und 08. November 2018 in Berlin statt-
fanden. Zahlreiche Referenten der Tagungen konnten als Autoren für dieses Buchprojekt „Ad-
ditive Fertigung von Bauteilen und Strukturen – Neue Erkenntnisse und Praxisbeispiele“ gewon-
nen werden. Die Autoren sind Experten aus verschiedenen Fachgebieten von Hochschulen, For-
schungseinrichtungen und Unternehmen.
Die Inhalte der in diesem Buch berücksichtigten Beiträge gehen dabei z. T. deutlich über die
Vortragsinhalte der Tagung hinaus und beschäftigen sich u. a. mit folgenden Schwerpunktthe-
men:
• Anwendungsgebiete der additiven Fertigung
• Praxisbeispiele
• Werkstoffkennwerte für Kunststoff- und Metallbauteile
• Einfluss der Fertigungsverfahren und der Nachbehandlungsverfahren auf die Material-
und Struktureigenschaften
• Modellierung der Werkstoffeigenschaften und Bemessungskonzepte
• Lebensdauerbeeinflussung mittels additiver Fertigung
• Filigrane Leichtbaustrukturen
• Schadenstoleranzkonzepte
• Leichtbaustrukturen, z. B. aus den Bereichen Verkehrstechnik, Maschinenbau und Medi-
zintechnik.
Das Buch bietet demzufolge viele aktuelle Beiträge zu anwendungsnahen Themen, die unter
anderem für Ingenieure und Naturwissenschaftler in der Praxis und für Nachwuchswissenschaft-
ler an den Forschungsinstituten von großem Interesse sind. Auch Ärzte und Medizintechniker
aus den Bereichen Radiologie, Chirurgie und Orthopädie können hier Anregungen finden. Ge-
eignet ist dieses Buch auch für Studierende der Ingenieur- und Naturwissenschaften sowie der
Medizin und Medizintechnik und verwandter Gebiete an Universitäten und Fachhochschulen.
VI Vorwort
Die Herausgeber bedanken sich herzlich bei den Autoren, die durch ihre wissenschaftlichen und
praktischen Beiträge zum Gelingen dieses Buches beigetragen haben. Dank geht auch an den
Deutschen Verband für Materialforschung und -prüfung (DVM) und den Springer Vieweg Ver-
lag für die Unterstützung dieses Buchprojekts.
Besonders bedanken möchten sich die Herausgeber bei Frau M. Sc. Lena Risse, Universität Pa-
derborn, für die Erstellung des Gesamtmanuskripts.
Das Buch bietet dem Leser die Möglichkeit, sich der Thematik der Additiven Fertigung aus ver-
schiedenen Perspektiven zu nähern. Es beinhaltet zahlreiche Ansätze und Anregungen für wei-
tere erfolgreiche Forschungs- und Entwicklungsarbeiten.
Inhaltsverzeichnis
Entwicklung von Optimierungsstrategien für Struktur- Seite 1-22
bauteile unter Ausnutzung der Potentiale des Laser-
Strahlschmelzens
Einleitung, Vorgehensweise bei der Entwicklung optimaler Strukturen, Möglichkeiten
der Finite-Elemente Methode, Optimierungsstrategien auf Basis der Strukturmechanik,
Experimentelle Bauteilprüfung der optimierten Strukturkomponenten,
Fazit
Jan-Peter Brüggemann, Lena Risse, Gunter Kullmer, Hans Albert Richard
Von der Pore zum Gefüge: Die Auswirkungen von Seite 85-100
heißisostatischem Pressen auf die Mikrostruktur von
Nickelbasiswerkstoffen
Einleitung, Heißisostatisches Pressen (HIP), Gegenstand der Untersuchungen, Fazit,
Schlussfolgerungen und Ausblick
Bettina Dausend, Marion Eiber
Zusammenfassung
Unter Berücksichtigung der steigenden Anforderungen an Strukturkomponenten in der industri-
ellen Anwendung und beispielsweise auch im Leistungssport besteht der Bedarf, individuelle
oder hinsichtlich verschiedener Anforderungen optimierte Bauteile und Strukturen zu entwi-
ckeln. Im Rahmen dieses Beitrags werden Ansätze zur Optimierung von Strukturbauteilen ge-
liefert, die auf den Einsatz von Topologieoptimierungsprogrammen verzichten und somit eine
kosteneffiziente Alternative darstellen. Mit dem Fokus der Festigkeits-, Leichtbau- und / oder
Steifigkeitsoptimierung werden anhand von realen Strukturbauteilen Optimierungsstrategien er-
läutert und angewendet. Die Auslegung aller vorgestellten Komponenten berücksichtigt norma-
tive Vorgaben zur betriebssicheren Gestaltung und marktübliche Anschlussmaße, die den späte-
ren Praxiseinsatz ermöglichen. Um die Betriebssicherheit zu gewährleisten, werden abschlie-
ßend experimentelle Bauteilprüfungen für die optimierten Strukturkomponenten durchgeführt.
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019
H. A. Richard et al. (Hrsg.), Additive Fertigung von Bauteilen
und Strukturen, https://doi.org/10.1007/978-3-658-27412-2_1
2 Entwicklung von Optimierungsstrategien für Strukturbauteile
1 Einleitung
Die Anforderungen an technische Strukturbauteile haben in den letzten Jahren an Komplexität
zugenommen. Zudem steigt die Relevanz des Leichtbaugedankens bei industriellen Anwendun-
gen, die durch klimapolitische Auflagen forciert werden. Daraus resultierend müssen bei deren
Auslegung neben der Betriebssicherheit auch Umweltaspekte berücksichtigt werden, um durch
Reduktion von Emissionen und durch Ressourceneffizienz nachhaltige Produkte herstellen zu
können. Die Entwicklung und Weiterentwicklung dieser Komponenten zielt deshalb auf eine
leichtbau- und lebensdaueroptimierte Konstruktion bei gleichzeitig ausreichend hoher Festigkeit
und Steifigkeit des Bauteils ab [1]. Zahlreiche Ansätze zur Optimierung von Strukturbauteilen
ermöglichen die Generierung völlig neuer Geometrien.
Auf Basis einer Produktidee können Anforderungen an das Bauteil, wie beispielsweise An-
schlussmaße, der maximal zulässige Bauraum oder die zu ertragenden Belastungen definiert
werden. Ein anhand der Anforderungen erstelltes initiales Modell kann anschließend mittels ver-
schiedener Strategien (z. B. rechnergestützte Verfahren) optimiert werden. Daraus entsteht eine
Struktur, die im Hinblick auf verschiedene Randbedingungen angepasst und verbessert wird. In
dem darauffolgenden Herstellungsprozess wird diese gefertigt, so dass schlussendlich mit dem
fertigen Bauteil das Ende des Produktentstehungsprozesses erreicht wird [2]. Da die optimierten
Strukturen teilweise komplex aufgebaut sein können, werden neuartige Fertigungsverfahren zur
Herstellung der Produkte benötigt.
Die additive Fertigung bietet die Möglichkeit der Entwicklung und Optimierung von festigkeits-
und leichtbauoptimierten Strukturbauteilen [3]. Durch die gestalterische Freiheit sind während
des Optimierungsprozesses nur wenige Restriktionen in Bezug auf die Herstellbarkeit gegeben.
Im Zusammenspiel mit dem Einsatz hochfester Werkstoffe wird weiteres Leichtbaupotential ge-
schaffen. Dieser Beitrag liefert Ansätze zur Optimierung von Strukturbauteilen, die auf den Ein-
satz von Topologieoptimierungsprogrammen verzichten und somit möglicherweise eine kosten-
effiziente Alternative darstellen.
Die existierende Norm [14], die Prüfverfahren für den Vorbau vorgibt, ist Grundlage für die
Definition der Lastfälle, denen das optimierte Strukturbauteil standhalten muss. Der Vorbau ist
ein sicherheitsrelevantes Bauteil, das im Betrieb zahlreichen unterschiedlichen Lastsituationen
ausgesetzt ist. Diese werden in statischen und zyklischen Prüfungen abgebildet, von denen einige
exemplarisch in Abbildung 3 dargestellt sind.
Insgesamt schreibt die Norm elf verschiedene Prüfungen vor, die die unterschiedlichen alltägli-
chen Belastungen des Fahrradvorbaus widerspiegeln sollen. Abbildung 3a visualisiert das stati-
sche Prüfverfahren „Biegung vorwärts“. Die zweite statische Prüfung ist die „seitliche Bie-
gung“, die in Abbildung 3b gezeigt ist. Der zyklische Lastfall „Gleichphasige Biegung“ (Abbil-
dung 3c) stellt die Situation des Bremsens dar, wohingegen die „Gegenphasige Belastung“, die
in Abbildung 3d illustriert ist, den „Wiegetritt“ beim Bergauffahren nachbildet. Aus diesen Last-
fällen resultieren unterschiedliche Beanspruchungsarten im Fahrradvorbau. Diese werden ana-
lysiert, da geeignete Geometrien bei Optimierungsaufgaben von den auftretenden Beanspru-
chungen abhängen.
Entwicklung von Optimierungsstrategien für Strukturbauteile 7
und 45°, wie beispielsweise in Abbildung 5c skizziert ist. Diese theoretischen Vorüberlegungen
werden, wie in Abbildung 6 dargestellt, auf die Strukturkomponente „Fahrradvorbau“ übertra-
gen.
Abbildung 7: Numerische Analyse der Beanspruchungssituation für das finale Modell aus
dem Designraum „rund“ [8]
a) Statischer Lastfall „Biegung vorwärts“
b) Statischer Lastfall „Seitliche Biegung“
Zur Festlegung der werkstoffseitig zulässigen Spannung wird die Rp0,2-Dehngrenze durch einen
Sicherheitsfaktor SF gegen Fließen dividiert [18]. Aufgrund des Materialverhaltens der verwen-
deten Titanaluminiumlegierung wird zur Auswertung der Spannungen die Gestaltänderungs-
10 Entwicklung von Optimierungsstrategien für Strukturbauteile
energiehypothese nach VON MISES herangezogen. Bei dem statischen Lastfall „Biegung vor-
wärts“ treten keine kritischen Spannungen im Fahrradvorbau auf (siehe Abbildung 7a). Die
höchsten Spannungen sind im Biegebalken auf der Oberseite vorzufinden und liegen auf einem
niedrigen Spannungsniveau. Die Ergebnisse der numerischen Analyse des statischen Lastfalls
„Seitliche Biegung“, die in Abbildung 7b dargestellt sind, liefern höhere Spannungen. Jedoch
sind auch diese im mittleren Spannungsniveau, so dass die statischen Prüfungen nicht als kritisch
für die Strukturkomponente zu bewerten sind.
Da der Vorbau ein zyklisch belastetes Bauteil ist, sind die Prüfungen „Gleichphasige und „Ge-
genphasige Belastung“ in [14] vorgesehen. Zur Reduktion des experimentellen Aufwands für
die Bauteilprüfungen ist in [14] eine zeitfeste Auslegung mit einer zu ertragenden Lastwechsel-
zahl von 1·105 festgelegt. Da das Versagen bei zyklischen Belastungen meist ein Ermüdungs-
bruch ist, werden die Spannungen nach der Hauptnormalspannungshypothese nach NAVIER aus-
gewertet, da Risse global betrachtet stets senkrecht zur größten Hauptnormalspannung wachsen
[17]. Dementsprechend sind für den Dauerfestigkeitsnachweis in Abbildung 8 die Ergebnisse
der FE- Simulation für die zyklischen Lastfälle dargestellt.
Abbildung 8: Numerische Analyse der Beanspruchungssituation für das finale Modell mit
dem Designraum „rund“ [8]
a) Zyklischer Lastfall „Gleichphasige Belastung“
b) Zyklischer Lastfall „Gegenphasige Belastung“
Die zulässige Spannung σa,zul resultiert zu 400 MPa. Dabei sind der technologische Größenbei-
wert, die Oberflächenrauigkeit sowie ein Sicherheitsfaktor berücksichtigt. Während der zykli-
sche Lastfall „Gegenphasige Belastung“ keine kritischen Beanspruchungen im Fahrradvorbau
hervorruft (siehe Abbildung 8b) und die auftretenden Spannungen sowohl für den Zug- als auch
für den Druckbereich im unteren Spannungsniveau einzuordnen sind, ist die „Gleichphasige Be-
lastung“ der kritische Lastfall, der eine weitere Materialeinsparung limitiert. Im Ober- und Un-
tergurt treten Spannungen nahe des zulässigen Spannungsmaximums auf (siehe Abbildung 8a).
Darüber hinaus ist eine ausreichend hohe Steifigkeit der Komponente essentiell zur sicheren
Funktionserfüllung.
Das finale, numerisch validierte Modell ist in Abbildung 9a dargestellt. Der zuvor bezüglich
relativer Abmessungen festgelegten Geometrie wurden in einem iterativen, numerisch unter-
stützten Prozess absolute Werte zugewiesen. Somit entsteht eine strukturmechanisch funktions-
fähige Leichtbaustruktur. Zum Vergleich wird die Optimierungsaufgabe des Fahrradvorbaus mit
rundem Designraum an ein Topologie-Optimierungsprogramm übergeben. Das Ergebnis ist in
Abbildung 9b dargestellt. Auch in diesem Modell sind Ausschnitte eingebracht, die den zuvor
beschriebenen mechanischen Grundüberlegungen entsprechen.
Entwicklung von Optimierungsstrategien für Strukturbauteile 11
Abbildung 9: Optimierungsergebnis für den Vorbau mit dem Designraum „rund“ [8]
a) Finales Modell nach der Optimierung auf Basis der Strukturmechanik
b) Ergebnis eines Topologie-Optimierungsprogramms für den Designraum
„rund“
Die händische Optimierung nach dem klassischen Vorgehen kann jedoch eine größere Massen-
einsparung (etwa 25 %) bei gleichzeitig zeiteffizienterem Arbeiten erzielen.
Abbildung 11: Finales Modell des Vorbaus mit dem Designraum „rechteckig“ [8]
a) Isometrische Ansicht des Vorbaus
b) Seitenansicht des Vorbaus
c) Draufsicht des Vorbaus
Abbildung 11a zeigt den Vorbau in isometrischer Ansicht. Das durch den analytischen Vor-
schlag generierte Prinzip mit Ober- und Untergurt sowie Verbindungsstreben an allen vier Flä-
chen wird beibehalten. Die Streben werden auf Grundlage der Technischen Mechanik unter 45°
ausgerichtet, um die Torsion bestmöglich aufnehmen zu können. Der Abstand zwischen Ober-
und Untergurt nimmt von der Krafteinleitung hin zur Einspannung zu (siehe Abbildung 11b), so
dass ein der Beanspruchung angepasstes Widerstandsmoment gegen Biegung erzeugt wird.
Auch die Dicke der Stäbe ist über die Länge des Vorbaus variabel der Beanspruchungssituation
angepasst. In Abbildung 11c ist im Bereich der Krafteinleitungsstelle ein Versteifungskreuz ein-
gebracht, welches zur Aufnahme der Torsion dient.
Entwicklung von Optimierungsstrategien für Strukturbauteile 13
Nachdem eine aus mechanischer Sicht sinnvolle relative Geometrie festgelegt ist, müssen die
absoluten Maße in einem numerisch unterstützten Prozess festgelegt werden. In einem iterativen
Vorgehen werden die erforderlichen Abmessungen der Stäbe analysiert. Die Ergebnisse der ab-
schließenden, finalen FE-Analyse, die die betriebssichere Auslegung des Fahrradvorbaus bestä-
tigen, sind in Abbildung 12 dargestellt.
Abbildung 12: Numerische Analyse der Beanspruchungssituation für das finale Modell mit
dem Designraum „rechteckig“ [8]
a) Statischer Lastfall „Biegung vorwärts“
b) Statischer Lastfall „Seitliche Biegung“
c) Zyklischer Lastfall „Gleichphasige Belastung“
d) Zyklischer Lastfall „Gegenphasige Belastung“
Auch zur Überprüfung, dass keine plastische Verformung eintritt, wird für die statischen Last-
fälle die Gestaltänderungsenergiehypothese nach VON MISES verwendet. Die zulässige Spannung
σzul liegt bei 700 MPa. Durch die Belastung „Biegung vorwärts“, die in Abbildung 12a darge-
stellt ist, wird bei dem Vorbau auf der Oberseite eine Zugspannung erzeugt, welche durch die
beiden Stäbe in Längsrichtung aufgenommen wird. Der Vorbau wird insgesamt auf einem mitt-
leren Spannungsniveau beansprucht. Bei der „Seitlichen Biegung“ wird der Vorbau durch Quer-
kraftbiegung und, aufgrund der außermittigen Krafteinleitung, mit Torsion belastet (Abbil-
dung 12b). Dementsprechend wird nun die gesamte Struktur beansprucht. An den Knotenpunk-
ten sind Spannungen nah am Spannungsmaximum zu erkennen.
Bei den zyklischen Lastfällen wird die Normalspannungshypothese nach NAVIER verwendet.
Die numerische Analyse des Lastfalls „Gleichphasige Belastung“ ist in Abbildung 12c gezeigt.
Da hier, vergleichbar zum statischen Lastfall „Biegung vorwärts“, der Vorbau hauptsächlich
durch Zug- und Druckspannungen beansprucht wird, sind der Ober- und der Untergurt belastet.
Die Spannungen sind als unkritisch zu bewerten. Nah an dem maximal zulässigen Spannungs-
14 Entwicklung von Optimierungsstrategien für Strukturbauteile
ausschlag sind die Spannungen bei dem Prüfverfahren „Gegenphasige Belastung“. Das in Ab-
bildung 12d visualisierte Ergebnis der FE-Simulation weist hohe Werte an den Knotenpunkten,
bedingt durch die wegen der Querschnittsübergänge auftretende Kerbwirkung, auf.
Zur detaillierten Betrachtung und Veranschaulichung der optimalen Ausrichtung der Stäbe in
Richtung der wirkenden Hauptnormalspannungen werden diese exemplarisch für den Lastfall
„Gegenphasige Belastung“ ausgewertet und in Abbildung 13a illustriert. Durch die biegesteife
Anbindung der Stäbe können diese theoretisch Biegemomente übertragen. Sind diese Biegemo-
mente im Stab klein, so übertragen diese Bauteile tatsächlich nur Normalspannungen. Die opti-
male Ausrichtung der Stäbe wird durch die Analyse der Richtung der wirkenden Hauptnormal-
spannungen sichergestellt (Abbildung 13b).
sind die Stäbe idealisiert gelenkig miteinander verbunden und weisen eine konstante Biegestei-
figkeit auf, so dass eine sinusförmige Knickform entsteht und die freie Knicklänge der Stablänge
entspricht.
Die Gefahr des Ausknickens ist bei der Auslegung der Strukturkomponente mit berücksichtigt,
indem die freie Knicklänge durch die überkreuzte Gestaltung halbiert ist. Eine betragsmäßige
Sicherheit gegen Knicken entsprechend des ersten Eigenwerts ist mit SK = 5,78 gegeben (Abbil-
dung 14a). Die Knicksicherheit des zweiten Eigenwerts, der in Abbildung 14b dargestellt ist, ist
nahezu identisch mit einem Sicherheitsfaktor SK = 5,79. Demnach ist der in der Realität als am
kritischsten zu beurteilende Stab nicht eindeutig definiert. Die weiteren Eigenwerte mit ihren
Eigenmoden sind betragsmäßig deutlich größer und werden deshalb nicht weiter betrachtet.
Abbildung 14: Numerische Analyse des Fahrradvorbaus zur Gewährleistung der Knickstabili-
tät für den kritischsten Lastfall „Seitliche Biegung“ [19]
a) Eigenmode zum ersten Eigenwert λ1
b) Eigenmode zum zweiten Eigenwert λ2
Neben dem klassischen Festigkeitsversagen kommt in der Praxis häufig Bauteilversagen in
Folge von Ermüdungsrissausbreitung vor. Dieses tritt bereits weit unterhalb der statischen Fes-
tigkeitskennwerte auf und beschreibt das kontinuierliche Wachstum von Fehlstellen und Rissen
in Folge zeitlich veränderlicher Belastungen bis zum schlagartig auftretenden Bauteilversagen.
In diesem Zusammenhang existiert eine Reihe von auf der Finite-Elemente Methode basierenden
Rissausbreitungssimulationsprogrammen, die eine rechnergestützte Simulation der Rissbean-
spruchung ermöglichen. Im Falle wachstumsfähiger Anrisse können in diesem Zusammenhang
zudem Risspfad und Lastwechselzahl bis zum Bauteilversagen vorhergesagt werden. Experi-
mentell ermittelte Rissfortschrittskurven sind die für die numerische Simulation erforderlichen
bruchmechanischen Materialdaten. Weitere, für die Simulation notwendige Kennwerte wurden
an Normproben [20] ermittelt.
Ermüdungsrissausbreitungsvorgänge verlaufen global betrachtet stets normalspannungsgesteu-
ert und sind häufig insbesondere an Orten mit Spannungskonzentrationen zu beobachten [17]. In
diesem Zusammenhang wird deshalb die mit dem Finite-Elemente Programm ABAQUS berech-
nete Verteilung der größten Hauptspannung für den Lastfall „Gegenphasige Belastung“ ausge-
wertet (Abbildung 15a). Die Analyse der Hauptspannungsverteilung identifiziert den Übergang
von der Rahmenstruktur zur Lenkstangenaufnahme als besonders kritisch. In diesem Bereich
wird ein halbkreisförmiger Anriss mit der Tiefe von a0 = 0,5 mm angenommen. Für eine derar-
tige Rissgeometrie überschreitet die Rissbeanspruchung durchgängig den Schwellenwert gegen
Ermüdungsrissausbreitung entlang der Rissfront. Die Simulation der Rissausbreitung wird mit
Hilfe des Computerprogrammes FRANC3D durchgeführt [21]. Das Programm basiert auf der
16 Entwicklung von Optimierungsstrategien für Strukturbauteile
FEM und erlaubt die automatisierte Bestimmung der Rissbeanspruchung, der Restlebensdauer
sowie des Risspfades.
Die Verwendung eines mitbewegten Spezialnetzes und die damit einhergehende große Anzahl
von Elementen stellen zwar hohe Anforderungen an die verwendeten Hardwareressourcen, je-
doch konnte in zahlreichen Untersuchungen die numerische Genauigkeit dieses Programmes
durch den Vergleich der Ergebnisse mit analytischen Referenzlösungen nachgewiesen wer-
den [22]. Abbildung 15b zeigt den Pfad der Rissausbreitung für verschiedene Simulations-
schritte. Abknick- und Verdrehvorgänge in Folge der zyklischen, räumlichen Mixed-Mode-
Rissbeanspruchung sind mit zunehmender Rissgröße deutlich erkennbar.
Abbildung 15: Analyse der Hauptnormalspannungen des Fahrradvorbaus mit dem Gestal-
tungsraum „rechteckig“ für den Lastfall „Gegenphasige Belastung“
a) Schnittdarstellung und Ort der größten Hauptnormalspannung
b) Phasen des Rissfortschritts in der vergrößerten Ansicht
Die im Rahmen der Rissausbreitungssimulation ermittelten Spannungsintensitätsfaktorverläufe
sind Ausgangspunkt zur Bestimmung der Restlebensdauer. Grundlage ist die materialabhängige
Rissgeschwindigkeitsgleichung, die inkrementell zu integrieren ist. Eine Gegenüberstellung der
numerisch vorhergesagten Lebensdauer mit der experimentell ermittelten Lebensdauer ist in Ab-
schnitt 5 aufgeführt.
Entwicklung von Optimierungsstrategien für Strukturbauteile 17
hen, die im Vorbau eine überlagerte Biege- und Torsionsbeanspruchung hervorruft. Dieses Prüf-
verfahren ist in einer Prinzipskizze in Abbildung 17a illustriert. In Abbildung 17c ist die kon-
struktive Umsetzung dieses Prüfszenarios dargestellt. Der Vorbau ist über ein den Gabelschaft
darstellendes Vollrundprofil auf der Grundplatte des Prüfstands fixiert. Eine Prüfstange, die den
Lenker in der normativ vorgegebenen Länge abbildet, wird an ihrem Ende mit dem Stempel des
Motors verbunden, so dass dort die vorgeschriebene Prüfkraft eingeleitet und gehalten werden
kann.
Bei der „Gegenphasigen Belastung“ wird der Vorbau mit einem Torsionsmoment belastet, das
aus einem angreifenden Kräftepaar resultiert, siehe Prinzipdarstellung in Abbildung 17b. Die
durch den Elektrozylinder bereitgestellte translatorische Bewegung wird in eine rotatorische Be-
wegung umgesetzt, um den normativen Vorgaben zu entsprechen und eine Torsionsbelastung
ohne Biegeanteil zu realisieren. Die Fixierung des Vorbaus auf der Grundplatte ist identisch zum
vorherigen Lastfall realisiert. Der Lenker ist mit einer Welle formschlüssig verbunden. Durch
die fest-los-gelagerte Welle wird die von dem Prüfstand über einen kraft- und formschlüssig
verbundenen Hebel eingeleitete Querkraft aufgenommen. Somit ist gewährleistet, dass der Vor-
bau nur die vorgeschriebene Torsionsbelastung erfährt.
bleibende Verformungen. Die in der Norm vorgeschriebenen Lastfälle wurden an mehreren Bau-
teilen geprüft und erfüllt, so dass die betriebssichere Auslegung durch die experimentelle Prü-
fung validiert ist.
Nach erfolgreicher Durchführung aller in der Norm [14] geforderten Prüfungen, werden drei
Vorbauten mit dem Gestaltungsraum „rechteckig“ so lange mit dem zyklischen Lastfall „Gegen-
phasige Belastung“ geprüft, bis ein Versagen eintritt. Dieses Vorgehen dient der Verifizierung
des numerisch bestimmten Strukturversagens. Die numerisch ermittelten Daten werden bezüg-
lich Rissentstehungsort und Rissverlauf in Abbildung 18 den Ergebnissen der experimentellen
Bauteilprüfung gegenübergestellt.
Neben den beiden beschriebenen Vergleichskriterien ist die Ausprägung der Bruchflächen, ins-
besondere die Größen der Ermüdungs- und der Restgewaltbruchfläche, zu berücksichtigen.
Diese wird in Abbildung 19 vergleichend analysiert. Die Ausbreitung des Risses bei inkremen-
teller Simulation ist in Abbildung 19a dargestellt. Abbildung 19b zeigt die mikroskopische Auf-
nahme der Bruchfläche, die sich beim realen Bauteilexperiment ausgebildet hat. Die Simulati-
onsergebnisse zeigen ein zunächst teilkreisförmiges Ausbreiten des Risses ausgehend von der
Rissinitiierungsstelle, bis der Riss über die gesamte Stegbreite verläuft. Auch zeigt die Simula-
tion den Bruch der Struktur nach erheblichem Ermüdungsrisswachstum bei nur kleiner Restge-
waltbruchfläche.
6 Fazit
Im Rahmen dieses Beitrags wurden zwei Fahrradvorbauten mit Hilfe von zwei verschiedenen
Optimierungsstrategien festigkeits- und leichtbauoptimiert ausgelegt. Ausgehend von zwei un-
terschiedlichen Designräumen bedienten sich beide Strategien zunächst der Grundlagen der
Strukturmechanik sowie einer darauf aufbauenden Beanspruchungsanalyse. Anschließend
wurde bei Nutzung der ersten Optimierungsstrategie eine optimale Profilform für die Belas-
tungssituation ausgewählt. Weitere Masse wurde durch Einbringen beanspruchungsgerecht an-
geordneter Ausschnitte eingespart. Die Festlegung der absoluten Geometrie und der Maße
konnte durch ein Zusammenspiel aus CAD-Konstruktion und FE-Simulation realisiert werden.
Die andere Optimierungsstrategie nutzt das Leichtbaupotential von Fachwerkstrukturen. Durch
Entwicklung von Optimierungsstrategien für Strukturbauteile 21
Literatur
[1] Klein, B.: Leichtbau-Konstruktion. 10. Auflage, Springer Vieweg, Wiesbaden, 2013.
[2] Feldhusen, J.; Grote, K. H.: Pahl/Beitz Konstruktionslehre – Methoden und Anwendung
erfolgreicher Produktentwicklung. 8. Auflage, Springer Vieweg Verlag, Berlin Heidel-
berg, 2013.
[3] Brüggemann, J.-P.; Risse, L.; Kullmer, G.; Richard, H. A.: Betriebssichere Auslegung ei-
ner lasergeschmolzenen Fünfstern-Tretkurbel. In: Proceedings of the 14th Rapid.Tech
Conference, Erfurt, 2017, S. 94-107.
[4] Duden – Die deutsche Rechtschreibung. 27. Auflage. Duden, Berlin, 2017.
[5] Harzheim, L.: Strukturoptimierung. Grundlagen und Anwendungen. 2. Auflage, Verlag
Europa-Lehrmittel, Haan-Gruiten, 2014.
[6] Schumacher, A.: Optimierung mechanischer Strukturen. Springer Vieweg, Berlin Heidel-
berg, 2013.
[7] Baier, H.; Seeßelberg, C.; Specht, B.: Optimierung in der Strukturmechanik. Vieweg,
Braunschweig, Wiesbaden, 1994.
[8] Brüggemann, J.-P.; Risse, L.; Kullmer, G.; Richard, H. A.: Vergleich zweier Optimie-
rungsstrategien am Beispiel additiv gefertigter Rennradvorbauten. In: DVM-Bericht 402,
Arbeitskreis: Additiv gefertigte Bauteile und Strukturen, Deutscher Verband für Materi-
alforschung und -prüfung e.V., Berlin, 2017, S. 49-66.
[9] Walzl, A.; Buchmayr, B.: Topologieoptimierung – Entwicklungswerkzeug für die addi-
tive Fertigung. In: BHM Berg- und Hüttenmännische Monatshefte, Volume 162, 2017,
pp. 110-116.
[10] Klein, B.: FEM. Grundlagen und Anwendungen der Finite-Element-Methode im Maschi-
nen- und Fahrzeugbau. 9. Auflage, Springer Vieweg, Wiesbaden, 2011.
22 Entwicklung von Optimierungsstrategien für Strukturbauteile
Ein Qualitätssicherungskonzept
für die additive Fertigung
A. Dsubana, J. Lohna, J.-P. Brüggemannb,c, G. Kullmerb,c
a) PROTIQ GmbH, A Phoenix Contact Company
b) Fachgruppe Angewandte Mechanik, Universität Paderborn
c) Direct Manufacturing Research Center, Universität Paderborn
Zusammenfassung
Der Einsatz der additiven Fertigungsverfahren bietet alleinstehend oder in Kombination mit
klassischen Herstellungsverfahren viele neue Potentiale. Bedingt durch den direkten schicht-
weisen Aufbau von Bauteilen, aus 3D-CAD Daten, können die additiven Verfahren nahezu
jede Struktur realisieren und dabei häufig Material und Kosten im Vergleich zu der konventio-
nellen Produktion einsparen. Zur Gewährleistung der Bauteilgüte werden auf der
DIN EN ISO 9001:2015 aufbauende Qualitätsmanagementnormen in Betracht gezogen, welche
von besonderer Relevanz für produzierende Unternehmen sind. Neben den betrachteten Nor-
men des Qualitätsmanagements ist die Reproduzierbarkeit sowie die Nachweisbarkeit einer
hohen Produktsicherheit ein wichtiger Punkt der in diesem Beitrag behandelt wird. Hierzu wird
dementsprechend ein Qualitätssicherungskonzept mit Hilfe unterschiedlicher Normschriften
entwickelt, welches insbesondere bei den pulverbettbasierten Fertigungsverfahren Anwendung
findet.
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019
H. A. Richard et al. (Hrsg.), Additive Fertigung von Bauteilen
und Strukturen, https://doi.org/10.1007/978-3-658-27412-2_2
24 Ein Qualitätssicherungskonzept für die additive Fertigung
1 Einleitung
Die additiven Fertigungsverfahren weisen gegenüber den konventionellen subtraktiven (Dre-
hen, Bohren, Fräsen) und formativen Fertigungsverfahren (Schmieden, Gießen, Biegen) viele
Vorteile auf. Beispielsweise kann die Produkteinführungszeit durch den direkten Aufbau von
Bauteilen aus 3D-CAD Daten signifikant reduziert werden. Zusätzlich bietet der direkte Auf-
bau aus den Konstruktionsdaten die Möglichkeit der schnellen Prototypengenerierung. Die
Herstellung der entwickelten Produkte unterliegt nur wenigen Restriktionen, sodass die Ferti-
gung individueller und komplexer Bauteile ohne zusätzliche Kosten möglich ist. Weiterhin
resultiert aus dem Recyceln von Prozessabfällen eine hohe Wirtschaftlichkeit, durch welche die
additive Fertigung gekennzeichnet ist. Demzufolge wird beispielsweise der Prozessabfall beim
selektiven Laser-Strahlschmelzen um 90% reduziert, da nicht aufgeschmolzenes Pulver aus
den Zwischenräumen der Bauteile nach Durchlaufen eines Siebvorgangs erneut zur Fertigung
genutzt werden kann [1, 2].
Unter Berücksichtigung dieser Besonderheiten wird der additiven Fertigung ein disruptives
Potential nachgesagt, da sie durch ihr spezielles Fertigungsverfahren nicht an bestehende kon-
ventionelle Produktionsverfahren anknüpft, sondern ein völlig neuartiges Feld der Güterpro-
duktion besetzt [1]. Um das Potential dieser Technologie zukünftig optimal nutzen zu können,
müssen noch viele Aspekte näher untersucht werden. Hierzu gehört neben der kontinuierlichen
Erweiterung des Werkstoffspektrums auch ein standardisiertes Qualitätssicherungskonzept, das
eine reproduzierbare Qualität der gefertigten Bauteile ermöglicht, wodurch das Einsatzspekt-
rum für 3D gedruckte Güter erweitert wird.
Die ISO 9001 fordert von dem zu prüfenden Unternehmen die Einhaltung und den Nachweis
der im Prozessmodell (Abbildung 1) aufgeführten Punkte.
ketten zu minimieren. Die Kunden werden im Rahmen der IATF 16949 noch weiter in den
Fokus gestellt als bei der ISO 9001. Demzufolge müssen kundenspezifische Anforderungen
bewertet und im Qualitätsmanagementsystem berücksichtigt werden. Darüber hinaus ist dem
Kunden eine verstärkte Rückverfolgbarkeit der Produkte während des Fertigungsprozesses und
nach der Auslieferung, über einen definierten Zeitraum, zu gewährleisten. Vor dem Hinter-
grund der Produktsicherheit müssen Mitarbeiter, die an der Herstellung und Prüfung sicher-
heitsrelevanter Produkte beteiligt sind, die dafür entsprechenden Schulungsbedarfe erfüllen [7].
Die DIN EN 9100:2016 (EN 9100) ist eine Qualitätsmanagementnorm, die auf die Anforde-
rungen an Organisationen der Luftfahrt, Raumfahrt und Verteidigung abzielt. Die EN 9100
beinhaltet den vollen Umfang der ISO 9001 und wird zusätzlich um eine Reihe von Anforde-
rungen erweitert. Diese Anforderungen werden im Normentext in Kursivschrift dargestellt, um
eine bessere Differenzierung von den klassischen ISO 9001-Bestandteilen vornehmen zu kön-
nen. Wesentliche Unterschiede entstehen dabei u. a. durch die Einführung eines Konfigurati-
onsmanagements sowie die Erhöhung der Anforderungen in Hinblick auf die Produktsicherheit
und den Umgang mit gefälschten Teilen. Der Qualitätsmanagementstandard setzt weiterhin
eine erhöhte Dokumentierung und Auswertung der im Unternehmen ablaufenden Prozesse
voraus. In diesem Zusammenhang wird das, der ISO 9001 entsprechende, Risikomanagement
ausgedehnt und ein proaktives risikobasiertes Denken und Handeln in allen Tätigkeiten (auch
strategische/betriebliche Ebene) des Unternehmens praktiziert. Ein weiterer Punkt, den es ver-
stärkt zu betrachten gilt, ist die Lieferantenüberwachung. Diesbezüglich wird mindestens eine
Messung der Produkt- beziehungsweise Dienstleistungskonformität und der Liefertermintreue
gefordert. Im Gegensatz zur ISO 9001 sieht die EN 9100 weiterhin einen QM-Beauftragten
vor, der die Erfüllung der Normanforderungen operativ durchsetzt [8, 9].
In Anbetracht einer häufig geforderten Produktsicherheit wird die DIN 65124:2018-10 heran-
gezogen. Diese wurde speziell für die Luft- und Raumfahrt konzipiert und legt hohe Anforde-
rungen für die Herstellung metallischer Bauteile durch das selektive Laserschmelzverfahren
fest. Die im nachfolgenden Verlauf genannten Anforderungen dienen als Ergänzung und zur
besseren Umsetzung eines QM-Standards. Um als Zulieferer im industriellen Bereich additiv
gefertigte Bauteile anzubieten, muss ein Unternehmen eine Vielzahl von Faktoren erfüllen. Als
Grundlage ist zunächst eine geeignete Betriebsstätte mit konstanten Peripheriebedingungen
und zulässiger betrieblicher Ausstattung bereitzustellen. Dies setzt unter anderem den Einsatz
von Maschinen voraus, die gemäß den Aufstellbedingungen des Maschinenherstellers instal-
liert und in regelmäßigen Wartungsintervallen von fachkundigem Personal geprüft werden. Die
für die Herstellung von Laserstrahlschmelzbauteilen benötigten Ressourcen, wie z. B. das
verwendete Metallpulver sind von dem Materialhersteller für den additiven Fertigungsprozess
zu qualifizieren und muss den spezifischen Prozessanforderungen entsprechen. Wichtige zu
prüfende Einflussfaktoren sind z. B. die Partikelgrößenverteilung und die chemische Zusam-
mensetzung des Pulvers. Die spezifischen Kenngrößen der gelieferten Pulvercharge sind hier-
bei in einem 3.1-Abnahmeprüfzeugnis zu dokumentieren und dem Kunden bei der Lieferung
bereitzustellen. Der Kunde steht anschließend in der Pflicht auf ein verantwortungsvolles Pul-
verhandling zu achten. Ein Pulverhandling gemäß DIN 65124 setzt dabei eine Handhabung
voraus, bei der das Pulver nicht durch Fremdkörper (Staub, Trocknungsmittel, Fremdpulver)
verunreinigt werden kann. Zusätzlich gilt die Einhaltung der Präventivmaßnahmen, hinsicht-
lich der Oxidation und der Feuchtigkeitsaufnahme des Metallpulvers. Um das Pulverhandling
möglichst transparent zu gestalten, muss eine Chargendokumentation durchgeführt werden,
wodurch das Pulver jederzeit identifiziert und zurückverfolgt werden kann. Diese Dokumenta-
tionspflicht gilt auch für Pulvermischungen. Das Metallpulver kann mehrfach für den Bau von
Ein Qualitätssicherungskonzept für die additive Fertigung 27
Form von sogenannten Satelliten aufweisen. Die zusätzlich mit einem Infrarot-
Feuchtebestimmer gemessene Feuchtigkeit des AlSi10Mg-Pulvers beträgt 0,24%.
Insgesamt weist das Pulver gute Eigenschaften auf und ermöglicht das Ablegen einer homoge-
nen Pulverschicht. Für das Ablegen der Pulverschicht wird eine Stahlklinge verwendet die
passend zum prozessierten Werkstoff das Pulver auf einer Substratplatte aus Aluminium ver-
teilt. Um eine möglichst gleichmäßige Verteilung des Pulvers entlang der Bauteilgeometrie zu
gewährleisten, wird das Bauteil im 45° Winkel zur Beschichtungsrichtung positioniert. Additi-
onal werden die für die Durchführung von qualitätssichernden Maßnahmen benötigten Proben-
körper ebenfalls auf der Substratplatte gemäß VDI 3405 orientiert (Abbildung 4).
Radträger frei von oberflächennahen Defekten. Lediglich die Unterseite des Radträgers weist
vereinzelte Farbverläufe auf, welche auf eine verstärkte Porosität zurückzuführen sind.
Durch das entwickelte Qualitätssicherungskonzept können bereits eine Vielzahl der Einfluss-
größen kontrolliert und Grenzwerte definiert werden. Deutlich wurde allerdings, dass eine
weitere Optimierung der Maschinen- und Anlagentechnik für eine prozesssichere Produktion
mit gleichbleibender Qualität erforderlich ist. Erstrebenswert sind die Integration von zusätzli-
chen Onlineprozessüberwachungsinstrumenten, wie z. B. Thermografie, optischen Systemen
und weiteren Sensoren.
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Anforderungen an Organisationen der Luftfahrt, Raumfahrt und Verteidigung. Beuth
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lich erklärt, 2. Auflage. Springer Vieweg, Hamburg, 2016.
[10] DIN 65124:2018-10, Deutsches Institut für Normung: Luft - und Raumfahrt - Techni-
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[11] VDI 3405-2:2013-08, Verein Deutscher Ingenieure: Additive Fertigungsverfahren
Strahlschmelzen metallischer Bauteile Qualifizierung, Qualitätssicherung und Nachbe-
arbeitung Beuth Verlag GmbH, Berlin, 2013.
[12] EOS: EOS GmbH Datenblatt Aluminium AlSi10Mg: Url:https://lightway-
3d.de/download/LIGHTWAY_EOS_Aluminium_AlSi10Mg_de_Datenblatt.pdf
[13] PROTIQ GmbH.: Blomberg, 2019.
35
Zusammenfassung
Die interdisziplinäre Zusammenarbeit von Ingenieuren und Ärzten kann einen Beitrag zur Lö-
sung komplexer medizinischer Herausforderungen liefern. Anhand zweier Anwendungsbei-
spiele werden die Potentiale dieser Interdisziplinarität für den Planungsprozess sowie für die
Hilfsmittelversorgung aufgezeigt. Dazu wird zunächst der konventionelle Planungsprozess eines
chirurgischen Eingriffs unter Beachtung der Möglichkeiten und Grenzen vorgestellt. Basierend
darauf wird erläutert, inwiefern diese Restriktionen durch den Einsatz ingenieurmäßiger Metho-
den aufgebrochen werden können. Zur Veranschaulichung wird die interdisziplinäre Planung der
Durchführung einer Fingergelenksrekonstruktion vorgestellt.
Auch in Bezug auf die Hilfsmittelversorgung besteht weiterhin Optimierungsbedarf. Der Einsatz
von CAE-Methoden sowie additiver Fertigungsverfahren bietet Ansätze zur Lösung der vorhan-
denen Fragestellungen. Am Beispiel einer Kurzschaft-Hüftendoprothese werden die bestehende
Problematik des „Stress Shielding“ näher erläutert und Möglichkeiten aufgezeigt, die Implan-
tatsteifigkeit bei weiterhin bestehender Einsatzsicherheit zu optimieren und auf diese Weise die
Standzeit der Prothese zu erhöhen und die Lebensqualität der Patienten zu verbessern.
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019
H. A. Richard et al. (Hrsg.), Additive Fertigung von Bauteilen
und Strukturen, https://doi.org/10.1007/978-3-658-27412-2_3
36 Einsatz ingenieurmäßiger Methoden zur Lösung chirurgischer Herausforderungen
1 Einleitung
Ist die Gesundheit eines menschlichen Individuums durch angeborene Fehlstellungen, Unfälle,
Krankheiten oder Ähnliches eingeschränkt, wird durch eine adäquate medizinische Versorgung
eine Verbesserung des Allgemeinzustandes angestrebt. Ist der passive Bewegungsapparat, also
das Skelettsystem, ursächlich für die Beschwerden, ist eine vollständige Rehabilitation oftmals
nur durch einen chirurgischen Eingriff möglich [1]. Die Komplexität des erforderlichen Eingriffs
kann in Abhängigkeit von der Diagnose stark variieren. Unfallverletzungen sowie seltene Krank-
heiten oder Fehlstellungen sind in diesem Zusammenhang noch immer als kritisch zu bewerten.
Aufgrund der möglichen erhöhten Komplexität sowie des resultierenden Risikos wird von der
Durchführung einiger Operationen (OPs) gänzlich abgesehen, während andere nur unter großem
Mehraufwand und unter Akzeptanz eines hohen Risikos durchgeführt werden [2].
Im Rahmen dieses Beitrags wird aufgezeigt, inwiefern die Nutzung disziplinübergreifender Me-
thoden zur Lösung dieser medizinischen Herausforderungen beitragen kann. Die interdiszipli-
näre Zusammenarbeit von Ärzten und Ingenieuren sowie die Nutzung jeweils geeigneter fach-
spezifischer Werkzeuge liefert neue Möglichkeiten sowohl für den Planungsprozess eines chi-
rurgischen Eingriffs als auch für die Hilfsmittelversorgung. Nachfolgend werden Potentiale auf-
gezeigt, ingenieurmäßige Methoden in den Planungsprozess chirurgischer Eingriffe zu integrie-
ren. Der Mehrwert der Interdisziplinarität wird anhand der Planung einer Rekonstruktion eines
geschädigten Fingermittelgelenks veranschaulicht. Im Zuge des chirurgischen Eingriffs werden
verschiedenartige Hilfsmittel zur Verbesserung der gesundheitlichen Situation eingesetzt. In die-
sem Bereich existieren Optimierungspotentiale, die durch den Einsatz ingenieurmäßiger Metho-
den und additiver Fertigungsverfahren ausgeschöpft werden können. Am Beispiel einer Kurz-
schaft-Hüftendoprothese werden diese Potentiale erläutert und Lösungsansätze dargestellt.
Personalplanung
Präoperative Planung
Organisation Raumbedarf
Bereitstellung der technischen Ausstattung
vorliegenden Anwendungsfall wird mit Hilfe der CAD-Daten des gesunden Zeigefingers die
Kinematik der Fingergelenke des Patienten analysiert (Abbildung 3a), sodass basierend auf der
ermittelten Gelenkachse die anatomisch korrekte Position der defekten Fingerknochen bestimmt
wird (Abbildung 3b).
Auf diese Weise kann das Ausmaß des Defekts festgestellt und anschließend rekonstruiert wer-
den. Dazu wird zunächst eine „optimale Fehlstellengeometrie“ unter Zuhilfenahme der intakten
Gegengelenkfläche im Mittelfingergrundglied und der intakten Gelenkflächengeometrie des Zei-
gefingers modelliert. Während dieses Modellierungsprozesses wird der gesamte Bewegungsaus-
schlag des Fingers untersucht, um Interferenzen der beiden Gelenkflächen zu vermeiden (Abbil-
dung 3c). Dieses modellierte Ersatzteil (Abbildung 3d) spiegelt die zu ersetzende Gelenkflä-
chengeometrie wider, die durch ein körpereigenes Knorpel-Knochen-Transplantat bestmöglich
nachgebildet werden sollte. Nach dem erfolgreichen Rekonstruktionsprozess folgt die Planung
der Transplantatentnahme und der Transplantation, die wiederum auf die Möglichkeiten des
Computer-Aided-Design (CAD) zurückgreift. Abbildung 4 visualisiert das Vorgehen bei der
Planung des Eingriffs.
a) b) c)
defektes
Fingermittelgelenk
Vierter
Mittelhand-
knochen
als Transplantat-
geber geeignetes
Gelenk
Hakenbein
sind. Die Versteifung eines dieser Gelenke würde demnach keine merklichen Bewegungsein-
schränkungen für den Patienten verursachen. Dem ärztlichen Rat folgend werden zunächst die
Gelenkflächen zwischen dem vierten Mittelhandknochen und dem Hakenbein näher analysiert.
Die Entnahmestelle muss so gewählt werden, dass das Transplantat möglichst genau die Geo-
metrie der ursprünglichen Gelenkfläche nachbildet. Auf diese Weise soll die Wiedererlangung
des vollen Bewegungsumfangs des linken Mittelfingers erreicht werden. Der Defekt soll zur
Steigerung der Heilungschance durch ein einteiliges Transplantat ersetzt werden. Zur Optimie-
rung der Planungsmöglichkeiten werden die Daten von Hakenbein und viertem Mittelhandkno-
chen aus dem CT-Datensatz extrahiert und in 3D-CAD-Volumenkörper zurückgeführt. In Ab-
bildung 4b ist die Analyse der Gelenkflächengeometrien von Hakenbein und viertem Mittel-
handknochen dargestellt. Die Kontur der Gelenkfläche des vierten Mittelhandknochens liefert
eine große Ähnlichkeit mit der zu ersetzenden Gelenkfläche (Abbildungen 4b und c). Da die
räumliche Ausdehnung des Defekts kleiner als die als Transplantatgeber fungierende Gelenkflä-
che ist, wird der Teil, der dem Defekt geometrisch am ähnlichsten ist, detektiert und in der spä-
teren OP entnommen.
Ein Vergleich von Form und Gestalt der Fehlstelle und zu entnehmendem Transplantat weist
gute Übereinstimmungen auf. Eine abschließende Überprüfung des Bewegungsumfangs des Ge-
lenks mit dem virtuell entnommenen und in den Defekt eingepassten Transplantat zeigt während
des Beugevorgangs minimale Interferenzen mittig auf der Gelenkfläche sowie kleinere geomet-
rische Abweichungen in den Randbereichen des Knochens. Während der OP sind daher kleinere
Anpassungen der Transplantatgelenkfläche und des Transplantats notwendig, indem das interfe-
rierende und überschüssige Material entfernt wird.
Zur Entlastung des Transplantats während der Einheilungsphase und vor allem zur Wiederher-
stellung der normalen Gelenkbeweglichkeit und zur Aufdehnung der geschrumpften Gelenkkap-
sel wird eine allmähliche Gelenkaufdehnung durch bilaterale Anbringung zweier gelenküber-
greifender, unilateraler, dynamischer Fixateure externe durchgeführt. Deren Anbringung wird
ebenfalls vorab virtuell geplant. Die Ergebnisse sind in Abbildung 5 dargestellt.
a) b)
wird nachfolgend die bestehende Problematik in der Prothetik aufgezeigt. Anschließend werden
unter Ausnutzung der Potentiale von CAE-Methoden und additiver Fertigungsverfahren Lö-
sungsansätze durch eine Strukturoptimierung aufgezeigt. Mit Hilfe beanspruchungsangepasster
Gitterstrukturen werden unter Zuhilfenahme der Finite-Elemente Methode in einem iterativen
Prozess steifigkeitsangepasste Varianten einer Kurzschaft-Hüftendoprothese entwickelt. Aus der
Analyse von Spannungen und Verformungen in Prothese und Knochen werden stetig weitere
Optimierungsschritte abgeleitet. Das Optimierungsziel ist die Reduktion der aktuell bestehenden
Steifigkeit sowie die daraus resultierende Erhöhung und Homogenisierung der Beanspruchung
im umliegenden Knochen. Weiterhin stehen eine verbesserte Fixierung und Haltbarkeit in Bezug
auf die Einsatzdauer sowie eine kompakte, knochensparende Bauweise und die direkte Kraftlei-
tung im Fokus. Schlussendlich wird eine optimierte Prothesenvariante entwickelt, additiv gefer-
tigt und deren Einsatzsicherheit experimentell validiert.
Eine enge Passung (Formschluss zwischen Prothese und Implantat) wirkt sich positiv auf die
Primärstabilität, aber negativ auf die Stabilität nach dem Anwachsen aus. Dementsprechend ist
in diesem Zusammenhang ein geeigneter Kompromiss zu wählen. Hinsichtlich der Fixierung im
Femur existieren zwei Varianten: die Verankerung mit Knochenzement und eine zementfreie
Verankerung. Für jüngere Patienten wird aufgrund zahlreicher Vorteile, wie beispielsweise einer
erleichterten Revisionsoperation und der Vermeidung von Gewebeschädigungen durch das Ze-
mentpolymer, meist die zementfreie Variante bevorzugt [22]. Die Fixierung mit Knochenzement
wirkt sich positiv auf die Primärstabilität aus, mit der Zeit können aber Lockerungserscheinun-
gen auftreten.
Die Anpassung der Steifigkeit auf einen ähnlichen Wert wie die des Knochens besitzt positive
Auswirkungen auf die Primär- und Langzeitstabilität des Hüftimplantats. Abbildung 6 veran-
schaulicht die Relevanz der Anpassung der Implantatsteifigkeit auf die mögliche Einsatzzeit des
Implantats.
a) M b) MB
B
c) d)
MB
MB
Detail A-A
Diaphyse
9° c)
Draufsicht Femur
Kondylen-
achse 12°
Distale Epiphyse
75 mm
Kollumachse
des Simulationsmodells sowie die anatomisch relevanten Abmessungen visualisiert. Zur Erzie-
lung möglichst realitätsnaher Simulationsergebnisse wird der E-Modul des Femurs variabel an-
genommen, um die jeweils herrschenden Eigenschaften von Kortikalis und Spongiosa bestmög-
lich abzubilden. Zur Reduktion des Rechenaufwandes werden linear isotrope Materialeigen-
schaften vorausgesetzt. Der für die Simulation verwendete Femurstumpf wird in der anatomisch
korrekten Position an seinem Ende fest eingespannt. Seine Stellung ist in lateraler Richtung um
9° gekippt (Abbildung 7a).
Weiter ist die Kollumachse des Femurkopfes in Bezug auf die Kondylenachse des distalen
Femurs um 12° in Richtung anterior verdreht (Abbildung 7c) und wird durch den Antetorsions-
winkel beschrieben [26]. Über den Kugelkopf der Prothese werden die jeweiligen Kontaktkräfte
in x- und z-Richtung (FK-x, FK-z) aufgegeben. Eine zusätzliche Belastung wird durch die Mus-
kelgruppe der Abduktoren eingefügt (FM-x, FM-z) (Abbildung 7b). Gluteus-Abduktoren reduzie-
ren die Dehnungsbelastung in dem proximalen Teil des Schenkelhalses in einem solchen Aus-
maß, dass Auswirkungen auf die nachfolgende Auslegung einer Prothese in Bezug auf deren
Steifigkeit bestehen [27, 28]. Die Höhe der wirkenden Muskelkraft beträgt das 1,1-fache des
Körpergewichts [29].
a) b) c) d)
Abbildung 8: Erste Ergebnisse zur Anpassung der Prothesengestalt im Hinblick auf eine Stei-
figkeitsvariation
a) Initiales Modell (Rechteck-Vollprofil) im Teilschnitt
b) Optimierte Prothese mit U-Vollprofil im Teilschnitt
c) Prothese mit U-Hohlprofil im Teilschnitt
d) Prothese mit U-Hohlprofil und Ausschnitten zur zusätzlichen Steifigkeits-
reduktion im Teilschnitt
Einsatz ingenieurmäßiger Methoden zur Lösung chirurgischer Herausforderungen 49
Dass die Torsionssteifigkeit damit ebenfalls abnimmt, ist zu vernachlässigen, da sie im Verbund
mit dem Knochen keine wesentliche Rolle spielt. Weiterhin wird die Verdrehsicherheit der Pro-
these im Knochen durch das gewählte U-Grundprofil gesteigert und durch die vergrößerte Kon-
taktfläche von Knochen und Implantat eine mögliche höhere Verbindungsfestigkeit erzielt. Die
Prothese weist eine nach distal verjüngte Form auf, um das Einsinken der Prothese in den Kno-
chen zu verhindern und einen festen Sitz zu gewährleisten. Im Verlauf des Optimierungsprozes-
ses wird das gewählte U-Profil sowie die gesamte Prothesengeometrie als ein Hohlprofil mit
konstanter Wandstärke ausgeführt (Abbildung 8c), dessen weiterhin bestehende Einsatzsicher-
heit durch numerische Simulationen validiert ist. Zur Gewährleistung einer ausreichenden Ver-
ankerung im Knochen wird die Größe des äußeren Querschnitts nicht weiter reduziert. Stattdes-
sen wird der Ansatz einer weiteren Verringerung der Steifigkeit und damit der Erhöhung der
Beanspruchung im umliegenden Knochen durch das Einbringen von Ausschnitten (Abbil-
dung 8d) untersucht. Aus Gründen einer vereinfachten Explantierbarkeit ist die Möglichkeit des
Hineinwachsens von Knochenmaterial in die Prothese jedoch als ungünstig zu bewerten.
Der Optimierungsprozess des Hüftimplantats wird fortgesetzt durch den Einsatz von variablen,
der Beanspruchung angepassten Wanddicken und Gitterstrukturen. In einem ersten Schritt wer-
den die homogene Wandstärke des U-Profils variiert beziehungsweise schrittweise reduziert und
die Auswirkungen auf die Beanspruchung mittels FE-Simulationen bewertet.
a)
t = 0,7...0,6 mm
t = 0,6...0,5 mm
t = 0,7 mm
S, Mises
(Avg. 75%)
700
642
583
525
467
408
b) 292
233
175
t = 1,2...0,5 mm 117
58
0
t = 0,5...0,4 mm
t = 1,2 mm
einem iterativen Prozess eine möglichst optimale Wandstärkenvariation über den Querschnitt
ermittelt werden, wobei fertigungsbedingte Restriktionen bei dem SLM-Prozess stellenweise die
weitere Verringerung der Wandstärken verhindern.
Der Prozess der Wandstärkenvariation und dessen Einfluss auf die Beanspruchungssituation in
der Prothese für den Lastfall „Stolpern“ sind in Abbildung 9 veranschaulicht. Da ein Versagen
durch plastische Verformung zu erwarten ist, werden die Spannungen nach der Gestaltände-
rungsenergiehypothese nach VON MISES ausgewertet. Das in Abbildung 9a dargestellte Modell
weist nahezu homogene Wandstärken über den gesamten Querschnitt auf. Die numerische Ana-
lyse des Lastfalls „Stolpern“ zeigt auf, dass insbesondere im Halsbereich eine starke Spannungs-
überhöhung auftritt, während der distale Bereich nur gering beansprucht ist. Die Anpassung der
Wandstärke t an die jeweils herrschende Beanspruchungssituation, im Zuge eines iterativen Pro-
zesses, liefert schlussendlich eine homogener beanspruchte Prothese mit leichten Spannungs-
überhöhungen im Halsbereich, die die zulässige Spannung σzul nicht überschreiten (Abbil-
dung 9b).
a) Gittergröße: 6 mm Gittergröße: 8 mm Gittergröße: 10 mm
S, Mises
(Avg. 75%)
700
642
583
525
467
408
292
233
175
117
58
0
S, Mises
(Avg. 75%)
700
642
583
525
467
408
292
233
175
117
58
0
Abbildung 10: Untersuchungen zum Einfluss der Gitterstruktur auf die resultierende Beanspru-
chungssituation
a) Einfluss der Gittergröße
b) Einfluss des Stabdurchmessers
Ein weiterer Ansatz zur einsatzsicheren Gestaltung der Kurzschaft-Hüftendoprothese ist der Ein-
satz von innenliegenden Gitterstrukturen. Abbildung 10 visualisiert die Ergebnisse der Untersu-
chungen zum Einfluss von Gitterstrukturen auf die resultierenden Beanspruchungen exempla-
Einsatz ingenieurmäßiger Methoden zur Lösung chirurgischer Herausforderungen 51
risch für den Lastfall „Stolpern“. In einem ersten Schritt wird die im Halsbereich verstärkte Pro-
these (Abbildung 9b) mit Gittern aus unterschiedlich großen Einheitszellen bestehend aus
0,2 mm dicken Streben gefüllt und deren Effekt untersucht. Mit steigender Einheitszellengröße
steigen die Beanspruchungen sowohl innerhalb der Gitterstruktur als auch in der Prothesenhülle
(Abbildung 10a). Nachfolgend werden Prothesenvarianten mit konstanter Größe des Gitters
bzw. der Einheitszelle (6 mm x 6 mm x 6 mm) und unterschiedlichen Stabdurchmessern analy-
siert (Abbildung 10b). Ein zunehmender Stabdurchmesser reduziert in diesem Zusammenhang
die lokalen Beanspruchungen. Das Fazit dieser Untersuchungen ist, dass je höher die Volumen-
füllung durch das Gitter ist, desto geringer sind die resultierenden Beanspruchungen.
Schlussendlich liefern die Studien zum Einfluss verschiedener Gitterstrukturen die Erkenntnis,
dass ein gezielter Einsatz der Gitterstruktur im hochbelasteten Hals- und Kopfbereich der Pro-
these die lokale Beanspruchung reduzieren kann. Der geringer beanspruchte distale Bereich wird
durch das lokale Einbringen von Gitterstrukturen nicht signifikant beeinflusst.
Das Ziel des Optimierungsprozesses ist die Anpassung der Prothesensteifigkeit bei gleichzeitig
einsatzsicherer Auslegung. Durch die Optimierung wird eine Reduktion der Steifigkeit im
Schaftbereich der Prothese erzielt. Weiter sind durch den lokalen Einsatz von Gitterstrukturen
im hochbelasteten Halsbereich des Implantats dessen Tragfähigkeit erhöht und die herrschenden
Beanspruchungen verringert worden. Zur Validierung des Erfolgs der Steifigkeitsreduktion im
Schaftbereich der Prothese werden die Beanspruchungssituationen innerhalb der Kontaktfläche
des Femurs zu Beginn des Optimierungsprozesses und zum Ende in Abbildung 11 vergleichend
für den Lastfall „Stolpern“ gegenübergestellt. Die erfolgreiche Strukturoptimierung führt zu ei-
ner Steigerung der Beanspruchung des die Prothese umgebenden Knochenmaterials.
Ansicht von anterior Ansicht von posterior
S, Mises
(Avg. 75%)
50
46
42
38
33
29
21
17
13
8
4
0
c)
tischen Absicherung müssen mindestens sechs Prothesen erfolgreich geprüft werden. Die Prüf-
vorrichtung zur experimentellen Validierung der Ermüdungsfestigkeit des Schaftbereichs ist in
Abbildung 13b visualisiert.
Zur Prüfung der Ermüdungsfestigkeit des Halsbereichs nach [33] wird die Prothese wie in Ab-
bildung 13c dargestellt bis zur Resektionsebene in das Epoxidharz eingebettet. Die erforderliche
Ausrichtung der Prothese gegenüber der Lasteinleitung ist ebenfalls eindeutig definiert. Eine
zyklische Last mit Fmax = 5340 N und Fmin = 600 N wird aufgebracht und die Prothese muss
1·107 Lastwechsel ohne erkennbare Deformationen und/oder Schädigungen ertragen. Die expe-
rimentellen Prüfungen konnten erfolgreich bestanden werden, sodass die einsatzsichere Ausle-
gung der Prothese unter Verwendung numerischer Methoden bestätigt und die Einsatzsicherheit
gemäß den experimentellen Prüfungen entsprechend der Norm [32, 33] gewährleistet ist.
4 Fazit
Der Einsatz ingenieurmäßiger Methoden im Zusammenspiel mit medizinischem Fachwissen und
dem konventionellen chirurgischen Vorgehen bietet eine Möglichkeit, komplexe medizinische
Herausforderungen systematisch zu lösen. Anhand eines realen Anwendungsbeispiels einer Fin-
germittelgelenkverletzung wurde der Mehrwert von CAE-Methoden und additiver Fertigung für
den Planungsprozess veranschaulicht. Eine dreidimensionale Begreifbarkeit der Situation ohne
umliegendes Gewebe bietet die Grundlage zur Analyse und virtuellen Planung von chirurgischen
Eingriffen. Additiv gefertigte Modelle dienen der Planung sowie der intraoperativen Unterstüt-
zung. Der Einsatz von FE-Software kann weiter dazu beitragen, biomechanische Auswirkungen
von Verletzungen und Behandlungen zu ermitteln und daraufhin fundierte Handlungsempfeh-
lungen aussprechen zu können.
Auch die Hilfsmittelversorgung kann durch den Einsatz von CAE-Methoden und additiven Fer-
tigungsverfahren profitieren. Am Beispiel einer Kurzschaft-Hüftendoprothese wurde der resul-
tierende Mehrwert erläutert. Durch gezielte Nutzung der Potentiale des selektiven Laser-Strahl-
schmelzens, insbesondere der Möglichkeit filigrane innenliegende Gitterstrukturen und variable
Wandstärken sowie innenliegende Hohlräume zu erzeugen, wurde eine steifigkeitsangepasste
Kurzschaft-Hüftendoprothese entwickelt. Durch numerische Analysen der Beanspruchungssitu-
ationen von Knochen und Implantat konnten die Problematik des „Stress Shielding“ und damit
potentielle Probleme des Patienten reduziert und die voraussichtliche Standzeit der Prothese er-
höht werden.
Einsatz ingenieurmäßiger Methoden zur Lösung chirurgischer Herausforderungen 55
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57
Zusammenfassung
Klassische Entwicklungsansätze und die konventionell Fertigungsprozess-getriebene Designfin-
dung sind nur bedingt geeignet, die Potentiale additiver Herstellungsverfahren vollumfänglich
zu nutzen. Neue und angepasste Lösungen, wie sie im Folgenden dargestellt werden, sollen als
Hilfsmittel dienen, zum einen neue Möglichkeiten vor dem Hintergrund additiver Fertigung aus-
zuschöpfen und zum anderen aber auch den, aus dem additiven Fertigungsprozess resultieren-
den, Herausforderungen adäquat zu begegnen. Gerade für (Nutz-) Fahrzeug-typische Bauteildi-
mensionen und im Falle einer zyklischen Belastung, sind aufwendige und kostspielige Iteratio-
nen zwingend zu minimieren. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit sollen durch eine methodisch
strukturierte Vorgehensweise, den gezielten Einsatz von Simulationswerkzeugen und effiziente
Verfahren zur Ermittlung von Werkstoffkennwerten entsprechende Ansätze bereitgestellt wer-
den. Die gesamte Vorgehensweise wurde an einem konkreten Beispiel – vor dem Hintergrund
der Ersatzteilbereitstellung mittels additiver Fertigung – entwickelt und erprobt.
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019
H. A. Richard et al. (Hrsg.), Additive Fertigung von Bauteilen
und Strukturen, https://doi.org/10.1007/978-3-658-27412-2_4
58 Additive Fertigung zyklisch beanspruchter Großbauteile
1 Einleitung
Angepasste Prozesse und ein gestiegenes gesamtheitliches Verständnis über den eigentlichen
Fertigungsprozess hinaus tragen dazu bei, dass additive Fertigungsverfahren vermehrt mit der
gleichen Selbstverständlichkeit wie konventionelle Fertigungstechnologien auch als Option zur
Herstellung von Funktionsbauteilen in Betracht gezogen werden. Das Potential dieser Ferti-
gungstechnologie scheint zunächst enorm [1-5], bei genauerer Betrachtung werden jedoch auch
Restriktionen ersichtlich [6-9], aus welchen sich u. a. folgende Fragen ableiten lassen:
• Welche Bauteile lassen sich sowohl aus technischen als auch wirtschaftlichen Gesichts-
punkten sinnvoll additiv fertigen?
• Wie wirken sich ggf. abweichende Materialeigenschaften auf das Bauteilverhalten aus?
• Inwiefern lässt sich ein Mehrwert mittels der additiven Fertigung generieren?
• In wie weit sind die Annahmen, in Auslegung und Simulation von additiv gefertigten Bau-
teilen, für Vorhersagen vergleichbar mit den Ergebnissen des experimentellen Versuchs?
Am Beispiel der Ersatzteilbereitstellung für eine Fahrwerkskomponente eines leichten Ketten-
fahrzeuges der Bundeswehr wurden verschiedene (Produktentwicklungs-) Ansätze hinsichtlich
ihrer Eignung für die additive Fertigung untersucht. Des Weiteren wurden angepasste und auf
die additive Fertigung optimierte Vorgehensweisen entwickelt. Ziel ist es dabei, für jeden Schritt
und insbesondere auch deren Schnittstellen (siehe Abb. 1) Hilfsmittel entlang einer durchgängi-
gen Prozesskette bereitzustellen bzw. bedarfsgerecht einzusetzen. Die Stufen sind dabei in An-
lehnung an [10] gewählt.
spezifischen Vorgaben. In der Technologiedatenbank werden die zur Verfügung stehenden ad-
ditiven Fertigungsverfahren mit verfügbaren Materialien sowie technischen und monetären
Kennzahlen abgelegt. Der Nutzer bzw. Anwender kann dann bspw. weitere unternehmensinterne
Randbedingungen vorgeben, wie z. B. vorhandene Anlagen und technisch-wirtschaftliche Ziel-
größen. Somit ist sowohl eine allgemeine und grundsätzliche Aussage zu einem Bauteil als auch
eine individuelle und zielgerichtete Auswahl für die anschließenden Prozessschritte möglich.
Um den stetigen technischen Fortschritt oder andere geänderte Randbedingungen berücksichti-
gen zu können, wurde ein dynamischer Aufbau des Systems gewählt. Dementsprechend können
Änderungen jederzeit eingepflegt werden und für die bereits hinterlegten Bauteile erfolgt erneut
eine automatisierte Bewertung. [10]
Im Folgenden wird die Fahrwerkskomponente als ein mögliches Ergebnis des beschriebenen
Identifikationsalgorithmus betrachtet. Das Bauteil weist eine hohe fertigungstechnische Kom-
plexität auf. Es besteht aus mehr als zehn Einzelteilen, die miteinander verschweißt sind und
wird in sehr geringen Stückzahlen produziert bzw. benötigt. Das umhüllende Volumen beträgt
ca. 400 mm x 350 mm x 100 mm, was einem vergleichsweise großen Bauteil (bezogen auf weit-
verbreitete Anlagenbauräume mit Abmessungen von ca. 300 mm x 300 mm x 300 mm) für die
additive Fertigung entspricht.
Für die identifizierte Komponente wurde für die spätere additive Fertigung eine Materialsubsti-
tution vorgenommen, da das Material der konventionell hergestellten Komponente für die addi-
tive Fertigung nicht verfügbar ist. Dabei wurde auf einen rostfreien Edelstahl (AISI 316L) mit
der Werkstoffnummer 1.4404 zurückgegriffen. Dieser Werkstoff lässt sich vergleichsweise gut
verarbeiten und die Materialeigenschaften kommen dem konventionell verwendeten Material am
nächsten. Um Referenzwerte zum konventionellen Material und Materialkennwerte für die Bau-
teilauslegung und -simulation zu erhalten, wurden im nächsten Schritt Grundlagenuntersuchun-
gen zum Ermüdungsverhalten des additiv gefertigten Werkstoffs (polierte Proben) durchgeführt.
3 Materialkennwerte
Die entstehenden Werkstoffeigenschaften aus dem Laser-Strahlschmelzprozess (LBM/SLM)
werden von einer Vielzahl von Parametern beeinflusst (z. B. Rohmaterialeigenschaften, Hard-
ware-Setup, Fertigungsparameter etc.). Folglich kann für die Bauteilauslegung nicht auf die
Werte des konventionellen Vergleichsmaterials oder andere bereits publizierte Kennwerte zu-
rückgegriffen werden. Aus diesem Grund wurden zu Beginn des Projekts eigene Kennwertfelder
auf Probenbasis ermittelt. Alle Probenkörper wurden auf derselben Anlage (Hersteller: 3D Sys-
tems, Typ: ProX DMP 320) und mit den zum späteren Bauteilfertigungsprozess identischen Fer-
tigungsparametern hergestellt. Dabei wurde die für additive Fertigungsprozesse typische Aniso-
tropie der Materialeigenschaften über entsprechende Orientierungen der (nachträglich polierten
Probenkörper im Anlagenbauraum abgeprüft (vgl. Tab. 1, Schichtaufbau vertikal zur Bildebene).
Tabelle 1: Proben in Abhängigkeit der Bauraumausrichtung in Anlehnung an [11]
Probenart LBM 0° LBM 45° LBM 90°
Probenaus-
richtung im
Anlagenbau-
raum
Additive Fertigung zyklisch beanspruchter Großbauteile 61
Die Ermittlung der Kennwerte wurde mehrstufig durchgeführt. In Tabelle 2 sind die statischen
Festigkeitskennwerte sowie die Kerbschlagarbeit zusammengefasst. Dabei wurde ebenfalls ein
konventionelles Vergleichsmaterial (Strangguss) aus [12] in die Betrachtung mit einbezogen.
Es lassen sich daraus folgende Erkenntnisse ableiten [11-13]:
• Der E-Modul und folglich das elastische Werkstoffverhalten ist von der Aufbaurich-
tung unabhängig.
• Die quasistatische Festigkeit (Rm und Rp0,2) zeigt eine deutliche Abhängigkeit von der
Aufbaurichtung.
• Vergleicht man die Resultate der additiv gefertigten Strukturen mit den Proben aus
konventionell stranggegossenem Material, zeigen sich geringere Bruchdehnungen bei
gleichzeitig höheren 0,2%-Dehngrenzen für alle Orientierungen der additiv gefertig-
ten Strukturen.
• Die 45°- und 90°-Orientierungen weisen im Vergleich zu den 0°-orientierten Proben
sowie dem konventionell hergestellten Werkstoff höhere Werte für Rm und Rp0,2 auf
• Die Kerbschlagarbeit zeigt eine deutliche Anisotropie mit abnehmender Kerbschlag-
zähigkeit von der 0°- hin zur 90°-Orientierung.
Tabelle 2: Quasistatische Festigkeitskennwerte und Kerbschlagarbeit von 1.4404 (316L)
nach [11,13]
Kennwerte LBM LBM LBM
Konv.
316L / 1.4404 0° 45° 90°
Aus den Ergebnissen der zyklischen Eindringversuche (PhyBaLCHT) konnten folgende Schlüsse
gezogen werden [13]:
• Für die 0°- Orientierung liegt ein höheres Verfestigungspotential und somit eine gerin-
gere Empfindlichkeit gegenüber mikrostrukturellen Defekten, wie beispielsweise Po-
ren, vor.
• Zwischen der 45°- und 90°- Orientierung konnte kein Unterschied in der Schadenstole-
ranz mittels PhyBaLCHT festgestellt werden.
• Die ermittelten Mikrohärtewerte zeigten in Übereinstimmung mit den Zugversuchen
einen geringeren Einfluss der Aufbaurichtung.
Die mittels PhyBaLLIT berechneten und mit zusätzlichen Konstantamplitudenversuchen abgesi-
cherten Wöhlerkurven (siehe Abb. 3) zeigen, dass [13]:
• die 0°-Orientierung bei geringeren Beanspruchungen die höchste Ermüdungslebens-
dauer zeigt,
• bei höheren Beanspruchungen die 45°- und 90° Orientierung höhere Bruchlastspielzah-
len als die 0° orientierten Proben besitzen,
• die 45° und 90° orientierten Proben ein ähnliches Ermüdungsverhalten aufweisen, wo-
bei die 45° Proben zu höheren Lebensdauern tendieren und
• die additiv gefertigten Proben im Vergleich zu der in [12] veröffentlichen und konven-
tionell ermittelten Wöhlerkurve des stranggegossenen Materials, eine höhere Lebens-
dauer bei höheren Beanspruchungen und eine vergleichbare Lebensdauer bei geringe-
ren Beanspruchungen besitzen. Hierbei sind allerdings die deutlichen Unterschiede in
der chemischen Zusammensetzung zwischen stranggegossenen und SLM Proben zu be-
achten (vgl. [12] und [13]).
Dass sich die Ermüdungslebensdauern der konventionell und additiv gefertigten Proben hin zu
kleineren Beanspruchungen angleichen, liegt an der größeren Defektdichte additiv gefertigter
Werkstoffe. Bei geringeren Beanspruchungen wird der Defekteinfluss größer und folglich
kommt es zu einem deutlicheren Abfall der Lebensdauern des SLM-Werkstoffs.
Aufgrund des größeren Defekteinflusses ergeben sich für die 0°-Orientierung die größten Bruch-
lastspielzahlen bei geringeren Spannungsamplituden, da deren Defekttoleranz am größten ist und
folglich bei größerem Einfluss mikrostruktureller Defekte ein deutlicher Anstieg der Lebens-
dauer im Vergleich zu den anderen Orientierungen zu beobachten ist (siehe Abb. 3 und [13]).
In den hier dargestellten Untersuchungen wurde gezielt das Materialverhalten für das additiv
gefertigte Werkstoffvolumen ermittelt, weshalb Ermüdungsproben mit polierten Oberflächen in
der Messstrecke untersucht wurden Da im Zuge der Bauteilfertigung ein Eigenspannungsarm-
glühprozess vor dem Entfernen von der Bauplatte durchgeführt wird, wurden zusätzlich die zyk-
lischen Eigenschaften von eigenspannungsarmgeglühten Probekörpern in 0°- und 90°-Orientie-
rung untersucht. Hierbei ergaben erste Untersuchungen für die in 0° orientierten Proben keinen
signifikanten Einfluss der Wärmebehandlung auf das Ermüdungsverhalten und für die 90°-Ori-
entierung sogar eine geringfügig höhere Ermüdungslebensdauer, infolge einer erhöhten Scha-
denstoleranz. Folglich können für die Bauteilauslegung die Werte der nicht nachbehandelten
Proben verwendet werden, da durch die komplexe Bauteilgeometrie lokal geringere Wirkungen
der Wärmebehandlungen auftreten können.
Zusammenfassend konnte durch den Einsatz der beschriebenen Kurzzeitverfahren das zyklische
Verhalten des additiv gefertigten Werkstoffs in Abhängigkeit der Aufbaurichtung zuverlässig
bestimmt und somit die Grundlage für die nachfolgende Konstruktionsstudie gelegt werden. Dort
Additive Fertigung zyklisch beanspruchter Großbauteile 63
4 Konstruktion/Optimierung
In einem vorangegangenen Projekt wurde die additive Fertigung der Fahrwerkskomponente mit
möglichst wenigen Änderungen an der Ursprungsgeometrie untersucht (1:1 Teilefertigung) [23,
24]. Zum damaligen Zeitpunkt wurde das Bauteil in einer geteilten Variante realisiert (geteilte
Fertigung). Die Ergebnisse haben weiteres technisches und wirtschaftliches Potential aufgezeigt,
weshalb das Bauteildesign, unter Beibehaltung der Schnittstellen zu den umgebenden Kompo-
nenten, neu überdacht wurde. Hierbei wurden zwei weitere Strategien, welche zum einen eine
64 Additive Fertigung zyklisch beanspruchter Großbauteile
hybride und zum anderen eine optimierte Fertigung verfolgen, ausgearbeitet und bewertet. Die
Ergebnisse sind in Tabelle 3 zusammengefasst und in [24] sowie [25] detailliert beschrieben.
Tabelle 3: Bewertung der Umsetzungsstrategien für die betrachtete Fahrwerkskompo-
nente in Anlehnung an [25]
Nutzung Nutzung Nachbear- Kombina-
Potentiale Potentiale beitungsauf- tionsmög- Summe
Umsetzungsstrategie konv. additiv wand lichkeit
3 1 1 0 5
1:1
2 2 1 1 6
geteilt
4 3 2 3 12
hybrid
1 4 1 3 9
optimiert
Es wurde eine ungewichtete, fünfstufige Punktebewertung mit einer Skala von 0 bis 4 vorge-
nommen, wobei 0 dem unteren Skalenende (schlechteste Bewertung) und 4 dem oberen Skalen-
ende (beste Bewertung) entspricht. Des Weiteren wurden vier Kriterien zur Bewertung herange-
zogen:
1. Ausnutzungsgrad der Potentiale konventioneller Fertigungsverfahren
2. Ausnutzungsgrad der Potentiale additiver Fertigungsverfahren
3. Nachbearbeitungsaufwand
4. Potential zur Kombinationen von Umsetzungsstrategie untereinander
Additive Fertigung zyklisch beanspruchter Großbauteile 65
Die Variante „1:1“ ist auf konventionelle Weise herstellbar, die Bearbeitungsreihenfolge ist je-
doch mit einem leicht erhöhten Handhabungsaufwand verbunden. Bei einer additiven Fertigung
besteht grundsätzlich Potential hinsichtlich einer Integralbauweise, dem entgegen steht der An-
passungsaufwand für diese Fertigungstechnologie. Hinsichtlich der Nachbearbeitung sind die
vielen einzusetzenden Verfahren und zu berücksichtigenden Zwischenschritte von Nachteil.
Diese Variante ist mit keiner der anderen kombinierbar. Bei der Variante „geteilt“ verschiebt
sich die Potentialausnutzung in geringem Maße. Der Nachbearbeitungsaufwand ist durch den
benötigten Schritt des wieder Zusammenfügens vergleichbar hoch. Es besteht jedoch das Poten-
tial, diese Variante mit einer der folgenden zu kombinieren. Die Variante „hybrid“ zeichnet sich
insbesondere durch den vergleichsweise hohen Ausnutzungsgrad der Potentiale beider Ferti-
gungsverfahrensgruppen (additiv gefertigter Mittelteil und gedrehte Wellenstümpfe) aus, woraus
sich insgesamt ein reduzierter Nachbearbeitungsaufwand ergibt. Die Kombinationsmöglichkeit
zu einer der anderen Strategien ist vergleichsweise hoch. Für eine konventionelle Fertigung eher
ungeeignet ist die Variante „optimiert“, jedoch können die Potentiale der additiven Fertigung
nahezu gänzlich ausgeschöpft werden. Der Nachbearbeitungsaufwand ist jedoch vergleichbar
hoch zu den Varianten „1:1“ und „geteilt“. Es besteht jedoch die Möglichkeit, diesen Ansatz mit
der Hybridstrategie zu kombinieren.
Die Wahl einer Umsetzungsstrategie oder einer Kombination mehrerer hängt vom jeweiligen
Anwendungsfall ab. Aus technisch-wirtschaftlicher Sicht wird im vorliegenden Fall eine hybrid-
optimierte Umsetzungsstrategie gewählt. Bei dieser Variante können strukturmechanische, fer-
tigungstechnische und ökonomische Kriterien gleichermaßen berücksichtigt werden. Dabei stel-
len die verschiedenen Fertigungsverfahren und Verbindungstechniken sowie die Generierung
einer optimalen Geometrie für die konkrete Beanspruchung zentrale Zielgrößen dar. Im Ver-
gleich zum konventionell hergestellten Ursprungsbauteil wurden weitere konstruktive Modifi-
kationen und Optimierungen vorgenommen. So konnte u. a. ein ungünstiger Kraftverlauf direk-
ter gestaltet werden (vgl. [25]).
In der hybrid-optimierten Variante lässt sich das Bauteil in drei Teile untergliedern: Zwei Wel-
len, die konventionell gefertigt werden und einen additiv gefertigten, topologieoptimierten Mit-
telteil. Dadurch entstehen neue Schnittstellen, für die passende Verbindungstechniken gewählt
werden müssen. Zudem muss eine Auslegung dieser Schnittstellen erfolgen, was in [25] detail-
liert dargestellt ist. Der Prozess zur Designfindung und Auslegung des topologieoptimierten
Bauteilbereichs ist in Abbildung 4 dargestellt.
Nachdem über die Topologieoptimierung (TO) ein Designvorschlag für die Geometrie generiert
wurde, schließt sich das CAD-Redesign an. Dabei werden u. a. die Schnittstellen auskonstruiert
und Restriktionen der additiven Fertigung berücksichtigt. Die Geometrie wird anschließend mit-
tels einer FEM-basierten Festigkeitsberechnung verifiziert. Diese FEM-Rechnung erfolgt zwei-
stufig: An eine erste quasistatische Berechnung auf Grundlage der Extremwerte einzelner Last-
fälle schließt sich eine Ermüdungsanalyse zur Bewertung der Bauteillebensdauer an. Dabei wer-
den die zuvor auf Probenbasis ermittelten Kennwerte zugrunde gelegt. An dieser Stelle sind ggf.
Iterationen zwischen Konstruktion und Berechnung durchzuführen. Im vorliegenden Fall hat
sich u. a. gezeigt, dass an einzelnen Geometrieübergängen hohe kritische Spannungen auftreten,
so dass diese Stellen konstruktiv modifiziert wurden.
Nachdem über eine erneute Reanalyse die konstruktiven Maßnahmen am Bauteil verifiziert wur-
den, schloss sich die Studie bezüglich der additiven Fertigung an. In dieser wird die zuvor defi-
nierte Bauteilgeometrie weiteren fertigungsspezifischen Maßnahmen unterzogen (wie z. B. die
Erzeugung und Dimensionierung von Stützstrukturen).
66 Additive Fertigung zyklisch beanspruchter Großbauteile
5 Fertigungsstudie
Entsprechend der Unterteilung des additiven Fertigungsprozesses in Pre-, In- und Post-Prozess
(nach [26]) wird nachfolgend eine exemplarische Auswahl der Arbeitsschritte näher beleuchtet.
Bei der Vorbereitung für die Fertigung (Pre-Prozess) kamen u. a. folgende Aspekte zum Tragen:
• Prinzipielle Ermöglichung der Fertigung mit der im Rahmen des Projekts verfügbaren
Anlage (effektiver Bauraum: 275 x 275 x 380 mm)
• Minimierung von Stützstrukturen zur Reduktion des Nachbearbeitungsaufwandes
• Minimierung von großflächig zusammenhängenden Bereichen innerhalb einer Schicht
zur Reduktion thermisch induzierter Eigenspannungen
• Minimierung der Bauhöhe zur Reduktion des Materialeinsatzes und der Bauzeit.
Die genannten Aspekte stehen stellenweise in einem Zielkonflikt zueinander. So hat bspw. eine
Reduktion der maximalen Bauhöhe u. U. einen erhöhten Nachbearbeitungsaufwand (infolge von
mehr zu entfernender Stützstrukturen) zur Folge. Als dominierende Zielgröße kann in den meis-
ten Fällen ein stabiler Herstellungsprozess angesehen werden, womit ein eventueller Mehrauf-
wand an der einen oder anderen Stelle gegenüber einer erneuten Fertigung i.d.R. in Kauf genom-
men wird.
Das Bauteil wurde daher wie in Abbildung 5 (links) dargestellt im Bauraum positioniert und
orientiert. Es konnten dabei großflächige Stütztstrukturen im Bauteilinnern vermieden werden,
Additive Fertigung zyklisch beanspruchter Großbauteile 67
ohne die komplett zur Verfügung stehende Bauraumhöhe nutzen zu müssen. Zur Absicherung
der Fertigung wurden softwareinterne (hier: 3DXpert) Analysen u. a. bzgl. Eigenspannungen im
Vorfeld durchgeführt.
Abbildung 5: links: Bauteil im Halbschnitt auf der Bauplatte; rechts: Exemplarischer Aus-
schnitt aus der technischen Zeichnung zur Nachbearbeitung
Insgesamt wurden 1.150 cm³ Material aufgebaut, wobei 350 cm³ auf die Stützstrukturen entfielen
(entspricht ca. 30%), was insbesondere der Bauhöhe und der gezielten Vermeidung eines Auf-
stellens des Bauteils geschuldet ist. Mit 12.000 Schichten bei einer minimalen Schichtdicke von
30 µm beträgt die Fertigungsdauer ca. 150 Stunden. Es wurden zudem Bauteilbegleitproben über
die gesamte Höhe von 360 mm mitgefertigt. Diese dienen einer anschließenden Qualitätssiche-
rung.
Nach der Fertigung wurde das Bauteil einer Wärmbehandlung unterzogen (Eigenspannungsarm-
glühen), von der Bauplatte abgetrennt und von den Stützstrukturen befreit, bevor es an den
Schnittstellen zu umgebenden Komponenten spanend nachbearbeitet wird (aktueller Projektfort-
schritt, Ausschnitt der technischen Zeichnung siehe Abb. 5 rechts). Damit die Nachbearbeitung
zielführend vorgenommen werden kann, wurde die Strategie bereits im Vorfeld der additiven
Fertigung abgestimmt und berücksichtigt (u.a. Aufmaße, Zugänglichkeiten, Positioniermöglich-
keiten etc.).
Ein exemplarisches Messsignal des idealen Lastzyklus einer bereits durchgeführten Prüfung ist
in Abbildung 6 gezeigt.
Abbildung 6: Prüfzyklus für die horizontale (X), quer (Y) und vertikale (Z) Lastkomponente
am Beispiel der Schnittstellenvalidierung (Bauteilkoordinatensystem vgl. Abb. 5)
In einem ersten Schritt wurden die Schnittstellen mit Hilfe eines konventionell gefertigten Mit-
telteils auf dem Prüfstand, der auch für die spätere Bauteilprüfung genutzt wird, untersucht [25].
Die Erkenntnisse aus den Versuchen haben in einer Modifikation einer der Schnittstellen resul-
tiert. Dabei wurde eine Flanschverbindung durch eine Polygonverbindung ersetzt.
Aus der nun anstehenden Bauteilprüfung können Rückschlüsse bzgl. Annahmen in der Festig-
keitsberechnung gezogen werden. Zudem wird überprüft, inwiefern sich die auf Probenbasis er-
mittelten Kennwerte auf das Bauteil übertragen lassen. Damit können Ansätze für Festigkeits-
nachweise additiv gefertigter Bauteile geliefert werden.
Durch ein gestiegenes gesamtheitliches Prozessverständnis und eine breitere Datenbasis wird es
zukünftig möglich sein, einzelne Prozessschritte weiter zu optimieren und Aufwände zu redu-
zieren.
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Begriffe, Verfahrensbeschreibungen.
71
Pulvercharakterisierung mittels
instrumenteller Analytik - PowderGenetics©
T. Näke, M. Eiber
Industrieanlagen-Betriebsgesellschaft mbH
Zusammenfassung
Die optimale Prozessierbarkeit des Ausgangswerkstoffes ist eine wesentliche Voraussetzung
für den stabilen und reproduzierbaren Herstellprozess von Bauteilen mit additiven Fertigungs-
verfahren. Elementare Kenngrößen und Eigenschaften eines Pulvers haben einen wesentlichen
Einfluss auf den Fertigungsprozess und auf die resultierenden Bauteileigenschaften. In der
Praxis kommen zahlreiche chemische und physikalische Untersuchungen zum Einsatz, um
Merkmalsgrößen zu bestimmen und Pulverqualitäten zu bewerten.
Dieser Beitrag beschreibt die konventionelle Vorgehensweise mit den verwendeten, klassi-
schen Analyseverfahren und zeigt deren Unsicherheiten und Risiken auf. Darüber hinaus wird
ein Verfahren vorgestellt, welches auf der Anwendung weniger Methoden der instrumentellen
Analytik basiert und die Grundlage für eine standardisierte Pulvercharakterisierung darstellt.
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019
H. A. Richard et al. (Hrsg.), Additive Fertigung von Bauteilen
und Strukturen, https://doi.org/10.1007/978-3-658-27412-2_5
72 Pulvercharakterisierung mittels instrumenteller Analytik - PowderGenetics©
1 Einleitung
Der Wirtschaftszweig der additiven Fertigung weist in den letzten Jahren hohe Wachstumsra-
ten von ~ 20 % pro Jahr auf [1]. Dementsprechend vergrößert sich der Markt mit dessen Teil-
nehmern und Produkten. Der in den letzten Jahren beobachtbare, signifikante Anstieg verkauf-
ter AM-Systeme [2] lässt auf ein Wachstum schließen, welches weit über die derzeitige Zu-
nahme an additiv gefertigten Produkten hinausgeht. Die Einschätzungen reichen von einer
variablen Ergänzung konventioneller Produktionsmethoden bis hin zu Zukunftsvisionen, in
denen eine weitgehende Verdrängung der etablierten Fertigungstechnologien erfolgt. Mögliche
gesellschaftliche und ökonomische Auswirkungen wurden zum Beispiel in einer Innovations-
analyse des KIT, ITS untersucht [3].
Hohe Produktmengen erfordern eine effiziente und standardisierte Fertigung über stabile und
repräsentative Prozesse, die in Produkten resultieren, welche werkstoffübergreifend unter-
schiedlichsten Qualitätsanforderungen genügen müssen. Neben optischen und haptischen Kri-
terien werden vor allem ausreichende Festigkeitseigenschaften verlangt. Neben statisch bean-
spruchten und nicht sicherheitsrelevanten Bauteilen, werden vor allem im Metallbereich zu-
nehmend Bauteile gefertigt, die in der Anwendung zyklische Beanspruchungen erfahren, für
die eine hohe Schwingfestigkeit erforderlich ist. Fertigungstechnisch wird diese maßgeblich
durch die Oberflächengüte und oberflächennahe Defekte bestimmt, die in der additiven Ferti-
gung nicht nur prozessbedingt sind, sondern durch die Eigenschaften des Pulvers signifikant
beeinflusst werden.
Eine Charakterisierung der eingesetzten Pulver bezüglich ihrer elementaren Kenngrößen ist
demnach eine wesentliche Voraussetzung für einen stabilen und reproduzierbaren Bauprozess
und für die daraus resultierende Bauteilqualität. Derzeitig eingesetzte Verfahren sind zahlreich
und stellen häufig nur eine einzelne Merkmalsgröße und diese als Summenparameter dar.
74 Pulvercharakterisierung mittels instrumenteller Analytik - PowderGenetics©
2 Qualitätsrelevante Pulvereigenschaften
Innerhalb der Prozesskette eines additiven Fertigungsverfahrens ist eine hohe Aussagekraft
hinsichtlich der Prozessierbarkeit von Pulvern, sowie die Möglichkeit der Korrelation von
Pulverkenngrößen zu erzeugter Bauteilqualität von wesentlicher Bedeutung. Dies bedingt eine
Pulvercharakterisierungsmethode mit der elementare Kenngrößen sowohl qualitativ, als auch
quantitativ erfasst und statistisch abgesichert ausgewertet werden. In der Abbildung 3 sind die
qualitätsrelevanten Eigenschaften und Kenngrößen eines Metallpulvers dargestellt.
3.1 Dichtebestimmung
Die absolute Dichtebestimmung [4] von Pulvern erfolgt pyknometrisch. Dazu wird die Masse
der Pulverprobe und des mit einer Flüssigkeit befüllten Pyknometers durch Wägen ermittelt.
Anschließend wird in das entleerte Pyknometer die zu untersuchende und gewogene Pulver-
probe eingegeben, mit Wasser aufgefüllt und erneut gewogen. Aus der Masse des durch die
Probe verdrängten Wassers und dessen Dichte ergibt sich das durch das Pulver verdrängte
Volumen. Die Masse der Pulverprobe wird durch das Volumen der Probe dividiert, um die
absolute Dichte des Pulvers zu erhalten.
Die Schüttdichte [5] wird ermittelt, indem 100 ml der Pulverprobe durch einen Trichter in
einen definierten Becher gegeben werden. Dieser wird von überstehendem Pulver befreit, so
dass das Pulver mit der Becherwand abschließt. Anschließend wird die Masse des im Zylinder
befindlichen Pulvers bestimmt und durch dessen Volumen dividiert, um die Schüttdichte zu
erhalten.
Die Klopfdichte [6] wird über einen graduierten Messzylinder bestimmt, welcher mit der ge-
wogenen Pulverprobe befüllt ist. Über eine Hubvorrichtung wird verdichtet bis keine Verände-
rung mehr eintritt und der statische Zustand erreicht ist. Die Klopfdichte ist durch die Division
der Masse durch das Volumen zu bestimmen.
Die beschriebenen Dichten stellen Summenparameter dar, die von der chemischen Zusammen-
setzung, den in den Partikeln enthaltenen Hohlräumen und etwaig vorhandenen Verunreini-
gungen abhängig sind. Die jeweilige Partikelgrößenverteilung und Morphologie der Partikel
gehen maßgeblich in die Klopf- und Schüttdichte ein. Für den Prozess der additiven Fertigung
haben die so ermittelten Dichten wenig Relevanz. Die Schüttdichte wird standardmäßig ange-
wendet um die für den Bauprozess notwendige Pulvermenge zu ermitteln.
3.3 Fließgeschwindigkeit
Die Fließgeschwindigkeit [8] wird mit einem Hall-Flow-Meter, Gustavsson Flowmeter, Carney
Funnel oder Scott Volumeter ermittelt. Hierzu wird die Pulverprobe in einen genormten Trich-
ter mit Öffnung gegeben. Es wird die Zeit bestimmt, in der das Pulver den Trichter durchlaufen
hat.
Die ermittelte Fließgeschwindigkeit eines Pulvers stellt dabei wiederum einen Summenpara-
meter dar, der abhängig ist von der Partikelgröße, dem Wassergehalt und der Temperatur. Wie
aus der Abbildung 4 ersichtlich ist, folgt die Fließgeschwindigkeit keiner linearen Abhängig-
keit der genannten Parameter. Sehr feine Pulver mit geringen Korngrößen weisen zum Beispiel
keine Fließfähigkeit auf.
Abbildung 4: Einfluss der relativen Luftfeuchte und Temperatur auf die Fließgeschwindig-
keit von Kupferpulvern [9]
3.4 Partikelgrößenbestimmung
Die Partikelgrößenverteilung wird überwiegend mit einem Lasergranulometer [10] ermittelt.
Die Pulverprobe wird in einer Flüssigkeit dispergiert und an einer monochromatischen Licht-
quelle vorbeigeleitet (i.d.R. einem Laser). Die Streuung des Lichtes durch die Partikel wird von
Detektoren erfasst. Die sich ergebenden Beugungsmuster sind abhängig von der Partikelmor-
phologie, den optischen Eigenschaften des Materials und können die wahren Größen und For-
men verfälschen. Zweidimensional erfasste Beugungsmuster bilden die Basis für eine mathe-
matische Auswertung, daher kann eine verlässliche Aussage über die Partikelgröße nur bei
idealen Kugeln mit bekannten optischen Eigenschaften erfolgen.
Pulvercharakterisierung mittels instrumenteller Analytik - PowderGenetics© 77
4.1 Makroskopie
Die makroskopische Betrachtung aufgeschütteter Pulver ermöglicht einen ersten Überblick
über die Beschaffenheit der Probe. So können mehrere Pulverproben hinsichtlich ihrer Körnig-
keit und etwaig vorhandener Beläge verglichen werden. Mangelndes Rieseln und grobe Ag-
glomerate weisen auf eine vorliegende Feuchtigkeit hin. Das Verfahren liefert häufig erste
Hinweise auf unzulässige Auffälligkeiten, die zu einem vorzeitigen Ausmustern eines Pulvers
führen können, womit die Aufwände für die weiterführenden Analysen eingespart werden.
4.2.2 Trägergasheißextraktion
Durch Analysatoren werden die Gehalte an Sauerstoff, Stickstoff, Wasserstoff, Kohlenstoff
und Schwefel ermittelt [13, 14, 15]. Die Pulverprobe wird in ein Reaktionsgefäß gegeben und
induktiv in einem Gasstrom über die Schmelztemperatur aufgeheizt. Die dadurch freigesetzten
Gase werden durch nachgeschaltete Messzellen mit einer Genauigkeit von ~ 1 ppm quantifi-
ziert.
4.2.3 Karl-Fischer-Titration
Das enthaltene Wasser einer Pulverprobe wird durch das Aufheizen in einem Ofen über eine
Gaseinleitung in ein Reagenz geleitet. Der Wassergehalt wird anschließend durch die Reaktion
mit coulumetrisch erzeugtem Iod bestimmt [16].
4.2.4 Zusammenfassung
Die Einhaltung der chemischen Zusammensetzung stellt ein notwendiges Kriterium der Pul-
verqualität dar. Bei fehlender Einhaltung von Sollvorgaben durch Über- und/oder Unterschrei-
tungen von Grenzwerten kann das Pulver vorzeitig zurückgestellt, aufbereitet, oder für die
Herstellung von Bauteilen mit geringeren Qualitäts- und Festigkeitsvorgaben verwendet wer-
den.
80 Pulvercharakterisierung mittels instrumenteller Analytik - PowderGenetics©
4.3 Rasterelektronenmikroskopie
Die Rasterelektronenmikroskopie [17] basiert auf der Abrasterung einer Probenoberfläche
durch einen Elektronenstrahl. Der Primärstrahl erzeugt auf der Probenoberfläche Wechselwir-
kungen in Form von Rückstreuelektronen, Sekundärelektronen und emittierten Photonen. Da-
mit können sowohl Topografie- als auch Materialkontraste dargestellt werden (Abbildungen 7
bis 12). Die durch die Wechselwirkung des Primärstrahles mit den Elektronen der Probe emit-
tierten Röntgenquanten werden in der Mikrobereichsanalyse genutzt, um die elementare Zu-
sammensetzung der Probe zu bestimmen.
An wenigen Pulverpartikeln einer Probe werden Topografieuntersuchungen durchgeführt, um
qualitative Aussagen über die im Pulver enthaltene Morphologie, die Oberflächenstruktur und
etwaige Kontamination zu erhalten. Unter hohen Vergrößerungen werden kleinste Anhaftun-
gen, Subpartikel (Satelliten) und Beläge (Oxide) detektierbar, deren Präsenz und Anteil ent-
sprechende Schlussfolgerungen auf das Verhalten des Pulvers im Bauprozess zulassen. Erfah-
rungsgemäß nimmt zum Beispiel die Prozessierbarkeit des Pulvers mit zunehmender Oberflä-
chengüte aufgrund zunehmender Wirkung elektrostatischer Effekte ab, weshalb leicht raue,
dendritische Strukturen ideal runder Formen angestrebt werden. Diese bilden die optimale
Voraussetzung für einen gleichmäßigen Auftrag der Pulver durch den Beschichter, während
entartete Strukturen und Anhaftungen zur Störung der Homogenität führen.
Durch rasterelektronenmikroskopische Untersuchungen lassen sich die Partikelgröße, Morpho-
logie, Topografie und die lokale elementare Zusammensetzung qualitativ bestimmen. Quantita-
tive Aussagen sind nicht möglich bzw. wirtschaftlich nicht realisierbar, da diese einen sehr
hohen Zeitaufwand bedingen. Auch können über dieses Verfahren Verunreinigungen und Kon-
taminationen des Pulvers bestimmt werden. Durch eine entsprechende Probenvorbereitung ist
hier eine Quantifizierung möglich.
4.4 Computertomografie
Bei der Computertomografie [18] wird durch eine Röntgenröhre ein Bremsspektrum erzeugt,
welches durch die im Strahlengang befindliche Probe teilweise absorbiert wird. Ein digitaler
Detektor wandelt die transmittierte Röntgenstrahlung durch Szintillatoren in Elektronen und
damit in eine Bilddarstellung um. Während die zu untersuchende Probe um 360° rotiert, wer-
den zahlreiche 2D-Röntgenbilder erstellt, die im Anschluss in ein digitales Volumen umge-
wandelt werden. Die für die Detektion aller Partikelgrößen notwendige pulverspezifische Auf-
lösung wird in der rasterelektronenmikroskopischen Untersuchung ermittelt. Um eine statis-
tisch abgesicherte Messung sicherzustellen, ist eine Mindestanzahl von 1E+5 Partikeln zu
analysieren. In der Tabelle 1 und den Abbildungen 13 bis 18 sind die Ergebnisse der beispiel-
haften Untersuchung eines Ti6Al4V-Pulvers dargestellt. Die Scanauflösung betrug hier 3 µm
(Voxelgröße).
Mit der computertomografischen Untersuchung metallischer Pulver werden Hohlräume, hö-
herdichte Verunreinigungen, Partikeloberflächen, Partikelgröße, Morphologie und deren Ver-
teilungen quantitativ bestimmt.
82 Pulvercharakterisierung mittels instrumenteller Analytik - PowderGenetics©
Abbildungen 13 und 14: CT-Aufnahme der Pulverprobe als 3D-Bild mit Darstellung des
Volumens in Falschfarben
Abbildungen 15 und 16: CT-Aufnahme einzelner Partikel, 3D-Bild rechts unten in den
Bildern; Oben und links 2D Schnittbilder durch Partikel
Pulvercharakterisierung mittels instrumenteller Analytik - PowderGenetics© 83
Abbildungen 17 und 18: CT-Aufnahme eines Hohlraumes in einem Partikel; rechts unten
3D-Darstellung; Oben und links 2D Schnittbilder durch den
Partikel; der Hohlraum wurde rot eingefärbt
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Marktvolumen für gedruckte Produkte steigt bis 2030 auf 22,6 Milliarden Euro. URL:
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fahren. Berlin: Beuth, 2018.
[6] ISO 3953:2011-02: Metallpulver - Bestimmung der Klopfdichte. Berlin: Beuth, 2011.
[7] DIN EN ISO 11885:2009-09: Wasserbeschaffenheit – Bestimmung von ausgewählten
Elementen durch induktiv gekoppelte Plasma-Atom-Emissionsspektrometrie (ICP-
OES). Berlin: Beuth, 2009.
[8] ISO 4490:2018-04: Metallpulver - Bestimmung der Durchflussrate mit Hilfe eines
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[12] DIN 51418-1:2008-08: Röntgenspektralanalyse - Röntgenemissions- und Röntgenflu-
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[15] ASTM E1941-10: Standard Test Method for Determination of Carbon in Refractory
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(PA): ASTM International, 2016.
[16] DIN 51777-2:1974-09: Prüfung von Mineralöl-Kohlenwasserstoffen und Lösungsmit-
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[17] Peter Fritz Schmidt und 13 Mitautoren: Praxis der Rasterelektronenmikroskopie und
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Computertomografie - Teil 2: Grundlagen, Geräte und Proben. Berlin: Beuth Verlag,
2012.
85
Zusammenfassung
Pulvermetallurgisch hergestellte Produkte enthalten in der Regel Defekte in Form von Hohl-
räumen, welche sich unter statischer und zyklischer Belastung festigkeitsmindernd auswirken
können. In der Praxis werden die Defekte durch zerstörungsfreie Prüfverfahren erfasst und
analog zu anwendungsspezifischen Vorgaben bewertet. Zur Reduktion von Ausschussquoten
werden häufig Nachbehandlungsprozesse angewendet, um durch ein Ausheilen von Fehlstellen
die Bauteilqualität nachträglich zu erhöhen. Dieser Beitrag beschreibt die durch heißisostati-
sches Pressen induzierten Veränderungen von Poren auf der Mikrostrukturebene am Beispiel
pulvermetallurgisch hergestellter Turbinenschaufeln aus einem Nickelbasiswerkstoff. Durch
computertomografische, licht- und rasterelektronenmikroskopische Untersuchungen wird der
Effekt der Nachbehandlung mit unterschiedlichen Parametern dargestellt und diskutiert.
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019
H. A. Richard et al. (Hrsg.), Additive Fertigung von Bauteilen
und Strukturen, https://doi.org/10.1007/978-3-658-27412-2_6
86 Auswirkungen von heißisostatischem Pressen auf die Mikrostruktur
1 Einleitung
Das Anwendungsgebiet pulvermetallurgisch hergestellter Bauteile hat sich in den letzten Jah-
ren vor allem aufgrund der Zunahme der Herstellverfahren enorm ausgebreitet und umfasst
mittlerweile alle relevanten industriellen Bereiche. Die beinahe uneingeschränkte Freiheit zur
Fertigung von Bauteilen mit sehr komplexen Geometrien, welche mit konventionellen Ferti-
gungsmethoden nicht erzielbar sind, und die Möglichkeit einer Funktionsintegration eröffnen
neue Welten hinsichtlich der Bauteilgestaltung. Aufgrund der Erweiterung an möglichen
Werkstoffzusammensetzungen kann heutzutage auch Material analog zu Vorgaben bezüglich
mechanisch-technologischer Eigenschaften neu gestaltet werden. Die Bandbreite erstreckt sich
von konventionellen metallischen Werkstoffen wie Stahl, Aluminium und Titan über Refrak-
tärmetalle und Verbundwerkstoffe bis hin zu speziellen Hochleistungslegierungen. Die erziel-
baren Form- und Maßgenauigkeiten erfüllen anspruchsvolle Qualitätsvorgaben und bilden ein
weiteres Argument für die vielfältige Anwendung pulvermetallurgischer Herstellverfahren [1].
Unabhängig von der Werkstoffauswahl, dem pulvermetallurgischen Fertigungsprozess und der
späteren Anwendung ist das Ausgangsmedium bei diesen Prozessen pulverförmig. Die Erfül-
lung von Anforderungen an die chemische Zusammensetzung, Korngröße, Morphologie und
Topografie der einzelnen Pulverpartikel stellt die Grundvoraussetzung für die Verwendung der
Pulver dar, um einen stabilen und reproduzierbaren Fertigungsprozess zu gewährleisten. Die
Prozessfähigkeit des Pulvers hat darüber hinaus einen wesentlichen Einfluss auf die erzeugte
Bauteilqualität hinsichtlich innerer Defekte und Oberflächengüte [2].
Aus diesem Grund werden die über zerstörungsfreie Prüfverfahren detektierten Poren eines
Bauteils als kritisch bewertet. Enge Vorgaben hinsichtlich Ausdehnung und Lage dieser Defek-
te führen häufig zu hohen Quoten unzulässiger Bauteilqualitäten und damit zu wirtschaftlichen
Verlusten. Um Bauteilqualitäten hinsichtlich innerer Defekte nachträglich zu verändern, wer-
den zunehmend thermische Nachbehandlungsprozesse angewandt. Diese streben ein nachträg-
liches Schließen von Poren mit gleichzeitiger Verdichtung der Oberfläche an, um geforderte
statische und zyklische Bauteilfestigkeiten zu erzielen.
In diesem Beitrag werden prozessinduzierte Hohlräume nach Fertigung und nach HIP-
Prozessen unter variablen Temperaturen computertomografisch detektiert, zerstörend unter-
sucht und bezüglich ihrer möglichen Auswirkung auf die statische und zyklische Festigkeit
diskutiert. Die Untersuchungen werden am Beispiel von Turbinenschaufeln durchgeführt, wel-
che durch Metal Injection Molding (MIM) hergestellt wurden. Die Art der Herstellung aus
Metallpulver und die prozessbedingte Entstehung von Hohlräumen ähnelt den Phänomenen,
die im ALM-Prozess beobachtet werden. Unabhängig vom Fertigungsverfahren sind die Me-
chanismen eines Nachbehandlungsverfahrens durch HIP mit seinen Auswirkungen auf Fehl-
Auswirkungen von heißisostatischem Pressen auf die Mikrostruktur 87
stellen und Geometrien vergleichbar. Die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung können
demnach als Anhaltswert für Bauteile aus additiven Fertigungsprozessen verwendet werden
und bilden die Basis für weiterführende prozessspezifische Untersuchungen.
3.1 Untersuchungsablauf
Die untersuchten Turbinenschaufeln wurden durch Metal Injection Molding (MIM) aus einer
Nickelbasislegierung hergestellt. Die Qualitätssicherung erfolgte über eine 2D-
Röntgenprüfung, mit der Werkstofffehler in Form von Poren und Hohlräumen detektiert, ver-
messen und bewertet wurden. An einer Auswahl von Schaufeln wurden im Anschluss zerstö-
rende und zerstörungsfreie Prüfungen durchgeführt, um die detektierten Defekte nach der Fer-
tigung umfassend zu beschreiben und die Veränderung von Poren durch ein Nachbehandlungs-
verfahren mit heißisostatischen Pressen (HIP) zu untersuchen.
Die Durchführung der Untersuchungen erfolgte in drei Schritten. Der erste Schritt beginnt mit
einer Computertomografie zur exakten Bestimmung der Ausdehnung und Lage von Poren im
Bereich des Schaufelblattes. Anschließend wurde eine metallografische Zielpräparation durch
88 Auswirkungen von heißisostatischem Pressen auf die Mikrostruktur
die Pore gelegt und die Mikrostruktur in der Porenumgebung analysiert. Im Rasterelektronen-
mikroskop wurden die präparierten Schliffebenen im Bereich der Poren einer Topografieunter-
suchung unterzogen. Die Bestimmung der lokalen Festigkeiten erfolgte über eine Härteprüfung
nach Vickers.
Im zweiten und dritten Schritt wurden computertomografisch untersuchte Proben einem Nach-
behandlungsprozess durch heißisostatisches Pressen unterzogen. Der HIP-Prozess A wurde
unter einer Prozesstemperatur von 900°C realisiert, während beim HIP-Prozess B eine Tempe-
ratur von 1220°C gewählt wurde. An Turbinenschaufeln aus beiden Nachbehandlungsprozes-
sen erfolgten anschließend vergleichende Werkstoffuntersuchungen für die Charakterisierung
der Mikrostruktur, Topografie und elementarer Zusammensetzung im Defektbereich. Abbil-
dung 1 zeigt eine Übersicht des Untersuchungsablaufs.
Ziel der nachfolgenden Werkstoffuntersuchungen ist es, die Veränderungen der Mikrostruktur
im Defektbereich vor und nach dem HIP-Prozess zu charakterisieren und den Einfluss der zwei
Temperaturniveaus auf die Fehlstellenbereiche darzustellen.
Auswirkungen von heißisostatischem Pressen auf die Mikrostruktur 89
3.2.2 Rasterelektronenmikroskopie
Die Bestimmung der elementaren Zusammensetzung des Werkstoffgefüges im Defektbereich
erfolgte rasterelektronenmikroskopisch an metallografischen Zielpräparationen. Mit Hilfe einer
energiedispersiven Mikrobereichsanalyse (EDX) wurden die vorliegenden Elemente im Hohl-
raumbereich detektiert und als Spektrum oder ortsaufgelöstes Mapping dokumentiert. Des
Weiteren wurden im Bereich der Fehlstellen die Oberflächen untersucht und dokumentiert [5]
[6].
3.2.3 Lichtmikroskopie
In den ausgewählten Defektbereichen wurde jeweils eine metallografische Zielpräparation
gelegt und die erhaltene Schliffebene lichtmikroskopisch bei Vergrößerungen bis zu 1000:1 im
ungeätzten und geätzten Zustand untersucht. Die Charakterisierung der Mikrostruktur wurde
sowohl im gefertigten, als auch im nachbehandelten Zustand der Schaufeln durchgeführt.
3.2.4 Härteprüfung
Die metallografischen Schliffproben wurden im Anschluss an die lichtmikroskopische Unter-
suchung einer Härteprüfung nach Vickers unterzogen. Dazu wurden im Fehlstellenbereich der
Probe Eindrücke mit HV0,1 gesetzt und die resultierenden Härtewerte dokumentiert. Die
Werkstoffhärte wurde bestimmt, um etwaige Änderungen der Festigkeiten durch den thermi-
schen Nachbehandlungsprozess festzustellen und zu dokumentieren [4].
Auswirkungen von heißisostatischem Pressen auf die Mikrostruktur 91
a) b) Vor HIP
größte Pore
c) d)
e) f)
a) b)
größte Pore
c) d)
d)
e) f)
Karbidanreicherung
g) h) Abweichung 0 µm Abweichung
73 µm
nach HIP zeigt eine signifikante Abweichung im Bereich der Schaufelspitzen mit Änderungen
der Abmessung bis zu 192 µm, womit der durch den HIP-Prozess bei 1220°C entstandene
Bauteilverzug deutlich wird.
Nach der Zielpräparation wurden sowohl lichtmikroskopisch als auch rasterelektro-
nenmikroskopisch Agglomerate aus einzelnen Aluminiumoxiden in den ehemaligen Porenbe-
reichen festgestellt (Abbildungen 6c, 6d, und 6g). Diese Oxide orientieren sich vorwiegend an
der γ´-Phase des Werkstoffgefüges. Die Mikrostruktur bestehend aus γ und γ´ ist in beiden
Werkstoffbereichen vergleichbar [7] (Abbildung 6i). Unterhalb der Vertiefung ist die Korngrö-
ße deutlich gröber ausgebildet als im Kernbereich des Schaufelblatts (Abbildung 6h). Die
Werkstoffhärte ist mit 368 HV0,1 in der Matrix und 376 HV0,1 in näherer Porenumgebung
vergleichbar. Eine Härtemessung im Bereich der Agglomeration aus Aluminiumoxid ergab
Werte bis 1047 HV0,1. Da in der Messung der das Oxid umgebende, vergleichsweise weiche
Grundwerkstoff mitgemessen wurde, repräsentiert dieser Messwert einen Minimalwert.
c) d)
e) f)
Vor HIP: V = 0,003 mm³ Nach HIP: V = 0,001 mm³
g) h)
Vertiefung
i) j)
Abweichung 192 µm
Abweichung 191 µm
4 Fazit
Der HIP-Prozess bei einer Temperatur von 900°C führte im vorliegenden Fall nicht zu einem
vollständigen Schließen von Poren mit einer Volumenausdehnung > 0,001mm³. Die Porenvo-
lumina verringerten sich nur geringfügig, die Strukturen der Porenoberflächen sind vergleich-
bar mit denen, die im Fertigungszustand vorlagen. Poren mit Durchmessern bis zu ca. 20 µm
konnten geschlossen werden, der Zusammenschluss der Poreninnenwände ist jedoch form-
schlüssig und adhäsiv ausgeprägt. Die Mikrostruktur ist in allen untersuchten, ehemaligen
Porenbereichen mit Einschlüssen aus Aluminiumoxid versehen. Im Vergleich zu den Schau-
feln, die bei 1220°C nachbehandelt wurden, findet eine geringere Geometrieänderung der Bau-
teile durch Verzug statt.
Der durchgeführte HIP-Prozess bei 1220°C führte zu einer Schließung von Poren im Volu-
menbereich von 0,001 mm³ bis 0,04 mm³. Die ehemaligen Hohlraumbereiche weisen Alumini-
umoxideinschlüsse, häufig in Form von Oxidnestern auf. Diese Einschlüsse haben keine che-
mische Verbindung mit dem Grundwerkstoff, sondern liegen als inkohärente Phase in der Mat-
rix vor. Das an den Korngrenzen oder Partikeloberflächen anhaftende Aluminiumoxid wird in
den gewählten Temperaturbereichen nicht aufgeschmolzen, sondern diffundiert im Metallgefü-
ge. Vereinzelt fand an den durch die Nachverdichtung entstandenen Oberflächenvertiefungen
ein Kornwachstum statt. Die Zunahme an Karbiden wurde im Bereich der Porenränder beo-
bachtet. Das Grundgefüge der Schaufeln wurde von den Nachbehandlungsverfahren nicht
beeinflusst. Die Mikrostruktur des Fertigungszustandes stimmt mit den nach HIP untersuchten
Gefügen überein. Die Werkstoffhärte erfuhr keine signifikante Veränderung durch die Anwen-
dung der Nachbehandlungsprozesse, die gemessenen Werte in den Fehlstellenbereichen kor-
respondieren mit den im Grundgefüge ermittelten Ergebnissen.
Literatur
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101
Zusammenfassung
Um additive Fertigungsverfahren mit metallischen Werkstoffen für eine industriell nutzbare Se-
rienproduktion verfügbar zu machen, ist es neben der stetigen Verbesserung des eigentlichen
technischen Fertigungsprozesses zwingend notwendig, die resultierenden Struktur- und Be-
triebsfestigkeitseigenschaften als Funktion der Prozessparameter darstellen zu können. Hierfür
stehen basierend auf klassischen Fertigungsverfahren unterschiedliche Bemessungskonzepte zur
Verfügung, deren Eignung zur Bauteiloptimierung von additiv gefertigten, zyklisch belasteten
Strukturen zu überprüfen ist. Zyklische Versuche zeigen, dass bedingt durch die additive Ferti-
gung neue Herausforderungen entstehen, die im Rahmen einer numerischen Lebensdauerab-
schätzung zu bewältigen sind.
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019
H. A. Richard et al. (Hrsg.), Additive Fertigung von Bauteilen
und Strukturen, https://doi.org/10.1007/978-3-658-27412-2_7
102 Einflüsse auf das zyklische Werkstoffverhalten von additiv gefertigten Strukturen
1 Einleitung
Additive Fertigungsverfahren werden sowohl für die Automobil- als auch für die Luftfahrtin-
dustrie aufgrund des hohen Maßes an Gestaltungsfreiheit beim Konstruieren zunehmend interes-
santer, insbesondere in Bezug auf die Fertigung metallischer Komponenten. In Folge der sich
weiter verbessernden Technologie der additiven Fertigung auf Basis metallischer Pulver und der
verstärkten Forschung auf diesem Gebiet wird der Anwendungsbereich verschoben: Neben dem
reinen Prototypen- und Designstadium entwickelt sich der Einsatzbereich hin zu lasttragenden
und sicherheitsrelevanten additiv gefertigten Strukturen und Bauteilen. Obwohl diese Technolo-
gie den Weg für bisher schlicht nicht fertigbare oder höchstkomplexe geometrische Strukturen
ebnet, steht diesem noch jungen Fertigungsverfahren die fehlende Standardisierung gegenüber.
Eine wesentliche Voraussetzung für eine industrielle Fertigung, im Idealfall mit der Losgröße
Eins, ist die Verfügbarkeit eines Bemessungskonzeptes, dass die wesentlichen Einflussfaktoren
berücksichtigt und die Lebensdauer zuverlässig abschätzt. Dafür ist es notwendig, die resultie-
renden Material- und Struktureigenschaften als Funktion der Prozessparameter zu beschreiben.
Gegenstand aktueller Forschung ist die experimentelle Charakterisierung der Struktureigen-
schaften additiv gefertigter Proben. Hierbei werden die Fertigungsparameter, u. a. Aufbaurich-
tung, Schichtdicke, Scanstrategie, Wärmebehandlung, etc., variiert und deren Einfluss auf die
Schwingfestigkeit im zyklischen Versuch quantifiziert. Zusätzlich erfolgen meist begleitende
metallographische und fraktographische Untersuchungen, um eine Aussage über die Mikrostruk-
tur und Fehlstellen bzw. den Versagensausgangsort zu erhalten. So lassen sich diesbezüglich
bereits einige Arbeiten zu mechanischen Eigenschaften des Inconel 718 unter quasi-statischen
Belastungen finden [1, 2]. Schäden an Strukturen entstehen aber häufig durch Materialermü-
dung. Hervorgerufen werden diese durch wiederholte Be- und Entlastungen, die deutlich unter
der Streckgrenze des jeweiligen Materials liegen. Der bisherige Wissensstand über das Werk-
stoffverhalten von additiv gefertigten Strukturen unter zyklischer Belastungen und die lebens-
dauerbestimmenden Einflussgrößen, wie beispielsweise den Größeneinfluss, ist noch recht ein-
geschränkt. Sowohl Materialeigenschaften als auch Ermüdungseigenschaften werden durch di-
verse Prozessvariablen bestimmt, die zu anisotropen Mikrostrukturen, ungleichmäßigen Span-
nungsverteilungen oder Porenbildung im Material führen können.
In Bezug auf Bemessungskonzepte für zyklisch belastete AM-Bauteile wurden bislang sehr we-
nige Untersuchungsergebnisse veröffentlicht. Aufgrund der typischerweise vorliegenden Unre-
gelmäßigkeiten in der Struktur bzw. im Randbereich, werden bruchmechanische Ansätze für
eine Schwingfestigkeitsbewertung verwendet [3, 4, 5]. Kontinuumsmechanisch ist eine lokale
Methode vorzuziehen, um die heterogene Mikrostruktur zu berücksichtigen, damit das Festig-
keitspotential additiv gefertigter Strukturen im Sinne des Leichtbaus zielführend ausgeschöpft
werden kann.
verborgenen Wirkmechanismen bilden, die einen maßgeblichen Einfluss auf die Schwingfestig-
keit haben. Ein Verständnis dieser Einflussgrößen ist von eminenter Wichtigkeit und bildet die
Grundlage zur Ableitung von zuverlässigen Bemessungskonzepten.
Die Eigenschaften von additiv gefertigten Bauteilen werden maßgeblich durch den Fertigungs-
prozess beeinflusst. Hier sind unter anderem die Schichtdicke, die eingebrachte Streckenenergie,
der Abstand der Schweißraupen, die Belichtungsstrategie und Konturläufe zu nennen. Dazu
kommt der Einfluss der Atmosphäre und einer potentiellen Vorwärmung des Pulverbetts, die
einen großen Einfluss auf die Abkühlgeschwindigkeiten und somit auf die Mikrostruktur und die
Eigenspannungen haben. Zusätzlich sind die Stützstrukturen zu nennen, die sowohl stark die
Topologie der Oberfläche beeinflussen als auch einen Einfluss auf die Abkühlgeschwindigkeiten
in diesem Bereich haben. Alle Parameter können direkt abhängig von der Ausrichtung des Bau-
teils bzw. der Probe im Bauraum sein. Die Ausrichtung wird durch ihren Winkel oder durch ihre
Belastungsrichtung in einem XYZ-Koordinatensystem im Verhältnis zur Aufbaurichtung und
der Aufbringungsrichtung des Pulvers bezeichnet, Abbildung 1.
Abbildung 1: Definition der Probenlage anhand der Aufbaurichtung und der Aufbringungs-
richtung des Pulvers mit schematischer Darstellung der entstehenden Schichten
in der Probe bzw. im Bauteil
Folgenden Einflussgrößen werden in der Literatur eine hohe Relevanz für die Schwingfestigkeit
zugewiesen [6], Abbildung 2:
Besondere Relevanz für die Schwingfestigkeit zeigt die Oberflächenbeschaffenheit. Bei nahezu
allen Schwingfestigkeitsversuchen an Proben mit unbearbeiteter Oberfläche starten die Risse
von Kerben an der Oberfläche (Abbildung 2 a) i)), die durch den Fertigungsprozess eingebracht
werden [7, 8, 9, 10]. Die Gestalt der Oberfläche wird durch unterschiedliche Parameter beein-
flusst. Insbesondere ist die Größe einer einzelnen Schicht zu nennen, die zu geometrischen Ker-
ben an der Oberfläche und zwischen den einzelnen Lagen auch im Inneren führt (Bild 2 a) ii))
[11]. Diese sind abhängig von der Aufbaurichtung [8] und der Belichtungsstrategie. Zusätzlich
kann es vorkommen, dass Pulverpartikel nur angeschmolzen werden (Abbildung 2 a) iii)). Dies
führt zu einer weiteren Spannungsüberhöhung [12]. Oberflächenfehler können außerdem z. B.
Poren oder Bindefehler zwischen zwei Schichten sein. Besonderes Augenmerk muss zusätzlich
auf Oberflächen mit entfernten Stützstrukturen gelegt werden, da es hierbei zu teils starken Ober-
flächendefekten kommen kann.
104 Einflüsse auf das zyklische Werkstoffverhalten von additiv gefertigten Strukturen
Abbildung 2: Ausgewählte Eigenschaften von additiv gefertigten Bauteilen mit Relevanz für
die Schwingfestigkeit
Wie von konventionellen Werkstoffen bekannt, hat die Mikrostruktur einen maßgeblichen Ein-
fluss auf die Schwingfestigkeit. Hier sind insbesondere die Größe der Körner (Abbildung 2 c)
i)), die Kristallorientierung (Abbildung 2 c) ii)), und Ausscheidungen (Abbildung 2 c) iii)) zu
nennen. Bedingt durch die Textur des Gefüges mit einer stark richtungsabhängigen Kristallbil-
dung verhält sich der Werkstoff anisotrop. Dies kann sich einerseits auf die mechanischen Kenn-
werte wie den E-Modul [3], aber andererseits auch auf das zyklische Werkstoffverhalten, z. B.
die Ver- und Entfestigung, und schlussendlich auf die Schwingfestigkeit auswirken. Der Einfluss
der Mikrostruktur wird insbesondere bei hochqualitativen Proben mit glatter Oberfläche und mi-
nimalen inneren Unregelmäßigkeiten beobachtet.
Wie bei schweißtechnischen Verfahren werden durch den Fertigungsprozess Eigenspannungen
eingebracht (Abbildung 2 d)). Im Falle von Zugeigenspannungen kann die Schwingfestigkeit
signifikant herabgesetzt werden, insbesondere bei makroskopisch elastischen Beanspruchungen.
Eine genaue Quantifizierung des Einflusses fällt schwer, da durch ein Spannungsarmglühen, wie
es häufig nach der Fertigung durchgeführt wird, auch die Mikrostruktur beeinflusst werden kann.
Einflüsse auf das zyklische Werkstoffverhalten von additiv gefertigten Strukturen 105
Durch das schichtweise Aufbauen der Bauteile sind die oben genannten Eigenschaften teils stark
anisotrop, d. h. richtungsabhängig. Dabei ist innerhalb der Aufbaustrategie zu beachten, dass
durch einen Winkel zwischen den einzelnen Schichten und unterschiedlichen Aufbaurichtungen
innerhalb einer Schicht diese Anisotropie weiter verstärkt werden kann. Zudem hat der verwen-
dete Werkstoff einen Einfluss auf die Ausprägung der Eigenschaften. Anisotropien bilden sich
beispielweise bei der Verwendung von Inconel 718 stärker aus als bei der Verwendung von
AlSi10Mg [15].
Zur Bemessung eines Bauteils muss bei spannungsbasierten Bewertungskonzepten neben der
Schwingfestigkeit bei einer Spannungsamplitude Sa auch die Neigung k der Wöhlerlinie bekannt
sein. Während eine Änderung in der Mikrostruktur meist nur eine Verschiebung (fs) der Span-
nungswöhlerlinie zur Folge hat, kommt es durch inneren Unregelmäßigkeiten und die Oberflä-
chenbeschaffenheit signifikant zu einer Veränderung der Neigung fk der Spannungwöhlerlinie,
Abbildung 3. Ähnliches gilt für dehnungsbasierte Konzepte.
Dies kann u. a. durch eine vergleichsweise frühe Rissinitiierung an Fehlstellen und einer langen
Rissfortschrittsphase erklärt werden.
106 Einflüsse auf das zyklische Werkstoffverhalten von additiv gefertigten Strukturen
Eigenspannungen σRS können ebenfalls die Neigung der Wöhlerlinie verändern und sie verschie-
ben. Im Falle von Druckeigenspannung verlängert sich die Lebensdauer, insbesondere bei Be-
anspruchungen unterhalb der Streckgrenze bzw. hohen Zyklenzahlen. Zugeigenspannungen ver-
kürzen die Lebensdauer.
Kerbbereich ausgewertet werden. Da dies mit einem erheblichen Aufwand verbunden und es an
Informationen zur detaillierten Gestalt der Unregelmäßigkeiten mangelt, wird eine Methode be-
nötigt, die zwischen der vermeintlich pragmatischen Bewertung mittels pauschaler Einflussfak-
toren, die gewöhnlicher Weise zu einer Überschätzung des Oberflächeneinflusses führen, und
der Modellierung der tatsächlichen, jedoch weitgehend unbekannten, Topographie vom Auf-
wand anzusiedeln ist.
Eine große Herausforderung dürfte jedoch sein, vor der Fertigung eine Aussage über die Unre-
gelmäßigkeitsverteilung im Inneren oder die Oberflächenbeschaffenheit zu treffen, um diese bei
der Bemessung mit Hilfe von geeigneten Methoden zutreffend berücksichtigen zu können. Zu-
dem fehlen zurzeit noch umfassende Analysen, aus denen quantitative Faktoren in Bezug auf die
Schwingfestigkeit abgeleitet werden können. Diese Faktoren können aufgrund der schichtweisen
Bauart richtungsabhängig sein. Standardmäßig ist in einer einzelnen Schicht die Richtung der
einzelnen Schweißraupen unterschiedlich. Diese Schichten werden, um den Verzug zu beein-
flussen, gegeneinander mit einem Drehwinkel um die Achse der Aufbaurichtung gedruckt.
Die zweite Herausforderung stellt die Mikrostruktur dar. Zuerst muss eine Aussage über das
Gefüge getroffen werden, das nach der Fertigung und eventueller anschließender Wärmebehand-
lung vorliegt. Auf Basis dieser Information kann eine Abschätzung der Schwingfestigkeit erfol-
gen. Empfehlungen hierzu sind im Moment noch nicht vorhanden, könnten aber potentiell auf
Basis einer umfangreichen Sichtung der vorhandenen Literaturdaten abgeleitet werden. Eine
große Herausforderung bringt hier wiederum das anisotrope Werkstoff- bzw. Strukturverhalten
mit sich. Neben der richtungsabhängigen Beanspruchbarkeit müssen bei bestimmten Werkstof-
fen auch richtungsabhängige Werkstoffeigenschaften, wie der E-Modul, abgebildet werden.
Die dritte Herausforderung stellen die Eigenspannungen dar. Bei einer Bewertung der Eigen-
spannung ist zu überprüfen, ob Synergien aus der Herangehensweise bei dem klassischen Füge-
verfahren des Schweißens ausgenutzt werden können, da bei Schweißverbindungen typischer-
weise hohe Eigenspannungen erwartet werden und somit deren Einfluss bei einer Auslegung
berücksichtigt werden muss. Trotz jahrzehntelanger Forschung existieren nur bedingt industriell
anwendbare Methoden, mit denen eine verlässliche Abschätzung der vorliegenden Eigenspan-
nungen erzielt werden können. Mittels einer Schweißprozesssimulation ist es zwar möglich
schweißbedingten Verzug vergleichsweise gut abzuschätzen, für die Berechnung der Eigenspan-
nung ergeben sich aber immer noch hohe Abweichungen zwischen Rechnungen und Messungen.
Eine Simulation des AM-Prozesses, die aufgrund der zahlreichen Schichten und der hohen Ab-
kühlgeschwindigkeiten wesentlich aufwändiger ist als die Abbildung einer Liniennaht, kann ver-
mutlich erst auf lange Sicht eine zuverlässige Aussage über die Eigenspannungen liefern.
108 Einflüsse auf das zyklische Werkstoffverhalten von additiv gefertigten Strukturen
Aus den genannten Einflüssen ergibt sich der auch für die Bemessung und in der Beanspru-
chungssimulation zu berücksichtigende Unterschied im Zug- und Druckverhalten der Struktur.
In Abhängigkeit der Aufbaurichtung können sich die E-Moduln unter Zug- oder Druckbelastung
unterscheiden, Abbildung 4.
Durch die iterative Berücksichtigung dieser Einflussgrößen in einer Bemessung kann durch eine
Rückkopplung in einem späteren Schritt die Anpassung der Prozessparameter im Hinblick auf
die Lebensdauer der Bauteile erfolgen, Abbildung 5.
Beanspruchung Beanspruchbarkeit
Oberflächenbeschaffenheit Ableitung von Spannungs- Beeinflussung der Steigung
gradienten in Folge der und Verschiebung der Wöh-
Oberflächenrauheit lerlinie für unterschiedliche
Aufbaurichtungen
innere Unregelmäßigkeiten Berechnung von Stützwir- Beeinflussung der Steigung
kungen an Poren, Betrach- und Verschiebung der Wöh-
tung des Spannungsgradi- lerlinie für unterschiedliche
enten Aufbaurichtungen
Mikrostruktur Anisotrope Materialge- Beeinflussung der Verschie-
setze in der FE-Simulation bung der Wöhlerlinie für un-
terschiedliche Aufbaurich-
tungen
Eigenspannungen Berücksichtigung eines Beeinflussung der Steigung
initialen Spannungsfeldes und Verschiebung der Wöh-
aus der Prozesssimulation lerlinie für unterschiedliche
Eigenspannungszustände
Insbesondere Anisotropien müssen jedoch sowohl auf der Beanspruchungs- als auch auf der Be-
anspruchbarkeitsseite berücksichtigt werden. Findet eine Berücksichtigung nicht auf der Bean-
spruchungsseite statt, so muss dies durch eine Änderung der Wöhlerlinien auf der Beanspruch-
barkeitsseite ausgeglichen werden.
110 Einflüsse auf das zyklische Werkstoffverhalten von additiv gefertigten Strukturen
8 Proben
Aufgrund der anhaltenden Diskussion des Einflusses der Bauposition auf die lokale Mikrostruk-
tur werden für die folgenden Untersuchungen keine Standardwerkstoffproben, sondern verklei-
nerte Flachproben, Abbildung 7, verwendet. Dies hat zusätzlich den Vorteil, dass die Bauzeit
reduziert werden kann. Die neue Probengeometrie hat eine Gesamtlänge von l = 50mm bei einer
Breite von b = 3,4mm im Prüfquerschnitt. Der Übergang vom Prüfquerschnitt zur Einspannflä-
che ist für die additive Fertigung mittels selektiven Laserschmelzens optimiert worden, so dass
bei stehenden Proben auf eine Supportstruktur verzichtet werden kann.
8.1 Probenherstellung
Die Einflussfaktoren auf das zyklische Werkstoffverhalten von additiv gefertigten metallischen
Strukturen wird für die korrosionsbeständige Nickel-Legierung Inconel 718 und die Aluminium-
Legierung AlSi10Mg untersucht. Die Ni-Proben werden auf einer EOS M290 mit dem Standard-
parametersatz IN718_Performance 1.0 für 40 µm Schichtdicke von EOS gefertigt. Um den Ein-
fluss der Oberflächen sowie Stützstrukturen und Orientierung einzeln zu bewerten, wurden ver-
schiedene Konfigurationen gewählt, Abbildung 8, wobei teilweise die Oberfläche im gedruckten
Zustand verbleibt und zum anderen Teil diese durch mechanisches Polieren abgearbeitet worden
ist. Die Bezeichnung X, Z und XZ der Proben geben die verschiedenen Aufbaurichtungen in
Bezug auf die Bauplattform an (θ = 0°, 90° und 45°). Stützstrukturen sind für Flächen mit einem
Neigungswinkel θ von weniger als 50° zur Bauplattform erforderlich [17], daher wird der Effekt
ihrer mechanischen Entfernung ebenfalls bewertet. Nach dem Entfernen der Stützstrukturen ist
die Oberfläche unregelmäßig und weist zahlreiche Defekte, wie Poren und geometrische Kerben
auf. Die Stützstrukturen beeinträchtigen außerdem den thermischen Gradienten der belichteten
Struktur [18]. Einige Studien zeigen, dass dieser Effekt in Bezug auf den Abstand zwischen den
Zinken und der Kontaktoberfläche quantifiziert werden kann [19, 20]. Abbildung 8 zeigt die fünf
verschiedenen Konfigurationen, in denen die Ni-Proben hergestellt werden.
112 Einflüsse auf das zyklische Werkstoffverhalten von additiv gefertigten Strukturen
In Zusammenarbeit mit der FKM Sintertechnik GmbH wurde für die Proben aus Al-Si10Mg ein
Baujob für das selektive Laserschmelzen entwickelt, der sowohl vier Probenaufbaurichtungen
mit drei Wandstärken enthält als auch Probenrohlinge, die allseitig poliert werden bzw. im as-
built Zustand verbleiben. Dieser Job wurde verdoppelt, damit zusätzlich der Einfluss einer an-
schließenden Wärmebehandlung auf das zyklische Werkstoffverhalten untersucht werden kann.
Beim Probenaufbau wird jeder Probe im Probenkopf eine Probennummer zugeordnet. Weiterhin
enthält dieser Baujob Dichtewürfel und Zugproben zur Qualitätskontrolle, Abbildung 9.
1 Zugprobe
2 Dichtewürfel
3 Schwingprobe mit unter-
schiedlichen Orientierun-
gen und Dicken
4 Platten zur Entnahme
von Werkstoffproben
Abbildung 9: Baujob mit Proben für quasi-statische und zyklische Versuche zur Charakteri-
sierung des Werkstoffverhaltens (Quelle: FKM Sintertechnik GmbH)
Einflüsse auf das zyklische Werkstoffverhalten von additiv gefertigten Strukturen 113
Die Probenfertigung erfolgt mit einem von FKM optimierten Parametersatz für den Werkstoff
AlSi10Mg, wobei zunächst die Kontur und anschließend der Kernbereich mäanderförmig mit
Rotation zwischen den einzelnen 40 μm dicken Schichten belichtet werden. Lichtmikroskopisch
sind bereits unterschiedliche Gefügeausprägungen zu erkennen, Abbildung 10. Die Struktur des
Kernbereichs lässt auf eine schichtweise rotierende mäanderförmige Belichtung dieses Berei-
ches schließen. Der Randbereich ist von Poren durchzogen. Zudem ist der Übergang vom Rand
zum Kern anhand des Gefügeüberganges zu erkennen.
Aufgrund der unterschiedlichen Mikrostruktur stellt der Übergang vom Konturgefüge zum Kern-
gefüge eine metallurgische Kerbe dar. Diese kann zu einer lokalen Beanspruchungsüberhöhung
führen, die in additiv gefertigten Strukturen und Bauteilen ebenfalls enthalten ist. Ein digitaler
Zwilling, der das Werkstoffverhalten beschreibt, muss die Fähigkeit besitzen, auch diese mikro-
strukturelle Besonderheit des selektiven Laserschmelzens im Pulverbettverfahren LPBF berück-
sichtigen zu können. Hierfür bietet es sich an, anstelle eines infinitesimalen Werkstoffvolumens
von einem Strukturelement auszugehen. Dieses beschreibt das Spannungs-Dehnungs-Verhalten
auf makroskopischer Ebene als integrale Werte, wohl wissend, dass auf mikrostruktureller Ebene
noch eine feinere Unterscheidung möglich ist bzw. Eigenschaftsgradienten vorliegen können.
Der digitale Zwilling bildet somit auf makroskopischer Ebene das Verhalten des Strukturele-
mentes ab, das zum einen experimentell bestimmt und zum anderen aus Werkstoffkennwerten –
sofern erforderlich – auf mikrostruktureller Ebene abgeleitet werden kann. Die Beschreibung
eines Strukturelementes bringt weiterhin den Vorteil, dass auch Proben mit gedruckter Oberflä-
che, sofern diese mit Blick auf die Reproduzierbarkeit ausreichend genau beschrieben werden
kann, zur experimentellen Bestimmung von Strukturelement-Kennwerten für das zyklische Ver-
halten verwendet werden können, so dass kein weiterer Faktor zur Berücksichtigung des Ober-
flächeneinflusses erforderlich ist. Dementsprechend sind im Folgenden die Spannungen und
Dehnungen als lokale Beanspruchungen des Strukturelementes aufzufassen. Die Oberfläche
wird nicht abgetragen, sondern liegt im gedruckten Zustand vor. Sofern Stützstrukturen zum
114 Einflüsse auf das zyklische Werkstoffverhalten von additiv gefertigten Strukturen
Bauen der Proben erforderlich sind, werden diese mechanisch entfernt. Die Oberfläche wird an-
schließend in diesen Bereichen nicht poliert, um möglichst gut den Oberflächenzustand der spä-
teren Strukturen abbilden zu können.
9 Prüftechnik
Die zyklischen Versuche werden mit einem am Fraunhofer LBF entwickelten E-Zylinder-
Prüfsystem durchgeführt. Der E-Zylinder wurde eigens für dehnungs-geregelte zyklische Ver-
suche ausgelegt und ermöglicht die Schwingfestigkeitsuntersuchung bei vorgegebenen Bean-
spruchungen sowohl mit konstanten als auch variablen Amplituden. Die Dehnungsmessung er-
folgt mittels eines Extensometers und wird in die Regelung des Prüfsystems rückgekoppelt. Um
ein Ausknicken der Proben unter Druckbelastung zu vermeiden, wird eine Knickstütze einge-
setzt. Die Versuchseinrichtung ist in Abbildung 11 abgebildet.
9.1 Beanspruchungszeitfunktion
Zur Ermittlung des zyklischen Spannungs-Dehnungs-Verhaltens bzw. der Einflüsse auf dieses
wird der Incremental Step Test [21], dessen Beanspruchungszeitfunktion in Abbildung 12 abge-
bildet wird, eingesetzt. Die Zyklen zwischen zwei Maxima repräsentieren einen Block. Wird der
Versuch mit der maximalen Dehnungsamplitude begonnen, so kann neben der zyklischen auch
die zügige Spannungs-Dehnungskurve ermittelt werden. Nach der Erstbelastung wird die
Amplitude um ein Inkrement von 5% des Kollektivhöchstwertes von Umkehrpunkt zu Umkehr-
punkt reduziert, d. h. die Amplitude wird eingewickelt. Anschließend wird die Dehnungs-
amplitude um das gleiche Inkrement vergrößert bzw. die Dehnungsamplitude ausgewickelt. Der
Incremental Step Test ermöglicht die experimentelle Bestimmung der zyklischen Spannungs-
Dehnungskurve mit nur einem Versuch. Die Auswertung kann bei bimodularem Werkstoffver-
halten zudem getrennt für die Zug-Beanspruchung, 1. Quadrant des Spannungs-Dehnungs-Dia-
gramms, und die Druck-Beanspruchung, 3. Quadrant, erfolgen. Aufgrund der Beanspruchungs-
Zeit-Funktion sind gewöhnlicher Weise keine Mittelspannungen festzustellen, so dass die Um-
kehrpunkte die zyklische Spannungs-Dehnungs-Kurve beschreiben. Weiterhin wird in [22, 23]
Einflüsse auf das zyklische Werkstoffverhalten von additiv gefertigten Strukturen 115
gezeigt, dass das modellierte Werkstoffverhalten dem Werkstoffverhalten unter variablen Be-
triebslasten besser entspricht als das aus den dehnungsgeregelten Wöhlerversuchen abgeleitete
Spannungs-Dehnungs-Verhalten.
a) b) c)
Abbildung 12: Beanspruchungszeitfunktion des Incremental Step Tests [24] (a), Maximalspan-
nungshistorie (b) und Umkehrpunkte mit Hystereseschleife von einem Block (c)
10 Zyklisches Werkstoffverhalten
Aufgrund der Variationsmöglichkeiten von Baurichtung zur Beanspruchungsrichtung wird das
Koordinatensystem nach Abbildung 13 zur einheitlichen Kennzeichnung verwendet.
Dabei entsprechen die Z-Richtung der Baurichtung und die X-Richtung der Pulverauftragsrich-
tung. Bei den Z-Proben sind Baurichtung und Beanspruchungsrichtung identisch, während bei
X-Proben die Baurichtung senkrecht zur Beanspruchungsrichtung ist. Die XZ-Proben liegen un-
ter einem Azimutwinkel von θ=45° in der XZ-Ebene.
116 Einflüsse auf das zyklische Werkstoffverhalten von additiv gefertigten Strukturen
11 AlSi10Mg
Weist das resultierende Gefüge keine Ungänzen wie Poren auf, so fallen die Lebensdauern un-
abhängig von der Probendicke bzw. der Wärmebehandlung in ein gemeinsames Streuband.
11.2 Anisotropie
Der Fertigungsprozess der additiven Fertigung bietet die Möglichkeit einer gerichteten Erstar-
rung. Je nach Werkstoff kann es zu einer Vorzugsrichtung bei der Erstarrung und somit deutli-
chen richtungsabhängigen Ausprägung der Werkstoffeigenschaften kommen. Dabei ist zu be-
achten, dass neben den Fertigungsparametern auch die Belastungshistorie sowie der Kollektiv-
höchstwert das zyklische Werkstoffverhalten beeinflussen können. Daher werden in Abbildung
16 die zyklisch stabilisierten Dehngrenzen verglichen.
118 Einflüsse auf das zyklische Werkstoffverhalten von additiv gefertigten Strukturen
Für den geglühten Werkstoffzustand ist das zyklisch stabilisierte Werkstoffverhalten unabhängig
vom Kollektivhöchstwert. Für die t = 2mm dicken Proben liegt der Mittelwert der zyklischen
Dehngrenzen bei Rp0,2‘ = 199MPa mit einer Standardabweichung von σ = 3,5MPa. Für die
t = 3mm dicken Proben stellt sich ein Mittelwert von Rp0,2‘ = 206MPa mit einer Standardabwei-
chung von σ = 4,9MPa ein.
Im as-built Zustand hingegen hängt das resultierende Spannungs-Dehnungs-Verhalten von der
Baurichtung bzw. von der Belastungsrichtung ab. Aufgrund des zyklisch entfestigenden Werk-
stoffverhaltens werden bei dem Kollektivhöchstwert von εa,t = 0,4% die höchsten Festigkeiten
erzielt. Mit zunehmendem Kollektivhöchstwert nimmt die zyklische Entfestigung zu und somit
die resultierende Festigkeit bei gleicher Dehnungsamplitude ab, so dass für eine maximale Be-
anspruchung mit εa,t = 0,8% die geringsten zyklischen Festigkeiten erzielt werden. Zudem ist die
Belastungsrichtung zu beachten.
Bei einer maximalen Beanspruchung mit εa,t = 0,8% unterscheidet sich das Spannungs-Deh-
nungs-Verhalten unter Zug- und Druck-Beanspruchung im as-built Zustand, Abbildung 17. Für
die X- und Y-Baurichtung sind diese Unterschiede am stärksten ausgeprägt, wohingegen in Z-
Baurichtung fast gleiches Werkstoffverhalten vorliegt.
Unter reduzierter Beanspruchung, εa,t = 0,6%, nähert sich das Spannungs-Dehnungs-Verhalten
im Zug- und Druckbereich an, wobei die Y-Baurichtung eine Ausnahme bildet. Unter dieser
Beanspruchungsrichtung verfügt der AlSi10Mg über die geringste Festigkeit. X- und Z-Baurich-
tung sind festigkeitsmäßig gleich zu bewerten, während sich unter XZ-Baurichtung die höchste
Festigkeit einstellt.
Einflüsse auf das zyklische Werkstoffverhalten von additiv gefertigten Strukturen 119
Bei einem Kollektivhöchstwert von εa,t = 0,4% sind zwei Fälle zu unterscheiden. Im ersten Fall,
X- und Y-Baurichtung, ist das Werkstoffverhalten elastisch-plastisch bei gleicher Festigkeit. Im
zweiten Fall, XZ- und Z-Baurichtung, zeigt AlSi10Mg makroskopisch elastisches Werkstoffver-
halten, wobei wiederum bei XZ-Baurichtung die höchste Festigkeit erreicht wird.
Zum Vergleich ist in Abbildung 17 noch das zyklisch stabilisierte Werkstoffverhalten für den
geglühten Werkstoffzustand bei t = 3mm Dicke und einem Kollektivhöchstwert von εa,t = 0,6%
dargestellt. Hier ist weder ein Unterschied zwischen Zug- und Druck-Verhalten noch eine Rich-
tungsabhängigkeit zu erkennen. Insgesamt scheint der Einfluss der Probendicke beim AlSi10Mg
von untergeordneter Bedeutung zu sein.
12 Inconel 718
Nach dem Entfernen von der Bauplattform werden die Proben in einem Ultraschallbad gereinigt
und anschließend spannungsarmgeglüht, d. h. in etwa 9h langsam mit 2 Haltestufen bei 250°C
und 500°C auf 650°C aufgeheizt, 2h isotherm gehalten, in 4h auf 250°C und gefolgt von einer
schnellen Gasabkühlung auf Raumtemperatur abgekühlt. Ein Teil der Proben wird zusätzlich mit
120 Einflüsse auf das zyklische Werkstoffverhalten von additiv gefertigten Strukturen
Zirkoniumdioxid einer mittleren Partikelgröße von 250 μm gestrahlt, bevor die Incremental Step
Tests mit maximalen Beanspruchungsamplituden von εa,t = 0,4%, εa,t = 0,6% und εa,t = 0,8%
durchgeführt werden.
In Abbildung 18 ist ein Beispiel dargestellt, wie sich die Umkehrpunkte während des Versuches
verändern. Für jedes der Diagramme, die den drei maximalen Gesamtdehnungen entsprechen,
repräsentieren die roten, grünen und braunen Punkte die Umkehrpunkte eines Blockes für den
ersten, den stabilisierten und den letzten Block.
Abbildung 18: Umkehrpunkte aus dem ersten, dem stabilisierten und dem letzten Block für
die Baurichtung XZ mit Stützstruktur
Bei einer maximalen Gesamtdehnung von εa,t = 0,4% ist das Spannungs-Dehnungs-Verhalten
makroskopisch elastisch und wird nicht durch transiente Effekte beeinflusst. Die von den Um-
kehrpunkten beschriebene Spannungs-Dehnungs-Kurve verläuft jedoch nicht durch den Koordi-
natenursprung, so dass auf vorliegende Mittelspannungen geschlossen werden kann. Mit Steige-
rung der maximalen Beanspruchung auf εa,t = 0,6% nimmt diese Mittelspannung ab und ist bei
εa,t = 0,8% nicht mehr feststellbar. Dieses Verhalten wird durch transiente Effekte während der
Erstbelastung sowie dem Memory- und Masing-Verhalten beim Auftreten von plastischen Deh-
nungsanteilen in der Gesamtdehnung bedingt. Diese führen zu einer Entfestigung des Werkstoffs
unter zyklischer Beanspruchung.
Einflüsse auf das zyklische Werkstoffverhalten von additiv gefertigten Strukturen 121
Im Folgenden wird das zyklische Werkstoffverhalten des additiv gefertigten Inconel 718 bei
einer maximalen Gesamtdehnung von εa,t = 0,4% detailliert analysiert. Die (elastische) stabili-
sierte zyklische Spannungs-Dehnungs-Kurve wird ausgewertet, die Ergebnisse werden hinsicht-
lich Mittelspannung, E-Modul und Anrissschwingspielzahl grafisch in Abbildung 19 verglichen
und in Tabelle 2 zusammengefasst.
Tabelle 2: Ergebnisse der Versuche bei einer maximalen Gesamtdehnung von εa,t = 0,4%
σ
Aufbaurichtung Konfiguration gestrahlt/ungestrahlt m E [GPa]Ni
[MPa]
B (nat./poliert) ungestrahlt 380 188 16.320
C ungestrahlt -12 147 40.800
X
(poliert/Stützstr.) gestrahlt 435 155 4.720
S (poliert) 1 184 115.040
D (natur) gestrahlt 34 168 46.720
Z
S (poliert) -9 168 45.200
E ungestrahlt -93 198 20.160
XZ (nat./Stützstr.) gestrahlt -56 202 24.400
S (poliert) 54 219 33.600
122 Einflüsse auf das zyklische Werkstoffverhalten von additiv gefertigten Strukturen
12.1 Mittelspannungen
Die durch die Umkehrpunkte beschriebene Spannungs-Dehnungs-Kurve verläuft nicht zwangs-
läufig durch den Ursprung, Abbildung 20. Hier wird gezeigt, dass sich Mittelspannungen haupt-
sächlich bei Proben mit einer X-Aufbaurichtung einstellen. Die Ursache für dieses Verhalten
hängt von mehreren Einflussfaktoren ab. Zum einen werden aufgrund der Baurichtung entlang
der gesamten Unterseite Stützstrukturen zum Aufbau der Probe verwendet. Nach der mechani-
schen Entfernung dieser Stützstrukturen ist die Kontur unregelmäßig und weist geometrische
Kerben auf. Das Abtragen bzw. Einebnen der Oberfläche hilft nur bedingt, da sich das Zusatz-
material der Stützstruktur auf die lokalen Abkühlraten auswirken und somit das resultierende
Gefüge sowie das Werkstoffverhalten beeinflussen kann. Eine dezidierte Validierung steht der-
zeit noch aus. Zudem kann es in Folge der unterschiedlichen Abkühlraten nach dem Abtrennen
der Proben im as-built Zustand von der Bauplattform zum Probenverzug kommen. Demzufolge
müssen beim Aufbau der Proben Eigenspannungen induziert worden sein, die nach dem Lösen
der Fesselung, d. h. dem Entfernen der starren Anbindung an die Bauplattform, durch Verfor-
mung ausgeglichen werden. Bekannt ist der Einfluss der Abkühlreihenfolge in Abhängigkeit der
Belichtungsstrategie auf die Entstehung von Eigenspannung unter dem Begriff des Curlings.
Aufgrund der Überlagerung einer Vielzahl an Einflüssen auf das zyklische Spannungs-Deh-
nungs-Verhalten in X-Baurichtung ist dieses Phänomen bislang nicht quantifizierbar.
Abbildung 20: Mittelspannungen für Versuche bei einer maximalen Gesamtdehnung von
εa,t = 0,4%
E = 168GPa ist. Für die X-Proben werden die Ergebnisse wiederum von mehreren Faktoren be-
einflusst, so dass der E-Modul zwischen E = 147GPa und E = 184GPa variiert.
Abbildung 21: Ermittelte E-Moduln für Proben bei einer maximalen Gesamtdehnung von
εa,t = 0,4%
Die X-Proben mit ungestrahlten Stützstrukturen (Konfiguration C) zeigt den geringsten E-Modul
von E = 147GPa, was sich auf die gegenüber dem Vollmaterial geänderten Mikrostrukturen und
Wärmegradienten an den Stützstrukturanhaftungen zurückführen lässt. Dieser ändert sich durch
das Strahlen nur unwesentlich zu E = 155GPa. Kann der Einfluss der Stützstruktur durch allsei-
tiges, vollständiges Abtragen der gedruckten Oberfläche im Bereich des untersuchten Werkstoff-
volumens ausgeschlossen werden, so steigt der E- Modul auf etwa E = 184GPa an, welcher als
Referenzwert des inneren AM-Werkstoffes in X-Richtung betrachtet werden kann.
12.3 Lebensdauer
Neben dem Spannungs-Dehnungs-Verhalten wird für eine Lebensdauerabschätzung
von zyklisch beanspruchten Strukturen noch der Zusammenhang von Beanspruchung und resul-
tierender Lebensdauer benötigt. Für eine maximale Gesamtdehnung von εa,t = 0,4% ergeben sich
im Incremental Step Test die Anrissschwingspielzahlen nach Abbildung 22.
Abbildung 22: Lebensdauern für Proben bei einer maximalen Gesamtdehnung von εa,t = 0,4%
124 Einflüsse auf das zyklische Werkstoffverhalten von additiv gefertigten Strukturen
Bei der X-Baurichtung ist deutlich der Einfluss der Fertigungsparameter zu erkennen. Führen
diese zu einer intrinsischen Überlagerung von Zugmittelspannungen, so fällt die resultierende
Lebensdauer geringer aus als ohne Zugmittelspannungen. Die größten Lebensdauern werden für
Proben aus Kernwerkstoff im polierten Zustand erzielt. Dies bedeutet, dass Oberflächen und
Randschichten bei der Betriebsfestigkeit von additiv gefertigten Strukturen und Bauteilen be-
sondere Aufmerksamkeit zu teil werden müssen, damit das Festigkeitspotential des Inconel 718
im Sinne des Leichtbaus ausgeschöpft werden kann. Weiterhin wird hier deutlich, dass bei der
verkürzten Prozesskette der additiven Fertigung im Vergleich zu subtraktiven Fertigungsprozes-
sen der Einfluss jedes Fertigungsschrittes auf das Werkstoff- bzw. Bauteilverhalten unter Be-
triebsbeanspruchung quantifizierbar sein muss, um diesen bei der Bemessung berücksichtigen
zu können, damit mögliche Ausfälle im Betrieb vermieden werden.
13 Schlussfolgerungen
Für sicherheitsrelevante Bauteile ist eine zuverlässige Bemessung von additiv gefertigten Bau-
teilen unumgänglich. Aufgrund der vielfältigen Einflussgrößen und des anisotropen Strukturver-
haltens ist jedoch eine Übertragung bisher bekannter Vorgehensweisen nicht trivial. Werden die
Einflussgrößen jedoch verstanden und sind beschreibbar, so können diese Erkenntnisse in der
Konstruktion und in der Produktionsstrategie, hier insbesondere im LPBF Prozess, für bessere
Strukturen im Sinne der Betriebsfestigkeit eingesetzt werden. Es wurden unterschiedliche auf-
tretende Herausforderungen aufgezeigt.
Aufgrund der unterschiedlichen Mikrostruktur stellt der Übergang vom Konturgefüge zum Kern-
gefüge eine metallurgische Kerbe dar. Diese kann zu einer lokalen Beanspruchungsüberhöhung
führen. Zur Berücksichtigung dieser mikrostrukturellen Besonderheit bietet sich an, anstelle ei-
nes infinitesimalen Werkstoffvolumens ein Strukturelement zu betrachten. Dieses beschreibt das
Spannungs-Dehnungs-Verhalten auf makroskopischer Ebene als integralen Wert, wohl wissend,
dass auf mikrostruktureller Ebene eine noch feinere Unterscheidung möglich ist bzw. Eigen-
schaftsgradienten vorliegen können.
Die additive Fertigung, im Speziellen das Selektive Laserschmelzen im Pulverbettverfahren
LPBF bietet neben der Gestaltungsfreiheit auch ein Festigkeitspotential, dass es im Sinne des
Leichtbaus auszuschöpfen gilt. Aufgrund der Fertigungstechnologie mit der möglichen Vorzugs-
richtung der Körner bei der Erstarrung kann anisotropes Werkstoffverhalten nicht ausgeschlos-
sen, jedoch durch eine anschließende Wärmebehandlung deutlich reduziert werden. Dieser Aus-
gleichsvorgang geht jedoch zu Lasten der Festigkeit. Soll das Festigkeitspotential ausgenutzt
werden, so ist es bei einem digitalen Zwilling als Grundlage für eine Beanspruchungsanalyse
nicht ausreichend, nur einen Werkstoffzustand zu beschreiben. Vielmehr ist es zwingend erfor-
derlich, neben der prozessbedingten Betriebsfestigkeit, beeinflusst durch die Fertigungsparame-
ter, auch die Beanspruchungshistorie zu berücksichtigen. Dies erfordert bei der Konstruktion ein
Umdenken, sofern das Festigkeitspotential von additiv gefertigten Strukturen ausgeschöpft wer-
den soll.
Danksagung
Die diesem Bericht zugrundeliegenden Forschungs- und Entwicklungsprojekte werden mit Mit-
teln des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi) innerhalb des Technologie-
programms "PAiCE Digitale Technologien für die Wirtschaft" (Projekt VariKa) und mit Mitteln
Einflüsse auf das zyklische Werkstoffverhalten von additiv gefertigten Strukturen 125
des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) innerhalb des Themenfeldes “Ad-
ditive Fertigung – Individualisierte Produkte, komplexe Massenprodukte, innovatiove Materia-
lien” (ProMat_3D-Projekt BadgeB) gefördert. VariKa („Vernetztes Produkt- und Produktions-
Engineering am Beispiel VarIantenreicher, ultraleichter, metallischer FahrzeugKarosserien“)
wird vom Projektträger „Gesellschaft, Innovation, Technologie – Informationstechnolo-
gien/Elektromobilität“ im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt, Köln, und BadgeB („Be-
triebsfestigkeit additiv gefertigter Bauteile) vom “Projektträger Karlsruhe – Produktion und Fer-
tigungs-technologien” betreut. Die Verantwortung für den Inhalt dieser Veröffentlichung liegt
bei den Autoren.
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127
Zusammenfassung
Additive Fertigungsverfahren, wie das selektive Laserstrahlschmelzen, werden in der industriel-
len Praxis heutzutage hauptsächlich bei der Herstellung von komplexen Einzelteilen sowie bei
der Fertigung von Prototypen eingesetzt. Das selektive Laserstrahlschmelzen besticht dabei
durch seine Geometrie- und Gestaltungsfreiheit und ermöglicht somit, neue Wege in der Kon-
struktion von hochkomplexen und bionisch optimierten Leichtbauteilen zu gehen. Allerdings
kommt das selektive Laserstrahlschmelzen bei der Fertigung von hochbeanspruchten Leichtbau-
teilen in sicherheitskritischen Anwendungsbereichen heutzutage noch nicht zum Einsatz. Ein
Grund dafür ist das Fehlen von statistisch belastbaren Festigkeitskennwerten bzw. reproduzier-
baren Festigkeitseigenschaften. Hierfür muss vor allem die Auswirkung unterschiedlicher, mit-
telbar wirkender Einflussfaktoren und Störgrößen auf die Festigkeits- und Verformungseigen-
schaften untersucht werden. Da Bauteile häufig einer zyklischen Belastung unterliegen und ad-
ditiv gefertigte Bauteile aufgrund der Prozesscharakteristik eine schlechte Oberflächenqualität
aufweisen, muss zudem der Einfluss von Oberflächennachbehandlungsverfahren bzw. der resul-
tierenden Oberflächenzustände auf die Schwingfestigkeit bekannt sein. Ziel dieser Arbeit ist es
daher, die statischen und zyklischen Festigkeits- und Verformungseigenschaften von additiv ge-
fertigten Proben aus AlSi10Mg in Abhängigkeit verschiedener Einflussfaktoren zu ermitteln.
Hierfür wird in dieser Arbeit der Einfluss der Probengröße und der Probenanordnung auf der
Bauplattform auf die Zugfestigkeit und Bruchdehnung betrachtet. Eine weitere Untersuchung
befasst sich mit dem Einfluss von Oberflächennachbehandlungsverfahren auf die erzielbare
Oberflächenqualität und damit verbunden auf die zyklischen Eigenschaften. Zusätzlich wird der
Einfluss entsprechender Verschmutzungen des Laserschutzglases auf die Festigkeits- und Ver-
formungseigenschaften des damit erzeugten Werkstoffs untersucht.
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019
H. A. Richard et al. (Hrsg.), Additive Fertigung von Bauteilen
und Strukturen, https://doi.org/10.1007/978-3-658-27412-2_8
128 Festigkeitsuntersuchungen von additiv gefertigten Proben aus AlSi10Mg
1 Einleitung
Pulverbettbasierte additive Fertigungsverfahren, wie das selektive Laserstrahlschmelzen, kom-
men heutzutage hauptsächlich zur Fertigung von hochkomplexen metallischen Bauteilen und
strukturoptimierten Leichtbauteilen im Prototypenbau und der Einzelteil- bzw. Kleinserienferti-
gung zum Einsatz. Aufgrund der durch die Prozesscharakteristik bedingten Geometriefreiheit
ermöglicht hierbei der Einsatz von additiven Fertigungsverfahren, neue Wege in der Entwick-
lung und Konstruktion von komplexen hochbeanspruchten Bauteilen und bionisch optimierten
Leichtbauteilen zu gehen. Aktuell finden jedoch mit dem selektiven Laserstrahlschmelzen her-
gestellte Bauteile in sicherheitskritischen Bereichen keine nennenswerte Verwendung.
Bei Verwendung der additiven Fertigungstechnologie werden die Bauteile durch selektives Auf-
schmelzen des Metallpulvers in einem Pulverbett schichtweise durch einen fokussierten hoch-
energetischen Laserstrahl hergestellt. Die Werkstoffeigenschaften resultieren beim selektiven
Laserstrahlschmelzen aus den prozessbedingten Erstarrungsvorgängen aus dem aufgeschmolze-
nen Pulver sowie den nachfolgenden Temperaturzyklen. Bedingt durch die komplexe, transiente
Interaktion von Laser, Pulver und Prozessparameter und der daraus resultierenden Schmelzbad-
dynamik kommt es beim selektiven Laserstrahlschmelzen typischerweise zur prozessbedingten
Bildung von mikroskopischen Fehlstellen. Dies sind z. B. Poren im Gefüge. Zudem kann es je
nach Wahl der Prozessparameter zu makroskopischen Bindefehlern zwischen einzelnen Schich-
ten kommen. Somit hängen die resultierenden Festigkeits- und Verformungseigenschaften der
additiv gefertigten Bauteile stark von den gewählten Prozessparametern, wie beispielsweise der
Laserleistung Pl, der Scangeschwindigkeit vs oder der Orientierung der Bauteile im Bauraum,
ab. Daher ist die Untersuchung der statischen und zyklischen Festigkeitseigenschaften, in Ab-
hängigkeit von unterschiedlich gewählten Prozessparametern, bereits zentraler Gegenstand der
aktuellen Forschung [1–8]. Für die Gewährleistung einer sicheren Auslegung und eines sicheren
Betriebs hochbeanspruchter additiv gefertigter Bauteile werden somit statistisch belastbare
Werkstoffkennwerte bzw. reproduzierbare Festigkeitskennwerte benötigt. Hierzu ist vor allem
noch nicht bekannt, welchen Einfluss unterschiedlich große Probenquerschnitte auf die stati-
schen Festigkeitseigenschaften beim selektiven Laserstrahlschmelzen haben. Wird das additiv
gefertigte Bauteil zudem einer zyklischen Belastung unterzogen, muss zusätzlich der Oberflä-
cheneinfluss auf die zyklischen Eigenschaften der Bauteile bei der Auslegung berücksichtigt
werden. Hierbei muss vor allem beachtet werden, dass additiv gefertigte Bauteile aufgrund der
Prozesscharakteristik eine schlechtere Oberflächenqualität als die meisten hochbeanspruchten,
konventionell hergestellte Bauteile aufweisen, was wiederum einen negativen Einfluss auf die
Lebensdauer hat. Dem negativen Einfluss der hohen Oberflächenrauheit auf die Lebensdauer der
Bauteile kann durch eine Anpassung der Dimensionierung entgegengewirkt werden. Dies geht
allerdings mit einer Zunahme des verarbeiteten Werkstoffvolumens einher, wodurch die Mate-
rial- und Fertigungskosten deutlich erhöht werden. Durch eine solche Lösung werden die Chan-
cen bzw. Vorteile der additiven Fertigung, wie beispielsweise leichtbau- bzw. strukturoptimierte
Bauteile, zunichtegemacht. Daher ist das Bestreben, die Schwingfestigkeit – und damit einher-
gehend die Lebensdauer – von additiv gefertigten Bauteilen durch eine verbesserte Oberflächen-
qualität zu erhöhen. Um dies zu erreichen, werden die Bauteile im Anschluss an den Fertigungs-
prozess einer Nachbehandlung unterzogen. Beispielsweise werden für die Nachbehandlung spa-
nende oder elektrochemische Prozesse verwendet. Bei der Wahl des Oberflächennachbehand-
lungsverfahrens ist neben den unterschiedlichen Auswirkungen auf die Schwingfestigkeit auch
zu beachten, dass bestimmte Nachbehandlungsverfahren aufgrund ihrer Zugänglichkeitsanfor-
derungen die Vorteile der Konstruktionsfreiheit und Funktionsintegration zunichtemachen kön-
nen.
Festigkeitsuntersuchungen von additiv gefertigten Proben aus AlSi10Mg 129
Ziel dieser Arbeit ist daher die Ermittlung und statistische Auswertung von statischen und zyk-
lischen Festigkeitskennwerten von additiv gefertigten Proben aus AlSi10Mg. Hierbei wird der
Einfluss der Probengröße auf die statischen Festigkeitskennwerte untersucht. Zudem wird auch
ein besonderer Fokus auf die Streuung der gemessenen Kennwerte gelegt, da neben dem Mittel-
wert auch die Streuung einen Einfluss auf die Ausfallwahrscheinlichkeiten von Bauteilen bzw.
Proben hat. Darüber hinaus wird der Einfluss unterschiedlicher Nachbehandlungsverfahren auf
die Oberflächenqualität und die Schwingfestigkeit quantifiziert. Insbesondere wird in den Un-
tersuchungen die Auswirkung des Zustandes des in der Produktionsanlage eingebauten Laser-
schutzglases auf die Festigkeits- und Verformungseigenschaften des erzeugten Werkstoffs be-
trachtet.
einen Anzeichen eines duktilen Versagens, wie feine Waben, und zum anderen Anzeichen für
ein sprödes Versagen, wie regelmäßig gestufte Spaltflächen [10], aufgezeigt werden.
Durch eine nachträgliche T6-Wärmebehandlung der Proben verschwindet nach [4] der Einfluss
der Aufbaurichtung auf die statischen Festigkeitskennwerte. Allerdings weist die Bruchdehnung
weiterhin ein anisotropes Verhalten auf [4]. Weitere Untersuchungen über den Einfluss einer
nachträglichen Wärmebehandlung auf die Festigkeits- und Verformungseigenschaften zeigen,
dass es bei Anwendung einer nachträglichen Wärmebehandlung zu einer erheblichen Steigerung
der Duktilität bei gleichzeitiger Reduktion der Festigkeit kommt [9, 10]. Als Ursache wird hier-
bei die Vergröberung der feinverteilten Siliziumpartikel, die für die hohen Festigkeiten des "as-
printed" Zustands verantwortlich sind, aufgeführt [9, 10].
Die Anisotropie, die durch die unterschiedlichen Aufbaurichtungen verursacht wird, wird auch
bei der additiven Fertigung von anderen Werkstoffen, wie beispielweise Ti6Al4V, beobachtet
[4, 8].
Abbildung 1: Anordnung der in der Arbeit verwendeten Zug- und Schwingproben auf der
Bauplattform in Abhängigkeit der Flussrichtung des Schutzgasstromes [12]
Die verwendeten Prozessparameter, die in Tabelle 1 aufgelistet sind, wurden bei beiden Baujobs
identisch gehalten. Allerdings wurde, wie oben bereits erwähnt, vor Baujob 2 das Laserschutz-
glas der additiven Fertigungsanlage ausgetauscht, das sich zwischen Optik und Bauraum zum
Schutz der Linse vor Schmauch und Metalldämpfen befindet. Somit ist der Unterschied zwischen
Baujob 1 und Baujob 2 zum einen die Anordnung der Proben auf der Bauplattform in Abhän-
gigkeit von der Flussrichtung des Schutzgasstromes und zum anderen der unterschiedliche Zu-
stand des Laserschutzglases bei den beiden Baujobs. Zusammenfassend lässt sich konstatieren,
dass bei Baujob 1 ein durch Ablagerungen von Schmauch und Metalldämpfen aus vorrangegan-
gen Baujobs getrübtes Laserschutzglas verwendet wurde, wohingegen beim Fertigen der Proben
aus Baujob 2 ein neues Laserschutzglas eingesetzt wurde.
132 Festigkeitsuntersuchungen von additiv gefertigten Proben aus AlSi10Mg
Tabelle 1: Prozessparameter für die Herstellung der in der Arbeit verwendeten Zug- und
Schwingproben [12]
Für eine statistische Absicherung der Ergebnisse wurden je Probengröße mindestens 25 Zugver-
suche durchgeführt. Wie oben erwähnt, werden Festigkeits- und Verformungskennwerte für un-
terschiedlich große Zugproben aus zwei verschiedenen Baujobs ermittelt. Es ist hierbei zu be-
achten, dass zum einen Zugversuche an Zugproben durchgeführt werden, deren Probendurch-
messer d0 in Richtung der Schutzgasstromrichtung zunehmen (Baujob 1). Zum anderen werden
für diese Untersuchung Festigkeitskennwerte an Zugproben ermittelt, bei denen die Reihen der
Zugproben mit jeweils einer Probengröße parallel zum Schutzgasstrom angeordnet sind (Bau-
job 2). Die Zugversuche wurden nach DIN EN ISO 6892-1 auf einer Zugprüfmaschine
Zwick/Roell Z 100 durchgeführt [14].
Abbildung 3: Schematische Darstellung der Einteilung der Bruchfläche der Zugprobe zur Be-
stimmung der Fehlerfläche AFehler
dargestellt. In dieser Untersuchung wurde der Oberflächenzustand „feingedreht“ aus einem zy-
lindrischen Rohling gedreht. Der Oberflächenzustand „elektrolytisch poliert“ wurde dagegen aus
einem additiv gedruckten Rohling erzeugt, dessen Geometrie bzw. Form der Endgeometrie der
Schwingprobe gleicht. Allerdings wurde in diesem Fall die Schwingprobengeometrie mit einem
Aufmaß von 500 µm gedruckt, um nach dem elektrolytischen Polierprozess den geforderten Pro-
bendurchmesser von 5,0 mm in der Probenmitte zu erhalten. Als Elektrolyt wurde Perchlorsäure
verwendet. Der elektrolytische Polierprozess wurde bei Raumtemperatur mit einer Spannung
von 240 V und einer Prozessdauer von 240 s durchgeführt.
ergibt sich für die in Baujob 1 gewählten Lastamplituden ein Ersatzhorizont bzw. ein mittlerer
Lasthorizont von 70,7 MPa. Dagegen wird für Baujob 2 ein Ersatzhorizont bzw. ein mittlerer
Lasthorizont von 171,4 MPa berechnet. Zudem wurde zur Bewertung der mit dem jeweiligen
Nachbehandlungsverfahren erzielten Oberflächenqualität bzw. zur Bewertung der Oberfläche
des „as printed“ Zustands für jeden Baujob getrennt an jeweils zwei Schwingproben je Oberflä-
chenzustand die gemittelte Rautiefe Rz gemessen und daraus der Mittelwert gebildet. Die Rau-
heitsmessung erfolgte hierfür mit der Messeinheit Hommel T8000 und dem Taster TKU300.
Zugfestigkeit Rm [MPa]
300 300
250 250
200 200
150 150
100 100
Mittelwert Mittelwert
50 50
0 0
0 5 10 15 0 5 10 15
Durchmesser d0 [mm] Durchmesser d0 [mm]
Abbildung 6: Zugfestigkeit Rm in Abbildung 7: Zugfestigkeit Rm in
Abhängigkeit des Probendurchmessers d0 für Abhängigkeit des Probendurchmessers d0 für
Baujob 1 Baujob 2
Dagegen ergibt sich für Baujob 2 keine Abnahme der gemittelten Zugfestigkeit mit zunehmender
Probengröße. Die gemittelten Zugfestigkeiten weisen für Baujob 2 vielmehr eine geringe Zu-
nahme mit größer werdendem Durchmesser auf. Zudem zeigt sich, dass ab einem Probendurch-
messer d0 = 5 mm die Zugproben aus Baujob 2 im Mittel eine höhere Festigkeit im Vergleich zu
Festigkeitsuntersuchungen von additiv gefertigten Proben aus AlSi10Mg 137
den Zugproben aus Baujob 1 aufweisen. Außerdem kann bei einem Vergleich der ermittelten
Standardabweichungen festgestellt werden, dass die gemessenen Zugfestigkeiten aus Baujob 1
stärker um den jeweiligen Mittelwert streuen als die gemessenen Zugfestigkeiten aus Baujob 2.
Abbildung 8 zeigt die gemittelten Bruchdehnungen sowie die Standardabweichung als Maß für
die Streuung in Abhängigkeit der Probengröße bzw. des Probendurchmessers d0 für Baujob 1.
Hierbei zeigt sich, dass, wie bei den gemittelten Zugfestigkeiten, eine Zunahme der Probengröße
zunächst zu einer Abnahme der gemittelten Bruchdehnung führt. Ab einem Durchmesser von
d0 = 6 mm nähert sich auch die Bruchdehnung im Mittel einem Grenzwert asymptotisch an. In
Abbildung 9 ist die Abhängigkeit der Bruchdehnung vom Probendurchmesser d0 für Baujob 2
gezeigt. Im Gegensatz zu Baujob 1 kann für die ermittelten Bruchdehnungen keine Abnahme
mit zunehmender Probengröße festgestellt werden. Es zeigt sich allerdings, dass die Bruchdeh-
nungen von Baujob 2 im Mittel deutlich über den Bruchdehnungen von Baujob 1 liegen. Zudem
weisen die gemessenen Bruchdehnungen in Baujob 2 eine geringere Streuung im Vergleich zu
den Messwerten aus Baujob 1 auf. Ein möglicher Grund für die stärkeren Streuungen der gemes-
senen Bruchdehnungen und der Zugfestigkeiten in Baujob1 gegenüber Baujob 2 sind Bindefeh-
ler bzw. nicht verschmolzene Bereiche, die hauptsächlich auf den Bruchflächen der Zugproben
aus Baujob 1 auftreten.
4,0 4,0
Mittelwert Mittelwert
3,5 3,5
3,0 3,0
Bruchdehnung A5 [%]
Bruchdehnung A5 [%]
2,5 2,5
2,0 2,0
1,5 1,5
1,0 1,0
0,5 0,5
0,0 0,0
0 5 10 15 0 5 10 15
Durchmesser d0 [mm] Durchmesser d0 [mm]
In Abbildung 10 und 11 wird jeweils für Baujob 1 und Baujob 2 exemplarisch ein Schliff einer
Zugprobe senkrecht zur Bruchfläche abgebildet. Im Schliffbild der Zugprobe aus Baujob 1 las-
sen sich hierbei signifikante Bindefehler bzw. Bereiche in der Mitte der Querschnittsfläche er-
kennen, in denen eine Schicht nicht mit den darunterliegenden Schichten verbunden ist. Zudem
weist diese Zugprobe große Poren im Probeninneren auf. Es wird hierbei davon ausgegangen,
dass diese Bindefehler bzw. nicht verschmolzenen Bereiche, die überwiegend und in unter-
138 Festigkeitsuntersuchungen von additiv gefertigten Proben aus AlSi10Mg
schiedlich großer Form bei Zugproben aus Baujob 1 auftreten, bruchverursachend sind. Im Ge-
gensatz zu den Zugproben aus Baujob 1 finden sich im Schliffbild der Zugprobe aus Baujob 2
überwiegend Poren wieder, die hauptsächlich im Randbereich auftreten.
Abbildung 10: Schliff einer Zugprobe aus Abbildung 11: Schliff einer Zugprobe aus
Baujob 1 senkrecht zur Bruchfläche Baujob 2 senkrecht zur Bruchfläche
Abbildung 12: Zugprobe mit d0 = 4 mm, Abbildung 13: Zugprobe mit d0 = 4 mm,
Rm = 382 MPa, aFehler = 4,8 % (Baujob 1) Rm = 307 MPa, aFehler = 17,5 % (Baujob 1)
Festigkeitsuntersuchungen von additiv gefertigten Proben aus AlSi10Mg 139
In Abbildung 12 und 13 sind die Bruchflächen von jeweils zwei Zugproben aus Baujob 1 mit
einem Durchmesser von d0 = 4 mm abgebildet. Hierbei wird exemplarisch eine Zugprobe mit
relativ hoher Zugfestigkeit und kleiner Fehlerfläche gezeigt sowie eine Zugprobe mit einer rela-
tiv geringen gemessenen Zugfestigkeit und dementsprechend großer Fehlerfläche. Die nicht ver-
schmolzenen Bereiche werden in den Abbildungen 12 und 13 durch eine dunkelgrau-silberne
Oberfläche charakterisiert. Die eigentliche Bruchfläche erscheint dagegen in mattem Hellgrau.
In Abbildung 14 wird die Abhängigkeit der Nennzugfestigkeit Rm vom Anteil der fehlerbehaf-
teten Fläche aFehler an der gesamten Querschnittsfläche gezeigt. Hierbei wird erwartungsgemäß
gezeigt, dass die Nennzugfestigkeit durch einen größeren Anteil der fehlerbehafteten Fläche ab-
nimmt bzw. verringert wird. Zudem zeigt sich, dass die größeren Zugproben eher kleinere Zug-
festigkeiten, und damit verbunden einen größeren Anteil an fehlerbehafteter Fläche, aufweisen.
500 500
450 450
400 400
Korrigierte Zugfestigkeit Rm,korr. [MPa]
350 350
Nennzugfestigkeit Rm [MPa]
300 300
250 250
Probengröße Probengröße
200 200
Regression Regression
d0 = 4 mm d0 = 4 mm
150 d0 = 5 mm 150 d0 = 5 mm
d0 = 6 mm d0 = 6 mm
100 d0 = 8 mm 100 d0 = 8 mm
d0 = 10 mm d0 = 10 mm
50 50
d0 = 12 mm d0 = 12 mm
d0 = 14 mm d0 = 14 mm
0 0
0 10 20 30 40 50 0 10 20 30 40 50
Anteil fehlerbehafteter Fläche aFehler [%] Anteil fehlerbehafteter Fläche aFehler [%]
Abbildung 15 zeigt im Vergleich dazu den Zusammenhang zwischen der korrigierten Zugfestig-
keit Rm,korr. und dem Anteil der fehlerbehafteten Fläche aFehler für Baujob 1. Hierfür wird die
140 Festigkeitsuntersuchungen von additiv gefertigten Proben aus AlSi10Mg
gemessene Nennzugfestigkeit gemäß Formel 2 um den Anteil der fehlerbehafteten Fläche korri-
giert. Die dabei verwendete Formel orientiert sich an dem Schädigungsmodell von Kachanov
[22]:
F
Rm,korr. = (2)
Ages ⋅ (1 − aFehler )
Obwohl in die Berechnung der korrigierten Zugfestigkeit Rm,korr. nur der tragende und tatsächlich
verbundene Werkstoffanteil einfließt, weist die korrigierte Zugfestigkeit im Mittel eine Ab-
nahme mit zunehmender Fehlerfläche auf. Es wird hierbei angenommen, dass eine mögliche
Ursache für die Abnahme der korrigierten Zugfestigkeit eine Verstärkung der Kerbwirkung
durch die größer werdende Fehlerfläche ist.
3x
100
Abbildung 16: Ermittelte Bruchlastspielzahlen und die daraus abgeleiteten Wöhlerlinien für
die Oberflächenzustände „as printed”, „elektrolytisch poliert“ und „feinge-
dreht“ für Baujob 1 und Baujob 2
In Tabelle 2 werden jeweils für die drei Oberflächenzustände für beide Baujobs die gemittelte
Rautiefe Rz, die anhand der Wöhlerlinien ermittelten Spannungsamplituden σa bei N = 105 und
die Lebensdauersteigerung durch Nachbehandlung sowie die Standardabweichung Slog,N verglei-
chend gegenübergestellt. Es wird hierbei, wie auch schon anhand der Wöhlerlinien gezeigt, ver-
deutlicht, dass eine geringe Rautiefe Rz – und damit verbunden eine bessere Oberflächengüte –
zu höher ertragbaren Spannungsamplituden bei N = 105 bzw. zu einer deutlichen Steigerung der
Lebensdauer auf dem Ersatzhorizont führt. Es zeigt sich somit, dass Oberflächennachbehand-
lungsverfahren aufgrund der Verbesserung der Oberflächeneigenschaft die zyklischen Eigen-
schaften von additiv gefertigten Bauteilen erheblich verbessern können. Allerdings zeigen Ta-
belle 2 und Abbildung 15 auch, dass die zyklischen Eigenschaften von additiv gefertigten
Schwingproben nicht nur durch die Oberflächenbeschaffenheit beeinflusst werden, sondern auch
durch innere Fehler, wie Poren und großflächige Bindefehler. Werden innere Fehlstellen, wie
Poren oder Bindefehler, reduziert, kann dadurch die ertragbare Spannungsamplitude sowie die
Lebensdauer deutlich gesteigert werden. Bei einer Schwingspielzahl von N = 105 lassen sich die
ertragbaren Spanungsamplituden der drei Oberflächenzustände nahezu verdoppeln.
142 Festigkeitsuntersuchungen von additiv gefertigten Proben aus AlSi10Mg
sodass der Randbereich eine geringere Qualität als die Füllung aufweist, die mit höherer Scan-
geschwindigkeit und damit geringerer Streckenenergie gefertigt wurde. Somit ergibt sich für die
Zugproben aus Baujob 1 eine Abnahme der untersuchten Zugfestigkeiten und Bruchdehnungen
mit zunehmender Probengröße, wohingegen sich dieses Verhalten für die Zugproben aus Baujob
2 invers darstellt.
Zudem zeigen die Ergebnisse, dass – unabhängig von der Druckqualität – durch eine Nachbe-
handlung der Oberfläche die erzielbaren Schwingfestigkeiten deutlich verbessert werden können
und somit die erzielbare Schwingfestigkeit nicht ausschließlich von inneren Defekten beeinflusst
wird.
6 Fazit
Für die Ermittlung und statistische Auswertung von statischen Festigkeits- und Verformungs-
kennwerten sowie der Untersuchung des Größeneinflusses wurden Zugversuche an unterschied-
lich großen Zugproben durchgeführt. Da bei Baujob 1 das Laserschutzglas zwischen Bauraum
und der Scanneroptik am Ende des Wartungsintervalls war und keine sichere Aussage über die
stark streuenden Ergebnisse getroffen werden konnte, wurde ein zweiter identischer Baujob
(Baujob 2) gefertigt. Hierbei wurde zum einen zwischen dem Fertigen von Baujob 1 und Bau-
job 2 das Laserschutzglas aufgrund der Trübung durch Schmauch und Metalldampf ausgetauscht
bzw. erneuert. Zum anderen wurde zusätzlich die Anordnung der Proben im Schutzgasstrom
geändert, um auszuschließen, dass die stark streuenden Werte aus Baujob 1 aus der Anordnung
der Proben resultieren. Hierbei ändert sich bei Baujob 1 die Größe der Zugproben in Flussrich-
tung des Schutzgases. Dagegen nimmt die Zugprobengröße bei Baujob 2 senkrecht zur Fluss-
richtung des Schutzgasstromes zu. Die in dieser Arbeit durchgeführten Untersuchungen haben
gezeigt, dass die für Baujob 1 ermittelte Zugfestigkeit und die Bruchdehnung eine Abnahme mit
zunehmender Probengröße aufweisen. Dagegen führt bei den Zugproben aus Baujob 2 eine grö-
ßere Probengröße zu einer Zunahme der Zugfestigkeit. Allerdings lässt sich für die für diesen
Baujob ermittelten Bruchdehnungen keine eindeutige Abhängigkeit von der Probengröße erken-
nen. Zudem hat sich gezeigt, dass die in der Arbeit ermittelten Festigkeits- und Verformungs-
kennwerte in Baujob 1 eine stärkere Streuung aufweisen als in Baujob 2. Dies lässt sich durch
die nicht verschmolzenen Bereiche bzw. signifikanten Bindefehler erklären, die vorwiegend in
den Proben aus Baujob 1 auftreten.
Darüber hinaus wurde in dieser Arbeit der Einfluss einer Oberflächennachbehandlung auf die
Schwingfestigkeit von additiv gefertigten Schwingproben untersucht. Hierfür wurden für beide
Baujobs Schwingversuche mit Schwingproben der Oberflächenzustände „elektrolytisch poliert“
und „feingedreht“ durchgeführt und mit den Ergebnissen von Schwingversuchen mit „as
printed“ Schwingproben aus Baujob 1 und Baujob 2 verglichen. Es konnte hierbei nachgewiesen
werden, dass bei beiden Baujobs die Verbesserung der Oberflächenqualität durch Nachbehand-
lungsverfahren auch zu einer Verbesserung der Schwingfestigkeit führt. Zudem konnte gezeigt
werden, dass die Proben aus Baujob 2 deutlich höhere Schwingspielzahlen erreichen als die Pro-
ben aus Baujob 1 und somit innere Defekte einen Einfluss auf die erzielbaren Schwingfestigkei-
ten haben.
Die Untersuchungen haben gezeigt, dass sich die signifikanten Unterschiede in Zugfestigkeit,
Bruchdehnung und Schwingfestigkeit zwischen Baujob 1 und Baujob 2 nicht mit der unter-
schiedlichen Anordnung der Proben im Schutzgasstrom erklären lassen. Es ist davon auszuge-
hen, dass die aufgezeigten signifikanten Unterschiede in den Festigkeits- und Verformungsei-
genschaften hauptsächlich auf die Trübung des Laserschutzglases bei Baujob 1 bzw. auf die Er-
neuerung des Schutzglases bei Baujob 2 zurückzuführen sind. Die Untersuchungen haben somit
144 Festigkeitsuntersuchungen von additiv gefertigten Proben aus AlSi10Mg
ergeben, dass der Zustand des Laserschutzglases bzw. die Stärke der Trübung durch Schmauch
und Metalldampf einen erheblichen Einfluss auf die Prozessstabilität und damit auf die Repro-
duzierbarkeit der Prozessergebnisse haben. Die in dieser Arbeit durchgeführten Untersuchungen
haben somit gezeigt, dass weitere Forschungsarbeiten zur Bestimmung des Einflusses des Anla-
genzustandes auf die Prozessqualität sowie die Entwicklung und Erstellung von aufeinander ab-
gestimmten Qualitätssicherungsmaßnahmen für hochbeanspruchte Bauteile zwingend notwen-
dig sind.
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145
Bestimmung quasistatischer
Druckeigenschaften bei Raum- und
Hochtemperatur an additiv gefertigten
Miniaturproben
D. Kotzem, F. Stern, F. Walther
Fachgebiet Werkstoffprüftechnik (WPT), TU Dortmund
Zusammenfassung
Die additive Fertigung hat sich im letzten Jahrzehnt besonders rasant entwickelt und eröffnet
aufgrund ihrer spezifischen Vorteile, wie einer großen geometrischen Designfreiheit oder der
endkonturnahen Fertigung viele neue Möglichkeiten für die Industrie im Hinblick auf neuartige
Leichtbaukonstruktionen wie beispielsweise periodische Gitterstrukturen. Aktuell stehen beson-
ders die Verarbeitung neuer Legierungen, sowie die Ermittlung und Optimierung von geeigneten
Prozessparametern im Fokus der Forschung. Dies erfordert mitunter die Herstellung einer grö-
ßeren Anzahl von Proben zur umfänglichen Charakterisierung des additiv gefertigten Werk-
stoffs. Dies ist jedoch mit hohen Material- und Fertigungskosten verbunden. Erste Untersuchun-
gen zur Bewertung des Einflusses unterschiedlicher Prozessparameter, Scanstrategien oder Wär-
mebehandlungsverfahren auf die Mikrostruktur erfolgen vorwiegend an kleinen Werkstoffwür-
feln mit geringen Bauhöhen. Um neben der unverzichtbaren Mikrostrukturanalyse und ersten
begleitenden Härtemessungen auch quasistatische Kennwerte bestimmen zu können, entstehen
immer neue Anforderungen an die Werkstoffprüfung für additiv gefertigte Proben. In dieser Ar-
beit wird vorgestellt, wie mittels zylindrischer Miniaturproben, die eine Höhe von ca. 6 mm auf-
weisen, quasistatische Druckeigenschaften bei Raum- und Hochtemperatur bestimmt werden.
Der vorgestellte Versuchsaufbau ermöglicht die Bestimmung charakteristischer Kenngrößen und
weist dabei eine sehr gute Genauigkeit und Reproduzierbarkeit auf. Unabhängig vom zu prüfen-
den Werkstoff und der Prüftemperatur können Größen, wie Stauchgrenze und Druckspannung
bei entsprechender plastischer Verformung ermittelt werden, die einen direkten Vergleich mit-
einander ermöglichen und dazu geeignet sind, für Parameterstudien als Kenngrößen zur Bewer-
tung der mechanischen Eigenschaften zu dienen.
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019
H. A. Richard et al. (Hrsg.), Additive Fertigung von Bauteilen
und Strukturen, https://doi.org/10.1007/978-3-658-27412-2_9
146 Bestimmung quasistatischer Druckeigenschaften
1 Einleitung
Seit den 1970er Jahren entwickelte sich die additive Fertigung kontinuierlich vom Rapid Proto-
typing zum Rapid Manufacturing [1]. Während durch Rapid Prototyping noch simple Prototypen
gefertigt wurden, die meist nur zu Anschauungszwecken genutzt wurden, können heute bereits
Kleinserien von einbaufertigen Komponenten gefertigt werden. Gerade in der Kleinserienferti-
gung eignen sich besonders pulverbettbasierte Verfahren, wie das selektive Laser- und Elektro-
nenstrahlschmelzverfahren, die heute eine verlässliche und werkzeuglose Fertigung von Bautei-
len ermöglichen [2], [3]. Entscheidende Vorteile gegenüber subtraktiven Fertigungsverfahren,
wie dem Fräsen oder Drehen, sind eine hohe geometrische Designfreiheit, geringerer Material-
verbrauch und kurze Entwicklungszeiten von der Planung bis zur Bauteilfertigung [1]. Dadurch
ist die additive Fertigung schon heute ein unverzichtbarer Baustein im Bereich der Medizintech-
nik, da sie dort zur Fertigung von individualisierten Implantaten bei Patienten eingesetzt wird,
die aufgrund ihrer medizinischen Ausgangssituation nicht mit konventionellen Implantaten ver-
sorgt werden können [4]. Ebenso wächst die Nachfrage nach neuen Leichtbaukonstruktionen,
sowie Topologieoptimierungen in der Automobil- und Luftfahrtindustrie. Dafür stehen beson-
ders Stahl-, Titan-, Aluminium-, und Nickelbasis-Legierungen im Fokus [5]. Allerdings limitie-
ren bisweilen fertigungsbedingte Defekte wie Porosität, Anbindungsfehler und hohe Oberflä-
chenrauheiten die Einsatzgebiete. Dies hat zur Folge, dass häufig eine umfangreiche Nachbear-
beitung notwendig ist, um definierte Materialeigenschaften zu erreichen und die gestellten Qua-
litätsanforderungen zu erfüllen.
Im Zuge der weiteren Entwicklung besteht eine Herausforderung darin, für neue und bestehende
Werkstoffe Prozessparameter zu finden, die zu einem dichten und defektfreien Bauteil führen.
Aus diesem Grund sind für praktisch alle Werkstoffe in der additiven Fertigung Parameterstu-
dien notwendig [6], [7]. Dabei werden häufig Gefügeproben mit einer Geometrie von z.B.
10×10×10 mm³ gefertigt, um daran die Dichte und Härte zu ermitteln und die Mikrostruktur
mittels Licht- und Rasterelektronenmikroskopie analysieren zu können [8]. Für die Charakteri-
sierung der mechanischen Eigenschaften werden zumeist Zugversuche durchgeführt, die jedoch
im Allgemeinen eine relativ große Probengeometrie voraussetzen, die nicht nur eine höhere
Menge an Pulver benötigt, sondern auch vergleichsweise viel Platz auf der Bauplattform ein-
nimmt. Zu berücksichtigen ist ebenfalls, dass Faktoren, wie eine Modifikation des Pulvers, z. B.
durch Dekorieren der Pulverpartikel mit Nano-Partikeln [9], sowie hohe Kosten des benötigten
Pulvermaterials dazu führen können, dass nur eine begrenzte Menge an Ausgangsmaterial zur
Verfügung steht, wodurch nur Proben mit geringem Volumen realisiert werden können. Durch
die Notwendigkeit, die Ergebnisse der mechanischen Untersuchungen statistisch abzusichern,
muss zusätzlich eine Mindestanzahl an Proben vorausgesetzt werden.
Mit der DIN EN ISO 6892 und DIN 50106 stehen zwei Normen zur Verfügung, die die Proben-
geometrien und die Durchführung von Zug- und Druckversuchen zur Bestimmung materialspe-
zifischer Kennwerte definieren. Ein Großteil aller Versuche, da meist anwendungsbezogener,
entfällt dabei auf die Zugversuche. DIN 65123, die Verfahren zur Prüfung additiv gefertigter
Bauteile in der Luft- und Raumfahrt aufführt, verweist ebenfalls sowohl auf den Zug- als auch
den Druckversuch als mögliches zerstörendes Prüfverfahren. Ohne Zweifel müssen zur Mini-
mierung der Herstellungskosten additiv gefertigter Bauteile, neue Probengeometrien entworfen
werden, die geringe Pulvermengen und kleine Bauteilhöhen benötigen, aber dennoch eine aus-
sagekräftige Charakterisierung und eine Korrelation der Prozess-Struktur-Eigenschafts-Bezie-
hungen ermöglichen. So sind in DIN 50125 lediglich für die Form D eine minimale Mindest-
Bestimmung quasistatischer Druckeigenschaften 147
länge von 38 mm bei einem Prüfdurchmesser von d0 = 4 mm anzufinden. Insbesondere für auf-
recht stehende Proben, deren Belastungsrichtung parallel zur Baurichtung ist, wird so eine große
Pulvermenge benötigt, um die entsprechende Bauhöhe zu erreichen.
Nur wenige Untersuchungen befassen sich mit der Bestimmung von Druckeigenschaften additiv
gefertigter Werkstoffe. Dabei treten Druckbelastungen in medizintechnischen Anwendungen,
wie z. B. in Dentalimplantaten [10] oder in Wirbel-Fixateur-interne [11] häufiger auf als Zugbe-
lastungen. Auch bei der von Hochtemperaturlegierungen, die besonders für den Luft- und Raum-
fahrtbereich interessant sind, wurden die Druckeigenschaften bisweilen in nur geringem Umfang
erforscht [12]. Im Bereich der quasistatischen Druckversuche, speziell in der additiven Ferti-
gung, sind die Untersuchungen von Hitzler et al. [13] zu nennen. Dabei wurden die Druckeigen-
schaften der mittels SLM gefertigten Aluminiumlegierung AlSi10Mg untersucht. Quasistatische
und dynamische Druckversuche am additiv gefertigten austenitischen Stahl AISI 316L (1.4404)
wurden von Gray et al. [14] an Vollmaterial und von Yan et al. [15] an additiv gefertigten Git-
terstrukturen durchgeführt. Erste Ergebnisse von Druckversuchen bei Raum- und Hochtempera-
tur an einem additiv gefertigten und mit Nanopartikeln modifizierten Stahl finden sich in den
Untersuchungen von Doñate-Buendía et al. [16]. Hier konnte gezeigt werden, dass sich verschie-
dene Parameter und Modifikationen, wie z. B. Zusammensetzung und Art der Nanopartikel, auf
die mechanischen Eigenschaften bei verschiedenen Temperaturen auswirken und mithilfe der
mittels Druckversuchen bestimmten Kenngrößen eindeutig identifizieren lassen. In weiteren Un-
tersuchungen von Junker et al. [8] wurde der Einfluss von Wärmebehandlungsverfahren auf die
Werkstoffeigenschaften des laserauftragsgeschweißten Warmarbeitsstahl X37CrMoV5-1 mit-
tels Druckversuchen untersucht. Auch additiv gefertigte Ti-Legierungen für die Medizintechnik,
speziell die SLM gefertigte Ti-42Nb Legierung wurde von Schulze et al. [17] untersucht. Dabei
wurden zur Bestimmung geeigneter Prozessparameter ebenfalls quasistatische Druckversuche
durchgeführt. Die in den aufgeführten Untersuchungen verwendeten Probengeometrien, sowohl
Quader als auch Zylinder, reichen dabei von Durchmessern bzw. Kantenlängen zwischen 10 mm
und 25 mm bei einer Höhe von 10 mm bis 33 mm.
Wie gezeigt werden konnte, werden die quasistatischen Druckeigenschaften bisweilen nur in
einem geringen Maß untersucht. Vorhandene Normen können zur Bestimmung quasistatischer
Druckeigenschaften bei Raum- und Hochtemperatur in der additiven Fertigung nur bedingt adap-
tiert werden und zukünftig bedarf es einer einheitlichen Regelung, um diese Lücke zu schließen.
Insbesondere für Druckversuche bei Hochtemperatur existiert auch für konventionelle Werk-
stoffe keine europäische oder deutsche Norm. Es kann hier lediglich auf die ASTM E 209 ver-
wiesen werden.
Die vorliegende Arbeit zeigt einen Versuchsaufbau auf, mit Hilfe dessen quasistatische Druckei-
genschaften additiv gefertigter Werkstoffe mittels Miniaturproben sowohl bei Raum- als auch
Hochtemperatur bestimmt werden können. Dabei wird besonders auf die Problematik hinsicht-
lich hoher Fertigungskosten und gleichzeitiger Berücksichtigung einer hohen Reproduzierbar-
keit der ermittelten Kennwerte eingegangen. Im Detail wird der verwendete experimentelle Auf-
bau beschrieben und anhand vorliegender Ergebnisse bewertet. Weiterhin wird aufgezeigt, wie
der Versuchsaufbau zukünftig erweitert werden kann.
148 Bestimmung quasistatischer Druckeigenschaften
2 Experimentelle Methoden
2.2 Versuchsaufbau
Im Folgenden wird der experimentelle Aufbau zur Durchführung der Druckversuche beschrie-
ben. Grundlage für die Versuche ist die in Abbildung 1 dargestellte zylindrische Miniaturprobe
sowie der gezeigte Versuchsaufbau in Abbildung 2. Die Druckproben besitzen einen Durchmes-
ser von d0 = 4 mm und eine Höhe von h0 = 6 mm. Für die Probenfertigung lag unterschiedliches
Ausgangsmaterial vor, das entweder die Fertigung lediglich einer Probe für einen Zugversuch
oder sogar gar keine Probenfertigung aufgrund der Abmaße von ca. 12×9×14 mm³ für den un-
tersuchten Stahl ermöglicht hätte. Die Proben für den Stahl wurden mittels Mikrowasserstrahl-
schneiden und die Proben für die Titanaluminid- sowie die Nickelbasis-Superlegierung mittels
Drahterodieren aus dem Vollmaterial gefertigt.
Vor der Versuchsdurchführung wurden die Stirnflächen der Proben geschliffen und poliert (vgl.
Abb. 1a) und mit Hilfe einer Zentriervorrichtung (vgl. Abb. 3) positioniert, um eine Ausrichtung
der Proben- mit der Druckstempelachse zu gewährleisten und eine gleichmäßige Krafteinleitung
zu ermöglichen.
Eine nachträgliche Bearbeitung der Mantelfläche der Prüfzylinder nach der Probenfertigung er-
folgte nicht. Auf Grundlage der DIN 50106 müssen die Druckstempel eine höhere Härte als das
zu untersuchende Material aufweisen . Um dies versuchstechnisch umzusetzen, wurden Druck-
stempel aus Wolframkarbid-Kobalt Hartmetall (WC-Co) verwendet. Die Druckversuche wurden
weggeregelt bei einer konstanten Prüfgeschwindigkeit (vc = 0,0025 mms-1) durchgeführt. Dabei
wurde die Verformung über die Aufnahme des Traversenwegs sowie die wirkenden Druckkräfte
150 Bestimmung quasistatischer Druckeigenschaften
zur Berechnung der Druckspannung erfasst. Die Berechnung der Stauchung erfolgte auf Basis
des Traversenwegs.
Bei genauer Betrachtung der Standardabweichungen wird deutlich, dass die ermittelten Kenn-
werte eine geringe Streuung aufweisen. Die größte Abweichung kann bei der Titanaluminidle-
gierung gefunden werden und beträgt maximal ca. 11%.
Im Folgenden wird der Einfluss verschiedener Temperaturniveaus untersucht. Hier ist erkennbar,
dass die Standardabweichung nicht von der Prüftemperatur beeinflusst wird. Maximale Stan-
dardabweichungen treten bei RT für Ti-48Al-2Cr-2Nb auf, sinken bei höheren Temperaturni-
veaus jedoch auf maximal 6% ab. Ebenso treten für den Stahl Fe20Cr4,5Al0,5Ti bei 300°C grö-
ßere Abweichungen auf, die jedoch bei einem höheren Temperaturniveau wieder deutlich gerin-
ger ausfallen. Die Abweichungen bei erhöhten Temperaturen können auf eine mögliche nicht
vollständige Durchwärmung der Probe oder Unterschiede bei den vorliegenden prozessinduzier-
ten Defekten im Inneren der Probe zurückgeführt werden. Ein weiterer zu betrachtender Faktor
ist die Größe der plastischen Verformung, die zur Bestimmung der Stauchgrenzen gewählt
wurde. Auch hier wird deutlich, dass die einzelnen Proben sehr vergleichbare Ergebnisse liefern
und unabhängig von der gewählten plastischen Verformung sehr reproduzierbare Kenngrößen
bestimmt werden können.
Zusammenfassend kann herausgestellt werden, dass sich die Streuung der Kennwerte unabhän-
gig vom Material, der Prüftemperatur und dem Maß der plastischen Verformung in akzeptablen
Grenzen befindet. Dies lässt Rückschlüsse darauf zu, dass durch die verwendete Zentriervorrich-
tung, die hochfesten Druckstempel und die Bearbeitung der Druckproben eine hohe Genauigkeit
bei gleichzeitiger Reproduzierbarkeit erzielt wird. Allerdings muss besonders bei Hochtempera-
turversuchen darauf geachtet werden, dass die untersuchten Proben ausreichend lang durchge-
wärmt werden, bevor der Versuch gestartet wird. Weitere Werkstoffdaten, wie beispielsweise
der Elastizitätsmodul im Druckbereich, können durch die Verwendung eines taktilen Extenso-
meters oder Wegaufnehmers an den Druckplatten ermittelt werden, wenn von einer idealen Stei-
figkeit der WC-Co-Druckstempel ausgegangen wird. Aktuell kann der elastische Bereich noch
nicht dafür ausgewertet werden, da unterschiedliche Prüfmaschinen für die Durchführung der
Versuche genutzt wurden und die unterschiedliche Maschinensteifigkeit nicht vernachlässigt
werden kann. Die konsequente Einbindung eines Extensometers, sowohl für Raum- als auch
Hochtemperatur, stellt damit eine Herausforderung für zukünftige Versuche dar.
Darüber hinaus ermöglicht die kleine Probengeometrie auch eine effiziente Untersuchung von
sehr teuren Werkstoffen bei geringem Materialbedarf, wie z. B. von refraktären Hochentropiele-
gierungen mit teuren Legierungselementen [18]. Durch die Verwendung des Hochtemperaturo-
fens können ebenso die Eigenschaften bei erhöhten Temperaturen untersucht werden, die insbe-
sondere für Werkstoffklassen interessant sind, die als Ersatzwerkstoffe für Nickelbasis-Superle-
gierungen in Betracht gezogen werden. Dies ist besonders interessant für die Luft- und Raum-
fahrttechnik aber auch für den Automobilbereich. In einem weiteren Schritt können die quasi-
statischen Kennwerte aus Zug- und Druckversuchen genutzt werden, um diese auf komplexere
Geometrien und mehrachsige Spannungszustände zu übertragen, damit alle Vorteile der additi-
ven Fertigung ausgenutzt werden können.
Ein weiterer zu berücksichtigender Aspekt für weiterführende Untersuchungen im Bereich qua-
sistatischer Druckversuche liefern die Untersuchungen von Cyr et al. [19]. Dort konnte gezeigt
werden, dass additiv gefertigte Werkstoffe im Gegensatz zu konventionellen Werkstoffen unter-
schiedliche Zug- und Druckeigenschaften aufweisen können. Als Grundlage für die Untersu-
chungen diente ein martensitaushärtender Stahl, der im geschmiedeten Zustand ein symmetri-
sches Werkstoffverhalten im Zug- und Druckbereich zeigt, im additiv gefertigten Zustand jedoch
Unterschiede aufweist. Dies wurde ebenfalls von Longhitano et al. [20] anhand der Titanlegie-
rung Ti-6Al-4V nachgewiesen. In diesem Kontext wird von einer Zug-Druck-Asymmetrie bei
additiv gefertigten Werkstoffen gesprochen. Auch in der Untersuchung der quasistatischen Ei-
genschaften der hier aufgeführten Titanaluminidlegierung (Ti-48Al-2Cr-2Nb) konnte an ersten
Untersuchungen im Zugversuch ein anderes Werkstoffverhalten als im Druckversuch festgestellt
werden. Die untersuchten Proben brachen unter Zugbeanspruchung, ohne dass eine plastische
154 Bestimmung quasistatischer Druckeigenschaften
5 Danksagung
Die Autoren danken Herrn Dr. Bilal Gökce (Universität Duisburg-Essen), Herrn Dr. Jörg Hilde-
brand (Technische Universität Ilmenau), Frau Dr. Vera Jüchter (Universität Nürnberg-Erlangen)
und Herrn Markus B. Wilms (Fraunhofer-Institut für Lasertechnik ILT) für die Bereitstellung
der Probenmaterialien.
Bestimmung quasistatischer Druckeigenschaften 155
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157
Ermüdungsrisswachstumsverhalten bei
zyklischer Belastung von
laserstrahlgeschmolzenen „3D-gedruckten“
Werkstoffen: TiAl6V4, AlSi10Mg und 316L
W. Reschetnika, G. Kullmerb,c,d, H. A. Richardb,c,d
a) REALIZER GmbH / Bielefeld
b) Fachgruppe Angewandte Mechanik / Universität Paderborn
c) Direct Manufacturing Research Center / Universität Paderborn
d) Westfälisches Umweltzentrum / Paderborn
Zusammenfassung
Dieser Beitrag stellt das Ermüdungsrisswachstumsverhalten bei zyklischer Belastung von laser-
strahlgeschmolzenen also „3D-gedruckten“ Werkstoffen vor. Hierbei werden drei Materialien:
die Titanaluminiumlegierung TiAl6V4 / Ti-6-4, die Aluminiumlegierung AlSi10Mg und der
nichtrostende Stahl X2CrNiMo17-12-2 mit der Werkstoffnummer 1.4404 bzw. 316L im Hin-
blick auf ihre bruchmechanischen Eigenschaften charakterisiert.
Dabei wird zunächst der Einfluss von experimentellen Versuchsparametern, wie der Absenkrate,
auf das Ermüdungsrisswachstumsverhalten und somit auf die bruchmechanischen Kennwerte
überprüft. Um den Einfluss zweier unterschiedlicher pulverbettbasierter Herstellsysteme auf die
resultierenden Bauteileigenschaften zu spezifizieren, werden Rissfortschrittskurven der additiv
verarbeiteten Werkstoffe TiAl6V4 und X2CrNiMo17-12-2 gegenübergestellt.
Des Weiteren wird die Auswirkung des Spannungsverhältnisses R auf das Ermüdungsrissaus-
breitungsverhalten der Titanaluminiumlegierung TiAl6V4 und der Einfluss einer Wärmebehand-
lung sowie der Aufbaurichtung der Aluminiumlegierung AlSi10Mg aufgezeigt.
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019
H. A. Richard et al. (Hrsg.), Additive Fertigung von Bauteilen
und Strukturen, https://doi.org/10.1007/978-3-658-27412-2_10
158 Ermüdungsrisswachstumsverhalten von 3D-gedruckten TiAl6V4, AlSi10Mg und 316L
1 Einleitung
Technische Strukturen unterliegen im Betrieb häufig neben statischen Lasten auch zyklischen
Beanspruchungen. Dabei können durch Materialermüdung Risse im Bauteil entstehen [1]. Zur
Prädiktion der Restlebensdauer rissbehafteter Strukturen müssen die bruchmechanischen Kenn-
werte – Schwellenwert gegen Ermüdungsrissausbreitung / Threshold-Wert sowie die Risszähig-
keit – ermittelt werden [2]. Durch neuartige Fertigungsverfahren, wie beispielsweise dem selek-
tiven Laserstrahlschmelzen, müssen aufgrund von Prozesseinflüssen die verarbeiteten Werk-
stoffe in Bezug auf eine betriebssichere Auslegung mechanisch sowie bruchmechanisch charak-
terisiert werden [3]. Dabei stellt die werkstoffspezifische Rissfortschrittskurve mit den dazuge-
hörigen Kennwerten ein wichtiges bruchmechanisches Merkmal dar.
Zur Beschreibung des Ermüdungsrissausbreitungsverhaltens werden im Rahmen dieses Beitrags
bruchmechanische Untersuchungen exemplarisch an den additiv verarbeiteten Werkstoffen
TiAl6V4, X2CrNiMo17-12-2 sowie AlSi10Mg durchgeführt und vorgestellt. Eine Gemeinsam-
keit dieser Materialien stellt die gute Verarbeitbarkeit mittels der additiven Fertigung dar, wo-
hingegen das Materialverhalten signifikante Unterschiede aufweist. TiAl6V4 besitzt ein hoch-
festes und eher sprödes Materialverhalten während der korrosionsbeständige Stahl 316L ein
deutlich duktileres Materialverhalten bei mittlerer Festigkeit aufweist. AlSi10Mg verfügt im
Vergleich zur TiAl6V4 und dem hochlegierten Edelstahl 316L über eine geringere Streckgrenze
und Zugfestigkeit, wird jedoch aufgrund der geringen Dichte dementsprechend als Leichtbau-
werkstoff in Betracht gezogen. Um den Einfluss von Versuchsparametern sowie die Auswirkung
des Spannungsverhältnisses R auf die Rissfortschrittskurve dieser Werkstoffe spezifizieren zu
können, werden Rissfortschrittskurven bei unterschiedlichen Parametern experimentell ermittelt.
Neben diesen Aspekten wird ein möglicher Einfluss des verarbeitenden Herstellungssystems un-
tersucht. Die Motivation hierfür liegt in der unterschiedlichen Umsetzung der drei grundlegen-
den Prozessschritte durch die Anlagenhersteller. Der Ablauf bei dem selektiven Laserstrahl-
schmelzen wird prinzipiell in die folgenden drei Prozessschritte eingeteilt:
Mit dem wiederholten Durchlaufen dieser drei Prozessschritte wird das Bauteil iterativ Schicht
für Schicht aufgebaut [4]. Durch eben diesen schichtweisen Aufbau und den gezielten Abtrans-
port der Wärmeenergie besteht die Gefahr der Ausbildung eines anisotropen Verhaltens im Ma-
terial. Demzufolge werden abschließend in diesem Beitrag unterschiedliche Aufbaurichtungen
sowie die mögliche Steigerung der Werkstoffperformance durch verschiedene Werkstoffzu-
stände analysiert. Die verschiedenen Werkstoffzustände können durch eine gezielte Wärmebe-
handlung eingestellt werden.
Ermüdungsrisswachstumsverhalten von 3D-gedruckten TiAl6V4, AlSi10Mg und 316L 159
sind zwei wesentliche Aspekte auschlaggebend. Zum einen besitzt diese Probenvariante eine
einfach zu erstellende Geometrie und zum anderen, neben der Kompaktheit, werden relativ nied-
rige Prüfkräfte benötigt.
Der zyklische Spannungsintensitätsfaktor ΔKI kann mit Hilfe der maximalen und minimalen
Spannungsintensitätsfaktoren KI,max und KI,min (Abbildung 3b und d) beschrieben werden. ΔKI ist
von der äußeren Belastung, wie der Schwingbreite Δσ, der Risslänge a sowie von der Geometrie
des Risses und des Bauteils, welche mittels der dimensionslosen Funktion YI (Geometriefaktor)
zusammengefasst wird, abhängig.
Neben der zyklischen Spannungsintensität wird zusätzlich das Spannungs- bzw. Beanspru-
chungsverhältnis R für eine eindeutige Beschreibung der schwingenden Belastung benötigt. Das
R-Verhältnis für das Ermüdungsrisswachstum wird in Gleichung 2 formelmäßig dargestellt.
K I,min
R= (2)
K I,max
Zur Ermittlung der Rissfortschrittskurven (da/dN-ΔK-Kurve) werden zwei Versuchsarten unter-
schieden, Abbildung 3. Der obere Bereich der Rissfortschrittskurve wird aus einem kraftgesteu-
erten Versuch mit einer konstanten Kraftamplitude ΔF (Abbildung 3a) ermittelt. Gleichzeitig
Ermüdungsrisswachstumsverhalten von 3D-gedruckten TiAl6V4, AlSi10Mg und 316L 161
auf die Absenkrate C überprüft. Hierbei werden Absenkversuche mit verschiedenen Absenkra-
ten C im Wertebereich von -0,08 mm-1 bis -0,64 mm-1 durchgeführt, um mögliche Reihenfol-
geeffekte ausschließen zu können. In Abbildung 4 sind die experimentellen Ergebnisse für den
unteren Bereich der Rissfortschrittskurven dargestellt.
Mit Hilfe der Tabelle 1 wird ein Mittelwert von ΔKth = 3,4 MPa·m1/2 mit einer Standardabwei-
chung von ±0,08 MPa·m1/2 berechnet. Diese Erkenntnisse werden in der Literatur [9] und [10]
bestätigt. Die Absenkrate weist somit keinen signifikanten Einfluss auf das Ermüdungsriss-
wachstumsverhalten auf.
Die experimentell ermittelten bruchmechanischen Kennwerte, wie der Schwellenwert gegen Er-
müdungsrissausbreitung ΔKI,th und zyklische Risszähigkeit ΔKIC, sind in Tabelle 2 zusammen-
164 Ermüdungsrisswachstumsverhalten von 3D-gedruckten TiAl6V4, AlSi10Mg und 316L
gefasst. Hierbei fällt auf, dass der Schwellenwert gegen Ermüdungsrissausbreitung für die Prüf-
körper im Bauzustand mit einer Aufbaurichtung parallel zur Rissausbreitungsrichtung des Werk-
stoffs 316L im Vergleich zu der Titan-Aluminium-Legierung mehr als doppelt so hoch ist.
Tabelle 2: Experimentell ermittelte Schwellenwerte gegen Ermüdungsrissausbreitung
ΔKI,th und zyklische Risszähigkeit ΔKIC
Werkstoff Threshold-Wert ΔKI,th zyklische Risszähigkeit ΔKIC (abgelesen)
TiAl6V4 Bauzustand 1,7 MPa·m1/2 ~ 31 MPa·m1/2
AlSi10Mg Bauzustand 1,3 MPa·m1/2 ~ 9 MPa·m1/2
316L Bauzustand 3,8 MPa·m1/2 ~ 49 MPa·m1/2
Die Aluminiumlegierung AlSi10Mg weist gegenüber 316L und TiAl6V4 sowohl den geringsten
Threshold-Wert und dementsprechend den geringsten Widerstand gegen Ermüdungsrissausbrei-
tung als auch die geringste zyklische Risszähigkeit ΔKIC auf. Die Rissfortschrittskurven in Ab-
bildung 5 und die Kennwerte in der Tabelle 2 veranschaulicht die wesentlichen Unterschiede des
Ermüdungsrissausbreitungsverhaltens zwischen den hier untersuchten 3D-gedruckten Materia-
lien.
Diese Rissfortschrittskurven können zur Prognose der Restlebensdauer von rissbehafteten Struk-
turen verwendet werden und bieten die Möglichkeit additive gefertigte Bauteile bruchmecha-
nisch zu optimieren. Damit können auch sicherheitsrelevante Strukturen unter Verwendung der
additiven Fertigung individuell und hochkomplex ausgeführt werden.
chanisch besseren Bereich und erhöht den Threshold-Wert um den Faktor 2,5, so dass das Er-
müdungsrisswachstumsverhalten bei zyklischer Belastung vergleichbar ist mit den Material-
kennwerten des konventionell hergestellten TiAl6V4.
Das Spannungsverhältnis R (Gleichung 2) stellt eine weitere Einflussgröße auf das Rissausbrei-
tungsverhalten dar. Dementsprechend wird im Folgenden bei lasergeschmolzenen TiAl6V4-CT-
166 Ermüdungsrisswachstumsverhalten von 3D-gedruckten TiAl6V4, AlSi10Mg und 316L
Abbildung 7: Einfluss des R-Verhältnisses auf die Rissfortschrittskurven des additiv verarbei-
teten Werkstoffs Titanaluminiumlegierung TiAl6V4 im wärmebehandelten Zu-
stand
Die Rissfortschrittskurven werden mit steigendem R-Verhältnis zu kleineren ΔK-Werten ver-
schoben. Diese Tatsache wird in Tabelle 4 besonders deutlich. Der mittlere Bereich von der Riss-
fortschrittskurve weist in der doppellogarithmischen Darstellung für alle untersuchten R-Ver-
hältnisse einen linearen Verlauf mit einer nahezu unveränderten Steigung auf. Ähnliche Erkennt-
nisse sind in der Literatur [1, 15-17] zu finden.
Tabelle 4: Experimentell ermittelte Threshold-Werte in Abhängigkeit des R-Verhältnisses
Werkstoff R-Verhältnis Threshold-Wert ΔKI,th
0,1 3,4 MPa·m1/2
TiAl6V4 0,3 2,7 MPa·m1/2
800 °C-Zustand
AR⟘RR 0,5 2,4 MPa·m1/2
0,8 1,9 MPa·m1/2
Ermüdungsrisswachstumsverhalten von 3D-gedruckten TiAl6V4, AlSi10Mg und 316L 167
Haltezeit von 1,5 Stunden mit anschließendem Abschrecken (Wasser) und Warmauslagern
(6 Stunden bei 170 °C) realisiert. Diese Wärmebehandlung führt zu einer Verbesserung des
bruchmechanischen Verhaltens, so dass die Rissgeschwindigkeitskurve weiter rechts angeordnet
ist. Der Schwellenwert gegen Ermüdungsrissausbreitung bei dem 480 °C-Zustand ist ungefähr
doppelt so groß im Vergleich zum Bauzustand.
Der Einfluss der Aufbaurichtung bei dem Laserstrahlschmelzen wird durch parallel und ortho-
gonal zur Rissausbreitungsrichtung orientierten CT-Proben, mit denen Rissfortschrittskurven
aufgenommen werden, charakterisiert. Die Ergebnisse der Untersuchung weisen für die CT-
Probe mit einer Orientierung AR∥RR einen Threshold-Wert von ΔKth = 2,4 MPa·m1/2 auf. Dieser
ist in Bezug auf AR⊥RR um 0,4 MPa·m1/2 beziehungsweise um ca. 15 % geringer.
4 Fazit
Im Rahmen dieses Beitrags wurden laserstrahlgeschmolzene Werkstoffe TiAl6V4,
X2CrNiMo17-12-2 und AlSi10Mg im Hinblick auf ihre bruchmechanischen Eigenschaften cha-
rakterisiert. Dabei wurde im Vorfeld kein signifikanter Einfluss des experimentellen Versuchs-
parameters „Absenkrate C“ auf das Ermüdungsrisswachstumsverhalten aufgezeigt.
Um den Einfluss zwei unterschiedlicher pulverbettbasierter Herstellsysteme auf die resultieren-
den Bauteileigenschaften zu spezifizieren, wurden Rissfortschrittskurven der additiv verarbeite-
ten Werkstoffe TiAl6V4 und X2CrNiMo17-12-2 gegenübergestellt. Das Ergebnis ist, dass durch
die experimentellen Untersuchungen kein signifikanter Einfluss der Fertigungsanlagen der bei-
den Anlagenhersteller EOS und SLM ausgemacht werden konnte. Auch das Spannungsverhält-
nisses R in Bezug auf eine Beeinflussung der Rissfortschrittskurven wurde anhand der TiAl6V4-
Legierung analysiert und weist einen Einfluss auf. Hierbei wird eine für metallische Werkstoffe
Ermüdungsrisswachstumsverhalten von 3D-gedruckten TiAl6V4, AlSi10Mg und 316L 169
typische Auswirkung des R-Verhältnisses auch bei der additiv verarbeiteten TiAl6V4-Legierung
verdeutlicht.
Darüber hinaus konnte durch eine gezielte Wärmebehandlung das bruchmechanische Werkstoff-
verhalten sowohl des TiAl6V4 als auch des AlSi10Mg deutlich verbessert werden. Die Wärme-
behandlung verschiebt die Rissfortschrittskurve der beiden Materialien in den bruchmechanisch
besseren Bereich und erhöht den Threshold-Wert um mehr als den Faktor 2. Ebenfalls wurden
bei der Aluminiumlegierung AlSi10Mg die Auswirkungen der unterschiedlichen Aufbaurich-
tungen näher betrachtet mit der Erkenntnis, dass die Aufbaurichtung einen geringen Einfluss auf
die Rissfortschrittskurven aufweist.
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171
Zusammenfassung
Mit Hilfe der additiven Fertigung können heutzutage neuartige Kunststoffprodukte hergestellt
werden, welche sowohl individuelle, als auch komplexe Designanforderungen erfüllen. Der dar-
über hinaus zunehmende Einsatz solcher Bauteile in mechanisch tragenden Strukturen setzt die
Durchführung von Lebensdaueruntersuchungen voraus, da Bauteile dieser Art oftmals zykli-
schen Betriebsbelastungen ausgesetzt sind. In diesem Zusammenhang spielen vor allem die As-
pekte der Rissbildung und des Risswachstums eine bedeutende Rolle. Beim Einsatz von Kunst-
stoffwerkstoffen sind ebenfalls die zeit- und temperaturabhängigen Materialkennwerte wesent-
lich für die erreichbare Lebensdauer verantwortlich, sodass diese bei der Durchführung von ex-
perimentellen Untersuchungen zu berücksichtigen sind. Eine wichtige Kenngröße, welche das
Risswachstum in Werkstoffen beschreibt, ist die Risswachstumsrate, zu deren Ermittlung eine
kontinuierliche Risslängenmessung eine wesentliche Voraussetzung ist. In diesem Beitrag wird
daher zunächst ein Verfahren zur Risslängenmessung in additiv gefertigten Kunststoffen auf Ba-
sis von Steifigkeitsänderungen vorgestellt. Im Anschluss werden auf dieser Grundlage experi-
mentelle Risswachstumsuntersuchungen durchgeführt, mit denen die Ermittlung von bruchme-
chanischen Kennwerten (Threshold ΔKth, zyklische Risszähigkeit ΔKC, Rissfortschrittskurve)
des verwendeten Kunststoffes ermöglicht wird. Die Risswachstumsversuche erfolgen unter Va-
riation der Prüffrequenz, um eine bruchmechanische Charakterisierung für unterschiedliche An-
wendungsprofile umzusetzen.
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019
H. A. Richard et al. (Hrsg.), Additive Fertigung von Bauteilen
und Strukturen, https://doi.org/10.1007/978-3-658-27412-2_11
172 Bruchmechanische Charakterisierung von additiv gefertigten Kunststoffwerkstoffen
1 Einleitung
In der heutigen Zeit findet durch eine stärkere Verbreitung des Leichtbaus eine kontinuierliche
Anpassung zwischen Material und dem Verwendungszweck technischer Komponenten statt [1].
In diesem Zusammenhang spielen insbesondere kunststofftechnische Systemlösungen eine we-
sentliche Rolle. Diese erfüllen einerseits die Anforderung nach geeigneten optischen Lösungen
durch geometrisch anspruchsvolle Formgebung, wie sie z. B. im Bereich der Innen- sowie der
Außenausstattung von Kraftfahrzeugen gefordert wird [2]. Dieser klassische Einsatzbereich wird
gegenwärtig jedoch durch den vermehrten Einsatz der sogenannten technischen Kunststoffe, wie
bspw. Polyamid (PA) erweitert [3]. Diese bieten aufgrund ihrer hervorragenden technischen Ei-
genschaften, bei gleichzeitig geringem spezifischem Gewicht, ebenfalls Anwendungsmöglich-
keiten in mechanisch tragenden Strukturen (Abbildung 1) oder als Sicherheitskomponente und
dienen somit als wirtschaftliche Leichtbaulösung [4].
a) b)
Nachgiebigkeit δ
F(t), v(a/w) δ=
Fmax
F(t), v(a/w)
CT-Probe Lastwechselzahl N Risslänge a
Abbildung 2: Schematische Darstellung der Risslängenmessung mittels Compliance
Methode
Die Compliance Methode beruht auf dem physikalischen Zusammenhang, dass die Probennach-
giebigkeit δ (engl.: compliance) mit zunehmender Risslänge a ansteigt [10]. Die Vorteile dieses
Verfahrens sind neben der flexiblen Einsatzmöglichkeit bzgl. des Probenwerkstoffes vor allem
in der Einfachheit und der kostengünstigen Realisierung gegeben. Jedoch setzt dieses Risslän-
genmesskonzept voraus, dass einerseits die Rissöffnungsverschiebung Δv und die zugehörige
Kraftänderung ΔF messtechnisch korrekt erfasst werden können und andererseits, dass die
Wechselbeziehung zwischen der Nachgiebigkeit und der Risslänge bekannt ist. Die vorliegende
Thematik dieses Beitrags besteht somit darin, zunächst das Funktionsprinzip der Compliance-
Methode auf additiv gefertigte Kunststoffproben anzuwenden, um damit eine automatisierte
Versuchssteuerung zu ermöglichen. Weiterhin soll das Ermüdungsrisswachstum additiv gefer-
tigter Kunststoffe unter dem Einfluss der Prüffrequenz f analysiert werden. Darauf aufbauend
sollen eine Einschätzung bzgl. der Lebensdauer solcher Werkstoffe gegeben und anschließend,
unter Anwendung des Messsystems sowie unter Variation der Prüffrequenz, automatisiert bruch-
mechanische Werkstoffkennwerte aufgenommen werden.
174 Bruchmechanische Charakterisierung von additiv gefertigten Kunststoffwerkstoffen
σB
εB
amorphe Bereiche
Temperatur T
Abbildung 3: a) Molekularer Aufbau eines teilkristallinen Thermoplasten [11]
b) Zustandsdiagramm eines teilkristallinen Thermoplasten [11]
Thermoplastische Kunststoffe, wie PA12, besitzen im Vergleich zu metallischen oder auch ke-
ramischen Werkstoffen ein anderes Materialverhalten, was auf die physikalischen Eigenschaften
der Polymere zurückzuführen ist. Diesbezüglich spielt besonders die Einflussgröße Temperatur
eine wesentliche Rolle. PA12 besitzt bei Raumtemperatur ein hart/sprödes Materialverhalten.
Bei einer Temperaturänderung hingegen werden die kovalenten Bindungen zwischen den Ato-
Bruchmechanische Charakterisierung von additiv gefertigten Kunststoffwerkstoffen 175
men und die Nebenvalenzkräfte zwischen den Makromolekülen abgeschwächt und eine Ver-
schiebung bzw. ein Fließen der Moleküle untereinander ermöglicht, was den Werkstoff duktiler
macht. Dieser Wechsel der Materialeigenschaften wird bei teilkristallinen Thermoplasten durch
den Glasübergangstemperatur-/ und den Kristallitschmelzbereich (Abbildung 3b) definiert. Von
mechanischer Bedeutung ist hierbei jedoch nur die Glasübergangstemperatur, da oberhalb dieser
Grenze ein Einsatz des Kunststoffes noch möglich ist, weil zunächst nur die amorphen Bereiche
eine Erweichung erfahren. Demgegenüber werden beim Überschreiten des Kristallitschmelzbe-
reiches die zwischenmolekularen Kräfte vollständig aufgehoben und der Werkstoff erweicht zu-
nehmend, was einen Einsatz für technische Strukturen nicht mehr zulässt [3].
Das Verformungsverhalten dieser Kunststoffe ist ebenfalls von der vorherrschenden Temperatur
(Abbildung 4) und der Belastungsgeschwindigkeit abhängig. Dies ist dem strukturellen Aufbau
der Polymere geschuldet, da die Makromoleküle auf eine Beanspruchung nur zeitversetzt rea-
gieren können. Das anschließende Bestreben, die durch die Beanspruchung hervorgerufene Un-
ordnung zu kompensieren, wird durch Umlagerungsprozesse bis zum Eintreten eines Gleichge-
wichtszustandes realisiert. Kann eine Umlagerung der Makromoleküle aufgrund hoher Bean-
spruchungsgeschwindigkeit nicht erfolgen, verhalten sich Thermoplaste überwiegend spröde mit
einem Bruch kurz nach Erreichen der maximalen Spannung. Niedrige Temperaturen begünstigen
diesen Effekt, da die Molekülbeweglichkeit weiter reduziert wird. Erfolgt die Beanspruchung
langsam, kann ein stabiler Zustand für die Spannung erreicht werden und der Thermoplast weist
ein zähes bzw. duktiles Materialverhalten auf. Auch hierbei kann die vorliegende Temperatur
den Prozess beeinflussen [4].
Dehnung ε [%]
Abbildung 4: Spannungs-Dehnungs-Kurven von PA12 in Abhängigkeit der Prüftemperatur
Diese Abhängigkeit der Werkstoffeigenschaften von der Temperatur und der Belastungsge-
schwindigkeit hat einen direkten Einfluss auf die Gebrauchseigenschaften von PA12. Folglich
muss, je nach Einsatzprofil, eine mögliche Eigenschaftsänderung des Kunststoffes berücksich-
tigt werden [13]. Bei PA12 liegt die Glasübergangstemperatur TG bei ca. 45°C [14], was bei
bestimmten Einsatzbereichen (bspw. Motoraufhängungen, Abbildung 1a) vergleichsweise
schnell erreicht wird. Darüber hinaus führen erhöhte Einsatzfrequenzen zu einer Eigenerwär-
mung des Werkstoffs aufgrund der schnell stattfindenden Umlagerungsprozesse der Molekül-
ketten, sodass dort ebenfalls mit einer nicht zu unterschätzenden Eigenschaftsänderung zu rech-
nen ist.
176 Bruchmechanische Charakterisierung von additiv gefertigten Kunststoffwerkstoffen
Polyamid 12
100µm PA12
Mikroskop
F(t) Einspann-
bolzen
1,1kN
TG = Glasübergangs-
TR temperatur
20°C TR = Raumtemperatur
In einer zweiten Versuchsreihe wird der Einfluss der Prüffrequenz f auf die Temperaturentwick-
lung der Probenoberfläche untersucht. Dazu werden Rissfortschrittsuntersuchungen mit einer
konstanten Maximalkraft von Fmax = 1,7 kN unter Variation der Prüffrequenz durchgeführt. Ver-
wendet werden Prüffrequenzen von f = 5 Hz sowie von f = 1 Hz. Die Ergebnisse werden mit den
Ergebnissen der vorrangegangenen Voruntersuchungen mit f = 10 Hz verglichen, Abbildung 8.
Dabei kann festgestellt werden, dass mit einer Reduzierung der Prüffrequenz die Probenerwär-
mung ebenfalls deutlich verringert wird. Bei einer Prüffrequenz von f = 5 Hz kann ein Über-
schreiten der Glasübergangstemperatur erst kurz vor Probenversagen festgestellt werden. Bei
einer Prüffrequenz von f = 1 Hz kommt es zu keiner Zeit der Prüfung zu einem nennenswerten
Überschreiten dieser Temperatur.
50% der 75 % der Letzte Aufnahme
Prüfzeit Prüfzeit vor Bruch
45°C Temperaturmess-
TG F(t) bereich
10 Hz
Prüffrequenz f
5 Hz
F(t) Einspann-
bolzen
1 Hz
TG = Glasübergangs-
TR temperatur
20°C TR = Raumtemperatur
0,6
0,5
a/w
Rastmarken f = 1 Hz
0,4 Rastmarken f = 5 Hz
Aufbaurichtung
Rastmarken f = 10 Hz
Kalibrierkurve f = 1 Hz
0,3 Kalibrierkurve f = 5 Hz
Kalibrierkurve f = 10 Hz
0,2
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11
δ/δ0
Abbildung 9: Experimentell ermittelte Kalibrierkurven in Abhängigkeit der Prüffrequenz
Die drei Kalibrierkurven weisen einen ähnlichen Trend auf und verlaufen bis zu einem Nachgie-
bigkeitsverhältnis von δ/δ0 = 2 nahezu identisch. Erst bei zunehmenden Nachgiebigkeitsverhält-
nissen weisen die Kurven eindeutige Unterschiede auf. Dabei ist festzustellen, dass mit steigen-
der Frequenz einerseits insgesamt geringere Nachgiebigkeitsverhältnisse erreicht werden und
andererseits ebenfalls die zugehörigen a/w-Verhältnisse niedriger liegen im Vergleich zu klei-
neren Prüffrequenzen. Diese Entwicklung zeigt sich fortwährend mit sinkender Prüffrequenz.
Dieses Verhalten ist voraussichtlich auf die Eigenerwärmung der Proben bei größeren Prüffre-
quenzen zurückzuführen. Mit steigender Temperatur im Bereich rund um die Rissspitze sinkt
der E-Modul des Polyamids und weist damit gleichzeitig ein duktileres Materialverhalten auf.
Als Folge dessen werden geringere Steifigkeitswerte in Kombination mit kürzeren Risslängen
registriert. Bei geringeren Prüffrequenzen erfolgt weitestgehend keine Eigenerwärmung des
Kunststoffes, was in höheren Steifigkeitswerten resultiert.
Bruchmechanische Charakterisierung von additiv gefertigten Kunststoffwerkstoffen 181
6 Bruchmechanische Untersuchungen
Unter Anwendung der aufgenommenen Kalibrierkurven werden anschließend bruchmechani-
sche Untersuchungen durchgeführt. Die bruchmechanische Charakterisierung anhand von Riss-
fortschrittskurven für den ausgewählten Polyamidwerkstoff unterliegt einer zweiteiligen Ver-
suchsdurchführung, bei welcher jeweils ein Teil der Rissfortschrittskurve ermittelt wird. Beide
Versuchsarten erfolgen dahingehend unter einem konstanten Spannungsverhältnis von R = 0,1.
Die Ermittlung des mittleren und unteren Bereichs der Rissfortschrittskurve, inklusive des
Schwellenwertes ΔKth, erfolgt ausgehend von einer Anrisserzeugung von a0 = 2 mm bei einer
Beanspruchung im mittleren Rissgeschwindigkeitsbereich. Nachdem eine stabile Rissausbrei-
tung eingesetzt hat, wird die Spannungsintensität sukzessive gemäß Gleichung (2) reduziert, bis
das Risswachstum zum Stillstand kommt und der Schwellenwert ΔKI,th gegen Ermüdungsriss-
ausbreitung erreicht ist.
C ⋅( a − a0 )
ΔK I = ΔK I,0 ⋅ e (2)
Darin berücksichtigt der Faktor ΔKI,0 die vorliegende Spannungsintensität für die Initialrisslänge
a0 und der Faktor C die Absenkrate des zyklischen Spannungsintensitätsfaktors. Nach den Best-
immungen von [15] wird der Wert für die Absenkrate für die in dieser Arbeit durchgeführten
Untersuchungen auf den Wert C = -0,08 mm-1 festgelegt, um damit mögliche Reihenfolgeeffekte
zu minimieren. Für die Bestimmung des oberen Teils der Rissfortschrittskurve wird eine Ver-
suchsart verwendet, bei welcher nach der Anrisserzeugung die maximale und die minimale Kraft
konstant gehalten werden. In diesem Fall steigt bei konstanter Kraftschwingbreite (ΔF = const.)
die zyklische Spannungsintensität ΔK mit wachsender Risslänge a an. Die erreichbare Lastwech-
selzahl repräsentiert die endliche Lebensdauer der Proben und der letzte aufgenommene Wert
für die Spannungsintensität vor dem Versagen kann als zyklische Risszähigkeit ΔKIC identifiziert
werden.
Die mittels der Compliance-Methode aufgenommenen Rissfortschrittskurven für die drei
Prüffrequenzen zeigt Abbildung 10. Die drei Rissfortschrittskurven (Datensätze 1, 2 & 3) sind
durch einen charakteristischen Kurvenverlauf gekennzeichnet, welche beim Übergang vom
PARIS-Bereich in den thresholdnahen Bereich einen signifikanten Abfall der Rissfortschrittsrate
aufweisen. Die Kurvenverläufe besitzen darüber hinaus keine nennenswerten Schwankungen der
Datenpunkte. Anhand der Kurvenverläufe zeigt sich ein signifikanter Einfluss der Prüffrequenz.
Allgemein ist beobachtbar, dass mit sinkender Prüffrequenz die Risswachstumsrate da/dN an-
steigt. Besonders im niedrigen und hohen Rissgeschwindigkeitsbereich ist dieser Effekt deutlich
ausgeprägt. Für eine Risswachstumsrate von da/dN = 10−7 mm/Lastwechsel, welche nach [15]
dem Threshold ΔKI,th zugeordnet werden kann, liegt für eine Prüffrequenz von f = 10 Hz der
Threshold im Mittel bei ΔKI,th = 1,26 MPam1/2. Eine Prüffrequenz von f = 5 Hz führt zu einem
mittleren Threshold, von ΔKI,th = 1,17 MPam1/2 und für die niedrigste Prüffrequenz von f = 1 Hz
liegt der niedrigste Schwellenwert mit ΔKI,th = 1,04 MPam1/2 vor. Somit führt eine Reduzierung
der Prüffrequenz von 10 Hz auf 1 Hz zu einer Verschlechterung des Thresholds um ca. 20 %.
182 Bruchmechanische Charakterisierung von additiv gefertigten Kunststoffwerkstoffen
1,0E+00
PA12 additiv
R = 0,1
1,0E-01 Fmax= 1,7 kN
C = -0,08
Kmax,0 = 100 N/mm3/2
Aufbaurichtung
Rissfortschrittsrate da/dN [mm/LW]
1,0E-02 Raumtemperatur
1,0E-03
1,0E-04
Datensatz 1 (f = 1 Hz)
Datensatz 2 (f = 5 Hz)
1,0E-05
Datensatz 3 (f = 10 Hz)
1,0E-06
1,0E-07
1,0E-08
1 10 100
zyklischer Spannungsintensitätsfaktor ΔK [MPa•m1/2]
Abbildung 10: Experimentell ermittelte Rissfortschrittskurven für PA12
Darüber hinaus weisen alle Rissfortschrittskurven einen geradlinig ausgeprägten mittleren Be-
reich auf, welcher als ein Indikator für ein stabiles sowie kontrolliertes Risswachstum gilt und
mithilfe der PARIS-Gerade [8] beschrieben werden kann. Offenkundig zeigt sich auch im mittle-
ren Bereich der Einfluss der Prüffrequenz, die wesentlich die Steigung des PARIS-Bereichs be-
stimmt. Die Reduzierung der Prüffrequenz bewirkt einen signifikant steileren Kurvenverlauf,
was sich ebenfalls durch das Erreichen von höheren Rissfortschrittsraten äußert. Weiterhin ist
bei den Kurven für eine Prüffrequenz von 5 Hz und 10 Hz ein leicht gekrümmter Verlauf der
Rissfortschrittskurve kurz vor Einsetzen des instabilen Risswachstums erkennbar, wobei dieser
Effekt mit sinkender Prüffrequenz weniger stark ausgeprägt ist. Diese abfallende Tendenz für
die Risswachstumsrate kurz vor Versagen der Probe, die bei metallischen Werkstoffen nicht auf-
tritt, ist vermutlich auf die sich ändernden Werkstoffeigenschaften des Polyamids durch eine
Erwärmung des Kunststoffes zurückzuführen. Wie Abbildung 8 anschaulich darstellt, findet bei
höheren Prüffrequenzen eine deutliche Erwärmung der Rissspitzenumgebung statt, wodurch der
Werkstoff duktiler wird. Als Konsequenz daraus wird die wirksame Spannungsintensität an der
Rissspitze reduziert, was eine Verringerung der Risswachstumsrate zur Folge hat. Die ermittel-
ten Werte für die zyklische Risszähigkeit ΔKIC zeigen eine Herabsetzung der erreichbaren zyk-
lischen Risszähigkeit von ca. 30 %. zwischen der höchsten und der geringsten Prüffrequenz. Für
eine Prüffrequenz von 10 Hz liegen die Werte im Mittel bei ΔKIC = 14,97 MPam1/2. Eine zykli-
sche Risszähigkeit von ΔKIC = 9,83 MPam1/2 wird für die geringste Frequenz mit f = 1Hz erzielt.
Bruchmechanische Charakterisierung von additiv gefertigten Kunststoffwerkstoffen 183
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185
Rissausbreitungsmechanismen in
FDM-Verstärkungsstrukturen unter
dynamischer Beanspruchung
A. Hirscha, b, S. Paulusc, E. Moritzera, b
a) Kunststofftechnik Paderborn (KTP), Universität Paderborn
b) Direct Manufacturing Research Center (DMRC), Universität Paderborn
c) Universität Paderborn, D-33098 Paderborn
Zusammenfassung
Das Fused Deposition Modeling (FDM) ist ein etabliertes additives Fertigungsverfahren zur Her-
stellung von thermoplastischen Kunststoffbauteilen. In dem vorliegenden Beitrag sind FDM-
Verstärkungsstrukturen aus dem Material Ultem 9085 dynamischen Langzeituntersuchungen un-
terzogen worden. Dabei wurde die innere Struktur der Probekörper über eine Parametervariation
verändert, sodass anschließend die signifikanten Einflussfaktoren auf die Langzeitfestigkeit un-
ter dynamischer Belastung identifiziert und analysiert werden konnten. Mit dieser Vorgehens-
weise sollte gleichzeitig eine Optimierung der FDM-Verstärkungsstrukturen hinsichtlich der dy-
namischen Langzeiteigenschaften bei Biege- und Druckbelastungen vorgenommen werden. Des
Weiteren sind anhand der Probekörper die auftretenden Bruch- und Rissausbreitungsmechanis-
men analysiert worden. Anhand der ermittelten Wöhlerkurven kann die Lebensdauer unter dy-
namischer Belastung abgeschätzt werden. Außerdem zeigen die Untersuchungen, dass Fehlstel-
len durch eine hohe Strangbreite und Überfüllungen im Bauteil für Schwachstellen in den FDM-
Verstärkungsstrukturen sorgen, an denen Risse bei Druckbelastung entstanden sind und sich
dadurch schneller ausbreiten konnten.
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019
H. A. Richard et al. (Hrsg.), Additive Fertigung von Bauteilen
und Strukturen, https://doi.org/10.1007/978-3-658-27412-2_12
186 Rissausbreitungsmechanismen in FDM-Strukturen unter dynamischer Beanspruchung
1 Einleitung
Bei dem additiven Fertigungsverfahren Fused Deposition Modeling (FDM) erfolgt die Bauteiler-
zeugung durch die schichtweise Ablage eines zuvor aufgeschmolzenen, thermoplastischen
Kunststoffstrangs. Das FDM-Verfahren ermöglicht die Herstellung von komplexen Geometrien
ohne die Verwendung von bauteilspezifischen Werkzeugen [1], [2], [3], [4], [5]. Dünnwandige
Kunststoffbauteile können mit individuell angepassten FDM-Strukturen partiell verstärkt wer-
den. Das resultierende Verbundsystem besteht aus zwei Polymeren, die im Zuge ihrer unter-
schiedlichen Eigenschaften, im Verbund und in Abhängigkeit der Gestalt der Verstärkungsstruk-
tur, zu einer Erhöhung der Festigkeit oder Steifigkeit führen. Durch die gezielte Wahl der Auf-
bauparameter der FDM-Verstärkungsstrukturen wird die Hybridstruktur (Verbundsystem) für
bestimmte Belastungsfälle verstärkt. Eine beispielhafte Hybridstruktur ist in Abbildung 1 darge-
stellt. Die verwendete FDM-Verstärkungsstruktur wird aus dem thermoplastischen Hochleis-
tungskunststoff Ultem 9085 auf einer Fortus 400mc der Firma Stratasys hergestellt.
Für die Herstellung der Hybridstruktur wird die im ersten Schritt erzeugte FDM-Verstärkungs-
struktur als Einlegeteil in den GITBlow-Prozess eingebracht. Das GITBlow-Verfahren ist ein an
der Kunststofftechnik Paderborn entwickeltes zweistufiges Spritzgießsonderverfahren. Es stellt
eine Kombination aus dem Gasinjektionsverfahren (GIT) und dem Blasformen im Spritzgieß-
werkzeug dar [6].
3 Experimentelle Untersuchungen
Bei den zu untersuchenden Probekörpern handelt es sich um eine FDM-Verstärkungsstruktur für
einen Grundträger, der im GITBlow-Verfahren hergestellt wird. Die Verstärkungsstruktur wurde
im Fused Deposition Modeling Verfahren aus dem Material Ultem 9085 hergestellt. Abbil-
dung 5a zeigt die Maße der FDM-Verstärkungsstruktur. Die verwendete Bauteilorientierung im
FDM-Prozess ist in Abbildung 5b dargestellt. Der Probekörper wird liegend mit dem dickwan-
digen Bereich auf der Bauplattform positioniert.
a) b)
Druckschwellbereich ist die Summe aus Mittelspannung und Spannungsausschlag kleiner oder
gleich Null, während bei dem Zugschwellbereich die Differenz aus Mittelspannung und Span-
nungsausschlag größer oder gleich Null ist. Im Wechselbereich ändert sich das Vorzeichen der
Spannung [15].
Für die nachfolgenden Untersuchungen wird ein spannungsgesteuerter Schwingversuch mit ei-
nem sinusförmigen Verlauf verwendet. In Tabelle 1 sind die gewählten Laststufen in Abhängig-
keit der quasistatischen maximal erzielbaren Belastungen für die beiden Beanspruchungsarten
aufgeführt. Die quasistatischen Festigkeiten sind in Voruntersuchungen ermittelt worden. Es
wurde eine dynamisch schwellende Belastung mit einer konstanten minimalen Last von 20 N
verwendet. Dies ist notwendig, um eine Überlagerung der Beanspruchung durch andere Belas-
tungsarten bei ungenauer Maschinensteuerung ausschließen zu können. Da die vorliegende
FDM-Verstärkungsstruktur im realen Einsatz insbesondere biegebeansprucht wird, werden bei
der Biegebelastung insgesamt fünf Laststufen und bei der Druckprüfung drei Laststufen unter-
sucht.
Tabelle 1: Laststufen und Kräfte in Abhängigkeit der maximalen Last
Quasistatische Maximallast Lastfall Mittelspannung Spannungsausschlag
bei Belastungsart [%] [N] [N]
70 542,50 522,50
60 465,00 445,00
Biegung
50 387,50 367,50
1.550 N
40 310,00 290,00
30 232,50 212,50
70 2.441,95 2.421,95
Druck
65 2.267,53 2.247,53
6.977 N
60 2.093,10 2.073,10
3.1 Druckbelastung
Tabelle 2 zeigt die verwendeten Prozessparameterkombinationen für die Druckbelastung. Die
für die dynamischen Untersuchungen verwendeten Prozessparameter sind auf Grundlage von
umfangreichen quasistatischen Festigkeitsuntersuchungen gewählt worden. Bei den Voruntersu-
chungen sind im Vorfeld die Haupteinflussfaktoren auf die quasistatischen Festigkeitswerte in
Abhängigkeit des jeweiligen Lastfalls mit Hilfe der statistischen Versuchsplanung detektiert
worden.
Tabelle 2: Variationen der Bauparameter für Druckbelastung
Kontur- Strangbreite Rasterwinkel Rasterfolge- Strangabstand
anzahl [mm] [°] winkel [°] [mm]
V1-D 4 0,5064 90 90 -0,03
V2-D 4 0,5064 30 0 -0,03
V3-D 4 0,8064 90 90 -0,03
Rissausbreitungsmechanismen in FDM-Strukturen unter dynamischer Beanspruchung 191
Wöhlerdiagramm Druckbelastung
70%
Spannung in Prozent der
Maximallast
V1
V1-D
65% V2
V2-D
V3
V3-D
60%
0 50000 100000 150000 200000
Erreichte Zyklen
Abbildung 7: Wöhlerdiagramm für Druckbelastungen
tendenziell um ein Umbiegen der Stränge. Eine Untersuchung dieses Bereichs bestätigt den Ein-
druck, dass sich das Material an dieser Stelle im Vergleich zum restlichen Probekörper durch
innere Reibung deutlich stärker erwärmt. Durch die Erwärmung wird der Probekörper lokal
weich und anstelle eines Risses bildet sich eine Wulst. Für den Versagensmechanismus hat diese
Umformung unter Temperatureinfluss allerdings den gleichen Effekt wie ein Riss. Durch die
lokale Schwächung verliert der gesamte Probekörper seine Steifigkeit. Dadurch wird das Aus-
knicken unter Druckbelastung erleichtert und letztendlich versagt der Probekörper. Die verwen-
deten Prozessparameter spielen dabei eine entscheidende Rolle.
a) b)
1
a) b)
3 Stränge
Durch die Problematik, dass die Wandstärke lediglich durch ein Vielfaches der Strangbreite re-
alisiert werden kann, ergibt sich ein weiterer kritischer Bereich. Abbildung 10 zeigt die Überfül-
lung des Bauteils beim Übergang von drei auf vier Stränge. Es wird deutlich, dass die einzelnen
Stränge nicht wie vorgesehen abgelegt werden können, da zu wenig Platz vorhanden ist. An
einigen Stellen liegen einzelne Stränge außerhalb der vorgesehenen Bauteilkontur. Die dadurch
hervorgerufene Überfüllung führt zu einer weiteren Schwachstelle. Es ist davon auszugehen,
dass der zweite Riss (vgl. Abbildung 8a, 2) in diesem Bereich des Bauteils entsteht.
a) b)
Abbildung 11: a) Aufgeschmolzenes Material an der Stelle des zweiten Risses; b) Fehlstellen
am Übergang der Füllung zur Kontur bei Bauvariante V3-D
194 Rissausbreitungsmechanismen in FDM-Strukturen unter dynamischer Beanspruchung
Durch diesen Effekt wird die Stabilität des Bauteils negativ beeinflusst und der dritte Riss ent-
steht (vgl. Abbildung 8a, 3). Der Riss entsteht möglicherweise beim Übergang von der Kontur
zur Füllung des Bauteils. Auch dort sind Fehlstellen zu sehen, die das Risswachstum erleichtern.
Abbildung 11b zeigt die Fehlstellen beim Übergang der Füllung zur Kontur beispielhaft an der
Bauvariante V3-D.
Insgesamt sind bei allen Bauvarianten die gleichen Versagensmechanismen zu erkennen. Bei
60 % der Maximallast ist jedoch ein signifikanter Unterschied bei den erreichbaren Zyklen fest-
zustellen. Dies ist mit den unterschiedlichen Prozessparametern zu erklären (vgl. Tabelle 2). Der
Unterschied zwischen V1-D und V3-D liegt in der Strangbreite. Durch die höhere Strangbreite
bei Bauvariante V3-D werden weniger Stränge abgelegt. Dies führt zu größeren Fehlstellen in
der Füllung im Vergleich zu Bauvariante V1-D. Diese Fehlstellen ermöglichen ein einfacheres
Ausknicken und Versagen. Bauvariante V2-D hingegen besitzt durch den alternativen Raster-
winkel von 30° ein anderes Füllmuster. Auch dort sind einige Fehlstellen zu erkennen. Durch
den Rasterwinkel von 30 % werden bei V2-D die Stränge schräg abgelegt, sodass ein Auskni-
cken im Gegensatz zu V1-D erleichtert wird. Der Einfluss der Strangablage ist im Vergleich zum
Einfluss der Strangbreite geringer.
3.2 Biegebelastung
Tabelle 3 zeigt die verwendeten Prozessparameterkombinationen für die Biegebelastung. Auch
für diesen Lastfall sind die Prozessparameter auf Grundlage der Ergebnisse aus den quasistati-
schen Voruntersuchungen bestimmt worden. Für die dynamischen Untersuchungen werden zum
einen der Rasterfolgewinkel sowie der Strangabstand variiert. Diese beiden Prozessparameter
hatten in den quasistatischen Voruntersuchungen den größten Einfluss auf die mechanischen Ei-
genschaften.
Tabelle 3: Variationen der Bauparameter für Biegebelastung
Kontur- Strangbreite Rasterwinkel Rasterfolge- Strangabstand
anzahl [mm] [°] winkel [°] [mm]
V1-B 1 0,5064 0 90 -0,03
V2-B 1 0,5064 0 0 -0,03
V3-B 1 0,5064 0 90 0
Die Ergebnisse aus den experimentellen Untersuchungen sind in Abbildung 12 in Form von
Wöhlerkurven für die Biegebelastungen zusammengefasst. Es wird deutlich, dass mit Bauvari-
ante V2-B bei niedrigeren Lasten mehr Zyklen bis zum Versagen der Probekörper erreicht wer-
den als mit den beiden alternativen Varianten. Eine statistische Auswertung der Messdaten mit
dem Programm Minitab ergibt eine Normalverteilung der Ergebnisse. Ausnahme dabei bildet
Bauvariante V2-B beim 30 % Lastfall. Mit Hilfe der ANOVA-Analyse können weitere Aussa-
gen getroffen werden. Ein signifikanter statistischer Unterschied zwischen den einzelnen Bau-
varianten kann nachgewiesen werden. Ausgenommen davon ist der 70 % Lastfall. Bei 70 % der
Maximallast ist kein statistischer Unterschied zwischen V1-B und V2-B festzustellen.
Rissausbreitungsmechanismen in FDM-Strukturen unter dynamischer Beanspruchung 195
Wöhlerdiagramm Biegebelastung
70%
Spannung in Prozent der
60%
Maximallast
V1-B
V1
50% V2
V2-B
V3
V3-B
40%
30%
0 10000 20000 30000 40000 50000 60000 70000
Erreichte Zyklen
a) b)
Zwillingspaar
Abbildung 13: a) Bauvariante V3-B mit Zwillingsbildung; b) Bauvariante V1-B ohne Zwil-
lingsbildung
Mit der Bauvariante V2-B können im Vergleich zu den anderen beiden Bauvarianten deutlich
mehr Zyklen erreicht werden. Die innere Aufbaustruktur scheint hierbei das Risswachstum zu
hemmen. Im Gegensatz dazu wird in Abbildung 14b deutlich, dass bei Bauvariante V3-B der
Riss nur bei jeder zweiten Schicht durch den Strang hindurch verläuft. Ansonsten ist ein Verlauf
des Risses durch die schwachen Schweißnähte bzw. im Bereich der Fehlstellen der anderen
Schichten zu verzeichnen, sodass der Riss deutlich schneller wächst. Da sich Bauvariante V1-B
und V3-B nur durch den Strangabstand unterscheiden, ist von einem gleichen Rissausbreitungs-
mechanismus bei beiden Bauvarianten auszugehen. Der Unterschied in der erreichten Zyklusan-
zahl ist dann mit mehr bzw. größeren Fehlstellen bei einem Strangabstand von 0 mm zu erklären.
a) b)
Abbildung 14: a) Versagen einer Schweißnaht ohne vorherigen Riss durch den benachbarten
Strang; b) Riss durch die Schweißnähte und durch die Stränge bei Bauvariante
V3-B
Bei hohen Lasten (70 % der quasistatischen Maximallast) wird mit Bauvariante V1-B die maxi-
male Zyklusanzahl erreicht. Bauvariante V1-B erreicht bei den quasistatischen Untersuchungen
Rissausbreitungsmechanismen in FDM-Strukturen unter dynamischer Beanspruchung 197
ebenfalls die höchste Festigkeit. Deshalb ist von ähnlichen Versagensmechanismen bei hohen
dynamischen und quasistatischen Belastungen auszugehen. Bei dynamischen Langzeitbeanspru-
chungen mit niedrigeren Belastungen wird mit Bauvariante V2-B die höchste Zyklusanzahl er-
reicht. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass unterschiedliche Versagensmechanismen unter
Biegebelastung auftreten. Die beiden Bauvarianten V1-B und V3-B weisen einen alternierenden
Rasterfolgewinkel auf und die Untersuchungen zeigen, dass das Risswachstum durch die
Schweißnähte der quer liegenden Stränge verläuft. Demgegenüber ist die Bauvariante V2-B mit
einem Rasterwinkel von 0° deutlich besser für die dynamische Biegebelastung geeignet, da das
Risswachstum ausschließlich durch die Stränge stattfinden muss.
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satz. Springer Vieweg, 9. Auflage, Waldbronn/Braunschweig, 2013.
[15] Schmiedel, H.: Handbuch der Kunststoffprüfung. Carl Hanser Verlag. München/Wien,
1992.
199
Numerische Simulation
zur Vorhersage von Temperaturfeldern,
Eigenspannungen und Verzug beim
selektiven Laserstrahlschmelzen
M. Käßa,b, M. Werza, S. Weihea,b
a) Materialprüfungsanstalt Universität Stuttgart (MPA)
b) Institut für Materialprüfung, Werkstoffkunde und Festigkeitslehre (IMWF),
Universität Stuttgart
Zusammenfassung
Additive Fertigungsverfahren wie das selektive Laserstrahlschmelzen ermöglichen die Herstel-
lung komplexer, individueller Bauteile aus metallischen Werkstoffen. Zur Definition geeigneter
Fertigungsparameter sind jedoch häufig verhältnismäßig aufwändige experimentelle Parame-
teranpassungen notwendig. Eine Vermeidung dieser experimentellen Anpassungen könnte durch
eine simulative Vorhersage der Bauteileigenschaften bei bestimmten Prozessparametern und
Bauteilgeometrien ermöglicht werden. Ziel der Simulationen ist die numerische Berechnung von
Temperaturfeldern, Eigenspannungen und Verzug, wie sie in realen Bauteilen während des ad-
ditiven Fertigungsprozesses auftreten. Problematisch bei einer Simulation laseradditiver Ferti-
gungsprozesse sind jedoch die unterschiedlichen Größenordnungen von Prozess und Bauteil.
In dieser Arbeit wird daher untersucht, welche Möglichkeiten zur Simulation des additiven Fer-
tigungsprozesses unter Berücksichtigung der vorliegenden physikalischen Effekte bestehen und
welche Herausforderungen sich dabei ergeben. Dazu wird beispielhaft die Fertigung einfacher
Geometrien im Finite-Elemente-Programm Abaqus 2017 simuliert, um die Eignung von Modell-
vereinfachungen und den Einfluss verschiedener Prozessparameter zu untersuchen. Dabei wer-
den eine schichtweise Elementaktivierung, eine gaußverteilte Wärmequelle und thermische so-
wie mechanische Randbedingungen im Modell verwendet, um den realen additiven Fertigungs-
prozess abzubilden.
Zunächst wird an einem Modell der Einfluss von Elementgröße und Zeitschrittweite auf berech-
nete Temperaturen, Eigenspannungen und Verzug untersucht. Dabei zeigt sich, dass eine Ab-
hängigkeit der berechneten Ergebnisse von der Elementgröße im Modell und der verwendeten
Zeitschrittweite besteht. An einem weiteren Modell wird außerdem der Einfluss der Scanstrate-
gie auf den resultierenden Eigenspannungszustand untersucht. Die Untersuchungen zeigen hier,
dass Richtungsänderungen der Scanpfade zwischen den Ebenen sowie innerhalb der Ebenen zu
einem gleichmäßigeren Spannungszustand beitragen.
Stichwörter: Selektives Laserstrahlschmelzen, Numerische Simulation,
Eigenspannungen, Verzug
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019
H. A. Richard et al. (Hrsg.), Additive Fertigung von Bauteilen
und Strukturen, https://doi.org/10.1007/978-3-658-27412-2_13
200 Numerische Simulation von Eigenspannungen beim selektiven Laserstrahlschmelzen
1 Einleitung
Additive Fertigungsmethoden bieten im Vergleich zu konventionellen Verfahren neue Möglich-
keiten in Bezug auf Konstruktionsfreiheit und Funktionsintegration. Außerdem ermöglichen ad-
ditive Fertigungsmethoden eine schnelle Realisierung von individuellen Ausführungen und
Kleinserien, da eine direkte Herstellung der Bauteile aus CAD-Daten erfolgt. Das selektive La-
serstrahlschmelzen stellt dabei ein pulverbettbasiertes additives Verfahren dar, welches die Her-
stellung metallischer Bauteile erlaubt. Hierbei wird ein pulverförmiges Ausgangsmaterial
Schicht für Schicht aufgetragen und lokal durch stark fokussierte Laserstrahlung aufgeschmol-
zen. Beim anschließenden Erstarren entsteht eine feste Verbindung mit dem darunterliegenden
Material, sodass schichtweise das zu fertigende Bauteil entsteht.
Die hohe lokale Wärmeeinbringung im Fertigungsprozess kann jedoch zur Entstehung von Ei-
genspannungen und zu einem Bauteilverzug führen. Ursache für Eigenspannungen sind behin-
derte thermische Ausdehnungen und Schrumpfungen des Werkstoffs beim Aufheizen und Ab-
kühlen [1]. Die Höhe dieser thermischen Dehnungen hängt von transienten und örtlich verschie-
denen Temperaturen im Bauteil ab. Erfolgt eine Erwärmung der oberen Schichten eines Bauteils
im Fertigungsprozess, wird deren thermische Ausdehnung durch darunterliegende steifere Be-
reiche im Bauteil oder die Bauplatte verhindert. Durch die Behinderung dieser thermischen Aus-
dehnungen oder Schrumpfungen kann es zu einer lokalen Überschreitung der Streckgrenze und
damit zu plastischen Verzerrungen kommen. Fließen tritt dabei bevorzugt in den oberen, wär-
meren Schichten auf, da das Material hier temperaturbedingt eine geringere Streckgrenze besitzt
[2]. Durch das plastische Fließen ist eine Voraussetzung zur Entstehung von Eigenspannungen
gegeben [1]. Ein Eigenspannungszustand kann sich dabei negativ auf die im Betrieb ertragbaren
Lasten auswirken [1] und zu Rissen im additiv gefertigten Bauteil führen [3]. Außerdem kann
ein aus thermischen Dehnungen resultierender Verzug zu unerwünschten Formabweichungen
oder sogar zu Kollisionen mit dem pulverauftragenden Mechanismus während der Fertigung
führen [3], [4]. Dies bedeutet, dass Eigenspannungen und Verzug zum Prozessabbruch und zur
Entstehung von Ausschussteilen führen können.
Um zeit- und kostenintensive iterative experimentelle Parameteranpassungen zu umgehen, wird
daher angestrebt, eine Vorhersage von Eigenspannungen und Verzug in Abhängigkeit der Pro-
zessparameter mit Hilfe der Finite-Elemente-Methode (FEM) durchzuführen. Damit wird einer-
seits die Sicherheit von Bauteilen im Betrieb erhöht und andererseits der Anteil von Ausschuss-
teilen in der Produktion reduziert.
Als besondere Herausforderung für eine Simulation des Fertigungsprozesses zeigen sich die un-
terschiedlichen zu betrachtenden zeitlichen und örtlichen Größenordnungen in Prozess und Bau-
teil, was eine detaillierte und zugleich ökonomische Vorhersage unmöglich macht.
In dieser Arbeit wird daher untersucht, welche Vereinfachungen möglich sind, um realistische
Ergebnisse für Verzug und Eigenspannungszustand erzielen zu können. Die Vereinfachungen
sollen zukünftig zu einem vertretbaren Rechenaufwand bei Finite-Elemente-Simulationen gan-
zer Bauteile führen. Dabei wird auf den Einfluss der räumlichen und zeitlichen Diskretisierung
eingegangen. Außerdem wird untersucht, wie mit einem thermomechanischen Simulationsansatz
ein Einfluss der Bauteilabtrennung von der Bauplatte sowie verschiedener Scanstrategien auf
Eigenspannungen und Verzüge berücksichtigt werden kann.
Numerische Simulation von Eigenspannungen beim selektiven Laserstrahlschmelzen 201
l min
Δt ≈ (1)
cd
Eine vereinfachte Definition der Größe cd für bestimmte Elemente [24] verdeutlicht die Abhän-
gigkeit der Wellenausbreitungsgeschwindigkeit von der Dichte:
E
cd ≈ (2)
ρ
Darin sind E der Elastizitätsmodul und ρ die Dichte des Werkstoffs. Aufgrund dieses Zusam-
menhangs kann die maximale stabile Zeitschrittweite durch eine Erhöhung der Dichte im Modell
vergrößert und damit die benötigte Rechenzeit verkürzt werden. Um bei Anwendung dieser Mas-
senskalierung keine falschen Ergebnisse zu erhalten, muss jedoch darauf geachtet werden, dass
Trägheitskräfte nicht die Rechnung dominieren [23]. Da im Falle der Berechnung eines AM-
Prozesses dynamische Kräfte keine Rolle in Bezug auf die im Bauteil wirkenden Spannungen
spielen, könnte die Massenskalierung ein geeignetes Mittel sein, um die Zeitschrittweite in einer
expliziten Rechnung zu vergrößern.
Numerische Simulation von Eigenspannungen beim selektiven Laserstrahlschmelzen 205
3 Numerische Untersuchungen
Die numerischen Untersuchungen zur Simulation von Temperaturfeldern, Verzug und Eigen-
spannungen bei der Fertigung durch selektives Laserstrahlschmelzen werden an zwei geomet-
risch verschiedenen Modellen durchgeführt. Zunächst wird in einer Voruntersuchung die Ferti-
gung eines Quaders simuliert, um den Einfluss von Elementgröße und Zeitschrittweite auf be-
rechnete Temperaturen, Eigenspannungen und Verzüge zu untersuchen. In einer weiteren Un-
tersuchung werden anschließend am Modell eines Würfels der Einfluss der Bauplattenabtren-
nung sowie verschiedener Scanstrategien auf Eigenspannungen und Verzug betrachtet.
Dazu wird Abaqus 2017 mit einem speziell für additive Fertigungsprozesse entwickelten Plug-
In genutzt. Dieses Plug-In wurde von Dassault Systèmes (Simulia) zur Verfügung gestellt und
ermöglicht eine unkomplizierte Umsetzung der schichtweisen Elementaktivierung. Außerdem
kann der Laser durch eine bewegte Wärmequelle mit Gaußscher Intensitätsverteilung abgebildet
werden. Die zu einer entsprechenden Scanstrategie gehörende Bewegung der Wärmequelle kann
durch tabellarische Eingabe der Bahnen realisiert werden.
In beiden Modellen wird der Werkstoff AlSi10Mg verwendet. Aufgrund unvollständiger und
streuender Daten wurden die entsprechenden Materialparameter aus [25] und [26] abgeleitet und
durch eigene Annahmen und Vereinfachungen ergänzt. Die verwendeten Werte sind in Ta-
belle 1 und 2 dargestellt. Die temperaturabhängigen Materialkennwerte für den Feststoff dienen
zur Berücksichtigung abnehmender Festigkeiten bei steigenden Temperaturen. Innerhalb des in
Tabelle 1 und 2 angegebenen Temperaturbereichs führt Abaqus eine lineare Interpolation zwi-
schen den dargestellten Kennwerten durch. Außerhalb des Temperaturbereichs wird mit kon-
stanten Kennwerten gerechnet. Für die Modellierung des Pulvers werden eine nach [17] verrin-
gerte Wärmeleitfähigkeit und verringerte mechanische Eigenschaften verwendet.
Temperatur 20 °C 600 °C
Wärmeleitfähigkeit Feststoff 110 W/(m*K) 150 W/(m*K)
Wärmeleitfähigkeit Pulver 1,1 W/(m*K) 1,5 W/(m*K)
Wärmekapazität 900 J/(kg*K) 1200 J/(kg*K)
Wärmeausdehnungskoeffizient 21*10-6 1/K 26*10-6 1/K
Tabelle 2: Streckgrenze und E-Modul für Pulver und Feststoff in Abhängigkeit von der Temperatur
(abgeleitet aus [25], [26])
Auf der Oberseite des Bauteils kommen in der thermischen Berechnung Randbedingungen zur
Modellierung von Konvektion und Strahlung in den Bauraum zum Einsatz. Daneben wird an
den seitlichen Außenflächen der Pulverschicht eine Randbedingung zur Berücksichtigung von
Wärmeleitung in das umgebende Pulverbett verwendet. Da die modellierte Bauplatte in ihrer
Größe nicht den Dimensionen einer realen Bauplatte entspricht, wird eine thermische Randbe-
dingung an der Unterseite der Bauplatte im Modell verwendet, um eine weitere Fortsetzung die-
ser nach unten abzubilden. In der mechanischen Berechnung werden alle Knoten an der Unter-
seite der Bauplatte im Modell fixiert, um eine feste Einspannung zu simulieren. Im thermischen
und mechanischen Modell wird die Verbindung zwischen Bauplatte und dem additiv gefertigten
Bauteil mit einer Kontaktbedingung modelliert.
Numerische Simulation von Eigenspannungen beim selektiven Laserstrahlschmelzen 207
3.1.1 Modellaufbau
Als Rechenbeispiel wurde ein Quader gewählt, der mit einer Bauplatte fest verbunden und seit-
lich von Pulver umgeben ist. Entsprechend eines realen Fertigungsprozesses wird der schicht-
weise Aufbau in der Simulation berücksichtigt.
Insgesamt wird die Fertigung des Quaders aus 20 Schichten mit einer Höhe von jeweils 0,05 mm
berechnet. Diese Höhe entspricht der Dicke einer Schicht im realen Prozess. Eine Darstellung
des FE-Modells zeigt Abbildung 3. Die Bauplatte hat im Modell eine Größe von 5 x 8 x 2 mm³
und ist stets mit 10.000 Hexaeder-Elementen mit einer Kantenlänge von 0,2 mm vernetzt. Der
gefertigte Quader ist durch eine Kontaktbedingung auf der Bauplatte fixiert und hat eine Größe
von 1 x 4 x 1 mm³. Um diesen Quader ist seitlich eine Pulverschicht mit einer Breite von 0,2 mm
angeordnet.
Tabelle 3 und Abbildung 4 zeigen, wie die Elementgröße von Bauraum und Pulverschicht im
Rahmen einer Parameterstudie variiert wurde. Zum Vergleich der Größenordnung ist in Abbil-
dung 4 die Schichtdicke und der Durchmesser des simulierten Laserstrahls dargestellt. Tabelle 3
zeigt, wie mit zunehmender Größe der Elemente von Quader und Pulverschicht die Anzahl der
Elemente in diesem Bereich abnimmt.
208 Numerische Simulation von Eigenspannungen beim selektiven Laserstrahlschmelzen
Tabelle 3: Modellvariationen
Elementgröße Elementanzahl
Quader & Pulverschicht Quader & Pulverschicht
Modell 1/ Elementgröße 1 0,05 x 0,05 x 0,025 mm³ 98560
Modell 2/ Elementgröße 2 0,1 x 0,1 x 0,05 mm³ 12320
Modell 3/ Elementgröße 3 0,2 x 0,2 x 0,05 mm³ 3080
Schichtdicke 0,05 mm
Eine Aktivierung der Elemente des zu fertigenden Quaders und der umgebenden Pulverschicht
erfolgt schichtweise. Zur Modellierung des Laserstrahls wird ein zeitlich veränderlicher Wär-
mestrom jeweils in die oberste Schicht eingebracht. Dazu wird im Modell eine halbkugelförmige
Volumenwärmequelle mit Gaußscher Intensitätsverteilung mit einem Durchmesser von 0,2 mm
verwendet. Die modellierte Laserquelle hat eine Scangeschwindigkeit von vs = 1000 mm/s und
eine Leistung von 300 W. Abbildung 5 zeigt die Scanstrategie, entlang welcher sich die Wärme-
quelle im Modell über jede der 20 Schichten des Quaders bewegt.
Eine diskrete Zeitschrittweite ∆t, wie sie in einer FE-Rechnung Anwendung findet, führt dazu,
dass die Wärmequelle in dieser Zeit den Weg ∆s = vs·∆t zurücklegt. Anhand der Laserleistung
und des Laserpfades ermittelt Abaqus die eingebrachte Wärmemenge für jeden in einem Zeit-
schritt durch die Wärmequelle überstrichenen Punkt. Daraus wird für jeden Punkt die durch die
Wärmequelle eingebrachte Energie über die Dauer des Zeitschrittes integriert und als gemittelter,
konstanter Wärmestrom innerhalb eines Zeitschritts aufgebracht, um dieselbe eingebrachte Wär-
memenge im Modell zu erzielen. Diese Zusammenfassung der Belichtung von Bereichen in Ab-
hängigkeit des Zeitinkrements ist eine Funktion des verwendeten Abaqus Plug-Ins und kann zur
Umsetzung verschieden starker Vereinfachungen der Scanstrategie im Modell genutzt werden.
Numerische Simulation von Eigenspannungen beim selektiven Laserstrahlschmelzen 209
Dies wird neben der Variation der Elementgröße durch die Parameterstudie untersucht. In Ta-
belle 4 sind die untersuchten Zeitschrittweiten sowie der in dieser Zeit zurückgelegte Weg im
Modell angegeben.
Tabelle 4: Angabe der untersuchten Zeitschrittweiten ∆t und der in dieser Zeit zurückgelegte Weg ∆s der
Wärmequelle – außerdem ist angegeben, welcher Dimension im Modell diese Länge entspricht
∆t [s] ∆s [mm] Entspricht im Modell
0,04 40 Scanpfad über ganze Ebene
0,02 20 Scanpfad über halbe Ebene
0,01 10 Scanpfad über viertel Ebene
0,005 5 5 Bahnlängen in Querrichtung
0,001 1 Bahnlänge in Querrichtung
0,0005 0,5 halbe Bahnlänge in Querrichtung
0,0002 0,2 Laserdurchmesser
0,00005 0,05 Schichtdicke
Wie sich die Verwendung der verschieden großen Zeitinkremente im Modell auswirkt, ist an-
hand der Abbildungen 6 bis 9 dargestellt. Gezeigt ist die resultierende Temperaturverteilung um
die Wärmequelle als Momentaufnahme in einem Zeitschritt während der Belichtung von
Schicht 10. Für ein sehr kleines Zeitinkrement von 0,0002 s kann in der Simulation der spothafte
Charakter des Lasers berücksichtigt werden. Die Größe des im Modell gleichzeitig belichteten
Bereichs innerhalb einer Schicht nimmt mit steigender Größe des Zeitinkrementes zu. Bei Ver-
wendung eines Zeitinkrementes von 0,04 s kommt es zu einer Belichtung der gesamten Ebene
am Stück.
3.1.2 Ergebnisse
Abbildung 10 zeigt einen Schnitt durch das Modell nach Abkühlung auf Raumtemperatur und
den resultierenden Eigenspannungszustand. Zusätzlich sind die Pfade eingezeichnet, entlang
welcher die in Abbildung 11 bis 15 dargestellten Größen ermittelt wurden.
Abbildung 11 zeigt die während der gesamten Fertigung entlang Pfad 1 maximal erreichte Tem-
peratur. Demnach führt eine Zunahme der Zeitschrittweite dazu, dass die in den Elementen ma-
ximal erreichte Temperatur abnimmt. Dies lässt sich damit erklären, dass zur Erreichung der
benötigten Energiemenge im Zeitschritt der Wärmestrom über eine längere Zeit gemittelt wird
und somit geringer ausfällt. Für kleine Zeitschrittweiten ist ebenfalls ein Einfluss der Element-
größe zu erkennen. Hier zeigt sich, dass bei Verwendung kleiner Elemente höhere Spitzentem-
peraturen berechnet werden. Dies kann mit einer räumlichen Mittelung der Gaußverteilung der
Wärmequelle bei Verwendung großer Elemente begründet werden.
Problematisch könnte dabei sein, dass in einigen Bereichen des Modells, bei Verwendung einer
großen Zeitschrittweite, die Schmelztemperatur des Werkstoffs in der Simulation nicht mehr
erreicht wird. Inwieweit dies die physikalischen Vorgänge bei der Berechnung von Eigenspan-
nungen beeinflusst, muss weiter untersucht werden.
Numerische Simulation von Eigenspannungen beim selektiven Laserstrahlschmelzen 211
Temperatur [°C]
1.000
800
600
400
200
0
Zeitschrittweite ∆t [s]
Abbildung 11: Während des Prozesses entlang Pfad 1 maximale erreichte Temperatur
Für eine hohe Vereinfachung der Scanstrategie durch eine große Zeitschrittweite können in Ab-
bildung 12 und 13 ebenfalls Unterschiede der berechneten Eigenspannung festgestellt werden.
Für ∆t ≤ 0,001 s zeigen die Eigenspannungen einen ähnlichen Verlauf. Ein Vergleich in Abbil-
dung 13 zeigt, dass nur geringe Abweichungen der erreichten Eigenspannungen für die drei
Netzvariationen auftreten.
250
150 200
150
100
100
∆t = 0,04 s
50 ∆t = 0,01 s 50
∆t = 0,001 s
∆t = 0,0002 s
0 0
0 1 2 3 4
y-Position im Bauteilschnitt [mm]
Zeitschrittweite ∆t [s]
Abbildung 12: Eigenspannung entlang Pfad 1 Abbildung 13: Maximale Eigenspannung ent-
nach Abkühlung (Modell 3) lang Pfad 1 nach Abkühlung
212 Numerische Simulation von Eigenspannungen beim selektiven Laserstrahlschmelzen
0,03
∆t = 0,04 s 0,006 Modell 1 (fein)
∆t = 0,01 s Modell 2 (mittel)
0,02 ∆t = 0,001 s 0,005 Modell 3 (grob)
y-Verschiebung [mm]
y-Verschiebung [mm]
∆t = 0,0002 s
0,004
0,01
0,003
0
0,002
0 1 2 3 4
0
-0,02
Zeitschrittweite ∆t [s]
Abbildung 14: y-Verschiebung entlang Pfad 2 Abbildung 15: y-Verschiebung an Position
nach Abkühlung (Modell 3) y = 2 mm von Pfad 2 nach Abkühlung
Die berechneten Verschiebungen, dargestellt in Abbildung 14 und 15, zeigen ebenfalls eine Ab-
hängigkeit von der Vereinfachung der Scanstrategie. Bei einer symmetrischen Belichtung der
gesamten Ebene (∆t = 0,04 s) treten in der Mitte des Bauteils keine Verschiebungen auf.
Dadurch entsteht eine Abweichung des Ergebnisses im Vergleich zu einer genauen zeitlichen
Auflösung der Wärmequelle. Für kleine ∆t kann der Pfad der Laserquelle, und damit die zu ver-
schiedenen Zeitpunkten unterschiedliche Energieeinbringung in eine Schicht, dagegen besser
berücksichtigt werden.
Insgesamt fällt auf, dass für einen Aluminiumwerkstoff verhältnismäßig hohe Eigenspannungen
berechnet wurden. Für eine Einschätzung, inwieweit die Höhe der berechneten Eigenspannungen
realistisch ist, sind experimentelle Eigenspannungsmessungen an realen Bauteilen notwendig.
Auf diese Weise können notwendige Anpassungen für das Modell ermittelt werden.
Numerische Simulation von Eigenspannungen beim selektiven Laserstrahlschmelzen 213
3.2.1 Modellaufbau
Zur Untersuchung der Bauplattenabtrennung und verschiedener Scanstrategien wird das Modell
eines Würfels mit einer Kantenlänge von 3 mm verwendet (siehe Abbildung16).
Abbildung 16: Modell des Würfels mit Bauplatte und umgebender Pulverschicht
Auch die Simulation der Fertigung eines Würfels wird in Abaqus 2017 unter Verwendung des
Plug-Ins als sequentiell gekoppelte thermomechanische Analyse durchgeführt. In der thermi-
schen Rechnung wird dabei eine halbkugelförmige volumetrische Wärmequelle mit einer Gauß-
schen Intensitätsverteilung genutzt, um einen Laserstrahl mit 0,2 mm Durchmesser, einer Ge-
schwindigkeit von 1000 mm/s und einer Leistung von 300 W zu modellieren.
Um den schichtweisen Aufbau des Würfels abzubilden, wird auch in diesem Modell eine schicht-
weise Elementaktivierung verwendet. Dabei werden für den Würfel Elemente mit einer Größe
von 0,15 x 0,15 x 0,05 mm³ verwendet. Die Elementhöhe von 0,05 mm entspricht dabei der
Schichtdicke des simulierten realen Prozesses. In der Bauplatte kommen Elemente mit einer
Größe von 0,3 x 0,3 x 0,3 mm³ zum Einsatz.
Für alle durchgeführten Rechnungen wird eine Vorwärmung von Pulver und Baukammer auf
50 °C vorgegeben. Nachdem in der Simulation der Bauprozess aller 60 Schichten des Würfels
fertiggestellt ist, schließt sich eine Abkühlphase an, bei welcher Würfel und Bauplatte auf Raum-
temperatur (20 °C) abgekühlt werden. Dies wird umgesetzt, indem alle oben beschriebenen
214 Numerische Simulation von Eigenspannungen beim selektiven Laserstrahlschmelzen
Randbedingungen mit einer Umgebungstemperatur von 20 °C so lange aktiv sind, bis diese Tem-
peratur im gesamten Modell weitgehend vorliegt. Nach der Fertigung und Abkühlung wird im
realen Prozess das Bauteil von der Bauplatte abgetrennt, dies erfolgt häufig durch Sägen oder
Funkenerodieren. Um diesen Abtrennvorgang zu simulieren, wird, wie in [28] beschrieben, die
oberste Elementschicht der Bauplatte durch Löschen der Elemente schrittweise entfernt. Dazu
werden die Elemente der obersten Schicht streifenweise zu Sets zusammengefasst und, wie in
Abbildung17 gezeigt, nacheinander aus dem Modell entfernt.
Zur Simulation verschiedener Scanstrategien wird im Modell der Pfad der Wärmequelle auf der
Oberfläche der zu fertigenden Schichten variiert. Abbildung 18 zeigt dazu fünf verschiedene
untersuchte Scanstrategien. Die beiden Darstellungen zeigen jeweils die Scanstrategie für
Schicht n und Schicht n + 1, welche stets abwechselnd im Modell zum Einsatz kommen. Die
lineare Scanstrategie mit 0° Verdrehung zwischen den Schichten, die mäanderförmige sowie die
schneckenförmige Scanstrategie sind für jede der 60 Schichten identisch. Bei der linearen Scan-
strategie mit 90° Verdrehung sowie der Inselscanstrategie wechseln sich die beiden gezeigten
Muster ab. Der in der Darstellung eingezeichnete Pfad beginnt für die beiden linearen Scanstra-
tegien sowie für die mäanderförmige Scanstrategie in allen Schichten jeweils oben links und
endet unten rechts.
Numerische Simulation von Eigenspannungen beim selektiven Laserstrahlschmelzen 215
1 7 2 1 6 4
6 3 8 7 3 9
4 9 5 2 8 5
mäanderförmige Scanstrategie Inselscanstrategie
schneckenförmige Scanstrategie
3.2.2 Ergebnisse
Um einen qualitativen Vergleich der berechneten Eigenspannungen und Verzüge zu ermögli-
chen, wurden diese Größen entlang der in Abbildung 19 dargestellten Pfade im Modell ausge-
wertet.
Pfad 1
Pfad 2a und 2b
Z
Y
Pfad 3a und 3b
Abbildung 19: Schematische Darstellung des Würfels mit entsprechenden Pfaden, entlang
welcher die Auswertung von Spannungen und Verformungen stattfindet
216 Numerische Simulation von Eigenspannungen beim selektiven Laserstrahlschmelzen
Die Verzüge werden stets als Differenz aus den Positionen entlang der Pfade auf gegenüberlie-
genden Seiten des Würfels errechnet. Entlang der Pfade 2a und 2b werden Verschiebungen in z-
Richtung und entlang der Pfade 3a und 3b in x-Richtung ausgewertet.
Abbildung 20 und 21 zeigen Spannungen und Verzüge im Modell für die lineare Scanstrate-
gie 0° vor und nach der Bauplattenabtrennung.
Verschiebung / mm
100
Spannung / MPa
-100 -0,02
-200
-0,03
0 1 2 3
z-Position entlang Pfad / mm
Insbesondere in den tieferen Bereichen des Würfels in Bauplattennähe zeigt sich, dass eine Ver-
änderung des Spannungszustandes durch die Abtrennung auftritt. Im oberen Bereich des Würfels
zeigen die Diagramme dagegen nur geringfügige Spannungsänderungen. Der Verzug wird in
Abbildung 21 als Abweichung von der idealen Würfelgeometrie dargestellt. Hier zeigt sich, dass
durch die Bauplattenabtrennung eine Ausdehnung in z-Richtung und eine Schrumpfung in x-
Richtung auftritt. Da, wie bereits in Kapitel 3.1 gezeigt, die räumliche Auflösung der Scanstra-
tegie im Modell von der Zeitschrittweite Δt abhängt, wird auch am Würfelmodell zunächst eine
Konvergenzstudie zur Untersuchung der Zeitschrittweite durchgeführt. Dazu zeigen Abbil-
dung 22 bis 24 die berechneten Eigenspannungen in x-, y- und z-Richtung.
Numerische Simulation von Eigenspannungen beim selektiven Laserstrahlschmelzen 217
Spannung / MPa
Δt: 0,0005 s Δt: 0,0005 s
100 Δt: 0,0002 s 100 Δt: 0,0002 s
50 50
0 0
-50 -50
-100 -100
-150 -150
0 1 2 3 0 1 2 3
z-Position entlang Pfad / mm z-Position entlang Pfad / mm
Abbildung 22: Spannung in x-Richtung ent- Abbildung 23: Spannung in y-Richtung ent-
lang Pfad 1 für lineare Scanstrategie 0° nach lang Pfad 1 für lineare Scanstrategie 0° nach
Abtrennung Abtrennung
Δt: 0,0005 s
100 Δt: 0,0002 s
50
0
-50
-100
-150
0 1 2 3
z-Position entlang Pfad / mm
Abbildung 24: Spannung in z-Richtung entlang Pfad 1 für lineare Scanstrategie 0° nach
Abtrennung-------
Eine Zeitschrittweite von Δt = 0,1 s entspricht der Zeit, die die Wärmequelle zum Belichten einer
ganzen Ebene benötigt, sodass hier eine starke Mittelung des eingebrachten Wärmestroms statt-
findet. Bei Δt = 0,0002 s wird hingegen innerhalb eines Zeitschrittes eine Distanz zurückgelegt,
die dem Durchmesser der Wärmequelle entspricht, sodass der spothafte Charakter des Laser-
strahls im Modell berücksichtigt werden kann. Die Konvergenzstudie zeigt, dass zwischen
Δt = 0,1 s und Δt = 0,001 s eine starke Variation der Ergebnisse auftritt. Diese Änderung der
218 Numerische Simulation von Eigenspannungen beim selektiven Laserstrahlschmelzen
250 250
σxx σxx
200 σyy 200 σyy
150 150
Spannung / MPa
Spannung / MPa
100 100
50 50
0 0
-50 -50
-100 -100
-150 -150
0 1 2 3 0 1 2 3
z-Position entlang Pfad / mm z-Position entlang Pfad / mm
Abbildung 25: Spannung in x- und y-Rich- Abbildung 26: Spannung in x- und y-Rich-
tung entlang Pfad 1 für lineare Scanstrate- tung entlang Pfad 1 für lineare Scanstrate-
gie 0° nach Abtrennung (Δt = 0,001 s) gie 90° nach Abtrennung (Δt = 0,001 s)
Numerische Simulation von Eigenspannungen beim selektiven Laserstrahlschmelzen 219
250 250
σxx σxx
200 σyy 200 σyy
150 150
Spannung / MPa
Spannung / MPa
100 100
50 50
0 0
-50 -50
-100 -100
-150 -150
0 1 2 3 0 1 2 3
z-Position entlang Pfad / mm z-Position entlang Pfad / mm
Abbildung 27: Spannung in x- und y-Rich- Abbildung 28: Spannung in x- und y-Rich-
tung entlang Pfad 1 für mäanderförmige tung entlang Pfad 1 für Inselscanstrategie
Scanstrategie nach Abtrennung nach Abtrennung (Δt = 0,001 s)
(Δt = 0,001 s)
100
50 -0,02
linear 0°
0 linear 90°
-50 -0,03 Mäander
Insel
-100 Schnecke
-150 -0,04
0 1 2 3
z-Position entlang Pfad / mm
Abbildung 29: Spannung in x- und y-Rich- Abbildung 30: Verzug in x-Richtung ent-
tung entlang Pfad 1 für schneckenförmige lang der Pfade 3a-3b für verschiedene Scan-
Scanstrategie nach Abtrennung strategien nach Abtrennung (Δt = 0,001 s)
(Δt = 0,001 s)
220 Numerische Simulation von Eigenspannungen beim selektiven Laserstrahlschmelzen
Abbildung 31 zeigt den Würfel nach der Simulation der schichtweisen Fertigung, der Abkühlung
auf Raumtemperatur und der Abtrennung von der Bauplatte. Die geometrische Verformung ist
hier mit einem Skalierungsfaktor von 20 dargestellt, um die berechneten Verzüge zu verdeutli-
chen.
Abbildung 31: Spannungsplot des Würfels nach Abtrennung – Verformung dargestellt mit
Skalierungsfaktor 20 – für die schneckenförmige Scanstrategie (links) und die
mäanderförmige Scanstrategie (rechts)
4 Fazit
Am Beispiel der Fertigung einfacher Geometrien, wie Quader und Würfel, wurde untersucht,
wie mit Hilfe der Methode der finiten Elemente eine Vorhersage von Temperaturfeldern, Eigen-
spannungen und Verzug beim selektiven Laserstrahlschmelzen getroffen werden kann. Dazu
wurde ein sequentiell gekoppelter thermomechanischer Simulationsansatz im FE-Programm
Abaqus 2017 mit einem für additive Fertigungsprozesse entwickelten Plug-In verwendet. In den
Modellen werden eine schichtweise Elementaktivierung, eine gaußverteilte Wärmequelle und
thermische sowie mechanische Randbedingungen verwendet, um den additiven Fertigungspro-
zess abbilden zu können. Die Wärmequelle dient zur Modellierung des Wärmeeintrags, welcher
im realen Fertigungsprozess durch den Laserstrahl erfolgt. Mit dem Plug-In ergibt sich die Mög-
lichkeit, längere Bereiche der Scanstrategie zusammenzufassen und gleichzeitig zu belichten,
was zu einer räumlichen und zeitlichen Mittelung des durch die Wärmequelle eingebrachten
Wärmestroms führt. Dies stellt eine Methode der Vereinfachung im Modell dar, welche zur Re-
duzierung des Rechenaufwandes genutzt werden kann.
An einem ersten Modell wurde der Einfluss von Elementgröße und Zeitschrittweite auf berech-
nete Temperaturen, Eigenspannungen und Verzüge untersucht. Die Ergebnisse dieser Vorunter-
suchung am Modell des Quaders zeigen, dass eine Abhängigkeit der berechneten Ergebnisse von
der Elementgröße im Modell und der verwendeten Zeitschrittweite besteht. Dies ist auf die räum-
liche und zeitliche Mittelung des im Modell eingebrachten transienten Wärmestroms zurückzu-
führen. Insbesondere die im Modell berechneten maximalen Temperaturen variieren je nach
Größe des verwendeten Zeitinkrements. Werden hier sehr große Vereinfachungen gewählt, ist
es möglich, dass die Schmelztemperatur des Materials im Modell teilweise nicht mehr erreicht
Numerische Simulation von Eigenspannungen beim selektiven Laserstrahlschmelzen 221
wird. Dies bedeutet, dass die physikalischen Vorgänge beim Aufschmelzen und Erstarren des
Werkstoffs nur noch bedingt im Modell berücksichtigt werden können. Die Höhe der berechne-
ten Eigenspannungen hängt ebenfalls von der räumlichen und zeitlichen Diskretisierung ab, je-
doch stellt sich für kleiner werdende Elementgrößen bzw. Zeitschrittweiten eine Konvergenz
ein. Auf den berechneten Verzug hat insbesondere die Größe der zusammengefassten Bereiche
der Scanstrategie einen Einfluss. Werden ganze Schichten gleichzeitig belichtet, gehen Asym-
metrien aus einer transienten Bewegung der Wärmequelle im Modell verloren.
An einem zweiten Modell wurde der Einfluss der Bauplattenabtrennung und der Scanstrategie
auf den resultierenden Eigenspannungszustand untersucht. Ein Ergebnis dieser Untersuchungen
am Modell des Würfels ist, dass die Abtrennung des Bauteils von der Bauplatte zu einer Umver-
lagerung der Eigenspannungen führt. Auch an diesem Modell wurde die Größe der Zeitschritt-
weite, und damit die Vereinfachung der Scanstrategie, untersucht. Es zeigt sich eine Konvergenz
der berechneten Eigenspannungen für kleiner werdende Zeitschrittweiten. Insgesamt zeigen die
Ergebnisse der Berechnungen dabei Zugeigenspannungen in oberen Bauteilbereichen, welche
im Bauteilinneren in Druckeigenspannungen übergehen, was sich qualitativ mit den in [2] und
[3] beschriebenen Verläufen deckt. Die Untersuchungen der Scanstrategien zeigen, dass mit dem
Simulationsmodell qualitative Unterschiede berechnet werden können. Scanstrategien mit lan-
gen linearen Pfaden, die über die Bauteilhöhe nicht in ihrer Richtung verändert werden, zeigen
dabei die größte Richtungsabhängigkeit der Eigenspannungen und des Verzugs. Richtungsände-
rungen zwischen den Ebenen (lineare Scanstrategie mit 90° Verdrehung) sowie innerhalb der
Ebenen (insel- und schneckenförmige Scanstrategie) tragen zu einem gleichmäßigeren Span-
nungszustand bei.
Um eine experimentelle Untersuchung von Eigenspannungen und eine Validierung der numeri-
schen Modelle durchführen zu können, sind geeignete Verfahren zur Eigenspannungsmessung
notwendig. An der Materialprüfungsanstalt Universität Stuttgart wird daher momentan unter-
sucht, inwieweit sich etablierte Verfahren, wie beispielsweise die Bohrlochmethode und die
Konturmethode, für eine Anwendung auf additiv gefertigte Metallbauteile eignen.
Literatur
[1] E. Roos, K. Maile, and M. Seidenfuß, Werkstoffkunde für Ingenieure, 6th ed. Berlin:
Springer-Vieweg, 2017.
[2] P. Mercelis and J. Kruth, “Residual stresses in selective laser sintering and selective laser
melting,” Rapid Prototyping Journal, vol. 12, no. 5, pp. 254–265, 2006.
[3] Y. Liu, Y. Yang, and D. Wang, “A study on the residual stress during selective laser
melting (SLM) of metallic powder,” Int J Adv Manuf Technol, vol. 87, no. 1-4, pp. 647–
656, 2016.
[4] D. Buchbinder, G. Schilling, W. Meiners, N. Pirch, and K. Wissenbach, “Untersuchung
zur Reduzierung des Verzugs durch Vorwärmung bei der Herstellung von Alumini-
umbauteilen mittels SLM,” RTejournal, 2011.
[5] S. Kolossov, E. Boillat, R. Glardon, P. Fischer, and M. Locher, “3D FE simulation for
temperature evolution in the selective laser sintering process,” International Journal of
Machine Tools and Manufacture, vol. 44, no. 2-3, pp. 117–123, 2004.
[6] N. Contuzzi, S. L. Campanelli, and A. D. Ludovico, “3D Finite Element Analysis in the
selective laser melting process,” Int. j. simul. model., vol. 10, no. 3, pp. 113–121, 2011.
222 Numerische Simulation von Eigenspannungen beim selektiven Laserstrahlschmelzen
Sachwortverzeichnis
H N
Hauptnormalspannung 16 Nachbehandlung 106, 127, 134, 140, 142
Härteprüfung 90 Nickelbasiswerkstoff 85
Heißisostatisches Pressen (HIP) 85 Numerische Analyse 9, 10, 13, 15, 47, 49,
Hochtemperatureigenschaften 145 199, 205
Hochtemperaturversuch 149
Hüftimplantat 35, 48
Hybrid-Konstruktion 57
O
Oberflächenbeschaffenheit 104
Oberflächennachbehandlung 127, 134, 140
I Optimierung 1, 3, 4, 57, 63
ICP-OES 75 Optimierungsstrategie 1, 5, 11
Identifikation 59
Implantat 42
Inconel 111, 119, 148
P
Incremental Step Test 101 Parameter 187
Partikelgrößenbestimmung 76, 176
PhyBal 57, 63
K Polyamid 174
Kalibrierkurve 180 Pore 85, 91
Kerbschlagarbeit 61 PowderGenetics© 71, 78
Kinematik 39 Präoperative Planung 35, 36
Knoten-element 110 Probe 111, 129, 134, 176, 189
Konstruktion 63 Probenerwärmung 178
Kontakt 51 Produktentwicklung 108
Knickstabilität 15 Prothese 52
Kunststoff 171, 185 Prozessparameter 87, 132
Prüfaufbau 17
Prüffrequenz 171
L Prüfparameter 177
Laserauftragsschweißen 148 Prüftemperatur 175
Lebensdauer 123 Prüfverfahren 7, 18, 114
Leichtbau 1 Pulvercharakterisierung 71, 176
Leichtbaukonstruktion 1 -, chemische Methode 75
Leichtbaupotential 11 -, physikalische Methode 75
Laser-Strahlschmelzen 1, 52, 127, 199 Pulvereigenschaften 74
Lichtmikroskopie 90 -, chemische Zusammensetzung 79
Pulverpartikelverteilung 28, 176
Sachwortverzeichnis 225
Q T
Qualitätsmanagement 23 Temperatur 145, 175, 199, 201, 211
Qualitätssicherung 23 Thermoplast 174
Qualitätssicherungskonzept 24 Thermomechanik 206
Thresholdwert 162, 165
TiAl6V4 6, 46, 82, 157, 164
R Ti-48Al-2Cr-2Nb 148
R-Verhältnis 166 Topologieoptimierung 3, 57, 65, 110
Radträger 28, 33 Turbinenschaufel 88
Radiologie 38
Randbedingung 5, 47
Rasterelektronenmikroskopie 80, 90 U
Rekonstruktion 39 Unregelmäßigkeit 104
Restgewaltbruch 20
Rissausbreitung 185
Rissfortschritt 16, 157
V
Rissfortschrittskurve 157, 160, 171, 182 Validierung 28, 53, 67
Risslängenmessung 171, 173 Verformung 132
Risswachstum 20 Versagen 196
Risswachstumssimulation 19 Versagensmechanismus 191
Risszähigkeit 164 Verstärkungsstruktur 185
Versuchsaufbau 131, 149, 159
Versuchsdurchführung 131, 159
S Verzug 199, 201
Scanstrategie 208, 213
Schweißnaht 196
Schwingfestigkeit 101, 105, 185
W
Schwingprobe 135 Wärmebehandlung 101, 168
Selektives Laser-Strahlschmelzen siehe Wärmeausdehnungskoeffizient 205
Laser-Strahlschmelzen Wärmekapazität 205
Sicherheitsklasse 27 Wärmeleitfähigkeit 205
Spannungs-Dehnungsverhalten 108, 175 Werkstoffkennwert 6, 46, 60
, -zyklisch 117, 121 Werkstoff
Spannungsintensitätsfaktor 162, 182 -, 316L (1.4404) 61, 157, 167
Spannungs-Stauchungs-Kurve 151 -, AlSi10Mg 28, 111, 113, 116, 127,
Spannungsverteilung 51 157, 167, 205
Spektroskopie 174 -, Fe-20Cr-4,5Al-0,5Ti
Stabilität 44 -, Inconel 111, 119,148
Statische Belastung 129, 132 -, Nickelbasiswerkstoff 85
Stauchgrenze 151 -, Polyamid 174
Steifigkeit 45, 48, 122 -, TiAl6V4 6, 46, 82, 157, 164
Strategie 64 -, Ti-48Al-2Cr-2Nb 148
Streckgrenze 61, 205 Werkstoffverhalten 101, 112, 177
Struktur 1, 2, 101 Wirtschaftszweig 72
Strukturbauteil 1 Wöhlerkurve 63, 105, 141, 191, 195
Strukturmechanik 1, 5, 8
Strukturoptimierung 42
Stützstruktur 28
226 Sachwortverzeichnis
Z Zugprobe 134
Zwangsbedingung 5, 47
Zeitintegration 204 Zyklische Belastung 57, 101, 112, 114,
Zeitschrittweite 207 127, 130, 134, 140, 157, 161
Zugbelastung 188
Zugfestigkeit 61, 136
227
Nehmen Sie an DVM-Veranstaltungen teil, informieren Sie sich über Vorteile einer Mitglied-
schaft im DVM oder werden Sie aktiv in einem unserer Arbeitskreise!
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Gutshaus Schloßstraße 48
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Zur Information:
Die Tagungen des Arbeitskreises „Additive gefertigte Bauteile und Strukturen“ finden jährlich
im November in Berlin statt.
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H. A. Richard et al. (Hrsg.), Additive Fertigung von Bauteilen
und Strukturen, https://doi.org/10.1007/978-3-658-27412-2