2012 Book PhysikFürIngenieure

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Springer Lehrbuch

Ekbert Hering · Rolf Martin · Martin Stohrer

Physik
für Ingenieure
11., bearbeitete Auflage
Mit 810 Abbildungen, 116 Tabellen und 2 Falttafeln

123
Prof. Dr. rer. nat. Dr. rer. pol. Ekbert Hering
Hochschule Aalen

Prof. Dr. rer. nat. Dr. h. c. Rolf Martin


Hochschule Esslingen

Prof. Dr. rer. nat. Martin Stohrer †

unter Mitarbeit von


Prof. Dr. Hanno Käß, Hochschule Esslingen
Prof. Dr. Axel Löffler, Hochschule Aalen
Prof. Dr. G. Kurz, Hochschule Esslingen
Dr. rer. nat. Wolfgang Schulz, Zweckverband Landeswasserversorgung Stuttgart

ISSN 0937-7433
ISBN 978-3-642-22568-0 ISBN 978-3-642-22569-7 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-642-22569-7
Springer Heidelberg Dordrecht London New York

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Zum Geleit

Physikalische Grundlagen sind für den Ingenieur unerlässlich, weil sie sowohl prinzipielle Grenzen
aufzeigen als auch eine klare Orientierung im schneller werdenden technischen Wandel bieten.
Quantentheorie und Festkörperphysik sind derzeit die Schrittmacher des technischen Fortschritts;
deshalb wird ihnen in diesem Buch der gebührende Platz eingeräumt. Mein Wunsch ist, dass die
Erkenntnisse aus der physikalischen Grundlagenforschung einen erkennbaren praktischen Nutzen
zeigen. So wie der Quanten-Hall-Effekt nicht nur die physikalischen Grundlagen gefördert hat,
sondern auch in der Präzisionsmesstechnik als Widerstandsnormal von Bedeutung ist, sollte die
Verbindung zwischen physikalischen Grundlagen und ingenieurmäßiger Umsetzung enger und
effektiver werden.
Möge dieses Buch einen Beitrag dazu leisten.

Prof. Dr. Klaus von Klitzing


Nobelpreisträger der Physik 1985

Vorwort zur elften, aktualisierten Auflage


Mit der vergangenen 10. Auflage, der Jubiläumsausgabe des Werkes, wurden umfangreiche
Aktualisierungen und Verbesserungen vorgenommen. Diese wurden von unseren Lesern sehr
begrüßt. Sie haben uns auch ermuntert, die Struktur des Werkes beizubehalten, die Zusam-
menhänge in Übersichten zu verdichten, viele praktische Beispiele aus dem Ingenieuralltag
vorzustellen und die physikalischen Zusammenhänge kompakt und klar strukturiert darzu-
stellen. Vor allem aber die Übungsaufgaben und die ausführliche Darlegung der Lösungswege
fanden überall großes Lob. Ein Markenzeichen des Werkes ist auch, dass wir die aktuellen DIN-
Normen benennen und uns auch strikt daran halten. Damit geben wir unseren Lesern für den
praktischen Einsatz wichtige aktuelle und verlässliche Hinweise. Auch in der 11. Auflage haben
wir deshalb die neuesten Normen eingepflegt. Viele Bilder wurden durch aktuellere ersetzt sowie
die Formulierungen komplexer Zusammenhänge noch treffender vorgenommen.
Mit großer Erschütterung haben wir erleben müssen, dass unser Mitherausgeber und Koautor
Prof. Dr. Martin Stohrer durch einen tragischen Bergunfall tödlich verunglückt ist. Wir verlie-
ren mit ihm einen exzellenten Fachmann auf dem Gebiet der Akustik und der Wärme- und
Stoffübertragung, einen maßgebenden und engagierten Verfechter der erfolgreichen Struktur
dieses Werkes sowie einen langjährigen, liebenswerten Freund. Er hat die letzte Auflage noch
maßgeblich mitgestaltet und hat noch die Jubiläumsauflage erleben können. Möge dieses Werk
in seiner 11. Auflage ihm ein verdientes und ehrendes Andenken bewahren.
Um unser Werk auch in Zukunft erfolgreich weiterentwickeln zu können, haben wir zwei junge
engagierte Physiker mit praktischer Erfahrung in der Industrie und Lehrerfahrung an Hoch-
schulen gewinnen können. Dies sind Prof. Dr. Hanno Käß von der Hochschule Esslingen und
Prof. Dr. Axel Löffler von der Hochschule Aalen. Sie werden die fachliche Lücke füllen, die Herr
Prof. Dr. Martin Stohrer hinterlassen hat, aber auch ihre aktuelle Lehrerfahrung und ihr Wissen
in dieses Werk einbringen. Darauf freuen wir uns sehr.
VI Vorwort

Dank sagen möchten wir vor allem Herrn Dr. Hubertus von Riedesel und Frau Eva Hestermann-
Beyerle vom Springer Verlag. Sie gaben uns die Chance, das erfolgreiche Werk inhaltlich zu
aktualisieren. Mit ihrer professionellen und freundlichen Betreuung haben sie uns immer mo-
tiviert, mit großem Energieeinsatz an diesem Werk zu arbeiten. Die außerordentlich positive
Resonanz von Studierenden, Kollegen und Mitarbeiter aus der Industrie und die vielen ermun-
ternden Zuschriften und Verbesserungsvorschläge haben dieses Werk zusätzlich aktualisiert. In
alter Verbundenheit möchten wir die Kollegen aus der Universität München erwähnen: Prof. Dr.
J. de Boer, Prof. Dr. K. E. G. Löbner und Prof. Dr. K.-H. Speidel sowie die Kollegen Prof. Dr. J. Massig
und Prof. Dr. D. Weber von der Hochschule Aalen. Stellvertretend für die vielen Persönlichkeiten,
die uns beim Gelingen dieses aktuellen Werkes unterstützt haben, möchten wir nennen: Herrn
Dr. Norbert Südland von der Universität Ulm für die Durchrechnung vieler Übungsaufgaben und
die wertvollen Hinweise, Prof. Dr. U. Weiss von der Universität Stuttgart, Prof. Dr. G. Prillinger
und Frau Prof. Dr. R. Hiesgen von der Hochschule Esslingen, Herrn Dr. R. Behr von der Physika-
lisch Technischen Bundesanstalt sowie Herrn Dr. H. D. Rüter von der Universität Hamburg, der
uns bei der Darstellung der Quantenmechanik sehr geholfen hat. Ausgezeichnete Unterstützung
erhielten wir wieder von Fachleuten aus der Industrie, denen wir allen ganz herzlich danken
möchten.
Wir wünschen unseren Lesern beim Lesen des Werkes gute Erkenntnisse in der faszinierenden
Welt der Physik und viel Freude beim Lernen. Sehr gerne nehmen wir konstruktive Hinweise
aus dem sachkundigen Leserkreis auf und freuen uns auf Ihre Hinweise.
Aalen, Esslingen, Stuttgart Ekbert Hering
Sommer 2011 Rolf Martin

Vorwort zur ersten Auflage


Das vorliegende Lehrbuch gibt eine Einführung in die physikalischen Grundlagen der Ingenieur-
wissenschaften. Es ist das Anliegen des Buches, eine Brücke zu schlagen zwischen grundlegenden
physikalischen Effekten und den Anwendungsfeldern der Ingenieurpraxis. Es ist deshalb selbst-
verständlich, dass ausschließlich SI-Maßeinheiten verwendet werden und in den entsprechenden
Abschnitten auf DIN- bzw. ISO-Normen hingewiesen wird. Bei der Stoffauswahl sind besonders
die modernen Teilgebiete berücksichtigt, wie beispielsweise Festkörperphysik (einschließlich
Halbleiterphysik und Optoelektronik), technische Akustik, Lasertechnik, Holografie, Klimatech-
nik und Wärmeübertragung sowie in der Atom- und Kernphysik der quantisierte Hall-Effekt.
Ein Sonderabschnitt Strahlenschutz informiert über die Strahlenbelastung aus Kernkraftwerken,
über die physikalische und biologische Wirksamkeit radioaktiver Stoffe, die Strahlenmesstechnik
sowie über die neuen gesetzlichen Vorschriften zum Strahlenschutz.
Zum mathematischen Verständnis sind die Verfahren der Differential-, Integral- und Vektor-
rechnung notwendig; allerdings sind die entsprechenden Herleitungen so ausführlich, dass auch
der Leser mit geringen Vorkenntnissen zu folgen vermag. Das Buch ist so konzipiert, dass es sich
nicht nur an Studenten wendet, sondern auch praktizierenden Ingenieuren die physikalischen
Grundlagen zur Einarbeitung in neue Fachgebiete und zur Weiterbildung liefert. Somit ist es
auch eine Basis für eine flexible berufliche Entwicklung.
Vorwort VII

Im ersten Abschnitt sind die Methode physikalischen Erkennens und der Aufbau der Physik
erläutert. Die Physik soll in ihren Zusammenhängen begriffen und nicht als bloße Aneinan-
derreihung spezieller physikalischer Gesetze missdeutet werden. Der Stoff ist in die Abschnitte
Mechanik, Thermodynamik, Elektrizität und Magnetismus, Schwingungen und Wellen, Optik,
Akustik, Atom- und Kernphysik, Festkörperphysik sowie Relativitätstheorie eingeteilt. Jedem
Abschnitt ist ein Strukturbild vorangestellt, das die jeweiligen Teilbereiche und ihre gesetzmäßi-
gen Zusammenhänge aufzeigt. Damit soll das Denken in Zusammenhängen gefördert und den
Details ihr Platz im Gesamtgefüge zugewiesen werden. Übergreifende Darstellungen (z. B. beim
Feldbegriff in der Mechanik, Thermodynamik und Elektrizitätslehre) sollen dem Leser darüber
hinaus das universelle Denkkonzept der Physik vor Augen führen. Komplizierte Zusammen-
hänge sind in zweifarbigen Skizzen oder durch Rechnerausdrucke veranschaulicht; zahlreiche
Bilder aus der Technik vermitteln einen aktuellen Praxisbezug.
Um zu zeigen, wie sich die physikalische Erkenntnis durch die Genialität einzelner Physiker
sprunghaft entwickelt hat, sind in den entsprechenden Abschnitten die Meilensteine der Physik
und ihre Wegbereiter genannt und im Anhang die Physik-Nobelpreisträger aufgeführt.
Zur Vertiefung des Verständnisses enthalten viele Unterabschnitte aus der Ingenieurpraxis stam-
mende Berechnungsbeispiele. Aufgaben (mit Lösungen im Anhang) ermöglichen es dem Leser,
selbst den Stoff zu üben und sein physikalisches Wissen zu vertiefen. Um alternative Fragestel-
lungen zu untersuchen und physikalische Sachverhalte graphisch zu veranschaulichen, wurden
programmierbare Rechner verwendet. Den Firmen Casio und Sharp, insbesondere den Herren
Newerkla und Wachter, möchten wir für die Bereitstellung programmierbarer Taschenrechner
danken.
Wir danken unseren akademischen Lehrern und Vorbildern, die uns zur physikalischen Erkennt-
nis geführt haben, vor allem den Professoren U. Dehlinger, H. Haken, M. Pilkuhn, A. Seeger und
C. F. von Weizsäcker. Für konstruktive Kritik bedanken wir uns bei unseren Kollegen H. Bauer,
M. Käß, P. Kleinheins, G. Kneer, J. Linser und R. Schempp. Frau G. Folz und den Herren K. Schmid
und A. Plath danken wir für ihre tatkräftige Mithilfe. Der Unterstützung vieler Firmen ist es
zu verdanken, dass aktuelles Anschauungsmaterial bereitgestellt werden konnte. Hierbei sind
besonders folgende Firmenmitarbeiter zu erwähnen: B. Imb (BBC), P. Gradischnig (BMW), D.
Stöckel und P. Tautzenberger (Rau), M. Mayer (Osram), F. Schreiber (Siemens), H. Garrels (Varta)
und H. Schweikart (Voith). Ganz besonderer Dank gebührt dem VDI-Verlag, speziell Herrn
Dipl.-Ing. H. Kurt, der das Lektorieren übernahm und für die reibungslose Abwicklung in er-
freulicher Atmosphäre sorgte. Dabei wurde er in den Abschnitten 2, 3 und 6 von Professor F.
Hell in besonders sachkundiger Weise unterstützt. Zuletzt möchten wir unseren Familien für
ihre Geduld, ihre moralische Unterstützung und ihr großes Verständnis danken.
Wir hoffen, dass dieses Buch den Ingenieurstudenten eine gute Hilfe beim Erarbeiten physika-
lischer Zusammenhänge und den Ingenieuren in der Praxis ein brauchbares Nachschlagewerk
ist. Gern nehmen wir Kritik und Verbesserungsvorschläge entgegen.

Aalen, Esslingen und Stuttgart, Ekbert Hering


Januar 1988 Rolf Martin
Martin Stohrer
Inhaltsverzeichnis

Verwendete physikalische Symbole . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XVII

1 Einführung
1.1 Physikalischer Erkenntnisprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3
1.2 Bereiche der physikalischen Erkenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5
1.3 Physikalische Größen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8
1.3.1 Definition und Maßeinheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8
1.3.2 Messgenauigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14
1.3.3 Fehlerfortpflanzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18
1.3.4 Kurvenanpassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18
1.3.5 Ausgleichsgeradenkonstruktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21
1.3.6 Korrelationsanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22

2 Mechanik
2.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29
2.2 Kinematik des Punktes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29
2.2.1 Eindimensionale Kinematik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30
2.2.2 Dreidimensionale Kinematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36
2.2.3 Kreisbewegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39
2.3 Grundgesetze der klassischen Mechanik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43
2.3.1 Konzept der klassischen Dynamik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43
2.3.2 Die Newton’schen Axiome. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43
2.3.3 Masse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44
2.3.4 Kraft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45
2.4 Dynamik in bewegten Bezugssystemen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50
2.4.1 Relativ zueinander geradlinig bewegte Bezugssysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50
2.4.2 Gleichförmig rotierende Bezugssysteme. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52
2.5 Impuls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56
2.5.1 Impuls eines materiellen Punktes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56
2.5.2 Impuls eines Systems materieller Punkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58
2.5.3 Raketengleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60
2.6 Arbeit und Energie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62
2.6.1 Arbeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62
2.6.2 Leistung, Wirkungsgrad . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64
2.6.3 Energie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66
2.6.4 Energieerhaltungssatz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67
2.7 Stoßprozesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68
2.7.1 Übersicht und Grundbegriffe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68
2.7.2 Gerader, zentraler, elastischer Stoß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69
2.7.3 Gerader, zentraler, unelastischer Stoß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71
2.7.4 Schiefe, zentrale Stöße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73
X Inhaltsverzeichnis

2.8 Drehbewegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75
2.8.1 Drehmoment. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75
2.8.2 Newton’sches Aktionsgesetz der Drehbewegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75
2.8.3 Arbeit, Leistung und Energie bei der Drehbewegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77
2.8.4 Drehbewegungen von Systemen materieller Punkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78
2.8.5 Analogie Translation und Rotation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79
2.9 Mechanik starrer Körper . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80
2.9.1 Freiheitsgrade und Kinematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80
2.9.2 Kräfte am starren Körper . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82
2.9.3 Schwerpunkt und potentielle Energie eines starren Körpers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85
2.9.4 Kinetische Energie eines starren Körpers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86
2.9.5 Massenträgheitsmomente starrer Körper . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88
2.9.6 Kreisel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95
2.10 Gravitation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101
2.10.1 Beobachtungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101

3 Thermodynamik
3.1 Grundlagen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175
3.1.1 Einführung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175
3.1.2 Thermodynamische Grundbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177
3.1.3 Temperatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179
3.1.4 Thermische Ausdehnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181
3.1.5 Allgemeine Zustandsgleichung idealer Gase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185
3.2 Kinetische Gastheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188
3.2.1 Gasdruck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188
3.2.2 Thermische Energie und Temperatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190
3.2.3 Geschwindigkeitsverteilung der Gasmoleküle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192
3.3 Hauptsätze der Thermodynamik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194
3.3.1 Wärme. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194
3.3.2 Erster Hauptsatz der Thermodynamik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197
3.3.3 Berechnung der Wärmekapazitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201
3.3.4 Spezielle Zustandsänderungen idealer Gase. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204
3.3.5 Kreisprozesse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212
3.3.6 Zweiter Hauptsatz der Thermodynamik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222
3.3.7 Thermodynamische Potentiale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229
3.3.8 Dritter Hauptsatz der Thermodynamik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231
3.4 Zustandsänderungen realer Gase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232
3.4.1 Van-der-Waals’sche Zustandsgleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233
3.4.2 Gasverflüssigung (Joule-Thomson-Effekt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236
3.4.3 Phasenumwandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237
3.4.4 Dämpfe und Luftfeuchtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245
3.5 Wärmeübertragung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248
3.5.1 Wärmeleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248
Inhaltsverzeichnis XI

3.5.2 Konvektion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254


3.5.3 Wärmestrahlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258
3.5.4 Wärmedurchgang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264

4 Elektrizität und Magnetismus


4.1 Physikalische Gesetze und Definitionen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270
4.1.1 Ladung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271
4.1.2 Stromstärke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273
4.1.3 Spannung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273
4.1.4 Widerstand und Leitwert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275
4.1.5 Ohm’sches Gesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278
4.1.6 Kirchhoff’sche Regeln im verzweigten Stromkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278
4.1.7 Schaltung von Widerständen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281
4.1.8 Messbereichserweiterung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283
4.1.9 Ausgewählte Messanordnungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285
4.1.10 Klemmenspannung und innerer Widerstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287
4.1.11 Schaltung von Spannungsquellen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288
4.1.12 Elektrische Leistung und elektrische Arbeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290
4.2 Ladungstransport in Flüssigkeiten und Gasen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292
4.2.1 Ladungstransport in Flüssigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292
4.2.2 Ladungstransport im Vakuum und in Gasen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308
4.2.3 Plasmaströme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317
4.3 Elektrisches Feld. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317
4.3.1 Allgemeiner Feldbegriff. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317
4.3.2 Beschreibung des elektrischen Feldes. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318
4.3.3 Elektrische Feldstärke und Kraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319
4.3.4 Elektrische Feldstärke und elektrostatisches Potential . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321
4.3.5 Bewegung geladener Teilchen im elektrischen Feld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326
4.3.6 Leiter im elektrischen Feld. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331
4.3.7 Nichtleiter im elektrischen Feld, elektrische Polarisation und Permittivitätszahl . . . . . 340
4.3.8 Energieinhalt des elektrischen Feldes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350
4.4 Magnetisches Feld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351
4.4.1 Beschreibung des magnetischen Feldes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351
4.4.2 Magnetische Feldstärke und Durchflutungsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352
4.4.3 Magnetische Flussdichte und Kraftwirkungen im Magnetfeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357
4.4.4 Materie im Magnetfeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368
4.5 Instationäre Felder. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383
4.5.1 Elektromagnetische Induktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383
4.5.2 Periodische Felder (Wechselstromkreis) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 390
4.5.3 Ein- und Ausschaltvorgänge in Stromkreisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 404
4.5.4 Messgeräte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 408
4.5.5 Zusammenhang elektrischer und magnetischer Größen – Maxwell’sche Gleichungen 412
XII Inhaltsverzeichnis

5 Schwingungen und Wellen


5.1 Schwingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 419
5.1.1 Physikalische Grundlagen schwingungsfähiger Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 419
5.1.2 Freie Schwingung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 423
5.1.3 Erzwungene Schwingung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 443
5.1.4 Überlagerung von Schwingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 450
5.1.5 Schwingungen mit mehreren Freiheitsgraden (gekoppeltes Schwingungssystem). . . 459
5.1.6 Nichtlineare Schwinger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 463
5.1.7 Parametrisch erregte Schwingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 463
5.2 Wellen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 464
5.2.1 Physikalische Grundlagen der Wellenausbreitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 464
5.2.2 Harmonische Wellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 468
5.2.3 Doppler-Effekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 474
5.2.4 Interferenz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 477

6 Optik
6.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 491
6.2 Geometrische Optik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 492
6.2.1 Lichtstrahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 492
6.2.2 Reflexion des Lichtes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 493
6.2.3 Brechung des Lichtes. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 499
6.2.4 Abbildung durch Linsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 510
6.2.5 Blenden im Strahlengang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 522
6.2.6 Abbildungsfehler. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 523
6.2.7 Optische Instrumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 523
6.3 Radio- und Fotometrie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 534
6.3.1 Einführung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 534
6.3.2 Strahlungsphysikalische Größen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 534
6.3.3 Lichttechnische Größen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 542
6.3.4 Farbmetrik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 545
6.4 Wellenoptik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 549
6.4.1 Interferenz und Beugung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 549
6.4.2 Polarisation des Lichtes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 578
6.5 Quantenoptik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 588
6.5.1 Lichtquanten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 588
6.5.2 Dualismus Teilchen–Welle. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 592
6.5.3 Wärmestrahlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 593
6.5.4 Laser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 596
6.5.5 Materiewellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 600
6.6 Abbildung mikroskopischer Objekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 603
6.6.1 Beugungsbegrenzte Abbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 603
6.6.2 Überwindung der Beugungsbegrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 606
Inhaltsverzeichnis XIII

7 Akustik
7.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 613
7.2 Schallwellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 614
7.2.1 Schallausbreitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 614
7.2.2 Schallwandler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 619
7.2.3 Schallwellen an Grenzflächen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 624
7.3 Schallempfindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 630
7.3.1 Physiologische Akustik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 630
7.3.2 Musikalische Akustik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 634
7.4 Technische Akustik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 638
7.4.1 Raumakustik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 638
7.4.2 Luftschalldämmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 641
7.4.3 Körperschalldämmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 642
7.4.4 Strömungsgeräusche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 645
7.4.5 Ultraschall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 647
7.4.6 Schalleinsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 649

8 Atom- und Kernphysik


8.1 Bohr’sches Atommodell. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 654
8.1.1 Optisches Spektrum des Wasserstoffatoms. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 654
8.1.2 Bohr’sche Postulate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 657
8.1.3 Quantenbedingungen nach Bohr/Sommerfeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 659
8.2 Quantentheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 659
8.2.1 Hamilton-Operator . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 662
8.2.2 Schrödinger-Gleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 664
8.2.3 Unschärferelation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 669
8.2.4 Quantenmechanik des Wasserstoffatoms . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 673
8.2.5 Quanten-Hall-Effekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 677
8.2.6 Tunneleffekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 684
8.3 Bahn- und Spinmagnetismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 686
8.3.1 Zeeman- und Stark-Effekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 690
8.3.2 Elektronen- und Kernspinresonanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 690
8.4 Systematik des Atombaus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 692
8.4.1 Periodensystem der Elemente. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 692
8.4.2 Aufbau der Elektronenhülle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 693
8.5 Röntgenstrahlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 694
8.5.1 Bremsstrahlung und charakteristische Strahlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 694
8.5.2 Absorption von Röntgenstrahlung, Computertomographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 695
8.6 Molekülspektren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 698
8.6.1 Potentialkurve . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 698
8.6.2 Rotations-Schwingungs-Spektrum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 700
8.6.3 Raman-Effekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 703
8.7 Aufbau der Atomkerne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 703
XIV Inhaltsverzeichnis

8.7.1 Größe und Ladungsverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 703


8.7.2 Kernmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 706
8.8 Kernumwandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 714
8.8.1 Radioaktiver Zerfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 715
8.8.2 Kernreaktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 730
8.8.3 Kernspaltung und Kernreaktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 733
8.8.4 Kernfusion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 741
8.9 Elementarteilchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 746
8.9.1 Einteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 748
8.9.2 Erhaltungssätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 752
8.9.3 Fundamentale Wechselwirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 754
8.10 Strahlenschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 756
8.10.1 Wechselwirkung der Strahlung mit Materie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 757
8.10.2 Dosisgrößen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 765
8.10.3 Biologische Wirkung der Strahlung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 770
8.10.4 Dosismessung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 773
8.10.5 Strahlenschutzmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 776

9 Festkörperphysik
9.1 Struktur fester Körper . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 785
9.1.1 Kristallbindungsarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 785
9.1.2 Kristalline Strukturen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 788
9.1.3 Gitterfehler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 792
9.1.4 Amorphe Werkstoffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 794
9.1.5 Makromolekulare Festkörper . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 796
9.1.6 Ausgewählte Werkstoffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 800
9.1.7 Flüssigkristalle. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 806
9.2 Elektronen in Festkörpern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 809
9.2.1 Energiebänder-Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 809
9.2.2 Metalle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 812
9.2.3 Halbleiter. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 818
9.2.4 Supraleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 832
9.3 Thermodynamik fester Körper . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 837
9.3.1 Gitterschwingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 837
9.3.2 Effekte im Zusammenhang mit Wärmefluss und elektrischem Strom . . . . . . . . . . . . . 845
9.3.3 Piezoelektrizität. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 847
9.4 Optoelektronische Halbleiter-Bauelemente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 850
9.4.1 Strahlungsquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 850
9.4.2 Empfänger. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 854

10 Spezielle Relativitätstheorie
10.1 Relativität des Bezugssystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 867
10.2 Lorentz-Transformation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 870
Inhaltsverzeichnis XV

10.3 Relativistische Effekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 872


10.3.1 Längenkontraktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 872
10.3.2 Zeitdilatation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 872
10.3.3 Relativistische Addition der Geschwindigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 874
10.4 Relativistische Dynamik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 875
10.5 Spezielle Relativitätstheorie in der Elektrodynamik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 878
10.5.1 Elektrodynamische Kraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 878
10.5.2 Doppler-Effekt des Lichtes. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 880

11 Anhang 885
11.1 Lösungen der Übungsaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 885
11.2 Nobelpreisträger der Physik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 973

12 Namen- und Sachverzeichnis 985


Verwendete physikalische Symbole

(Symbole, die in nachfolgenden Abschnitten die gleiche Bedeutung haben, sind nur einmal
angegeben.)

2. Mechanik
A Fläche R Gaskonstante; Krümmungsradius
a Beschleunigung r Ortsvektor
c Lichtgeschwindigkeit; Re Reynoldszahl
Schallgeschwindigkeit s Ortskoordinate
cA Auftriebsbeiwert s Weg; Bogenlänge
cD Druckwiderstandsbeiwert T Kelvin-Temperatur; Periodendauer
cM Momentenbeiwert t Zeit
cW Widerstandsbeiwert V Volumen
d Abstand; Dickenänderung V̇ Volumenstrom
E Energie; Elastizitätsmodul Geschwindigkeit
e Einheitsvektor W Arbeit
F Kraft spezifische (massebezogene) Arbeit
Fr Froudezahl
G Schubmodul, Gravitationskonstante α Durchflusszahl; Kontraktionszahl;
g Gravitationsfeldstärke Winkelbeschleunigung
g Fallbeschleunigung β Winkel
H Fallhöhe; Förderhöhe Γ Zirkulation
h Höhe γ Schiebung; Scherwinkel;
I Flächenträgheitsmoment Raumausdehnungskoeffizient
J Massenträgheitsmoment Δ Differenz
j Transportflussdichte; ε Neigungswinkel; Dehnung;
Massenstromdichte Expansionszahl; Gleitzahl
K Kompressionsmodul η dynamische Viskosität; Wirkungsgrad
k Federsteifigkeit; Rauigkeit ϑ Celsius-Temperatur
kt Drehfedersteifigkeit { Kompressibilität
L Drehimpuls λ Rohrreibungszahl
l Länge μ Reibungszahl; Ausflusszahl;
M Drehmoment Poissonzahl
Ma Mach’sche Zahl ν kinematische Viskosität
m Masse ρ Dichte
ṁ Massenstrom σ Spannung; Normalspannung
n Drehzahl τ Schubspannung
P Leistung Φ Transportgröße
p Impuls ϕ Drehwinkel; Potentialfunktion;
p Druck; Anteil Geschwindigkeitsziffer; Fluidität
Q Förderstrom (Pumpen); ϕG Gravitationspotential
Volumenstrom (Turbinen) ω Winkelgeschwindigkeit
XVIII Verwendete physikalische Symbole

3. Thermodynamik

a Temperaturleitfähigkeit Q̇ Wärmestrom
C, Cm , c Wärmekapazität, molare bzw. Ri , Rm individuelle bzw. allgemeine (molare)
spezifische Wärmekapazität Gaskonstante
Cmp , cp isobare molare bzw. isobare S, Sm , s Entropie, molare bzw. spezifische
spezifische Wärmekapazität Entropie
CmV , cV isochore molare bzw. isochore T thermodynamische Temperatur
spezifische Wärmekapazität U, Um , u innere Energie, molare bzw. spezifische
C12 Strahlungsaustauschkoeffizient innere Energie
c Schallgeschwindigkeit V, Vm , Volumen, molares bzw. spezifisches
EA Aktivierungsenergie Volumen
Ekin mittlere kinetische Energie eines m , , w mittlere, durchschnittliche bzw.
Moleküls wahrscheinlichste Geschwindigkeit
F, Fm , f freie Energie, freie molare bzw. freie von Gasmolekülen
spezifische Energie W thermodynamische Wahrscheinlichkeit
f Anzahl der Freiheitsgrade; x Feuchtegrad
Wärmequellendichte Z Realgasfaktor
G, Gm , g freie Enthalpie, freie molare bzw.
freie spezifische Enthalpie
gi statistisches Gewicht des Zustandes i
H, Hm , h Enthalpie, molare bzw. spezifische α Längenausdehnungskoeffizient;
Enthalpie Absorptionsgrad
jq Wärmestromdichte α∗ Wärmeübergangskoeffizient
k Boltzmann-Konstante; γ Raumausdehnungskoeffizient
Wärmedurchgangskoeffizient ε Emissionsgrad; Kompressionsverhältnis
M Molmasse εK , εW Leistungszahl einer Kältemaschine bzw.
Me spezifische Ausstrahlung einer Wärmepumpe
mM Masse eines Moleküls ηth thermischer Wirkungsgrad
N Teilchenanzahl eines Systems { Isentropen-(Adiabaten-)Exponent
n Polytropenexponent, λ Wärmeleitfähigkeit
Teilchenzahldichte ν Stoffmenge (Teilchenmenge)
NA Avogadro-Konstante ρ Dichte; Reflexionsgrad
Pi Wahrscheinlichkeit der Besetzung τ Transmissionsgrad
des Zustands i Φe Strahlungsleistung
p Druck ϕ relative Luftfeuchte
Q, Qm , q Wärme, molare bzw. spezifische ϕa absolute Luftfeuchte
Wärme ϕ12 Einstrahlzahl

4. Elektrizität und Magnetismus

Ar relative Atommasse E elektrische Feldstärke


Ä elektrochemisches Äquivalent EH Hall-Feldstärke
AH Hall-Koeffizient e Elementarladung
B magnetische Induktion, Flussdichte FL Lorentz-Kraft
B Blindleitwert, Suszeptanz F Faraday-Konstante
BR Remanenzinduktion f Spulenformfaktor
BS Sättigungsinduktion G Leitwert, Konduktanz
C Kapazität H magnetische Feldstärke
D elektrische Verschiebungsdichte HC Koerzitivfeldstärke
Verwendete physikalische Symbole XIX

I, i elektrische Stromstärke Wmagn magnetische Arbeit und Feldenergie


î Amplitude der elektrischen magn magnetische Energiedichte
Stromstärke X Blindwiderstand, Reaktanz
I, ieff Effektivwert der Wechselstromstärke Z Scheinwiderstand, Impedanz
J magnetische Polarisation z Wertigkeit
j elektrische Stromdichte
L Induktivität
M Magnetisierung α Temperaturkoeffizient des elektrischen
m Ampere’sches magnetisches Moment Widerstandes
mC Coulomb’sches magnetisches Moment γ Spannungsfaktor
N Windungszahl ε Permittivität
P elektrische Polarisation ε0 elektrische Feldkonstante
P, p Leistung εr Permittivitätszahl
p elektrisches Dipolmoment { elektrische Leitfähigkeit, Konduktivität
Q elektrische Ladung; Blindleistung μ Permeabilität
R elektrischer Widerstand μ0 magnetische Feldkonstante
Rm magnetischer Widerstand μr Permeabilitätszahl
S Scheinleistung ρ spezifischer elektrischer Widerstand,
TC Curie-Temperatur Resistivität
TN Néel-Temperatur ρ Raumladungsdichte
U, u elektrische Spannung σ Streufaktor; elektrische
û Amplitude der elektrischen Spannung Flächenladungsdichte
U, ueff Effektivwert der elektrischen τ Zeitkonstante
Spannung ϕ elektrisches Potential; Verlustwinkel
UH Hall-Spannung χe elektrische Suszeptibilität
uind induzierte Spannung χm magnetische Suszeptibilität
WA Austrittsarbeit Θ elektrische Durchflutung
Wel elektrische Arbeit und Feldenergie Φ magnetischer Fluss
el elektrische Energiedichte ψ elektrischer Fluss

5. Schwingungen und Wellen

c Phasengeschwindigkeit y Auslenkung
cgr Gruppengeschwindigkeit ŷ Amplitude
d Dämpfungskoeffizient
f Frequenz β Auslenkungswinkel
f0 , fd Eigenfrequenz der freien ungedämpf- β̂ Amplitude des Auslenkungswinkels
ten bzw. gedämpften Schwingung γ Phasenverschiebung zwischen Erreger
fRes Resonanzfrequenz und Schwinger
fS Schwebungsfrequenz
√ Δ Gangunterschied
j −1 δ Abklingkoeffizient
k Federsteifigkeit; Wellenzahl η Kreisfrequenzverhältnis
kt Drehfedersteifigkeit ϑ Dämpfungsgrad
Q Güte Λ logarithmisches Dekrement
I, S Intensität λ Wellenlänge
T Periodendauer ϕ Phasenwinkel
T0 , Td Periodendauer der freien ungedämpf- ϕ0 Nullphasenwinkel
ten bzw. gedämpften Schwingung Δϕ Phasenverschiebung zwischen zwei
TS Periodendauer der Schwebung Schwingungen
Energiedichte ω Kreisfrequenz
XX Verwendete physikalische Symbole

ω0 , ωd Kreisfrequenz der freien Ω Erregerkreisfrequenz


ungedämpften bzw. gedämpften ωRes Resonanzkreisfrequenz
Schwingung

6. Optik
AN numerische Apertur p Gitterstrichzahl
a, a Gegenstands- bzw. Bildweite Qe Strahlungsenergie
A, B Einstein-Koeffizienten Qv Lichtmenge
b Spaltbreite r Krümmungsradius
D Brechkraft s, s gegenstandsseitige bzw. bildseitige
DAP , DEP Durchmesser von Austritts- bzw. Schnittweite
Eintrittspupille u Durchmesser des Unschärfekreises
Ee Bestrahlungsstärke V Hellempfindlichkeitsgrad
Ev Beleuchtungsstärke y, y Gegenstands- bzw. Bildgröße
Eph Energie eines Photons Z Dämmerungszahl
e Abstand zweier Linsen z, z Abstand vom Gegenstand bzw. Bild
f,f gegenstandsseitige bzw. bildseitige zum jeweiligen Brennpunkt
Brennweite
g Gitterkonstante
He Bestrahlung α brechender Winkel eines Prismas
Hv Beleuchtung β Abbildungsmaßstab
h Planck’sche Konstante Γ Vergrößerung
I Intensität δ Ablenkungswinkel
Ie Strahlstärke ε Einfallswinkel
Iv Lichtstärke εr Reflexionswinkel
Km photometrisches Strahlungsäquivalent ε Brechungswinkel
k Blendenzahl εp Polarisationswinkel
l Kohärenzlänge Θ Glanzwinkel
Le Strahldichte σ Winkel zwischen Strahl und optischer
Lv Leuchtdichte Achse
Me spezifische Ausstrahlung τ Lebensdauer
Mv spezifische Lichtausstrahlung Φe Strahlungsleistung
m Ordnungszahl bei Interferenzen Φv Lichtstrom
Ni Besetzungszahl des Niveaus i ϕ Zentriwinkel
n Brechungsindex Ω Raumwinkel

7. Akustik
A äquivalente Schallabsorptionsfläche m flächenbezogene Masse
B Biegesteifigkeit P Schallleistung
d Absorberdicke p Schalldruck
fG Grenzfrequenz der Spuranpassung R Schalldämm-Maß
GpU Übertragungsmaß elektroakustischer r Reflexionsfaktor
Wandler S Lautheit; Fläche
I Schallintensität T Nachhallzeit
L Schallpegel Schallschnelle
LS Lautstärke Schallenergiedichte
Ln Norm-Trittschallpegel y Elongation
Verwendete physikalische Symbole XXI

Z Schallkennimpedanz αs Schallabsorptionsgrad
δ Einfallswinkel
Δ Bewertungsfaktor
α Schallausbreitungs- ρs Schallreflexionsgrad
Dämpfungskoeffizient τs Schalltransmissionsgrad

8. Atom- und Kernphysik


A Nukleonenzahl; Aktivität ms magnetische Quantenzahl des Spins
AS spezifische Aktivität mj magnetische Quantenzahl des
a0 Bohr’scher Radius des Gesamtdrehimpulses
Wasserstoffatoms im Grundzustand m0 Ruhemasse
B Baryonenzahl N Neutronenzahl
D, Ḋ Energiedosis, Energiedosisleistung n Hauptquantenzahl
Dq , Ḋq Äquivalentdosis, Q Kern-Quadrupolmoment
Äquivalentdosisleistung R Reichweite
d Flächenmasse RH Rydberg-Konstante
E Energie-Eigenwert S Gesamtspinmoment
EB Bindungsenergie s, s Elektronenspin, zugehörige
ES Schwellenenergie Quantenzahl (Spinquantenzahl)
F, F Gesamtdrehimpuls des Atoms t1/ 2 Halbwertszeit
einschließlich Kerndrehimpuls, u atomare Masseneinheit
zugehörige Quantenzahl x Schichtdicke
g Faktor nach Landé Z Kernladungszahl
H Hamilton-Funktion (Ordnungszahl, Protonenzahl)
Ĥ Hamilton-Operator
h Planck’sches Wirkungsquantum
(~ = h/ (2π))
I, I Kerndrehimpuls, zugehörige α Feinstrukturkonstante
Quantenzahl γ gyromagnetisches Verhältnis
J, J Gesamtdrehimpuls der Elektronen- λ Zerfallskonstante; Wellenlänge
hülle, zugehörige Quantenzahl μ, μ magnetisches Moment
j, j Gesamtdrehimpuls eines Elektrons, μ Absorptionskoeffizient
zugehörige Quantenzahl μK Kern-Magneton
L, L Gesamtbahndrehimpuls der μB Bohr’sches Magneton
Elektronenhülle, zugehörige ν Frequenz
Quantenzahl Π Paritätsquantenzahl
L Leptonenzahl Σ makroskopischer Wirkungsquerschnitt
l, l Bahndrehimpuls eines Elektrons, σ Wirkungsquerschnitt
zugehörige Quantenzahl Φ Flussdichte
m1 magnetische Quantenzahl des Ψ zeitabhängige Wellenfunktion
Drehimpulses ψ Wellenfunktion

9. Festkörperphysik
A Fläche; Transistor-Stromverstärkung cgr Gruppengeschwindigkeit
in Basisschaltung cph Phasengeschwindigkeit
a Gitterkonstante D(E) Zustandsdichte
B Transistor-Stromverstärkung in D∗ Detektivität
Emitterschaltung EB Bindungsenergie
Bc kritische magnetische Flussdichte Ee Bestrahlungsstärke
XXII Verwendete physikalische Symbole

EF Fermi-Energie S Empfindlichkeit
Eg Breite der verbotenen Zone Tc kritische Temperatur
f (E) Fermi-Dirac-Verteilungsfunktion TD Debye-Temperatur
IB , IC , IE Basis-, Kollektor- bzw. Emitterstrom TE Einstein-Temperatur
IF Flussstrom TF Fermi-Temperatur
Iph Photostrom T0 charakteristische Temperatur
IS Sperrsättigungsstrom Ud Diffusionsspannung
Ith Schwellstrom UF Flussspannung
jc kritische Stromdichte UK Kontaktspannung
k Wellenzahl UL Leerlaufspannung
kF Fermi-Vektor Uth Thermospannung
L Kristall-Länge; Lorenz’sche Zahl V(λ) Hellempfindlichkeitsgrad
l mittlere freie Weglänge d Driftgeschwindigkeit
M Molmasse; Multiplikationsfaktor F Fermi-Geschwindigkeit
NL , Nv effektive Zustandsdichte im
Leitungsband bzw. im Valenzband α Absorptionskoeffizient;
n Elektronenkonzentration Madelung-Konstante;
nA , nD Akzeptoren- bzw. Donatoren- thermischer Ausdehnungskoeffizient
konzentration ε mittlere Energie eines Atoms
ni Eigenleitungsdichte η Quantenausbeute
nph Phononendichte μ, μn , μp Beweglichkeit, Elektronen- bzw.
n Brechungsindex Löcherbeweglichkeit
p Löcherkonzentration Φ0 magnetisches Flussquantum

10. Spezielle Relativitätstheorie


l, l Länge im System S bzw. S u Geschwindigkeit
m, m0 bewegte Masse bzw. Systemgeschwindigkeit
Ruhemasse
t, t Zeit im System S bzw. S γ relativistischer Faktor
Kapitel 1
Einführung 1

E. Hering et al., Physik für Ingenieure,


DOI 10.1007/978-3-642-22569-7_1, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
1 Einführung
1.1 Physikalischer Erkenntnisprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3
1.2 Bereiche der physikalischen Erkenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5
1.3 Physikalische Größen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8
1.3.1 Definition und Maßeinheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8
1.3.2 Messgenauigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14
1.3.3 Fehlerfortpflanzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18
1.3.4 Kurvenanpassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18
1 1.3.5
1.3.6
Ausgleichsgeradenkonstruktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Korrelationsanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
21
22
1 Einführung

1.1 Physikalischer Messungen zwei oder mehr physikalische Grö-


Erkenntnisprozess ßen miteinander verglichen und die dabei auf-
gestellten Zusammenhänge aufgeschrieben.
Die Physik ist ein Teilgebiet der Naturwissen- Auf geniale und faszinierende Weise ist es dem
schaften. Sie beschäftigt sich im Gegensatz zur menschlichen Geist gelungen, alle denkbaren
Medizin oder Biologie mit der leblosen Um- physikalischen Erscheinungen auf höchstens
welt. Dieser eingeengte Betrachtungsbereich sieben physikalische Grundgrößen (Basisgrö-
muss beachtet werden, wenn es um die Frage ßen) zurückzuführen (Zeit, Masse, Länge,
geht, ob die Methoden der physikalischen Er- Temperatur, Stromstärke, Lichtstärke und
kenntnis auch auf andere Wissenschaftsge- Stoffmenge, Abschn. 1.3.1). Diese Reduktion
biete direkt übertragbar sind. der Komplexität auf verhältnismäßig wenige
In der Physik versucht man, die Gesetzmä- relevante Faktoren ist ein Grund für den
ßigkeiten der unbelebten Umwelt zu erfassen. Erfolg bei der ingenieurmäßigen Umsetzung
Sind diese bekannt, so kann man die physi- physikalischer Erkenntnisse in der Technik.
kalischen Gesetze für technische Zwecke aus- In der Ingenieurpraxis können physikalische
nützen. Die Ingenieurwissenschaft ist ein Bei- Zusammenhänge jedoch auch so komplex
spiel hierfür, weil man in allen ihren Bereichen,
beispielsweise im Maschinenbau, in der Fein-
werktechnik und in der Elektrotechnik, erfolg-
reich physikalische Gesetze in der industriel-
len Praxis angewendet. Der Prozess der phy-
sikalischen Erkenntnis ist in Abb. 1.1 als ge-
schlossener Regelkreis dargestellt. Er umfasst
vier Stationen:

a) Experiment
Im ersten Schritt werden Merkmale der leb-
losen Umwelt, die physikalischen Größen, ge-
sucht. Zur präziseren Beschreibung müssen
auch Merkmale durch physikalische Definitio-
nen festgelegt werden (z. B. die Definition der
Kraft). In einem Experiment werden durch Abb. 1.1 Regelkreis der physikalischen Erkenntnis

M. Stohrer, E. Hering, R. Martin, Physik für Ingenieure.


DOI 10.1007/978-3-642-22569-7_1 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
4 1. Einführung

sein, dass empirisch gefundene Beziehungen d) Deduktion


in Tabellen und Grafiken niedergelegt wer- Aus den physikalischen Theorien oder Geset-
den müssen, weil sie theoretisch nicht exakt zen können mit Hilfe der Logik spezielle, auf
genug vorhergesagt werden können (z. B. der ein konkretes Problem bezogene Aussagen
Einfluss der Reibung bei der Strömung realer hergeleitet werden. In der klassischen Mecha-
Flüssigkeiten und Gase). nik kann beispielsweise aus der Bahnkurve
für den schiefen Wurf zu jeder Zeit jeder Ort
b) Induktionsschluss
des sich bewegenden Körpers vorhergesagt
Werden physikalische Zusammenhänge im-
werden.
mer wieder experimentell bestätigt, dann kann
Der große Erfolg der physikalischen Erkennt-
gefolgert werden, dass sie zu jeder Zeit und an
nismethode beruht hauptsächlich auf der
jedem Ort gültig sind. Dieser Schluss, der eine
Genauigkeit und Zuverlässigkeit der Vorher-
Verallgemeinerung darstellt, wird in der Ma-
sage. Zum Beispiel wäre die Mondlandung
thematik Induktionsschluss (Schluss von n auf
nicht möglich gewesen, wenn auf der Erde
n + 1) genannt. Eine derartige Verallgemeine-
nicht alle Gesetzmäßigkeiten bekannt gewe-
rung ist nur zulässig, wenn sich die physikali-
sen wären, sodass alle möglichen Ereignisse
schen Konstanten nicht ändern. Diese wichtige
während des Fluges auf der Erde simu-
Forderung nach der Konstanz der Naturereig-
liert werden konnten. Es war möglich, die
nisse äußert sich in der Physik in der Existenz
Mondlandung gleichsam im Geist vorweg-
von Naturkonstanten (z. B. Lichtgeschwindig-
zunehmen, weil die physikalischen Theorien
keit c). Beim Übertragen des physikalischen
richtig und zuverlässig sind und eine gültige
Erkenntnisprozesses auf andere Disziplinen,
Aussage im konkreten Fall erlauben. Ein
z. B. auf die Psychologie, muss daher genau
wichtiger Bestandteil der ingenieurmäßigen
geprüft werden, ob die Konstanz der Aussage-
Denkweise besteht nämlich darin, zukünftiges
parameter gegeben und damit eine Verallge-
Verhalten beispielsweise von Maschinen oder
meinerung der Beziehungen zulässig ist.
elektronischen Schaltungen durch die gülti-
c) Physikalische Gesetze gen physikalischen Gesetze vorauszusehen.
Mit der Verallgemeinerung durch den In- Diese Methode wird vor allem auf dem Ge-
duktionsschluss ist ein physikalisches Gesetz biet der Schadensverhütung außerordentlich
formuliert (z. B. die Kraft ist proportional wirkungsvoll eingesetzt.
zur Masse und Beschleunigung). Das physi- a) Experiment
kalische Gesetz wird für die weitere Analyse Auch die sorgfältigste Vorhersage physika-
und die Anwendung mathematisch formuliert lischer Zustände kann fehlerhaft sein, weil
(z. B. F = ma). Bildet die Vielzahl an phy- bestimmte Einflussgrößen nicht berück-
sikalischen Gesetzen ein widerspruchsfreies sichtigt sind. Aus diesem Grund muss die
System wissenschaftlicher Aussagen über die Vorhersage eines physikalischen Gesetzes
gesetzmäßigen Zusammenhänge eines phy- durch ein Experiment auf ihre Richtigkeit
sikalischen Bereiches, so wird dieses System überprüft werden (Verifikation). Vorausset-
Theorie genannt. Die Theorie ermöglicht ei- zung dafür ist, dass mit dem physikalischen
nerseits eine Vorhersage durch die Deduktion Gesetz ein realer Messaufbau definiert ist, der
(d) und andererseits die Überprüfung ihres ei- die Verifizierung der Prognose erlaubt. Diese
genen Wahrheits- bzw. Gültigkeitsanspruches harte Forderung von Albert Einstein, dass
durch das Experiment (a). jedes physikalische Gesetz zugleich eine Mess-
1.2 Bereiche der physikalischen Erkenntnis 5

vorschrift für eine reproduzierbare Messung – Zerlegung


darstellen muss, hat die Physik davor bewahrt, Die Makrophysik beschäftigt sich mit Phä-
in geistreiche Phantastereien abzugleiten. Mit nomenen, die in kleinere Teile zerlegbar
der Prüfung der Prognose am Experiment ist sind und nach ihrer Zerlegung getrennt un-
der physikalische Erkenntnisprozess wie in tersucht werden können. In der Mikrophy-
einem Regelkreis geschlossen. Die Wirklich- sik handelt es sich grundsätzlich um unzer-
keit korrigiert damit im Verifikationstest den legbare Teilchen (Quanten). Aufgrund die-
physikalischen Erkenntnisprozess. Auf diese ser Tatsache müssen die praktizierten ana-
Weise ist ausgeschlossen, dass dieser auf das lytischen, auf Zerlegung basierenden Expe-
rein geistige Denkvermögen des Menschen rimente versagen. Dies hat zur Folge, dass
beschränkt bleibt. unser experimenteller Zugriff auf die un-
zerlegbaren Teile völlig anders geartet sein
muss.
1.2 Bereiche der physikalischen – Ablaufstruktur
Erkenntnis Während die Makrophysik kontinuierliche,
stetige Abläufe zum Inhalt hat, die es ge-
Wie Abb. 1.2 zeigt, lässt sich die Physik in statten, die zeitliche Entwicklung physikali-
zwei Hauptbereiche einteilen, in die Makro- scher Vorgänge genau zu verfolgen, spielen
physik und in die Mikrophysik. Entscheidend sich mikrophysikalische Vorgänge diskonti-
für die Zuordnung ist die Größe der Wirkung nuierlich und unstetig ab.
(Wirkung = Energie × Zeit). Sind die Wirkun-
gen sehr groß im Vergleich zum Planck’schen Die klassische Physik beschreibt die Phäno-
Wirkungsquantum h = 6,6260693 · 10−34 J s, mene der Makrophysik, die Quantenphysik die
dann handelt es sich um Vorgänge in der Effekte der Mikrophysik. Klassische Physik
Makrophysik. Sind die Wirkungen dagegen und Quantenphysik haben in ihrer Beschrei-
in der Größenordnung von h, so liegt die bungsmethodik in drei Punkten fundamentale
Mikrophysik vor. Anschaulich könnte diese Unterschiede:
Einteilung auch in dieser Weise vorgenom-
men werden: Die Mikrophysik beschäftigt sich – Anschaulichkeit
mit Phänomenen im atomaren und subatoma- Weil die Quantenphysik nicht unmittelbar
ren Bereich (Längen in der Größenordnung erfahrbare Effekte beschreibt, ist sie im Ge-
10−10 m), während sich die Makrophysik mit gensatz zur klassischen Physik unanschau-
bis zu lichtmikroskopisch sichtbaren Phänome- lich und abstrakt.
nen auseinandersetzt (Längen in der Größen- – Determiniertheit
ordnung 10−6 m). Die wesentlichen Unter- In der Quantenphysik laufen keine streng
schiede zwischen Makro- und Mikrophysik ge- vorherbestimmten (deterministischen) Pro-
hen aus Abb. 1.2 hervor: zesse ab wie in der klassischen Physik. Die
Abläufe sind deshalb nicht chaotisch, son-
– Erfahrbarkeit dern sie gehorchen einer statistischen
Makrophysikalische Vorgänge sind unmit- Gesetzmäßigkeit.
telbar erfahrbar, mikrophysikalische dage- – Messgenauigkeit
gen nicht. Dies bedeutet, dass die Mikrophy- In der Quantenphysik können im Gegen-
sik im Prinzip nicht anschaulich sein kann, satz zur klassischen Physik bestimmte
weil sie sich der Anschauung entzieht. physikalische Zustände (z. B. Ort und Ge-
6 1. Einführung

Abb. 1.2 Bereiche der physikalischen Erkenntnis

schwindigkeit eines Teilchens) nicht exakt, theorie (rechts), die die Gebiete Molekül- und
sondern nur innerhalb bestimmter Un- Atomphysik sowie Kern- und Elementarteil-
schärfen experimentell bestimmt werden: chenphysik umfasst. Beide Theorien wurden
Durch die Messung eines Wertes u wird durch P.A.M. Dirac miteinander verknüpft.
ein anderer Messwert v so beeinflusst, dass Die klassische Physik hat vier Hauptbereiche:
dieser nicht mehr exakt messbar ist (Ab- – Mechanik
schn. 6.5.5.2). Der physikalische Zustand ist Sie beschreibt die Zustandsänderungen ei-
deshalb nicht mehr durch einen genauen nes massebehafteten Körpers in Raum und
Wert beschreibbar, sondern durch eine Zeit.
statistische Wahrscheinlichkeit, bestimmte – Thermodynamik
Werte vorzufinden. In der Thermodynamik beschreibt man
In Abb. 1.3 sind die Gebiete der Physik darge- physikalische Erscheinungen, bei denen
stellt. In der Mitte befindet sich das Gebiet der die Temperatur eine wichtige zusätzliche
klassischen Physik. Ihre Erscheinungen kön- Zustandsgröße ist.
nen völlig gleichwertig entweder durch das – Elektrizität und Magnetismus
Wellenbild oder durch das Partikelbild erklärt Die Elektrizität und für bewegte Ladungen
werden. Die klassische Physik wird durch zwei die Theorie des Magnetismus befassen sich
Erfahrungen erweitert: Zum einen führt die mit den Effekten eines physikalischen Sys-
Tatsache der endlichen Signalgeschwindigkeit tems, wenn zusätzlich zu den mechanischen
zur Relativitätstheorie (links) und zum andern Grundgrößen (Masse, Länge und Zeit) noch
führen die Unschärferelationen zur Quanten- die Eigenschaft der Ladung vorhanden ist.
1.2 Bereiche der physikalischen Erkenntnis 7

Abb. 1.3 Gebiete der Physik

– Wellenlehre sche Denkweise Newton’scher Prägung nach


In diesem Lehrgebiet werden periodi- dem Regelkreis physikalischen Erkennens
sche Zustandsänderungen beschrieben. (Abb. 1.1) auf andere Gebiete zu übertragen,
Wellen können sowohl materiegebunden ist aber bedenklich, wenn
(z. B. Akustik) als auch nicht an Materie
gebunden sein (z. B. Optik). – die für den Induktionsschluss geforderte
Konstanz der Systemvariablen nicht gege-
Bis zum ersten Viertel des zwanzigsten Jahr- ben ist, weil diese je nach Situation unter-
hunderts herrschte das streng kausale und schiedliche Werte einnehmen (z. B. hängt
deterministische Denkprinzip der klassischen die Antwort in einem Interview auch von
Physik Newton’scher Prägung vor. Da es der Art der Fragestellung ab) und wenn
sehr erfolgreich war, wurde es von anderen – die für einen Deduktionsschluss notwen-
Wissenschaften übernommen. Beispielsweise dige, vollständige Kenntnis der Anfangsbe-
erklärt der Darwinismus in klaren, kausalen dingungen eines Systems nicht gegeben ist.
Gedankenketten die Entwicklung der Arten
(Evolutionstheorie). Gemäß der Schulmedizin Die heute beklagte „Unmenschlichkeit“ der
wird die Krankheit von isolierbaren Einflüssen Technik und die Zukunftslosigkeit vieler Men-
verursacht (z. B. Bakterien, Viren oder Organ- schen hat ihren Grund auch darin, dass die rein
defekten); durch Beseitigung dieser einzelnen kausale, deterministische Denkweise von der
Krankheitsursachen wird der Mensch gesund. klassischen Physik ausgehend weite Bereiche
In der geschichtlichen Beurteilung durch der geistigen Welt erfasst hat. In letzter Kon-
den Marxismus (historischer Materialismus) sequenz führt dieses Denken zu dem Schluss,
wird eine kausale Argumentation verwendet das menschliche Leben sei ein sinnloses, vor-
und die Determiniertheit des geschichtlichen herbestimmtes Existieren. Der Begriff Freiheit
Ablaufes postuliert. Die kausaldeterministi- als Gegenteil von Determiniertheit wird dann
8 1. Einführung

ebenso sinnlos wie ein Moralbegriff, da vor- sucht, die Quantenphysik in ihrer ganzheitli-
herbestimmte Abläufe keinen Schuldigen ken- chen, auf Regelkreisen beruhenden Betrach-
nen. tungsweise als Denkmodell beispielsweise für
Mit der Begründung der Quantenphysik Mitte gesellschaftliche Strukturen und deren Verän-
der zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts derungen oder zur ästhetischen Beurteilung
wurde deutlich, dass sich atomare und subato- von Kunstwerken heranzuziehen. Es bleibt ab-
mare Strukturen nicht mehr deterministisch zuwarten, inwieweit diese Übertragungsversu-
verhalten und die klassische Physik ein Spe- che quantenmechanischer Denkkonzepte auf
zialfall der Quantenphysik ist. Damit wurde andere Wissenschaften erfolgreich sind.
in der Physik erstmalig die deterministische
Denkweise in ihrer generellen Gültigkeit in
Frage gestellt. Dies bedeutet freilich nicht, 1.3 Physikalische Größen
dass der in Abb. 1.1 dargestellte Regelkreis der
1.3.1 Definition und Maßeinheit
physikalischen Erkenntnis in der Quanten-
physik falsch wird. Er ist nach wie vor gültig.
Eine physikalische Größe kennzeichnet Ei-
Es wird beim Induktionsschluss die Konstanz
genschaften und beschreibt Zustände sowie
der Variablen ersetzt durch die Konstanz der
Zustandsänderungen von Objekten der Um-
statistischen Zusammenhänge, weshalb die
welt. Sie muss nach der Forderung Einsteins
Deduktion keine determinierten, sondern le-
(Abb. 1.1) messbar sein, d. h. ein Messverfah-
diglich wahrscheinliche Vorhersagen erlaubt.
Weil in quantenmechanischen Systemen die
Elemente unteilbar sind, sind sie ganzheitlich Tabelle 1.1 Bezeichnung der dezimalen Vielfachen
und dürfen nicht analytisch betrachtet wer- und Teile von Einheiten
den. Zudem besteht zwischen den quanten-
mechanischen Systemkomponenten eine so Zehner- Vorsilbe Kurz- Beispiel
starke Wechselwirkung, dass bei einer Tren- potenz zeichen
nung der Komponenten für eine Einzelanalyse 1018 Exa E Em, EJ
diese erheblich verändert werden; somit ist ein 1015 Peta P Pm, PJ
Denken in wechselwirkenden Zusammenhän- 1012 Tera T Tm, TJ
gen (Regelkreisen) bei quantenmechanischen 109 Giga G Gm, GJ
Systemen notwendig. 106 Mega M Mm, MJ
Das für viele Probleme unserer Zeit (z. B. Um- 103 Kilo k km, kJ
weltzerstörung) notwendige vernetzte Denken 102 Hekto h hPa, hJ
in ganzheitlichen Kategorien als erforderliche 101 Deka da dam, daJ
Korrektur zur isolierten, analytischen Denk- [3pt] 10−1 Dezi d dm, dJ
weise war in der Physik bereits vor achtzig 10−2 Zenti c cm, cJ
Jahren notwendig, um quantenphysikalische 10−3 Milli m mm, mJ
Effekte erklären zu können. Sicherlich wird 10−6 Mikro μ μm, μJ
ein über die statistische Determiniertheit hin- 10−9 Nano n nm, nJ
ausgehendes Denkkonzept benötigt, um so- 10−12 Piko p pm, pJ
ziale und lebendige Systeme in ihrem Verhal- 10−15 Femto f fm, fJ
ten richtig beschreiben zu können. Aus die- 10−18 Atto a am, aJ
sem Grund wird von einigen Physikern ver-
1.3 Physikalische Größen 9

Tabelle 1.2 Basisgrößen, Basiseinheiten und Definitionen im SI-Maßsystem

Basisgröße Basiseinheit Symbol Definition relative


Unsicherheit

Zeit Sekunde s 1 Sekunde ist das 9 192 631 770-fache der 10−14
Periodendauer der dem Übergang zwischen
den beiden Hyperfeinstrukturniveaus des
Grundzustands von Atomen des Nuklids 133 Cs
entsprechenden Strahlung.
Länge Meter m 1 Meter ist die Länge der Strecke, die Licht im 10−14
Vakuum während der Dauer von 1/299 792 458
Sekunden durchläuft.
Masse Kilogramm kg 1 Kilogramm ist die Masse des 10−9
internationalen Kilogrammprototyps.
elektrische Ampere A 1 Ampere ist die Stärke eines zeitlich 10−6
Stromstärke unveränderlichen Stroms, der, durch zwei im
Vakuum parallel im Abstand von 1 Meter
voneinander angeordnete, geradlinige,
unendlich lange Leiter von vernachlässigbar
kleinem kreisförmigem Querschnitt fließend,
zwischen diesen Leitern je 1 Meter Leiterlänge
die Kraft 2 · 10−7 Newton hervorruft.
Temperatur Kelvin K 1 Kelvin ist der 273,16-te Teil der 10−6
thermodynamischen Temperatur des
Tripelpunktes des Wassers.
Lichtstärke Candela cd 1 Candela ist die Lichtstärke in einer 5 · 10−3
bestimmten Richtung einer Strahlungsquelle,
die monochromatische Strahlung der
Frequenz 540 THz aussendet und deren
Strahlstärke in dieser Richtung 1/683 W/sr
beträgt.
Stoffmenge Mol mol 1 Mol ist die Stoffmenge eines Systems, das 10−6
aus ebenso viel Einzelteilchen besteht, wie
Atome in 12/1 000 Kilogramm des
Kohlenstoffnuklids 12 C enthalten sind.

ren definieren. Die Vereinbarung, nach der durch den Zahlenwert) und einer qualitativen
die beobachtete physikalische Einheit quanti- Aussage [G] (ausgedrückt durch die Einheit):
fiziert wird, ist die Einheit der physikalischen
Größe. Beispielsweise wurde für die Tempera-
tur T als Einheit K (Kelvin) der 273,16-te Teil G = {G} · [G] . (1.1)
der Temperatur des Tripelpunktes von Wasser
festgelegt (Abschn. 3.1.3). Der Zahlenwert vor
der Einheit gibt an, wie oft der Vergleichsmaß- Durch das Gesetz über Einheiten im Messwe-
stab der Einheit angelegt werden kann. Somit sen vom 2. Juli 1969 (BGBl. I S. 709) wurden ab
besteht eine physikalische Größe G immer aus 1.1.1978 die Vereinbarungen der Internationa-
einer quantitativen Aussage {G} (ausgedrückt len Organisation für Standardisation (ISO), die
10

Tabelle 1.3 Zusammenstellung einiger physikalischer Größen mit ihren SI-Einheiten, die von den Basiseinheiten abgeleitet sind

Physikalische Größe Formelzeichen Berechnung Einheit


1. Einführung

Fläche A A = Länge × Breite m2

Bogen m
Winkel ϕ ϕ= = rad Radiant
Radius m

Fläche des Kugelabschnitts m2


Raumwinkel Ω Ω= = sr Steradiant
Quadrat des Kugelradius m2
1 1
Frequenz ν, f f = = Hz Hertz
Periodendauer s
Wegintervall m
Geschwindigkeit =
Zeitintervall s
Geschwindigkeitsänderung m
Beschleunigung a a=
Zeitintervall s2
m
Kraft F F = Masse × Beschleunigung kg · =N Newton
s2

m2
Arbeit, Energie W, E W = Kraft × Weg kg · =J Joule
s2

Arbeit m2
Leistung P P= kg · =W Watt
Zeitintervall s3

m2
Wärme Q Q = Energie kg · = Ws = J Joule
s2
Tabelle 1.3 (Fortsetzung)

Physikalische Größe Formelzeichen Berechnung Einheit

Wärme kg · m2 J
Wärmekapazität C C= =
Temperaturintervall s2 · K K

elektrische Ladung Q Q = elektr. Stromstärke × Zeit A·s=C Coulomb

elektrische Kraft kg · m N V
elektrische Feldstärke E E= = =
elektrische Ladung s3 · A A·s m

elektrische Arbeit kg · m2 W
elektrische Spannung U U = = =V Volt
elektrische Ladung A · s3 A

elektrische Spannung kg · m2 V
elektrischer Widerstand R R= = =Ω Ohm
elektrische Stromstärke A2 · s3 A
elektr. Stromstärke × Windungszahl A
magnetische Feldstärke H H =
Spulenlänge m

kg · m2
magnetischer Fluss Φ Φ = magnetische Induktion × Fläche = V · s = Wb Weber
A · s2
1.3

kg Wb
magnetische Induktion B B = Permeabilität × magnetische Feldstärke = =T Tesla
A · s2 m2
Lichtstrom cd · sr
Beleuchtungsstärke E E= = lx Lux
Fläche m2
Physikalische Größen
11
12 1. Einführung

Tabelle 1.4 Wichtige Naturkonstanten (international empfohlene CODATA-Werte von 2010)

Bezeichnung Symbol Wert relative Unsicherheit


m
Vakuum-Lichtgeschwindigkeit c 2,99792458 · 108 0
s
N m2
Gravitationskonstante G 6,67384 · 10−11 1,2 · 10−4
kg2

Avogadro-Konstante NA 6,02214129 · 1023 mol−1 4,4 · 10−8

Elementarladung e 1,602176565 · 10−19 A s 2,2 · 10−8

Ruhemasse des Elektrons m0e 9,10938291 · 10−31 kg 4,4 · 10−8

Ruhemasse des Protons m0p 1,672621777 · 10−27 kg 4,4 · 10−8

Planck’sches Wirkungsquantum h 6,62606957 · 10−34 J s 4,4 · 10−8

Sommerfeld’sche Feinstrukturkonstante α 7,2973525698 · 10−3 3,2 · 10−10

As
elektrische Feldkonstante ε0 8,854187817 · 10−12 0
Vm
Vs
magnetische Feldkonstante μ0 4π · 10−7 0
Am
As
Faraday-Konstante F 9,64853365 · 104 2,2 · 10−8
mol
J
universelle Gaskonstante Rm 8,3144621 9,1 · 10−7
mol K
J
Boltzmann-Konstante k 1,3806488 · 10−23 9,1 · 10−7
K
W
Stefan-Boltzmann-Konstante σ 5,670373 · 10−8 3,6 · 10−6
m2 K4

sogenannten SI-Einheiten (Système Internatio- mengestellt. Doppelvorsätze wie z. B. μmm,


nal d’Unités), in der Bundesrepublik Deutsch- sind nicht zulässig.
land eingeführt. Im amtlichen und geschäft- Hohe Anforderungen an die Genauigkeit
lichen Verkehr dürfen seither für physikali- des Vergleichs mit der Einheit, d. h. an
sche Größen nur noch die SI-Einheiten benutzt die Messgenauigkeit, können nur mit sehr
werden. Durch Vorsätze oder Präfixe können aufwändigen Apparaturen erfüllt werden,
dezimale Vielfache oder Teile der Einheiten bei denen Störeinflüsse auf den Vergleichs-
gebildet und damit umständlich zu schrei- maßstab weitgehend ausgeschlossen und
bende Zehnerpotenzen der Maßzahlen ver- die Ablesung des Vergleichsmaßstabs hoch-
mieden werden. In Tabelle 1.1 sind die Vorsil- verfeinert ist. Weltweit kann ein solcher
ben und Kurzzeichen für die Vorsätze zusam- messtechnischer Aufwand nur in wenigen
1.3 Physikalische Größen 13

Mess- und Eichlaboratorien getrieben wer- Durch die ISO-Festlegung der Vakuum-
den. In der Bundesrepublik Deutschland ist Lichtgeschwindigkeit vom 20.10.1983 auf
dafür die Physikalisch-Technische Bundes- c = 299 792 458 m/s ist das Meter von der
anstalt (PTB) in Braunschweig zuständig. Sekunde metrologisch abhängig geworden.
Abbildung 1.4 zeigt das primäre Zeitnormal Durch die Beziehung c2 = 1/μ0 ε0 ist bei
der PTB Braunschweig, die Atomuhr. Schon Kenntnis der Lichtgeschwindigkeit c und
wegen dieses messtechnischen Aufwandes der magnetischen Feldkonstanten μ0 der
wurde in den SI-Vereinbarungen darauf Wert für die elektrische Feldkonstante ε0
geachtet, die Einheiten der physikalischen exakt festgelegt (Abschn. 4.5.5). Nach dem
Größen auf möglichst wenige, voneinander von K. von Klitzing 1980 entdeckten quan-
unabhängige Basiseinheiten zurückzuführen. tisierten Hall-Effekt lässt sich auch eine aus
Von deren absoluter Messgenauigkeit sind un- Naturkonstanten sehr exakt bestimmbare
sere physikalischen Beobachtungen bestimmt. Basisgröße für den elektrischen Widerstand
In Tabelle 1.2 sind die sieben Basisgrößen im R = h/ (i e2 ) bestimmen (i = 1, 2, 3…). Die SI-
SI-Einheitensystem wiedergegeben, ihre De- Einheiten der übrigen physikalischen Größen
finitionen und ihre relative Messunsicherheit werden aus den Basiseinheiten entspre-
angegeben. chend ihrer Definitionsgleichung abgeleitet.

Abb. 1.4 Die Cäsium-Atomuhren CS1, CS2 und CS3 der PTB Braunschweig, aufgestellt in der abgeschirmten und
klimatisierten Atomuhrenhalle
14 1. Einführung

Eine Auswahl abgeleiteter Einheiten zeigt DIN 55 350: Qualitätssicherung und Statis-
Tabelle 1.3. tik.
Bei der theoretischen Beschreibung der er-
mittelten Zusammenhänge zwischen den phy- Zur grafischen Analyse der Messwertschwan-
sikalischen Größen ergeben sich universelle kungen dient das Histogramm. Ein Beispiel
Proportionalitätskonstanten, die Naturkon- hierfür zeigt Abb. 1.5. In dieses wird balken-
stanten. Einige dieser Naturkonstanten sind förmig über dem Messwert x die relative Häu-
in Tabelle 1.4 aufgeführt. figkeit hj des Messwerts aufgetragen:

1.3.2 Messgenauigkeit Nj
hj = . (1.2)
N
Die Messung einer physikalischen Größe er-
folgt durch den Vergleich der Einheit dieser
Nj ist die Anzahl des Messwerts xj bei N Mes-
Größe nach der Messmethode der SI-Verein-
sungen der Messgröße x.
barung oder einem darauf geeichten Messver-
Bei zufälligen Messabweichungen ist die Häu-
fahren. Oft werden die Messwerte von Wie-
figkeitsverteilung symmetrisch zu einem häu-
derholungsmessungen Abweichungen unter-
figsten Wert, dem Erwartungswert μ. Bei ei-
einander haben, die kennzeichnend für die
ner Wiederholungsmessung wird dieser Er-
Messgenauigkeit sind. Wie Tabelle 1.5 zeigt,
wartungswert mit größter Wahrscheinlichkeit
ist dabei zwischen den systematischen, für
gemessen. Vom häufigsten Wert abweichende
das Messverfahren charakteristischen Abwei-
Messwerte xj werden umso seltener gemessen,
chungen und den zufälligen oder statistischen,
je größer ihre Abweichung dj = xj − μ vom
vom Experimentator abhängigen Abweichun-
Erwartungswert μ ist.
gen zu unterscheiden.
Wird die Anzahl der Wiederholungsmessun-
Um systematische Abweichungen aufzude-
gen stark erhöht, so geht die Häufigkeitsver-
cken, werden in der Prüfpraxis Ringversuche
teilung h(xj ) in eine glockenförmige Normal-
durchgeführt, bei denen dieselbe Probe von
verschiedenen Prüfstellen gemessen und die
Ergebnisse anschließend verglichen werden.
Aus den zufälligen Abweichungen wird durch
die Fehlerrechnung die Messgenauigkeit des
angewandten Messverfahrens bestimmt. Die
mathematischen Grundlagen für diese Ana-
lyse der Messgenauigkeit sind in Lehrbüchern
der Statistik und Wahrscheinlichkeitstheorie
beschrieben. Die praxisgerechten Verfahren
sind in Normen zusammengefasst:

DIN EN 1 319: Grundbegriffe der Messtech-


nik,
DIN 55 302: Statistische Auswerteverfah- Abb. 1.5 Histogramm der Häufigkeitsverteilung hj
ren, (T) bei einer Schwingungsdauermessung sowie die
DIN 55 303: Statistische Auswertung von Normalverteilungskurve nach (1.3) für μ = T und
Daten, σ2 = s2T mit T = 1, 2116 s und sT = 0, 0172 s
1.3 Physikalische Größen 15

Tabelle 1.5 Abgrenzung zwischen systematischen und statistischen Abweichungen

systematische Abweichungen statistische Abweichungen

Hinweise unsymmetrische Häufung der Messwerte symmetrische Häufung der Messwerte um


von Wiederholungsmessungen einen häufigsten Wert
Ursachen falsche Kalibrierung der Messgeräte (z. B. Schwankungen beim Anlegen von Maß-
falsch eingestellter Nullpunkt) stäben (z. B. mangelnde Geschicklichkeit,
Ablesefehler (z. B. Parallaxenfehler bei elektronische Triggerschwankungen)
Zeigerinstrumenten) Schätzung von Zwischenwerten auf Maß-
falsche Messgerätejustierung (z. B. nicht stäben
horizontale Aufstellung)
Messwertdriften (z. B. Messverfahren
verändert die Messgröße)
Abhilfen Konsistenzmessungen (z. B. Eichpunkte, keine (Messgenauigkeit des Messverfah-
Messbereichsumschaltung) rens entspricht Messfehler)
stabilisierende Maßnahmen (z. B.
Thermostatisierung, Vakuumschutz)
Einsatz unterschiedlicher Messverfahren
Charakterisierung Angabe von Namen, Institut (amtliche Angabe der Abweichung nach
Zulassung, Prüfstelle), Messdatum und mathematischer Analyse der Messwerte
verwendeten Messgeräten (Fehlerrechnung)

Verteilung der Messwerte über. Im Grenzfall


b21/ 2
liegen die Werte des Histogramms auf der von σ2 = = 0,18 b21/2 . (1.4)
C.F. Gauß aufgestellten Verteilungsfunktion 8 ln 2

1 (x−μ)2
h(x) = √
− Aus der Häufigkeitsverteilung h(xj ) einer end-
e 2σ2 . (1.3)
2πσ 2 lichen Anzahl N von Messungen der m diskre-
ten Messwerte x1 , …, xm lassen sich für den
h(x) dx ist die Wahrscheinlichkeit, dass bei ei- Erwartungswert μ und die Varianz σ 2 nach
ner Wiederholungsmessung der Messwert x der Theorie der Beobachtungsfehler von Gauß
zwischen x und x + dx liegt. Die Funktion h(x) Schätzwerte berechnen. Demnach ist die beste
ist symmetrisch zum √Erwartungswert μ und Näherung für μ der arithmetische Mittelwert x
durch den Faktor 1/ 2πσ 2 so normiert, dass aus den Messwerten. Die theoretischen Bezie-
die Wahrscheinlichkeit 1 ist, bei einer Wie- hungen zur Berechnung der Schätzwerte sind
derholungsmessung einen Wert x im Bereich in Tabelle 1.6 zusammengestellt.
−∞ < x < +∞ zu finden. Die Varianz σ 2 ist Charakteristisch für die Varianz σ 2 und da-
ein Maß für die Breite der Verteilungsfunktion mit die Breite der Häufigkeitsverteilung ist
h(x) : 68,3% der Messwerte liegen im Bereich die Summe der quadratischen Abweichungen
x = μ ± σ und 95,4% im Bereich x = μ ±2σ . Die (xi − x0 )2 von einem Festwert x0 , die Fehler-
Varianz σ 2 kann auch aus der Halbwertsbreite summe FS. Die Fehlersumme hat den mini-
b1/ 2 , d. h. der Breite der Glockenkurve in hal- malen Wert FSmin , wenn für den Festwert der
ber Höhe des Maximums der Gauß-Verteilung, arithmetische Mittelwert x eingesetzt wird. Mit
bestimmt werden; es ist Hilfe der minimalen Fehlersumme lässt sich
16 1. Einführung

Tabelle 1.6 Beziehungen zur Berechnung der Kennwerte der Fehlerrechnung

Kennwerte der Fehlerrechnung Beziehungen

1 N
x arithmetischer Mittelwert; Schätzwert für den Erwar- x= xi (1.5)
N i=1
tungswert

N
FSmin minimale Fehlersumme einer Anzahl von N Messwerten FSmin = (xi − x)2
i=1

N
= x2i − N x2 (1.6)
i=1

FSmin
s Standardabweichung des Messwerts bzw. s= (1.7)
N −1
Messverfahrens; Schätzwert für die Varianz
s
x Standardabweichung des arithmetischen Mittelwerts x = √ (1.8)
N
uz Zufallskomponente der Messunsicherheit mit tP -Faktor uz = x tP (1.9)
der Student-Verteilung

als Breitenmaß der Häufigkeitsverteilung die weichung des arithmetischen Mittelwerts Δx


Standardabweichung s berechnen; s ist die mi- in Tabelle 1.6 ist ein Maß für die Abweichung
nimale Fehlersumme FSmin , normiert auf die zwischen Schätzwert x und wahrem Wert μ.
Anzahl nw = N − 1 der Wiederholungsmes- Häufig liegt bei Messungen die Anzahl der
sungen. Die Standardabweichung s hat die- Wiederholungsmessungen, d. h. die Anzahl
selbe Maßeinheit wie die Messgröße x. Nach der Messungen N abzüglich der Anzahl der
der Theorie der Beobachtungsfehler ist s2 der gesuchten Erwartungswerte unter zehn. Bei
beste Schätzwert für die Varianz σ 2 . In Abb. 1.5 einer solchen kleinen Anzahl von Messungen
ist in das Histogramm die Verteilungsfunktion ähnelt in der Regel das Histogramm Abb. 1.5
h(x) nach (1.3) eingezeichnet, wenn an Stelle μ nur sehr entfernt einer Normalverteilungs-
und σ 2 die nach Tabelle 1.6 berechneten Werte kurve nach (1.3). Dementsprechend ungenau
x und s2 gesetzt werden. ist die Abschätzung des Erwartungswertes der
Die Genauigkeit eines Messverfahrens be- Messgröße durch das arithmetische Mittel der
stimmt die Breite der Häufigkeitsverteilung. Messwerte. Die Güte dieser Abschätzung wird
Die Standardabweichung s charakterisiert durch einen Vertrauensbereich um den arith-
somit die Messgenauigkeit des verwendeten metischen Mittelwert gekennzeichnet, in dem
Messverfahrens und kann deshalb durch der Erwartungswert der Messgröße mit einer
Wiederholungsmessungen nicht erhöht wer- vom Experimentator vorzugebenden Wahr-
den; dazu muss das Messverfahren geändert scheinlichkeit, der statistischen Sicherheit P,
werden. liegt.
Dagegen erhöhen Wiederholungsmessun- Nach der Theorie der Beobachtungsfehler (t-
gen die Genauigkeit, sodass der berechnete Verteilung nach Student, alias W.S. Gosset,
arithmetische Mittelwert x mit dem Erwar- 1876 bis 1937) sind bei normalverteilten Mess-
tungswert μ als wahrem häufigsten Wert der größen die Vertrauensgrenzen für den Erwar-
Messgöße übereinstimmt. Die Standardab- tungswert abhängig von der Anzahl N der
1.3 Physikalische Größen 17

Messungen und der Standardabweichung s des Tabelle 1.7 Zahlenwerte nach DIN EN 1319
Messverfahrens: und Anpassungspolynom des t-Faktors der
Vertrauensgrenzen für verschiedene statistische
obere Vertrauensgrenze: xo = x + uz , Sicherheiten
untere Vertrauensgrenze: xu = x − uz . Anzahl der statistische Sicherheit P
Wiederholungs-
Die Messunsicherheit uz , die den Vertrauens- messungen 68,3% 95,4%
bereich des statischen Messwerts abgrenzt, be- nw = N − k t0,68 t0,95
rechnet sich nach (1.17) in Tabelle 1.6 und
hängt von der Standardabweichung Δx des 1 1,84 12,71
arithmetischen Mittelwerts ab. 2 1,32 4,30
3 1,20 3,18
Der Faktor t folgt aus der Student-t-Verteilung 4 1,15 2,78
und ist abhängig von der Anzahl der Wieder- 5 1,11 2,57
holungsmessungen und der geforderten sta- 7 1,08 2,37
tistischen Sicherheit P. In Tabelle 1.7 sind für 10 1,06 2,25
verschiedene Werte der statistischen Sicher- 20 1,03 2,09
50 1,01 2,01
heit P Werte für den t-Faktor aufgeführt. In der
100 1,00 1,98
Physik und in der Vermessungstechnik rech- > 100 1,00 1,96
net man mit der statistischen Sicherheit P =
Anpassungs- t0,68 =1 t0,95 = 1,96
68,3%. In diesem Fall entspricht die Messun- polynom
sicherheit uz gerade der Standardabweichung 0,584 3,012
+ +
Δx des arithmetischen Mittelwerts. In der In- nw nw
dustrie dagegen bevorzugt man die höhere sta- 0,032 1,273
− 2 − 2
tistische Sicherheit von P = 95,4%. Deshalb nw nw
0,288 8,992
muss bei der Angabe der Messunsicherheit + 3 + 3
nw nw
bzw. des Vertrauensbereichs stets die gewählte
statistische Sicherheit P angegeben werden.
Liegt neben der statistischen Messunsicher-
heit uz auch noch eine systematische Mess-
unsicherheit us vor, so ist als Gesamt-Mess- cherheit wird allerdings in der Praxis oft weg-
unsicherheit die Summe, also der Wert ug = gelassen. Dies kann zu Verwirrungen führen.
uz + us , anzugeben. So kann beispielsweise die Temperaturmes-
Das Ergebnis von N Messungen der Mess- sung mit einem Thermometer mit 1/10 ◦ C Tei-
größe x mit einem Messverfahren, dessen lung bei einer Kalibrierung mit der statisti-
Messgenauigkeit durch die Standardabwei- schen Sicherheit von 68,3% eine Messgenauig-
chung s gekennzeichnet ist, wird in der Form keit von ug = 0,1 K aufweisen. Für den Einsatz
in der Industrie mit einer Anforderung an die
s statistische Sicherheit von 95,4% muss für die-
xP = x ± tP √ (1.10) ses Thermometer die doppelte Messungenau-
N
igkeit ug = 0,2 K angegeben werden.
Wie aus (1.10) hervorgeht, nimmt die Mess-
angegeben. Der Index P kennzeichnet bei sehr unsicherheit von x nur mit der Wurzel der
genauen Messungen die gewählte statistische Messungen ab. Deshalb steigern viele Wieder-
Sicherheit. Die Angabe der statistischen Si- holungsmessungen die Messgenauigkeit des
18 1. Einführung

Erwartungswertes der Messgröße nur noch 1.3.4 Kurvenanpassung


wenig.
Außer der direkten Bestimmung von Mess-
In Tabelle 1.6 sind die absoluten Standardab-
werten für einzelne physikalische Größen
weichungen zusammengestellt. Zum Vergleich
f, beispielsweise der Länge oder der Masse
der Genauigkeiten verschiedener Messverfah-
eines Körpers, wird in Physik und Technik
ren werden häufig die relativen Standardab-
die Messtechnik dazu eingesetzt, Theorien
weichungen des Messverfahrens s/ x bzw. des
von Naturvorgängen zu überprüfen und die
arithmetischen Mittelwerts Δx/ x herangezo-
Parameter dieser Theorien experimentell
gen. Die Relativwerte werden dabei jeweils
zu bestimmen. Dabei werden für unter-
auf den arithmetischen Mittelwert x bezo-
schiedliche Messvariablen x1 , x2 , x3 , … die
gen und in Prozentwerten (1% = 10−2 ), Pro-
Messwerte f1 , f2 , f3 , … der physikalischen
mille (1 ‰ = 10−3 ) oder parts per million
Größe f gemessen, mit den theoretischen
(1 ppm = 10−6 ) angegeben.
Werten f (x1 ; a0 , a1 , …), f (x2 ; a0 , a1 , …),
f (x3 ; a0 , a1 , …)… verglichen und die Pa-
1.3.3 Fehlerfortpflanzung rameter a0 , a1 , … der Theorie so gewählt, dass
Oft werden die physikalischen Größen f (x, y, die theoretischen Werte der physikalischen
z, …) nicht direkt gemessen, sondern indirekt Größe f im Rahmen der Messgenauigkeit
aus den Messungen der Teilgrößen x, y, z, … mit den Messwerten übereinstimmen. Lassen
bestimmt, beispielsweise die Dichte ρ eines zy- sich die Messwerte nicht durch die theore-
lindrischen Körpers aus den Messungen der tischen Kurven anpassen, so ist entweder
Masse, des Durchmessers und der Höhe. Als die zugrunde liegende Theorie falsch oder
Messergebnisse liegen also die arithmetischen die Messung mit systematischen Messfehlern
Mittelwerte und die Standardabweichungen behaftet. Eine für die theoretische Elementar-
der Teilgrößen vor. Nach dem Fehlerfortpflan- teilchenphysik bahnbrechende experimen-
zungsgesetz von Gauß lassen sich aus die- telle Untersuchung mit Fehleranalyse zeigt
sen Werten der Teilgrößen der wahrschein- Abb. 1.6.
liche Wert f der indirekt gemessenen Größe
f (x, y, z, …) und deren Standardabweichun-
gen nach den Beziehungen in Tabelle 1.8 er-
rechnen.
Häufig wird (1.20) in Tabelle 1.8 für die
Standardabweichung mit Hilfe des absolu-
ten Größtfehlers Δf nach (1.11) abgeschätzt.
Besonders einfach lässt sich der relative
Größtfehler Δf / f einer Größe f = xk ym zn
berechnen, die über Potenzprodukte von den
Teilgrößen abhängt:
Abb. 1.6 PETRA-Experimente am Deutschen

Δf Δx Δy Δz Elektronen-Synchrotron (DESY) bewiesen 1983 das
= |k| + |m| + |n| .
Versagen der reinen Quanten-Elektrodynamik (QED)
f x y z
bei der Erzeugung von Myonen und bestätigten
(1.11) im Rahmen der Messgenauigkeit die Theorie der
elektroschwachen Wechselwirkung (QED + WEAK)
1.3 Physikalische Größen 19

Tabelle 1.8 Beziehungen für die Kennwerte der Fehlerrechnung indirekt gemessener physikalischer Größen

Kennwerte der Fehlerfortpflanzung der Beziehungen


Fehlerrechnung

f wahrscheinlichster Wert der f = f (x, y, z, …) (1.12)


indirekt gemessenen
physikalischen Größe f 2 2 2
∂f ∂f ∂f
sf Standardabweichung der sf = s2x + s2y + s2z + … (1.13)
Größe f bzw. des indirekten
∂x ∂y ∂z
Messverfahrens für f
∂f ∂f ∂f
Δf absoluter Größtfehler der Δf = Δx + Δy + Δz + … (1.14)
Größe f bzw. des Messverfah-
∂x ∂y ∂z
rens für f
x, y, z, … arithmetische Mittelwerte der Teilmessgrößen x, y, z, …
Δx, Δy, Δz, … Standardabweichungen der Mittelwerte x, y, z, …
∂f ∂f ∂f
, , , … partielle Ableitungen der Funktion f (x, y, z, …) nach den Teilgrößen x, y, z, … an der
∂x ∂y ∂z Stelle x, y, z, …

Sind die Messfehler der Messwerte f1 , f2 , …


zufällig und unterliegen sie dem Normalver-
N
∂f
−2 gi [fi − f (xi ; a0 , a1 , …)] =0,
teilungsgesetz, so sind nach der Theorie der i=1
∂a0
Beobachtungsfehler von Gauß die Parameter (1.16a)
a0 , a1 , … der Theorie am wahrscheinlichsten,

N
∂f
für die die Fehlersumme, d. h. die Summe der −2 gi [fi − f (xi ; a0 , a1 , …)] =0
Quadrate der Abweichungen, ein Minimum ist: i=1
∂a1
(1.16b)

N
und so fort .
FS = gi [fi − f (xi ; a0 , a1 , …)]2
i=1

→ Minimum (1.15) Für Linearkombinationen der Parameter


a0 , a1 , … ist das Normalgleichungssystem
Mit den Gewichten gi können die Beiträge linear und geschlossen lösbar. Abbildung 1.7
einzelner Messwerte zur Fehlersumme unter- gibt einen Überblick über Funktionen f
schiedlich gewichtet werden. mit linearen Normalgleichungen. Die Stan-
Es wird bei diesem Ansatz vorausgesetzt, dass dardabweichungen sa0 , sa1 , … der Parameter
die Abweichungen fi − f (xi ; a0 , a1 , …) vonein- lassen sich aus dem Wert des Minimums der
ander unabhängig sind und die Standardab- Fehlersumme FSmin , der Anzahl der Wieder-
weichung der Messungen fi für alle Maßvaria- holungsmessungen nw und aus den Gewichten
blen xi , denselben Wert s hat. g1 , g2 , … der Messwerte ermitteln.
Die Forderung dieser Methode der kleinsten Oft lässt sich eine theoretische Beziehung y =
Quadrate führt auf ein System von Normalglei- f (x; a0 , a1 ) durch eine Transformation = (y)
chungen für die Parameter a0 , a1 , …: in eine Geradendarstellung = m x + a um-
20 1. Einführung

Abb. 1.7 Funktionen mit einem linearen Normalgleichungssystem für die Parameter der Kurvenanpassung

formen. Die Parameter Steigung m und Ach-


1
senabschnitt a dieser Geradendarstellung (x) gi = 2 . (1.18)
können dann entweder rechnerisch oder gra- ∂(yi )
s2y
fisch durch eine Regressionsgerade ermittelt ∂yi
werden. Durch die Umformung von y = f (x) in
= (x) ändern sich jedoch die Gewichte gi der
einzelnen Messwerte; die Fehlersumme lautet In Abb. 1.8 sind für die Spezialfälle der linea-
dann ren, logarithmischen und exponentiellen Re-
gression die Lösungen für die Mittelwerte und
Standardabweichungen der Parameter zusam-

N
mengestellt.
FS = gi (i − m xi − a)2 . (1.17)
Die Vertrauensgrenzen uz , die die statistische
i=1
Messungenauigkeit begrenzen, ergeben sich je
nach geforderter statistischer Sicherheit aus
Ist die Standardabweichung sy für alle Werte yi dem Faktor t von Tabelle 1.7. Es ist zu be-
gleich und kann die Messungenauigkeit der achten, dass bei k Parametern und N Messun-
Werte xi vernachlässigt werden, so ergeben gen die Anzahl der Wiederholungsmessungen
sich die Gewichte gi aus nw = N − k beträgt. So ist bei der Regressions-
1.3 Physikalische Größen 21

Ausgleichsgerade auch grafisch durch die


Messwerte gelegt werden. Der Parameter a
ergibt sich aus dem Achsenabschnitt der
Ausgleichsgerade, m aus der Steigung.
Die Standardabweichungen Δm und Δa der Pa-
rameter lassen sich durch 2 Grenzgeraden I
und II an die Messwerte abschätzen, die durch
1 N
den Schwerpunkt der Messwerte ys = yi
N i=1
1
N
und xs = xi zu legen sind. Eine der
N i=1
Grenzgeraden ist die steilste, die andere die
flachste mögliche Gerade durch die Messwerte,
wie Abb. 1.9 zeigt. Aus den der Zeichnung ent-
nommenen Parametern mI , aI sowie mII und
aII der Grenzgeraden werden die Anpassungs-
fehler in folgender Weise bestimmt:

I
m − mII

Δm = ± , (1.20a)
2
Abb. 1.8 Kurvenanpassung durch lineare, I
a − aII
logarithmische und exponentielle Regression Δa = ± + |Δys | . (1.20b)
2

geraden die Anzahl der Wiederholungsmes- Δys ist die geschätzte Standardabweichung der
sungen nw = N − 2. Das Ergebnis der Kurven- Ordinate ys des Schwerpunkts der Messwerte.
anpassung ist Die grafische Bestimmung der Ausgleichsgera-
den und die Analyse der Anpassungsgenauig-
sa keit über Randgeraden sind naturgemäß sehr
a = a ± t(nw ) √ . (1.19)
N

1.3.5 Ausgleichsgeradenkonstruktion

Eine zeichnerische Darstellung der Mess-


punkte und des Verlaufs der angepassten
theoretischen Kurve eignet sich besonders gut
für die schnelle Beurteilung, ob die Theorie
im Rahmen der Messgenauigkeit mit den
Messwerten übereinstimmt. Wird ein linea-
rer Zusammenhang y = mx + a zwischen
der Messvariablen x und der Messgröße y Abb. 1.9 Grafische Kurvenanpassung für das
erwartet, so kann im Messdiagramm die Thermoelement Cu–CuNi an die Eichkurve
22 1. Einführung

subjektiv. Doch bei einiger Messerfahrung ge-



lingt es, die rechnerisch ermittelten wahr- N
(xi − x)(yi − y)
scheinlichsten Werte und den Vertrauensbe- i=1

r = ,
reich für eine statistische Sicherheit von 68,3%
N
N
in guter Annäherung auch auf grafischem Weg (xi − x)2 (yi − y)
2

i=1 i=1
wiederzugeben.
(1.21a)



1.3.6 Korrelationsanalyse
N
2 − Nx

x 2

i=1 i
In der Messwertanalyse wird die Methode der r = m



(1.21b)
y2 − Ny2
N
Regressionsgeraden benutzt, um zu untersu- i
i=1
chen, ob zwischen den N Messwerten oder
Merkmalen yi und xi einer zweidimensiona-
len Häufigkeitsverteilung yi = y(xi ) ein Zu- mit
sammenhang besteht. Ist der Zusammenhang
1
N
linear bzw. ist eine Proportionalität zwischen als dem Mittelwert der
x= xi
den Werten yi und xi vorhanden, dann liegen N i=1 Merkmale xi ,
diese Wertepaare auf einer Regressionsgera-
1
N
als dem Mittelwert des
den. Sind die Werte yi und xi dagegen vonein- y= yi
N i=1 Merkmals yi
ander unabhängig, dann streuen die Punkte in
der yi (xi )-Darstellung regellos, sodass sich ein und
„Sternenhimmel“ gemäß Abb. 1.10a ergibt.
Ein Maß für die Wahrscheinlichkeit, dass ein
N
xi yi − N x · y
i=1 als der Steigung der
linearer Zusammenhang zwischen yi und xi m=
besteht, ist der Betrag des Korrelationskoeffi-
N Regressionsgeraden.
x2i − N x2
zienten r: i=1

Abb. 1.10 Korrelationsanalyse der mittleren täglichen Heizleistung eines Wohnhauses:


a) Zusammenhang zwischen Heizleistung und Außenlufttemperatur; Korrelation unwahrscheinlich (r < 0,5);
b) Zusammenhang zwischen Heizleistung und äquivalenter Außentemperatur (unter Berücksichtigung von
Sonnenzustrahlung und Windeinfluss); Korrelation wahrscheinlich (r > 0,9)
1.3 Physikalische Größen 23

Der Korrelationskoeffizient r ist also propor- Φ = (16 ± 0,1)W , b = (495 ± 1) mm,


tional zur Steigung m der Regressionsgeraden s = (80 ± 1) mm , T2 = (15 ± 0,1) ◦ C ,
durch die Messwerte xi , yi . Nach (1.21b) a = (500 ± 1) mm , T1 = (6 ± 0,1) ◦ C .
berechnet eine Reihe von Taschenrechner-
programmen den Korrelationskoeffizienten r. a) Wie groß ist der wahrscheinlichste Wert der Wär-
Liegt der Korrelationskoeffizient nahe bei meleitfähigkeit?
r = 1 (also 0,8 < r ≤ 1,0), etwa entspre- b) Wie groß ist die Standardabweichung sλ der Wär-
meleitfähigkeit?
chend Abb. 1.10b, dann besteht mit großer
c) Wie groß ist der relative Größtfehler der Wärme-
Wahrscheinlichkeit eine lineare Beziehung leitfähigkeitmessung?
zwischen den Messwerten bzw. Merkmalen
yi , und xi . Ein Zusammenhang zwischen den
beiden Merkmalen yi und xi ist unwahrschein- Ü 1.3-3 Für das Thermoelement-Material Cu–CuNi
lich, wenn der Korrelationskoeffizient wie in soll die thermoelektrische Beziehung für die Bezugs-
Abb. 1.10a im Bereich 0 ≤ r < 0,5 liegt. temperatur ϑ0 = 0 ◦ C

Zur Übung Uth = a1 ϑ + a2 ϑ2


Ü 1.3-1 Die Schwingungsdauer eines Fadenpendels
wird mit einer Stoppuhr 25-mal gemessen. Es ergeben an die Werte der folgenden Wertetabelle rechnerisch
sich folgende Messwerte: und grafisch angepasst werden. Zu bestimmen sind
die wahrscheinlichsten Werte der Thermomaterial-
T = 1,21 s; 1,20 s; 1,23 s; 1,19 s; 1,21 s; 1,22 s; 1,18 s; konstanten a1 und a2 und der Vertrauensbereich für
1,21 s; 1,24 s; 1,20 s; 1,21 s; 1,25 s; 1,19 s; 1,20 s; eine statistische Sicherheit P = 68, 3%.
1,22 s; 1,21 s; 1,19 s; 1,23 s; 1,21 s; 1,22 s; 1,20 s; Wertetabelle für Cu–CuNi:

1,24 s; 1,21 s; 1,22 s; 1,20 s.

a) Berechnet werden soll der wahrscheinlichste Wert Tag-Nr. mittlere mittlere äquivalente
der Schwingungsdauer. tägliche Außenluft- Außentem-
b) Wie groß ist die Standardabweichung und damit Heizleistung temperatur peratur
die Genauigkeit des Messverfahrens? kW ◦C ◦C

c) Wie groß ist die Standardabweichung des arith-


metischen Mittelwerts? 1 85 2,3 0,8
d) Welchen Wert hat die Grenze uz des Vertrauens- 2 81 1,5 0,4
bereichs, wenn eine statistische Sicherheit von 3 67 0,6 3,2
P = 95% verlangt wird? 4 93 0,6 −3,0
5 81 3,2 1,2
6 88 2,8 −0,7
Ü1.3-2 Die Wärmeleitfähigkeit λ eines Stoffes wird im 7 102 2,2 −2
Plattengerät nach DIN 52 612 unter stationären Tempe- 8 73 6,0 0,6
raturbedingungen aus der Messung der Probendicke s, 9 65 6,2 4,2
der Kantenlängen a und b der plattenförmigen Probe, 10 64 3,4 3,5
aus den Oberflächentemperaturen T1 und T2 auf der 11 78 1,0 0,2
Kalt- und Warmseite sowie aus dem Wärmestrom Φ 12 65 0,5 2,0
durch die Probe bestimmt. Es gilt 13 81 1,8 0,7
14 74 3,0 1,4
Φs
λ= . 15 65 4,0 2,6
a b (T2 − T1 ) 16 52 4,4 4,4
17 59 5,3 3,4
Die Messwerte bei einer Leichtbetonprobe sind
1. Einführung

ϑ/ ◦ C −40 −30 −20 −10 ßenflächen und die Wärmespeicherfähigkeit der Au-
Uth / mV −1,50 −1,14 −0,77 −0,39 enwandkonstruktion und wird aus den lokalen Kli-
ϑ/ ◦ C 0 +10 +20 +30 +40 madaten berechnet. Für einen 17-tägigen Messzyklus
Uth / mV 0 +0,40 +0,80 +1,21 +1,63 ergeben sich folgende Daten:

ϑ/ ◦ C +50 +60 +70 +80 a) Wie groß sind die Steigung und der Achsenab-
Uth / mV +2,05 +2,48 +2,91 +3,35 schnitt der Regressionsgeraden bei der Abhän-
gigkeit der mittleren Heizleistung von der Außen-
ϑ/ ◦ C +90 +100 +110 +120 lufttemperatur bzw. von der äquivalenten Außen-
Uth / mV +3,80 +4,25 +4,71 +5,18 temperatur (Abb. 1.10)?
b) Beurteilt werden soll anhand der Korrelationsko-
effizienten die Abhängigkeit der mittleren Heiz-
Ü 1.3-4 leistung von den beiden Parametern Außenluft-
Bei der energetischen Analyse eines Mehrfamilienhau- temperatur und äquivalenter Außentemperatur.
ses mit Zentralheizung wird die Abhängigkeit der mitt- c) Wie groß sind die Standardabweichungen der
leren Heizleistung je Tag von der mittleren Außenluft- Steigung und des Achsenabschnitts bei den bei-
temperatur untersucht. In einem weiteren Schritt wird den Regressionsgeraden?
zum Vergleich der Zusammenhang der Heizleistung d) Wie groß sind die Vertrauensbereiche für die
mit einer äquivalenten Außentemperatur analysiert. Steigung und den Achsenabschnitt der Regres-
Diese berücksichtigt die Einflüsse der Sonnenzustrah- sionsgeraden bei der statistischen Sicherheit P =
lung, der mittleren Windgeschwindigkeit an den Au 68,3%?
Kapitel 2
Mechanik 2

E. Hering et al., Physik für Ingenieure,


DOI 10.1007/978-3-642-22569-7_2, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
2 Mechanik
2.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27
2.2 Kinematik des Punktes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27
2.2.1 Eindimensionale Kinematik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28
2.2.2 Dreidimensionale Kinematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34
2.2.3 Kreisbewegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37
2.3 Grundgesetze der klassischen Mechanik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41
2.3.1 Konzept der klassischen Dynamik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41
2 2.3.2
2.3.3
Die Newton’schen Axiome. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Masse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
41
42
2.3.4 Kraft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43
2.4 Dynamik in bewegten Bezugssystemen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48
2.4.1 Relativ zueinander geradlinig bewegte Bezugssysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48
2.4.2 Gleichförmig rotierende Bezugssysteme. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50
2.5 Impuls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54
2.5.1 Impuls eines materiellen Punktes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54
2.5.2 Impuls eines Systems materieller Punkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56
2.5.3 Raketengleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58
2.6 Arbeit und Energie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60
2.6.1 Arbeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60
2.6.2 Leistung, Wirkungsgrad . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62
2.6.3 Energie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64
2.6.4 Energieerhaltungssatz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65
2.7 Stoßprozesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66
2.7.1 Übersicht und Grundbegriffe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66
2.7.2 Gerader, zentraler, elastischer Stoß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67
2.7.3 Gerader, zentraler, unelastischer Stoß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69
2.7.4 Schiefe, zentrale Stöße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71
2.8 Drehbewegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73
2.8.1 Drehmoment. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73
2.8.2 Newton’sches Aktionsgesetz der Drehbewegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73
2.8.3 Arbeit, Leistung und Energie bei der Drehbewegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75
2.8.4 Drehbewegungen von Systemen materieller Punkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76
2.8.5 Analogie Translation und Rotation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77
2.9 Mechanik starrer Körper . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78
2.9.1 Freiheitsgrade und Kinematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78
2.9.2 Kräfte am starren Körper . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80
2.9.3 Schwerpunkt und potentielle Energie eines starren Körpers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83
2.9.4 Kinetische Energie eines starren Körpers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84
2.9.5 Massenträgheitsmomente starrer Körper . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86
2.9.6 Kreisel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93
2.10 Gravitation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99
2.10.1 Beobachtungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99
2.10.2 Newton’sches Gravitationsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101
2.10.3 Hubarbeit und potentielle Energie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102
2.10.4 Satellitenbahnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104
2.11 Mechanik deformierbarer fester Körper – Elastomechanik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106
2.11.1 Elastische Verformung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106
2.11.2 Plastische Verformung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115
2.11.3 Härte fester Körper . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117
2.12 Mechanik der Flüssigkeiten und Gase-, Hydro- und Aeromechanik . . . . . . . . . . . . . 119
2.12.1 Ruhende Flüssigkeiten (Hydrostatik) und ruhende Gase (Aerostatik). . . . . . . . . . . . . . 121
2.12.2 Fluide – strömende Flüssigkeiten (Hydrodynamik) und Gase (Aerodynamik) . . . . . . . 133
2 Mechanik

2.1 Einführung und ihre mathematischen Methoden, wie z. B.


die Beschreibung von Bewegungsabläufen mit
Die Mechanik ist der Teil der Physik, der sich
Hilfe von Differential- und Integralgleichun-
mit der Zusammensetzung und dem Gleichge-
gen, sind für die ganze Physik von grundle-
wicht von Kräften, die auf einen ruhenden Kör-
gender Bedeutung. Die außerordentlichen Er-
per wirken (Statik), mit Bewegungsvorgängen
folge der Newton’schen Mechanik beispiels-
(Kinematik) und den Kräften als Ursache der
weise auch in den Gebieten Astronomie und
Bewegung (Dynamik) befasst. Die Dynamik
Wärmelehre nährten lange Zeit den Glauben,
wird auch als Kinetik bezeichnet oder dient als
dass sich alle Naturerscheinungen auf die Me-
Sammelbegriff für Statik und Kinetik.
chanik zurückführen ließen. Um die Wende
Eine Übersicht über die Bereiche der Mecha-
vom 19. ins 20. Jahrhundert wurde klar, dass
nik, die Zusammenhänge zwischen ihren Teil-
dies bei der Elektrodynamik nicht möglich ist.
gebieten und ihren wichtigsten Beziehungen
Ferner erkannte man, dass die Newton’sche
vermittelt Abb. 2.1.
Mechanik ganz klare Gültigkeitsgrenzen hat.
Die Mechanik nimmt unter den Teilgebieten
So liefert die klassische Mechanik falsche Vor-
der Physik eine besondere Stellung ein. Die
aussagen, wenn sich Objekte mit sehr großer
planmäßige Erforschung der Naturgesetze be-
Geschwindigkeit (insbesondere nahe Lichtge-
gann im 16. und 17. Jahrhundert in der Mecha-
schwindigkeit) bewegen. Dort wird sie abge-
nik. So wurde beispielsweise durch die Fallver-
löst von der durch Einstein (A. Einstein, 1879
suche von Galilei (G. Galilei, 1564 bis 1642)
bis 1955) begründeten relativistischen Mecha-
erstmals das gezielte Experiment als Hilfsmit-
nik. Im Bereich der atomaren Dimensionen
tel wissenschaftlicher Erkenntnis in der Physik
versagt die klassische Mechanik ebenfalls: Mi-
eingeführt (Abschn. 1.1, Abb. 1.1). Galileis Un-
kroobjekte gehorchen der Quantenmechanik
tersuchungen zur Dynamik wurden von Huy-
(Abschn. 1.2, Abb. 1.3).
gens (Chr. Huygens, 1629 bis 1695) fortge-
In diesem Abschnitt werden lediglich Ge-
führt und von Newton (I. Newton, 1643 bis
setze der klassischen Mechanik beschrieben
1727) zu einem gewissen Abschluss gebracht.
(Abb. 2.1).
Auf den Newton’schen Axiomen fußt das ganze
Gebäude der klassischen Mechanik, die ihm zu
Ehren auch als Newton’sche Mechanik bezeich-
2.2 Kinematik des Punktes
net wird.
Die allgemeinen Begriffe der Mechanik, wie Die Kinematik hat zur Aufgabe, die Bewegung
z. B. Masse, Kraft, Arbeit, Energie und Impuls, von Körpern zu beschreiben. Dies geschieht

M. Stohrer, E. Hering, R. Martin, Physik für Ingenieure.


DOI 10.1007/978-3-642-22569-7_2 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
30 2 Mechanik

Abb. 2.1 Strukturbild der Mechanik

durch die Angabe von Ortskoordinaten und halb ausschließlich die Kinematik des einzel-
deren Zeitabhängigkeit. Bei komplizierten Ge- nen Punktes beschrieben. Die Kinematik der
bilden können einzelne Teile ganz verschie- starren Körper wird in Abschn. 2.9.1 erläutert.
dene Bewegungen ausführen. So ist etwa bei Die Kinematik befasst sich nicht mit der Frage
einem fahrenden Auto die Bewegung eines nach der Ursache einer bestimmten Bewe-
Punktes der Karosserie völlig verschieden von gung. Dies ist Aufgabe der Dynamik oder Ki-
jener eines Punktes auf einem Reifen. Für die netik. Die Kinematik ist eine reine Bewegungs-
vollständige Beschreibung des Bewegungszu- geometrie.
stands eines Systems sind demnach unter Um-
ständen viele Angaben erforderlich. Da aber 2.2.1 Eindimensionale Kinematik
jedes System aus einzelnen Punkten zusam-
mengesetzt ist, hat die Beschreibung der Be- 2.2.1.1 Geschwindigkeit
wegung eines einzelnen Punktes eine vorran- Eindimensional ist die Kinematik eines Punk-
gige Bedeutung. In diesem Abschnitt ist des- tes, wenn die Bewegung nur auf einer vorge-
2.2 Kinematik des Punktes 31

gebenen Bahn erfolgt, wie es beispielsweise


bei Schienenfahrzeugen und Werkzeugschlit-
ten der Fall ist. Eindimensional wird die Be-
wegung deshalb genannt, weil zur eindeutigen
Ortsbestimmung die Angabe einer Koordinate
ausreicht, ein solcher spurgeführter Punkt also
nur einen Freiheitsgrad hat. Die Lage eines
Punktes P ist eindeutig beschrieben, wenn ge- Abb. 2.3 Zur Definition der Geschwindigkeit, t Zeit
mäß Abb. 2.2 die längs der Bahn gemessene (sonstige Bezeichnungen wie in Abb. 2.1)
Entfernung s von einem Anfangspunkt A an-
gegeben ist.
Eine wichtige Grundgröße der Kinematik ist nach (2.1) ein Quotient aus der Weg- und
die Geschwindigkeit. Je größer die Geschwin- Zeitdifferenz bei verschwindend kurzem
digkeit eines Punktes ist, umso größer ist der Zeitintervall gebildet werden. Mathematisch
zurückgelegte Weg innerhalb einer bestimm- drückt man diesen Sachverhalt durch den
ten Zeitspanne. Befindet sich nach Abb. 2.3 Grenzübergang Δt → 0 aus:
ein Punkt zur Zeit t am Ort P1 , charakteri-
siert durch die Entfernung s(t) vom Ausgangs- Δs ds
punkt A, und zur Zeit t + Δt am Ort P2 mit = lim = = ṡ . (2.2)
Δt→0 Δt dt
der Entfernung s(t + Δt), dann ist die mittlere
Geschwindigkeit
Der Differentialquotient nach der Zeit wird in
der Mechanik häufig mit einem aufgesetzten
s(t + Δt) − s(t) Δs
m = = . (2.1) Punkt symbolisiert. Der Differentialquotient
(t + Δt) − t Δt ds/ dt hat eine anschauliche Bedeutung:

Die abgeleitete SI-Maßeinheit der Geschwin- Die Geschwindigkeit ist die Steigung der
digkeit ist 1 m/s. Andere Quotienten gesetz- Kurve in einem Weg-Zeit-Diagramm.
lich zugelassener Längen- und Zeiteinheiten,
wie z. B. km/h, sind ebenfalls möglich.
Beispiel
Wird die Zeitdifferenz Δt zu groß gewählt, 2.2-1 Abbildung 2.4 a zeigt ein Weg-Zeit-Diagramm
dann kann die tatsächliche Momentange- eines Fahrzeugs. Wie groß ist dessen minimale, maxi-
schwindigkeit von der mittleren Geschwin- male und mittlere Geschwindigkeit?
digkeit m erheblich abweichen. Um die
Momentangeschwindigkeit zu erhalten, muss Lösung
Am Anfang und Ende des s, t-Diagramms hat
die Kurve eine waagrechte Tangente; hier liegt
also die minimale Geschwindigkeit = 0 vor.
Der Punkt P auf der Kurve kennzeichnet den
Ort maximaler Steigung. Der Betrag der Stei-
gung lässt sich aus dem eingezeichneten Stei-
Abb. 2.2 Ortskoordinate eines Punktes P auf gungsdreieck ablesen, dessen Hypotenuse eine
vorgegebener Bahn s Weg vom Anfangspunkt A Tangente zur Kurve in P ist. Man erhält
32 2 Mechanik

30 km
max = = 2,36 km/min = 142 km/h . Ort zur Zeit t0 , dann ist der Ort s(t1 ) zur Zeit t1
12,7 min
gegeben durch das Integral
Die mittlere Geschwindigkeit für den Gesamt-
vorgang beträgt
t
30 km s(t) = s0 + (τ) dτ .
m = = 0,75 km/min = 45 km/h . (2.3)
40 min
t0
Bestimmt man nun im s, t-Diagramm von
Abb. 2.4 a an jedem Punkt die Steigung, so er-
hält man das kontinuierliche Geschwindigkeit- Weil dieses Integral die Bedeutung der Flä-
Zeit-Diagramm von Abb. 2.4 b. Liegt aber das che unter einer Kurve hat, kann der zurückge-
, t-Diagramm durch eine Messung bereits legte Weg durch Flächenbestimmung aus dem
vor, dann kann das zugehörige s, t-Diagramm , t-Diagramm gewonnen werden. Sehr häu-
durch Integration ermittelt werden. Ist s0 der fig liegen in der Praxis gemessene Kurven vor,
die nicht analytisch beschrieben werden kön-
nen. Bei solchen Kurven muss die Integration
bzw. Flächenbestimmung „numerisch“ durch-
geführt werden.
Als Beispiel einer solchen Integration ist in
Abb. 2.4 b die Fläche zwischen 0 t 15 min
rot eingezeichnet. Durch Auszählen von Ka-
ros auf Millimeterpapier ergibt sich die „Flä-
che“ 6,7 km. Zur Zeit t = 15 min ist also
s(15 min) = 6,7 km. Dieses Ergebnis stimmt
mit der Abb. 2.4 a gut überein.

2.2.1.2 Beschleunigung
Eine beschleunigte Bewegung liegt vor, wenn
sich die Geschwindigkeit im Lauf der Zeit än-
dert. Die Beschleunigung ist umso größer, je
stärker sich die Geschwindigkeit innerhalb ei-
ner Zeitspanne Δt ändert. Sind (t) die Ge-
schwindigkeit eines Punktes zur Zeit t und
(t + Δt) die Geschwindigkeit zur späteren Zeit
t + Δt, so ist die mittlere Beschleunigung

(t + Δt) − (t) Δ


am = = . (2.4)
(t + Δt) − t Δt

Die abgeleitete SI-Maßeinheit der Beschleuni-


Abb. 2.4 Bewegung mit ungleichförmiger gung a ist 1 m/s2 . Wie bei der Geschwindig-
Geschwindigkeit (Beispiel 2.2-1). a) Weg-Zeit- keit weicht im Allgemeinen die Momentanbe-
Diagramm, b) Geschwindigkeit-Zeit-Diagramm schleunigung a von der mittleren Beschleuni-
2.2 Kinematik des Punktes 33

gung am ab. Die Momentanbeschleunigung er-


hält man nach einem Grenzübergang für ver-
schwindend kurze Messzeiten aus

Δ d
a = lim = = ˙ . (2.5)
Δt→0 Δt dt

Die Beschleunigung kann anschaulich inter-


pretiert werden:

Die Beschleunigung ist die Steigung der


Kurve in einem Geschwindigkeit-Zeit-
Diagramm.

Beispiel
2.2-2 Bei einem mathematischen Pendel hängt an ei- Abb. 2.5 Beschleunigte Bewegung (Beispiel
nem Faden ein kleiner Körper mit vernachlässigba- 2.2-2). a) Geschwindigkeit-Zeit-Diagramm,
rer Ausdehnung. Die Geschwindigkeit dieses Massen- b) Beschleunigung-Zeit-Diagramm
punktes wird durch die Beziehung (t) = 0,25 m/s ·
sin(3,14 s−1 t) beschrieben und ist in Abb. 2.5 a darge-
stellt in der Zeitspanne 0 5 t 5 1 s. Wie lautet der Die rot eingezeichnete Fläche in Abb. 2.5 b
Ausdruck für die Beschleunigung des Punktes? Wie stellt beispielsweise die Geschwindigkeit zur
groß sind die Extremwerte?
Zeit t1 = 0,5 s dar. Weil die Beschleunigung
analytisch vorliegt, kann sofort integriert wer-
Lösung den. Man erhält
Für die Beschleunigung gilt
0,5 s
a = d/ dt = 0,79 m/s · cos (3,14 s t) .
2 −1
(0,5 s) = 0,79 m/s2 · cos(3,14 s−1 t) dt
0
Die Extremwerte sind amax = ±0,79 m/s2 bei = 0,25 m/s .
t = 0 bzw. t = 1 s. Den Verlauf zeigt Abb. 2.5 b.
Liegt die a, t-Kurve vor (z. B. mit einem Be-
schleunigungsaufnehmer gemessen), dann er- 2.2.1.3 Einfache Spezialfälle
gibt sich daraus die , t-Kurve durch Integra- Von Bedeutung sind die Spezialfälle der gleich-
tion: mäßigen Geschwindigkeit = konstant und
der gleichmäßigen Beschleunigung a = kon-
t stant. Für diese Fälle liefern die allgemeinen
(t) = 0 + a(τ) dτ (2.6) Gleichungen verhältnismäßig einfache Aus-
t0
drücke, die in Abb. 2.6 zusammengefasst sind.
Sehr einfache Beschreibungen ergeben sich,
wenn die jeweiligen Integrationskonstanten 0
mit 0 als der Geschwindigkeit zur Zeit t0 . und s0 gleich null gesetzt werden.
34
2 Mechanik

Abb. 2.6 Translationsbewegung


2.2 Kinematik des Punktes 35

1
Ein allgemein bekanntes Beispiel für die Be- ymax = h + 20 / g = 11,27 m .
wegung mit konstanter Beschleunigung ist der 2
freie Fall an der Erdoberfläche. Alle Körper er-
fahren beim Fall im Vakuum die Fallbeschleu- Der Fall ist beendet, wenn y = 0 wird. Die
nigung g = 9,81 m/s2 . Beim Fall in der Luft zugehörige Zeit tf folgt aus der quadratischen
wirkt sich der Strömungswiderstand störend Gleichung (II):
aus, der aber in vielen Fällen vernachlässigt 1 2
werden kann. g t − 0 tf − h = 0 .
2 f
Beispiel
2.2-3 Von einem h = 10 m hohen Turm wird eine Für die Fallzeit des freien Falls ergibt sich all-
kleine Stahlkugel mit der Anfangsgeschwindigkeit v0 = gemein
5 m/s senkrecht nach oben geworfen. Für diesen Fall
sind die , t- und y, t-Diagramme zu zeichnen. Zu be-
rechnen sind die maximale Steighöhe, die Gesamtzeit,
die vergeht, bis die Kugel auf der Erde aufschlägt, und 0 + 20 + 2gh
die Endgeschwindigkeit, mit der die Kugel auf der Erde
tf = . (2.7)
g
ankommt.

In Beispiel 2.2-3 ist tf = 2,03 s (Abb. 2.7c). Die


Lösung
Abbildung 2.7a zeigt die gewählte Höhenkoor-
Geschwindigkeit f der Kugel am Ende des Falls
dinate. Die y-Achse weist senkrecht nach oben;
ergibt sich aus (I) mit der Zeit tf zu
y = 0 entspricht der Erdoberfläche. Die An-
fangsbedingungen zur Zeit t = 0 sind y(0) = h
und v(0) = + 0 . Die Beschleunigung ist a = −g
= konstant. Das Minuszeichen bringt zum Aus- f = − 20 + 2gh . (2.8)
druck, dass die Beschleunigung der positiven
y-Richtung entgegengesetzt ist.
Aus (2.6) bzw. Abb. 2.6 folgt für die Geschwin- In Beispiel 2.2-3 ist |f | = 14,9 m/s (Abb. 2.7 b).
digkeit Der freie Fall aus der Ruhe ist als Spezialfall
für 0 = 0 in den vorgenannten Herleitungen
(t) = 0 − gt . (I)
enthalten. So gelten z. B. für die Fallzeit aus der
Der Ort der Kugel ergibt sich aus (2.3) bzw. Höhe h
Abb. 2.6 zu
1
y(t) = h + 0 t − gt2 . (II)
2 2h
tf = (2.9)
g
Die Gleichungen (I) und (II) sind in den ki-
nematischen Diagrammen Abb. 2.7b und 2.7c
dargestellt. Die maximale Steighöhe ist er-
reicht, wenn = 0 geworden ist (Umkehr- und für die Endgeschwindigkeit
punkt). Aus (I) folgt für diesen Zeitpunkt
t(ymax ) = 0 / g = 0,51 s.
Aus (II) erhält man die zugehörige Ortskoor- |f | = 2gh . (2.10)
dinate
36 2 Mechanik

2.2.2 Dreidimensionale Kinematik

2.2.2.1 Ortsvektor und Bahnkurve


Die Bewegung eines Punktes im dreidimensio-
nalen Raum hat drei Freiheitsgrade; zu seiner
eindeutigen Lagebestimmung ist die Kennt-
nis von drei Koordinaten erforderlich. Dazu
können beispielsweise die Komponenten eines
Ortsvektors r, der vom Ursprung eines Koor-
dinatensytems bis zum Ort des betreffenden
Punktes zeigt, benutzt werden. Wird gemäß
Abb. 2.8 ein kartesisches Koordinatensystem
verwendet, dann hat der Ortsvektor r(t), als
Spaltenmatrix geschrieben, die Komponenten
⎛ ⎞
x(t)
r(t) = ⎝ y(t) ⎠ .
z(t)

Werden die Ortsvektoren zu verschiedenen


Zeiten aufgezeichnet, wandert die Spitze der
Ortsvektoren auf der Bahnkurve des Punktes.
In diesem Abschnitt wird ausschließlich mit
kartesischen Koordinaten gearbeitet. Bei be-
stimmten Bewegungsabläufen ist jedoch die
Verwendung anderer Koordinatensysteme
(z. B. Kugelkoordinaten oder Zylinderkoordi-
naten) vorteilhaft.

2.2.2.2 Geschwindigkeitsvektor
Abbildung 2.9 zeigt die Bewegung eines Punk-
tes auf einer gekrümmten Bahnkurve. Es sind
zwei Ortsvektoren r zu den Zeiten t und t + Δt
eingezeichnet. In Analogie zur Definitionsglei-
chung (2.1) für die mittlere Geschwindigkeit
wird ein Vektor der mittleren Geschwindigkeit
definiert:

Abb. 2.7 Zu Beispiel 2.2-3: Senkrechter Wurf nach


oben. a) Höhenkoordinate, b) Geschwindigkeit-Zeit-
Diagramm, c) Weg-Zeit-Diagramm
2.2 Kinematik des Punktes 37

Der Vektor der Momentangeschwindigkeit


ergibt sich wieder durch den Grenzübergang
Δt → 0:
⎛ ⎞
Δr dr ⎝ ẋ ⎠
= lim = = ẏ . (2.12)
Δt→0 Δt dt

Der Betrag des Vektors ist exakt gleich der


früher in (2.2) eingeführten Geschwindig-
keit, denn nach dem Grenzübergang besteht
zwischen Bogen und Sehne kein Unterschied
Abb. 2.8 Ortsvektor und Bahnkurve. mehr. Für die Richtung des Vektors gilt
x, y, z Raumkoordinaten, t Zeit
(Abb. 2.9):

Der Vektor der Momentangeschwindig-


keit liegt stets tangential zur Bahnkurve.

Mit Hilfe des Tangenteneinheitsvektors etan


(Betrag eins, Richtung der Tangente an die
Bahnkurve) kann der Vektor der Geschwin-
digkeit auch so geschrieben werden:

= etan . (2.13)

Abb.2.9 Zur Definition des Geschwindigkeitsvektors .


x, y, z Raumkoordinaten, t Zeit, s Weg, r Ortsvektor
2.2.2.3 Beschleunigungsvektor
Der Vektor der Beschleunigung wird als Ab-
leitung des Geschwindigkeitsvektors nach der
Zeit definiert:
r(t + Δt) − r(t) Δr
m = = . (2.11) ⎛⎞ ⎛ ⎞
(t + Δt) − t Δt ˙x ẍ
d ⎝ ⎠ ⎝ ⎠
a= = ˙y = ÿ . (2.14)
dt
˙z z̈
Dieser Vektor hat die Richtung des Differenz-
vektors Δr und gibt grob die Bewegungsrich-
tung an. Wenn die Zeitspanne Δt genügend Dieser Vektor steht, wie in Abb. 2.10 gezeigt,
klein ist, gilt |Δr| ≈ Δs. Damit ist der Betrag im Allgemeinen schief zur Bahnkurve. Seine
des Vektors m ungefähr gleich der mittleren Tangential- und Normalkomponenten atan und
Geschwindigkeit, wie sie in (2.1) definiert ist. anorm können berechnet werden, indem der
38 2 Mechanik

Abb. 2.10 Tangential- und Normalkomponenten des


Beschleunigungsvektors
Abb. 2.11 Zur Bestimmung der Differentialquotienten
detan / dt

Geschwindigkeitsvektor = etan nach der


Zeit differenziert wird. Dies ergibt mit Hilfe Beträge gilt
der Produktregel der Differentialrechnung Δs |Δetan |
≈ = |Δetan | .
R |etan |
d detan
a = atan + anorm = etan + .
dt dt Damit ist der Betrag des Differenzenquotien-
ten
Das erste Glied hat die Richtung der Tangente
Δetan Δs m

Δt ≈ ΔtR = R .
und stellt die Tangentialkomponente der
Beschleunigung
Nach dem Grenzübergang Δt → 0 ergibt sich
d
atan = etan (2.15) detan

dt dt = R .

Somit ist die Normalkomponente der Be-


dar. Der Betrag der Tangentialbeschleunigung
schleunigung
d/ dt ist identisch mit der Beschleunigung,
die bei der eindimensionalen Bewegung detan
durch (2.5) definiert wurde. anorm = oder
dt
Zur Bestimmung der Normalkomponente
anorm muss die Differentiation detan / dt durch-
geführt werden. Dazu wird zuerst der Dif- 2
ferenzenquotient Δetan /Δt bestimmt. Ab- anorm = enorm (2.16)
R
bildung 2.11 zeigt die Konstruktion des
Differenzvektors Δetan = etan (t + Δt) − etan (t).
mit enorm als dem Normaleinheitsvektor an der
Jede gekrümmte Bahn lässt sich auf einem
Bahnkurve.
mehr oder weniger langen Bogenstück Δs als
Kreis mit dem Krümmungsradius R annähern. Beispiel
Δetan steht senkrecht auf der Bahnkurve in 2.2-4 Eine kleine Kugel wird zur Zeit t = 0 mit der An-
Richtung Krümmungsmittelpunkt M. Für die fangsgeschwindigkeit 0 = 30 m/s unter dem Winkel
2.2 Kinematik des Punktes 39

β0 = 60◦ gegen die Horizontale abgeschossen. Unter


Vernachlässigung des Luftwiderstands soll die Bewe-
gung diskutiert werden.

a) Wie lauten die allgemeinen Ausdrücke für a(t), (t)


und r(t)?
Abbildung 2.12 zeigt das verwendete Koordinatensys-
tem. Beschleunigt wird die Kugel infolge der Schwer-
kraft nur senkrecht
nach unten, also ist die Beschleu-
0
nigung a = . Für die Geschwindigkeit gilt
−g
Abb. 2.12 Zu Beispiel 2.2-4: Wurfparabel

0 cos β0
(t) = .
0 sin β0 − gt Am Scheitel ist y = 0 bzw. 0 sin β0 − g ts = 0; daraus
folgt
Der Ortsvektor hat die Form
0 sin β0
ts = = 2,65 s .
0 t cos β0 g
r(t) = .
0 t sin β0 − 12 gt2 f) Wie groß ist der Krümmungsradius Rs der Wurfpa-
rabel im Scheitel?
Wird aus der x- und y-Komponente des Ortsvektors
die Zeit t eliminiert, so erhält man die Gleichung der Die Geschwindigkeit im Scheitel beträgt s =
Bahnkurve, die Wurfparabel: 0 cos β0 = 15 m/s. Nach (2.16) gilt |anorm | = 2 / R;
somit ist Rs = 2s / g = 22,94 m.

g
y = tan β x − x2 . (2.17)
220 cos2 β0 2.2.3 Kreisbewegungen

Bei einer Kreisbewegung ist die Normalkom-


b) An welchem Punkt P1 befindet sich die Kugel zur
Zeit t1 = 2 s? ponente der Beschleunigung stets zum Kreis-

30,00 m mittelpunkt gerichtet; man nennt sie deshalb
Der zugehörige Ortsvektor lautet r1 = .
32,34 m auch Zentripetalbeschleunigung. Ist r der Ra-
c) Wie groß sind Betrag und Richtung der Geschwin- dius des Kreises und die Bahngeschwindig-
digkeit 1 zur Zeit t1 ? keit, so gilt für die Zentripetalbeschleunigung
15,00 m/s
Der Geschwindigkeitsvektor lautet 1 = .
6,36 m/s
Der Betrag der Geschwindigkeit ist |1 | = 16,3 m/s. Der 2
|azp | = . (2.18)
Geschwindigkeitsvektor liegt tangential an der Parabel, r
sein Winkel gegen die x-Achse folgt aus tan β1 = 6,36
15 =
0,424 zu β1 = 23◦ .
d) Wie groß sind Normal- und Tangentialbeschleuni- Die Tangentialbeschleunigung |atan | = d/ dt
gung anorm (t1 ) und atan (t1 )? hängt davon ab, ob sich die Geschwindigkeit
Abbildung 2.12 zeigt die Komponentenzerlegung betragsmäßig ändert. Für Kreisbewegungen
von a. Es ergeben sich mit konstanter Geschwindigkeit ist atan = 0.
Bei der Kreisbewegung ist es häufig vorteilhaft,
|anorm (t1 )| = g cos β1 = 9,03 m/s2 und
anstatt der Größen r, und a andere, speziell
|atan (t1 )| = g sin β1 = 3,83 m/s2 .
auf die Kreisbewegung angepasste Größen zur
e) Zu welchem Zeitpunkt ts erreicht die Kugel den Beschreibung des Bewegungsablaufs zu ver-
Scheitel S? wenden. Nach Abb. 2.13 lässt sich der Ort eines
40 2 Mechanik

Dieser steht senkrecht auf der Ebene der Kreis-


bahn. Die Richtung von ω ist nach Abb. 2.14
der Drehrichtung einer Rechtsschraube zuge-
ordnet. Liegt, wie in der oberen Hälfte von
Abb. 2.14 dargestellt ist, die Kreisbahn in der
Zeichenebene, wird die Richtung von ω durch
die Symbole für die Pfeilspitze oder das
Pfeilende ⊗ angezeigt. Die Winkelgeschwin-
digkeit hängt mit der Drehzahl oder Drehfre-
quenz n und der Periodendauer T zusammen:


ω = 2πn = . (2.21)
T

Abb. 2.13 Definition des Drehwinkels ϕ der


Kreisbewegung. r Radius, s Bogenlänge Mit der Winkelgeschwindigkeit ω schreibt
man die Zentripetalbeschleunigung azp nach
(2.18) in vektorieller Form:
Punktes P auf einem Kreis sowohl durch den
Drehwinkel ϕ als auch durch die Bogenlänge s
angeben. In der Kinematik empfiehlt es sich, azp = −ω2 r . (2.22)
den Winkel im Bogenmaß als Bogenlänge, be-
zogen auf den Radius, zu verwenden:
Bei beschleunigter Kreisbewegung gibt die
Winkelbeschleunigung α an, wie sich die Win-
s
ϕ= . (2.19) kelgeschwindigkeit mit der Zeit ändert:
r

dω d2 ϕ
Die SI-Maßeinheit für ϕ ist 1 m/m = 1 rad α= = . (2.23)
dt dt2
(Radiant). Der Winkel wird von der positiven
x-Achse aus im mathematisch positiven Sinn
(Gegenuhrzeigersinn) gemessen. Die SI-Maßeinheit für α ist 1 rad/s2 oder kurz
Ändert sich der Winkel mit der Zeit, dann gibt 1 s−2 . Auch die Winkelbeschleunigung ist ein
die Winkelgeschwindigkeit an, welcher Dreh- axialer Vektor. Bei positiver Beschleunigung
winkel in der Zeiteinheit überstrichen wird. ist α gleichsinnig parallel zu ω. Bei Brems-
Die Winkelgeschwindigkeit vorgängen sind α und ω entgegengesetzt
gerichtet.
Da die Größen ϕ, ω und α genauso mitein-
Δϕ dϕ
ω = lim = (2.20) ander verknüpft sind wie die Größen s, und
Δt→0 Δt dt
a der eindimensionalen Kinematik, sind alle
Gleichungen in Abb. 2.6 direkt auf Kreisbe-
hat die Maßeinheit 1 rad/s oder kurz 1 s−1 . wegungen anwendbar, wenn jeweils einan-
Der Winkelgeschwindigkeit ω wird der Cha- der zugeordnete Größen nach dem Schema
rakter eines axialen Vektors zugeschrieben. s → ϕ, → ω, a → α ausgetauscht werden.
2.2 Kinematik des Punktes 41

Abb. 2.14 Zur Definition der vektoriellen Winkelgeschwindigkeit ω bei verschiedenen Drehrichtungen.

Die Vektoren und a der allgemeinen drei- a 2) Wie groß ist die Beschleunigung des Punktes und
dimensionalen Kinematik sind auf einfache welche Richtung hat sie?
Weise mit den entsprechenden Größen ω und Da es sich um eine gleichförmige Kreisbewegung han-
α verknüpft. Eine Zusammenstellung der Be- delt, besteht die Beschleunigung lediglich aus der
Zentripetalbeschleunigung, die zum Kreismittelpunkt
ziehungen enthält Tabelle 2.1. weist. Sie beträgt azp = ω2 r = 2 756 m/s2 oder das 281-
fache der Erdbeschleunigung.
Beispiel
2.2-5 Ein Autoreifen mit dem Radius r = 0,28 m a 3) Wie groß sind Drehzahl und Periodendauer?
rollt auf einer Ebene mit der Geschwindigkeit 0 = Nach (2.21) ergeben sich n = ω/ 2π = 15,8 s−1 =
100 km/h. Die Bewegung eines Punktes auf der Lauf- 947 min−1 und T = 63,3 ms.
fläche soll diskutiert werden, und zwar a) vom Stand- b 1) Wie lautet der Vektor der Geschwindigkeit (t)?
punkt eines mitfahrenden Beobachters, wo der Punkt Welchen Betrag und welche Richtung hat in den
eine Kreisbahn beschreibt, und b) vom Standpunkt ei-
nes Beobachters auf der Straße, von dem aus der Punkt
auf der in Abb. 2.15 gezeigten Zykloide läuft. Die Pa-
rameterdarstellung der Zykloide ist x = r(ωt − sin ωt)
und y = r(1 − cos ωt).

a 1) Wie groß ist die Winkelgeschwindigkeit ω?


Beim Abrollen eines Rads ohne Schlupf ist die Ge-
schwindigkeit des Mittelpunktes identisch mit der
Umfangsgeschwindigkeit. Deshalb gilt ω = 0 / r = Abb. 2.15 Zykloide als Bahnkurve eines Punktes auf
99,2 rad/s. der Lauffläche eines Rads (Beispiel 2.2-5)
42 2 Mechanik

Tabelle 2.1 Kreisbewegungsgleichungen (r Radius, t Zeit, N Anzahl Umdrehungen)

Bewegungsgrößen gleichmäßige gleichmäßig beschleu- gleichmäßig beschleu-


Kreisbewegung nigte Kreisbewegung nigte Kreisbewegung
ϕ(t0 ) = ϕ0 ϕ(t0 ) = ϕ0 , ω(t0 ) = ω0 ϕ0 = 0, ω0 = 0, t0 = 0

Winkelbeschleunigung α=0 α = α0 α = α0 √
Winkelgeschwindigkeit ω = ω0 ω = ω0 + α0 (t − t0 ) ω = α0 t = 2α0 ϕ
ω2
Drehwinkel ϕ = ϕ0 + ω0 (t − t0 ) ϕ = ϕ0 + ω0 (t − t0 ) ϕ = 12 α0 t2 = = 2πN
2α0
+ 21 α0 (t − t0 )2
Umfangsgeschwindigkeit
=ω×r = rω0 = r[ω0 + α0 (t − t0 )] = rα0 t
Zentripetalbeschleunigung
azp = ω × = −ω2 r azp = rω20 azp = r[ω0 + α0 (t − t0 )]2 azp = rα20 t2
Tangentialbeschleunigung
atan = α × r atan = 0 atan = α0 r atan = α0 r

Umkehrpunkten U, in der gezeichneten Stellung Dieser Vektor läuft auf einem Kreis um und ist
zur Zeit t = T / 4 und in den Scheitelpunkten S? stets zum Radmittelpunkt gerichtet. Sein Betrag ist
Der Ortsvektor lautet |a| = rω2 = azp .

x(t) ωt − sin ωt b 3) Wie groß ist der Krümmungsradius der Zykloide
r(t) = =r .
y(t) 1 − cos ωt im Scheitelpunkt?

Daraus ergibt sich durch Ableiten nach der Zeit Nach (2.16) ist R = 2 / anorm = 4r = 1,12 m.

1 − cos ωt 1 − cos ωt Zur Übung
= rω = 0 .
sin ωt sin ωt Ü 2.2-1 Ein Fahrzeug wird aus dem Stand wechselnd
beschleunigt und zwar
Umkehrpunkte liegen bei t= 0, T, 2T, … In einem für 0 5 t 5 2 s mit a = 1 m/s2 ,
0 für 2 s < t < 4 s mit a = 0 und
Umkehrpunkt ist (0) = ; der Punkt ruht momen-
0 für 4 s 5 t 5 5 s mit a = −2 m/s2 .
tan auf der Fahrbahn. Nach einer Viertelumdrehung

1 a) Zeichnen Sie die kinematischen Diagramme, d. h.
ist die Geschwindigkeit (T / 4) = 0 , verläuft also das a, t-Diagramm, das , t-Diagramm und das s, t-
1
√ Diagramm für 0 5 t 5 5 s. b) Wie groß ist die ma-
unter 45◦ und hat den Betrag 20 = 141 km/h.
ximale Geschwindigkeit? c) Welche Geschwindigkeit
Scheitelpunkte sind gegeben durch t = T / 2, 3/ 2T, … In
hat das Fahrzeug zur Zeit t = 5 s? d) Wie groß ist der
Scheitelpunkt ist die Geschwindigkeit (T / 2) =
einem
insgesamt zurückgelegte Weg?
2
0 , also || = 200 km/h. Sie ist waagerecht gerich-
0
tet und doppelt so groß wie die Geschwindigkeit der Ü 2.2-2 Ein Bauteil wird ungleichmäßig aus der
Achse. Ruhe beschleunigt. In kurzen Zeitabständen wird die
b 2) Wie lautet der Vektor der Beschleunigung a(t)? Geschwindigkeit gemessen; es ergibt sich eine Werte-
tabelle:

d sin ωt t in s 0 1 2 3 4 5
a= = r ω2 .
dt cos ωt in m/s 0 0,2 0,7 1,6 3,2 6,0
2.3 Grundgesetze der klassischen Mechanik 43

a) Zeichnen Sie maßstäblich das , t-Diagramm (Milli- ist die Ursache für die Bewegung?“ Die
meterpapier). b) Ermitteln Sie aus dem , t-Diagramm Dynamik untersucht die Ursachen für die
das a, t-Diagramm. Wie groß ist die Beschleunigung Bewegung eines Körpers. Jeder Körper be-
zur Zeit t1 = 4 s? c) Bestimmen Sie durch grafische
steht aus Materie; er hat eine Masse und eine
bzw. numerische Integration den zurückgelegten Weg
nach t2 = 5 s.
geometrische Ausdehnung, d. h. ein Volumen.
Einfache Verhältnisse liegen dann vor, wenn
Ü 2.2-3 Ein Ball rollt auf einem waagerechten Tisch
die geometrische Ausdehnung des Körpers
von der Höhe h = 0,75 m über die Kante und fällt zu
klein ist im Vergleich zu den Dimensionen
Boden. Der Auftreffpunkt ist in horizontaler Richtung
s = 0,40 m von der Kante entfernt. Wie groß war die (Abmessungen, Abstände), in denen sich der
Geschwindigkeit des Balls auf dem Tisch? Körper bewegt. In höchster Idealisierung ist
die Masse des Körpers in einem materiellen
Ü 2.2-4 Ein Elektromotor läuft mit der Drehzahl
n0 = 1 400 min−1 . Nach dem Abschalten wird er mit
Punkt vereinigt, der keine räumliche Aus-
konstanter Winkelverzögerung α abgebremst, bis er dehnung mehr hat. Mit der Modellvorstellung
nach N = 50 Umdrehungen stehen bleibt. a) Wie groß des materiellen Punktes werden einfachste
ist die Winkelverzögerung α? b) Wie lange dauert der Verhältnisse geschaffen, denn ein materieller
Bremsvorgang? Punkt kann nicht rotieren und sich nicht
Ü 2.2-5 Ein Eisenbahnzug fährt mit gleichmäßiger verformen.
Tangentialbeschleunigung auf einem Kreisbogen mit Wie ein Körper ist auch ein materieller Punkt
dem Radius r = 2 km. Dabei legt er die Strecke Einwirkungen von außen ausgesetzt; physika-
Δs = 1 200 m zurück. Zu Beginn der betrachteten Be- lisch bezeichnet man dies als die Einwirkung
wegung hat er die Geschwindigkeit 1 = 30 km/h, am
der Umgebung auf das System oder – noch
Ende 2 = 100 km/h. a) Wie lange dauert der Beschleu-
nigungsvorgang? b) Wie groß ist die Tangentialbe-
allgemeiner – als die Wechselwirkung zweier
schleunigung? c) Berechnen Sie die Winkelbeschleu- Systeme. Die Kraft ist die physikalische Größe,
nigung. d) Wie groß ist die Zentripetalbeschleunigung welche die Einwirkung beschreibt, die den Be-
zu Beginn und am Ende des Vorgangs? wegungszustand des Körpers ändert. Dabei
Ü 2.2-6 Die Erde benötigt für eine vollständige Um- werden Körper unterschiedlicher Masse durch
drehung die Zeit T = 86 163 s (einen Sternentag). die gleiche Kraft unterschiedlich beschleunigt.
a) Wie groß ist die Winkelgeschwindigkeit ωE der Erde? Begründet auf Erfahrung und durch kühne
b) Welche Richtung hat der Vektor ωE ? c) Wie groß Extrapolation erfasste Newton die Wechsel-
ist die Umfangsgeschwindigkeit an einem Ort mit dem wirkungen zwischen beschleunigendem und
Breitenwinkel ϕ? Berechnen Sie die Umfangsgeschwin-
beschleunigtem System und formulierte drei
digkeit am Äquator und in Stuttgart mit ϕ = 48◦ 41
Axiome zur Mechanik, welche die Begriffe
nördlicher Breite (Erdradius R = 6 370 km). d) Wie
groß ist die Zentripetalbeschleunigung am Äquator Kraft und Masse definieren, ihre Verknüpfung
und in Stuttgart? angeben und ein Maßsystem festlegen.

2.3 Grundgesetze der klassischen 2.3.2 Die Newton’schen Axiome


Mechanik
In Tabelle 2.2 sind die drei Axiome in mo-
2.3.1 Konzept der klassischen Dynamik derner Schreibweise zusammengefasst, wie sie
I. Newton (1643 bis 1727) im Jahr 1687 ver-
Die Kinematik (Abschn. 2.2) hat die Bewegung öffentlichte. Die Newton’schen Axiome be-
materieller Punkte geometrisch-analytisch schreiben die makroskopische Welt der klas-
beschrieben, ohne die Frage zu stellen: „Was sischen Physik exakt; sie versagen jedoch bei
44 2 Mechanik

der Beschreibung der mikroskopischen Welt


der Atome (Quantenphysik, Abschn. 8.2) und F =ma. (2.25)
bei Geschwindigkeiten, die nicht mehr klein
gegen die Lichtgeschwindigkeit c sind (Relati- Wenn die Summe der äußeren Kräfte gleich
vitätstheorie, Abschn. 10). null ist, dann ist auch die Beschleunigung null
Das erste Axiom definiert ein Bezugssystem, und damit die Geschwindigkeit konstant, ent-
in dem die drei Axiome gelten. Die physikali- sprechend der Forderung des ersten Axioms.
schen Gesetzmäßigkeiten der Mechanik neh- Das dritte Axiom, das Axiom über die Wech-
men ihre einfachste mathematische Form an, selwirkungen, sagt aus, dass es eine einzelne,
wenn sie für ein Bezugssystem aufgeschrieben isolierte Kraft nicht gibt. Es wirkt immer ein
werden, in dem die Geschwindigkeit eines Kör- Körper (oder ein System 1) auf einen zwei-
pers ohne äußere Einwirkungen konstant ist. ten Körper (oder System 2). Wird eine System-
Man nennt solche Systeme Inertialsysteme. grenze vorgegeben, dann kann zwischen äuße-
Es gibt beliebig viele Inertialsysteme; sie alle ren Kräften, die von einem Körper außerhalb
haben die Eigenschaft, sich gegen den Fix- des Systems herrühren, und inneren Kräften,
sternhimmel geradlinig und gleichförmig zu die nur innerhalb des Systems wirken, unter-
bewegen. Absolute Ruhe lässt sich nicht fest- schieden werden. Diese Systemgrenzen kön-
stellen, es gibt deshalb kein ausgezeichnetes nen nach Zweckmäßigkeit gewählt werden.
Inertialsystem. Das dritte Axiom setzt voraus, dass die Kräfte
Die Erde rotiert relativ zum Fixsternhimmel, gleichzeitig, d. h. ohne Zeitverzögerung, wahr-
das Bezugssystem Erde stellt deshalb kein In- genommen werden. Weil die Lichtgeschwin-
ertialsystem dar. Ist die Erdrotation im Ver- digkeit die Grenzgeschwindigkeit für die Aus-
gleich zum Zeitablauf eines Experiments ver- breitung eines Signals oder einer Information
nachlässigbar langsam, dann ist ein mit der ist, dauert es eine endliche Zeitspanne, bis
Erde verbundenes Bezugssystem in sehr guter ein Körper die Änderung einer Kraftwirkung
Näherung ein Inertialsystem. spürt, die von einem zweiten Körper ausgeübt
Das zweite Newton’sche Axiom heißt Aktions- wird. Für dieses Problem der Gleichzeitigkeit
prinzip, weil es den Zusammenhang zwischen hat Einstein die Lösung in den Grundgeset-
der Bewegungsänderung eines Körpers und zen der relativistischen Mechanik angegeben
der Einwirkung von Kräften herstellt. Newton (Abschn. 10).
verstand unter Bewegungsänderung nicht nur
die Beschleunigung; seine mathematische For-
2.3.3 Masse
mulierung umfasste bereits den Impuls p = m
(Abschn. 2.5). Somit lässt sich das Aktionsge-
Trägheit ist der Widerstand eines Körpers ge-
setz schreiben:
gen eine Bewegungsänderung. Das Maß für die
Trägheit ist die Masse. Die Masse ist unabhän-
dp d d dm gig vom Ort, an dem sich ein Körper befin-
F = = (m ) = m + .
dt dt dt dt det und in der klassischen Mechanik unab-
(2.24) hängig vom Bewegungszustand des Körpers.
Damit ist die Masse auch ein geeignetes Maß
Für den im täglichen Leben häufigen Fall ei- für die Menge, d. h. für die Anzahl der Teilchen
ner konstanten Masse ergibt sich daraus das (Atome, Moleküle) in einem Körper. Die Ad-
Newton’sche Grundgesetz dition von Massen entspricht der Addition von
2.3 Grundgesetze der klassischen Mechanik 45

Tabelle 2.2 Die Newton’schen Axiome

Newton’sche Axiome Formulierung Beziehung

1. Axiom Jeder Körper behält seine Geschwindigkeit nach Betrag


Trägheitsgesetz und Richtung so lange bei, wie er nicht durch äußere Kräfte
gezwungen wird, seinen Bewegungszustand zu ändern.
2. Axiom Die zeitliche Änderung der Bewegungsgröße, des Impulses allgemein:
Aktionsgesetz p = m, ist gleich der resultierenden Kraft F. Um einen
d
Grundgesetz der Körper konstanter Masse zu beschleunigen, ist eine Kraft F F = (m)
dt
Mechanik erforderlich, die gleich dem Produkt aus Masse m und
Beschleunigung a ist. speziell:
F = ma
3. Axiom Wirkt ein Körper 1 auf einen Körper 2 mit der Kraft F 12 , F 12 = −F21
Wechselwirkungsgesetz so wirkt der Körper 2 auf den Körper 1 mit der Kraft F 21 ;
actio = reactio beide Kräfte haben den gleichen Betrag, aber entgegen-
gesetzte Richtungen.

Mengen. Die Maßeinheit der Masse ist durch zeichen für die Kraft des Zentralgestirns auf
einen Eichkörper festgelegt (Abschn. 1.3). diesen Körper. Experimentell lässt sich kein
Eine Möglichkeit zum Vergleich von Massen Unterschied zwischen träger und schwerer
gibt das Newton’sche Aktionsgesetz. Man lasse Masse nachweisen. Die Identität von träger
auf zwei Körper mit den Massen m1 und m2 je- und schwerer Masse ist die Grundlage für die
weils die gleiche Kraft wirken und bestimme Einstein’sche Relativitätstheorie (Abschn. 10).
experimentell die Beschleunigungen a1 und
a2 , die den beiden Körpern erteilt werden.
2.3.4 Kraft
Dann gilt im eindimensionalen Fall nach (2.25)
Nach dem zweiten Newton’schen Axiom ist
m1 a2 die Kraft F für Körper mit konstanter Masse
= . (2.26)
proportional zur Momentanbeschleunigung a.
m2 a1
Die Kraft ist also eine vektorielle physikali-
sche Größe, deren Richtung parallel zur Be-
Damit ist das Verhältnis zweier Massen durch schleunigung a und deren Betrag F = ma
eine dynamische Messung bestimmbar. ist. Im SI-System ist die Einheit für die Kraft
Die physikalische Größe Masse hat außer der 1 kg m s−2 = 1 N (Newton).
Eigenschaft Trägheit auch die Eigenschaft Für die Addition von Kräften und die Zerle-
Schwere. Auf Körper im Wirkungsbereich gung einer Kraft in verschiedene Kraftrich-
der Riesenmassen kosmischer Körper (z. B. tungen gelten die Regeln der Vektorrechnung.
der Sonne oder der Erde) wirken Gravita- In Abb. 2.16 sind für die Addition von zwei
tionskräfte (Abschn. 2.10), die proportional Kräften und für die Zerlegung einer Kraft in
zu den Massen der beteiligten Körper sind. zwei Richtungen die grafischen Lösungswege
Die Schwere einer Masse ist also ein Kenn- im Kräfteparallelogramm und die trigonome-
46 2 Mechanik

trischen Lösungen angegeben. Die Addition


von mehr als zwei Kräften erfolgt zweckmä-
ßigerweise durch die Methode der Komponen-
tenzerlegung in einem kartesischen Koordina-
tensystem.
Ist die Beschleunigung eines Körpers a = 0, so
ist auch die resultierende Kraft auf den Körper
nach dem Newton’schen Aktionsprinzip null.
Dies ist die Bedingung des statischen Kräfte-
gleichgewichts:


N
Fj = F1 + F2 + … = 0 . (2.27)
j=1

Körper fallen auf der Erde mit einer konstan-


ten Fallbeschleunigung g = 9,81 m/s2 (Ab-
schn. 2.2.1.3). Die Ursache dieser gleichmäßig
beschleunigten Bewegung ist die Schwerkraft
oder Gewichtskraft auf die Masse m der Kör-
per. Nach dem zweiten Newton’schen Axiom
beträgt die Schwerkraft

FG = mg (2.28)

und wirkt in Richtung der Fallbeschleunigung


(näherungsweise zum Erdmittelpunkt). Die
Massenanziehung durch die Erdmasse ist die
Ursache der Schwerkraft (Abschn. 2.10). Die
Abb. 2.16 Kräfteaddition und Kraftzerlegung

Schwerkraft auf Körper an der Erdoberfläche


führt bei Körpern auf einer schiefen Ebene
mit dem Neigungswinkel ε gemäß Abb. 2.17
zu einer hangabwärts, parallel zur schiefen
Ebene gerichteten beschleunigenden Kraft,
der Hangabtriebskraft F H , mit dem Betrag

FH = mg sin ε (2.29)

und zu einer senkrecht auf die Ebene wirken-


den Kraft, der Normalkraft F N , mit dem Betrag
2.3 Grundgesetze der klassischen Mechanik 47

Alle Festkörper zeigen innerhalb maximaler


Deformationsgrenzen ein elastisches Verhal-
ten (Abschn. 2.11), das durch das Hooke’sche
Gesetz (Abb. 2.18b) beschrieben wird:

F el = −k s . (2.32)

Die Proportionalitätskonstante k wird als Fe-


derkonstante oder Richtgröße bezeichnet.
Große elastische Längenänderungen, hervor-
Abb. 2.17 Kräfte auf schiefer Ebene. ε Neigungswinkel gerufen schon durch kleine Kräfte, weisen Me-
tallfedern auf; Federwaagen werden deshalb
in der Praxis als Kraftmesser eingesetzt. Ab-
bildung 2.19 zeigt eine Übersicht über den
FN = mg cos ε . (2.30) Aufbau von Kraftmessern entsprechend DIN
EN ISO 376 51 301 und den VDI/VDE/GESA-
Richtlinien 2635 und VDI/VDE 2637.
Die beschleunigende Kraft, die einen Kör- Werden mehrere Federn gekoppelt, so ist die
per bei der gleichförmigen Kreisbewegung auf resultierende Richtgröße kres bei der Parallel-
einer Kreisbahn hält und die Zentripetalbe- schaltung (verschiedene Kräfte, gleicher Weg)
schleunigung azp nach (2.22) verursacht, ist
nach dem Newton’schen Grundgesetz die Zen-
tripetalkraft

F zp = −mω2 r . (2.31)

Sie ist zum Mittelpunkt der Kreisbahn gerich-


tet.
Kräfte verursachen nicht nur beschleunigte
Bewegungen (dynamische Kraftwirkung),
sondern ändern auch die geometrische Form
von Körpern. Umgekehrt üben deformierte
Körper Kräfte aus, die elastischen Kräfte oder
Federkräfte. Abbildung 2.18 gibt hierzu Er-
läuterungen. Nach dem dritten Newton’schen
Axiom ist die der Deformation entgegenwir-
kende, elastische Kraft F el entgegengesetzt
gleich der von außen wirkenden Kraft F a ; die
Längenänderung s ist also ein Maß für die Abb. 2.18 Elastische Deformation a) äußere Kraft F a
verursachende Kraft. und elastische Rückstellkraft F el , b) Federkonstante k
48 2 Mechanik

Abb. 2.19 Methoden der Kraftmessung

stets entgegengerichtet: F R . Der Betrag


F1 / s + F2 / s + … = k1 + k2 + k3 … = kres, p von FR setzt sich je nach Situation in unter-
schiedlicher Weise aus den drei Grenzfällen in
und bei der Serienschaltung (verschiedene Abb. 2.20 zusammen.
Wege, gleiche Kraft) Die Festkörperreibung hängt von der Oberflä-
chenbeschaffenheit der reibenden Körper ab;
die Reibungszahlen für die Haft- und Glei-
s1 / F + s2 / F + … = 1/ k1 + 1/ k2
treibungskraft unterscheiden sich stark. In Ta-
+ … = 1/ kres, s . belle 2.3 sind die Werte einiger Stoffpaare zu-
sammengestellt. Der Laufwiderstand beim Ab-
Unter realen Bedingungen wird die Bewegung rollen eines Rades auf einer Unterlage hängt
von Körpern durch Reibung an der Unterlage, nicht nur von der Verformung des Bodens
der umgebenden Flüssigkeit oder dem umge- durch die Normalkraft und vom Raddurch-
benden Gas beeinflusst. Nach dem Newton’- messer ab, sondern auch noch von den Rei-
schen Aktionsprinzip ist die Ursache der Be- bungsverhältnissen in der Radnabe.
wegungsänderung durch Reibung eine Kraft, Bei niedrigen Geschwindigkeiten ist die Lauf-
die Reibungskraft F R . Die Richtung der Rei- widerstandskraft näherungsweise proportio-
bungskraft F R ist der Bewegungsrichtung, also nal zur Normalkraft. Die Proportionalitäts-
der Momentangeschwindigkeit des Körpers konstante ist die Rollreibungszahl μR . Bei Ei-
2.3 Grundgesetze der klassischen Mechanik 49

Abb. 2.20 Reibungskräfte

Tabelle 2.3 Haft- und Gleitreibungszahlen(μH und μG ) ab (Abschn. 2.12.2.3). In laminaren Strömun-
gen ist der Strömungswiderstand F R propor-
Stoffpaar μH μG tional zur Geschwindigkeit: F R ∼ . Kommt es
durch die Reibungskraft an der Körperoberflä-
Stahl auf Stahl 0,15 0,12
Stahl auf Holz 0,5 bis 0,6 0,2 bis 0,5 che in der Strömung zu Rotationsbewegungen
Stahl auf Eis 0,027 0,014 (Wirbel), so nimmt der Strömungswiderstand
Holz auf Holz 0,65 0,2 bis 0,4 erheblich zu und die Reibungskraft ist F R ∼ 2 .
Holz auf Leder 0,47 0,27 Nur Bewegungen mit Festkörperreibung ver-
Gummi auf Asphalt 0,9 0,85 laufen gleichmäßig beschleunigt oder verzö-
Gummi auf Beton 0,65 0,5
Gummi auf Eis 0,2 0,15
gert; dominieren die anderen Reibungsarten,
dann sind die Bewegungsgesetze kompliziert.

Zur Übung
Ü 2.3-1 Zwei Körper (Masse m1 < m2 ) hängen an
senbahnrädern ist μR = 0,002; Straßenfahr-
einem dünnen, masselosen Faden, der über eine mas-
zeuge haben Werte von etwa μR = 0,02 bis selose Rolle läuft. Zwischen der Rolle und dem Faden
μR = 0,05. soll es keine Reibung geben. a) Wie groß ist die Be-
Die Reibungskraft bei der Bewegung von Kör- schleunigung a der beiden Körper? b) Wie groß ist die
pern in Flüssigkeiten und Gasen hängt von der Kraft FF im Faden?
Dichte und Viskosität der Medien, der Geo- Ü 2.3-2 Ein Radiergummi (m = 40 g) liegt auf einer
metrie (Stromlinienform, Spoiler) der Körper Metallscheibe (Radius r = 20 cm). Die Scheibe rotiert
und dem Strömungstyp (laminar, turbulent) mit konstanter Winkelgeschwindigkeit ω. Die Haft-
50 2 Mechanik

reibungszahl zwischen Scheibe und Radiergummi ist Höchstbelastung des Seils ist Fmax = 105 N. Welches ist
μH = 0,5. die größte erlaubte Beschleunigung beim Hochziehen
a) Welche Kräfte wirken auf den Radiergummi der Last?
(Skizze)? b) Welche Kraft oder welche Kräfte bringt
die Zentripetalkraft auf den Radiergummi auf?
c) Der Radiergummi wird r1 = 5 cm vom Drehzentrum 2.4 Dynamik in bewegten
positioniert. Wie groß muss die Drehzahl n1 mindes- Bezugssystemen
tens sein, damit der Radierer zu rutschen anfängt?
d) Die Scheibe rotiere mit der Drehzahl n2 = 70 min−1 .
2.4.1 Relativ zueinander geradlinig bewegte
In welchem Radius-Bereich bleibt der Radiergummi
liegen? Bezugssysteme

Ü 2.3-3 Aus einem Maschinengewehr treten in einer


Betrachtet sei die Bewegung zweier Bezugssys-
Sekunde sechs Geschosse (Masse jeweils m = 25 g) aus.
Die Geschwindigkeit der Kugeln ist = 800 m s−1 . teme gegeneinander, wobei eines der beiden
a) Die Kugeln treffen auf einen fest im Boden veran- Systeme vereinfachend als ruhend (Inertial-
kerten großen Holzklotz und bleiben in ihm stecken. system) angenommen wird. Die Koordinaten
Welche mittlere Kraft Fm1 wird auf den Klotz ausge- des materiellen Punkts P im ruhenden Sys-
übt? b) Welche mittlere Kraft Fm2 ist aufzuwenden, tem S sind x, y, z, die im bewegten System S
um einen Rückstoß des Gewehres zu unterdrücken?
dagegen x , y , z . Zur Zeit t = 0 sollen die
c) Angenommen, die Kugeln bleiben nicht stecken; sie
sollen abprallen und mit einem Zehntel ihrer Anfangs-
beiden Systeme zusammenfallen. Für den
geschwindigkeit auf der alten Flugbahn zurückfliegen. Fall, dass die Relativbewegung der beiden
Welche mittlere Kraft Fm wird unter diesen Bedingun- Bezugssysteme gleichmäßig beschleunigt,
gen auf den Klotz ausgeübt? aS also konstant ist, sind die sich ergeben-
Ü 2.3-4 Auf einen Körper (Masse m = 2,0 kg) wir- den Transformationen der Koordinaten,
ken drei Kräfte (F 1 , F 2 und F 3 ). Unter ihrem Einfluss Geschwindigkeiten und Beschleunigungen in
bewegt er sich mit der konstanten Beschleunigung Abb. 2.21 angegeben.
a = 1 ms−2 nach Süden. Die Kraft F 1 weist nach Nor- In der klassischen Physik wird der Zeitmaß-
den, ihr Betrag ist F1 = 3,0 N. Die Kraft F 2 weist nach stab in beiden Bezugssystemen als gleich an-
Osten, ihr Betrag ist F 2 = 2,0 N. Wie groß ist F 3 nach
genommen, die Zeitkoordinaten also mit t = t
Betrag und Richtung?
transformiert und damit eine absolute Zeit
Ü 2.3-5 Eine Aufzugskabine hat die Masse mA = vorausgesetzt. Wie die Relativitätstheorie (Ab-
1 200 kg, die Masse des Gegengewichts ist mG =
schn. 2.10) zeigt, gilt diese Annahme nur in
1 100 kg. In der Kabine befindet sich eine Person
(Masse mM = 75 kg). der klassischen Näherung, dass die Relativ-
a) Mit welcher Beschleunigung a fiele die Kabine, geschwindigkeit S im Vergleich zur Lichtge-
wenn die Bremseinrichtungen versagten? (Vereinfa- schwindigkeit c klein ist.
chend seien z. B. die Trägheit der Seiltrommeln und die Ist die Geschwindigkeit des bewegten Systems
Reibung vernachlässigt.) b) Welches wäre unter diesen S = konstant, dann ist die Beschleunigung
Fallbedingungen das scheinbare Gewicht der Person?
aS = 0 und damit a = a ; die Beschleuni-
c) Nach einer Fallhöhe von h = 15 m wird die Kabine
gung eines Körpers ist also in beiden Sys-
durch Federn aufgefangen und nach einem Bremsweg
von s = 20 cm zum Stillstand gebracht. Welche mittlere temen gleich. In diesem Spezialfall Galilei-
Kraft Fm spürt die Person beim Bremsvorgang in den Transformation ist auch die Kraft, die eine
Beinen? Beschleunigung bewirkt, in beiden Systemen
Ü2.3-6 Eine schwere Last soll an einem Stahlseil hoch- gleich. Sämtliche Gleichungen der Mechanik
gezogen werden. In Ruhestellung zeigt ein Kraftmes- haben im bewegten Bezugssystem dieselbe
ser eine Gewichtskraft FG = 8 · 104 N an; die zulässige Struktur wie im ruhenden, die Gesetze sind
2.4 Dynamik in bewegten Bezugssystemen 51

Abb. 2.21 Galilei-Transformation in gleichmäßig gegeneinander beschleunigten Bezugssystemen

Galilei-invariant. Werden beispielsweise in ei- Für die Abstandsquadrate ergeben sich nach dem Satz
nem mit konstanter Geschwindigkeit fahren- des Pythagoras
den Zug Fallexperimente durchgeführt, dann
s2 = (x2 − x1 )2 + (y2 − y1 )2 und
sind die Messergebnisse, wie z. B. Fallzeit und 2 2
Endgeschwindigkeit, dieselben wie auf dem s2 = x2 − x1 + y2 − y1
Bahnsteig. = [(x2 − s t) − (x1 − s t)]2 + [y2 − y1 ]2
= (x2 − x1 )2 + (y2 − y1 )2 = s2 .
Beispiel
2.4-1 Es soll gezeigt werden, dass der Abstand zweier
Punkte P1 und P2 Galilei-invariant ist, d. h. nicht von
Ein Beobachter im bewegten Koordinatensys-
der Relativbewegung zweier Bezugssysteme gegenein-
ander abhängt. Vereinfachend sollen die beiden Punkte tem S misst also den gleichen Abstand wie ein
in der x, y-Ebene liegen und sich das System S längs Beobachter im ruhenden System S. Bewegt sich
der x-Richtung bewegen. das System S gegenüber S beschleunigt mit der
Lösung
Beschleunigung aS , dann gilt nach Abb. 2.21
Die Koordinaten der beiden Punkte sind für die Beschleunigung im bewegten System
a = a − aS . In jedem System wird ein Be-
obachter die Beschleunigung auf die Wirkung
im ruhenden System S : P1 (x1 , y1 , 0) und
einer Kraft zurückführen: im Bezugssystem S
P2 (x2 , y2 , 0) ,
auf F = ma und in S auf F = ma = ma − maS .
im bewegten System S : P1 x1 , y1 , 0

und
Die Differenz der beiden Kräfte ist die Träg-
P2 x2 , y2 , 0 . heitskraft oder Scheinkraft
52 2 Mechanik

Lösung
Ft = −maS . (2.33) Es wird ein ruhendes, mit der Erde verbundenes Ko-
ordinatensystem gewählt, in dem der Vektor der Fall-
beschleunigung nach unten zeigt. In diesem ruhenden
Diese Trägheitskraft muss zusätzlich zu den System ist die Kraft auf die Person gleich der Gravita-
tionskraft F = m g.
realen physikalischen Kräften, wie beispiels-
Das beschleunigte Koordinatensystem ist fest mit der
weise der Gravitation oder elektrostatischen
Aufzugskabine verbunden. Dieses System beschleunigt
Kraft, die im ruhenden System S die Beschleu- mit as = g gegen das ruhende System. Deshalb wirkt
nigung a verursachen, im beschleunigten Sys- auf die Person im beschleunigten System zusätzlich zur
tem S in Rechnung gesetzt werden, damit auch Gravitationskraft noch die Trägheitskraft
in S das Newton’sche Grundgesetz F = ma F t = −mas = −mg .
angewendet werden kann.
Für die Kraft im beschleunigten System der Aufzugs-
kabine gilt
Prinzip von d’Alembert
Kräfte auf einen Körper bewirken eine Be- F = F + F t = mg − mg = 0 .
schleunigung. Schreibt man das Newton’sche
Der beschleunigte – also mitfallende – Beobachter
Aktionsgesetz (2.25) um, so lautet es
spürt keine resultierende Kraft, er fühlt sich kräfte-
frei! – Auf dieselbe Weise entsteht die Kräftefreiheit in
F + (−ma) = 0 .
Raumstationen.
(2.34)

J. d’Alembert (1717 bis 1783) interpretierte 2.4.2 Gleichförmig rotierende Bezugssysteme


den Ausdruck (−ma) als die von (2.33) be-
kannte Trägheitskraft F t = −maS . In rotierenden Bezugssystemen treten zusätz-
Mit der d’Alembert’schen Trägheitskraft lich zu den realen physikalischen Kräften wei-
können dynamische Probleme auf statische tere Trägheits- oder Scheinkräfte auf, die der
zurückgeführt werden. Hierbei wird zusätz- mitbewegte Beobachter benötigt, um die Be-
lich zu realen physikalischen Kräften, die schleunigung eines Körpers erklären zu kön-
auf einen Körper wirken und durch ihre nen: die Zentrifugalkraft und die Coriolis-Kraft
Resultierende F res beschrieben werden, eine (G. G. Coriolis, 1792 bis 1843).
Trägheitskraft F t eingeführt. Im beschleunig- Fallen die Nullpunkte 0 des ruhenden Systems
ten System S ist der Körper im statischen S und des mit der konstanten Winkelgeschwin-
Gleichgewicht, wenn gemäß (2.27) die Summe digkeit ω rotierenden Systems S zusammen,
aller Kräfte (einschließlich der Trägheitskraft) dann sind die Abstände r und r vom Nullpunkt
null ist: in beiden Koordinatensystemen gleich:

F res + F t =0. (2.35) r = r = x i + y j + z k


= x i + y j + z k . (2.36)

Beispiel
2.4-2 Welche Kräfte wirken auf eine Person, die sich Dabei sind i, j und k die Einheitsvektoren des
in einem an der Erdoberfläche frei fallenden Aufzug ruhenden Koordinatensystems und i , j und k
befindet? diejenigen des rotierenden.
2.4 Dynamik in bewegten Bezugssystemen 53

Abb. 2.22 Rotierendes Koordinatensystem

Abbildung 2.22 zeigt den grafisch leichter dar- dk


= ω × k .
stellbaren Fall einer Rotation, bei der die z- und dt
z -Achsen zusammenfallen und die z-Achse
Zwischen der im ruhenden Koordina-
Rotationsachse ist.
tensystem gemessenen Geschwindigkeit
Die Einheitsvektoren im rotierenden Koordi-
= (dx/ dt)i + (dy/ dt)j und der Geschwin-
natensystem ändern ihre Richtung relativ zum
digkeit des rotierenden Systems besteht der
ruhenden und sind zeitlich nicht konstant; es
Zusammenhang
ist daher
dr dx dy dz di
= = i + j + k + x = + ω × r . (2.37)
dt dt dt dt dt

dj dk
+y +z .
dt dt
Eine nochmalige Differentiation der Ge-
Im rotierenden System wird die Geschwindig-
dy schwindigkeit ergibt die Beschleunigung
keit = dx
dt i + dt j gemessen. Für die zeitli- a = d/ dt.
chen Änderungen der Einheitsvektoren gelten Wird diese Differentiation nach dem Mus-
nach Abb. 2.22 ter der Differentiation von r zur Herleitung
di von (2.37) ausgeführt, dann gilt
= ω × i und
dt
dj
= ω × j . d d
dt = +ω×. (2.38)
dt dt
Entsprechend ist im dreidimensionalen Fall
54 2 Mechanik

d/ dt ist die Ableitung im Inertialsystem, senkrecht zur Drehachse. Die Zentrifugalbe-
d / dt im rotierenden System. Der erste Teil schleunigung ist betragsmäßig gleich groß wie
in (2.38) beschreibt die Geschwindigkeitsän- die Zentripetalbeschleunigung azp nach (2.22),
derung im rotierenden System, der zweite Teil dieser aber entgegengesetzt gerichtet.
kommt durch die Drehbewegung des Koor-
Beispiel
dinatensystems S zustande. Gleichung (2.37)
2.4-3 Wegen der Eigenrotation der Erde addiert sich
in (2.38) eingesetzt, ergibt zur Fallbeschleunigung g die ortsabhängige Zentrifu-
galbeschleunigung azf . Deshalb ist die effektive Fallbe-
d
a= ( + ω × r) + ω × ( + ω × r) schleunigung g eff nach Betrag und Richtung abhängig
dt von der geografischen Breite ε. Wie groß ist der Kor-
d d r rekturterm Δg für den Betrag der Fallbeschleunigung?
= +ω× + ω × + ω × (ω × r) .
dt dt
Lösung
In einem rotierenden Koordinatensystem nach Mit den Bezeichnungen in Abb. 2.23 gilt R = rE cos ε
Abb. 2.22 ist die Beschleunigung und mit (2.42) und (2.21)
2

azf = ω2 R = rE cos ε
TE
a = a − 2ω × − ω × (ω × r) . (2.39)
mit TE als der Periodendauer. Aus Abb. 2.23 folgt durch
Anwendung des Kosinussatzes für die effektive Erdbe-
Wird der Ortsvektor r in eine Komponente R schleunigung

senkrecht zur Winkelgeschwindigkeit ω geff = g 1 + (azf / g)2 − 2(azf / g) cos ε .
(ωR = 0) und eine Komponente A parallel
dazu (ω ×A = 0) zerlegt, so wird ω ×(ω ×r) = Der Korrekturterm für den Betrag der Erdbeschleuni-
ω × (ω × R) = (ω R)ω − (ωω)R = −ω2 R. gung ist Δg = g − geff . Mit rE = 6 370 km und TE =
23,93 h (Sternentag) errechnet sich der Korrekturterm
Somit ist die Beschleunigung
bei der mittleren geografischen Breite ε = 50◦ der Bun-
desrepublik Deutschland zu Δg (50◦ ) = 0,014 m s−2 .

a = a + 2 × ω + ω2 R . (2.40)

Im gleichförmig rotierenden Bezugssystem


treten also zwei zusätzliche Beschleunigungen
auf, nämlich die Coriolis-Beschleunigung

ac = −2 × ω = 2ω × (2.41)

senkrecht auf der Bewegungsrichtung und


der Drehachse ω und die Zentrifugalbeschleu-
nigung

azf = (ω × r) × ω = ω2 R = −azp (2.42)


Abb. 2.23 Zu Beispiel 2.4-3
2.4 Dynamik in bewegten Bezugssystemen 55

Ein Lot zeigt also nicht zum Massenmittelpunkt der


Erde, sondern nach Abb. 2.23 in Richtung g eff .

Nach dem Newton’schen Grundgesetz führen


die Beschleunigungen nach (2.41) und (2.42)
im rotierenden Bezugssystem zu zwei Träg-
heitskräften, der Zentrifugalkraft

F zf = m(ω × r) × ω = m ω2 R (2.43)

und der Coriolis-Kraft

FC = 2m × ω . (2.44) Abb. 2.24 Coriolis-Kraft F c auf der Nordhalbkugel der


Erde.
Geschwindigkeit, ε nördliche Breite,
Die Coriolis-Kraft hängt nicht vom Ort r des
ωE Winkelgeschwindigkeit
materiellen Punktes ab und tritt immer auf,
wenn der ω-Vektor nicht parallel zum Ge-
Auch bei atmosphärischen Strömungen macht
schwindigkeitsvektor verläuft. Die Coriolis-
sich die Coriolis-Kraft bemerkbar: Die Bahnen
Kraft ist null, wenn die Relativbewegung pa-
der Hoch- und Tiefdruckgebiete sind (spiral-
rallel zur Drehachse erfolgt.
förmig) gekrümmt. Bei Drehbewegungen von
Alle mit der Erde starr verbundenen Koordi-
Maschinenteilen mit großen Winkel- und Ar-
natensysteme sind wegen der Rotation um die
beitsgeschwindigkeiten kann sich die Coriolis-
Erdachse streng genommen keine Inertialsys-
Kraft deutlich auf die Beanspruchung von La-
teme. Relativbewegungen auf der Erdoberflä-
gern und Führungen auswirken.
che erfolgen in einer Tangentialebene an die
Im Vergleich zu den anderen, die Bewegung
Erdkugel, wie Abb. 2.24 zeigt. Auf der Nord-
beeinflussenden Kräften, wie z. B. die Gravi-
halbkugel bewirkt die Coriolis-Kraft für alle
tationskraft, die Antriebskraft oder der Fahr-
nicht geführten Bewegungen eine Abweichung
widerstand, ist die Coriolis-Kraft in der Regel
nach rechts.
vernachlässigbar.
Die Rotation der Erde lässt sich mit dem
Foucault’schen Pendel nachweisen. Wegen der Beispiel
Coriolis-Kraft dreht sich die Schwingungs- 2.4-4 Ein Fahrzeug mit der Masse m = 1 000 kg
ebene des Pendels im rotierenden System. Die fährt mit der Geschwindigkeit = 72 km/h von Sü-
den nach Norden. Wie groß ist bei der geografischen
Winkelgeschwindigkeit, mit der sich die Erde
Breite ε = 50◦ Nord die Coriolis-Kraft und die Coriolis-
unter dem schwingenden Pendel wegdreht, ist Beschleunigung (TE ≈ 24 h)?
gleich der Azimutalkomponente ωa der Win-
kelgeschwindigkeit der Erddrehung am Ort Lösung
der geografischen Breite ε: Nach (2.44) ist die Coriolis-Kraft
2π Fc = 2 m ωE sin( , ω)
ωa = sin ε . = 2 · 103 kg · 20 m/s · 7,2 · 10−5 s−1 · sin 50◦
TE
Bei ε = 50◦ beträgt die Winkelgeschwindigkeit = 2,2 N ;
ωa = 11,5 ◦ / h. sie wirkt nach Osten.
56 2 Mechanik

a) Wodurch ist die Richtung des Lots an einem Ort


mit ε = 50◦ nördlicher Breite bestimmt; b) In welche
Himmelsrichtung wird die fallende Kugel abgelenkt,
und wie weit entfernt ist der Auftreffpunkt der Kugel
vom Endpunkt des Lots?

Ü 2.4-4 Bei einem Kettenantrieb entsprechend


Abb. 2.25 werden die Kettengliederbolzen bei der
Kettenumlenkung durch die Zentrifugalkraft F zf
belastet. Wie groß ist die daraus bedingte Zugkraft F,
wenn das Kettenglied die Masse m = 4 g und den
Bolzenabstand d = 12,6 mm hat, der Kettenradius
R = 116 mm beträgt und sich das Kettenrad mit der
Drehzahl n = 3 500 min−1 dreht?

2.5 Impuls
2.5.1 Impuls eines materiellen Punktes

Nach dem zweiten Newton’schen Axiom


ändert sich der Bewegungszustand eines
Körpers unter dem Einfluss einer Kraft; seine
Abb. 2.25 Zu Ü 2.4-4 Momentangeschwindigkeit erhöht oder er-
niedrigt sich. Nach der Newton’schen Formu-
Aus (2.41) und (2.44) ergibt sich für die Coriolis- lierung (2.24) ist die Bewegungsgröße eines
Beschleunigung ac = Fc / m = 2,2 · 10−3 m/s2 . Körpers der Impuls:

Zur Übung p = m . (2.45)


Ü 2.4-1 An einem Ort der geografischen Breite ε = 50◦
fällt ein Körper mit der Masse m = 10 kg mit der Ge-
schwindigkeit = 100 m/s auf die Erdoberfläche. Be-
Die abgeleitete Einheit des Impulses ist
rechnen Sie für den Aufprall nach Betrag und Richtung
jeweils die Zentrifugalkraft und die Coriolis-Kraft. 1 kgms−1 = 1 Ns.
Der Impuls p ändert sich unter dem Einfluss
Ü 2.4-2 Wie groß ist die Coriolis-Beschleunigung für einer Kraft F gemäß
ein Flugzeug, das horizontal über einen Ort der geo-
grafischen Breite ε = 50◦ in jeweils eine der vier Him-
dp
melsrichtungen fliegt? F = . (2.24)
dt
Ü 2.4-3 Um die Rotation der Erde zu demonstrieren,
führt man in einem Bergwerksschacht folgenden Ver- Die Kraft ist gleich der zeitlichen Ände-
such aus: Man hängt ein langes Lot (l = 50 m) auf und rung des Impulses.
markiert den Endpunkt des Lots auf einem horizonta-
len Messtisch. Danach lässt man vom Aufhängepunkt
des Lots aus eine kleine Kugel fallen und beobachtet Die Wirkung einer Kraft F auf einen Körper im
den Auftreffpunkt auf der Platte. Zeitintervall Δt wird als Kraftstoß bezeichnet.
2.5 Impuls 57

rend der Kontaktzeit konstant, dann verein-


facht sich (2.46) zu

Δp = F(t2 − t1 ) = FΔt . (2.47)

Beispiel
2.5-1 Beim Minigolfspiel wird ein ursprünglich ru-
hender Ball der Masse m = 0,1 kg weggeschlagen. Der
zeitliche Verlauf der vom Schläger auf den Ball aus-
geübten Kraft ist näherungsweise eine Dreiecksfunk-
tion entsprechend Abb. 2.27. Mit welcher Geschwin-
digkeit e bewegt sich der Ball fort?

Lösung
Nach (2.46) ist der ausgeübte Kraftstoß gleich der Im-
pulsänderung. Weil der Ball anfangs in Ruhe war, ist der
Anfangsimpuls null. Aus dem Endimpuls lässt sich bei
bekannter Masse sofort die Endgeschwindigkeit ange-
Abb. 2.26 Kraftstöße mit a) zeitabhängigem ben:
Kraftverlauf und b) zeitlich konstanter Kraft
8m s

F(t) dt = me − 0 .
0
Dieser führt zu einer Änderung des Impul-
ses p eines materiellen Punktes mit der kon- Die Fläche unter der Dreiecksfunktion repräsentiert
stanten Masse m. Gleiche Kraftstöße führen das Integral; also errechnet man
zu gleichen Impulsänderungen; die Geschwin-
digkeitsänderungen sind jedoch unterschied-
lich und hängen von der Masse des Körpers ab.
Der Kraftstoß

t2 p2
F(t) dt = dp = p2 − p1 = Δp
t1 p1
(2.46)

ist gleich dem Zeitintegral der Kraft und gleich


der Impulsänderung des materiellen Punktes.
Im Allgemeinen hängt die wirkende Kraft F
von der Zeit ab, wie es in Abb. 2.26 zum
Ausdruck kommt. Ist die Kraft jedoch wäh- Abb. 2.27 Zu Beispiel 2.5-1
58 2 Mechanik

8m s
1 den k-ten materiellen Punkt ist gleich seiner
F(t) dt = · 200 N · 8 · 10−3 s = 0,80 N s,
2 Impulsänderung dpk / dt.
0
0,80 kg m/s Die Bewegungsgleichungen für sämtliche n
e = = 8,0 m/s .
0,1 kg materiellen Punkte des Systems sind

F1 = F a1 + +F i21 + F i31 + F i41 + …


2.5.2 Impuls eines Systems materieller Punkte
dp1
+ F in1 ,=
Bisher wurde ein einzelner materieller Punkt dt
betrachtet. Kräfte, die auf ihn wirken, müs- F 2 = F a2 + F i12 + +F i32 + F i42 + …
sen notwendigerweise von außen kommen. dp2
+ F in2 =
Im Folgenden wird ein System betrachtet, das dt
aus mehreren materiellen Punkten aufgebaut und so fort;
ist. Zu den Kräften, die von außen, also über
die Systemgrenze, an den materiellen Punkten Fk = F ak + F i1k + F i2k + F i3k + F i4k + …
des Systems angreifen, kommen noch innere dpk
Kräfte, die zwischen den materiellen Punkten + F ink =
dt
innerhalb des Systems wirken. Das System ist
ein abgeschlossenes System, wenn nur innere und so fort. Zusammenfassend ergibt sich
Kräfte wirken.

n
n
n
n
dpk
2.5.2.1 Impulssatz Fk = F ak + F ijk = .
dt
k=1 k=1 k=1
Es liege ein abgegrenztes System materieller j,k = 1
j = k
Punkte vor, das insgesamt n Teilchen ent-
halte, deren Koordinaten rk (t) von einem be- (2.48)
liebigen Koordinatennullpunkt 0 aus gemes-
sen werden, wie es Abb. 2.28 verdeutlicht. Auf
Bei der Summation sind die nicht existieren-
jeden Punkt k des Systems wirken eine äu- i
den Kräfte Fkk wegzulassen.
ßere Kraft F ak , die ihren Ursprung außerhalb
Nach dem dritten Newton’schen Axiom gibt
des Systems hat, und innere Kräfte F ijk , die
es für jede auftretende innere Kraft F ijk eine
von der Wechselwirkung des k-ten materiellen
entsprechende Gegenkraft F ikj . Diese beiden
Punktes mit allen übrigen materiellen Punk-
Kräfte kompensieren sich; deshalb vereinfacht
ten j(j = k) herrühren. Die Gesamtkraft F k auf
sich das Gleichungssystem (2.48) erheblich.
Die Gesamtsumme der inneren Kräfte ver-
schwindet:


n
F ik j =0. (2.49)
k,j = 1
k = j

Abb. 2.28 Kräfte auf Punkt k in einem System Werden die Summe der äußeren Kräfte zur
n
materieller Punkte resultierenden Kraft F a = a
k = 1 F k und die
2.5 Impuls 59

Summe der Einzelimpulse zum Gesamtimpuls


n
p = k = 1 pk zusammengefasst, dann ent- F = maS . (2.52)
spricht der Impulssatz für ein System materiel-
ler Punkte Der Schwerpunkt eines beliebigen Sys-
tems materieller Punkte bewegt sich
dp so, als sei im Schwerpunkt die Ge-
Fa = (2.50) samtmasse m des Körpers vereinigt
dt
und als griffen die äußeren Kräfte im
Schwerpunkt an.
völlig dem für einen einzelnen materiellen
Punkt.
Wirken auf ein System von Massenpunkten
2.5.2.2 Massenmittelpunkt und Schwerpunktsatz keine äußeren Kräfte, dann bleibt der Mas-
Der Impulssatz erhält eine besonders einfa- senmittelpunkt nach dem Newton’schen Träg-
che Form, wenn für ein System materieller heitsgesetz in Ruhe oder er bewegt sich gleich-
Punkte der Massenmittelpunkt oder Schwer- förmig geradlinig.
punkt S eingeführt wird. Für ein System mate-
rieller Punkte ist der Ortsvektor dieses spezi- 2.5.2.3 Impulserhaltungssatz
ellen Punktes S Wirkt auf ein System materieller Punkte keine

resultierende äußere Kraft, ist also nk = 1 Fka =

n 0, dann ist nach (2.50) dp/ dt = 0. Der Ge-
mk · rk (t)
k=1 samtimpuls des Systems p ist konstant. Für die
rs (t) = . (2.51)
m Summe der Einzelimpulse des Systems gilt der
Impulserhaltungssatz
n
Hierbei ist m = k = 1 mk die Gesamtmasse
des Systems und rk der Ortsvektor des ein- p1 + p2 + … + pn = konstant (2.53)
zelnen materiellen Punktes. Weisen Systeme
oder m1 1 + m2 2 + … + mn n
aus gleichen Massenpunkten eine Symmetrie-
achse auf, dann liegt der Massenmittelpunkt = m1 1 + m2 2 + … + mn n . (2.54)
auf dieser Achse.
Die Geschwindigkeit des Schwerpunktes er-
Wirken äußere Kräfte, wie beispielsweise beim
gibt sich durch die Differentiation von (2.51)
Stoß auf einer schiefen Ebene, so gilt der
zu
Impulserhaltungssatz – eingeschränkt auf die
n
mk k (t) Zeitpunkte kurz vor und kurz nach dem Stoß –,
drS (t)
= S (t) = k = 1 wenn die Wirkung der äußeren Kräfte im Stoß-
dt m intervall vernachlässigbar ist.
n
pk (t)
p Beispiel
= k=1 = . 2.5-2 Ein Pkw mit der Masse m1 = 1,3 t fährt auf
m m
einer abschüssigen Straße mit dem Neigungswinkel
Bezogen auf die Schwerpunktsbewegung S
β = 5◦ auf einen stehenden Wagen mit der Masse
lässt sich der Impulssatz aus (2.50) umfor- m2 = 1 t auf. Nach dem Aufprall rutscht der gestoßene
men in den Schwerpunktsatz F a = dp/ dt = Wagen vollgebremst s2 = 8 m weit. Die Bremsspur
m dS / dt oder des auffahrenden Wagens ist s1 = 5 m lang. Bei den
60 2 Mechanik

Straßenverhältnissen beträgt die Gleitreibungszahl des Systems aus Rakete und Gas im Zeitinter-
μG = 0,8. Mit welcher Geschwindigkeit 1 fuhr der Pkw vall dt ist
auf, wenn ein gleichmäßig verzögerter Bremsvorgang
angenommen wird? dp = [(m + dm)( + d) + dmT T ] − m
Lösung oder mit dmT = − dm
Aus den Bremsspurlängen werden die Geschwindig-
keiten 1 und 2 kurz nach dem Aufprall berechnet: dp = m d − dm[T − ( + d)] .

Bremsverzögerung: aB = (FR − FH )/ m Mit der Strahlgeschwindigkeit


= g(μG cos β − sin β)
Bremsweg: sB = 2 / 2aB ,
rel = T − ( + d) ,
mit der sich das Treibgas relativ zur Rakete
Geschwindigkeiten nach dem Stoß:
entfernt, lautet der Impulssatz
√ √
1 = 2s1 aB = 8,3 m/s; 2 = 2s2 aB = 10,6 m/s .
dp d dm
Fa = =m − rel .
Mit dem Impulserhaltungssatz nach (2.54) berechnet dt dt dt
man die Auffahrgeschwindigkeit 1 : Die für den Raketenantrieb charakteristische
m1 1 + m2 2
Schubkraft ist
1 = = 16,4 m/s = 59 km/h .
m1
dm
F schub = rel . (2.55)
2.5.3 Raketengleichung dt

Die Beschleunigung einer Rakete ist der be- Die Bewegungsgleichung der Rakete hängt von
sondere Bewegungsfall, bei dem die Masse des der Schubkraft F schub und den äußeren Kräf-
Körpers, der eine Bewegungsänderung erfährt, ten F a , wie beispielsweise den Gravitations-
nicht konstant ist. Durch den Massenausstoß kräften, ab:
heißer Gase gemäß Abb. 2.29 wird die Schub-
kraft der Rakete erzeugt. In der Zeitspanne dt d
ändert sich die Raketenmasse m um dm, die m(t) = Fa + Fschub . (2.56)
dt
Geschwindigkeit ändert sich um d.
Mit dem Impulssatz nach (2.50) lässt sich der
Verlauf der Raketengeschwindigkeit, die Ra- Mit folgenden Näherungen soll (2.56) inte-
ketengleichung, ableiten. Die Impulsänderung griert werden:

– Der Treibstoff wird im Zeitintervall 0 t


tB bis zur Brennschlusszeit tB ausgesto-
ßen;
– die Relativgeschwindigkeit rel ist während
der Brennzeit konstant;
– der Massenstrom ṁ der ausgestoßenen
Treibgase ist konstant.

Abb. 2.29 Massen und Geschwindigkeiten von Rakete Ist m0 die Anfangsmasse, bestehend aus Ra-
und Treibstoff zur Zeit t und t + dt kete und Treibstoff, und mleer die Masse der
2.5 Impuls 61

Tabelle 2.4 Daten der Mondrakete Saturn V mit dem


d ṁ
Treibsatz der ersten Stufe a(t) = = rel − g0 . (2.58)
dt m0 − ṁt
Startmasse m0 2,9 · 106 kg
Leermasse mleer 0,82 · 106 kg
Brennschlusszeit tB 160 s Durch Integration ergibt sich für den Betrag
Relativgeschwindigkeit rel 2,6 · 103 m s−1 der Geschwindigkeit
Massenstrom ṁ 1,3 · 104 kg s−1
Schub Fschub 3,4 · 107 N
m0
(t) = rel ln − g0 t + 0 .
m0 − ṁt
(2.59)
ausgebrannten Rakete, dann ist der Massen-
strom
Beim Start von der Erdoberfläche mit der An-
ṁ =
m0 − mleer fangsgeschwindigkeit 0 = 0 erhält man für die
tB Brennschlusszeit tB die Endgeschwindigkeit

und die Abnahme der Raketenmasse


m0
(tB ) = rel ln − g0 tB . (2.60)
mleer
m(t) = m0 − ṁt . (2.57)

(Raketengleichung nach K. Ziolkowskij;


In Tabelle 2.4 sind einige charakteristische Da- 1857 bis 1935).
ten der Saturn-V-Rakete angegeben, mit der Durch eine weitere Integration folgt aus (2.59)
1969 das amerikanische Apollo-Raumschiff die Höhe h(t) der Rakete über der Erdober-
die erste bemannte Mondlandung durch- fläche:
führte.
Die erreichbare Endgeschwindigkeit hängt li- rel (m0 − ṁ t)
h(t) =
near von der Ausströmgeschwindigkeit rel ṁ
ab. Bei mehrstufigen Raketen wird die ausge- m0 m0
· − 1 − ln
brannte Stufe abgeworfen. Der Start der nächs- m0 − ṁ t m0 − ṁ t
ten Stufe erfolgt mit der Endgeschwindigkeit 1 2
− g0 t . (2.61)
der Vorstufe als Anfangsgeschwindigkeit 0 . 2
Erfolgt der Start der ersten Stufe der Rakete
im Schwerefeld der Erde, dann ist als äußere Bei Brennschluss tB ist die Höhe
Kraft die Gravitationskraft auf die Rakete zu
berücksichtigen. Die Gravitationskraft ist der
rel mleer m0 m0
Schubkraft entgegengerichtet. Werden für die hB = − 1 − ln
ṁ mleer mleer
Startphase der Luftwiderstand und die Ände-
1 2
rung der Fallbeschleunigung mit der Steig- − g0 tB . (2.62)
höhe vernachlässigt, rechnet man also mit 2
g = g0 = konstant, dann ist die äußere Kraft
F a = m(t)g 0 . Für den Betrag der Beschleuni- Mit der Geschwindigkeit (tB ) aus (2.60) er-
gung gilt reicht die Rakete nach Brennschluss noch eine
62 2 Mechanik

Steighöhe hs = 2 (tB )/ 2g0 (2.10). Der Bahn- Stoß? b) Wie groß ist die Beschleunigung während der
scheitel des senkrechten einstufigen Raketen- Stoßzeit?
aufstiegs liegt nach dieser Näherungsrech-
nung in der Höhe htotal über Startniveau ge- Ü 2.5-2 Ein Auto hat die Masse m = 1 000 kg. Es
mäß fährt mit = 50 km/h geradeaus. Welche Impulsän-
derung Δp – nach Betrag und Richtung – muss aufge-
bracht werden, um eine Richtungsänderung von 120◦
2 (tB )
htotal = hB + . (2.63)
zu bewerkstelligen, ohne den Betrag der Geschwindig-
2g0 keit zu ändern?

Ü 2.5-3 Die Mondmasse mM beträgt etwa 0,0123 mE


In Abb. 2.30 ist jeweils der Verlauf der Ge- (mE = Erdmasse). Der Abstand zwischen Erdmittel-
schwindigkeit für den Fall, dass – wie im Welt- punkt und Mondmittelpunkt ist REM = 3,8 · 105 km,
raum – keine äußere Kraft wirkt (g0 = 0) und der Erdradius RE = 6 370 km. Wo liegt der Massenmit-
für den Fall, dass der Start gegen die Erdgravi- telpunkt S des Systems Erde und Mond?
tation erfolgt, wiedergegeben. Den angegebe-
nen Zahlenwerten liegen die Daten der Start- Ü 2.5-4 Beim spontanen radioaktiven Zerfall sendet
stufe der Saturn V-Rakete nach Tabelle 2.4 zu- ein U-238-Kern ein α-Teilchen gemäß folgender Reak-
tion aus:
grunde.
238
92 U → 234 4
90 Th + 2 He .
Zur Übung
Ü 2.5-1 Auf einer ebenen Unterlage liegt eine Kugel
Die Geschwindigkeit des α-Teilchens wird zu α =
(Masse m = 2,0 kg). Die Kugel wird parallel zur Unter-
1,4 · 107 m/s gemessen. Welches ist die Geschwindig-
lage mit einem Hammer angeschlagen. Die Kontaktzeit
keit Th des Rückstoßkerns Thorium?
ist t = 5 ms, die mittlere Kraft F = 100 N. a) Wie groß
sind Geschwindigkeit und Impuls der Kugel nach dem
Ü 2.5-5 Wie viel Treibstoff muss eine Einstufenrakete
aufnehmen, damit sie nach Verbrennen des gesamten
Treibstoffs die erste kosmische Geschwindigkeit von
= 7,9 km/s erreicht? Die Leermasse der Rakete ist
mleer = 1 000 kg, die Ausströmgeschwindigkeit gegen
die Rakete ist rel = 3 000 m/s, die Brennschlusszeit ist
tB = 120 s. Unterscheiden Sie zwischen einem „Start“
im Weltraum außerhalb des Graviationsbereichs eines
Himmelskörpers und einem Start im Schwerefeld der
Erde.

2.6 Arbeit und Energie


2.6.1 Arbeit

Wirkt eine Kraft F auf einen materiellen Punkt


Abb. 2.30 Geschwindigkeit der Saturn-V-Rakete
oder Körper und verschiebt ihn dabei um ein
(1. Stufe) bei senkrechtem Start auf der Erde mit
näherungsweise konstantem Schwerefeld (I) und Wegelement Δs, so hat die Kraft den Zustand
Zündung im Weltraum ohne Einwirkung äußerer des Körpers verändert, sie hat Arbeit verrich-
Kräfte (II) tet. Die mechanische Arbeit ist definiert als
2.6 Arbeit und Energie 63

In Abb. 2.33 sind Fälle zusammengestellt, bei


denen die Kraft F Arbeit gegen ortsunabhän-
gige Kräfte verrichtet. Dazu zählen die im
erdnahen Gravitationsfeld näherungsweise
konstante Schwerkraft F G und die von ihr
verursachte Hangabtriebskraft sowie die auf
dem Verschiebungsweg konstante Festkörper-
Abb. 2.31 Zur Definition der Arbeit reibungskraft F R . Mit aufgenommen ist die
Beschleunigungsarbeit gegen die Trägheits-
kraft F t der beschleunigten Masse (2.33):

ΔW = |F| |Δs| cos(F, Δs) (2.64) s2


W12 = F · ds
s1
entsprechend Abb. 2.31 oder in differentieller s2 v
2 (s2 )
d
Schreibweise als Skalarprodukt = − −m · ( dt) = m( · d) .
dt
s1 v1 (s1 )
dW = F · ds . (2.65)
Die Integration zeigt, dass die Beschleuni-
Die insgesamt längs eines Weges von s1 nach s2 gungsarbeit nur von der Differenz der Qua-
von einer Kraft F(r, t) verrichtete Arbeit ergibt drate der Geschwindigkeiten abhängt:
sich durch Integration der Einzelbeiträge, wie
Abb. 2.32 verdeutlicht: 1
W12 = m 22 − 21 . (2.67)
2
s2 s2
W12 = dW = F · ds . (2.66)
Die Beschleunigungsarbeit ist null, wenn, wie
s1 s1
bei der gleichförmigen Kreisbewegung, d
und senkrecht aufeinander stehen: sich der
Nach der Definitionsgleichung (2.64) ist die Geschwindigkeitsbetrag also nicht ändert.
Maßeinheit der Arbeit 1 Nm = 1 J (Joule). Die Arbeit beim Dehnen und Stauchen einer
Feder und beim Anheben eines Körpers gegen
die Gravitationskraft über größere Strecken
wird nicht mehr gegen konstante Kräfte geleis-
tet. Abbildung 2.34 enthält für diese Fälle orts-
abhängiger Kräfte die Integration von (2.66).
Die Arbeit entspricht dabei der Fläche zwi-
schen der Kraftkurve und der Wegachse in-
nerhalb der Integrationsgrenzen.

Beispiel
Abb. 2.32 Arbeit einer ortsabhängigen Kraft F(x, y) 2.6-1 Wie groß ist der Arbeitsaufwand beim Dehnen
längs des Wegs von s1 (x1 , y1 ) nach s2 (x2 , y2 ) oder Stauchen einer idealen Feder?
64 2 Mechanik

Abb. 2.33 Arbeit gegen ortsunabhängige Kräfte

Lösung 2.6.2 Leistung, Wirkungsgrad


Nach (2.32) gilt als lineares Kraftgesetz für die Fe-
derauslenkung F rück = −kx. Beim Stauchen oder Deh- Das Maß dafür, in welcher Zeitspanne eine Ar-
nen hält die Kraft F der rücktreibenden Systemkraft zu
beit verrichtet wird, ist die Leistung
jedem Zeitpunkt das Gleichgewicht: F = −F rück . Die
aufzuwendende Arbeit W12 beim Dehnen von x1 auf
x2 ist ΔW
x2 x2 P= . (2.69)
W12 = F · dx = (−)(−kx) · dx .
Δt
x1 x1
x und dx sind parallel gerichtet, daher ergibt sich Die Maßeinheit der Leistung ist 1 N m s−1 =
1 J s−1 = 1 W (Watt). Die Leistung hängt vom
1 Zeitintervall Δt ab. Die Momentanleistung P
W12 = k x22 − x21 . (2.68) ergibt sich mit (2.65) zu
2
Die aufzuwendende Verformungsarbeit
nimmt quadratisch mit der Auslenkung dW
P= = F . (2.70)
zu. dt
2.6 Arbeit und Energie 65

Abb. 2.34 Arbeit gegen ortsabhängige Kräfte

Aus der über die Gesamtzeit tg verrichteten Der Wirkungsgrad ist dimensionslos, der Wer-
Gesamtarbeit Wg errechnet sich die mittlere tebereich liegt zwischen 0 η 1.
Leistung Stimmen die Zeitintervalle der Leistungszu-
fuhr und Leistungsabgabe nicht überein, bei-
spielsweise bei dem langsamen Anheben eines
Wg
Pm = . (2.71) Rammbärs mit anschließendem raschem Auf-
tg
prall, dann wird der Wirkungsgrad über das
Verhältnis von Nutzarbeit Wab zur zugeführ-
ten Arbeit Wzu definiert:
Leistungen von Antrieben misst man, indem
die in der Zeitspanne abgegebene Arbeit de-
finiert in messbare Reibungsarbeit oder Rei- t1
bungswärme umgewandelt wird. Die abgege- Peff dt
bene effektive Leistung Peff eines Antriebs oder Wab
mechanischen Wandlers ist wegen der Rei- η= = 0
. (2.73)
Wzu t2
bungsverluste PV kleiner als die zugeführte PN dt
Nennleistung PN . Das Kennzeichen für die Ef-
0
fektivität der Leistungswandler ist der Wir-
kungsgrad
Werden mehrere Antriebe und Wandler hin-
Peff P tereinandergeschaltet, dann ist der Gesamt-
η= =1− V . (2.72)
wirkungsgrad der Anlage das Produkt aus den
PN PN
Einzelwirkungsgraden:
66 2 Mechanik

W ab,n Wab,1
ηges = =
Wzu,1 Wzu,1
Wab,2 Wab,n
· ·…· oder
Wab,1 Wab,n−1

ηges = η1 η2 …ηn . (2.74)

Beispiel
2.6-2 Ein Förderkorb, dessen Masse einschließlich
maximaler Nutzlast m1 = 1 000 kg beträgt und dessen
Gegengewicht die Masse m2 = 450 kg hat, fährt mit der
Beschleunigung a1 = 1 m/s2 aufwärts, bis er die kon-
stante Fördergeschwindigkeit 2 = 5 m/s erreicht. Die
gesamte Reibungskraft ist FR = 500 N. Abbildung 2.35
verdeutlicht den Vorgang. Welche Spitzenleistung und
welche Dauerleistung benötigt der Antrieb, wenn der
Wirkungsgrad η = 0,9 beträgt?

Lösung
Die Kraft F1 an dem Umfang der Trommel während
des Anfahrens ergibt sich aus

F1 + m2 (g − a) = m1 (g + a) + FR

zu

F1 = m1 (g + a) − m2 (g − a) + FR = 7 450 N .

Im Bewegungsabschnitt mit konstanter Förderge-


schwindigkeit ist

F2 = (m1 − m2 )g + FR = 6 000 N .

Die maximale Nennleistung während des Anfahrens


beträgt

F1 2
PN,max = = 41,4 kW .
η
Abb. 2.35 Zu Beispiel 2.6-2
Die Dauer-Nennleistung bei der anschließenden
gleichförmigen Bewegung des Förderkorbes ist
2.6.3 Energie
F2 2
PN = = 33,3 kW .
η Führt man einem Körper mechanische Arbeit
Antriebsaggregate müssen so ausgelegt werden, dass zu, dann ändert sich der physikalische Zu-
sie über die Dauerleistung hinaus kurzfristig eine we- stand des Körpers: Eine gespannte Feder kann
sentlich höhere Spitzenleistung aufbringen können. einen an ihr befestigten Körper beschleuni-
2.6 Arbeit und Energie 67

gen, also Beschleunigungsarbeit verrichten; gehören die von der Verformungsarbeit WV


ein durch Arbeitsverrichtung beschleunigter herrührende elastische Energie
Wagen kann eine schiefe Ebene bergauf fah-
ren und damit Hubarbeit verrichten. Körper 1
unterscheiden sich also dadurch, in welchem Eelast = ks2 (2.78)
2
Maß ihnen Arbeit zugeführt wurde. Das Maß
dafür ist die Energie E.
und die durch die Hubarbeit WH erzeugte La-
geenergie
Durch Zufuhr oder Abgabe von Arbeit
wird die Energie eines Körpers oder die
Gesamtenergie eines Systems materieller ELage = mgh . (2.79)
Punkte erhöht oder erniedrigt.
Die Energieanteile hängen betragsmäßig da-
Die Energie wird in der gleichen Maßeinheit von ab, wo das Bezugsniveau h = 0 und der
1 J angegeben wie die Arbeit, durch die sie Ausgangszustand s = 0 liegen und auf welches
verändert wird. Es gilt also der Energiesatz der Koordinatensystem die Geschwindigkeit be-
Mechanik: zogen ist.

2.6.4 Energieerhaltungssatz
ΔE = Enachher − Evorher = ΔW . (2.75)
Die als Energie gespeicherte Arbeit muss nicht
in der Arbeitsform abgegeben werden, in der
Die Energieanteile eines Körpers werden sie aufgenommen wurde. Diese Abgabe ist
durch die Arbeit, die sie erzeugt haben, be- auch in anderen Arbeitsformen möglich. Beim
schrieben und ergeben wie diese additiv die Bogenschießen wird beispielsweise die elas-
Gesamtenergie. Die mechanische Energie tische Energie in Beschleunigungsarbeit des
eines Körpers ist Pfeils und eventuell beim Schuss bergauf in
Hubarbeit umgewandelt. Alle Naturerschei-
nungen gehorchen einem fundamentalen Ge-
E = Ekin + Epot . (2.76)
setz, der Erhaltung der Energie:

Sie setzt sich zusammen aus der durch die In einem abgeschlossenen System bleibt
Beschleunigungsarbeit WB erzeugten kineti- der Energieinhalt konstant. Energie kann
schen Energie weder vernichtet werden noch aus nichts
entstehen; sie kann sich in verschiedene
Formen umwandeln oder zwischen ver-
1
Ekin = m2 (2.77) schiedenen Teilen des Systems ausge-
2 tauscht werden.

und der potentiellen Energie Epot , in der die Es gibt kein Perpetuum mobile erster Art; d. h.,
Energieanteile zusammengefasst sind, die nur es ist unmöglich, eine Maschine zu bauen, die
von einer Ortskoordinate abhängen. Hierzu dauernd Arbeit verrichtet, ohne dass ihr von
68 2 Mechanik

außen ein entsprechender Energiebetrag zu- tische Verformungen bewirken, dass der Ener-
geführt wird (Abschn. 3.3.2). giezustand vom gewählten Weg abhängt. In
Der Energieerhaltungssatz ist nicht beweis- dieser Weise vom Weg abhängige Kräfte sind
bar; er fasst die jahrhundertelangen Erfah- dissipative Kräfte.
rungen mit Energieumwandlungsexperimen-
ten zusammen. In seiner allgemeinen Form Zur Übung
Ü 2.6-1 Eine Stahlkugel (Masse m) fällt frei aus der
beinhaltet er außer den mechanischen Ener-
Höhe h auf eine Stahlplatte und springt danach auf
gieformen der kinetischen und der potenti- eine Höhe h1 = 0,9h zurück. a) Wie groß ist ihre Ge-
ellen Energie auch thermische Energien, che- schwindigkeit 0 unmittelbar vor dem Aufprall? b) Wie
mische Energien, elektrische und magnetische groß ist die Geschwindigkeit unmittelbar nach dem
Feldenergien. Aufprall? c) Wie groß ist die Impulsänderung Δp der
Bleiben in Systemen die nichtmechanischen Stahlkugel nach Betrag und Richtung? d) Welcher An-
teil der ursprünglichen kinetischen Energie wurde in
Energien der Körper konstant, ist also in ideali-
nicht-mechanische Energieformen umgesetzt?
sierten mechanischen Systemen die Reibungs-
arbeit vernachlässigbar, dann gilt für die kine-
tische Energie und die potentielle Energie des Ü 2.6-2 Eine Feder (Federkonstante k = 200 N/m)
wird um Δy = 15 cm zusammengedrückt. Dann wird
Systems materieller Punkte der Energieerhal-
eine Kugel (Masse m = 80 g) auf sie gelegt. Wie hoch
tungssatz der Mechanik springt die Kugel, wenn die Feder plötzlich entspannt
wird?
Ekin + Epot = konstant . (2.80)
Ü 2.6-3 Eine Schraubenfeder ist durch eine Kraft F1 =
50 N gespannt. Wirkt zusätzlich eine Kraft ΔF = 30 N
In diesem Fall hängen die mechanischen Ener- an der Feder, wird diese um Δl = 20 cm verlängert.
gien zu zwei Zeitpunkten t und t folgender- a) Wie groß ist die für diese Verlängerung erforder-
maßen zusammen: liche Arbeit? b) Wie groß ist die Gesamtenergie der
gespannten Feder?
1 2 1 2
m1 1 − 2 2
1 + m2 2 − 2 + …
2 2 Ü 2.6-4 Bei großen Deformationen wird das Kraft-
1 1 2 2
+ k1 s21 − s2
1 + k2 s2 − s2 + …
gesetz einer realen Feder nicht-linear. Für eine Puf-
2 2 ferfeder gilt k(x) = k1 + k2 x2 mit k1 = 103 N/m und
(2.81) k2 = 107 N/m3 . Wie weit wird diese Feder zusammen-


gedrückt, wenn ein Körper, der die kinetische Energie
+ m1 g h1 − h1 + m2 g h2 − h2 + …
Ekin = 0,3 N m hat, in x-Richtung aufprallt?
=0.

Im mechanischen Energieerhaltungssatz ist 2.7 Stoßprozesse


die potentielle Energie des Systems durch die
Lagekoordinaten s oder h eindeutig bestimmt; 2.7.1 Übersicht und Grundbegriffe
sie hängt nicht vom Weg und den Wechselwir-
kungen auf diesem Weg ab. Die elastische Kraft Bei einem Stoßprozess berühren sich zwei
und die Gewichtskraft, die die potentielle Ener- (oder auch mehrere) Körper kurzzeitig un-
gie bestimmen, werden als konservative Kräfte ter Änderung ihres jeweiligen Bewegungszu-
bezeichnet. Im Gegensatz dazu gilt (2.81) nicht stands, wie Abb. 2.36 verdeutlicht. Kennzeich-
mehr, wenn Reibungsvorgänge und nichtelas- nend ist die Einmaligkeit und die im Vergleich
2.7 Stoßprozesse 69

Einwirkung äußerer Kräfte. Zwischen den


Geschwindigkeiten der Stoßpartner vor dem
Stoß 1 sowie 2 und nach dem Stoß 1 sowie
2 besteht nach dem Impulserhaltungssatz
gemäß (2.54) der Zusammenhang

m1 1 + m2 2 = m1 1 + m2 2 . (2.82)

Die Vektoren können algebraisch addiert wer-


den, weil der gerade zentrale Stoß eindimen-
sional ist, wie Abb. 2.39 verdeutlicht. Die zweite
Abb. 2.36 Zeitlicher Verlauf des Stoßes zweier
elastischer Körper

zur gesamten Beobachtungsdauer kurze Kon-


taktzeit der beteiligten Körper. In dieser Wech-
selwirkungszeit treten verhältnismäßig große
Kräfte auf. Die Bewegung wenigstens eines der
beteiligten Körper ändert sich abrupt.
Stoß-Beispiele sind Billard-, Tennis- oder
Fußballstöße und Auto-Unfallversuche. Abbil-
dung 2.37 zeigt ein Beispiel hierfür. Stoßpro-
zesse treten auch bei atomaren Vorgängen auf.
Bei Zusammenstößen zwischen Atomen und
Molekülen treten an die Stelle der elastischen
Kräfte der Mechanik elektrostatische Wechsel-
wirkungskräfte. Eine Klassifikation der Stöße
zwischen makroskopischen Körpern lässt sich
nach den geometrischen Verhältnissen und
den Änderungen der kinetischen Energie der
Stoßpartner treffen. Abbildung 2.38 zeigt eine
Übersicht.

2.7.2 Gerader, zentraler, elastischer Stoß


Für ein Zeitintervall kurz vor und kurz nach
dem Stoß sind die Änderungen der poten-
tiellen Energien der Stoßpartner und die Abb. 2.37 Crash-Test-Zeitverlauf. Auffahrgeschwin-
Reibungsverluste vernachlässigbar gegenüber digkeit 64 km/h, Zeitspanne seit dem Aufprall
den kinetischen Energien; für den Stoßzeit- a) 0 ms, b) 75 ms, c) 150 ms
raum ist das System abgeschlossen und ohne Werkfoto: Daimler Chrysler AG
70 2 Mechanik

Abb. 2.38 Klassifikation der Stoßprozesse. Betrachtet werden nur Stöße, bei denen die Stoßpartner vor dem Stoß
reine Translationsbewegungen ausführen

Bestimmungsgleichung ist der Energieerhal- Durch Umformung von (2.83) ergibt sich
tungssatz nach (2.81):
m1 1 + 1 1 − 1 = m2 2 + 2 2 − 2
1 1 1 1
m1 21 + m2 22 = m1 21 + m2 22 . und mit (2.82)
2 2 2 2
(2.83)

1 − 2 = − 1 − 2 . (2.84)

Vom Körper 2 aus gesehen, bewegt sich der


Körper 1 nach dem Stoß mit derselben Rela-
tivgeschwindigkeit weg, mit der er vor dem
Stoß auf den Körper 2 zugelaufen ist.
Setzt man (2.84) in (2.82) ein, so führt dies
auf die Bestimmungsgleichungen für die Ge-
Abb. 2.39 Gerader, zentraler Stoß schwindigkeiten nach dem Stoß:
2.7 Stoßprozesse 71

(m1 − m2 )1 + 2m2 2


1 = , (2.85)
m1 + m2
2m1 1 + (m2 − m1 )2
2 = . (2.86)
m1 + m2

Sind die Massen der Stoßpartner gleich, so


tauschen die beiden Körper Geschwindigkeit,
Impuls und kinetische Energie aus; war vor
dem Stoß der gestoßene Körper in Ruhe, so
ist nach dem Stoß der stoßende Körper in
Ruhe. Stößt ein schwerer Körper einen leich-
ten, dann bewegen sich beide nach dem Stoß
in der gleichen Richtung weiter. Ist dagegen
die Masse des gestoßenen Körpers größer als
die des stoßenden, so wird der stoßende Kör-
per reflektiert und nach dem Stoß laufen die
Körper entgegengesetzt auseinander. Kollidie- Abb. 2.40 Gerader, zentraler Stoß: Anteil f
der Energieübertragung in Abhängigkeit vom
ren Körper extrem unterschiedlicher Massen –
Massenverhältnis der Stoßpartner
prallt beispielsweise ein Ball auf eine Wand –,
dann wird beim elastischen Stoß der stoßende
Der Anteil f der Energieübertragung bei einem gera-
Körper vollständig reflektiert. Er behält seine
den, zentralen, elastischen Stoß eines ruhenden Stoß-
kinetische Energie; der Impuls und die Ge-
partners ist in Abhängigkeit vom Massenverhältnis
schwindigkeit sind nach dem Stoß entgegen- m1 :m2 in Abb. 2.40 aufgetragen. Der Energieübertrag
gesetzt zur Einfallsrichtung gerichtet. ist umso höher, je geringer der Massenunterschied zwi-
schen den Stoßpartnern ist. Zum Abbremsen schnel-
Beispiel ler Neutronen in Kernreaktoren ist also Wasser (H2 O)
2.7-1 Ein Neutron mit der Masse m1 = mN stößt oder schweres Wasser (D2 O) sehr viel effektiver als
zentral auf einen ruhenden Atomkern mit der Masse etwa eine Bleiabschirmung.
m2 = NmN . Die Kollision ist näherungsweise elastisch.
Welcher Anteil f der kinetischen Energie des Neutrons 2.7.3 Gerader, zentraler, unelastischer Stoß
wird auf den Atomkern übertragen?
Geht beim Stoßvorgang kinetische Energie
Lösung beispielsweise durch Reibungs- oder inelasti-
Die Energie des stoßenden Neutrons ist
sche Verformungsarbeit verloren, dann muss
1
Ekin, Nvor = m1 21 . der allgemeine Energiesatz nach (2.75) zur Be-
2
rechnung der Geschwindigkeiten nach dem
Beim Stoß wird die Energie ΔE übertragen:
Stoß herangezogen und der Energieverlust ΔW
1
ΔE = m1 21 − 12 . berücksichtigt werden:
2
Der Anteil f der übertragenen kinetischen Energie ist
1 1 1
ΔE

2 m1 − m2 2 m1 21 + m2 22 = m1 21 (2.87)
f = = 1 − 12 = 1 − 2 2 2
Ekin, N vor 1 m1 + m2 1
4m1 m2 4N 2 + ΔW .
+ m2 2
= = . 2
(m1 + m2 )2 (1 + N)2
72 2 Mechanik

Zusätzlich zum Impulserhaltungssatz nach auch als vollkommen plastischer Stoß bezeich-
(2.82) ist eine weitere Bestimmungsgleichung net wird
notwendig, um die Geschwindigkeiten 1 und
2 − 1 =0.
2 nach dem Stoß und den Energieverlust ΔW
berechnen zu können (Beispiel 2.5-2). Es liegt nahe, den teilplastischen Stoß zu de-
Besonders interessant ist der unelastische Stoß, finieren, bei dem folgender Zusammenhang
bei dem die beiden Körper miteinander ver- gilt:
koppelt werden und sich nach dem Stoß mit
der gemeinsamen Geschwindigkeit
2 − 1 = ε(1 − 2 ) . (2.89)

= 1 = 2
ε wird als Stoßzahl bezeichnet und kann fol-
gemäß Abb. 2.41 bewegen. Der Impulserhal-
gende Werte annehmen:
tungssatz dieses unelastischen Stoßes lautet
ε=1 elastischer Stoß
m1 1 + m2 2 = (m1 + m2 ) ; ε=0 vollkommen plastischer Stoß
daraus folgt 0<ε<1 teilweise plastischer Stoß
Die Stoßzahl kann experimentell bestimmt
m1 1 + m2 2 werden. Beispielsweise beträgt sie für Körper
= . (2.88)
m1 + m2 aus gehärtetem Stahl ε = 0,95; für Blei gilt
ε = 0.
Der Verlust an kinetischer Energie ergibt sich
Die für den elastischen Stoß gefundene (2.84)
zu
für die Geschwindigkeitsdifferenzen vor und
nach dem Stoß m1 m2
ΔW = 1 − ε2 21 − 22 .
2(m1 + m2 )
2 − 1 = 1 − 2
(2.90)
gilt für den unelastischen Stoß nicht mehr.
Vielmehr gilt für den Stoß mit Kopplung, der
Beispiel
2.7-2 Die Stoßzahl lässt sich aus Fallversuchen be-
stimmen. Dabei lässt man eine kleine Kugel aus der
Fallhöhe h auf einen schweren (m2 >> m1 ) ruhenden
Körper fallen (Abb. 2.42). Wie groß ist die Stoßzahl ε,
wenn die Fallhöhe h = 70 cm beträgt und die Zeit-
spanne zwischen dem ersten und dem zweiten Aufprall
Δt = 0,72 s?
Lösung
Nach dem freien Fall kommt es zum ersten Aufprall
nach der Zeit


2h
Abb. 2.41 Gerader, zentraler, unelastischer Stoß mit t1 = = 0,378 s .
Kopplung (vollplastischer Stoß) g
2.7 Stoßprozesse 73

Abb. 2.42 Zu Beispiel 2.7-2: Bestimmung der Stoßzahl

Die Aufprallgeschwindigkeit der kleinen Kugel ist



1 = 2gh = gt1

Nach (2.89) prallt die Kugel ab mit der Geschwindigkeit


Abb. 2.43 Schiefer, zentraler, elastischer Stoß
1 = −ε1 ,

dabei sind 2 und 2 jeweils null.


Der Impulserhaltungssatz nach (2.54) in Rich-
Die Zeitspanne bis zu einem erneuten Aufprall ist tung der Stoßgeraden ergibt eine weitere ska-
lare Bestimmungsgleichung:
2|1 | 2ε1
Δt = = = 2εt1 .
g g
m1 1y + m2 2y = m1 1y + m2 2y . (2.93)
Damit wird die Stoßzahl
Δt
ε= = 0,95 . Beim elastischen Stoß entsteht kein Energie-
2t1
verlust; der Energieerhaltungssatz nach (2.81)
lautet also

2.7.4 Schiefe, zentrale Stöße 1 2 1


m1 1x + 21y + m2 22x + 22y (2.94)
2 2
2.7.4.1 Elastische Stöße 1 2 1
Abbildung 2.43 skizziert die Lage der Stoß- = m1 1x + 1y + m2 22x + 22y .
2
2 2
partner für den Augenblick, in dem sie sich be-
rühren. Die Verbindungslinie der beiden Mas-
Gleichungen (2.91) bis (2.94) sind vier Bestim-
senmittelpunkte in diesem Augenblick ist die
mungsgleichungen für die unbekannten Kom-
Stoßgerade; in Abb. 2.43 ist es die y-Achse.
ponenten 1x , 1y , 2x und 2y der Stoßpartner
Ohne Reibung kann in die x-Richtung senk-
nach dem Stoß. Die Lösungen des Gleichungs-
recht zur Stoßgeraden keine Kraft übertragen
systems sind in Tabelle 2.5 dargestellt.
werden. Die Komponenten der Impulse in x-
Sind die Massen der beiden Stoßpartner gleich
Richtung sind vor und nach dem Stoß gleich:
und ist der gestoßene Körper in Ruhe, dann
folgt aus (2.94)
m1 1x = m1 1x , (2.91)
m2 2x = m2 2x . (2.92) 21 = 21 + 22 . (2.95)
74 2 Mechanik

Tabelle 2.5 Schiefer, zentraler, elastischer Stoß Diese können beobachtete Ablenkwinkel oder
gemessene Geschwindigkeitsbeträge sein. Hat
Geschwindigkeiten man die Geschwindigkeiten nach dem Stoß-
vor dem nach dem
vorgang bestimmt, so kann man durch Ver-
Stoß Stoß
Körper 1 1x 1x = 1x gleich der kinetischen Energien vor und nach
Masse m1 1y 1y = dem Stoß den Energieanteil ermitteln, der in
(m1 − m2 )1y + 2m2 2y nichtmechanische Energieformen umgesetzt
m1 + m2 wurde.
Körper 2 2x 2x = 2x
Ein grundlegendes Beispiel für einen inelas-
Masse m2 2y 2y =
2m1 1y + (m2 − m1 )2y tischen Stoß ist der Franck-Hertz-Versuch
m1 + m2 (Abschn. 8.2, Abb. 8.6). Gasatome nehmen
beim Stoß mit Elektronen nur diskrete Ener-
gien auf und geben sie kurze Zeit später als
Lichtquant ab.
Die Geschwindigkeitsrichtungen der Stoß- Zur Übung
partner stehen in diesem Fall nach dem Stoß Ü2.7-1 Im Weltraum, wo äußere Kräfte vernachlässigt
senkrecht aufeinander. Erfolgt andererseits werden dürfen, soll von einer Trägerrakete (Masse m,
der schiefe, zentrale, elastische Stoß gegen eine Geschwindigkeit ) eine Raumkapsel (Masse m/ 2) ab-
gesprengt werden. Das nicht mehr gebrauchte Bruch-
Wand (m2 >> m1 ), dann folgt aus Tabelle 2.5
stück (Masse m/ 2) soll dabei zur Ruhe kommen. Wel-
cher Energiebetrag ist dem System zuzuführen?

1y = −1y . (2.96) Ü 2.7-2 Ein Eisenbahnwaggon (Masse m1 = 24 000 kg)


rollt mit einer Geschwindigkeit 1 = 3 m/s auf geraden,
ebenen Schienen. Er stößt mit einem zweiten Waggon
Der Tangens der Winkel tan β1 = tan(1y / 1x ) (Masse m2 = 20 000 kg), der sich mit der Geschwin-
digkeit 2 = 1,8 m/s in derselben Richtung bewegt,
und tan β1 = tan(1y / 1x ) sind gleich groß. Dies
zusammen.
ist das Reflexionsgesetz für den schiefen elas-
a) Nehmen Sie an, die Waggons kuppeln beim Stoß
tischen Stoß eines Körpers an einer Wand:
zusammen. Welches ist die gemeinsame Endgeschwin-
digkeit ? Welcher Betrag an Energie wurde in Wärme
umgesetzt? b) Nehmen Sie an, der Zusammenstoß sei
β1 = β1 . (2.97)
vollständig elastisch und die Waggons trennen sich
dann wieder. Welches sind dann die Endgeschwindig-
keiten 1 und 2 der beiden Waggons? c) Was ändert
Der Ausfallwinkel ist also gleich dem Einfall- sich an den Antworten zu den Teilfragen a) und b),
winkel. wenn sich die beiden Waggons anfangs aufeinander zu
bewegen?
2.7.4.2 Inelastische Stöße
Ü 2.7-3 Ein Geschoss (Masse m1 = 20 g) fliegt hori-
Wenn der Stoßvorgang nicht mehr elastisch
zontal mit der Geschwindigkeit 1 = 200 m/s. Es trifft
erfolgt, dann gilt der Energieerhaltungssatz auf einen als Pendel an einem langen Draht aufgehäng-
der Mechanik nicht mehr. Zwar liefert der Im- ten Holzklotz (Masse m = 1,0 kg) und durchschlägt
pulserhaltungssatz für die beiden kartesischen ihn. Nachdem die Kugel aus dem Klotz ausgetreten ist,
Koordinaten zwei skalare Gleichungen, aber es hat das Pendel eine Geschwindigkeit von p = 2,0 m/s.
sind zusätzlich noch zwei geometrische Be- a) Wie groß ist die Geschwindigkeit 1 des Geschosses
dingungen für den Stoßvorgang notwendig. nach Durchschlagen des Pendelklotzes? (Dabei darf
2.8 Drehbewegungen 75

die Bewegung des Pendels in der Wechselwirkungszeit definiert als Vektorprodukt aus dem Radius-
mit dem Geschoss vernachlässigt werden.) b) Ist der vektor r und der äußeren Kraft F:
Zusammenstoß vollständig unelastisch? Welcher An-
teil der kinetischen Energie wird in nichtmechanische
Energien umgesetzt? M =r×F . (2.98)

Ü 2.7-4 Ein Körper (Masse m1 = 50 g) hat eine Ge-


schwindigkeit 1 = 10 m/s. Er trifft auf ein ruhendes Ein Drehmoment hat seinen größten Wert,
Objekt (m2 = 100 g). Nach dem Zusammenstoß ist die wenn der Radiusvektor r und die Kraft F senk-
Geschwindigkeit des ersten Körpers auf 1 = 6 m/s ver- recht aufeinander stehen. Die Maßeinheit des
mindert; er fliegt in eine Richtung, die um 45◦ gegen Drehmoments ist 1 N m. Dies ist formal die
seine ursprüngliche Flugrichtung abweicht. gleiche Einheit, die auch Arbeit und Ener-
a) Wie groß ist die Geschwindigkeit 2 – nach Betrag gie haben; im Gegensatz zu diesen skalaren
und Richtung – des zweiten Körpers nach dem Stoß? Größen ist das Drehmoment jedoch eine Vek-
b) Wie viel Energie wird beim Stoß in nichtmechani- torgröße. Für die Berechnung von Gleichge-
sche Energieformen umgesetzt? wichten, besonders bei starren Körpern (Ab-
schn. 2.9), spielt das Drehmoment eine zen-
trale Rolle.
2.8 Drehbewegungen
2.8.2 Newton’sches Aktionsgesetz
2.8.1 Drehmoment
der Drehbewegung

Um einen materiellen Punkt oder einen Kör-


2.8.2.1 Drehimpuls eines materiellen Punktes
per in Rotation um eine vorgegebene Dreh-
Der momentane Ort eines materiellen Punktes
achse zu versetzen, muss ein Drehmoment aus-
der Masse m, der sich unter dem Einfluss ei-
geübt werden.
ner Kraft F auf einer Bahnkurve bewegt, wird
Das Drehmoment hängt gemäß Abb. 2.44 ab
durch den Radiusvektor r vom Ursprung ei-
von Betrag und Richtung der Kraft F und
nes Inertialsystems aus beschrieben, wie aus
dem Abstand r des Angriffspunkts der Kraft
Abb. 2.45 hervorgeht.
von der Drehachse. Die Richtung des Dreh-
Seine Momentangeschwindigkeit ist , der Im-
moments steht senkrecht auf der von r und
puls p = mv. Der materielle Punkt führt eine
F aufgespannten Ebene. Das Drehmoment ist

Abb. 2.44 Zur Definition des Drehmoments M Abb. 2.45 Zur Definition des Drehimpulses L
76 2 Mechanik

Drehbewegung aus, wenn sein Impuls p eine geometrieabhängige Massenträgheitsmoment


Komponente senkrecht zum Ortsvektor r des J und an die Stelle der Bahngeschwindigkeit
materiellen Punkts hat, das Vektorprodukt die Winkelgeschwindigkeit ω.
r × p also nicht verschwindet. Diese für die
Drehbewegung charakteristische Größe wird 2.8.2.2 Dynamisches Grundgesetz der Rotation
als Drehimpuls L definiert: Aus (2.99) folgt für die zeitliche Änderung des
Drehimpulses
L=r×p. (2.99)
dL d dr dp
= (r × p) = ×p+r× .
dt dt dt dt
Die Maßeinheit des Drehimpulses ergibt sich
Die Bahngeschwindigkeit = dr/ dt und der
zu 1 N m s.
Impuls p = m sind gleichgerichtet, ihr Vek-
Für einen materiellen Punkt, der mit der Win-
torprodukt verschwindet. Nach dem Newton’-
kelgeschwindigkeit ω auf einer Kreisbahn um-
schen Aktionsprinzip (2.24) ist die Impulsän-
läuft, ist die momentane Bahngeschwindigkeit
derung dp/ dt gleich der äußeren Kraft F auf
nach Tabelle 2.1 gegeben durch = ω × r. Der
die Masse m und somit ist
Drehimpuls L der Drehbewegung des materi-
ellen Punktes ist somit
dL
L = r × p = m r × (ω × r) =r×F =M . (2.103)
dt
= m[(r · r)ω − (r· ω)r] .
Die zeitliche Änderung des Drehimpul-
Weil r senkrecht auf ω steht, ist (r · ω) = 0 und ses ist gleich dem Drehmoment der äu-
ßeren Kräfte auf den Körper.
L = (mr2 )ω . (2.100)
Wirken keine äußeren Momente, dann bleibt
Der Drehimpuls L ist proportional zur Win- der Drehimpuls L nach Betrag und Richtung
kelgeschwindigkeit ω der Drehbewegung. Die konstant, der Drehimpuls des materiellen
Proportionalitätskonstante ist das Massen- Punkts bleibt erhalten. Zentralkräfte, wie
trägheitsmoment J des materiellen Punktes im beispielsweise die Gravitationskraft (Ab-
Abstand r von der Drehachse: schn. 2.10), die dem Radiusvektor r des
materiellen Punktes entgegengesetzt gerichtet
sind, üben auf diesen kein Drehmoment aus;
J = mr2 . (2.101)
der Bahndrehimpuls der Körper ist konstant.
Wird das Massenträgheitsmoment durch eine
Der Drehimpuls L als die Bewegungsgröße der Verkürzung des Abstands der Masse zur Dreh-
Drehbewegung ergibt sich damit zu achse vermindert, so erhöht sich die Winkel-
geschwindigkeit des Körpers.
L = Jω . (2.102) Auf einer Kreisbahn ist das Massenträgheits-
moment J eines materiellen Punktes konstant.
Aus (2.102) folgt
Verglichen mit dem Impuls p der Translations-
bewegung tritt beim Drehimpuls L der Rota- dL d dω
= (J ω) = J ,
tionsbewegung an die Stelle der Masse m das dt dt dt
2.8 Drehbewegungen 77

und mit (2.103) und der Winkelbeschleuni- oder


gung α = dω/ dt ergibt sich das dynamische
Grundgesetz der Rotation: ϕ1
W = M(ϕ) · dϕ . (2.106)
M = Jα . (2.104) ϕ0

Wie bei der Newton’schen Grundglei- Ist das Drehmoment konstant, dann gilt
chung (2.25) gilt:
W = M(ϕ1 − ϕ0 ) .
Die Winkelbeschleunigung α der Dreh-
bewegung ist der Ursache, dem äußeren Das aufzuwendende Drehmoment M ist pro-
Drehmoment M, proportional. portional zum Drehwinkel ϕ bei der Torsion
von Körpern im elastischen Bereich oder bei
Torsionsfedern. Die Proportionalitätskon-
Die Integration von (2.103) ergibt den Dreh-
stante wird analog zum Hooke’schen Gesetz
momentenstoß:
der longitudinalen Dehnung als Drehfeder-
steifigkeit kt bezeichnet. Die Arbeit gegen das
t2 winkelabhängige Torsionsmoment ergibt sich
M dt = ΔL . (2.105) aus der Integration von (2.106):
t1

1
Die Drehimpulsänderung ΔL ist gleich dem
W = kt ϕ12 − ϕ22 . (2.107)
2
Integral des von den äußeren Kräften ausge-
übten Drehmoments. Ist das äußere Drehmo-
Die Torsionsarbeit wird in der elastischen
ment M = M0 = konstant, dann ist die Dreh-
Verformung des deformierbaren Körpers
impulsänderung durch den Drehmomenten-
gespeichert. Die sehr kleinen Richtmomente
stoß ΔL = M0 Δt.
von Torsionsfäden ermöglichen es, aus der
Drehwinkeländerung sehr kleine Energien,
2.8.3 Arbeit, Leistung und Energie
wie beispielsweise bei der Bestimmung der
bei der Drehbewegung
Gravitationskraft mit der Torsionswaage (Ab-
schn. 2.10.2), zu messen. Aus (2.106) folgt für
Ein Drehmoment M, das einen Körper um eine
die momentane Leistung der Kraft, die das
Achse in eine Drehbewegung versetzt, verrich-
Drehmoment bewirkt,
tet Arbeit. Die Arbeit W bei der Rotationsbe-
wegung ist nach Abb. 2.32
dW
P= = Mω . (2.108)
s1 ϕ1 dt
W = F(s) · ds = F(ϕ) · ( dϕ × r)
s0 ϕ0
Durch die Arbeitszufuhr oder -abfuhr ändert
ϕ1 sich die kinetische Energie eines im Abstand r
= (r × F(ϕ)) · dϕ um eine Drehachse rotierenden materiellen
ϕ0 Punktes. Seine Rotationsenergie beträgt
78 2 Mechanik

⎛ ⎞
1 1
Erot = m2 = mr2 ω2 oder dLk
N
kin
2 2 = rk × ⎝F ak + F ijk ⎠
dt
j = k


N

Erot
1
= J ω2 . (2.109)
= Mak + Mijk .
kin
2 j = k

Es ergeben sich N Gleichungen für die materi-


Nach dem Energiesatz (2.75) ändert die Arbeit ellen Punkte des Systems. Werden diese sum-
der äußeren Kraft eines Drehmoments die Ro- miert, dann verschwindet die Summe der Mo-
tationsenergie. Mit (2.104) und (2.106) ergibt mente der inneren Kräfte:
sich der Energiesatz für Drehbewegungen:
N
N
Mijk =0.
ϕ1 ϕ1 )
t(
dω k=1 j = k
W = J α dϕ = J ω dt
dt Nach (2.98) und dem dritten Newton’schen
ϕ0 t(ϕ0 )
Axiom F ijk = −F ikj ergibt sich
ω(ϕ1 )=ω1
=J ω dω r 1 × F i21 + r2 × F i12 = (r2 − r1 ) × F i12 = 0 ,
ω(ϕ0 )=ω0
weil r 2 − r 1 parallel zu F i12 ist, wie man in
bzw. Abb. 2.46 erkennt. Werden die Drehimpulse
der einzelnen materiellen Punkte zu einem

1 Gesamtdrehimpuls L = Nk= 1 Lk und die äu-
W = J ω21 − ω20 . (2.110) ßeren Momente zu einem resultierenden Ge-
2
samtdrehmoment M = Nk= 1 Mak zusammen-
gefasst, dann folgt der Drehimpulssatz für ein
Die Differenz der Rotationsenergie in der End- System von materiellen Punkten:
und Anfangslage ist gleich der Arbeit, die von
dem am Körper angreifenden, äußeren Dreh-
dL
moment bei der Drehung des Körpers um eine =M. (2.111)
feste Drehachse verrichtet wird. dt

2.8.4 Drehbewegungen von Systemen


materieller Punkte

2.8.4.1 Drehimpulssatz
In einem System von N materiellen Punk-
ten, deren Koordinaten von einem beliebigen
Koordinatennullpunkt aus gemessen werden,
wirken auf jeden materiellen Punkt k am Ort
rk (t) eine resultierende äußere Kraft F ak und
innere Kräfte F ijk , die von allen übrigen ma-
teriellen Punkten j = k des Systems ausge-
hen. Der Drehimpulssatz (2.103) lautet dann Abb. 2.46 Zum Drehimpulssatz: System aus drei
für den materiellen Punkt k materiellen Punkten
2.8 Drehbewegungen 79

Der Drehimpulssatz für ein System entspricht 2.8.4.3 Energieerhaltungssatz


formal völlig dem für einen einzelnen materi- Wenn einem Systen materieller Punkte keine
ellen Punkt (2.103). Arbeit zugeführt wird, bleibt die Energie der
Rotationsbewegung konstant. Für das System
2.8.4.2 Drehimpulserhaltungssatz gilt nach (2.110) der Energieerhaltungssatz für
Wirken auf ein System von N materi- die Rotationsenergie der Massenpunkte:
ellen Punkten mit dem Gesamtdrehim-

puls L = Nk=1 Lk keine äußeren Momente

N
1
(Ma = 0), dann ist nach dem Drehimpulssatz Jk ω2k = konstant . (2.114)
(2.111) die Drehimpulsänderung dL/ dt = 0. k=1
2
Die Summe der Einzeldrehimpulse des Mas-
sensystems ist konstant und der Gesamtdre-
Nur bei starren Körpern sind die Winkel-
himpuls L bleibt nach Betrag und Richtung
geschwindigkeiten der materiellen Punkte
erhalten:
gleich; dann gilt für die Rotationsenergie die
einfachere (2.130).
L = L1 + L2 + … + LN = konstant .
(2.112) 2.8.5 Analogie Translation und Rotation

Verschwindet das Gesamtdrehmoment Die mathematische Struktur der Bewegungs-


der äußeren Kräfte auf ein System ma- gleichungen und die Beziehungen für Arbeit
terieller Punkte, dann gilt der Drehim- und Energie der Rotationsbewegung entspre-
pulserhaltungssatz. chen völlig denjenigen der Translationsbe-
wegung. An die Stelle der Kraft F, der Ge-
J1 ω1 (t1 ) + J2 ω2 (t1 ) + … + JN ωN (t1 )
schwindigkeit , der Beschleunigung a und der
= J1 ω1 (t2 ) + J2 ω2 (t2 ) + … + JN ωN (t2 ) Masse m in den Beziehungen für die Transla-
(2.113) tion treten bei der Rotation die physikalischen
Größen Drehmoment M, Winkelgeschwindig-
keit ω, Winkelbeschleunigung α und Massen-
Beispiel trägheitsmoment J. In Tabelle 2.6 sind die ent-
2.8-1 Eine Eiskunstläuferin dreht sich mit ausge- sprechenden Beziehungen und Gleichungen
breiteten Armen mit der Drehfrequenz n0 = 2 s−1 . einander gegenübergestellt.
Zur Pirouette verkleinert sie ihr Massenträgheitsmo-
ment von J0 = 6 kg m2 auf J1 = 1,2 kg m2 in der Zeit Zur Übung
Δt = 1,0 s. Ü 2.8-1 Ein Körper der Masse m fällt aus der Ruhe im
Wie groß ist die neue Drehfrequenz n1 und die mittlere Gravitationsfeld der Erde. Er bewegt sich vom Punkt A
Leistung, die sie aufbringt? parallel zur y-Achse, wie Abb. 2.47 verdeutlicht.
a) Wie groß ist das Drehmoment M bezüglich des Ko-
Lösung ordinatenursprungs? b) Wie groß ist der Drehimpuls L
Bei Vernachlässigung der Reibung zwischen Schlitt- bezüglich des Koordinatenursprungs in Abhängigkeit
schuhen und Eis bleibt der Drehimpuls erhalten: von der Zeit? c) Zeigen Sie, dass der Drehimpulssatz
L0 = L1 oder n0 J0 = n1 J1 . Daraus folgt n1 = n0 J0 / J1 = gilt, dass also M = dL/ dt ist.
10 s−1 . Die mittlere Leistung ist

ΔW 1 J1 ω21 − J0 ω20 Ü 2.8-2 Vier gleiche Massen befinden sich an den


Pm = = = 1,9 kW .
Δt 2 Δt Ecken eines Quadrats der Seitenlänge b gemäß
80 2 Mechanik

2.9 Mechanik starrer Körper


Ein starrer Körper ist ein System aus N ein-
zelnen Massenpunkten, deren gegenseitige
Abstände vollkommen unveränderlich sind.
Auch unter dem Einfluss äußerer Kräfte soll
der starre Körper seine Form nicht ändern.
Obwohl ein solcher idealisierter Körper in
der Natur nicht existiert, ist das Konzept des
starren Körpers sehr hilfreich, um viele techni-
sche und physikalische Probleme auf einfache
Weise und mit genügender Genauigkeit zu
lösen.

2.9.1 Freiheitsgrade und Kinematik

Abb. 2.47 Zu Ü 2.8-1 Ein einzelner Massenpunkt benötigt zu seiner


Lokalisierung in einem Koordinatensystem
drei Angaben, d. h., ein Massenpunkt hat f = 3
Abb. 2.48. Wie groß sind die vier Massenträgheits-
momente Freiheitsgrade. Ein System von N voneinan-
der unabhängigen Massenpunkten (etwa ein
a) JA bezüglich einer Achse senkrecht zur Zeichen- Gas) hat demnach f = 3 N Freiheitsgrade. Da
ebene durch das Zentrum des Quadrats,
aber bei einem starren Körper die Abstände
b) JB bezüglich einer Achse senkrecht zur Zeichen-
ebene durch einen Eckpunkt,
zwischen den einzelnen Punkten fest sind,
c) JC bezüglich einer Achse in der Zeichenebene in vermindert sich die Anzahl der Freiheitsgrade
einer Diagonalen und erheblich, und zwar auf sechs. Ein starrer Kör-
d) JD bezüglich einer Achse in der Zeichenebene per hat also f = 6 Freiheitsgrade. Die Kenntnis
längs einer Quadratseite? von sechs Größen reicht demnach aus, um die
Lage und Orientierung eines starren Körpers
im Raum eindeutig zu beschreiben. So kann
in einem kartesischen Koordinatensystem
ein Punkt des Körpers, beispielsweise der
Massenmittelpunkt, mit Hilfe von drei Ko-
ordinaten festgelegt werden. Drehungen des
Körpers um diesen Punkt sind durch weitere
drei Winkel gegen die Koordinatenachsen
vollständig definiert.
Die sechs Freiheitsgrade des starren Körpers
lassen sich aufspalten in je drei Freiheitsgrade
der Translations- und der Rotationsbewegung.

Bei einer Translation werden alle Punkte


des starren Körpers um die gleiche Stre-
cke parallel verschoben.
Abb. 2.48 Zu Ü 2.8-2
2.9 Mechanik starrer Körper 81

Tabelle 2.6 Analogie Translation und Rotation

Translation Rotation
Größe, Formelzeichen Einheit Größe, Formelzeichen Einheit

Weg m Winkel rad = 1


s, ds ϕ, dϕ
Geschwindigkeit m/s Winkelgeschwindigkeit rad/s = 1/s
ds dϕ
= ω=
dt dt
Beschleunigung m/s2 Winkelbeschleunigung rad/s2 =1/s2
d 2
d s dω d ϕ
2
a= = α= = 2
dt dt2 dt dt
Masse kg Massenträgheitsmoment kg m2

m J = Δmi ri2
i
Kraft kgm/s2 = N Drehmoment M = r × F Nm
dp dL
F = ma = M = Jα =
dt dt
Impuls kg m/s = N s Drehimpuls kg m2 /s = N m s
p = m L = Jω
Federsteifigkeit N/m Drehfedersteifigkeit N m/rad = N m

F M
k = kt =
s ϕ
Arbeit N m = J = Ws Arbeit Nm = J = Ws
dW = F ds dW = M dϕ
Spannarbeit J Spannarbeit N m rad2 = J
W = 12 ks2 W = 12 kt ϕ2
kinetische Energie J kinetische Energie J
kin = 2 m kin = 2 J ω
1 1
Etrans 2 Erot 2

Leistung W = J/s Leistung W = J/s


dW dW
P= = F P= = Mω
dt dt

Abbildung 2.49a zeigt die Translation eines Abbildung 2.49b zeigt die Rotation um den
Körpers in der x, y-Ebene. Verschiebungen in feststehenden Punkt P. Die Drehachse steht
der z-Richtung sind selbstverständlich eben- senkrecht zur Zeichenebene. Der Vektor ω der
falls möglich. Der Punkt P läuft auf der gestri- Winkelgeschwindigkeit verläuft parallel zur z-
chelten Bahnkurve. Die Bahnkurven der ande- Achse (Abschn. 2.2.3). Aus Abb. 2.49c geht her-
ren Punkte des Körpers haben dieselbe Form, vor:
sie sind lediglich parallel verschoben.

Bei der Rotation eines starren Körpers Die allgemeine Bewegung eines starren
rotieren sämtliche Massenpunkte mit Körpers setzt sich aus Translation und
der gleichen Winkelgeschwindigkeit. Rotation zusammen.
82 2 Mechanik

Abb. 2.50 Zu Beispiel 2.9-1: Abrollendes Rad

Der Betrag der Umfangsgeschwindigkeit ist für alle


Punkte gleich, nämlich U = ωr. Die Größe folgt aus
der Forderung, dass die Geschwindigkeit des Punktes
A, der mit der ruhenden Fahrbahn in Kontakt ist,
null sein muss. Dies ist nur dann der Fall, wenn
M = U ist. Die Geschwindigkeit des Punktes B
ist unter 45◦ nach oben gerichtet. Ihr Betrag ist

B = 2M = 141 km/h. Die Geschwindigkeit des
Punktes C ist C = 2M = 200 km/h.

2.9.2 Kräfte am starren Körper

Kräfte, die am starren Körper angreifen, sind


linienflüchtig.
Abb. 2.49 Bewegung eines starren Körpers:
a) Translation, b) Rotation, c) zusammengesetzte Diese Eigenschaft sei anhand von Abb. 2.51
Bewegung erläutert. An einem starren Körper greift im
Punkt P1 die Kraft F 1 an. Im Punkt P2 , der auf
der Wirkungslinie der Kraft F1 liegt, werden
So entsteht z. B. die in Abb. 2.15 gezeigte Zy- nun die Kräfte F 2 und F 2 angebracht, die ent-
kloide durch Überlagerung einer geradlinigen gegengesetzt gleich groß sind (F 2 + F 2 = 0)
Translationsbewegung konstanter Geschwin- und deshalb auf den Bewegungszustand des
digkeit mit einer Rotationsbewegung konstan- Körpers keinen Einfluss haben. F 1 und F 2 sol-
ter Winkelgeschwindigkeit. len gleich groß sein: F 1 = F 2 . Nun fasst man
in Gedanken F 1 und F 2 zusammen. Die bei-
Beispiel den Kräfte haben zwar keine Resultierende,
2.9-1 Ein Rad rollt entsprechend Abb. 2.50 auf ei- würden aber einen elastischen Körper (z. B.
ner ebenen Unterlage. Sein Radius beträgt r = 0,28 m.
ein Gummiband) in die Länge ziehen. Da der
Die Geschwindigkeit des Mittelpunkts beträgt M =
100 km/h. Wie groß sind die Geschwindigkeiten der
Punkte A, B und C relativ zur Fahrbahn (s. auch Bei-
spiel 2.2-5)?

Lösung
Die Geschwindigkeit der Punkte erhält man durch
Überlagerung der gemeinsamen Translationsge-
schwindigkeit M nach rechts mit einer Umfangsgesch- Abb. 2.51 Linienflüchtigkeit der Kraft am starren
windigkeit, die jeweils tangential zum Kreis verläuft. Körper
2.9 Mechanik starrer Körper 83

starre Körper keine Deformation erleidet, he- Kräfte F 1 und F 2 an einem starren Körper an-
ben sich diese beiden Kräfte auf, ohne irgend- greifen, wobei die Wirkungslinien nicht auf ei-
eine Veränderung am Zustand des Körpers zu ner Geraden liegen. Ein solches Kräftesystem,
bewirken. Als einzige Kraft bleibt damit die das in Abb. 2.53 gezeigt ist, nennt man ein
Kraft F 2 am Punkt P2 übrig, welche die gleiche Kräftepaar.
Wirkung hat wie die ursprüngliche Kraft F 1 Die Resultierende eines solchen Kräftepaars
am Punkt P1 . Daraus folgt: ist null: F 1 + F 2 = 0. Aus dem Impulssatz für
Systeme gemäß (2.50) folgt:
Man darf bei einem starren Körper eine
Kraft beliebig längs ihrer Wirkungslinie Ein starrer Körper erfährt unter der Wir-
verschieben, ohne dass sich sein Bewe- kung eines Kräftepaars keine Translati-
gungszustand ändert. onsbeschleunigung.

Der Begriff des Angriffspunktes einer Kraft ist Mit anderen Worten: Wenn der Massenmittel-
demnach beim starren Körper ohne Bedeu- punkt des Körpers (Abschn. 2.5.2.2) in Ruhe
tung. Jeder Punkt des Körpers längs der Wir- ist, wird er diesen Zustand auch beibehalten,
kungslinie kann mit gleichem Recht als An- wenn ein Kräftepaar an ihm angreift.
griffspunkt betrachtet werden. Ein Kräftepaar versucht aber, den Körper in
Abbildung 2.52 zeigt, wie von zwei an ver- Rotation zu versetzen; es übt ein Drehmoment
schiedenen Punkten A und B an einem star- aus.
ren Körper angreifenden Kräften, die in ei- Die beiden Einzelkräfte F 1 und F 2 haben be-
ner Ebene liegen, die Resultierende ermit- züglich des willkürlich gewählten Nullpunkts 0
telt wird. Im Schnittpunkt C der beiden Wir- in Abb. 2.53 die Drehmomente
kungslinien wird die Resultierende F R z. B.
mit Hilfe des Kräfteparallelogramms ermit- M1 = r1 × F1 und M2 = r2 × F 2 .
telt. Der Angriffspunkt der Resultierenden am
starren Körper kann irgendwo längs ihrer Wir-
kungslinie angenommen werden.
Von besonderem Interesse ist der Fall, wenn
zwei gleich große entgegengesetzt gerichtete

Abb. 2.52 Resultierende Kraft am starren Körper Abb. 2.53 Drehmoment eines Kräftepaars
84 2 Mechanik

Mit F 2 = −F 1 folgt für das gesamte Drehmo- punkt; denn jener wird nach obigen Aussa-
ment M = M1 + M2 = r1 × F 1 − r2 × F 1 oder gen nicht beschleunigt, er ist also der einzige
Punkt, der in Ruhe bleibt.
Soll ein starrer Körper in Ruhe bleiben
M = (r1 − r2 ) × F 1 . (2.115) (Grundaufgabe der Statik), dann muss das
Drehmoment eines Kräftepaars durch ein an-
deres kompensiert werden, sodass insgesamt
Der Vektor M steht senkrecht auf der Ebene,
kein resultierendes Drehmoment übrig bleibt.
die von den Kräften aufgespannt wird. Er weist
Eine Translationsbeschleunigung des Körpers
in Abb. 2.53 in die Zeichenebene hinein. Für
unterbleibt, wenn keine resultierende Kraft auf
den Betrag des Drehmoments gilt
ihn wirkt. Diese Forderungen werden zusam-
mengefasst in den Gleichgewichtsbedingungen
M = sF ; (2.116) der Statik:


Fa =0, (2.117)
dabei ist s der Abstand der beiden Wirkungs-
linien, F der Betrag der Kräfte: F = |F 1 | = Ma =0. (2.118)
|F 2 |. Das Drehmoment eines Kräftepaars ist
nach (2.116) unabhängig von der Lage des Be- Ein starrer Körper ist im statischen
zugspunkts 0. Es hängt nur von den Kräften Gleichgewicht, wenn die Summe aller an
selbst und deren gegenseitigem Abstand ab. ihm angreifenden äußeren Kräfte und
Dies bedeutet: Drehmomente null ist.

Das Kräftepaar darf auf dem starren Kör-


per beliebig verschoben werden, ohne Beispiel
2.9-2 Der in Abb. 2.54 gezeigte Träger ist im Punkt A
dass sich an der Wirkung des ausgeüb-
drehbar gelagert und wird im Punkt C von einer Kette
ten Drehmoments etwas ändert. gehalten. Im Punkt B greift unter 45◦ die Kraft F =
500 N an. Welche Lagerkräfte FA und FC werden durch
Die Ebene, in der die Kräfte liegen, darf F verursacht?
dabei nicht gekippt werden. Der Vek- Lösung
tor M des Drehmoments ist auch nicht an Wenn an einem Körper nur drei Kräfte angreifen, müs-
einen bestimmten Punkt gebunden, son- sen die Wirkungslinien aller Kräfte durch einen Punkt
dern beliebig parallel verschiebbar. Man gehen, denn nur dann lässt sich nach (2.118) die Be-
bezeichnet diesen Vektor deshalb als freien
Vektor (im Gegensatz etwa zum gebun-
denen Vektor der Kraft oder dem lini-
enflüchtigen Kraftvektor am starren Kör-
per).
Wirkt ein Kräftepaar auf einen zunächst ru-
henden, frei beweglichen starren Körper, dann
wird dieser in Drehung versetzt; d. h., er er-
fährt eine Winkelbeschleunigung. Dabei ro-
tiert der Körper um seinen Massenmittel- Abb. 2.54 Zu Beispiel 2.9-2: Belasteter Träger
2.9 Mechanik starrer Körper 85


dingung Ma = 0 erfüllen. Alle drei Kräfte dürfen
N

bezüglich des gemeinsamen Schnittpunkts kein Dreh- mk r k − mrS × g =0.


moment besitzen. k=1
Da eine Kette nur Kräfte in Längsrichtung aufneh- Der Körper ist im statischen Gleichgewicht,
men kann, ist die Wirkungslinie der Kettenkraft FC wenn er am Ort
durch die Verlängerung der Kette gegeben. Durch ih-
ren Schnittpunkt P mit der Wirkungslinie von F muss
auch die Wirkungslinie der Lagerkraft FA gehen. Da
N
mk r k
nun die Richtungen der Kräfte bekannt sind, können k=1
die Beträge z. B. durch grafische Konstruktion eines rS = (2.120)
m
Kraftecks ermittelt werden.
Aus dem Krafteck liest man mit einer entsprechenden
Ungenauigkeit ab FA = 390 N und FC = 190 N. Eine unterstützt wird. Der Schwerpunkt S eines
rechnerische Lösung des Problems durch systemati- starren Körpers ist also der bei der Bewe-
sche Anwendung von (2.117) und (2.118) ist ebenfalls
gung eines Systems materieller Punkte nach
möglich.
dem Schwerpunktsatz (2.51) ausgezeichnete
Ort. Im kartesischen Koordinatensystem sind
2.9.3 Schwerpunkt und potentielle Energie die Schwerpunktskoordinaten
eines starren Körpers

Der Schwerpunkt S eines starren Körpers ist


N
N
mk xk mk yk
der Ort, an dem eine entgegengesetzt zur Fall- k=1 k=1
xS = , yS = ,
beschleunigung g wirkende Kraft F S angrei- m m
fen muss, damit dieser unter der Wirkung der
N
mk zk
Schwerkraft im statischen Gleichgewicht ist, k=1
wie Abb. 2.55 zeigt. Die Gleichgewichtsbedin- zS = . (2.121)
m
gungen der Statik nach (2.117) fordern das
Kräftegleichgewicht zwischen den Gewichts-
Bei starren Körpern mit kontinuierlicher Mas-
kräften F k = mk g der materiellen Punkte und
senverteilung und homogener Dichte lässt sich
der Stützkraft F S :
die Schwerpunktskoordinate über das Volu-

N
menintegrale berechnen.
mk g + F S =0;
1
k=1 rS = r(x, y, z) dx dy dz .
V


N
FS = −g mk = −mg . (2.119)
k=1

Nach (2.118) gilt für das Drehmomenten-


gleichgewicht bezüglich einer beliebigen
Drehachse

N
rk × mk g + rS × F S =0 oder
k=1 Abb. 2.55 Gleichgewicht eines starren Körpers
86 2 Mechanik

Bei homogenen symmetrischen Körpern liegt 2.9.4 Kinetische Energie eines starren Körpers
der Schwerpunkt auf den Symmetrieachsen.
Ein starrer Körper lässt sich nicht deformieren; Werden die Geschwindigkeiten k = dr k (t)/ dt
der elastische Anteil der potentiellen Energie der materiellen Punkte eines Systems zerlegt
ist also null. Ein starrer Körper hat als potenti- in eine Geschwindigkeit k = dr k (t)/ dt relativ
elle mechanische Energie nur die Lageenergie zum Schwerpunkt S und die Bahngeschwin-
des Schwerpunkts. Wird die z-Koordinate par- digkeit S = dr S (t)/ dt des Schwerpunktes,
allel zur Fallbeschleunigung g gelegt, dann gilt dann ist die kinetische Energie des Systems
nach (2.121)

N 2
1 drk (t)
Ekin = mk
2 dt
k=1

N
= = mgzS . 2
1 drS (t) dr k (t)
Epot mk gzk (2.122) N

k=1 = mk +
2 dt dt
k=1
2
N
1 drS (t)
Die Höhe des Schwerpunkts S über dem Be- Ekin = mk
2 dt
zugsniveau bestimmt die potentielle Energie k=1
2
1 drk (t)
eines starren Körpers. N

Die räumliche Änderung der potentiellen + mk


2 dt
Energie bei der Auslenkung des Körpers k=1

dr S (t) dr (t)
N
aus der Gleichgewichtslage ist das Kennzei-
+ mk k .
chen für die drei Gleichgewichtslagen starrer dt dt
k=1
Körper. In Abb. 2.56 sind die Fälle des stabi-
len, labilen und indifferenten Gleichgewichts Der letzte Term ist der Gesamtimpuls
einander gegenübergestellt. der Massenpunkte im Schwerpunkt-Koor-

Abb. 2.56 Gleichgewichtslagen


2.9 Mechanik starrer Körper 87

dinatensystem S , der nach der Schwer-


punktsdefinition gemäß (2.120) null ist. Die
kinetische Energie eines Systems materieller
Punkte ist also die Summe aus der kinetischen
Energie der Schwerpunktsbewegung mit der
Schwerpunktsgeschwindigkeit S und der
N
Gesamtmasse m = k = 1 mk und aus der
kinetischen Energie der Bewegung relativ zum
Schwerpunkt:
Abb. 2.57 Zur Berechnung der Rotationsenergie eines
starren Körpers
1
N
1
Ekin = m2S + mk k .
2
(2.123)
2 2
k=1
N
1
Erot
kin = mk rPk ω2 .
2
(2.126)
Bei starren Körpern sind wegen der Kon- 2
k=1
stanz der Abstände zwischen den Massen-
punkten keine radialen Bewegungen relativ
zum Schwerpunkt möglich, sondern nur Der Klammerausdruck wird analog zur Defi-
Drehbewegungen um den Schwerpunkt (Ab- nitionsgleichung (2.101) als Massenträgheits-
schn. 2.9.1). Die kinetische Energie eines moment JP des starren Körpers bezüglich der
starren Körpers setzt sich also zusammen aus Drehachse P bezeichnet:
dem Anteil Etrans
kin der Translation des Schwer-
punkts und dem Anteil Erotkin der Rotation der
N
Massenpunkte um den Schwerpunkt: JP = 2
mk rPk . (2.127)
k=1

ges
Ekin = Etrans rot
kin + Ekin . (2.124)
Für einen Körper mit kontinuierlicher Mas-
senverteilung geht die Summe in das Integral
Nach (2.123) ist die Translationsenergie des
starren Körpers mit der Gesamtmasse m
JP = r2 dm = ρ(r) r2 dV (2.128)
1 V
Etrans
kin = m 2S . (2.125)
2
über. Das Massenträgheitsmoment eines star-
Die Rotationsenergie eines starren Körpers, ren Körpers mit homogener Dichte wird über
dessen Massenpunkte mk , wie in Abb. 2.57 das Volumenintegral
skizziert, um eine Achse durch den Punkt P mit
der gemeinsamen Winkelgeschwindigkeit ω
und der Umlaufgeschwindigkeit Pk = ω rPk JP =ρ r2 (x, y, z), dx dy dz
rotieren, wobei der Punkt P sich mit der V
Momentangeschwindigkeit P auf einer Bahn- (2.129)
kurve bewegt, ist nach (2.123)
88 2 Mechanik

berechnet. Die kinetische Energie der Rotation


eines starren Körpers um die Achse P mit dem
Massenträgheitsmoment JP ist also

1
Erot
kin = JP ω2 . (2.130)
2

Gleichung (2.130) für den starren Körper


stimmt mit (2.109) für die Rotationsenergie
eines materiellen Punktes auf einer Kreis-
bahn exakt überein. Auch (2.102) für den Abb. 2.58 Zu Beispiel 2.9-3
Drehimpuls L eines einzelnen materiellen
Punktes und das dynamische Grundgesetz
nach (2.104) für die Drehbewegung eines Die Verlustarbeit WV ist nach dem Energiesatz (2.110)
Massenpunktes gelten für den starren Körper, 1 1
wenn statt des Massenträgheitsmoments des WV = J1 ω21 − ( J1 + J2 )ω2
2 2

materiellen Punktes auf einer Kreisbahn das 1 J
= J1 (2 π n1 )2 1 − 1 = 11 kJ ;
Massenträgheitsmoment JP des starren Kör- 2 J1 + J 2
pers bezüglich der Drehachse P nach (2.127)
der Verlustanteil beläuft sich auf
eingesetzt wird.
WV J2
Ein kräftefreier starrer Körper rotiert immer = = 44% .
2 J1 ω1
1 2 J1 + J 2
um den Schwerpunkt. Für die Berechnung der
Rotationsenergie ist die Kenntnis des Mas- Die Enddrehzahl n und der Energieverlust WV sind
senträgheitsmoments JS um die durch den unabhängig von der Kupplungszeit. Während der
Schwerpunkt gehende Rotationsachse erfor- Kupplungsdauer wird der Drehimpuls der Kupp-
derlich. lungsscheibe verändert; das dabei am Kupplungsbelag
auftretende Drehmoment ist nach (2.105) von der
Beispiel Kupplungsdauer abhängig und bestimmt die maxi-
2.9-3 Bei einer Reibungskupplung gemäß Abb. 2.58 male Abriebkraft.
rotiert die Kupplungsscheibe ohne Antrieb mit der
Drehzahl n1 = 3 000 min−1 , ihr Massenträgheitsmo-
ment ist J1 = 0,5 kg m2 . Sie wird auf die anfangs still- 2.9.5 Massenträgheitsmomente starrer Körper
stehende Scheibe mit dem Massenträgheitsmoment
J2 = 0,4 kg m2 gedrückt. Die Lager- und Luftreibung
soll vernachlässigt werden. Wie groß ist die Drehzahl n
Das Massenträgheitsmoment hängt außer von
nach dem Kupplungsvorgang und welcher Anteil der der Masse selbst ganz wesentlich von der Form
ursprünglichen Rotationsenergie wurde in Wärme und des Körpers und der Verteilung der Masse be-
Abriebarbeit umgesetzt? züglich der Drehachse ab. An einigen Beispie-
Lösung len soll die Berechnung mit Hilfe von (2.129)
Ohne äußere Drehmomente gilt nach dem gezeigt werden.
Drehimpulserhaltungssatz nach (2.113) J1 ω1 =
J1 ω + J2 ω . Mit ω = 2 π n ergibt sich die Drehzahl 1. Dünnwandiger Hohlzylinder, Massenträg-
nach dem Kupplungsvorgang: heitsmoment bezüglich Rotationssymmetrie-
achse.
J1 Ein Hohlzylinder wird dünnwandig genannt,
n = n1 = 1 667 min−1 .
J1 + J 2 wenn die Wandstärke s gegenüber seinem Ra-
2.9 Mechanik starrer Körper 89

dius r vernachlässigbar ist: s << r. Alle Mas- mation (Integration) der Massenträgheitsmo-
seteilchen haben dann praktisch den gleichen mente aller dünnwandigen Hohlzylinder:
Abstand r von der Drehachse, sodass die Sum- ra
r4 ra
mation nach (2.127) ergibt J = 2 πl ρ r dr = 2 πl ρ
3
4 ri
ri
1
J = m r2 . (2.131) = πlρ ra4 − ri4 .
2

Dieser Ausdruck kann mit Hilfe der Masse
des Körpers m = π ra2 − ri2 lρ umgeschrieben
2. Dickwandiger Hohlzylinder, Massenträg-
werden zu
heitsmoment bezüglich Rotationssymmetrie- 1
achse (Abb. 2.59). J = m ra2 + ri2 .
2
Der dickwandige Hohlzylinder kann erzeugt
werden durch Ineinanderstellen von unend- 3. Vollzylinder, Massenträgheitsmoment be-
lich vielen dünnwandigen Hohlzylindern, von züglich Rotationssymmetrieachse.
denen in Abb. 2.59 einer rot eingezeichnet ist. Das Massenträgheitsmoment eines Vollzylin-
Die Masse dieses Hohlzylinders der Dichte ρ ders mit dem Radius r und der Masse m folgt
mit Radius r und Wandstärke dr ist dm = sofort aus obiger Gleichung für ri = 0 und
2 π r l ρ dr. Sein Massenträgheitsmoment ist ra = r:
nach (2.131) 1
J = mr2 .
2
dJ = dm r2 = 2 πlρr3 dr . Abbildung 2.60 zeigt eine Zusammenstellung
von Massenträgheitsmomenten einiger Kör-
Das Massenträgheitsmoment des dickwandi-
gen Hohlzylinders erhält man durch Sum- per.

Beispiel
2.9-4 Ein Vollzylinder mit der Masse m und dem Ra-
dius r rollt eine schiefe Ebene mit dem Neigungswin-
kel β hinab, wie in Abb. 2.61 verdeutlicht. Wie groß ist
seine Beschleunigung?

Lösung
Vernachlässigt man die Rollreibungsverluste, so läuft
der Vorgang unter Energieerhaltung ab. Wenn die
Walze längs der schiefen Ebene den Weg s zurücklegt,
nimmt ihre potentielle Energie um ΔEpot = mgh =
mg s sin β ab. Um den gleichen Betrag nimmt die Be-
wegungsenergie zu, die sich als Summe von Translati-
onsenergie und Rotationsenergie bezüglich der Sym-
metrieachse darstellen lässt:
1 1
ΔEkin = m 2 + JS ω2 .
2 2
Mit ω = / r ergibt sich
1 2 1 2
mgs sin β = m + JS 2 oder
2 2 r
Abb. 2.59 Zum Massenträgheitsmoment des 2m g s sin β 4
=
2
= gs sin β .
dickwandigen Hohlzylinders m + JS / r 2 3
90 2 Mechanik

Abb. 2.60 Massenträgheitsmomente einiger Körper


2.9 Mechanik starrer Körper 91

Abb. 2.61 Zu Beispiel 2.9-4: Walze auf schiefer Ebene Abb. 2.62 Zum Steiner’schen Satz

Aus der für gleichmäßige Beschleunigung gültigen ki- Schwerpunkt zusammen:


nematischen Beziehung 2 = 2as folgt
1 1
a=
2
g sin β .
Ekin = m2S + JS ω2 .
3 2 2
Würde die Walze reibungsfrei abrutschen, ohne zu ro- Mit S = r ω erhält man
tieren, dann wäre die Beschleunigung a = g sin β.
1
Ekin = (mr2 + JS )ω2 .
2
Steiner’scher Satz
Beide Betrachtungsweisen müssen selbstver-
Die in Abb. 2.60 angegebenen Massenträg-
ständlich dieselbe Bewegungsenergie ergeben.
heitsmomente beziehen sich auf Achsen, die
Ein Vergleich mit (2.130) liefert daher
durch den Schwerpunkt gehen. Aus diesen
Massenträgheitsmomenten JS lassen sich die
Massenträgheitsmomente JP bezüglich ande- JP = JS + mr2 . (2.132)
rer Achsen schnell berechnen. Abbildung 2.62
zeigt einen starren Körper, der um eine Achse
durch den Punkt P rotiert, die im Abstand r Diese Gleichung ist als Steiner’scher Satz
parallel zu einer Achse durch den Schwer- (J. Steiner, 1796 bis 1863) bekannt. Aus dem
punkt S verläuft. Die Bewegungsenergie des Steiner’schen Satz folgt unmittelbar, dass für
kin = 2 JP ω .
1
Körpers ist nach (2.130) Erot 2
eine Schar paralleler Achsen das Trägheitsmo-
Bewegung des Körpers, nämlich die Rota- ment minimal wird bezüglich der Achse, die
tion um die Achse durch P, kann auch dar- durch den Schwerpunkt geht.
gestellt werden als Translationsbewegung des Die in Abb. 2.60 gezeigten Körper sind hoch-
Schwerpunkts und Rotation des Körpers um symmetrisch. Für kompliziert geformte Ge-
den Schwerpunkt. Interpretiert man die Be- bilde lässt sich das Trägheitsmoment i. Allg.
wegung auf diese Weise, dann setzt sich die nicht mehr berechnen, sondern es muss ex-
kinetische Energie aus der Translationsener- perimentell bestimmt werden. Dazu eignen
gie des Schwerpunktes (Masse m, Geschwin- sich beispielsweise Drehschwingungen, bei de-
digkeit S ) und der Rotationsenergie um den nen die Schwingungsdauer vom Massenträg-
92 2 Mechanik

heitsmoment um die Drehachse abhängt (Ab-


schn. 5.1).

Freie Achsen
Bestimmt man bezüglich aller Achsen durch
den Schwerpunkt eines starren Körpers das
Massenträgheitsmoment, dann stellt man fest,
dass die Achsen mit dem größten und dem
kleinsten Trägheitsmoment senkrecht aufein-
ander stehen. Diese beiden und die darauf
senkrecht stehende dritte Achse werden als
Hauptträgheitsachsen bezeichnet. Die Träg-
heitsmomente bezüglich dieser Achsen heißen
Hauptträgheitsmomente. Bei rotationssym-
metrischen Körpern (z. B. Zylinder, Scheibe
und Ring) sind zwei Hauptträgheitsmomente
gleich. Alle zur Symmetrieachse senkrechten
Achsen durch den Schwerpunkt haben das
gleiche Trägheitsmoment. Bei einigen Kör-
pern, deren Schwerpunkt Symmetriezentrum
ist (z. B. Kugel, Würfel und Tetraeder), nimmt
das Trägheitsmoment bezüglich jeder Achse
durch den Schwerpunkt denselben Wert an.
Das Besondere an den Hauptträgheitsachsen
ist, dass bei der Rotation eines Körpers um
eine Hauptträgheitsachse keine Lagerreaktio-
nen auftreten. Solche Drehachsen müssen also
nicht im Raum fixiert werden; deshalb bezeich-
net man sie als freie Achsen. Durch Hochwer-
fen eines quaderförmigen Kastens kann man
sich leicht davon überzeugen, dass die Rota-
tion um die Achsen mit dem kleinsten und
größten Trägheitsmoment stabil, um die Achse
mit dem mittleren dagegen labil ist. Abbil- Abb. 2.63 Körper, die um freie Achsen (Symme-
dung 2.63 zeigt einige Körper, die um freie trieachsen mit größtem Massenträgheitsmoment)
rotieren: a) Scheibe, b) Stab, c) Perlenkette
Achsen rotieren.
Das Auftreten der Lagerkräfte bei der Rotation
um eine Achse, die nicht Hauptträgheitsachse
ist, ist unmittelbar einleuchtend, wenn z. B. die außen zu ziehen (d’Alembert’sches Prinzip).
Rotation einer Hantel nach Abb. 2.64 betrach- Das Kräftepaar der beiden Zentrifugalkräfte
tet wird. Vernachlässigt man die Masse des übt auf die Hantel das Drehmoment Mzf aus,
Stabes, dann greift an jeder Kugel eine Zentri- das versucht, die ganze Anordnung im Ge-
fugalkraft F zf an, die versucht, die Kugel nach genuhrzeigersinn zu drehen. Von den Lagern
2.9 Mechanik starrer Körper 93

Abb. 2.64 Rotation einer Hantel

müssen daher die Lagerkräfte F L auf die Welle


ausgeübt werden, deren Drehmoment ML das
Kippmoment kompensiert. Für den Betrag des
Drehmoments Mzf ergibt sich (s. Ü 2.9-4) Abb. 2.65 Rotation eines starren Körpers um die
Mzf = 2mr sin ϑ cos ϑ ω
2 2 z-Achse. Das x,y,z-Koordinatensystem ist körperfest,
rotiert also mit
= mr2 ω2 sin 2 ϑ .
Das Drehmoment und damit die erforderli- Lk = rk × pk = mk rk × k
chen Führungskräfte verschwinden für ϑ = 0 = mk rk × (ω × rk ) .
und ϑ = 90◦ . In diesen Extremlagen rotiert
die Hantel um eine Hauptträgheitsachse bzw. Führt man die beiden Vektorprodukte aus, so
freie Achse. ergibt sich
Für den Maschinenbau ergibt sich hieraus die ⎛ ⎞
−xk zk
Konsequenz, dass alle schnell rotierenden Teile Lk = ω mk ⎝ −yk zk ⎠ .
ausgewuchtet sein müssen, um unnötige La- x2k + y2k
gerbeanspruchungen zu vermeiden.
Der Drehimpuls des kompletten starren Kör-
Trägheitstensor pers wird durch Summation über alle Massen-
Die Gleichung (2.102), L = J ω, für den Zusam- punkte berechnet:
menhang zwischen Drehimpuls L und Winkel- ⎛ ⎞
− mk xk zk
geschwindigkeit ω suggeriert, dass die Rich-
L = ω ⎝ − mk yk zk ⎠ .
tung des Vektors L parallel ist zum Vektor ω.
mk x2k + y2k
Dies ist jedoch nur der Fall, wenn der rotie-
rende Körper gewisse Symmetrieeigenschaf- L hat gewöhnlich drei von Null verschiedene
ten aufweist. Im Allgemeinen weisen L und ω Komponenten, liegt also nicht parallel zum
in verschiedene Richtungen. Vektor ω, der in z-Richtung schaut. Wenn der
Abbildung 2.65 zeigt einen unsymmetrischen Körper rotiert, läuft L auf einem Kegelmantel
starren Körper, der um die z-Achse rotieren um. Damit ist L nicht konstant und zur Füh-
soll. Der Vektor der Winkelgeschwindigkeit rung des Körpers ist ein äußeres Drehmoment
weist in z-Richtung. Der Drehimpuls Lk eines M = dL/ dt erforderlich.
beliebigen Massenpunktes mk am Ort rk be- Der Zusammenhang zwischen den beiden zu-
trägt einander verdrehten Vektoren L und ω lässt
94 2 Mechanik

⎛ ⎞ ⎛ ⎞ ⎛ ⎞
sich elegant beschreiben, wenn das Massen- Jxx Jxy Jxz 0 Jxz
trägheitsmoment J als Tensor definiert wird: L = ⎝Jyx Jyy Jyz ⎠ · ⎝ 0 ⎠ = ω ⎝ Jyz ⎠ .
⎛ ⎞ Jzx Jzy Jzz ω Jzz
Jxx Jxy Jxz
J = ⎝Jyx Jyy Jyz ⎠ ,
Jzx Jzy Jzz Die Deviationsmomente bewirken, dass der
Körper mit einem äußeren Drehmoment sta-
mit den Trägheitsmomenten bilisiert werden muss. Wenn sie verschwinden,
sind keine Lagermomente erforderlich und der
Körper kann frei rotieren. Gewisse Symmetrie-
Jxx = mk y2k + zk2 bzw. eigenschaften führen zum Verschwinden von

2 Deviationsmomenten. Ist beispielsweise die z-
y + z2 dm ,
Achse eine Rotatiossymmetrieachse, dann gilt
Vol Jxz = Jyz = 0 und der Drehimpulsvektor L ver-

Jyy = mk x2k + zk2 bzw. läuft parallel zu ω. Es tritt also kein Kippmo-

2 ment auf.
x + z2 dm , Für jeden Körper gibt es ein Koordinaten-
Vol system, so dass alle Zentrifugalmomente ver-

Jzz = mk x2k + y2k bzw. schwinden. Der Trägheitstensor lautet dann
⎛ ⎞
2 JI 0 0
x + y2 dm (2.133)
J = ⎝0 JII 0 ⎠ .
Vol
0 0 JIII
Die Trägheitsmomente JI , JII und JIII sind die
und den Deviations- oder Zentrifugalmo- Hauptträgheitsmomente. Rotiert ein Körper
menten um eine Hauptträgheitsachse, so ist L paral-
lel zu ω und M = dL/ dt = 0, es sind also keine
Lagerreaktionen erforderlich.
Jxy = Jyx = − mk xk yk bzw. − xy dm ,
Vol Beispiel

2.9-5 Wie lautet der Trägheitstensor für die Hantel
Jxz = Jzx = − mk xk zk bzw. − xz dm , von Abb. 2.64 und welche Richtung hat der Vektor L
Vol des Drehimpulses? Die Zeichenebene sei die x,z-Ebene.

Jyz = Jzy = − mk yk zk bzw. − yz dm . Lösung
Vol Im gezeichneten Moment, in dem die Hantel in der
(2.134) Zeichenebene liegt, ist der Trägheitstensor
⎛ ⎞
cos2 ϑ 0 − sin ϑ cos ϑ
⎜ ⎟
J = 2m r2 ⎝0 1 0 ⎠ .
Der Drehimpuls berechnet sich nun gemäß − sin ϑ cos ϑ 0 sin2 ϑ

L = J ω, Der Drehimpulsvektor wird damit

⎛ ⎞
wobei J und ω nach den Regeln der Matrizen- − cos ϑ
⎜ ⎟
multiplikation multipliziert werden. Für das L = J ω = 2m r2 ω sin ϑ ⎝ 0 ⎠ .
Beispiel von Abb. 2.65 ergibt sich sin ϑ
2.9 Mechanik starrer Körper 95

L liegt in der Zeichenebene und steht senkrecht auf der Technisch kann dies z. B. durch eine karda-
Hantelachse. Bei der Rotation um die z-Achse läuft L nische Aufhängung entsprechend Abb. 2.66
auf einem Kegelmantel um. Das erforderliche Drehmo- realisiert werden. Da auf einen solchen Kreisel
ment müssen die Lagerreaktionen aufbringen (s. auch
von außen kein Drehmoment ausgeübt werden
Ü 2.9-4).
kann, muss nach dem Drehimpulserhaltungs-
satz der Vektor L des Drehimpulses in einem
Trägheitsellipsoid Inertialsystem seine Richtung beibehalten.
Bestimmt man die Massenträgheitsmomente Rotiert der Kreisel so, dass seine Figurenachse
eines Körpers bezüglich verschiedener Achsen und die Drehimpulsachse zusammenfallen,
durch den Schwerpunkt und trägt in Polarko- dann bleibt auch die Richtung der Figuren-
ordinaten jeweils in Achsenrichtung die Länge achse im Raum fest. Der freie Kreisel kann
√ an seinem äußeren Rahmen beliebig bewegt
R = const/ J ab, so liegen alle Endpunkte auf
einem Ellipsoid (Poinsot-Konstruktion). Die werden, ohne dass sich die einmal eingestellte
Hauptachsen des Ellipsoids werden durch die Richtung verändert. Dieser Effekt wird beim
Hauptträgheitsachsen gebildet. Aus dem Träg- Kurskreisel zur Navigation ausgenutzt. Bei
heitsellipsoid kann das Massenträgheitsmo- modernen Geräten weicht die Achse von der
ment bezüglich willkürlicher Schwerpunkts- eingestellten Richtung um weniger als 0,1 ◦ /h
achsen grafisch oder analytisch bestimmt wer- ab. Versetzt man einem kräftefreien Kreisel
einen kurzzeitigen Schlag, dann ändert sich
den. Bei rotationssymmetrischen Körpern ist
das Trägheitsellipsoid ein Rotationsellipsoid. der Drehimpuls L um ΔL = M(t) dt, bleibt
Bei hochsymmetrischen Körpern wie Kugel,
Würfel, Tetraeder usw. bekommt es Kugel-
form. Diese Körper haben keine Deviations-
momente.

2.9.6 Kreisel

Jeder starre Körper, der eine Drehbewegung


ausübt, ist ein Kreisel. Symmetrische Kreisel
sind starre Körper, bei denen zwei Hauptträg-
heitsmomente gleich groß sind. Diese Bedin-
gung erfüllen alle auf einer Drehmaschine her-
gestellten Teile, aber auch andere, beispiels-
weise quadratische Scheiben. Beim abgeplat-
teten Kreisel (z. B. Scheibe) ist das Trägheits-
moment um die Figurenachse größer, beim
verlängerten Kreisel (z. B. Stab) kleiner als die
äquatorialen Trägheitsmomente.

Kräftefreier Kreisel, Nutation


Ein Kreisel, der in seinem Schwerpunkt un-
terstützt wird und in allen Raumrichtungen Abb. 2.66 Kräftefreier symmetrischer Kreisel in
drehbar ist, wird kräftefreier Kreisel genannt. kardanischer Aufhängung
96 2 Mechanik

dann aber wieder konstant nach Größe und den Kegel. Sie steht ebenfalls nicht fest im
Richtung. Die Folge des Schlages aber ist, dass Raum, sondern läuft auf der Oberfläche des
der Kreisel eine Taumelbewegung ausführt, Rastpolkegels um die Drehimpulsachse L. Ab-
die als Nutation bezeichnet wird. bildung 2.67 skizziert die Verhältnisse des ab-
Die Nutationsbewegung kann nach Abb. 2.67 geplatteten Kreisels. Beim verlängerten Kreisel
anschaulich so erklärt werden, dass zwei Ke- rollt der Gangpolkegel mit seiner Außenseite
gel aufeinander abrollen, wobei die Kegelspit- auf dem Rastpolkegel ab.
zen im festgehaltenen Schwerpunkt des Krei-
sels liegen. Der Rastpolkegel, dessen Achse die
Drehimpulsachse ist, steht fest im Raum. Der Präzession
Gangpolkegel ist mit dem Kreisel fest verbun-
Abbildung 2.68a zeigt einen rotierenden Krei-
den und wälzt sich auf dem Rastpolkegel ab.
sel, der an einer Leine unsymmetrisch aufge-
Die Figurenachse als Achse des Gangpolkegels
hängt ist. Während ein nicht rotierender star-
läuft damit auf dem rot gestrichelten Nuta-
rer Körper bei dieser Art der Aufhängung so-
tionskegel um. Die momentane Drehachse ω
fort herunterfallen würde, dreht sich der rotie-
des Kreisels ist die Berührungslinie der bei-
rende Kreisel um den Aufhängepunkt, wobei
die horizontale Lage der Kreiselachse erhal-
ten bleibt. Diese höchst erstaunliche Bewegung
wird als Präzession bezeichnet.
Die Ursache der Präzession ist das Drehmo-
ment, das infolge der unsymmetrischen Auf-
hängung auf den Kreisel ausgeübt wird. Abbil-
dung 2.68b zeigt, dass das Kräftepaar aus Ge-
wichtskraft und Stützkraft ein Drehmoment M
erzeugt, das in der Horizontalebene liegt und
auf dem Vektor L des Drehimpulses senkrecht
steht. Ein solches Drehmoment kann aber
den Betrag des Drehimpules nicht ändern,
sondern nur seine Richtung, wie Abb. 2.68c
zeigt. Innerhalb einer kurzen Zeitspanne Δt
ändert sich der Drehimpuls um ΔL = MΔt.
Der neue Drehimpuls L(t + Δt) steht wieder
senkrecht zum ebenfalls kreisenden Drehmo-
ment M(t + Δt). Unter der Wirkung des Dreh-
moments M läuft daher die Spitze des Dre-
himpulsvektors L mit konstanter Winkelge-
schwindigkeit auf einem Kreis. Dies ist völ-
lig analog zur Kreisbewegung eines Körpers
mit konstanter Geschwindigkeit, wobei die
Zentripetalkraft auch immer senkrecht auf
der Geschwindigkeit steht und sich nur de-
Abb. 2.67 Nutationsbewegung eines abgeplatteten ren Richtung, nicht aber deren Betrag än-
Kreisels dert.
2.9 Mechanik starrer Körper 97

Abb. 2.68 Präzession eines Kreisels: a) unsymmetrisch


aufgehängter, horizontal präzedierender Fahrradkrei-
sel, b) Kräfte und Drehmomente auf den Kreisel,
c) Drehimpulsänderung durch das Drehmoment

Die Winkelgeschwindigkeit der Präzession ωp


kann aus Abb. 2.68c abgelesen werden. Inner-
halb der Zeitspanne Δt dreht sich der Drehim-
pulsvektor um den Winkel

ΔL MΔt Ein Kreisel verhält sich unter dem


Δϕ = = .
L L Einfluss einer Störung (Drehmoment,
Zwangsdrehung) so, dass er versucht, die
Dann ist aber die Winkelgeschwindigkeit ωp = Richtung seines Drehimpulsvektors auf
Δϕ/Δt oder kürzestem Wege gleichsinnig parallel
zum Vektor der Störung einzustellen.
M M
ωp = = . (2.135)
L Jω

Kreiselmomente
Die Richtung, in der die Kreiselachse wandert, Erzwingt man bei einem rotierenden Kreisel
wird durch den Satz vom gleichsinnigen Paral- von außen her eine Richtungsänderung der
lelismus festgelegt: Drehachse, dann müssen die Lager bei die-
98 2 Mechanik

ser künstlichen Präzession Kräfte und Mo- Von den zahlreichen Anwendungen des Krei-
mente aufnehmen. Die Kenntnis des wirken- sels seien einige Beispiele aus der Navigation
den Drehmoments ist wichtig bei rotierenden kurz beschrieben.
Maschinenteilen, deren Drehachse einer Rich-
tungsänderung unterzogen wird. Kreiselhorizont
In Abb. 2.69 ist eine rotierende Scheibe ge-
Bei einem Flugzeug, das in oder über den Wol-
zeigt, die um die Hochachse gedreht wird.
ken fliegt, braucht der Pilot zur Orientierung
Nach dem Satz vom gleichsinnigen Paralle-
einen künstlichen Horizont. Ein einfaches Lot,
lismus versucht der Vektor L, sich parallel
das in der Kanzel aufgehängt ist, erfüllt diesen
zum Vektor ωp der erzwungenen Präzession
Zweck nicht, da es bei einem Kurvenflug nicht
einzustellen. Die Kreiselachse drückt also im
in Richtung der Vertikalen, sondern in Rich-
hinteren Lager nach unten und im vorderen
tung der Resultierenden aus Schwerkraft und
nach oben. Entsprechend reagieren die Lager
Zentrifugalkraft weist (Scheinlot).
auf den Kreisel mit den eingezeichneten La-
Der freie Kreisel, der in Richtung der Horizon-
gerkräften F L . Das Drehmoment M, das der
talen eingestellt wird, kann für eine bestimmte
Kreisel auf die Lager ausübt, ergibt sich sofort
Zeit den Horizont darstellen. Da er aber auf-
durch Umkehr von (2.135):
grund technischer Unzulänglichkeit mit der
Zeit auswandert, wurden Geräte entwickelt,
die selbsttätig Abweichungen von der Hori-
M = L × ωp . (2.136)
zontalrichtung ausgleichen. Bei einer Methode
bedient man sich des Kreiselpendels, bei dem
ein Kreisel etwas außerhalb des Schwerpunk-
tes unterstützt wird. Infolge des Schweremo-
ments führt der Kreisel langsame Präzessions-
bewegungen um die Vertikale aus. Im Gegen-
satz zu einem einfachen Lot, das alle Schwan-
kungen des Flugzeugs relativ rasch mitmacht,
hat ein Kreiselpendel eine sehr große Schwin-
gungsdauer (bis zu einer Stunde) und mittelt
daher aus allen Richtungen die Vertikalrich-

Abb. 2.69 Kreiselmoment bei einer erzwungenen


Präzession Abb. 2.70 Kreiselhorizont. Werkfoto: Bodenseewerk
2.9 Mechanik starrer Körper 99

tung heraus. Abbildung 2.70 zeigt eine techni- nem beliebigen Breitenkreis am Punkt P, dann
sche Ausführung des Kreiselhorizonts. kann sich sein Drehimpuls L nicht parallel zu
ωE einstellen; denn die Kreiselachse ist ja an
Kreiselkompass eine Tangentialebene zur Erde gefesselt. Im-
Der Kreiselkompass ist ein gefesselter Krei- merhin ist eine Optimierung der Lage dann
sel, dessen Achse sich nur in einer Horizon- erreicht, wenn die Kreiselachse tangential zu
talebene bewegen kann. Häufig wird dies da- einem Meridian eingestellt ist, d. h., wenn sie
durch erreicht, dass das Rotorgehäuse in ei- nach Norden weist. Befindet sich der Kreisel
ner Flüssigkeit schwimmt. Im Gegensatz zu am Nord- oder Südpol N bzw. S, dann steht
einem freien Kreisel, der seine Achsenrich- L immer senkrecht auf ωE . Jede Richtung der
tung in einem Inertialsystem konstant hält, Kreiselachse ist gleich ungünstig; der Kreisel
muss der gefesselte Kreisel die Erdrotation hat keine Vorzugsrichtung.
mitmachen. Die Kreiselachse erfährt also eine Der Kreiselkompass versagt also wie der ma-
Zwangsdrehung mit der Winkelgeschwindig- gnetische Kompass an den Polen. U-Boote, die
keit der Erdrotation ωE . Das auftretende Krei- sich unter dem Packeis des Nordpols befinden,
selmoment dreht die Kreiselachse nach dem bedienen sich aus diesem Grund der Trägheits-
Satz vom gleichsinnigen Parallelismus so, dass navigation, die hier nicht erläutert sei.
der Drehimpulsvektor L und die Richtung der Auf fahrenden Schiffen oder Flugzeugen zeigt
Zwangsdrehung ωE parallel werden. der Kreiselkompass nicht exakt nach Norden,
Wie Abb. 2.71 zeigt, gelingt dies vollkommen er weist einen Fahrtfehler (Missweisung) auf.
für einen Kreiselkompass, der am Äquator Ä Fährt ein Schiff auf einem Meridian nach Nor-
aufgestellt ist. Befindet sich der Kreisel auf ei- den, dann entspricht dieser Bewegung eine zu-
sätzliche Winkelgeschwindigkeit ωZ , die vek-
toriell zu ωE addiert wird. Der Kreiselkompass
versucht dann, seine Achse parallel zur resul-
tierenden Winkelgeschwindigkeit ωR einzu-
stellen, was zu einem Anzeigefehler in west-
licher Richtung führt. Bei einer Bewegung auf
einem Breitenkreis ist die zusätzliche Winkel-
geschwindigkeit ωZ parallel zu ωE , sodass kein
Fehler entsteht. Der Fahrtfehler muss rechne-
risch korrigiert werden.

Wendekreisel
Der Wendekreisel dient dazu, Drehungen und
Drehgeschwindigkeiten zu messen. Soll z. B.
die Drehung eines Schiffes um eine vertikale
Achse gemessen werden, dann wird ein Krei-
sel so eingebaut, dass seine Achse horizontal
liegt. Die horizontale Lage wird z. B. durch Fe-
dern erzwungen. Bei einer Drehung des Schiffs
Abb. 2.71 Einstellung des Kreiselkompasses in wird nach dem Satz vom gleichsinnigen Par-
Nordrichtung. allelismus der Kreisel versuchen, seine Achse
100 2 Mechanik

senkrecht zu stellen. Dies wird aber durch die a) Berechnen Sie die Beschleunigung a, mit der sich
Federn verhindert. Der Kreisel nimmt deshalb die angehängten Körper bewegen. b) Bestimmen Sie
eine Schräglage ein, bei der das von der Dre- die Kraft im Faden jeweils über den Körpern 1 und 2.
c) Wie groß ist das Massenträgheitsmoment des Rades
hung verursachte Kreiselmoment vom rück-
bezüglich seiner Drehachse?
treibenden Moment der Federn im Gleichge-
wicht gehalten wird. Der Ausschlag des Krei-
Ü 2.9-4 Für die rotierende Hantel in Abb. 2.64 soll das
sels ist damit porportional zur Drehgeschwin-
Drehmoment auf die Lager berechnet werden. Zeich-
digkeit des Schiffs. Geräte mittlerer Qualität nen Sie die Funktion M(ϑ) auf. Für welchen Winkel
sind in der Lage, Drehgeschwindigkeiten bis wird das Drehmoment maximal?
herab zu 0,01 ◦ /h nachzuweisen. Der Drehwin-
kel wird von integrierenden Wendekreiseln ge- Ü 2.9-5 Wie groß ist bei einem rollenden dünnwan-
digen Zylinder das Verhältnis Translations- zu Rotati-
messen.
onsenergie?
Optische Faserkreisel bzw. Laserkreisel ent-
halten keine rotierenden Teile, sind also im Ü 2.9-6 Ein langer dünner Stab mit der Masse m =
Grunde keine Kreisel. Mit Hilfe des Sagnac- 1,4 kg und der Länge l = 1,8 m ist an einem Ende dreh-
Effekts (G. M. M. Sagnac, 1869 bis 1928) wer- bar gelagert. Er wird aus waagrechter Lage losgelassen.
den Drehungen eines Systems gegenüber ei- a) Wie groß ist die Winkelbeschleunigung α und die
Beschleunigung aS des Schwerpunktes zu Beginn der
nem Inertialsystem nachgewiesen. Laserkrei-
Bewegung? b) Wie groß ist die Auflagerkraft zu Be-
sel erreichen die vorgenannte Genauigkeit bei ginn der Bewegung? c) Mit welcher Winkelgeschwin-
einer Winkelauflösung von 2 Winkelsekunden; digkeit ω geht der Stab durch die vertikale Lage?
sie werden bereits in der Luftfahrt eingesetzt.
Ü 2.9-7 Ein Rad mit dem Radius r = 20 cm und der
Zur Übung Masse m = 20 kg rollt nach Abb. 2.61 eine schiefe
Ü 2.9-1 Lösen Sie das Problem von Beispiel 2.9-2 rech- Ebene mit dem Neigungswinkel β = 15◦ hinab. Aus
nerisch. dem Stand legt es nach t = 2 s den Weg s = 2,9 m zu-
rück. a) Wie groß ist das Massenträgheitsmoment JS
Ü 2.9-2 Eine starre Hantel besteht aus zwei Kugeln mit bezüglich der Drehachse durch den Schwerpunkt?
jeweils der Masse m = 2 kg, die durch einen runden b) Wie groß muss der Haftreibungskoeffizient zwi-
Stab mit dem Durchmesser dS = 10 mm verbunden schen Rad und Unterlage mindestens sein, damit das
sind. Der Abstand der beiden Kugelmittelpunkte be- Rad nicht rutscht?
trägt l = 1 m. Kugeln und Stab bestehen aus Stahl
Ü 2.9-8 Ein rotierendes Rad (Masse m = 2 kg, Mas-
der Dichte ρ = 7,85 kg/dm3 . Wie groß ist das Mas-
senträgheitsmoment JS = 300 kg cm2 , Drehzahl n0 =
senträgheitsmoment JS bezüglich einer Achse, die auf
2 800 min−1 , Radius r = 15 cm) wird auf den hori-
der Stabachse senkrecht steht und durch den Schwer-
zontalen Fußboden aufgesetzt. Infolge Reibung zwi-
punkt geht, wenn die Stabmasse und die Ausdehnung
schen Rad und Unterlage wird das Rad beschleunigt.
der Kugeln a) vernachlässigt, b) nicht vernachlässigt
a) Wie groß ist die Endgeschwindigkeit, die sich ein-
werden?
stellt, nachdem der Rutschvorgang abgeschlossen ist?
b) Wie lange rutscht das Rad, wenn der Reibungsko-
Ü 2.9-3 Zur experimentellen Bestimmung des Mas- effizient zwischen Rad und Unterlage μ = 0,2 beträgt?
senträgheitsmoments eines Rades wird ein Faden über
dieses gelegt, an dem zwei Körper mit den Massen
m1 = 1 kg und m2 = 1,5 kg befestigt sind. Das Rad ist Ü 2.9-9 Ein schwerer Kreisel sei wie in Abb. 2.68 ein-
reibungsfrei gelagert, sein Radius beträgt r = 30 cm. seitig aufgehängt. Die Kreiselachse verlaufe nicht waa-
Man beobachtet, dass die Körper in der Zeit t = 2 s aus gerecht sondern schließe mit der Vertikalen den Win-
dem Stand den Höhenunterschied h = 1 m zurückle- kel ϑ ein. Zeigen Sie, dass die Winkelgeschwindigkeit
gen. der Präzession ωp nicht vom Winkel ϑ abhängt.
2.10 Gravitation 101

2.10 Gravitation derstellung der Erde hervorhob. Eine richtige,


wenn auch komplizierte Beschreibung der Pla-
2.10.1 Beobachtungen
netenbahnen war durch Epizykeln möglich.
Bewegungen der Gestirne oder Erscheinun- Dieses Weltbild galt als Glaubenssatz über 14
gen am Himmel haben die Menschen schon Jahrhunderte lang.
immer fasziniert und zu einer Erklärung her- Nikolaus Kopernikus (1473 bis 1543) konnte
ausgefordert. Die Geschichte des Verstehens mit dem heliozentrischen Weltsystem, das die
der Bewegungen am Firmament, der Himmels- Sonne in den Mittelpunkt stellte, die Bewegung
mechanik, ist verknüpft mit berühmten Na- der Planeten einfacher beschreiben.
men und Theorien. Tycho de Brahe (1546 bis 1601) lieferte als
Claudius Ptolemäus (um 100 bis 160 n. Chr.) letzter großer Astronom ohne Fernrohr exak-
begründete im 2. Jahrhundert das geozentri- tes Beobachtungsmaterial über die Bewegung
sche Weltsystem, das philosophisch die Son- der Gestirne.

Abb. 2.72 Die Kepler’schen Gesetze


102 2 Mechanik

Johannes Kepler (1571 bis 1630) leitete aus gestellt; Abb. 2.73 vermittelt einen Eindruck
der Analyse der Braheschen Messdaten des von dieser optomechanischen Spitzentech-
Mars drei empirische Gesetzmäßigkeiten über nik.
die Bewegung der Planeten her. Sie sind in
Abb. 2.72 aufgeführt und erläutert.
Isaac Newton (1643 bis 1727) stellte die
allgemeinen Bewegungsgesetze für mecha-
nische Systeme und das Gravitationsgesetz
(Abschn. 2.10.2) auf. Damit konnte er die
Kepler’schen Gesetze herleiten.
Albert Einstein (1879 bis 1955) entwickelte
1915 die allgemeine Relativitätstheorie, die
die Newton’sche Gravitationstheorie als Nä-
herung enthält. Damit konnten die mit der
Newton’schen Mechanik nicht erklärbare Pe-
riheldrehung der Merkurbahn und die Krüm-
mung von Lichtstrahlen unter dem Einfluss der
Gravitation erklärt werden.
Die aus diesen Beobachtungen und Theorien
bestimmten Bahndaten und Planetenkenn-
größen sind in Tabelle 2.7 zusammengestellt.
Simulationen der Bewegungen am Himmel
vor dem Hintergrund des Fixsternhimmels Abb. 2.73 Planetariumsprojektor Zeiss-Modell
werden in Planetarien mit aufwändigen Universarium VIII mit Faseroptiken. Foto:
dreidimensionalen Projektionstechniken dar- Planetarium Jena

Tabelle 2.7 Planetendaten des Sonnensystems

Planet große Umlauf- nume- Radius Masse mittlere Fallbe- Rota- Anzahl
Bahnhalb- zeit T rische Erdradius Erdmasse Dichte ρ schleu- tions- der
achse a in s Exzen- in nigung dauer Monde
in m trizität kg m−3 gÄquator in s
der El- Erdradius Erdmasse in m s−2
lipsen- rE = 6,371 mE = 5,972
bahn ε ·106 m ·1024 kg

Merkur 5,79 · 1010 7,60 · 106 0,206 0,383 0,055 5,4 · 103 3,7 5,07 · 106 0
Venus 1,08 · 1011 1,94 · 107 0,0067 0,950 0,815 5,2 · 103 8,9 2,10 · 107 0
Erde 1,50 · 1011 3,16 · 107 0,017 1,00 1,00 5,5 · 103 9,78 8,62 · 104 1
Mars 2,28 · 1011 5,94 · 107 0,093 0,532 0,107 3,9 · 103 3,7 8,86 · 104 2
Jupiter 7,78 · 1011 3,74 · 108 0,048 10,97 318 1,3 · 103 23 3,57 · 104 > 60
Saturn 1,43 · 1012 9,35 · 108 0,054 9,46 95,2 0,69 · 103 8,7 3,88 · 104 > 60
Uranus 2,87 · 1012 2,64 · 109 0,047 3,98 14,5 1,3 · 103 8,6 6,21 · 104 > 27
Neptun 4,50 · 1012 5,17 · 109 0,0086 3,87 17,1 1,6 · 103 11 5,80 · 104 13
2.10 Gravitation 103

2.10.2 Newton’sches Gravitationsgesetz

Aus der Modellvorstellung elliptischer Plane-


tenbahnen, als Kepler’sche Gesetze in Abb. 2.72
zusammengestellt, leitete Newton eine Bezie-
hung über die gegenseitige Anziehung zweier
Körper, die Gravitation, her und verallgemei-
nerte dies auf die Wechselwirkung zwischen
allen materiellen Körpern.
Zwischen zwei beliebigen materiellen Punk-
ten mit den Massen m1 und m2 wirkt eine
anziehende Kraft, die Gravitationskraft F G ,
die dem Abstandsvektor r 12 der materiellen
Punkte entgegengerichtet ist, wie Abb. 2.74
verdeutlicht. Der Betrag der Gravitationskraft
ist Abb. 2.75 Prinzip der Cavendish’schen Gravitations-
drehwaage

m1 m2
|F G | = G 2
. (2.137)
r12
A und B in die Lagen A und B wird die
Richtung der Gravitationskraft auf die klei-
Die Proportionalitätskonstante G, die Gravita- nen Probemassen m1 umgekehrt, wodurch
tionskonstante, hat den Wert diese ein Drehmoment auf den Torsionsfa-
m3 den ausüben. Die Probemassen m1 drehen
G = (6,67384 ± 0,0008) · 10−11 . sich dadurch um den Drehwinkel Δϕ, bis
kg s2
erneut das rücktreibende Torsionsmoment
Die Gravitationskonstante wird mit der Gra- des Torsionsfadens das Drehmoment der
vitationsdrehwaage nach Abb. 2.75 bestimmt. Gravitationskraft zwischen den Massen m1
Aus Symmetriegründen gilt (2.137) auch für und m2 kompensiert. Durch eine Lichtzeiger-
homogene Kugeln, wenn r der Abstand des anordnung wird der sehr kleine Drehwinkel
Mittelpunktes ist. Durch Verlagerung der Δϕ messbar.
Kugeln mit den Massen m2 von den Lagen Ein Vergleich der Gravitationskraft nach
(2.137) mit der Gewichtskraft nach (2.28)
ergibt, dass die Fallbeschleunigung g auf
der Erdoberfläche durch die Gravitation der
Erdmasse mE und den Erdradius rE bestimmt
wird:

mE
g =G . (2.138)
rE2

Aus (2.138) lässt sich mit Hilfe des Zahlenwerts


Abb. 2.74 Massenanziehung, Gravitation der Gravitationskonstante und dem bekannten
104 2 Mechanik

Erdradius rE = 6 370 km die Erdmasse zu mE = 4π2


|F zp | = mp rp ω2p = mp rp .
5,97 · 1024 kg berechnen. Tp2
Nach der Newton’schen Gravitationstheorie ist Die Gravitationskraft zwischen Sonne und Planet ist
die Zentralkraft, die die Planeten auf den ellip- nach (2.137)
tischen Bahnen um die Sonne hält, die Massen- mS mp
FG = G .
anziehung der Planetenmasse durch die Son- rp2
nenmasse. Daraus folgt direkt das dritte Kep-
Durch Gleichsetzen erhält man
ler’sche Gesetz (Beispiel 2.10-1).
Die Gravitationskraft der Sonne auf die Plane- 4π2 m m
mp rp = G S2 p .
ten wirkt parallel zum Radiusvektor und übt Tp2 rp
daher auf die Planetenbewegung kein Dreh-
moment aus, der Drehimpuls ist auf der Pla- Das dritte Kepler’sche Gesetz lautet (nach der
netenumlaufbahn konstant. In der Bahnebene Herleitung in Beispiel 2.10-1)
ist die Hälfte des Produkts r × dr gerade die
vom Radiusvektor überstrichene Fläche
rp3 G mS
1 = = konstant . (2.139)
dA = |r × dr| . Tp2 4 π2
2
Der Flächensatz (dA/ dt = konstant) des zwei-
ten Kepler’schen Gesetzes veranschaulicht Die Konstante ist unabhängig von der
geometrisch die Drehimpulserhaltung Masse mp des Planeten. In die Konstante

dr dA geht nur die Masse mS des Zentralgestirns,
|L| = |r × p| = mp r × = 2mp
dt dt der Sonne, ein. Sie ist für alle Planeten eines
Sonnensystems gleich. (2.139) gilt auch für
auf der Planetenbahn. Das erste Kepler’sche den Umlauf von Monden oder Satelliten um
Gesetz folgt aus dem Energieerhaltungssatz Planeten; die Konstante wird dann durch
auf der Planetenbahn nach (2.80). Die Her- die Planetenmasse bestimmt und beträgt
leitung über die Kegelschnittgleichung ist ma- beispielsweise bei der Erde 1,01 · 1013 m3 /s2 .
thematisch recht umständlich. Gleichung (2.139) gilt auch für elliptische Bah-
Beispiel nen; als Radius ist die große Halbachse der El-
2.10-1 Ableitung des dritten Kepler’schen Gesetzes lipsenbahn einzusetzen. Abbildung 2.76 zeigt
für kreisförmige Planetenbahnen (Mitbewegung der in doppellogarithmischer Auftragung die Gül-
Sonne wird vernachlässigt). tigkeit des dritten Kepler’schen Gesetzes am
Beispiel der Planeten der Sonne. Aus den Ab-
Lösung
Wie die Werte der numerischen Exzentrizität in Ta- solutwerten der Gerade kann die Sonnenmasse
belle 2.7 ausweisen, haben die meisten Planetenbah- zu mS = 2 · 1030 kg ∼ 300 000mE ermittelt
nen unseres Sonnensystems Werte von ungefähr null werden.
und können daher in guter Näherung als Kreisbahnen
beschrieben werden. Für eine gleichförmige Kreisbe- 2.10.3 Hubarbeit und potentielle Energie
wegung eines Planeten mit der Masse mp muss die
Gravitationskraft die Zentripetalkraft aufbringen. Be-
Wird ein Körper der Masse m2 von einem Kör-
zeichnet man die Masse des Zentralgestirns, der Sonne,
mit mS , den Bahnradius der Planeten mit rp und die per der Masse m1 , beispielsweise der Erde,
Umlaufzeit mit Tp , dann gilt nach (2.31) für die Zen- wegtransportiert oder angehoben, so ist ge-
tripetalkraft gen die Gravitationskraft F G durch eine äußere
2.10 Gravitation 105

Abb. 2.76 Planeten des Sonnensystems: Zusammenhang zwischen der großen Halbachse der Planetenbahn und
der Umlaufzeit

Kraft F a Arbeit zu verrichten. Abbildung 2.77


erläutert dies. Die erforderliche Hubarbeit ist
nach (2.64)

WAB = F k · Δrk + F ak · Δsk .
k k
Alle Wegelemente Δsk auf Kugelschalen um
den Massenmittelpunkt von m1 verlaufen
senkrecht zur Richtung der Gravitationskraft;
die Arbeit auf diesen Teilwegen ist null. Die
aufzuwendende Hubarbeit ist, wenn man zu
infinitesimalen Wegstücken übergeht,
r2 r2
WAB = F a · dr = − F G · dr
r1 r1
2
r
dr
= G m1 m2 .
r2
r1
Daraus erhält man

Abb. 2.77 Hubweg gegen die Schwerkraft: Zerlegung 1 1
in radiale Wegelemente Δr und Kugelschalen-Wegele- WAB = G m1 m2 − . (2.140)
r1 r2
mente Δsk
106 2 Mechanik

Die Hubarbeit des Körpers mit der Masse m2


gegen die Gravitationskraft der Masse m1
N
mk
ϕG = − G . (2.142)
hängt nur vom Abstand r1 und r2 der Orte rk
k=1
vom Massenmittelpunkt von m1 ab, nicht aber
vom Weg. Diese Hubarbeit wird nach dem
Energiesatz (2.75) als potentielle Energie des Flächen im Raum, auf denen das Gravitations-
Körpers mit der Masse m2 , bezogen auf die potential einer Massenverteilung konstant ist,
Masse m1 , gespeichert. Das Bezugsniveau für werden als Äquipotentialflächen bezeichnet;
die potentielle Energie einer Masse m2 unter die Äquipotentialfläche einer Zentralmasse
der Massenanziehung der Masse m1 wird mit ist eine Kugelschale um deren Massenmit-
r = ∞ so gewählt, dass die Masse m2 die telpunkt. Ist das Gravitationspotential ϕG
Gravitationskraft der Masse m1 nicht mehr an einem Ort r bekannt, so beträgt die po-
spürt. Wird von diesem Bezugsniveau aus m2 tentielle Energie einer Masse m0 an diesem
auf m1 zubewegt, dann wird Arbeit frei; die Ort
potentielle Energie, die zur Umwandlung in
andere Energiearten verwendet werden kann, Epot = m0 ϕG (r) . (2.143)
vermindert sich und ist

r Die Gravitationskraft auf m0 an diesem Ort


dr mm ergibt sich aus der Umkehrung von (2.65)
Epot = Gm1 m2 2 = −G 1 2 .
r r zu

(2.141)
dϕG (r)
FG (r) = −m0 = m0 g(r) . (2.144)
dr
Gleichungen (2.139) bis (2.141) gelten nicht
nur für Massenpunkte, sondern auch für Der Gradient des Gravitationspotentials am
ausgedehnte Körper mit Kugelform. Die Ort r wird als Gravitationsfeldstärke g de-
Radien sind dabei die Abstände der Massen- finiert. Der Vergleich mit der Beziehung
mittelpunkte. Im Innern von Systemen aus für die Schwerkraft nach (2.28) zeigt, dass
materiellen Punkten kommen innere Kräfte Betrag und Richtung der Fallbeschleuni-
dazu; die Gravitationskraft stimmt nicht mehr gung g an einem Ort die Gravitationsfeld-
mit (2.137) überein. stärke angeben. Ist der räumliche Verlauf
Die potentielle Energie einer Masse m0 , die der Fallbeschleunigung aus Experimenten
von mehreren Massen m1 bis mN angezogen oder Simulationsrechnungen bekannt, dann
wird, setzt sich additiv aus den Einzelanteilen kann über eine Integration von (2.144) der
nach (2.141) zusammen: Verlauf der potentiellen Energie berechnet
werden.
m0 m1 m0 m2 m0 mN
Epot = −G −G −…−G .
r1 r2 rN 2.10.4 Satellitenbahnen

Die Kenngröße, die sich am Ort r(x0 , y0 , z0 ) Die Bahnen künstlicher Satelliten, die um die
der Masse m0 summiert, ist das Gravitations- Erde laufen, werden durch dieselben Kepler’-
potential ϕG der Einzelmassen m1 bis mN : schen Gesetze beschrieben, wie sie von der Pla-
2.10 Gravitation 107

netenbewegung bekannt sind. Satellitenbah- der sich auf einer Kreisbahn direkt an der
nen sind also Ellipsen (Spezialfall: Kreise), wo- Erdoberfläche bewegen soll. Diese Bahn mit
bei die Erde in einem Brennpunkt der Ellipse Radius rE ist natürlich praktisch nicht reali-
steht. sierbar, sondern nur von theoretischem Inter-
Praktisch realisierbare Bahnen haben Höhen esse. Aus der Gleichgewichtsbedingung zwi-
von 200 km bis 106 km und Umlaufdauern von schen Gravitations- und Zentrifugalkraft
88 min bis etwa 4 Monate. Niedrigere Bahnen
mS mE mS 2k1
sind nicht möglich wegen Reibungsverlusten G = folgt
in der Atmosphäre. Höhere Bahnen werden zu rE2 rE
sehr gestört von der Sonne und anderen Pla-

neten. Die mehr als 24 Satelliten des Global Po- GmE √ km
sitioning System (GPS) laufen auf sechs Kreis- k1 = = g rE = 7,91 .
rE s
bahnen, die um 56◦ gegen die Äquatorebene
geneigt sind, in einer Höhe von 20 200 km. Die zweite kosmische Geschwindigkeit k2 ist
Von besonderer Bedeutung für die Datenüber- die Geschwindigkeit, mit der ein Körper abge-
tragung sind geostationäre Satelliten oder Syn- schossen werden muss, um den Anziehungs-
chronsatelliten. Sie sollen über einem definier- bereich der Erde zu verlassen. Sie kann mit-
ten Punkt der Erde still stehen. Man kann hilfe des Energieerhaltungssatzes berechnet
sich leicht klar machen, dass dies nur mög- werden: Ekin, E + Epot, E = Ekin, ∞ + Epot, ∞ .
lich ist für Kreisbahnen in der Äquatorebene. Mit der Definition der potentiellen Energie
In welcher Höhe ein Satellit platziert werden nach (2.141) ergibt sich
muss, damit er sich synchron mit der Erde
1 mS mE
dreht, folgt aus dem dritten Kepler’schen Ge- mS 2k2 − G =0 oder
2 rE
setz. Nach (2.139) gilt für den Abstand rS , den
der Satellit vom Erdmittelpunkt haben muss
GmE √ km
3 GmE TE
2 k2 = 2 = 2 k1 = 11,2 .
rS = . rE s
4π 2

Mit der Periodendauer der Erdrotation (sideri- Beispiel


sche Umlaufzeit, Sterntag) TE = 86 163 s ergibt 2.10-2 Wie groß ist die Fluchtgeschwindigkeit, um
den Mond zu verlassen? Die Mondmasse ist mM =
sich rS = 42 161 km. Subtrahiert man davon
7,35 · 1022 kg, der Mondradius ist rM = 1 738 km.
den mittleren Erdradius rE = 6 371 km, so er-
gibt sich eine Höhe von h = 35 790 km über Lösung
der Erdoberfläche. Die Fluchtgeschwindigkeit ist nach obiger Gleichung

G mM km
Kosmische Geschwindigkeiten k2 = 2 = 2,38 .
rM s
Die erforderliche Geschwindigkeit eines Kör-
pers, der von der Erdoberfläche abgeschossen
wird und eine bestimmte Bahn erreichen soll, Massereiche Sterne können am Ende ihrer Ent-
wird als kosmische Geschwindigkeit bezeich- wicklungsgeschichte kollabieren und zu einem
net. schwarzen Loch werden. Sie besitzen ein der-
Die erste kosmische Geschwindigkeit k1 ist die art starkes Gravitationsfeld, dass nicht ein-
Geschwindigkeit, die ein Körper haben muss, mal Licht (Photonen) aus Bereichen inner-
108 2 Mechanik

halb eines kritischen Radius, des so genann- 2.11 Mechanik deformierbarer


ten Schwarzschild-Radius (Karl Schwarz- fester Körper – Elastomechanik
schild, 1873 bis 1916) entweichen kann. Die
Größe dieses Ereignishorizonts findet man, in- Beim Einsatz von Werkstoffen in Maschinen
dem für die Fluchtgeschwindigkeit die Licht- sind die Reaktionen auf äußere Kraft- bzw.
geschwindigkeit c gesetzt wird: Momenteinwirkungen außerordentlich wich-
2Gm tig. Gehen die Form- oder Gestaltänderungen
rS = . fester Körper nach Beendigung der äußeren
c2
Kraft- bzw. Momentenwirkungen wieder voll-
Zur Übung ständig zurück, so finden reversible Verfor-
Ü 2.10-1 In welcher Höhe h über der Erdoberfläche mungsprozesse statt, die elastisch sind. Bleiben
hat die Fallbeschleunigung den Wert gh = 5 m s−2 ? dagegen Formänderungen zurück, dann ha-
(Der Erdradius ist rE = 6 371 km.) ben irreversible Verformungsprozesse stattge-
funden und es sind plastische Verformungen
Ü 2.10-2 Zwischen Erde und Mond gibt es einen geo- aufgetreten.
metrischen Ort, an dem sich die Gravitationskräfte
auf einen Körper der Masse m gerade aufheben. Wo
2.11.1 Elastische Verformung
liegt dieser „neutrale Punkt“? Radius der Mondbahn:
rE, M = 384 000 km, Mondmasse mM = 7,35 · 1022 kg.
Spannungen
Die Kenngröße für die Beanspruchung von
Ü 2.10-3 Ein künstlicher Satellit läuft in einer Flug-
höhe h = 1 000 km auf einer Kreisbahn um die Erde Festkörperteilchen ist die Spannung S. Sie ist
(Erdradius rE = 6 371 km). a) Wie groß ist die Bahn- der Quotient aus der Teilkraft dF und dem Flä-
geschwindigkeit des Satelliten? b) Wie groß ist seine chenelement dA, wie Abb. 2.78 zeigt:
Umlaufzeit T? c) Welche spezifische Arbeit (auf die
Masse m = 1 kg bezogen) ist aufzuwenden, um den Sa-
dF
telliten in diese Bahn zu bringen? d) Welcher Anteil f S= . (2.145)
dieser spezifischen Arbeit entspricht der kinetischen dA
Energie des Satelliten?

In der Praxis mechanischer Beanspruchun-


Ü 2.10-4 Ein Meteor kommt ohne Anfangsgeschwin-
gen wird die Spannung in der Maßeinheit
digkeit in den Anziehungsbereich der Sonne und fällt
auf diese zu. Wie groß ist die Geschwindigkeit des Me-
teors, wenn er

a) sich im Bahnabstand der Erde von der Sonne be-


findet?
b) an einem Ort mit halbem Erdbahnradius ist?
c) an der Sonnenoberfläche unverglüht ankäme?

(Sonnenmasse mS = 2 · 1030 kg; Sonnenradius rS =


696 000 km; Erdbahnradius rSE = 150 · 106 km.)

Ü 2.10-5 Der mittlere Abstand des Jupiter-Mondes


Jo vom Planeten Jupiter beträgt 4,216 · 105 km; seine
Umlaufzeit ist T = 1 d 18 h 27 min. Berechnen Sie aus
diesen Angaben die Masse mJ des Planeten Jupiter. Abb. 2.78 Zur Definition der Spannung
2.11 Mechanik deformierbarer fester Körper – Elastomechanik 109

N/mm2 gemessen; es ergeben sich dann hand- Spannungszustand durch die Angabe von drei
liche Maßzahlen. Wird nach Abb. 2.78 die Teil- Normalspannungen σx , σy , σz und drei Schub-
kraft dF in ihre Normalkomponente dFn und spannungen τxy , τxz , τyz vollständig beschrie-
ihre Tangentialkomponente dFt zerlegt, dann ben.
ergeben sich eine Normalspannung σ und eine
Schubspannung τ (Tangentialspannung):
Verformungen
Wirken auf einen Körper äußere Kräfte bzw.
dFn
σ= , (2.146) äußere Momente ein, so erfährt er Verformun-
dA gen. Grundsätzlich sind zwei Verformungs-
dFt
τ= . (2.147) möglichkeiten denkbar, die Dehnung ε und die
dA Schiebung γ . Für die Dehnung gilt allgemein

In einem würfelförmigen Körperelement lässt


l − l0 Δl
sich, wie Abb. 2.79 zeigt, der Spannungszu- ε= = . (2.148)
l0 l0
stand vollständig beschreiben durch

– drei Normalspannungen σx , σy , σz und


Dabei bleiben die rechten Winkel am Körper-
– sechs Schubspannungen τxy , τxz , τyx ,
element erhalten. Mit Schiebung oder Sche-
τyz , τzx , τzy .
rung wird eine Winkeländerung bezeichnet:
Dabei gibt der erste Index die Schnittebene
und der zweite die Wirkungsrichtung an; z. B.
liegt τxy in der x-Ebene und wirkt in der Schiebung γ = Winkeländerung γ .
y-Richtung. Da aus Symmetriegründen τxy = (2.149)
τyx , τxz = τzx und τyz = τzy ist, wird der
In diesem Fall bleiben die Kantenlängen l0
des Körperelementes gleich, und es ergibt sich
ein Abweichungswinkel γ vom rechten Winkel
(ausgedrückt im Bogenmaß).
In der Praxis werden üblicherweise vier Ver-
formungsarten unterschieden. Abbildung 2.80
zeigt die Unterschiede, Kenngrößen und Ge-
setzmäßigkeiten.

Dehnung
Im elastischen Bereich ist die Längenände-
rung Δl proportional zur Normalkraft Fn . Mit
der Definition der Dehnung ε als relative Län-
genänderung ε = Δl/ l (2.148) und (2.146) für
die Zug- bzw. Druckspannung σ = dFn / dA
Abb. 2.79 Dreiachsiger Spannungszustand. ergibt sich das Hooke’sche Gesetz (R. Hooke,
σ Normalspannung, τ Schubspannung 1635 bis 1703) für die elastische Verformung:
110 2 Mechanik

Abb. 2.80 Verformungsarten


2.11 Mechanik deformierbarer fester Körper – Elastomechanik 111

Die Querdehnung ist der Dehnung proportio-


σ = Eε . (2.150) nal, sodass gilt

Der Proportionalitätsfaktor ist der Elastizitäts- εq = −μ ε . (2.153)


modul E, der im allgemeinen Fall die Normal-
spannungsänderung dσ , bezogen auf die Deh-
nungsänderung dε, beschreibt und zeitabhän- Der Proportionalitätsfaktor μ wird als Quer-
gig sein kann: dehnungszahl oder Poissonzahl (S. D. Pois-
son, 1781 bis 1840) bezeichnet. Ihr Wert ist
dσ immer positiv, aber kleiner als 0,5. Das Minus-
E(σ , t) = . (2.151) zeichen in (2.153) kennzeichnet die Gegenläu-

figkeit von Längenänderung und Dickenände-
rung. Die bei der Querkontraktion auftretende
Der Elastizitätsmodul ist eine Werkstoffkenn-
Volumendifferenz ΔV errechnet sich für einen
größe, die für praktische Zwecke meist in der
achsensymmetrischen, prismatischen Stab aus
Maßeinheit N/mm2 oder GN/m2 geschrieben
der Differenz zwischen dem Volumen nach der
ist. Tabelle 2.8 enthält einige Festigkeitskenn-
Verformung V und dem ursprünglichen Vo-
zahlen. – In (2.151) sind Zugspannungen posi-
lumen V0 zu
tiv und Druckspannungen negativ einzusetzen.
ΔV = V − V0 = (d + Δd)2 (l + Δl) − d2 l .
Querdehnung
Die Summenglieder höherer Ordnung sind
Die angreifende Normalkraft Fn verursacht au-
gegenüber den Gliedern erster Ordnung ver-
ßer der Längenänderung Δl auch eine materi-
nachlässigbar. Somit ergibt sich
alspezifische Dickenänderung Δd. Die Quer-
dehnung εq ist die relative Dickenänderung: ΔV = d2 Δl + 2 d l Δd .
Für die relative Volumenänderung eines stab-
Δd
εq = . (2.152) förmigen Körpers unter eindimensionaler
d Zugbeanspruchung gilt

Tabelle 2.8 Kennzahlen für die Festigkeit einiger Werkstoffe

Werkstoff Elastizitäts- Querdeh- Kompressions- Schub- Bruch- Zug- bzw.


Modul E nungszahl Modul K Modul G dehnung Druckfestigkeit
in GN/m2 μ in GN/m2 in GN/m2 εB σB in GN/m2

Eis 9,9 0,33 10 3,7


Blei 17 0,44 44 5,5 bis 7,5 0,014
Al (rein) 72 0,34 75 27 0,5 0,013
Glas 76 0,17 38 33 0,09
Gold 81 0,42 180 28 0,5 0,14
Messing
(kaltverf.) 100 0,38 125 36 0,05 0,55
Kupfer
(kaltverf.) 126 0,35 140 47 0,02 0,45
V2A-Stahl 195 0,28 170 80 0,45 0,7
112 2 Mechanik

ΔV d2 Δl 2 d l Δd Δl Δd Die relative Volumenänderung ΔV / V eines


= + = +2 .
V d2 l d2 l l d Körpers bei einer isotropen Druckänderung
Δp ist die Kompressibilität
Man erhält also

ΔV
ΔV
= ε (1 − 2μ) . (2.154) κ
1
=− V = . (2.158)
V Δp K

Der Volumenunterschied ist für positive Span-


nungen definitionsgemäß positiv; nach (2.154) Beispiel
ist daher 1 − 2μ > 0 und 0 < μ 0,5. 2.11-1 Ein Draht aus Federstahl (E = 2 · 105 N/mm2 )
hat einen Durchmesser d = 1,5 mm und ist l = 3 m
lang. Er wird um 5 mm verlängert. Zu berechnen sind
Allseitige Kompression die Dehnung ε, die Zugspannung σz und die Zug-
Wenn ein Körper einer allseitigen isotropen kraft Fz .
Druckbeanspruchung σ = −Δp unterliegt, Lösung
dann ist die Volumenänderung nach (2.154) Für die Dehnung gilt ε Δl/ l = 1,67 · 10−3 = 0,17%. Die
Zugspannung ist σz = E ε = 333 N/mm2 , und die Zug-
kraft beträgt Fz = σz A = 333,33 · π4 d2 = 589 N.
ΔV
= 3 ε (1 − 2μ) . (2.155)
V
Scherung
Wirken Querkräfte Ft parallel zur Oberfläche
Mit ε = σ/ E und σ = −Δp erhält man auf einen Körper, dann erfährt dieser eine
ΔpV E Scherung um den Scherwinkel γ (Abb. 2.80).
− = =K. Diese Beanspruchungsart ruft also eine Ge-
ΔV 3(1 − 2μ)
staltsänderung des Körpers hervor. Zwischen
Analog zum Elastizitätsmodul E beschreibt der der Schubspannung τ = Ft / A und dem Scher-
Kompressionsmodul winkel γ gilt der dem Hooke’schen Gesetz ana-
loge Zusammenhang

ΔpV
K =− (2.156)
ΔV τ = Gγ . (2.159)

die erforderliche Druckänderung bezogen auf Der Proportionalitätsfaktor wird Schub-


die relative Volumenänderung; er ist immer modul G genannt. Er ist ein Maß für die
positiv. In der Praxis wird K meist in MN/m2 Gestaltelastizität fester Körper. (In (2.159) ist
angegeben. Zwischen den Kenngrößen der der Scherwinkel γ im Bogenmaß einzusetzen.)
elastischen Verformung besteht der Zusam- Analog zum Elastizitätsmodul E nach (2.151)
menhang ist der Schubmodul

E dτ
K = . (2.157) G(τ, t) = (2.160)
3(1 − 2μ) dγ
2.11 Mechanik deformierbarer fester Körper – Elastomechanik 113

das Verhältnis der Schubspannung zum Scher- Elementare Belastungsfälle


winkel. Abbildung 2.81 zeigt die vier elementaren
Zwischen Elastizitätsmodul E, Querdehnungs- Belastungsfälle Zug bzw. Druck, Scherung, Bie-
zahl μ und Schubmodul G besteht der Zusam- gung und Torsion, ihre zugehörigen Normal-
menhang und Schubspannungen, Dehnungen und
Schiebungen sowie einige Beispiele. Daraus
E ist ersichtlich, dass bei reinem Zug bzw. Druck
G= . (2.161)
2(1 + μ) sowie reiner Biegung keine Schubspannungen
und Schiebungen vorhanden sind, während
bei reiner Scherung bzw. Torsion keine Nor-
Durch Umformen ergibt sich E/ 2G = 1 + μ. Da malspannungen und Dehnungen auftreten.
μ zwischen 0 und 0,5 liegt, ergibt sich für den In der Praxis treten diese vier elementaren
Schubmodul ein Bereich von Belastungsfälle kombiniert auf. Dann können
sie unter Verwendung von Tabelle 2.9 und
E E Abb. 2.81 ermittelt werden.
<G< . (2.162)
3 2
Hauptspannungen
Diese Beziehungen gelten nur für isotrope Als Hauptspannungen werden die Normal-
Werkstoffe. Konstruktionswerkstoffe sind spannungen σ bezeichnet, für die keine
meist quasiisotrope Werkstoffe. Für ani- Schubspannungen auftreten. Die Hauptspan-
sotrope Einkristalle müssen dagegen die nungsrichtung nennt man Hauptachse. Ein
Richtungsabhängigkeiten der Kenngrößen Spannungszustand ist demnach vollständig
berücksichtigt werden. beschrieben, wenn alle drei Hauptspannun-
Die in diesem Abschnitt aufgezeigten Zusam- gen σ1 , σ2 , σ3 und deren Hauptachsen bekannt
menhänge zwischen Normalspannungen σ sind. Häufig treten Beanspruchungen an Bau-
und Dehnungen ε bzw. Schubspannungen τ teiloberflächen auf, in denen die Hauptachsen
und Schiebungen γ gestatten die allgemeine 1, 2 und 3 mit den Koordinatenachsen x, y und
Formulierung des Hooke’schen Gesetzes für z zusammenfallen. Für diese Fälle lassen sich
alle drei Raumrichtungen. Alle möglichen die gesuchten Hauptspannungen durch ein
Belastungsfälle können hieraus errechnet grafisches Verfahren nach Mohr (C. O. Mohr,
werden. Tabelle 2.9 vermittelt eine Übersicht. 1835 bis 1918) ermitteln. Es ergeben sich

Tabelle 2.9 Räumliche Spannungszustände

Normalspannung σ Dehnung ε Schub- Schiebung γ


spannung τ

E με 1 1
x-Komponente σx = εx + εx = (σx − μ(σy + σz )) τxy = Gγxy γxy = τxy
1+μ 1 − 2μ E G

E με 1 1
y-Komponente σy = εy + εy = (σy − μ(σz + σx )) τxz = Gγxz γxz = τxz
1+μ 1 − 2μ E G

E με 1 1
z-Komponente σz = εz + εz = (σz − μ(σx + σy )) τyz = Gγyz γyz = τyz
1+μ 1 − 2μ E G
114 2 Mechanik

Abb. 2.81 Vier elementare Belastungsfälle


2.11 Mechanik deformierbarer fester Körper – Elastomechanik 115

drei Kreise, die Mohr’schen Spannungskreise.


Wenn jedoch in allen Ebenen x, y und z
von null verschiedene Schubspannungen
auftreten, dann versagt diese Methode. Die
gesuchten Hauptspannungen müssen dann
durch aufwändigere mathematische Verfahren
errechnet werden.
Um die Gleichung für den Mohr’schen Span-
nungskreis aufzustellen, wird ein Bauteil mit
einer Zugkraft Fx beansprucht. Deshalb ist die
Normalspannung σx bereits Hauptspannung,
wie Abb. 2.82 zeigt. Wird eine Ebene A+ be-
trachtet, die um den Winkel ϕ verdreht ist,
dann kann die Zugkraft Fx in eine Kompo-
nente Fn senkrecht zur Ebene A+ und in eine
Komponente Ft tangential dazu zerlegt wer-
den. Es gelten Fn = Fx cos ϕ und Ft = Fx sin ϕ. Abb. 2.82 Zur Herleitung des Mohr’schen
Damit ergeben sich für die bezüglich der Ebene Spannungskreises
A+ = A/ cos ϕ wirkende Normalspannung σϕ
bzw. die Schubspannung τϕ
σx 2 σ 2
σϕ − + τϕ2 = x
. (2.166)
Fn F 2 2
σϕ = = cos2 ϕ = σx cos2 ϕ oder
A+ A
(2.163)
σx Diese Gleichung beschreibt den Mohr’schen
σϕ = (1 + cos(2ϕ)) und (2.164) Spannungskreis in der σϕ -τϕ -Ebene mit dem
2
Ft F σx Radius r = (σx / 2) und dem Mittelpunkt
τϕ = = sin ϕ cos ϕ = − sin(2ϕ) . (σx / 2/ 0) (Abb. 2.82 b). Der Spannungskreis
A+ A 2
(2.165) zeigt die Normal- bzw. Schubspannungen, die
an einem um den Winkel ϕ verschobenen
Flächenelement wirken, wenn die Normal-
In dem skizzierten Fall gilt für die Hauptspan- spannung σx bereits Hauptspannung ist.
nungsrichtung τϕ = 0, weil ϕ = 0 ist.
Die maximale Schubspannung τmax tritt für
Beispiel
2.11-2 Gegeben sei folgender Spannungszustand
sin(2ϕ) = 1 auf. Aus dieser Bedingung folgt (dreiachsige Zugbeanspruchung):
2ϕ = 90◦ oder ϕ = 45◦ . Für diesen Winkel
wird nach (2.165) die maximale Schubspan- σx = 10 N/mm2 , τxy = −20 N/mm2 , τxz = 0 ,
nung τmax = −σx / 2. Die zugehörige Normal- σy = 30 N/mm2 , τyx = 20 N/mm2 , τyz = 0 ,
spannung beträgt ebenfalls σ = σx / 2. Wer-
σz = −15 N/mm2 , τzx = 0 , τzy = 0 .
den aus (2.164) und (2.165) unter Berücksich-
tigung von sin2 (2ϕ)+cos2 (2ϕ) = 1 die Winkel- Gesucht sind die Hauptspannungen σ1 , σ2 und σ3 so-
funktionen eliminiert, so ergibt sich folgender wie die Winkelabstände der Hauptachsen 1, 2 und 3
Zusammenhang zwischen σϕ und τϕ : von den Raumachsen x, y und z.
116 2 Mechanik

Abb. 2.83 Mohr’sche Spannungskreise für Beispiel 2.11-2

Lösung e) Zwischen der Hauptachse 1 und der y-Ebene liegt


Zur Lösung wird das grafische Verfahren nach Mohr der Winkel 2ϕ = 67◦ oder ϕ = 33,5◦ .
angewandt. Die Mohr’schen Spannungskreise werden
gemäß Abb. 2.83 konstruiert.
Elastische Energie
Bei der Längen- bzw. Volumenänderung von
a) Es werden alle Angaben der Normal- bzw. Schub-
spannungen in das σ -τ-Diagramm eingezeichnet
Körpern wird Arbeit verrichtet. Nach der De-

(schwarze Punkte in Abb. 2.83). finitionsgleichung für die Arbeit W = F dl
b) Die Punkte (σx /τxy ) und (σy /τyx ) müssen auf einem gilt wegen F = σ A und dl = lε
Kreis liegen. Ihre Verbindungsgerade ist der Durch-
messer dieses Kreises, der die σ -Achse im Mittel-
punkt M1 schneidet. Damit kann der Kreis 1 ge-
W = σAl dε = V σ dε ; (2.167)
zeichnet werden.
c) Der Mohr’sche Spannungskreis 1 liefert als Schnitt-
hierin ist V das Ausgangsvolumen. Ist die Ver-
punkte mit der σ -Achse (τ = 0) die Werte σ1 =
formung völlig elastisch, so wird die Verfor-
42,5 N/mm2 und σ2 = −2,5 N/mm2 für die Haupt-
spannungen (weiße Punkte in Abb. 2.83). mungsarbeit als potentielle Energie im Körper
d) Die beiden anderen Kreise 2 und 3 lassen sich ein- gespeichert und bei der Entlastung wieder frei-
deutig konstruieren. gesetzt.
2.11 Mechanik deformierbarer fester Körper – Elastomechanik 117


2.11.2 Plastische Verformung Die Verlustenergiedichte ∗ = W / V = σ dε
der plastischen Verformung entspricht der
Bei der plastischen Verformung wird nur Fläche der Hysteresekurve im Spannungs-
ein Teil der Verformungsenergie wiederge- Dehnungs-Diagramm.
wonnen und der Körper bleibt deformiert. In dem Spannungs-Dehnungs-Diagramm
Abbildung 2.84 zeigt die Hysteresekurve einer lassen sich unter Zugbeanspruchung meh-
elastisch-plastischen Verformung. Ihr Ver- rere Bereiche unterscheiden. In Abb. 2.85
lauf ist analog zur magnetischen Hysterese sind diese anhand des Spannungs-Dehnungs-
B = f (H) (Abschn. 4.4.4.2, Abb. 4.110). Wird Diagramms von Federstahl 55 Si7 erläutert:
der Körper erstmalig elastisch verformt, dann
durchläuft er die Kurve OP. Bei Verringerung – elastischer Bereich (0 bis El): Es gilt das Hoo-
der Spannung wird eine andere Kurve durch- ke’sche Gesetz, d. h., die Verformung geht bei
laufen. Ist der Körper völlig spannungsfrei, Entlastung wieder zurück;
so bleibt eine Restdehnung ε01 übrig, die nur – elastisch-plastischer Bereich (El bis Pl): Nach
durch einen entgegengesetzten Druck aufge- der Entlastung geht die Dehnung nicht mehr
hoben werden kann. Wird der Druck nach vollständig zurück, ein Teil der Verformung
dem Höchstwert Q wieder zurückgenommen, bleibt;
so bleibt der Körper um ε02 gestaucht, sodass
es eines Zugs bedarf, um ihn wieder in die
Ausgangslage zu bringen. Die Arbeit, die
während eines Spannungs-Dehnungs-Zyklus
im Körper bleibt, ist

⎛ Q ⎞
P
W=V ⎝ ⎠
σ dε + σ dε = V σ dε .
P Q
(2.168)

Abb. 2.85 Spannungs-Dehnungs-Diagramm eines


Abb. 2.84 Mechanische Hysterese Zugversuchs für den Federstahl 55 Si7
118 2 Mechanik

– plastischer Bereich (Pl bis S): Nach der Ent- ist die 0,2%-Dehngrenze Rp0,2 . Eine Parallele
lastung bleibt die Dehnung näherungsweise zur Hooke’schen Geraden (gestrichelte Linie)
erhalten, der Körper ist verformt; schneidet die Spannungs-Dehnungs-Kurve im
– Bruchpunkt B: Bei dieser Spannung bricht Punkt mit der Ordinate Rp0,2 . In Abb. 2.85 ist
das Material. Rp0,2 = 1 080 N/mm2 .
Die Spannung, die zur Höchstzugkraft gehört,
Zur Messung des Spannungs-Dehnungs- ist die Zugfestigkeit Rm . In Abb. 2.85 ist Rm =
Verlaufs für metallische Werkstoffe wird der 1 275 N/mm2 . Die Zugfestigkeit reiner Metalle
Zugversuch nach DIN EN 10 002 durchge- beträgt Rm = 10 bis Rm = 20 N/mm2 (z. B.
führt. Abbildung 2.86 zeigt eine Universal- Blei), diejenige hochfester Stähle Rm = 2 500
Prüfmaschine. bis Rm = 4 500 N/mm2 . Die sehr häufig im
Beim Zugversuch sind zwei unterschiedliche Maschinenbau eingesetzten Bau- und Vergü-
Spannungs-Dehnungs-Verläufe zu unterschei- tungsstähle haben eine Zugfestigkeit zwischen
den, wie Abb. 2.87 zeigt. Entweder erfolgt der Rm = 400 N/mm2 und Rm = 1 200 N/mm2 .
Übergang vom elastischen in den plastischen Bleibt bei zunehmender Dehnung die Zugkraft
Bereich monoton oder nicht monoton. Erfolgt erstmalig gleich oder fällt sie ab, dann ist die
der Übergang stetig (Abb. 2.87a), dann wird Streckgrenze erreicht.
als Dehngrenze Rp diejenige Spannung heran- Beim nicht monotonen Übergang vom elas-
gezogen, die zu einer bestimmten plastischen tischen in den plastischen Bereich wird eine
(bleibenden) Dehnung εr geführt hat. Üblich obere Streckgrenze ReH und eine untere Streck-
grenze ReL unterschieden (Abb. 2.87b).
Aus der Spannungs-Dehnungs-Kurve lässt
sich auch der Elastizitätsmodul E nach (2.151)
ableiten. Er ist die Steigung der Spannungs-
Dehnungs-Kurve im Ursprung. In Abb. 2.85
ist E = 2 · 105 N/mm2 . Eine weitere Werkstoff-
kenngröße ist die Bruchdehnung εB , also die
Dehnung im Bruchpunkt B. In Abb. 2.85 ist
εB = 6%.
Die plastische Verformung hinterlässt keine
Volumenänderung (ΔV = 0). Dies bedeutet,
dass die Querdehnungszahl nach (2.155) μ =
0,5 beträgt. Für diese reinen Gestaltsänderun-
gen sind also nur Schubspannungen verant-
wortlich. Sie bringen ganze Kristallebenen ent-
lang bestimmter Gitterbaufehler (Versetzun-
gen, Abschn. 9.1.3.2) zum Abgleiten, ohne dass
sich das Kristallgitter geändert hat. Die aus
den Zugversuchen errechneten Materialkenn-
werte müssen unter gleichen Versuchsbedin-
gungen (DIN EN 10 002) stattfinden. Hierzu
Abb. 2.86 Prüfmaschine für den Zugversuch nach zählen die Versuchstemperatur (z. B. 18 ◦ C bis
DIN EN 10002. Werkfoto: Zwick/Röll 25◦ C) und die im Zugversuch gefahrene Zug-
2.11 Mechanik deformierbarer fester Körper – Elastomechanik 119

Abb. 2.87 Spannungs-Dehnungs-Verläufe bei Zugversuchen mit a) stetigem Übergang vom elastischen in den
plastischen Bereich und b) unstetigem Übergang

geschwindigkeit zwischen den Spannungswer- Brinell-Verfahren (HB) nach DIN EN 50 351


ten 10 N/mm2 und 30 N/mm2 . Hierbei wird eine Kugel aus gehärtetem
Stahl oder Hartmetall mit einer Prüfkraft F
2.11.3 Härte fester Körper in die Oberfläche des zu prüfenden Werk-
stoffs gedrückt und der Durchmesser d der
Die Härte eines Stoffs ist der Widerstand ge- Eindrückkalotte gemessen. Der Quotient
gen das Eindringen eines anderen Körpers. aus Prüfkraft F und eingedrückter Oberflä-
Am häufigsten werden in der Materialprüfung che A ist der Brinell-Härtewert HB. Er wird
zur Härtebestimmung metallischer Werkstoffe nach (2.169) in Abb. 2.88 errechnet. Der
statische Eindring-Härteprüfverfahren einge- Faktor 0,102 rechnet die SI-Krafteinheit N
setzt. Dabei drückt man einen Probekörper in kp um (1 N = 0,102 kp). Durch diesen
mit einer Prüfkraft F stoßfrei in einer be- Kunstgriff bleiben die alten Härtewerte unver-
stimmten Zeit in das zu prüfende Material und ändert. Letztendlich bedeutet dies jedoch, dass
misst den Eindruck oder bestimmt die Ein- unverständlicherweise die Einheit kp/mm2
dringtiefe. In Abb. 2.88 sind die drei wichtigs- künstlich beibehalten wird. In Abb. 2.88
ten Verfahren, das sind die Prüfbedingungen angegeben. Die-
ses Härteprüfverfahren wird nur für weiche
– Brinell-Verfahren, Werkstoffe angewandt.
– Vickers-Verfahren und
– Rockwell-Verfahren Vickers-Verfahren (HV) nach DIN EN ISO 8 495
Hierbei wird statt einer harten Kugel eine
vergleichend gegenübergestellt und das Mess- Diamantpyramide mit einer quadratischen
prinzip, die Auswertungsformeln und die An- Grundfläche mit einer Prüfkraft F (Klein-
wendungsgebiete aufgezeigt. Wichtig ist die lastbereich 1,96 N bis 49 N, Normallastbe-
Angabe der Prüfbedingungen beim Dokumen- reich 49 N bis 980 N) in den zu prüfen-
tieren der Härtegrade. den Werkstoff gedrückt und der Eindruck
120 2 Mechanik

Abb. 2.88 Härteprüfverfahren


2.12 Mechanik der Flüssigkeiten und Gase-, Hydro- und Aeromechanik 121

d = (d1 + d2 )/ 2 ermittelt. Die Auswer- Zur Übung


tung erfolgt nach (2.170). Der Faktor 0,102 Ü 2.11-1 Ein Stahlstab der Länge l = 1,5 m rotiert
rührt wie bei der Formel zur Errechnung um eine Achse, die senkrecht zur Stabachse durch ein
Stabende geht. Bei welcher Drehzahl reißt der Stab?
der Brinell-Härte (2.169) von der Umrech-
(Rm = 450 N/mm2 ).
nung von N in kp her. Diese Härteprüfme-
thode ist für weiche und harte Werkstoffe
Ü 2.11-2 Ein Rundstab mit dem Durchmesser d und
einsetzbar. Die Brinell-Härte kann nähe-
Länge l besitzt einen Elastizitätsmodul E. Wenn er in
rungsweise 1:1 in die Vickers-Härte umge- Längsrichtung gezogen wird, verlängert er sich wie
rechnet werden. Nach DIN EN ISO 18 265 eine Feder, es muss also das Hooke’sche Gesetz F = ks
kann man die Zugfestigkeit Rm für Stahl gelten nach (2.32). a) Von welchen physikalischen Grö-
aus der Vickers-Härte nach der Beziehung ßen hängt die Federkonstante k ab? b) Welchen Durch-
Rm ≈ 3,38 HV als ersten Anhaltspunkt ab- messer muss ein Stahlstab mit E = 200 GN/m2 und
Länge l = 1 m haben, wenn seine Federkonstante
schätzen.
k = 1 MN/m sein soll? c) Welche Arbeit ist erforderlich,
um einen Stab um 0,5% zu verlängern? d) Wie groß
Rockwell-Verfahren (HR) nach DIN EN 50 103 ist die relative Volumenänderung des Stabes, wenn die
Hierbei wird die Härte aus der Eindringtiefe Poissonzahl μ = 0,3 beträgt?
eines Probekörpers direkt ermittelt. Eine Prüf-
vorkraft F0 (98 N) stellt einen sicheren Kontakt
zum Prüfling her und erzeugt die Eindring-
2.12 Mechanik der Flüssigkeiten
tiefe s0 , die die Bezugsskala darstellt. Durch und Gase-, Hydro- und
mindestens viermal so große Prüfkräfte wird Aeromechanik
die Eindringtiefe sh bestimmt, aus der an einer
Skala der Härtewert direkt abgelesen werden Die Hydro- und Aeromechanik beschreibt
kann. Zustände und Bewegungen von Flüssigkeiten
In der Praxis werden zwei Varianten einge- und Gasen. Flüssigkeiten sind kaum zusam-
setzt, das Rockwell-B-Verfahren (HRB) und das mendrückbar (inkompressibel), aber ihre
Rockwell-C-Verfahren (HRC). Beide Verfahren Moleküle lassen sich leicht gegeneinander
benutzen die Prüfvorkraft F0 = 98 N und le- bewegen (unbestimmte Gestalt). Gase haben
gen den Härtemaßstab auf 2 μm je Härteein- dagegen weder eine bestimmte Gestalt, noch
heit fest. Der große Vorteil bei der Härtemes- ein bestimmtes Volumen (kompressibel). Sind
sung nach Rockwell ist die Automatisierbar- die Flüssigkeiten oder Gase in Ruhe, so gelten
keit der Methode. Ein Nachteil ist die im Ver- die Gesetze der Hydro- und Aerostatik. Bewe-
gleich zum Brinell- und Vickers-Verfahren ge- gen sich Flüssigkeiten oder Gase, gelten die
ringere Messgenauigkeit. Gleichungen der Hydro- und Aerodynamik.
Obwohl die Härtewerte nach Brinell, Vickers In der Hydrostatik sind der Kolbendruck,
und Rockwell auf unterschiedliche Weise er- der Schweredruck und der Auftrieb von
mittelt werden, können die Härtegrade inner- Bedeutung, in der Aerostatik der Zusammen-
halb bestimmter Bereiche ineinander umge- hang zwischen Druck und Volumen (Boyle-
rechnet werden. Die Vickers-Härte ist der Be- Mariottesches Gesetz) sowie die Abhängigkeit
zugsmaßstab, weil diese Methode das ganze des Drucks von der Höhe (Barometrische
Härtespektrum von weich bis extrem hart Höhenformel).
überdeckt. Die Härtevergleichstabellen sind in In der Hydro- und Aerodynamik unterscheidet
DIN 50 150 genormt. man ideal-reibungsfreie, laminare und turbu-
122 2 Mechanik

Abb. 2.89 Übersicht über die Hydro- und Aerodynamik


2.12 Mechanik der Flüssigkeiten und Gase-, Hydro- und Aeromechanik 123

lente Strömungen. Ihnen liegen die Newton’-


schen Gesetze der Flüssigkeitsbewegung zu-
grunde, die in der Navier-Stokes-Gleichung zu-
sammengefasst sind, wie Abb. 2.89 ausführ-
lich zeigt. Bei den ideal-reibungsfreien Flüssig-
keiten und Gasen gilt die Bernoulli’sche Glei-
chung, bei den laminaren Strömungen sind die
Strömungsverhältnisse für Rohre, Kugeln und
Platten von Bedeutung. Bei den turbulenten
Strömungen treten Wirbel auf, die zum Strö-
mungswiderstand führen und eine Strömungs- Abb. 2.90 Zur Definition des Drucks
leistung erfordern. Der Übergang von lamina-
rer zu turbulenter Strömung wird durch die
Reynolds-Zahl bestimmt, die aus Ähnlichkeits-
(B. Pascal, 1623 bis 1662) benannt. Eine
gesetzen berechnet wird.
weitere spezielle SI-Einheit für den Druck ist
1 bar = 105 Pa. Der irdische Luftdruck liegt
2.12.1 Ruhende Flüssigkeiten (Hydrostatik) bei p ≈ 1 bar.
und ruhende Gase (Aerostatik) Abbildung 2.91 zeigt die zur Druckmessung
eingesetzten Messgeräte (Manometer), deren
2.12.1.1 Druck Anwendungsgebiete und einzelne Manome-
Aufgrund der leichten Verschiebbarkeit der terbauformen. Im Wesentlichen gibt es vier
Moleküle in Flüssigkeiten und Gasen wirken Arten: Flüssigkeits-, Kolben- und Federma-
sich Kräfte auf Flüssigkeits- und Gasvolumina nometer sowie elektrische Druckmesser. Die
im Grenzfall unendlich langsamer Verände- Flüssigkeitsmanometer eignen sich zur Mes-
rungen (statischer Grenzfall) sofort auf das sung geringer Druckdifferenzen, und die Kol-
Gesamtvolumen aus. Es kommt zu einem ein- benmanometer sind robuste Messgeräte. Weil
heitlichen Zustand in den Flüssigkeiten und sie einfach gebaut, robust und preiswert sind,
Gasen, der durch den Druck p beschrieben sind die federelastischen Manometer am wei-
wird. Dieser ist definiert als Quotient aus der testen verbreitet (z. B. das Aneroid-Barometer
Kraft dF, die senkrecht auf ein Flächenele- zur Messung des barometrischen Drucks). Bei
ment dA der Begrenzungsfläche wirkt: den elektrischen Druckmessern wird die me-
chanische Druckenergie durch verschiedene
Effekte direkt in elektrische Energie umge-
dF
p= . (2.171) wandelt. Sie werden zur Messung sehr kleiner
dA
oder sehr großer Drücke sowie zur Druckver-
folgung bei schnell wechselnden Druckvertei-
Durch die Vereinbarung, dass, wie in Abb. 2.90 lungen hoher Frequenzen eingesetzt. Sie ha-
gezeigt, dF die Kraftkomponente senkrecht ben den Vorteil, dass ihre elektrischen Aus-
zur Begrenzungsfläche dA ist, wird die gangssignale direkt zur Steuerung und Rege-
Kraftrichtung festgelegt. Der Druck ist also lung weiterverarbeitet werden können. Bei der
eine skalare physikalische Größe mit der Maß- Auswahl eines geeigneten Manometers sind
einheit 1 N/m2 = 1 Pa. Die Druckmaßeinheit vor allem folgende Punkte zu berücksichti-
ist nach dem französischen Physiker Pascal gen:
124 2 Mechanik

Abb. 2.91 Druckmesser (Werkfotos: Alexander Wigand GmbH)


2.12 Mechanik der Flüssigkeiten und Gase-, Hydro- und Aeromechanik 125

– Aggregatszustand des Messstoffs zeichen kennzeichnet die gegenläufigen Än-


– Druck, Temperatur und weitere Stoffeigen- derungen von Volumen und Druck. Wegen
schaften des Messstoffs sowie der Volumenänderung erfolgt auch eine Än-
– Beeinflussung des Zeitverhaltens der Mess- derung der Dichte ρ = m/ V der Flüssigkeiten
einrichtung durch die Messanordnung. und Gase. Es gilt
Empfehlungen für eine messtechnisch sinn- ΔV ΔV
Δρ = −m = −ρ
volle Druckbestimmung sind in der VDI/VDE- V2 V
Richtlinie 3512, Blatt 3 (Messanordnungen für
und damit
Druckmessungen) enthalten.
Δρ
2.12.1.2 Kompressibilität = κΔp . (2.173)
ρ
Druckerhöhungen bewirken bei Flüssigkei-
ten und Gasen eine Volumenabnahme. Nähe-
rungsweise ist die relative Volumenänderung Die Kompressibilität κ der Flüssigkeiten ist im
ΔV / V proportional zur Druckänderung Δp: Vergleich zu den Werten bei Gasen sehr klein.
Die Eigenschaft von Flüssigkeiten, leicht ver-
ΔV schiebbar und näherungsweise inkompressibel
= −κ Δp . (2.172) zu sein, wird in der Technik zur räumlichen
V
Kraftübertragung ausgenützt (Hydraulik). Ab-
bildung 2.92 zeigt als Anwendung dieses Ef-
Die Kompressibilität κ mit der Maßeinheit Pa−1 fekts die hydraulische Presse. Diese hat zwei be-
ist die Proportionalitätskonstante; das Minus- wegliche Kolben mit unterschiedlichen Quer-

Abb. 2.92 Hydraulische Presse, schematisch


126 2 Mechanik

schnittsflächen A1 und A2 . Die Rückschlagven- Gase sind sehr kompressibel. Für ideale Gase
tile ermöglichen wiederholte Pumpstöße auf kann die isotherme Kompressibilität κid. Gas aus
den Presskolben: Durch Öffnen des Absperr- der Zustandsgleichung (Abschn. 3.1.5, (3.20))
ventils kann der Presskolben wieder zurückge- berechnet werden:
fahren werden. Wird der Pumpenkolben durch
eine Kraft F1 reibungsfrei um die Wegstrecke s1 1
verschoben, so drückt das verschobene Volu-
κid. Gas = . (2.175)
p
men den Presskolben mit einer Kraft F2 um die
Wegstrecke s2 nach oben. Wegen der Gleichheit
des Volumens (Inkompressibilität der Flüssig- Sie hängt nur vom Gasdruck und nicht von der
keiten) gilt A1 s1 = A2 s2 . Gasart ab.
Ferner muss die am Pumpenkolben aufge- Die in komprimierten Gasen gespeicherte me-
wandte Arbeit W1 = F1 s1 gleich der am Press- chanische Arbeit lässt sich wegen der leich-
kolben frei werdenden Arbeit W2 = F2 s2 sein. ten Verschiebbarkeit der Gasmoleküle in ei-
Es gilt F1 s1 = F2 s2 . Durch Division erhält man nem Gasvolumen an jeder Stelle entnehmen.
Komprimierte Gase, vor allem Pressluft, wer-
F1 F2
= oder p1 = p2 = p . den in Maschinenanlagen als Energieträger für
A1 A2 Arbeitsprozesse und Steuerungen eingesetzt
Für die Kraft F2 am Presskolben folgt (Pneumatik). Die Expansionsvorgänge, beson-
A2 ders bei pneumatischen Regelungen, erfolgen
F2 = F1 .
dabei im Allgemeinen so schnell, dass die Ar-
A1
Dies bedeutet, dass die Kraft F2 im Presskol- beitsabgabe isentrop erfolgt (Abschn. 3.3.4.4).
ben um das Verhältnis A2 :A1 größer ist als die
Pumpkraft F1 . Für kreisförmige Kolben mit 2.12.1.3 Volumenausdehnungskoeffizient
den Durchmessern d1 und d2 ergibt sich Temperaturänderungen ΔT ändern ebenfalls
das Volumen von Flüssigkeiten und Gasen.
Die relative Volumenänderung ΔV / V0 ist nä-
F1 A1 d21
= = . (2.174) herungsweise proportional zur Temperaturän-
F2 A2 d22 derung:

ΔV
Weitere Hydraulikanwendungen sind Flüssig- = γΔϑ . (2.176)
keitsbremsen, hydraulische Hebebühnen oder V0
Druckwandler. Abbildung 2.93 zeigt das Prin-
zip. Wird die Kraft auf zwei Kolben unter- γ ist der Volumenausdehnungskoeffizient;
schiedlicher Fläche konstant gehalten, so tre- seine Maßeinheit ist K−1 . In der Technik
ten Druckunterschiede auf (p1 < p2 ). wird als Bezugsvolumen das Volumen V0 bei
ϑ0 = 0 ◦ C angesetzt. Beträgt bei ϑ0 = 0 ◦ C die
Dichte ρ0 = m/ V0 , so ändert sie sich infolge
der temperaturbedingten Volumenänderung.
Bezogen auf das Volumen
V = V0 + ΔV = V0 (1 + γΔϑ)
Abb. 2.93 Druckwandlung ist die Dichte
2.12 Mechanik der Flüssigkeiten und Gase-, Hydro- und Aeromechanik 127

m ρ0
ρ= = . (2.177)
V 1 + γΔϑ

Der Volumenausdehnungskoeffizient der Flüs-


sigkeiten ist klein im Vergleich zu dem von Ga-
sen (Abschn. 3.1.4). Für alle idealen Gase ist er Abb. 2.94 Zum Schweredruck in einer Flüssigkeit
gleich und beträgt γ = 1/ T0 = 1/ 273,15 K−1 =
0,00366 K−1 .
aber von der Form des Gefäßes abhängt. Man
2.12.1.4 Schweredruck spricht hierbei vom hydrostatischen Parado-
Durch die Gewichtskraft der Moleküle xon.
wird in tieferen Schichten von Flüssigkei- Die Summe von äußerem Druck pa und
ten und Gasen die Kraft auf die Begren- Schweredruck py wird hydrostatischer Druck
zungsfläche des Flüssigkeits- oder Gasvo- phydr genannt. Die Abhängigkeit des hydro-
lumens erhöht. In größeren Tiefen ist der statischen Drucks von der Tiefe y (Abb. 2.94)
Druck in der Flüssigkeit oder im Gas um ergibt sich aus
den Schweredruck erhöht. Die Druckerhö-
hung dp bei einer kleinen Zunahme dy
der Tiefe der Flüssigkeits- oder Gassäule phydr = pa + ρ g y . (2.180)
beträgt

Wie (2.180) zeigt, kann zur Druckmessung


dp = ρg dy . (2.178) die Höhe einer Flüssigkeitssäule verwendet
werden (Flüssigkeitsmanometer). Der Schwe-
redruck von 10 m Wasser beträgt nach (2.179)
ρ ist die Dichte der Flüssigkeits- oder Gas- etwa 1 bar = 105 Pa.
schicht in der Tiefe y.
Der Schweredruck auf eine seitliche Fläche As
wird Seitendruck genannt. Da der Schwere-
Schweredruck in Flüssigkeiten druck proportional zur Tiefe y zunimmt, greift
Wegen der Schwerkraft wirkt auf eine Flä- die resultierende Kraft Fs nicht im Flächen-
che zusätzlich zu einem äußeren Druck pa schwerpunkt S, sondern in einem tiefer ge-
die Gewichtskraft FG der über dieser Flä- legenen Punkt, dem Druckmittelpunkt S an,
che liegenden Flüssigkeitssäule, wie Abb. 2.94 wie Abb. 2.95 verdeutlicht. Zur Berechnung
zeigt. Diese Gewichtskraft beträgt FG = mg = der seitlich wirkenden Kraft wird die Fläche
ρA y g. Für den Flüssigkeitsdruck am Ende der in Teilflächenstücke dA unterteilt. Die Seiten-
Säule ergibt sich durch Integration von (2.178) kraft dFs innerhalb einer Teilfläche dA beträgt
dFs = ρ g y dA. Für die gesamte Seitenkraft gilt
dann
py0 = ρ g y0 . (2.179)
y2 y2
Dies bedeutet, dass der Schweredruck von Fs = ρgy dA = ρ g y dA .
Flüssigkeiten lediglich von der Füllhöhe, nicht y1 y1
128 2 Mechanik

Damit ergibt sich für den Druckmittelpunktab-


stand

Is
a= . (2.183)
ys As

Die Seitendruckkräfte können besonders am


Fuß von Staudämmen erhebliche Werte errei-
chen und erfordern deshalb in diesem Bereich
große Staudammquerschnitte.

Beispiel
2.12-1 Ein b = 2 m breites und h = 3 m hohes seitli-
ches Loch in einer Schleusenwand wird von einer Platte
Abb. 2.95 Seitendruck in einer Flüssigkeit verschlossen, deren Schwerpunkt ys = 10 m unter dem
Wasserspiegel (ρ = 1 · 103 kg/m3 ) liegt. Berechnet wer-
y
Das Integral y12 y dA wird statisches Moment den sollen die Seitendruckkraft Fs und der Abstand a
Ms = ys As genannt. (ys ist die Tiefe vom Flüs- des Schwerpunkts vom Angriffspunkt der resultieren-
den Seitenkraft Fs .
sigkeitsspiegel bis zum Schwerpunkt S.) Somit
gilt für die Seitendruckkraft Lösung
Für die Seitendruckkraft Fs gilt nach (2.181)

Fs = ρgys As = 103 · 9,81 · 10 · 2 · 3 N = 5,89 · 105 N .


Fs = ρ g ys As . (2.181)
Dieser Wert zeigt, wie außerordentlich groß die Sei-
tendruckkräfte sind. Den Druckmittelpunktsabstand a
Weil das Moment der Seitendruckkraft Fs erhält man nach (2.183): a = Is / (ys As ) mit dem Flä-
bezüglich S übereinstimmen muss mit der chenträgheitsmoment Is = b h3 / 12. Somit errechnet
Summe (Integral) der Einzelmomente, gilt man
bh3 1
z =y1 −ys a= = 7,5 cm .
12 ys bh
Fs a = − zρg(ys − z) dA , oder
z = ys −y2
y1 −ys y1 −ys Schweredruck in Gasen
ys As a = −ys z dA + z2 dA . Der Schweredruck eines Gases errechnet sich
ys −y2 ys −y2 aus der über einer Bezugsebene stehenden
Gassäule. Da die Gase durch die Wirkung
Das erste Integral ist null, das zweite ist das der Erdanziehungskraft komprimiert werden,
Flächenträgheitsmoment Is der Fläche As be- nimmt die Dichte des Gases mit zunehmen-
züglich S: der Höhe ab. Aus diesem Grund kann (2.178)
nur für eine kleine Höhendifferenz dh gültig
sein, innerhalb derer die Dichte annähernd
Is = z2 dA . (2.182) konstant ist. Bei einer Höhenzunahme dh
As über Meereshöhe nimmt die Höhe der Gas-
säule und damit der hydrostatische Druck um
2.12 Mechanik der Flüssigkeiten und Gase-, Hydro- und Aeromechanik 129

dp = −ρg dh ab. Unter der Voraussetzung einer aufgetragen. Werden die errechneten Werte in
konstanten Temperatur (Boyle-Mariotte’sches die barometrische Höhenformel eingesetzt, so
Gesetz, Abschn. 3.1.5, (3.15)) gilt für den Zu- gilt für Luft
sammenhang zwischen Druck und Dichte ρ =
(ρ0 p)/ p0 . Somit gilt
p = 1,01325 · 105 Pa · e−1,256 · 10
−4 m−1 h
.
p h
dp ρg (2.185)
=− 0 dh bzw.
p p0
p0 0

p ρ0 g Die Höhe, bei der der Ausgangspunkt nur noch
ln =− h oder halb so groß ist (p = p0 / 2, Halbwertshöhe),
p0 p0
beträgt h1/ 2 = 5,54 km. Dies bedeutet, dass
der Luftdruck nach h = 5,54 km auf die Hälfte
ρ g
− p0 h abnimmt (Abb. 2.96).
p = p0 e 0 und
ρ0 g Die internationale Höhenformel berücksich-
ρ = ρ0 e− p0 h . (2.184) tigt die Temperaturabnahme mit steigender
Höhe. Sie ist bis zur Tropopause (h = 11 km)
gültig und lautet
Dies ist die barometrische Höhenformel. Sie
zeigt, dass der Schweredruck eines Gases mit
5,255
steigender Höhe h über dem Ausgangsniveau 6,5
p = 1,013 · 105 Pa 1 − h .
exponentiell abfällt, und gilt, wenn in jeder 288 km
Höhe dieselbe Temperatur ϑ herrscht. (2.186)
Für die Normatmosphäre nach DIN 5450
ist für eine Lufttemperatur ϑ = 0 ◦ C,
p0 = 1,01325 · 105 Pa und ρ0 = 1,293 kg/m3 . Mit der Temperaturkorrektur ergibt sich für
Somit beträgt der Exponent in der barometri- den Dichteverlauf in der Erdatmosphäre
schen Höhenformel ρ0 g / p0 = 1,256 · 10−4 m−1 .
Abbildung 2.96 zeigt die Druckabhängigkeit 4,255
kg 6,5
von der Höhe h für Luft. Zum besseren ρ = 1,2255 3 1− h .
m 288 km
Vergleich ist der Druck normiert als p/ p0
(2.187)

Der Luftdruck in Meereshöhe beträgt im Jah-


resdurchschnitt p = 101 325 Pa (Normdruck).
Der aktuelle Luftdruck ist zusätzlich noch von
der jeweiligen Temperatur und der Wetter-
lage abhängig. Otto von Guericke (1602 bis
1686) bewies 1654 die Wirkung des Luftdrucks
durch sein Experiment mit den Magdeburger
Halbkugeln. Er pumpte zwei Halbkugelschalen
(Halbmesser r = 21 cm) mit einer selbsterfun-
Abb. 2.96 Barometrische Höhenformel für Luft denen Luftpumpe nahezu luftleer. Der äußere
nach (2.185) Luftdruck presste deshalb die beiden Halbku-
130 2 Mechanik

geln mit einer Kraft F = p0 πr2 ≈ 1,4 · 104 N mit mverd bzw. FG, verd als der Masse bzw. der
zusammen. Diese Kraft war so groß, dass acht Gewichtskraft des verdrängten Flüssigkeits-
Pferde an jeder Seite die Kugel nicht auseinan- oder Gasvolumens. Die Auftriebskraft FA ist
derziehen konnten. demnach gleich der Gewichtskraft des ver-
drängten Flüssigkeits- bzw. Gasvolumens. Sie
2.12.1.5 Auftrieb hängt nur vom Volumen des eingetauchten
Körpers bzw. von der verdrängten Flüssig-
Wegen des Schweredrucks von Flüssigkeiten
keitsmenge, nicht aber von seinem Gewicht
und Gasen sind alle in Flüssigkeiten und Ga-
ab. Bei gleichem Eintauchvolumen erfährt also
sen eingetauchte Körper leichter als außerhalb
ein Stück Holz dieselbe Auftriebskraft wie ein
dieser Medien (Archimedisches Prinzip) (Ar-
Stück Blei.
chimedes, 287 bis 212 v. Chr.). Diese Erschei-
Je nach dem Gewicht FG des eingetauchten
nung wird Auftrieb genannt. Abbildung 2.97
Körpers sind drei Fälle zu unterscheiden:
zeigt einen in eine Flüssigkeit oder ein Gas
eingetauchten Körper. Da sich die Seitenkräfte
Fs1 und Fs2 gegenseitig aufheben, bleibt wegen FG < FA : Der Körper schwimmt.
der Höhendifferenz h2 − h1 eine Kraftdifferenz FG = FA : Der Körper schwebt.
F2 − F1 auf die Unterfläche bestehen, die gleich FG > FA : Der Körper sinkt.
der Auftriebskraft FA ist. Wenn die Dichte ρfl
der Flüssigkeit oder des Gases konstant ist, be-
Durch die Wirkung ihrer Auftriebskraft kön-
trägt die Auftriebskraft
nen die Dichten von festen Körpern und Flüs-
sigkeiten bestimmt werden. Dabei ist es er-
FA = F2 − F1 = A(p2 − p1 ) forderlich, dass die Gewichtskräfte des festen
= Aρfl g(h2 − h1 ) . Körpers in Luft (FG,L ) und nach dem Eintau-
chen in eine Flüssigkeit (FG,E ) gemessen wer-
Da A(h2 − h1 ) das Volumen des Körpers den, z. B. durch eine hydrostatische Waage. Der
bzw. das durch den eingetauchten Körper Gewichtsunterschied FG,L − FG,E ist gleich der
verdrängte Flüssigkeitsvolumen Vverd ist, gilt Auftriebskraft:

FA = ρfl gVverd = mverd g = FG, verd FG,L − FG,E = FA = ρfl Vg .


(2.188)
Wird für das Volumen des festen Körpers
V = m/ρK gesetzt und das Gewicht des festen
Körpers durch FG,L = mg ausgedrückt, ergibt
sich

m ρfl
FG,L − FG,E = ρfl g = F . (2.189)
ρK ρK G,L

Bei bekannter Dichte ρfl der Flüssigkeit lässt


sich die Dichte ρK des festen Körpers berech-
Abb. 2.97 Zur Entstehung der Auftriebskraft nen:
2.12 Mechanik der Flüssigkeiten und Gase-, Hydro- und Aeromechanik 131

im Schwerpunkt des Körpers SK und die


FG,L ρfl
ρK = ρfl = FG,E
. (2.190) Auftriebskraft FA im Schwerpunkt SFl an. Im
FG,L − FG,E Gleichgewichtszustand fallen die Wirkungs-
1−
FG,L
linien der beiden Kräfte zusammen, sodass
kein Drehmoment M wirksam werden kann.
Ist dagegen die Dichte des festen Körpers be- Wird der Körper gedreht, so gibt es einen
kannt, so ergibt sich die Dichte der Flüssigkeit Schnittpunkt zwischen der Symmetrielinie
gemäß des Körpers und der Auftriebskraft FA . Er wird
Metazentrum M∗ genannt. Der Abstand zwi-
schen den beiden Schwerpunkten SK und Sfl ist
FG,E der Ortsvektor r. Liegt das Metazentrum M∗
ρfl = ρK 1 − . (2.191)
FG,L über dem Körperschwerpunkt SK , dann wird
der Körper vom Drehmoment M = r × F A in
In Flüssigkeiten verschiedener Dichten taucht die Gleichgewichtslage zurückgedreht (stabile
ein schwimmender Körper unterschiedlich tief Lage, Abb. 2.98b). Befindet sich das Metazen-
ein. Aus der Bestimmung der Senktiefe wird trum M∗ unterhalb des Körperschwerpunk-
durch Benutzung von Senkwaagen oder Aräo- tes SK , so kippt der Körper wegen des Momen-
metern in der Praxis häufig die Dichte von Flüs- tes M = r × F A um (instabile Lage, Abb. 2.98c).
sigkeiten ermittelt.
Bei einem schwimmenden Körper kön- 2.12.1.6 Grenzflächeneffekte
nen sich Stabilitätsprobleme ergeben, wie Kräfte, die zwischen gleichartigen Atomen
Abb. 2.98 zeigt. Die Gewichtskraft FG greift oder Molekülen eines Stoffes wirken, werden

Abb. 2.98 Stabilität schwimmender Körper


132 2 Mechanik

Kohäsionskräfte (Zusammenhangskräfte) ge- haben auch Moleküle an der Oberfläche einer


nannt. Sie sind elektrischen Ursprungs und Flüssigkeit eine potentielle Energie, die Ober-
werden auch van der Waals’sche Kräfte genannt flächenenergie genannt wird.
(Abschn. 9.1.1.1). Kohäsionskräfte treten in Wird die Arbeit dW zur Oberflächenvergrö-
festen Körpern und Flüssigkeiten auf. Bei Ga- ßerung auf die Oberflächenänderung dA be-
sen ist ihre Wirkung erst kurz oberhalb der zogen, so ergibt sich die Oberflächenspannung
Siedepunkte feststellbar; die Kohäsionskräfte
verursachen die Abweichungen vom idealen dW
Gasverhalten und den Übergang zum realen σ= . (2.192)
dA
Gas (Abschn. 3.4). Die Kohäsionskräfte sind
allgemein wesentlich stärker als die Gravitati-
Die Einheit ist 1 J/m2 = 1 kg/s2 = 1 N/m .
onskräfte.
Da ein System immer den Zustand kleinst-
Wirken zwischen den Molekülen zweier ver-
möglicher potentieller Energie einnimmt, sind
schiedener Stoffe Anziehungskräfte, so wer-
Flüssigkeitsoberflächen stets Minimalflächen;
den sie Adhäsionskräfte (Anhangskräfte) ge-
z. B. besitzt die Kugel die kleinste Oberfläche
nannt. Sie können zwischen festen Körpern,
unter allen Körpern gleichen Volumens.
festen Körpern und Flüssigkeiten sowie zwi-
Die Oberflächenspannung wird häufig mit ei-
schen festen Körpern und Gasen (Adsorption)
nem beweglichen Bügel nach Abb. 2.100 ge-
wirken.
messen. Ein Drahtbügel der Länge l wird in
die Flüssigkeit getaucht und mit einer Kraft F
Oberflächenspannung herausgezogen. Dabei bildet sich zwischen den
Die zwischen den Molekülen einer Flüssigkeit Eckpunkten ABCD eine dünne Flüssigkeits-
wirkenden Kohäsionskräfte heben sich im In- haut. Werden die Kraft F, bei der die Flüs-
nern der Flüssigkeit auf, da jedes Molekül all- sigkeitshaut reißt, und der Weg Δs gemessen,
seitig von gleichartigen Molekülen umgeben so kann die Oberflächenspannung berechnet
ist, wie Abb. 2.99 zeigt. An der Oberfläche feh- werden. Es gilt nach (2.192)
len die nach außen gerichteten Kräfte. Deshalb
entsteht eine resultierende Kraft F res ins Innere ΔW FΔs F
der Flüssigkeit. Um Moleküle gegen diese Kraft σ= = = . (2.193)
ΔA 2lΔs 2l
an die Oberfläche zu bringen, muss die Ar-
beit W verrichtet werden. Aus diesem Grund

Abb. 2.99 Kohäsionskräfte in Flüssigkeiten Abb. 2.100 Zur Messung der Oberflächenspannung
2.12 Mechanik der Flüssigkeiten und Gase-, Hydro- und Aeromechanik 133

Hierbei ist 2l die gesamte Randlänge der Flüs- Kapillarität


sigkeitshaut an der Vorder- und Rückseite des Bei der Berührung eines Flüssigkeitstropfens
Bügels. Aus (2.193) wird ersichtlich, dass die mit einer festen Unterlage können gemäß
Oberflächenspannung als eine auf eine Rand- Abb. 2.101 zwei Extremfälle auftreten:
linie bezogene Oberflächenkraft verstanden
– vollkommene Benetzung: Die Adhäsions-
werden kann.
kräfte sind größer als die Kohäsionskräfte.
Beispiel Deshalb wird sich die Flüssigkeit auf der
2.12-2 Es ist der Oberflächendruck p in einer Flüssig- Oberfläche des festen Körpers ausbreiten;
keitskugel (oder einer Gaskugel innerhalb einer Flüs- – unvollkommene Benetzung: Die Adhäsions-
sigkeit) bei bekannter Oberflächenspannung σ und kräfte sind wesentlich kleiner als die Kohäsi-
dem Kugelradius r zu bestimmen (σ = 30 · 10−3 N/m,
onskräfte. Deshalb wird sich die Flüssigkeit
r = 1,8 cm). Was wird geschehen, wenn zwei Seifenbla-
sen unterschiedlicher Radien miteinander verbunden tropfenförmig zusammenziehen.
werden?
Es wirken die Grenzflächenspannungen σ13
Lösung zwischen gasförmiger (1) und fester Phase (3),
Wird der Kugelradius r um dr vergrößert, so wird auch σ12 zwischen gasförmiger (1) und flüssiger (2)
die Oberfläche A um dA größer. Somit gilt für die und σ23 zwischen flüssiger (2) und fester
hierfür aufzuwendende Arbeit Phase (3). Der Winkel zwischen der festen
dWauf = F dr = pA dr = p4πr2 dr . Phase und der Flüssigkeitsoberfläche ist α.
Wie aus Abb. 2.101 hervorgeht, müssen die
Andererseits errechnet man nach (2.192) für die Ver-
waagrechten Spannungskomponenten gleich
größerung der Oberflächenenergie
groß sein, damit sich die Flüssigkeit nicht
dWob = σ dA = σ (4π(r + dr)2 − 4πr2 ) verschiebt:
= σ(4πr2 + 8πr dr + 4π dr2 − 4πr2 ) . σ13 = σ23 + σ12 cos α oder
Weil dr2 << 2r dr ist, kann der Ausdruck 4π dr2
ver-
nachlässigt werden und man erhält dWob = σ 8πr dr.
Da die aufzuwendende Arbeit dWauf zur Vergrößerung σ12 cos α = σ13 − σ23 . (2.195)
der Oberflächenenergie dWob verwendet wurde, müs-
sen beide gleich groß sein, sodass also dWauf = dWob
ist. Aus p4πr2 dr = σ 8πr dr folgt der Oberflächendruck Hinsichtlich der Benetzung gilt:

0 α π/ 2: vollkommene Benetzung (z. B.


2σ Wasser/Glas α ≈ 0◦ ).
p= . (2.194)
r
π/ 2 < α π: keine Benetzung (z. B. Queck-
silber/Glas α = 140◦ ).
In diesem Beispiel ist
Benetzungsvorgänge sind beispielsweise
2 · 30 · 10−3
p= N/m2 = 3,33 N/m2 . wichtig für die Wirksamkeit von Wasch-
1,8 · 10−2
mitteln, Herstellung von Emulsionen oder
Aus (2.194) ist ersichtlich, dass der Druck p mit ab-
bei der Schwimmaufbereitung von Erzen.
nehmendem Radius r größer wird. Deshalb wird der
Benetzungserscheinungen spielen auch eine
höhere Druck der kleineren Seifenblase die größere
Seifenblase aufblasen. Dadurch wird die größere Sei- Rolle, wenn enge Röhrchen (Kapillaren) in
fenblase größer und die kleinere kleiner werden; die Flüssigkeiten getaucht werden. Wie Abb. 2.101
größere Seifenblase „schluckt“ also die kleinere. zeigt, tritt der Fall ein, dass in der Kapillare
134 2 Mechanik

Abb. 2.101 Benetzung

die Flüssigkeit um die Höhe h höher (Ka- Bei nicht vollständiger Benetzung ist die Steig-
pillaraszension oder kapillare Hebung) oder höhe h vom Randwinkel α abhängig, sodass
tiefer steht (Kapillardepression oder kapillare σ = σ12 cos α gesetzt werden muss. Dann ist
Senkung). Diese Erscheinung wird allgemein
Kapillarität genannt. σ12 cos α2πr = πr2 hρg .
Im Folgenden ist die Kapillaraszension (kapil-
lare Hebung) von Interesse. Die von der Ober- Somit gilt für die kapillare Steighöhe
flächenspannung σ herrührende Kraft Fσ und
die Gewichtskraft der angehobenen Flüssig- 2σ12 cos α
keitssäule FG müssen gleich groß sein: Fσ = FG .
hsteig = . (2.196)
ρgr
Mit
Fσ = σl = σ2πr und Diese Formel liefert für nicht benetzende Flüs-
FG = mfl g = V ρg = πr2 hρg sigkeiten (π/ 2 < α π) negative Steighöhen.
Sie zeigt ferner, dass die kapillare Hebung bzw.
ergibt sich
Senkung umso größer ist, je kleiner der Radius
σ2πr = πr2 hρg . der Kapillare ist.
2.12 Mechanik der Flüssigkeiten und Gase-, Hydro- und Aeromechanik 135

Die Kapillarwirkung ist für das Aufsteigen von rodynamik die kompressiblen Strömungen un-
Flüssigkeiten in allen porösen Körpern ver- tersucht. Auch Gase sind näherungsweise in-
antwortlich, beispielsweise in Pflanzenfasern, kompressibel, wenn ihre Strömungsgeschwin-
Dochten oder Mauersteinen. digkeit höchstens ein Drittel der Schallge-
schwindigkeit beträgt. Die Strömungsmecha-
Zur Übung
nik kann je nach Berücksichtigung der mole-
Ü 2.12-1 In ein teilweise mit Wasser gefülltes U-Rohr
kularen Reibung in die Strömung idealer Flüs-
mit der Querschnittsfläche A = 1 cm2 werden in einen
Schenkel 4,8 g einer zweiten, wasserunlöslichen Flüs- sigkeiten und Gase und in die Strömung realer
sigkeit eingefüllt. Der Spiegel dieser Flüssigkeit liegt Flüssigkeiten und Gase eingeteilt werden.
um den Abstand a = 1,2 cm über dem Wasserspiegel
des anderen Schenkels. Wie groß ist die Dichte ρ der
2.12.2.1 Strömungsfeld
Flüssigkeit?
Die strömenden Masseteilchen weisen eine
räumliche Geschwindigkeitsverteilung auf; es
Ü2.12-2 Eine Schiffsladung wird im Hafen gelöscht. Es
passiert ein Unfall, bei dem die entladenen Güter ins liegt ein Strömungsfeld vor (zum Feldbegriff
Wasser fallen, das Schiff durch einen umstürzenden s. Abschn. 4.3.1). Das Strömungsfeld ist ein
Kran leck geschlagen wird und sinkt. Hebt oder senkt Vektorfeld: Es beschreibt die Geschwindig-
sich der Wasserspiegel, a) wenn die Güter in das Wasser keitsvektoren der transportierten Masseteil-
fallen, b) wenn das Schiff untergeht? chen an jedem Ort für jeden Augenblick. Es
kann ortsabhängig (inhomogen) oder ortsun-
Ü 2.12-3 Die Wassermenge eines Teiches kann durch abhängig (homogen) und zeitabhängig (insta-
einen Schieber abgelassen werden. Dieser hat eine tionär) oder zeitunabhängig (stationär) sein.
Masse m = 120 kg, er ist h = 1,5 m hoch und b = 2 m
Abbildung 2.102 zeigt die divergierenden Feld-
breit. Mit welcher Öffnungskraft muss der Schieber
zunächst betätigt werden, wenn das Wasser bis zum linien des Strömungsfeldes (Stromlinien) eines
oberen Schieberrand steht (Reibungszahl zwischen Diffusors. Die Tangenten an die Stromlinien
Führungsschiene und Schieber μ = 0,45)? Wie groß des Strömungsfeldes beschreiben in jedem
ist diese, nachdem der Schieber 60 cm hochgezogen Raumpunkt die Richtung der Strömungsge-
wurde? schwindigkeit. Von den Stromlinien zu unter-
scheiden sind die Bahnlinien einer Strömung,
Ü 2.12-4 Ein Wassertropfen mit dem Radius rW =
0,1 cm wird in Tröpfchen mit dem Radius rT = 10−5 cm
zerstäubt. Auf das Wievielfache erhöht sich die Ober-
flächenenergie?

2.12.2 Fluide – strömende Flüssigkeiten


(Hydrodynamik) und Gase (Aerodynamik)

Strömende Flüssigkeiten und Gase sind Ge-


genstand der Strömungsmechanik. Diese be-
schreibt den Transport von Massen (Flüssig-
keiten oder Gasen) aufgrund der Schwerkraft
oder von Druckdifferenzen unter Berücksich-
tigung der Molekülreibung. In der Hydrodyna-
mik werden die inkompressiblen und in der Ae- Abb. 2.102 Stromlinien in einer Stromröhre
136 2 Mechanik

welche die tatsächliche Bewegung der Mas- gleichung, nämlich div E = 0, welche die Mas-
seteilchen während der Strömung beschrei- senerhaltung, die Wärmeerhaltung oder die
ben. Die Bahnlinien können durch Farbstoffe, Ladungserhaltung beschreibt. Die Verknüp-
Rauch- oder Schwebeteilchen (z. B. Bärlapp- fung der Kontinuitätsgleichung mit der Feld-
samen) sichtbar gemacht werden. Im instatio- definitionsgleichung führt in allen Fällen von
nären Zustand ändert sich das Stromlinien- Abb. 2.103 zu einer gleichartigen Differenti-
bild von Augenblick zu Augenblick: Bis das algleichung für die Potentialfunktion ϕ, die
Masseteilchen auf seiner Bahn einen Ort er- den räumlichen Verlauf des Geschwindigkeits-
reicht, hat sich die Geschwindigkeit an diesem potentials, der Temperatur oder des elektri-
Ort gegenüber dem vorhergehenden Augen- schen Potentials beschreibt. Für das jeweilige
blick schon geändert. Nur in stationären Strö- Transportproblem ist also diese Differential-
mungsfeldern fallen Bahnlinien und Stromli- gleichung für die Potentialfunktion, die soge-
nien zusammen. nannte Laplace-Gleichung (P. Laplace, 1749
Abbildung 2.102 zeigt die Stromlinien in ei- bis 1827), unter den geometrischen Randbe-
nem geschlossenen Raumgebiet (Stromröhre). dingungen des Transportproblems zu lösen:
Je größer die Anzahl der Stromlinien ist, die
eine senkrechte Fläche durchströmen, desto ∂2 ϕ ∂2 ϕ ∂2 ϕ
höher ist die Stromdichte durch diese Fläche. Δϕ = + + =0. (2.197)
∂x2 ∂y2 ∂z2
In Abb. 2.102 ist die Stromdichte durch die
Fläche A1 höher als durch die Fläche A2 . Strö-
men aus einer Stromröhre mehr Teilchen her- Die Mathematik hat dafür in der Potentialtheo-
aus, als hineinfließen, dann befindet sich in rie eine Vielzahl an Lösungswegen und Lösun-
der Stromröhre eine Quelle, im umgekehrten gen entwickelt. Experimentell kann die räum-
Falle eine Senke. Fließen gleich viele Teilchen liche Potentialverteilung dreidimensional im
aus der Stromröhre heraus wie hineinfließen, elektrolytischen Trog gemäß Abb. (2.104) oder
so ist die Stromröhre quellen- und senkenfrei. zweidimensional auf Leitfähigkeitspapier be-
Die Darstellung der Ursache des Massentrans- stimmt werden. Dazu werden die Geometrien
ports durch eine Feldgröße, welche die Wech- der Transportwege als Elektroden in einem
selwirkung des Masseteilchens mit der Um- Elektrolyten (z. B. Wasser) bzw. auf Spezial-
gebung beschreibt, ist ein allgemeines Kon- papier aufgezeichnet, durch das Anlegen einer
zept der Physik. Wie aus Abb. 2.103 hervor- elektrischen Spannung an die Elektroden die
geht, unterscheidet sich die Beschreibung des Randbedingungen festgelegt und der Verlauf
Massentransports als Folge des Gefälles (Gra- der elektrischen Spannung und damit das Po-
dienten) des Strömungspotentials mathema- tentialfeld gemessen.
tisch nicht von derjenigen des Wärmetrans- Abbildung 2.105 zeigt die Stromlinien eines
ports bei einem Temperaturgradienten oder Strömungsfeldes bei einer plötzlichen Quer-
des Ladungstransports bei einem elektrischen schnittsveränderung, wie man sie mittels eines
Potentialgradienten. Ist die jeweilige Trans- automatischen Äquipotentiallinienschreibers
portgröße (Masse, Wärmemenge, Ladung) in (Abb. 4.54, Abschn. 4.3.4) aufzeichnen kann.
einem abgegrenzten Raumteil konstant, exis- Werden die Randbedingungen der Temperatur
tieren in diesem Feldbereich also keine Quel- bzw. des Drucks durch proportionale elektri-
len oder Senken der Transportgröße, so gilt sche Spannungen nachgebildet, so können im
für die jeweilige Feldstärke E die Kontinuitäts- elektrolytischen Trog auch Probleme des Mas-
2.12 Mechanik der Flüssigkeiten und Gase-, Hydro- und Aeromechanik 137

Abb. 2.103 Vergleich der Felder in der Hydrodynamik mit den Feldern in der Wärmelehre und in der Elektrizitätslehre
138 2 Mechanik

keiten sind inkompressibel. Die Strömungen


idealer Gase und idealer Flüssigkeiten sind de-
finitionsgemäß reibungsfrei.

Kontinuitätsgleichung (Durchflussgleichung)
Für den Vektor der Massenstromdichte gilt
nach Abb. 2.103

j = ρ . (2.198)

Im allgemeinen Fall wird weder die Strö-


Abb. 2.104 Elektrolytischer Trog (schematisch) mungsgeschwindigkeit konstant sein (keine
parallele Stromlinien), noch die Fläche A senk-
recht durchströmt werden, wie aus Abb. 2.106
hervorgeht. Der Anteil des Massenstroms dṁ,
der ein kleines Flächenelement dA durch-
strömt, beträgt (mit dem Winkel α zwischen
dem Strömungsgeschwindigkeitsvektor und
dem Vektor dA des Flächenelements, der senk-
recht auf der Fläche dA steht)

dṁ = |j dA| cos α = j dA . (2.199)


Abb. 2.105 Stromlinien bei plötzlicher Querschnitts-
veränderung (Auftreten eines Eckenwirbels)
Dies bedeutet: Der Anteil des Massestroms dṁ
ist gleich dem Skalarprodukt aus der Masse-
sentransports (z. B. Stauzonen) oder des Wär- stromdichte j und dem Flächenelement dA.
metransports (z. B. Wärmebrücken) analysiert Durch Integration über die geschlossene Ober-
werden. fläche ergibt sich der gesamte, durch die Ober-
Ist die Potentialfunktion ϕ (x, y, z) ermittelt,
können durch Gradientenbidung die räum-
liche Feldstärkeverteilung bestimmt und da-
mit die zur Feldstärke proportionalen Trans-
portflussdichten, nämlich die Massenstrom-
dichte jH , die Wärmestromdichte jW und die
elektrische Stromdichte jel berechnet werden.

2.12.2.2 Grundgleichungen
idealer (reibungsfreier) Strömungen
Ideale Gase sind Gase, deren Kohäsion ver-
nachlässigbar klein ist, und ideale Flüssig- Abb. 2.106 Zur Kontinuitätsgleichung
2.12 Mechanik der Flüssigkeiten und Gase-, Hydro- und Aeromechanik 139

fläche des eingeschlossenen Volumens ein-


und austretende Massenstrom (analog zum
elektrischen Fluss ψ, (4.131) in Abschn. 4.3.6.1:


dm
ṁ = = j dA = ρ dA . (2.200)
dt Abb. 2.107 Konstanz des Volumenstroms in einer
0 0 Stromröhre (stationäre Strömung)

Drei Fälle treten auf:


Quelle: Das Integral ist > 0; W1 = p1 ΔV1 = p1 A1 Δs1 aufgebracht werden.
Senke: Das Integral ist < 0 und Wegen der Inkompressibilität der Flüssigkeit
Quellenfreiheit: Das Integral ist = 0. tritt bei A2 dann ein gleich großes Volumen
Quellen- bzw. Senkenfreiheit bedeutet, dass ΔV2 = ΔV1 = ΔV aus und verrichtet die Arbeit
der Massenstrom durch ein Volumenelement W2 = p2 ΔV2 = p2 A2 Δs2 . Hat das Flüssigkeits-
konstant bleibt. Für eine solche stationäre volumen am Ort der Querschnittsfläche A1
Strömung existiert eine Kontinuitätsglei- die potentielle Energie ρΔV1 gh1 und die ki-
chung; sie ergibt sich aus (2.200) für dm/ dt = netische Energie 12 ρΔV21 sowie bei A2 die
konstant durch Integration zu potentielle Energie ρΔVgh2 und die kinetische
Energie 12 ρΔV22 , so gilt nach dem Energieer-
haltungssatz bei vernachlässigbarer Reibung
ṁ = ρ1 1 A1 = ρ2 2 A2 = ρA = konstant . gemäß Abb. 2.108a
(2.201)

1
ΔW = ρ ΔV1 + ρ ΔVgh1
2
2
Bei inkompressiblen Flüssigkeiten ist die 1
Dichte ρ konstant. Für diese und Gasströmun- − ρ ΔV22 + ρ ΔVgh2 .
2
gen mit vernachlässigbaren Druckunterschie-
den geht (2.201) in Mit ΔW = p2 ΔV − p1 ΔV folgt daraus

ṁ 1 2 1
V̇ = = A = konstant (2.202) p1 + ρ + ρgh1 = p2 + ρ22 + ρgh2
ρ 2 1 2
(2.203)

über. Der Volumenstrom V̇, das Produkt aus


der Querschnittsfläche A und der Strömungs- oder allgemein
geschwindigkeit = ds/ dt, ist entsprechend
Abb. 2.107 konstant.
1 2
p + ρ + ρgh
Bernoulli-Gleichung !"#$ !2"# $ !"#$
statischer dynamischer geodätischer
Um ein Flüssigkeitsvolumen ΔV1 = A1 Δs1 Druck Druck Druck
durch die Querschnittsfläche A1 in die Strö- (Staudruck)

mungsröhre einzubringen, muss bei dem = pges = konstant . (2.204)


dort herrschenden Druck p1 die Arbeit
140 2 Mechanik

Abb. 2.108 Zur Bernoulli-Gleichung: a) Stromröhre, b) Druck- und Energieverlauf

Diese Gleichung wird nach ihrem Entdecker sche Druck geringer ist als in Punkt 1 . Zudem
Bernoulli-Gleichung genannt (D. Bernoulli, ist die Lage des Punktes 2 tiefer, sodass auch
1700 bis 1782). Sie besagt, dass an jedem Ort der geodätische Druck abnimmt. Da aber die
für eine Stromlinie die Summe aus statischem, Summe aller Drücke konstant sein muss, hat
geodätischem und dynamischem Druck (Stau- dies zur Folge, dass der statische Druck p2
druck) konstant ist. stark zunehmen muss.
Analog zur Energieerhaltung ist in Abb. 2.108b Während der geodätische Druck ρgh und
an der Seite die Druckerhaltung nach der Betriebsdruck p bereits aus der Mecha-
der Bernoulli-Gleichung aufgezeigt. Aus nik der ruhenden Flüssigkeiten und Gase
Abb. 2.108a ist erkennbar, dass an Punkt 2 bekannt sind (hydrostatischer Druck, (2.180)
wegen der größeren Fläche A2 die Durch- in Abschn. 2.12.1.4), tritt der dynamische
strömgeschwindigkeit 2 kleiner und damit Druck (Staudruck) nur in strömenden Medien
auch die kinetische Energie bzw. der dynami- auf.
2.12 Mechanik der Flüssigkeiten und Gase-, Hydro- und Aeromechanik 141

Anwendungen der Kontinuitäts-


2 pdyn
und der Bernoulli-Gleichung = . (2.205)
ρ
Druck- und Volumenstrommessung
Abbildung 2.109 zeigt die Wirkungsweise von Mit dem Prandtl’schen Staurohr werden lokale
Druckmessern, deren Messgrößen sowie die Strömungsgeschwindigkeiten ermittelt. Soll
Berechnungsgleichungen. der Volumenstrom durch eine Querschnitts-
Die Drucksonde misst durch radiale Öffnun- fläche A nach (2.202) berechnet werden, dann
gen im Mantel der Sonde (parallel zu den muss durch Ausmessen des Strömungsge-
Stromlinien) den statischen Druck pstat . Bei schwindigkeitsprofils über die Querschnitts-
den Drucksonden wird meist ein piezoelektri- fläche die mittlere Strömungsgeschwindigkeit
scher Drucksensor eingesetzt. Den statischen abgeschätzt werden.
Druck pstat und den Staudruck pdyn misst das Besser geeignet zur Volumenstrommessung
Pitot-Rohr (H. Pitot, 1695 bis 1771), das eine sind die Drosselgeräte nach DIN EN ISO 5167,
axiale Bohrung hat. Das Prandtl’sche Staurohr mit denen man direkt die mittlere Strömungs-
(L. Prandtl, 1875 bis 1953) ist eine Kom- geschwindigkeit m misst. In Drosselgeräten
bination von Drucksonde und Pitot-Rohr. Es wird durch Düsen oder Blenden der Strö-
misst den Differenzdruck zwischen Gesamt- mungsquerschnitt vermindert – Abb. 2.110
druck und statischem Druck, d. h. den dyna- zeigt drei Ausführungen – und aus der Dif-
mischen Druck bzw. den Staudruck pdyn di- ferenz der statischen Drücke vor und im Be-
rekt. Sind Druck und Dichte konstant, dann reich der Drosselstelle die mittlere Strömungs-
eignet sich das Prandtl’sche Staurohr auch geschwindigkeit berechnet. Mit Berücksichti-
zur Bestimmung der Strömungsgeschwindig- gung der Reibungsarbeit WR und der Kom-
keit . Für reibungsfreie Strömungen ergibt pressionsverluste WK am Drosselgerät lautet
sich aus (2.204) die Beziehung für ein Volumenelement ΔV

Abb. 2.109 Messung des Drucks und des Volumenstroms


142 2 Mechanik

Abb. 2.110 Drosselgeräte nach DIN EN ISO 5167

1 2 1 WR WK luste vernachlässigt, dann ergibt sich der Stau-


p1 + ρ1 = p2 + ρ2 22 + + . druck
2 1 2 ΔV ΔV
(2.206)
1 2 1 2
ρ2 = α ε p1 − p2 + ρ1 1
2 2
2 2 2
Die Kompressionsarbeit WK ist abhängig
und mit (2.201) die Strömungsgeschwindig-
vom Isentropenexponenten κ = cp / cv (Ab-
keit an der Drosselstelle:
schn. 3.3.3), bei inkompressiblen Medien aber
vernachlässigbar. Die Reibungsverluste WR

2 = αε

der Flüssigkeit oder des Gases an der Grenz- 2(p1 − p2 )



. (2.209)
schicht des Drosselgeräts können auch zur ρ2 A22 2 2
ρ2 1 − αε
Entstehung von Wirbeln führen. Die Ver- ρ1 A21
lustanteile in (2.206) werden mit Hilfe der
Expansionszahl ε und der Durchflusszahl α
auf die kinetische Energie der Strömung im Somit beträgt der Volumenstrom
Drosselgerät bezogen:

V̇ = A2 2



WK

= αεA2


2(p1 − p2 )
ε=
ΔV ,



ρ2 A22 2 2
.
1 − 1 (2.207)
ρ2 2 ρ2 1− α ε
2 2 ρ1 A21


WR (2.210)

α=
ΔV .
1 − 1 (2.208)
ρ2 2 Das Korrekturfaktorprodukt αε ist abhängig
2 2
von der Drosselgerätebauweise und von der
Stärke des Volumenstroms. Es muss auf einer
Werden (2.207) und (2.208) in (2.206) einge- Eichstrecke bestimmt werden; für Normdros-
setzt und die quadratischen Glieder der Ver- selgeräte ist αε in DIN EN ISO 5167 tabelliert.
2.12 Mechanik der Flüssigkeiten und Gase-, Hydro- und Aeromechanik 143

Das Venturi-Rohr wird häufig zur Bestimmung Nach (2.201) erhält man den Massenstrom aus
der Strömungsgeschwindigkeit in Flüssigkei- ṁ = ρA oder
ten eingesetzt. Bei ihm ist in weiten Volumen-
strombereichen αε = 1; allerdings ist beim
Venturi-Rohr, besonders bei der Messung von ṁ = ρA 2gh . (2.212)
Gasströmen, der Wirkdruck p1 − p2 im Ver-
gleich zu den anderen Drosselgeräten klein.
In der Praxis sind weit geringere Werte für die
Blenden in Gasströmungen liefern einen ho-
Ausflussgeschwindigkeit 2 oder den Massen-
hen, leicht messbaren Wirkdruck. Bei Blenden
strom ṁ festzustellen. Dies ist auf zwei Ein-
ist αε < 1 und stark strömungsabhängig.
flüsse zurückzuführen:

Ausfließen von Flüssigkeiten aus Gefäßen – Flüssigkeitsreibung: Die Flüssigkeitsreibung


Ein mit Flüssigkeit gefülltes Gefäß entspre- wird durch die Geschwindigkeitsziffer ϕ be-
chend Abb. 2.111 habe in der Höhe h un- rücksichtigt (für Wasser beträgt ϕ ≈ 0,97);
terhalb des Flüssigkeitsspiegels ein Loch, das – Verengung des austretenden Strahls (Kon-
so klein ist, dass der Flüssigkeitsspiegel beim traktion): Am Ausflussloch tritt eine Ein-
Ausströmen kaum sinkt (1 << 2 ). Für das Ni- schnürung des austretenden Flüssigkeitss-
veau 1 und das Niveau 2 ist der statische Druck trahls ein, sodass sich der Ausflussquer-
gleich dem Luftdruck p0 . Nach der Bernoulli- schnitt verkleinert. Der Grad der Einschnü-
Gleichung (2.204) gilt rung wird durch die Kontraktionszahl α be-
rücksichtigt, die von der Ausflussform ab-
ρ21 ρ22 hängt (für scharfkantige Ausflussöffnungen
ρgh1 + + p0 = ρgh2 + + p0 .
2 2 α ≈ 0,61).
Daraus folgt Das Produkt aus beiden Einflussgrößen ist die
Ausflusszahl

2 = 2gh . (2.211)
μ = ϕα . (2.213)

Die Ausflussgeschwindigkeit 2 ist gleich der


Geschwindigkeit des freien Falls irgendeines Mit der Ausflusszahl μ müssen die Werte für
Körpers (auch der Flüssigkeitssäule) aus der die Ausflussgeschwindigkeit 2 (2.211) und den
Höhe h (Abb. 2.111b). Dies wurde bereits Massenstrom ṁ (2.212) multipliziert werden,
von E. Torricelli (1608 bis 1647) festgestellt. um realistische Ergebnisse zu erzielen (z. B.
für Wasser bei scharfkantiger Ausflussöffnung
μ = ϕ α = 0,59).

Saugeffekt von Strömungen


Wie Abb. 2.112 zeigt, nimmt (bei gleichblei-
bendem geodätischem Druck) mit zunehmen-
der Strömungsgeschwindigkeit der Betriebs-
druck p nach der Bernoulli-Gleichung ab. Dies
Abb. 2.111 Zum Torricelli’schen Ausflussgesetz führt zu Saugeffekten bei Strömungen.
144 2 Mechanik

Abb. 2.112 Statischer und dynamischer Druck


in Abhängigkeit von der Geschwindigkeit
(Bernoulli-Gleichung).

– Zerstäuber: Durch ein waagrechtes Rohr


strömt Luft. Die Strömungsgeschwindigkeit
nimmt im Punkt A in Abb. 2.113 wegen der Abb. 2.114 Prinzip der Wasserstrahlpumpe
Einengung des Rohrs zu, sodass auch der
dynamische Druck an der Stelle A zunimmt man auf diese Weise leerpumpen. Die un-
und sich der Betriebsdruck im Steigrohr tere Grenze der Wirksamkeit der Wasser-
vermindert. Der Luftdruck p0 wirkt auf die strahlpumpe wird durch den Dampfdruck
Flüssigkeit im Steigrohr, die im Luftstrahl des Wassers gesetzt; bei Raumtemperatur
zerstäubt wird. liegt der Grenzwert bei p ≈ 2,7 · 103 Pa.
– Wasserstrahlpumpe: Durch eine Düse wird – Hydrodynamisches (aerodynamisches) Pa-
der Wasserstrahl eingeschnürt, sodass am radoxon: Ein Flüssigkeits- oder Gasstrahl,
Punkt A in Abb. 2.114 eine höhere Strö- der gemäß Abb. 2.115 gegen eine bewegli-
mungsgeschwindigkeit auftritt (höherer dy- che Platte gerichtet ist, drückt diese nicht
namischer Druck). Der dadurch vermin- weg, sondern zieht sie an. Der statische
derte statische Druck bewirkt, dass Luftteil-
chen in der Umgebung angesaugt werden.
Einen angeschlossenen Rezipienten kann

Abb. 2.113 Prinzip des Zerstäubers Abb. 2.115 Hydrodynamisches Paradoxon


2.12 Mechanik der Flüssigkeiten und Gase-, Hydro- und Aeromechanik 145

Druck pstat nimmt an der Plattenoberfläche Strömungsimpuls


ab, sodass der äußere Druck p0 die bewegli- Geschwindigkeitsänderungen strömender Me-
che Platte an den Strahl presst. Dieser Effekt dien bewirken Impulsänderungen, die nach
kann leicht nachvollzogen werden, wenn ein dem Impulssatz (Abschn. 2.5.2.1) Kräfte
spritzender Gartenschlauch in einen sich ergeben. Solche Kräfte treten in der Strö-
füllenden Eimer getaucht wird. Wird der mungslehre vor allem beim Verzögern oder
Schlauch in Richtung des Eimerbodens ge- Beschleunigen der Medien sowie beim Um-
führt, so wird er kurz vor dem Boden direkt lenken auf. Der Impulssatz wird im Folgenden
an den Eimerboden gepresst. Mit diesem Ef- auf reibungsfreie, inkompressible Medien und
fekt ist auch erklärbar, weshalb sich dicht stationäre Strömungen beschränkt. Der Vor-
nebeneinander fahrende Fahrzeuge anzie- teil bei der Anwendung des Impulssatzes ist,
hen können. dass nur die Strömungsverhältnisse beim Ein-
– Magnus-Effekt: Rotiert ein Zylinder in einer tritt in und Austritt aus dem Strömungsraum
strömenden Flüssigkeit oder in Gas entspre- bekannt sein müssen, um die Kraftwirkungen
chend Abb. 2.116, so nimmt die Strömungs- zu bestimmen, nicht aber die Strömungsvor-
geschwindigkeit an der Oberseite zu. Weil gänge im Inneren des Strömungsraumes. Der
dadurch der statische Druck an der Ober- Impulssatz lautet nach (2.50)
seite kleiner wird als an der Unterseite, er- dp
fährt der Zylinder eine senkrecht zur Strö- Fa = .
dt
mung wirkende, Magnus-Effekt genannte
Darin ist der Impuls p = m. Mit der Dichte
Kraft F (H. G. Magnus, 1802 bis 1870).
Beispiel ρ = m/ V kann für den Impuls in strömenden
2.12-3 In einer Stahlflasche befindet sich Gas unter Medien geschrieben werden
dem Druck pGas . Der äußere Druck beträgt p0 . Wie
groß ist die Ausströmgeschwindigkeit aus beim Öffnen
des Ventils? p = ρ V . (2.215)
Lösung
Nach der Bernoulli-Gleichung (2.204) gilt im vorlie-
genden Fall pGas = ρ2aus / 2 + p0 . Daraus ergibt sich das In inkompressiblen, stationären Strömungen
Ausströmgesetz nach Bunsen: sind Dichte und Geschwindigkeit konstant.
Dann gilt für die Impulsänderung

2(pGas − p0 )
aus = . (2.214)
ρ dp dV
= ρ . (2.216)
dt dt

Der Impulssatz für einen beliebigen Strö-


mungsraum lautet damit

dV
Fa = ρ . (2.217)
dt


Fa äußere Kräfte, die an den Gren-
Abb. 2.116 Magnus-Effekt zen des Strömungsraums von au-
146 2 Mechanik

ßen angreifen (z. B. Druck- oder


Schwerekräfte),
dV
ρ Impulskräfte, die an den Grenzen
dt
des Strömungsraums nach außen
wirken.

Das Vorzeichen ist beim Eintritt in den Strö-


mungsraum positiv und beim Verlassen nega-
tiv. Bei der Anwendung des Impulssatzes ist
folgende Vorgehensweise zweckmäßig:

– Abgrenzen des Systems (Strömungsraums) Abb. 2.117 Zum Impulssatz in der Hydrodynamik:
und Festlegen des Ein- und Austritts des Wasserstrahl aus einer Düse a) auf eine feststehende
Strömungsraums; Platte, b) auf eine mit der Geschwindigkeit u bewegte
– Ermitteln der Querschnitte, der Strömungs- Platte
geschwindigkeiten und Drücke am Ein- und
Austritt; Beispiel
– Bestimmen der äußeren Kräfte und der Im- 2.12-4 Ein Rohrkrümmer von 90◦ hat einen Durch-
pulskräfte sowie messer (Nennweite) d = 10 cm. Bei einem äußeren
Druck p = 5 · 105 Pa fließen V̇ = 0,2 m3 /s Wasser hin-
– Ermitteln der resultierenden Kraft (grafisch
durch. Der Krümmer ist am Eintritt und am Austritt an
und analytisch). ein gerades Rohrstück angeflanscht. Berechnet werden
sollen die resultierende Kraft F res auf den Krümmer
Der Impulssatz spielt bei Wasserkraftmaschi-
und die Kraft F Schr auf die Flanschschrauben entspre-
nen wegen der Strahlablenkung eine wichtige chend Abb. 2.118.
Rolle. Ein Strahl, der aus einer Düse austritt,
wird an einer Wand so umgelenkt, dass er Lösung
parallel zur Wand abströmt. Wird der Strahl Die Geschwindigkeiten am Ein- und Austritt sind 1 =
2 = .
wie in Abb. 2.117 senkrecht auf eine Platte
Kräfte am Eintritt
1 (in Strömungsrichtung):
gerichtet, so gilt für die Kraft in x-Richtung πd2
Fx = ρ dV / dt und wegen dV / dt = A Druckkraft Fp1 = p1 A = p1 ,
4
dV πd2
Impulskraft FI1 = ρ = ρ A2 = ρ 2 .
dt 4
Fx = ρ 2 A . (2.218) Kräfte am Austritt 2 (gegen die Strömungsrichtung):
πd2
Druckkraft Fp2 = p2 A = p2 ,
4
Bewegt sich die Wand mit der Geschwindigkeit πd 2
Impulskraft FI2 = ρ 2 .
u in Strahlrichtung, dann nimmt die Kraft ab 4
Nach dem Kräftedreieck in Abb. 2.118b ist
(Abb. 2.117b):
α Fres 1
sin = .
2 2 πd2 πd2
ρ2 + p1
Fx = ρA( − u)2 . (2.219) 4 4
Daraus folgt

Je nach Form der Wand und Auftreffwinkel


πd2 α
des Strahls ergeben sich unterschiedliche F res = (p1 + ρ 2 ) sin . (2.220)
2 2
Kräfte bzw. Drehmomente.
2.12 Mechanik der Flüssigkeiten und Gase-, Hydro- und Aeromechanik 147

Abb. 2.119 Zum Drehimpulssatz

Mit der Umfangsgeschwindigkeit u gilt für


den Betrag des Drehimpulses

dL = dm r u

Nach dem Drehimpulssatz (2.103) ist die zeit-


liche Änderung des Drehimpulses mit einem
auftretenden Moment verknüpft:

Abb. 2.118 Beispiel 2.12-4 Kräfte in einem M = ṁ r u . (2.221)


durchströmten Rohrkrümmer

Das in einer Turbine dem Laufrad vorgeschal-


Man erhält mit = 4V̇ / d2 π = 25,46 m/s, ρ = 103 kg/m3 tete Leitrad in Abb. 2.120 steht fest. In ihm wird
und α = 90◦
Fres = 12,76 kN.
Die Kraft F Schr auf die Flanschschrauben ist gleich
der Summe aus der Druckkraft F p und der Impuls-
kraft F I :

πd2
F Schr = F p1 + F I1 = (p1 + ρ2 ) = 9,0 kN .
4

Strömungs-Drehimpuls
Ein Masseteilchen dm, das sich gemäß
Abb. 2.119 im Abstand r von einem Bezugs-
punkt D mit der Geschwindigkeit bewegt,
besitzt bezüglich D den Drehimpuls

dL = dm r × Abb. 2.120 Turbinenleitrad, schematisch


148 2 Mechanik

die Strömung von der Geschwindigkeit 1 auf Komponente, die am Umfang angreift (cu ),
die Geschwindigkeit 2 beschleunigt. Das auf zerlegen. Daraus ergibt sich nach (2.222) das
die Leitschaufeln ausgeübte Drehmoment M Drehmoment für eine Turbine:
ist die Differenz aus Austrittsmoment M2 und
Eintrittsmoment M1 . Es ergibt sich aus der Än- dV
derung des Drehimpulses L. M =ρ (cu1 r1 − cu2 r2 ) . (2.223)
dt
Maßgebend sind die Komponenten der Ge-
schwindigkeiten in Umfangsrichtung u2
bzw. u1 . Nach (2.221) ist Bei Pumpen werden die Indizes im Klammer-
ausdruck vertauscht. Die Leistung des Laufra-
dV des kann aus P = Mω ermittelt oder aus der
M =ρ (u2 r2 − u1 r1 ) . (2.222) Fallhöhe HF der Turbine und dem Volumen-
dt
strom dV / dt errechnet werden:

Bei Pumpen ist das feststehende Leitrad dem


dV
Laufrad zur Druckerhöhung nachgeschaltet. P = Mω = ρgHF . (2.224)
dt
Deshalb sind die Komponenten der Umfangs-
geschwindigkeiten u2 kleiner als u1 , sodass
nach (2.222) ein verzögerndes Moment auf- Wird diese Gleichung nach der Fallhöhe HF
tritt. umgestellt und für M (2.223) eingesetzt (ω =
In Abb. 2.121 sind die Strömungsverhältnisse / r), dann ergibt sich die Euler’sche Gleichung
für radiale Laufräder in Turbinen und Pumpen für die Turbine:
vergleichend gegenübergestellt. Hierin sind
u Umfangsgeschwindigkeit am Laufrad
1
(u = ωr), HF = (cu1 u1 − cu2 u2 ) . (2.225)
g
relative Strömungsgeschwindigkeit des
Mediums,
c absolute Strömungsgeschwindigkeit des (Für Pumpen werden die Indizes in dem
Fluidums, bezogen auf die ruhende Klammerausdruck vertauscht.) Als Folge von
Umgebung, Verlusten wird die wirkliche Fallhöhe HF, real
cm Mediankomponente von c, einer Turbine kleiner, die wirkliche Förder-
cu Umfangskomponente von c. höhe HF, real einer Pumpe größer sein, als sich
aus (2.225) ergibt.
Für die Berechnung des Drehmomentes M
Ist eine Strömung drehimpulsfrei, gilt für die
ist die absolute Strömungsgeschwindigkeit
Turbine cu2 = 0, für die Pumpe cu1 = 0. Für
am Umfang cu von Bedeutung. Aus dem
die Fallhöhe HFT einer Turbine bzw. die För-
Geschwindigkeitsdiagramm am Eintritt bzw.
derhöhe HFP einer Pumpe ergibt sich dann
am Austritt lässt sich durch Messen der Um-
laufgeschwindigkeit u des Laufrades und der
relativen Strömungsgeschwindigkeit des 1
HFT = cu1 u1 bzw.
Mediums über Vektoraddition die absolute g
Strömungsgeschwindigkeit c = u+ ermitteln. 1
HFP = cu2 u2 . (2.226)
Diese lässt sich in eine Komponente, die in die g
Mitte weist (Mediankomponente cm ) und eine
Abb. 2.121 Strömungsverhältnisse in den Laufrädern von Turbinen und Pumpen
2.12 Mechanik der Flüssigkeiten und Gase-, Hydro- und Aeromechanik 149
150 2 Mechanik

Beispiel und einen Druck p = 6 · 105 Pa. Berechnet werden


2.12-5 Eine Förderpumpe (Radialkreiselpumpe) hat sollen a) die Geschwindigkeit des Wassers im Druck-
einen Laufraddurchmesser d = 250 mm und läuft mit rohr, b) die Geschwindigkeit des austretenden Was-
einer Drehzahl n = 2 950 min−1 . Die absolute Aus- serstrahls, wenn der Druck an der Düsenöffnung noch
trittsgeschwindigkeit ist c2 = 35 m/s, und der Winkel p = 1,1 · 105 Pa beträgt und c) die Höhendifferenz zwi-
zwischen c2 und der Umfangsgeschwindigkeit u2 be- schen Turbine und Oberfläche des Sees, aus dem das
trägt 30◦ . Berechnet werden soll die Förderhöhe bei Wasser in die Turbine fließt.
drehimpulsfreier Strömung (unter Vernachlässigung
der Reibung). Ü 2.12-9 Ein Prandtl-Rohr ist mit Alkohol gefüllt (ρ =
0,9 kg/dm3 ) und wird in ein Flugzeug eingebaut. Es
Lösung zeigt eine Höhendifferenz Δh = 20 cm. Wie groß ist
Nach (2.226) gilt für die Förderhöhe bei drehimpuls- die Flugzeuggeschwindigkeit, wenn die Dichte der Luft
freier Anströmung 1,27 kg/m3 beträgt?

1 2.12.2.3 Strömungen realer Flüssigkeiten


HFP = cu2 u2 .
g und Gase
Es ist u2 = ωr2 = 2π · n · r2 und cu2 = c2 · cos(30◦ );
somit erhält man Laminare Strömung und innere Reibung
1 In diesem Abschnitt werden, wie im vorigen,
HFP = c2 · cos(30◦ )2π n r2 = 119,3 m .
g die inkompressiblen Flüssigkeiten und Gase
unter dem Begriff Fluide zusammengefasst.
Zur Übung
Zwischen den Molekülen eines Fluidums wir-
Ü 2.12-5 Zur Messung des Volumenstroms in einer
horizontalen Wasserzuführung (ρ = 1 kg/dm3 ) mit ei- ken Kohäsionskräfte (Abschn. 2.12.1.6). Aus
nem Rohrdurchmesser dR = 10 cm wird ein Venturi- diesem Grund treten bei der Strömung zwi-
Rohr eingebaut, das an einer Verengung einen Durch- schenmolekulare Reibungskräfte auf, deren
messer dV = 7,5 cm aufweist. Es wird ein Volumen- Wirkung innere Reibung genannt wird.
strom V̇ = 2 l/s gemessen. Welcher Druckunterschied Zwischen zwei Platten der Dicke d befinde sich
wird angezeigt (αε = 1)?
eine Flüssigkeit, wie Abb. 2.122a zeigt. Die un-
Ü 2.12-6 Durch ein Rohr mit einem Durchmesser d = tere Platte 1 ist in Ruhe ( = 0), während die
40 mm fließt bei einem Druck p1 = 3 · 105 Pa Wasser obere Platte 2 mit der konstanten Geschwin-
mit einer Geschwindigkeit = 4 m/s. Welcher Druck digkeit = 0 nach rechts bewegt wird. Da
entsteht, wenn der Rohrdurchmesser an einer Stelle somit die obere Flüssigkeitsschicht die Ge-
wegen Verkalkung nur noch 65% des ursprünglichen
schwindigkeit 0 hat und die untere keine Ge-
Durchmessers beträgt?
schwindigkeit aufweist, entsteht in der Flüssig-
Ü 2.12-7 Ein Behälter ist immer mit Wasser bis zur keitsschicht ein Geschwindigkeitsgefälle 0
Höhe h = 4 m gefüllt. An der Seite ist h = 4 cm 0 . Da dieses nicht, wie in Abb. 2.122a ge-
vom Boden entfernt eine Ausströmöffnung mit ei-
zeichnet, linear zu sein braucht, wird ein diffe-
nem Durchmesser d = 2 cm angebracht. Welcher Was-
serstrom fließt aus der Öffnung, wenn a) keine Rei-
rentielles Geschwindigkeitsgefälle d/ dx defi-
bung berücksichtigt wird, b) die Geschwindigkeitszif- niert. Gleiten die einzelnen Flüssigkeitsschich-
fer ϕ = 0,97 und die Kontraktionszahl α = 0,82 ist ten (Laminate) mit verschiedenen Geschwin-
sowie c) zusätzlich zu a) ein Überdruck Δp = 2 · 105 Pa digkeiten übereinander hinweg, ohne sich zu
wirkt? vermischen (Abb. 2.122), wird diese Strömung
Ü 2.12-8 In einem Wasserkraftwerk steht eine Tur- als laminare Strömung bezeichnet.
bine, die einen Volumenstrom V̇ = 10 m3 /s verarbei- Das durch die Reibung verursachte Übereinan-
tet. Die Druckleitung hat einen Durchmesser d = 1,2 m dergleiten der Flüssigkeitsschichten kann auch
2.12 Mechanik der Flüssigkeiten und Gase-, Hydro- und Aeromechanik 151

Abb. 2.122 Zum Newton’schen Reibungsgesetz: a) lineares Geschwindigkeitsgefälle, b) Abgleiten der


Flüssigkeitsschichten

bei einem durch eine Scherkraft verschobenen diums wird als kinematische Zähigkeit ν be-
Papierstoß beobachtet werden, wobei die ein- zeichnet:
zelnen Papierbögen die Flüssigkeitsschichten
sind. Die Reibungskraft FR , die notwendig ist, η
ν = ; (2.230)
um eine Platte der Fläche A mit der konstanten ρ
Geschwindigkeit parallel zur ruhenden Wand
zu verschieben, ist proportional zur Fläche A
und zum Geschwindigkeitsgefälle d/ dx: ihre Einheit ist m2 /s . Die dynamische Viskosi-
tät η ist ein Materialwert, der stark temperatur-
und druckabhängig ist. Die Temperaturabhän-
d gigkeit kann näherungsweise mit
FR = ηA x. (2.227)
d

η = A eT
b
(2.231)
Mit FR / A als der Schubspannung τ gilt auch

beschrieben werden. Hierbei sind A und b em-


d
τ=η . (2.228) pirisch ermittelte Konstanten. Die dynamische
dx
Viskosität von Gasen ist sehr viel geringer als
die von Flüssigkeiten, unabhängig vom Gas-
Dieses Gesetz wird nach seinem Entdecker druck und nimmt mit steigender Tempera-
Newton’sches Reibungsgesetz genannt. Der tur proportional zur steigenden mittleren Ge-
Proportionalitätsfaktor η ist die dynamische schwindigkeit der Gasmoleküle zu.
Viskosität (Zähigkeit). Sie hat die Einheit Stoffe, für die das Newton’sche Reibungsge-
N s/m2 = Pa s (Pascalsekunde). setz (2.228) nicht gilt, wie beispielsweise für
Der Kehrwert der dynamischen Viskosität η Fette, werden nichtnewton’sche Substanzen ge-
ist die Fluidität: nannt. Sie sind Sonderfälle, für die alle folgen-
den Überlegungen nicht gelten.
1
ϕ= (2.229)
η Anwendung des Reibungsgesetzes

Laminare Rohrströmung
mit der Einheit m2 /(N s). Das Verhältnis der Bei einer laminaren Strömung durch ein Rohr
dynamischen Viskosität η zur Dichte ρ des Me- haftet die Flüssigkeit am Rand und bewegt
152 2 Mechanik

sich in der Mitte am schnellsten. Die Strö- Mit der Randbedingung, dass bei r = R die
mung kann zusammengesetzt gedacht werden Strömungsgeschwindigkeit = 0 ist, erhält
aus dünnen Hohlzylindern, die reibungsbehaf- man die Integrationskonstante C = R2 und es
tet aneinander vorbeigleiten. Abbildung 2.123 gilt
zeigt die Geschwindigkeitsverteilung in einer
4ηl
Rohrströmung. Ein Flüssigkeitszylinder mit r2 =− + R2 .
(p1 − p2 )
dem Radius r gleitet am angrenzenden Hohl-
zylinder (rot) ab. An der Grenzfläche ist die Wird diese Gleichung nach der Strömungsge-
Druckkraft Fp gleich der Reibungskraft FR : schwindigkeit aufgelöst, so ergibt sich das
Fp = FR . Aus Hagen-Poiseuille’sche Gesetz (G. Hagen, 1797
bis 1884; J. L. M. Poiseuille, 1799 bis 1869):
d
(p1 − p2 )πr2 = −ηA bzw.
dr
p1 − p2 2
(p1 − p2 )πr2 = −η 2π r l
d (r) = (R − r2 ) . (2.232)
dr 4ηl

ergibt sich Gleichung (2.232) beschreibt einen para-


belförmigen Verlauf der Geschwindigkeit
2ηl
r dr = − d . in Abhängigkeit vom Radius. Der Massen-
(p1 − p2 ) strom dṁ errechnet sich nach (2.200) aus
Durch Integration wird daraus dṁ = ρ(r) dA = 2πρ(r)r dr. Wird (r)
nach dem Hagen-Poisseuille’schen Gesetz
4ηl
r2 =− +C . eingesetzt und integriert, dann resultiert
(p1 − p2 )
R
dm ρπ(p1 − p2 ) 2 2
ṁ = = (R − r )r dr
dt 2ηl
0

oder

ρπR4 (p1 − p2 )
ṁ = . (2.233)
8ηl

Mit ṁ = ρV̇ ergibt sich der Volumenstrom V̇


des Durchflusses durch das Rohr:

πR4 (p1 − p2 )
V̇ = . (2.234)
8ηl

Diese Gleichung zeigt, dass der Volumenstrom


bzw. der Massenstrom durch Vergrößerung
Abb. 2.123 Laminare Rohrströmung nach dem des Radius (V̇ ∼ R4 ) wesentlich mehr gestei-
Hagen-Poiseuille’schen Gesetz gert werden kann als durch die Erhöhung der
2.12 Mechanik der Flüssigkeiten und Gase-, Hydro- und Aeromechanik 153

Druckdifferenz (V̇ ∼ (p1 −p2 )). Beispielsweise Laminare Umströmung


wird bei der Verdoppelung des Rohrradius R Durch eine ähnliche Rechnung wie für das
das Durchflussvolumen 16-mal größer. Ferner Hagen-Poiseuille’sche Gesetz ergibt sich für
folgt aus dieser Gleichung, dass bei konstan- die Reibungskraft bei der laminaren Umströ-
tem Querschnitt A der Druckabfall (p1 − p2 ) mung einer Kugel das Stokes’sche Reibungsge-
proportional zur Rohrlänge l ist: setz (C. G. Stokes, 1819 bis 1903):

(p1 − p2 ) ∼ l . (2.235) FR = 6πηr (2.237)

mit als der Relativgeschwindigkeit zwischen


Aus der Bedingung, dass die Reibungskraft FR Kugel und Flüssigkeit und r als dem Radius der
gleich der an den Rohrenden wirkenden Kugel.
Druckkraft Fp ist, lässt sich die Reibungskraft Durch Bestimmung der Sinkgeschwindig-
keit einer Kugel in einem Rohr konstanten
FR = Fp = (p1 − p2 )A = (p1 − p2 )πR2
Querschnitts kann die dynamische Viskosi-
bestimmen. Wird p1 −p2 aus (2.234) eingesetzt, tät η bestimmt werden. Abbildung 2.124 zeigt
so ergibt sich das in der Praxis weit verbreitete Höppler-
Kugelfallviskosimeter. Die Reibungskraft FR
V̇ errechnet sich aus der Differenz zwischen der
FR = 8ηl .
Gewichtskraft FG und der Auftriebskraft FA
R2
zu FR = FG − FA . Aus
Der Volumenstrom V̇ hängt über die Bezie-
hung V̇ = πR2 m mit der mittleren Strömungs- 6πηr = ρK VK g − ρFl VFl g
geschwindigkeit m zusammen, sodass für die
folgen mit dem Kugelvolumen VK = 43 πr3
Reibungskraft FR gilt

FR = 8π ηlm . (2.236)

Beispiel
2.12-6 In einem Warmwasserrohr verringert sich in-
folge von Kalkablagerungen der Rohrdurchmesser um
20%. Berechnet werden soll die prozentuale Änderung
des Massenstroms ṁ.

Lösung
Nach (2.233) verhält sich

ṁKalk R4 0,84
= Kalk
4
= 4 = 0,41 .
ṁ0 R0 1

Bei dieser Verringerung des Rohrdurchmessers durch


Verkalken bleiben also nur noch 41% des ursprüngli- Abb. 2.124 Höppler-Kugelfallviskosimeter.
chen Warmwasserstroms erhalten. Werkfoto: Haake
154 2 Mechanik

Der dimensionslose Proportionalitätsfaktor λ


2gr2 (ρK − ρFl )
= und (2.238) ist die Rohrreibungszahl. Sie ist stark abhän-

gig von der Oberflächenrauigkeit und der
2gr (ρK − ρFl )
2
η= . (2.239) Reynoldszahl.
9
Umströmen von Körpern
Während bei der laminaren Strömung die
Bernoulli-Gleichung bei Newton’scher Reibung Geschwindigkeitsvektoren der Flüssigkeits-
Die Reibungskraft verursacht in der Strom- teilchen parallel verlaufen, ändern sich in
röhre (Abb. 2.102) einen Druckverlust pV und der turbulenten Strömung die Geschwindig-
vermindert dadurch die Druckdifferenz p1 −p2 . keitsvektoren ständig nach Richtung und
Wird die Bernoulli-Gleichung (2.203) um den Größe. Streng genommen ist eine turbulente
Druckverlust erweitert, so ergibt sich Strömung deshalb immer instationär. Als
stationär wird sie angesehen, wenn die über
ρ21 den Querschnitt gemittelte Geschwindigkeit
ρgh1 + + p1 von der Zeit unabhängig ist.
2
ρ22 Eine Wirbelbildung tritt auf, wenn sich die
= ρgh2 + + p2 + pV . (2.240) Flüssigkeitsschichten ablösen. Die Entstehung
2
von Wirbeln kann modellmäßig erklärt wer-
den. Abbildung 2.125a zeigt den reibungs-
In der Praxis wird der Druckverlust oft als Ver- freien Idealfall. Während an den Punkten A
lusthöhe hV angegeben: und C die Strömungsgeschwindigkeit = 0
und deshalb nach der Bernoulli-Gleichung der
statische Druck maximal ist, wird an den
pV = ρ g hV . (2.241)
Punkten B und D die Geschwindigkeit am
größten ( = max ) und deshalb der Druck
Die Verlusthöhe hV ist diejenige Höhe, um die am geringsten. Ohne Wirkung einer Reibungs-
der Zufluss angehoben werden muss, um am kraft werden die Flüssigkeitsteilchen von A
Ausfluss aus der Stromröhre denselben Druck nach B beschleunigt und durch die zuneh-
wie im reibungsfreien Fall zu erzeugen. mende Druckkraft von B nach C auf = 0
Für die Verlusthöhe hV in geraden Rohrlei- wieder abgebremst; Entsprechendes gilt für
tungen mit konstantem Querschnitt gilt das den Weg ADC. Unter der Wirkung von Rei-
Rohrwiderstandsgesetz bungskräften werden die Flüssigkeitsteilchen
vor dem Punkt C zur Ruhe kommen. Die
Reibungskraft wird sie zwingen, ihre Rich-
l 2
hV =λ . (2.242) tung zu ändern. Dadurch treten Wirbel auf,
d 2g die nach dem Drehimpulserhaltungssatz (Ab-
schn. 2.8.4) paarweise auftreten (Abb. 2.125b).
Hierin sind Die Widerstandskraft FW setzt sich aus
zwei Anteilen zusammen. Dies verdeutlicht
l Länge der Rohrleitung,
Abb. 2.126.
d Durchmesser des Rohres,
Strömungsgeschwindigkeit, – Reibungswiderstandskraft FR (z. B. längs ei-
g = 9,81 m/s2 Fallbeschleunigung. ner überströmten Platte, Abb. 2.126a). Dies
2.12 Mechanik der Flüssigkeiten und Gase-, Hydro- und Aeromechanik 155

Abb. 2.125 Umströmung von zylindrischen Körpern

ist die bei der Strömung wirkende Reibungs- verminderten statischen Druck zur Folge.
kraft. Nach einer bestimmten „Lauflänge“ Dadurch entsteht eine Druckdifferenz vor
entlang der Platte wird die Grenzschicht der und hinter der Platte. Die dieser Druckdif-
Strömung turbulent. Der Umschlag in Tur- ferenz entsprechende Kraft ist die Druck-
bulenz hängt von der Form der Plattenvor- widerstandskraft. Sie tritt auch bei Um-
derkante, aber auch von der Rauigkeit der lenkungen und Querschnittsveränderungen
Oberfläche ab. auf. Sie ist proportional zum Staudruck und
– Druckwiderstandskraft FD (z. B. quer ange- zur angeströmten Stirnfläche A, d. h. dem in
strömte Platte, Abb. 2.126b). Beispielsweise Strömungsrichtung wirkenden Profil:
bilden sich auf der Rückseite einer quer an-
geströmten Platte Wirbel, in denen sich die ρ
Flüssigkeitsteilchen sehr schnell bewegen. FD = cD 2 A . (2.243)
2
Nach der Bernoulli-Gleichung hat dies einen

Abb. 2.126 Widerstände bei Strömungen


156 2 Mechanik

Abb. 2.127 PKW (Audi A6) mit dem Widerstandsbeiwert cW = 0,30 im Windkanal. Werkfoto: Audi

cD ist der Druckwiderstandsbeiwert. Für den fall entlang des Körpers so langsam stattfin-
gesamten Widerstand (Abb. 2.126c) ergibt sich det, dass keine Wirbel auftreten können. In der
die Widerstandskraft aus Praxis würden bei Fahrzeugen dadurch aller-
dings sehr lange Heckteile notwendig werden.
ρ Um sie zu verkürzen und trotzdem günstige
FW = FR + FD = cw A2 . (2.244) cW -Werte zu erreichen, wird das Strömungs-
2
profil nur schwach verjüngt und dann plötzlich
senkrecht mit einer Abrisskante begrenzt. Die
Sie nimmt quadratisch mit der Strömungsge- störende Reibungswirkung von Wirbeln kann
schwindigkeit zu. auch dadurch gemildert werden, dass die Wir-
Der Proportionalitätsfaktor cW in (2.244) ist di- bel durch Schlitze an der Oberfläche abgesaugt
mensionslos und wird Widerstandsbeiwert ge- werden. Die Leistung, die gegen eine turbu-
nannt. Man misst ihn experimentell im Wind- lente Strömung aufgebracht werden muss, er-
kanal, und er ist nur bei Vernachlässigung rechnet sich wegen P = F zu
der Reibungswiderstandskraft konstant, d. h.
bei hohen Anströmgeschwindigkeiten. Abbil- ρ
P = cW A3 . (2.245)
dung 2.127 zeigt einen Pkw im Strömungska- 2
nal. In Abb. 2.128 sind einige Widerstands-
beiwerte cW für unterschiedliche Anström- Die Strömungsleistung nimmt also mit der
geometrien zusammengestellt. Ein Körper in dritten Potenz der Anströmgeschwindigkeit
Stromlinienform mit cW = 0,055 zeigt den ge- zu. (Bei der Verdopplung der Anström-
ringsten Widerstandsbeiwert. Diese Geome- geschwindigkeit z. B. verachtfacht sich die
trie hat die Besonderheit, dass der Druckab- Strömungsleistung.)
2.12 Mechanik der Flüssigkeiten und Gase-, Hydro- und Aeromechanik 157

lehre eingeführt. Die Grenzschichtdicke Dl


der laminaren Strömung nimmt mit zuneh-
mender
√ Länge des Profils proportional zu
l zu. Sie ist umso dünner, je kleiner die
Viskosität ist. Die Grenzschichtdicke Dl kann
folgendermaßen abgeschätzt werden:
Wird eine Platte der Fläche A und der Länge l
mit der konstanten Geschwindigkeit durch
eine Flüssigkeitsschicht gezogen, dann muss
nach (2.227) die Reibungskraft


FR = 2ηA
Dl

aufgebracht werden. Die zu beiden Seiten der


Platte mitgenommene Flüssigkeit der Masse

m ≈ 2ADl ρ

bewegt sich im Mittel mit der halben Ge-


schwindigkeit der Platte und erfährt in der
Zeitspanne Δt = l/ einen Impulszuwachs von


Δp = m ≈ 2ADl ρ .
2 2
Abb. 2.128 Widerstandsbeiwerte unterschiedlicher Nach dem Newton’schen Grundgesetz (2.24)
Körper gilt

Δp 2ADl ρ/ 2
FR = = 2ηA ≈ .
Bei der Umströmung von Körpern bildet sich Δt Dl l/
eine Grenzschicht D aus, innerhalb der die
Für die Grenzschichtdicke Dl ergibt sich dar-
Strömungsgeschwindigkeit von = 0 auf den
aus:
vollen Wert ansteigt. Wie Abb. 2.129 am Bei-
spiel eines umströmten Profils zeigt, bildet sich
zunächst eine laminare Grenzschicht aus. In ηl νl
Dl ≈ 2 = 2 . (2.246)
diesem Bereich werden die Teilchen beschleu- ρ
nigt. Bei der weiteren Strömung entlang der
Platte nimmt der Strömungsdruck zu, sodass
wegen der jetzt beginnenden Verzögerung der Für die turbulente Strömung sind die Vorgänge
strömenden Teilchen eine Wirbelbildung ein- wegen der Wirbelbildung komplizierter. Glei-
setzt. Es entsteht auf einer laminaren Grenz- chungen zur Berechnung der Dicke der Grenz-
schicht eine turbulente Strömung. schicht einer laminaren Strömung D1 und der
Der Begriff Grenzschicht wurde von einer turbulenten Strömung Dt sind für eine
L. Prandtl (1875 bis 1957) in die Strömungs- ebene Platte in Abb. 2.129 aufgeführt.
158 2 Mechanik

Abb. 2.129 Laminare und turbulente Grenzschichtbildung bei der Umströmung von Körpern

Ähnlichkeitsgesetze chanischen Eigenschaften proportional


Um Vorgänge der Strömungsmechanik im La- sein (Geschwindigkeit, Beschleunigung,
bormaßstab studieren und um strömungs- Kraft, Dichte, Viskosität und kinematische
mechanische Anlagen, z. B. Wasserkraftwerke, Zähigkeit).
entwerfen zu können, werden im verkleiner- Nach O. Reynolds (1842 bis 1912) ist die
ten Maßstab Modelle angefertigt. Damit man hydrodynamische Ähnlichkeit erreicht, wenn
richtige Aussagen erhält, muss das Modell eine dimensionslose Zahl, die nach ihm be-
dem Original ähnlich sein. Wie Abb. 2.130 nannte Reynoldszahl Re, von Original und Mo-
zeigt, muss für strömungsmechanische Mo- dell übereinstimmen.
delle Ähnlichkeit in zwei Bereichen vorliegen:

– Geometrische Ähnlichkeit: Modell und Ori- Reynoldszahl Re


ginal müssen in ihren geometrischen Ab- Die Reynoldszahl lässt sich anschaulich aus
messungen proportional sein (Länge, Flä- den Geschwindigkeitsverhältnissen zweier
che und Volumen). Ein besonderes Problem umströmter ähnlicher Körper nach Abb. 2.131
ist die Abbildung der Oberflächenrauigkeit; herleiten. Körper A hat die Dicke LA und eine
– hydromechanische Ähnlichkeit: Modell Grenzschichtdicke von DA . Wird der Körper
und Original müssen in ihren hydrome- A um einen konstanten geometrischen Faktor
2.12 Mechanik der Flüssigkeiten und Gase-, Hydro- und Aeromechanik 159


ηA LA ρB B LA
= . (2.247)
ρA A ηB LB LB

Daraus ergibt sich folgende Gleichung:


A LA ρA B LB ρB
= .
ηA ηB
Der Ausdruck Lρ/η ist die dimensionslose
Reynoldszahl Re. Es gilt also:

Lρ L
Re = = (2.248)
η ν

Abb. 2.130 Geometrische und hydromechanische Hierbei ist die Strömungsgeschwindigkeit


Ähnlichkeit. und L eine charakteristische Länge. Diese wird
durch den Versuchsaufbau bestimmt, mit dem
die Reynoldszahl gemessen wird (z. B. ein
Rohr- oder Kugeldurchmesser oder die Länge
einer Platte). η ist die dynamische, ν die kine-
matische Viskosität. Durch den Zusammen-
hang mit der Viskosität ist die Reynoldszahl
temperatur- und bei Gasen auch druckabhän-
gig.
Bei einer laminaren Strömung ist Re < Rekrit
mit Rekrit als der kritischen Reynoldszahl. Die
Strömung ist turbulent, wenn Re > Rekrit ist.
Der Umschlag der beiden Zustände (bei Rekrit )
ist nicht sprunghaft und hängt beispielsweise
Abb. 2.131 Strömungsverhältnisse um ähnliche auch von der Störfreiheit an der Einlaufstelle
Körper ab.
Tabelle 2.10 zeigt die kritischen Reynoldszah-
len und die Widerstandsbeiwerte für ein kreis-
verkleinert, dann entsteht eine entsprechende rundes Rohr, eine Kugel und eine Platte im La-
Geometrie für den Körper B. minarbereich. (Für ein kreisrundes Rohr wird
Wegen der Kontinuitätsgleichung (2.201) blei- statt cW üblicherweise die Rohrreibungszahl λ
ben die Geschwindigkeitsverhältnisse gleich, verwendet, s. (2.242).)
wenn gilt: A / A = B / B . Damit ändern sich Bei turbulenten Strömungen spielt die Ober-
auch die Verhältnisse der anderen Größen flächenrauigkeit k eine wichtige Rolle. Sie
entsprechend, sodass für die Grenzschichtdi- hängt sehr von der Bearbeitung der Werk-
cken D und die charakteristischen Längen L stückoberfläche ab. Die Rauigkeitswerte dieser
gilt: DA / DB = LA / LB . Mit (2.246) für die Grenz- Oberflächen werden ermittelt, indem man ihre
schichtdicke D erhält man: Strömungswiderstände vergleicht mit denen,
160 2 Mechanik

Tabelle 2.10 Kritische Reynoldszahl Rekrit sowie Diagramm dargestellt. Es ist doppeltlogarith-
Rohrreibungszahl λ bzw. Widerstandsbeiwert cW (bei misch ausgeführt und zeigt vier Bereiche:
Re << Rekrit ) für verschiedene Strömungsgeometrien
– Laminarer Bereich (schräg abwärts geneigte
Rekrit λ; cW Gerade für λ = 64/ Re; Re < 2 320);
– turbulenter Bereich (Re > 2 320) und zwar
64
kreisrundes Rohr 2 320 λ= für
Re
24 • hydraulisch glatte Rohre (k = 0; Kurve a;
Kugel 1,7 · 105 bis cW = λ = f(Re)) und für
Re
4 · 105 • hydraulisch raue Rohre (Bereich II;
1,328 λ = f (k/ D)) sowie das
Platte 3,2 · 105 bis 106 cW = √
Re • Übergangsgebiet (Bereich I;
(längs angeströmt)
λ = f (Re, k/ D)).
Der in der Praxis wichtige Bereich ist in
die künstlich erzeugte Sandrauigkeiten ver- Abb. 2.132 hervorgehoben. Tabelle 2.11 zeigt
ursachen. In Abb. 2.132 ist für Rohre das den Zusammenhang zwischen der Rohrrei-
Rohrreibungszahl-(λ), -Reynoldszahl-(Re)- bungszahl λ bzw. dem Widerstandsbeiwert cW

Abb. 2.132 Rohrreibungszahl-(λ)-Reynoldszahl-(Re)-Diagramm: k Rauigkeit, D Rohrdurchmesser, k/ D relative


Rauigkeit (aus: Wärmetechnische Arbeitsmappe, VDI-Verlag 1980)
Tabelle 2.11 Rohrreibungszahl λ und Widerstandsbeiwert cW für Rohre mit dem Durchmesser D und Platten mit der Länge l in Abhängigkeit von der Rauigkeit k
und der Reynoldszahl Re.

laminare turbulente Grenzschicht


Grenz-
schicht hydraulisch glatt hydraulisch rau Übergangsgebiet

Rohre Blasius Nikuradse Colebrook


64 0,3164 1 D 1 2,51 k
λ= (2.249) λ= √ 4
(2.250) √ = 2 lg + 1,14 (2.252) √ = −2 lg √ + 0,27 (2.253)
Re Re λ k λ Re λ D
(2 320 < Re < 105 )
Prandtl/Karman

1 Re λ
√ = 2 lg (2.251)
λ 2,31

0,309
cW ≈
(lg(Re/ 7)2 )
Platten Voraussetzung: cW aus empirischen Tabellenwerken
1,328 0,0745 k
cW = √ (2.254) cW = √5
(2.255) Re 100
Re Re l
0,418
cW = 2,53 (2.256)
l
2 + lg
k
2.12 Mechanik der Flüssigkeiten und Gase-, Hydro- und Aeromechanik 161
162 2 Mechanik

a1 a2
und der Reynoldszahl Re für Rohre und = oder
Platten in diesen vier Strömungsgebieten. g g

Beispiel
2.12-7 Das Modell eines Pkw wird im Maßstab 1:10 [1 ]2 [2 ]2 []2
im Windkanal erprobt. Berechnet werden soll die An-
= = . (2.257)
[L1 ][g] [L2 ][g] [L][g]
blasgeschwindigkeit 2 , wenn die Strömungsverhält-
nisse des Fahrzeugs bei einer Fahrtgeschwindigkeit
1 = 120 km/h untersucht werden sollen (gleiche ki- Die Froudezahl ist die Wurzel aus diesem Aus-
nematische Zähigkeit 1 = 2 ). druck:
Lösung
Da die Reynoldszahlen vom Original (1) und Modell Fr = √ . (2.258)
(2) übereinstimmen müssen, gilt Re1 = Re2 . Aus
Lg

v1 L1 L
= 2 2 Bei Strömungsuntersuchungen für Schiffsmo-
1 ν2
delle im Schleppkanal müssten idealerweise
erhält man
der Widerstand durch die Oberflächenwel-
L1 10
2 = 1 = 120 · km/h = 333,3 m/s . len (Froudezahl Fr) und der Reibungswider-
L2 1
stand im Wasser (Reynoldszahl Re) gleich sein.
Dieser Wert liegt kurz unterhalb der Schallgeschwin- Wie (2.248) und (2.258) zeigen, liegen aller-
digkeit für Luft (c = 344 m/s bei ϑ = 20 ◦ C). Es ist
dings völlig unterschiedliche Abhängigkeiten
deshalb empfehlenswert, den Modellmaßstab zu ver-
größern (z. B. auf 1:8). von der umströmten
√ Länge vor; es ist Re ∼ L
und Fr ∼ 1/ L. In der Praxis wird bei Schif-
fen vor allem auf Gleichheit der Froudezahl ge-
Froudezahl Fr achtet, weil der Einfluss der Oberflächenwellen
Die Froudezahl Fr (Froude, 1810 bis 1879) ist größer ist als derjenige der Reibungskraft.
ebenfalls eine dimensionslose Kennzahl und
beschreibt ähnliche Strömungen, bei denen Beispiel
vor allem die Schwerkraft FG von Bedeutung 2.12-8 Das Modell eines Schiffes im Maßstab 1:15 wird
ist. Dies ist beispielsweise bei der hydrau- im Schleppkanal untersucht. Berechnet werden soll die
Geschwindigkeit im Schleppkanal 2 für eine Fahrtge-
lischen bzw. pneumatischen Förderung von
schwindigkeit des Schiffes von 1 = 20 km/h a) bei
Staub, Sand oder Körnern der Fall, spielt gleicher Reynoldszahl Re1 = Re2 und b) bei gleicher
aber auch bei der Widerstandsermittlung Froudezahl Fr1 = Fr2 .
von Oberflächenwellen für Schiffskörper
eine Rolle. Die hydrodynamische Ähnlichkeit Lösung
(Abb. 2.130) fordert hier die Proportionalität a) Gemäß Beispiel 2.12-7 errechnet man für gleiche
von Schwerkraft FG = m g und Trägheits- Reynoldszahlen
kraft Ft = −m a:
L1 15
m1 g m1 a1 2 = 1 = 20 · km/h = 83,3 m/s .
= . L2 1
m2 g m2 a2
b) Für gleiche Froudezahlen ist
Bei einer Dimensionsbetrachtung kann
1
für die Dimension der Beschleunigung [a] √ =√2 .
L1 g L2 g
= []2 / [L] gesetzt werden. Dann gilt nach
Kürzen der Massen Daraus folgt
2.12 Mechanik der Flüssigkeiten und Gase-, Hydro- und Aeromechanik 163


L1 1 Die Analyse der Laplace-Gleichung (2.197) für
2 = 1 = 20 km/h = 1,4 m/s .
L2 15 den räumlichen Verlauf der Geschwindigkeits-
funktion der Strömung um das Hindernis er-
Die beiden Geschwindigkeiten unterscheiden sich also
gibt, dass in wirbelfreien Strömungsfeldern
um den Faktor 60.
keine Auftriebskräfte entstehen. Erst der An-
fahrwirbel, der sich wegen der Grenzschicht-
Spezielle Probleme der Strömungsmechanik reibung an der hinteren Tragflügelkante ablöst,
führt zu Druckkräften auf den angeströmten
Auftrieb an umströmten Körpern Körper. Dieser Anfahrwirbel verursacht um
Treten bei der Umströmung von Körpern an den Tragflügel eine Zirkulation
der Oberseite höhere Strömungsgeschwindig-
keiten als an der Unterseite auf, so hat dies
nach der Bernoulli-Gleichung zur Folge, dass Γ= ds = rot dA (2.261)
an der Oberseite ein Unterdruckgebiet und an
der Unterseite ein Überdruckgebiet entsteht,
wie Abb. 2.133a zeigt. Aus diesem Grund wird gemäß Abb. 2.133b, deren Drehimpuls den
eine dynamische Auftriebskraft FA wirksam, Drehimpuls des Anfahrwirbels kompensiert.
die analog zur Druckkraft FD (2.243) Nach der Theorie von Kutta (1867 bis 1944)
und Joukowsky (1847 bis 1921) erzeugt die
ρ
FA = cA 2 A (2.259) Zirkulation auf einen Tragflügel der Spann-
2 weite s die Auftriebskraft

beträgt mit cA als dem Auftriebsbeiwert. Die


Fläche A ist die maximale Projektionsflä- FA = ρsΓ . (2.262)
che des Körpers (z. B. bei einem Tragflügel:
A = Spannweite s mal Spanntiefe l). Die
Auftriebskraft F A und die Widerstandskraft Die resultierende Kraft F0 greift am Druck-
F W = cW ρ/ 2 2 A ergeben vektoriell addiert punkt P an (Abb. 2.133a). Aus dem Drehmo-
die resultierende Kraft ment M um den vorderen Punkt O, das vom
Anstellwinkel α abhängt, kann der Abstand
r = OP des Druckpunkts bestimmt werden.
F0 = FA + FW . (2.260)
Mit (2.259) und (2.244) folgt

Abb. 2.133 Zum dynamischen Auftrieb an umströmten Körpern: a) Kräfte, b) „Zirkulation“


164 2 Mechanik

M = r(FA cos α + FW sin α) oder Für einen Tragflügel soll die Auftriebskraft FA
möglichst groß und die Widerstandskraft FW
ρ möglichst gering werden. Ein Maß dafür ist die
M = 2 Ar(cA cos α + cW sin α) . Gleitzahl
2
(2.263)
FW cW
ε= = . (2.265)
Mit cM l = r(cA cos α + cW sin α) resultiert FA cA

ρ
M = cM 2 A l . (2.264) Die Werte für den Widerstandsbeiwert cW
2 und den Auftriebsbeiwert cA sind vom An-
stellwinkel α (Abb. 2.133a) abhängig. Diese
cM wird Momentenbeiwert genannt. Durch die Zusammenhänge werden empirisch im Wind-
Messung des Drehmomentes M im Windkanal kanal ermittelt und in ein Polardiagramm ein-
kann der Momentenbeiwert cM und damit die gezeichnet. Abbildung 2.134 zeigt das Polar-
Lage des Druckpunktes eines Tragflügelprofils diagramm der Auftriebs- und Widerstands-
bestimmt werden. beiwerte eines Hubschrauberrotorblatts.

Abb. 2.134 Auftriebs- und Widerstandsbeiwerte für das Rotorblatt eines Hubschraubers. Werkbild: MBB
2.12 Mechanik der Flüssigkeiten und Gase-, Hydro- und Aeromechanik 165

Bernoulli-Gleichung für kompressible Medien Bewirkt eine Querschnittsänderung dA eine


Gase zeigen bei hohen Strömungsgeschwin- Geschwindigkeitsänderung d, so spielt bei
digkeiten ( > 0,3c; c Schallgeschwindigkeit) kompressiblen Strömungen das Verhältnis
nicht vernachlässigbare Dichteänderungen. der Strömungsgeschwindigkeit zur Schall-
Die Bernoulli-Gleichung (2.204) gilt dann nur geschwindigkeit c des Mediums eine wichtige
noch für sehr kleine Strömungsbereiche, in Rolle. Dieses dimensionslose Verhältnis wird
denen die Höhendifferenzen vernachlässigbar als Machzahl Ma bezeichnet (E. Mach, 1838
klein sind und die Dichte näherungsweise kon- bis 1916):
stant ist. Eine differentielle Druckänderung dp
bewirkt dann eine differentielle Änderung der
Strömungsgeschwindigkeit d: Ma = . (2.269)
c
dp
d + =0 oder integriert
ρ Für eine stationäre Strömung gilt dm/ dt =
ρA = konstant oder in differentieller Form

2 dp
+ = konstant . (2.266) dρ dA d
2 ρ + + =0. (2.270)
ρ A

Diese Gleichung ist die verallgemeinerte


Mit der differentiellen Schreibweise der ver-
Bernoulli-Gleichung für kompressible Me-
allgemeinerten Bernoulli-Gleichung (2.266)
dien.
d + dp/ρ = 0 und c2 = dp/ dρ ergibt sich
Für die adiabatischen Strömungen idealer
aus (2.270)
Gase ergibt sich nach (3.66) (Abschn. 3.3.4.4)
p/ρ{ = konstant. Wird daraus die Dichte ρ − d dA d
in (2.266) eingesetzt und diese integriert, + + =0 oder
c2 A
ergibt sich
dA 1
= 2− d .
A c
2 κ p
+ = konstant . (2.267)
2 κ−1ρ Damit gilt für die Querschnittsabhängigkeit
von Über- und Unterschallströmungen (/ c =
Ma)
Bei idealen Gasen ist der Isentropenexponent
κ = cp / (cp − Ri ) (Abschn. 3.3.3, (3.60)). Mit
dA d
Hilfe der Zustandsgleichung idealer Gase (Ab- = (Ma2 − 1) . (2.271)
schn. 3.1.5, (3.20)) erhält man für die adiabati- A
schen Gasströmungen den folgenden Zusam-
menhang zwischen der Strömungsgeschwin- Tabelle 2.12 gibt das Geschwindigkeitsver-
digkeit und der absoluten Gastemperatur T: halten bei Querschnittsänderungen für den
Unterschall- bzw. Überschallbereich an. Es ist
2 ersichtlich, dass sich Unterschallströmungen
+ cp T = konstant . (2.268) entgegengesetzt zu den Überschallströmun-
2
gen verhalten. Im Unterschallbereich erhöht
166 2 Mechanik

Tabelle 2.12 Unterschall- und Überschallströmung bei selpumpen und die Strahlpumpen von Bedeu-
Querschnittsänderung ( Strömungsgeschwindigkeit, tung. Die folgenden Beispiele beziehen sich auf
c Schallgeschwindigkeit) die in der Praxis häufig eingesetzte Kreisel-
pumpe und auf die Begriffe, Zeichen und Ein-
Quer- Quer- Quer-
schnitts- schnittser- schnitts-
heiten nach DIN EN 24 260, die im Pumpenbau
verengung weiterung mini- üblich sind.
mum Die Funktion HA = f (Q) wird Anlagekennli-
dA < 0 dA > 0 dA = 0 nie (Rohrleitungskennlinie) genannt. Sie hat
den schematischen Verlauf gemäß Abb. 2.136.
Unterschall entweder
Bei der Pumpenkennlinie H = f (Q) dage-
Ma < 1 d > 0 d < 0 d = 0
oder gen nimmt bei Strömungspumpen mit zuneh-
Überschall =c mendem Förderstrom Q die Förderhöhe H ab
Ma > 1 d < 0 d > 0 (Abb. 2.136).
Abbildung 2.137 zeigt das Schema einer Pump-
station. Die Bernoulli-Gleichung (2.204) für
diese Anlage lautet unter der Berücksichtigung
sich bei Querschnittsverengung die Geschwin-
der Reibungsverluste durch die Verlusthöhe hV
digkeit, während sie sich im Überschallbereich
für den Eintritt e bzw. den Austritt a
vermindert. In Höhen oberhalb h = 180 km
ist die Atmosphäre allerdings so dünn, dass
keine Schallausbreitung mehr stattfinden Pe 2
he + HA + + e
kann. Die Machzahl ist dann bedeutungslos. ρg 2g
– Wichtig ist ebenfalls das unterschiedliche Pa 2
= ha + h + + a .
Verhalten bei einer Querschnittserweiterung. ρg 2g
Bei einer Lavaldüse ist dies beispielsweise der
Fall. Deshalb ist am Einlauf < c, sodass am Die Geschwindigkeiten e und a sind in den
engsten Querschnitt = c wird. Bei einem Dif- Punkten e und a zu messen. Daraus errechnet
fusor hingegen wird > c, wenn p genügend sich die Förderhöhe HA zu
abgesenkt wird.
pa − pe
2.12.2.4 Anwendungen HA = (ha − he ) +
ρg
! "# $
Pumpen statischer Anteil

Pumpen sind Arbeitsmaschinen zur Förde- 2 − 2e


+ a + hV (2.272)
rung von flüssigen Medien von einem nied- 2g
! "# $
rigen auf ein höheres Energieniveau. Die ver- dynamischer Anteil
schiedenen Eigenschaften der Fördermedien
(z. B. geringe oder große Viskosität, chemi-
sche Aggressivität), die Forderungen nach be- Gleichung (2.272) enthält einen statischen
stimmten Förderströmen und die Überwin- Anteil, der vom Förderstrom Q unabhängig
dung genau definierter Förderhöhen sind der ist, und einen dynamischen Anteil, der eine
Grund für die Vielzahl von Pumpentypen. In Funktion des Förderstromes Q ist. (Hierbei ist
Abb. 2.135 sind sie vergleichend gegenüber- die Verlusthöhe hV durch den Förderstrom Q
gestellt. In der Hydrodynamik sind die Krei- bedingt.) Wegen = Q/ A resultiert
2.12 Mechanik der Flüssigkeiten und Gase-, Hydro- und Aeromechanik 167

Abb. 2.135 Bauformen von Pumpen


168 2 Mechanik

Förderstrom Q = 0,06 m3 /s,


Verlusthöhe hV = 7 m,
Eintrittsquerschnitt Ae = 1,5 m2 ,
Austrittsquerschnitt Aa = 0,8 m2 ,
Wirkungsgrad η = 0,85.
Lösung
a) Nach (2.273) ergibt sich für die Förderhöhe

Q2 Q2

pa − pe A2a A2e
HA = (ha − he ) + + + hV
Abb. 2.136 Förderstrom Q in Abhängigkeit von der ρg 2g
Förderhöhe HA
⎡ ⎤
0,062 0,062

⎢ (11 − 6) · 105 0,82 1,52 ⎥
=⎢
⎣5 + 907 · 9,81 + + 7⎥
⎦m
2 · 9,81

= 68,19 m .
ρgQH
b) Der Leistungsbedarf ist P = = 42,8 kW.
η

Wasserturbinen
Wasserturbinen sind Wasserkraftmaschinen,
in denen hydraulische Energie (Lageener-
gie und Strömungsenergie) in mechanische
Arbeit umgewandelt wird. Je nach Anteil
Abb. 2.137 Schema einer Pumpstation der Lageenergie (bestimmt durch die Fall-
höhe H) im Verhältnis zur Strömungsenergie
unterscheidet man drei Ausführungen, die
pa − pe
HA = (ha − he ) + nach ihren Konstrukteuren Pelton-Turbinen
ρg
2 2 (L. A. Pelton, 1829 bis 1908), Francis-
Q Q Turbinen (J. B. Francis, 1815 bis 1892) und

A2a A2e Kaplan-Turbinen (V. Kaplan, 1876 bis 1934)
+ + hV . (2.273)
2g genannt werden; außerdem gibt es noch S-
Turbinen (S-förmiger Strömungskanal) und
Mit zunehmendem Förderstrom Q nimmt die Rohrturbinen (Abb. 2.139) Nach der Fallhöhe
erforderliche Förderhöhe HA der Pumpe zu. werden die Wasserturbinen eingeteilt in
– Hochdruck-Turbinen: Bei ihnen ist die Fall-
Beispiel
2.12-9 Die Förderhöhe HA und der Leistungsbedarf höhe H groß (H > 200 m) und der Volumen-
P einer Kesselspeisepumpe (Höhenunterschied ha − strom Q klein. Beispiele dafür sind Pelton-
he = 5 m; ρ = 907 kg/m3 ) sollen errechnet werden und Francis-Turbinen;
(analog DIN EN 24 260). Die Anlage weist folgende – Mitteldruck-Turbinen: Bei ihnen ist die
Betriebsdaten auf: Fallhöhe H mittelgroß und der Volumen-
Eintrittsdruck pe = 6 · 105 Pa, strom Q ebenfalls. Beispiele dafür sind
Austrittsdruck pa = 11 · 105 Pa, Francis- und Kaplan-Turbinen;
2.12 Mechanik der Flüssigkeiten und Gase-, Hydro- und Aeromechanik 169

– Niederdruck-Turbinen: Bei ihnen ist die Die Anwendungsbereiche von Wasserturbi-


Fallhöhe H klein (H < 50 m) und der Vo- nen in Abhängigkeit von Fallhöhe H und
lumenstrom Q groß. Beispiele hierfür sind spezifischer Drehzahl nq sind in Abb. 2.138
Kaplan-, S- und Rohr-Turbinen. dargestellt. Daraus ist ersichtlich, dass Pelton-
Turbinen für hohe Fallhöhen bei niedrigen
Um diese verschiedenen Turbinentypen sowie
spezifischen Drehzahlen und Kaplan- bzw. S-
unterschiedliche Baugrößen desselben Typs
oder Rohrturbinen bei niedrigen Fallhöhen
untereinander vergleichen zu können, dient
und hohen spezifischen Drehzahlen zum
die spezifische Drehzahl nq . Sie ergibt sich
Einsatz kommen. In den Überschneidungs-
aufgrund von Ähnlichkeitsgesetzen aus ana-
bereichen muss man die Vor- und Nachteile
logen Überlegungen wie die Reynolds- bzw.
der Turbinenart abwägen. Häufig sind die
die Froundezahl (Abschn. 2.12.2.3). Sie ist die
örtlichen Gegebenheiten ausschlaggebend. In
Drehzahl, die sich ergibt, wenn die Turbinen
Abb. 2.139 sind die Turbinentypen verglei-
bei einer Fallhöhe H = 1 m einen Volumen-
chend gegenübergestellt. Es sind außerdem
strom Q = 1 m3 /s verarbeiten. Der Zusam-
Einbaubeispiele und Laufräder der verschie-
menhang zwischen Fallhöhe und Volumen-
denen Turbinenarten sowie konstruktive
strom ergibt sich aus
Merkmale und Einsatzbereiche aufgeführt.
√ In Abschn. 2.12.2.2 ist darauf hingewiesen,
n Q
nq = (2.274) dass nach der Bernoulli-Gleichung (2.204) der
H 0,75
statische Druck pstat mit zunehmender Strö-
mit n als der Drehzahl der Anlage. mungsgeschwindigkeit abnimmt. Sinkt der

Abb. 2.138 Anwendungsbereiche der verschiedenen Arten von Wasserturbinen. Werkbild: Voith
170 2 Mechanik

Abb. 2.139 Wasserturbinentypen. Werkfotos: Voith


2.12 Mechanik der Flüssigkeiten und Gase-, Hydro- und Aeromechanik 171

statische Druck unter den Dampfdruck pD


p0 − pD
der Flüssigkeit, dann bilden sich Dampfbla- σ= (2.276)
2 ρ0
1 2
sen oder vorhandene Blasen vergrößern sich.
Steigt der Druck wieder an, dann konden-
siert der Dampf in den Hohlräumen, und Dabei ist p0 der Referenzdruck und 0 die Re-
das Strömungsmedium schlägt mit hoher Ge- ferenzgeschwindigkeit. Bestimmt man experi-
schwindigkeit auf das Turbinenmaterial. Die- mentell die kritische Kavitationszahl σkr , bei
ser Vorgang wird Kavitation (Hohlraumbil- der Kavitation einsetzt, dann ist für σ > σkr
dung) genannt. Dabei können Druckspitzen die Strömung frei von Kavitation.
bis 1010 Pa bei Frequenzen um 2 kHz auftre-
ten. Diese ständigen Beanspruchungen füh- Zur Übung
ren zur Zerstörung der Materialoberfläche. Die Ü 2.12-10 Ein Öltankeinlauf liegt 6 m höher als die
Pumpe (Förderstrom V̇ = 0,8 l/s). Das Zuleitungsrohr
kritische Geschwindigkeit, oberhalb der Ka-
hat eine Länge von l = 7 m und einen Durchmesser d =
vitation eintritt, lässt sich aus der Bernoulli-
1,7 cm. Wie groß ist der erforderliche Pumpendruck
Gleichung (2.204) zu (ρÖl = 0,85 kg/l; ηÖl = 0,2 N s/m2 )?


2(pges − pD ) Ü 2.12-11 Zur Messung der dynamischen Viskosität η
krit = (2.275) eines Öls (ρÖl = 0,85 kg/l) wird ein Kugelfallviskosi-
ρ meter benutzt. Die Stahlkugel (ρK = 7,85 kg/dm3 ) hat
einen Durchmesser d = 2 mm und fällt in t = 2 s s =
10 cm weit. Wie groß ist η?
abschätzen. Sie ist für Wasser bei pges = 1 bar
und 20 ◦ C (pD = 2 340 Pa) krit = 14 m/s. Dies
Ü 2.12-12 Ein Segelflugzeug der Masse m = 200 kg
bedeutet, dass mit der Kavitation bei vielen
und der Projektionsfläche A = 18 m2 fliegt mit ei-
Wassermaschinen gerechnet werden muss. Bei ner Geschwindigkeit = 60 km/h unter einem Gleit-
der Konstruktion von Wasserturbinen sollte winkel ε = 8◦ . Wie groß sind Auftriebs- und Wider-
daher darauf geachtet werden, dass standskraft? Zu bestimmen sind ferner der Wider-
standsbeiwert cW und der Auftriebsbeiwert cA (ρLuft =
– möglichst hohe äußere Drücke auftreten, 1,25 kg/m3 ).
– dünne Schaufelprofile verwendet werden
und Ü 2.12-13 Ein Wasserbehälter hat am Boden eine
– nur kleine Anstellwinkel möglich sind. waagerechte Ausflussröhre mit dem Durchmesser d =
1,2 mm, die l = 50 cm lang ist. Aus welcher Höhe h über
Zur Beurteilung der Gefahr auftretender der Ausflussröhre sinkt der Wasserspiegel ab, wenn
Kavitation kann die Kavitationszahl σ nach turbulente Strömung in laminare Strömung umschlägt
D. Thoma herangezogen werden: (ηW = 10−3 N s/m2 )?
Kapitel 3
Thermodynamik 3

E. Hering et al., Physik für Ingenieure,


DOI 10.1007/978-3-642-22569-7_3, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
3 Thermodynamik
3.1 Grundlagen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175
3.1.1 Einführung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175
3.1.2 Thermodynamische Grundbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177
3.1.3 Temperatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179
3.1.4 Thermische Ausdehnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181
3.1.5 Allgemeine Zustandsgleichung idealer Gase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185
3.2 Kinetische Gastheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188
3 3.2.1
3.2.2
Gasdruck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Thermische Energie und Temperatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
188
190
3.2.3 Geschwindigkeitsverteilung der Gasmoleküle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192
3.3 Hauptsätze der Thermodynamik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194
3.3.1 Wärme. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194
3.3.2 Erster Hauptsatz der Thermodynamik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197
3.3.3 Berechnung der Wärmekapazitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201
3.3.4 Spezielle Zustandsänderungen idealer Gase. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204
3.3.5 Kreisprozesse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212
3.3.6 Zweiter Hauptsatz der Thermodynamik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222
3.3.7 Thermodynamische Potentiale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229
3.3.8 Dritter Hauptsatz der Thermodynamik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231
3.4 Zustandsänderungen realer Gase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232
3.4.1 Van-der-Waals’sche Zustandsgleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233
3.4.2 Gasverflüssigung (Joule-Thomson-Effekt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236
3.4.3 Phasenumwandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237
3.4.4 Dämpfe und Luftfeuchtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245
3.5 Wärmeübertragung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248
3.5.1 Wärmeleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248
3.5.2 Konvektion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254
3.5.3 Wärmestrahlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258
3.5.4 Wärmedurchgang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264
3 Thermodynamik

3.1 Grundlagen ten (z. B. die spezifische Wärmekapazität) er-


geben. In Abb. 3.1 sind diese Betrachtungswei-
3.1.1 Einführung sen gegenübergestellt.
Ein thermodynamisches System kann mit sei-
Die Thermodynamik beschreibt die Zustände ner Umgebung in Wechselwirkung stehen. Fin-
und deren Änderung infolge der Wechselwir- det kein Austausch von Energie und Masse
kung mit der Umgebung von kompliziert zu- über die Systemgrenzen statt, so ist das Sys-
sammengesetzten makroskopischen Systemen tem abgeschlossen. Wird nur die Arbeit W
durch eine geringe Anzahl makroskopischer (z. B. mechanische, elektrische, magnetische
Variablen, wie z. B. Druck oder Temperatur, Arbeit) ausgetauscht, liegt ein adiabates Sys-
sowie durch thermodynamische Potentiale. tem vor. Bei geschlossenen Systemen findet ein
Das System kann makroskopisch betrachtet Austausch von Arbeit W und Wärme Q und
werden. Hierbei wird das gesamte System bei offenen Systemen noch zusätzlich ein Mas-
durch makroskopisch messbare Systemei- seaustausch statt.
genschaften und deren Zusammenhänge Die wichtigsten Erkenntnisse in der Thermo-
beschrieben. Dies wird als phänomenolo- dynamik sind in vier Hauptsätzen formuliert.
gische Thermodynamik bezeichnet, die der Der erste Hauptsatz ist der Energieerhaltungs-
älteste Zweig der Thermodynamik ist. satz. Er besagt, dass die Änderung der inne-
Das System kann auch mikroskopisch betrach- ren Energie ΔU durch Wärmezufuhr Q und
tet werden. Hierbei werden die makrosko- (oder) Arbeitsverrichtung W erfolgen kann.
pischen Systemeigenschaften auf die Wech- Der zweite Hauptsatz sagt mit Hilfe des Entro-
selwirkungen der Systembestandteile (Atome, piebegriffs etwas über die Richtung von Zu-
Moleküle) zurückgeführt. Die Beschreibung standsänderungen aus. Bei reversiblen Prozes-
erfolgt mit den statistischen Methoden der sen ist die Entropieänderung null; bei irre-
klassischen Mechanik bzw. der Quantenme- versiblen Prozessen ist sie positiv, d. h., die
chanik. Beispielsweise erklärt die kinetische Wärme ist nicht vollständig in andere Energie-
Gastheorie das Zustandekommen des Gas- formen umwandelbar. Von der Thermodyna-
drucks und ermöglicht ein tieferes Verständ- mik irreversibler Prozesse sind die Transport-
nis des Temperaturbegriffs. Oder es können und Ausgleichsvorgänge von besonderer prak-
mit Hilfe der Statistik thermodynamische Po- tischer Bedeutung. Die Entropie S lässt sich
tentiale hergeleitet werden, aus denen sich auch mikroskopisch als Wahrscheinlichkeits-
alle Zustandsgrößen und Materialeigenschaf- funktion deuten (Logarithmus der Zustands-

M. Stohrer, E. Hering, R. Martin, Physik für Ingenieure.


DOI 10.1007/978-3-642-22569-7_3 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
176 3 Thermodynamik

Abb. 3.1 Strukturbild der Thermodynamik

wahrscheinlichkeit ln W multipliziert mit der auch, dass der absolute Nullpunkt (T = 0)


Boltzmann-Konstanten k). Zustandsänderun- nicht erreicht werden kann.
gen werden in Richtung maximaler Wahr- Ein thermodynamisches System – sei es gas-
scheinlichkeit (maximale Entropie) ablaufen. förmig (ideale oder reale Gase), flüssig oder
Der dritte Hauptsatz (Satz von Nernst) zeigt, fest – kann durch Zustandsgleichungen und
dass bei Annäherung der Temperatur an den Zustandsfunktionen, die nur vom Anfangs-
absoluten Nullpunkt (T → 0) die Entropie und Endzustand abhängen, beschrieben wer-
konstant wird. Diese Konstante wird gleich den. Zu den Zustandsfunktionen (thermody-
null gesetzt. Aus dem dritten Hauptsatz folgt namischen Potentialen) gehören die innere
3.1 Grundlagen 177

Energie U, die Enthalpie H, die freie Energie F, eingestellt, dann haben alle Zustandsgrößen
die freie Enthalpie G und die Entropie S. wieder wohldefinierte Werte angenommen.
Mit den Zustandsgleichungen und Zustands-
funktionen ist die Beschreibung von Gleich- Die Änderung ΔZ einer Zustandsgröße Z
gewichtszuständen und Gleichgewichtsbedin- hängt nicht von der Art der Prozessfüh-
gungen möglich. rung ab, sondern nur vom Anfangs- und
Endzustand. Es gilt
3.1.2 Thermodynamische Grundbegriffe
ΔZ = Z2 − Z1 . (3.1)
Systeme
Ein räumlich abgrenzbarer Bereich, der her-
ausgelöst von seiner Umgebung betrachtet Eine Zustandsgröße ist also eine eindeutige
werden soll, wird als System bezeichnet. Nach Funktion der unabhängigen Variablen. Bei-
Art der Systemgrenzen werden verschiedenar- spielsweise lässt sich die innere Energie U ei-
tige Systeme unterschieden, wie aus Tabelle 3.1 nes Systems (Abschn. 3.3.2) als Funktion der
hervorgeht. Variablen T und V schreiben: U = U(T, V).
Daher ist das Differenzial

Zustand, Zustandsgrößen, Prozessgrößen ∂U ∂U
dU = · dT + dV
In der Mechanik wird die Lage eines Punktes ∂T V ∂V T
im Raum durch drei Koordinaten festgelegt; in das totale Differenzial einer Funktion der Zu-
der Thermodynamik benutzt man Zustands- standsvariablen.
größen, um den Zustand eines Systems zu be- Im Gegensatz zu den wegunabhängigen Zu-
schreiben. Historisch bedingt wird zwischen standsgrößen sind Wärme und mechanische
den direkt messbaren thermischen Zustands- Arbeit wegabhängige Prozessgrößen. Die mit
größen dem System bei einer Zustandsänderung aus-
– Druck p, getauschten Energiebeträge sind von dem Ver-
– Volumen V, lauf des Prozesses abhängig.
– Temperatur T Infolgedessen ist eine differenziell kleine
Größe einer solchen Prozessgröße nicht das
und den davon abgeleiteten kalorischen Zu- totale Differenzial einer Funktion von Zu-
standsgrößen, wie z. B. standsvariablen. Derartige kleine Größen
werden im Folgenden nicht mit einem d
– innere Energie U,
versehen, sondern mit einem δ. So ist also
– Enthalpie H und
beispielsweise eine differenziell kleine Wärme
– Entropie S
δQ oder ein differenziell kleiner Arbeitsbetrag
unterschieden. δW.
Bleiben die Zustandsgrößen zeitlich konstant, Für jeden Gleichgewichtszustand sind die
dann befindet sich das System in einem Gleich- Zustandsgrößen durch eine Zustandsglei-
gewichtszustand. Der Zustand eines Systems chung miteinander verknüpft. So gilt z. B.
kann auf verschiedene Weise verändert wer- für ideale Gase ein einfacher Zusammenhang
den (z. B. durch Wärmezufuhr von außen). zwischen Druck, Volumen und Temperatur
Hat sich, ausgehend von dem Gleichgewichts- (Abschn. 3.1.5). Bei realen Gasen ist der
zustand 1, ein neuer Gleichgewichtszustand 2 Zusammenhang komplizierter und muss em-
178 3 Thermodynamik

Tabelle 3.1 Thermodynamische Systeme

Bezeichnung Kennzeichen der Systemgrenzen Beispiele


des Systems

offen durchlässig für Materie und Energie Wärmeübertrager, Gasturbine


geschlossen durchlässig für Energie, undurchlässig geschlossener Kühlschrank,
für Materie Warmwasserheizung, Heißluftmotor
abgeschlossen undurchlässig für Energie und Materie verschlossenes Thermosgefäß
adiabat undurchlässig für Materie und Wärme, rasche Kompression in einem Gasmotor
durchlässig für mechanische Arbeit

pirisch und mit Hilfe von Modellrechnungen Die Maßeinheit einer molaren Größe enthält
ermittelt werden (Abschn. 3.4). stets Xm = … mol−1 .
Jede spezifische Größe kann leicht in die ent-
Spezifische und molare Größen sprechende molare Größe umgerechnet wer-
Viele thermodynamische Größen sind exten- den. Aus (3.2) und (3.3) folgt sofort X = xm =
siv, d. h., sie hängen von der Substanzmenge Xm ν, oder
(Masse m, Stoffmenge ν) des Systems ab (z. B.
innere Energie U, Enthalpie H). Intensive Grö- m
ßen sind davon unabhängig (z. B. Druck p, Xm =x = xM . (3.4)
ν
Temperatur T). Wird eine extensive Größe
durch die Substanzmenge dividiert, ergibt sich
eine intensive Größe. Darin ist M die Molmasse der betreffenden
Eine spezifische Größe x ergibt sich nach Substanz (Einheit kg/mol).
DIN 1345 aus einer gemessenen extensiven Die Molmasse eines chemischen Elements be-
Größe X, indem durch die Masse m des stimmt man am einfachsten aus der im Pe-
Systems dividiert wird: riodensystem angegebenen relativen Atom-
masse Ar bzw. der relativen Molekülmasse Mr
bei einem Molekül. Ist mM die Masse eines Mo-
X
x= . (3.2) leküls, dann gilt
m
mM = Mr u .
In der Maßeinheit einer spezifischen Größe u = 1,6605 · 10−27 kg ist die atomare Massen-
steht immer x = … kg−1 . Spezifische Größen einheit, nämlich ein Zwölftel der Masse eines
12
werden nach DIN 1345 mit kleinen Formel- C-Atoms. Die Zahl der Teilchen der Stoff-
buchstaben geschrieben. menge ν = 1 mol ist gegeben durch die Avoga-
Der Quotient aus einer gemessenen Größe X dro’sche Konstante NA = 6,0221 · 1023 mol−1 .
und der Stoffmenge ν ist die molare Größe Xm , Damit wird die Molmasse
die durch den Index m gekennzeichnet wird: g
M = mM NA = Mr uNA = Mr .
mol
X Hat also beispielsweise Stickstoff (N2 ) die re-
Xm = . (3.3) lative Molekülmasse Mr = 28, dann ist seine
ν
Molmasse M = 28 g/mol.
3.1 Grundlagen 179

Beispiel
3.1-1 Um m = 2 kg Wasser zu verdampfen, ist die
Verdampfungswärme Q d = 4,512 MJ erforderlich. Wie
groß sind die spezifische und die molare Verdamp-
fungswärme von Wasser?

Lösung
Für die spezifische Verdampfungswärme er-
hält man q d = Q d / m = 2,256 MJ/kg. Die Mol-
masse von Wasser ist M = 18 g/mol. Somit
beträgt die molare Verdampfungswärme
Qmd = 2,256 MJ/kg · 18 g/mol = 40,6 kJ/mol .

3.1.3 Temperatur Abb. 3.2 Prinzip eines Gasthermometers mit


konstantem Gasvolumen. Durch Heben oder Senken
Die Temperatur ist der menschlichen Emp- des Ausgleichsgefäßes A wird der Quecksilberspiegel
im linken Schenkel des U-Rohrs auf der Nullmarke
findung direkt zugänglich und wird mit Be-
gehalten. p Druck T absolute Temperatur
griffen wie „warm“ und „kalt“ umschrieben.
Körper, die sich auf verschiedener Tempera-
tur befinden, können durch Befühlen unter-
Bereits im Jahr 1704 stellte G. Amontons (1663
schieden und entsprechend ihrer Temperatur
bis 1705) fest, dass der Druck eines Gases, des-
klassifiziert werden. Bringt man zwei Körper
sen Volumen konstant gehalten wird, von der
verschiedener Temperatur in Kontakt, so stellt
Temperatur abhängt. Er schlug vor, die Tem-
man fest, dass der warme Körper kälter und der
peratur proportional zum Druck des Gases zu
kalte wärmer wird. Es findet ein Temperatur-
setzen (T ∼ p) und damit die Temperaturmes-
ausgleich statt, der dann beendet ist, wenn das
sung auf eine Druckmessung zurückzuführen.
System einen Gleichgewichtszustand erreicht
Man erreicht dies mit Hilfe des in Abb. 3.2 dar-
hat. Dieser Sachverhalt wird durch den nullten
gestellten Gasthermometers. Es lässt sich zei-
Hauptsatz der Thermodynamik ausgedrückt:
gen, dass die Temperatur des Gasthermome-
ters für ideale Gase (Abschn. 3.1.4 und 3.1.5)
Im thermischen Gleichgewicht haben
identisch ist mit der oben erwähnten thermo-
alle Bestandteile eines Systems dieselbe
dynamischen Temperatur. Die Abweichungen,
Temperatur.
die reale Gase zeigen, kann man rechnerisch
berücksichtigen.
Der vorgenannte subjektive Temperaturbegriff Der im Gasthermometer bestimmte Gasdruck
muss natürlich durch eine Temperaturdefi- p kann erst dann in eine Temperatur T umge-
nition mit entsprechenden Messvorschriften rechnet werden, wenn die Proportionalitäts-
ersetzt werden. Die exakte Definition der sog. konstante zwischen Druck und Temperatur
thermodynamischen Temperatur geschieht festgelegt ist. Alle Experimente, besonders die
über den Wirkungsgrad einer idealen Wär- in Abschn. 3.1.4 geschilderten von Gay-Lussac,
mekraftmaschine und wird in Abschn. 3.3.5 zeigen, dass es einen absoluten Nullpunkt der
behandelt. Temperatur gibt. Um eine Temperaturskala
180 3 Thermodynamik

Tabelle3.2 Definierende Fixpunkte der ITS-90. Wenn nicht anders angegeben, beträgt der Druck pn = 101,325 kPa

Gleichgewichtszustand T90 in K ϑ90 in ◦ C

Siedepunkt von Helium bei verschiedenen 3 bis 5 −270,15 bis


Dampfdrücken −268,15
Tripelpunkt des Gleichgewichtswasserstoffs 13,8033 −259,3467
Siedepunkt von Wasserstoff beim Dampfdruck 32,9 kPa 17 −256,15
und 102,2 kPa 20,3 −252,85
Tripelpunkt des Neons 24,5561 −248,5939
Tripelpunkt des Sauerstoffs 54,3584 −218,7916
Tripelpunkt des Argons 83,8058 −189,3442
Tripelpunkt des Quecksilbers 234,3156 −38,8344
Tripelpunkt des Wassers 273,16 0,01
Schmelzpunkt der Galliums 302,9146 29,7646
Erstarrungspunkt des Indiums 429,7485 156,5985
Erstarrungspunkt des Zinns 505,078 231,928
Erstarrungspunkt des Zinks 692,677 419,527
Erstarrungspunkt des Aluminiums 933,473 660,323
Erstarrungspunkt des Silbers 1 234,93 961,78
Erstarrungspunkt des Goldes 1 337,33 1 064,18
Erstarrungspunkt des Kupfers 1 357,77 1 084,62

festzulegen, ist daher nur noch die Tempe- Die so definierte Kelvin-Skala hat dieselbe Ska-
ratur eines weiteren Punktes zu definieren. lenteilung wie die bereits 1742 von A. Celsius
Dazu wurde der Tripelpunkt des Wassers zu (1701 bis 1744) vorgeschlagene Skala, bei der
TTr = 273,16 K (Kelvin) festgelegt. Der Tripel- Schmelz- und Siedepunkte des Wassers unter
punkt ist der Zustand, bei dem in einem Gefäß Normdruck (0 ◦ C bzw. 100 ◦ C) als Fixpunkte
der feste, flüssige und gasförmige Aggregatzu- dienen. Der Zusammenhang zwischen der ab-
stand miteinander im Gleichgewicht sind. Der soluten Temperatur T in Kelvin und der Tem-
Tripelpunkt des Wassers ist leicht herzustellen peratur ϑ in Grad Celsius ergibt sich aus
und mit einer Toleranz von einigen Millikel-
vin reproduzierbar. Die 13. Generalkonferenz
ϑ T
für Maße und Gewichte (GKMG) legte 1967 als
◦ = − 273,15 . (3.5)
Einheit für die Temperatur fest: C K

1 Kelvin ist der 273,16te Teil der ther-


Durch diese Definition wird erreicht, dass
modynamischen Temperatur des Tripel-
Temperaturdifferenzen in beiden Einheiten
punktes von Wasser.
dieselbe Maßzahl haben.
Für den praktischen Gebrauch wurde die In-
Die Einheit Kelvin (K) für die absolute Tempe- ternationale Temperaturskala von 1990 (ITS-
ratur wurde zu Ehren von W. Thomson (1824 90) erarbeitet. Sie stützt sich auf 17 gut
bis 1907), dem späteren Lord Kelvin gewählt, reproduzierbare thermodynamische Gleich-
auf den die Temperaturskala zurückgeht. gewichtszustände als definierende Fixpunkte
3.1 Grundlagen 181

(Tabelle 3.2) und gilt als derzeit beste Darstel- nungskoeffizient. Sie ist ein Materialparame-
lung thermodynamischer Temperaturen. ter und kann näherungsweise konstant gesetzt
Zur Interpolation zwischen den Fixpunkten werden. In der Wirklichkeit steigt der Längen-
wird zwischen 0,65 K und 5 K die Temperatur ausdehnungskoeffizient α mit der Temperatur
aus dem Dampfdruck von 3 He bzw. 4 He leicht an; Tabelle 3.4 enthält einige mit 106 mul-
bestimmt; zwischen 3 K und 24,5561 K mit tiplizierte Mittelwerte für die Temperaturbe-
einem Gasthermometer. Oberhalb 13,8033 K reiche 0 ◦ C ϑ 100 ◦ C und 0 ◦ C ϑ
bis 1 234,93 K werden Pt-Widerstandsthermo- 500 ◦ C.
meter und für noch höhere Temperaturen Mit der Längenausdehnung der Körper ist
Spektralpyrometer eingesetzt. zwangsläufig eine Volumenänderung ver-
knüpft. Für das Volumen V2 eines Würfels bei
Temperaturmessung der Temperatur ϑ2 gilt nach (3.7), wenn V1
Jede physikalische Größe, die sich mit der Tem- das Volumen bei ϑ1 ist
peratur ändert, kann zur Temperaturmessung
herangezogen werden. Für die verschiedens- V2 = l23 = l13 [1 + α(ϑ2 − ϑ1 )]3 =
ten Messaufgaben, Messobjekte und Tempe- = V1 [1 + 3α(ϑ2 − ϑ1 ) + 3α2 (ϑ2 − ϑ1 )2
raturbereiche wurden unterschiedliche Mess- + α3 (ϑ2 − ϑ1 )3 ] .
verfahren entwickelt. Eine Zusammenstellung
gängiger Methoden enthält Tabelle 3.3. Die Die beiden letzten Glieder der Klammer sind
VDE/VDI-Richtlinien 3511 geben eine aus- gegenüber dem linearen Glied vernachlässig-
führlichere Darstellung sowie eine Zusam- bar. Daher erhält man in guter Näherung
menstellung der relevanten DIN-Normen.
V2 = V1 [1 + γ (ϑ2 − ϑ1 )] (3.8)
3.1.4 Thermische Ausdehnung
Festkörper oder für die relative Volumenänderung
Die meisten Festkörper dehnen sich bei Erwär-
mung aus. Die relative Verlängerung Δl/ l eines ΔV
Stabes kann innerhalb bestimmter Grenzen = γ ΔT (3.9)
V
proportional zur Temperaturänderung ΔT ge-
setzt werden:
mit ΔT = T2 − T1 = ϑ2 − ϑ1 und dem Raum-
ausdehnungskoeffizienten
Δl
= αΔT . (3.6)
l
γ = 3α . (3.10)
Ist die Länge l1 bei der Temperatur ϑ1 bekannt,
so folgt für die Länge l2 bei der Temperatur ϑ2
Beispiel
3.1-2 Eine Messingkugel (α = 19 · 10−6 K−1 ) hat
l2 = l1 [1 + α(ϑ2 − ϑ1 )] (3.7) bei der Temperatur ϑ1 = 20 ◦ C den Durchmesser
d1 = 20,00 mm. Auf welche Temperatur ϑ2 muss sie
erwärmt werden, damit sie in einem Ring mit dem
mit ΔT = T2 − T1 = ϑ2 − ϑ1 . Die Propor- Innendurchmesser d2 = 20,03 mm stecken bleibt? Wie
tionalitätskonstante α ist der Längenausdeh- hat sich das Kugelvolumen verändert?
182 3 Thermodynamik

Tabelle 3.3 Temperaturmessverfahren

Thermometertyp Messbereich Fehlergrenzen physikalisches Messprinzip


in ◦ C

Flüssigkeits-
Glasthermometer
Füllung:
Pentangemisch −200 bis 30 Näherungsweise Thermische Ausdehnung einer Flüssig-
Alkohol −110 bis 210 in Größenord- keit wird zur Temperaturmessung ver-
Toluol −90 bis 100 nung der Ska- wendet. Die Temperatur wird aus dem
mechanische Berührungsthermometer

Hg–Tl −58 bis 30 lenteilung. Stand der Flüssigkeit in einer Glas-


Quecksilber −38 bis 800 Details in kapillare ermittelt.
Galliumlegierung bis 1 000 VDE/VDI 3511
Flüssigkeits- −35 bis 500 1 bis 2% des Thermische Ausdehnung einer Flüssig-
Federthermo- Anzeige- keit (z. B. Hg unter 100 bis 150 bar)
meter bereichs wird auf eine Rohr- oder Schnecken-
feder übertragen.
Dampfdruck- −50 bis 350 1 bis 2% des Dampfdruck einer Flüssigkeit (Ethyl-
Federthermo- Anzeigebereichs ether, Hexan, Toluol, Xylol) wird auf
meter eine Rohr- oder Schneckenfeder
übertragen.

Stabausdehnungs- 0 bis 1 000 1 bis 2% des An- Thermische Ausdehnung eines Metall-
thermometer zeigebereichs stabs bewegt ein Messwerk.
Bimetallthermo- −50 bis 400 1 bis 3% des An- Thermobimetall besteht aus zwei fest
meter zeigebereichs miteinander verbundenen Schichten aus
Werkstoffen mit unterschiedlichen ther-
mischen Ausdehnungskoeffizienten und
krümmt sich bei Temperaturänderung.
Thermoelemente
elektrische Berührungsthermometer

AuFe–NiCr −270 bis 0 0,75% des Tem- Zwischen zwei Verbindungsstellen ver-
Cu-Konstantan −200 bis 400 peratur-Soll- schiedener Metalle entsteht eine Ther-
Fe-Konstantan −200 bis 700 werts, mindes- mospannung, wenn die Verbindungs-
NiCr-Konstantan −200 bis 900 tens 3 K stellen auf verschiedenen Temperaturen
Pt–PtRh 0 bis 1 600 sind (Seebeck-Effekt).
W–WMo 0 bis 3 300
Widerstands-
thermometer
Platin −250 bis 1 000 0,3 bis 5 K Temperaturabhängigkeit des elektri-
Nickel −60 bis 180 0,2 bis 2,1 K schen Widerstandes von Metallen und
Heißleiter −273 bis 400 0,5 bis 1,5 K Halbleitern dient zur Temperaturbe-
Kaltleiter 40 bis 270 stimmung.
3.1 Grundlagen 183

Tabelle 3.3 (Fortsetzung)

Thermometertyp Messbereich Fehlergrenzen physikalisches Messprinzip


in ◦ C

Strahlungs-
pyrometer
berührungslose Thermometer

Spektralpyrom. 650 bis 5 000 1 bis 35 K Temperatur eines Körpers wird aus der
Bandstrahlungsp. 50 bis 2 000 1 bis 1,5% Energiestromdichte seiner elektro-
Gesamtstrah- –40 bis 3 000 des Bereichs magnetischen Strahlung bestimmt.
lungspyrometer Messung erfolgt entweder in engem
Spektralbereich, breitem Spektral-
band oder im gesamten Spektrum.
Verteilungs-
pyrometer
Farbangleichpyr. 1 150 bis 2 000 10 bis 25 K Rote und grüne Strahlungsanteile von
Verhältnis- 200 bis 2 200 1 bis 1,5% Messstelle und Referenzlampe werden
pyrometer des Bereichs verglichen. Vergleich erfolgt subjektiv
durch Farbvergleich oder objektiv
durch Fotoempfänger.

Fotothermo- 250 bis 1 000 ±1 K Die Oberfläche eines heißen Körpers


metrie wird mit infrarotempfindlichen Platten
fotografisch aufgenommen. Zur Un-
tersuchung von Temperaturfeldern ge-
eignet.
Temperatur- 40 bis 1 350 ±5 K Auf Messkörper wird Farbe aufge-
messfarben bracht, die bei Erreichen einer bestim-
besondere Messverfahren

mten Temperatur den Farbton ändert.


Temperaturkenn- 100 bis 1 600 ±7 K Zylindrische Körper aus Metalllegie-
körper rungen zeigen durch Schmelzen eine
bestimmte Temperatur an.
Segerkegel 600 bis 2 000 Mischung aus Ton und Feldspat wird
bei Erreichen einer bestimmten Tempe-
ratur weich, der Kegel neigt sich zur
Seite.
akustisches –271 bis –253 Temperaturabhängigkeit der Schall-
Thermometer geschwindigkeit in Gasen ist ein Maß
für die Temperatur.
magnetisches –273 bis –200 Magnetische Suszeptibilität paramagne-
Thermometer tischer Salze hängt reziprok von der
absoluten Temperatur ab.
Glasfaser- 50 bis 250 Auflösung Die Fähigkeit einer Glasfaser, Licht-
thermometer 0,1 K wellen zu führen, hängt vom tempera
turempfindlichen Brechungsindex ab.
184 3 Thermodynamik

Tabelle 3.4 Mittlerer linearer Längenausdehnungs- Es gelten (3.8), (3.9) und (3.11); allerdings ist
koeffizient α einiger Festkörper in verschiedenen der Raumausdehnungskoeffizient γ größer als
Temperaturbereichen bei Festkörpern. Einige Zahlenwerte enthält
Tabelle 3.5.
106 α 106 α
in K−1 in K−1
Bemerkenswert ist die Anomalie des Wassers.
Temperaturbereich 0 ◦C ϑ 0 ◦C ϑ Bei der Temperatur ϑ = 4 ◦ C hat die Dichte
100 ◦ C 500 ◦ C ihr Maximum mit ρmax = 0,999973 kg/dm3 .
Wenn im Winter ein See zufriert, sammelt sich
Aluminium 23,8 27,4 das Wasser von ϑ = 4 ◦ C und größter Dichte
Kupfer 16,4 17,9
am Grund; darüber liegen die kälteren und
Stahl C 60 11,1 13,9
rostfreier Stahl 16,4 18,2 leichteren Schichten. Weil die kalten Schich-
Invarstahl 0,9 ten nicht absinken, erfolgt keine Wärmeüber-
Quarzglas 0,51 0,61 tragung durch Konvektion. Der Wärmetrans-
gewöhnliches Glas 9 10,2 port durch Wärmeleitung ist nicht sehr effektiv
(Abschn. 3.5), sodass tiefe Seen nicht bis zum
Grund durchgefrieren.
Lösung
Nach (3.6) ist die Temperaturänderung
Gase
Δd 0,03 mm Bei Gasen hängt das Volumen vom Druck
ΔT = = = 79 K .
dα 20 mm · 19 · 10−6 K−1 und der Temperatur ab. Messungen von
Also ist die erforderliche Temperatur ϑ2 = 99◦ C. J. A. C. Charles (1746 bis 1823), die von
Die relative Volumenvergrößerung beträgt nach (3.9) J. L. Gay-Lussac (1778 bis 1823) vertieft
und (3.10) wurden, ergaben, dass bei einem Gas unter
konstantem Druck das Volumen linear mit der
ΔV
= γ ΔT = 3αΔT = 4,5 · 10−3 . Temperatur gemäß (3.9) variiert:
V

V(ϑ) = V0 (1 + γ ϑ) ,
Die Dichte ρ eines Körpers ist umgekehrt pro-
portional zum Volumen. Für die Temperatur- wenn V0 das Volumen bei ϑ0 = 0 ◦ C ist.
abhängigkeit gilt Experimente liefern für den Raumausdeh-
nungskoeffizienten γ im Gay-Lussac’schen
m
ρ(ϑ) = . Gesetz für fast alle Gase den gleichen Wert.
V0 (1 + γϑ)
Die Unterschiede zwischen den einzelnen
Ist ρ0 = m/ V0 die Dichte bei ϑ0 = 0◦ C, dann
ist die Dichte bei der Temperatur ϑ
Tabelle 3.5 Raumausdehnungskoeffizient γ einiger
Flüssigkeiten bei der Temperatur ϑ = 20 ◦ C
ρ0
ρ(ϑ) = ≈ ρ0 (1 − γϑ) . (3.11)
103 γ in K−1
1 + γϑ Stoff

Wasser 0,208
Quecksilber 0,182
Flüssigkeiten Pentan 1,58
Ethylalkohol 1,10
Weil Flüssigkeiten keine Eigengestalt haben, Heizöl 0,9 bis 1,0
ist nur die Volumenänderung von Interesse.
3.1 Grundlagen 185

Wird das Volumen eines Gases konstant gehal-


ten und die Temperatur verändert, dann vari-
iert der Druck p gemäß

p(ϑ) = p0 (1 + γϑ) (3.13)

oder

T p
p(T) = p0 bzw. = konst. (3.14)
Abb. 3.3 Zusammenhang zwischen dem Volumen V T0 T
und der Temperatur T eines idealen Gases bei
konstantem Druck
Diese Gleichung ist die Grundlage der Tem-
peraturbestimmung nach Amontons mit Hilfe
des Gasthermometers.
Gasen werden umso geringer, je niedriger der
Druck p ist. Im Grenzfall p → 0 ergibt sich für
alle Gase 3.1.5 Allgemeine Zustandsgleichung idealer
Gase
1
γ = 0,003661 K−1 = .
Das Volumen V und der Druck p einer abge-
273,15 K
schlossenen Menge eines idealen Gases sind
Ein Gas in diesem Grenzzustand wird als idea- bei konstanter Temperatur durch das Gesetz
les Gas bezeichnet. von Boyle-Mariotte verknüpft:
Wie die grafische Darstellung des Gay-
Lussac’schen Gesetzes in Abb. 3.3 zeigt, wird
das Volumen bei ϑ = −273,15 ◦ C gleich null. pV = konst. (3.15)
Dies ist der absolute Nullpunkt der Tempera-
tur. Natürlich gilt das Gay-Lussac’sche Gesetz
Der Zusammenhang wurde 1662 von R. Boyle
bei sehr tiefen Temperaturen nicht mehr.
(1627 bis 1691) und unabhängig von ihm 1679
Reale Gase kondensieren beim Abkühlen;
von E. Mariotte (1620 bis 1684) experimen-
selbst am absoluten Nullpunkt muss noch
tell gefunden.
ein bestimmtes Restvolumen, nämlich das
Die Gesetze von Boyle-Mariotte, Gay-Lussac
Eigenvolumen der Atome, übrig bleiben. Die
und Charles, formuliert in (3.15), (3.12) so-
absolute Temperatur T erlaubt eine einfache
wie (3.14), lassen sich in einer Gleichung, der
Formulierung des Gay-Lussac’schen Gesetzes:
Zustandsgleichung idealer Gase kombinieren:

T V
V(T) = V0 bzw. = konst. pV
= konst. (3.16)
T0 T T
(3.12)

Reale Gase befolgen (3.16) umso besser, je ge-


Hierbei ist T0 = 273,15 K. ringer der Druck und je höher die Temperatur
186 3 Thermodynamik

ist. Die physikalischen Gründe hierfür sind in


Abschn. 3.2.1 erläutert. pV = mRi T . (3.19)
Die Zustandsgrößen Druck p, Volumen V und
Temperatur T einer konstanten Stoffmenge
eines idealen Gases gehorchen stets (3.16). Da die Gaskonstante Ri von der Dichte ρn des
Durch Auflösung nach dem Druck ergibt sich Gases abhängt, ergibt sich für jede Gasart eine
p = konst. T / V. eigene, individuelle Konstante.
Werden das Gefäßvolumen und die Tempera-
Beispiel
tur vorgegeben, dann hängt der Gasdruck und 3.1-3 Wie groß ist die individuelle Gaskonstante von
damit die Konstante von der Gasmenge ab, die trockener Luft?
sich im Gefäß befindet.
Zur Bestimmung der Konstante wird (3.16) in Lösung
Die Dichte beim Normzustand beträgt ρn =
die Form
1,2923 kg/m3 . Damit errechnet man für die Gas-
konstante
pV pn Vn
= (3.17) Ri =
101 325 N m−2
= 287,05
J
.
T Tn 273,15 K · 1,2923 kg m−3 kg K

gebracht. Die Größen mit dem Index n be- Der Nachteil, für jedes Gas eine besondere Gas-
ziehen sich auf den in DIN 1343 festgeleg- konstante in (3.19) einsetzen zu müssen, ent-
ten Normzustand mit der Normtemperatur fällt, wenn in (3.17) das Volumen Vn durch
Tn = 273,15 K (ϑn = 0 ◦ C) und dem Norm- die Stoffmenge ν ausgedrückt wird. Nach dem
druck pn = 101 325 Pa. Satz von A. Avogadro (1776 bis 1856) benö-
Das Volumen Vn des Gases hängt mit der tigt eine bestimmte Teilchenmenge eines idea-
Dichte ρn beim Normzustand und der Masse m len Gases bei bestimmten Werten des Drucks
gemäß und der Temperatur stets das gleiche Volu-
m men, und zwar unabhängig von der Gasart.
Vn = Für die Stoffmenge ν = 1 mol beträgt beim
ρn
Normzustand nach DIN 1443 das Molvolumen
zusammen. Somit wird aus (3.17) Vmn = 22,414 dm3 /mol. Somit ist das Volu-
men Vn der Teilchenmenge ν
pV pn
= m.
T Tn ρn Vn = ν Vmn ,
Die Werte für pn , Tn und ρn werden zusam- und (3.17) erhält die Form
mengefasst zu der individuellen (speziellen)
pV pn Vmn
Gaskonstanten = ν.
T Tn
pn Die Konstanten der rechten Seite fasst man
Ri = . (3.18)
Tn ρn zur universellen (molaren) Gaskonstante Rm
zusammen:

Die Zustandsgleichung idealer Gase erhält pn Vmn J


Rm = = 8,3145 .
demnach die Form Tn mol K
3.1 Grundlagen 187

Damit erhält man die Zustandsgleichung der Beispiel


idealen Gase: 3.1-4 Ein Gefäß mit V = 2 l Inhalt wird bei der Tem-
peratur ϑ = 22 ◦ C evakuiert und anschließend mit
Helium gefüllt, bis sich gegenüber dem äußeren Luft-
pV = νRm T . (3.20) druck pL = 1 016 hPa der Überdruck pü = 2,0 bar ein-
gestellt hat. Wie groß sind die Teilchenanzahl N, die
Teilchenmenge v und die Masse m des Gases?
Diese Form hat den Vorteil, dass für alle
Lösung
Gase dieselbe Gaskonstante verwendet werden Der Druck des Gases beträgt p = pL + pü =
kann. 3,016 · 105 Pa. Die absolute Temperatur ist
Die individuelle Gaskonstante Ri kann bei T = 295,15 K. Nach (3.22) folgt für die Teilchen-
Kenntnis der Molmasse M des Gases aus der anzahl
molaren Gaskonstante Rm berechnet werden. pV 3,016 · 105 N m−2 · 2 · 10−3 m3
N= =
Nach (3.4), die den allgemeinen Zusammen- kT 1,381 · 10−23 N m K−1 · 295,15 K
hang zwischen spezifischen und molaren Grö- = 1,48 · 1023 .
ßen beschreibt, gilt Die Teilchenmenge ist
pV N
ν= = = 0,246 mol .
Rm TRm NA
Ri = . (3.21)
M Helium hat die Molmasse M = 4,003 g/mol. Damit ist
die Masse des Gases m = νM = 0,985 g.

Die Anzahl der Teilchen in der Teilchenmenge


Der funktionale Zusammenhang der drei Zu-
ν = 1 mol wird durch die Avogadro’sche Kon-
standsgrößen Druck, Volumen und Tempe-
stante angegeben:
ratur in der Zustandsgleichung der idealen
NA = 6,0221 · 1023 mol−1 .
Mit der Avogadro-Konstante kann die rechte
Seite von (3.20) umgeformt werden:
Rm
pV = νNA T.
NA
Hierin ist N = νNA die Teilchenanzahl des Sys-
tems. Der Quotient
Rm J
k= = 1,38065 · 10−23
NA K
wird als Boltzmann-Konstante (L. Boltz-
mann, 1844 bis 1906) bezeichnet. Hiermit
ergibt sich eine weitere Form der Zustands-
gleichung idealer Gase:

Abb. 3.4 Zustandsfläche der Zustandsgleichung


pV = NkT . (3.22) idealer Gase. p Druck, Vm molares Volumen, T
absolute Temperatur
188 3 Thermodynamik

Gase kann in einem dreidimensionalen Raum 3.2 Kinetische Gastheorie


nach Abb. 3.4 anschaulich dargestellt werden.
Alle Gleichgewichtszustände liegen auf der ge- 3.2.1 Gasdruck
krümmten Fläche. Schnitte durch die Fläche
bei konstanter Temperatur liefern die Hyper- Die bisher phänomenologisch eingeführten
beln des Boyle-Mariotte’schen Gesetzes im p, V- Zustandsgrößen erhalten eine mechanische
Diagramm. Schnitte bei konstantem Druck er- Interpretation durch die kinetische Gastheo-
zeugen die Geraden des Gay-Lussac’schen Ge- rie. Hierbei legt man die atomare Struktur der
setzes im V, T-Diagramm, und schließlich er- Materie zugrunde und leitet die thermodyna-
geben Schnitte bei konstantem Volumen die mischen Eigenschaften der Gase aus der Bewe-
Geraden des Charles’schen Gesetzes im p, T- gung der Gasmoleküle unter Anwendung der
Diagramm. Gesetze der Mechanik ab.
Ein ideales Gas zeichnet sich dadurch aus, dass
Zur Übung es die Zustandsgleichung idealer Gase (3.15)
Ü 3.1-1 Ein Glasstab aus Pyrex-Glas und ein Maßstab
und folgende in Abschn. 3.1.5 befolgt. Ein rea-
aus Messing Ms 58 sind bei ϑ1 = 20 ◦ C genau l1 =
1 000 mm lang. Welche Länge liest man für den Glas- les Gas verhält sich dann ideal, wenn die Teil-
stab ab, wenn beide Körper auf ϑ2 = 100 ◦ C erwärmt chendichte gering und die Temperatur wesent-
werden? (αGlas = 3,2 · 10−6 K−1 ; αMs = 19 · 10−6 K−1 ) lich über der Siedetemperatur der Substanz
liegt. In diesem Zustand ist das Eigenvolumen
Ü 3.1-2 Eine kreisförmige Stahlplatte hat bei ϑ1 =
20 ◦ C den Durchmesser d1 = 1 200 mm. Um welchen
der Moleküle sehr viel kleiner als das Gefäßvo-
Betrag nimmt ihre Fläche zu, wenn sie auf ϑ2 = 96 ◦ C lumen; außerdem sind die zwischenmolekula-
erwärmt wird? ren Kräfte vernachlässigbar, da diese eine sehr
kurze Reichweite haben.
Ü 3.1-3 Wie groß ist die Zugspannung in Eisenbahn-
Die Modellsubstanz des idealen Gases hat fol-
schienen bei ϑ1 = −20 ◦ C, wenn sie bei ϑ2 = +20 ◦ C
spannungsfrei verschweißt wurden? Der Elastizitäts- gende Eigenschaften:
modul des Stahls beträgt E = 2 · 105 N/mm2 (Ab-
schn. 2.11).
– Das Gas besteht aus einer großen Anzahl
gleichartiger Teilchen, den Molekülen.
Ü 3.1-4 Bei ϑ1 = 20 ◦ C beträgt die Dichte von Queck- – Die räumliche Ausdehnung der Teilchen
silber ρ1 = 13,546 kg/dm3 . Bei welcher Temperatur ϑ2 ist so klein, dass ihr Eigenvolumen gegen-
ist die Dichte ρ2 = 13,5 kg/dm3 ?
über dem Gefäßvolumen vernachlässigbar
Ü 3.1-5 Wie groß ist die individuelle Gaskonstante von ist (Konzept des Massenpunktes).
Wasserdampf, wenn bei der Temperatur ϑ = 800 ◦ C – Zwischen den Teilchen existieren keine
und dem Druck p = 9,807 bar das spezifische Volumen Wechselwirkungskräfte, ausgenommen bei
= 0,5 m3 /kg beträgt?
einem Zusammenstoß.
Ü 3.1-6 In ein Gefäß mit dem Volumen V = 20 l wird – Die Zusammenstöße der Teilchen unterein-
bei der Temperatur ϑ = 22 ◦ C Luft gepumpt, bis sich ander und mit den Gefäßwänden verlaufen
der Überdruck p = 100 bar einstellt. Welche Masse völlig elastisch innerhalb einer vernachläs-
hat das Gas, wenn der äußere Luftdruck pL = 1 bar sigbaren Zeitspanne.
beträgt?

Ü 3.1-7 In einem Gefäß mit V = 1 m3 Inhalt befindet


Der Druck, den ein Gas auf die Gefäßwand
sich bei der Temperatur T = 250 K und dem Druck ausübt, wurde bereits 1738 von Bernoulli so
p = 2,5 bar ein ideales Gas. Wie groß ist dessen Teil- erklärt, dass die Teilchen bei ihren Zusammen-
chenmenge? stößen mit der Wand an diese einen bestimm-
3.2 Kinetische Gastheorie 189

Abb. 3.6 Zur kinetischen Gastheorie: Kraftstöße


auf die Wand. Fi Kraft, t Zeit, a Kantenlänge, xi
Geschwindigkeit

Abb. 3.5 Zur kinetischen Gastheorie: Würfel mit


einem Molekül der Geschwindigkeit i . sie untereinander nicht zusammenstoßen, er-
x, y, z Koordinaten, a Kantenlänge
gibt sich der Druck auf die Wand durch Sum-
mation über alle N Einzelbeiträge:
ten Impuls übertragen und dadurch eine Kraft mM 2
ausüben. Zur Bestimmung des Drucks sei zu- p= x1 + 2x2 + 2x3 + · · · + 2xN
V
nächst nach Abb. 3.5 ein Würfel der Kanten-
mM 2
N
länge a als Gefäß betrachtet, in dem sich ledig- = .
V i = 1 xi
lich ein Molekül der Masse mM befinden soll.
Das Molekül bewege sich mit der Geschwindig-
Bei den üblichen Teilchenanzahlen verschwin-
keit i und treffe auf die rechte Wand des Wür-
det das in Abb. 3.6 angedeutete diskrete Auf-
fels. Gemäß den Stoßgesetzen von Abschn. 2.7
treten der Stöße vollkommen. Tatsächlich tref-
wird das Teilchen wie beim optischen Reflexi-
fen beispielsweise bei einem mit Luft gefüllten
onsgesetz reflektiert und gibt dabei den Impuls
Gefäß im Normzustand auf jeden Quadratzen-
Δpi = 2mM xi an die Wand ab. Nach einer be- timeter der Wand je Sekunde etwa 3 · 1023 Teil-
stimmten Laufzeit Δt wiederholt sich der Vor-
chen.
gang, sodass in regelmäßigen Abständen nach
Die Geschwindigkeiten der einzelnen Mole-
Abb. 3.6 ein Kraftstoß auf die rechte Wand aus-
küle messen zu wollen, ist ein hoffnungslo-
geübt wird. Die mittlere Kraft F i auf die rechte
ses Unterfangen. Sinnvoll sind nur statistische
Wand beträgt
Aussagen, z. B. eine Berechnung des Mittel-
Δpi 2mM xi mM 2xi werts. Der obige Ausdruck lässt sich mit dem
Fi = = = .
Δt 2a/ xi a mittleren Geschwindigkeitsquadrat
Damit ist der „Druck“, von einem Molekül her-
1 2
N
rührend, 2x =
N i = 1 xi
Fi mM 2xi mM 2xi
pi = = = .
vereinfachen zu
A a3 V
Nun sollen sich N Teilchen mit verschiedenen mM 2
p= N x .
Geschwindigkeiten im Würfel befinden. Falls V
190 3 Thermodynamik

Nun gilt für jedes Teilchen Tabelle 3.6 Mittlere Geschwindigkeit m und
Schallgeschwindigkeit c einiger Gase beim
2 = 2x + 2y + 2z . Normzustand ϑn = 0 ◦ C und pn = 1,013 bar (ρ Dichte,
{ Isentropenexponent).
Da bei vielen Teilchen alle Raumrichtungen
gleichmäßig vorkommen, gilt für die Mittel- Gas ρ in { m in c in
werte der Geschwindigkeitsquadrate kg/m3 m/s m/s
1
2x = 2y = 2z = 2 . Helium 0,1785 1,67 1305 974
3 Argon 1,784 1,67 413 308
Demnach erhält man für den Druck Wasserstoff 0,0899 1,41 1840 1260
Sauerstoff 1,4289 1,40 461 315
1N Stickstoff 1,2505 1,40 493 337
p= mM 2 . (3.23) Luft 1,2928 1,40 485 331
3V

Diese Grundgleichung der kinetischen Gas-


Die mittlere Geschwindigkeit der Moleküle ist
theorie ist auch gültig, wenn Zusammenstöße
in der Größenordnung der Schallgeschwindig-
zwischen den Teilchen stattfinden, sowie bei
keit. Nach (5.186) gilt für die Schallgeschwin-
beliebiger Gefäßform.
digkeit
Gleichung (3.23) lässt sich mit Hilfe der Dichte

ρ = m/ V = N mM / V umschreiben: κp
c= .
ρ
1 2 κ ist der in Abschn. 3.3.4 definierte Isentro-
p= ρ . (3.24)
3 penexponent, der im Bereich 1 < κ 5/ 3
liegt. Tabelle 3.6 enthält Werte der mittleren
Diese Beziehung kann benutzt werden, um die Geschwindigkeit m und der Schallgeschwin-
mittleren Molekülgeschwindigkeiten in Gasen digkeit c für einige Gase.
zu berechnen. Als mittlere Geschwindigkeit m
wird die Wurzel aus dem mittleren Geschwin- 3.2.2 Thermische Energie und Temperatur
digkeitsquadrat 2 definiert:
Wird die Grundgleichung (3.23) der kineti-
schen Gastheorie in der Form
3p
m = 2 = . (3.25) 1
ρ pV = NmM 2
3
geschrieben, so ist eine Verwandtschaft mit der
allgemeinen Zustandsgleichung (3.22) idealer
Beispiel
3.2-1 Beim Normzustand beträgt die Dichte von Gase
Stickstoff ρn = 1,2505 kg/m3 . Wie groß ist die mitt-
lere Geschwindigkeit?
pV = NkT

Lösung
offensichtlich. Durch Gleichsetzen der rechten
Seiten entsteht die Beziehung

3 · 101 325 N m−2 1
m = = 493 m/s . mM 2 = kT ,
1,2505 kg m−3 3
3.2 Kinetische Gastheorie 191

die zeigt, dass das mittlere Geschwindigkeits- Durch die Verknüpfung von Temperatur und
quadrat proportional zur Temperatur ist. Dar- kinetischer Energie wird auch wieder auf
aus folgt sofort für die Temperaturabhängig- die Existenz eines absoluten Temperatur-
keit der mittleren Geschwindigkeit: Nullpunkts hingewiesen, bei dem jede Teil-
chenbewegung aufhört. (Die Quantentheorie
lehrt, dass bei T = 0 K noch eine Nullpunkts-
3kT 3Rm T
m = = . (3.26) energie vorhanden ist.)
mM M

Gleichverteilungssatz
Beispiel Die Modellsubstanz – die Grundlage der vor-
3.2-2 Wie groß ist die mittlere Geschwindigkeit m genannten abgeleiteten Gleichungen – besteht
und die Schallgeschwindigkeit c von Luft bei ϑ = aus punktförmigen Teilchen mit jeweils f = 3
20 ◦ C? Freiheitsgraden. Da sich im zeitlichen Mit-
Lösung tel die Bewegung der Moleküle gleichmäßig
Aus (3.26) folgt auf alle drei Raumrichtungen verteilt, kann
man die kinetische Energie eines Moleküls in
m20 293
= und m20 = 1,036m0 . drei gleiche Teile aufspalten. Auf jeden Frei-
m0 273
heitsgrad entfällt somit die mittlere thermische
Mit m0 = 485 m/s (Tabelle 3.6) ergibt sich m20 =
Energie pro Molekül
502 m/s. Im gleichen Verhältnis nimmt die Schallge-
schwindigkeit von c0 = 331 m/s auf c20 = 343 m/s zu.
1
Eine sehr plastische Deutung des Temperatur- Ef = kT . (3.29)
2
begriffs wird möglich durch Einführung der
mittleren kinetischen Energie Ekin eines Teil-
chens der Masse mM : Dieses Ergebnis kann verallgemeinert werden
auf Gase, deren Teilchen nicht punktförmig
1 sind (z. B. das hantelförmige N2 -Molekül) und
Ekin = mM 2 . (3.27) daher mehr als drei Freiheitsgrade haben:
2

Die thermische Energie eines Moleküls


Aus (3.26) und (3.27) folgt
verteilt sich gleichmäßig auf alle seine
Freiheitsgrade. Jeder Freiheitsgrad hat
3 die Energie Ef = 12 kT.
Ekin = kT . (3.28)
2

Dieser Ausdruck erlaubt eine anschauliche Dieser Gleichverteilungssatz (Äquipartions-


Interpretation der phänomenologisch einge- prinzip) liefert für die mittlere kinetische
führten Zustandsgröße „Temperatur“: Energie eines Moleküls mit f Freiheitsgraden

Die Temperatur ist ein Maß für die mitt- f


lere kinetische Energie der Moleküle.
Ekin = kT . (3.30)
2
192 3 Thermodynamik

Der Gleichverteilungssatz verliert seine Gül-


Der Boltzmann-Faktor gibt an, welcher
tigkeit bei tiefen Temperaturen, wo Quanten-
Bruchteil der Teilchen aufgrund ihrer
effekte wirksam werden (Abschn. 3.3.3).
thermischen Bewegung die Energie-
schwelle E2 − E1 überschritten hat.
3.2.3 Geschwindigkeitsverteilung
der Gasmoleküle
Er tritt auf in den Gleichungen der Leitfähig-
keit von Halbleitern, in der Diodenkennlinie,
Boltzmann-Faktor beim Verdampfen von Flüssigkeiten und beim
Die barometrische Höhenformel gemäß Elektronenaustritt aus Glühkathoden, um ei-
(2.184) beschreibt die Druckabnahme in der nige Beispiele zu nennen.
Atmosphäre mit zunehmender Höhe h: Haben mehrere Zustände dieselbe Energie
ρ0 T0 gh (entartete Zustände), dann kann dies durch
ph = p0 e− p0 T . ein statistisches Gewicht g berücksichtigt
Der Exponent lässt sich leicht umformen: werden. Aus (3.31) wird dann
mM gh
ph = p0 e− kT . N2 g2 − E2 −E1
= e kT . (3.32)
Da die Teilchenanzahldichte n = N / V propor- N1 g1
tional zum Druck ist, gilt für das Verhältnis
der Teilchenanzahldichten in der Höhe h und Wenn ein System verschiedene Zustände mit
am Erdboden bei h = 0: den Energien E1 , E2 , … einnimmt, so ist die
nh mM gh
= e− kT . Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Zustand
n0 mit der Energie Ei besetzt ist, gegeben durch
Der Zähler im Exponenten entspricht der
Differenz der potentiellen Energie ΔEpot im Ei
Schwerefeld zwischen den beiden betrachteten Pi ∼ gi e− kT . (3.33)
Zuständen, sodass auch gilt
nh ΔEpot
= e− kT .
Maxwell’sche Verteilungsfunktion
n0
Bei einem Gas ändern sich infolge der Zusam-
Dieses Ergebnis lässt sich verallgemeinern auf
menstöße zwischen den Gasmolekülen ständig
zwei beliebige Energiezustände E1 und E2 .
deren Geschwindigkeiten. Trotzdem ist eine
Werden auf diese beiden Energieniveaus N
statistische Aussage darüber möglich, mit wel-
Teilchen verteilt, dann gilt für die Besetzungs-
cher Wahrscheinlichkeit eine bestimmte Ge-
zahlen bzw. Teilchenanzahldichten
schwindigkeit vorkommt. Nach (3.33) ist die
Wahrscheinlichkeit für das Auftreten einer Ge-
N2 n2 E2 −E1 ΔE
= = e− kT = e− kT . (3.31) schwindigkeit zwischen und + d gegeben
N1 n1
durch die Verteilungsfunktion
mM 2
f () d = Cg()e− 2kT d .
Diese Exponentialfunktion ist als Boltzmann-
Faktor bekannt und spielt in den Gleichungen Darin berücksichtigt g() d das statistische
der Gleichgewichtsstatistik eine große Rolle. Gewicht des Geschwindigkeitsintervalls.
3.2 Kinetische Gastheorie 193

3/ 2
mM mM 2
f () d = 4π 2
· e− 2kT d .
2πkT
(3.34)

Sie wurde von J. C. Maxwell im Jahr 1859


gefunden und 1876 von L. Boltzmann theo-
retisch begründet.
Abbildung 3.8 zeigt die Verteilungsfunktion
für Stickstoff-Moleküle bei den Temperaturen
T = 300 K und T = 900 K.
Die wahrscheinlichste Geschwindigkeit w , also
diejenige, die am häufigsten auftritt, kann
Abb. 3.7 Zur Maxwell’schen Geschwindigkeits-
aus (3.34) durch Bestimmung des Maximums
verteilung: Geschwindigkeiten zwischen und
+ d ermittelt werden:


Im dreidimensionalen Geschwindigkeitsraum 2kT 2
w = = m . (3.35)
nach Abb. 3.7 liegen die Spitzen aller Ge- mM 3
schwindigkeitsvektoren mit den Beträgen zwi-
schen und + d in einer Kugelschale mit
Die durchschnittliche Geschwindigkeit , also
dem Radius und der Dicke d. Die Anzahl
der arithmetische Mittelwert der Geschwin-
der möglichen Geschwindigkeitsvektoren ist
digkeitsbeträge aller Teilchen, liegt zwischen
proportional zum Volumen dieser Kugelschale
w und m :
4π2 d. Setzt man

g() = 4π2 ,
8kT 8
= = m . (3.36)
dann ergibt sich die Normierungskonstante C πmM 3π
aus der Forderung

f () d = 1 .
0

Dies ist der mathematische Ausdruck dafür,


dass ein Teilchen mit Sicherheit irgendeine
Geschwindigkeit zwischen null und unendlich
haben muss. Durch Bestimmung des Integrals
folgt
3/ 2
mM
C= .
2πk T
Die Maxwell’sche Geschwindigkeitsverteilung Abb. 3.8 Maxwell’sche Geschwindigkeitsverteilung
lautet demnach für Stickstoffmoleküle
194 3 Thermodynamik

An vielen Prozessen sind nur jene Teilchen be-


teiligt, deren Energie eine bestimmte Schwelle 2 EA − EA
x= √ = e kT . (3.37)
überschreitet. Beispiele sind chemische Re- π kT
aktionen, Glühemission von Elektronen aus
Metallen, Stoßionisation in Gasen. Mit Hilfe
von (3.34) lässt sich berechnen, welcher Bruch- Zur Übung
teil der Teilchen die erforderliche Mindest- Ü 3.2-1 Ein Gefäß mit V = 1 l Inhalt ist mit Helium
energie bzw. Mindestgeschwindigkeit besitzt. gefüllt. Das Gas befindet sich im Normzustand. a) Wie
groß ist die mittlere Geschwindigkeit m der Atome?
Beispiel b) Wie groß ist die gesamte kinetische Energie aller
3.2-3 Eine chemische Reaktion wird eingeleitet, wenn He-Atome, die sich in dem Gefäß befinden?
die Gasatome eine Aktivierungsenergie von EA =
1 eV = 1,6 · 10−19 J aufbringen. Welcher Bruchteil der Ü 3.2-2 Eine Orgelpfeife einer Kirchenorgel schwingt
Moleküle ist dazu in der Lage, wenn die Masse der Mo- bei ϑ1 = 20 ◦ C mit der Frequenz f1 = 440 Hz. Die Fre-
leküle mM = 4,65 · 10−26 kg beträgt? Die Temperatur quenz einer Pfeife ist proportional zur Schallgeschwin-
sei T1 = 300 K bzw. T2 = 900 K. Wie groß ist jeweils digkeit in der Luft. Welche Frequenz gibt die Pfeife
die mittlere Geschwindigkeit m ? im Winter ab, wenn die Temperatur der angesaugten
Luft ϑ2 = 5 ◦ C beträgt? (Zur Temperaturabhängig-
Lösung keit der Schallgeschwindigkeit siehe Beispiel 3.2-2. Die
Die Aktivierungsenergie
entspricht einer Mindestge- Längenänderung der Pfeife ist ein vernachlässigbarer
schwindigkeit von 0 = 2E mM = 2 625 m/s. Im Ver-
A
Effekt.)
gleich hierzu sind die mittleren Geschwindigkeiten
klein: Ü3.2-3 Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit dafür, dass
Stickstoff-Moleküle bei Raumtemperatur (T = 300 K)
m,1 =
3kT1
= 517 m/s und m,2 = 895 m/s . Geschwindigkeiten im Intervall 1 000 m/s 5 5
mM 1 100 m/s haben? Wie viele Moleküle erfüllen diese Be-
dingung, wenn das Gas beim Normdruck das Volumen
V = 1 l ausfüllt?
Der Bruchteil x der Moleküle mit = 0 beträgt

∞ Ü 3.2-4 Bei der Glühemission von Wolfram müssen


f () d ∞ die Elektronen die Austrittsarbeit WA = 4,5 eV über-
0
x= = f () d . winden. Welcher Bruchteil der Elektronen ist dazu bei

f () d 0 Raumtemperatur bzw. bei T = 1 500 K in der Lage?
0
(Das Elektronengas wird näherungsweise wie ein idea-
Eine numerische Integration mit einem programmier- les Gas angesehen.)
baren Rechner liefert

für T1 = 300 K : x1 = 1,14 · 10−16 und 3.3 Hauptsätze


für T2 = 900 K : x2 = 1,06 · 10 −5
. der Thermodynamik
Obwohl die Temperatur nur um den Faktor drei va-
riiert, verändert sich die Anzahl der reaktionsfähigen 3.3.1 Wärme
Teilchen um neun Größenordnungen.
Aus dem letzten Abschnitt geht hervor, dass die
Ist die Mindestgeschwindigkeit 0 sehr viel Temperatur ein Maß ist für die Energie, die in
größer als die mittlere Geschwindigkeit m , der ungeordneten thermischen Bewegung der
dann gilt in guter Näherung für den Bruch- Teilchen steckt. Bei Gasen und Flüssigkeiten ist
teil x der reaktionsfähigen Teilchen dies die kinetische Energie der Translation und
3.3 Hauptsätze der Thermodynamik 195

Rotation der Moleküle sowie die Schwingungs- wird, ergibt sich die spezifische Wärmekapazi-
energie der Molekülschwingungen. In Festkör- tät
pern schwingen die Atome um ihre Ruhelagen;
hierbei werden mit zunehmender Temperatur C
die Schwingungsamplituden immer größer. c= (3.39)
m
Bringt man zwei Körper, die sich auf verschie-
denen Temperaturen befinden, in Kontakt,
dann findet ein Temperaturausgleich statt: Die oder die molare Wärmekapazität
Temperatur des kälteren Körpers nimmt zu
und die des wärmeren nimmt ab. Dies be- C
deutet nach den vorgenannten Erläuterungen, Cm = . (3.40)
ν
dass vom warmen System an das kalte System
Energie übertragen wird. Diese Energieüber-
tragung belegt man mit dem Begriff Wärme: Nach (3.4) gilt der Zusammenhang Cm = cM.
Die SI-Maßeinheit der Wärme ist wie für
jede Energieform 1 J (Joule). Somit erhalten
Wärme ist Energie, die aufgrund eines die Wärmekapazitäten die Maßeinheiten C:
Temperaturunterschieds zwischen zwei 1 J/(K), c: 1 J/(kg K), Cm : 1 J/(mol K).
Systemen übertragen wird. Diese Ener- Im älteren Schrifttum und im praktischen Ge-
gieübertragung hat eine eindeutige Rich- brauch findet man häufig noch die früher üb-
tung. Die Wärme fließt stets in Richtung liche Maßeinheit für die Wärme, die Kilokalo-
der niedrigeren Temperatur. Der Wär- rie. Für die Internationale Tafelkalorie gilt der
meübergang ist also ein irreversibler Pro- Umrechnungsfaktor 1 kcalIT = 4,1868 kJ. (Mo-
zess. lare Wärmekapazitäten einiger Gase enthält
Tabelle 3.8 in Abschn. 3.3.3, spezifische Wär-
Wird einem Festkörper oder einer Flüssigkeit mekapazitäten von einigen Festkörpern und
Wärme zugeführt, dann ist dies immer mit ei- Flüssigkeiten Tabelle 3.12 in Abschn. 3.5.1.)
ner Temperaturerhöhung verknüpft, falls kein Die Wärmekapazität kann nur in bestimmten
Phasenübergang stattfindet (Abschn. 3.4.3). Grenzen als Konstante angesehen werden. Tat-
Um die Temperatur T eines Systems um dT sächlich hängt sie von der Temperatur ab. Bei
zu erhöhen, ist eine Wärmezufuhr δQ erfor- einer endlichen Temperaturänderung von T1
derlich, die proportional zu dT ist: auf T2 beträgt die übertragene Wärme

T2 T2
δQ = C dT . (3.38) Q12 =m c(T) dT =ν Cm (T) dT .
T1 T1
(3.41)
Die Proportionalitätskonstante C ist die Wär-
mekapazität des Systems. Sie hängt von der
Art des Stoffs und von der Menge ab, sie ist Ist das Temperaturintervall klein, kann die
also eine extensive Größe. Wärmekapazität näherungsweise als konstant
Je nachdem, ob die Wärmekapazität C auf die angenommen werden und (3.41) vereinfacht
Masse m oder die Teilchenmenge ν bezogen sich zu
196 3 Thermodynamik

wird mit dem Index „V“ gekennzeichnet:


Q12 = mc(T2 − T1 ) = νCm (T2 − T1 ) . CV , cV , CmV ;
(3.42) b) Temperaturänderung bei konstantem
Druck; die isobare Wärmekapazität erhält
den Index „p“: Cp , cp , Cmp .
Diese Gleichung gilt auch für einen größeren
Temperaturbereich, wenn anstatt der wahren
eine mittlere Wärmekapazität eingesetzt wird.
Kalorimetrie
Beispiel Wärmekapazitäten werden in Kalorimetern
3.3-1 Wie groß ist die Wärme, die einem Bauteil aus
gemessen. Abbildung 3.9 zeigt das Prinzip
Eisen von der Masse m = 0,8 kg zugeführt werden
muss, um es von ϑ1 = 20 ◦ C auf ϑ2 = 400 ◦ C zu erwär-
eines Mischungskalorimeters, das geeignet
men? ist, die Wärmekapazität von Festkörpern und
Flüssigkeiten zu messen. Im Innern des gut
Lösung isolierten Dewar-Gefäßes befindet sich eine
In diesem Temperaturintervall ist die spezifische Wär-
Flüssigkeit (meist Wasser) der Masse m1 bei
mekapazität linear von der Temperatur abhängig c1 =
465 J/(kg K), c2 = 615 J/(kg K). Die mittlere spezifische
der Temperatur T1 . Wird ein Körper der
Wärmekapazität beträgt c = 540 J/(kg K). Damit ist die Masse m2 mit der Temperatur T2 in die Flüs-
erforderliche Wärme sigkeit eingetaucht, so stellt sich nach einiger
Zeit die Mischungstemperatur Tm ein. Es muss
Q12 = mc(ϑ2 − ϑ1 ) folgende Energiebilanzgleichung erfüllt sein:
= 0,8 kg · 540 J/(kg K) · 380 K = 164 kJ .

Zur Veranschaulichung: Mit der gleichen Energie


m1 c1 (Tm − T1 ) + CK (Tm − T1 )
könnte man das Bauteil von 1 = 0 auf 2 = 640 m/s = m2 c2 (T2 − Tm ) .
beschleunigen.

Die spezifische bzw. molare Wärmekapazität


von Gasen hängt außer von der Gasart auch ab
von
– der Temperatur,
– dem Druck (nicht bei idealen Gasen) und
von
– der Prozessführung.
Die umgesetzte Wärme kann deshalb i. Allg.
nicht nach (3.41) berechnet werden, da je nach
Versuchsbedingungen eine ganz bestimmte
Wärmekapazität einzusetzen wäre. Für die
Praxis sind besonders zwei Versuchsbedin-
gungen von Bedeutung, für die die Wärme-
kapazitäten vieler Gase gemessen sind:
a) Temperaturänderung bei konstantem Abb.3.9 Mischungskalorimeter. m Masse, c spezifische
Volumen; die isochore Wärmekapazität Wärmekapazität 1 Flüssigkeit, 2 Festkörper
3.3 Hauptsätze der Thermodynamik 197

CK ist die Wärmekapazität des Kalorimeters.


Daraus bestimmt sich die zu messende spezi-
fische Wärmekapazität des Körpers 2:

(m1 c1 + CK )(Tm − T1 )
c2 = . (3.43)
m2 (T2 − Tm )

Es ist einleuchtend, dass mit dieser Methode


die spezifische Wärmekapazität nur relativ zu
der des Wassers c1 gemessen werden kann.
Aus diesem Grund hat man früher die spe-
zifische Wärmekapazität des Wassers mit c1 =
1 kcal/(kg K) festgelegt und darauf alle ande-
ren Wärmekapazitäten bezogen. Abb. 3.10 Kalorimeter zur Bestimmung der
Die Bestimmung der spezifischen Wärmeka- isobaren spezifischen Wärmekapazität cp von Gasen.
pazität cv von Gasen bei konstantem Volumen T Temperatur

ist verhältnismäßig schwierig. Das Gas wird


in ein Kalorimetergefäß eingeschlossen und der Flüssigkeit ist dT/dt = 0,119 K/s. Wie groß ist die
– z. B. mit einer elektrischen Heizung – aufge- spezifische Wärmekapazität von Methylalkohol, wenn
heizt. Da die Wärmekapazität des Gefäßes sehr die Wärmekapazität des Kalorimeters CK = 95 J/K be-
viel größer ist als die des Gases, ist das Mess- trägt?
ergebnis nicht sonderlich genau. Einfacher ist
Ü 3.3-3 Um die isobare spezifische Wärmekapazität
die Bestimmung der spezifischen Wärmeka-
von Stickstoffmonoxid (NO) zu bestimmen, wird das
pazität cp unter konstantem Druck: Gas gemäß Abb. 3.10 durch ein Kalorimeter geleitet.
Gemäß Abb. 3.10 leitet man eine bestimmte Dieses ist mit m1 = 1 kg Wasser gefüllt. Die Wärme-
Menge erhitztes Gas in einer Rohrschlange kapazität des Gefäßes ist vernachlässigbar. Die Tempe-
durch ein Wasserkalorimeter. Aus der Tem- raturdifferenz zwischen ein- und ausströmendem Gas
peraturdifferenz T1 − T2 , dem Massenstrom ist T1 − T2 = 5 K. Der Volumenstrom beträgt V̇ = 1 l/s.
Die Dichte von NO ist ρ = 1,34 kg/m3 . Die Tempera-
und der Temperaturzunahme der Flüssigkeit
turzunahme der Flüssigkeit ist dT3 /dt = 1,6 · 10−3 K/s.
lässt sich die Wärmekapazität cp bestim- Wie groß ist die isobare spezifische Wärmekapazität cp
men. cv kann aus cp berechnet werden und die isobare molare Wärmekapazität Cm,p ?
(Abschn. 3.3.3).
Ü 3.3-4 Die spezifische Wärmekapazität der Fest-
Zur Übung körper entspricht bei tiefen Temperaturen dem De-
Ü 3.3-1 Die Wärmekapazität CK eines Kalorimeters bye’schen T 3 -Gesetz c = konst. · T 3 . Für Zink gilt
soll bestimmt werden. Dazu wird ein Kupferblock der Cm = 1,76 J/(mol K) (T = 20 K). Welche Wärme muss
Masse m2 = 150 g und der Temperatur ϑ2 = 35 ◦ C in einem Bauteil der Masse m = 200 g entzogen werden,
das Wasserbad der Masse m1 = 250 g und der Tempe- wenn es von T2 = 20 K auf T1 = 4,2 K abgekühlt wer-
ratur ϑ1 = 15 ◦ C getaucht. Die Mischungstemperatur den soll?
beträgt ϑm = 15,9 ◦ C.

3.3.2 Erster Hauptsatz der Thermodynamik


Ü 3.3-2 In ein Kalorimeter, das mit Methylalkohol der
Masse m1 = 0,3 kg gefüllt ist, wird eine Heizwicklung
getaucht und mit elektrischem Strom geheizt. Die Heiz- Aus der kinetischen Gastheorie folgt sehr ein-
leistung beträgt P = 100 W. Die Temperaturzunahme leuchtend, dass Wärme eine Energieform ist.
198 3 Thermodynamik

Diese Theorie wurde erst um die Mitte des Von 1843 bis 1850 bemühte sich J. P. Joule
19. Jahrhunderts entwickelt. Bis dahin war die (1818 bis 1889) in vielen verschiedenartigen
Meinung vorherrschend, dass beim Wärme- Experimenten um eine genaue Bestimmung
übergang von einem heißen auf einen kal- des mechanischen Wärmeäquivalents. Er
ten Körper ein Wärmestoff, das „Phlogiston“, erhielt einen Zahlenwert für das mecha-
überwechselt. Von den zahlreichen Experi- nische Wärmeäquivalent, der lediglich
menten, die im Lauf der Zeit die Theorie des um 1% von dem heute anerkannten Wert
Wärmestoffs zu Fall brachten, seien kurz zwei 4,1868 kJ = 1 kcal abweicht.
erwähnt: Unabhängig von Mayer entwickelte 1847
Im Jahr 1797 beaufsichtigte Graf Rumford H. v. Helmholtz (1821 bis 1894) den allge-
(B. Thompson, 1753 bis 1814) das Kanonen- meinen Energiesatz, der außer mechanischer
bohren im Münchener Zeughaus. Mit Hilfe und Wärmeenergie auch alle anderen Ener-
eines von Pferden angetriebenen Bohrers gieformen, wie z. B. elektrische, magnetische
wurde eine Kanone aufgebohrt. Die dabei und chemische Energie, einschließt. Dieser
entwickelte Wärme wurde an Kühlwasser erste Hauptsatz der Thermodynamik lautet:
abgegeben. In 2,5 Stunden wurden 8,5 kg
Wasser zum Kochen gebracht. Rumford zog In einem abgeschlossenen System bleibt
aus seinen Beobachtungen den Schluss, dass der Gesamtbetrag der Energie konstant.
die Temperaturerhöhung durch die mecha- Innerhalb des Systems können die ver-
nische Arbeit der Pferde verrichtet wurde: schiedenen Energieformen ineinander
„Mehr Energie lässt sich erzeugen, indem umgewandelt werden.
man mehr Pferdefutter verwendet.“ – 1799
brachte H. Davy (1778 bis 1829) zwei Eis- Helmholtz kam zu seiner Schlussfolgerung auf-
stücke von ϑ = 0 ◦ C durch Reiben zum grund der Tatsache, dass es nicht gelingt, ein
Schmelzen. Auch hierbei wurde die erforderli- Perpetuum mobile zu bauen, also eine Ma-
che Schmelzwärme durch mechanische Arbeit schine, die ständig Arbeit abgibt, ohne gleich-
zugeführt. zeitig entsprechende Energie aufzunehmen.
Im Jahr 1842 erkannte der Arzt R. Mayer Eine solche Maschine, die dem ersten Haupt-
(1814 bis 1878) als erster die Existenz eines all- satz widersprechen würde, wäre ein Perpe-
gemeinen Energieerhaltungssatzes, der außer tuum mobile erster Art.
den bisher bekannten mechanischen Energie-
formen die Wärme mit einschließt. Er stellte Es gibt kein Perpetuum mobile erster
fest, dass der Energiesatz der Mechanik unein- Art.
geschränkt gilt, wenn die Wärme als weitere
Energieform berücksichtigt wird. Aus vorlie- Dieser Erfahrungssatz ist schon recht alt. Be-
genden Daten der spezifischen Wärmekapa- reits 1775 beschloss die französische Akade-
zitäten cp und cv von Luft berechnete er als mie der Wissenschaften, Vorschläge von Er-
erster das mechanische Wärmeäquivalent, also findern für ein Perpetuum mobile nicht mehr
den Umrechnungsfaktor der (damals) in Kalo- zu prüfen.
rien gemessenen Wärme in mechanische Ener-
gieeinheiten. Aufgrund ungenauer Messdaten Innere Energie
erhielt Mayer einen Zahlenwert, der um 14% Die gesamte thermische Energie eines Sys-
vom korrekten Wert abwich. tems, die in der ungeordneten Bewegung der
3.3 Hauptsätze der Thermodynamik 199

Teilchen steckt, wird nach Kelvin als innere tem keine Volumenänderungsarbeit verrichtet
Energie U des Systems bezeichnet. Diese kann werden. Nach (3.44) gilt für eine solche iso-
nach den obigen Erläuterungen nur geändert chore Zustandsänderung
werden, wenn über die Systemgrenzen Ener-
dU = δQ|V =konst. = νCmV dT = mcV dT .
gie mit der Umgebung ausgetauscht wird. Die
Energieübertragung umfasst in den folgenden Da die innere Energie eine Zustandsgröße ist,
Betrachtungen lediglich Wärme und mecha- kann für eine beliebige Zustandsänderung, die
nische Arbeit, kann aber jederzeit auf alle vor- nicht isochor zu sein braucht, die Änderung
handenen Energieformen ausgedehnt werden. der inneren Energie nach der vorgenannten
Für die Änderung dU der inneren Energie gilt Beziehung berechnet werden:
somit

dU = νCmV dT = mcV dT . (3.46)


dU = δQ + δW . (3.44)
Für beliebige Zustandsänderungen idea-
Die Änderung der inneren Energie eines ler Gase hängt die Änderung der inneren
geschlossenen Systems entspricht der Energie nur von der isochoren Wärme-
Summe von übertragener Wärme und kapazität und der Temperaturänderung
Arbeit. ab.

Das Vorzeichen der umgesetzten Energiebe- Bei einer endlichen Temperaturänderung ist
träge wird wie folgt festgelegt: Wärme und Ar- die gesamte Änderung der inneren Energie
beit, die dem System zugeführt werden, erhal-
ten ein positives Vorzeichen. Wenn das System T2
Energie nach außen abgibt, ist diese negativ. ΔU = U2 − U1 = ν CmV (T) dT
Die innere Energie ist eine Zustandsgröße (Ab-
T1
schn. 3.1.2), d. h., sie hängt nur vom augen-
blicklichen Zustand des Systems ab, nicht aber T2
davon, wie das System in diesen Zustand ge- =m cV (T) dT (3.47)
langt ist. Wäre dies nicht so, dann ließe sich T1

ein Perpetuum mobile konstruieren. Speziell


oder nach (3.44)
bei den idealen Gasen gilt nach (3.30) für die
innere Energie ΔU = U2 − U1 = Q12 + W12 . (3.48)

f f
U = NEkin = N kT = ν Rm T . (3.45)
2 2 Die umgesetzte Wärme Q12 und die mecha-
Die innere Energie der idealen Gase nische Arbeit W12 sind Prozessgrößen (Ab-
hängt außer von der Stoffmenge nur von schn. 3.1.2). Sie hängen von der Art der Pro-
der Temperatur ab. zessführung ab, lassen sich also nicht nach der
Art der inneren Energie als Differenz zweier
fester Werte beschreiben.
Wird bei einer Zustandsänderung das Volu- Zur Berechnung der Volumenänderungsarbeit
men konstant gehalten, dann kann am Sys- bei einem geschlossenen System sei die Kom-
200 3 Thermodynamik

Abb. 3.11 Zur Bestimmung der Volumenände-


rungsarbeit. A Kolbenfläche, F Kraft, p Druck, ds
Wegelement

pression eines Gases gemäß Abb. 3.11 be-


trachtet. In einem Zylinder mit verschiebba-
rem Kolben befindet sich ein Gas unter dem Abb. 3.12 Volumenänderungsarbeit im p,V-Dia-
Druck p. Zur Verschiebung des Kolbens mit gramm. 1,2 Grenzpunkte, W12 Volumenänderungsar-
der Fläche A um die Strecke ds ist die Arbeit beit, a,b Wege
δW = F ds = pA ds erforderlich. Das Produkt
A ds = dV entspricht der Änderung des Gas-
fordert der Weg a eine geringere Arbeit als der
volumens. Das Differential der Arbeit ist also –
Weg b.
mit dem Minuszeichen nach der Vorzeichen-
vereinbarung –
Enthalpie
Außer der inneren Energie U ist eine weitere
δW = −p dV . (3.49) Zustandsgröße, die Enthalpie H sehr nützlich:

Wird das Volumen von V1 nach V2 geändert, H = U + pV . (3.51)


so ist die Gesamtarbeit

Das totale Differenzial der Enthalpie ist


V2
dH =dU + p dV + V dp. Für Zustandsände-
W12 =− p(V) dV . (3.50)
rungen, die unter konstantem Druck ablaufen,
V1
vereinfacht es sich zu dH = dU + p dV.
Mit der Volumenänderungsarbeit in geschlos-
Abbildung 3.12 erlaubt eine anschauliche In- senen Systemen δW = −p dV ergibt sich dH =
terpretation: dU − δW. Diese Beziehung lässt sich mit dem
ersten Hauptsatz (3.44) so schreiben:
Die Volumenänderungsarbeit entspricht
der Fläche unter der Kurve der Zustands- dH = δQ|p=konst. = νCmp dT = mcp dT .
änderung im p,V-Diagramm. (3.52)
Bei einer isobaren Zustandsänderung ist
Es wird noch einmal deutlich, dass die Arbeit die umgesetzte Wärmemenge gleich der
als Prozessgröße vom Weg im p,V-Diagramm Änderung der Enthalpie.
abhängt. Für dieselben Endpunkte 1 und 2 er-
3.3 Hauptsätze der Thermodynamik 201

Die Einführung der Enthalpie vereinfacht Ebenso gilt mit der individuellen Gaskon-
thermodynamische Berechnungen bei Zu- stante Ri für die spezifischen Wärmekapazi-
standsänderungen, die bei konstantem Druck täten
ablaufen.
cp − cV = Ri . (3.54)
3.3.3 Berechnung der Wärmekapazitäten

In diesem Abschnitt soll gezeigt werden, dass Die isochore molare Wärmekapazität kann nun
die isochore spezifische bzw. molare Wärme- aus der inneren Energie des Systems berechnet
kapazität einfach gebauter Moleküle mit Hilfe werden. Nach (3.46) gilt
der Ergebnisse der kinetischen Gastheorie be-
rechnet werden kann. Die isobaren Wärmeka-
1 dU
pazitäten cp und Cmp hängen mit den isocho- CmV = . (3.55)
ν dT
ren Wärmekapazitäten cv und CmV wie folgt
zusammen:
Die Temperatur eines idealen Gases der Teil- Die Temperaturabhängigkeit der inneren En-
chenmenge ν soll isobar um dT erhöht werden. ergie wird durch (3.45) beschrieben:
Die erforderliche Wärme ist f
U(T) = νRm T .
δQ|p=konst. = νCmp dT . 2
Die Basis dieser Beziehung ist der Gleichvertei-
Die innere Energie ändert sich dabei
lungssatz (Abschn. 3.2.2), nach dem die ther-
nach (3.44) und (3.49) um
mische Energie eines Moleküls gleichmäßig
dU = δQ + δW = νCmp dT − p dV . auf seine verschiedenen Freiheitsgrade f ver-
teilt ist. Somit gilt für die isochore molare Wär-
Da die innere Energie eine Zustandsgröße ist, mekapazität
lässt sich ihre Änderung für beliebige Zu-
standsänderungen nach (3.46) berechnen:
f
CmV = Rm . (3.56)
dU = νCmV dT . 2

Durch Gleichsetzen dieser beiden Ausdrücke


Die isobare molare Wärmekapazität folgt
erhält man
aus (3.53)
νCmV dT = νCmp dT − p dV

f
oder Cmp = + 1 Rm . (3.57)
2
p dV
Cmp − CmV = .
ν dT
Entsprechend sind die spezifischen Wärmeka-
Aus der Zustandsgleichung idealer Gase ergibt
pazitäten
sich dV/dT = νRm / p und schließlich

f
Cmp − CmV = Rm . (3.53) cV = Ri (3.58)
2
202 3 Thermodynamik

Tabelle 3.7 Freiheitsgrade, molare Wärmekapazitäten Cm und Isentropenexponent { für verschiedene


Molekülformen

Molekülform Symbol Freiheitsgrade CmV Cmp {


in in
Trans- Rota- Oszil- gesamt
J J
lation tion lation
mol K mol K

punktförmig 3 – – 3 12,47 20,79 1,67


starre Hantel 3 2 – 5 20,79 29,10 1,40
schwingende Hantel 3 2 2 7 29,10 37,41 1,29
mehratomig, starr 3 3 – 6 24,94 33,26 1,33

und einer gestreckten starren Hantel werden nur


zwei Freiheitsgrade für die Rotation angesetzt.
Diese entfallen auf die Rotation um Achsen,
f
cp = + 1 Ri . (3.59) die senkrecht zur Hantelachse stehen. Die Ro-
2
tation um die Hantelachse tritt nicht auf, da
infolge des geringen Massenträgheitsmoments
Das Verhältnis von isobarer und isochorer dafür extrem hohe Temperaturen nötig wären
Wärmekapazität ist der Isentropenexponent κ, (Begründung weiter unten). Für die Schwin-
der bei isentropen Zustandsänderungen eine gung einer Hantel werden zwei Freiheitsgrade
wichtige Rolle spielt (Abschn. 3.3.4). Mit (3.56) angesetzt, da bei einem schwingenden System
bis (3.59) folgt im Mittel derselbe Energiebetrag als kineti-
sche und als potentielle Energie vorliegt (Ab-
Cmp cp 2 schn. 5.1).
κ = = =1+ . (3.60) Die theoretisch berechneten molaren Wärme-
CmV cV f
kapazitäten in Tabelle 3.7 können nun mit
den gemessenen Werten in Tabelle 3.8 ver-
Zur Berechnung der Wärmekapazitäten von glichen werden. Bei den Edelgasen stimmen
Gasen nach (3.56) bis (3.59) ist die Kenntnis die Messungen hervorragend mit den theore-
der Molekülform erforderlich, um die mög- tischen Berechnungen für punktförmige Teil-
lichen Freiheitsgrade f des Moleküls ange- chen überein. Die zweiatomigen Gase zeigen
ben zu können. Für verschiedene Molekülty- mit Ausnahme von Chlor eine gute Überein-
pen sind in Tabelle 3.7 die Freiheitsgrade und stimmung mit den theoretischen Werten der
die daraus berechneten molaren Wärmekapa- starren Hantel. Dies bedeuet: Die Moleküle von
zitäten sowie der Isentropenexponent angege- H2 , O2 und N2 verhalten sich bei Raumtem-
ben. Jedes Teilchen hat drei Translationsfrei- peratur wie starre Hanteln. Die Zahlenwerte
heitsgrade. Dazu kommen bei mehratomigen von Cl2 liegen zwischen den erwarteten für
Molekülen noch drei Freiheitsgrade der Ro- die starre und die schwingende Hantel. Tat-
tation. Bei zweiatomigen Molekülen in Form sächlich schwingt bei Raumtemperatur etwa
3.3 Hauptsätze der Thermodynamik 203

Abb. 3.13 Temperaturabhängigkeit der isochoren molaren Wärmekapazität CmV von Wasserstoff. Wasserstoff
dissoziiert bei etwa T = 3 200 K. Die fortgesetzte gestrichelte Linie gilt für ein stabiles zweiatomiges Molekül

die Hälfte der Cl2 -Moleküle, während die an- Blick merkwürdige Verhalten wird verständ-
dere Hälfte starr ist. Dieses auf den ersten lich, wenn die Temperaturabhängigkeit der
Wärmekapazität betrachtet wird.
Tabelle 3.8 Gemessene molare Wärmekapazitäten Cm Abbildung 3.13 zeigt den Verlauf der molaren
einiger Gase beim Normdruck pn = 1,013 bar und der Wärmekapazität CmV von Wasserstoff in Ab-
Temperatur ϑ = 20 ◦ C hängigkeit von der Temperatur. Offenbar ver-
hält sich H2 bei tiefen Temperaturen wie ein
Gas CmV Cmp { einatomiges Gas mit drei Freiheitsgraden. Mit
in in
J J steigender Temperatur beginnen die Moleküle
mol K mol K ab etwa T = 80 K zu rotieren; dies bewirkt
einen Anstieg der Wärmekapazität. Bei Raum-
Helium He 12,47 20,80 1,67 temperatur rotieren praktisch alle Moleküle.
Argon Ar 12,47 20,80 1,67 Die Wärmekapazität nimmt erneut zu, wenn
Wasserstoff H2 20,43 28,76 1,41 ab etwa T = 800 K die Moleküle zu schwingen
Sauerstoff O2 21,06 29,43 1,40 beginnen. Die Schwelle, bei der die Oszillation
Stickstoff N2 20,76 29,09 1,40 einsetzt, liegt für Cl2 tiefer als für H2 , sodass
Luft 20,77 29,10 1,40 bei Cl2 unterhalb der Raumtemperatur bereits
Chlor Cl2 25,74 34,70 1,35
ein Großteil der Moleküle schwingt.
Kohlendioxid CO2 28,46 36,96 1,30 Vom klassischen Gleichverteilungssatz her ist
Schwefeldioxid SO2 31,40 40,39 1,29 das Ausfrieren von Freiheitsgraden mit abneh-
Methan CH4 26,19 34,59 1,32
Ethan C2 H6 43,12 51,70 1,20
mender Temperatur nicht verständlich. Nach
Ammoniak NH3 27,84 36,84 1,31 den Gesetzen der Quantenmechanik aber ist
der Drehimpuls eines Moleküls gequantelt.
204 3 Thermodynamik

Der minimale Drehimpuls Lmin beträgt =


h/ 2π mit der Planck’schen Konstanten h. Da-
mit ist die minimale Rotationsenergie eines
Moleküls mit dem Massenträgheitsmoment J

1 L2min 1 2
Erot,min = = .
2 J 2 J

Ist die mittlere thermische Energie 12 kT je Frei-


heitsgrad kleiner als diese minimale Rotati-
onsenergie, so wird das Molekül bei einem
Stoß i. Allg. nicht in Rotation versetzt werden
können. Nach den Regeln der Quantenmecha-
nik ist auch die Schwingungsenergie gequan-
telt mit der Mindestenergie hf , f ist hierbei die
Schwingungsfrequenz. Diese Energie liegt üb- Abb. 3.14 Temperaturabhängigkeit der molaren
licherweise höher als die Schwellenenergie für Wärmekapazität einiger Festkörper
die Rotation.

Beispiel
Wärmekapazität eines Festkörpers
3.3-2 Bei welcher Temperatur beginnen die Wasser-
stoff-Moleküle zu rotieren? J
CmV = 3Rm = 24,9 .
Lösung
mol K
Die Grenze ist näherungsweise gegeben durch 12 kT ≈ Dieses Ergebnis ist als Dulong-Petit’sches Ge-
2 ~ / J. Für das Massenträgheitsmoment gilt J = 2m r .
1 2 2
setz (P. L. dulong, 1785 bis 1838, und A. T. Pe-
Mit m = 1,67 · 10 kg und r ≈ 5 · 10 m ergibt
−27 −11
tit, 1791 bis 1820) bekannt. Wie Abb. 3.14
sich J ≈ 8,35 · 10−48 kg m2 . Die Temperaturschwelle
ist dann etwa T ≈ ~2 / kJ = 95 K.
zeigt, wird das Dulong-Petit’sche Gesetz bei
hohen Temperaturen gut befolgt, während mit
Die letzte Gruppe der Gase in Tabelle 3.7 be- abnehmender Temperatur durch Ausfrieren
steht aus mehratomigen Molekülen, die jeweils der Freiheitsgrade die Wärmekapazität gegen
mehrere Schwingungsformen haben können. null geht.
Bei Raumtemperatur sind die meisten Schwin- Bei komplizierten Molekülkristallen (bei-
gungen noch nicht angeregt, sodass keine Sys- spielsweise Eis) kommen außer den Schwin-
tematik in die gemessenen Wärmekapazitäten gungen auch Rotationen ganzer Molekülgrup-
gebracht werden kann. pen vor, sodass die molare Wärmekapazität
Bei kristallinen Festkörpern sitzen die einzel- oberhalb des Wertes liegt, den die Dulong-
nen Atome bzw. Moleküle an festen Plätzen ei- Petit’sche Regel angibt.
nes Raumgitters. Punktförmige Atome können
dabei Schwingungen in den drei Raumrichtun- 3.3.4 Spezielle Zustandsänderungen
gen ausführen. Da jede Schwingungsrichtung idealer Gase
formal mit zwei Freiheitsgraden in die Rech-
nung eingeht, haben die Atome jeweils sechs Zustandsänderungen, die in realen Systemen
Freiheitsgrade für die Berechnung der Wär- ablaufen, sind meist recht komplex, lassen sich
mekapazität. Nach (3.56) ist dann die molare aber durch verhältnismäßig einfach zu behan-
3.3 Hauptsätze der Thermodynamik 205

delnde spezielle Zustandsänderungen annä-


hern.
Die Zustandsänderungen sollen mit einem
idealen Gas konstanter Teilchenmenge in ei-
nem geschlossenen System durchgeführt wer-
den. Das Gas sei in einem dichten Zylinder
mit verschiebbarem Kolben eingeschlossen.
Die Prozessführung sei so kontrolliert, dass
zu jeder Zeit Druck und Temperatur des Ga-
ses mit Umgebungsdruck und -temperatur im
Gleichgewicht sind. Ferner erfolge die Bewe-
Abb. 3.15 Realisierung der isothermen Zustandsän-
gung des Kolbens reibungsfrei. Unter diesen derung
Voraussetzungen sind die beschriebenen Pro-
zesse jederzeit umkehrbar (reversibel).
Für alle Prozesse wird anhand einer Darstel- Im p, V-Diagramm von Abb. 3.16 ist die
lung im p, V-Diagramm die umgesetzte Ener- Isotherme eine Hyperbel. Das Gas wird vom
gie (mechanische Arbeit bzw. Wärme) be- Anfangszustand 1 auf den Endzustand 2
rechnet. Alle Gleichungen werden mit mola- komprimiert. Hierbei muss dem System eine
ren Größen geschrieben. Für Berechnungen Volumenänderungsarbeit zugeführt werden.
mit spezifischen Größen müssen lediglich fol- Nach (3.50) ist diese Arbeit
gende Vertauschungen durchgeführt werden:

νRm → m Ri , V2
W12 =− p(V) dV .
νCmp → m cp ,
V1
νCmV → m cV .

Die wichtigsten Ergebnisse der folgenden Be-


trachtungen sind in Abb. 3.22 am Ende von
Abschn. 3.3.4 tabellarisch zusammengefasst.

3.3.4.1 Isotherme Zustandsänderung


Die isotherme Zustandsänderung (T = konst.)
kann nach Abb. 3.15 so realisiert werden, dass
ein Zylinder mit guter Wärmeleitfähigkeit
an ein Wärmebad großer Wärmekapazität
angekoppelt wird. Die Zustandsänderung
soll sehr langsam (quasistatisch) erfolgen.
Die allgemeine Zustandsgleichung idealer
Gase (3.20) nimmt im Fall konstanter Tem-
peratur die Form des Boyle-Mariotte’schen
Gesetzes (3.15) an: Abb. 3.16 Isotherme Kompression vom Zustand 1
zum Zustand 2. Temperaturen der Isothermen:
pV = νRm T = konst. T < T < T , W12 Volumenänderungsarbeit
206 3 Thermodynamik

Mit dem Boyle-Mariotte’schen Gesetz p = 3.3.4.2 Isochore Zustandsänderung


νRm T / V ergibt sich hieraus Bei der isochoren Zustandsänderung wird
durch ein genügend steifes Gefäß das Volumen
V1 der eingeschlossenen Gasmenge konstant
W12 = νRm T ln . (3.61) gehalten. Die Zustandsgleichung idealer Gase
V2
entspricht im Fall V = konst. dem Gesetz von
Charles und Gay-Lussac, (3.14):
In Übereinstimmung mit der Vorzeichenkon-
p νRm
vention von Abschn. 3.3.2 wird die zugeführte = = konst.
T V
Kompressionsarbeit positiv. Bei einer Expan-
sion wird die abgegebene Arbeit negativ. Ge- Im p, V-Diagramm nach Abb. 3.17 kann die
mäß der Bedeutung des Integrals kann die Ar- Isochore als vertikale Gerade dargestellt wer-
beit im p, V-Diagramm anschaulich sichtbar den. Bei der skizzierten isochoren Erwärmung
gemacht werden: muss man dem System Wärme zuführen. Es
gilt δQ = νCmV dT und hieraus
Die Volumenänderungsarbeit entspricht
der Fläche unter der Kurve im p, V- Q12 = νCmV (T2 − T1 ) . (3.63)
Diagramm.

CmV ist in diesem Fall die mittlere molare Wär-


Da bei einer isothermen Zustandsänderung
mekapazität zwischen den Temperaturen T1
die innere Energie konstant bleibt (sie hängt
und T2 .
nur von T ab), nimmt der erste Hauptsatz die
Da bei konstantem Volumen keine Volu-
Form
menänderungsarbeit vorkommt, nimmt der
dU = δQ + δW = 0 oder W12 = −Q12 erste Hauptsatz die Form dU = δQ und

an. Dies bedeutet, dass die gesamte bei ei-


ner Kompression zugeführte Arbeit quantita-
tiv als Wärme an die Umgebung abgegeben
werden muss. (Dieser Wärmeübergang findet
nur dann statt, wenn die Systemtemperatur
höher ist als die Umgebungstemperatur; damit
der Temperaturanstieg vernachlässigbar klein
bleibt, muss der Prozess unendlich langsam
geführt werden.) Umgekehrt muss bei einer
isothermen Expansion die vom System nach
außen abgegebene Arbeit zunächst als Wärme
aus dem umgebenden Wärmebad dem System
zufließen. Für die umgesetzte Wärme gilt

V2
Q12 = νRm T ln . (3.62)
V1 Abb. 3.17 Isochore Erwärmung vom Zustand 1 zum
Zustand 2
3.3 Hauptsätze der Thermodynamik 207

U2 − U1 = Q12 an. Dies bedeutet, dass die zu-


geführte Wärme ausschließlich der Erhöhung
der inneren Energie dient.

3.3.4.3 Isobare Zustandsänderung


Die isobare Zustandsänderung (p = konst.)
kann nach Abb. 3.18 verwirklicht werden.
Durch statische Belastung des Kolbens ist der
Druck im Innenraum konstant, unabhängig
von der Höhe des Kolbens. Die Zustands-
gleichung idealer Gase nimmt die Form des
Gay-Lussac’schen Gesetzes nach (3.12) an:
V νRm
= = konst.
T p

Im p, V-Diagramm von Abb. 3.19 ist die Isobare Abb. 3.19 Isobare Expansion vom Zustand 1 zum
Zustand 2. W12 Volumenänderungsarbeit
eine waagrechte Gerade. Die gezeigte Expan-
sion verläuft so, dass dem System von Abb. 3.18
durch eine geeignete Heizung die Wärme Q12 Diese Arbeit ist bei einer Expansion negativ,
zugeführt wird, worauf sich der Kolben nach d. h., sie wird vom System nach außen abge-
oben schiebt. Für die erforderliche Wärme gilt geben. Bei einer Kompression ist die Arbeit
δQ = νCmp dT oder positiv, da sie dem System zugeführt werden
muss.
Nach dem ersten Hauptsatz ist
Q12 = νCmp (T2 − T1 ) . (3.64)
δQ = dU − δW oder
Die Volumenänderungsarbeit entspricht der Q12 = U2 − U1 + p(V2 − V1 ) .
Fläche unter der Isobare. Sie beträgt
Dies bedeutet, dass bei einer Erwärmung
sowohl die Erhöhung der inneren Energie
W12 = p(V1 − V2 ) . (3.65) als auch die abgegebene mechanische Arbeit
durch die zugeführte Wärme gedeckt werden
müssen. Zur Erinnerung: Bei der isochoren
Erwärmung wurde durch die zugeführte
Wärme lediglich die innere Energie vergrö-
ßert. Dies ist der anschauliche Grund, weshalb
die isobare Wärmekapazität stets größer ist
als die isochore: Cmp > CmV .

3.3.4.4 Isentrope Zustandsänderung


Die isentrope Zustandsänderung kann in
Abb. 3.18 Realisierung der isobaren Zustandsände- einem adiabaten System realisiert werden,
rung bei dem jeglicher Wärmeübergang zur Um-
208 3 Thermodynamik

gebung unterbunden wird. Im Gegensatz Aus dieser Beziehung folgt sofort die Isentro-
zur isothermen Zustandsänderung, bei der pengleichung (Adiabatengleichung)
gemäß Abb. 3.15 ein guter Wärmekontakt zur
Umgebung notwendig ist, muss der Zylinder
jetzt mit einer geeigneten Wärmeisolation p1 V1{= p2 V2{ oder
versehen werden. Die adiabate Zustandsän- pV { = konst. (3.66)
derung lässt sich leicht verwirklichen, wenn
der Prozess sehr schnell abläuft, sodass für
Eine Verknüpfung zwischen Temperatur und
eine Wärmeübertragung keine Zeit bleibt.
Volumen ergibt sich, wenn mit Hilfe der Zu-
Der Name Isentrope rührt daher, dass die
standsgleichung idealer Gase der Druck elimi-
Zustandsgröße Entropie, die in Abschn. 3.3.6
niert wird:
definiert ist, bei einer reibungsfrei und qua-
sistatisch verlaufenden Zustandsänderung
konstant bleibt. Die reversibel durchlaufende T1 V1{ −1= T2 V2{−1 oder
Adiabate ist mit der Isentrope identisch TV { −1 = konst. (3.67)
(Einzelheiten hierzu in Abschn. 3.3.6).
Bei einem adiabaten System (δQ = 0) nimmt
der erste Hauptsatz die Form dU = δW oder Schließlich lässt sich noch eine Beziehung zwi-
schen Druck und Temperatur herstellen:
dU + p dV =0 (1)

an. Mit (3.46) gilt p1−{ T{ = p1−{ T { oder


1 1 2 2

νCmV dT + p dV =0. (2) p1−{ T { = konst. (3.68)

Die Änderung der Enthalpie ist nach (3.51) und


(3.52) Gleichungen (3.66) bis (3.68) werden als Pois-
son’sche Gleichungen bezeichnet. Sie wurden
dH = dU + p dV + V dp = νCmp dT . von D. Poisson (1781 bis 1840) im Jahr 1822
formuliert.
Mit (1) ergibt sich hieraus Im p, V-Diagramm von Abb. 3.20 ist eine isen-
νCmp dT = V dp . (3) trope Kompression dargestellt. Der Kurven-
verlauf von 1 nach 2 entspricht p =
Durch Elimination von dT aus (2) und (3) folgt konst/ V { (3.66) und ist steiler als bei einer
isothermen Zustandsänderung. Dies bedeutet,
Cmp dV dp
=− . dass die Temperatur des Systems während der
CmV V p
Kompression zunimmt. Umgekehrt kühlt sich
Diese Gleichung lässt sich direkt integrieren. das Gas bei einer isentropen Entspannung ab.
Führt man noch zur Abkürzung den bereits Die Volumenänderungsarbeit lässt sich auch
in (3.60) definierten Isentropenexponenten hierbei als Fläche unter der Kurve ermitteln
(Adiabatenexponenten) κ = Cmp / CmV ein, so bzw. durch Integration von (3.66) berechnen:
ergibt sich V2
V2 p1 W12 =− p(V) dV ,
κ ln = ln .
V1 p2 V1
3.3 Hauptsätze der Thermodynamik 209

einen verschiebbaren Kolben abgeschlossen ist. Die


Luft im Zylinder habe zunächst ebenso wie die Umge-
bungsluft die Temperatur ϑ1 = 20 ◦ C und den Druck
p1 = 1 bar. Welche kinetische Energie hat ein auf-
fahrendes Fahrzeug, wenn beim Aufprall der Kolben
400 mm weit eindringt? Welche Temperatur und wel-
cher Druck wird erreicht?

Lösung
Der Enddruck ist nach (3.66)
1,4
V1 { 5
p2 = p1 = 1 bar · = 9,52 bar .
V2 1

Die Temperatur beträgt nach (3.67)


0,4
V1 { −1 5
T2 = T1 = 293 K · = 558 K ;
Abb. 3.20 Isentrope Kompression vom Zustand 1 zum V2 1
Zustand 2 ϑ2 = 285 ◦ C .

mit p(V) = p1 V1{ / V { ergibt sich Die Teilchenmenge ist ν = p1 V1 / Rm T1 = 1,01 mol.
Mit der molaren Wärmekapazität CmV = 20,8 J/mol K
+ , errechnet man die Kompressionsarbeit nach (3.70)
p1 V1 V1 { −1 zu W12 = 5 567 J. Ein Teil dieser Arbeit, nämlich
W12 = −1 . (3.69)
WL = (V1 − V2 )p1 = 1 963 J, wird von der Umge-
κ−1 V2
bungsluft geleistet und nur die Differenz stammt vom
auffahrenden Fahrzeug. Demnach ist Ekin = 3 604 J.
Diese Beziehung ist mit Hilfe der Poisson’schen
Gleichungen und der Zustandsgleichung idea-
ler Gase auf vielfältige Art und Weise um- 3.3.4.5 Polytrope Zustandsänderung
formbar. Eine wesentlich einfachere Berech- Sowohl die isotherme Zustandsänderung
nung der Arbeit hingegen ist durch den ersten pV 1 = konst. als auch die isentrope Zustands-
Hauptsatz möglich. Für ein adiabates System änderung pV { = konst. sind Extreme, die sich
(δQ = 0) nimmt dieser die Form dU = δW an. in der Praxis kaum verwirklichen lassen. Bei
Dies besagt, dass die bei einer isentropen Kom- der Kompression bzw. Expansion eines Gases
pression zugeführte Volumenänderungsarbeit in einem Verdichter oder Motor wird eher
ausschließlich der Erhöhung der inneren Ener- eine polytrope Zustandsänderung der Form
gie dient. Diese beträgt aber nach (3.46) δW =
dU = νCmV dT bzw. nach Integration
pV n = konst. (3.71)

W12 = νCmV (T2 − T1 ) . (3.70)


ablaufen, wobei der Polytropenexponent n im
Allgemeinen zwischen 1 und κ liegt: 1 <
Beispiel n < κ. Im p, V-Diagramm der Abb. 3.21 ver-
3.3-3 Eine Luftfeder besteht aus einem Zylinder mit läuft eine solche polytrope Zustandsänderung
250 mm Durchmesser und 500 mm Länge, der durch innerhalb des gekennzeichneten Gebiets. Für
210 3 Thermodynamik

die Umgebung erfolgt und die hohe Temperatur zur


Entzündung des eingespritzten Kraftstoffs ausreicht.
Gegeben sei ein Motor mit dem Verdichtungsverhält-
nis V1 / V2 = 20. Zu Beginn der Kompression ist das Vo-
lumen V1 = 0,6 l mit Luft der Temperatur ϑ1 = 27 ◦ C
und dem Druck p1 = 950 mbar gefüllt. a) Wie hoch
ist die Endtemperatur ϑ2 nach der Kompression? b)
Welcher Druck p2 stellt sich ein? c) Welche Arbeit W12
muss während der Kompression von außen am Kolben
verrichtet werden?

Ü 3.3-6 Ein Wetterballon hätte prall gefüllt das Volu-


men Vmax = 50 m3 . Am Erdboden ist er nur teilweise
gefüllt worden: Beim Druck p1 = 1 bar und der Tempe-
ratur ϑ1 = 7 ◦ C nimmt das eingefüllte Wasserstoffgas
nur das Volumen V1 = 16 Vmax ein.

Abb. 3.21 Polytropen. n Polytropenexponent, a) Welche Gasmenge ν und welche Masse m enthält
{ Isentropenexponent; hervorgehoben: Bereich der Ballon?
1 < n < { der Polytrope im engeren Sinn b) Der Aufstieg geschieht so rasch, dass durch die Bal-
lonhülle praktisch keine Wärme übertragen wird.
In einer bestimmten Höhe ist der Innendruck
einen realen Verdichtungsprozess, wie er bei- gleich dem Außendruck p2 = 0,2 bar. Welches Gas-
spielsweise in einem ungekühlten Turbover- volumen V2 enthält dann der Ballon?
dichter stattfindet, ist n < κ. c) Wie groß ist in diesem Fall die Temperatur T2 der
Die Polytropengleichung (3.71) beschreibt Gasfüllung?
aber auch alle bisher beschriebenen Zustands- d) Sonneneinstrahlung heizt danach den Ballon auf.
änderungen. Dabei nimmt der Polytropenex- Das Füllgas dehnt sich so lange aus, bis der Ballon
prall gefüllt ist. Dabei bleibt der Druck konstant
ponent folgende Werte an:
(p3 = p2 ). Auf welchen Wert T3 steigt dabei die
– Isotherme: n = 1, Gastemperatur?
– Isentrope: n = κ, e) Welche Wärme Q23 hat das Gas aufgenommen?

– Isobare: n = 0,
Ü 3.3-7 Eine abgeschlossene Menge eines idealen Ga-
– Isochore: n = ∞. ses wird vom Ausgangszustand p1 = 1 bar, V1 = 1 l
und ϑ1 = 22 ◦ C auf die Hälfte seines Volumens verdich-
Die Poisson’schen Gleichungen (3.66)
tet. Während der Kompression wird Wärme zugeführt,
bis (3.68) gelten auch für polytrope Zustands- sodass eine Zustandsänderung gemäß der Beziehung
änderungen, wenn der Isentropenexponent κ pV 2 = konst. durchlaufen wird. a) Wie groß ist der
durch den Polytropenexponenten n ersetzt erreichte Enddruck p2 ? b) Welche Endtemperatur ϑ2
wird. Ebenso gilt (3.69) für die Berechnung stellt sich ein? c) Welche Arbeit W12 wurde dem Sys-
der Volumenänderungsarbeit, wenn anstelle tem bei der Kompression zugeführt? d) Wie groß ist
des Isentropenexponenten der Polytropenex- die zugeführte Wärme Q12 , wenn das Gas aus Molekü-
len in Form einer starren Hantel besteht, bei denen die
ponent eingesetzt wird.
Freiheitsgrade der Translation und Rotation angeregt
Eine Zusammenstellung der wichtigsten Er- sind?
gebnisse von Abschn. 3.3.4 zeigt Abb. 3.22.
Ü 3.3-8 Wasserstoff mit der Teilchenmenge ν wird
Zur Übung in einem Zylinder mit verschiebbarem Kolben ei-
Ü 3.3-5 Beim Dieselmotor wird im Kompressionstakt ner Zustandsänderung unterworfen. Der Ausgangszu-
Luft so rasch verdichtet, dass keine Wärmeabgabe an stand ist gekennzeichnet durch p1 = 1 bar, V1 = 2 l
3.3

Abb. 3.22 Spezielle Zustandsänderungen idealer Gase


Hauptsätze der Thermodynamik 211
212 3 Thermodynamik

und ϑ1 = 20 ◦ C. Die Zustandsänderung erfolgt im Insgesamt wird also bei einem rechtsläufi-
p, V-Diagramm längs einer Geraden vom Anfangs- gen Kreisprozess mehr Arbeit abgegeben als
zum Endzustand, der bestimmt ist durch den Druck zugeführt.
p2 = 2 bar und das Volumen V2 = 3 l. a) Wie groß
ist die Teilchenmenge ν des Gases? b) Wie groß ist die
Endtemperatur ϑ2 ? c) Welche Arbeit W12 gibt das Gas Die je Umlauf nach außen abgegebene
nach außen ab? d) Um welchen Betrag ΔU steigt die Nutzarbeit entspricht dem Flächeninhalt
innere Energie des Gases? e) Welche Wärmemenge Q12 der vom Kreisprozess eingeschlossenen
wird bei der Zustandsänderung zugeführt? Figur im p, V-Diagramm. Sie kann als
Kreisintegral geschrieben werden:
3.3.5 Kreisprozesse
W = δW = − p dV . (3.72)
Durchläuft ein System eine Folge von Zu-
standsänderungen, sodass der Endzustand
wieder mit dem Anfangszustand überein- Der erste Hauptsatz nimmt bei einem kom-
stimmt, so handelt es sich um einen Kreispro- pletten Umlauf die Form
zess. Ein rechtsläufiger Kreisprozess liegt
vor, wenn die Zustandsänderungen im p, V-
Diagramm im Uhrzeigersinn durchlaufen dU =0= δQ + δW (3.73)
werden. Beim Kreisprozess in Abb. 3.23 wird
während der Expansion von 1 nach 2 Volu-
menänderungsarbeit nach außen abgegeben, an. Das Kreisintegral über alle Änderungen der
die der Fläche unter der oberen Kurve ent- inneren Energie ist null, da die innere Ener-
spricht. Bei der anschließenden Kompression gie als Zustandsgröße nach einem vollen Um-
von 2 nach 1 wird Arbeit zugeführt, die der lauf wieder den Anfangswert annimmt. Dies
Fläche unter der unteren Kurve entspricht. bedeutet, dass sich die je Zyklus abgegebene
Nutzarbeit aus der Differenz der zu- und ab-
geführten Wärmen ergibt.
Bei einem linksläufigen Kreisprozess wird die
Figur im p, V-Diagramm im Gegenuhrzeiger-
sinn durchlaufen. Da hierbei die abgegebene
Expansionsarbeit stets kleiner ist als die zu-
geführte Kompressionsarbeit, läuft der Pro-
zess nur, wenn mit Hilfe eines Motors peri-
odisch mechanische Arbeit zugeführt wird.
Tabelle 3.9 zeigt eine Gegenüberstellung der
Eigenschaften von rechts- und linksläufigen
Kreisprozessen.
Die Kreisprozesse, die im Folgenden beschrie-
ben werden, sollen reibungsfrei durchlaufen
Abb. 3.23 Rechtsläufiger Kreisprozess. 1, 2
werden. Ferner soll sich das Gas stets im ther-
Zustandspunkte, helle Graufläche: zugeführte
Volumenänderungsarbeit, gesamte Graufläche: modynamischen Gleichgewicht mit der Umge-
abgegebene Volumenänderungsarbeit, umfahrene bung befinden. Unter diesen Voraussetzungen
Fläche: Nutzarbeit sind alle Kreisprozesse reversibel führbar, d. h.,
3.3 Hauptsätze der Thermodynamik 213

Tabelle 3.9 Eigenschaften von Kreisprozessen abgegebene Wärme


V1
Umlauf- rechtsläufig linksläufig Q12 = −νRm T1 ln
.
sinn V2
2 → 3: Isentrope Kompression von V2 auf V3 ;
Bezeich- Kraftmaschinen- Arbeitsmaschinen- die Temperatur steigt von T1 auf T3 :
nung prozess prozess
zugeführte Arbeit
Wärme- Wärme wird bei Wärme wird bei
fluss hoher Tempera- tiefer Temperatur W23 = νCmV (T3 − T1 ) .
tur aufgenom- aufgenommen und
men und bei tie- bei hoher Tempe- 3 → 4: Isotherme Expansion von V3 auf V4
fer Temperatur ratur abgegeben. bei der hohen Temperatur T3 :
abgegeben.
zugeführte Wärme
mecha- Differenz von Differenz von ab-
nische zu- und abge- und zugeführter V4
Arbeit führter Wärme Wärme wird als Q34 = νRm T3 ln ,
V3
wird als mecha- mechanische Ar-
nische Nutzar- beit zugeführt. abgegebene Arbeit
beit abgegeben.
V4
Bei- Verbrennungs- Kältemaschine, W34 = −νRm T3 ln .
spiele motor, Wärme- Wärmepumpe V3
kraftmaschine
4 → 1: Isentrope Expansion von V4 auf V1 ;
die Temperatur fällt von T3 auf T1 :
abgegebene Arbeit
sie können sowohl rechts- als auch linksläufig
sein.
W41 = −νCmV (T3 − T1 ) .
Die Nutzarbeit je Zyklus entspricht dem Inhalt
3.3.5.1 Carnot’scher Kreisprozess der rot begrenzten Fläche im p, V-Diagramm
der Abb. 3.24. Sie beträgt
Rechtsläufiger Prozess
Von S. Carnot (1796 bis 1832) wurde ein W = δW = W12 + W23 + W34 + W41 .
Kreisprozess vorgeschlagen, mit dem Wärme
in einer periodisch arbeitenden Maschine in
mechanische Arbeit umgeformt werden kann. Mit W23 = −W41 ergibt sich
Nach Abb. 3.24 verläuft der Prozess im p,V-
Diagramm zwischen zwei Isothermen und W = W12 + W34
zwei Isentropen. Als Arbeitsmedium dient ein
V4 V1
ideales Gas der Teilchenmenge ν, Folgende = −νRm T3 ln − T1 ln .
V3 V2
Einzelprozesse werden aneinandergereiht:
Für die beiden Isentropen gilt nach (3.67)
1 → 2: Isotherme Kompression von V1 auf V2
bei der tiefen Temperatur T1 : T3 V3{ −1 = T1 V2{−1 und
zugeführte Arbeit T3 V4{ −1 = T1 V1{ −1 .

W12 = νRm T1 ln
V1
, Daraus folgt für die Volumina V4 / V3 = V1 / V2
V2 und schließlich für die Nutzarbeit
214 3 Thermodynamik

Abb. 3.24 Carnot’scher Kraftmaschinenprozess. Q Wärme, W Arbeit, rot umgrenzte Fläche: Nutzarbeit

V4
W = −νRm ln (T3 − T1 ) . oder, mit den Bezeichnungen des Carnot-
V3 Prozesses und richtigen Vorzeichen,
Sie ist negativ, weil sie vom System nach außen
abgegeben wird.
Die Energieströme, die bei der Carnot- Q12 + Q34 + W =0. (3.74)
Kraftmaschine (und im Prinzip bei jeder
Wärmekraftmaschine) umgesetzt werden,
Verschiedene Kreisprozesse lassen sich mit-
sind in Abb. 3.25 anschaulich dargestellt. Von
einander vergleichen durch Berechnung des
der zugeführten Wärme kann nur ein Teil
thermischen Wirkungsgrades ηth , der den Nut-
(meist der kleinere) als mechanische Arbeit
zen (abgegebene Arbeit) zum Aufwand (zuge-
abgegeben werden. Den anderen Teil muss
führte Wärme) ins Verhältnis setzt:
das System als Abwärme an eine Wärmesenke
tiefer Temperatur abführen. Aus dem ersten
Hauptsatz folgt die Bilanzgleichung |W|
ηth = . (3.75)
Qzu
|W| = Qzu − |Qab |
3.3 Hauptsätze der Thermodynamik 215

Beim Carnot-Prozess ist zugeführte Wärme Lösung


Nach (3.76) ist
V4
Qzu = Q34 = νRm T3 ln . 450 K
V3 ηth, C = = 0,58 = 58%
773 K
Damit ist der thermische Wirkungsgrad
Der Carnot-Prozess lässt sich praktisch nicht
T3 − T1 T realisieren, da zu viele widersprüchliche Ei-
ηth,C = =1− 1 . (3.76)
genschaften in einem System vereinigt sein
T3 T3
müssten. Seine große Bedeutung liegt in der
Der thermische Wirkungsgrad des Abschätzung des maximalen Nutzeffekts einer
Carnot-Prozesses ist nur von den Tem- Wärmekraftmaschine, die zwischen zwei Tem-
peraturen der beiden Wärmebäder peraturgrenzen Wärme in Arbeit umwandeln
abhängig. soll. Ein Vergleich verschiedener rechtsläufiger
Kreisprozesse, die zwischen der Maximaltem-
Der thermische Wirkungsgrad des Carnot- peratur T3 und der Minimaltemperatur T1 ab-
Prozesses könnte dann 100 % werden, wenn laufen, zeigt, dass der höchstmögliche thermi-
die Temperatur der Wärmesenke T1 = 0 K sche Wirkungsgrad durch den Carnot-Prozess
wäre. Da in der Praxis die Wärmesenke z. B. erreicht wird.
das Kühlwasser eines Flusses oder die Umge-
bungsluft ist, muss für die Erzielung eines ho- Thermodynamische Temperatur
hen Wirkungsgrades die Temperatur der Wär- Da der thermische Wirkungsgrad des Carnot-
mequelle so hoch wie möglich sein. Prozesses nur von den Temperaturen der
beteiligten Wärmebäder, aber nicht vom
Beispiel Arbeitsstoff abhängt, ist eine Temperaturdefi-
3.3-4 Welcher thermische Wirkungsgrad ist mit ei-
nition möglich, die von speziellen Thermome-
nem Carnot-Prozess erreichbar, der zwischen den
Temperaturen ϑ3 = 500 ◦ C und ϑ1 = 50 ◦ C abläuft?
tereigenschaften unabhängig ist. Nach (3.74)
bis (3.76) gilt
Qzu − |Qab | |Qab | T1
ηth = =1− =1− .
Qzu Qzu T3
Hieraus folgt die Beziehung zwischen den um-
gesetzten Wärmemengen und den Temperatu-
ren der Wärmebäder:

|Qab | T1 Q12 Q34


= oder + =0.
Qzu T3 T1 T3
(3.77)

Gleichung (3.77) erlaubt nach W. Thomson


(Lord Kelvin) die Definition der thermody-
namischen Temperatur. Die Temperaturen
Abb. 3.25 Energieflussdiagramm eines rechtsläufigen zweier Wärmebäder lassen sich dadurch ver-
Carnot-Prozesses gleichen, dass man zwischen ihnen einen
216 3 Thermodynamik

idealen Carnot-Prozess ablaufen lässt und Der linksläufige Kreisprozess kann auf zweier-
die übertragenen Wärmen misst. Wird die lei Arten genutzt werden:
Temperatur eines Wärmebads festgelegt, z. B.
die Temperatur von Wasser am Tripelpunkt a) Kältemaschine
mit TTr = 273,16 K, dann kann die ganze Eine Kältemaschine hat die Aufgabe, einen
Temperaturskala ausgemessen werden. Die Raum zu kühlen, in dem z. B. Lebensmit-
so definierte thermodynamische Tempera- tel gelagert werden. Der zu kühlende Raum
tur ist identisch mit der Gastemperatur des dient als Wärmequelle. Ihm wird bei der Tem-
Gasthermometers (Abschn. 3.1.3). peratur T1 , die niedriger ist als die Umge-
bungstemperatur T3 , die Wärme Qzu entzogen
Linksläufiger Prozess und dem System zugeführt. Als Wärmesenke
Beim linksläufigen Carnot-Prozess wird das dient i. Allg. die Umgebung. Das Verhältnis
p, V-Diagramm von Abb. 3.24 im Gegenuhr- von Nutzen zu Aufwand wird bei linksläufigen
zeigersinn durchlaufen. Dabei wird bei der Kreisprozessen als Leistungszahl ε bezeichnet.
tiefen Temperatur T1 Wärme aus der Umge- Bei einer Kältemaschine ist der Nutzen die
bung aufgenommen und bei der hohen Tem- Wärme Qzu , der Aufwand ist die Arbeit W des
peratur T3 wieder abgegeben. Das Energie- Antriebsmotors. Die Leistungszahl einer Käl-
flussdiagramm des linksläufigen Prozesses ist temaschine wird deshalb definiert als
in Abb. 3.26 dargestellt. Die Energiebilanz
sagt aus, dass die abgegebene Wärme betrags- Qzu Q̇zu
εK = = . (3.79)
mäßig gleich ist der Summe aus zugeführter W P
Wärme und mechanischer Arbeit:
(Q̇zu Wärmefluss, P Antriebsleistung). Für den
|Qab | = Qzu + W . (3.78) Carnot-Prozess ergibt sich mit den bereits be-
rechneten Energiebeträgen

T1
εK,C = . (3.80)
T3 − T1

Die Leistungszahl ist umso günstiger, je nä-


her die Temperaturen von Wärmequelle und
Wärmesenke beieinander liegen.

Beispiel
3.3-5 Eine Kältemaschine nach Carnot soll eine Kühl-
raumtemperatur von ϑ1 = 5 ◦ C bei einer Außentem-
peratur von ϑ3 = 35 ◦ C erreichen. Wie groß ist die
Leistungszahl εKC ?

Lösung
Nach (3.80) ist εK,C = 278 K/ 30 K = 9,27. Dies bedeu-
tet, dass die Leistung des Antriebsmotors nur rund ein
Abb. 3.26 Energieflussdiagramm eines linksläufigen Neuntel der Wärmeleistung sein muss, die dem Kühl-
Carnot-Prozesses raum entzogen werden soll.
3.3 Hauptsätze der Thermodynamik 217

b) Wärmepumpe
Bei der Wärmepumpe ist die Wärmequelle die
Umgebung (z. B. Luft, Erdreich, Grundwasser),
der die Wärme bei tiefer Temperatur entzogen
und dem System zugeführt wird. Wärmesenke
ist z. B. die Warmwasserheizung eines Hau-
ses. Der Nutzen bei der Wärmepumpe liegt
also in der bei hoher Temperatur abgegebe-
nen Wärme Qab ; der Aufwand ist auch in die-
sem Fall die Arbeit W des Antriebsmotors. Die Abb. 3.27 Kreislauf einer Kompressor-Kältemaschine
Leistungszahl der Wärmepumpe wird deshalb bzw. -Wärmepumpe
definiert als

|Qab | |Q̇ab |
εW = = . (3.81) senänderungen (Abschn. 3.4.3) durchlaufen.
W P Das Prinzip des Kreislaufs zeigt Abb. 3.27. In
einem Verdampfer wird dem flüssigen Kälte-
Für den Carnot-Prozess ergibt sich mittel, das geringen Druck und niedrige Tem-
peratur hat, die Wärme Qzu zugeführt, so-
dass es verdampft. Der Dampf wird in einem
T3 1
εW,C = = . (3.82) Kompressor verdichtet und somit erwärmt. Im
T3 − T1 ηth,C Kondensator wird dem heißen Dampf die Wär-
memenge Qab entzogen, sodass das Kältemittel
Die Leistungszahl der Wärmepumpe nach Car- kondensiert. Die unter hohem Druck stehende
not ist immer größer als eins, und zwar umso Flüssigkeit wird durch ein Drosselventil ent-
größer, je kleiner der thermische Wirkungs- spannt. Dabei kühlt sie sich ab und wird dem
grad eines rechtsläufigen Carnot-Prozesses Verdampfer für den nächsten Kreislauf zuge-
zwischen denselben Temperaturgrenzen ist, leitet.
d. h., je kleiner die Temperaturdifferenz T3 −T1 Die Leistungszahlen realer Wärmepumpen
ist. sind niedriger als die Leistungszahl eines
Carnot-Prozesses. Für elektrisch betriebene
Beispiel Luft/Wasser-Wärmepumpen ist beispielsweise
3.3-6 Eine Wärmepumpe nimmt Wärme aus der Um- εW ≈ 3. Bei großen Anlagen, die mit einem
gebungsluft bei ϑ1 = −10 ◦ C auf und gibt Wärme an
Dieselmotor angetrieben werden, sind die
eine Warmwasserheizung mit der Vorlauftemperatur
erreichbaren Leistungszahlen größer.
ϑ3 = 40 ◦ C ab. Wie groß ist die Leistungszahl nach
Carnot?

Lösung 3.3.5.2 Technische Kreisprozesse


Nach (3.82) gilt εW,C = 313 K/ 50 K = 6,26. Die Kreisprozesse, die in realen Maschinen
ablaufen, können durch idealisierte Vergleich-
In der Praxis werden Kältemaschinen und sprozesse angenähert werden. Abbildung 3.28
Wärmepumpen meist mit Kältemitteln, wie zeigt eine Zusammenstellung von Vergleich-
z. B. Butan, Propan und Kohlenstoffdioxid, be- sprozessen, die in technischen Wärmekraft-
trieben, die während des Kreisprozesses Pha- maschinen idealisiert ablaufen. Die Pfeile im
218 3 Thermodynamik

Abb. 3.28 Technische Kreisprozesse


3.3 Hauptsätze der Thermodynamik 219

Abb. 3.29 p, V-Diagramm eines Dieselmotors (Rechnerausdruck)

p, V-Diagramm zeigen die Prozesse, bei denen die Wärmezufuhr idealisierend wie eine iso-
Wärme zu- bzw. abgeführt wird. chore Zustandsänderung erfolgt. Der thermi-
Obwohl Verbrennungsmotoren offene Systeme sche Wirkungsgrad hängt ab vom Kompressi-
sind, können sie näherungsweise als ge- onsverhältnis ε = V1 / V2 .
schlossene Systeme angesehen werden. Beim Ein weiterer Spezialfall des Seiliger-Prozesses
Seiliger-Prozess (nach einem Vorschlag von mit p2 = p3 = p4 ist der Diesel-Prozess (R. Die-
M. Seiliger, 1922) wird Frischluft isentrop sel, 1858 bis 1913). Der Kraftstoff wird so
verdichtet. Nach Zündung des Luft-Kraftstoff- in die komprimierte Luft eingespritzt, dass
Gemisches läuft eine Verbrennung ab, die die Verbrennung näherungsweise isobar er-
näherungsweise durch eine isochore und folgt. Abbildung 3.29 zeigt ein Original-p, V-
isobare Wärmezufuhr beschrieben wird. Die Diagramm eines Dieselmotors. Der thermi-
Expansion des verbrannten Gemisches erfolgt sche Wirkungsgrad des Diesel-Prozesses über-
isentrop. Der nachfolgende Austausch von trifft den des Otto-Prozesses, allerdings ist der
verbrannten Gasen durch Frischluft wird mittlere Kolbendruck im Dieselmotor wesent-
als isochore Wärmeabgabe angenähert. Der lich höher als im Ottomotor.
thermische Wirkungsgrad ist abhängig von Das Arbeitsmedium beim Stirling-Prozess
den Temperaturen der fünf Eckpunkte. (R. Stirling, 1790 bis 1878) ist ein Gas (meis-
Ein Spezialfall des Seiliger-Prozesses mit V2 = tens Luft). Die Wärmezufuhr erfolgt bei der
V3 = V4 ist der Otto-Prozess (N. Otto, 1832 bis isochoren Erwärmung und der isothermen
1892). Hierbei verbrennt das Luft-Kraftstoff- Expansion. Die während der isochoren Ab-
Gemisch nach der Zündung so schnell, dass kühlung abgegebene Wärme ist betragsmäßig
220 3 Thermodynamik

Abb. 3.30 Realisierung eines Stirling’schen Kreisprozesses

so groß wie die bei der isochoren Erwärmung Glühwendel eingebaut, die als elektrische Wär-
zugeführte: Q23 = −Q41 . Gelingt es, die abge- mequelle dient. Die Wärmesenke ist Kühlwas-
gebene Wärme Q41 zwischenzuspeichern und ser, das den unteren Teil des doppelwandigen
bei der isochoren Erwärmung wieder dem Zylinders durchfließt. Der Heißluftmotor kann
System zuzuführen, dann muss von außen her bezüglich des thermischen Wirkungsgrades
nur noch die Wärme Q34 zugeführt werden bislang nicht mit den Verbrennungsmotoren
und der thermische Wirkungsgrad erreicht konkurrieren, weil die interne Wärmeüber-
den Wert des Carnot-Prozesses. tragung (Q41 → Q23 ) nur unvollkommen ge-
Der Stirling-Prozess kann nach Abb. 3.30 nä- lingt. Der linksläufige Stirling-Prozess wurde
herungsweise so realisiert werden, dass ein Ar- z. B. bei der Philips-Gaskältemaschine ver-
beitskolben und ein Verdrängerkolben, um 90◦ wirklicht, die mit dem Arbeitsmedium Was-
phasenverschoben, auf eine Kurbelwelle arbei- serstoff oder Helium bei der Luftverflüssigung
ten. Der Verdrängerkolben schiebt die Luft im eingesetzt wird.
Zylinder hin und her und bringt sie abwech- In der offenen Gasturbine, die hauptsächlich
selnd in Kontakt mit dem heißen bzw. kalten bei Flugzeugen verwendet wird, läuft ein
Teil der Maschine. Der Regenerator besteht aus Prozess ab, den man näherungsweise durch
Metallspänen, die beim Durchströmen der hei- den Joule-Prozess beschreiben kann. Luft wird
ßen Luft Wärme aufnehmen und diese nach- im Verdichter isentrop komprimiert. In der
her wieder an die durchströmende kalte Luft Brennkammer wird eingespritzter Treibstoff
abgeben. (Kerosin) mit der heißen Luft verbrannt (iso-
Abbildung 3.31 zeigt ein Demonstrationsmo- bare Erwärmung) und anschließend in der
dell eines Heißluftmotors. Im Deckel ist eine Turbine isentrop entspannt. Die verbrannten
3.3 Hauptsätze der Thermodynamik 221

Kühlwasser und Kondensat wird wieder der


Speisewasserpumpe zugeleitet. Der thermi-
sche Wirkungsgrad ist im Wesentlichen von
der Enthalpie des Dampfes vor und nach der
Entspannung abhängig.

Zur Übung
Ü 3.3-9 Mit einem idealen Gas wird der rechtsläufige
Kreisprozess gemäß Abb. 3.32 durchgeführt, der sich
aus Isobaren und Isochoren zusammensetzt. Die Zu-
standsgrößen der Eckpunkte im p, V-Diagramm sind
p1 = 7,5 bar, p2 = 10 bar, V2 = 1 l, V3 = 1,5 l. Das Gas
besteht aus zweiatomigen Molekülen, die im betrach-
teten Temperaturbereich rotieren, ohne zu schwingen.
Die Teilchenmenge beträgt ν = 0,3 mol. a) Wie groß
sind die Temperaturen T1 , T2 und T3 ? b) Welche Nutz-
arbeit W wird je Umlauf abgegeben? c) Welche Wärme
Qzu muss je Zyklus zugeführt werden? d) Wie groß ist
der thermische Wirkungsgrad ηth des Kreisprozesses?
e) Welchen Wirkungsgrad hätte eine Carnot-Maschine,
Abb. 3.31 Demonstrationsmodell eines Heißluftmo- die zwischen denselben Maximal- und Minimaltempe-
tors raturen T3 und T1 arbeitet?

Ü 3.3-10 Eine Wärmepumpe mit der Leistungszahl


Gase werden beim realen Prozess ausgesto- εW = 3 soll ein Haus heizen. Die erforderliche Heiz-
leistung ist |Q̇ab | = 15 kW bei ϑ3 = 45 ◦ C. Die Außen-
ßen. Der idealisierte Kreisprozess wird durch
temperatur beträgt ϑ1 = −5 ◦ C. a) Welche elektrische
eine isobare Abkühlung geschlossen. Ortsfeste Leistung P nimmt der Motor auf? b) Wie groß wäre
Gasturbinen arbeiten nach dem geschlosse- die Leistung PC des Antriebsmotors, wenn ein Carnot-
nen Ericsson-Prozess (J. Ericsson, 1803 bis Prozess ablaufen würde?
1899), der von J. Ackeret und C. Keller
näherungsweise verwirklicht wurde. Unter
der Voraussetzung, dass die bei den isobaren
Zustandsänderungen umgesetzten Wärme-
mengen intern übertragen werden können,
erreicht der Ericsson-Prozess den thermi-
schen Wirkungsgrad des Carnot-Prozesses.
In Dampfkraftanlagen läuft i. Allg. der
Clausius-Rankine-Prozess (R. J. E. Clau-
sius, 1822 bis 1885; W. J. M. Rankine, 1802
bis 1872) ab. Die Speisewasserpumpe erhöht
von 1 nach 2 isentrop den Druck des Was-
sers. Durch isobare Wärmezufuhr wird das
Wasser verdampft und der Heißdampf von
3 nach 4 in der Turbine isentrop entspannt.
Im Kondensator verflüssigt sich der ent- Abb. 3.32 Zu Aufgabe Ü 3.3-9 Kreisprozess aus
spannte Dampf durch Wärmeabfuhr an das 2 Isobaren und 2 Isochoren
222 3 Thermodynamik

Ü 3.3-11 In einer mit Wasserstoff betriebenen Gaskäl- tur des Gases zu jeder Zeit mit der Umgebung
temaschine läuft ein linksläufiger Stirling-Prozess mit im Gleichgewicht sind.
folgenden Einzelprozessen ab: Wird der Fall eines Apfels von einem Baum
1 → 2: Isochore Erwärmung vom Anfangszustand gefilmt und der Film später rückwärts laufend
p1 = 9 bar, V1 = 0,28 l und T1 = 77 K auf betrachtet, so löst die Szene allgemeine Heiter-
T2 = 300 K; keit aus. Jedermann weiß aus Erfahrung, dass
2 → 3: Isotherme Kompression von V1 = V2 auf V3 = dieser Vorgang irreversibel ist, also nicht von
V4 = 0,14 l; allein in umgekehrter Richtung abläuft.
3 → 4: Isochore Abkühlung von T2 auf T1 ;
4 → 1: Isotherme Expansion von V4 auf V1 .
Ein Vorgang ist irreversibel, wenn seine
a) Wie groß ist die Leistungszahl εK des Prozesses un-
Umkehr zum Ausgangszustand nur un-
ter der Voraussetzung, dass die interne Wärmeübertra-
gung −Q34 = Q12 ideal gelingt? b) Welche Kälteleistung
ter äußerer Einwirkung möglich ist, wo-
Qzu liefert die Maschine, wenn n = 1 400 min−1 Zyklen bei eine Veränderung in der Umgebung
durchlaufen werden? c) Wie groß ist die erforderliche zurückbleibt.
Leistung P des Antriebsmotors? d) Welche Wärmeleis-
tung |Q̇ab | wird an die Umgebung abgegeben?
Beim unelastischen Aufprall des Apfels auf den
Boden wird seine kinetische Energie in ther-
3.3.6 Zweiter Hauptsatz der Thermodynamik mische Energie umgesetzt; die Temperatur des
Apfels und der unmittelbaren Umgebung er-
3.3.6.1 Reversible und irreversible Prozesse höht sich demnach geringfügig. Der umge-
Wird vom elastischen Stoß zweier Billardku- kehrte Vorgang, dass der Apfel sich abkühlt
geln eine Filmaufnahme gemacht und der Film und dann nach oben hüpft, ist noch nie beob-
anschließend vorwärts- und rückwärtslaufend achtet worden, obwohl er den ersten Hauptsatz
betrachtet, so kann ein Zuschauer, der bei der nicht verletzen würde.
Aufnahme nicht dabei war, nicht sagen, welche Weitere Beispiele für irreversible Vorgänge
Laufrichtung des Films das Experiment rich- sind
tig wiedergibt. In beiden Richtungen könnte
der Vorgang abgelaufen sein; keine der beiden
Varianten verletzt die Stoßgesetze. Solche um- – Diffusion: Stoffe breiten sich aufgrund ei-
kehrbaren oder reversiblen Vorgänge werden nes Konzentrationsgefälles so lange aus, bis
in der Mechanik beobachtet, wenn keine Wär- die Konzentration räumlich konstant ist.
meentwicklung infolge von Reibung auftritt. Konzentrationsunterschiede dagegen bauen
sich nicht von selbst auf;
– Wärmeübergang: Wärme geht von einem
Ein Prozess ist reversibel, wenn bei seiner
warmen auf einen kalten Körper über, bis
Umkehr der Ausgangszustand wieder er-
die Temperatur ausgeglichen ist. Tempera-
reicht wird, ohne dass Änderungen in der
turunterschiede jedoch entstehen nicht von
Umgebung zurückbleiben.
selbst;
– Chemische Reaktionen, die von selbst ablau-
Reversible Zustandsänderungen von Gasen fen: Wasserstoff verbindet sich mit Sauer-
sind als idealisierte Grenzfälle denkbar, wenn stoff zu Wasser. Für die Zersetzung des Was-
die Prozesse reibungsfrei und quasistatisch sers in seine Bestandteile hingegen muss
verlaufen, sodass der Druck und die Tempera- Energie aufgewendet werden.
3.3 Hauptsätze der Thermodynamik 223

Bei genauer Betrachtung sind alle natürlich ab-


laufenden und technischen Prozesse irreversi-
bel. Reversible Vorgänge sind lediglich ideali-
sierte Grenzfälle.

3.3.6.2 Formulierungen des zweiten Hauptsatzes


Die Irreversibilität natürlicher und techni-
scher Prozesse ist der Inhalt des zweiten
Hauptsatzes der Thermodynamik. Dieser
legt die Richtung der von selbst ablaufenden
Vorgänge fest, die stets einem Gleichgewichts-
zustand zustreben. Eine klassische Formu-
lierung des zweiten Hauptsatzes stammt von
Thomson (Lord Kelvin) aus dem Jahr 1851:

Es gibt keine periodisch arbeitende Ma-


schine, die Wärme aus einer Wärme-
quelle entnimmt und vollständig in me-
chanische Arbeit umwandelt.

Die Erfahrung zeigt, dass eine Wärmekraft-


maschine stets auch Wärme an eine Wär-
mesenke tiefer Temperaturen abgeben muss Abb. 3.33 Es existiert keine Maschine, die einen
(Abb. 3.25). Ließe sich eine Maschine kon- höheren Nutzeffekt als die Carnot-Maschine
struieren, die ohne Wärmeabgabe bei tiefer hat: a) Kopplung von rechts- und linkslaufender
Temperatur auskäme, so wären die Energie- Carnot-Maschine, b) Kopplung einer rechtsläufigen
probleme der Menschheit für alle Zeiten ge- „Super“-Maschine mit einer linksläufigen
Carnot-Maschine
löst. Da z. B. in den Weltmeeren ein ungeheue-
rer Betrag an innerer Energie steckt, könn-
ten durch geringfügiges Abkühlen des Meer- Körper entzogen und einem warmen Körper
wassers nahezu unbegrenzte Energiereserven zugeführt werden kann (Abb. 3.26). Clausius
freigesetzt werden. Eine solche Maschine, die formulierte 1850 den zweiten Hauptsatz so:
zwar den zweiten, nicht aber den ersten Haupt-
satz verletzt, wird als Perpetuum mobile zwei- Wärme geht nicht von selbst von einem
ter Art bezeichnet. Eine weitere Formulierung kalten auf einen warmen Körper über.
des zweiten Hauptsatzes lautet also:

Anhand von Abb. 3.33 erkennt man, dass


Es gibt kein Perpetuum mobile zweiter der thermische Wirkungsgrad des Carnot-
Art. Prozesses nicht übertroffen werden kann.
Zwischen den Temperaturgrenzen T3 = 600 K
Die linksläufigen Kreisprozesse zeigen, dass und T1 = 300 K wirkt je ein rechts- und ein
Wärme unter Arbeitsaufwand einem kalten linksläufiger Kreisprozess. Abbildung 3.33a
224 3 Thermodynamik

zeigt eine Carnot-Wärmekraftmaschine, die


nach (3.76) den thermischen Wirkungsgrad
ηth,C = 0,5 hat. Ihre mechanische Nutzarbeit
wird eingesetzt, um eine Wärmepumpe zu
betreiben, die nach (3.82) die Leistungszahl
εW,C = 2 aufweist. Aus den Daten geht klar
hervor, dass im Endeffekt jedem Wärmebad
die Wärmemenge, die ihm eine Maschine
entnimmt, von der anderen wieder zugeführt
wird.
Abbildung 3.33b zeigt eine hypothetische
„Super“-Wärmekraftmaschine mit einem
thermischen Wirkungsgrad, der den Carnot’-
schen übertrifft (z. B. ηth,S = 0,75). Nimmt
diese Maschine beispielsweise die Wärme- Abb. 3.34 Ersatz eines beliebigen Kreisprozesses
leistung 4 kW vom oberen Wärmebad auf, durch ein System von Carnot-Prozessen
dann gibt sie Q̇ = 1 kW an das kalte Reservoir
und P = 3 kW an die Wärmepumpe ab. Die Q12 Q34
Carnot-Wärmepumpe nimmt aus dem unte- + =0.
T1 T3
ren Wärmebad Q̇ = 3 kW an Wärmeleistung
auf und gibt an das obere Q̇ = 6 kW ab. Dies Der Quotient von übertragener Wärme und
bedeutet schlussendlich, dass Wärme ohne der absoluten Temperatur, bei der sie übertra-
äußere Arbeitszufuhr von einem kalten auf gen wurde, wird als reduzierte Wärme bezeich-
einen warmen Körper übergeht, was gegen net. Offensichtlich ist die Summe der redu-
den zweiten Hauptsatz verstößt. Daraus folgt: zierten Wärmen bei einem kompletten Umlauf
eines reversiblen Carnot-Prozesses null. Wird
ein beliebiger Kreisprozess reversibel durch-
Ein höherer thermischer Wirkungsgrad
laufen, dann kann er nach Abb. 3.34 durch
als der des Carnot-Prozesses ist nicht
unendlich viele differentiell schmale Carnot-
möglich.
Prozesse ersetzt werden. Auch hierbei ist die
Summe aller reduzierten Wärmen null:


δQrev
3.3.6.3 Entropie =0. (3.83)
T
Die bisherigen Formulierungen des zweiten
Hauptsatzes können mathematisch ausge-
drückt werden mit Hilfe der Zustandsgröße Der Index rev soll daran erinnern, dass die
Entropie, die gestattet, den Grad der Irrever- Prozessführung reversibel sein muss.
sibilität eines Vorganges zu berechnen. Aus- Wenn die Größe δQTrev bei einem kompletten
gangspunkt der folgenden Betrachtungen ist Umlauf keine Änderung erfährt, erfüllt sie die
der ideale reversibel geführte Carnot-Prozess Voraussetzungen, die an eine Zustandsgröße
(Abb. 3.24). Für die umgesetzten Wärmen gestellt werden. Diese Zustandsgröße bezeich-
und die Temperaturen der Wärmebäder gilt net man nach Clausius als Entropie S. Ihr Dif-
nach (3.77) ferential ist definiert als
3.3 Hauptsätze der Thermodynamik 225

δQrev T2
dS = . (3.84) ΔS = S2 − S1 = νCmV ln
T T1
V2
+ νRm ln . (3.86)
V1
Die Maßeinheit der Entropie ist J/K. Der Null-
punkt kann willkürlich gewählt werden. Die
Entropiedifferenz zwischen einem Ausgangs- Nach (3.51) kann die innere Energie durch die
zustand 1 und einem Endzustand 2 ist Enthalpie H ausgedrückt werden:

dU = dH − p dV − V dp .
2
δQrev
ΔS = S2 − S1 = . (3.85) Damit gilt
T
1
dH − V dp dT dp
dS = = νCmp − Rm
T T p
Die Entropieänderung ist als Differenz zweier
Zustandsgrößen wegunabhängig. Zu ihrer und nach der Integration
Berechnung muss aber ein – wenigstens in
Gedanken – realisierbarer reversibler Weg T2 p2
beschritten werden. Bei reversibel geführten ΔS = S2 − S1 = νCmp ln − νRm ln .
T1 p1
adiabaten Zustandsänderungen ist δQrev = 0. (3.87)
Somit gibt es keine Änderung der Entropie
(S1 = S2 ); die Zustandsänderung verläuft isen-
trop.
Beispiel
Die Entropieänderung bei einer Zustandsän-
3.3-7 In einem berühmt gewordenen Versuch ließ
derung eines idealen Gases lässt sich aus (3.84) Gay-Lussac nach Abb. 3.35 ein Gas aus einem Behälter
mit Hilfe des ersten Hauptsatzes berechnen: in einen zunächst evakuierten Rezipienten strömen.
Die Anordnung war nach außen wärmeisoliert (adia-
δQrev dU + p dV bates System). Gay-Lussac fand, dass nach Erreichen
dS = = .
T T des Gleichgewichtszustands die Temperatur des Gases
nicht verändert war und schloss daraus, dass die innere
Mit (3.46) für die Änderung der inneren Ener- Energie idealer Gase nicht vom Volumen abhängt. Wie
gie ergibt sich daraus groß ist die Entropieänderung bei dem geschilderten
Vorgang?
dT p
dS = νCmV · + dV .
T T

Nach der Zustandsgleichung idealer Gase ist


p/ T = νRm / V und somit

dT dV
dS = νCmV + νRm .
T V

Wird die molare Wärmekapazität Cmv als kon-


stant vorausgesetzt, kann integriert werden: Abb. 3.35 Zu Beispiel 3.3-7 Gay-Lussac’scher Versuch
226 3 Thermodynamik

Lösung
Obwohl die Ausströmung ins Vakuum ein hochgra-
dig irreversibler Prozess ist, lässt sich die Entropieän-
derung mit Hilfe eines reversiblen Ersatzprozesses be-
rechnen. Ein denkbarer Ersatzprozess ist die isotherme
Expansion mit jeweils dem gleichen Anfangs- und End-
zustand wie der tatsächliche Prozess. Nach (3.86) gilt
dann mit T1 = T2
V2
ΔS = S2 − S1 = νRm ln .
V1
Die Entropieänderung ist größer als null, weil V2 > V1
ist. Ist z. B. ν = 1 mol und V2 / V1 = 2, dann beträgt die
Entropieänderung
J J
ΔS = 1 mol · 8,314 · ln 2 = 5,76 .
mol K K

Abb. 3.36 Kreisprozess mit reversiblem und


Hat der Carnot’sche Kreisprozess irreversi-
irreversiblem Anteil
ble Anteile (z. B. Reibungsarbeit oder Wärme-
übertragung mit Temperaturgefälle zwischen
Wärmebad und Gas), so ist der thermische Mit (3.85) kann man schreiben
Wirkungsgrad geringer als bei vollkommen re- 2
versibler Prozessführung: δQirr
+ S1 − S2 < 0 .
T
Q12 + Q34 T3 − T1
ηth,irr = < ηth,rev = .
1
Q34 T3 Betrachtet man insbesondere adiabate Sys-
Anstelle von (3.77) gilt dann teme, bei denen keine Wärmeübertragung
Q12 Q34 stattfindet (δQirr = 0), dann gilt
+ <0.
T1 T3
Für beliebige irreversible Kreisprozesse gilt S2 − S1 > 0 (3.89)
entsprechend (im Gegensatz zu (3.83), die nur
bei reversibler Prozessführung gültig ist) In einem adiabaten geschlossenen Sys-
tem sind irreversible Prozesse stets mit
einem Anstieg der Entropie verknüpft.
δQirr
<0. (3.88) Bei reversibler Prozessführung bleibt die
T
Entropie konstant.

Nach Abb. 3.36 sei jetzt ein Kreisprozess be-


Mathematisch kann diese Aussage auch so for-
trachtet, der aus einem irreversiblen (1 → 2)
muliert werden:
und einem reversiblen (2 → 1) Weg besteht.
Der Gesamtprozess ist damit irreversibel, und
nach (3.88) gilt dS 0 . (3.90)
2 1
δQ δQirr δQrev
= + <0. Das Gleichheitszeichen gilt für reversible, das
T T T
1 2 Größer-als-Zeichen für irreversible Prozesse.
3.3 Hauptsätze der Thermodynamik 227

Da in der Natur von selbst nur irreversible Pro- Abbildung 3.37 zeigt das Wärmeschaubild des
zesse ablaufen, gilt: Carnot-Prozesses. Die zugeführte Wärme ent-
spricht der Fläche unterhalb der Geraden 3–4,
In einem adiabaten geschlossenen Sys- die abgegebene Wärme ist sichtbar als Flä-
tem können von selbst nur Vorgänge ab- che unterhalb der Geraden 1–2. Die Nutzar-
laufen, bei denen die Entropie ansteigt. beit entspricht wie beim p, V-Diagramm dem
Flächeninhalt der umfahrenen Figur.

Ein Beispiel für den Entropieanstieg ist die 3.3.6.4 Statistische Deutung der Entropie
Ausströmung eines Gases ins Vakuum (Bei- Mit Hilfe statistischer Betrachtungen soll ge-
spiel 3.3-7). Ist ein System abgeschlossen, dann zeigt werden, dass die Entropie in engem Zu-
ist die innere Energie des Systems konstant sammenhang steht zu der Wahrscheinlichkeit,
und die Entropie des Systems strebt einem mit der ein bestimmter Zustand realisiert wer-
Maximalwert zu, den sie im Gleichgewichts- den kann.
zustand erreicht hat. Zunächst soll gemäß Abb. 3.38 der übersicht-
Aus der Definitionsgleichung der Entropie liche Fall betrachtet werden, dass sich ledig-
dS = δQrev / T folgt, dass in einem T, S- lich N = 4 Moleküle in einem Gefäß befinden.
Diagramm die reversibel umgesetzte Wär- Teilt man das Gefäß willkürlich in zwei Hälf-
memenge als Fläche unter der Kurve einer ten, so befindet sich jedes Molekül mit dersel-
Zustandsänderung abgelesen werden kann: ben Wahrscheinlichkeit entweder in der linken
oder in der rechten Gefäßhälfte. Nun sollen
δQrev = T dS oder
aber fünf so genannte Makrozustände vergli-
chen werden. Das sind Besetzungen der bei-
den Hälften mit n1 :n2 = 0:4, 1:3, 2:2, 3:1 und
2
4:0 Molekülen. Anhand der durchnummerier-
Q12,rev = T dS . (3.91)
ten Moleküle erkennt man sofort, dass jeder
1
Makrozustand durch verschieden viele Mikro-
zustände oder Komplexionen realisiert werden
kann. So hat der Zustand der Gleichvertei-
lung in den beiden Gefäßhälften, n1 :n2 = 2:2,

Abb. 3.38 Verschiedene Mikrozustände bei der


Abb. 3.37 T, S-Diagramm des Carnot-Prozesses. Verteilung von N = 4 Molekülen auf die zwei Hälften
W Arbeit 1 bis 4 Zustandspunkte eines Gefäßes
228 3 Thermodynamik

mit den meisten Mikrozuständen (W = 6) die die meisten Mikrozustände verwirklichen


höchste Wahrscheinlichkeit der Realisierung. lässt, also der Zustand mit größter Wahr-
Diese Überlegungen sind vergleichbar dem scheinlichkeit, zugleich auch der Zustand mit
Würfeln mit zwei Würfeln: Jede Augenzahl ei- maximaler Entropie ist. Nach Boltzmann gilt
nes Würfels hat dieselbe Wahrscheinlichkeit, der Zusammenhang
nämlich 1/6. Die Summe der beiden Augen-
zahlen wird aber am häufigsten 7 ergeben,
weil diese Summe die meisten Realisierungs- S = k ln W , (3.93)
möglichkeiten (Mikrozustände) besitzt, näm-
lich 1 + 6, 2 + 5, 3 + 4, 4 + 3, 5 + 2 und 6 + 1. mit der Boltzmann-Konstante k als Proportio-
Die Zahl der Mikrozustände, die denselben nalitätsfaktor.
Makrozustand ergeben, oder die Komplexio- Bei großen Teilchenzahlen N lassen sich die
nenzahl, beträgt Fakultäten N! praktisch nicht mehr berech-
nen. Für die Berechnung des Logarithmus der
N! Fakultäten kann die Stirling’sche Näherungs-
W = . (3.92) formel verwendet werden:
n1 !n2 !

ln N! ≈ N · ln N − N . (3.94)
Sie wird auch als thermodynamische Wahr-
scheinlichkeit bezeichnet. Im Gegensatz zur
normalen Wahrscheinlichkeit ist W meist eine
große Zahl. Beispiel
Während man sich bei N = 4 Molekülen durch- 3.3-8 Wie groß ist der Zuwachs an Entropie, wenn
ein ideales Gas mit N Molekülen überströmt in ein
aus noch vorstellen kann, dass sich im Ver-
Gefäß mit doppeltem Volumen (Abb. 3.35, Beispiel 3.3-
lauf der thermischen regellosen Bewegung ge- 7, Überströmversuch von Gay-Lussac).
legentlich alle Moleküle in einer Gefäßhälfte
befinden (die Gleichverteilung ist nur 6-mal Lösung
Der Anfangszustand, in dem sich das Gas in einer
wahrscheinlicher), nimmt die Komplexionen-
Gefäßhälfte befindet, besitzt die Komplexionenzahl
zahl W der Gleichverteilung mit zunehmender WA = N!0!
N!
= 1 und damit die Entropie SA = k ln 1 = 0.
Teilchenzahl N extrem zu. Bereits bei N = 10 Der Endzustand mit der größten Realisierungswahr-
Molekülen lässt sich die Gleichverteilung 5:5 scheinlichkeit ist die Gleichverteilung mit der Kom-
durch W = 252 Mikrozustände realisieren, ist plexionenzahl WE = NN!2 und der Entropie SE =
- . 2!
also 252-mal wahrscheinlicher als der Zustand k ln N! − 2 ln N2 ! .
0:10. Bei den großen Teilchenzahlen, wie sie Mithilfe der Stirling’schen Formel (3.94) wird daraus
in Gasen vorkommen, z.B. in der Größenord- SE = Nk ln 2 = νRm ln 2.
nung der Avogadro’schen Konstante, besitzt
Die Entropieänderung ist damit
die Gleichverteilung der Moleküle auf das Ge-
fäßvolumen eine derart hohe Wahrscheinlich- ΔS = SE − SA = νRm ln 2,
keit, dass die spontane Besetzung des halben in Übereinstimmung mit der thermodynamischen Be-
Gefäßvolumens durch alle Moleküle nicht auf- rechnung von Beispiel 3.3-7.
treten wird.
Von L. Boltzmann stammt die Erkenntnis, Füllt man in einen Behälter weißen Sand und
dass derjenige Makrozustand, der sich durch schichtet darüber vorsichtig dunklen Sand,
3.3 Hauptsätze der Thermodynamik 229

dann werden sich die beiden Sandsorten beim der von H. Haken (∗ 1927) begründeten Lehre
Schütteln des Gefäßes mischen. Dieser typisch vom Zusammenwirken der Einzelteile offener
irreversible Mischungsvorgang kann vom Systeme, der Synergetik.
Standpunkt der Wahrscheinlichkeitsrechnung
so interpretiert werden, dass das System vom Zur Übung
Ü 3.3-12 Wie groß ist die Energie, die man mit ei-
unwahrscheinlichen Zustand hoher Ordnung
nem Perpetuum mobile zweiter Art aus dem Meer-
in den wahrscheinlicheren Zustand großer wasser gewinnen könnte, wenn dieses um Δϑ = 1 ◦ C
Unordnung übergeht. Von selbst ablaufende abgekühlt würde? Die Masse des Meerwassers ist m ≈
Vorgänge gehen stets von geordneten Zu- 1,4 · 1021 kg. Wie lange würde dieser Energievorrat rei-
ständen in Richtung größerer Unordnung. chen bei einem mittleren Leistungsbedarf der Mensch-
Da sie gleichzeitig mit einem Entropieanstieg heit von ungefähr P = 13 TW?
verknüpft sind, folgt:
Ü 3.3-13 Stickstoff wird vom Normzustand pn , Tn und
Vn = 1 l a) isobar, b) isochor auf die Temperatur
Die Entropie ist ein Maß für den Grad T1 = 500 K erwärmt. Wie groß ist in beiden Fällen
der Unordnung eines Systems. die Entropieänderung?

Ü 3.3-14 Welche Kurvenform hat eine Isochore


Das Prinzip des Entropieanstiegs gilt nur für
im T, S-Diagramm? Wie sieht demnach das T, S-
abgeschlossene Systeme, nicht aber für of- Diagramm des Stirling-Prozesses aus? Wie kann man
fene. Ist ein offenes System weit entfernt vom zeigen, dass der thermische Wirkungsgrad des idea-
thermischen Gleichgewicht, so bewirken ei- len Stirling-Prozesses mit funktionierender interner
nerseits die Energiezufuhr oder auch der Zu- Wärmeübertragung mit dem des Carnot-Prozesses
strom neuer Stoffe und andererseits die Um- identisch ist?
wandlung im System in andere Energie- und
Stoffformen, dass sich im System ständig neue Ü 3.3-15 Ein Teil aus Kupfer mit der Masse m = 1 kg
Lagen der Systemteile zueinander, neuartige und der Temperatur ϑ1 = 10 ◦ C wird in Kontakt ge-
Bewegungsabläufe oder neuartige Reaktions- bracht mit einem gleich schweren Kupferteil mit ϑ2 =
30 ◦ C. a) Um welchen Betrag ändert sich die Entropie
abläufe bilden, an denen größere Bereiche des
der beiden Körper beim Temperaturausgleich, wenn
Systems beteiligt sind. Unter den sich kurz- kein Wärmetransport zur Umgebung erfolgt?
zeitig bildenden, miteinander konkurrieren- b) Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass der um-
den Strukturen (Moden) kommt es ab einem gekehrte Vorgang von selbst abläuft?
charakteristischen Schwellwert der Energie-
oder Stoffzufuhr plötzlich zu makroskopisch
wahrnehmbaren Ordnungszuständen. Durch 3.3.7 Thermodynamische Potentiale
Selbstorganisation setzen sich jene neuarti-
gen Moden (Ordner) durch, die den anderen Der zweite Hauptsatz erlaubt Aussagen über
Systemteilen ihre Ordnung am erfolgreichs- die Richtung von selbst ablaufender Prozesse
ten aufprägen (Versklavung) und die höchs- in adiabaten bzw. abgeschlossenen Systemen.
ten Wachstumsraten haben. Aus der Unord- Viele Prozesse, besonders chemische Reak-
nung (Chaos) entstehen also in offenen Syste- tionen, laufen bei konstanter Temperatur ab.
men geordnete Strukturen. Welche Ordnungs- Hierbei kann die Richtung von selbst ablau-
zustände sich unter gegebenen Randbedin- fender Vorgänge mit der von Helmholtz einge-
gungen bilden, ist Untersuchungsgegenstand führten freien Energie F bestimmt werden:
230 3 Thermodynamik

Reaktionen und Oberflächenarbeit) verstan-


F = U − TS . (3.95) den wird: δW = δWV + δW .
Wird das Volumen eines Systems konstant ge-
halten, dann ist δWV = 0, und aus (3.96) folgt
Das totale Differenzial dieser Zustandsgröße −δW − dF oder dF − δW 0.
ist dF = dU − T dS − S dT. Für isotherme Sys- Bei spontan ablaufenden Reaktionen wird
teme gilt dT = 0 und dF = dU − T dS. Mit Nutzarbeit abgegeben, d. h. −δW 0. Für die
dem ersten Hauptsatz dU = δQrev + δWrev und freie Energie folgt daraus
der Definitionsgleichung (3.84) für die Entro-
pie T dS = δQrev folgt für reversible Prozesse
dF = δWrev oder −δWrev = − dF. dF 0 . (3.97)
Die Arbeit, die ein isothermes System bei re-
In einem isotherm-isochoren System
versiblen Prozessen abgeben kann, entspricht
verlaufen reversible Vorgänge bei kon-
der Abnahme der freien Energie. Bei irreversi-
stanter freier Energie, irreversible Pro-
bler Prozessführung ist die abgegebene Arbeit
zesse unter Abnahme der freien Energie.
stets kleiner als bei reversibler Führung, also
Im Gleichgewicht hat die freie Energie
−δWirr < −δWrev . Damit gilt
ein Minimum.

−δW − dF . (3.96) Somit ist auch die Richtung chemischer Reak-


tionen aufgezeigt: In isotherm-isochoren Sys-
temen verlaufen chemische Reaktionen spon-
Das Gleichheitszeichen gilt im Fall reversibler, tan, wenn die freie Energie der Reaktionspart-
das Kleiner-als-Zeichen bei irreversibler Pro- ner nach der Reaktion geringer ist als vorher.
zessführung. Die freie Energie gehört zu den thermodyna-
mischen Potentialen. Wie in der Mechanik die
Der maximale Arbeitsbetrag, den ein Komponenten einer Kraft durch Differenzia-
isothermes System nach außen abgeben tion des Potentials nach den Koordinaten er-
kann, ist gleich der Abnahme der freien mittelt werden können, besteht in der Ther-
Energie. modynamik die Möglichkeit, alle Zustands-
größen durch Differenziation aus thermody-
namischen Potentialen zu gewinnen. Für die
Nimmt beispielsweise bei einer isothermen freie Energie gilt
chemischen Reaktion die innere Energie von
U1 auf U2 ab, dann kann nicht die ganze Diffe- dF = dU − T dS − S dT .
renz ΔU als Arbeit nach außen abgegeben wer-
Mit dem ersten und zweiten Hauptsatz
den, sondern nur der Anteil der freien Energie
ΔF = ΔU − T ΔS. Der Teilbetrag T ΔS, die ge- dU = δQ − p dV = T dS − p dV
bundene Energie, wird in Wärme umgesetzt.
Es wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass folgt
unter „Arbeit“ in diesem Fall nicht nur die
dF = −p dV − S dT . (1)
Volumenänderungsarbeit δWV = −p dV, son-
dern auch jede andere Form von Arbeit δW Das totale Differenzial der Funktion F(V, T)
(z. B. elektrische Arbeit bei elektrochemischen kann geschrieben werden
3.3 Hauptsätze der Thermodynamik 231


∂F ∂F Die freie Enthalpie hat eine ähnliche Bedeu-
dF = dV + dT . (2)
∂V T ∂T V tung wie die freie Energie. In einem isotherm-
Aus dem Vergleich der Beziehungen (1) und isobaren System gilt
(2) folgt
dG 0 . (3.103)

∂F
p=− und (3.98)
∂V T
Das Gleichheitszeichen gilt für reversible, das
∂F
S=− . (3.99) Kleiner-als-Zeichen für irreversible Vorgänge.
∂T V
In isotherm-isobaren Systemen strebt
Ist ein thermodynamisches Potential als Funk- die freie Enthalpie ein Minimum an, das
tion seiner natürlichen Variablen bekannt, so sie im Gleichgewichtszustand erreicht
kann man durch reine Differenziationspro- hat.
zesse andere thermodynamische Potentiale
oder Zustandsgrößen gewinnen. Auf diese
Weise werden beispielsweise Dampftafeln 3.3.8 Dritter Hauptsatz der Thermodynamik
berechnet.
Ein weiteres thermodynamisches Potential ist Durch experimentelle Untersuchungen fand
die freie Enthalpie G oder Gibbs’sches Potential Nernst (W. Nernst, 1864 bis 1941) im Jahr
(J. W. Gibbs, 1839 bis 1903): 1906, dass die Entropie fester Körper am abso-
luten Temperaturnullpunkt nicht von der Kris-
G = H − TS = U + pV − TS . (3.100) tallmodifikation abhängt. So hat z. B. weißes
und graues Zinn bei T = 0 dieselbe Entropie:
Sweiß (0) = Sgrau (0).
Für das totale Differenzial der Zustandsgröße Bei Annäherung eines homogenen Systems an
G(p, T) gilt den absoluten Nullpunkt ist im Gleichgewicht
die molare Entropie unabhängig von thermo-
dG = dU + p dV + V dp − T dS − S dT .
dynamischen Parametern (z. B. Druck, Volu-
men, Kristallstruktur, Magnetfeld) und nimmt
Mit dU + p dV = δQ = T dS folgt dG = V dp − einen konstanten Wert Sm0 an. Dieser Nernst’-
S dT. Durch Vergleich mit sche Wärmesatz wurde von Planck erweitert,
der die Entropie am absoluten Nullpunkt null
∂G ∂G
dG = dp + dT setzte:
∂p T ∂T p
ergeben sich S0 = 0 für T = 0 . (3.104)

∂G Die Entropie reiner Stoffe ist am absolu-
V = und (3.101) ten Temperaturnullpunkt null.
∂P T

∂G
S=− . (3.102)
∂T P Diese Festlegung der Entropie durch den drit-
ten Hauptsatz ist im Einklang mit der statis-
232 3 Thermodynamik

tischen Deutung der Entropie. Der Gleichge- Hauptsatz für das Kreisintegral der Entropie
wichtszustand am absoluten Nullpunkt zeich-
net sich durch maximale Ordnung aus. Die Un- dS = S12 + S23 + S34 + S41 = 0 .
ordnung und damit die Entropie sind null.
Der dritte Hauptsatz ist nur gültig für reine Nun ist S23 = S41 = 0 wegen isentroper Pro-
Stoffe. Mischkristalle haben bei T = 0 eine zessführung. Nach dem dritten Hauptsatz ist

endliche Entropie. Außerdem müssen die Sys- S12 = 0 für T1 = 0. Also gilt S = S34 = 0. Die
teme im thermodynamischen Gleichgewicht Entropieänderung während der isothermen
sein. Dies ist z. B. bei Gläsern nicht der Fall. Expansion von 3 nach 4 ist aber nach (3.85)
Gläser haben auch bei T = 0 noch eine Un- Q34
ordnung, demnach ist S0 > 0. Der Übergang S34 = >0.
T3
in eine geordnete kristalline Phase findet nicht
statt, weil bei tiefen Temperaturen die Reakti- Der Widerspruch löst sich nur, wenn die tiefe
onsgeschwindigkeiten vernachlässigbar klein Temperatur T1 > 0 gesetzt wird. Daraus folgt:
werden.
Die Entropie eines Systems kann nach dem Der absolute Temperaturnullpunkt lässt
dritten Hauptsatz absolut berechnet werden sich nicht erreichen.

T Der dritte Hauptsatz wird deshalb gelegentlich


δQrev
S(T) = auch als Satz von der Unerreichbarkeit des ab-
T soluten Nullpunkts bezeichnet.
0
T
c (T) 3.4 Zustandsänderungen
=m dT . (3.105)
T
0 realer Gase
Sind die Wechselwirkungen zwischen den Gas-
Die Entropie bleibt nur dann endlich, wenn die molekülen – beispielsweise in der Nähe von
spezifische Wärmekapazität c(T) mit abneh- Phasenumwandlungen – nicht mehr zu ver-
mender Temperatur hinreichend schnell gegen nachlässigen, so handelt es sich um reale Gase.
null geht. Dies ist in der Tat der Fall: Bei vie- Mit der allgemeinen Zustandsgleichung idea-
len Festkörpern gilt bei tiefen Temperaturen ler Gase (Abschn. 3.1.5) lässt sich die Dichte ρ
das Debye’sche T 3 -Gesetz c(T) = konst. · T 3 aus der absoluten Temperatur T und dem
(Abschn. 9.3.1.2). Druck p ableiten: pV = mRi T ergibt wegen
Aus dem dritten Hauptsatz folgt auch, dass der ρ = m/ V
thermische Ausdehnungskoeffizient (∂V /∂T)p
und der Druckkoeffizient (∂p/∂T)V bei Annä-
p
herung an den absoluten Nullpunkt null wer- ρ= (3.106)
Ri T
den.
In Abschn. 3.3.5 ist ausgeführt, dass ein
Carnot-Prozess, bei dem die tiefe Temperatur mit Ri als der spezifischen Gaskonstante. Für
T1 = 0 ist, einen thermischen Wirkungsgrad reale Gase mit molekularen Wechselwirkun-
von ηth = 1 hat. Bei einem reversiblen Carnot- gen wird die Zustandsgleichung mit dem Re-
Prozess (Abb. 3.24) gilt nach dem zweiten algasfaktor Z korrigiert:
3.4 Zustandsänderungen realer Gase 233

hen Drücken und tiefen Temperaturen beson-


p
ρ= . (3.107) ders deutlich in Erscheinung treten, nämlich
ZRi T
– die zwischen den Gasmolekülen stattfinden-
den Anziehungskräfte (Kohäsion) und
Abbildung 3.39 zeigt den Verlauf der Real-
– das Eigenvolumen der Gase (Kovolumen).
gasfaktoren Z von Luft in Abhängigkeit vom
Druck p (von 0 bis 300 bar). J. D. Van der waals (1837 bis 1923) hat
Die Dichte von Gasgemischen ρG errechnet den Druck und das Volumen in der allge-
sich aus den jeweiligen Dichten ρ1 , ρ2 , …, ρn meinen Gasgleichung dementsprechend kor-
und deren prozentualen Volumenanteilen: rigiert. Die van-der-Waals’sche Zustandsglei-
chung lautet mit molaren Größen

ρi Vi
ρG = . (3.108) a
V p+ 2 (Vm − b) = Rm T . (3.109)
Vm

3.4.1 Van-der-Waals’sche Zustandsgleichung Darin sind Vm das Molvolumen und a sowie b


gasspezifische Materialkonstanten.
Die für ideale Gase abgeleiteten Gesetze ver- Den Korrekturterm a/ Vm 2
nennt man Bin-
nachlässigen zwei Einflussgrößen, die bei ho- nendruck. Er berücksichtigt die Wirkung der
zwischenmolekularen Anziehungskräfte (van-
der-Waals-Kräfte, Abschn. 9.1.1.1), die Kohä-
sionskräfte zwischen den Flüssigkeitsmolekü-
len, die auch für die Oberflächenspannung ver-
antwortlich sind (Abschn. 2.12.1.6, Abb. 2.99).
Im Innern der Gasphase heben sich die zwi-
schenmolekularen Kräfte zwar auf, an den
Grenzflächen (z. B. einer Gasoberfläche) aber
weisen sie eine resultierende Kraft in Richtung
des Gasinneren auf. Dadurch erhöht sich der
Innendruck im Gas (Binnendruck); das Kor-
rekturglied ist deshalb positiv. Der Binnen-
druck pbi ist proportional zur Dichte der an-
ziehenden Teilchen und zur Dichte der stoßen-
den Umgebungsteilchen. Insgesamt ist also der
Binnendruck proportional zum Quadrat der
Dichte: pbi ∼ ρ2 oder wegen ρ ∼ 1/ Vm ist
pbi ∼ 1/ Vm2
.
Der Faktor b berücksichtigt das Wechselwir-
kungsvolumen der Molekülkräfte, das van-
der-Waals’sche Kovolumen; es entspricht etwa
dem vierfachen Eigenvolumen des Moleküls.
Die van-der-Waals’sche Zustandsgleichung
Abb. 3.39 Realgasfaktor Z von Luft stellt für konstante Temperaturen (Isother-
234 3 Thermodynamik

namik (Abschn. 3.3.6) müssen die Flächenin-


halte über der Linie CDE und unter der Linie
ABC gleich sein. Werden für jede Isotherme
jeweils die Punkte E der beginnenden Verflüs-
sigung des Gases und jeweils die Punkte A des
Endes der Verflüssigung miteinander verbun-
den, so ergibt sich ein Bereich, innerhalb des-
sen eine Umwandlung von der gasförmigen
Phase in die flüssige stattfindet (rot umgrenzte
Zone in Abb. 3.40). Links von diesem Gebiet
liegt nur die flüssige und rechts nur die gasför-
mige Phase vor. Im Koexistenzgebiet sind beide
Phasen vorhanden. Bei Wasser heißen diese
Gebiete: überhitzter Dampf (rein gasförmiger
Zustand), trocken gesättigter Dampf (Grenz-
kurve) und Naßdampf (innerhalb des Ver-
flüssigungsgebiets). Der höchste Dampfdruck-
punkt ist der kritische Punkt K. Die zugehörige
Temperatur ist die kritische Temperatur Tk .
Abb. 3.40 Verlauf der Isothermen für Kohlendioxid
Sie ist der Wendepunkt der entsprechenden
im p, V-Diagramm Isotherme. Die zugehörigen Werte sind der
kritische Druck pk (für CO2 ist pk = 7,38 MPa)
und das kritische Volumen Vk (für CO2 ist
men) im p, V-Diagramm eine Funktion dritten
Vmk = 0,1275 m3 /kmol). Oberhalb des Punk-
Grades dar. Abbildung 3.40 zeigt den Verlauf
tes K ist eine Verflüssigung durch alleinige
der Isothermen für Kohlendioxid (CO2 ). Un-
Komprimierung (kleineres Volumen und hö-
terhalb der Isothermen für die kritische Tem-
herer Druck) nicht möglich. Tabelle 3.10 ent-
peratur Tk (für CO2 ist Tk = 304,2 K) weisen
hält die kritischen Werte für Temperatur und
die Isothermen mit abnehmendem Molvo-
Druck sowie die van-der-Waals’schen Konstan-
lumen ein Druckmaximum und ein Druck-
ten a und b für einige ausgewählte Stoffe.
mimimum auf. Dies widerspricht jedoch der
Da der kritische Punkt K einen Wendepunkt
experimentellen Erfahrung: Mit fallendem Vo-
mit waagrechter Tangente darstellt, können
lumen durchläuft der Druck nicht die Kurve
die drei kritischen Werte von Gasen (Tk , pk
EDCBA (Isotherme 273 K), sondern verläuft
und Vk ) durch folgende drei Bestimmungs-
horizontal längs der Geraden ECA. Dies liegt
gleichungen errechnet werden: p = f(V) (van-
daran, dass bei realen Gasen ab dem Punkt E
der-Waals’sche Zustandsgleichung für die Iso-
eine Verflüssigung eintritt, die am Punkt A
therme T = Tk ), (∂p/∂V)Tk = 0 (waagerechte
abgeschlossen ist. Der bei weiterer Kompri-
Tangente) und (∂2 p/∂V 2 )Tk = 0 (Wendepunkt).
mierung erfolgende steile Druckanstieg rührt
Aus (∂p/∂V)Tk = 0 und (∂2 p/∂V 2 )Tk = 0 folgen
von der im Vergleich zu Gasen sehr kleinen
Kompressibilität von Flüssigkeiten her.
Der Druck pE in Abb. 3.40, bei dem eine
Verflüssigung einsetzt, ist der Dampfdruck. Vmk =3b (3.110)
Nach dem ersten Hauptsatz der Thermody-
3.4 Zustandsänderungen realer Gase 235

Tabelle 3.10 Kritische Temperatur Tk , kritischer Druck pk sowie van-der-Waals’sche Konstanten a und b
verschiedener Stoffe

N m4 m3
Stoff Tk in K pk in MPa a in 105 b in 10−2
kmol2 kmol

Elemente
Wasserstoff (H2 ) 33,240 1,296 0,2486 2,666
Helium (He) 5,2010 0,2275 0,0347 2,376
Stickstoff (N2 ) 126,20 3,400 1,366 3,858
Sauerstoff (O2 ) 154,576 5,043 1,382 3,186
Luft 132,507 3,766 1,360 3,657
anorganische Verbindungen
Chlor (Cl2 ) 417 7,70 6,59 5,63
Wasser (H2 O) 647,30 22,120 5,5242 3,041
Ammoniak (NH3 ) 405,6 11,30 4,246 3,730
Kohlendioxid (CO2 ) 304,2 7,3825 3,656 4,282
organische Verbindungen
Methan (CH4 ) 190,56 4,5950 2,3047 4,310
Propan (C3 H8 ) 370 4,26 9,37 9,03
Butan (C4 H10 ) 425,18 3,796 13,89 11,64

und pk Vmk 3
Zk = = . (3.114)
Rm Tk 8
8a
Tk = . (3.111)
27 b Rm
Wenn die allgemeine Gasgleichung für ideale
Gase am kritischen Punkt gültig wäre, müsste
Werden diese beiden Gleichungen in die van- Zk = 1 sein. Der Realgasfaktor Z gibt also
der-Waals’sche Zustandsgleichung (3.109) ein- den Grad der Abweichung von der allgemei-
gesetzt, ergibt sich nen Gasgleichung an (Abb. 3.39).
Sind zwei der kritischen Werte pk , Vmk
a und Tk bekannt, dann können die van-der-
pk = . (3.112) Waals’schen Konstanten a und b errechnet
27 b2
werden:

Aus der Kombination aller drei Gleichungen Vmk Rm Tk


erhält man b= = , (3.115)
3 8 pk
a = 3pk Vmk
2
= 27b2 pk . (3.116)
pk Vmk 3
= Rm . (3.113)
Tk 8
Beispiel
3.4-1 Für Kohlendioxid (CO2 ) gilt am kritischen
Bei dem Vergleich mit dem Wert des Realgas- Punkt Tk = 304,2 K und pk = 7,38 MPa. Es sollen
faktors Z (3.107) ergibt sich für den kritischen hieraus die van-der-Waals’schen Konstanten a und b
Punkt berechnet werden.
236 3 Thermodynamik

Lösung Die Luftverflüssigung gelang erstmalig Linde


Nach (3.115) gilt (C. v. Linde, 1842 bis 1934) im Jahr 1876.
Rm Tk
Genaue Rechnungen ergeben, dass der Joule-
b= = 0,0428 m3 /kmol , Thomson-Effekt auch zu einer Erwärmung
8pk
führen kann. Oberhalb der Inversionstempe-
nach (3.116) gilt ratur Ti erwärmt sich ein Gas und unterhalb
N m4 dieser kühlt es sich ab. Näherungsweise ist
a = 27b2 pk = 3,66 · 105 .
kmol2

2a
Ti ≈ . (3.117)
Rm b
3.4.2 Gasverflüssigung (Joule-Thomson-Effekt)
Da für die kritische Temperatur eines realen
Bei einem realen Gas ist wegen der zwischen-
Gases nach (3.111) Tk = 8a/ (27bRm ) gilt, ist
molekularen Wechselwirkungen und des
die Inversionstemperatur
Eigenvolumens der Moleküle die innere Ener-
gie U volumen- und druckabhängig. Wird ein
reales Gas adiabat (ohne Wärmeübertragung) Ti = 6,75 Tk . (3.118)
und ohne Arbeitsverrichtung (Drosselung)
entspannt, so kühlt es sich im Gegensatz
zum idealen Gas ab. Zur Überwindung der Weil für Luft, Stickstoff, Sauerstoff und Koh-
zwischenmolekularen Anziehungskräfte muss lendioxid die Inversionstemperatur Ti weit
nämlich Energie aufgewendet werden, die aus oberhalb der Raumtemperatur liegt, kühlen
dem Vorrat der inneren Energie U entnommen sich diese Gase nach dem Joule-Thomson-
wird. Dieser Effekt wird Joule-Thomson-Effekt Effekt ab, während sich Wasserstoff bei Raum-
genannt (J. P. Joule, 1818 bis 1889, und temperatur (Tk = 33,3 K) erwärmt. Deshalb
W. Thomson, 1824 bis 1907). Die druck- wird Wasserstoff zwecks Verflüssigung erst mit
bezogenen Temperaturdifferenzen betragen flüssigem Stickstoff vorgekühlt.
beispielsweise für Luft ΔT /Δp = 2,5 K/MPa In Abb. 3.41 sind einige technisch bedeutsame
und für Kohlendioxid ΔT /Δp = 7,5 K/MPa. Temperaturen und die entsprechenden phy-

Abb. 3.41 Physikalische Effekte und einige technisch bedeutsame Temperaturen


3.4 Zustandsänderungen realer Gase 237

sikalischen Effekte zusammengestellt. Für die Eigenschaften. Der Begriff Phase kann sowohl
Untersuchung von Werkstoffen bei tiefen Tem- auf die drei Aggregatzustände der Materie
peraturen kühlt man die Proben mit flüssi- (fest, flüssig, gasförmig) als auch auf die ver-
ger Luft (T = 79 K) oder flüssigem Stickstoff schiedenen Modifikationen desselben Stoffs
(T = 77 K) ab. Zur Untersuchung des supralei- (z. B. α- und γ -Eisen) angewandt werden.
tenden Zustandes (Abschn. 9.2.3) kühlt man Die unterschiedlichen chemischen Bestand-
meist mit flüssigem Helium (T = 4,2 K bis teile werden Komponenten genannt und
0,83 K). Um tiefere Temperaturen, die durch zweckmäßigerweise durch eine chemische
den Joule-Thomson-Effekt nicht mehr erreicht Strukturformel angegeben.
werden, zu erhalten, müssen paramagneti- Abbildung 3.42 zeigt die möglichen Phasen-
sche Salze adiabat entmagnetisiert werden. übergänge für die drei Aggregatzustände fest,
Infolge der während der Entmagnetisierung flüssig und gasförmig unter Berücksichtigung
zunehmenden Unordnung der magnetischen von Modifikationsänderungen innerhalb des
Struktur wird – analog zum Verdampfungs- festen Zustands. Allen Phasenübergängen ist
prozess – dem Stoff Wärme entzogen, sodass gemeinsam, dass Wärme zu- bzw. abgeführt
eine Abkühlung eintritt (z. B. Cäsium-Titan- werden muss, ohne dass eine Temperaturän-
Alaun, T = 0,0034 K). Nach diesem magne- derung eintritt. Diese Wärme wird deshalb
tokalorischen Effekt werden Temperaturen bis als latente Wärme bezeichnet. Wird beispiels-
T = 10−2 K erzeugt. Noch tiefere Temperatu- weise der Phasenübergang von fest nach flüssig
ren (bis T = 10−6 K) kann man durch Entma- betrachtet, dann dient die zugeführte Wärme
gnetisierung von Atomkernen erreichen. der Aufbrechung des Festkörpergitters. Die bei
konstantem Druck und konstanter Tempera-
3.4.3 Phasenumwandlungen tur zugeführte Wärme erhöht die Enthalpie
der Substanz: Hflüssig = Hfest + ΔHS . ΔHS wird
Eine Phase ist ein räumlich abgegrenztes Ge- als Schmelzenthalpie bezeichnet. Sie wird bei
biet eines Stoffes mit gleichen physikalischen der Erstarrung wieder frei (−ΔHS ). Beim Über-

Abb. 3.42 Phasenübergänge und zugehörige Enthalpien (Einstoffsystem)


238 3 Thermodynamik

Abb. 3.43 Temperaturverlauf der spezifischen Enthalpie von Wasser

gang vom festen in den gasförmigen Zustand oder keinen Einfluss zeigt. In der Mechanik
muss die Summe aus Schmelzenthalpie ΔHS (Abschn. 2.9.3) liegt bei einem stabilen Gleich-
und Verdampfungsenthalpie ΔHV als Sublima- gewicht ein Minimum der potentiellen Energie
tionsenthalpie ΔHsub = ΔHS + ΔHV zugeführt vor.
werden. Unterschiede in der potentiellen Energie
Abbildung 3.43 zeigt den Temperaturverlauf (Gradient des mechanischen Potentials) sind
als Funktion der zugeführten spezifischen die treibenden Kräfte, die im Minimum ver-
Enthalpie für Wasser vom Aggregatzustand schwinden. In der Wärmelehre können je
fest (Eis) bis gasförmig (Wasserdampf). In nach Systemzustand fünf Gleichgewichtsfor-
Tabelle 3.11 sind die Schmelz- bzw. Siede- derungen auftreten (Abschn. 3.3.7). Sie sind
punkte sowie die spezifischen Schmelz- bzw. in Abb. 3.44 zusammengestellt:
Verdampfungsenthalpien zusammengestellt
(die Siedepunkte und Verdampfungsent- – Maximum der Entropie S für ein abgeschlos-
halpien beziehen sich auf den Normdruck senes System ohne Materie- und Energie-
pn = 1,013 · 105 Pa). austausch;
– Minimum der freien Enthalpie G für ein
3.4.3.1 Thermodynamisches Gleichgewicht isobar-isothermes System;
Ein physikalisches System befindet sich im – Minimum der freien Energie F für ein
Gleichgewicht, wenn sein physikalischer Zu- isochor-isothermes System;
stand gleich bleibt. Es gibt stabile, labile und – Minimum der Enthalpie H für ein isobar-
indifferente Gleichgewichte, je nachdem, ob adiabates System sowie
eine äußere Störung das System zum Gleich- – Minimum der inneren Energie U für ein
gewichtszustand zurücktreibt, forttreibt isochor-adiabates System.
3.4 Zustandsänderungen realer Gase 239

Tabelle 3.11 Schmelz- bzw. Verdampfungstemperatur ϑ sowie spezifische Schmelzenthalpie ΔhS und spezifische
Verdampfungsenthalpie ΔhV verschiedener Stoffe beim Druck pn = 1 013 hPa

Stoff Schmelzen Verdampfen


ϑ ΔhS ϑ ΔhV
in ◦ C in kJ/kg in ◦ C in kJ/kg

Elemente
Wasserstoff (H2 ) −259,15 58,6 −252,75 461
Helium (He) −270,7 3,52 −268,94 20,9
Stickstoff (N2 ) −209,85 25,75 −195,75 201
Sauerstoff (O2 ) −218,75 13,82 −182,95 214
Luft −213 −192,3 197
anorganische Verbindungen
Chlor (Cl2 ) −100,95 90,4 −34,45 289
Wasser (H2 O) 0,00 335 100,00 2 257
Ammoniak (NH3 ) −80 339 −33,45 1 369
Kohlendioxid (CO2 ) −56,55 184 −78,45 574
organische Verbindungen
Methan (CH4 ) −182,45 58,6 −161,45 510
Propan (C3 H8 ) −187,65 80,0 −42,05 426
Butan (C4 H10 ) −138,35 77,5 −0,65 386

Abb. 3.44 Gleichgewichtsbedingungen für die verschiedenen thermodynamischen Zustände


240 3 Thermodynamik

Chemische Reaktionen, die isobar und iso- Der Sättigungsdampfdruck steigt mit zuneh-
therm spontan ablaufen, haben alle eine ne- mender Temperatur, da zusätzlich Flüssigkeit
gative molare freie Enthalpie ΔGm . Dabei kann verdampft, und nimmt ab mit fallender
entweder Wärme frei werden (ΔH < 0) oder Temperatur, weil Dampf kondensiert. Abbil-
der Endzustand der Reaktion weist eine sehr dung 3.45 zeigt den Verlauf des Sättigungs-
viel höhere Entropie auf (ΔS = (ΔH − ΔG)/ dampfdruckes ps von Wasser in Abhängigkeit
T < 0). von der Temperatur. Diese Dampfdruckkurve
beschreibt die für das Gleichgewicht zwischen
flüssiger und gasförmiger Phase maßgeben-
3.4.3.2 Gleichgewicht zwischen flüssiger den Wertepaare von Sättigungsdampfdruck ps
und gasförmiger Phase und Temperatur.
Die Dampfdruckkurve wird durch den
Analog zur Maxwell’schen Geschwindigkeits-
Boltzmann-Faktor (3.31) beschrieben:
verteilung in Gasen (Abschn. 3.2.3) gibt es
auch in Flüssigkeiten eine temperaturabhän-
gige Verteilungsfunktion. Es ist immer eine ΔE
ps ∼ e− kT . (3.120)
bestimmte Anzahl von Teilchen vorhanden,
deren Geschwindigkeit und somit deren ki-
netische Energie groß genug ist, um gegen die
ΔE ist die Energie, die benötigt wird, um vom
Kohäsionskräfte der Nachbarteilchen die Flüs-
flüssigen in den gasförmigen Zustand zu ge-
sigkeitsoberfläche zu durchstoßen.
langen.
Betrachtet sei ein Gefäß, in dem sich eine
Der Verlauf der Dampfdruckkurve kann ge-
Flüssigkeit befindet. Wird der Gasraum eva-
nauer berechnet werden. Hierbei geht man
kuiert, so steigt der Dampfdruck so lange,
davon aus, dass mit einem Mol verdampfender
bis sich ein Gleichgewicht zwischen der
Flüssigkeit ein Carnot’scher Kreisprozess (Ab-
Verdampfungs- und der Kondensationsrate
schn. 3.3.5) durchlaufen wird. Wie Abb. 3.46
einstellt. Dann liegt ein gesättigter Dampf vor
zeigt, wird die Flüssigkeit auf dem Weg 3–4 bei
und der zugehörige Dampfdruck heißt Sätti-
der Temperatur T + dT und dem Sättigungs-
gungsdampfdruck ps . Er ist unabhängig vom
druck ps + dps durch Zufuhr der molaren
Volumen, da sich bei Vergrößerung bzw. bei
Verdampfungsenthalpie ΔHmv verdampft. Auf
Verkleinerung des Volumens entsprechend
dem Weg 1–2 erfolgt bei der Temperatur T und
mehr Dampf bildet bzw. kondensiert. Auch
dem Dampfdruck ps eine Kondensation. Zu-
das Einbringen von Körpern oder anderen D
nächst liegt das Volumen Vm in gasförmigem
Gasmolekülen beeinflusst also den Sättigungs- Fl
Zustand vor, am Ende ist das Volumen Vm flüs-
dampfdruck nicht. Für die Dampfdrücke eines
sig. (Die adiabaten Teilstücke 4–1 und 2–3 sind
Gasgemischs (Partialdrücke) gilt deshalb das
infinitesimal klein und daher bedeutungslos.)
Dalton’sche Gesetz (J. Dalton, 1766 bis 1844):
Die in diesem Diagramm verrichtete Arbeit ist
− dW = (Vm D
− VmFl
) dps . Nach (3.75) und (3.76)
Der gesamte Druck eines Gasgemisches
lässt sich der thermische Wirkungsgrad des
ist gleich der Summe der Partialdrücke:
Carnot’schen Kreisprozesses ermitteln aus

n
pges = pi . (3.119) D Fl

dT Vm − Vm dps
i=1 ηth = = .
T ΔHmv
3.4 Zustandsänderungen realer Gase 241

Abb. 3.45 Verlauf des Sättigungsdampfdrucks ps von Wasser in Abhängigkeit von der Temperatur

Daraus ergibt sich als Steigung der Dampf- dps ΔHmv ps


= oder
druckkurve die Clausius-Clapeyron’sche- dT Rm T 2
Gleichung (R. E. Clausius, 1822 bis 1888, und dps ΔHmv dT
= .
B. P. E. Clapeyron, 1799 bis 1864): ps Rm T 2

dps ΔHmv Nach Integration erhält man


= .
D − V Fl T
(3.121)
dT Vm m

ps ΔHmv
D
ln =− +c. (3.122)
Da das Molvolumen des Dampfes Vm stets ps0 Rm T
Fl
größer ist als das der Flüssigkeit Vm , ist die
Steigung positiv, d. h., der Sättigungsdampf-
druck steigt – wie erwartet – mit zunehmen- Dies entspricht dem Boltzmann-Faktor (3.120).
der Temperatur. Wird das Molvolumen der Die Dampfdruckkurve lässt sich unter Berück-
Fl
Flüssigkeit Vm vernachlässigt und der gesät- sichtigung der Temperaturabhängigkeit der
tigte Dampf als ideales Gas betrachtet (Vm D
= Verdampfungsenthalpie für viele Substanzen
Rm T / ps ), dann gilt in folgender Form darstellen:
242 3 Thermodynamik

3.4.3.3 Gleichgewicht zwischen fester


und flüssiger Phase
Auch zwischen flüssiger und fester Phase
besteht ein Gleichgewicht Die Schmelztem-
peratur ist wie bei der Phasenumwand-
lung flüssig–gasförmig nach der Clausius-
Clapeyron’schen Gleichung vom Druck abhän-
gig. Diese Schmelzdruckkurve beschreibt die
für das Gleichgewicht zwischen fester und
flüssiger Phase maßgebenden Wertepaare von
Schmelzdruck pf und Temperatur T:
Abb. 3.46 Carnot’scher Kreisprozess für eine
verdampfende und kondensierende Flüssigkeit
dpf ΔHms
= Fl
.
Fest T
(3.124)
dT Vm − Vm

ps a T
ln = − − b ln +c. (3.123) Hierbei ist ΔHms die molare Schmelzenthalpie,
ps0 T T0
Fl Fest
Vm bzw. Fm das Molvolumen der flüssigen
bzw. festen Substanz und T die Schmelztempe-
Fl Fest
a, b und c sind materialabhängige Konstanten. ratur. Die Volumenänderung Vm − Vm , beim
Die Dampfdruckkurve endet bei hohen Tem- Übergang vom festen in den flüssigen Zustand,
peraturen am kritischen Punkt. ist wesentlich geringer als vom gasförmigen
Ist der Dampfdruck einer Flüssigkeit gleich in den flüssigen Zustand. Deshalb zeigen die
dem auf der Flüssigkeit wirkenden Druck eines Schmelzdruckkurven einen steileren Anstieg
anderen Gases (z. B. Luft auf Wasser), so bilden als die Dampfdruckkurven (Abb. 3.47). In
sich auch im Innern der Flüssigkeit Dampf- den meisten Fällen ist das Volumen des fes-
Fest
blasen; die Flüssigkeit siedet. Wird der auf der ten Körpers Vm kleiner als das Flüssigkeits-
Fl
Flüssigkeitsoberfläche liegende Druck erhöht, volumen Vm , sodass die Schmelzdruckkurve
dann steigt der Siedepunkt. Dieser Effekt wird mit zunehmender Temperatur steigt. Bei Was-
bei einem Dampfkochtopf ausgenützt. Wird ser dagegen ist das Eisvolumen größer als
der Druck erniedrigt, so fällt der Siedepunkt, das Flüssigkeitsvolumen (Anomalie des Was-
sodass beispielsweise Wasser in großen Höhen sers). Dann wird nach (3.124) die Steigung
deutlich unterhalb ϑ = 100 ◦ C kocht. Die Tem- der Schmelzdruckkurve dpf / dT negativ. Dies
peraturabhängigkeit des Siedepunkts wird aus hat zur Folge, dass die Schmelztemperatur mit
der Dampfdruckkurve (Abb. 3.45) erkennbar. zunehmendem Druck sinkt, sodass Eis bei
Eine Verdampfung in offener Umgebung ist gleichbleibender Temperatur durch Drucker-
eine Verdunstung. Da der Dampf ständig weg- höhung schmilzt. Dieser Effekt macht Eis-
transportiert wird, kann sich kein Phasen- sportarten, z. B. Schlittschuhlaufen, möglich:
gleichgewicht bilden, sodass große Mengen Infolge des Drucks schmilzt das Eis; wird der
Flüssigkeit verdunsten können. Die aufzuwen- Druck weggenommen, dann gefriert der Was-
dende Verdampfungswärme wird zum Teil der serfilm wieder.
Flüssigkeit entzogen, die sich deshalb abkühlt Der Übergang vom festen in den gasförmigen
(Verdunstungskälte). Aggregatzustand (Sublimieren) findet bei ent-
3.4 Zustandsänderungen realer Gase 243

Abb. 3.47 Zustandsdiagramm. a) Dreidimensionales p, V, T-Diagramm (schematisch), b) zweidimensionales


p, T-Diagramm (schematisch). p Druck, V Volumen, T absolute Temperatur, Tr Tripelpunkt, K kritischer Punkt,
1, 2, 3 Gleichgewichtsgebiete

sprechend niedrigen Drücken und Temperatu- sonders wichtig sind die Gleichgewichtsge-
ren statt. Diesen Vorgang kann man bei Nor- biete (Koexistenzgebiete). Die grauen Flächen
maldruck bei Kohlensäureschnee (Trockeneis) in Abb. 3.47a zeigen die Gleichgewichtsge-
beobachten. biete zwischen Festkörper und Flüssigkeit (1),
Flüssigkeit und Gas (2) sowie Festkörper und
3.4.3.4 Koexistenz dreier Phasen Gas (3). Außerdem ist der kritische Punkt K er-
Der Verlauf der Phasengrenzen zwischen den sichtlich. Das Flüssigkeitsgebiet wird oberhalb
drei Aggregatzuständen fest, flüssig und gas- des kritischen Drucks pk durch die kritische
förmig in Abhängigkeit von Druck, Tempera- Isotherme Tk gegen das Gasgebiet abgegrenzt
tur und Volumen wird durch ein Zustands- (gestrichelte rote Linie in Abb. 3.47). Die Be-
diagramm beschrieben. Abbildung 3.47a zeigt grenzungshyperbel am rechten Bildrand gibt
dieses dreidimensionale „Gebirge“, Abb. 3.47b den Übergang zum idealen Gas an. Am kriti-
das p, T-Zustandsdiagramm und Abb. 3.47c schen Punkt K für Kohlendioxid betragen die
nochmals das p, T-Zustandsdiagramm spezi- Werte für die Zustandsgrößen pk = 7,38 MPa
ell für Kohlendioxid in detaillierter Form. Be- und Tk = 304,2 K. An der Sublimationsdruck-
244 3 Thermodynamik

Abb. 3.47 c) p, T-Diagramm für Kohlendioxid

kurve von Kohlendioxid lässt sich der Vor- ten Temperatur auf, weshalb der Tripelpunkt
gang der Sublimation bei Normaldruck zei- zur Temperaturdefinition geeignet ist. Der Tri-
gen, für den Normdruck pn = 0,1013 MPa er- pelpunkt des Wassers ist der Fundamental-
gibt sich im Gleichgewicht aus der Sublima- punkt für die Temperaturskala nach Kelvin.
tionsdruckkurve die Temperatur T = 195 K Er liegt bei der Temperatur TTr = 273,16 K,
(ϑ = −78 ◦ C). Bei dieser Temperatur fin- der Druck beträgt pTr = 612 Pa. Für Kohlen-
det ein direkter Übergang vom festen in den dioxid betragen die Werte TTr = 216,6 K und
gasförmigen Zustand statt (Sublimation). Im pTr = 0,52 MPa (Abb. 3.47c).
p, T-Zustandsdiagramm gibt es einen einzi- Befinden sich in einem Gefäß mehrere Phasen,
gen Punkt Tr, in dem die feste, flüssige und dann sind die Zustandsvariablen Druck und
gasförmige Phase im Gleichgewicht stehen. Er Temperatur nicht voneinander unabhängig.
wird Tripelpunkt genannt. Die Koexistenz von Die Anzahl der Freiheitsgrade f , d. h. die An-
drei Phasen tritt nur bei einer wohldefinier- zahl der physikalischen Zustandsgrößen, die
3.4 Zustandsänderungen realer Gase 245

frei variiert werden können, sind durch die – Auslegung der Klimatisierung von Ver-
Gibbs’sche Phasenregel (J. W. Gibbs, 1839 bis kehrsmitteln (air condition in Bussen und
1903) gegeben: Flugzeugen) sowie
– Auslegung von Produktionshallen zur
Kunststoffverarbeitung. (Einige Kunststoffe
f =k+2−P . (3.125) geben nach zu feuchter Verarbeitung Was-
ser ab. Dann schrumpft das Kunststoffteil,
Es bedeuten hierbei k die Anzahl der unab- es ist nicht mehr maßhaltig.)
hängigen chemischen Komponenten und P die Die zahlenmäßigen Angaben in den folgen-
Anzahl der Phasen. Für reines Wasser ist k = 1. den Gleichungen sind auf den Normdruck
Liegt nur eine Phase vor (z. B. die Gasphase), (pn = 1,013 · 105 Pa) bezogen und für den in
dann ist P = 1 und es gibt f = 2 Freiheits- der Klimatechnik üblichen Temperaturbereich
grade. Dies bedeutet, dass die Temperatur und zwischen ϑ = −10 ◦ C und ϑ = +40 ◦ C nähe-
der Druck unabhängig voneinander variieren rungsweise gültig.
können. Liegen aber zwei Phasen gleichzeitig
vor (z. B. entlang der Dampfdruckkurve), so Druck der feuchten Luft
gibt es nur noch einen Freiheitsgrad (f = 1); Der Druck pFL der feuchten Luft wird un-
beispielsweise ist dann nur die Temperatur un- mittelbar an einem Barometer abgelesen (Ab-
abhängig variierbar. Im Tripelpunkt liegen alle schn. 2.12.1.1) und setzt sich nach dem Dalton’-
drei Phasen nebeneinander vor (P = 3). In schen Gesetz aus der Summe der Partialdrücke
diesem Fall gibt es keinen Freiheitsgrad mehr (Druck der trockenen Luft pTL und Druck des
(f = 0), d. h., die physikalischen Zustandsgrö- Wasserdampfes pD ) zusammen: pFL = pTL +pD .
ßen Druck p und Temperatur T sind festgelegt.

3.4.4 Dämpfe und Luftfeuchtigkeit Absolute Luftfeuchtigkeit


Die absolute Luftfeuchtigkeit ϕa ist der Quo-
Die Berechnung und Auslegung von Luftzu- tient aus der Masse des in der Luft enthalte-
ständen (Konditionierung) ist ein wichtiges nen Wasserdampfes mD und dem Volumen der
Arbeitsfeld der Klimatechnik und Luft das feuchten Luft VFL :
technisch wichtigste Dampf-Gas-Gemisch.
mD
Wenn in der Luft Wasserdampf enthalten ϕa = . (3.126)
ist, liegt feuchte Luft vor. Die Aufgabe der VFL
Klimatechnik besteht darin, Luftmassen zu
befeuchten oder zu trocknen. Nach Abb. 3.48
gibt es hierfür drei Möglichkeiten: Relative Luftfeuchtigkeit
Die relative Luftfeuchtigkeit ϕ ist der Quotient
– Mischung von Luftmassen,
aus dem Partialdruck des Wasserdampfes pD
– Wärmezu- bzw. -abfuhr und
und dem Sättigungsdampfdruck des Wasser-
– Wasserzu- bzw. -abfuhr.
dampfes ps (bei der jeweiligen Temperatur):
Diese Konditionierungskonzepte für Luft wer-
den beispielsweise zur Lösung folgender Auf- pD
gaben eingesetzt: ϕ= . (3.127)
ps
– Auslegung von stationären Klimaanlagen,
246 3 Thermodynamik

Abb. 3.48 Aufgaben der Klimatechnik und ihre technische Realisierung

her wurde vorwiegend die Längenänderung


hygroskopischer Stoffe zur Messung heran-
gezogen. In Feuchtesensoren modernerer Art
nutzt man die Änderung von elektrischen Ei-
genschaften (z. B. Widerstands- oder Kapazi-
tätshygrometer), die vom Sättigungsgrad der
Luft abhängige Abkühlung befeuchteter Ther-
mometer (Aspirationspsychrometer) oder das
Beschlagen abgekühlter Spiegel (Taupunkts-
spiegel) zur Feuchtemessung.
Die fortlaufende Messung der Temperatur
und der relativen Luftfeuchtigkeit ist für die
Überwachung von technischen und baulichen
Anlagen von Bedeutung (z. B. Telefonzen-
tralen oder Kunstausstellungen). Sie kann
mit Thermo-Hygrographen gemäß Abb. 3.49
erfolgen.

Abb. 3.49 Thermo-Hygrograph. Werkfoto: Feuchtegrad


Luftbefeuchtung Proklima GmbH
Unter dem Feuchtegrad x versteht man den
Quotienten aus der Masse des Wasserdampfes
(Der Wert wird manchmal noch mit 100 mul- mD und der Masse der trockenen Luft mTL :
tipliziert, und die relative Luftfeuchtigkeit ϕ in
Prozent angegeben.) Je nachdem, ob die rela- mD
tive Luftfeuchtigkeit ϕ < 1, ϕ = 1 oder ϕ > 1 x= . (3.128)
mTL
ist, ist die Luft ungesättigt, gesättigt oder über-
sättigt.
Physikalische Effekte, die stark abhängig von Der Feuchtegrad kann mit der allgemeinen
der Feuchtigkeit sind, dienen zur Messung und Gasgleichung pV = mRi T in Druckverhält-
Regelung der relativen Luftfeuchtigkeit. Frü- nisse umgerechnet werden; dabei ist für tro-
3.4 Zustandsänderungen realer Gase 247

Abb. 3.50 h, x-Diagramm nach Mollier für feuchte Luft beim Druck p = 1 013 hPa (VDI-Richtlinie 2067, Blatt 3).
ϕ relative Feuchte. Die roten Linien beziehen sich auf Beispiel 3.4-2

ckene Luft Ri TL = 287 J/(kg K) und für Was- Da Ri D größer als Ri TL ist, ergibt sich
serdampf Ri D = 462 J/(kg K) zu setzen. nach (3.129), dass feuchte Luft leichter ist
als trockene.
Dichte der feuchten Luft
Spezifische Enthalpie feuchter Luft
Die Dichte der feuchten Luft ρFL setzt sich Die spezifische Enthalpie (h = H / m [kJ/kg])
aus der Dichte der trockenen Luft ρTL und der feuchten Luft hFL ist die Summe aus der
des Dampfes ρD zusammen: ρFL = ρTL + ρD . spezifischen Enthalpie der trockenen Luft hTL
Wird das allgemeine Gasgesetz verwendet, so und der mit dem Feuchtegrad x multiplizierten
ist ρTL = pTL / (Ri TL T) und ρD = pD / (Ri D T). spezifischen Enthalpie des Wasserdampfes hD ,
Nach dem Dalton’schen Gesetz (3.119) ist pTL = also
pFL −pD , sodass sich für die Dichte der feuchten
Luft ergibt
hFL = hTL + x hD . (3.130)

1 pFL − pD pD
ρFL = + . (3.129)
T Ri TL Ri D Setzt man für T0 = 273,15 K die Enthalpie
willkürlich gleich null, dann gilt nach (3.52)
248 3 Thermodynamik

für die spezifische Enthalpie der trockenen Temperaturen und damit unterschiedlichen
Luft hTL = cp TL (T − T0 ) und für die des kinetischen Energien wird vom System hö-
Wasserdampfes unter Berücksichtigung der herer Temperatur Wärme an das System
spezifischen Verdampfungsenthalpie ΔhV des mit niedrigerer Temperatur abgegeben. Der
Wassers hD = cp D (T − T0 ) + ΔhV . Wärmedurchgang lässt sich gemäß Abb. 3.51
Für klimatechnische Berechnungen geeigne- in die drei Übertragungsmechanismen Wär-
ter ist das Mollier-Diagramm (R. Mollier, meleitung, Konvektion und Wärmestrahlung
1863 bis 1935), eine grafische Darstellung der einteilen. In Festkörpern tritt nur Wärmelei-
Zusammenhänge von (3.128) bis (3.130) zwi- tung in Form einer Übertragung der Schwin-
schen der Temperatur ϑ der spezifischen En- gungsenergien benachbarter Moleküle und
thalpie h der feuchten Luft, der relativen Luft- der kinetischen Energien der Leitungselek-
feuchtigkeit ϕ und dem Feuchtegrad x. Übli- tronen in Stoßprozessen auf (Abschn. 9.3.1).
cherweise erstellt man das Mollier-Diagramm In Flüssigkeiten kommt es auch ohne von
für Normdruck gemäß Abb. 3.50. außen aufgeprägter Zwangsströmung zu Strö-
mungen erwärmter Teilmengen, zur freien
Beispiel
3.4-2 Gegeben sind m = 50 kg feuchte Luft vom Um- Konvektion. Wird die Flüssigkeit durch äu-
gebungsdruck p = 1,013 · 105 Pa mit einer Tempera- ßere Druckkräfte in Bewegung versetzt, so
tur ϑ = 35 ◦ C und einer relativen Luftfeuchtigkeit wird dieser Wärmetransportmechanismus als
ϕ1 = 0,5 (50%). Berechnet werden soll die Wärme- erzwungene Konvektion bezeichnet. In stehen-
menge, die dieser Luftmasse zu entziehen ist, um als den Flüssigkeiten bestimmt die Wärmeleitung
neuen Luftzustand eine Temperatur ϑ2 = 20 ◦ C bei
den Wärmetransport. Mit Ausnahme dün-
einer relativen Luftfeuchtigkeit von ϕ = 1 (100%) zu
erzielen. Ferner soll bestimmt werden, welche Kon-
ner ruhender Gasschichten, in denen die
denswassermenge hierbei anfällt. Wärmeleitung nicht vernachlässigbar ist,
dominieren in Gasen die Konvektion und die
Lösung
In Abb. 3.50 ist dieser Vorgang rot eingezeichnet. Der
Wärmestrahlung zwischen den Wänden des
Luftzustand 1 hat einen Feuchtegrad von x1 = 17,5 g/kg Gasvolumens. Im Vakuum ist der Wärme-
und eine spezifische Enthalpie von h1 = 80 kJ/kg. Da transport durch Wärmestrahlung der einzige
der Feuchtegrad sich bis zur relativen Luftfeuchtigkeit Wärmeübertragungsmechanismus.
von ϕ = 100% nicht ändert, wird im h, x-Diagramm
eine senkrechte Wegstrecke zurückgelegt. Entlang der
3.5.1 Wärmeleitung
Sättigungslinie verläuft der Prozess weiter bis zum Zu-
stand 2. Dieser hat einen Feuchtegrad x2 = 14,6 g/kg Den Zusammenhang zwischen der Ursache
und eine spezifische Enthalpie h2 = 57 J/kg. Daraus eines Wärmetransports, einem räumlichen
lässt sich die Kondenswassermenge ΔmH2 O = Δx m
Temperaturgradienten ∂ϑ/∂n in einer Raum-
berechnen, wobei Δx = x1 − x2 = 2,9 g/kg ist. Somit
errechnet sich ΔmH2 O = 2,9 · 50 g = 145 g Kondens- richtung n und der in der Zeitspanne Δt durch
wasser. Für die abgeführte Wärmemenge gilt eine Grenzfläche A transportierten Wärme ΔQ,
kJ der Wärmestromdichte jq = ΔQ/ AΔt = Q̇/ A,
ΔH = (h2 − h1 )m = −23 50 kg = −1 550 kJ .
kg beschreibt das Fourier’sche Grundgesetz des
molekularen Wärmetransports (J. B. J. Fou-
rier, 1768 bis 1830):
3.5 Wärmeübertragung
Durch die Trennwand zwischen thermody- jq = −λ grad ϑ (3.131)
namischen Systemen mit unterschiedlichen
3.5 Wärmeübertragung 249

Abb. 3.51 Wärmeübertragungsmechanismen

mit dem Temperaturgradienten


λ = LTκ . (3.133)
∂ϑ ∂ϑ ∂ϑ
grad ϑ = i+ j+ k. (3.132)
∂x ∂y ∂z
T ist die absolute Temperatur des Stoffs,
L wird als Lorenz’sche Zahl bezeichnet und
Die Proportionalitätskonstante λ ist die Wär- hat für alle Metalle annähernd denselben
meleitfähigkeit des Wärmekontakts. Die Maß- Wert L = 2,45 · 10−8 V2 /K2 . Isolatoren, bei-
einheit der Wärmeleitfähigkeit ist W/(m K). spielsweise die nichtmetallischen Baustoffe,
Die Wärmeleitfähigkeitswerte der Stoffe sind sind schlechte Wärmeleiter. Ruhende Gas-
sehr unterschiedlich. Die Wärmeleitfähigkeit schichten in Poren oder zwischen Mineral-,
ist besonders gering, wenn bei ruhenden Glas-, Holz- oder Korkfasern vermindern
Gasen die Dichte der energieübertragen- die Wärmeleitfähigkeit erheblich. Bei Mauer-
den Moleküle niedrig ist. Sie ist besonders steinen nimmt die Wärmeleitfähigkeit etwa
hoch – etwa in Metallen –, wenn parallel proportional zum wachsenden Porenanteil
zur Energieleitung durch Übertragung der (abnehmende Rohdichte) ab. Porosierte, luft-
Schwingungsenergien der Atomrümpfe frei oder schwergasgeschäumte sowie faserartige
bewegliche Elektronen bei Stoßprozessen Stoffe mit einer Wärmeleitfähigkeit unter
Energie transportieren. In elektrisch gut λ = 0,1 W/(m K) werden als Wärmedämm-
leitenden Metallen ist bei nicht zu tiefen Tem- stoffe bezeichnet.
peraturen nach dem Wiedemann-Franz’schen Die Wärmeleitfähigkeit ist temperaturabhän-
Gesetz (G. H. Wiedemann, 1826 bis 1899, gig und besonders bei porosierten Stoffen
R. Franz, 1827 bis 1902) die Wärmeleit- stark abhängig von der Materialfeuchtig-
fähigkeit λ proportional zur elektrischen keit. Zur Beurteilung des Wärmeschutzes
Leitfähigkeit κ (Abschn. 9.3.1.3) gemäß im Hochbau nach DIN 4108 werden des-
250 3 Thermodynamik

halb nur Rechenwerte der Wärmeleitfähigkeit


λR verwendet, die einen der praktischen
Baufeuchtigkeit entsprechenden Zuschlag
zu den experimentell im trockenen Zu-
stand gemessenen Wärmeleitfähigkeitswer-
ten enthalten. In Tabelle 3.12 sind einige
wärmetechnische Stoffwerte zusammenge-
stellt.
Nach dem ersten Hauptsatz der Thermody-
namik (Abschn. 3.3.2) ist die Zunahme der
inneren Energie c dm ∂ϑ/∂t (c ist die spezifi-
sche Wärmekapazität dm = ρ dV die Masse
des Volumenelementes dV = dx dy dz.) gleich
der Energiezufuhr durch die internen Wär-
mequellen mit der Energiedichte ḟ im Volu-
menelement dV, abzüglich der Wärmeströme
jq dA durch die Oberflächen dA des Volumen- Abb. 3.52 Wärmeströme durch die Oberfläche
elements gemäß Abb. 3.52: eines Volumenelements dV = dx dy dz mit der
Wärmequellendichte f˙
∂ϑ
c dm = ḟ dV
∂t
− {[ jq (x + dx) − jq (x)] dy dz
Bestimmungsgleichung für den räumlichen
+ [ jq (y + dy) − jq (y)] dx dz Verlauf der Isothermen und das zeitliche
+ [ jq (z + dz) − jq (z)] dx dy} . (3.134) Verhalten des skalaren Temperaturfeldes
ϑ(x, y, z, t):

In einem infinitesimalen Volumenelement / 0


∂ϑ ∂2 ϑ ∂2 ϑ ∂2 ϑ
sind die Wärmestromdichten, entwickelt cρ = ḟ + λ + + .
∂t ∂x2 ∂y2 ∂z2
in eine Taylorreihe jq (x + dx) = jq (x) + (3.136)
(∂jqx /∂x) dx, jq (y + dy) = jq (y) + (∂jqy /∂y) dy
und jq (z + dz) = jq (z) + (∂jqz /∂z) dz. Diese
Beziehungen in (3.134) eingesetzt ergibt die Rand- und Anfangsbedingungen bestimmen
Fourier’sche Differenzialgleichung für den die Lösungsfamilien der partiellen Differen-
Transport durch Wärmeleitung: zialgleichung (3.136). Interne Wärmequellen
können vernachlässigt und ḟ = 0 gesetzt wer-
/ 0
∂ϑ ∂j ∂j ∂j den, wenn die Lösungen nur für den wär-
cρ = ḟ − qx + qy + qz .
∂t ∂x ∂y ∂z mequellenfreien Bereich des Temperaturfeldes
(3.135) gesucht und die Wärmequellen bei der Wahl
der Randbedingungen berücksichtigt werden.
Im stationären Fall sind die Temperatu-
Die Elimination der Wärmestromdichten ren zeitlich konstant und ∂ϑ/∂t = 0. Das
in (3.135) mit Hilfe von (3.131) führt auf die stationäre, wärmequellenfreie Tempera-
3.5 Wärmeübertragung 251

Tabelle 3.12 Wärmetechnische Stoffwerte

Stoff ϑ ρ kg
cp
J
λ W a
m2
in ◦ C in 103 in in in 106
m3 kg K mK s

Festkörper
Aluminium 20 2,70 920 221 88,89
Eisen 20 7,86 465 67 18,33
Grauguss 20 ca. 7,2 545 ca. 50 ca. 13
Stahl 0.6 C 20 7,84 460 46 12,78
Gold 20 19,30 125 314 130,57
Kupfer 20 8,90 390 393 113,34
Schamottestein 100 1,7 835 0,5 0,35
Normalbeton 10 2,4 880 2,1R 1,0
Gasbeton 10 0,5 850 0,22R 0,5
Ziegelstein 10 1,2 835 0,5R 0,5
Eis 0 0,92 1 930 2,2 1,25
Schnee 0 0,1 2 090 0,11 0,53
Fichtenholz 10 0,6 2 000 0,13R 0,11
Polystyrol fest 20 1,05 1 300 0,17 0,125
Glas 20 2,5 800 0,8 0,4
Schaumglas 10 0,1 800 0,045R 0,6
Mineralfaser 10 0,2 800 0,04R 0,3
Flüssigkeiten
Wasser 20 0,998 4 182 0,600 0,144
Wärmeträgeröl 20 0,87 1 830 0,134 0,084
Kältemittel R 12 −20 1,46 900 0,086 0,065
Gase
Luft 20 0,00119 1 007 0,026 21,8
Kohlendioxid 0 0,00195 827 0,015 9,08
Wasserdampf 150 0,00255 2 320 0,031 5,21
ϑ Temperatur λ Wärmeleitfähigkeit (R Rechenwert DIN 4108)
ρ Dichte a Temperaturleitfahigkeit
cp spezifische Wärmekapazität bei konstantem Druck

turfeld folgt aus der Lösung der Laplace- für spezielle Randbedingungen gefundene Lö-
Gleichung (2.197) sungen können auf Wärmetransportprobleme
übertragen werden (elektrisches Analogon der
∂2 ϑ ∂2 ϑ ∂2 ϑ Wärmeleitung, Abschn. 2.12.2, Abb. 2.103).
+ + =0. (3.137)
∂x2 ∂y2 ∂z2 Sind das Temperaturfeld und der Verlauf
der Isothermen bekannt, dann berechnen
sich daraus die Wärmeströme nach (3.131),
Der Laplace-Gleichungstyp kommt auch in an- wobei die Wärmestromrichtung senkrecht
deren Bereichen der Physik, beispielsweise auf den Isothermen steht. So lassen sich die
in der Elektrostatik, vor. Dort experimentell in Abb. 3.53 dargestellten Lösungen für die
252 3 Thermodynamik

Abb. 3.53 Lösungen für den stationären Wärmetransport durch Wärmeleitung


3.5 Wärmeübertragung 253

stationäre Wärmeleitung durch eine Platte,


eine Rohrwand und eine Hohlkugel ableiten.
Der Wärmestrom durch mehrschichtige Bau-
teile wird durch die sukzessive Aneinanderrei-
hung der Berechnungen für die Einzelschich-
ten ermittelt, wobei wegen des Energieerhal-
tungssatzes die Wärmeströme an den Grenz-
flächen gleich gesetzt werden. Die Lösungen
für mehrschichtige Trennwände sind ebenfalls
in Abb. 3.53 aufgeführt.

Beispiel
3.5-1 Wie groß ist der stationäre Wärmestrom
durch eine s2 = 24 cm dicke Hochlochziegelwand
(λR = 0,50 W/(m K)) mit einer außenseitigen
s3 = 60 mm dicken Polystyrol-Dämmplattenschicht
(λR = 0,04 W/(m K)) und s4 = 6 mm Kunstharz-
Abb. 3.54 Temperaturverlauf in einer mehrschichtigen
putz (λR = 0,70 W/(m K)) gemäß Abb. 3.54, auf die
Wand nach Beispiel 3.5-1
raumseitig ein S1 = 15 mm dicker Kalkgipsputz
(λR = 0,70 W/(m K)) aufgebracht ist? Wie ist der Tem-
peraturverlauf im Beharrungszustand in der Wand, definiert, der im vorliegenden Fall Rg = 2,01 m2 K/W
wenn die Oberflächentemperaturen innen ϑOi = 17 ◦ C ist, so errechnet sich die Wärmestromdichte jq durch
und außen ϑOa = −10 ◦ C betragen? die Wand zu
1
Lösung jq = (ϑOi − ϑOa ) = 13,4 W/m2 . (3.156)
Rg
Die Energieerhaltung fordert, dass die Wärmestrom-
dichte jq in allen Schichten gleich ist. Mit (3.140) führt Die Temperaturen an den Schichtgrenzen lassen sich
diese Forderung auf mit Hilfe von (3.152) bestimmen:
λ1 λ2 λ3 ϑ1 = ϑOi − R1 jq = 17,0 ◦ C
jq = (ϑOi − ϑ1 ) = (ϑ1 − ϑ2 ) = (ϑ2 − ϑ3 )
s1 s2 s3
− (0,02 · 13,4)K = 16,7 ◦ C , (3.157)
λ4
= (ϑ3 − ϑOa ) . (3.152) ϑ2 = ϑ1 − R2 jq = 10,3 ◦ C , (3.158)
s4
ϑ3 = ϑ2 − R3 jq = −9,9 ◦ C und (3.159)
Der Quotient Λ = λ/ s ist der Wärmedurchlasskoeffizi-
ent einer Schicht, der Kehrwert R = 1/Λ der Wärme- ϑOa = ϑ3 − R4 jq = −10 ◦ C . (3.160)
durchlasswiderstand mit der Maßeinheit m2 K/W
Nach (3.139) ist in plattenförmigen Schichten der Tem-
Wird (3.152) in die Beziehung
peraturabfall linear. Das Temperaturprofil in der Au-
ϑOi − ϑOa = (ϑOi − ϑ1 ) + (ϑ1 − ϑ2 ) ßenwand hat also den in Abb. 3.54 eingezeichneten
Verlauf.
+ (ϑ2 − ϑ3 ) + (ϑ3 − ϑOa ) (3.153)

eingesetzt, so folgt Gleichung (3.155) für den Gesamt-Wärme-


durchlasswiderstand Rg gilt nur für eindimen-
s s s s
ϑOi − ϑOa = jq 1 + 2 + 3 + 4 . (3.154) sionale Wärmeströme durch plattenförmige
λ1 λ2 λ3 λ4
Bauteile. Sind die Wärmeströme in einem
Wird als Gesamt-Wärmedurchlasswiderstand Bauteil divergent und mehrdimensional,
s1 s2 s3 s4 wie z. B. bei einer Außenecke oder in der
Rg = + + + (3.155)
λ1 λ2 λ3 λ4 Rippe eines Wärmerohrs gemäß Abb. 3.55
254 3 Thermodynamik

In der Regel lässt sich (3.136) ebenso


wie (3.137) für praktische Fälle nicht ge-
schlossen lösen, sondern muss durch ein
Iterationsverfahren numerisch integriert
werden (Methode der finiten Elemente).

3.5.2 Konvektion

Beim konvektiven Wärmeübergang findet die


Wärmeübertragung zwischen zwei thermody-
namischen Systemen statt, die sich relativ zu-
einander bewegen, wie es beispielsweise bei
der Wärmeübertragung von einem Fluid, also
einer Flüssigkeit oder einem Gas, an eine Wand
der Fall ist, wie Abb. 3.56 zeigt. Erfolgt die Strö-
mung des Fluids nur durch Auftriebskräfte,
die ein temperaturabhängiges Dichtegefälle im
Fluid verursacht, dann wird dieser Wärme-
übergang als freie Konvektion bezeichnet. Bei
der erzwungenen Konvektion handelt es sich
um eine Zwangsströmung unter der Wirkung
äußerer Kräfte, beispielsweise von Antriebs-
kräften von Pumpen oder Ventilatoren. Auch
Abb. 3.55 Divergente Wärmeströme geometrischer
beim konvektiven Wärmeübergang an wind-
Wärmebrücken
ausgesetzten Bauteilen überwiegt in der Regel
(gekrümmte Isothermen), dann ergibt die der Anteil der erzwungenen Konvektion.
Anwendung von (3.155) falsche Wärmedurch-
lasswiderstandswerte; dies zeigt schon der
Vergleich von (3.155) mit (3.144) im einfachen
Fall der radialen Wärmestromlinien eines
zylindrischen Rohrs.
Instationäre Wärmeleitungsvorgänge, bei-
spielsweise der Aufheizvorgang einer Wand
oder periodische Wärmeübertragungspro-
zesse, erfordern die Lösung der zeitab-
hängigen Wärmeleitungsgleichung (3.136).
Die Lösungen haben als charakteristische
Kenngröße die Temperaturleitfähigkeit a der
Trennwand in m2 /s:
Abb. 3.56 Konvektiver Wärmeübergang bei einer
λ erzwungenen Kanalströmung. ϑ Temperatur der
a= . (3.161)
cρ Wand (Index W) bzw. des Fluids (Index F), jqw
Wärmestromdichte, Strömungsgeschwindigkeit
3.5 Wärmeübertragung 255

Die Proportionalitätskonstante zwischen der (λ ist die Wärmeleitfähigkeit der stehenden


auf die wärmeübertragende Wandfläche A Flüssigkeit oder des ruhenden Gases, ∂ϑ/∂n
bezogenen Wärmestromdichte jq und dem der Temperaturgradient in der Grenzschicht
Temperaturgefälle zwischen der Fluidtempe- normal zur Wand und jq die Wärmestrom-
ratur ϑF und der Wandtemperatur ϑW wird dichte in die Wand.)
als Wärmeübergangskoeffizient α∗K definiert: Im Gegensatz zur Wandtemperatur ϑW ist die
Festlegung und Messung der Fluidtempera-
tur ϑF , besonders bei der freien Konvektion,
jq = α∗K (ϑF − ϑW ) . (3.162)
nicht einfach, weil im Allgemeinen die Tem-
peraturverteilung im Fluid sehr inhomogen
Adhäsionskräfte zwischen den Fluid- und ist. Der Zahlenwert des konvektiven Wärme-
Wandatomen sind die Ursache, dass sich übergangskoeffizienten hängt also im konkre-
im Fluid vor der Wand eine Grenzsschicht ten Fall von der Festlegung der Temperaturdif-
entsprechend Abb. 3.57 ausbildet, in der die ferenz Δϑ = ϑF − ϑW ab.
Strömungsgeschwindigkeit der Fluidmoleküle Im Fall des konvektiven Wärmeübergangs
null ist. Durch diese ruhende Fluidschicht ist die Berechnung des Wärmestroms mit
vor der Wand wird die Wärme nur durch der Fourier-Differenzialgleichung (3.136)
Wärmeleitung transportiert, sodass in diesem wegen der räumlichen Mitführung des Tem-
Bereich das Fourier’sche Grundgesetz (3.131) peraturfelds mit der Fluidbewegung extrem
gilt: kompliziert. Um einen von der Strömungsge-
schwindigkeit abhängigen Transportanteil
erweitert, lautet (3.136) für den wärmequel-
∂ϑ
jq = −λ . (3.163) lenfreien Bereich
∂n Grenzschicht
/ 0
∂ϑ ∂ϑ ∂ϑ ∂ϑ
cp ρ + x + y + z
∂t ∂x ∂y ∂z
2 2
∂ϑ ∂ϑ ∂ϑ
2
=λ + + . (3.164)
∂x2 ∂y2 ∂z2

Betrag und Richtung der Strömungsgeschwin-


digkeit zu jedem Zeitpunkt an jedem Ort
im Fluid folgen aus dem dynamischen Kräf-
tegleichgewicht für ein Volumenelement der
Strömung, den Navier-Stokes-Gleichungen der
Hydromechanik. Nach diesen gilt für die x-
Komponente der Strömungsgeschwindigkeit

∂x ∂x ∂x 1 ∂p


x + y + z =−
∂x ∂y ∂z ρ ∂x
2 2
∂ x ∂ x ∂ x
2
+ν + + + γ g ΔT .
Abb. 3.57 Temperaturprofil des konvektiven ∂x2 ∂y2 ∂z2
Wärmeübergangs mit Grenzschicht vor der (3.165)
wärmeaufnehmenden Wand
256 3 Thermodynamik

In (3.165) hält der auf das Volumen bezoge- ϑ(x2 , y2 , z2 , 2 , ρ2 , cp2 , λ2 ) die Maßstabsfakto-
nen Trägheitskraft neben der von der Dichte ρ ren (3.166) eingesetzt gemäß
abhängigen Druckkraft und der zur kinema-

tischen Viskosität ν proportionalen Reibungs- f2 ∂x1 ∂x1 ∂x1
x1 + y1 + z1
kraft auch eine Auftriebskraft das Gleichge- fL ∂x1 ∂y1 ∂z1
wicht (ΔT ist das Temperaturgefälle im Fluid,
fp 1 ∂p1
das den Auftrieb verursacht, g die Fallbe- = −
fρ fL ρ ∂x1
schleunigung und γ der thermische Ausdeh- 2
fν f ∂ x1 ∂2 x1 ∂2 x1
nungskoeffizient des Fluids). + 2 ν1 + +
Die Lösungen der Differenzialgleichung fL ∂x21 ∂y21 ∂z12
(3.165) können laminare und turbulente + fγ fg fΔT (γ1 g1 ΔT1 ) , (3.167)
Strömungsformen sein. Der Wärmeübergangs-
koeffizient der Konvektion α∗K wird in der so stimmt diese Gleichung mit der Differen-
Praxis mit Hilfe von Modellversuchen ermit- zialgleichung einer Lösung ϑ(x1 , y1 , z1 , 1 , ρ1 ,
telt. Die Versuchsergebnisse lassen sich auf cp1 , λ1 ) überein, wenn die Maßstabsfaktoren
andere konvektive Wärmeübergangsverhält- folgenden Bedingungen genügen:
nisse übertragen, wenn diese geometrisch
und hydrodynamisch ähnlich sind, also die
f2 fp fν f
charakteristischen Längen L, die Viskositä- = = = fγ fg fΔT . (3.168)
ten ν, die Strömungsgeschwindigkeiten , fL fρ fL fL2
Dichten ρ, thermische Ausdehnungs- und
Wärmeübergangskoeffizienten γ , α∗ sowie die
Die Kenngrößen des Wärmeübergangs müs-
Wärmeleitfähigkeiten λ, die Temperaturdif-
sen also in folgender Relation zueinander ste-
ferenzen ΔT u. a. zueinander proportional
hen:
sind (Abschn. 2.12.2.3). Damit die Lösung
eines Modellfalls auf ein konkretes Problem
f2 22 L1 fν f ν2 2 L21
übertragen werden kann, müssen die Maß- = = = oder
stabsfaktoren fL 21 L2 fL2 ν1 1 L22
(3.169)
2 L2 1 L1
= = Re . (3.170)
L2 ν2 λ2 ρ2 ν2 ν1
fL = , fν = , fλ = , f = ,
L1 ν1 λ1 ρ ρ1
α∗2 2 a2 cp2
Das dimensionslose Verhältnis L/ ν wird
fα = ∗ , f = , fa = , fcp = ,
α1 1 a1 cp1 Reynoldszahl Re genannt und entspricht dem
ΔT2 p2 γ2
fΔT = , fp = , fγ = (3.166) Verhältnis der Trägheitskraft zur Reibungs-
ΔT1 p1 γ1 kraft. Die Trägheits- und Reibungskräfte in
den Strömungen zweier Wärmeübergänge
mit erzwungener Konvektion sind einander
Zwangsbedingungen genügen; dann stim- ähnlich, wenn die Reynoldszahlen überein-
men die Differenzialgleichungen (3.164) stimmen. Mit Hilfe der Reynoldszahl kann
und (3.165) des Problems mit denjenigen der Umschlagpunkt bestimmt werden, bei
des Modellfalls überein. Werden beispiels- dem eine laminare Strömung in eine turbu-
weise in (3.165) für die Temperaturverteilung lente „umkippt“. Diese kritische Reynoldszahl
3.5 Wärmeübertragung 257

Rekr ist stark geometrieabhängig. Bei einem zahl. Einige weitere dimensionslose Kenngrö-
Kreisrohr mit dem Rohrinnendurchmesser ßen sind in Tabelle 3.13 zusammengestellt.
als charakteristischer Länge L ist die Strö- Werden die Versuchsergebnisse von Modell-
mung laminar für Re < 2 300, oberhalb dieses fällen verallgemeinert, so ergeben sich Bezie-
Wertes, ausgelöst durch kleinste Störungen, hungen zwischen den dimensionslosen Kenn-
turbulent (Abschn. 2.12.2.3, Abb. 2.129). größen der Wärmeübertragung. Tabelle 3.14
Charakteristisch für die freie Konvektion ist die enthält die experimentell gefundenen Bezie-
Grashofzahl Gr. Sie folgt aus der Bedingung hungen für die Nußeltzahl Nu einiger speziel-
ler Wärmeübergänge.
Lässt sich ein konvektiver Wärmeübergang auf
fν f ν2 2 L21 γ2 g2 ΔT2
= = fγ fg fΔT = . einen solchen Modellfall abbilden, dann kann
fL2 ν1 1 L22 γ1 g1 ΔT1
aus dessen Nußeltzahl Nu der Wärmeüber-
(3.171)
gangskoeffizient α∗K bestimmt werden:

Wird die Strömungsgeschwindigkeit mit Nu λ


Hilfe von (3.170) eliminiert, ergibt sich α∗K = . (3.188)
L

γ2 g2 ΔT2 L32 γ1 g1 ΔT1 L31


= = Gr . (3.172) Im Einzelfall ist die Wahl der charakteristi-
ν22 ν12
schen Länge L problematisch. Sie muss ent-
sprechend der Festlegung im Modellfall ge-
Die Auftriebs- und Reibungsverhältnisse wählt werden.
zweier Strömungen mit gleichen Grashofzah- Die Stoffwerte der fluiden Medien sind tem-
len entsprechen sich. peraturabhängig, wie aus Tabelle 3.15 hervor-
Auch aus der Fourier-Gleichung (3.163) lässt geht. Als Bezugstemperatur wird eine mittlere
sich unter Berücksichtigung von (3.162) eine Temperatur ϑm des Fluids angesetzt, bei ei-
Ähnlichkeitsforderung ableiten, wenn der ner Rohrströmung beispielsweise das arithme-
Maßstabsfaktor fα = α∗K2 /α∗K1 gebildet wird. tische Mittel aus den Ein- und Austrittstempe-
Aus raturen.

Beispiel
fλ ∂ϑ
−λ1 = fα α∗K1 (ϑF − ϑW ) 3.5-2 Wie hängt der konvektive Wärmeübergangsko-
fL ∂L1 effizient einer Wand von der Oberflächentemperatur
(3.173) der Wand ab? Wie groß ist er auf der Raumseite einer
Außenwand, deren Wärmeschutz nach DIN 4108 so
bemessen ist, dass bei einer Raumlufttemperatur von
folgt ϑLi = 20 ◦ C die Oberflächentemperatur nicht unter
ϑOi = 13,7 ◦ C absinkt? Die Raumhöhe ist normaler-
weise etwa h = 2,5 m.
α∗K2 L2 α∗K1 L1
= = Nu . (3.174)
λ2 λ1 Lösung
Für Luft mit ϑLi = 20 ◦ C ist nach Tabelle 3.15 Pr = 0,7.
Nach (3.183) ist bei freier, laminarer Konvektion vor
Die Nußeltzahl Nu ist für den konvektiven einer senkrechten Wand Nu = 0,53 (Gr Pr)1/ 4 und mit
Wärmeübergang die charakteristische Kenn- (3.188)
258 3 Thermodynamik

Tabelle 3.13 Dimensionslose Kenngrößen der konvektiven Wärmeübertragung

Kenngröße Zeichen Definition Gl. Problembereich

at
Fourierzahl Fo Fo = (3.175) instationäre Wärmeleitung
L2
2
Froudezahl Fr Fr = (3.176) Strömungen unter Schwerkrafteinfluss
gL
g γΔTL3
Grashofzahl Gr Gr = (3.172) freie Konvektion bei Temperaturgradient
ν2
α∗K L
Nußeltzahl Nu Nu = (3.174) stationärer konvektiver Wärmeübergang
λ
L
Pécletzahl Pe Pe = (3.177) erzwungene instationäre Konvektion
a
νρcp
Prandtlzahl Pr Pr = (3.178) Wärmeübertragungskenngröße des Fluids
λ
L
Reynoldszahl Re Re = (3.170) Strömungen unter Reibungseinfluss
ν

1/ 4 W
λ g γΔTL3 α∗K, eff = α∗2
K, lam + αK, turb = 3,2
∗2 . (3.191)
α∗K, lam = 0,48 . (3.189) m2 K
L ν2

Mit der Raumhöhe h als charakteristischer Länge L Bei der erzwungenen Konvektion ist häufig der
und der Näherung für den Wärmeausdehnungskoeffi-
Einfluss der Anströmgeschwindigkeit auf den
zienten der Luft γ = 1/ Tm sowie mit den Zahlenwer-
ten aus Tabelle 3.15 für eine mittlere Temperatur von übertragenen Wärmestrom von Interesse. In
Tm = 290 K ergibt sich diesem Fall muss der Faktor der Strömungsge-
schwindigkeit aus der Nußeltzahl abgespaltet
W m1/4 ΔT 1/ 4
α∗K, lam = 5,7 werden.
m2 K Tm h

W ΔT 1/ 4 3.5.3 Wärmestrahlung
≈6 2 . (3.190)
m K Tm h/ m

Dies ist eine häufig angeführte Näherungsformel für Die Abgabe von Wärmestrahlung hängt au-
die freie Konvektion in Luft. Mit den angegebenen ßer von der Temperatur T nur noch von der
Daten des Beispiels ist der konvektive Wärmeüber- Größe und der Struktur der Oberfläche ab. Die
gangskoeffizient auf der Raumseite der Außenwand höchste Strahlungsdichte emittiert ein schwar-
α∗k, lam = 1,8 W/(m2 K).
zer Körper (Hohlraumstrahler, Abb. 6.69 in
Bei der freien Konvektion in Luft kann jedoch vor Wän-
den der turbulente Anteil des konvektiven Wärmeüber- Abschn. 6.3.2). Ein solcher schwarzer Körper
gangs nicht vernachlässigt werden. Die Nußeltzahl Nu absorbiert andererseits auch die gesamte auf-
ist größer als der Näherung α∗K ∼ T 1/ 4 zugrunde liegt. fallende Strahlungsenergie und wandelt sie in
Im vorliegenden Beispiel ist die Grashofzahl Gr = Wärme um.
1,47 · 1010 und die Nußeltzahl für den turbulenten Be- Bei nicht schwarzen Körpern ist das Abstrah-
reich nach (3.184) in Tabelle 3.14 Nu = 254. Der sich mit
lungsvermögen gleich dem Absorptionsgrad.
diesem Wert nach (3.188) für den turbulenten konvek-
Blanke Metalloberflächen haben deshalb ein
tiven Wärmeübergangskoeffizienten ergebende Wert
ist α∗K, turb = 2,6 W/(m2 K). Im Übergangsbereich der geringes Abstrahlungsvermögen, weil sie we-
Strömungsarten kann der effektive Wärmeübergangs- nig absorbieren. Wenn das Absorptionsver-
koeffizient abgeschätzt werden mit der Beziehung mögen eines nicht schwarzen Körpers < 1 und
Tabelle 3.14 Modellfälle konvektiver Wärmeübergänge (nach VDI-Wärmeatlas, 4. Aufl. 1984)

Strömungsmodell laminarer Bereich turbulenter Bereich Hinweise

erzwungene Kon- 0,037 Re0,8 Pr L Plattenlängen in Strö-


vektion längs einer Nu = 0,664 Re1/ 2 Pr1/ 3 (3.179) Nu = (3.180) mungsrichtung
Platte 1 + 2,443 Re−0,1 (Pr2/ 3 − 1) ϑm = 12 (ϑE + ϑA )
ϑE Eintrittstemperatur
ϑA Ausströmtemperatur
+
erzwungene Strömung di 1/ 3 0,125 ξ (Re − 1000)Pr
2/ 3 ,
di di Innendurchmesser Rohr
im Rohrinneren Nu = 49,0 + 4,17 Re Pr Nu = √ 1 + (3.182) L Rohrlänge
L 1 + 4,49 ξ(Pr2/ 3 − 1) L ϑm = 12 (ϑE + ϑA )
(3.181)
ξ = (1,82lg Re − 1,64)−2
⎧ ⎫2
freie Konvektion an ⎪
⎪ 1/ 6 ⎪
⎪ L Höhe der vertikalen
vertikaler Wand oder Nu = 0,53 (Gr Pr)1/ 4 (3.183) ⎪
⎨ 0,825 + + 0,387(Gr Pr) , ⎪
⎬ (3.184) Wand oder des Rohres
Nu = 9/ 16 8/ 27
um ein senkrechtes ⎪ 0,492 ⎪ bzw. kurze Seitenlänge

⎪ 1 + ⎪

Rohr ⎩ Pr ⎭ der horizontalen Platte

Nu ≈ 0,129 (Gr Pr)1/ 3 (3.185)


ΔT = (ϑ0 − ϑ∞ )
ϑ0 Oberflächentemperatur
3.5

freie Konvektion Nu = 0,70 (Gr Pr)1/ 4 (3.186) Nu = 0,155 (Gr Pr)1/ 3 (3.187) in Flächenmitte
längs einer horizon- ϑ∞ Fluidtemperatur außer-
talen Platte halb Grenzschicht
ϑm = 12 (ϑ0 + ϑ∞ )
Wärmeübertragung 259
260 3 Thermodynamik

Tabelle 3.15 Wärmetechnische Stoffwerte von Wasser und trockener Luft bei dem Druck p = 1 bar
(aus: VDI-Wärmeatlas, 10. Aufl. 2006)

ϑ ρ cp γ λ η ν a Pr
◦C kg/m3 kJ/(kg K) 10−3 K 10−3 W/(m K) 10−6 kg/(m s) 10−6 m2 /s 10−6 m2 /s

Wasser
0 999,8 4,218 –0,0672 561,0 1 791,3 1,792 0,133 13,48
20 998,2 4,181 0,2067 598,4 1 002,0 1,004 0,143 7,00
50 988,0 4,180 0,4578 643,6 547,1 0,554 0,156 3,55
99,63 958,6 4,216 0,7487 678,9 293,0 0,295 0,168 1,76
trockene Luft
–100 2,019 1,011 5,852 16,02 11,77 5,829 7,85 0,742
0 1,275 1,006 3,674 24,18 17,24 13,52 18,83 0,718
20 1,188 1,007 3,421 25,69 18,24 15,35 21,47 0,715
100 0,9329 1,012 2,683 31,39 21,94 23,51 33,26 0,707
200 0,7356 1,026 2,115 37,95 26,09 35,47 50,30 0,705
500 0,4502 1,093 1,293 55,64 36,62 81,35 113,1 0,719
1000 0,2734 1,185 0,785 80,77 50,82 185,9 249,2 0,746
ϑ Celsius-Temperatur λ Wärmeleitfähigkeit
ρ Dichte η dynamische Viskosität
cp Spezifische Wärmekapazität bei konstantem ν kinematische Viskosität
Druck a Temperaturleitfähigkeit
γ Wärmeausdehnungskoeffizient Pr Prandtlzahl

unabhängig von der Wellenlänge ist, dann liegt


Ma
ein grauer Körper vor. Auf den schwarzen Kör- α= . (3.193)
per wird das Emissions- und Absorptionsver- Ma, s
mögen anderer grauer Körper bezogen und
durch den Emissionsgrad ε und den Absorp-
Definitionsgemäß sind für einen schwarzen
tionsgrad α gekennzeichnet. Ist Me die spezi-
Körper ε = 1 und α = 1. Die Emissionszah-
fische Ausstrahlung des grauen Körpers und
len ausgewählter grauer Körper sind in Ta-
Me, s die des schwarzen, dann ist der Emissi-
belle 3.16 aufgeführt.
onsgrad ε des grauen Körpers
Der Emissionsgrad und der Absorptionsgrad
eines Temperaturstrahlers sind nach dem
Kirchhoff ’schen Strahlungsgesetz (G. R. Kirch-
Me hoff, 1824 bis 1887) immer gleich:
ε= . (3.192)
Me, s
ε=α. (3.194)

Entsprechend hängt der Absorptionsgrad α Wäre dies nicht so, dann könnte durch eine
des grauen Körpers vom Verhältnis der ab- geeignete Führung des Strahlungsaustausches
sorbierten Strahlungsleistungen Ma des grauen erreicht werden, dass der Körper mehr Strah-
und Ma, s des schwarzen Körpers ab: lung von der Umgebung absorbiert, als er emit-
3.5 Wärmeübertragung 261

Tabelle 3.16 Emissionsgrad ε für die Gesamtstrahlung dem Absorptionsgrad α = Φa /Φe der Zusam-
bei der Temperatur ϑ (aus: VDI-Wärmeatlas, menhang
10. Auflage 2006 und Kohlrausch Praktische Physik,
24. Auflage 1996)

Oberfläche ϑ ε ρ+τ+α=1. (3.195)


in ◦ C

Metalle Für einen nicht transparenten Stoff mit dem


Aluminium Transmissionsgrad τ = 0, wie es die meisten
poliert 100 0,12
oxidiert 93 0,23
technischen Stoffe im Infrarotbereich der elek-
Chrom poliert 150 0,071 tromagnetischen Strahlung sind, gilt
Gold poliert 227 0,021
Eisen
poliert 100 0,20 ρ=1−α=1−ε. (3.196)
angerostet 20 0,62
verzinkt 28 0,26
Messing
nicht oxidiert 25 0,045 Bei der Wärmestrahlung gelten die gleichen
oxidiert 200 0,61 Gesetze wie bei der elektromagnetischen
Nichtmetalle
Strahlung im Sichtbaren (Fotometrie, Ab-
schn. 6.3), nur liegen, wie Abschn. 6.3,
Beton 20 0,94
Abb. 6.70 zeigt, die Strahlungsmaxima der
Dachpappe 20 0,86
Glas 20 0,88 Temperaturstrahler mit einer Oberflächen-
Holz (Eiche) 20 0,90 temperatur unter 600 ◦ C weit im infraroten
Mauerwerk. Putz 20 0,91 Wellenlängenbereich der elektromagneti-
Kunststoffe 20 0,92 schen Strahlung.
Lacke, Farben 100 0,88 bis 0,92
Wasser 20 0,90
Ziegelstein, rot 20 0,93

tiert. Er würde sich dadurch unter Abkühlung


der Umgebung immer mehr erwärmen. Dies
widerspricht jedoch dem zweiten Hauptsatz
der Thermodynamik (Abschn. 3.3.6).
Die Strahlungsleistung Φe der auf eine Trenn-
wand einfallenden Strahlung gemäß Abb. 3.58
verteilt sich auf die reflektierte Strahlungsleis-
tung Φr , die durch die Trennwand durchge-
hende Strahlungsleistung Φt und auf den ab-
sorbierten und in Wärmeenergie umgewandel-
ten Anteil Φa . Nach dem Energieerhaltungs-
satz besteht zwischen dem Reflexionsgrad ρ = Abb. 3.58 Reflexion, Transmission und Absorption
Φr /Φe , dem Transmissionsgrad τ = Φt /Φe und von Strahlung bei einer Trennwand
262 3 Thermodynamik

Nach dem Stefan-Boltzmann-Gesetz (Ab- mit der höheren absoluten Temperatur T1 an


schn. 6.3.2, (6.90), ist die spezifische Ausstrah- die Fläche A2 mit der niedrigeren absoluten
lung Me eines grauen Temperaturstrahlers Temperatur T2 durch Wärmestrahlung trans-
portierte Wärmestrom Q̇12 ist

Me (T) = ε σ T 4 ; (3.197)
Q̇12 = C12 A1 T14 − T24 . (3.200)

σ = 5,670 · 10−8 W m−2 K−4 ist die Stefan-


Boltzmann-Konstante. C12 mit der Maßeinheit W/(m2 K4 ) ist der
Beim Wärmetransport durch Wärmestrah- Strahlungsaustauschkoeffizient. Aus der Bi-
lung sind die Flächen, die die elektroma- lanz der ausgetauschten Strahlungsleistungen
gnetische Energie übertragen, nicht mehr zwischen den beiden grauen Körpern un-
klein. In diesem Fall muss das fotometrische terschiedlicher Temperatur folgt für den
Grundgesetz (Abschn. 6.3.2., (6.78)) über Strahlungsaustauschkoeffizienten
die Strahlungsaustauschflächen A1 und A2
integriert werden. Zur dimensionslosen Ein- ε1 ε2 σ ϕ12
strahlzahl ϕ12 wird der nur von der Geometrie C12 = .
1 − (1 − ε1 )(1 − ε2 ) AA12 ϕ12
2
abhängige Teil von (6.78) zusammengefasst:
(3.201)

1 cos β1 cos β2
ϕ12 = dA1 dA2 . Für nichtmetallische Strahler mit (1 − ε) < 0, 1
πA1 r2
A1 A2 kann (3.201) näherungsweise ersetzt werden
(3.198) durch

Hierbei ist r der Abstand der Flächen A1 und C12 = ε1 ε2 σ ϕ12 . (3.202)
A2 ; β1 und β2 sind die Winkel zwischen der
Strahlungsrichtung und den jeweiligen Flä-
chennormalen. In Abb. 3.59 sind die Strahlungsaustauschko-
Ein grauer Temperaturstrahler mit der Strahl- effizienten C12 einiger Spezialfälle zusammen-
dichte Le1 = Me1 / (πΩ0 ) (6.82), der Tempe- gestellt.
ratur T1 , der Fläche A1 und dem Emissions- Beispiel
grad ε1 strahlt also an eine Fläche A2 die Strah- 3.5-3 Wie groß ist die Wärmestromdichte jqS des Wär-
lungsleistung Φe1 ab: mestrahlungsaustausches zwischen zwei sehr großen
Platten mit den Oberflächentemperaturen T1 und T2
sowie den Emissionszahlen ε1 und ε2 ?
Φe1 = A1 ε1 ϕ12 σT14 . (3.199)
Lösung
Die von der Platte 1 abgestrahlte Gesamt-Ausstrahlung
Me,(1)ges ist die spezifische Ausstrahlung Me1 der Platte 1
Der graue Temperaturstrahler mit den Strah-
zuzüglich der an der Oberfläche 1 reflektierten
lungskennwerten A1 , ε1 und T1 emittiert nicht
Gesamt-Ausstrahlung Me,(2)ges der Platte 2. Dasselbe
nur die Strahlungsleistung Φe1 an die Flä- trifft auf die Ausstrahlung der Platte 2 zu. Mit
che A2 , sondern empfängt auch von dieser die der (3.197) gilt also, wenn für nichttransparente
Strahlungsleistung Φe2 . Der von der Fläche A1 Platten (3.196) berücksichtigt wird
3.5 Wärmeübertragung 263

Abb. 3.59 Strahlungsaustauschkoeffizienten C12 für verschiedene Geometrien


264 3 Thermodynamik

Me,(1)ges = ε1 σ T14 + ρ1 Me,(2)ges Die gesamte Strahlungswärmeabgabe oder


= ε1 σT14 + (1 − ε1 )Me,(2)ges , -aufnahme einer Fläche A1 ergibt sich, wenn
der Strahlungsaustausch mit allen Flächen im
Me,(2)ges = ε2 σT24 + ρ2 Me,(1)ges
Halbraum über der Fläche A1 aufsummiert
= ε2 σT24 + (1 − ε2 )Me,(1)ges . wird.
Werden aus diesen beiden Gleichungen die Gesamt-
Ausstrahlungen der Platten
ε1 σT14 + (1 − ε1 )ε2 σT24 3.5.4 Wärmedurchgang
Me,(1)ges = und
1 − (1 − ε1 )(1 − ε2 )
ε2 σT24 + (1 − ε2 )ε1 σT14 Die Kenngröße für den Wärmetransport von
Me,(2)ges = einem Medium 1 mit der Temperatur ϑM1 in
1 − (1 − ε1 )(1 − ε2 )
bestimmt, dann beträgt die Wärmestromdichte jq S der ein Medium 2 mit der Temperatur ϑM2 < ϑM1
Wärmestrahlung durch die Fläche A einer wärmedämmenden
Trennwand, beispielsweise von der Raumluft
ε1 ε2 σ T14 − T24
jq S = Me, ges − Me, ges =
(1) (2)
. durch die Außenwand an die Außenluft, ist
1 − (1 − ε1 )(1 − ε2 )
der Wärmedurchgangskoeffizient U. Im Behar-
Ein Vergleich mit (3.200) bestätigt (3.203) für den
rungszustand ist der Wärmestrom
Strahlungsaustauschkoeffizienten C12 zwischen zwei
parallelen Flächen. Die Strahlungswärmestromdichte
zwischen den beiden Scheiben einer Isoliervergla-
sung (ε1 = ε2 = 0,88) mit den Temperaturen ϑo1 = Q̇ = UA(ϑM1 − ϑM2 ) . (3.210)
10 ◦ C und ϑo2 = 0 ◦ C beträgt beispielsweise jq s =
38,4 W/m2 .
Die Maßeinheit des Wärmedurchgangskoeffi-
Die absoluten Temperaturen der Tempera- zienten ist W/(m2 K). Bei gekrümmten wär-
turstrahler bestimmen den Wärmetransport meübertragenden Flächen, wie beispielsweise
durch Wärmestrahlung. Wird (3.200) umge- einem dickwandigen Heizungsrohr, bezieht
schrieben in man den Wärmedurchgangskoeffizient auf die
Innenoberfiäche Ai oder die Außenoberflä-
Q̇12 che Aa .
jq S = (3.208)
A1 Eine Analyse der Fourier’schen Wärmelei-

= C12 T12 + T22 (T1 + T2 )(T1 − T2 ) , tungsgleichung (3.135) ergibt, dass die unter
stationären Bedingungen nach (3.210) er-
mittelten Wärmedurchgangskoeffizienten die
so lässt sich entsprechend (3.162) als Pro-
Wärmedämmung auch beschreiben, wenn
portionalitätskonstante zwischen der Wärme-
die Wärmeströme instationär, aber, wie bei-
stromdichte der Wärmestrahlung jq S und der
spielsweise bei einer Heizperiode, mit einer
Temperaturdifferenz (T1 −T2 ) ein Wärmeüber-
Zykluszeit tZ periodisch verlaufen. In diesen
gangskoeffizient für Wärmestrahlung α∗S defi-
Fällen sind die in (3.210) über die Zykluszeit
nieren:
tZ gemittelten Werte

α∗S = C12 T12 + T22 (T1 + T2 ) . (3.209)
tZ
1
Q̇ = Q̇(t) dt und (3.211)
Er beschreibt den Wärmeübergang von der tZ
0
wärmeren Fläche A1 zur kälteren Fläche A2 .
3.5 Wärmeübertragung 265

tZ Bei den Wärmeübergängen innen und


1
ϑM = ϑM (t) dt (3.212) außen addieren sich die Wärmeströme
tZ
0 der Konvektion und Strahlung.

einzusetzen. Der Wärmedurchgangskoeffizi-


Sind die Umgebungsflächentemperaturen
ent ist also die wärmetechnische Kenngröße
innen ϑUi und außen ϑUa etwa so hoch wie
für die Wärmedämmung einer Trennwand.
die jeweiligen Fluidtemperaturen ϑM1 und
Der Wärmedurchgang durch eine Trennwand
setzt sich aus dem Wärmeübergang innen
ϑM2 , dann können die einzelnen Wärmeüber-
gangskoeffizienten addiert werden. Der Anteil
vom abgebenden Medium mit der Tempera-
der Wärmeleitung bei freier und erzwungener
tur ϑM1 auf die Trennwand mit der Oberflä-
Konvektion wird nicht getrennt ausgewiesen,
chentemperatur innen ϑOi , der Wärmeleitung
sondern ist in α∗K enthalten (Abb. 3.57):
durch die Trennwand mit dem Temperatur-
gefälle zur Oberflächentemperatur außen ϑOa
und dem Wärmeübergang außen an das auf-
nehmende Medium mit der Temperatur ϑM2 α∗i = α∗Ki + α∗Si und (3.213)
zusammen. α∗a = α∗Ka + α∗Sa . (3.214)

Der Wärmedurchgangskoeffizient einer ebe-


nen planparallelen Trennwand lässt sich ein-
fach berechnen, auch wenn diese aus mehreren
Schichten aufgebaut ist, wie in Abb. 3.60 ver-
deutlicht. Die Wärmestromdichten der einzel-
nen Wärmeströme

jqi= α∗i (ϑM1 − ϑOi ) , (3.215)


λ1
jq1 = (ϑOi − ϑ1 ) , (3.216)
s1
λ2
jq2 = (ϑ1 − ϑ2 ) , (3.217)
s2
λ3
jq3 = (ϑ2 − ϑOa ) und (3.218)
s3
jqa = α∗a (ϑOa − ϑM2 ) (3.219)

sind nach dem Energieerhaltungssatz bei wär-


mequellenfreien Trennwänden alle gleich und
Abb. 3.60 Wärmedurchgang durch eine mehrschich- so groß wie die Wärmestromdichte jq = Q̇/ A
tige Trennwand des Wärmedurchgangs nach (3.210)
3 Thermodynamik

lassen sich dann über (3.157) und (3.158) be-


jq = U(ϑM1 − ϑM2 ) . (3.220) stimmen.

Zur Übung
Durch Umformen der Temperaturdifferenz Ü 3.5-1 Welchen konvektiven Wärmestrom gibt ein
senkrechter Plattenheizkörper mit der Höhe h = 0,6 m
zwischen den beiden Medien zu
und der Breite b = 1,2 m turbulent an die Umgebungs
luft ab, wenn die gleichförmige Oberflächentempera-
ϑM1 − ϑM2 = (ϑM1 − ϑOi ) + (ϑOi − ϑ1 ) tur ϑO = 40 ◦ C und die Lufttemperatur ϑL = 20 ◦ C
beträgt?
+ (ϑ1 − ϑ2 ) + (ϑ2 − ϑOa )
Ü 3.5-2 Wie groß sind die Teilwärmeströme der Wär-
+ (ϑOa − ϑM2 ) (3.221) meleitung, Konvektion (turbulent ohne Verknüpfung
mit der Wärmeleitung) und Wärmestrahlung durch
die 12 mm dicke Luftschicht einer 1 m mal 1 m großen
und Einsetzen von (3.215) bis (3.220) in (3.221) Zweischeiben-Isolierverglasung (Außenscheibe 0 ◦ C,
lässt sich die Bestimmungsgleichung des Innenscheibe 10 ◦ C)? Um welchen Prozentsatz vermin-
Wärmedurchgangskoeffizienten U der platten- dert sich der Gesamtwärmestrom, wenn eine der bei-
förmigen Trennwand aufstellen (DIN EN ISO den Scheiben zur Luftschicht hin durch eine Bedamp-
fung nur noch einen Emissionsgrad ε = 0,08 aufweist?
6946).
Ü 3.5-3 Das Flachdach über einer Halle mit einer
1 Lufttemperatur ϑL = 20 ◦ C hat von außen nach innen
U = 1 s 1 s2 s3 1
. (3.222) den folgenden Aufbau: Dachhaut (UV-geschützt,
α∗i + λ1 + λ2 + λ3 + α∗a Wärmedämmung vernachlässigbar), 60 mm Wär-
medämmung (λ = 0,04 W/(m K)), 160 mm Stahl-
betondecke (λ = 2,1 W/(m K)), 10 mm Innenputz
Bei gekrümmten Trennwänden ist (3.222)
(λ = 0,70 W/(m K). Man rechne mit den Norm-
nicht anwendbar. In einem solchen Fall Übergangswiderständen 1/α∗i = 0,13 m2 K/W und
müssen die Faktoren von (3.222) mit den Wär- 1/α∗a = 0,035 m2 K/W gemäß DIN 4108. Welchen
meübertragungsflächen der Einzelschichten Wärmedurchgangskoeffizienten hat dieses Flach-
gewichtet werden, weshalb die Bestimmungs- dach? Wie groß ist zwischen Sommer und Winter
gleichungen des Wärmeübergangskoeffizi- der Temperaturunterschied an der Berührungsfläche
von Betondecke und Wärmedämmung, wenn für die
enten mathematisch äußerst kompliziert
Sommerzeit mit einer durch Sonneneinstrahlung auf
sind. ϑO = 60 ◦ C angehobenen Oberflächentemperatur
Die Oberflächentemperaturen zu beiden außen und für die Winterzeit mit einer Außenlufttem-
Seiten der Trennwand werden berechnet, in- peratur ϑa = −15 ◦ C gerechnet wird?
dem (3.220) in (3.215) oder (3.219) eingesetzt Ü 3.5-4 Die Körperkerntemperatur des Menschen be-
wird: trägt ϑK = 37 ◦ C, der Wärmedurchlasswiderstand des
menschlichen Gewebes etwa RG = 0,08 m2 K/W. Wie
U(ϑM1 − ϑM2 ) groß ist die Wärmestromdichte auf der menschlichen
ϑOi = ϑM1 − , (3.223)
α∗i Haut, wenn der Mensch, bekleidet mit einer Kleidung,
deren Wärmedurchlasswiderstand RKL = 0,2 m2 K/W
U(ϑM1 − ϑM2 )
ϑOa = ϑM2 − . (3.224) beträgt, sich in einem Raum befindet, dessen Raum-
α∗a lufttemperatur ϑLi = 21 ◦ C ist und dessen Wände,
Decke und Boden eine Oberflächentemperatur von
ϑu = 14 ◦ C haben? Die Wärmeübergangskoeffizien-
Die Temperaturen ϑ1 und ϑ2 der Berührungs- ten seien näherungsweise α∗K = 3,3 W/(m2 K) und
flächen der Trennwandschichten in Abb. 3.60 α∗S = 5,1 W/(m2 K).
Kapitel 4
Elektrizität und Magnetismus 4

E. Hering et al., Physik für Ingenieure,


DOI 10.1007/978-3-642-22569-7_4, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
4 Elektrizität und Magnetismus
4.1 Physikalische Gesetze und Definitionen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270
4.1.1 Ladung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271
4.1.2 Stromstärke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273
4.1.3 Spannung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273
4.1.4 Widerstand und Leitwert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275
4.1.5 Ohm’sches Gesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278
4.1.6 Kirchhoff’sche Regeln im verzweigten Stromkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278
4 4.1.7
4.1.8
Schaltung von Widerständen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Messbereichserweiterung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
281
283
4.1.9 Ausgewählte Messanordnungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285
4.1.10 Klemmenspannung und innerer Widerstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287
4.1.11 Schaltung von Spannungsquellen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288
4.1.12 Elektrische Leistung und elektrische Arbeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290
4.2 Ladungstransport in Flüssigkeiten und Gasen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292
4.2.1 Ladungstransport in Flüssigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292
4.2.2 Ladungstransport im Vakuum und in Gasen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308
4.2.3 Plasmaströme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317
4.3 Elektrisches Feld. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317
4.3.1 Allgemeiner Feldbegriff. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317
4.3.2 Beschreibung des elektrischen Feldes. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318
4.3.3 Elektrische Feldstärke und Kraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319
4.3.4 Elektrische Feldstärke und elektrostatisches Potential . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321
4.3.5 Bewegung geladener Teilchen im elektrischen Feld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326
4.3.6 Leiter im elektrischen Feld. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331
4.3.7 Nichtleiter im elektrischen Feld, elektrische Polarisation und Permittivitätszahl . . . . . 340
4.3.8 Energieinhalt des elektrischen Feldes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350
4.4 Magnetisches Feld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351
4.4.1 Beschreibung des magnetischen Feldes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351
4.4.2 Magnetische Feldstärke und Durchflutungsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352
4.4.3 Magnetische Flussdichte und Kraftwirkungen im Magnetfeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357
4.4.4 Materie im Magnetfeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368
4.5 Instationäre Felder. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383
4.5.1 Elektromagnetische Induktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383
4.5.2 Periodische Felder (Wechselstromkreis) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 390
4.5.3 Ein- und Ausschaltvorgänge in Stromkreisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 404
4.5.4 Messgeräte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 408
4.5.5 Zusammenhang elektrischer und magnetischer Größen – Maxwell’sche Gleichungen 412
4 Elektrizität und Magnetismus

Die Eigenschaften der Elektrizität und des Ma- die magnetischen Feldlinien sind in sich
gnetismus lassen sich nicht – wie in der Ther- geschlossen (Wirbel).
modynamik – aus der Mechanik ableiten. Ein – Beschleunigte Ladungsbewegung
Grund hierfür ist, dass eine neue Eigenschaft Hierbei ändert sich das elektrische und
der Materie mit einbezogen werden muss: die magnetische Feld. Ein zeitlich sich ändern-
Ladung. Sie ist materiegebunden, als Elemen- des Magnetfeld B induziert ein elektrisches
tarladung e quantisiert und hat zwei Ausprä- Feld E, das zur Beschleunigung der Ladun-
gungen: positive und negative Ladungen. Ab- gen führen kann (Induktionsgesetz). Aus
bildung 4.1 zeigt, wie die Gebiete Elektrizität den Eigenschaften des elektrischen Feldes
und Magnetismus zusammenhängen. Grund- (Quellen, wirbelfrei) und des magnetischen
sätzlich sind drei Bewegungszustände der La- Feldes (quellenfrei, Wirbel) ergeben sich in
dungen möglich: Verbindung mit dem Induktionsgesetz pe-
riodisch sich ändernde elektromagnetische
Felder, die sich unabhängig von Materie
– Ruhende Ladungen
ausbreiten können (elektromagnetische
Dies ist das Gebiet der Elektrostatik. Kräfte
Wellen). – Die Kraftwirkung auf eine La-
zwischen zwei Ladungen werden durch das
dung im elektrischen und magnetischen
Coulomb’sche Gesetz beschrieben. Die Be-
Feld wird durch die elektromagnetische
schreibung der Kraftwirkung auf Ladungen
Kraft beschrieben.
(elektrisches Feld) erfolgt durch die am Ort
der Ladung herrschende elektrische Feld- Elektrische und magnetische Felder in Materie
stärke E. Dieses elektrische Feld hat Quellen führen zu einer Wechselwirkung mit den ato-
(positive Ladungen) und Senken (negative maren Bausteinen (Polarisation), sodass sich
Ladungen), weshalb die Feldlinien nicht in die im Material herrschende elektrische bzw.
sich geschlossen sind (wirbelfrei). magnetische Feldstärke von der äußeren Feld-
– Ladungsbewegung mit konstanter Ge- stärke unterscheidet. Diese Wechselwirkung
schwindigkeit wird durch Materialgleichungen beschrieben:
Dieses Gebiet nennt man Magnetostatik. im elektrischen Feld durch D = ε E und im ma-
Es „fließt“ ein konstanter Strom, der ein gnetischen Feld durch B = μ H. Eine weitere
zeitlich konstantes Magnetfeld erzeugt Materialgleichung verknüpft die Stromdichte j
(dB/ dt = 0). Es ist quellenfrei, da es keine über die Leitfähigkeit κ mit der elektrischen
magnetischen Elementarladungen gibt; und Feldstärke E (Ohm’sches Gesetz).

M. Stohrer, E. Hering, R. Martin, Physik für Ingenieure.


DOI 10.1007/978-3-642-22569-7_4 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
270 4 Elektrizität und Magnetismus

Abb. 4.1 Strukturbild Elektrizität und Magnetismus

Die gesamten elektrischen und magnetischen der Relativitätstheorie Einsteins (Abschn. 10.5)
Erscheinungen (Elektrodynamik) werden in bedürfen sie deshalb keiner Korrektur.
vier Differentialgleichungen (bzw. Vektorglei-
chungen) zusammengefasst, die die Feldgrö- 4.1 Physikalische Gesetze
ßen E, D, H und B miteinander verknüpfen und Definitionen
(Maxwell’sche Gleichungen). Zur Lösung der
Maxwell’schen Gleichungen sind die drei Feld- In diesem Abschnitt sind die grundlegen-
gleichungen (D = ε E, B = μ H und j = κ E den Erscheinungen der Elektrizitätslehre
erforderlich. Die Maxwell’schen Gleichungen beschrieben, die wichtigsten physikalischen
beinhalten bereits die endliche Geschwindig- Größen definiert und die physikalischen Ge-
keit der Informationsausbreitung (Konstanz setze am Beispiel des metallischen Leiters
der Vakuumlichtgeschwindigkeit c); aufgrund wiedergegeben.
4.1 Physikalische Gesetze und Definitionen 271

4.1.1 Ladung Elektrische Ladungen üben Kräfte aufeinan-


der aus. Gleichnamige Ladungen stoßen sich
Die Ladung Q hat folgende Eigenschaften: ab und ungleichnamige Ladungen ziehen sich
an. Für die anziehende oder abstoßende Kraft,
– Es gibt nur zwei Sorten von Ladungen: posi- die eine Punktladung Q1 auf eine im Ab-
tive und negative. Sie dienen zur Erklärung stand r12 sich befindende Punktladung Q2 aus-
der Abstoßung und Anziehung von Ladun- übt, gilt das Coulomb’sche Gesetz (benannt
gen sowie der Ladungsneutralität. nach dem französischen Physiker C. A. Cou-
– Die Ladung ist quantisiert, d. h., es gibt eine lomb, 1736 bis 1806):
kleinste elektrische Ladungsmenge, die Ele-
mentarladung e. Sie ist eine Naturkonstante 1 Q1 Q2 r 12
und hat den Wert F 12 = . (4.2)
4πε0 r12
2 r12


e = 1,602177 · 10−19 C . (4.1) r12
: Einheitsvektor von Q1 nach Q2
r12
Diese Kraft weist dabei in Richtung der Verbin-
Diese Elementarladung tragen z. B. die Ele- dungslinie beider Ladungen. Die Maßstabs-
mentarteilchen Proton (positive Ladung) konstante ε0 ist die elektrische Feldkonstante
und Elektron (negative Ladung). Jede elek- bzw. die Dielektrizitätskonstante des Vaku-
trische Ladung ist damit ein Vielfaches ums:
der elektrischen Elementarladung. So ent-
spricht die Ladungseinheit von 1 C etwa C2
der Ladung von 6,24 · 1018 Elektronen. ε0 = 8,854 · 10−12 . (4.3)
N m2
Die Messung der Elementarladung glückte
erstmalig R. A. Millikan im Jahr 1910
Mit ihr errechnet sich der Proportionalitäts-
(Abschn. 4.3.5.5).
faktor des Coulomb’schen Gesetzes:
– Die Ladung ist an Materie gebunden, sie ist
– wie bereits ausgeführt – eine diskrete Ei-
1 N m2
genschaft der Materie. Elementarladungen = 8,988 · 109 . (4.4)
4πε0 C2
tragen beispielsweise folgende Elementar-
teilchen (Abschn. 8.9):
+e: Proton, Positron, + Myon, + Pion Das Coulomb’sche Gesetz gilt nicht nur für
−e: Elektron, Antiproton, − Myon, − Pion punktförmige Ladungen, sondern auch noch
0: Neutron, Neutrino, Photon, 0 Pion. näherungsweise für Kugeln, wenn deren Ab-
– Für die Ladung gilt der Erhaltungssatz: In ei- stand (von Kugelmitte zu Kugelmitte) groß
nem abgeschlossenen System bleibt die Net- im Vergleich zu den Kugelradien ist. Abbil-
toladung (Menge aller positiver abzüglich dung 4.2 zeigt den Verlauf der Coulomb-Kraft
Menge aller negativer Ladungen) erhalten. zwischen zwei Ladungen in Abhängigkeit
– Im makroskopischen Bereich bedeutet ne- von der Ladungsentfernung. Es wird deutlich,
gative Ladung Elektronenüberschuss und dass die Coulomb-Kraft für kleine Ladungsab-
positive Ladung Elektronenmangel. Die La- stände sehr groß ist, aber mit zunehmendem
dung wird durch Elektronen bzw. Ionen Ladungsabstand schnell an Bedeutung ver-
transportiert (Abschn. 4.2). liert.
272 4 Elektrizität und Magnetismus

Tabelle 4.1 Unterschiede zwischen der Coulomb- und


der Gravitationskraft

Kräfte
Unterschei- Coulomb-Kraft Gravitations-
dungsmerkmale kraft

Ursache Ladungen Massen


Kraftrichtung Anziehung oder Anziehung
Abstoßung, je
Abb. 4.2 Coulomb’sche Anziehungskraft zwischen nach Vorzeichen
zwei Ladungen mit Q1 = −10−6 C und Q2 = 3 · 10−6 C der Ladungen
Stärke groß sehr klein
Die Coulomb-Kraft weist mathematisch die- Abschirm-
barkeit ja nein
selbe Struktur auf wie die Gravitationskraft,
nämlich Bedeutung Zusammenhalt Zusammen-
m1 m2 r12 der Atome halt des
F = −G 2 . (2.137) Makrokosmos
r12 r12
da sie
– eine Zentralkraft ist,
– quadratisch mit der Teilchenentfernung ab-
nimmt und
– symmetrisch in den Ladungen ist.
In Tabelle 4.1 sind die wichtigsten Unter-
schiede zwischen der elektrischen Coulomb-
Kraft und der Gravitationskraft zusammen-
gestellt.
Sind mehr als zwei Ladungen vorhanden,
so gilt das Coulomb’sche Gesetz für je-
Abb. 4.3 Resultierende Kraft bei drei Ladungen
des Ladungspaar. Betragen die Ladungen
(Kraftwirkung eines Dipols)
Q1 , Q2 , Q3 …Qn , so ist die Kraft, die beispiels-
weise auf Q1 ausgeübt wird, die Resultierende
der Kraftvektoren Daraus folgt

F1 = F 12 + F13 + · · · + F1n . |F res | =


d
F31 =
d 1 Q1 Q3
.
r r 4πε0 r2
Beispiel
4.1-1 Drei betragsmäßig gleiche Ladungen Q1 , Q2
d Q1 Q3
und Q3 befinden sich in den Eckpunkten eines gleich- |F res | = . (4.5)
schenkligen Dreiecks gemäß Abb. 4.3. Wie groß ist die 4πε0 r3
Kraft auf die Ladung Q3 ?
(Wird Q1 und Q2 im Abstand d als Dipol aufgefasst,
Lösung
dann ist Q1 d das Dipolmoment. Dies bedeutet, dass
Es gilt:
die von einem Dipol auf eine Ladung Q3 (in gleichem
d Abstand von Q1 und Q2 ) ausgeübte Kraft umgekehrt
|F res | = 2 cos ϕ · F31 = 2 · · F31 .
2r proportional zur dritten Potenz des Abstandes ist.)
4.1 Physikalische Gesetze und Definitionen 273

4.1.2 Stromstärke in gleichen Einheiten messen zu können; es


gilt
Wird in der Zeitspanne dt durch eine Quer-
schnittsfläche die Ladung dQ hindurchbewegt, 1VAs = 1J = 1Nm .
dann berechnet sich die Stromstärke I zu
Als Stromrichtung wurde die Bewegungsrich-
dQ tung von plus (+) nach minus (−) festgelegt.
I = . (4.6) Diese sogenannte „technische“ Stromrichtung
dt
ist entgegengesetzt der tatsächlichen Elektro-
Die Einheit der Stromstärke I ist nach dem nenbewegung.
französischen Physiker A. M. Ampère (1775 Die Stromdichte in einem stromdurchflosse-
bis 1839) benannt. nen Draht des Querschnitts A ist definiert als
Aus (4.6) folgt, dass auch die Ladung aus
I
der Dauer des Stromflusses berechnet werden j= . (4.9)
kann als A

t2 Wie in nachfolgenden Abschnitten ausführlich


Q= I(t) dt . (4.7) erläutert ist, zeigt der elektrische Strom drei
t1 Wirkungen:
– Wärmewirkung
Dies ist eine wichtige Methode der Ladungsbe-
Stromdurchflossene Leiter erwärmen sich,
stimmung für zeitabhängige Ströme. Die La-
ändern ihre Länge (ihr Volumen) und oft
dung ist anschaulich als Fläche unter der I(t)-
andere temperaturabhängige Größen, z. B.
Kurve zu verstehen. Ist die Stromstärke in der
den elektrischen Widerstand oder die Farbe.
Zeit konstant, d. h. der Ladungstransport sta-
– Chemische Wirkung (Elektrochemie)
tionär, so gilt
In elektrolytischen Leitern können Ladun-
gen und Ionen transportiert und an Fest-
Q= It . (4.8) körpern, den sogenannten Elektroden, ab-
geschieden werden (Galvanotechnik). Diese
Die Stromstärke I ist im Internationalen Ein- Wirkung wurde früher zur Definition des
heitensystem als Basisgröße über die Kraftwir- Ampere herangezogen: 1 A scheidet näm-
kung zweier stromdurchflossener Leiter defi- lich in 1 s aus einer wässrigen Silbernitrat-
niert (Abschn. 1.3): lösung 1,118 mg Silber ab.
– Magnetische Wirkung (Elektromagnetis-
Eine Stromstärke I besitzt dann den Wert mus)
1 Ampere, wenn die durch zwei im Ab- Stromdurchflossene, gerade Leiter werden
stand von 1 m befindliche geradlinige, von einem zylindersymmetrischen Magnet-
parallele Leiter (mit Durchmesser null) feld umgeben.
fließende Stromstärke je Meter Länge
eine Kraft von 2 · 10−7 N hervorruft. 4.1.3 Spannung

Diese Definition wurde gewählt, um die elek- Die Spannung U ist ein Maß für die hinein-
trische Energie und die mechanische Energie gesteckte Ladungstrennungsarbeit je Ladung:
274 4 Elektrizität und Magnetismus

U = W / Q. Sind positive und negative Ladun-


gen räumlich getrennt als positiver oder ne-
gativer Pol, dann liegt zwischen diesen Po-
len eine Spannung, die elektrische Urspannung
genannt wird. Werden diese Pole miteinan-
der verbunden, so findet ein Ladungstrans-
port und damit ein Stromfluss statt und die
Ladungsunterschiede gleichen sich aus. In lei-
Abb. 4.4 Richtungssinn für Strom und Spannung
tenden Festkörpern (z. B. Metallen) sind nur
Elektronen frei beweglich, sodass am Plus-Pol
Elektronenmangel und am Minus-Pol Elek-
trischem Potential und Spannung hergeleitet.
tronenüberschuss herrscht. Werden diese Pole
An dieser Stelle soll lediglich angemerkt wer-
miteinander verbunden, dann fließen die Elek-
den, dass im Falle elektrischer Kräfte die Span-
tronen vom Minus- zum Plus-Pol. Die tech-
nung UAB zwischen zwei Punkten A und B
nische Stromrichtung legt im Gegensatz zum
gleich der Potentialdifferenz Δϕ zwischen die-
physikalischen Verhalten folgendes fest:
sen Punkten ist:
Bei passiven Bauelementen (z. B. Ohm’-
scher Widerstand) fließt im äußeren UAB = −Δϕ = ϕA − ϕB . (4.11)
Stromkreis der Strom vom Pluspol der
Spannungsquelle zu ihrem Minuspol.
Spannungsquellen halten zwischen zwei
Punkten eine Spannung aufrecht. Dies ge-
Konsequent durchgeführt erhält man auch so
schieht durch Umwandlung von chemischer
keine physikalisch falschen Ergebnisse. Ab-
Energie (galvanische Elemente), mechani-
bildung 4.4 zeigt die Pfeilrichtungen für die
scher Energie (Generatoren) oder Licht-
Stromstärke I und die Spannung U. Die Span-
energie (Solarzellen) in elektrische Energie.
nung U in V ist über die elektrische Energie
Abbildung 4.5 gibt eine Übersicht. Die elek-
definiert:
trochemischen Vorgänge in den galvanischen
Elementen sind in Abschn. 4.2, die durch
Ein Volt liegt dann zwischen zwei Punk-
ten eines metallischen Leiters, wenn mechanische Änderung des Magnetflusses
erzeugte Spannung in Abschn. 4.4.3 und
beim Transport der Ladung von 1 Cou-
lomb eine Energie von 1 Joule umgesetzt
wird.

Es gilt

Pab
U = . (4.10)
I

In Abschn. 4.3 ist der wichtige Zusammen-


hang zwischen elektrischer Feldstärke, elek- Abb. 4.5 Arten von Spannungsquellen
4.1 Physikalische Gesetze und Definitionen 275

der fotovoltaische Umwandlungsprozess in


RA
Abschn. 9.4 ausführlich beschrieben. ρ= . (4.14)
l
4.1.4 Widerstand und Leitwert
Er wird üblicherweise für Festkörper in
Der elektrische Widerstand R ist ein Maß für (Ω mm2 )/m und für Flüssigkeiten in Ω cm
die Hemmung des Ladungstransports und be- gemessen.
stimmt deshalb die Stromstärke bei einer be- Analog zum Leitwert ist der Kehrwert des spe-
stimmten Spannung. Er ist folgendermaßen zifischen elektrischen Widerstandes die elek-
definiert: trische Leitfähigkeit κ:

Der elektrische Widerstand R beträgt 1 l Gl


1 Ohm, wenn zwischen zwei Punkten κ = = = . (4.15)
ρ RA A
eines metallischen Leiters beim Span-
nungsabfall von 1 Volt genau 1 Ampere
fließt. Abbildung 4.6 zeigt einen Überblick über die
gängigen technischen Widerstände, über ihre
Die Einheit ist 1 V/A = 1 Ω. Werkstoffe, ihre Eigenschaften, ihre normier-
Mit der Entdeckung des Quanten-Hall-Effektes ten Bauausführungen (nach DIN) und ihre
durch K. v. Klitzing (Abschn. 8.2.5) lässt sich Anwendungsfelder. Zur besseren Anschauung
das Ohm unabhängig von der Geometrie und sind einige Widerstandstypen abgebildet.
den physikalischen Eigenschaften verschiede- Widerstände können in feste oder einstellbare
ner Werkstoffe allein durch Naturkonstanten Widerstände eingeteilt werden. Die Festwi-
mit hoher Genauigkeit (10−8 Ω) darstellen derstände lassen sich weiter untergliedern in
(h/ e2 )=25 812,8 Ω; hierbei ist h das Planck’sche lineare oder nichtlineare Widerstände. Die li-
Wirkungsquantum h = 6,626176 · 10−34 J s nearen Widerstände genügen dem Ohm’schen
und e die Elementarladung. Gesetz (unter Berücksichtigung des Tempera-
Der Kehrwert des elektrischen Widerstandes turverhaltens). Sie bestehen aus Cr–Ni-Draht
ist der Leitwert G: (wegen des geringen Temperaturkoeffizien-
ten) oder aus Schichtmaterialien, wie z. B.
1 Kohlenstoff, Cr–Ni, SnO2 , Au–Pt oder in Lack
G= . (4.12) dispergierten Kohlenstoffteilchen. Abbil-
R
dung 4.6 zeigt weitere Unterscheidungsmerk-
male und die bevorzugten Anwendungsfelder.
Er wird in Siemens S oder in Ω−1 gemessen.
Der Widerstandswert und die Toleranzen wer-
Der elektrische Widerstand R eines metalli-
den häufig als Farbringe aufgebracht. Bei den
schen Leiters der Länge l und dem Quer-
nichtlinearen Widerständen ist der Wider-
schnitt A ist
stand abhängig von folgenden physikalischen
l Größen:
R=ρ . (4.13)
A – Temperatur
• Heißleiter:
Die Proportionalitätskonstante ist der spezifi- fallender Widerstand bei zunehmender
sche Widerstand ρ (Resistivität). Temperatur (NTC: Negative Temperature
276 4 Elektrizität und Magnetismus

Abb. 4.6 Einteilung von Widerständen und ihre Bauarten


4.1 Physikalische Gesetze und Definitionen 277

Coefficient). Sie werden als Temperatur- Elektrischer Widerstand und spezifischer elek-
fühler, zur Messung von Strömungsge- trischer Widerstand (und selbstverständlich
schwindigkeiten oder zur Spannungssta- auch Leitwert und elektrische Leitfähigkeit)
bilisierung verwendet und bestehen aus sind temperaturabhängig. Abbildung 4.7 zeigt
einer halbleitenden Oxidkeramik. den prinzipiellen Verlauf des spezifischen
• Kaltleiter: elektrischer Widerstandes von der Tempe-
stark zunehmender Widerstand bei zu- ratur T für einen metallischen Leiter, einen
nehmender Temperatur (PTC: Positive Halbleiter und einen Supraleiter. Beim metal-
Temperature Coefficient). Sie werden als lischen Leiter nimmt der Widerstand R bzw.
Temperaturfühler, als Thermostat und der spezifische elektrische Widerstand ρ mit
zur Stromstabilisierung verwendet und der Temperatur zu. Es gelten folgende lineare
bestehen aus Metalldrähten. Näherungen:

– Spannung
VDR-Widerstände oder Variatoren (VDR: R(ϑ) = R20 (1 + α(ϑ − 20 ◦ C)) , (4.16)
Voltage Dependent Resistance) sind stark ρ(ϑ) = ρ20 (1 + α(ϑ − 20 C)) . ◦
(4.17)
spannungsabhängig und werden zur Span-
nungsstabilisierung und zur Stoßspan-
nungsbegrenzung eingesetzt. Hierbei ist R20 bzw. ρ20 der Widerstand bzw.
– Licht der spezifische elektrische Widerstand eines
In diesem Fall handelt es sich um lichtemp- metallischen Leiters bei 20 ◦ C, ϑ die Tempera-
findliche Widerstände (LDR: Light Depen- tur in ◦ C und α der Temperaturkoeffizient des
dent Resistance), die z. B. in Belichtungs- elektrischen Widerstandes bei 20 ◦ C.
messern eingebaut werden. Der Temperaturkoeffizient α gibt an, welche
relative Widerstandsänderung ΔR/ R der Leiter
bei Änderung um ΔT = 1 K erfährt:
Die einstellbaren Widerstände ändern den Wi-
derstand entweder linear oder logarithmisch ΔR Δρ
α= = . (4.18)
(positiv oder negativ). Linear einteilbare Wi- R20 ΔT ρ20 ΔT
derstände werden als Spannungsteiler (Poten-
tiometer oder Trimmer) eingesetzt, logarith-
misch verstellbare Widerstände zur Lautstär- (Hinweis: Die Gleichungen sind lediglich li-
keregelung verwendet. Als Werkstoffe wer- neare Näherungen.)
den Draht, Kohleschichten und Cermet (Kera-
mikträger mit eingebranntem Metalloxid und
Glaspulver) eingesetzt.
Da der spezifische elektrische Widerstand zu
denjenigen physikalischen Größen gehört, die
den größten Messbereich abdecken (von ρ =
10−8 Ω m bei Edelmetallen bis zur 1013 Ω m
bei Isolatoren; dies sind 21 Zehnerpotenzen),
gibt seine Analyse oftmals genauen Aufschluss Abb. 4.7 Prinzipieller Verlauf des spezifischen
über die physikalischen Prozesse im atomaren elektrinscher Widerstandes für einen metallischen
Bereich. Leiter, einen Halbleiter und einen Supraleiter
278 4 Elektrizität und Magnetismus

Tabelle 4.2 Eigenschaften einiger Leiterwerkstoffe


(Bezugswiderstand R20 )

Werkstoff spezifischer Temperatur-


elektrischer koeffizient α
Widerstand ρ
in Ω cm in 10−3 K−1

Silber 1,6 · 10−6 3,8 Abb. 4.8 Strom-Spannungs-Kennlinien für einen


Kupfer 1,7 · 10−6 3,9 metallischen Leiter nach dem Ohm’schen Gesetz, eine
Gold 2,2 · 10−6 3,9 Halbleiterdiode und eine Gasentladungsröhre
Aluminium 2,7 · 10−6 4,7
Platin 1 · 10−5 3,9
Platin- und der Stromstärke I als Wirkung wird
Iridium 3,2 · 10−5 2 Strom-Spannungs-Kennlinie genannt. Ab-
Platin- bildung 4.8 zeigt drei typische Verläufe für
Rhodium 2 · 10−5 1,7 einen metallischen Leiter, der dem Ohm’schen
Zinn 1,1 · 10−5 4,6 Gesetz folgt, eine Halbleiterdiode und eine
Gasentladungsröhre.
Tabelle 4.2 zeigt ausgewählte Zahlenwerte für Ohm fand für viele Leiter einen linearen Zu-
den spezifischen elektrischen Widerstand ρ sammenhang zwischen Strom I und Spannung
(Resistivität) und den Temperaturkoeffizien- U: I ∼ U. Für den Widerstand R gilt dann
ten α. Bei vielen reinen Metallen liegt der
Temperaturkoeffizient α bei 1/ 250 K−1 . Kaum U
R= , (4.19)
temperaturabhängige Speziallegierungen sind I
Konstantan (60% Cu, 40% Ni: α = 3 · 10−5 K−1 ) U = RI . (4.20)
und Manganin (86% Cu, 2% Ni, 12% Mn:
α = 2 · 10−5 K−1 ). Solche Werkstoffe werden Es sei besonders betont, dass das Ohm’sche
beispielsweise zur Herstellung konstanter Wi- Gesetz zwar für Metalle und Elektrolyte bei
derstände verwendet. konstanter Temperatur gut erfüllt ist, im All-
Bei Halbleitern fällt der spezifische Wider- gemeinen aber nur einen – wenn auch bedeu-
stand mit steigender Temperatur zunächst und tenden – Spezialfall darstellt.
steigt dann entsprechend dem Widerstands-
verhalten der Metalle mit zunehmender Tem- 4.1.6 Kirchhoff’sche Regeln im verzweigten
peratur an. Stromkreis
Supraleiter zeigen unterhalb der Sprung-
temperatur TC überhaupt keinen messbaren Die Kirchhoff ’schen Regeln (G. Kirchhoff,
Widerstand mehr. Die Erklärungen für den 1824 bis 1887) beschreiben das Verhalten der
unterschiedlichen Widerstandsverlauf in Ab- elektrischen Ströme in einem verzweigten
hängigkeit von der Temperatur erfolgen in Stromkreis (Knotenregel) und der Span-
Abschn. 9.2. nungen in einem geschlossenen Stromkreis
(Maschenregel).
4.1.5 Ohm’sches Gesetz
1. Kirchhoff’sches Gesetz (Knotenregel)
Der Zusammenhang zwischen der Span- Nach dem Gesetz der Ladungserhaltung müs-
nung U als Ursache des Ladungstransports sen alle einem Stromknoten zugeführten La-
4.1 Physikalische Gesetze und Definitionen 279

dungen (+) gleich den abfließenden Ladungen


(−) sein. Dies bedeutet für die Ströme an einem
Knoten:

Die Summe aller Ströme eines Strom-


knotens ist null: Abb. 4.10 Stromverteilung bei Parallellschaltung von

m drei Widerständen
Ii =0. (4.21)
i=1
Für den Fall dreier parallel geschalteter Wider-
stände gemäß Abb. 4.10 gilt z. B.
Hierbei werden zufließende Ströme positiv 1 1 1 1
und abfließende Ströme negativ eingesetzt. I : I1 : I2 : I3 = : : : .
R R1 R2 R3
Dies zeigt Abb. 4.9. Danach gilt Für den häufig vorkommenden Fall zweier par-
I1 + I2 − I3 − I4 − I5 − I6 =0 allelgeschalteter Widerstände schreibt man
1 1 1
I : I1 : I2 = : : .
oder R R1 R2
Für die Stromstärke I1 und I2 folgt daraus
I1 + I2 = I3 + I4 + I5 + I6 . 1 1
I1 : I2 = : ,
R1 R2
Die Knotenregel spielt bei der Aufteilung des
Stromflusses eine Rolle, wie dies bei Parallel-
I1 R2
schaltungen vorkommt. Hier gilt aufgrund des = . (4.23)
Ohm’schen Gesetzes I = U / R für die Strom- I2 R1
bzw. Widerstandsverhältnisse:
Die Teilströme verhalten sich in diesem Fall
In einer Parallelschaltung verhält sich umgekehrt wie die zugehörigen Teilwider-
der Gesamtstrom zu den einzelnen Teil- stände.
strömen umgekehrt wie der Gesamtwi-
derstand zu den Teilwiderständen. 2. Kirchhoff’sches Gesetz (Maschenregel)
Nach dem Energieerhaltungssatz muss beim
Iges : I1 : I2 : I3 : … : In Transport einer elektrischen Ladung in einem
1 1 1 1 1 geschlossenen Stromkreis (Masche) die zuge-
= : : : :…: . (4.22)
Rges R1 R2 R3 Rn führte und die abgegebene elektrische Arbeit
gleich groß sein. Für die elektrische Span-
nung U als Maß dafür gilt:

Die Summe aller treibenden Spannun-


gen (U0i ) ist gleich der Summe aller Span-
nungsabfälle (Uabj ).


k
n
U0i = Uabj . (4.24)
i=1 j=1
Abb. 4.9 Knotenregel
280 4 Elektrizität und Magnetismus

Werden die Spannungspfeile entsprechend Für drei Reihenwiderstände lautet das Verhält-
den Vorschriften (für Spannungsquellen von nis
Plus nach Minus und für Spannungsab-
U1 : U2 : U3 = R1 : R2 : R3 .
fälle in Richtung der Stromstärke, Abb. 4.4)
eingesetzt, so kann die Maschenregel auch Für den häufig vorkommenden Fall zweier Wi-
folgendermaßen formuliert werden: derstände, wiedergegeben in Abb. 4.12, ergibt
sich
Die Summe aller Spannungen eines
Stromkreises (Masche) ist null. U1 R1
= . (4.27)

m U2 R2
Ul =0. (4.25)
l=1
oder
U0 (R1 + R2 )
Es sind in Zählrichtung verlaufende Spannun- = ,
U1 R1
gen positiv und gegen die Zählrichtung ver-
laufende Spannungen negativ einzusetzen. Für hieraus folgt
die vorliegende Masche gemäß Abb. 4.11 gilt
R1
also nach (4.25) U1 = U0 . (4.28)
(R1 + R2 )
U1 − U02 + U4 + U03 − U3 − U2 − U01 =0.
Diese Gleichung spielt bei der Spannungs-
Bei der Reihenschaltung von Widerständen
teilerschaltung (Abschn. 4.1.9) eine wichtige
gilt für die Teilspannungen nach der Ma-
Rolle.
schenregel und wegen des Ohm’schen Gesetzes
Bestehen Stromkreise aus einer Vielzahl von
U = R I:
Maschen (Maschenanzahl m) mit mehreren
In einer Reihenschaltung verhalten sich Verzweigungsknoten (Knotenanzahl k), dann
die Teilspannungen wie die zugehörigen liegt ein „Netzwerk“ vor. Für die Anzahl zI der
Widerstände. Gleichungen zur Errechnung aller Teilströme
gilt bei gegebenen Spannungsquellen und Wi-
U1 : U2 : U3 : · · · : Un = derständen
= R1 : R2 : R3 : · · · : Rn . (4.26)
m + k > zI . (4.29)

Abb. 4.12 Spannungsverteilung bei Reihenschaltung


Abb. 4.11 Maschenregel von zwei Widerständen
4.1 Physikalische Gesetze und Definitionen 281

Dies bedeutet, dass die Summe aus der Anzahl


der Maschen m und der Anzahl der Knoten k
n
Rges = R1 + R2 + R3 + · · · + Rn = Ri ,
immer größer als die Anzahl zI der zu errech- i=1
nenden Teilströme ist. Somit stehen mehr Glei- (4.30)
chungen als zu lösende Variablen zur Verfü- 1 1 1 1 1
gung. Die nicht zur Lösung verwendeten Glei- = + + + ··· +
Gges G1 G2 G3 Gn
chungen werden sinnvollerweise zur Probe der
n
1
errechneten Stromwerte eingesetzt. = = Rges . (4.31)
i=1
G i

4.1.7 Schaltung von Widerständen In einer Reihenschaltung ist der Gesamt-


widerstand die Summe der Einzelwider-
Reihenschaltung stände. Der Kehrwert des Gesamtleitwer-
Abbildung 4.13 zeigt die Reihenschaltung von tes ist gleich der Summe der Kehrwerte
n Widerständen. Da keine Knoten vorhan- der Einzelleitwerte.
den sind, kann keine Stromaufteilung erfolgen.
Dies bedeutet, dass bei einer Reihenschaltung
die Stromstärke konstant bleibt, d. h., alle Bau-
Parallelschaltung
elemente werden von derselben Stromstärke
Abbildung 4.14 zeigt die Parallelschaltung von
durchlaufen.
Widerständen. Nach der Maschenregel muss
Die zugehörige Maschenregel (4.24) lautet
in jedem Stromkreis dieselbe Spannung U
U = U1 + U2 + U3 + · · · + Un , abfallen. Dies bedeutet, dass bei einer Par-
U = R1 I + R2 I + R3 I + · · · + Rn I . allelschaltung die Spannung konstant bleibt,

Der gesamte Spannungsabfall kann auch durch


einen Gesamtwiderstand ausgedrückt werden,
sodass gilt

U = Rges I .
Damit ergibt sich

Rges I = R1 I + R2 I + R3 I + · · · + Rn I
und nach Divsion durch die konstante Strom-
stärke I

Abb. 4.13 Gesamtwiderstand bei der Reihenschaltung Abb. 4.14 Gesamtwiderstand bei der Parallelschaltung
282 4 Elektrizität und Magnetismus

d. h., an jedem Bauelement fällt dieselbe Span-


I 1 1 1 1
nung U ab. Das vorliegende Netzwerk hat = + + + ··· +
einen Knoten und n Maschen. Rges R1 R2 R3 Rn
Knotenregel: n
1
= , (4.32)
i=1
R i
I = I1 + I2 + I3 + · · · + In (a)
n
Gges = G1 + G2 + G3 + · · · + Gn = Gi .
i=1
Maschenregel:
(4.33)
U
U = I1 R1 ergibt I1 = , (b) In einer Parallelschaltung ist der Kehr-
R1 wert des Gesamtwiderstandes gleich der
U
U = I2 R2 ergibt I2 = , (c) Summe der Kehrwerte der Einzelwider-
R2 stände. Dies hat zur Folge, dass der Ge-
U
U = I3 R3 ergibt I3 = , (d) samtwiderstand kleiner als der kleinste
R3 Einzelwiderstand ist. Der gesamte Leit-
wert ist die Summe der Einzelleitwerte.
und so fort bis

U
U = In Rn ergibt In = . (n + 1) Beispiel
Rn
4.1-2 Gegeben seien die Widerstände einer Drei-
ecksschaltung (RD ) oder einer Sternschaltung (RS )
Werden die aus den Maschenregeln berechne-
gemäß Abb. 4.15. Es sollen aus der Dreiecksschal-
ten Stromstärken I1 bis In (Gleichungen (b) bis
tung die Sternwiderstände (Dreieck-Stern-Trans-
(n + 1)) in die Formel für die Gesamtstrom- formation) bzw. aus der Sternschaltung die Drei-
stärke I (a) eingesetzt, so ist eckswiderstände (Stern-Dreieck-Transformation)
errechnet werden. Wie groß sind die entsprechenden
U U U U Widerstände, wenn a) alle Widerstände gleich, bzw. b)
I = + + + ··· + . wenn RD12 = 100 Ω, RD23 = 150 Ω, RD31 = 200 Ω und
R1 R2 R3 Rn
RS10 = 12 Ω, RS20 = 48 Ω, RS30 = 72 Ω sind?

Wird die gesamte Stromstärke I durch den Lösung


Gesamtwiderstand Rges ausgedrückt, so erhält a) Dreieck-Stern-Transformation für gleiche Wider-
man stände:
Für den Widerstand zwischen zwei Klemmen
U (Abb. 4.15) gilt
I = .
Rges RD (RD + RD ) 2
2 RS = = RD oder (4.34)
3 RD 3
Somit ist
RD
U U U U U RS = und (4.35)
= + + + ··· + 3
Rges R1 R2 R3 Rn RD = 3 RS . (4.36)

oder nach Division mit der konstanten Span- b) Dreieck-Stern-Transformation für unterschiedliche
nung U Widerstände:
4.1 Physikalische Gesetze und Definitionen 283

Abb. 4.15 Dreieck-Stern-Schaltung (a) und Stern-Dreieck-Schaltung (b) für gleiche Widerstände

Dabei geht man folgendermaßen vor. Zunächst bildet Für die drei Unbekannten RD12 , RD23 und RD31 gelten
man die drei möglichen Summen zweier Sternwider- folgende Umrechnungsbeziehungen:
stände RS1 + RS2 (4.37), RS1 + RS3 (4.38) und RS2 + RS3
(4.40). Wird (4.38) von (4.37) abgezogen, dann erhält RS1 RS2
man (4.39): RD12 = RS1 + RS2 + , (4.45)
RS3
R R
RS1 + RS2 =
RD12 (RD23 + RD31 )
(4.37) RD23 = RS2 + RS3 + S2 S3 , (4.46)
RD12 + RD23 + RD31 RS1
RS3 RS1
RD31 (RD12 + RD23 ) RD31 = RS3 + RS1 + . (4.47)
−(RS1 + RS3 ) = (4.38) RS2
RD12 + RD23 + RD31

Mit den angegebenen Widerständen errechnen sich die


RS2 − RS3 =
Sternwiderstände ((4.42) bis (4.44)) zu
RD12 RD23 + RD12 RD31 − RD31 RD12 − RD31 RD23
(4.39) 100 · 200
RD12 + RD23 + RD31 RS1 = Ω = 44,44 Ω ;
100 + 150 + 200
Wird zu dieser Gleichung (4.40) addiert (Eliminierung 100 · 150
des Sternwiderstands RS3 ), erhält man folgenden Aus- RS2 = Ω = 33,33 Ω ;
100 + 150 + 200
druck für 2RS2 (4.41) bzw. (4.42):
150 · 200
RD23 (RD12 + RD31 )
RS3 = Ω = 66,67 Ω .
100 + 150 + 200
+RS2 + RS3 = (4.40)
RD12 + RD23 + RD31
Für die Dreieckswiderstände gelten nach (4.45) bis
(4.47)
2RD12 RD23
2RS2 = (4.41) 12 · 48
RD12 + RD23 + RD31 RD12 = 12 Ω + 48 Ω + Ω = 68 Ω ;
72
48 · 72
RD23 = 48 Ω + 72 Ω + Ω = 408 Ω ;
RD12 RD23 12
RS2 = . (4.42)
RD12 + RD23 + RD31 72 · 12
RD31 = 72 Ω + 12 Ω + Ω = 102 Ω .
48

Entsprechend gelten die Umrechnungsgleichungen

4.1.8 Messbereichserweiterung
RD12 RD31
RS1 = , (4.43)
RD12 + RD23 + RD31
Strommesser (Amperemeter)
RD23 RD31
RS3 = . (4.44) Um die Stromstärke in einem Stromkreis mes-
RD12 + RD23 + RD31
sen zu können, muss der Strommesser im
284 4 Elektrizität und Magnetismus

Stromkreis (Hauptschluss) liegen. Der Innen- Spannungsmesser (Voltmeter)


widerstand Ri des Strommessers muss mög- Um den Spannungsabfall in einem Stromkreis
lichst klein sein, damit die volle Spannung U0 messen zu können, muss der Spannungsmes-
am äußeren Widerstand Ra abfallen kann. ser parallel zum zu messenden Spannungs-
Müssen Ströme gemessen werden, die den abfall (Nebenschluss) liegen. Der Innenwider-
Messbereich des Strommessers überschreiten stand Ri des Spannungsmessers muss mög-
würden, so muss der überschüssige Stroman- lichst groß sein, damit möglichst wenig Strom
teil am Amperemeter vorbeigeleitet werden. durch das Voltmeter fließt und der ganze
Dies bezweckt ein parallel geschalteter Wi- Strom durch Ra fließen kann.
derstand Rp (Shunt, Nebenwiderstand). Ab- Müssen Spannungen gemessen werden, die
bildung 4.16 zeigt die Schaltung zur Messbe- den Messbereich des Spannungsmessers über-
reichserweiterung eines Strommessers. Wird schreiten, so muss der die Höchstspannung
die neu zu messende Stromstärke mit In und übersteigende Teil der Spannung an einem
die höchstmögliche Stromstärke durch das Vorwiderstand RV abfallen, verdeutlicht in
Amperemeter mit Ia bezeichnet, so fließt durch Abb. 4.17. Die neu zu messende Spannung
den Parallelwiderstand Rp die Stromstärke wird mit Un und der höchstmögliche Span-
In − Ia . Da sich gemäß (4.23) bei der Paral- nungsabfall im Voltmeter mit Ua bezeichnet.
lelschaltung die Stromstärken umgekehrt wie Da sowohl der Vorwiderstand RV als auch das
die Widerstände verhalten, gilt Voltmeter von demselben Strom I durchflos-
sen werden, gilt
Ia Rp
= . Un − Ua Ua
In − Ia Ri I = = .
RV Ri
Daraus lässt sich der parallel zu schaltende Wi-
derstand errechnen: Daraus ergibt sich der Vorwiderstand


Un
Rp = I
Ri
. (4.48) RV = Ri −1 . (4.49)
n Ua
−1
Ia

Beispiel
4.1-3 a) Der Messbereich eines Amperemeters (Ia =
10 mA; Ri = 0,5 Ω) soll auf 100 mA, 1 A, 10 A und
20 A und b) der Messbereich eines Voltmeters (Ua =

Abb. 4.16 Messbereichserweiterung eines Abb. 4.17 Messbereichserweiterung eines


Strommessers Spannungsmessers
4.1 Physikalische Gesetze und Definitionen 285

100 mV; Ri = 100 Ω) auf 1 V, 10 V, 100 V und 1 kV er-


weitert werden. Die entsprechenden Widerstände sind
zu ermitteln.

Lösung

a) Messbereichserweiterung des Amperemeters:


Nach (4.48) gilt im vorliegenden Fall
0,5 Ω
Rp = I .
n
−1
0,01
Erweiterung auf
0,5 Ω
100 mA : Rp = = 0,055 Ω ; Abb. 4.18 Wheatstone’sche Brücke
10 − 1
0,5 Ω
1A : Rp = = 5,050 · 10−3 Ω ;
100 − 1
0,5 Ω Masche ACD:
10 A : Rp = = 5,005 · 10−4 Ω ;
1 000 − 1
0,5 Ω Rn I1 − R1 I2 = 0 oder Rn I1 = R1 I2 (a)
20 A : Rp = = 2,501 · 10−4 Ω .
2 000 − 1
Masche CBD:
b) Messbereichserweiterung des Voltmeters:
Nach (4.49) gilt im vorliegenden Fall

Rx I1 − R2 I2 = 0 oder Rx I1 = R2 I2 (b)
Un
RV = 100 Ω −1 .
0,1 V Durch Division von (b) und (a) erhält man
Erweiterung auf Rx R2
= .
1V : RV = 100 Ω · (10 − 1) = 900 Ω ; Rn R1
10 V : RV = 100 Ω · (100 − 1) = 9 900 Ω ;
Damit errechnet sich der gesuchte Widerstand
100 V : RV = 100 Ω · (1 000 − 1) = 99 900 Ω ;
1 kV : RV = 100 Ω · (10 000 − 1) = 999 900 Ω . zu

R2
4.1.9 Ausgewählte Messanordnungen
Rx = Rn . (4.50)
R1

Wheatstone’sche Brücke
Mit der Wheatstone’schen Brücke (C. Wheat- Potentiometerschaltung
stone, 1802 bis 1875) lassen sich Ohm’sche Mit Hilfe der Schaltung entsprechend Abb. 4.19
Widerstände bestimmen. Abbildung 4.18 wird eine Aufteilung der Gesamtspannung U1
zeigt das Schaltschema der Wheatstone’schen in kleinere Teilspannungen möglich (Span-
Brücke. nungsteiler), indem ein Schleifkontakt den
Der zu messende Widerstand Rx wird zwi- Gesamtwiderstand Rges in die Anteile R1
schen die Klemmen C und B eingesteckt. Der und R2 aufteilt (zur technischen Ausführung
Gleitkontakt wird auf einem Widerstandsdraht s. Abb. 4.6). Für die abgegriffene Spannung Ux
zwischen A und B so lange verschoben, bis ist es entscheidend, ob der Spannungsteiler
über die Brücke CD kein Strom mehr fließt. unbelastet (Abb. 4.19a) oder wegen des Strom-
(Punkt D ist der Gleitkontakt.) Dann gilt die flusses durch einen äußeren Widerstand Ra
Maschenregel (4.25) für belastet ist (Abb. 4.19b).
286 4 Elektrizität und Magnetismus

+ R2 ). Dann ist der Strom Ia durch den Außen-


widerstand Ra vernachlässigbar.

Beispiel
4.1-4 Eine Spannungsquelle mit U1 = 24 V ist an
einem Gesamtwiderstand von 8 Ω angeschlossen. An
einem Teilwiderstand von R2 = 1 Ω wird die Span-
nung Ux abgegriffen. Wie groß ist sie im unbelasteten
und im belasteten Zustand, wenn der äußere Wider-
Abb. 4.19 Potentiometerschaltung stand a) gering (Ra = 0,5 Ω) bzw. wenn er b) hoch ist
(Ra = 100 Ω)?

Lösung
Für den unbelasteten Fall gilt
U1 a) Geringer äußerer Widerstand Ra = 0,5 Ω.
I = (a) und Ux = R2 I (b) . 1
R1 + R2 Unbelasteter Zustand: Ux = 24 V = 3 V,
8
Wird (a) in (b) eingesetzt, so ergibt sich für die 1 · 0,5
belasteter Zustand: Ux = 24 V = 1,109 V.
gesuchte Teilspannung Ux 7 · 1 + 0,5 · 8
b) Hoher äußerer Widerstand Ra = 100 Ω.
Unbelasteter Zustand: unverändert Ux = 3 V,
R2
Ux = U1 . (4.51) belasteter Zustand: Ux = 24
1 · 100
V = 2,97 V.
R1 + R2 7 · 1 + 100 · 8
Der Wert der abgegriffenen Spannung Ux im belaste-
Dies bedeutet, dass sich die Gesamtspan- ten Fall weicht bei einem großen äußeren Widerstand
nung U1 im Verhältnis des Teilwiderstandes kaum vom unbelasteten Fall ab (in diesem Beispiel le-
diglich um 1%).
zum Gesamtwiderstand aufteilt.
Im Belastungsfall fließt durch Ra der Strom Ia
und durch R2 nur noch die Stromstärke I − Ia . Kompensationsmethode nach Poggendorf
Da R2 und Ra parallel geschaltet sind, ist der Die nach J.C. Poggendorf (1796 bis 1877)
Gesamtwiderstand benannte Methode gestattet es, die „Urspan-
R2 Ra nung“ U0 von solchen Spannungsquellen zu
Rp = .
ermitteln, deren Spannung mit steigendem
R2 + Ra
Stromdurchfluss absinkt (z. B. bei galvani-
Wird dieser in (4.51) eingesetzt, dann beträgt
schen Elementen, Abb. 4.5 und Abschn. 4.2).
die Spannung Ux
Dies geschieht dadurch, dass der Stromfluss
Rp durch eine entgegengesetzt gleich große Span-
Ux = U1
R1 + Rp nung „kompensiert“ wird (daher der Name
oder Kompensationsmethode). Abbildung 4.20
zeigt die zugehörige Schaltung. Eine Span-
nungsquelle mit der Spannung U wird mit den
R2 Ra
Ux = U1 . (4.52) gleichen Polen über einen Spannungsteiler an
R1 R2 + Ra (R1 + R2 )
die zu messende Urspannung U0 angeschlos-
sen. Ein Schleifkontakt wird so verschoben,
Gleichung (4.52) geht in (4.51) über, wenn dass der Stromkreis mit der Urspannung U0
R1 R2 << Ra (R1 + R2 ) ist, bzw. Ra >> R1 R2 / (R1 stromlos wird (I0 = 0). Dann fällt am Teilwi-
4.1 Physikalische Gesetze und Definitionen 287

Abb. 4.20 Schema der Kompensationsmethode

derstand Rx die Spannung U0 ab, sodass gilt Abb. 4.21 Stromkreis mit Spannungsquelle
U0 = Rx I. Mit I = U / R erhält man (Urspannung U0 und innerem Widerstand Ri ) und
äußerem Verbraucherwiderstand Ra

Rx
U0 = U. (4.53) Aus (4.55) ist ersichtlich, dass die Klemmen-
R
spannung UKl umso kleiner wird, je größer die
Stromstärke I ist. Diese errechnet sich nach
dem Ohm’schen Gesetz zu
4.1.10 Klemmenspannung
und innerer Widerstand U0
I = . (4.56)
Ri + Ra
Spannungsquellen erzeugen zwischen zwei
Punkten (den Klemmen) eine Spannung
Eingesetzt in (4.55) erhält man für die Klem-
(Klemmenspannung UKl ). Im Inneren der
menspannung
Spannungsquellen findet eine Umwandlung
in elektrische Energie statt (z. B. bei galvani-
U0 Ra
schen Elementen von chemischer in elektri- UKl = . (4.57)
sche Energie, Abb. 4.5). Die dadurch erzeugte Ri + Ra
Urspannung U0 , angelegt an einen Stromkreis,
führt zum Transport der Ladungsträger. Hieraus lässt sich der innere Widerstand einer
Wegen des inneren Widerstandes Ri der Span- Spannungsquelle berechnen:
nungsquellen selbst (z. B. Widerstand der
Elektrolytflüssigkeit bei einem galvanischen
U0
Element) fällt ein Teil der Urspannung als Ri = Ra −1 . (4.58)
innerer Spannungsabfall Ui = Ri I bereits in UKl
der Spannungsquelle ab, wie es Abb. 4.21
verdeutlicht. Damit steht zum Abfall an ei-
nem Verbraucherwiderstand nur noch die Beispiel
Klemmenspannung UKl zur Verfügung: 4.1-5 Eine Autobatterie hat eine Urspannung von
12,6 V und einen inneren Widerstand Ri = 120 mΩ.
Der Zuleitungswiderstand zum Anlasser beträgt
UKl = U0 − Ui , (4.54) 10 mΩ. Zum Anlassen wird eine Stromstärke von 60 A
benötigt. Wie groß ist beim Beginn des Anlassens die
UKl = U0 − Ri I . (4.55) Klemmenspannung an der Batterie und am Anlasser
sowie der Verbraucherwiderstand Ra ?
288 4 Elektrizität und Magnetismus

Lösung Ist Ra klein im Vergleich zu Ri , so kann der äu-


Für die Klemmenspannung gilt nach (4.55) ßere Widerstand vernachlässigt werden. Dann
UKl = U0 − Ri I. ist I = U0 / Ri , d. h., die Stromstärke ist nur
Ri = 0,12 Ω für Batterieklemmen: so groß wie bei einem einzigen Spannungs-
UKl = 12,6 V − 0,12 Ω. 60 A = 5,4 V; element und die Schaltung bietet keinen Vor-
Ri = 0,13 Ω für Anlasserklemmen: teil. Ist dagegen Ra vergleichsweise zu nRi groß,
UKl = 12,6 V − 0,13 Ω · 60 A = 4,8 V. so ist I = n U0 / Ra , d. h. die Stromstärke wird
Aus (4.56) folgt für den äußeren Verbraucherwider- proportional zur Anzahl der Spannungsquellen
stand vergrößert.
U0 12,6
Ra = − Ri = Ω − 0,13 Ω = 0,08 Ω . Parallelschaltung
I 60
Werden n Spannungsquellen gemäß Abb. 4.23
parallel geschaltet, so ist die Urspannung zwar
gleich der eines einzelnen Elementes, aber
4.1.11 Schaltung von Spannungsquellen
der gesamte Innenwiderstand vermindert sich
auf Ri / n. Damit beträgt die Stromstärke I
Soll die Stromstärke durch einen Strom-
nach (4.56)
kreis möglichst groß werden, so können
Spannungselemente in Reihe oder parallel
U0
geschaltet werden. Ausschlaggebend ist der I = Ri
. (4.60)
äußere Widerstand. Bei einem großen äuße- Ra +
n
ren Widerstand Ra ist die Reihenschaltung
und bei einem kleinen äußeren Widerstand Ra
die Parallelschaltung vorteilhaft. Am Beispiel Bei einem großen Verbraucherwiderstand Ra
gleich großer Spannungselemente seien die im Vergleich zum inneren Widerstand Ri ist
Zusammenhänge erläutert. Ri / n vernachlässigbar klein, sodass die Strom-
stärke nur so groß ist wie bei einem einzi-
Reihenschaltung gen Spannungselement und die Schaltung bie-
Werden n Spannungsquellen in Reihe geschal- tet keinen Vorteil. Ist dagegen Ra vergleichs-
tet, wie es Abb. 4.22 zeigt, so addieren sich die weise vernachlässigbar zu Ri / n, dann steigt die
Urspannungen zu n U0 und die inneren Wider- Stromstärke um das n-fache an.
stände zu n Ri . Damit erhält man nach (4.56)
für die Stromstärke I Gruppenschaltung
Werden n Spannungsquellen hintereinander
n U0 und m solcher Reihen parallel geschaltet,
I = . (4.59) so liegt eine Gruppenschaltung vor. Abbil-
Ra + n Ri
dung 4.24 zeigt das Prinzip. Die gesamte

Abb. 4.22 Reihenschaltung von Spannungsquellen Abb. 4.23 Parallelschaltung von Spannungsquellen
4.1 Physikalische Gesetze und Definitionen 289

2 · 1,5
I= A = 1,04 · 10−3 A .
2 · 7 000
80 +
5
Gruppenschaltung 5 · 2.
Nach (4.61) gilt
5 · 1,5
I= A = 4,27 · 10−4 A .
5 · 7 000
80 +
2
Die Stromstärke bei der Parallelschaltung ist am größ-
ten (Ra >> Ri ).

Beispiel
4.1-7 Für eine Gruppenschaltung soll die Stromstärke
Abb. 4.24 Gruppenschaltung von Spannungsquellen
maximiert werden. Gegeben ist die Gesamtanzahl z =
m n Elemente.

Urspannung beträgt dann nU0 und der ge- Lösung


samte innere Widerstand nRi / m. Damit ist die Nach (4.61) gilt
Stromstärke I nach (4.56)
n U0 z
I= , da n = ;
n Ri m
Ra +
n U0 m
I = n Ri
. (4.61)
z m U0
Ra + I= 2 .
m m Ra + zRi

Für eine maximale Stromstärke gilt

Beispiel dI (m2 Ra + z Ri ) z U0 − z m U0 (2m Ra )


=0= .
4.1-6 Zehn Trockenbatterien mit einer Nennspan- dm (m2 Ra + z Ri )2
nung von je 1,5 V und einem Innenwiderstand von
Ri = 7 kΩ werden an einen Verbraucher mit Ra = 80 Ω Da der Nenner ungleich 0 ist, kann mit diesem die
angeschlossen. Wie groß ist die Stromstärke bei a) Gleichung multipliziert werden, sodass nur noch der
Reihenschaltung, b) Parallelschaltung und c) bei der Zähler gleich 0 übrig bleibt:
Gruppenschaltung 2 · 5 sowie 5 · 2? Bei welcher Schal-
tung ist die Stromstärke am größten? (m2 Ra + z Ri ) z U0 − z m U0 (2 m Ra ) = 0 ,
m2 z Ra U0 + z2 Ri U0 − 2 m2 z Ra U0 = 0| : z U0 ,
Lösung
m2 Ra + z Ri − 2 m2 Ra = 0 ,
a) Reihenschaltung.
m2 Ra = z Ri ,
Nach (4.59) gilt
10 · 1,5
I= A = 2,14 · 10−4 A .
80 + 10 · 7 000
Ri
b) Parallelschaltung. m= z .
Ra
Nach (4.60) gilt
1,5
I= A = 1,92 · 10−3 A . Setzt man für z = m n, so gilt m2 Ra = m n Ri oder
7 000
80 +
10
m R
c) Gruppenschaltung 2 · 5. = i .
n Ra
Nach (4.61) gilt
290 4 Elektrizität und Magnetismus

P=UI . (4.62)

Die Einheit ist 1 VA = 1 W (Watt). Gebräuch-


lich ist auch die Einheit kW = 103 W.
Mit Hilfe des Ohm’schen Gesetzes kann die
Leistung in weiteren Schreibweisen dargestellt
werden. In Tabelle 4.3 sind die mit der elektri-
schen Leistung P zusammenhängenden Glei-
chungen für U, R und I zusammengestellt.
Abb. 4.25 Verlauf der Stromstärke in Abhängigkeit von Die Arbeit ist definiert als Produkt aus Leis-
der Anzahl m parallel geschalteter Spannungsquellen tung und Zeit:
für U0 = 2 V

W = Pt . (4.72)
Das Maximum der Stromstärke ist von der Urspannung
unabhängig. Für Ri = 1,2 Ω, Ra = 0,3 Ω und z = mn =
64 gilt Dies bedeutet, dass alle Gleichungen in Ta-
belle 4.3 für die elektrische Arbeit entspre-
1,2
m = 64 = 16 und n = 4 . chend (4.72) anwendbar sind. Wird für P das
0,3
Produkt U I gesetzt, so erhält man
Abbildung 4.25 zeigt den Verlauf der Stromstärke in
Abhängigkeit von der Anzahl m der parallel geschal-
teten Spannungselemente. Wie bereits ermittelt, liegt W = UIt . (4.73)
das Maximum der Stromstärke bei m = 16.

4.1.12 Elektrische Leistung Die Umrechnung mit dem Ohm’schen Ge-


und elektrische Arbeit setz (4.20) und (4.67) ergibt

Wie bereits in Abschn. 4.1.3 erläutert, ist die W = R I2 t , (4.74)


Spannung U über die abgegebene Leistung 2
U
definiert (4.10), sodass man für die Leistung W = t. (4.75)
R
schreibt

Tabelle 4.3 Gleichungen zur elektrischen Leistung

Elektrische Spannung U Widerstand R Stromstärke I


Leistung P

U U
P=UI (4.62) U = RI (4.19) R= (4.18) I = (4.69)
I R
U2 P U2 P
P= (4.63) U = (4.65) R= (4.67) I= (4.70)
R I P U
√ P P
P = I2 R (4.64) U = RP (4.66) R= 2 (4.68) I= (4.71)
I R
4.1 Physikalische Gesetze und Definitionen 291

Da I t = Q ist, kann (4.73) auch geschrieben Die Arbeit des elektrischen Stroms besteht
werden sehr häufig in der Reibungsarbeit der flie-
ßenden Ladungsträger (Elektronen), die
Stromwärme oder Joule’sche Wärme er-
W =UQ. (4.76)
zeugen. Die engen Beziehungen zwischen
Wärme und elektrischer Leitfähigkeit sind
in Abschn. 9.3.2 (thermoelektrische Effekte)
Es sei darauf hingewiesen, dass die Beziehun-
ausführlich beschrieben.
gen für die elektrische Leistung bzw. Arbeit, in
Die Zusammenhänge zwischen elektrischer
denen die Stromstärke I vorkommt, nur dann
Arbeit, elektrischer Feldstärke E und der elek-
gültig sind, wenn die Stromstärke I konstant
trischen Kraft F el sind in Abschn. 4.3 hergelei-
ist. In diesem Fall ist die abgegebene Arbeit W
tet.
proportional zur Zeit, sodass die Leistung P
konstant ist. Fließt dagegen keine konstante Beispiel
Stromstärke, so muss die Momentanleistung 4.1-8 An einer Spule mit einem Widerstand von 8 Ω
bestimmt werden, die als Differentialquotient liegt eine konstante Spannung von 12 V. Der Strom
der Arbeit W nach der Zeit t definiert ist (vgl. steigt in 0,3 s von 0 auf 1,5 A und bleibt dann konstant.
dazu die Ausführungen in der Mechanik, Ab- Wie groß ist die elektrische Arbeit nach 0,3 s und nach
1 s? – Wird die abgegebene Leistung bei 0,5 A, 1 A und
schn. 2.6.2, (2.70)):
1,5 A nach den Beziehungen P = U I oder P = I 2 / R
berechnet, so ergeben sich teilweise unterschiedliche
dW Werte. Warum treten diese Abweichungen auf und
P(t) = . (2.70) welche Gleichung beschreibt die Leistungsabgabe
dt
richtig?

Daraus ergibt sich Anmerkung: Der zeitlich lineare Stromanstieg ist eine
Vereinfachung. Der exakte Verlauf ist durch (4.343) in
Abschn. 4.5.3.2 gegeben.

W = P(t) dt (4.77) Lösung
a) Arbeit innerhalb t = 0,3 s.
Da die Stromstärke bis zur Zeit t = 0,3 s stetig zu-
und mit P = U I(t) nimmt, muss (4.78) angewendet werden:

0,3 s
Wel = U I(t)dt mit I(t) = kt
W = U I(t) dt . (4.78) 0

(k: Konstante) .
Damit gilt
Die elektrische Arbeit hat die Einheit VA s =

0,3 s
W s = N m = J. Damit ist die Gleichheit Wel =
1
U k t dt = U k t2 |0,3 s
. (a)
0
der elektrischen und der mechanischen Ar- 2
0
beit hergestellt, die es direkt gestattet, elek- Für die Konstante ergibt sich
trische Größen in mechanische umzurech-
ΔI 1,5 A
nen. Gebräuchlich als Einheit für die elek- k= = , in (a) eingesetzt ergibt
Δt 0,3 s
trische Arbeit ist auch 1 kWh = 3,6 · 106 W s 1 1,5
Wel = · 12 · · 0,32 VAs = 2,7 Ws .
(Nm oder J). 2 0,3
292 4 Elektrizität und Magnetismus

b) Arbeit innerhalb t = 1 s. Ü 4.1-3 Zwei gleichnamig geladene Kugeln mit der


Von 0,3 s bis 1 s, d. h. 0,7 s lang fließt der konstante Masse m = 2 g hängen an einem als masselos zu be-
Strom von 1,5 A. Dann gilt nach (4.73) trachtenden Faden mit der Länge l = 75 cm und sind
wegen der Wirkung der abstoßenden Kraft s = 25 cm
Wel = U I t = 12 · 1,5 · 0,7 VAs = 12,6 Ws . voneinander entfernt. Wie groß ist die Ladung Q der
Kugeln?
Insgesamt beträgt die elektrische Arbeit dann

Wel = 2,7 Ws + 12,6 Ws = 15,3 Ws .


4.2 Ladungstransport
c) Leistungsberechnung. in Flüssigkeiten und Gasen
0,5 A : P = I 2 R = 2 W ; P = UI = 6W ;
1 A : P = I2R = 8 W ; P = U I = 12 W ; 4.2.1 Ladungstransport in Flüssigkeiten
1,5 A : P = I 2 R = 18 W ; P = U I = 18 W .
Die Leitungsvorgänge in Flüssigkeiten gehö-
Die gesamte Leistungsabgabe wird durch die Bezie- ren zu den komplizierten Gebieten der physi-
hung P = U I ermittelt. Die Gleichung P = I 2 R be-
kalischen Chemie, speziell der Elektrochemie.
schreibt lediglich die Leistungsabgabe in Form von
Wärme (Wärmeleistung). Die Leistungsdifferenz P = In diesem Abschnitt sollen nur die wichtigs-
U I − I 2 R wird zum Aufbau eines Magnetfeldes in der ten Erscheinungen und die einfachsten Ge-
Spule verwendet (Abschn. 4.4.2). setze beschrieben werden.

Zur Übung 4.2.1.1 Dissoziation und Elektrolyse


Ü 4.1-1 Für den in Abb. 4.26 angegebenen „Strom- In metallisch leitenden Festkörpern bewegen
kreis“ sind der Gesamtwiderstand, die zum Mittel- sich beim Stromdurchgang Elektronen. Im Un-
punkt M führenden Teilströme I1M , I2M und I3M sowie terschied dazu wandern in Flüssigkeiten Io-
der gesamte Leistungsverbrauch zu bestimmen. nen, dies sind positiv oder negativ geladene
Atome oder Moleküle. Diese Ladungsträger
Ü 4.1-2 Bei einer Heizwicklung soll zur Werkstoffaus- entstehen dadurch, dass sich Salze, Säuren
wahl der spezifische Widerstand ermittelt werden. Die
oder Laugen beim Eintragen in Lösungsmit-
Wicklung ist 5 m lang, 0,15 mm dick (Durchmesser)
und muss bei einer Spannung von 230 V eine Strom- teln in positiv oder negativ geladene Moleküle
stärke von 3 A tragen können. aufspalten: sie dissoziieren.
Die Ladungsträger eines Salzes (Kupfersulfat,
CuSO4 ), einer Säure (Salzsäure, HCl) und ei-
ner Lauge (Natronlauge, NaOH) sind in Ta-
belle 4.4 aufgeführt. Die Ionen tragen elek-
trische Elementarladungen entsprechend ih-
rer chemischen Wertigkeit.

Tabelle 4.4 Dissoziation (Beispiele)

Stoff Kation Anion

CuSO4 Cu2+ SO2−


4
HCl H+ Cl−
NaOH Na+ OH−
Abb. 4.26 Schaltung zu Ü 4.1-1
4.2 Ladungstransport in Flüssigkeiten und Gasen 293

Bei der Dissoziation in Wasser schieben sich dann findet eine elektrolytische Stromleitung
die Wassermoleküle durch ihr anisotropes Di- statt (Elektrolyse). Sie unterscheidet sich von
polmoment (Beispiel 4.1-1 und Abb. 4.3) zwi- der metallischen Leitung sehr wesentlich, weil
schen die Ionen und ordnen sich um diese an, zusammen mit den Ionen nicht nur Elemen-
etwa wie es Abb. 4.27 zeigt. Die Ionen sind in tarladungen, sondern auch Materie transpor-
diesem Fall hydratisiert, d. h. von einer Wolke tiert wird. Grundsätzlich laufen an den Elek-
von Wasserdipolen umgeben. troden folgende Reduktions- bzw. Oxidations-
Da die positiven Ionen zur Kathode (Minus- prozesse, die Redoxreaktionen, ab:
pol) wandern, werden sie Kationen genannt, An die Anode werden vom Elektrolyten Elek-
im Gegensatz zu den Anionen, die zur Anode tronen abgegeben; es findet eine Oxidation
(Pluspol) wandern. Elektrisch leitende Lösun- statt. Für eine metallische Anode gilt
gen, die aus Kationen und Anionen bestehen, Me → Me+ + e .

heißen Elektrolyte.
Werden zwei Elektroden (Kathode und Anode) Dies bedeutet: Das Metall löst sich an der
gemäß Abb. 4.28 in einen Elektrolyten getaucht Anode auf und geht in Lösung. An der Ka-
und an eine Spannungsquelle angeschlossen, thode findet dagegen durch Elektronenauf-
nahme immer eine Reduktion statt. Bei dem
genannten Beispiel wird das Metallion zum
Metall reduziert:
Me+ + e− → Me .
In diesem Fall wird das Metall an der Kathode
abgeschieden.
Die Elektrolyse spielt in der Technik bei dem
Aufbringen von Metallüberzügen, dem Galva-
nisieren (nach L. Galvani, 1737 bis 1798), eine
wichtige Rolle. Die häufigsten galvanischen
Metallüberzüge bestehen aus Chrom, Nickel,
Cadmium, Gold und Silber. Sie dienen vor al-
Abb. 4.27 Hydratisierung von Ionen
lem zur Erhöhung der mechanischen (Hart-
verchromen) oder chemischen Widerstands-
fähigkeit (Vernickeln von Eisen), zur Verbesse-
rung der elektrischen Leitfähigkeit (Vergolden
oder Versilbern von Kontakten) oder aber auch
nur zur Verschönerung. Selbst auf Kunststof-
fen können galvanische Überzüge abgeschie-
den werden (Galvanoplastik).
Auch zur Metallgewinnung werden elektro-
lytische Verfahren eingesetzt. In diesem Fall
verwendet man eine unlösliche Anode und
eine Metallsalzlösung dient als Elektrolyt. An
der Kathode wird dann das sehr reine Me-
tall (99,9%) abgeschieden. Ein spezielles Ver-
Abb. 4.28 Elektrolyse (schematisch) fahren zur Metallgewinnung auf diesem Wege
294 4 Elektrizität und Magnetismus

ist die Schmelzfluss-Elektrolyse. Hierbei wer- Die Molekülanzahl N lässt sich auch aus dem
den niedriger schmelzende Metallgemische er- Quotienten aus transportierter Ladung Q und
schmolzen und aus dieser Schmelze das Metall Ladung je transportiertem Molekül z e (e ist
an der Kathode elektrolytisch abgeschieden. die Elementarladung) errechnen:
Bei Aluminium besteht die Schmelze aus Alu-
miniumoxid (Al2 O3 ) in geschmolzenem Kryo- Q It
N = = . (4.80)
lith (Na3 AlF6 ). Der Schmelzpunkt für Al2 O3 ist ze ze
2 000 ◦ C; durch das Zusatzmittel Kryolith wird
er auf 935 ◦ C herabgesetzt. Auf diese Weise Mit (4.79) und (4.80) gilt für die Masse in Ab-
werden außer Aluminium auch Magnesium, hängigkeit der transportierten Ladung
Beryllium und Cer gewonnen. m = n M = Q/ (z e NA )M,
Außerdem setzt man die Elektrolyse ein, um
aus Wasser Knallgas oder Wasserstoff herzu- M
stellen oder um Ätznatron bzw. Ätzkali zu ge- m= It . (4.81)
z NA e
winnen.
An der Anode können auch Oxidschichten
Dies ist das erste Faraday’sche Gesetz:
abgeschieden werden (anodische Oxida-
tion). Besondere Anwendung findet dies
beim Eloxalverfahren (elektrolytisch oxidier- Die Masse m des abgeschiedenen Stof-
tes Aluminium), in dem der anodisch gepolte fes ist nur der transportierten Ladungs-
Aluminiumkörper mit einer einfärbbaren kor- menge Q = I t proportional. Sie hängt
rosionsbeständigen Oxidhaut überzogen wird. weder von der Geometrie der Elektroden
Beim elektrolytischen Polieren (z. B. von Alu- noch von der Konzentration des Elektro-
minium und Edelstahl) wird das Metall an- lyten ab.
odisch so abgetragen, dass besonders glatte
Oberflächen entstehen. In einem fertigungs- Aufgrund des ersten Faraday’schen Gesetzes
technischen Verfahren können auch elektroly- ist es möglich, die Stromstärke I bzw. die
tisch feinste Löcher gebohrt (Elektroerosion) elektrische Ladung Q durch die abgeschiede-
oder gezielt Bohrlöcher entgratet werden. nen Stoffmengen zu messen (Voltameter nach
A. Volta, 1745 bis 1827, bzw. Coulombme-
4.2.1.2 Faraday’sche Gesetze ter nach A. Coulomb, 1736 bis 1806). Für
Silber gilt Ä = 1,11817 mg/(As). Dies bedeu-
Die beiden Faraday’schen Gesetze (M. Fara-
tet, dass bei einer Stromstärke von 1 A in 1 s
day, 1791 bis 1867) beschreiben den Zusam-
m = 1,11817 mg Silber abgeschieden werden
menhang zwischen transportierter Masse und
(frühere Definition des Ampère als Einheit der
Ladung. Die transportierte Masse wird durch
Stromstärke).
das Produkt aus der Stoffmenge n und der Mol-
Weiterhin gelten folgende Definitionen:
masse M bestimmt: m = n M. Die Molzahl n
Das Produkt aus Avogadro-Konstante NA und
errechnet sich aus der Molekülanzahl N divi-
Elementarladung e wird Faraday-Konstante F
diert durch die Avogadro-Konstante NA :
genannt:

N
n= . (4.79) F = NA e = 96 485 As/mol . (4.82)
NA
4.2 Ladungstransport in Flüssigkeiten und Gasen 295

Tabelle 4.5 Elektrochemische Daten einiger Elemente

Molmasse
Element Wertigkeit Molmasse elektrochemisches Faraday-Konstante
Wertigkeit
Äquivalent
g g g As
10−3
mol mol As mol

Wasserstoff 1 1,00797 1,00797 0,01046 96 364


Sauerstoff 2 15,9994 7,9997 0,08291 96 487
Aluminium 3 26,9815 8,9938 0,09321 96 490
Eisen 3 55,847 18,616 0,19303 96 441
Nickel 2 58,71 29,355 0,30415 96 515
Kupfer 2 63,54 31,77 0,32945 96 433
Zink 2 65,37 32,685 0,33875 96 487
Silber 1 107,870 107,870 1,11817 96 470
Zinn 4 118,69 29,673 0,30755 96 482
Platin 4 195,09 48,773 0,50588 96 412

Das elektrochemische Äquivalent Ä ist defi- In Tabelle 4.5 sind die Wertigkeiten, die Mol-
niert als massen, die Molmassen je Wertigkeit und die
elektrochemischen Äquivalente angegeben.
M m Zur Kontrolle wurde in der letzten Spalte aus
Ä= = . (4.83)
zF Q den Zahlenwerten (Division der Molmasse
je Wertigkeit mit dem elektrochemischen
Äquivalent) die Faraday-Konstante errechnet.
Das elektrochemische Äquivalent Ä hat die
Einheit kg/(A s) und gibt an, wie viel kg ei-
nes Stoffes bei einer Stromstärke von 1 A in 4.2.1.3 Elektrochemische Spannungsquellen
1 s abgeschieden werden. Gemäß (4.83) ist die Wird ein Metall in einen Elektrolyten ge-
Masse m proportional zur Molmasse M, aber taucht, so gibt es – wie im vorhergehenden
umgekehrt proportional zur Wertigkeit z (An- Abschnitt an einer Anodenreaktion gezeigt
zahl der Elementarladungen), sodass gilt – positive Ionen ab. Dadurch entsteht, wie
Abb. 4.29 zeigt, eine elektrische Doppelschicht
m1 M1 M2 Ä1 zwischen positivem Elektrolyt und negativer
= : = . (4.84) Elektrode. Je mehr Metallionen in Lösung
m2 z1 z2 Ä2
gehen, umso größer wird die Gegenkraft des
elektrischen Feldes der Doppelschicht, bis der
Somit lautet das zweite Faraday’sche Gesetz: Lösungsprozess zum Stillstand kommt. Die
dann erreichte Spannung zwischen Metall und
Die von gleichen Elektrizitätsmengen Elektrolyt wird Urspannung genannt. Sie kann
abgeschiedenen Massen (elektrochemi- nur mit einer zweiten Elektrode gemessen wer-
sche Äquivalente) verhalten sich wie die den. Üblicherweise wird als Bezugselektrode
Molmassen je Wertigkeit. die Standardwasserstoffelektrode (SWE) ge-
wählt. Abbildung 4.30 zeigt eine Ausführung.
296 4 Elektrizität und Magnetismus

Tabelle 4.6 Elektrochemische Spannungsreihe


der Metalle

Metall Spannung U in V

Li/Li+ −3,02
Cs/Cs+ −2,92
K/K+ −2,92
Ca/Ca2+ −2,84
Na/Na+ −2,71
Mg/Mg2+ −2,38
Al/Al3+ −1,66
Abb. 4.29 Elektrische Doppelschicht (schematisch) Mn/Mn2+ −1,05
Zn/Zn2+ −0,76
Fe/Fe2+ −0,44
Cd/Cd2+ −0,40
Ni/Ni2+ −0,25
Sn/Sn2+ −0,136
Pb/Pb2+ −0,126
H/H+ ±0
Cu/Cu2+ +0,34
Cu/Cu+ +0,52
Hg/Hg2+2 +0,798
Ag/Ag+ +0,80
Hg/Hg2+ +0,854
Pt/Pt2+ +1,2
Au/Au+ +1,42
Au/Au3+ +1,5

Abb. 4.30 Standardwasserstoffelektrode

nen eine Spannung, die gleich der Potentialdif-


Sie besteht aus einem Platinblech, das in ferenz der elektrochemischen Einzelpotentiale
eine wässrige Lösung von H3 O+ -Ionen taucht ist. So gilt beispielsweise für eine Kombination
und gleichzeitig von Wasserstoffgas umspült von Zink und Kupfer U = UCu − UZn = 0,34 −
wird. Das Potential dieser Elektrode wird ( − 0,76) V = 1,1 V. Solche Kombinationen
willkürlich gleich null gesetzt. Mit dieser werden galvanische Zellen genannt. Sie liefern
Anordnung misst man die elektrochemische Strom aufgrund des umgekehrten Vorgangs
Spannungsreihe der Metalle. Tabelle 4.6 zeigt der Elektrolyse. Mehrere zusammengeschal-
die elektrochemische Spannungsreihe der tete galvanische Zellen ergeben eine Batterie.
wichtigsten Metalle (bei 25 ◦ C). Im oberen Teil Abbildung 4.31 zeigt eine Einteilung der gal-
sind die Metalle mit negativem (d. h. Elektro- vanischen Elemente. In ihnen findet immer
nen werden abgegeben) und im unteren Teil eine Umwandlung von chemischer in elektri-
mit positivem elektrochemischen Potential sche Energie statt. Ist diese Umwandlung nicht
(Abschn. 4.3.4) zusammengestellt. mehr rückgängig zu machen (nicht aufladbar),
Tauchen zwei unterschiedliche Metalle in den- wird von Primärelementen gesprochen, ist da-
selben Elektrolyt, dann entsteht zwischen ih- gegen eine Rückwandlung möglich (wieder
4.2 Ladungstransport in Flüssigkeiten und Gasen 297

Metallverbindung (Mangan-, Silber-, Queck-


silberoxid) als positive Elektrode (Kathode)
reduziert. Für Primärelemente sind die Nor-
men DIN EN 60 086-1 bis -05 maßgebend.
Eine wichtige Vergleichsgröße sind die
volumen- bzw. gewichtsbezogenen Ener-
giedichten. Hierbei wird deutlich, dass das
Leclanché-System den niedrigsten Wert hat
und die alkalischen Zink/Luft- sowie die
Abb. 4.31 Einteilung der galvanischen Elemente Lithium-Systeme die höchsten Energiedichten
aufweisen. Eine Fülle weiterer Einflussgrößen,
wie z. B. Selbstentladung, Materialpreis und
aufladbar), so liegen Sekundärelemente (Ak- Herstellkosten, erklären die Typenvielfalt der
kumulatoren) vor. Im Unterschied zu galvani- Primärelemente und ihre unterschiedlichen
schen Zellen befinden sich in Brennstoffzellen Einsatzbereiche. So sind beispielsweise Silber-
die Reaktionspartner nicht in derselben Zelle, und Lithium-Systeme vom Materialpreis her
sondern werden als Brennstoffe von außen zu- über 100-mal teurer als die Zink/Braunstein-
geführt. Zudem kommt es in den Zellen nicht Elemente. Deshalb finden für den gewöhnli-
zu einer Abscheidung von festen Reaktions- chen Batterieeinsatz (Taschenrechner, Radios,
produkten. Die Brennstoffzellen werden den Taschenlampen, Spielgeräte u. a.) die preis-
Primärelementen zugerechnet. werten Leclanché-Elemente Verwendung. Die
Aufgrund der elektrochemischen Spannungs- teuren Silber- und Lithium-Systeme sind für
reihe (Tabelle 4.6) sind eine Vielzahl von Pri- spezielle Anwendungsfälle geeignet, z. B. das
märelementen denkbar. Die in der Praxis am Zink/Silberoxid-System für Armbanduhren
häufigsten eingesetzten chemischen Systeme und Hörgeräte. Die Lithium/Braunstein-
zeigt Abb. 4.32. Es sind die zugehörigen chemi- Elemente werden wegen ihrer hohen Ener-
schen Reaktionen beschrieben und folgende giedichte, ihrer Auslaufsicherheit und des
wichtige Kenngrößen gegenübergestellt: großen Temperaturbereiches (von −40 ◦ C
volumen- bzw. gewichtsbezogene Energie- bis +70 ◦ C) in Kameras, Computern und
dichte in Wh/l bzw. in Wh/kg, Nennspannung medizinischen Geräten bevorzugt eingesetzt.
in V und Strombelastung in mA/cm2 . Ferner Einem ganz speziellen Verwendungszweck
sind die wichtigsten Einsatzgebiete aufgeführt dient die Lithium/Thionylchlorid-Batterie als
sowie der Aufbau und die Ausführung einiger Stromlieferant für den Herzschrittmacher.
galvanischen Zellen gezeigt. In den letzten Jahrzehnten gewannen Lithium-
Wie Abb. 4.32 zu entnehmen ist, liegt bei den Batterien immer mehr an Bedeutung. Sie be-
Primärelementen der Schwerpunkt bei den stechen durch ihre hohe Energiedichte. Li-
Zink- und Lithium-Systemen. Die chemische thium-Batterien gibt es sowohl als primäre als
Reaktion, die den elektrischen Strom erzeugt, auch als sekundäre Systeme. Sie können in ei-
ist trotz unterschiedlicher Reaktionspartner nem wesentlich weiteren Temperaturbereich
grundsätzlich immer dieselbe: An der nega- eingesetzt werden als Batterien mit wässrigen
tiven Elektrode (Anode) wird ein Metall (in Elektrolyten (typisch −30 ◦ C bis 100 ◦ C).
diesem Fall Zink oder Lithium) oxidiert (Frei- Die ersten in Massenproduktion hergestell-
setzung von Elektronen) und eine oxidische ten Lithium-Batterien waren primäre Rund-
298 4 Elektrizität und Magnetismus
4.2 Ladungstransport in Flüssigkeiten und Gasen 299

Abb. 4.32 Primärelemente (Werkfotos: Sonnenstein und VARIA)

zellen in Wickeltechnik. Sie haben eine sehr barkeit, aber eine höhere Kapazität, d. h. Lauf-
hohe Strombelastbarkeit und werden vorwie- zeit. Dadurch sind sie für Langzeitanwendun-
gend in Fotoapparaten für Blitze und Win- gen mit geringen Strömen prädestiniert (z. B.
der, aber auch in digitalen Kameras einge- Heizkostenzähler).
setzt. Die kleinsten Lithium-Batterien sind wieder-
Primäre Lithium-Rundzellen in Massentech- aufladbare Knopfzellen. Sie werden in Baugrö-
nologie (analog zu Alkali-Mangan-Batterien) ßen mit etwa 5 mm Durchmesser und 1 mm
haben eine wesentlich geringere Strombelast- Höhe gefertigt. Ihr Einsatzbereich ist der Er-
300 4 Elektrizität und Magnetismus

Abb. 4.33 Sekundärelemente (Werkfotos: VARTA, VARTA Microbattery)

halt des Speicherinhalts (Memory Back-up) in zu Rollen gewickelt werden. Diese Rundzellen
tragbaren elektronischen Geräten (z. B. Handy, versorgen größere tragbare Geräte mit Ener-
Minicomputer, PDA). gie (z. B. Laptops und Notebooks). Aufgrund
Für die Energieversorgung mit höheren der hohen Energiedichte und des niedrigen
Strömen wurden wiederaufladbare Lithium- Innenwiderstands müssen sie durch eine
Batterien entwickelt, bei denen dünne Folien Schutzelektronik geschützt werden. Diese
4.2 Ladungstransport in Flüssigkeiten und Gasen 301

nutzungen der Gerätegehäuse und damit ma-


ximale Betriebszeiten erzielen.
Auch in Zukunft steht zu erwarten, dass
Lithium-Batterien weitere Bereiche der An-
wendungen erobern werden. Das bezieht sich
besonders auf ultradünne Batterien in intelli-
genten Chip-Karten und gedruckte Batterien
für Etiketten.
Bei den wiederaufladbaren galvanischen
Elementen (Sekundärelemente oder Ak-
kumulatoren) spielen in der technischen
Anwendung vor allem die bewährten Blei
(Pb/PbO2 )- und die Stahlakkumulatoren in
der Kombination Ni/Fe oder Fe/Cd eine
wichtige Rolle. In Abb. 4.33 sind sie verglei-
chend gegenübergestellt. Wie viele Lade- und
Entladezyklen ein Akkumulator unbescha-
det überstehen kann, ist besonders wichtig
für die Lebensdauer der wiederaufladbaren
Systeme.
In Abb. 4.33 sind außerdem die Einsatzberei-
che der Akkumulatortypen angegeben sowie
deren Aufbau gezeigt. Alle Systeme können als
offene oder als geschlossene (gasdichte) Aus-
führungen verwendet werden. So ist beispiels-
weise außer dem als Starterbatterie bekannten
Blei-Akkumulator (Abb. 4.33a) auch eine gas-
dichte Ausführung in zylindrischer Form ab-
gebildet (Abb. 4.33b). Bei ihr befindet sich die
galvanische Zelle in einem dichten Polypro-
pylengehäuse mit einer schlagfesten Metall-
ummantelung. Die dünnen Elektroden (PbO2
und Pb) sind als Wickel in der Zelle unterge-
bracht. Ein saugfähiges Glasfaservlies dient
zur elektrischen Potentialtrennung sowie zur
Aufnahme und Bindung des Elektrolyten.
Die Blei-Akkumulatoren finden hauptsächlich
verhindert Tiefentladung, Überladung und
in drei Bereichen Anwendung, für die Normen
Kurzschlüsse.
vorliegen:
Besonders interessant sind wiederaufladbare
Lithium-Batterien, bei denen die Folien zu Sta- – Starterbatterien
peln laminiert werden. Sie verbinden die hohe (Batterien zum Anlassen von Verbren-
Belastbarkeit mit einer großen Flexibilität in nungsmotoren; DIN 72 310, DIN 72 311,
der Formgebung. So lassen sich optimale Aus- DIN 72 331 bis DIN 72 333, DIN EN 50 342,
302 4 Elektrizität und Magnetismus

DIN EN 60 095, DIN IEC 60 095-2, SN EN 50 Seit etwa 15 Jahren findet in diesem Be-
342, SN EN 60 095), reich ein Verdrängungsprozess statt. Das
– Antriebsbatterien moderne System Nickel/Metallhydrid hat
(DIN 40 540, DIN 43 534 bis DIN 43 539, DIN schon in den meisten Bereichen das System
43 595, DIN EN 60 254), Nickel/Cadmium ersetzt. Die Vorteile der
– ortsfeste Bleibatterien Nickel/Metallhydrid-Batterien sind:
(DIN 40 734 bis DIN 40 744, DIN EN 60 896).
– Höhere Kapazität,
– Cadmium-frei, dadurch wesentlich umwelt-
freundlicher,
Die herkömmliche Bleibatterie ist kostengüns-
– kein „Memory-Effekt“.
tig und hat ihre Vorteile vor allem bei einer
stark wechselnden Stromentnahme, z. B. als Dem gegenüber steht die momentan noch
Starter- oder Antriebsbatterie. In vielen An- etwas geringere Belastbarkeit des Nickel/
wendungsbereichen tritt sie in Konkurrenz Metallhydrids. Deswegen konnten bisher
zu den Nickel/Cadmium-Stahlakkumulatoren. Nickel/Cadmium-Batterien im Bereich der
Diese zeichnen sich vor allem durch die Mög- niedrigen und mittleren Leistungen (z. B.
lichkeit eines lageunabhängigen Einbaus, eine Rasierer, digitale Kamera, Elektrozahn-
lange Lebensdauer und eine hohe Belastbar- bürste) ersetzt werden. Allerdings werden
keit aus. die Hochstrom-Anwendungen, wie elektri-
In zunehmendem Maß ersetzen die wie- sche Werkzeuge, heute noch weitestgehend
deraufladbaren Nickel/Cadmium-Zellen die mit Nickel/Cadmium-Batterien ausgerüstet.
Primärbatterien. Deshalb sind sie, mit die- Ein weiterer Vorteil der wieder aufladbaren
sen austauschbar, baugleich auf dem Markt Nickel/Cadmium-Zellen besteht in ihren her-
(Abb. 4.33d). Allerdings sind die volumen- und vorragenden Eigenschaften bei tiefer Tempe-
gewichtsbezogenen Energiedichten bei den ratur.
Nickel/Cadmium-Zellen bedeutend ungüns- Die ebenfalls zu den Stahlakkumulatoren zäh-
tiger als bei vergleichbaren Primärbatterien lenden Nickel/Eisen-Systeme sind wegen des
(Abb. 4.32 im Vergleich mit Abb. 4.33), sie Nachteils der schnellen Selbstentladung durch
sind jedoch wieder aufladbar. die Nickel/Cadmium-Akkumulatoren ersetzt
Gasdichte Nickel/Cadmium-Akkumulatoren worden. Ihr Einsatzgebiet liegt noch in Schie-
unterscheiden sich im Elektrodenaufbau. Es nenfahrzeugen und Schiffen.
gibt die Ausführung mit einer Masse- oder
einer Sinterelektrode (Abb. 4.33c und d). Die Beispiel
4.2-1 Eine alkalische Zink/Braunstein-Babybatterie
Sinterelektroden bestehen aus einem hoch-
(IEC LR 14) hat eine Masse m = 64,5 g und ein Vo-
porösen Gerüst (Pluspol: Nickel-Sauerstoff;
lumen V = 26,53 cm3 . Berechnet werden soll die Nut-
Minuspol: Cadmium-Sauerstoff), das vom zungsdauer bei einem konstanten Stromverbrauch von
Elektrolyten (Kalilauge) durchtränkt ist. Die I = 30 mA und einer mittleren Lastspannung von
Isolierung der Elektroden erfolgt durch einen U = 1,2 V.
Separator aus Kunststoffgewebe. Die Sinter-
Lösung
zellen sind besonders für hohe Belastungen
Gemäß Abb. 4.32 gilt für die Energiedichte des Elemen-
geeignet (100facher Nennstrom). Deshalb ist tes W = 100 Wh/kg. Daraus errechnet sich die Energie
auch ein Schnellladen bei völliger Entladung E = 100 Wh/kg · 0,0645 kg = 6,45 Wh. Für die gespei-
möglich. cherte Ladung errechnet sich Q = 6,45 Wh/ 1,2 V =
4.2 Ladungstransport in Flüssigkeiten und Gasen 303

5,4 Ah. Bei einem Stromverbrauch von 0,03 A ergibt


dies eine Nutzungsdauer von tN = 5,4 Ah/ 0,03 A =
180 h.

4.2.1.4 Brennstoffzellen
Die direkte Gewinnung elektrischer aus che-
mischer Energie (kalte Verbrennung) findet
in Brennstoffzellen statt. Der Umweg über die
heiße Verbrennung, bei der zunächst Wärme
erzeugt wird, die dann über einen thermody-
namischen Kreisprozess in mechanische und
schließlich elektrische Energie umgewandelt
wird, entfällt. Damit ist auch der Wirkungs-
grad einer Brennstoffzelle nicht durch den
Carnot’schen Wirkungsgrad (Abschn. 3.3.5.1)
begrenzt, sondern kann höhere Werte an- Abb. 4.34 Prinzipieller Aufbau einer H2 / O-
nehmen. Die klassische Brennstoffzelle „ver- Brennstoffzelle mit Protonen leitendem Elektrolyten
brennt“ Wasserstoff und Sauerstoff zu Wasser. (PEM FC)
Dies ist die Umkehrreaktion zur Elektrolyse,
bei der unter Zufuhr von elektrischer Energie
Lastwiderstand RL elektrische Arbeit verrich-
mithilfe von Platinelektroden Wasser in seine
ten.
Bestandteile Wasserstoff und Sauerstoff zer-
An der Kathode findet eine Reduktion (Elek-
legt wird. Bereits 1839 wurde von Sir William
tronenaufnahme) des zugeführten Sauerstoffs
Grove eine derartige Zelle vorgestellt.
statt, der dann mit den Protonen zu Wasser
reagiert:
Funktionsweise
Im Prinzip besteht eine Brennstoffzelle aus O2 + 4e− → 2O2− und
zwei Elektroden, an denen Redoxreaktionen 2O 2−
+ 4H → 2H2 O .
+

ablaufen, und einem elektronisch isolieren-


den Elektrolyten, der aber Ionen leitend ist Das Redoxpotenzial dieser Reaktion liegt bei
(Abb. 4.34). Bei einer H2 /O2 -Zelle wird an ϕ ≈ 1,23 V (NHE). Im Leerlauf könnte eine
der Anode Wasserstoff oxidiert (Elektronen- H2 /O2 -Zelle also eine Urspannung von U0 =
abgabe): 1,23 V liefern.
Die Reaktionen finden an der Dreiphasen-
2H2 → 4H+ + 4e− . grenze Gasraum/Elektronenleiter/Ionenleiter
statt. Der Ionenleiter, durch den die Proto-
Das Redoxpotenzial dieser Reaktion gegen- nen wandern, besteht meist aus einer per-
über der Normalwasserstoffelektrode (NHE, fluorierten und mit Sulfonylgruppen (SO−3 )
Abb. 4.30) beträgt ϕ = 0 V. modifizierten Kunststofffolie (NafionTM ). Im
Während die gebildeten Protonen durch die Prinzip wirkt die Folie wie ein wasserhaltiger
Membran zur Kathode gelangen, fließen die Schwamm, der von nanometerbreiten Kanä-
Elektronen über den äußeren Stromkreis und len durchzogen ist, durch welche die Proto-
können dort an einem Verbraucher mit dem nen von einer Seite auf die andere gelangen.
304 4 Elektrizität und Magnetismus

Brennstoffzellen mit Protonen leitenden Mem-


branen werden als PEMFC (Proton Exchange
Membrane Fuel Cell) bezeichnet. Die Kunst-
stofffolien sind stabil unterhalb ca. 120 ◦ C. Sie
werden meist für mobilen Einsatz im Kraft-
fahrzeug verwendet oder als Batterieersatz im
Kleinleistungsbereich.
Es gibt auch die Möglichkeit, anstatt des Pro-
tonentransports von der Anode zur Kathode,
einen Transport von Sauerstoffionen (O2− aber
auch OH− oder CO2− 3 ) von der Kathode zur An- Abb. 4.35 Spannung und Leistung eines H2 / O2 -
ode durchzuführen, wo dann ebenfalls Wasser Brennstoffzellenstapels aus 6 Zellen in Abhängigkeit
entsteht. Sauerstoff leitende Materialien sind vom Strom. Nutzungsgrad der Kathode 20%. Zentrum
meist keramische Werkstoffe, die erst bei Tem- für Solarenergie- und Wasserstoffforschung (ZWS),
peraturen von 600 ◦ C bis 1 000 ◦ C eine ausrei- Ulm
chende Ionen-Leitfähigkeit aufweisen. Sie wer-
den vorzugsweise bei stationären Anlagen wie
gestellt. Die Leerlaufspannung von ca. 1 V pro
Kraftwerke oder Blockheizkraftwerke einge-
Zelle ist kleiner als die theoretische Zellen-
setzt. Brennstoffzellen mit keramischen Elek-
spannung von 1,23 V. Mit steigendem Strom
trolyten werden als SOFC (Solid Oxide Fuel
nimmt die Spannung ab. Die Kennlinie hängt
Cell) bezeichnet.
u. a. ab von der Temperatur, dem Innenwider-
Die Elektroden setzen sich aus einer Mi-
stand der Zelle, der Reinheit der Gase, vom
schung von Nanometer großen Platin- oder
Katalysator und der Menge an zugeführtem
Platin-Rutheniumpartikeln und Kohlenstoff-
Wasserstoff.
partikeln (Graphit) zusammen. Am kataly-
Die Leistung P, die der Zelle entnommen
tisch wirksamen (teuren) Platin laufen die
werden kann, ergibt sich als Produkt aus
Redoxreaktionen ab. Es ist ebenso wie der
Strom und Spannung und ist ebenfalls in
(billigere) Kohlenstoff ein Elektronenleiter.
Abb. 4.35 dargestellt. Die Leistungsdichte, die
Auf diese Elektroden werden jeweils Gasdiffu-
einer H2 /O2 -Zelle entnommen werden kann,
sionselektroden, das sind poröse Elektronen
ist etwa 1 W/cm2 .
leitende Kohlenstoff-Fasermatten, gepresst,
die zur Stromableitung und Gasversorgung
Wirkungsgrad
dienen. Die Zelle wird von außen durch
Bei einem Verbrennungsmotor ist der ma-
elektrisch voneinander isolierte abdicht- und
ximale Wirkungsgrad durch den thermody-
verschraubbare Metallrahmen zusammenge-
namischen Carnot-Wirkungsgrad ((3.76), Ab-
halten. Darin sind Ein- und Ableitungen für
schn. 3.3.5.1) begrenzt (tatsächlich ist der reale
die Gasversorgung sowie für das überschüs-
Wirkungsgrad deutlich kleiner):
sige Wasser und die elektrischen Kontakte
angebracht. |W| T1
ηth,C = =1− .
ΔH T
Kenngrößen der H2 / O2 -Brennstoffzelle |W| ist die abgegebene Nutzarbeit, ΔH die zu-
Eine typische Strom-Spannungs-Kennlinie ei- geführte Enthalpie (Wärme). Der Prozess ver-
nes H2 /O2 -Zellenstapels ist in Abb. 4.35 dar- läuft zwischen der hohen Temperatur T und
4.2 Ladungstransport in Flüssigkeiten und Gasen 305

Für 25 ◦ C ergibt sich mit den oben angege-


benen Werten als maximaler Wirkungsgrad
η = 83%. Bezieht man die nutzbare Energie
auf den Heizwert (unterer Heizwert Hu ) an-
statt auf den Brennwert (oberer Heizwert Ho ),
dann wird der Wirkungsgrad sogar 94,5%.
Aus der Definition G = H – TS der freien Ent-
halpie nach (3.100) folgt bei konstanter Tem-
peratur ΔG = ΔH – T ΔS und daraus für den
Wirkungsgrad

Abb. 4.36 Maximaler Wirkungsgrad einer H2 / O2 - ΔH − T ΔS ΔS


ηZelle = =1− T . (4.87)
Brennstoffzelle bezogen auf den (unteren) Heizwert in
ΔH ΔH
Abhängigkeit von der Temperatur im Vergleich zum
thermodynamischen Carnot-Wirkungsgrad (tiefe
Temperatur 300 K) Der Wirkungsgrad einer Brennstoffzelle
nimmt mit steigender Temperatur ab (Abb.
4.36). Offensichtlich erreicht der Carnot-
der tiefen Temperatur T1 . In Abb. 4.36 ist der Prozess den Wirkungsgrad der Brennstoffzelle
Wirkungsgrad des Carnot-Prozesses in Ab- erst bei sehr hohen Temperaturen.
hängigkeit von der hohen Temperatur T darge- Der Wirkungsgrad einer Brennstoffzelle kann
stellt. Offensichtlich werden hohe Wirkungs- experimentell bestimmt werden aus dem Ver-
grade nur bei hohen Temperaturen erreicht. hältnis der gewonnenen elektrischen Energie
Bei einer Brennstoffzelle reagiert Wasserstoff und dem Energieinhalt (unterer Heizwert Hu ,
mit Sauerstoff zu Wasser: da die Kondensationswärme des entstehenden
H2 + 12 O2 → H2 O mit ΔG = −237 kJ/mol und
Wassers in der Regel nicht genutzt wird).
ΔH = −286 kJ/mol bei 25 ◦ C. Dieser Wert wird auch als Energiewirkungs-
Im Idealfall wird die gesamte freie Enthalpie
grad bezeichnet. Der Wirkungsgrad hängt
(Gibbs’sches Potenzial, Abschn. 3.3.7) ΔG als
vom Strom ab. Er ist im Teillastbereich bei
elektrische Arbeit nutzbar:
geringer Strom- und Leistungsentnahme am
günstigsten.
−ΔG = n F U0 . (4.85)
Brennstoffzellentypen
Anhand des verwendeten Elektrolyten und
n: Anzahl der Elektronen, die bei der Reaktion
seiner erforderlichen Betriebstemperatur wer-
fließen (hier: n = 2),
den verschiedene Brennstoffzellen unterschie-
F: Faraday-Konstante (4.82),
den. Tabelle 4.7 zeigt eine Zusammenstellung.
U0 : Leerlauf-Zellenspannung im thermodyna-
Im Gegensatz zu den Verbrennungsprozessen,
mischen Gleichgewicht (hier: U0 = 1,23 V).
die als Volumenprozesse mit steigender Leis-
Der maximale Wirkungsgrad der idealen Zelle
tung spezifisch günstiger werden, laufen die
ist damit
Redoxreaktionen der Brennstoffzellen an der
Oberfläche von Elektrode und Elektrolyt ab.
−ΔG n F U0
ηZelle = = . (4.86) Mit steigender Leistung nehmen Masse und
−ΔH −ΔH
Volumen der Zellen daher nicht spezifisch ab
306 4 Elektrizität und Magnetismus

Tabelle 4.7 Daten verschiedener Brennstoffzellen. BZ: Brennstoffzelle, FC: Fuel Cell, BHKW: Block-Heizkraftwerk

Zellentyp Betriebstem- Elektrolyt Brenn- wandern- Wirkungs- Anwendungen


peratur in °C stoff des Ion grad in %

Polymer-Elektrolyt- 60 bis 100 Polymer- H2 H+ · nH2 O 50 bis 70 Kfz-Antrieb


Membran-BZ Membran CH3 OH portable Strom-
PEMFC (Proton (NafionTM ) versorgung
Exchange Mem- Klein-BHKW
brane FC)
Alkalische BZ 50 bis 120 KOH H2 OH− 60 bis 70 Raumfahrt,
AFC (Alkaline FC) CH3 OH portable Strom-
versorgung
Phosphorsaure BZ 190 bis 210 H3 PO4 CH4 refor- H+ · nH2 O 35 bis 555 BHKW
PAFC (Phosphoric miert
Acid FC) H2
Schmelzkarbonat-BZ 600 bis 700 Li2−x Kx CO3 CH4 refor- CO2−
3 55 bis 65 Kraftwerke
MCFC (Molten Schmelze miert, CO BHKW
Carbonate FC) H2
Oxidkeramische BZ 800 bis 1 050 Y2 O3 /ZrO2 CH4 refor- O−2 60 bis 65 Kraftwerke
SOFC (Solid Oxide Keramik miert, CO, BHKW
FC) H2 , CH4

wie bei Motoren und Turbinen. Dafür werden Die Fläche einer Brennstoffzelle kann aus
hohe Wirkungsgrade bereits bei kleinen Zell- technischen Gründen nicht beliebig groß
größen erzielt. gemacht werden. Für die Entnahme größerer
Leistungen werden daher mehrere Einzelzel-
len zu Stapeln (Stacks) gekoppelt (Abb. 4.37).
Die typischen Leistungen für einen PEM-
Brennstoffzellenstapel reichen von wenigen
Watt bis zu 300 kW.

4.2.1.5 Elektrokinetische Vorgänge


Bewegt sich aufgrund entgegengesetzter La-
dungsverteilung die feste Phase relativ zur flüs-
sigen, so treten elektrokinetische Effekte auf,
von denen zwei von besonderer technischer
Bedeutung sind:

– Elektrophorese (Bewegung kleinster Teil-


chen in einer Flüssigkeit aufgrund eines
elektrischen Feldes) und
Abb. 4.37 Stack aus sechs Brennstoffzellen. Zentrum – Elektroosmose (Bewegung einer stromfüh-
für Solarenergie- und Wasserstoffforschung (ZSW), renden Flüssigkeit durch einen porösen
Ulm Festkörper).
4.2 Ladungstransport in Flüssigkeiten und Gasen 307

Im Gegensatz zur Elektrolyse findet eine La- tetes Verfahren zur Grund- und Einschichtla-
dungsträgerbewegung nur in einer Richtung ckierung von Karossen und Fahrzeugteilen.
statt (unipolare Wanderung). Man unterscheidet zwischen anodisch und
Bei der Elektrophorese (gr. phor, tragen) kathodisch abgeschiedenen Lackmaterialien
werden Teilchen kolloidaler Größenordnung (ATL und KTL). Das KTL-Verfahren hat sich
(10−6 mm bis 10−4 mm) dispergiert, die sich in den letzten Jahren fast überall durchgesetzt.
gegenüber dem Dispersionsmittel aufladen. Als wesentliche Vorteile seien genannt:
In einem elektrischen Feld bewegen sich
die Teilchen zur gegenpoligen Elektrode. – Vollständiger Umgriff
Abbildung 4.38 zeigt, wie sich durch Elek- Beim Beschichten von Automobilkarossen
trophorese feinste geladene Kieselgurteilchen werden zuerst die Außenhautteile be-
(10−5 mm Durchmesser) auf einem metal- schichtet. Diese isolieren sich bei höherer
lischen Filtersieb niedergeschlagen haben. Schichtdicke von selbst, sodass die elektri-
Solche kieselgurbeschichteten Metallsiebe sche Stromdichte von außen nach innen in
dienen z. B. in Brauereien zur Bierfiltration. die Hohlräume wandert.
Im Vergleich zum mechanischen Anströmen – Unterwanderungsbeständigkeit
von Kieselgur ist die elektrophoretisch aufge- Die Unterwanderungsbeständigkeit der
brachte Schicht wesentlich gleichmäßiger. Ist KTL-Materialien ist im Vergleich zu den
die Filterschicht verbraucht, so kann durch ATL-Lacken um den Faktor drei besser.
Umpolen des elektrischen Feldes die ver- – Gute Haftung
schmutzte Kieselgurschicht vom Metallsieb KTL-Lackschichten sind sehr gleichmäßig
entfernt werden. und haften mechanisch sehr fest auf der
Unterschiedliche Teilchen weisen verschie- Phosphatierung.
dene Wanderungsgeschwindigkeiten auf,
Abbildung 4.39 zeigt eine Kataphoreseanlage.
sodass eine elektrophoretische Trennung von
In dem Tauchbecken befinden sich in Wasser
Substanzen möglich ist. Dies wird beispiels-
gelöste, positiv geladene Lackteilchen. Wird
weise in der Biomedizin zur Analyse von
das metallische Werkstück negativ und der
Proteinen ausgenutzt.
Tauchbeckenrand bzw. geeignete Anoden po-
Das elektrophoretische Tauchlackieren (ETL)
sitiv geladen, so wandern die Lackkolloide
ist ein in der Automobilindustrie weit verbrei-

Abb. 4.38 Elektrophoretisch abgeschiedene Kieselgur Abb. 4.39 Kataphorese-Anlage. Werkfoto: Dürr
308 4 Elektrizität und Magnetismus

zum Werkstück. Normalerweise beträgt die 4.2.2 Ladungstransport im Vakuum


Schichtdicke bei einer Spannung von 80 V bis und in Gasen
350 V und einer Beschichtungsdauer von 2 bis
43 Minuten etwa 10 μm bis 35 μm. 4.2.2.1 Ladungstransport im Vakuum
Bei der Elektroosmose läuft der Wanderungs- Für einen Ladungstransport im Vakuum (bei
prozess umgekehrt ab. Ein poröser Körper einem Druck von etwa 10−2 Pa bis 10−4 Pa)
wird beispielsweise von zwei entgegenge- müssen freie Ladungsträger erzeugt werden.
setzt geladenen Wassersäulen umgeben, wie Dieser Vorgang wird Ladungsträgerinjektion
es Abb. 4.40a zeigt. An den Porenwänden oder Emission genannt. Von großer prakti-
bilden sich entgegengesetzte Ladungen. So scher Bedeutung ist die Elektronenemission.
entstehen z. B. positive Ionen, die auf ihrer Elektronen sind im Metallverbund zwar leicht
Wanderung zum negativen Pol noch hy- beweglich, doch werden sie an der Oberfläche
dratisierte Wasserdipole mitschleppen, etwa wegen der Anziehungskräfte der zurückblei-
gemäß Abb. 4.40b. Auf diese Weise steigt der benden Atomrümpfe, die die Austrittsarbeit
Wasserspiegel auf der rechten Seite und sinkt WA erfordern, am Verlassen gehindert. Ab-
auf der linken. Mit Hilfe elektroosmotischer bildung 4.41 zeigt, dass hierfür die Zufuhr
Wasserbewegungen können u. a. Mauerwerke von kinetischer Energie in Form von Wärme
oder Schlamm-Massen entwässert werden. (thermische Emission), Licht (Fotoemission)
und elektrischer Energie (Feldemission) nö-
tig ist oder dass kinetische Energie durch
Stoßprozesse bereits erzeugter Ladungsträ-
ger (Sekundärelektronenemission) zugeführt
werden muss.

Thermische Emission (Glühemission)


Durch Erwärmen der Glühkathode nimmt die
mittlere kinetische Energie der Elektronen an
den Elektroden so stark zu, dass Elektro-
nen austreten können. Die Abhängigkeit der
Stromdichte j der austretenden Elektronen von
der Austrittsarbeit WA und der Temperatur T
beschreibt die Richardson-Gleichung (O. Ri-
chardson, 1879 bis 1959):

WA
j = A T 2 e− kT . (4.88)

Abb. 4.40 Elektroosmose, schematisch Abb. 4.41 Arten der Elektronenemission


4.2 Ladungstransport in Flüssigkeiten und Gasen 309

Die Richardson-Konstante A ist material- Als Anode dient eine Glaskugel, die um die
abhängig und liegt zwischen 106 A/(m2 K2 ) Kathodenspitze angeordnet ist und mit einer
(Wolfram) und 102 A/(m2 K2 ) (Metalloxide). Leuchtschicht (ZnS) überzogen ist. Die von der
Die ebenfalls werkstoffabhängige Austrittsar- Kathodenspitze emittierten Elektronen geben
beit WA liegt zwischen 1 eV bei Metalloxiden ihre kinetische Energie beim Aufprall auf die
und 5 eV bei Nickel (zum Begriff eV, Elektro- Anode als Lichtquanten ab. Dadurch entsteht
nenvolt, Abschn. 4.3.5.1, (4.108)). ein Abbild der atomaren Struktur des Katho-
denmaterials auf dem Leuchtschirm (Feldelek-
4.2.2.1.1 Fotoemission tronenmikroskop, Abb. 4.42).
Werden Lichtquanten mit der Energie W = h f
(Abschn. 6.5.1.1) auf eine Metalloberfläche ge- Sekundärelektronenemission
strahlt, dann lösen sich Elektronen aus dem Die kinetische Energie der bereits freigesetz-
Metallverbund, wenn die Energie der Photo- ten Elektronen kann wiederum die Austritts-
nen größer als die Austrittsarbeit WA ist. Diese arbeit WA überwinden und nochmals Elek-
Elektronen werden als Fotostrom außerhalb tronen (Sekundärelektronen) freisetzen. Der
des Metalls registriert. Der Fotostrom ist ein Sekundäremissionsfaktor gibt an, wie viele Se-
Maß für die Lichtintensität. Als Kathode wird kundärelektronen im Verhältnis zu den Pri-
eine mit Cadmium, Cäsium oder Kalium ver- märelektronen emittiert werden. Er liegt bei
spiegelte evakuierte Glasröhre verwendet, die reinen Metallen bei 1, für Halbleiter zwischen
bei Lichteinfall Elektronen zur ringförmigen 2 und 15. Durch geeignet angeordnete Elektro-
Anode aussendet. Die kinetische Energie Wkin den (Dynoden), zwischen denen Beschleuni-
der freigesetzten Elektronen berechnet sich gungsspannungen liegen, können sehr kleine
dann zu Ströme rauscharm bis auf das 1010 -fache ver-
stärkt werden. Als Foto-Multiplier wird er zur
Messung sehr kleiner Lichtintensitäten (sogar
Wkin = h f − WA . (4.89)
einzelner Lichtquanten) eingesetzt.

Innerhalb bestimmter Grenzen ist in diesen


Fotozellen der gemessene Fotostrom propor-
tional zur Intensität des Lichtes. Die Fotozel-
len ersetzt man in zunehmendem Maß durch
Halbleiter-Fotodetektoren (Abschn. 9.4).

Feldemission
Zur Überwindung der Austrittsarbeit WA
bedarf es elektrischer Feldstärken von etwa
109 V/m (Zusammenhang zwischen elektri-
scher Feldstärke E und Spannung U, Ab-
schn. 4.3.4, (4.96)). Um diese hohen Feldstär-
ken für verhältnismäßig geringe Spannungen
(etwa 100 V) zu erzeugen, wird die Kathode zu
einer feinen Spitze geformt (Radius der Spitze
etwa 10−7 m). Abb. 4.42 Monoatomarer Thorium-Film auf Wolfram
310 4 Elektrizität und Magnetismus

4.2.2.2 Ladungstransport in Gasen chenden Elektrode, dass keine Rekombinati-


Gase sind gewöhnlich Nichtleiter. Um sie elek- onsprozesse mehr ablaufen können. Es fließen
trisch leitend zu machen, müssen entweder also alle Gasionen ab. Der jetzt messbare Strom
Ladungsträger eingebracht (Ladungsträgerin- hat deshalb den größtmöglichen Wert, er heißt
jektion) oder die Gase ionisiert werden. Ge- Sättigungsstrom. Der zugehörige Spannungs-
schieht die Ionisation des Gases durch äußere bereich ist der Sättigungsbereich (Bereich II).
Einwirkung, wie z. B. durch Bestrahlung mit Werden die Ionen durch zunehmende Span-
UV-Licht, durch radioaktive Strahlung oder nung so stark beschleunigt, dass ihre kineti-
Röntgenstrahlung oder durch Wärmezufuhr, sche Energie die neutralen Gasatome zu io-
so findet eine unselbstständige Gasentladung nisieren vermag, dann werden Sekundärelek-
statt. Bei einer selbstständigen Gasentladung tronen erzeugt (Bereich III) und es läuft eine
werden die Gase durch die Bewegung ihrer ei- selbständige Gasentladung ab.
genen Moleküle selbst ionisiert, z. B. durch ihre
kinetische Energie in starken elektrischen Fel- Selbständige Gasentladung
dern. Bei einer selbständigen Gasentladung findet
ein Ladungsfluss ohne äußere Einwirkung
Unselbständige Gasentladung statt. Die Gasatome vermögen durch ihre
Befindet sich ein ionisiertes Gas zwischen zwei eigene kinetische Energie andere durch Stoß
Elektroden der Spannung U, dann ist der in zu ionisieren (Stoßionisation). Die dazu
Abb. 4.43 typische Strom-Spannungsverlauf erforderliche kinetische Energie stammt
zu beobachten. Im Bereich I gilt das Ohm’sche aus der Energie des elektrischen Feldes:
Gesetz. Die Gasionen stoßen auf dem Weg zur Wel = QU = eEl (die Ladung Q besteht im
gegenpoligen Elektrode auf den Widerstand Allgemeinen aus der Elementarladung e; l ist
anderer Gasatome. Ferner können sie durch die mittlere freie Weglänge). Da die mittlere
Anlagern an Ionen entgegengesetzter Ladung freie Weglänge umso größer ist, je weniger
wieder zu neutralen Gasatomen werden (Re- Gasatome vorhanden sind (je geringer der
kombination). Dieser Bereich wird daher Re- Gasdruck p ist), gilt
kombinationsbereich genannt. Steigt die Span- eE
W∼ .
nung zwischen den Elektroden weiter, dann p
gelangen die Gasionen so schnell zur entspre-
Daraus lässt sich der Ionisierungskoeffizient s
ermitteln. Er gibt an, wie viel Ionen (dN)
pro Wegstrecke (dx) zusätzlich erzeugt wer-
den und ist eine Funktion von E/ p, sodass gilt
s = f (E/ p) .
Dies bedeutet, dass der Ionisierungskoeffizient
eine Funktion des Quotienten aus elektrischer
Feldstärke und Gasdruck ist. Jedes Gas kann
ab einer bestimmten Feldstärke bzw. Span-
nung (bezogen auf den gleichen Druck) ioni-
siert werden. Die Ionisierung läuft lawinenar-
Abb. 4.43 Strom-Spannungsverlauf bei einer tig ab; jedes Ion ionisiert seinerseits ein ande-
unselbständigen Gasentladung res, das wiederum neue zu ionisieren vermag.
4.2 Ladungstransport in Flüssigkeiten und Gasen 311

Mit der lawinenartigen Zunahme der Ionen schen Kathode und Anode (a), den Verlauf
– entsprechend einer Kettenreaktion – nimmt der Raumladung ρ (b), der Feldstärke E
der innere Widerstand zwischen den Elektro- (c) und der Spannung U (d). Zwischen
den ab. Um den Strom zu begrenzen, muss man der Kathode und dem Kathodenlicht liegt
deshalb Vorwiderstände einschalten. Hierzu ein kleiner dunkler Bereich, der Aston’sche
dient vielfach der induktive Wechselstromwi- Dunkelraum. In diesem Bereich ist die Feld-
derstand einer Spule (Abschn. 4.5.2.2). stärke E am größten. Durch den Aufprall
Während die meisten unselbständigen Gasent- positiver Ionen auf die Kathode werden Elek-
ladungen ohne Leuchterscheinungen ablau- tronen freigesetzt (negative Raumladung),
fen, spielen die Lichtausstrahlungen der selb- die zunehmend Feldenergie aufnehmen. Im
ständigen Gasentladungen in der Technik eine Bereich des Hittorf ’schen Dunkelraums wer-
wichtige Rolle. Sie sind sehr stark von der Gas- den durch die schnellen Elektronen viele
art, dem Gasdruck, der Temperatur und der Gasatome ionisiert, sodass eine starke posi-
Elektrodengeometrie abhängig. tive Raumladung entsteht. Die Energie der
Elektronen wird im kathodischen Glimm-
Glimmentladung licht (beginnend mit einem Glimmsaum)
Bei einer Glimmentladung in einem zylin- durch Lichtaussendung verbraucht. Deshalb
drischen Rohr erkennt man eine Reihe von nimmt die Feldstärke bis auf null ab und
hellen und dunklen Zonen. Abbildung 4.44 es entsteht eine große negative Ladungs-
zeigt schematisch die Leuchtbereiche zwi- dichte.

Abb. 4.44 Vorgänge bei einer Glimmentladung


312 4 Elektrizität und Magnetismus

Nach dem Faraday’schen Dunkelraum leuchtet schwindet, bis eine Glimmerscheinung aus
eine positive Säule. In diesem Gebiet sind dem Hittorf ’schen Dunkelraum übrig bleibt.
gleich viel (negative) Elektronen wie positive Bei weiterer Druckabnahme hört die Glimm-
Ionen vorhanden (quasineutrales Plasma). erscheinung auf und die Wände beginnen zu
Hier diffundieren fortwährend Elektronen fluoreszieren.
und Ionen an die Wand und rekombinieren Wird statt einer massiven Kathode eine Loch-
dort unter Lichtausstrahlung. Die Energie zur platte verwendet, dann setzt sich die Leuchter-
Erzeugung neuer Ladungsträger wird dem scheinung hinter der Kathode fort. Die durch
konstanten elektrischen Feld entnommen. Die das Kathodenloch hindurchtretenden positi-
positive Säule ist der längste leuchtende Teil ven Ionen werden Kanalstrahlen genannt. Da
einer Glimmentladung. Zwischen ihr und der sie sich im feldfreien Raum bewegen, bleibt
Anode kann ein kleiner glimmender Bereich ihre Geschwindigkeit konstant.
liegen (anodisches Glimmlicht). Unmittel- Die wichtigste Anwendung der Strahlung
bar vor der Anode ist ein Feldstärkeanstieg glühender Körper ist die 5 Glühlampe zur
festzustellen, der von der negativen Raum- Beleuchtung von Objekten und Räumen.
ladung der schnell abfließenden Elektronen Abbildung 4.45 zeigt eine Übersicht der
herrührt. unterschiedlichen Arten und Anwendungs-
bereiche. Eine Anwendung der Entladungs-
Bogen- und Funkenentladung erscheinungen ist die Entladungslampe. Die
Fließen durch eine Gasentladungsröhre große gebräuchlichsten Arten sind in Abb. 4.46
Ströme, dann werden die Elektroden sehr zusammengestellt. Festkörperlichtquellen stel-
heiß. Die glühende Kathode sendet sehr viele len eine weitere Anwendung von Strahlung
Elektronen aus, sodass die Leuchtstärke in aus anorganischen Kristallen und organi-
der positiven Säule entsprechend groß wird. schen Polymeren dar. Die beiden wichtigsten
Dies ist eine Bogenentladung. Sie kann sowohl Repräsentanten sind die Leuchtdiode (LED)
bei kleinem Druck (Vakuumbogenentladung) und organische Leuchtdiode (OLED, Abb. 4.46
als auch bei hohem Druck (106 Pa bis 107 Pa rechts).
in Hochdrucklampen) stattfinden. Rasch ge- Glühlampen zeichnen sich durch folgende Ei-
löschte und deshalb nur kurz aufleuchtende genschaften aus:
Bogenentladungen werden Funkenentladun-
– Kontinuierliches Spektrum (Temperatur-
gen genannt.
strahler);
– Über alle Spannungsbereiche ohne Vor-
Kathoden- und Kanalstrahlen schaltgeräte betreibbar
Wird in einer Gasentladungsröhre der Druck
– Sofort betriebsbereit (d. h. kein Zündvor-
auf 10 Pa bis 1 Pa vermindert, so ist die Wahr-
gang und keine Einbrennzeit)
scheinlichkeit für Stoßprozesse gering. Aus
diesem Grunde können die Elektronen aus Die wichtigsten Vorzüge von Entladungslam-
der Kathode das Feld nahezu ungestört und pen sind:
mit unverminderter Geschwindigkeit gerad-
linig durchlaufen. Diese Elektronenstrahlen – Lichtausbeute ist größer als bei Glühlampen
werden Kathodenstrahlen genannt. Mit abneh- – Lebensdauer ist höher als bei Glühlampen
mendem Druck werden zunächst die Dun- – Farbspektrum ist durch Zusätze und
kelräume größer und die positive Säule ver- Leuchtstoffe beeinflussbar
4.2 Ladungstransport in Flüssigkeiten und Gasen 313

Abb. 4.45 Arten der Glühlampen

Leuchtdioden besitzen folgende Merkmale: – Geringe Größe


– Schmalbandiges Emissionsspektrum (far- – Schnelle Ein-Aus-Schaltvorgänge.
bige Lichtemission je nach Halbleitermate-
rial) Abbildung 4.45 zeigt eine Einteilung der
– Hohe Lebensdauer bis zu 100 000 h Glühlampen, ihre besonderen Eigenschaften,
314 4 Elektrizität und Magnetismus

Abb. 4.46 Entladungs- und Festkörperlampen (Werksfoto: OSRAM)

ihre Normvorschriften und typische Anwen- Nennspannung von 12,0 V bei 12,6 V so re-
dungsbereiche sowie einige typische Bauarten. sultiert aus dieser Spannungserhöhung um
Das zugehörige Diagramm zeigt den Zusam- 5% eine Lebensdauerreduzierung um 50%.
menhang zwischen Lichtstrom, Lichtausbeute Die Halogenlampe fällt also bereits nach der
und Lebensdauer in Abhängigkeit von der Hälfte der Nennlebensdauer aus. Dagegen
Spannung. Im gemeinsamen Schnittpunkt al- steigert diese 5%ige Spannungserhöhung den
ler Kurven ist 100% Lebensdauer, Lichtstrom Lichtstrom um 20% und die Lichtausbeute
und Lichtausbeute bei 100% Spannung. verbessert sich um 12%. Bei einer geringfügi-
Die stark nichtlinearen Abhängigkeiten wer- gen Spannungsabsenkung kann entsprechend
den zum Beispiel bei Betrachtung einer deutlich die Lebensdauer der Halogenlampe
12 V-Halogenlampe besonders deutlich. Be- unter Absenkung des Lichtstroms und der
treibt man eine 12 V-Lampe anstatt bei der Lichtausbeute erhöht werden.
4.2 Ladungstransport in Flüssigkeiten und Gasen 315

Je nach Füllgas und Fülldruck können des Leuchtkörpers ausgeglichen, die damit
Glühlampen eingeteilt werden in Vakuum- verbundene Erhöhung der Verdampfungsge-
lampen, gasgefüllte Lampen mit Normal- und schwindigkeit des Wolframs (Leuchtkörper)
Überdruck sowie in gasgefüllte Überdrucklam- durch Größe und Anzahl (Fülldruck) der
pen mit Halogenzusätzen (Halogenlampen). Gasmoleküle (inaktive Edelgase wie Argon
Bei Lampen mit geringer Leistungsaufnahme (Ar), Xenon (Xe) oder Krypton (Kr)) re-
(z. B. Allgebrauchsglühlampen bis 15 W) sind duziert und somit der Schwärzungsprozess
Vakuumlampen infolge geringerer Verluste durch Wolframablagerungen an den kalten
durch fehlende Wärmeableitung über das Füll- Lampenteilen (Kolben) verzögert werden.
gas im Vergleich zu gasgefüllten vorteilhafter. Halogenzusätze zum Füllgas in Form halo-
Bei höheren Leistungen kann dieser Wärme- genierter Kohlenwasserstoffe oder Jod (I2 )
verlust durch höhere Temperaturbelastung bewirken einen Kreisprozess zwischen den
316 4 Elektrizität und Magnetismus

vom Leuchtkörper abdampfenden Wolfram- und anderen Zusätzen in der Lampe können
teilchen und dem Halogen. Bei Temperaturen Lichtfarbe, Lichtstrom und Strahlenintensität
um 250 ◦ C (also in der Nähe der kälteren beeinflusst und gezielt eingestellt werden.
Kolbenwand) verbinden sich diese Wolf- Entladungslampen benötigen im Gegensatz
ramteilchen mit dem Halogen zu Wolfram- zu Glühlampen eine Zündhilfe (z. B. Glimm-
halogeniden. Gelangen diese infolge von starter, Zündelektrode oder Zündgerät) und
Konvektion wieder in Temperaturbereiche um strombegrenzende Vorschaltgeräte (VG), z. B.
1 500 ◦ C (in Leuchtkörpernähe), so zerfallen Drosselspulen, Streufeldtransformatoren oder
diese Verbindungen wieder in Wolfram und elektronische Vorschaltgeräte (EVG). Infolge
Halogen. Damit stehen die freigewordenen der geringen Leistungsaufnahme bei gleicher
Halogenbestandteile erneut zum Kreisprozess Lichtemission (z. B. 9 W-Leuchtstofflampe
zur Verfügung. Durch diesen Kreisprozess statt 60 W-Glühlampe oder in Form von Ener-
wird bewirkt, dass sich die abdampfenden giesparlampen) sowie wegen der wesentlich
Wolframteilchen nicht auf der kälteren Kol- höheren Lebensdauer haben Entladungslam-
benwandung niederschlagen, sodass eine pen in vielen lichttechnischen Anwendungen
Schwärzung des Lampenkolbens während der die Glühlampen ersetzt.
Lebensdauer weitgehend unterbunden wird. Neben der Lichterzeugung durch Glüh- und
Halogenglühlampen können heute in Leis- Entladungslampen werden immer häufiger
tungsstufen zwischen 1 W und 20 000 W Festkörperlampen in zahlreichen Anwendun-
hergestellt werden. Halogenzusätze in Verbin- gen eingesetzt (Abb. 4.50). Im Fall der Leucht-
dung mit der Überdrucktechnik ermöglichen diode (LED) wird ein Festkörperkristall aus
in Relation zur herkömmlichen Glühlampen- verschiedenen Halbleitermaterialschichten
technik auch bei Lampen mit hoher Leistung durch einen Stromfluss zum Leuchten ange-
kleine Bauabmessungen sowie höhere Tem- regt (Aschn. 9.4.1.1, Abb. 9.72). Je nach Art des
peraturbelastungen des Leuchtkörpers oder verwendeten Materials strahlt die Leuchtdiode
alternativ hierzu längere Lebensdauern. in unterschiedlichen Farben mit schmalban-
Typische Anwendungsgebiete sind Fahrzeug- digem Spektrum (Δλ ≈ 15 nm bis 30 nm).
scheinwerfer, Allgemeinbeleuchtung (z. B. Als Halbleitermaterial kommen die Verbin-
Flutlichtanlagen, Effektbeleuchtung) und dungen InGaAlP (Rot, Amber, Gelb) und
Foto-, Studio- und Bühnenbeleuchtung. InGaN (Grün, Blau) zum Einsatz. Das Licht
In Abb. 4.46 sind die Entladungslampen in einer weißen LED wird aus der Farbmischung
Glimm-, Niederdruck-, Spektral-, Hochdruck- einer blau leuchtenden LED und einem gelb
und Höchstdrucklampen eingeteilt, die ent- emittierenden Leuchtstoff erzeugt. Dieser
sprechenden Kenngrößen zusammengestellt, Leuchtstoff befindet sich unmittelbar auf der
die wichtigsten Normen erwähnt und haupt- LED und wird durch das blaue Licht der LED
sächlichen Anwendungsfelder aufgezeigt zur Luminiszenz angeregt.
sowie einige Lampentypen exemplarisch dar- Wesentliche Vorteile der LED im Vergleich
gestellt. Bei den Entladungslampen werden zur Glühlampe sind die kompakte Bauform
beim Stromdurchgang Gase oder Metall- und die hohe Lebensdauer. So verdrängte be-
dämpfe (z. B. Quecksilber oder Natrium) reits im Automobilbereich zur Beleuchtung
angeregt. Die dabei aufgenommene kine- des Armaturenbretts die LED weitgehend die
tische Energie wird als Strahlung wieder Glühlampe. Im Bereich der Signal- und An-
abgegeben. Je nach Gas, Druck, Leuchtstoffen zeigenanwendung liegt die Stärke der LED in
4.3 Elektrisches Feld 317

der hohen Effizienz der farbigen Lichterzeu- schmelzung (Kernfusion) kommen kann (Ab-
gung. Bei der Lichterzeugung von farbigen schn. 8.8.4).
Licht mittels Glühlampen müssen verlustbe- Beim magnetohydrodynamischen Generator
haftete Farbfilter eingesetzt werden, die die (MHD-G.) wird ein Plasmastrom durch ein
Gesamteffizienz des Systems erheblich redu- transversales Magnetfeld geschickt. Ähn-
zieren. LEDs lassen sich in allen Betriebsarten, lich wie beim Hall-Effekt (Abschn. 4.4.3.2,
wie Sofortstart, Blinken und Dimmen von 0% Abb. 4.108) werden positive und negative
bis 100% mit relativ einfachen Betriebsgeräten Teilchen getrennt, sodass eine elektrische
bei niedrigen Betriebsspannungen anwenden. Spannung auftritt. Dadurch wird thermische
Organische Leuchtdioden (OLED) sind im Ver- direkt in elektrische Energie umgewandelt.
gleich zur LED nicht aus Halbleiterkristal-
Zur Übung
len, sondern aus verschiedenen dünnen or- Ü 4.2-1 Für ein Aluminiumwerk mit 20 Schmelz-
ganischen Polymerschichten aufgebaut. Auf- öfen steht in einer Entfernung von 500 m ein Gene-
grund der Polymereigenschaften und der ge- rator eines Kraftwerks, der diese mit Strom versorgt.
ringen Gesamtdicke einer OLED von etwa Die Verbindungsleitungen bestehen aus Kupfer (ρCu =
0,5 μm lassen sich flexible, flächige und far- 0,018 Ω · mm2 /m; Querschnitt A = 64 cm2 ). Die Alu-
bige Lichtquellen herstellen. Hauptanwendun- miniumöfen sind in Reihe geschaltet und an jedem liegt
eine Spannung von 4,6 V. Jeder Ofen soll je Schicht (8 h)
gen der OLED sind aktive Matrix-Displays für
100 kg Aluminium erzeugen (Ä = 0,09321 mg/(As)).
die Text- und Bilddarstellung. Wie groß muss die am Generator erzeugte Leistung
sein?

4.2.3 Plasmaströme
Ü 4.2-2 Ein Stahlzylinder (Länge l = 1,50 m; Ra-
Ein Plasma besteht aus positiven Ionen und dius r = 5 cm) soll galvanisch mit einer Schichtdicke
d = 5 · 10−2 mm vernickelt werden (ρNi = 8,7 kg/dm3 ;
negativen Elektronen großer Dichte. Wegen
Ä = 0,30415 mg/(As)). Welche Stromstärke ist dazu er-
der annähernd vollständigen Ionisation der forderlich und wie lange muss das Werkstück im Bad
Materie (bis zu 99%) wird der Plasmazu- bleiben, wenn die Stromdichte j = 25 A/m2 nicht über-
stand auch als vierter Aggregatszustand be- schritten werden darf?
zeichnet. Ein Beispiel eines quasineutralen
Plasmas (gleich viel positive wie negative La-
dungsträger) ist die positive Säule einer Glim- 4.3 Elektrisches Feld
mentladung (Abb. 4.44a).
Das physikalische Verhalten von Materie im 4.3.1 Allgemeiner Feldbegriff
Plasmazustand spielt vor allem in der Astro-
physik und in der Kernphysik eine Rolle. Die In der Physik tritt die Bezeichnung Feld in
Ladungsträgerkonzentrationen liegen z. B. in verschiedenen Zusammenhängen auf (z. B. in
der Ionosphäre bei 1010 Ladungsträgern je m3 , Abschn. 2.12.2.1). Ein Feld ist allgemein eine
in der Sternatmosphäre bei 1020 je m3 und im physikalische Größe Z, die nicht nur in einem
Sterninnern sogar bei 1030 je m3 . Diese hohen einzigen Punkt, sondern im gesamten Raum
Konzentrationen werden durch extrem hohe wirksam und damit messbar ist. Ein Feld kann
Temperaturen (10 000 bis 30 000 K) verursacht. daher mathematisch beschrieben werden:
Die Atomkerne und die Elektronen werden bei
einer Temperatur von 108 K völlig voneinan- Z = Z(x, y, z; t) . (4.90)
der getrennt, sodass es zu einer Atomkernver-
318 4 Elektrizität und Magnetismus

Abb. 4.47 Einteilung der Felder

Abbildung 4.47 zeigt, dass Felder eingeteilt dungen sind. Diese elektrischen Kräfte lassen
werden können je nach ihrer Unabhängigkeit sich nach dem Coulomb’schen Gesetz (4.2) be-
bzw. Abhängigkeit von bestimmten Größen: rechnen (nicht für zeitlich sich ändernde Fel-
der). Sie wirken nicht nur im Ort der Ladung
– Richtung
selbst, sondern auch in deren Umgebung. Es
Richtungsunabhängige Felder sind skalare
ist deshalb ein elektrisches Feld vorhanden:
(z. B. Temperaturfelder) und richtungsab-
hängige sind Vektorfelder.
– Ort Das elektrische Feld wird mathematisch
Im allgemeinen Fall sind die Felder abhän- durch ein Vektorfeld beschrieben. Es
gig vom Ort (inhomogen). Nur in Spezial- rührt von elektrischen Ladungen her
fällen sind sie unabhängig vom Ort (homo- und beschreibt die Wirkungslinien der
gen), z. B. das elektrische Feld zwischen den elektrischen Kräfte in Betrag und Raum-
Platten eines Plattenkondensators oder das richtung. Als anschauliches Hilfsmittel
magnetische Feld im Innern einer lang ge- verwendet man hierfür den Begriff
streckten Spule. elektrische Feldlinien.
– Zeit
Zeitunabhängige Felder werden stationär
Die elektrischen Feldlinien weisen folgende Ei-
(z. B. laminare Strömung durch ein Rohr)
genschaften auf:
und zeitabhängige Felder instationär ge-
nannt.
– Sie beschreiben die elektrischen Kraftwir-
kungen:
4.3.2 Beschreibung des elektrischen Feldes • die Tangente an die Feldlinie gibt die
Kraftrichtung an;
Aus Abschn. 4.1 geht hervor, dass eine der Ur- • die Kraftwirkungen sind eindeutig, d. h.
sachen für elektrische Kraftwirkungen die La- die Feldlinien schneiden sich nicht;
4.3 Elektrisches Feld 319

• die Dichte der Feldlinien gibt Anhalts- nere von metallischen Körpern immer feld-
punkte für die Stärke der Kraftwirkungen frei ist, wie es in Abb. 4.48f angedeutet ist.
an verschiedenen Stellen; Mit metallischen Umhüllungen können des-
– sie besitzen einen Anfang (positive Ladung) halb elektrische Felder abgeschirmt werden
und ein Ende (negative Ladung). Dies be- (Faraday’scher Käfig).
deutet, dass es keine in sich geschlossenen Abbildung 4.48 zeigt den Verlauf der elektri-
Feldlinien gibt. Die Richtung von positiver schen Feldlinien für eine positive Ladung (a),
zu negativer Ladung ist willkürlich festge- für zwei gleich große, entgegengesetzte Ladun-
legt; gen (b), für zwei gleich große gleichnamige La-
– positiv geladene Körper werden in Richtung dungen (c), für zwei gleich große Metallplatten
der Feldlinien beschleunigt, negativ gela- (d), für eine Metallplatte und eine Metallspitze
dene den Feldlinien entgegen; (e) und für einen Metallrahmen zwischen zwei
– da auf metallischen Leitern die Elektronen Metallplatten (f).
frei beweglich sind, werden sie so lange ver-
schoben, bis keine tangentiale Kraftkompo- 4.3.3 Elektrische Feldstärke und Kraft
nente mehr vorhanden ist. Dies bedeutet,
dass auf elektrischen Leitern die elektrischen Wird in ein elektrisches Feld eine punktför-
Feldlinien senkrecht stehen; mige Prüfladung Q gebracht, so spürt diese
– befinden sich metallische Körper im elektri- eine Kraft F. Der Quotient aus der Kraft F und
schen Feld, so sitzen die Ladungen immer an der Prüfladung Q wird elektrische Feldstärke E
der Oberfläche. Dies bedeutet, dass das In- genannt:

Abb. 4.48 Feldlinienbilder


320 4 Elektrizität und Magnetismus

Die Feldlinien gehen strahlenförmig (radial)


F
E= . (4.91) von der Punktladung aus (Abb. 4.48a) oder
Q führen zu ihr hin und die Feldstärke nimmt
quadratisch mit der Entfernung von der
Punktladung Q1 ab.
Die Maßeinheit ist 1 N/C = 1 V/m. In inhomogenen Feldern (Abb. 4.47) ist die
Die elektrische Feldstärke ist ein Vektor in elektrische Feldstärke und damit die Kraftwir-
Richtung der Kraft. Die Definition der elek- kung in unterschiedlichen Raumpunkten ver-
trischen Feldstärke E als Kraft je Probeladung schieden groß. In homogenen Feldern dage-
erfolgt analog der Gravitationsfeldstärke g gen, z. B. zwischen zwei geladenen parallelen
(Gravitationskraft pro Masse, Abschn. 2.10.3). Platten (Abb. 4.48d), ist die elektrische Feld-
Für die Kraft im elektrischen Feld ergibt sich stärke und folglich die Kraft überall gleich
aus (4.91) groß. Für die Spannung U zwischen den Plat-

ten gilt: U = E ds. Für homogene Felder
F = EQ . (4.92) ergibt sich

U =E·d
Am Beispiel einer Punktladung kann der Zu-
oder für die elektrische Feldstärke E
sammenhang zwischen Feldstärke und Kraft
gut gezeigt werden. Nach dem Coulomb’schen U
Gesetz (4.2) gilt E= . (4.94)
d
1 Q1 Q2 r
F = · .
4πε0 r2 r Diese Beziehung beschreibt als Spezialfall
Für die Feldstärke E der Punktladung Q1 am die elektrische Feldstärke E zwischen zwei
Ort der Prüfladung Q2 folgt nach (4.91) geladenen Platten (Plattenkondensator, Ab-
schn. 4.3.6.2) in Abhängigkeit vom Abstand d.
Für den allgemeinen (inhomogenen) Feldfall
F 1 Q1
E= = · r. (4.93) jedoch muss man auf (4.91) zurückgreifen.
Q2 4πε0 r3
Beispiel
4.3-1 An den Eckpunkten eines Quadrates mit der
Dabei ist r der Abstandsvektor des Aufpunktes Seitenlänge von 10 cm befinden sich gleiche Ladungen
von der felderzeugenden Punktladung Q1 . Q1 bis Q4 von je 5 · 10−7 C, wie es Abb. 4.49 verdeut-
Die elektrische Feldstärke E(P0 ) am Ort P0 ei- licht. Ermitteln Sie mit einem Rechenprogramm die
ner Prüfladung errechnet sich bei n felderzeu- Feldstärke E (Betrag und Richtung) im Mittelpunkt P
genden Ladungen Q1 , Q2 bis Qn zu des Quadrates für folgende vier Ladungsanordnungen:
Q1 Q2 Q3 Q4
1
E(P0 ) = a) – – – –
4πε0
b) – – + +
Q1 Q2 Qn c) – + – +
· 3 r10 + 3 r 20 + … + 3 rn0 . d) – – + –
r10 r20 rn0
Fassen Sie das Programm so ab, dass beliebige La-
Dabei ist rn0 der Abstand der n-ten Ladung dungen in den Eckpunkten sitzen können und die La-
vom Ort der Prüfladung. dungsabstände unterschiedlich sein können.
4.3 Elektrisches Feld 321

Im Programm werden die Ladungen Q1 bis Q4 und


der Ladungsabstand D eingegeben. Ausgegeben wer-
den eine kurze Darstellung des Problems und der Vek-
tor der elektrischen Feldstärke E im Punkt P in Betrag
und Richtung. Die Richtungsangabe erfolgt in Grad,
0◦ bedeutet die Linie senkrecht nach oben. Der Winkel
wird in mathematisch positiver Richtung größer. Ab-
bildung 4.49 zeigt den Ausdruck für die Fälle a) bis d)
sowie für eine beliebige Ladungseingabe (Fall e)).
Man erhält folgende Ergebnisse:
Für den Fall gleicher Ladungen (Fall a)) gibt es keine
Feldstärke im Punkt P. Im Fall b) herrscht eine Feld-
stärke von 2,54 · 108 V/m senkrecht nach oben (Winkel
gleich 0◦ ). Im Fall c) herrscht dieselbe Feldstärke um
90◦ verschoben und im Fall d) beträgt die Feldstärke
1,79 · 108 V/m in einem Winkel von 315◦ .
Im allgemeinen Fall e) seien als Ladungen eingegeben:
Q1 = −1 C, Q2 = 2 C, Q3 = 5 C und Q4 = −1,5 C
sowie ein Ladungsabstand von 1 000 m. Man erhält eine
Feldstärke von 5,46 · 104 V/m und einen Winkel von
305,54◦ .

4.3.4 Elektrische Feldstärke


und elektrostatisches Potential

Um eine positive, punktförmige Probela-


dung Q im elektrischen Feld vom Punkt A
nach Punkt B zu verschieben (Abb. 4.50), muss

Abb. 4.49 Rechnerausdruck der Lösungen von


Beispiel 4.3-1

Lösung
Für die Feldstärke E der Punktladung Q1 am Ort P gilt
nach (4.93)
Q1 Q1
|EQ,P | = = 2 .
D√ 2 D
4 πε0 2 8 πε0
2 2
D ist der Ladungsabstand. Durch Vektoraddition wer-
den alle vier elektrischen Feldstärken (herrührend von
den vier Ladungen) im Punkt P addiert und ergeben
die resultierende Feldstärke E am Ort P in Betrag und Abb. 4.50 Verschiebung von Ladung im elektrischen
Richtung. Feld
322 4 Elektrizität und Magnetismus

gegen die Feldkraft F = QE eine Verschie- Wird die Probeladung Q vom Unendlichen
bungsarbeit verrichtet werden: (rA = ∞) zum Punkt B geführt, dann ist die
B Spannung zwischen unendlich und Punkt B
WAB =− F(s) ds . B
Q1
U∞B = E ds = − .
A 4πε0 rB
Daraus ergibt sich ∞
Sie hängt also nur von der Lage des Punktes B
B
im elektrischen Feld ab. Als elektrisches Po-
WAB =− Q E ds oder
tential ϕB des Punktes B wird bezeichnet:
A

B
B W∞B
ϕB = − E ds = . (4.98)
WAB = −Q E ds . (4.95) ∞
Q
A

Die elektrische Spannung UAB zwischen zwei


Wegen des Energieerhaltungssatzes muss Punkten A und B eines elektrischen Feldes
diese Verschiebungsarbeit unabhängig vom lässt sich durch Kombination von (4.96) und
Weg von A nach B (z. B.
1 oder
2 in Abb. 4.50) (4.97) als Differenz der elektrischen Potentiale
sein, sodass gilt ϕB und ϕA darstellen, wie Abb. 4.51 zeigt:
B A
E ds + E ds = E ds = 0 , −UAB = ϕB − ϕA = Δϕ . (4.99)
A B

d. h., die Aufsummierung aller skalaren Pro-


Somit schreibt man für den Zusammen-
dukte E d s (= |E| · | ds| · cos(E, ds)) entlang
hang zwischen Ladungsverschiebearbeit WAB ,
eines geschlossenen Weges muss null sein.
Spannung UAB , Potentialdifferenz Δϕ und
Der Quotient aus negativer Verschiebungsar-
elektrischer Feldstärke E
beit WAB und Ladung Q ist die elektrische
Spannung UAB zwischen den Punkten A und B. B
WAB
− = UAB = −Δϕ = E ds .
Q
B A
WAB
UAB =− = E ds . (4.96) (4.100)
Q
A

Wird im Feld einer Punktladung Q1 eine posi-


tive Probeladung Q vom Ort A (rA ) zum Ort B
(rB ) verschoben, so ist mit Hilfe von (4.93) die
Spannung zwischen den Punkten A und B


Q1 1 1
UAB = − . (4.97)
4πε0 rA rB Abb. 4.51 Elektrostatisches Potential und Spannung
zwischen zwei Punkten
4.3 Elektrisches Feld 323

Für sehr kleine Verschiebungen ist Aufpunktes P durch Integration der elektri-
schen Feldstärke auf dem Weg von P nach ∞.
dϕ = −E ds = −|E| · | ds| cos(E, ds) . Das Ergebnis ist unabhängig vom genauen
Verlauf des Weges.
Findet diese sehr geringe Verschiebung in
– Aus dem elektrostatischen Potential ϕ lässt
Feldrichtung statt (cos (E, ds) = 1), so gilt
sich durch Anwendung des Vektoroperators
Gradient die elektrische Feldstärke E (bzw.
dϕ deren Komponenten Ex , Ey und Ez ) errech-
|E| = − (4.101)
ds nen ((4.102) bzw. (4.103)).
– Beide Beschreibungsweisen des elektri-
schen Feldes, also durch die elektrische
oder für die räumlichen Komponenten des Fel-
Feldstärke E und andererseits durch das
des
elektrostatische Potential ϕ, sind gleichbe-
⎛ ⎞ rechtigt.
∂ϕ ∂ϕ ∂ϕ ⎠
E(x, y, z) = − ⎝ i + j+ k
∂x
!"#$ ∂y ∂z
!"#$ Äquipotentialflächen
!"#$
Ex + Ey + Ez Auf Äquipotentialflächen herrscht immer glei-
ches Potential (ϕ = konstant), d. h., der Poten-
(4.102) tialunterschied ist null (Δϕ = 0). Dann folgt
nach (4.100)

Gleichung (4.102) kann auch mit dem Vektor-


0 = E ds = |E|| ds| cos(E, ds) . (4.104)
operator Gradient

∂ ∂ ∂
grad = i+ j+ k Das Skalarprodukt E ds wird null, wenn die
∂x ∂y ∂z
beiden Vektoren senkrecht aufeinander ste-
formuliert werden: hen, wie es Abb. 4.52 zeigt (dann ist cos
(E ds) = 0), sodass gilt E ⊥ ds.

E = −grad ϕ . (4.103)

Folglich kann man die Komponenten des elek-


trischen Feldes durch die Potentialänderung in
den entsprechenden Richtungen bestimmen.
Das Minuszeichen besagt, dass der Vektor E in
Richtung abnehmenden Potentials zeigt (ent-
sprechend der Feldrichtung von + nach −). Der
Vektor E zeigt dabei in Richtung der maxima-
len Änderung des Potentials ϕ. Ein Vergleich
von (4.100) und (4.103) zeigt:
– Wird dem Punkt ∞ das Potential 0 zuge- Abb. 4.52 Äquipotentiallinien und elektrische
ordnet, dann erhält man das Potential des Feldlinien
324 4 Elektrizität und Magnetismus

In der Zeichenebene entsprechen den Bewegung von Wasserteilchen in einer bergi-


Äquipotentialflächen die Äquipotentiallinien. gen Landschaft vergleichen. Dies rührt u. a.
Diese Aussage bedeutet: von der Ähnlichkeit der Gravitationskraft mit
der elektrostatischen Coulomb-Kraft her. Wie
– Wird die Ladung auf den Äquipotentialli-
Abb. 4.53 zeigt, ist der Verlauf des elektrosta-
nien verschoben, so ist aufgrund (4.100) die
tischen Potentials einem Gebirge vergleichbar,
Verschiebungsarbeit WAB = 0.
in dem die Äquipotentiallinien den Höhenli-
– Die elektrischen Feldlinien stehen immer
nien (Linien gleicher potentieller Energie) ent-
senkrecht auf den Äquipotentiallinien. Da
sprechen. Wie die Wasserteilchen senkrecht zu
die elektrischen Feldlinien ihrerseits im-
den Höhenlinien in Richtung des Gefälles rei-
mer senkrecht auf den metallischen Ober-
bungsfrei nach unten laufen, so werden die La-
flächen stehen, sind die Oberflächen von
dungen senkrecht zu den Äquipotentiallinien
metallischen Leitern immer Äquipotential-
beschleunigt. In Richtung des steilsten Abfalls
flächen.
sind die Höhenlinien wie die Äquipotentialli-
Die Bewegung geladener Teilchen im elektri- nien dicht gedrängt und dies ist die bevorzugte
schen Feld lässt sich gut mit der reibungsfreien Bewegungsrichtung.

Abb. 4.53 Vergleich Gravitationsfeld und elektrisches Feld


4.3 Elektrisches Feld 325

Wegen dieser Eigenschaft, dass die elektri-


schen Feldlinien immer senkrecht zu den Li-
nien gleichen Potentials stehen, ist es häu-
fig weniger aufwändig, aus den Linien glei-
chen Potentials – die leicht zu messen sind –
die elektrischen Feldlinien (die schwieriger zu
messen wären) zu ermitteln. In der Praxis
Abb. 4.55 Äquipotentiallinien und elektrische
setzt man dazu Äquipotentiallinienschreiber Feldlinien an einer metallischen Spitze
ein; hierbei zeichnet man die Leitergeometrien
mit Leitsilber auf Widerstandspapier und er-
mittelt bei angelegter Spannung zwischen den – umso größer ist, je kleiner der Spitzenradius
Leitsilberlinien die Linien gleicher Spannung ist und
mit einem Voltmeter. Abbildung 4.54 zeigt – kaum von der Geometrie der Gegenelek-
einen automatisch arbeitenden Äquipotenti- trode beeinflusst wird.
allinienschreiber, der mikroprozessorgesteu-
Die hohe elektrische Feldstärke und damit
ert die Linien gleicher Spannung selbsttätig
die großen elektrischen Kräfte um metallische
abfährt und programmgesteuert die Äquipo-
Spitzen nutzt man in der Technik
tentiallinien ermittelt, sie sofort mit Schreiber
aufzeichnet und über ein Computerprogramm – beim Blitzableiter,
gleichzeitig die elektrischen Feldlinien regis- – im Geiger’schen Spitzenzähler zum
trieren kann. Nachweis ionisierender Strahlung (Ab-
Abbildung 4.55 stellt die Äquipotentiallinien schn. 8.8.1.4) und
bzw. die elektrischen Feldlinien zwischen – Im Feldelektronenmikroskop zur Un-
einer ebenen Platte und einer metallischen tersuchung atomarer Strukturen (Ab-
Spitze dar. Es wird deutlich, wie dicht die schn. 4.2.2.1).
Äquipotentiallinien oder wie stark das elek-
trische Feld oder die elektrischen Kräfte in Beispiel
unmittelbarer Umgebung der Spitze sind. 4.3-2 Eine Ladung Q wird mit konstanter Geschwin-
digkeit vom Punkt A zum Punkt C über die Stre-
Es kann gezeigt werden, dass die Feld-
cke ABC bewegt (Abb. 4.56). Berechnet werden soll
stärke die Potentialdifferenz zwischen den Punkten C und A
(UCA ).

Lösung
B
Nach (4.100) gilt UAB = − E dl. Somit ergibt sich
A

B B
E
UBA = ϕB − ϕA = − E cos α dl = √ dl
2
A A
E E √
= √ l= √ 2 d = Ed .
2 2
Die Punkte B und C haben gleiches Potential, da die
Feldstärke E senkrecht zum Wegelement dl steht, so-
dass E dl = 0 wird. Es handelt sich also um die Äqui-
Abb.4.54 Automatischer Äquipotentiallinienschreiber potentiallinie (BC), sodass gilt UCA = UBA = E d.
326 4 Elektrizität und Magnetismus

auf Kosten der potentiellen Energie, d. h. des


Potentialunterschieds entlang des Beschleuni-
gungswegs. Nach dem Energieerhaltungssatz
gilt

ΔEkin = −ΔEpot ,
1 2
m − 20 = −Q (ϕ1 − ϕ2 ) = Q U ,
2

1 2
m − 20 = Q U . (4.106)
2

Abb. 4.56 Zu Beispiel 4.3-2. Eine äußere Kraft F Man erkennt, dass die kinetische Energie
bewegt eine Ladung Q auf dem Weg ABC proportional zur durchlaufenden Beschleu-
nigungsspannung U zunimmt. Falls die An-
fangsgeschwindigkeit 0 = 0 ist, setzt man an
4.3.5 Bewegung geladener Teilchen
im elektrischen Feld
1
Ekin = m 2 = QU . (4.107)
4.3.5.1 Grundlegende Betrachtungen 2
Ein elektrisch geladenes Teilchen (z. B. ein
Elektron oder ein Proton) wird im elektrischen In der Atom- und Kernphysik (Abschn. 8) wer-
Feld der Feldstärke E wegen der elektrischen den die Energien von Elementarteilchen übli-
Kraft F el = Q E in Feldrichtung beschleunigt, cherweise in Elektronenvolt (eV) gemessen:
sodass das Teilchen mit der Masse m nach dem
Newton’schen Grundgesetz der Dynamik eine Ein Elementarteilchen mit der Elemen-
Beschleunigung erfährt: tarladung e = 1,60219 · 10−19 As erhält
beim Durchlaufen einer Potentialdiffe-
= ma ,
F el renz von 1 V eine Energiezunahme von
QE = ma .
1 Elektronenvolt (eV) = 1,60219 · 10−19 J .
Daraus ergibt sich die Beschleunigung (4.108)

Q Außer der Einheit eV werden auch andere grö-


a= E. (4.105)
m ßere Einheiten verwendet:

Ist das elektrische Feld homogen, so durchläuft 1 MeV = 106 eV = 1,60219 · 10−13 J ,
ein geladenes Teilchen eine Bewegung mit kon- 1 GeV = 109 eV = 1,60219 · 10−10 J .
stanter Beschleunigung. Deshalb nimmt die (4.109)
kinetische Energie Ekin ständig zu, und zwar
4.3 Elektrisches Feld 327

Aus (4.107) lässt sich die Endgeschwindigkeit Elektronenmasse im Vergleich zur Ruhemasse um 5%,
geladener Teilchen berechnen: 10%, …, 100% größer? Zeichnen Sie in Abhängigkeit
von U im klassischen und im relativistischen Fall auf.

2QU Lösung
= . (4.110)
m
a) Es sind folgende Beziehungen zu verwenden:

m0 = 9,11 · 10−31 kg; e = 1,602 · 10−19 C;


Gleichungen (4.106), (4.107) und (4.110) sind
nur für kleine Geschwindigkeiten gültig. Für c = 2,998 · 108 m/s .

sehr schnelle fliegende Teilchen (ab etwa 10% Für ein Elektron gilt weiterhin die Elektronenge-
der Vakuumlichtgeschwindigkeit c; bei Elek- schwindigkeit (klassisch)
tronen schon bei der relativ kleinen Spannung
von 2 500 V) ist der relativistische Massenzu- √
ke = 5,93 · 105 U / V m/s , (4.113)
wachs spürbar (Abschn. 10.4):
m0
m= 2 . relativistisch
1−
c
Hierin ist m0 die Ruhmasse des Teilchens re = 2,998 · 108

und c die Vakuumlichtgeschwindigkeit. Es gilt 1
1− m/s,
nach (10.16) für die kinetische Energie Ekin = (1,957 · 10−6 U / V + 1)2
m c2 − m0 c2 . Eingesetzt in (4.107) resultiert (4.114)
9,11 · 10−31 kg
m = 2 , (4.115)
QU = (m − m0 ) c2 1−
re
⎛ ⎞ 2,998 · 108 m/s
⎜ 1 ⎟ m
=
1
= m0 c2 ⎜


2 − 1⎠ , m0 re
2 . (4.116)
1−
1− 2,998 · 108 m/s
c
(4.111)

und für errechnet sich nach (4.111)




1
= c


1 − 2 . (4.112)
QU
+1
m0 c2

Beispiel
4.3-3 Für ein Elektron (Ruhemasse m0 = 9,11
10−31 kg) sollen anhand eines Programms für die
durchlaufenen Spannungen von 1 V bis 1010 V (in
10 V-Schritten) die Elektronengeschwindigkeit , die Abb. 4.57 Elektronengeschwindigkeit normiert auf
Elektronenmasse m sowie die relative Massenzu- die Lichtgeschwindigkeit c in Abhängigkeit von der
nahme m/ m0 errechnet werden. Bei wie viel eV ist die Spannung im klassischen und relativistischen Fall
328 4 Elektrizität und Magnetismus

b) Abbildung 4.57 zeigt die Abhängigkeit der Elektro- (Die Gravitationskraft kann im Vergleich
nengeschwindigkeit von der Spannung im klassi- zur Feldkraft vernachlässigt werden.) Dar-
schen bzw. im relativistischen Fall: Die Geschwin- aus errechnet sich eine Geschwindigkeit in
digkeit nach der klassischen Formel würde ab 105 V
y-Richtung von y = ay t.
sehr schnell ins Unendliche anwachsen, während
sie im relativistischen Fall in die Gerade el = c
Analog zum waagerechten Wurf erhält man für
einmündet. die Bewegung in x-Richtung x = ox t und in
y-Richtung y = 12 ay t2 = 2emEe t2 .
Durch Eliminieren von t ergibt sich die Bahn-
gleichung (s. waagrechter Wurf, (2.17) in Ab-
4.3.5.2 Bewegung eines geladenen Teilchens
schn. 2.2.2.3):
quer zum elektrischen Feld
a
Es sei angenommen, dass Elektronen nach y = 2 x2 oder
(4.110) mit einer Geschwindigkeit von 2 ox

2e
ox = Ua eE
me y= x2 . (4.117)
2 me 2ox
in ein homogenes Querfeld E einströmen.
Dieses Feld kann durch einen Plattenkon-
densator der Plattenlänge l und dem Plat- Da für die elektrische Feldstärke im Konden-
tenabstand d erzeugt werden. Dies geschieht sator E = UKond / d gesetzt werden kann und
u. a. beim Elektronenstrahl-Oszilloskop (Ab- 2ox = 2 e Ua / me ist, erhält man
schn. 4.3.5.4) und ist schematisch in Abb. 4.58
dargestellt. Die Bahnkurve des Elektrons ent- UKond 2
y= x . (4.118)
spricht der eines waagrechten Wurfes (Ab- 4 d Ua
schn. 2.2.1.3), da
– in x-Richtung eine Bewegung mit konstanter Für den Ablenkwinkel ϕ gilt
Geschwindigkeit ox und
– in y-Richtung eine Bewegung mit konstan- y eE
ter Beschleunigung ay = e E/ me (4.105) er- tan ϕ = = t. (4.119)
ox me ox
folgt.

Abb. 4.58 Flugbahn eines Elektrons im homogenen elektrischen Querfeld


4.3 Elektrisches Feld 329

Wegen t = l/ ox gilt nach Verlassen des Feldes 4.3.5.3 Bewegung eines geladenen Teilchens
parallel zum elektrischen Feld
eEl Als Beispiel sei ein positiv geladenes Teilchen
tan ϕ = . (4.120) gewählt, ein Proton mit der Masse mP und der
me 2ox
Ladung +e. Wie Abb. 4.59 zeigt, entspricht die
elektrische Kraft F el = e E der Gravitations-
Mit (4.94) für E und (4.110) für 2ox erhält man kraft F Gr = m g (s. dazu auch Abb. 4.53). Die
konstante Beschleunigung des Protons errech-
l UKond net sich nach (4.105) zu
tan ϕ = . (4.121) eE
2 d Ua a= .
mP
Es ergeben sich die bekannten Beziehungen
Für die Ablenkung aus der Flugrichtung nach
der Mechanik für den freien Fall, wenn anstelle
Verlassen des Feldes bedeutet dies:
von g der obige Ausdruck für a gesetzt wird:
– Je größer l (oder die Flugdauer t), desto grö- = a t,
ßer die Ablenkung;
– je größer die Kondensatorspannung UKond eE
= t. (4.123)
oder die Feldstärke E = UKond / d, desto grö- mP
ßer die Ablenkung und
– je größer die Anodenspannung Ua (oder die Für den Weg gilt y = 12 a t2 ,
Geschwindigkeit ), desto kleiner die Ablen-
kung.
1 eE 2
y= t , (4.124)
Wenn sich im Abstand s von der Kondensator- 2 mP
mitte ein Auffangschirm befindet, dann kann
die Ablenkung b (Abb. 4.58) berechnet werden für den Zusammenhang zwischen Geschwin-
gemäß
digkeit, Beschleunigung und Weg = 2 a y,

l
b = yA + s − tan ϕ .
2 2eE
= y. (4.125)
Mit den Beziehungen für yA (4.117) und mP
tan ϕ (4.120) ergibt sich

eE 2 l eEl
b= l + s− =
2 me 2ox 2 me 2ox

eEl l 1
= 2 +s− ,
me ox 2 2

eE l s e UKond l s l s UKond
b= = = .
me 2ox me d 2ox 2 d Ua
(4.122) Abb. 4.59 Bewegung eines geladenen Teilchens
parallel zum elektrischen Feld
330 4 Elektrizität und Magnetismus

Abb. 4.61 Messanordnung zur Bestimmung des


Verlaufs der Strom-Spannungskennlinie eines
spannungsabhängigen Widerstandes (VDR)
Abb. 4.60 Braun’sche Röhre, schematisch

bare, interne Sägezahnspannung (Kippspan-


4.3.5.4 Elektronenstrahl-Oszilloskop
nung). Wird die zeitliche Ablenkung (von links
In der sogenannten Braun’schen Röhre des
nach rechts) synchron zur Ablenkung der zu
Elektronenstrahl-Oszilloskops (F. Braun, 1850
untersuchenden Messgröße geschaltet (getrig-
bis 1918) fließen die aus der Heizkathode aus-
gert), dann entsteht auf dem Schirm ein ste-
tretenden und durch die Anodenspannung be-
hendes Bild.
schleunigten Elektronen nicht über die Anode
zurück, sondern treten aufgrund ihrer Träg-
4.3.5.5 Bewegung elektrisch geladener Körper
heit durch das Anodenblech hindurch und
in einer Flüssigkeit und im elektrischen Feld
treffen am anderen Ende der Röhre auf eine lu-
Es sei angenommen, dass sich in einem senk-
mineszierende Substanz (z. B. Zinksulfid) auf,
rechten elektrischen Feld ein geladener Körper
die durch die Energieabsorption der auftref-
in einer Flüssigkeit befindet. Es wirken auf ihn
fenden Elektronen zum Aussenden von sicht-
drei Kräfte, wie Abb. 4.62a zeigt: die des elek-
barem Licht angeregt wird. Zur Horizontal-
trischen Feldes F el , die Auftriebskraft F Auftrieb
und Vertikalablenkung des Elektronenstrahls
und die Gewichtskraft F G . Wird das elektrische
dienen um 90◦ versetzt angeordnete Ablenk-
Feld so eingestellt, dass der geladene Körper
kondensatoren. Abbildung 4.60 lässt das Prin-
schwebt, dann muss die Summe aller äußeren
zip des Aufbaus erkennen.
Kräfte gleich null sein ( F außen = 0):
In Abb. 4.61 wird als Beispiel die Schaltung
zur Messung der Strom-Spannungs-Kennlinie
eines spannungsabhängigen Widerstandes F el + F Auftrieb + F G =0. (4.126)
(VDR) gezeigt. Die horizontale Ablenkung (x)
wird von der am VDR-Widerstand abfallenden
Spannung bestimmt, während die vertikale In Abb. 4.62b ist zusammengestellt, wie mit
Ablenkung (y) einer Spannung entspricht, die dieser Anordnung die Bestimmung
dem Stromfluss durch den VDR-Widerstand
– der Ladung Q der Kugel,
proportional ist.
– der Dichte ρFl der Flüssigkeit und
Bei der Messung eines Spannungssignals wird
– der Dichte ρK des festen Körpers
die zu messende Spannung an die Vertikal-
platte angelegt; an der Horizontalplatte befin- erfolgen kann. Dabei ist VK das Volumen der
det sich in diesem Fall eine zeitlich einstell- Kugel, Q die Ladungsmenge des Körpers, E die
4.3 Elektrisches Feld 331

Abb. 4.63 Materie im elektrischen Feld

Die Teilchenmasse kann durch die Sinkge-


schwindigkeit im Gravitationsfeld unter Be-
rücksichtigung der Stokes’schen Reibungskraft
(Abschn. 2.12.2.3, (2.237)) bestimmt werden;
hierbei wird der Radius des Masseteilchens
mikroskopisch ermittelt.

4.3.6 Leiter im elektrischen Feld

Befindet sich Materie in einem elektrischen


Feld, so wirkt auf alle Ladungen in dieser Ma-
terie eine elektrische Kraft. Wegen der unter-
schiedlichen Beweglichkeit der Ladungsträger
im Leiter (frei beweglich) und im Nichtleiter
Abb. 4.62 a Kräfte auf einen geladenen Körper in einer (gering beweglich) lassen sich die in Abb. 4.63
Flüssigkeit, b Kräftegleichgewicht beim Schweben zusammengestellten Effekte beobachten:
eines Körpers in einer Flüssigkeit unter der Wirkung
eines elektrischen Feldes – Im Leiter werden die beweglichen Elektro-
nen relativ zu den Atomrümpfen verscho-
ben und dadurch positive und negative La-
elektrische Feldstärke und g die Erdbeschleu-
dungsträger getrennt (Influenz).
nigung.
– Im Nichtleiter werden die Ladungsträger
Mit einer ähnlichen Messanordnung (mit Luft-
nur geringfügig verschoben (Polarisation).
füllung) gelang es im Jahr 1910 R. A. Milli-
kan (1868 bis 1953), die Elementarladung zu Nachfolgend sind die Erscheinungen in Lei-
bestimmen und ihre Quantisierung nachzu- tern, in Abschn. 4.3.7 die in Nichtleitern be-
weisen. Für diesen Schwebezustand gilt dann schrieben.
(ohne die Auftriebskraft der Flüssigkeit)
4.3.6.1 Elektrische Influenz, elektrische
F el + F G =0, Verschiebungsdichte und elektrische Feldstärke
U In einem Leiter sind die Ladungsträger (im
Q = mg ,
d Allgemeinen Elektronen) frei beweglich. Das
Leiterinnere ist deshalb immer feldfrei; zusätz-
mg d lich aufgebrachte Ladungen sitzen stets an der
Q= . (4.127) Oberfläche. Sie haben alle das gleiche Poten-
U
zial.
332 4 Elektrizität und Magnetismus

Die Flächenladungsdichte σ ist ein Maß dafür, nur möglich, wenn die Flächenladungsdichte σ
wie viel Teilladung ΔQ sich auf einer Teilflä- auf den Influenzplättchen genau so groß ist,
che ΔA befindet: wie diejenige auf den Kondensatorplatten. Die
Ladung ΔQ, die auf den Influenzplättchen sitzt,
ΔQ kann nun außerhalb des elektrischen Feldes
σ= . (4.128)
ΔA gemessen werden, beispielsweise nach (4.3)
über den Entladestrom (Abb. 4.64d). Es zeigt
Die Maßeinheit ist [σ ] = 1 C/m2 = 1 As/m2 . sich, dass die so bestimmte Ladungsdichte
Anhand der Messung der influenzierten La- auf den Influenzplatten der elektrischen Feld-
dung ist eine Beschreibung und Berechnung stärke proportional ist. Die Proportionalitäts-
des elektrischen Feldes möglich. Bringt man konstante ist die elektrische Feldkonstante ε0 :
beispielsweise gemäß Abb. 4.64a ein metalli- σ = ε0 E .
sches Doppelplättchen in ein homogenes elek-
trisches Feld, so werden Ladungen auf dem Das vektorielle Produkt ε0 E ist eine inter-
Doppelplättchen getrennt (Abb. 4.64b). Wer- essante Feldgröße, die allerdings erst dann
den anschließend die Plättchen innerhalb des wichtig wird, wenn sich Materie im elektri-
Feldes getrennt (Abb. 4.64c), so verbleibt der schen Feld befindet (Abschn. 4.3.7). Sie wird
Raum zwischen den Plättchen feldfrei. Dies ist als elektrische Verschiebungsdichte D bezeich-

Abb. 4.64 Influenzplatten im homogenen elektrischen Feld


4.3 Elektrisches Feld 333

net, weil sie durch Verschieben von Influenz-


plättchen gemessen werden kann:

D = ε0 E . (4.129)

Ihr Zahlenwert entspricht der influenzierten


Flächenladungsdichte auf den Metallplatten:

ΔQ
|D| = σ = . (4.130)
ΔA

Ihre Maßeinheit ist [D] = 1 C/m2 = 1 As/m2 .


Die elektrischen Feldlinien haben eine ge-
wisse Ähnlichkeit mit den Stromlinien der
Strömungsmechanik (Abschn. 2.12.2). Wie
dort kann man einen elektrischen Fluss ψ
definieren, der eine bestimmte Fläche A
durchsetzt. Die Größe kann interpretiert
werden als ein Maß für die Gesamtzahl der
Feldlinien, die eine Fläche senkrecht durch- Abb. 4.65 Elektrischer Fluss durch eine Fläche
setzen. Abbildung 4.65a zeigt eine Fläche A,
die in einem homogenen Feld senkrecht zu
den Feldlinien steht. Der Fluss durch diese Der gesamte Fluss ψ durch eine größere Fläche
Fläche ist definiert als ergibt sich durch Integration über die Fläche:

ψ = A D = A ε0 E .
ψ= D dA = ε0 E dA . (4.132)
Die Verschiebungsdichte D spielt damit die
A A
Rolle der Flussdichte:
ψ
D= .
A Als Beispiel soll der Fluss durch eine Kugel-
Ist das elektrische Feld inhomogen und die Be- oberfläche mit Radius R berechnet werden,
zugsfläche gegenüber den Feldlinien um den in deren Zentrum sich die Ladung Q befindet
Winkel ϕ gekippt (Abb. 4.65b), dann sind Fluss (Abb. 4.66).
und Flussdichte differentiell zu definieren: Nach (4.93) ist die elektrische Feldstärke einer
Punktladung im Abstand R

dψ = D dA und D = . (4.131) Q
dA⊥ E(R) = .
4πε0 R2
Die elektrische Verschiebungsdichte ist
Die Feldlinien weisen radial vom Zentrum weg
gleich dem elektrischen Fluss je Flächen-
(Abb. 4.66). Damit ist in jedem Punkt der Ober-
Einheit.
fläche der Normalenvektor dA parallel zur Ver-
334 4 Elektrizität und Magnetismus

Abb. 4.67 Elektrischer Fluss durch eine geschlossene


Oberfläche, in deren Innenraum sich keine Ladungen
Abb. 4.66 Fluss durch eine Kugeloberfläche
befinden

schiebungsdichte D bzw. der Feldstärke E. Für Befindet sich innerhalb einer geschlossenen
das Integral von (4.132) ergibt sich Oberfläche keine Ladung, so ist nach (4.133)
der Fluss durch diese Fläche null. Dies hängt
ψ = D dA = ε0 E dA einfach damit zusammen, dass der Fluss ein
Maß ist für die Zahl der Feldlinien, die eine
Q
= dA = Q. Fläche durchdringen. Da jede Feldlinie, die in
4π R2
den Raum eintritt, diesen auch wieder ver-
Der von einer Punktladung ausgehende Fluss lassen muss (sie kann ja nicht auf einer La-
durch eine beliebige konzentrische Kugelflä- dung im Innern enden), ist der Gesamtfluss
che entspricht also der Ladung Q der Punkt- null (Abb. 4.67).
ladung. Hätte man anstatt der Kugel eine be-
liebige andere geschlossene Fläche um die La- Beispiel
dung Q gelegt, dann wäre wegen des Skalar- 4.3-4 Die elektrische Feldstärke im Innern eines Plat-
tenkondensators ist zu bestimmen, wenn auf den Plat-
produktes D dA dasselbe Ergebnis heraus ge-
ten der Fläche A die Ladung Q sitzt.
kommen.
Sitzen innerhalb einer geschlossenen Fläche Lösung
n Ladungen Qi , dann ist der Fluss durch die Im Idealfall eines Plattenkondensators mit großer Plat-
Oberfläche gleich der Summe der Ladungen. tenfläche und kleinem Plattenabstand ist der Außen-
Dieses Ergebnis wird als Gauß’scher Satz (C. F. raum feldfrei und im Innern liegt ein homogenes Feld
vor (Abb. 4.68). Denkt man sich nun die geschlossene
Gauss, 1777 bis 1855) bezeichnet:
rote Fläche um eine Platte gelegt, dann ist der Fluss
durch die Fläche

n

ψ= D dA = Qi . (4.133) ψ = D dA = D A = ε0 E A .
i=1

Der durch eine geschlossene, beliebig ge- Dieser Fluss muss nach dem Gauß’schen Satz gleich
formte Oberfläche gehende elektrische sein der Summe aller Ladungen innerhalb der Bezugs-
fläche. Also gilt
Fluss ist gleich der Summe der von dieser
Q σ
Fläche eingeschlossenen Ladungen. ψ = ε0 E A oder E = = .
ε0 A ε0
4.3 Elektrisches Feld 335

densator ist ein wichtiges elektrisches Bauele-


ment und dient u. a. zur Speicherung elektri-
scher Ladung und elektrischer Energie.
Die Geometrie und der Abstand der Leiter-
oberflächen bestimmen die Ladungstren-
nungsarbeit und damit die Spannung, die
je getrennte Ladungsmenge Q entsteht. Das
Maß dafür ist die Kapazität C des Kondensa-
tors, d. h. die Ladungsmenge Q, die bei einer
Spannung U auf den Kondensatoroberflächen
gespeichert wird. Es gilt

Q
C= ,
Abb. 4.68 Zur Berechnung der Feldstärke im U
Plattenkondensator nach Beispiel 4.3-4 Q = CU . (4.134)

Der Gauß’sche Satz ermöglicht bei gewissen geometri- Allgemein schreibt man
schen Konstellationen die Berechnung der Feldstärke
aus der Ladungsverteilung. In Abb. 4.70 ist die Feld-
D dA
stärke E in der Umgebung von geladenen Körpern un- C= . (4.135)
terschiedlicher Geometrie zusammengestellt. E ds

Die Kapazität C gibt an, wie viel La-


4.3.6.2 Kondensator und Kapazität dung Q je Spannungseinheit 1 V gespei-
Kondensatoren sind zwei gegeneinander iso- chert werden kann.
lierte, entgegengesetzt geladene Leiteroberflä-
chen beliebiger Geometrie, zwischen denen Die Einheit der Kapazität ist das Farad F: 1 F =
eine Potentialdifferenz Δϕ oder eine Span- 1 As/V.
nung U herrscht, wie Abb. 4.69 zeigt. Ein Kon- Ein Farad ist eine sehr große Einheit; in der
Praxis sind kleinere Einheiten üblich, z. B.
μF = 10−6 F, nF = 10−9 F, pF = 10−12 F.
Abbildung 4.71 zeigt das Schaltungssymbol ei-
nes Kondensators mit den Messvorschriften
für Ladung und Spannung.

Kapazität eines Plattenkondensators


Ein Plattenkondensator besteht aus zwei
parallelen Platten im Abstand d (Abb. 4.72).
Liegt zwischen ihnen die Spannung U, dann
herrscht an jeder Stelle dieselbe elektrische
Feldstärke E (homogenes Feld). Nach Bei-
spiel 4.3-4 ist der Zusammenhang zwischen
Abb. 4.69 Kapazität beliebiger Körper der Feldstärke und der Ladung auf den Platten
336 4 Elektrizität und Magnetismus

Abb. 4.70 Elektrische Feldstärke von geladenen Körpern verschiedener Geometrien


4.3 Elektrisches Feld 337

Metallfolie (oder Aufrauen der Oberfläche


durch Ätzen bei Elektrolytkondensatoren)
und verkleinert die Abstände, indem man
dünne Kunststofffolien (oder Oxidschich-
ten) als Zwischenlagen verwendet. Für einen
Kondensator mit n Platten gilt
Abb. 4.71 Symbol für die Kapazität

(n − 1) A
C = ε0 . (4.137)
d

Kapazität eines Kugelkondensators


Ein Kugelkondensator besteht aus zwei kon-
zentrisch angeordneten Hohlkugeln mit den
Radien r1 und r2 gemäß Abb. 4.73. Ist der Ab-
stand der beiden Hohlkugeln Δr sehr klein,
dann kann näherungsweise die Bestimmung
der Kapazität nach (4.136) für den Platten-
Abb. 4.72 Plattenkondensator
kondensator erfolgen; hierbei ist die Fläche
Q A = 4πr2 und d = Δr, sodass sich
E= .
ε0 A
r2
Nach (4.94) und Beispiel 4.3-2 gilt E = U / d CKug = 4π ε0 (4.138)
Δr
und damit
A
Q = ε0 U .
d ergibt. Für größere Abstände der beiden Hohl-
Hieraus folgt für die Kapazität des Plattenkon- kugeln gilt
densators CPl
r1 r2
CKug = 4πε0 . (4.139)
Q A (r2 − r1 )
= CPl = ε0 . (4.136)
U d

Diese Beziehung ist nur gültig, wenn zwischen


den Platten Vakuum (oder näherungsweise
Luft) ist. In anderen Fällen ist ε0 durch die Per-
mittivität ε = ε0 εr zu ersetzen (Abschn. 4.3.7).
Wie man aus (4.136) folgern kann, ist die
Kapazität eines Plattenkondensators CPl nur
abhängig von der Plattenfläche A und dem
Plattenabstand d. Sie ist umso größer, je
größer die Plattenfläche A und je kleiner der
Plattenabstand d ist. In der Technik vergrö-
ßert man die Fläche durch Aufwickeln von Abb. 4.73 Kugelkondensator
338 4 Elektrizität und Magnetismus

Abb. 4.74 Kapazitäten von Körpern verschiedener Geometrien

Die Kapazität einer einzigen Kugel mit dem Für eine geschlossene Fläche im Abstand r entspre-
Radius r ist chend Abb. 4.75 und unter Berücksichtigung der
Länge l des Zylinders gilt

CKug = 4π ε0 r . (4.140) E dA = E(2πr)l = Q/ε0 ,
Q
E= .
ε0 2πrl
Abbildung 4.74 gibt die Gleichungen für die Die Potentialdifferenz zwischen den Platten beträgt
Kapazitäten anderer Geometrien wieder. nach (4.100)
r2 r2
Beispiel Q
U = E dr = dr =
4.3-5 Die Gleichung für die Kapazität eines Zylinder- 2πε0 rl
r1 r1
kondensators (4.151) soll hergeleitet werden.
r2
Q dr Q r2
= = ln .
Lösung
2 π ε0 l r 2πε0 l r1
Nach (4.132) und (4.133) gilt E dA = ε10 Q. r1
4.3 Elektrisches Feld 339

(h = 100 km). Wie groß ist die Kapazität dieses riesigen


Kugelkondensators?

Lösung
Nach (4.139) gilt
r1 r2
CKug = 4πε0 = 45,85 mF .
(r2 − r1 )

Schaltung von Kapazitäten


Bei der Parallelschaltung addieren sich die
speichernden Flächen für die Speicherung der
Abb. 4.75 Querschnitt eines Zylinderkondensators
negativen bzw. positiven Ladungen (4.136)
Für die Kapazität gilt und deshalb ist die Gesamtkapazität gleich der
Q Q2πε0 l 2πε0 l
Summe der parallelen Einzelkapazitäten. Bei
C= = = . der Reihenschaltung addieren sich jedoch die
U r2
Q ln r1 ln rr21
Einzelspannungen und somit die Kehrwerte
der Kapazitäten (4.136). In Abb. 4.76 sind die
Beispiel
4.3-6 Die Erdkugel ist stets negativ geladen mit Gleichungen für die Ersatzkapazitäten bei der
der Ladung Q ≈ −900 000 C. Die positive Gegenla- Parallel- und Reihenschaltung zusammenge-
dung sitzt in den höheren Schichten der Atmosphäre stellt.

Abb. 4.76 Ersatzkapazität bei Reihen- und Parallelschaltung von Kondensatoren


340 4 Elektrizität und Magnetismus

4.3.7 Nichtleiter im elektrischen Feld,


elektrische Polarisation und Permittivitätszahl

In Nichtleitern (Isolatoren) sind die Ladungs-


träger nicht frei beweglich. Deshalb ist auch
das Innere eines Nichtleiters im elektrischen
Feld nicht feldfrei. Das Feld greift gleichsam
durch den Isolator hindurch. Solche Stoffe wer-
den deshalb auch Dielektrika genannt (nach
dem griechischen Wort „dia“ für „durch“).
Abbildung 4.77 zeigt die Vorgänge in ei-
nem Plattenkondensator. Vor Einbringen
des Dielektrikums herrsche die elektrische
Feldstärke E0 = U0 / d (Abb. 4.77a). Wird ein
Dielektrikum zwischen die Platten gebracht,
so verschieben sich die Ladungen auf dem
Isolator, sodass ein geringeres Feld Em im
Dielektrikum zwischen den Platten herrscht
(Abb. 4.77b). Es ist Em < E0 und deshalb
Um < U0 ; es gilt

E0 U0
= = εr . (4.149)
Em Um

Wegen C = Q/ U führt dies bei konstanter La-


dung zu

Cm
= εr , Cm = εr C0 . (4.150)
C0

Wird ein Dielektrikum in ein elektri-


sches Feld gebracht, so nimmt die elek-
trische Feldstärke gegenüber der des Va-
kuums auf den εr -ten Teil ab, während
die Kapazität durch das Einbringen des Abb. 4.77 Feldverlauf zwischen den Platten eines
Dielektrikums auf das εr -fache steigt. Kondensators mit und ohne Dielektrikum, εr = 2

Die Größe εr wird Permittivitätszahl oder elektrische Feld der Polarisationsladungen im


relative Dielektrizitätszahl genannt und ist Dielektrikum geschwächt:
dimensionslos. Ihr Wert ist stets 1. Wie E0
Abb. 4.77b zeigt, wird die ursprüngliche Feld- Em = = E0 − EP . (4.151)
εr
stärke E0 um das Gegenfeld EP , d. h. um das
4.3 Elektrisches Feld 341

Wird der Kondensator an die Spannungsquelle Tabelle 4.8 Permittivitätszahl einiger Werkstoffe
angeschlossen, so können so viele Ladungen
auf die Plattenoberfläche des Kondensators Werkstoffe Permittivitätszahl εr
nachfließen, dass das Polarisationsfeld EP
(Elektrisierung) kompensiert wird und wie- Paraffin 2,2
der das ursprüngliche Feld herrscht. Dann Polypropylen 2,2
nimmt aber die Verschiebungsdichte Dm auf Polystyrol 2,5
das εr -fache zu oder wird um die elektri- Polycarbonat 2,8
sche Polarisation P, d. h. um die Dichte der Polyester 3,3
Kondensatorpapier 4 bis 6
Polarisationsladungen auf der Dielektrikums- Zellulose 4,5
oberfläche erhöht: Al2 O3 12
Ta2 O5 27
Wasser 81
Dm = εr D0 = D0 + P . (4.152) Keramik (NDK) 10 bis 200
Keramik (HDK) 103 bis 104

Da die Verschiebungsdichte D0 = ε0 E0 ist


(4.140), ergibt sich

Dm = ε0 εr Em = ε Em = ε0 Em + P . P = χe ε0 Em . (4.156)
(4.153)
Für das zur Polarisation P gehörende elek-
Ferner gilt trische Gegenfeld EP folgt aus (4.151) unter
Berücksichtigung von (4.155)

ε = ε0 εr . (4.154)
εr − 1
EP = E0 − Em = E0 = χe Em .
Für das elektrische Feld in einem Di- εr
elektrikum steht bei allen physikalischen (4.157)
Gleichungen statt ε0 das Produkt ε = ε0 εr
(Permittivität).
Für Dielektrika ist εr > 1 und deshalb χe > 0.
Für Vakuum gilt εr = 1 bzw. χe = 0.
Tabelle 4.8 zeigt die Permittivitätszahl einiger
Bei einer Verbindung einer Spannungsquelle
wichtiger Dielektrika. Aus (4.153) folgt für die
mit einem Kondensator ist die Spannung U
elektrische Polarisation
und damit E konstant, während bei Trennung
P = Dm − ε0 Em = ε0 εr Em − ε0 Em des Kondensators von der Spannungsquelle
oder die Ladung Q und damit die Verschiebungs-
dichte D gleich bleibt. In beiden Fällen steigt
die Kapazität auf das εr -fache an, wenn ein
P = ε0 Em (εr − 1) . (4.155)
Dielektrikum in den Kondensator eingebracht
wird. Bleibt der Kondensator mit der Span-
Der Faktor (εr − 1) ist die elektrische Suszepti- nungsquelle verbunden, dann erhöht sich die
bilität χe . Somit gilt elektrische Energie Wel auf das εr -fache, wäh-
342 4 Elektrizität und Magnetismus

Tabelle 4.9 Kondensator und Dielektrikum

Kondensator bleibt mit der Kondensator wird von der Spannungs-


Spannungsquelle verbunden quelle getrennt

konstante Größen elektrische Spannung U, Ladung Q,


elektrische Feldstärke Verschiebungsdichte
U Q
E= D=
d A
sich ändernde Ladung Q bzw. Verschiebungsdichte D, Spannung U bzw. Feldstärke E,
1
Größen Q = D A ∼ εr , U = Ed ∼ ,
εr
Q Q
Kapazität C = ∼ εr , Kapazität C = ∼ εr ,
U U
elektrische Energie elektrische Energie
1 1 1
W = C U 2 ∼ εr W = C U2 ∼
2 2 εr

rend sie sich im anderen Fall auf den εr -ten Teil – beim Speichern von Ladung und elektri-
verringert. scher Energie (Elektronen-Blitzgerät, Plas-
Tabelle 4.9 zeigt in den Spalten die beiden maerzeugung, Laser, Kopierer);
Fälle (Kondensator mit der Spannungsquelle – bei der Trennung von Gleich- und Wech-
verbunden oder getrennt) und in den Zeilen, selstrom bzw. von Wechselströmen unter-
welche der elektrischen Größen konstant blei- schiedlicher Frequenzen (Lautsprecheran-
ben bzw. sich ändern. kopplung, Verstärker, Störschutz) sowie zur
Abbildung 4.77c zeigt den Fall eines teilweise Siebung und Glättung von pulsierenden
gefüllten Kondensators. Schwarz gezeichnet Gleichspannungen (Brumm-Siebung bei
sind die Feldlinien des elektrischen Feldes E netzbetriebenen Elektrogeräten);
und rot diejenigen des Feldes der Verschie- – in Schwingkreisen, beispielsweise zur Sen-
bungsdichte D. Während E im Innenraum der derabstimmung bei Rundfunk- und Fern-
Materie reduziert wird, also an der Grenzfläche sehempfängern;
einen Sprung erleidet, ist D überall konstant. – in Zeitkreisen
Das bedeutet, dass das D-Feld eine Grenzflä- (RC-Glieder, Blinkschaltungen, Anzugs-
che stetig durchsetzt. Bei schräg zu den Feld- und Abfallsverzögerungen für Relais);
linien verlaufenden Grenzflächen gilt dies für – als Phasenschieber
die Normalkomponente (Abb. 4.83). • zur Blindstromkompensation
(Leuchtstofflampen mit Spule oder Leis-
tungskondensatoren nach VDE 0560-4);
Kondensatoren als Bauelemente • zur Drehfelderzeugung
in der Elektrotechnik (Hilfsphase für Motoranlauf oder Mo-
Kondensatoren gehören zu den wichtigsten torbetrieb an ein Ein-Phasen-Netz,
Bauelementen in der Elektrotechnik. Die Motorbetriebs-Kondensatoren nach VDE
Werte für die Kapazitäten erstrecken sich 0560-8);
über zwölf Dekaden (von 1 pF bis 1 F). In – in der Leistungselektronik
sehr unterschiedlichen Bereichen werden (Bedämpfen von Spannungsspitzen, Kom-
Kondensatoren eingesetzt, beispielsweise mutierung, Filtern von Oberwellen).
4.3 Elektrisches Feld 343

Abbildung 4.78 zeigt eine Einteilung von für Kunststofffolien-Kondensatoren ist in


Fest-Kondensatoren nach ihren Technolo- der Leistungselektronik der Bereich hoher
gien sowie die einstellbaren Kondensato- Spannungen (100 V bis 6,6 kV) und hoher
ren. Diese Übersicht enthält die einzelnen Kapazitäten (0,1 μF bis 15 mF). Diese Konden-
Kondensatortypen, ferner die zugehörigen satoren werden als Leistungs-Kondensatoren
Nennspannungs- und Kapazitätsbereiche, (Lei-Ko) bezeichnet.
die Verlustfaktoren, wichtige Normen und Bei Kondensatoren mit metallisierten Elektro-
typische Anwendungsfelder. Schnittbilder, den werden die Dielektrika mit Metall (meist
Prinzipskizzen und Bilder veranschaulichen Aluminium oder Zink) bedampft. Metalli-
die Funktionsweise bzw. die Bauformen von sierte Papierfolien werden häufig mit MP,
Kondensatoren. Das Diagramm rechts zeigt, metallisierte Kunststofffolien mit MK abge-
für welche Spannungs-Kapazitäts-Bereiche kürzt. Bei den Kunststoffen dient ein weiterer
die entsprechenden Kondensatorentypen Buchstabe zur Kennzeichnung der Kunststoff-
Verwendung finden. art (z. B. MKP: metallisierte Kunststofffolie
Bei den Folien-Kondensatoren bestehen die aus Polypropylen).
Kondensatorplatten aus Metallfolien (meist Die Kunststofffolien werden in Dicken bis un-
Aluminium) und die Dielektrika aus Papier- ter 2 μm verwendet. Eine wichtige Eigenschaft
oder aus Kunststofffolien. Metallfolien und der MK-Kondensatoren ist die Fähigkeit zur
Dielektrika werden aufgewickelt. Kunst- Ausheilung nach erfolgten Durchschlägen.
stofffolien haben wegen ihres niedrigeren Die Elektrolytkondensatoren überdecken den
Verlustfaktors, ihrer großen Homogenität größten Bereich an Spannung und Kapazität
und ihrer kleineren Dicken (bis zu 1,5 μm) und zählen zu den zuverlässigsten Bauelemen-
Papier als Dielektrikum zum Teil verdrängt. ten. Außer dem verhältnismäßig preisgünsti-
Papier ist pflanzlicher Herkunft, das oft die gen Aluminium-Elektrolyt-Kondensator (Alu-
geforderten engen Toleranzen elektrischer Elko) ist der Tantal-Elko (Ta-Elko) vor allem
Werte nicht einhalten kann. Abbildung 4.79 wegen seiner hohen Ladungsdichte begehrt.
zeigt eine elektronenmikroskopische Auf- Bei einem Elko besteht die Anode aus Metall
nahme von Kondensatorpapier (32 000-fach (Al oder Ta). In Al-Elkos werden Aluminium-
vergrößert). Hierbei wird die zerklüftete folien (100 μm dick) verwendet, deren Ober-
Oberflächenstruktur deutlich. fläche durch Ätzen etwa um das 20- bis 100-
Von den Kunststoffen sind als Dielektrikum fache vergrößert ist. Bei Tantal wird die große
vor allem Polycarbonat (C), Polypropylen Oberfläche durch Sintern von Tantal-Pulver
(P), Polystyrol (S) und Polyester (Poly- erzeugt (1 cm3 gesintertes Ta-Pulver hat eine
ethylenterephthalat (T)) im Einsatz. Die Oberfläche bis zu etwa 30 000 cm2 , d. h. 3 m2 ).
in Klammern gesetzten Abkürzungen wer- Abbildung 4.80 zeigt eine Aufnahme mit dem
den zur Kennzeichnung des Kunststoffes Rasterelektronenmikroskop (3 000-fache Ver-
verwendet. Der wichtigste Kunststoff ist Poly- größerung) von der Oberfläche einer geätz-
propylen (P). Besondere Bedeutung hat auch ten Aluminium-Folie. Die größere Oberfläche
Polystyrol (S) im „Styroflex“-Kondensator, und die doppelt so große Permittivität von
da dieser Kunststoff einen negativen Tem- Tantaloxid (εr = 27) im Vergleich zu Alu-
peraturkoeffizienten aufweist und damit gut miniumoxid (εr = 12) erlauben für Tantal-
zur Temperaturkompensation verwendet wer- Elkos kleinere Bauformen bei gleichen Kapazi-
den kann. Ein spezielles Anwendungsgebiet tätswerten. Das Dielektrikum eines Elkos be-
344 4 Elektrizität und Magnetismus
4.3 Elektrisches Feld 345

Abb. 4.78 Einteilung der Kondensatoren

steht aus einer atomaren Oxidschicht (Al2 O3 Außer den gesinterten Ta-Elkos werden auch
bzw. Ta2 O5 ). Durch einen flüssigen Elektro- Keramik-Kondensatoren in Sintertechnik her-
lyten wird die Leitung zur negativen Katho- gestellt. Man unterscheidet drei Typen:
denfolie aus hochreinem Metall sichergestellt.
Die Elkos müssen polungsrichtig eingebaut – Typ-I-Kondensatoren
werden. Häufig kennzeichnet der längere An- Das Dielektrikum besteht aus einer Kera-
schlussdraht den positiven Pol. Den Aufbau mikschicht mit niedriger Dielektrizitätszahl
für Al- bzw. Ta-Elkos zeigt eine Skizze in (ND; εr von 10 bis 200), z. B. Titandioxid und
Abb. 4.78. Magnesiumtitanat;
346 4 Elektrizität und Magnetismus

Abb. 4.79 Elektronenmikroskopische Aufnahme eines


Kondensatorpapiers (32 000-fache Vergrößerung)
Abb. 4.80 Rasterelektronenmikroskopische Auf-
nahme einer geätzten Aluminiumfolie (3 000-fache
– Typ-II-Kondensatoren Vergrößerung)
Die dielektrische Keramikschicht besitzt
eine hohe Dielektrizitätszahl (HD; εr von
Einheit (Stator) und einer drehbaren Platte
700 bis 104 ), z. B. Bariumtitanat;
(Rotor). Bis zu vier Plattenpakete werden
– Typ-III-Kondensatoren
üblicherweise hintereinander geschaltet. Wer-
Als Ausgangsmaterial wird eine ferroelek-
den die Rotorplatten gedreht, dann ändern
trische Scheibe verwendet (z. B. Bariumti-
sich die Kapazitäten (linear oder logarith-
tanat), die durch Reduktions- und Oxida-
misch). Trimmer dienen zum Feinabgleich
tionsprozesse Halbleitersperrschichten bil-
von Kapazitätswerten. Die Plattenflächen
det, die wie ein Dielektrikum wirken. Diese
werden entweder wie beim Drehkondensa-
Kondensatoren haben spannungsabhängige
tor gedreht oder bestehen aus konzentrisch
Kapazitätswerte.
angeordneten zylindrischen Elektroden (aus
Die Keramik-Kondensatoren werden häufig in Aluminium oder verzinktem Messing). Die
Chip-Ausführung als Vielschicht-Kondensator Kapazitätsdioden sind die modernsten Bau-
hergestellt. Besonders geschätzt sind die er- elemente für einstellbare Kapazitäten, wie sie
zielbaren kleinen Abmessungen, die hohe Vo- u. a. beim automatischen Sendeabgleich in
lumenkapazität sowie die gute Lötbarkeit auf Rundfunkgeräten Einsatz finden.
Leiterplatten. Das Diagramm rechts in Abb. 4.78 zeigt
Bei den einstellbaren Kondensatoren wird die Spannungs-Kapazitäts-Bereiche der ver-
zwischen Drehkondensatoren, Luft- und schiedenen Kondensatortypen. Leistungs-
Keramiktrimmern und Kapazitätsdioden kondensatoren (Lei-Ko) werden u. a. in der
unterschieden. Drehkondensatoren beste- Leistungselektronik eingesetzt, z. B. zur Un-
hen aus Plattenpaketen mit je einer festen terdrückung von Spannungsspitzen an Leis-
4.3 Elektrisches Feld 347

tungshalbleitern (Trägerstaueffekt). Für den dungsschwerpunkte der Moleküle, sie werden


Bereich der Stromversorgung werden über- elektrisch polarisiert. Grundsätzlich sind zwei
wiegend Elektrolytkondensatoren verwendet. Arten von Polarisation möglich, wie Abb. 4.81
Bei der Kopplung und HF-Anwendung spielen verdeutlicht:
die Keramikkondensatoren, die metallisier-
ten Folien-Kondensatoren sowie die Metall- – Verschiebungspolarisation (dielektrische
und Kunststofffolien-Kondensatoren eine Polarisation).
bedeutende Rolle. – Orientierungspolarisation (paraelektrische
Polarisation).
Atomistische Deutung der elektrischen Polarisation Bei der Verschiebungspolarisation werden
Fallen die Schwerpunkte der positiven Ladung die ursprünglich zusammenfallenden posi-
+Q und der negativen Ladung −Q nicht in ei- tiven und negativen Ladungen verschoben,
nem Punkt zusammen, so entsteht ein elektri- sobald diese Moleküle ins elektrische Feld
scher Dipol. Dieser wird durch das elektrische geraten. (Die leichter beweglichen Elek-
Dipolmoment p beschrieben: tronenhüllen werden auf die positive Seite
gezogen.) Das so induzierte Dipolmoment ist
p = Qd . (4.158) in bestimmten Grenzen von der Feldstärke
abhängig und im elektrischen Feld immer
wirksam, vorausgesetzt, es liegt kein perma-
d ist der Abstand der beiden Ladungen. Der
nenter Dipol vor. Beim Abschalten des Feldes
Vektor p zeigt von der negativen zur positi-
verschwindet der Dipol und die Ladungs-
ven Ladung. Die Summe aller Dipolmomente
schwerpunkte fallen wieder in einem Punkt
geteilt durch das Probenvolumen ist die in
zusammen.
Abb. 4.77 eingeführte Polarisation P:
Die paraelektrische Polarisation (in Analogie
pi N zum Paramagnetismus, Abschn. 4.4.4.2) oder
P= = p.
V V Orientierungspolarisation tritt nur bei Mole-
Wird nichtleitende Materie in ein elektrisches külen mit einem Dipolmoment auf (z. B. Was-
Feld gebracht, so verschieben sich die La- ser). Im elektrischen Feld erfolgt eine Orientie-

Abb. 4.81 Arten der elektrischen Polarisation


348 4 Elektrizität und Magnetismus

rung der Dipole. Da die Wärmebewegung die Vektor der elektrischen Verschiebungsdichte
Orientierung behindert, ist die paraelektrische D(x, y, z) (4.153)
Polarisation stark temperaturabhängig.
Ist die Verschiebungspolarisation oder die pa- D(x, y, z) = ε0 εr E(x, y, z)
raelektrische Polarisation in allen drei Raum- ⎛ ⎞
richtungen gleich groß, so liegt ein isotropes εx x εx y εx z
Verhalten vor. Die drei Vektoren elektrische εr = ⎝εy x εy y εy z ⎠ . (4.159)
Feldstärke E, Verschiebungsdichte D und Po- εz x εz y εz z
larisation P stehen parallel zueinander und
können anhand von (4.153) und (4.156) um- Dabei stellt z. B. das Element εx z den εr -Wert
gerechnet werden. Für den Fall einer rich- dar, der von der x-Komponente der elektri-
tungsabhängigen, d. h. anisotropen Polarisa- schen Feldstärke E herrührt und einen Beitrag
tion wird εr ein symmetrischer Tensor zweiter zur z-Komponente der elektrischen Verschie-
Stufe. So gilt für die Umrechnung des Vektors bungsdichte D liefert. Die Zeilen des Tensors εr
der elektrischen Feldstärke E(x, y, z) in den geben deshalb die Aufteilung der Raumkom-

Abb. 4.82 Temperatur- und Frequenzabhängigkeit der Permittivitätszahl und des Verlustwinkels von Polyester
4.3 Elektrisches Feld 349

ponenten von E und die Spalten die Herkunft Gesetzmäßigkeiten:


der Raumkomponenten von D wieder. Dt1 Dt2
Die Permittivitätszahl εr ist häufig auch noch tan ϕ1 = , tan ϕ2 = ;
Dn1 Dn2
temperatur- und frequenzabhängig. Abbil-
daraus folgt
dung 4.82 zeigt die Permittivitätszahl und den
tan ϕ1 Dt1
Verlustwinkel (Abschn. 4.5.2.3) von Polyester =
in Abhängigkeit von der Temperatur und der tan ϕ2 Dt2
Frequenz. und mit (4.169)

tan ϕ1 εr1
Elektrische Feldstärke und elektrische = . (4.162)
tan ϕ2 εr2
Verschiebungsdichte an Grenzflächen
Abbildung 4.77c zeigt, dass sich bei senkrech-
tem Verlauf der elektrischen Feldlinien zur Die elektrischen Feldlinien an der Grenz-
Grenzfläche die elektrische Feldstärke E an fläche zweier unterschiedlicher Dielek-
der Grenzfläche zwischen Vakuum und Di- trika gehorchen einem Brechungsgesetz
elektrikum sprungartig ändert, während die (analog zur Optik).
Verschiebungsdichte D stetig die Grenzfläche
durchdringt.
Verlaufen die elektrischen Feldlinien schräg Das Brechungsgesetz sagt aus, dass beim Ein-
zur Grenzfläche der Dielektrika, so gelten ge- tritt in einDielektrikum mit größerem εr (klei-
mäß Abb. 4.83 für die Normal- bzw. Tangential- nerem εr ) die Feldlinien (für E und D) vom Lot
komponenten des E- bzw. D-Vektors folgende weg (zum Lot hin) gebrochen werden.

Abb. 4.83 Elektrische Feldstärke und Verschiebungsdichte an der Grenzfläche zweier unterschiedlicher
Dielektrika
350 4 Elektrizität und Magnetismus

4.3.8 Energieinhalt des elektrischen Feldes Gleichung (4.167) ist nicht nur für den Platten-
kondensator, sondern allgemein gültig.
Für die elektrische Energie gilt gemäß (4.76)
Kraft zwischen zwei Kondensatorplatten
Qmax Aus dem Zusammenhang zwischen Arbeit und
Wel = U(Q) dQ , (4.163) Kraft dW = F ds errechnet sich die Anzie-
0
hungskraft zu
dW
und wegen U(Q) = Q
C lauten die Umformun- F = .
ds
gen
Da dW = 12 Q dU ist, gilt
1 Q2 1 1 Q dU dU
Wel = = Q U = C U 2 . (4.164) F = und wegen =E
2 C 2 2 2 ds ds

QE
Wel gibt die elektrische Arbeit an, die benötigt F = . (4.168)
wird, um einen Kondensator mit der Kapa- 2
zität C auf eine Spannung U aufzuladen. Für
den speziellen Fall des Plattenkondensators ist Wird für Q = C U und für E = U
d gesetzt, dann
U = E d und C = ε0 εr A/ d. Deshalb gilt für die ist
in einem Kondensator gespeicherte elektrische
Energie C U2
F = (4.169)
2d
1 A
Wel = ε0 εr (E d)2 ,
2 d und wegen C = ε0 εr A
d

ε0 εr A U 2
1 F = . (4.170)
Wel = ε0 εr (A d) E2 . (4.165) 2 d2
2
Zur Übung
Da A d das Volumen zwischen den Kondensa- Ü 4.3-1 Zwei Platten mit einem Radius r = 8 cm befin-
den sich im Abstand d = 4 mm voneinander. Welche
torplatten ist, schreibt man für die elektrische
Kapazität hat der Kondensator? Wie groß ist die elek-
Energiedichte
trische Feldstärke zwischen den Platten und wie groß
ist die Ladung und die Verschiebungsdichte auf jeder
Wel 1 der beiden Platten bei U = 10 V?
wel = = ε0 εr E2 (4.166)
V 2
Ü 4.3-2 Ein Wattebausch mit der Masse m = 3 · 10−2 g
ist mit einer Ladung Q = 4 · 10−8 C geladen. Wie groß
oder wegen ε0 εr E = D muss die Spannung zwischen den Platten eines waag-
recht liegenden Kondensators (Plattenabstand d =
5 cm) sein, damit der Wattebausch schwebt?
Wel 1
el = = DE . (4.167)
Ü 4.3-3 Berechnet werden soll die Gesamtkapazität
V 2
der Kondensator-Anordnung nach Abb. 4.84.
4.4 Magnetisches Feld 351

richtet sind, die Magnete, üben aufeinander


Kräfte aus, die sich von der Coulomb-Kraft
und der Gravitationskraft bezüglich Stärke
und Richtung grundlegend unterscheiden. Die
magnetischen Kräfte wirken jedoch genau wie
diese im gesamten Raum. Die Stärke und
die Richtung der magnetischen Kraft an ei-
nem Ort lassen sich durch die Kraftwirkung
auf einen kleinen Probemagneten (Magnet-
nadel) oder einen kleinen stromdurchflosse-
nen Leiter bestimmen und werden durch ein
Vektorfeld, das magnetische Feld, beschrie-
ben:
Abb. 4.84 Schaltung von Kapazitäten gemäß Ü 4.3-3

Das magnetische Feld rührt von elektri-


schen Strömen her. Von deren Richtung
hängt die Richtung der magnetischen
Kräfte ab. Diese beiden Richtungen müs-
sen nicht übereinstimmen. Das magneti-
sche Feld beschreibt die Wirkungslinien
der magnetischen Kräfte in Betrag und
Richtung.

Entsprechend Abb. 4.86 sind folgende Bezeich-


nungen und Richtungen charakteristisch für
magnetische Kräfte: Ein Magnet besitzt einen
Nord- und einen Südpol. Außerhalb des Ma-
gneten laufen die Feldlinien vom Nord- zum
Südpol (positive Feldrichtung). Gleichnamige
Abb. 4.85 Plattenkondensator (Fläche A, Pole stoßen sich ab und ungleichnamige zie-
Plattenabstand d) mit verschiedenen Füllungen. Zu hen sich an.
Ü 4.3-4

Ü 4.3-4 Ein Plattenkondensator ist mit zwei unter-


schiedlichen Dielektrika (εr1 und εr2 ) nach Abb. 4.85a
und 4.85b gefüllt. Ermittelt werden soll jeweils die Glei-
chung für die Gesamtkapazität.

4.4 Magnetisches Feld


4.4.1 Beschreibung des magnetischen Feldes

Stromdurchflossene Leiter und Werkstoffe, de-


ren atomare Elektronenströme speziell ausge- Abb. 4.86 Stabmagnet und magnetische Feldlinien
352 4 Elektrizität und Magnetismus

Die magnetischen Feldlinien weisen analog zu


den elektrischen Feldlinien bestimmte Eigen-
schaften auf:

• die Tangente an die Feldlinien gibt die


Kraftrichtung an;
• die Kraftwirkung ist eindeutig, d. h., die
Feldlinien schneiden sich nicht;
• die Dichte der gezeichneten Feldlinien ist ein
Maß für die Stärke der Kraftwirkungen.

Im Gegensatz zum elektrischen Feld zeigt das Abb. 4.87 Erdmagnetfeld


magnetische Feld Besonderheiten:

• es gibt keine magnetischen Monopole,


Magnetfeld aufweist, dessen Feldlinien kon-
• die magnetischen Feldlinien sind in sich ge-
zentrische Kreise in der Ebene senkrecht
schlossen, sie haben keinen Anfang und kein
zum stromdurchflossenen Leiter sind, wie es
Ende.
Abb. 4.88 zeigt. Dieser fundamentale Zusam-
menhang wurde 1820 von H. C. Oersted (1777
Das Magnetfeld der Erde bis 1851) entdeckt. Die Stromstärke I und das
Die Erde ist von einem Magnetfeld umgeben. zugehörige Magnetfeld bilden vektoriell ein
Der magnetische Südpol liegt in der Nähe des Rechtssystem, d. h., bei positivem Stromfluss
geografischen Nordpols (74◦ nördlicher Breite (von unten nach oben) ist die Feldlinienrich-
und 100◦ westlicher Länge auf der Halbinsel tung mathematisch positiv (entgegen dem
Boothia im Norden Kanadas). Der magneti- Uhrzeigersinn).
sche Nordpol befindet sich in der Nähe des geo- Dies lässt sich gut merken: Zeigt der Daumen
grafischen Südpols (72◦ südlicher Breite und der rechten Hand in die Stromrichtung, dann
155◦ östlicher Länge in der Antarktis). Die Ab- weisen die gekrümmten Finger in Feldrich-
weichung des Erdmagnetfeldes von der geo- tung.
grafischen Nord-Süd-Richtung wird Deklina-
tion genannt und beträgt für Deutschland etwa
ϕ = 2◦ westlich. Die magnetischen Feldlinien
verlaufen am Äquator parallel zur Erdoberflä-
che. An den anderen Orten sind sie gemäß
Abb. 4.87 zur Horizontalen geneigt (Inklina-
tion), und zwar umso stärker, je näher die Pole
sind. Das Magnetfeld der Erde ist nicht orts-
fest, sondern wandert geringfügig.

4.4.2 Magnetische Feldstärke


und Durchflutungsgesetz

Experimentell kann festgestellt werden, dass Abb. 4.88 Magnetfeld eines geraden, stromdurchflos-
ein stromdurchflossener gerader Leiter ein senen Leiters
4.4 Magnetisches Feld 353

Wird die Stärke des magnetischen Feldes mehreren Strömen innerhalb eines Integrati-
entlang der magnetischen Feldlinien mit onsweges überlagern sich also deren Magnet-
H bezeichnet, so beschreibt das Durchflu- felder, und es gilt beispielsweise für den Fall in
tungsgesetz (Ampère’sches Gesetz) den Zu- Abb. 4.89 nach dem Durchflutungsgesetz
sammenhang zwischen Stromdichte j = I / A
und magnetischer Feldstärke (magnetischer H ds = −I1 + I2 + I3 − I4 − I5 + I6 .
Erregung) H: Umschließt der in sich geschlossene Integrati-
onsweg keine Ströme, dann gilt, da j = 0,

n
Θ= H ds = j dA = Ii .
A i=1
H ds = 0 . (4.172)
(4.171)
Das Integral der magnetischen Feld-
stärke H längs einer geschlossenen Das Durchflutungsgesetz ist allgemein gültig.
Umlauflinie ist gleich dem gesamten Mit ihm kann die magnetische Feldstärke H
durch diese Fläche hindurchfließenden beliebig verlaufender stromführender Leiter
Strom I. berechnet werden.

Die magnetische Feldstärke H hat die Maßein- Magnetische Feldstärke eines geradlinigen,
heit 1 A/m. stromdurchflossenen Leiters
Das Durchflutungsgesetz lautet in diesem Fall
Analog zur elektrischen Spannung U = E ds
nach (4.171)
wird H ds als magnetische Spannung be-
n
zeichnet. Der Wert der magnetischen Span-
H ds = Ii = I .
nung auf einer geschlossenen magnetischen
i=1
Feldlinie H ds ist die magnetische Randspan-
Experimentell zeigt sich, dass die magnetische
nung Θ. Das Integral der Stromdichte j über die
Feldstärke H auf konzentrischen Kreisen um
Fläche innerhalb der geschlossenen magne-
den stromdurchflossenen Leiter konstant ist.
tischen Feldlinie, bei einzelnen Stromfäden
Der Weg auf der geschlossenen Feldlinie in
wie in Abb. 4.89 also die Summe der Ströme
Abb. 4.90 mit dem Radius r beträgt s = 2πr,
I1 + I2 + …, ist die elektrische Durchflutung Θ
sodass gilt
der magnetischen Feldlinie: Θ = j dA. Bei
H · 2π r = I ,
A

Abb. 4.90 Magnetische Feldstärke H um einen


Abb. 4.89 Zum Begriff Durchflutung einzelnen geradlinigen stromdurchflossenen Leiter
354 4 Elektrizität und Magnetismus

I Im Innern der Spule ist H i (s) konstant: H i =


H = . (4.173)
2πr H, das Wegintegral ergibt die Spulenlänge l:

H i ds = H l. Der Integralanteil außerhalb
der Spule ist wegen H a << H i vernachlässig-
Die magnetische Feldstärke H nimmt also mit
bar klein. Für das Magnetfeld im Innern einer
zunehmender Entfernung proportional zu 1/ r
langen Zylinderspule gilt deshalb
ab.

Magnetische Feldstärke einer Zylinderspule NI


H = . (4.174)
Die magnetische Feldstärke H i in einer im l
Vergleich zum Durchmesser langen, strom-
durchflossenen Zylinderspule (Solenoid) ge- Die magnetische Polung einer Zylinderspule
mäß Abb. 4.91 ist parallel zur Spulenachse lässt sich folgendermaßen merken: Zeigen die
und über die gesamte Querschnittsfläche hin- Finger der rechten Hand in Stromrichtung,
weg konstant; die Feldliniendichte ist groß dann weist der Daumen zum Nordpol der
(Abb. 4.91b). Außerhalb der Spule ist das Ma- Spule.
gnetfeld sehr schwach; die Feldliniendichte ist
gering (H a ≈ 0).
Magnetische Feldstärke einer Ringspule
Da eine geschlossene magnetische Feldlinie N
Das magnetische Feld im Innern einer
Windungen mit jeweils der Stromstärke I um-
dicht gewickelten ringförmigen Spule ge-
schließt (Abb. 4.91a), gilt nach dem Durchflu-
mäß Abb. 4.92 ist kreisförmig innerhalb der
tungsgesetz (4.168)
Grenzen
H ds = H i (s) dsi + H a (s) dsa = N I . d d
R− r R+ .
2 2
Nach dem Durchflutungsgesetz gilt

H2 πr = N I .

Ist der Radius der Spule R >> d/ 2, dann


herrscht in der Spule ein annähernd homo-
genes kreisförmiges Feld (Abb. 4.92b) mit der
magnetischen Feldstärke

NI
H = . (4.175)
2πR

Magnetische Feldstärke stromdurchflossener Leiter


beliebiger Geometrie
Ein kleines Leiterstück der Länge ds liefert in
einem Punkt P in der Entfernung r den Beitrag
I ds
Abb. 4.91 Magnetische Feldlinien in einer dH = sin ϕ
Zylinderspule (Solenoid) 4πr2
4.4 Magnetisches Feld 355

Abb. 4.93 Zum Biot-Savart’schen Gesetz

4.4-1 und 4.4-2 zeigen, die differentielle Form


des Durchflutungsgesetzes (4.171) und diesem
völlig äquivalent. Mit seiner Hilfe werden im
Folgenden die magnetische Feldstärke im Mit-
telpunkt eines Kreisstroms und die magneti-
sche Feldstärke in einer kurzen Zylinderspule
berechnet.

Beispiel
4.4-1 Die magnetische Feldstärke H im Mittelpunkt
eines kreisförmig fließenden Stroms (I = 10 A, r =
10 cm) ist zu berechnen.

Lösung
Da der Radius r gemäß Abb. 4.94 senkrecht zum Li-
nienelement ds steht, ist sin ϕ = 1. Somit lautet das
Biot-Savart’sche Gesetz (4.176)

I I
dH = ds oder H = ds .
4πr2 4πr2

Das geschlossene Wegintegral ds ist der Umfang des
Kreises 2πr. Man schreibt also
I
H= 2πr .
4πr2
Daraus ergibt sich für die magnetische Feldstärke im
Abb. 4.92 Magnetische Feldlinien in einer Ringspule Mittelpunkt des stromdurchflossenen Kreises
(Toroid)

zur magnetischen Feldstärke (Abb. 4.93). Vek-


toriell gilt

I ds × r
dH = . (4.176)
4π r3

Gleichung (4.176) ist das Biot-Savart’sche Ge-


setz (J.B. Biot, 1774 bis 1862, und F. Savart, Abb. 4.94 Magnetische Feldstärke im Mittelpunkt
1791 bis 1841). Dieses ist, wie die Beispiele eines Kreisstroms
356 4 Elektrizität und Magnetismus

I Nun gilt r = R
sin β und damit
H= . (4.177)
2r
I
H= sin3 β . (4.180)
Es resultiert H = 10 A
2·0,1 m = 50 mA . 2R

Beispiel
Im Mittelpunkt des Kreisrings ist β = 90◦ . Daraus folgt
4.4-2 Die magnetische Feldstärke auf der Symmetrie-
für die magnetische Feldstärke im Mittelpunkt eines
achse einer kurzen Spule ist zu berechnen. Welche Feld-
Ringstromes die bereits von (4.177) bekannte Bezie-
stärke ergibt sich in der Mitte und am Rand, wenn die
hung.
Länge l = 1 cm und der Durchmesser d = 0,8 cm be- √
Mit sin β = Rr und r = R2 + l2 lässt sich (4.180)
trägt? Der Strom durch die Spule mit N = 12 Windun-
umformen in
gen ist I = 8 A. Wie groß ist der Fehler, wenn (4.174)
für die lange Zylinderspule verwendet wird?
I R2
Lösung H= √ 3 . (4.181)
Zunächst wird nur eine Stromschleife mit Radius 2 R2 + l2
R = d/2 betrachtet. Die magnetische Feldstärke in ei-
nem Punkt A auf der Symmetrieachse (Abb. 4.95) wird
mithilfe des Biot-Savart’schen Gesetzes (4.176) berech- Aus dieser Gleichung lässt sich für große Abstände
net: vom Kreisleiter (l >> R) folgende Näherungslösung
I ds × r herleiten:
dH = .
4π r3
Der Winkel ϕ zwischen Leiterelement ds und Radius- I R2
vektor r ist 90°, sodass gilt H= . (4.182)
2 l3

I
dH = ds . (4.178)
4πr2 Aus (4.180) lässt sich die Feldstärke auf der Symme-
trieachse einer Spule berechnen. Dazu denkt man sich
nach Abb. 4.96 die Spule aufgebaut aus dünnen Ringen
Der Feldstärkeanteil in Achsenrichtung ist dH · sin β.
der Dicke dh.
Durch Integration über den kompletten Ring erhält
man die magnetische Feldstärke in Achsenrichtung im
Punkt A:


I sin β I sin β
H= ds = 2πR . (4.179)
4πr2 4πr2

Abb. 4.95 Feldstärke eines Kreisstroms auf der Abb. 4.96 Kurze Zylinderspule. Die Variable x wird
Symmetrieachse nach dem Gesetz von Biot-Savart aus der Spulenmitte heraus gemessen
4.4 Magnetisches Feld 357

Ein solcher Ring erzeugt im Punkt A ein Magnetfeld In der Spulenmitte, bei x = 0 ergibt sich
der Stärke
sin3 β
dH = dI . HMitte =
NI
=√
NI
. (4.185)
2R
2 R2 + l2 d 2 + l2
Wenn auf die Länge l der Spule N Windungen kommen, 4
dann ist der Anteil des Stromes I, der auf die Schleife
der Dicke dh entfällt
NI Für eine langgestreckte Zylinderspule mit l >> d folgt
dI = dh . der bereits bekannte Ausdruck
l
Damit ergibt sich NI
HMitte = . (4.174)
NI l
dH = sin3 β dh .
2R l Am Rand der Spule, bei x = l/ 2 gilt
Zur Integration empfiehlt sich eine Integration über
alle möglichen Winkel β. Mit
NI
h R HRand = √ . (4.186)
cot β = ergibt sich dh = − 2 dβ und 2 R2 + l2
R sin β

NI R NI
dH = − sin3 β 2 dβ = − sin β dβ .
2R l sin β 2l Bei einer langgestreckten Spule ist die Feldstärke am
Rand halb so groß wie in der Mitte:
Die Integration
β1 HRand =
NI 1
= HMitte .
NI
H=− sin β dβ ergibt 2l 2
2l
180◦ −β2 Gemäß (4.185) ergibt sich mit den oben genannten
Zahlenwerten
IN A
H= (cos β1 + cos β2 ) . (4.183) HMitte = 7,5 · 103 .
2l m
Aus (4.174) für die lange Spule folgt
Nun gilt
l A
+x HMitte = 9,6 · 103 .
cos β1 =
2
2 und m
R2 + 2l + x
Der relative Fehler der Näherungslösung nach (4.174)
−x l ist 28%.
cos β2 =
2
2 .
R2 + 2l − x
4.4.3 Magnetische Flussdichte
Damit wird die Feldstärke in Abhängigkeit von x:
und Kraftwirkungen im Magnetfeld

NI
H(x) = · 4.4.3.1 Magnetischer Fluss,
2l
⎛ ⎞ magnetische Flussdichte
l l Aus dem vorhergehenden Abschnitt geht her-
⎜ +x −x ⎟
⎜ ⎟ vor, dass die Ursache für das Auftreten ei-
⎜ 2 + 2 ⎟
⎜ 2 2 ⎟
⎝ l l ⎠ nes Magnetfeldes ein Fließen elektrischer La-
R2 + +x R2 + −x
2 2 dungen bzw. das Vorhandensein einer Strom-
(4.184) stärke I ist. In diesem Magnetfeld kann man
folgende Wirkungen beobachten: Wird eine
358 4 Elektrizität und Magnetismus

im Magnetfeld befindliche Leiterschleife aus nannt. Der Fluss durch die Leiterschleife än-
dem Magnetfeld gezogen, wie es Abb. 4.97a dert sich durch das Herausziehen der Leiter-

zeigt, so wird ein Spannungsstoß U dt gemes- schleife von ursprünglich Φ auf null um ΔΦ =
sen (Abb. 4.97b). Der Spannungs-Zeit-Verlauf Φ − 0 = Φ. Die Änderung des magnetischen
ist bei einer schnellen Durchquerung des Ma- Flusses wird direkt dem Spannungsstoß zuge-
gnetfeldes steiler und bei einer langsameren ordnet:
flacher. Die Flächen unter diesen Kurven sind
jedoch immer gleich groß.
U(t) dt
Der Spannungsstoß ist davon abhängig, wie ΔΦ = . (4.187)
viele magnetische Feldlinien beim Herauszie- N
hen durch die von der Leiterschleife aufge-
spannte Fläche gekreuzt werden und aus wie
Entsprechend gilt für den Spannungsstoß
vielen Windungen N die Leiterschleife gewi-
ckelt ist. Dies bedeutet, dass der Spannungs-

stoß der Anzahl der parallel zur Flächennor-
malen dAn befindlichen magnetischen Feldli- U(t) dt = N ΔΦ . (4.188)
nien entspricht (Abb. 4.97a). Die Anzahl der
magnetischen Feldlinien wird in Analogie zu Der Spannungsstoß U dt ist gleich der
Wasserflüssen der magnetische Fluss Φ ge- Änderung des magnetischen Flusses Φ,
der die Fläche eines Leiters senkrecht
durchsetzt.

Die Einheit des Flusses ist 1 Vs = 1 Wb (We-


ber).
Wegen der Abhängigkeit des Spannungssto-
ßes von der Größe und der Orientierung der
Leiterschleifenfläche zur Richtung des magne-
tischen Flusses wird außer der magnetischen
Feldstärke H eine weitere vektorielle magne-
tische Feldgröße, die magnetische Flussdichte
oder die magnetische Induktion B definiert:

Φ dΦ
B= bzw. . (4.189)
A⊥ dA⊥
Die magnetische Induktion oder Fluss-
dichte B beschreibt den magnetischen
Fluss Φ pro Flächeneinheit senkrecht zu
den Feldlinien.

Die Einheit der magnetischen Induktion ist


Abb. 4.97 Spannungsstoß und magnetischer Fluss 1 Vs/m2 = 1 T (Tesla).
4.4 Magnetisches Feld 359

Aus (4.189) lässt sich der magnetische Fluss Φ Die Proportionalitätskonstante ist die ma-
durch eine Fläche z. B. einer beliebig orientier- gnetische Feldkonstante μ0 . Ihr Zahlenwert
ten Leiterschleife berechnen: ergibt sich aus den Kraftwirkungen elektri-
scher Ströme (s. Definition des Ampère in
Abschn. 1.3.1 und 4.1.2).
Φ= B dA = B cos ϕ dA . (4.190)
Die magnetische Feldkonstante beträgt dem-
nach
Sind also die magnetischen Feldlinien unter
einem Winkel ϕ zur Flächennormalen geneigt, μ0 = 4π · 10−7
Vs
≈ 1,257 · 10−6
Vs
.
so ist nur die Flussdichte senkrecht zur Fläche Am Am
B cos ϕ maßgebend, wie Abb. 4.98 zeigt. (4.192)
Die magnetische Flussdichte B und die magne-
tische Feldstärke H dienen beide zur Beschrei- Gleichung (4.191) gilt nur im materiefreien
bung der Richtung und Stärke einer magneti- Raum.
schen Wirkung. Im Vakuum sind die magneti-
sche Feldstärke H, z. B. in einer langen Zylin- 4.4.3.2 Kraftwirkungen im Magnetfeld
derspule, und die magnetische Flussdichte B, Verschiedene Magnetfelder überlagern sich zu
z. B. bestimmt aus dem Spannungsstoß in ei- einem resultierenden Magnetfeld, z. B. das Ma-
ner nach Abb. 4.98 im Winkel ϕ zur Zylinder- gnetfeld eines Permanentmagneten und das
spulenachse herausgezogenen Leiterschleife, eines stromdurchflossenen Leiters. Aus die-
stets gleichgerichtet und zueinander propor- sem resultierenden Feld lassen sich Kraftwirk-
tional. Es gilt die Beziehung ungen ableiten.

B = μ0 H . (4.191) Stromdurchflossener Leiter im Magnetfeld


Abbildung 4.99a zeigt einen stromdurchflos-
senen Leiter im Feld eines Permanentmagne-
ten. Die im mathematisch negativen Sinne um-
laufenden magnetischen Feldlinien des strom-
durchflossenen Leiters überlagern sich mit den
vom Nord- zum Südpol laufenden Feldlinien
des Permanentmagneten, wie Abb. 4.99b zeigt.
Das resultierende Feld hat in diesem Fall eine
Feldlinienverdichtung auf der linken und eine
Feldlinienverdünnung auf der rechten Seite.
Auf den Leiter wird eine Kraft in Richtung der
Feldverdünnung (nach rechts) wirksam.
Experimentell gilt für den Kraftbeitrag dF ei-
nes stromdurchflossenen Leiterelementes der
Länge dl

Abb. 4.98 Beliebig orientierte Leiterschleife im dF = I ( dl × B) . (4.193)


Magnetfeld
360 4 Elektrizität und Magnetismus

Abb. 4.99 Kraftwirkung auf einen stromdurchflossenen Leiter im Magnetfeld

Verläuft der stromführende Leiterabschnitt


mit der Länge l senkrecht zum Magnetfeld, so F = I l B sin ϕ . (4.195)
gilt
l l ϕ ist der Winkel zwischen Magnetfeld B und
F = I ( dl × B) = −I B × dl dem geraden Leiterstück l.
0 0
l Die Kraft F auf einen stromdurchflosse-
= −I B × dl, nen Leiter der Länge l in einem Magnet-
0
feld B wirkt senkrecht zur Fläche, die von
F = −I B × l oder den Vektoren l und B aufgespannt wird.

F = I (l × B) . (4.194) (Veranschaulichung durch die Rechte-Hand-


Regel: Daumen in Stromrichtung, Zeigefinger
Die Kraft auf einen stromdurchflossenen Lei- in magnetischer Feldrichtung: dann zeigt der
ter hat den Betrag Mittelfinger in Kraftrichtung.)
4.4 Magnetisches Feld 361

Befindet sich der stromdurchflossene Leiter Lösung


senkrecht zum Magnetfeld, dann gilt (da Für die magnetische Kraft Fmagn gilt nach (4.196)
sin ϕ = 1): Fmagn = N I l B
a) Es ergibt sich ein Drehmoment von

M = Fmagn l = N I B l2 = 1,08 N m .
F = IlB . (4.196)
Ferner gilt

Gemäß (4.196) lässt sich die magnetische In- M


M = kt ϕ oder ϕ = = 36◦ .
duktion B über die Kraftwirkung im Magnet- kt
feld erklären: b) Es gilt für das Drehmoment M = kt ϕ = N I B l2 .
Daraus folgt für die Stromstärke
F
B= . (4.197) kt ϕ
Il I= = 5,33 A .
N B l2
Die magnetische Flussdichte B gibt an,
wie groß die Kraft ist, die je Stromstärke-
und je Längeneinheit auf einen strom- Magnetisches Moment
durchflossenen Leiter wirkt. Eine kleine Kompassnadel dreht sich im Ma-
gnetfeld stets so, dass sie parallel zu den Feld-
Die Einheit von B ist damit auch 1 N/Am. linien ausgerichtet ist. Dreht man sie im Feld,
so entsteht ein rücktreibendes Drehmoment.
Beispiel Dasselbe gilt für einen elektrischen Dipol (Ab-
4.4-3 Zwischen den kreisförmigen Polen eines Per- schn. 4.3.7), wie Abb. 4.101a zeigt.
manentmagneten befindet sich ein Weicheisenkern, Auf jede Ladung Q des Dipols wirkt eine Kraft
der 100 Wicklungen einer quadratischen Leiter-
F = Q E. Das Drehmoment dieses Kräftepaars
schleife mit der Kantenlänge l = 3 cm trägt (Prinzip
des Drehspulinstrumentes gemäß Abb. 4.100). Die
ist (Abschn. 2.9.2)
Induktion beträgt B = 2,5 T und die Wicklungen
werden von einer Stromstärke I = 4,8 A durchflos-
M = F d sin ϕ = Q dE sin ϕ .
sen.
a) Welches Drehmoment erfährt ein Zeiger und wie Mit der Definition des elektrischen Dipolmo-
groß ist der Winkelausschlag bei einer Winkelricht- ments
größe von kt = 3 · 10−2 N m/◦ ? b) Wie groß ist die
Stromstärke bei einem Zeigerausschlag von 40◦ ? p = Qd (4.158)

Ist das Drehmoment auf den Dipol

M =p×E . (4.198)

Das Drehmoment wird null, wenn der Dipol


sich parallel zu den Feldlinien ausgerichtet hat,
d. h. wenn p||E liegt.
In einem inhomogenen Feld verbleibt übri-
Abb. 4.100 Prinzip des Drehspulinstrumentes gens eine resultierende Kraft, sodass der Dipol
362 4 Elektrizität und Magnetismus

nicht nur gedreht, sondern in Richtung größ- wird das Drehmoment des Kräftepaars
ter Feldstärke gezogen wird.
Da die Kompassnadel im Magnetfeld ein Dreh- M = F b sin ϕ = I l b B sin ϕ = I A B sin ϕ .
moment erfährt, wie der elektrische Dipol
im elektrischen Feld, liegt es nahe, auch von Dabei ist A = l b die Fläche der Leiterschleife.
magnetischen Dipolen und ihrem magneti- Um eine formale Ähnlichkeit mit dem elek-
schen Dipolmoment zu reden. Jede vom Strom trischen Dipolmoment herzustellen, definiert
durchflossene Leiterschleife erfährt im Ma- man
gnetfeld ein Drehmoment, besitzt also eben-
falls ein magnetisches Dipolmoment. Abbil- m = AI . (4.199)
dung 4.101b zeigt eine Schleife der Länge l und
Breite b, die vom Strom I durchflossen wird,
in einem Magnetfeld der Flussdichte B. Wäh- als magnetisches Dipolmoment, gelegentlich
rend sich die Kräfte F 1 + F 2 + F 3 = 0 aufheben, auch als Ampere’sches Dipolmoment bezeich-
bilden die beiden Kräfte F ein Kräftepaar, das net; [m] = 1 A · m2 . A ist der Flächennor-
die Schleife dreht. Mit malenvektor, der dem Stromfluss im Rich-
tungssinn einer Rechtsschraube zugeordnet ist
F = IlB (Abb. 4.101b).

Abb. 4.101 Dipole im homogenen Feld: a elektrischer Dipol im E-Feld, b magnetischer Dipol im B-Feld, links
Seitenansicht, rechts Draufsicht
4.4 Magnetisches Feld 363

Damit ist das Drehmoment, das die Leiter- das Magnetfeld des Leiters 2. Dessen magneti-
schleife im Magnetfeld erfährt sche Flussdichte ist gemäß (4.173 und 4.191)
I2
B2 = μ0 .
2πd
M =m×B. (4.200) Für die Kraft zwischen zwei Leitern gilt ent-
sprechend (4.196)
Ohne Beweis sei angefügt, dass obige Aussa- F12 = I1 l B2
gen für beliebig geformte Leiterschleifen der und unter Berücksichtigung von B2
Fläche A gilt.
Gelegentlich wird auch das Coulomb’sche Mo- μ0 I1 I2 l
F12 = . (4.202)
ment 2πd

mC = μ0 A I . (4.201) Abbildung 4.102 zeigt die Überlagerung der


magnetischen Feldlinien für zwei parallele
stromdurchflossene Leiter. Bei zwei gleichge-
benutzt. Das Drehmoment eines Dipols im Ma- richteten Strömen wirkt zwischen den Leitern
gnetfeld wird dann eine Anziehungskraft (Abb. 4.102a), während
bei entgegengesetzt fließenden Strömen zwi-
M = mC × H . schen den Leitern eine Abstoßungskraft wirkt
(Abb. 4.102b).
Beispiel
4.4-4 Das magnetische Moment m eines Elektrons, Kraft auf bewegte Ladungsträger im Magnetfeld
das mit der Winkelgeschwindigkeit ω im Abstand r Bewegte Ladungsträger erfahren im Magnet-
um den Atomkern kreist, ist zu berechnen. feld eine Kraft. Gleichung (4.193)
Lösung dF = I (dl × B)
Es gilt nach (4.199) m = A I.
e eω
Es ist I = = , sodass man schreiben kann lässt sich für diesen Fall umformen: Für die
T0 2π
Geschwindigkeit der Ladungsträger gilt =
e ω e ω r2 dl/ dt, hieraus folgt dl = dt. Eingesetzt ergibt
m = πr2 = .
2π 2 dies
Für ein Elektron mit Drehimpuls ~ wird das magneti- dF = I dt( × B) .
sche Moment
Mit I dt = dQ erhält man dF = dQ ( × B)
e~
m= = 9,27 · 10−24 A m2 . oder
2 me

Dieser Wert wird als Bohr’sches Magneton μB bezeich-


net (Abschn. 8.3). FL = Q ( × B) . (4.203)

Bewegt sich eine Ladung Q mit der Ge-


schwindigkeit durch ein Magnetfeld der
Kraft zwischen zwei parallelen
magnetischen Induktion B, so spürt die
stromdurchflossenen Leitern
Ladung eine Kraft. Diese wirkt senkrecht
Befinden sich zwei stromdurchflossene Leiter
zu und senkrecht zu B.
im Abstand d voneinander, so spürt der Leiter 1
364 4 Elektrizität und Magnetismus

Abb. 4.102 Kraft zwischen zwei parallelen stromdurchflossenen Leitern

Abbildung 4.103 verdeutlicht den Zusammen- Die Lorentz-Kraft ist demnach maximal, wenn
hang. Die Kraft wird nach ihrem Entdecker und B senkrecht zueinander stehen und null,
Lorentz-Kraft genannt (H. A. Lorentz, 1853 wenn sich die Ladungsträger in Richtung des
bis 1928). Der Betrag der Lorentz-Kraft ist magnetischen Feldes bewegen.
Sind die fließenden Ladungen in einem Lei-
ter Elektronen, so erfahren die mit einer
|F L | = Q B sin(, B) . (4.204) Geschwindigkeit el in x-Richtung fließenden
Elektronen in einem Querfeld By in y-Richlung

Abb. 4.103 Kraft auf bewegte (negative) Ladungsträger im Magnetfeld


4.4 Magnetisches Feld 365

eine Lorentz-Kraft in z-Richtung. Sie beträgt Es ist Ey = Uy / b, sodass für die zwischen
je Elektron den Stirnseiten in y-Richtung messbare Span-
nung Uy folgt
FLz = −e (x · By ) . (4.205)
Uy = Bz x b = UH . (4.206)
Sie wirkt wegen der negativen Ladung der
Elektronen in die negative z-Richtung. Die Spannung UH wird Hall-Spannung ge-
nannt (E. H. Hall, 1855 bis 1938).
Hall-Effekt Die Stromdichte jx der Elektronen in x-
Durch ein leitendes Plättchen mit der Breite b Richtung ist
und der Dicke d fließe in x-Richtung ein
Strom Ix . Senkrecht hierzu herrsche ein Ma-
gnetfeld Bz . Dann wirkt auf jedes Elektron die jx = n e x = κ Ex . (4.207)
Lorentz-Kraft
Dabei ist n die Anzahl der Elektronen je Vo-
FLy = −e x Bz .
lumen und e die Elementarladung. Eingesetzt
Durch diese Lorentz-Kraft werden die Elek- in die Gleichung für die Hall-Spannung ergibt
tronen in y-Richtung verschoben, sodass an sich
der linken Stirnseite ein Elektronenüberschuss
1
und an der rechten Stirnseite ein Elektronen- UH = jx Bz b . (4.208)
mangel herrscht, wie Abb. 4.104 zeigt. Dies hat ne
zur Folge, dass in y-Richtung ein elektrisches
1
Gegenfeld aufgebaut wird und eine elektrische Der Faktor ne wird Hall-Koeffizient AH ge-
Gegenkraft Fel = −e Ey auftritt. Die Verschie- nannt:
bung der Elektronen aufgrund der Lorentz-
1
Kraft kommt dann zum Stillstand, wenn sich AH = . (4.209)
ein Gleichgewicht der Kräfte einstellt: ne

Fel = FLy oder − e Ey = −e x Bz . Somit kann (4.208) geschrieben werden

UH = AH jx Bz b . (4.210)

Wegen jx = Ix / (b d) gilt

AH Bz
UH = Ix = RH Ix . (4.211)
d

Da die Hall-Spannung proportional zur


magnetischen Induktion B ist, werden Hall-
Abb. 4.104 Hall-Effekt (negative Ladungsträger) Sonden zur Messung von Magnetfeldern
366 4 Elektrizität und Magnetismus

verwendet. In Hall-Generatoren geschieht die Hall-Konstante AH von Silber, die Ladungsträgerkon-


Multiplikation zweier elektrischer Größen zentation n und die Elektronenbeweglichkeit μ.
(Ix Bz ) durch Messung der Hallspannung UH . Lösung
Bei dem von K. v. Klitzing entdeck- Nach (4.211) gilt für den Hall-Koeffizienten
ten Quanten-Hall-Effekt ist der Hall-
UH d m3
Widerstand RH gequantelt. Er hat eine AH = = −8,87 · 10−11 .
IB C
große Bedeutung als Widerstandsnormal
Aus (4.209) ergibt sich n = AH1 e = 7 · 1028 m13 .
(Abschn. 4.1.4 und 8.2.5). μ
Aus AH = { resultiert
Mit Hilfe des Hall-Koeffizienten AH können
1
folgende physikalische Größen ermittelt wer- μ = AH { {Silber = 6,25 · 107
Ωm
den:
m2
= 5,54 · 10−3 .
Vs
– die Ladungsträgerkonzentration n (wichtig
u.a. bei Halbleitern, s. Abschn. 9.2.3),
Kraftwirkungen auf frei bewegliche Ladungsträger
– das Vorzeichen der Ladungsträger (Löcher-
Bewegen sich freie Ladungsträger (z. B. Elek-
leitung plus und Elektronenleitung minus),
tronen in einem Oszilloskop oder Protonen
– die Ladungsträgerbeweglichkeit μ = κAH .
in einem Beschleuniger) mit einer konstanten
Tabelle 4.10 zeigt die Werte des Hall- Geschwindigkeit in einem magnetischen
Koeffizienten AH für einige ausgewählte Querfeld, so wirkt auf sie die Lorentz-Kraft
Werkstoffe. F L = Q ( × B). Sie steht – analog zur Zen-
tripetalkraft einer Kreisbewegung in der
Beispiel Mechanik – senkrecht zur Geschwindigkeit
4.4-5 Durch eine 0,1 mm dicke Silberfolie fließt ein und ändert lediglich die Richtung, nicht
Strom von 4 A. Im senkrecht zur Folie befindlichen aber den Betrag der Teilchengeschwindig-
Magnetfeld (B = 6,2 Vs/m2 ) wird eine Hall-Spannung
keit, wie Abb. 4.105a zeigt. Deshalb führen
UH = −22 μV gemessen. Bestimmt werden sollen die
die geladenen Teilchen im Magnetfeld eine
Kreisbewegung aus, wenn sie mit konstanter
Tabelle 4.10 Hall-Koeffizienten einiger Werkstoffe Geschwindigkeit in ein homogenes ma-
gnetisches Querfeld gelangen (Abb. 4.105b).
3
Werkstoff AH in 10−11 mC Durchlaufen geladene Teilchen einen Kreis
mit dem Radius r, so ist die Zentrifugalkraft
Elektronenleitung gleich der Lorentz-Kraft:
Kupfer Cu −5,5
Gold Au −7,5 m 2
Natrium Na −25
= Q B oder
r
Caesium Cs −28
Löcherleitung
m
Cadmium Cd +6 r= . (4.212)
Zinn Sn +14 QB
Beryllium Be +24,4
Halbleiter Diese Beziehung zeigt, dass bei konstantem
Wismut Bi −5 · 104 magnetischen Querfeld der Bahnradius umso
Indium-
kleiner wird, je größer das Magnetfeld ist. Mit
Arsenid InAs −107
zunehmender Geschwindigkeit der geladenen
4.4 Magnetisches Feld 367

Abb. 4.105 Kreisbewegung freier Elektronen im Magnetfeld

Teilchen wird der Radius größer. Dies wird schwindigkeiten ist der relativistische Massen-
bei den Teilchenbeschleunigern ausgenutzt. In zuwachs zu berücksichtigen, s. Abschn. 10.4.)
Abb. 4.106 erkennt man das Prinzip. Bei einem In einem Synchrotron (Abb. 4.106b) bleibt der
Zyklotron herrscht ein konstantes Magnetfeld, Radius der beschleunigten Teilchen gleich,
und die Teilchen werden durch ein elektri- weil entsprechend der zunehmenden Ge-
sches Wechselfeld zwischen den Bereichen I schwindigkeit das Magnetfeld B ebenfalls
und II auf höhere Geschwindigkeiten gebracht erhöht wird.
(Abb. 4.106a). Dadurch entsteht eine spiral- Aus (4.212) ist auch die spezifische Ladung ei-
förmige Bahn, die aus aneinandergrenzenden nes Elementarteilchens bestimmbar:
Halbkreisen besteht. (Bei hohen Teilchenge-
Q
= . (4.213)
m rB

Für ein Elektron gilt dann

Q −e C
= = −1,76 · 1011 . (4.214)
m mel kg

Entsprechend der spezifischen Ladung von


Teilchen entstehen unterschiedliche Auftreff-
punkte. Mit einem geeignet konstruierten
Massenspektrograph nach F.W. Aston (1877
bis 1945) können diese sichtbar gemacht und
somit die relativen Atommassen ermittelt
werden.

Beispiel
4.4-6 In einem Zyklotron werden Protonen in einem
Magnetfeld von B = 2 T beschleunigt. Zeigen Sie, dass
die Anzahl der Umläufe je Sekunde von der Teilchen-
Abb. 4.106 a Zyklotron, schematisch und geschwindigkeit und vom Radius unabhängig ist. Be-
b Synchrotron rechnen Sie diese im vorliegenden Fall.
368 4 Elektrizität und Magnetismus

Lösung E ⇔ B und D ⇔ H
Nach (4.213) gilt = m
Q
r B. Für die Frequenz gilt f = 2ωπ
mit ω = r .
miteinander korrespondieren.
Wird in die Gleichung für die Frequenz eingesetzt, so
ergibt sich 4.4.4 Materie im Magnetfeld

QB 4.4.4.1 Grundbegriffe
f = = . (4.215)
2π r 2π m Wird Materie in ein magnetisches Feld ge-
bracht, so ändert sich – analog zur Materie
Im vorliegenden Fall ermittelt man mit QP = 1,602
im elektrischen Feld (Abschn. 4.3.7) – die ma-
10−19 C und mP = 1,672 · 10−27 kg; f =30,49 MHz. gnetische Flussdichte B. Es ist

|Bm |
Kraftwirkung im elektrischen μr = . (4.217)
|B0 |
und magnetischen Feld
Bewegen sich geladene Teilchen sowohl in ei- Die Permeabilitätszahl μr ist eine dimen-
nem elektrischen als auch in einem magneti- sionslose Verhältniszahl, sie gibt an, um
schen Feld, dann wirkt die resultierende Kraft das Wievielfache sich die magnetische
Flussdichte mit Materie (Bm ) im Verhält-
nis zur magnetischen Flussdichte ohne
F = Q E + Q ( × B) . (4.216) Materie (B0 ) verändert.

Sind beide Felder – d. h. das elektrische und Aus (4.217) folgt


das magnetische Feld – parallel, so bewegen
sich geladene Teilchen auf einer Schrauben- Bm = μr B0 = μ0 μr H 0 . (4.218)
bahn, da das Magnetfeld eine Kreisbahn um
die Magnetfeldachse erzwingt und das elektri-
sche Feld eine Kraft in Längsrichtung bewirkt. Analog zum elektrischen Feld wird die durch
Die formale Ähnlichkeit der Feldgleichungen die Materie zusätzlich hervorgerufene magne-
im Vakuum tische Flussdichte magnetische Polarisation J
genannt:
D = ε0 E und B = μ0 H ,

bzw. in Materie J = Bm − B0 . (4.219)


D = εr ε0 E und B = μr μ0 H ,

suggeriert, dass sich Mit Bm = μr B0 ergibt sich aus (4.219)


E ⇔ H , sowie D ⇔ B
J = (μr − 1) B0 = (μr − 1) μ0 H 0 .
entsprechen. Tatsächlich zeigen die Kraftwir- (4.220)
kungen auf elektrische Ströme oder allgemei-
ner auf bewegte Ladungen im Magnetfeld, so-
wie auf ruhende und bewegte Ladungen im Der Faktor (μr − 1) heißt analog zur elektri-
elektrischen Feld, dass schen Suszeptibilität (4.156) magnetische Sus-
4.4 Magnetisches Feld 369

zeptibilität χm . Somit formt sich (4.220) um genommen hiervon sind die nichtlinearen ma-
zu gnetischen Werkstoffe (z. B. die Ferromagne-
tika). Werkstoffe können nach ihrem Verhalten
J = χm B0 = χm μ0 H , (4.221) im Magnetfeld (μr = B/ B0 ) gemäß Abb. 4.107
|J| |J| eingeteilt werden in
χm = = . (4.222)
|B0 | μ0 |H| – diamagnetische Stoffe
Die magnetische Suszeptibilität χm μr wenig kleiner als 1 bzw. χm geringfügig
beschreibt das Verhältnis von Polari- negativ, Beispiele: Cu, Bi, Pb;
sation J, hervorgerufen durch Materie
im Magnetfeld, und der magnetischen
Flussdichte B0 (ohne Materie).

Wird am System außer dem Einbringen von


Materie nichts geändert, dann bleibt der ein-
geprägte Strom in der Spule konstant und da-
mit auch die Feldstärke; H ist also im Vakuum
und in Materie gleich (H invariant). Für die
Magnetisierung M gilt:
Abb. 4.107 Einteilung magnetischer Werkstoffe nach
J den Zahlenwerten von μr bzw. χm
M= . (4.223)
μ0
Tabelle 4.11 Magnetische Suszeptibilität magneti-
scher Werkstoffe
Nach weiteren Umformungen ergeben sich fol-
gende Formulierungen: Werkstoff magnetische
Suszeptibilität

M = (μr − 1) H = χm H . (4.224) Ferromagnetika


Mu-Metall
(75 Ni-Fe) bis 9 · 104
Für die magnetische Induktion B ergibt sich Fe (rein) 104
dann Fe-Si 6 · 103
Ferrite (weich) 1 · 103
AlNiCo 3
B = μ0 H + J = μ0 (H + J /μ0 ) Ferrite (hart) 0,3
Paramagnetika
= μ0 (H + M) (4.225)
O2 (flüssig) 3,6 · 10−3
Pt 2,5 · 10−4
Al 2,4 · 10−5
Die Magnetisierung M entspricht der Summe
O2 (gasförmig) 1,5 · 10−6
aller magnetischen Dipolmomente m dividiert Diamagnetika
durch das Probenvolumen: N2 (gasförmig) −6,75 · 10−9

mi N Bi −1,5 · 10−4
M= = m. Au −2,9 · 10−5
V V
Cu −1 · 10−5
Die Magnetisierung ist bei vielen Stoffen pro- H2 O −7 · 10−6
portional zur magnetischen Feldstärke H. Aus-
370 4 Elektrizität und Magnetismus

– paramagnetische Stoffe (Pauli-Prinzip, Abschn. 8.4). Wird ein diama-


μr wenig größer als 1 bzw. χm geringfügig gnetischer Stoff in ein äußeres Magnetfeld
positiv, Beispiele: Al, Pt, Ta; gebracht, erzeugt die Wechselwirkung des
– ferromagnetische Stoffe magnetischen Elektronen-Bahnmomentes
μr wesentlich größer als 1 bzw. χm deutlich mBahn mit diesem äußeren Magnetfeld eine
positiv, Beispiele: Co, Fe, Ni. Präzession der Elektronenbahn. Durch diese
Kopplung der Elektronenbewegung entstehen
Tabelle 4.11 vermittelt eine Übersicht über die
inneratomare Ringströme, deren Magnetfeld
magnetische Suszeptibilität einiger dia-, para-
dem äußeren Magnetfeld entgegengesetzt ge-
und ferromagnetischer Werkstoffe bei Raum-
richtet ist (Lenz’sche Regel, Abschn. 4.5). Das
temperatur.
gesamte Magnetfeld wird dadurch schwächer.
Aus diesem Grund ist die Permeabilitätszahl
4.4.4.2 Stoffmagnetismus μr < 1 bzw. die magnetische Suszeptibilität
Das unterschiedliche magnetische Verhalten χm < 0. Der Diamagnetismus verschwindet
von Materie ist auf deren Elektronenstruktur wieder, wenn das äußere Feld abgeschaltet
zurückzuführen. Die Elektronen erzeugen als wird. Eine Temperaturabhängigkeit der Sus-
sich bewegende elektrische Ladungen magne- zeptibilität ist nicht festzustellen. Typische
tische Momente, und zwar durch Stoffe mit diamagnetischem Verhalten sind
Ag, Au, Cu, Bi oder H2 .
– die Bahnbewegung ein magnetisches Bahn-
moment mBahn senkrecht zur Umlauffläche
und durch Paramagnetismus
– die Eigenrotation (Elektronen-Spin) ein ma- Unaufgefüllte Elektronenschalen (bzw. eine
gnetisches Spinmoment mSpin . ungerade Anzahl von Elektronen) führen zu
nicht vollständig kompensierten magneti-
Das von der Kernbewegung herrührende
schen Spinmomenten. Diese magnetischen
Kernspinmoment kann wegen der gerin-
Spinmomente sind regellos verteilt. Das
gen Magnetwirkung vernachlässigt werden.
äußere Magnetfeld richtet die Elementar-
Abbildung 4.108 zeigt die Arten des Stoff-
magnete durch seine Wechselwirkung mit
magnetismus, die jeweiligen Ursachen und
dem magnetischen Spinmoment aus; dieser
Wirkungen, die Temperaturabhängigkeit des
vollständigen Ausrichtung steht jedoch die
Kehrwertes der Suszeptibilität sowie typische
Wärmebewegung der Atome entgegen. Die
magnetische Werkstoffe. Der Ferromagne-
thermische Bewegung der Atome nimmt mit
tismus ist wegen seiner großen technischen
steigender Temperatur zu, dementsprechend
Bedeutung ausführlich beschrieben.
der Grad der Ausrichtung der magnetischen
Spinmomente und damit die magnetische
Diamagnetismus
Suszeptibilität ab. Es gilt hierbei das Curie’sche
Der Diamagnetismus ist eine Eigenschaft
Gesetz (P. Curie, 1859 bis 1906):
aller Körper; er kann aber durch andere ma-
gnetische Erscheinungen überdeckt werden.
C
In reiner Form tritt er auf, wenn sich die χm = . (4.226)
magnetischen Spinmomente aller Atomelek- T
tronen aufheben. Dies ist bei Elementen mit
abgeschlossenen Elektronenschalen der Fall Der Faktor C ist eine stoffabhängige Größe.
4.4

Abb. 4.108 Arten des Stoff-Magnetismus


Magnetisches Feld 371
372 4 Elektrizität und Magnetismus

Ferromagnetismus Ferromagnetika weisen ein nichtlineares


Unaufgefüllte innere Elektronenschalen, wie Verhalten der magnetischen Induktion B in
sie vor allem bei den Übergangsmetallen (Fe, Abhängigkeit von der magnetischen Feld-
Ni, Co, Gd, Er) vorkommen, führen zu gleich- stärke H auf, d. h., die Permeabilitätszahl μr
gerichteten Spinmomenten. Es existieren bzw. die magnetische Suszeptibilität χm ist
ganze Kristallbereiche gleicher Magnetisie- nicht konstant, sondern eine komplizierte
rung in der Größe von etwa 10 μm bis 1 mm. Funktion von H. Einen typischen Verlauf
Sie werden Weiss’sche Bezirke genannt (P. E. der Permeabilitätszahl bei zunehmender ma-
Weiss, 1865 bis 1940). Sie sind im unma- gnetischer Feldstärke H zeigt schematisch
gnetisierten Zustand regellos verteilt, sodass Abb. 4.109. Der spezielle Verlauf von μr in Ab-
der Werkstoff nach außen unmagnetisch hängigkeit von der magnetischen Feldstärke H
ist. Durch Anlegen eines äußeren Feldes ist vom Werkstoff und von der Vorbehandlung
werden die Weiss’schen Bezirke zunehmend des Werkstoffs abhängig.
in Feldrichtung ausgerichtet. Die parallele In Abb. 4.110 ist die Abhängigkeit der magne-
Ausrichtung der magnetischen Spinmomente tischen Flussdichte B von der magnetischen
wird mit zunehmender Temperatur zerstört,
bis sie oberhalb der ferromagnetischen Curie-
Temperatur TC völlig aufgehoben ist und
die ferromagnetischen Stoffe nur noch ein
paramagnetisches Verhalten aufweisen.
Für Temperaturen oberhalb TC gilt das Curie-
Weiss’sche Gesetz:

C
χm = . (4.227)
Abb. 4.109 Verlauf der Permeabilitätszahl μr in
T − TC
Abhängigkeit von der Feldstärke H für einen
Ferromagneten
Die Curie-Temperaturen einiger ferromagne-
tischer Werkstoffe sind in Tabelle 4.12 zusam-
mengestellt.

Tabelle 4.12 Ferromagnetische Curie-Temperatur


einiger Werkstoffe

Werkstoff ferromagnetische
Curie-Temperatur
TC in K

Dy 87
Gd 289
Cu2 MnAl 603
Ni 631
Fe 1 042
Co 1 400
Abb. 4.110 Hysteresekurve
4.4 Magnetisches Feld 373

Feldstärke H (Hysteresekurve) dargestellt.


Vom unmagnetisierten Zustand H = B = 0
ausgehend verändert sich die Flussdichte B
bei monoton anwachsender Feldstärke H längs
der Neukurve. Sie nähert sich asymptotisch
der Geraden

B = μ0 H + JS = μ0 (H + MS ) ,
wenn alle Elektronenspins parallel zum äu-
ßeren Feld ausgerichtet sind, d. h. wenn die
magnetische Polarisation ihren Sättigungs-
wert JS erreicht hat. Abbildung 4.111 zeigt die
Weiss’schen Bezirke eines Nickel-Einkristalls
im unmagnetischen Zustand (Abb. 4.111a,
entspricht dem Punkt 0 der Neukurve), bei
teilweiser Magnetisierung (Abb. 4.111b, ent-
spricht dem Gebiet II der Neukurve) und bei
vollständiger Magnetisierung (Abb. 4.111c,
entspricht der Sättigungsinduktion BS ). Be-
sonders gut sichtbar ist die einheitliche
Magnetisierung der Weiss’schen Bezirke,
die durch die Bloch-Wände (F. Bloch, 1905
bis 1983) voneinander getrennt sind. Diese
Bloch-Wände sind die Übergangszonen, in
denen sich die Magnetisierung von einem
Weiss’schen Bezirk zum andern ändert.
In der Neukurve laufen drei Elementar-
prozesse ab: Bei der Erhöhung der äußeren
magnetischen Feldstärke H nimmt die magne-
tische Induktion B aufgrund von Bloch-Wand-
Abb. 4.111 Veränderung der Weiss’schen Bezirke eines
Verschiebungen schnell zu. Zunächst finden
Nickel-Einkristalls bei Zunahme des Magnetfeldes
die leichter verschiebbaren reversiblen Wand-
verschiebungen (Bereich I) und später die
schwerer verschiebbaren irreversiblen Wand- tischen Momente vollends in die vorgegebene
verschiebungen statt (Bereich II). Die Bezirke, Feldrichtung drehen. Das Material ist dann
die annähernd in Feldrichtung ausgerichtet bis zur Sättigungspolarisation JS magnetisiert
sind, vergrößern sich in diesen beiden Phasen (Abb. 4.111c). Von diesem Punkt an nimmt B
auf Kosten der anderen. Das Material ist teil- nur noch geringfügig zu.
weise magnetisiert (Abb. 4.111b). Bei weiter Wird das magnetische Feld ausgeschaltet
zunehmendem Magnetfeld H nimmt die ma- (H = 0), dann bleibt eine Restinduktion übrig,
gnetische Induktion B nur noch geringfügig die man Remanenzflussdichte (Remanenz) BR
zu. In diesem Bereich finden Drehprozesse nennt. Um wieder einen unmagnetischen Ma-
statt (Bereich III), bei denen sich die magne- terialzustand zu erreichen (B = 0), muss eine
374 4 Elektrizität und Magnetismus

Gegenfeldstärke eingestellt werden. Sie wird rungsfaktor bezeichnet. Er hängt nur von der
Koerzitivfeldstärke HC genannt. Bei weiter Probengeometrie ab (Tabelle 4.13).
zunehmendem Gegenfeld wird das Material Für die wahre Feldstärke im Innern der Probe
bis zur Sättigung in Gegenrichtung (−JS ) auf- gilt damit
magnetisiert. Beim Ausschalten des Magnet- J
H = H − N , oder mit (4.234)
feldes (H = 0) fällt die magnetische Induktion μ0
wieder bis zur Remanenzflussdichte (−BR )
und erst ein positives Magnetfeld (HC ) er- B
zeugt wieder ein unmagnetisches Material. H − N
μ0
Bei erneuter Erhöhung des magnetischen H = . (4.228)
N −1
Feldes wird wieder die Sättigungsinduktion JS
erreicht. Die durchlaufene Kurve nennt man
Abbildung 4.112 zeigt den ersten und zwei-
Hystereseschleife.
ten Quadranten einer gemessenen (gescher-
Wird anstelle der Induktion B die Polarisa-
tion J über der magnetischen Feldstärke H auf-
getragen, dann hat die Koerzitivfeldstärke HC , Tabelle 4.13 Entmagnetisierungsfaktor für
bei der die Polarisation null wird einen ande- ausgewählte Geometrien
ren Wert als im B(H)-Diagramm. Aus diesem
Grund gibt es zweierlei Koerzitivfeldstärken: Geometrie Magnetisierung Entmagneti-
sierungsfaktor N
HCJ im J(H)-Diagramm und HCB im B(H)-
Diagramm. Der numerische Unterschied ist dünne Platte in Plattenebene 0
allerdings nicht erheblich. senkrecht zur
Plattenebene 1
sehr langer in Längsrichtung 0
Scherung Stab in Querrichtung 1/2
Wird mit einem stabförmigen Magnetwerk- Kugel 1/3
stoff eine Magnetisierungskurve aufgenom-
men, so kann diese je nach Geometrie des Sta-
bes unter Umständen erheblich von der Ma-
gnetisierungskurve abweichen, die man mit
einem geschlossenen Ring desselben Materi-
als misst.
Der Grund liegt in der entmagnetisierenden
Wirkung der Magnetpole an den Staben-
den. Diese erzeugen ein entmagnetisierendes
Feld H , das dem von außen angelegten Feld H
(beispielsweise durch eine Spule erzeugt, mit
H = N I / l) entgegengesetzt gerichtet ist
und dieses schwächt. Im Innern der Probe
ist deshalb die Feldstärke H kleiner als die
Feldstärke des äußeren Feldes: H = H − H .
Abb. 4.112 Scherung der Hystereseschleife für
Das entmagnetisierende Feld ist umso größer, den Entmagnetisierungsfaktor N = 0,01. BR ist
je größer die Polarisation in der Probe ist: die scheinbare, BR die wahre Remanenzdichte des
H = N M = N μJ0 . N wird als Entmagnetisie- Werkstoffs
4.4 Magnetisches Feld 375

ten) Hystereseschleife B(H ) und die mit Hilfe Die Ferrite haben große technische Bedeu-
von (4.229) zurückgescherte Hysteresekurve tung sowohl als weichmagnetische als auch als
B(H). Offensichtlich ist die Remanenz BR = dauermagnetische Werkstoffe. Sie sind keine
0,5 T im Stab wesentlich niedriger als die Re- Metalle, sondern Ionenkristalle. Deshalb wei-
manenz BR = 1,1 T in einem ringförmigen ge- sen sie einen hohen spezifischen Widerstand
schlossenen Magneten. auf (1 < ρ < 103 Ω m) im Vergleich zu den
Metallen (ρ ≈ 10−7 Ω m). Aus diesem Grund
treten kaum messbare Wirbelströme (Ab-
Antiferromagnetismus und Ferrimagnetismus schn. 4.5.1.2) auf, sodass Ferrite vor allem für
Unaufgefüllte innere Elektronenschalen füh- magnetische Anwendungen bei hohen Fre-
ren zu parallelen magnetischen Spinmomen- quenzen (z. B. Spulenkerne bei Frequenzen
ten. Bei Antiferromagnetika liegen zwei gleich bis 5 MHz) eingesetzt werden.
große ferromagnetische Untergitter vor, die Der Temperaturverlauf der Suszeptibilität ist
sich antiparallel einstellen. Deshalb ist die im Allgemeinen sehr kompliziert, oberhalb
Suszeptibilität auch nur schwach positiv. Die der ferromagnetischen Curie-Temperatur TC
Suszeptibilität entspricht oberhalb der Néel- zeigt sie einen paramagnetischen Verlauf.
Temperatur TN (L. Néel, 1904 bis 2000) dem
abgewandelten Curie-Gesetz: Magnetostriktion
Durch Blochwandverschiebungen aufgrund
eines äußeren Magnetfeldes kann eine Län-
C
χm = . (4.229) genänderung eintreten. Diese elastische
T + TN
Formänderung bei Anwesenheit eines ma-
gnetischen Feldes heißt Magnetostriktion.
Unterhalb dieser Temperatur verläuft die Tem- Abbildung 4.113 zeigt schematisch die posi-
peraturabhängigkeit der magnetischen Sus- tive Magnetostriktion (gestrichelt) bei Eisen
zeptibilität χm meist sehr unterschiedlich. Sie (Längenvergrößerung bei kleinerer Breite)
ist zudem stark von der Kristallrichtung ab- und die negative Magnetostriktion bei Nickel
hängig. Typische antiferromagnetische Sub- (Längenverkürzung bei zunehmender Breite).
stanzen sind MnO, NiO, CoO, CrF3 , FeF3 , CoF3 Die Längenänderungen Δl/ l liegen im All-
(Abb. 4.108). gemeinen zwischen −3 · 10−5 und +5 · 10−5 .
Sind die magnetischen Momente der anti-
parallel eingestellten Untergitter nicht gleich
groß, dann ist ein resultierendes magnetisches
Moment vorhanden. Dies wird Ferrimagnetis-
mus genannt. Er hat teils antiferromagneti-
sche und teils ferromagnetische Eigenschaften
(z. B. Hysterese). Die Werkstoffe heißen Fer-
rite. Typische Kristallstrukturen sind Spinelle
der Form MeOFe2 O3 – für Me kann z. B. Fe,
Ni, Co stehen – aber auch hexagonale Ferrite
der Form MeO · 6Fe2 O3 (Me: Ba, Sr, Pb) oder
Granate der Form 3 Me2 O3 · 5Fe2 O3 (Me: drei-
wertiges Selten-Erdmetall, z. B. Ce3+ , Sm3+ ). Abb. 4.113 Magnetostriktion bei Eisen und Nickel
376 4 Elektrizität und Magnetismus

Magnetostriktive Materialien dienen der Er- werkstoffe mit Koerzitivfeldstärken größer


zeugung von Ultraschall mit einer Frequenz als 4,5 · 104 A/m sind die hartmagnetischen
bis 60 kHz und einer Schallintensität bis Werkstoffe. Hierzu zählen die Legierungen
105 W/m2 . aus AlNiCo, FeTi, PtCo, FeCoV und CuNiFe
sowie die Selten-Erd-Kobaltverbindungen
4.4.4.3 Magnetische Werkstoffe (SECo, z. B. SmCo5 ) und die NdFeB-Magnete.
Abbildung 4.114 zeigt eine Einteilung der Im weichmagnetischen wie im hartmagneti-
magnetischen Werkstoffe nach IEC 404-1. Je schen Bereich werden auch Ferrite eingesetzt
nach Koerzitivfeldstärke HC können sie in drei (s. Ferrimagnetismus).
Hauptgruppen eingeteilt werden, nämlich in Die Fläche der Hysteresekurve ist ein Maß für
die Energie, die zur Ummagnetisierung not-
– weichmagnetische Werkstoffe entsprechend
wendig ist. Für weichmagnetische Materialien
0,1 < HC < 103 A/m,
muss sie möglichst gering gehalten werden.
– magnetisch halbharte Werkstoffe entspre-
Die Verluste liegen für Bleche mit der Dicke
chend 103 < HC < 4,5 · 104 A/m und in
0,2 mm bis 0,5 mm bei B = 1 T und f = 50 Hz
– magnetisch harte Werkstoffe entsprechend
zwischen 0,06 W/kg (65% NiFe) und 10 W/kg
HC > 4,5 · 104 A/m.
(Eisen).
Die niedrigsten Koerzitivfeldstärken (HC ≈ Amorphe Weichmagnete bilden die neueste
1 A/m) weisen hochnickelhaltige Legierungen weichmagnetische Werkstoffgruppe. Sie
(75% NiFe, Permalloy und amorphe Werk- zeichnen sich durch besonders hohe Permea-
stoffe auf Co-Basis) auf, gefolgt von Legierun- bilitätswerte (μr bis zu 200 000) bei kleinen
gen mit mittlerem Nickelgehalt (50% NiFe; Koerzitivfeldstärken (HC von 0,3 A/m bis
HC ≈ 10 A/m) und amorphen Werkstoffen 2 A/m) aus.
auf Fe-Basis, Eisen (Silicium) (HC ≈ 100 A/m) In Tabelle 4.14 sind die wichtigsten dau-
und Kobalt-Eisen (HC ≈ 300 A/m). Magnet- ermagnetischen Werkstoffgruppen, ihre

Abb. 4.114 Übersicht über die magnetischen Werkstoffe


4.4 Magnetisches Feld 377

Tabelle 4.14 Dauermagnetwerkstoffe

ab- aus- kalt- Pulver- Legierungen Seltene


schreckungs- scheidungs- bearbeitete magnete mit Erden
gehärteter gehärtete Legierungen Ordnungs- (SE)
Stahl Legierungen struktur

Werkstoffe 36% Co AlNiCo CuNiFe


(9Al15Ni (60 Cu Ba-Ferrit CoPt
23Co4Cu) 20Ni20Fe)
64% Fe CuNiCo CoV SECo5
(35Cu24Ni (53Co14V Sr-Ferrit FePt (SE:
41Co) 33Fe) Sm, Ce);
CoFe NdFeB
(52Co38Fe
10V)
FeMo
(68Fe20Mo
12Co)
BR in T 0,9 1,3 1 0,38 0,6 0,9; 1,2
kA
−HC in 20 56 42 132 360 700; 800
m
kJ
BHmax in 3 8 56 28 25 64 160; 280
m
Bemerkungen gute Form- gute Anwendung: beliebig teuer; teuer;
barkeit; magnetische Drähte zur formbar; Spezial- Spezial-
teuer; Stabilität Tonauf- sehr hart magnete magnete
kleines zeichnung
(BH)max

Zusammensetzung, die Kennzahlen Rema- PtCo-Dauermagnete auf. Die höchste magne-


nenzinduktion BR , Koerzitivfeldstärke HC tische Energiedichte ((BH)max ≈ 160 kJ/m3 )
und das maximale Energieprodukt (BH)max haben die Selten-Erd-Kobalt-Magneten (z. B.
(Abschn. 4.5.1.4, (4.264)) sowie typische SmCo5 ) und Magnete aus NdFeB.
Eigenschaften aufgeführt. Zu den ältesten Zu den großtechnisch im Versuch befindli-
und bewährtesten Dauermagnetwerkstof- chen magnetischen Fördersystemen gehört
fen gehören die AlNiCo-Legierungen. Sie die magnetische Schwebebahn Transrapid.
haben zwar eine hohe Remanenzinduk- Abbildung 4.115 zeigt die Schnellbahn und
tion, jedoch eine sehr kleine Koerzitivfeld- Abb. 4.116 schematisch die Funktionsweise.
stärke. Die Strontium- bzw. Bariumhexa-
ferrite (SrO(Fe2 O3 )6 ) sind Sinterkörper, die Berechnung von Dauermagnetsystemen
in beliebige Formen gepresst und in jede Ein Dauermagnetsystem, etwa gemäß
gewünschte Magnetisierungsrichtung ge- Abb. 4.117, besteht aus einem Dauermagneten
bracht werden können. Sie haben keine so und zwei weichmagnetischen Polschuhen,
große Remanenzinduktion, aber eine lineare die den magnetischen Fluss verlustarm zum
Entmagnetisierungskurve. Höhere Koerzi- Luftspalt leiten, in dem die magnetische Ener-
tivfeldstärken (HC ≈ −360 kA/m) weisen gie genutzt wird. Grundlage zur Berechnung
378 4 Elektrizität und Magnetismus

– das Durchflutungsgesetz für Θ = 0



H ds = 0 (4.172) und

– das Gesetz der Erhaltung des magnetischen


Flusses (Flussgleichung)

B dA = konstant (4.190) .

Für ein Magnetsystem gilt das Durchflutungs-


gesetz

Abb. 4.115 Magnetschwebebahn Transrapid auf der


Versuchsstrecke. Foto: Thyssen Henschel Hm lm = −γ Hl ll (4.230)

mit Hm bzw. Hl als der magnetischen Feld-


stärke im Magneten bzw. im Luftspalt und lm
bzw. ll als der Länge des Magneten bzw. des
Luftspaltes.
Der Spannungsfaktor γ (γ > 1) berücksichtigt
die zusätzlich zum Luftspalt vorhandenen un-
magnetischen Bereiche im Verlauf der magne-
tischen Spannung, z. B. die Weicheisenanteile
und die unmagnetischen Zwischenräume von
Klebeschichten. In der Praxis weist er Werte
zwischen 1 und 1,3 auf. Aus dem Durchflu-
tungsgesetz für den Dauermagnetkreis (4.230)
Abb. 4.116 Funktionsweise der Magnetschwebebahn
ist ersichtlich, dass Dauermagnete mit einer
hohen Koerzitivfeldstärke eine geringe Länge
aufweisen können und umgekehrt.
Das Gesetz zur Erhaltung des magnetischen
Flusses in einem magnetischen Kreis lautet

Bm Am = σ Bl Al (4.231)

mit Bm bzw. Bl als der magnetischen Fluss-


dichte im Magneten bzw. im Luftspalt und Am
bzw. Al als Querschnittsfläche des Magneten
bzw. des Luftspaltes.
Abb. 4.117 Dauermagnetsystem
Der Streufaktor σ (σ > 1) berücksichtigt die
Streuung, d. h. die magnetischen Feldlinien,
der Scherungsgeraden und der maximalen die nicht den Luftspalt durchsetzen. Er va-
Energie je Volumen, (BH)max -Wert, sind riiert in der Praxis zwischen 1 und 10. (Für
4.4 Magnetisches Feld 379

σ = 10 bedeutet dies, dass lediglich 10% des nenzflussdichte BR . Hierbei gilt: Je größer der
Dauermagnetflusses als Nutzfluss im Arbeits- Luftspalt, um so geringer ist die Flussdichte.
luftspalt genutzt werden können.) Da das Produkt BH die magnetische Energie je
Abbildung 4.118 zeigt den Verlauf der Entma- Volumen darstellt, ergibt sich die im Luftspalt
gnetisierungskurve. Aufgrund der Geometrie gespeicherte magnetische Energie durch Mul-
wird ein Arbeitspunkt A eingestellt, der die Ko- tiplikation der Flußgleichung (4.231) mit dem
ordinaten (−Hm / Bm ) hat. Die Gleichung der Durchflutungsgesetz (4.230):
Geraden durch den Arbeitspunkt A und den
Nullpunkt 0 wird Scherungsgerade genannt. B2l
(Bm Hm )Vm = Bl Hl Vl γ σ = γ σ Vl .
Aus dem Durchflutungsgesetz (4.230) und der μ0
Gleichung der Flusserhaltung (4.231) folgt mit- (4.233)
hilfe von Bl = μ0 Hl die Gleichung der Sche-
rungsgeraden Löst man nach Bl auf, so ergibt sich als nutz-
bare magnetische Flussdichte im Luftspalt
σ Al lm
Bm = −μ0 H . (4.232)
γ Am ll m
μ0 Vm
Bl = (BH)m . (4.234)
γ σ Vl
Hieraus ist ersichtlich, dass die Scherungsge-
rade vom Werkstoff unabhängig ist und nur
von der Geometrie des Magneten abhängt. Die im Luftspalt zur Verfügung stehende ma-
Der Arbeitspunkt A ergibt sich als Schnitt- gnetische Flussdichte Bl ist proportional zum
punkt der Scherungsgerade mit der Entma- Magnetvolumen und zum (BH)m -Wert. Dies
gnetisierungskurve (Abb. 4.118). Es ist erwäh- bedeutet, dass bei hohem (BH)m -Wert das
nenswert, dass die sich einstellende Fluss- Magnetvolumen klein gewählt werden kann.
dichte Bm deutlich geringer ist, als die Rema- Der optimale Arbeitspunkt wird dort liegen,
wo BH maximal ist, d. h. wo sich der (BH)max -
Wert und die Scherungsgerade schneiden.
Dann kann die höchste Luftspaltinduktion bei
kleinstem Magnetvolumen erreicht werden.
Beispiel
4.4-7 Ein Magnetsystem soll aus einem AlNiCo Werk-
stoff entworfen werden. Der Arbeitspunkt liegt bei
HA = −40 kA/m und BA = 800 mT (σ = 3, γ = 1). Aus
konstruktiven Gründen muss ein Luftspalt des Quer-
schnitts A1 = 2,4 cm2 und der Länge l1 = 3,6 cm so-
wie eine Länge des dauermagnetischen Werkstoffs von
lm = 6,4 cm vorgesehen werden.
a) Wie groß muss die magnetische Fläche Am bzw. das
Magnetvolumen Vm gewählt werden, um diese Anfor-
derungen zu erfüllen?
b) Wie groß ist die im Luftspalt nutzbare magnetische
Flussdichte?
c) Der (BH)max -Wert der AlNiCo-Legierung liegt
Abb. 4.118 Optimaler Arbeitspunkt A eines bei 42 kJ/m3 . Wie lautet der optimale Arbeitspunkt
Permanentmagneten A(−HA / BA )?
380 4 Elektrizität und Magnetismus

d) Um wie viel Prozent kann das Magnetvolumen


verringert werden, wenn der Dauermagnetwerkstoff
SmCo5 mit (BH)max = 144 kJ/m3 eingesetzt wird?
Lösung

a) Die Gleichung der Scherungsgeraden (4.232) wird


nach Am aufgelöst:
μ0 σ Al lm
Am = H = 0,805 cm2 .
γ ll Bm m
Das Magnetvolumen ist Vm = Am lm = 5,15 cm3 .
b) Die im Luftspalt nutzbare magnetische Flussdichte
ist gemäß (4.234)
Bm Am
Bl = = 89,4 mT . Abb. 4.119 Elektromagnet
σ Al
c) Es gelten folgende Gleichungen:
lL
(BA HA ) = 42 · 103 J/m3 , Θ = HFe lFe + BL .
μ0
σ Al lm
BA = μ0 H = 2 · 10−5 HA . Nun gilt wegen der Konstanz des Flusses
γ Am ll A
(4.231)
Daraus errechnet sich HA = −45,8 kA/m und BA =
917 mT. BFe AFe = σ BL AL und damit
d) Es gilt (4.234) für die magnetische Induktion im
Luftspalt
lL AFe
Θ = HFe lFe + BFe oder
B1 =
μ0 Vm
(BH)m = 0,28 T .
μ0 AL σ
γ σ Vl
Da Vm (BH)m konstant bleiben muss und (BH)max
lFe lL AFe
von SmCo5 im Verhältnis zu AlNiCo 144/ 42 = 3,43 HFe + BFe . (4.235)
fach so hoch ist, kann das Volumen um den Faktor Θ μ0 Θ AL σ
3,43 abnehmen. Dies bedeutet, dass lediglich 29%
des ursprünglichen Magnetvolumens erforder-
Um die Flussdichte bei gegebener Durch-
lich wären, um dieselbe Luftspaltinduktion zu
flutung Θ zu bestimmen, wird diese lineare
erzeugen.
Beziehung zwischen BFe und HFe als Scherungs-
gerade in das Diagramm B(H) eingetragen
Berechnung von Elektromagneten (Abb. 4.120). Der Schnittpunkt der Sche-
Ein Elektromagnet besteht aus einem Weichei- rungsgerade mit der Magnetisierungskurve
senkern (z. B. Dynamoblech) mit einem Luft- (bei Weicheisen ist die Hystereseschleife so
spalt (Abb. 4.119). Das Magnetfeld wird durch schmal, dass sie durch eine mittlere Kurve
eine Spule mit N Windungen erzeugt, die vom ersetzt werden kann) ist der Arbeitspunkt A
Strom I durchflossen wird. des Elektromagneten.
Das Durchflutungsgesetz (4.171) angewandt
auf eine geschlossene Schleife liefert Analogie elektrischer Stromkreis
und magnetischer Kreis
Θ = N I = HFe lFe + HL lL .
Das Durchflutungsgesetz Θ = HFe lFe + HL lL
Mithilfe von BL = μ0 HL wird daraus kann mit der Gleichung der Flusserhaltung
4.4 Magnetisches Feld 381

Φ = BFe AFe = BL AL (σ = 1) umgeformt wer-


den zu

lFe lL
Θ=Φ + = Vm .
μr μ0 AFe μ0 AL
(4.236)

Gleichung (4.236) hat formale Ähnlichkeit mit


dem Ohm’schen Gesetz U = I R, wobei die
magnetische Spannung Vm die Rolle der elek-
trischen Spannung U spielt, der Fluss Φ den
Strom I ersetzt und der Klammerausdruck

lFe lL
+
μFe AFe μ0 AFe
Abb. 4.120 Arbeitspunkt A eines Elektromagneten
mit Θ = 2 000 A, lL = 2 mm, lFe = 200 mm, AFe = AL , schließlich den gesamten magnetischen Wi-
σ=1 derstand des Kreises darstellt. Der Gesamtwi-

Abb. 4.121 Analogie zwischen elektrischem und magnetischem Kreis


382 4 Elektrizität und Magnetismus

derstand ist in diesem Fall die Summe der ma- Luftspalt? c) Welcher Strom muss durch die Spule mit
gnetischen Widerstände des Eisens und des N = 1 200 Windungen fließen, wenn eine Luftspaltin-
Luftspaltes. Die Analogien zwischen den Be- duktion von B = 1,5 T gefordert wird? Die Magnetisie-
rungskurve des Eisenkerns ist in Abb. 4.120 gegeben.
ziehungen im elektrischen und magnetischen
Kreis sind in Abb. 4.121 zusammengestellt. Lösung
Der magnetische Widerstand einer Substanz
a) Aus Abb. 4.120 kann abgelesen werden, dass der
in einem magnetischen Kreis ist
Fluss B = 1,5 T eine magnetische Erregung von
H = 2,72 kA/m erfordert. Die Permeabilität beträgt
l damit
Rm = . (4.237)
μr μ0 A B Vs
μFe = = 5,51 · 10−4 .
H Am
Die relative Permeabilität ist μr = μFe /μ0 = 439.
Im Vergleich zum elektrischen Widerstand
Mit
R = (1/ κ)(l / A) kann μ0 μr als magnetische
d1 − d2
Leitfähigkeit gedeutet werden. Tatsächlich ist A= h = 10,5 · 10−6 m2 und
2
die relative Permeabilität μr ein Maß für die d1 + d2
l1 = π − l2 = 43,8 mm
Fähigkeit, magnetische Feldlinien zu leiten. 2
Es muss an dieser Stelle betont werden, dass beträgt der magnetische Widerstand im Eisenkern
diese Analogie keinen tieferen physikalischen nach (4.237)
Hintergrund aufweist, sondern lediglich den
l1 A
Umgang mit magnetischen Größen erleichtert, Rm1 = = 7,56 · 106 .
μ0 μr A Wb
weil letztere analog zum elektrischen Strom-
kreis verwendet werden können. b) Der magnetische Widerstand im Luftspalt ist Rm2 =
μ0 A = 75,8 · 10 Wb . Somit ist der gesamte magne-
l2 6 A

Beispiel tische Widerstand des Kreises Rm ges = Rm1 +Rm2 =


A
4.4-8 Ein Ringkern entsprechend Abb. 4.122 hat 83,4 · 106 Wb .
die Abmessungen d1 = 16 mm, d2 = 12,5 mm und c) Nach dem Ohm’schen Gesetz gilt (4.254)
h = 6 mm. Der Luftspalt beträgt 1 mm. Wie groß ist Θ NI
Rm ges = = .
der magnetische Widerstand a) im Ringkern und b) im Φ BL A
Rm ges BL A
Daraus folgt I = = 1,09 A.
N

Zur Übung
Ü4.4-1 In einem waagrechten homogenen Magnetfeld
mit der magnetischen Flussdichte B = 2,5 T bewegt
sich senkrecht ein Proton mit der Energie Ep = 3 MeV.
Wie groß ist die Kraft, die auf das Proton wirkt?

Ü4.4-2 Nachzuweisen ist, dass das Verhältnis der Hall-


Feldstärke EH zur elektrischen Feldstärke E der Bezie-
hung EH / E = B/ (neρ) entspricht. ρ ist die Resistivität
des Werkstoffs.

Abb. 4.122 Abmessungen des Ringkerns im Ü 4.4-3 Ein Holzzylinder mit der Masse m = 100 g,
Beispiel 4.4-8 dem Radius r und der Länge l = 20 cm hat N = 20
4.5 Instationäre Felder 383

4.5.1 Elektromagnetische Induktion

4.5.1.1 Induktionsgesetz
Aus Abschn. 4.4.3.1 geht hervor, dass der Span-

nungsstoß U dt gleich der Änderung des ma-
gnetischen Flusses ΔΦ ist, der die Fläche ei-
nes Leiters senkrecht durchdringt ((4.188) und
Abb. 4.97)). M. Faraday (1791 bis 1867) er-
kannte 1831:

Abb. 4.123 Zu Ü 4.4-3 Jede zeitliche Änderung des magneti-


schen Flusses Φ induziert eine elektri-
sche Spannung uind :


uind = −N . (4.241)
dt

Abb. 4.124 Zu Ü 4.4-4


Die induzierte Spannung ist proportional zur
Drahtwicklungen. Wie groß ist die Stromstärke I durch
Windungszahl N und zur zeitlichen Änderung
die Wicklungen, die den Zylinder am Abrollen auf des magnetischen Flusses dΦ/ dt. In einem ge-
der schiefen Ebene mit dem Winkel α hindert? Abbil- schlossenen Stromkreis fließt dann ein Induk-
dung 4.123 verdeutlicht die Anordnung. Die magneti- tionsstrom. Er ist nach H. F. E. Lenz (1804
sche Flussdichte beträgt B = 0,85 T. bis 1865) der Ursache er Induktion entgegen-
gesetzt gerichtet (bewegungshemmende Wir-
Ü 4.4-4 Zwei parallele Leiter sind gemäß Abb. 4.124 im kung). Dies wird durch das Minuszeichen zum
Abstand d voneinander entfernt und werden vom glei-
Ausdruck gebracht. Es ist demnach unmög-
chen Strom I in unterschiedlichen Richtungen durch-
lich, ein perpetuum mobile so zu entwerfen,
flossen. Wie groß ist die magnetische Flussdichte B im
Abstand x vom Mittelpunkt? dass durch die induzierte Spannung ein Strom
fließt, der das Magnetfeld verstärken könnte,
Ü 4.4-5 Der Einfluss des Luftspalts auf die Fluss- um wieder weitere Spannung zu induzieren.
dichte eines Elektromagneten soll untersucht werden. Der magnetische Fluss ist definiert als Φ =
Bestimmen Sie dazu für das Material von Abb. 4.120
für die Breiten lL = 1 mm, 2 mm und 3 mm die Fluss- A B dA oder Φ = BA cos ϕ = BAn . Hierbei
dichte bei sonst unveränderten Daten: Θ = 2 000 A, ist ϕ der Winkel zwischen der Flächennorma-
lFe = 200 mm, AFe = AL und σ = 1. len von A, durch die der magnetische Fluss
tritt, und der Richtung der magnetischen In-
duktion B (Abschn. 4.4.3.1, Abb. 4.98). An ist
4.5 Instationäre Felder
der Flächenanteil senkrecht zu den Feldlinien.
Wird der Term für den magnetischen Fluss
In diesem Abschnitt sind die Eigenschaften
in (4.241) eingesetzt, so ergibt sich
zeitlich sich ändernder elektrischer und ma-
gnetischer Größen beschrieben. Zur Unter-

scheidung von den zeitlich konstant bleiben- dB dAn
uind = −N An + B . (4.242)
den Größen sind sie mit kleinen Buchstaben dt dt
bezeichnet.
384 4 Elektrizität und Magnetismus

Aus dieser Gleichung geht hervor, dass es – der Magnet sich gegen eine Spule oder die
gleichgültig ist, ob sich Spule sich gegen einen Magneten bewegt.

– das Magnetfeld ( dB/ dt) bei gleich bleiben-


Beispiel
der Fläche An (Transformatorprinzip) oder
4.5-1 Ein ballistisches Galvanometer kann zur Mes-
– die senkrecht zum Magnetfeld stehende Flä- sung der magnetischen Flussdichte B benutzt werden.
che ( dAn / dt) bei gleich bleibender Induk- Dazu zeigt die Skala die Ladungsmenge an. Die Galva-
tion B (Generatorprinzip) ändert. nometerspule hat 50 Windungen und einen Windungs-
querschnitt von 4 cm2 . (Der Vektor der magnetischen
Das Induktionsgesetz zeigt den Zusammen- Flussdichte B ist parallel zur Flächennormalen An .)
hang zwischen elektrischem und magneti- Wie groß ist die magnetische Flussdichte B, wenn beim
schem Feld (zweite Maxwell’sche Gleichung, schnellen Entfernen der Spule aus dem Magnetfeld die
Abschn. 4.5.5) und hat eine überragende Skala eine Ladungsmenge von 8,3 · 10−6 C anzeigt (in-
nerer Widerstand des Galvanometers Ri = 40 Ω, Mess-
Bedeutung in den elektrotechnischen Anwen-
spulenwiderstand RS = 18 Ω)?
dungen.
Lösung
4.5.1.2 Induktionsvorgänge Nach dem Induktionsgesetz (4.241) folgt uind =
−N dΦ/ dt. Daraus wird uind dt = N dΦ und
Die verschiedenen Möglichkeiten, Spannun-
uind dt = N Φ = N B A.
gen zu induzieren, sind in Abb. 4.125 zusam- Nach dem Ohm’schen Gesetz ist U = I (Ri + RS ). Dann
mengestellt. Zunächst ist zu unterscheiden, ob ist
die Änderung des magnetischen Flusses durch
(Ri + RS ) i dt = N B A ,
die Änderung des Magnetfeldes oder durch
die Flächenänderung geschieht. Diese unter-
und da i dt = Q ist, gilt
schiedlichen Fälle sind in einer Skizze veran-
schaulicht, die sich ändernde Größe ist be- (Ri + RS ) Q = N B A .
schrieben und das Induktionsgesetz formu- Daraus folgt
liert. Zum Schluss ist auf mögliche Anwendun-
(Ri + RS ) Q
gen hingewiesen. B= = 2,4 · 10−2 T .
NA
Zur Erklärung von Induktionsvorgängen bei
Spulen ist es wichtig, Feldspule und Induk-
tionsspule zu unterscheiden. Die Feldspule Änderung des Erregerstroms in einer Feldspule
erzeugt wegen des Stromflusses durch einen (Fall b)
wendelförmig gewickelten Draht ein magne- Das Magnetfeld wird in diesem Fall durch
tisches Feld (Abschn. 4.4.2, Abb. 4.91). In der Änderung des Erregerstroms dIerr / dt geän-
Induktionsspule wird aufgrund der Änderung dert (4.245). Beim Induktionsgesetz muss be-
des magnetischen Flusses eine Spannung achtet werden, welches die Windungszahl der
induziert. Feldspule nFeld und welches die Windungszahl
der Induktionsspule Nind ist (4.246).
Relativbewegung eines Magneten
und einer Induktionsspule (Fall a) Bewegter Leiter im Magnetfeld (Fall c)
In diesem Fall ist es gleichgültig, ob Wird ein Leiter der Länge l senkrecht zur ma-
gnetischen Induktion mit einer Geschwindig-
– das Magnetfeld von einem Dauermagneten keit v = ds/ dt bewegt, so ändert sich die Flä-
oder einem Elektromagneten herrührt und che um dA/ dt = l (4.247). Somit wird die
4.5

Abb. 4.125 Induktionsvorgänge


Instationäre Felder 385
386 4 Elektrizität und Magnetismus

in dem Leiter durch die induzierte Spannung


Ströme induziert. Man nennt diese Wirbel-
ströme, weil die Induktionsstromlinien wie
Wirbel in sich geschlossen sind. Die Wirbel-
ströme hemmen nach der Lenz’schen Regel
durch ihr magnetisches Gegenfeld die Bewe-
gung und wirken wegen der Proportionalität
zu (4.251) wie die Reibung fester Körper
in Flüssigkeiten (Abschn. 2.3.4, Newton’sches
Reibungsgesetz).
Abb. 4.126 Induktionsgesetz für einen bewegten Technische Anwendungen sind Wirbelstrom-
Leiter im Magnetfeld Drehzahlmesser zur Direktanzeige unmit-
telbar an der Messstelle, ferner Elektro-
Spannung uind = −N B l (4.248) induziert. Leistungsmesser (von 0,03 kW bis 2 250 kW)
Das Auftreten der Induktionsspannung uind z. B. für Kraftmaschinenprüfstände oder Wir-
im bewegten Leiter lässt sich auch mit der Wir- belstromdämpfungen in Messgeräten. Die
kung der Lorentz-Kraft auf bewegte Ladungs- Wirbelströme zwischen Aluminiumscheibe
träger erklären (Abschn. 4.4.3.2). Die Lorentz- und den Polen eines Dauermagneten sor-
Kraft F L = −e ( × B) (4.203) greift an jedem gen bei einem Wechselstromzähler für eine
Elektron an und führt zur Ladungstrennung. gleichförmige Rotation der Zählscheibe. Sind
Dadurch tritt ein Gegenfeld Eind auf, in dem dagegen Wirbelströme unerwünscht (z. B. bei
die Gegenkraft F ind = −e Eind wirksam ist. Transformatorenblechen), dann muss der spe-
Abbildung 4.126 verdeutlicht den Zusammen- zifische Widerstand des Leiters entsprechend
hang. Die Ladungen können so lange verscho- vergrößert werden, um den Stromfluss zu
ben werden, bis ein Gleichgewicht zwischen unterbinden.
der Lorentz-Kraft F L und der Feldkraft F ind Dies wird z. B. bei Transformatorenblechen
existiert. dadurch erreicht, dass die Blechpakete aus
Für die Beträge gilt: vielen dünnen, gegeneinander isolierten
Blechlamellen bestehen. Die Wirbelstrom-
|F L | = |F ind | , verluste in weichmagnetischen Werkstoffen
e B = e Eind , sind eine wichtige elektrische Kennziffer
B = Eind . (Abschn. 4.4.4.2).
Auch in einem von Wechselstrom durchflos-
Wegen Eind = uind / l gilt für die Windung senen geraden Leiter treten Wirbelströme in
der Weise auf, dass diese im Innern entge-
uind = Bl . (4.251) gen dem Wechselstrom und an der Oberflä-
che mit dem Wechselstrom fließen. Der Ef-
fekt wird mit zunehmender Wechselstrom-
frequenz größer, sodass bei hohen Frequen-
Wirbelströme zen (f > 107 Hz) nur noch die Außenhaut
Werden ausgedehnte leitende Körper in einem des Leiters Strom führt (Skin- oder Hautef-
Magnetfeld bewegt oder sind sie ruhend wech- fekt). In der Hochfrequenztechnik werden des-
selnden Magnetfeldern ausgesetzt, so werden halb entweder Kabel aus vielen dünnen Ein-
4.5 Instationäre Felder 387

zeldrähten zu einer Litze verdrillt, damit die Fall die erzeugte Spannung abgenommen
Stromführung abwechselnd innen und außen (Abschn. 4.5.2.8).
verläuft, oder es werden Hohlleiter verwen-
det. 4.5.1.3 Selbstinduktion
Mit dem Wirbelstrom-Messverfahren können
Nach dem Induktionsgesetz (4.241) tritt an den
zerstörungsfrei Werkstoffe auf Fehler unter-
Enden einer Leiterschleife oder Spule immer
sucht werden. Dazu wird im Prüfling ein elek-
dann eine Induktionsspannung auf, wenn der
trischer Wechselstrom geeigneter Amplitude,
Fluss durch die Schleife sich ändert. Dabei ist
Frequenz und Richtung erzeugt. Die auftreten-
es unerheblich, wodurch die Flussänderung
den Unregelmäßigkeiten dieses Stroms wer-
zustande kommt. So tritt auch eine Indukti-
den elektronisch ausgewertet. Diese Prüfme-
onsspannung auf, wenn der Strom durch eine
thode ist besonders schnell und findet u. a.
Spule und damit der Fluss durch die Spule sich
Einsatz bei der zerstörungsfreien Werkstoff-
ändert. Da dieser Induktionsvorgang vom Ma-
prüfung im Triebwerksbau.
gnetfeld verursacht wird, das die Spule selbst
erzeugt, spricht man von Selbstinduktion im
Flächenrotation mit konstanter Drehzahl (Fall d) Gegensatz zur Fremdinduktion, die dann vor-
liegt, wenn die Flussänderung in einer Spule
Wird in einem Magnetfeld eine Fläche mit ei- durch äußere Maßnahmen erzeugt wird.
ner konstanten Drehzahl n (oder Winkelge- Sind in der Umgebung des Leiters ausschließ-
schwindigkeit ω) gedreht, so ist die induzierte lich unmagnetische Stoffe vorhanden, dann
Spannung abhängig von der das Feld senk- ist der Gesamtfluss, der den Leiter durchsetzt,
recht durchsetzenden Fläche An = A cos(ωt). proportional zum Augenblickswert i des Stro-
Daraus errechnet sich eine Flächenänderung mes:
von dAn / dt = −Aω sin(ωt). Eingesetzt in das
Induktionsgesetz ergibt sich ein sinusförmiger
Verlauf einer Wechselspannung: Φges = N Φ = L i . (4.252)

L ist die von der Geometrie abhängige Induk-


uind = N B A ω sin(ω t) . (4.250)
tivität des Stromkreises.
Bei Stromänderung entsteht im Stromkreis
eine induzierte Spannung
Die Amplitude beträgt û = NBA ω.
Ein Wechselstrom kann dann fließen, wenn
dΦ di
die Enden der rotierenden Flächen über einen uind = −N = −L . (4.253)
äußeren Widerstand zu einem Stromkreis dt dt
geschlossen werden. Die wichtigste Anwen-
dung ist der Wechselstromgenerator, der zur Diese Spannung ist nach der Lenz’schen Regel
Erzeugung von Wechselspannungen bzw. so gerichtet, dass der Stromänderung entge-
-strömen dient. Er besteht aus einem ruhen- gengewirkt wird. Die Spule wehrt sich also
den Teil (Stator), der z. B. das Magnetfeld sozusagen gegen Änderungen des Stromes.
erzeugt, und einem rotierenden Teil (Rotor Sie hat gewisse Trägheitseigenschaften wie
oder Läufer), der z. B. von einer Spule gebil- die träge Masse in der Mechanik. Wird wie
det wird. An Schleifringen wird in diesem bei einem Ohm’schen Verbraucher eine Span-
388 4 Elektrizität und Magnetismus

nung uL eingeführt, deren Zählrichtung mit sich im Wechselstromkreis aber gut durch
der Stromrichtung übereinstimmt, dann gilt Messen bestimmen. Die Selbstinduktivität L
einer geraden Einfach- oder Doppelleitung
di gemäß Abb. 4.127 beträgt
uL =L . (4.254)
dt
Einfachleitung

Die Maßeinheit der Induktivität ist das Henry μ0 μr l 2l 3
L= ln − , (4.257)
(J. Henry, 1797 bis 1878): 2π r 4
[L] = 1 Wb/A = 1 Vs/A = 1 Ωs = 1 H . Doppelleitung

μ0 μr l a 1
L= ln + , (4.258)
Die Induktivität beträgt 1 Henry, wenn π r 4
bei der Änderung der Stromstärke um
1 A innerhalb von 1 s eine Spannung von Soll eine mit Draht gewickelte Spule eine nur
1 V induziert wird. vernachlässigbar kleine Induktivität haben,
beispielsweise für Messwiderstände, dann
Für die Induktivität einer langen Zylinderspule wird diese aus entgegengesetzt gleichen (bi-
mit N Windungen, Fläche A und Länge l gilt filaren) Wicklungen hergestellt. Dann heben
mit (4.174) und (4.252) sich die Magnetfelder annähernd auf, sodass
keine Selbstinduktion stattfinden kann. – Die
N 2 μr μo A Selbstinduktivitäten verhalten sich bei einer
L= . (4.255) Schaltung wie Ohm’sche Widerstände, sodass
l
gilt:

Bei kurzen Spulen gilt allgemein


Bei der Reihenschaltung ist die gesamte
Selbstinduktivität Lges gleich der Summe
N 2 μr μo A der einzelnen Selbstinduktivitäten.
L=f , (4.256)
l

n
LR, ges = L1 + L2 + L3 + · · · + Ln = Li .
i=1
dabei beschreibt der Formfaktor f die geome-
(4.259)
trischen Streufeldverluste kurzer Spulen (0 <
f < 1).
Für Spulen mit Eisenkern ist die Induktivität
nicht konstant sondern vom Strom abhängig.
Anhand der Magnetisierungskurve lässt sich
bei gegebenem Strom die Flussdichte und da-
mit die Permeabilität μ und die Induktivität
bestimmen.
Die Selbstinduktivität spielt in Wechselstrom-
kreisen eine große Rolle (Abschn. 4.5.2).
Sie ist für beliebige Leiteranordnungen und
-geometrien schwierig zu berechnen, lässt Abb. 4.127 Selbstinduktivität einer Doppelleitung
4.5 Instationäre Felder 389

t I
Bei der Parallelschaltung ist der Kehr- di
W = L i dt , W = Li di ,
wert der gesamten Selbstinduktivität dt
1/ Lges gleich der Summe der Kehrwerte
0 0

der einzelnen Selbstinduktivitäten.


1 1 1 1 1 1
= + + + ··· + Wmagn = L I2 . (4.262)
LP, ges L1 L2 L3 Ln 2
n
1
= oder (4.260) Diese Formel ist allgemein für jedes magneti-
i=1 i
L
n −1 sche Feld gültig. Für die magnetische Energie
1 in einer langen Zylinderspule ergibt sich mit
LP, ges = . (4.261)
i=1 i
L L = μ0 μr A N 2 / l und H = I N / l oder I = H l/ N

1
Wie bei den Ohm’schen Widerständen ist bei Wmagn = μ0 μr H 2 A l (4.263)
2
einer Parallelschaltung die gesamte Selbstin-
duktivität LP, ges kleiner als die kleinste ein-
zelne Selbstinduktivität. und mit μ0 μr H = B sowie Al = V

Beispiel 1
4.5-2 Der Radius eines Leiters beträgt r = 0,25 mm Wmagn = BH V . (4.264)
2
und der Abstand der beiden Leiter einer Doppellei-
tung a = 10 cm. Wie groß muss die Länge l der Leiter
sein, wenn das Verhältnis der Selbstinduktivitäten von Für die Energiedichte in einem homogenen
Einfachleitung und Doppelleitung L1 / L2 = 0,5 beträgt? Feld gilt
Lösung
Für L1 gilt (4.257) und für L2 (4.258), sodass man Wmagn 1
schreiben kann wmagn = = BH . (4.265)
V 2

μ0 μr l 2l 3
ln −
L1 2π r 4
= = 0,5 , Diese Formel zeigt Ähnlichkeit mit der Ener-
μ0 μr l a 1
giedichte im elektrischen Feld el = 12 D E
L2
ln +
π r 4
(4.167). Sie ist allgemein gültig, da sich die Ma-
Aus dieser Gleichung folgt für die Länge l = 0,136 m. gnetfelder aus kleinen homogenen Bereichen
aufbauen lassen. Für die magnetische Energie
eines inhomogenen Magnetfeldes gilt deshalb

4.5.1.4 Energie des magnetischen Feldes


1
Die Energie des magnetischen Feldes kann aus Wmagn = B H dV . (4.266)
2
der elektrischen Energie des induzierten Fel- V
des hergeleitet werden:

t Daraus ergibt sich, dass der Flächeninhalt


di
W = uL i dt mit uL = L , der Hysteresekurve ein Maß für die Ener-
dt giedichte darstellt (Abschn. 4.4.4.2). Eine
0
390 4 Elektrizität und Magnetismus

andere Möglichkeit, die magnetische Fel- Es kürzt sich der Weg l heraus, sodass übrig
denergie zu bestimmen, besteht über den bleibt
magnetischen Fluss Φ (oder die Magnetisie-
rungskurve). Für die elektrische Arbeit gilt 1
allgemein dW = U I dt. Mit dem Induktions-
F = μ0 μr H 2 A oder (4.269)
2
gesetz uind = N dΦ/ dt wird dW = I N dΦ oder BHA B2 A
F = = . (4.270)
2 2μ0 μr
Φ
Wmagn = I N dΦ . (4.267)
0 Beispiel
4.5-3 Bei der Abschaltung von Spulen können Funken
entstehen. Sie werden vermieden, wenn ein Löschkon-
Abbildung 4.128 zeigt die Magnetisierungs- densator parallel zum Schalter geschaltet wird. Die In-
kurve (Abschn. 4.4.4.2) für μr = konstant duktivität einer Schaltspule beträgt L = 4 H, der Spu-
(Fall a) und für ein ferromagnetisches, nicht lenstrom I = 5 A, und der Löschkondensator wurde
lineares μr . Die hervorgehobene Fläche stellt bei einer Prüfspannung von 10 kV getestet. Wie groß
ist die Kapazität C des Löschkondensators zu wählen?
die magnetische Energie dar. Für den Fall
eines linearen Magnetisierungsverlaufes ist Lösung
der Flächeninhalt Die Energie des elektrischen Feldes eines Kondensators
Eel muss gleich der Energie des magnetischen Feldes
einer Spule Emagn sein. Es gilt Eel = Emagn . Aus (4.164)
1
Wmagn = INΦ . (4.268) für Eel und (4.262) für Emagn gilt
2
1 1
C U 2 = L I2 .
2 2
Wegen N Φ = L I folgt wieder (4.262).
Im allgemeinen Fall muss die Fläche berechnet Daraus errechnet sich die Kapazität zu
oder numerisch ermittelt werden. 4
Vs
· 25 A2
L I2
Aus der Energie des Magnetfeldes lässt sich die C= 2 = A 8 2 = 1 μF .
U 10 V
Tragkraft eines Magneten berechnen. Die me-
chanische Arbeit Wmech = F l wird dabei mit
der magnetischen Arbeit Wmagn gleichgesetzt. 4.5.2 Periodische Felder (Wechselstromkreis)
Es ergibt sich
Dieser Abschnitt beschreibt elektrische Wech-
μ0 μr H 2
Fl = Al . selfelder, die durch harmonische Funktionen
2 (z. B. sin oder cos) beschrieben werden kön-
nen. Zur ausführlichen Erläuterung der Defi-
nitionen und Begriffe aus der Schwingungs-
lehre wird auf Abschn. 5.1 verwiesen.

4.5.2.1 Grundlagen des Wechselstromkreises


Im vorhergehenden Abschnitt wurde anhand
des Induktionsgesetzes gezeigt, dass beim
Drehen einer Leiterschleife mit konstanter
Abb. 4.128 Magnetische Energie Drehzahl n (bzw. konstanter Winkelgeschwin-
4.5 Instationäre Felder 391

digkeit ω) in einem homogenen Magnet- Hierbei ist î die Amplitude und ϕi der Null-
feld eine periodische Spannung induziert phasenwinkel des Wechselstroms.
wird (Abb. 4.125, Fall d). Diese periodische In einem Wechselstromkreis sind ϕu und ϕi oft
Spannung kann entsprechend Abb. 4.129 nicht gleich, sodass gilt
beschrieben werden als
ϕ = ϕu − ϕi . (4.273)
u(t) = û cos(ωt + ϕu ) . (4.271)

Die Phasenverschiebung ϕ zwischen Span-


Dabei ist û die maximale Spannung oder die nung und Strom hängt im Wechselstromkreis
Amplitude der Spannung, ω die Winkelge- von der Selbstinduktivität L und der Kapazi-
schwindigkeit (ω = 2π n mit n als der Dreh- tät C ab (Abschn. 4.5.2.2). Ist ϕ > 0, so eilt die
zahl) und ϕu der Nullphasenwinkel der Wech- Spannung dem Strom voraus, ist ϕ < 0, so eilt
selspannung. die Spannung dem Strom nach, wie Abb. 4.129
Die Frequenz der technischen Wechselspan- zeigt.
nung bzw. des -stroms ist f = 50 Hz, was ei- Geräte zur Messung von Wechselstromgrö-
ner Winkelgeschwindigkeit von ω = 100 π s−1 ßen zeigen den sogenannten Effektivwert an.
entspricht. In einem geschlossenen Wechsel- Er ist ein zeitlicher quadratischer Mittelwert
stromkreis fließt durch die Bauelemente ein der entsprechenden elektrischen Größe. (Zwei
Wechselstrom derselben Frequenz. Er lautet Gründe sind für die Bestimmung des Quadra-
allgemein (Abb. 4.129) tes ausschlaggebend: Zum einen werden Ab-
weichungen positiver und negativer Art durch
Quadrieren immer positiv und zum anderen
i(t) = î cos(ωt + ϕi ) . (4.272)
würde ein über die Zeitdauer T integrierter
arithmetischer Mittelwert genau null ergeben,
da sich im Integrationsintervall gleich viele po-
sitive wie negative Flächenanteile befinden.)
Der Effektivwert des Wechselstroms ieff er-
rechnet sich dann zu


T

1
ieff =I= i2 dt , (4.274)
T
0





T

1 T
ieff = î cos2 (ωt + ϕi ) dt = î ,
T 2T
0


ieff = I = √ ≈ 0,707 î . (4.275)
2
Abb. 4.129 Wechselstrom und Wechselspannung
392 4 Elektrizität und Magnetismus

Entsprechend gilt für den Effektivwert der


Spannung


ueff = U = √ ≈ 0,707 û . (4.276)
2
Abb. 4.130 Darstellung komplexer Größen im
Zeigerdiagramm
In der Wechselstromtechnik werden bei ein-
deutiger Zuordnung die Effektivwerte durch
U = ueff und I = ieff bezeichnet.
Zur Darstellung, zur Berechnung und zum
besseren Verständnis des Wechselstromkrei-
ses werden Wechselspannung, Wechselstrom
und Widerstand als komplexe Größen in Form
Abb. 4.131 Bezeichnung elektrischer Wechselstrom-
von Zeigern in der Gauß’schen Zahlenebene
größen im Zeigerdiagramm
dargestellt. Dies ist deshalb vorteilhaft, weil
sich nach der Euler’schen Formel der kom-
plexe Exponent einer Exponentialfunktion
Da nur der Realteil eines Zeigers physikali-
durch die harmonischen trigonometrischen
sche Wirkungen zeigt, werden die elektrischen
Funktionen ausdrücken lässt als
Wechselstromgrößen (Spannung, Strom, Wi-
derstand und Leistung) auch gemäß Abb. 4.131
Z = |Z|ejϕ = |Z|(cos ϕ + j sin ϕ) bezeichnet: Der Realteil ist der Wirkanteil,
der Imaginärteil der Blindanteil einer Wech-
= |Z| cos ϕ + j|Z| sin ϕ .
! "# $ ! "# $ selstromgröße; beide zusammen ergeben als
Realteil Imaginärteil komplexen Zeiger die Scheingröße.
(4.277)
4.5.2.2 Bauelemente im Wechselstromkreis
Abbildung 4.132 zeigt das Verhalten der drei
Dies bedeutet, dass die komplexe √ Zahl Z = Bauelemente Widerstand (R), Spule (L) und
Realteil + j · Imaginärteil (j = −1) in der
Kondensator (C) im Wechselstromkreis. Die
Gauß’schen Zahlenebene liegt und einen Re-
erste Zeile dieser Übersicht bezeichnet das gra-
alteil von |Z| cos ϕ und einen Imaginärteil von
fische Symbol und zeigt, dass jedes Bauele-
|Z| sin ϕ hat (Abb. 4.130). Der Betrag |Z| und
ment von dem gleichen Wechselstrom i(t) =
der Winkel ϕ zwischen reeller Achse und dem
î cos (ωt) durchflossen wird und in ihm ein
Zeiger errechnet sich nach
Spannungsabfall u(t) stattfindet. Den Zusam-
menhang zwischen Stromstärke i und Span-
nung u liefert ein für jedes Bauelement spe-
|Z| = (Realteil)2 + (Imaginärteil)2 , zifisches Gesetz (Zeile 2), z. B. das Ohm’sche
(4.278) Gesetz für den Widerstand, das Induktions-
Imaginärteil gesetz für die Spule und den Zusammenhang
tan ϕ = . (4.279) zwischen Ladung und Spannung für den Kon-
Realteil
densator. Die nächste Zeile zeigt den zeitlichen
4.5
Instationäre Felder 393

Abb. 4.132 Bauelemente im Wechselstromkreis


394 4 Elektrizität und Magnetismus

Verlauf von Strom und Spannung (Momentan- Zeile 2). Nach dem Ohm’schen Gesetz für den
werte). So ist daraus ersichtlich, dass Wechselstromkreis gilt für die Effektivwerte U
und I
– beim Widerstand Strom und Spannung
nicht phasenverschoben sind,
– bei der Spule die Spannung dem Strom um U = IZ. (4.286)
π/ 2 vorauseilt und
– beim Kondensator die Spannung dem Strom Daraus ergeben sich die schaltungstypischen
um π/ 2 nacheilt. komplexen Wechselstromwiderstände Z sowie
die Phasenverschiebungswinkel tan ϕ.
Diese Ergebnisse lassen sich auch in einem Zei-
Bei der Reihenschaltung aller drei Bauele-
gerdiagramm (Zeile 4) anschaulich darstellen.
mente R, L und C besteht die Möglichkeit,
In ihm rotieren die eventuell phasenverscho-
die Phasenverschiebung zwischen Strom und
benen Strom- und Spannungszeiger mit der
Spannung aufzuheben. Dies ist der Fall, wenn
Winkelgeschwindigkeit ω und erzeugen so die
UL = UC ist. Dann gilt die Thomson-Gleichung
Momentanwerte. Die Widerstände sind entwe-
(W. Thomson, 1824 bis 1907, später Lord Kel-
der reell (beim Ohm’schen Widerstand R) oder
vin) für Reihenresonanz:
imaginär (bei der Spule XL = j ω L und beim
Kondensator XC = −j(ω C)−1 ). Die reellen Wi-
derstände (Wirkwiderstände) werden prinzi- 1
ω= (4.293)
piell mit dem Buchstaben R und die imagi- LC
nären Widerstände (Blindwiderstände) mit X
bezeichnet. Die Formeln für die Widerstände (s. Differentialgleichung eines elektrischen
der Bauelemente besagen etwas über die Fre- Schwingkreises in Abschn. 5.1). Bei der
quenzabhängigkeit der Widerstände: Reihenresonanz bleibt die Spannung mit
der Resonanzfrequenz bevorzugt erhalten,
– der Ohm’sche Widerstand ist frequenzunab-
alle Spannungen mit anderen Frequenzen
hängig,
werden unterdrückt (z. B. Reihenschaltung
– der induktive Widerstand XL nimmt mit
eines speziellen RLC-Gliedes als Siebelement).
steigender Frequenz zu und
Gleichzeitig fließt bei der Resonanzfrequenz
– der kapazitive Widerstand XC nimmt mit
wegen der fehlenden induktiven und ka-
steigender Frequenz ab.
pazitiven Widerstandsanteile eine maximale
Stromstärke. Zu beachten ist aber, dass sich die
4.5.2.3 Reihenschaltung von Bauelementen Blindspannungen an Spule und Kondensator
im Wechselstromkreis zwar aufheben, beim einzelnen Bauelement
Abbildung 4.133 zeigt die Verhältnisse bei aber beträchtlich hoch sein können und in der
der Reihenschaltung von Widerstand R Lage sind, die Bauelemente zu zerstören.
und Spule L (RL-Glied), Widerstand R und
Kondensator C (RC-Glied) sowie von Wi- 4.5.2.4 Parallelschaltung von Bauelementen
derstand R, Spule L und Kondensator C im Wechselstromkreis
(RLC-Glied). Da bei einer Reihenschaltung Abbildung 4.134 zeigt die Verhältnisse bei
die Ströme konstant bleiben, addieren sich die der Parallelschaltung der Bauelemente Wider-
jeweiligen Spannungszeiger der Bauelemente stand (R), Spule (L) und Kondensator (C). Wie
(Zeigerdiagramm in Zeile 1 und Spannung in im Fall der Reihenschaltung (Abschn. 4.5.2.3)
4.5

Abb. 4.133 Reihenschaltung der Bauelemente im Wechselstromkreis


Instationäre Felder 395
396 4 Elektrizität und Magnetismus

Abb. 4.134 Parallelschaltung


von Bauelementen im Wechselstromkreis
4.5 Instationäre Felder 397

werden die Fälle RL-, RC- und RLC-Glied be- und zeigt je nach Richtung und Größe der
trachtet. Bei der Parallelschaltung bleibt die Wechselspannung bzw. des Wechselstroms po-
angelegte Spannung konstant. Deshalb addie- sitive oder negative Energieflüsse. Die mittlere
ren sich in diesem Fall die Teilströme vekto- Leistung oder Wirkleistung ergibt sich aus der
riell zum Gesamtstrom (Zeigerdiagramm in Differenz der positiven und negativen Flächen
Abb. 4.134). Das Ohm’sche Gesetz für den der u i-Kurve und der Zeitachse in Abb. 4.136
Strom im Wechselstromkreis lautet dann und errechnet sich zu

U
I = =UY . (4.294) T
Z 1
P= u(t)i(t) dt . (4.302)
T
0
Daraus ergeben sich für die jeweilige Schal-
tung spezifische komplexe Leitwerte Y = G+jB
sowie Phasenverschiebungswinkel. – Bei der Bei harmonischem Spannungs- und Stromver-
Parallelschaltung aller drei Bauelemente R, L lauf ist die Wirkleistung
und C tritt eine Stromresonanz des Parallel-
kreises auf. Die Thomson-Gleichung für die
1
Resonanzfrequenz ist für die Reihenschaltung P = û î cos ϕ = U I cos ϕ . (4.303)
und für die Parallelschaltung gleich. Die RLC- 2
Resonanzschaltungen eignen sich zum Bau
von Siebelementen oder Sperrkreisen, zum Hierbei ist der Winkel ϕ die Phasenverschie-
Unterdrücken von Störfrequenzen und als Fil- bung zwischen Wechselspannung und Wech-
ter zur Frequenzwahl. selstrom (4.273).

4.5.2.5 Leistung im Wechselstromkreis


Der zeitliche Verlauf von Strom i(t) und Span-
nung u(t) eines Wechselstromkreises ist in
Abb. 4.135 dargestellt. Die Momentanleistung
errechnet sich nach

p(t) = u (t) i (t) (4.301)

Abb. 4.135 Zeitlicher Verlauf von Strom, Spannung Abb. 4.136 Momentan-, Schein-, Wirk- und
und Leistung im Wechselstromkreis Blindleistung im Wechselstromkreis
398 4 Elektrizität und Magnetismus

Für einen harmonischen Spannungs- und Ferner ist


Stromverlauf gilt nach (4.271), (4.272) und
(4.273)
P = U I cos ϕ = S cos ϕ (4.310)

u(t) = û cos(ωt + ϕu )
√ und der Leistungsfaktor
= U 2 cos(ωt + ϕu ) , (4.304)
i(t) = î cos(ωt + ϕi )
√ P
cos ϕ = . (4.311)
= I 2 cos(ωt + ϕi ) . (4.305) S

Daraus errechnet sich der zeitliche Verlauf der Er gibt an, wie viel der gesamten Leistung S
Leistung: als Wirkleistung zur Verfügung steht. Er sollte
möglichst nahe bei 1 liegen. Die Blindleis-
p(t) = u(t), i (t)
tung Q beträgt
= 2U I cos(ωt + ϕu ) cos(ωt + ϕi ) .
Durch Anwendung des Additionstheorems
2 cos2 ωt = cos(2ωt) + 1 ergibt sich Q = U I sin ϕ = S sin ϕ . (4.312)

p(t) =U I cos ϕ (4.306) Der Blindfaktor sin ϕ errechnet sich dann als
+ U I cos(2ωt + ϕu + ϕi ) .
Q
sin ϕ = . (4.313)
S
(Der Winkel ϕ ist in Übereinstimmung
mit (4.273) gegeben durch ϕ = ϕu − ϕi .)
Wie Abb. 4.136a zeigt, schwingt die Moment- Die durch elektrische Zuleitungen und durch
anleistung mit der doppelten Frequenz der elektrische Geräte fließende Stromstärke kann
Wechselspannung um den Durchschnittswert, tatsächlich größer sein als der Wirkstrom IWirk ,
der nach (4.303) der Wirkleistung P entspricht. der wirklich nutzbar ist. Es ist deshalb wichtig,
Abbildung 4.136b zeigt, wie die Scheinleis- den Blindfaktor sin ϕ möglichst klein oder den
tung S aus Anteilen der Wirkleistung P und Leistungsfaktor cos ϕ nahe bei 1 zu halten. Zur
der Blindleistung Q besteht. Es gilt Kompensation des Blindstromanteils können
Phasenschieberkondensatoren (Abschn. 4.3.7,
Abb. 4.78) verwendet werden, deren kapaziti-
S=UI , (4.307) ver Blindwiderstand so groß wie der induktive

S = P2 + Q2 (4.308) Blindwiderstand ist. Für die Blindleistung Q
gilt

und für den Phasenverschiebungswinkel Q = U IBlind

mit
Q
tan ϕ = . (4.309) U
P IBlind = = Uω C .
XC
4.5 Instationäre Felder 399

Tabelle 4.15 Gleichungen für Wechselstromwider- Für den Wirkstrom gilt IWirk = I cos ϕ = 112,5 A und
stände und -leitwerte für den Blindstrom IBlind = I sin ϕ = 69,7 A.

Widerstand Leitwert

P P 4.5.2.6 Drehstrom
Wirk- R= (4.315) G = (4.316)
I2 U2 Im öffentlichen Stromnetz fließt ein sogenann-
anteil
Resistanz Konduktanz ter Dreiphasenstrom oder Drehstrom. Ursache
sind drei Wechselspannungen u1 , u2 und u3 ,
Blind- X =
Q
(4.317) B = −
Q
(4.318) die um jeweils 120◦ (2π/ 3) phasenverschoben
I2 U2
anteil sind, wie Abb. 4.137 zeigt. Die drei Wechsel-
Reaktanz Suszeptanz spannungen werden durch drei voneinander
U I unabhängige Spulenwicklungen im Genera-
Schein- Z = (4.319) Y = (4.320) tor erzeugt (Abschn. 4.5.2.8). Dann ergeben
I U
größe
sich sechs Spulenendpunkte. Durch eine ge-
Impedanz Admittanz
eignete Verkettung als Dreiecksschaltung bzw.
als Sternschaltung gemäß Abb. 4.138 können
Damit ergibt sich Q = U 2 ω C. Die zur Blind- die notwendigen Anschlussstellen auf drei (U,
stromkompensation notwendige Kapazität er- V, W) bzw. vier (U, V, W, N) verringert werden.
rechnet sich daraus zu In Tabelle 4.16 sind die Zusammenhänge zwi-
schen dem Leiterstrom und der Leiterspan-
Q nung für die Dreieck- bzw. Sternschaltung
C= . (4.314)
U2ω zusammengestellt. Durch die Spule fließende
Ströme bzw. an den Spulen abfallende Span-
Tabelle 4.15 zeigt die Formelzeichen sowie die
Bezeichnungen nach DIN 40 110 für die Wirk-,
Blind- und Scheinanteile von Widerstand Z =
R + jX und Leitwert Y = G + jB.

Beispiel
4.5-4 Ein Elektromotor hat die Leistung P = 45 kW
und wird mit einer Klemmenspannung von U = 400 V
betrieben. Der Leistungsfaktor ist cos ϕ = 0,85. Wie
groß ist die Schein- und Blindleistung, wie groß ist die
Stromstärke I sowie der Wirk- und Blindstrom?

Lösung
Aus (4.311) ergibt sich für die Scheinleistung
P 45 kW
S= = = 52,94 kW .
cos ϕ 0,85
Die Blindleistung beträgt nach (4.312)
Q = S sin ϕ = 52,94 kW · 0,5267 = 27,88 kW .
Für die Stromstärke I ergibt sich nach (4.307)
S 52,94 · 103 VA Abb. 4.137 Verlauf der drei Wechselspannungen beim
I= = = 132,4 A .
U 400 V Drehstromnetz
400 4 Elektrizität und Magnetismus

Abbildung 4.139 zeigt das Schema eines Trans-


formators (a) und das Symbol (b). Liegt an der
Primärseite eine Wechselspannung u1 , so wird
nach dem Induktionsgesetz ein magnetischer
Fluss verändert:
dΦ1
u1 = −N1 .
Abb. 4.138 Dreieck-Stern-Schaltung dt
Wegen der induktiven Kopplung wird die ma-
Tabelle 4.16 Leiterstrom und Leiterspannung in der gnetische Flussänderung an die Sekundärseite
Dreieck-Stern-Schaltung bei symmetrischer Last weitertransportiert, sodass dort die Spannung
Leiterstrom Leiterspannung dΦ2
u2 = −N2
dt
IU = IV = IW =
Dreieck- √ UUV = UVW = UWU =
Schaltung 3 · Strang- Strangspannung induziert wird. Werden beide Gleichungen
strom (4.321) (4.322) durcheinander dividiert, so gilt für den idea-
Stern- IU = IV = IW = √UV = UVW = UWU =
U len, verlustlosen Transformator (Φ1 = Φ2 )
Schaltung Strang- 3 · Strangspannung
strom (4.323) (4.324)
U1 N1
(Mittelpunkt- Strangspannung = = ü . (4.325)
strom = null) UUN = UVN = UWN U2 N2

Dies bedeutet, dass eine Spannungstransfor-


mation im Verhältnis der Windungszahlen
nungen werden als Strangströme bzw. Strang-
(Übersetzungsverhältnis ü) stattfindet. – Diese
spannungen bezeichnet, zu den Punkten flie-
Gleichung gilt nur für den unbelasteten Fall.
ßende Ströme bzw. zwischen den Punkten
Meist können die Leistungsverluste beim
auftretende Spannungsabfälle als Leiterströme
Transport des magnetischen Flusses Φ von
bzw. Leiterspannungen.
der Primär- und Sekundärseite vernachläs-
Im öffentlichen Stromnetz ist die Sternschal-
sigt werden. Dann gilt P1 = P2 und mit
tung anzutreffen. Die Leiterspannung beträgt
P = U I cos ϕ ergibt sich U1 I1 = U2 I2 oder
400 V (früher
√ 380 V) und die Strangspannung
400 V/ 3 ≈ 230 V. Gleichung (4-332) gilt nur,
wenn alle drei Stränge gleichmäßig belastet
sind.

4.5.2.7 Transformation von Wechselströmen


Werden um einen gemeinsamen Eisenkern
an zwei gegenüberliegenden Seiten (Primär-
bzw. Sekundärseite) Spulenwicklungen an-
gebracht, dann entstehen zwei induktiv
gekoppelte Spulen. Da mit solchen Bauele-
menten Spannungen transformiert werden
können, werden sie Transformatoren genannt. Abb. 4.139 Schema des Transformators
4.5 Instationäre Felder 401

trischer Energie statt. Dabei wird zur Erzeu-


gung eines Drehmomentes die Kraftwirkung
zwischen einem stromdurchflossenen Leiter
und einem Magnetfeld (4.194) ausgenutzt. Je
nach Umwandlungsrichtung gibt es zwei Ar-
Abb. 4.140 Widerstandstransformation ten von elektrischen Maschinen:
– Generatoren (Dynamomaschine)
Mechanische Energie (kinetische Energie
U1 I2 N1
= = = ü . (4.326) der Rotation) wird in elektrische Energie
U2 I1 N2
umgewandelt, indem durch eine Drehbewe-
gung der magnetische Fluss eine Änderung
Gleichung (4.326) zeigt, dass sich die Strom- erfährt. Dadurch tritt nach dem Indukti-
stärken umgekehrt zu den Windungszahlen onsgesetz (4.241) eine elektrische Spannung
bzw. Spannungen verhalten. auf.
Transformatoren spielen bei der Stromver- – Elektromotoren
sorgung eine wichtige Rolle, da durch die Elektrische Antriebsenergie wird in mecha-
Hochspannungstransformation die Strom- nische Energie (kinetische Energie der Ro-
stärken für den Transport verringert werden tation) umgewandelt. Anliegende elektri-
können und somit nach P = I 2 R geringere sche Spannungen verursachen Ströme, de-
Verlustleistungen auftreten. Zu diesem Zweck ren Magnetfelder auf das vorhandene Ma-
werden die von Generatoren erzeugten Span- gnetsystem Kräfte bzw. Drehmomente aus-
nungen von 10 kV bis 20 kV auf 110 kV bis üben, die die mechanische Rotation der An-
380 kV herauftransformiert und für den Ver- triebsachse verursachen (Ausnahme: Dreh-
braucher auf 230 V bzw. 400 V herabgesetzt. strom Asynchronmotor, da kein Magnetsys-
Hohe Spannungs- bzw. Stromwerte können tem vorhanden).
über Messwandler gemessen werden, wenn
Da die elektrischen Maschinen eine große
das Übersetzungsverhältnis genau bekannt ist
Typenvielfalt aufweisen, können nur wenige
und die Leistungen nicht hoch sind.
wichtige beschrieben werden. Sie sind in
Eine weitere Anwendung ist die Widerstand-
stransformation über einen Transformator,
z. B. zur Spannungsversorgung eines niede-
rohmigen Lautsprechers. Abbildung 4.140
zeigt das Prinzip. Für die Impedanzen Z = U / I
gilt nach (4.326) ZZ12 = UI11 UI22 = ü2 . Damit wird
die Impedanz Za transformiert in

Za = Za · ü (4.327)

4.5.2.8 Elektrische Maschinen


In den meisten elektrischen Maschinen findet
eine Umwandlung von mechanischer und elek- Abb. 4.141 Elektrische Maschinen
402 4 Elektrizität und Magnetismus

Abb. 4.141 zusammengestellt. Generatoren


und Elektromotoren sind prinzipiell gleich
aufgebaut. Sie bestehen aus einem Magnet-
und einem Spulensystem mit (in einigen
Fällen) zwei Schleifkontakten. Das Magnet-
system besteht entweder aus Elektro- oder
aus Dauermagneten. Das Spulensystem, in
dem die Spannung induziert wird, wird Anker
genannt. Ein Teil des Magnet- bzw. Spulensys-
tems ist feststehend (Stator), der andere Teil
rotierend (Rotor oder Läufer). Befindet sich
das Magnetsystem als Stator außen, so liegt Abb. 4.143 Haupt- und Nebenschlussmaschine
eine Außenpolmaschine vor; bewegt es sich
dagegen als Rotor im Innern, so handelt es sich
um eine Innenpolmaschine. Abbildung 4.142 bei Generatoren hoher Drehzahl vorgefun-
zeigt den Stator (a) und den Rotor (b) einer den, weil die Schleifringe entfallen. Bei den
Innenpolmaschine. Diese Bauart wird häufig meisten elektrischen Maschinen dient die im
Spulensystem induzierte Spannung zur Erre-
gung des magnetischen Feldes (Siemens’sches
Dynamoprinzip).
Bei den elektrischen Maschinen unterscheidet
man zwischen einer Haupt- und einer Neben-
schlussmaschine, wie Abb. 4.143 zeigt. Bei ei-
ner Hauptschlussmaschine fließt der gesamte
Strom durch den Elektromagneten (Wider-
stände des Magnetfeldes M und Ankerwick-
lung A sind in Reihe geschaltet, Abb. 4.143a),
während bei einer Nebenschlussmaschine nur
ein Teil des Stroms durch den Magneten fließt
(Widerstände des Magnetfelds und der Anker-
wicklung sind parallel geschaltet, Abb. 4.143b).
In diesem Fall wirkt in der Anlaufphase nur der
remanente Magnetismus.

Generatoren
Wie Abb. 4.141 zeigt, gibt es Generatoren zur
Erzeugung von Gleich-, Wechsel- und Dreh-
strom. Der einfachste Wechselstromgenerator
besteht aus einer drehbaren Spule im Magnet-
feld (Abb. 4.125, Fall d). Wird die Anordnung
umgekehrt, sodass die Magnetpole innen lie-
Abb. 4.142 Stator und Rotor einer Innenpolmaschine. gen und die Induktionsspule außen ist, so liegt
Werkfotos: Emod ein Innenpolgenerator vor. Bei diesem kann
4.5 Instationäre Felder 403

der erzeugte Wechselstrom ohne Schleifringe werden können. Die Synchronmotoren finden
direkt von den Spulenwicklungen abgegriffen vor allem Anwendung bei gleich bleibenden
werden. Dies ist bei hoher Drehzahl besonders Drehzahlen. Die Leistungen ausgeführter Ma-
günstig. Beim Drehstromgenerator als Innen- schinen reichen in den Megawattbereich.
polmaschine besitzt der Anker drei voneinan- Der Asynchronmotor wird mit Wechselstrom
der unabhängige, um 120◦ verschobene Spu- betrieben. Deshalb muss die Stromänderung
lensysteme, die als Dreieck oder als Stern ge- im Drehfeld und im Anker gleichzeitig erfol-
schaltet werden können und Drehstrom erzeu- gen. Dann ist die Drehzahl auch frequenzunab-
gen. Außenpolgeneratoren werden wegen der hängig und der Motor läuft asynchron zur Fre-
zusätzlich benötigten Schleifringe heute prak- quenz der Wechselspannung. Der Asynchron-
tisch kaum noch gebaut. motor ist der am häufigsten eingesetzte Elek-
Gleichstrom wird dadurch erzeugt, dass die tromotor. Er findet vielseitige Anwendung in
untere Halbwelle des Wechselstroms durch der Technik, so z. B.
einen Polwender oder Kommutator nach oben
geklappt wird. Diese pulsierende Gleichspan- – für Rührgeräte und Pumpen in der chemi-
nung kann geglättet werden, wenn viele Spulen schen Industrie,
und entsprechend viele Polwender eingebaut – für Datendrucker und Antriebe für Disket-
werden. Dieses Polwendersystem wird dann tenlaufwerke,
Kollektor genannt, weil es alle Spannungen zur – in Bohr-, Schleif- und Kunststoffspritzma-
Gleichspannung aufsammelt. schinen,
– in Inkubatoren oder Pumpen von EKG-
Apparaten in der Medizin,
Elektromotoren
– als Spiegelantriebe für elektrooptische Ge-
Entsprechend Abb. 4.141 ist die Umkehrung räte und
eines (Einphasen-)Wechselstromgenerators – in Musikautomaten, Plattenspielern und
(der praktisch ohne Bedeutung ist), ein Tonband- sowie Kassettengeräten.
(Einphasen-)Wechselstrommotor; die Um-
kehrung eines Gleichstromgenerators ist der Drehstrommotoren sind meist so aufgebaut
Gleichstrommotor; die Umkehrung des Dreh- wie ein Drehstromgenerator als Innenpol-
stromgenerators ist der Drehstrommotor. maschine. Durch die zeitlich gegeneinander
verschobenen Spannungen des Drehstrom-
Ein Wechselstrommotor kann sowohl als Syn- netzes entsteht ein Drehfeld. Der Läufer
chronmotor als auch als Asynchronmotor An- benötigt keine Wicklung. Er ist ein Kurz-
wendung finden. Als Synchronmotor ist er des- schlussläufer, der als Käfiganker gebaut wird.
halb die Umkehrung des Wechselstromgene- Abbildung 4.144 zeigt einen universell ein-
rators, weil die Frequenz der Wechselspan- setzbaren Schneckengetriebe-Motor (a) und
nung proportional zur Drehzahl des Läufers dessen Drehzahl-Momenten-Kennlinie (b)
ist (Abb. 4.125, Fall d). Die Synchronmaschine für einen Käfigläufer-Motor der Nennleistung
läuft gleichsam synchron mit dem durch die 75 kW (Linie I), für einen Käfigläufer-Motor
Wechselspannung erzeugten Magnetfeld. Al- der Nennleistung 0,37 kW (II) sowie für einen
lerdings müssen diese Motoren durch einen Schlupfläufer-Motor (III). Das Diagramm
Gleichstrom in eine Anfangsdrehung kom- zeigt, dass die Drehzahl eines Asynchronmo-
men, ehe sie durch entsprechende An- und Ab- tors mit zunehmender Belastung abnimmt.
stoßung der Magnetfelder in Drehung versetzt Die Drehzahl des Läufers nL ist stets kleiner
404 4 Elektrizität und Magnetismus

abhängig und findet wegen seines starken


Anzugsmomentes vor allem Einsatz bei elek-
trischen Antrieben (z. B. Fahrzeugantriebe).
Beim Nebenschlussmotor dagegen liegen
Feldmagnet und Anker parallel. Die Drehzahl
dieses Motors ist nahezu belastungsunabhän-
gig. Ein solcher Antrieb ist beispielsweise für
Werkzeugmaschinen erforderlich. Weil die
gesamte Spannung am Anker liegt, muss der
Motor mit einem Anlasser gestartet werden.

4.5.3 Ein- und Ausschaltvorgänge


in Stromkreisen

Dieser Abschnitt beschreibt den Strom- bzw.


Spannungsverlauf beim Ein- und Ausschalten
von Stromkreisen, in denen sich ein Konden-
sator oder eine Spule befindet.

4.5.3.1 Ein- und Ausschalten


mit einem Kondensator
Abb. 4.144 Schneckengetriebemotor mit Drehzahl- In Abb. 4.145 sind die Schaltung, die entspre-
Momenten-Kennlinien. Werkfoto: Bauer chende Differentialgleichung mit ihren Lösun-
gen für den zeitlichen Verlauf der Ladung q,
der Spannung u und der Stromstärke i sowie
als die Drehzahl des Feldes nF . Dieser Schlupf s die Grafik des zeitlichen Verlaufes von Span-
wird definiert als nung und Strom dargestellt.
Beim Schließen des Stromkreises gilt nach der
nF − nL Maschenregel (Abschn. 4.1.6, (4.25)), dass die
s= · 100% . (4.328)
nL Summe aller Spannungen null ist:

q
Der Schlupf von Drehstromasynchronmoto- U0 − Ri − =0. (4.329)
C
ren beträgt für kleine Motoren (ca. 0,11 kW)
etwa 12% und für große Motoren (ca. 75 kW)
etwa 2%. Alle Gleichstrommotoren können – Mit i = dq/ dt gilt
wie die Generatoren – als Haupt- oder Ne- dq q
benschlussmaschinen betrieben werden. Für U0 − R − =0.
dt C
Gleichstrommotoren als Hauptschlussmo- Nach Division durch R und einer Umstellung
tor liegen Feldmagnet und Anker in Reihe erhält man die Differentialgleichung
(Abb. 4.143). Dies bedeutet, dass bei starkem
Stromfluss das Magnetfeld groß ist, sodass dq 1 U0
ein starkes Anzugsmoment spürbar wird. + q− =0. (4.330)
dt RC R
Die Drehzahl dieses Motors ist belastungs-
4.5 Instationäre Felder 405

Abb. 4.145 Ein- und Ausschaltvorgänge im Stromkreis mit einem Kondensator


406 4 Elektrizität und Magnetismus

Die zugehörige Lösung lautet und wegen i = dq/ dt



= CU0 1 − e− RC t .
1
U0 − 1 t
qC (4.331) i=− e RC . (4.337)
R

Wegen u = q/ C wird der zeitliche Verlauf der


Spannung am Kondensator beschrieben ge-
mäß 4.5.3.2 Ein- und Ausschalten mit einer Induktivität
Wird in einem Stromkreis mit einem Wider-
stand R und einer Spule der Induktivität L eine
= U0 1 − e− RC t .
1
uC (4.332)
Spannung U ein- bzw. ausgeschaltet, so erge-
ben sich verzögerte Anpassungen der Strom-
Da dq/ dt = i ist, folgt aus (4.331) nach Diffe- stärke an diese Situationen. Abbildung 4.146
rentiation nach der Zeit zeigt die zugehörige Schaltung, die entspre-
chende Differentialgleichung mit ihrer Lösung
U0 − 1 t
i= e RC . (4.333) sowie die Strom-Zeit-Diagramme. Die Diffe-
R rentialgleichungen sind analog zum Strom-
kreis mit einer Kapazität. Während in einem
Der Faktor RC hat die Dimension Zeit: RC-Kreis die Differentialgleichungen für die
ΩAs/V = VAs/(AV) = s. Er wird kapazitive Ladungen gelten, sind sie in diesem Fall für
Zeitkonstante τ genannt, weil er angibt, wie die Ströme gültig. Wird der RL-Stromkreis ge-
schnell sich die Spannung uC dem Endwert U0 schlossen, so gilt nach der Maschenregel (Ab-
nähert. Bei Stromkreisen mit hoher Kapazität schn. 4.1.6, (4.25)), dass die Summe aller Span-
ist die Zeitkonstante groß, da es lange dauert, nungen null sein muss:
bis der Kondensator aufgeladen ist.
Beim Ausschalten der Spannungsquelle U0 di
entlädt sich der Kondensator über den Wider- U0 − Ri − L =0. (4.338)
dt
stand R. Es wird in der Differentialgleichung
(4.330) U0 = 0. Damit gilt
Die Spannung U0 fällt an zwei Bauteilen ab:
dq 1
+ q=0. (4.334) – erstens am Widerstand R; dies entspricht
dt RC einer konstanten Stromstärke I = U0 / R (ge-
strichelte Linie in Abb. 4.146);
Diese Form der Differentialgleichung lässt sich – zweitens wird in der Spule ein Magnet-
durch Trennung der Variablen direkt integrie- feld aufgebaut, das zur stetigen Zunahme
ren: des Stroms entsprechend i = (U0 / L)t führt
(punktierte Linie).
= Q0 e− RC t .
1
qC (4.335)
Das Zusammenwirken dieser beiden Teile
erzeugt zunächst eine linear zunehmende
Nach entsprechender Umformung ergibt sich Stromstärke, die in den konstanten Endwert
I0 = U0 / R einbiegt. Dieser Kurvenverlauf lässt
= U0 e− RC t .
1
uC (4.336) sich analytisch aus der Lösung der Differen-
tialgleichung (4.338) herleiten. Nach Division
4.5 Instationäre Felder 407

Abb. 4.146 Ein- und Ausschaltvorgänge im Stromkreis mit einer Induktivität

durch L ergibt sich die Differentialgleichung sich die Stromstärke i dem Endwert I0 = U0 / R
für die Stromstärke: nähert. Bei Stromkreisen mit hoher Induktivi-
tät ist die Zeitkonstante groß, sodass der End-
di R U0 wert sehr spät erreicht wird. Die Zeitkonstante
+ i− =0. (4.339)
dt L L τ kann grafisch ermittelt werden als Schnitt-
punkt der beiden Kurven i = (U0 / L)t (punk-
Die zugehörige Lösung lautet tierte Linie in Abb. 4.146) und I0 = U0 / R (ge-
strichelte Linie). Dann gilt
U0
U0 U
i=
R

R
1 − e− L t . (4.340) τ= 0 oder
L R

Der Faktor L/ R hat die Dimension Zeit: H/Ω = L


VsA/(AV) = s. Er wird induktive Zeitkon- τ= . (4.341)
R
stante τ genannt, weil er angibt, wie schnell
408 4 Elektrizität und Magnetismus

Beim Ausschalten wird die Spannung U0 = 0, abfließen kann. Für den Fall einer Reihenschal-
sodass sich die Differentialgleichung verein- tung würde besonders für hohe Induktivitäten
facht: die gesamte Induktionsspannung −L( di/ dt)
lange Zeit zwischen den Schaltkontakten lie-
di R gen. Dadurch könnten die Schaltkontakte oder
+ i=0. (4.342)
dt L die Bauelemente zerstört werden.
Abbildung 4.147a zeigt das Ein- und Aus-
Diese Gleichung lässt sich analog zur Diffe- schaltverhalten (Spannungs-Zeit-Verlauf nach
rentialgleichung (4-335) durch Trennung der (4.332) und (4.336)) für eine Batteriespannung
Variablen direkt lösen. Es gilt von U0 = 24 V und Kapazitäten von C = 50 nF,
100 nF und 150 nF. Mit größeren Werten der
Kapazität C vergrößern sich also die Ein-
i = I0 e− L t .
R
(4.343)
und Ausschaltzeiten. Abbildung 4.147b zeigt
das Ein- und Ausschaltverhalten nach ((4.340)
Beim Ausschalten ist eine Parallelschaltung und (4.343)) für eine Batteriespannung von
von Widerstand und Spule empfehlenswerter U0 = 24 V, einen Widerstand von R = 2 Ω
als die Reihenschaltung (Abb. 4.146), weil dann und Induktivitäten von L = 100 mH, 300 mH
sofort ein Teil des Stroms über den Widerstand und 500 mH. Auch hier erkennt man, dass sich
die Ein- und Ausschaltzeiten für höhere Werte
für L vergrößern.

4.5.4 Messgeräte

Elektrische Messgeräte dominieren in der phy-


sikalischen Messtechnik; für die meisten phy-
sikalischen Größen, wie z. B. Temperatur oder
Kraft, gibt es elektrische Messwertaufnehmer,
sodass die Messwerte als elektrische Signale
zur Verfügung stehen. Diese elektrischen Si-
gnale können als Daten sofort weiterverarbei-
tet oder als Steuer- bzw. Regelgrößen verwen-
det werden. Üblicherweise unterscheidet man
zwischen analogen und digitalen Messgerä-
ten, ferner zwischen solchen, die nur gemit-
telte Werte (z. B. Effektivwerte) messen und
solchen, die es gestatten, den zeitlichen Ver-
lauf der Messgrößen darzustellen.
In Abb. 4.148 sind die Messgeräte, ihre Sym-
bole nach VDE 0410 sowie ihre Hauptanwen-
dungsgebiete beschrieben.

Drehspulmesswerk
Abb. 4.147 Ein- und Ausschaltverhalten von a Ein Drehspulmesswerk besteht aus einem
Kapazitäten; b Induktivitäten drehbaren zylindrischen Spulenkörper, der
4.5 Instationäre Felder 409

Abb. 4.148 Einteilung der Messgeräte


410 4 Elektrizität und Magnetismus

sich in einem ringförmigen Spalt eines Dau- kompakte Bauform von Vielfachmessinstru-
ermagneten bewegen kann. Auf der Achse der menten.
Drehspule befinden sich zwei Spiralfedern, Ein wichtiger Spezialfall ist das Drehspulquo-
die als Stromzuführungen für die Spule die- tientenmesswerk (oder Kreuzspulinstrument).
nen, sowie ein Zeiger. Im Luftspalt zwischen Hierbei bewegen sich zwei um 30◦ versetzte
dem Dauermagneten und dem Spulenkör- Spulen im Dauermagnetfeld. Werden die bei-
per herrscht ein radiales Magnetfeld. Wenn den Spulen von unterschiedlichen Stromstär-
durch den Spulenkörper ein Gleichstrom ken i1 und i2 durchflossen, ist der Zeigeraus-
fließt, dann tritt ein Drehmoment auf, das schlag ϕ proportional zum Quotienten der bei-
proportional der Stromstärke ist und von dem den Stromstärken i1 / i2 . Eine Spule kann man
Gegendrehmoment der Spiralfeder im Gleich- als Amperemeter und die andere als Voltme-
gewicht gehalten wird. Der Ausschlagwinkel ter schalten. Dann misst der Quotient direkt
des Zeigers ist demnach proportional zur den Widerstand (unabhängig von einer Bat-
Stromstärke (ϕ ∼ I). teriespannung). Eine Hauptanwendung dieses
Kleinere Bauformen werden dadurch erreicht, Messwerkes ist die Temperaturmessung mit
dass sich der Dauermagnet als feststehender Hilfe von Widerstandsthermometern.
Zylinder im Zentrum des Messwerkes befin-
det. Die Spule ist drehend um ihn gelagert und Dreheisenmesswerk
der Luftspalt wird durch einen Hohlzylinder Das Dreheisenmesswerk besteht aus einer
aus Weicheisen abgeschlossen (Drehspul- Spule, die vom Messstrom durchflossen wird.
Kernmagnet-Messwerk). Drehspulmesswerke Im Zentrum dieser Spule befinden sich zwei
werden zur Messung von Gleichströmen und Weicheisenplättchen, von denen eines an der
Gleichspannungen verwendet. Sie gehören Spule und das andere an der Zeigerachse
zu den empfindlichsten elektrischen Mess- befestigt ist. Beim Stromfluss durch die Spule
werken (minimale Stromstärke 10−9 A). Wird werden beide Plättchen gleichnamig ma-
ein Gleichrichter vorgeschaltet, so können gnetisiert. Dadurch stoßen sie sich ab. Der
auch Effektivwerte von Wechselströmen- und Zeigerausschlag ist proportional zum Effek-
-spannungen bei sinusförmigem Kurvenver- tivwert der Messgröße, und zwar unabhängig
lauf gemessen werden. Ebenso kann man von der Kurvenform. Dreheiseninstrumente
sie als Widerstandsmesser einsetzen, wenn sind sehr robuste Geräte, haben allerdings
sie als Brücke in Zusammenhang mit einer einen hohen Leistungsverbrauch und sind
konstanten Spannungsquelle geschaltet wer- wegen der Wirbelstromverluste nicht bei
den (Wheatstone’sche Brücke, Abschn. 4.1.9). Frequenzen über 1 kHz einsetzbar.
Durch Vorschalten eines Thermoumformers,
bei dem mit Hilfe eines Thermoelements Elektrodynamisches Messwerk
die Temperaturerhöhung an einem kleinen Beim elektrodynamischen Messwerk wird der
Lastwiderstand gemessen und über einen Permanentmagnet des Drehspulmesswerks
Kalibrierfaktor auf den anliegenden Wech- durch einen Elektromagneten ersetzt. Wird
selstrom zurückgeschlossen wird, lassen sich der Strom durch beide Spulen geleitet, so
die Effektivwerte von Wechselströmen und ist der Ausschlag proportional zum Quadrat
-spannungen beliebiger Welligkeit messen. der Stromstärke. Aus diesem Grund können
Die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten von sowohl Gleich- als auch Wechselgrößen ge-
Drehspulmessgeräten sind der Grund für die messen werden. Sehr wichtig ist auch die
4.5 Instationäre Felder 411

Möglichkeit, das Produkt U I, d. h. die elek- Elektrostatisches Messwerk


trische Leistung zu messen. Dazu dient eine Im elektrostatischen Messwerk dient die
Spule als Strompfad, die andere mit einem Coulomb’sche Kraft (Abschn. 4.3.8, (4.169))
Vorschaltwiderstand als Spannungspfad. Die zwischen zwei Platten als Messgröße. Um
Phasenverschiebung cos ϕ ist annähernd null, Durchschläge zu verhindern, wird bei Gleich-
wenn der Widerstand im Spannungsfeld sehr strom ein sehr hochohmiger Widerstand
hoch ist. Die Blindleistung lässt sich dadurch (R > 1014 Ω) und bei Wechselstrom ein Kon-
messen dass eine Spule (Phasenverschiebung densator vorgeschaltet. Wegen der geringen
um 90◦ ) den Widerstand ersetzt. elektrostatischen Kraft können zwei Platten
Ein eisenloses Messwerk ist sehr empfindlich erst ab Spannungen größer als 1 kV zu Mess-
für fremde Magnetfelder. Häufig wird deshalb zwecken eingesetzt werden. Ordnet man eine
ein eisengeschlossenes Messwerk gebaut. Dies Vielzahl von Metallplatten vertikal stapelartig
hat aber den Nachteil, dass man nur bei ge- übereinander, so liegt ein Multizellular-
ringen Frequenzen (um 50 Hz) richtig messen Messwerk vor. Leichte Metallnadeln, die an
kann. Mit einem elektrodynamischen Quotien- der vertikal aufgehängten Achse befestigt sind,
tenmesswerk kann der Leistungsfaktor cos ϕ können sich nach Art des Drehkondensators
ermittelt werden. zwischen den Platten drehen. Durch die Viel-
fachanordnung erhöht sich die Einstellkraft
Hitzdrahtmesswerk des Messwerkes, sodass bereits Spannungen
ab 100 V gemessen werden können.
Das klassische Hitzdrahtinstrument, bei dem
Der Einsatz elektrostatischer Messwerke ist auf
die Ausdehnung eines Drahtes durch die beim
Spezialanwendungen beschränkt (z. B. Mes-
Stromfluss entstehende Wärme zu Messzwe-
sung von sehr großen Widerständen R > 109 Ω
cken ausgenutzt wird, ist heute kaum noch im
oder als Röntgendosimeter).
Einsatz. Statt dessen werden wärmeempfindli-
che Bauelemente (z. B. PTC-Widerstände, Ab-
Induktionsmesswerk
schn. 4.1.4 und Abb. 4.6) oder Thermoele-
mente (Abschn. 9.3.2.2) eingebaut. Auf diese In einem Induktionsmesswerk bewegt sich
Weise ist es möglich, Effektivwerte von Strö- eine nicht ferromagnetische Scheibe (meist
men und Spannungen bei höchsten Frequen- aus Aluminium) zwischen zwei um 90◦ ver-
zen zu messen. setzten Elektromagneten. Der Elektromagnet
zwischen der drehbaren Scheibe erzeugt beim
Stromfluss ein Magnetfeld, das Wirbelströme
Bimetallmesswerk in der Scheibe induziert. Der in der Ebene
Werden Bimetallspiralen von Strom durchflos- der Scheibe befindliche zweite Elektroma-
sen, so biegen sie sich aufgrund der Erwär- gnet erzeugt ein Magnetfeld, das auf die
mung auf. Das hierbei auf die Zeigerachse Wirbelströme einwirkt und die Scheibe in
übertragene Moment ist so groß, dass auch ein Drehung versetzt. Wenn in dem zwischen der
Schleppzeiger mitgeführt werden kann. Auf Scheibe befindlichen Magneten eine Span-
diese Weise können Maximalwerte angezeigt nung geschaltet wird (Spannungsjoch) und
werden. Bimetallmesswerke finden vorzugs- im senkrecht dazu stehenden Magneten ein
weise Anwendung bei der Überwachung ther- Strom fließt, dann ist die Drehfrequenz pro-
mischer Belastungen von Kabeln und Trans- portional zur Wirkleistung UI cos ϕ. Wird die
formatoren. Anzahl der Umdrehungen gezählt, handelt es
412 4 Elektrizität und Magnetismus

sich um einen Energiezähler (kWh-Zähler). (Spannung, Stromstärke und Widerstand


Die Scheibe wird durch einen Permanent- für Gleich- und Wechselstrom), sondern
magneten gebremst. Das so beschriebene nehmen auch nach eigenen Programmen
Induktionsmesswerk ist als elektrische Ma- Messauswertungen vor.
schine ein gebremster Asynchronmotor
(Abschn. 4.5.2.8). Elektronenstrahl-Oszilloskop
Um den zeitlichen Verlauf von Messgrö-
Vibrationsmesswerk ßen verfolgen zu können, benutzt man
Ein Vibrationsmesswerk besteht aus einem auf Elektronenstrahl-Oszilloskope. Das Messprin-
die Schwingungsfrequenz abgestimmten Satz zip basiert auf der Ablenkung von Elektronen
federnder Zungen (13 bis 21 Stück), die bei im elektrischen und magnetischen Feld in
Resonanz ihre Amplitude vergrößern. Vibra- einer Braun’schen Röhre (Abschn. 4.3.5.5).
tionsmesswerke dienen zur Bestimmung der Die Verwendungsart der beschriebenen Mess-
Wechselstromfrequenz und werden als Zun- geräte sowie die Geräteeigenschaften müssen
genfrequenzmesser zur Frequenzüberwachung nach VDE 0410 auf den Geräten angegeben
von 50 Hz bzw. 60 Hz eingesetzt. werden. Abbildung 4.150 zeigt eine Zusam-
menstellung dieser Symbole. So bedeutet z. B.
Digitales elektronisches Messwerk
Durch Analog-Digitalwandler, teilweise mi-
kroprozessorgesteuert, können die meisten Drehspulmessgerät für Gleichstrom (Güte-
analogen Messwerke zu digitalen Messgeräten klasse 1), für Wechselstrom (Güteklasse 1,5)
ausgebaut werden. und Widerstandsmessung (Güteklasse 1,5),
Abbildung 4.149 gibt einen schematischen in der Gebrauchslage waagrecht mit der
Einblick in den Aufbau digitaler Messwerke. Prüfspannung 3 kV.
Die digitalen Vielfachinstrumente ersetzen
in zunehmendem Maß die analogen Multi- 4.5.5 Zusammenhang elektrischer
meter. Digitale Multimeter messen nicht nur und magnetischer Größen –
die gewünschten elektrischen Grundgrößen Maxwell’sche Gleichungen

Die Maxwell’schen Gleichungen wurden von


J.C. Maxwell (1831 bis 1879) formuliert. Sie
beschreiben die analytische Verknüpfung von
elektrischem und magnetischem Feld und um-
gekehrt. In Abb. 4.151 findet sich eine verglei-
chende Gegenüberstellung.
Die erste Maxwellsche Gleichung ist die all-
gemeine Formulierung des Durchflutungsge-
setzes (Abschn. 4.4.2, (4.171)). Sie besagt, dass
zur Erzeugung eines Magnetfeldes nicht un-
bedingt ein Stromfluss (d. h. Ladungstrans-
port) notwendig ist. Beispielsweise entsteht
Abb. 4.149 Digitales Messwerk, schematisch. zwischen den Platten eines Kondensators wäh-
Werkfoto: Gossen rend des Ladevorgangs ein magnetisches Wir-
4.5 Instationäre Felder 413

Abb. 4.150 Geräteeigenschaften nach VDE 0410

belfeld, obwohl an dieser Stelle ganz offen-


Jede Änderung des magnetischen Flus-
sichtlich kein Strom fließt. Schon die Ände-
ses durch eine Fläche A erzeugt in der
rung des elektrischen Flusses ∫ D dA, ein so
Randkurve C eine elektrische Spannung.
genannter Verschiebungsstrom, reicht aus, um
ein Magnetfeld zu erzeugen.
Flussänderung und Richtung der elektrischen
Der Gesamtstrom aus Leitungsstrom Feldlinien bilden ein Linkssystem.
und Verschiebestrom durch eine Flä- Die Quellen des Verschiebungsfeldes D sind
che A erzeugt in der Randkurve C eine Ladungen, an denen die Feldlinien begin-
magnetische Spannung. nen und enden. Nach dem Gauß’schen Satz,
(4.133), ist das Integral des elektrischen Flusses
über eine geschlossene Fläche S gleich der La-
Strom- und Magnetfeldrichtung bilden ein
dung im Innern der Fläche: D dA = Q. Da es
Rechtssystem.
keine magnetischen Monopole gibt, an denen
Die zweite Maxwell’sche Gleichung ist eine
die B-Feldlinien beginnen und enden könnten,
Verallgemeinerung des Induktionsgesetzes
gilt im Magnetfeld B dA = 0. Das Magnetfeld
uind = − dΦ/ dt (4.241). Durch Umschreiben
ist demnach quellenfrei, es ist ein Wirbelfeld.
der Spannung in ein Linienintegral über die
Das elektrische Feld ist in der Elektrodyna-
Feldstärke und Formulierung des magneti-
mik ebenfalls ein Wirbelfeld mit geschlosse-
schen Flusses nach (4.190) liefert
nen Feldlinien (Abb. 4.151). Lediglich in der
d Elektrostatik beginnen und enden die Feldli-
E ds = − B dA
dt nien des elektrischen Feldes an Ladungen.
414 4 Elektrizität und Magnetismus

Abb. 4.151 Maxwell’sche Gleichungen für das elektrische und magnetische Feld

Die Materialgleichungen beschreiben die Ein- Während auf jede Ladung in einem elektri-
flüsse des Materials auf die elektrischen und schen Feld eine Kraft ausgeübt wird, tritt die
magnetischen Felder. Die elektrische (P) und Lorentz-Kraft im Magnetfeld nur bei bewegten
magnetische (J) Polarisation ist im einfachs- Ladungen auf.
ten Fall proportional zur jeweiligen Feldstärke Mit den Maxwell’schen Gleichungen ist eine
E bzw. H. Die Proportionalitätskonstante ist vollständige Beschreibung elektromagneti-
die Suszeptibilität χ. Bei hohen Feldstärken scher Vorgänge möglich. Tabelle 4.17 zeigt die
treten nichtlineare Effekte auf wie die nicht- vier denkbaren Spezialfälle:
lineare Optik bei intensiven Laserfeldern. Die
Stromdichte j ist mit der elektrischen Feld- 1.) Elektrostatik und Magnetostatik
stärke E über das Ohm’sche Gesetz j = κE Fließt weder ein Strom (j = 0) noch ändert sich
verknüpft. das magnetische Feld (dB/ dt = 0) sowie die
4.5 Instationäre Felder 415

Tabelle 4.17 Gebiete der Elektrizitätslehre und des


Magnetismus

j=0 j = 0

dB
=0 Elektrostatik Elektrodynamik
dt
und stationärer
dD
=0 Magnetostatik Ströme
dt Abb. 4.152 Ausbreitung einer elektromagnetischen
dB Welle durch wechselseitig induzierte elektrische und
= 0 elektromagne- Elektrodynamik magnetische Felder
dt
tische Wellen quasistationärer
dD
= 0 Ströme
dt 4.) Elektromagnetische Wellen
dD
für ≈0
dt Die geniale Voraussage von Maxwell bestand
darin, dass er seine Gleichungen als For-
mulierungen für elektromagnetische Wellen
interpretieren konnte für den Fall, dass kein
elektrische Verschiebungsdichte (dD/ dt = 0), Stromfluss vorhanden war (j = 0).
dann existieren elektrostatische und magneto- In Abb. 4.152 ist der Fall dargestellt, dass
statische Felder vollkommen unabhängig von- die zeitliche Änderung dB/ dt des primären
einander. Magnetfeldes nicht konstant ist. Wenn bei-
spielsweise die Flussdichte harmonisch von
2.) Elektrodynamik stationärer Ströme
der Zeit abhängt, gemäß B = B̂ sin ωt, dann
Fließt lediglich ein Strom ( j = 0), ist je- ist Ḃ = B̂ ω cos ωt. In diesem Fall ist das
doch keine Änderung des magnetischen Feldes erzeugte elektrische Wirbelfeld ebenfalls
(dB/ dt = 0) und der elektrischen Verschie- zeitlich veränderlich, was seinerseits wie-
bungsdichte (dD/ dt = 0) vorhanden, so ist der ein zeitlich veränderliches magnetisches
wegen des Durchflutungsgesetzes (Abb. 4.89, Wirbelfeld bildet usw. Die Verkettung von
(4.171)) bereits eine magnetische Wirkung elektrischen und magnetischen Feldern stellt
spürbar. Ferner gilt das Ohm’sche Gesetz in eine elektromagnetische Welle dar, die sich
der Formulierung j = κE (4.207). mit Lichtgeschwindigkeit im Raum ausbreitet.
3.) Elektrodynamik quasistationärer Ströme Diese elektromagnetischen Wellen wurden
von H. Hertz (1857 bis 1894) experimentell
Fließt ein Strom (j = 0) und ändert sich das
nachgewiesen (Abschn. 5.2.2). Da das Licht
Magnetfeld (dB/ dt = 0), wobei der Verschie-
als elektromagnetische Welle verstanden wer-
bungsstrom gegenüber dem Leitungsstrom
den kann, ist außerdem eine enge Beziehung
vernachlässigt werden kann (nahezu statio-
zwischen Elektrodynamik und Wellenoptik
när: (dD/ dt ≈ 0), dann gelten das Durchflu-
vorhanden (Abschn. 6.1 und 6.4).
tungsgesetz und das Induktionsgesetz (die
erste und die zweite Maxwell’sche Gleichung).
Zur Übung
Sie sind die Grundlagen der in Abschn. 4.5 Ü 4.5-1 Eine eisenlose Flachspule hat 200 Windun-
beschriebenen Phänomene zeitlich sich än- gen und umschließt eine Fläche von 150 cm2 . Sie ro-
dernder elektrischer und magnetischer Felder. tiert mit einer Drehzahl von 800 min−1 in einem ho-
416 4 Elektrizität und Magnetismus

Ü 4.5-3 Bei einem Magnetsystem beträgt die Länge


des Eisenkerns 75 cm und die Breite des Luftspaltes
1 mm. Die Permeabilitätszahl des Eisens ist μr = 750.
Um den wievielten Teil nimmt die magnetische Feld-
stärke im Luftspalt ab, wenn die Breite des Luftspaltes
verdoppelt wird?
Abb. 4.153 Zu Ü 4.5-2
Ü 4.5-4 Eine Leuchtstoffröhre benötigt U = 50 V und
mogenen Magnetfeld. (Die Feldlinien stehen senk- eine Stromstärke von I = 0,12 A. Welche Induktivi-
recht zur Drehachse.) Bei welcher magnetischen In- tät L muss eine in Reihe geschaltete Spule haben, da-
duktion B wird die Scheitelspannung von û = 48 V mit die Leuchtstoffröhre an die Netzspannung (230 V,
induziert? 50 Hz) angeschlossen werden kann? (Der Ohm’sche
Anteil der Spule sei vernachlässigbar klein.) Wie groß
Ü 4.5-2 Für die Schaltung in Abb. 4.153 sollen die ist der Phasenverschiebungswinkel zwischen Strom
Stromstärke, der Phasenverschiebungswinkel ϕ und und Spannung? Welche Kapazität benötigt ein zu Spule
die Wirkleistung im Wechselstromnetz (U = 230 V, und Röhre parallel geschalteter Kondensator zur Blind-
f = 50 Hz) berechnet werden. stromkompensation?
Kapitel 5
Schwingungen und Wellen 5

E. Hering et al., Physik für Ingenieure,


DOI 10.1007/978-3-642-22569-7_5, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
5 Schwingungen und Wellen
5.1 Schwingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 419
5.1.1 Physikalische Grundlagen schwingungsfähiger Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 419
5.1.2 Freie Schwingung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 423
5.1.3 Erzwungene Schwingung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 443
5.1.4 Überlagerung von Schwingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 450
5.1.5 Schwingungen mit mehreren Freiheitsgraden (gekoppeltes Schwingungssystem). . . 459
5.1.6 Nichtlineare Schwinger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 463
5 5.1.7
5.2
Parametrisch erregte Schwingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Wellen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
463
464
5.2.1 Physikalische Grundlagen der Wellenausbreitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 464
5.2.2 Harmonische Wellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 468
5.2.3 Doppler-Effekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 474
5.2.4 Interferenz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 477
5 Schwingungen und Wellen

Bei Schwingungen und Wellen finden peri-


odische Zustandsänderungen statt, die me-
chanische Systeme (im festen, flüssigen und
gasförmigen Zustand) und elektromagneti-
sche Systeme erfassen können. Im allgemeinen
Fall wird Energie zwischen Energiereservoirs
periodisch hin- und herbewegt. Systeme,
die zu einem solchen periodischen Energie-
austausch fähig sind, werden Oszillatoren Abb. 5.1 Zusammenhang zwischen Schwingung und
genannt. Bei mechanischen Schwingungen Welle
eines Feder-Masse-Systems (Federpendel oder
mechanischer Oszillator) betrifft dies die po-
pelter Elemente erfasst, so treten Wellen auf,
tentielle Energie der Feder und die kinetische
bei denen sich die Energiezustände periodisch
Energie der Masse und beim elektromagneti-
im Raum fortpflanzen.
schen Schwingkreis die elektrische Energie des
Kondensators und die magnetische Energie
der Spule. Die Periodizität des Energieaus- 5.1 Schwingungen
tausches wird beschrieben durch die Schwin-
gungsdauer T für einen Energieaustausch- In vielen Bereichen des täglichen Lebens, der
zyklus bzw. durch die Frequenz f , d. h. die Physik und der Biologie spielen periodische
Anzahl der Zyklen je Zeiteinheit. Es gilt der Vorgänge eine bedeutende Rolle. Erwähnt
Zusammenhang seien als Beispiele für den Bereich des tägli-
chen Lebens Ebbe und Flut, Tag und Nacht,
1 für die Physik das Uhrenpendel, der Schwing-
f = . (5.1)
quarz, der elektromagnetische Schwingkreis,
T
die Atom- und Gitterschwingungen und für
Aus Abb. 5.1 geht der Unterschied zwischen die Medizin der Pulsschlag.
Schwingungen und Wellen hervor. Erfassen
die periodischen Energieschwankungen nur 5.1.1 Physikalische Grundlagen
einzelne schwingungsfähige Elemente, dann schwingungsfähiger Systeme
sind dies Schwingungen; werden dagegen von
den Energieschwankungen eine Vielzahl elas- Schwingungen werden in freie und erzwun-
tisch oder quasielastisch aneinander gekop- gene sowie in ungedämpfte und gedämpfte

M. Stohrer, E. Hering, R. Martin, Physik für Ingenieure.


DOI 10.1007/978-3-642-22569-7_5 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
420 5 Schwingungen und Wellen

Abb. 5.2 Harmonische Schwingungen

Schwingungen eingeteilt. Abbildung 5.2 zeigt der Scheitelwert der freien Schwingung im
die Zusammenhänge am Beispiel eines Kör- zeitlichen Verlauf ab. Dies kennzeichnet die
pers, der mit einer Feder verbunden ist und in gedämpfte freie Schwingung. Ferner ist die Fre-
horizontaler Richtung schwingen kann. quenz fd der gedämpften freien Schwingung
Bei der freien Schwingung wird dem Oszillator wegen des stattfindenden Energieverlustes
einmalig zu einem bestimmten Zeitpunkt kleiner als die Eigenfrequenz f0 der unge-
Energie durch Stoß oder durch die Auslen- dämpften freien Schwingung.
kung des Oszillators zugeführt. Anschließend Ein Resonator ist ein Oszillator, dem von außen
wird das System sich selbst überlassen; der eine periodische Erregung mit der Erregerfre-
Oszillator schwingt dann mit einer system- quenz fE aufgezwungen werden kann. Unter
typischen, konstanten Eigenfrequenz f0 . Wird dem Einfluss des Erregers führt der Resonator
dem Schwingungssystem im weiteren zeitli- erzwungene Schwingungen mit der Erreger-
chen Verlauf keine Energie zugeführt oder frequenz fE aus. Wenn die Erregerfrequenz fE
entzogen, so schwankt die Auslenkung des Os- gleich oder annähernd gleich der Resonanzfre-
zillators periodisch mit der Eigenfrequenz f0 quenz fR ist, tritt Resonanz ein. Bei Resonanz
zwischen zwei konstanten Maximalwerten wächst im ungedämpften Fall (ohne Energie-
(Scheitelwert oder Amplitude ŷ). Der Schei- verluste) die Amplitude unendlich an (Reso-
telwert der Schwingung, die als ungedämpfte nanzkatastrophe). Im gedämpften Fall steigt
freie Schwingung bezeichnet wird, ist konstant dagegen die Amplitude bei Resonanz ledig-
und abhängig vom Energiebetrag, mit dem lich bis auf einen endlichen Maximalwert der
die freie Schwingung erregt wurde. Wirken Auslenkung an, bei dem der Energieverlust je
dagegen äußere Kräfte, z. B. die Reibung oder Schwingungsperiode gerade gleich der zuge-
Energieverluste des Oszillators, so nimmt führten Erregerenergie ist. Ist die Erregerfre-
5.1 Schwingungen 421

Abb. 5.3 Zusammenhang zwischen der Kreisbewegung und den harmonischen Schwingungen (a) bis (c) sowie
rotierende Zeiger in der komplexen Ebene (d)

quenz fE wesentlich niedriger als die Resonanz- Wird das periodisch wiederkehrende Muster
frequenz fR , so schwingen Erreger und Reso- als Auslenkung y aufgefasst, so kann der pe-
nator gleichphasig; die Phasenverschiebung γ riodische Vorgang mathematisch formuliert
zwischen den beiden Schwingungen ist null. werden:
Ist fE >> fR , dann schwingen Erreger und Re-
sonator gegenphasig; die Phasenverschiebung y(t) = y(t + T) . (5.2)
beträgt in diesem Fall γ = 180◦ . Ohne Dämp-
fung kommt es bei Resonanz zu einem Phasen-
sprung von Δγ = 180◦ . Mit Dämpfung verläuft Die Auslenkung y zu einer Zeit t ist gleich groß
die Phasenverschiebung mit zunehmender Er- wie die Auslenkung y zur Zeit t + T; hierbei
regerfrequenz stetig. ist T die Schwingungsdauer (Periode) des Sys-
Die wichtigste Eigenschaft aller schwingungs- tems. Im Allgemeinen ist die mathematische
fähigen Systeme ist die Periodizität. Beschreibung periodischer Auslenkungen,
wie z. B. regelmäßig wiederkehrender Spitzen,
Bei der Periodizität werden bestimmte sehr schwierig (Abschn. 5.1.4.3, Fourier-
Muster in konstanten Zeitintervallen analyse). In der Praxis gibt es jedoch viele
(Periode T) wiederholt. Schwingungen, deren Auslenkungs-Zeit-Ge-
setz durch eine mathematische Cosinus- bzw.
422 5 Schwingungen und Wellen

Sinus-Funktion beschrieben werden kann. tion des Zeigers auf die Waagrechte verstanden
Solche Schwingungen werden harmonische (Abb. 5.3a), so ergibt sich eine Cosinusfunk-
Schwingungen genannt. tion:
Die harmonische Schwingung lässt sich durch
den Vergleich mit der Parallelprojektion ei-
ner gleichförmigen Kreisbewegung anschau- y(t) = ŷ cos(ω0 t) . (5.3)
lich beschreiben. Abbildung 5.3 zeigt den Zu-
sammenhang zwischen der Kreisbewegung ei-
nes Zeigers mit konstanter Umlaufdauer T0 Wird dagegen die Auslenkung als Projektion
bzw. Winkelgeschwindigkeit ω0 = 2πf0 = des Zeigers auf die Senkrechte verstanden
2π/ T0 (5.1) und der Auslenkung y(t). (Der In- (Abb. 5.3b), so ergibt sich eine Sinusfunktion:
dex null bedeutet, dass es sich um Größen der
ungedämpften Schwingung handelt.)
Startet der Zeiger seine Bewegung im Null- y(t) = ŷ sin(ω0 t) . (5.4)
punkt und wird die Auslenkung y(t) als Projek-

Tabelle 5.1 Charakteristische Größen ungedämpfter harmonischer Schwingungen

Kenngröße Bedeutung

Periodizität
Schwingungsdauer T kleinste Zeitspanne zwischen zwei aufeinander folgenden, gleichen Schwin-
(Periode) gungszuständen (z. B. zeitlicher Abstand zwischen zwei Maxima oder Minima)
Frequenz f Anzahl der Schwingungen je Zeit
1
f = = N / tN in Hz (N: Anzahl der Schwingungen;
T tN : Zeit für N Schwingungen)

Kreisfrequenz ω ω = 2πf = in s−1
T
Auslenkungen bzw. Momentanwerte
Momentanwert y(t) momentane Auslenkung zur Zeit t (errechenbar aus (5.3) bis (5.5))
Scheitelwert ŷ maximaler Wert der Auslenkung (für sin(ωt + ϕ0 ) oder cos (ωt + ϕ0 ) = 1)
(Amplitude)
Phasenwinkel
Nullphasenwinkel ϕ0 Anfangslage des schwingenden Systems zur Zeit t = 0. Es folgt aus (5.5)
(Anfangsphase)
y(0)
ϕ0 = arc cos (5.6)

ϕ0 > 0: voreilend
ϕ0 < 0: nacheilend
allgemeiner Phasen- ϕ = ωt + ϕ0
winkel (Momentan- Summe der Phasenlage eines Punktes zur Zeit t (ωt) und des
phase) ϕ Nullphasenwinkels ϕ0
Phase
Phase augenblicklicher Zustand einer Schwingung (bestimmt durch zwei Schwin-
gungsgrößen, z. B. Weg und Zeit)
5.1 Schwingungen 423

Ist der Zeiger um einen Winkel ϕ0 vom


Nullpunkt verschoben (Nullphasenwinkel)
und wird er auf die Waagrechte projiziert,
dann ergibt sich eine phasenverschobene
Cosinusfunktion:

y(t) = ŷ cos(ω0 t + ϕ0 ) (5.5)

Gleichungen (5.3) bis (5.5) beschreiben das


Weg-Zeit-Gesetz der harmonischen Schwin-
gung. Sie zeigen, dass harmonische Schwin-
gungen beschrieben werden durch
– eine für das schwingungsfähige System ty-
pische Kreisfrequenz ω0 = 2πf0 = 2π/ T0
und durch
– die zwei Konstanten ŷ und ϕ0 , die von den
Anfangsbedingungen abhängen.
Abbildung 5.3d zeigt die Analogie zwischen
einer Kreisbewegung von Zeigern und der
Darstellung komplexer Zahlen nach der Eu-
Abb. 5.4 Charakteristische Kenngrößen harmonischer
ler’schen Formel. Werden in der waagrechten Schwingungen
Achse (x-Achse) die Realteile und in der senk-
rechten Achse (y-Achse) die Imaginärteile (j) gung kommt später. Es sind T0 , ω0 , ϕ0 und y(t) zur Zeit
aufgezeichnet, dann kann ein komplexer Zei- t = 11 s zu berechnen.
ger r ej(ωt+ϕ0 ) in seinen Realteil r cos(ωt + ϕ0 )
und seinen Imaginärteil r sin(ωt + ϕ0 ) zer-
Lösung
T0 = 1/ f0 = 5 s; ω0 = 2πf0 = 0,4π s−1 . Für den
legt werden. Wegen dieses Zusammenhangs Nullphasenwinkel ϕ0 gilt nach (5.6) in Tabelle 5.1
zwischen den trigonometrischen Funktionen cos ϕ0 = y(0)/ ŷ; ϕ0 = −60◦ (da Maximum später);
im Bereich der komplexen Zahlen mit der ϕ0 = −1,05.
Exponentialfunktion wird das Verhalten von
y(t) = 2 cm cos(0,4π t/ s − 1,05) ,
Schwingungen häufig mit komplexen Zahlen
y(11 s) = 2 cm cos(0,4π 11 − 1,05) = 1,96 cm .
in der komplexen Ebene beschrieben.
Die wichtigsten Kenngrößen harmonischer
Schwingungen sind in Tabelle 5.1 zusammen- 5.1.2 Freie Schwingung
gestellt und in Abb. 5.4 veranschaulicht. Die
genormten Definitionen sind in DIN 1311 zu 5.1.2.1 Differentialgleichung
finden. des ungedämpften Feder-Masse-Systems
Für das eindimensionale Feder-Masse-System
Beispiel in Abb. 5.5 gilt die Newton’sche Bewegungsglei-
5.1-1 Eine harmonische Schwingung hat die Frequenz chung
f0 = 0,2 Hz, die Amplitude ŷ = 2 cm und die Anfangs-
auslenkung y(0) = 1 cm. Das Maximum der Schwin- Fa = ma
424 5 Schwingungen und Wellen

– eine Gleichung zweiter Ordnung, d. h., die


höchste Ableitung ist die zweite Ableitung;
– homogen, d. h., die Differentialgleichung
wird null, wenn die Werte der Variablen
und deren Ableitungen null werden, und
sie hat
– konstante Koeffizienten, d. h., die Faktoren
vor den Variablen und deren Ableitungen
Abb. 5.5 Eindimensionales Feder-Masse-System sind konstant.

Die Lösung der Differentialgleichung (5.8) ent-


mit der von außen wirksamen Kraft Fa gleich sprechend (5.5) wird durch folgenden Ansatz
der Federkraft Fk , die nach dem Hooke’schen erreicht:
Gesetz (Abschn. 2.3.4) als rücktreibende Kraft
proportional und entgegengesetzt zur Auslen- Weg-Zeit-Gleichung:
kung y ist (Fk ∼ −y). Es gilt
y(t) = ŷ cos(ω0 t + ϕ0 ) , (5.5)
Geschwindigkeit-Zeit-Gleichung:
Fa = Fk = −ky . (5.7) dy
= (t) = −ŷ ω0 sin(ω0 t + ϕ0 ) , (5.9)
dt
Die Proportionalitätskonstante k wird Feder- Beschleunigung-Zeit-Gleichung:
konstante genannt. Damit ist aus dem New- d2 y
= a(t) = −ŷ ω20 cos(ω0 t + ϕ0 ) .
ton’schen Gesetz abzuleiten dt2
(5.10)
−ky = ma .

Für die Beschleunigung in Auslenkungsrich- Werden die Weg-Zeit-Gleichung (5.5) und die
tung y gilt a = d2 y/ dt2 , somit ist Beschleunigung-Zeit-Gleichung (5.10) in die
d2 y Differentialgleichung (5.8) eingesetzt, so er-
− ky = m oder gibt sich
dt2
d2 y k
m + ky = 0 oder −ŷ ω20 cos(ω0 t + ϕ0 ) + ŷ cos(ω0 t + ϕ0 ) = 0 .
dt2 m
Der Term ŷ cos(ω0 t + ϕ0 ) kürzt sich heraus,
sodass gilt
d2 y k
+ y=0. (5.8) k
dt2 m −ω20 + =0,
m

Diese Gleichung ist die Differentialgleichung k


(DGL) des linearen Feder-Masse-Systems mit ω20 = . (5.11)
m
folgenden Eigenschaften: Sie ist
– linear, d. h., die Variable oder ihre Ableitun- Das Quadrat der Kreisfrequenz ω0 hängt so-
gen treten nicht als Produkte oder Potenzen mit nur ab von den charakteristischen Kon-
auf; stanten Masse und Federkonstante (Federstei-
5.1 Schwingungen 425

figkeit) des Feder-Masse-Systems. Aus (5.11) Abbildung 5.6a zeigt den Weg-Zeit-Verlauf
errechnet sich des Feder-Masse-Systems. Bei der Momentan-
phase ϕ = 0 ist der Körper bis zur Amplitude ŷ

k ω0 ausgelenkt. Er läuft bei ϕ = π/ 2 durch den
ω0 = und f0 = , (5.12) Nullpunkt, drückt bei ϕ = π die Feder um die
m 2π

2π m negative Amplitude zusammen, schwingt bei
T0 = = 2π . (5.13) ϕ = 3π/ 2 wieder durch den Nullpunkt und
ω0 k
ist bei ϕ = 2π wieder maximal ausgelenkt. In

Abb. 5.6 Bewegungsverhalten des Feder-Masse-Systems


426 5 Schwingungen und Wellen

Abb. 5.6b sind die periodischen Abläufe der dass sie für alle freien, ungedämpften har-
drei Bewegungsgleichungen dargestellt: monischen Schwingungen gültig ist. In dieser
– das Weg-Zeit-Gesetz y(t) (5.5) mit durchge- allgemeinen Form lautet sie
zogener Linie,
– das Geschwindigkeit-Zeit-Gesetz (t) (5.9), d2
gestrichelt, und (Variable) + Konstante
dt2
– das Beschleunigung-Zeit-Gesetz a(t) (5.10), · (Variable) = 0 . (5.17)
strichpunktiert.
Für die Maximalwerte von Weg y, Geschwin-
Sie hat die Lösung
digkeit und Beschleunigung a gilt

ymax = ŷ , (5.14) Variable = Variablemax · cos(ω0 t + ϕ0 )

max = ŷω0 , (5.15) mit ω20 = Konstante . (5.18), (5.19)

amax = ŷω20 . (5.16)


Daraus errechnet sich

Die Bewegungsabläufe zeigen, dass in der Aus- √


gangslage ϕ = 0 die Auslenkung maximal, ω0 = Konstante , (5.20)

die Geschwindigkeit des Körpers gleich null 2π 1
und die Beschleunigung in negativer Richtung T0 = = 2π . (5.21)
ω0 Konstante
maximal ist. Dies bedeutet, die gesamte Ener-
gie des Systems ist in der potentiellen Energie
der Feder gespeichert. Beim Winkel ϕ = π/ 2 Abbildung 5.7 zeigt, wie die allgemeine Struk-
schwingt der Körper durch den Nullpunkt. In tur der Differentialgleichung nach (5.17) her-
diesem Fall ist die Auslenkung gleich null (und geleitet werden kann. Um die hier auftretenden
damit die Beschleunigung) und die Geschwin- Drehwinkel vom Phasenwinkel ϕ unterschei-
digkeit des Körpers maximal. Es ist die ge- den zu können, sind sie mit β bezeichnet.
samte potentielle Energie der Feder in kineti- Als Voraussetzung zur Gültigkeit der Dif-
sche Energie des Körpers verwandelt worden, ferentialgleichung muss sichergestellt sein,
die sich nach ϕ = π wieder in potentielle Ener- dass die Bewegungsursache proportional
gie der Feder, nach ϕ = 3π/ 2 wieder beim Null- und entgegengesetzt zur Variablen ist. Da
durchgang in kinetische Energie des Körpers die Bewegungsursache für die Translation
und nach ϕ = 2π wieder in potentielle Energie Kräfte und für die Rotation Drehmomente
der Feder verwandelt. Am Beispiel des Feder- sind, müssen Kräfte und Drehmoment die-
Masse-Systems wird deutlich, dass bei Schwin- sen Forderungen genügen. Als allgemeine
gungen Energie zwischen Energiezuständen Proportionalitätskonstanten werden für
periodisch hin- und hergeschoben wird. die Translation konstT und für die Rota-
tion konstR gesetzt. Aus dem Newton’schen
5.1.2.2 Allgemeine Differentialgleichung der Gesetz für die Bewegung F = ma bzw.
freien, ungedämpften harmonischen Schwingung M = J α ergibt sich durch Umstellen und
Die Differentialgleichung des Feder-Masse- Ordnen der Glieder nach fallenden Ab-
Systems (5.8) kann so verallgemeinert werden, leitungen die entsprechende Differential-
5.1 Schwingungen 427

5.1.2.3 Differentialgleichungen und Lösungen


spezieller mechanischer Schwingungssysteme
Zur Aufstellung der Differentialgleichung des
Feder-Masse-Systems und ihrer Lösung sei auf
Abschn. 5.1.2.1 verwiesen. Im Folgenden wer-
den die sonstigen mechanischen Pendel be-
schrieben.

Mathematisches Pendel
Das mathematische Pendel (Abb. 5.8) besteht
aus einer punktförmigen Masse, die an einem
unelastischen Faden mit der Länge l aufge-
hängt ist. (Die Masse des Fadens ist gegen-
über der punktförmigen Masse vernachlässig-
bar klein.) Wird das mathematische Pendel um
den Drehwinkel β bis zum Punkt B ausgelenkt,
so gilt nach dem Energieerhaltungssatz

EAkin (β̇) = EBpot (β) .

Die kinetische Energie im Punkt A beträgt

Abb. 5.7 Struktur der Differentialgleichung einer 1


EAkin (β̇) = m(l β̇)2
freien, ungedämpften harmonischen Schwingung 2
und die potentielle Energie am Punkt B
gleichung für die Translation bzw. für die
EBpot (β) = mgl(1 − cos β) .
Rotation mit ihren Lösungen für y bzw. β
und ω0 . Da nach (5.22) die Energieänderung gleich null
Die Differentialgleichung (5.17) kann auch aus sein muss, gilt
dem Energieerhaltungssatz hergeleitet wer-
dEges
den. (Ein Punkt bzw. zwei Punkte über y be- = ml2 β̇ β̈ + mgl sin β β̇ = 0
deuten die erste bzw. zweite Ableitung nach dt
der Zeit.) Es gilt

Eges = Ekin (ẏ) + Epot (y) = konstant

oder

dEges dEkin dEpot


= ÿ + ẏ = 0 (5.22)
dt dẏ dy

(s. auch Herleitung der Differentialgleichung


eines mathematischen Pendels). Abb. 5.8 Mathematisches Pendel
428 5 Schwingungen und Wellen

Daraus ergibt sich die Differentialgleichung Tabelle 5.2 Korrekturfaktor für größere Auslenkungs-
winkel
g
β̈ + sin β = 0 . (5.23) Winkel Korrekturfaktor
l
1◦ 1,00002
Diese beschreibt keine harmonische Schwin- 5◦ 1,00048
gung. Die nach (5.17) geforderte Differenti- 10◦ 1,00191
30◦ 1,01741
algleichung entsteht dadurch, dass sin β ≈ β 45◦ 1,03997
gesetzt wird (Abbruch der Reihenentwicklung
β3 β5 β7
sin β = β− + + − · · · nach dem

3! 5! 7! Schwingungsdauer recht genau mit (5.27) be-
ersten Glied). Damit ergibt sich rechnet werden kann.
Wie (5.27) zeigt, hängt die Schwingungs-
g
β̈ + β = 0 . (5.24) dauer T0 nicht von der Masse des angehängten
l Körpers ab. Mit diesem Pendel gelang es
L. Foucault (1819 bis 1868), die Erdbe-
Die Lösung lautet schleunigung experimentell sehr genau zu
bestimmen.

β(t) = β̂ cos(ω0 t + ϕ0 ) (5.25)


Torsionsschwinger
g
mit ω0 = (5.26) Wird ein Körper an einem Torsionsfaden ge-
l mäß Abb. 5.9 aufgehängt und vollführt er um

l die Aufhängungsachse AA Drehschwingun-
und T0 =2π . (5.27)
gen, so handelt es sich um einen Torsions-
g
schwinger. Es gilt dabei das Newton’sche Ge-
setz der Rotation: Ma = J α.
Die exakte Lösung der Schwingungsdauer T0 Das äußere Moment Ma ist ein Rückstellmo-
nach der Differentialgleichung (5.23) lässt sich ment, das proportional und entgegengesetzt
als Reihenentwicklung darstellen: zum Drehwinkel β wirkt: Ma = −kt β.
Die Proportionalitätskonstante kt wird als
2 Drehfedersteifigkeit bezeichnet. Das Massen-
1 1 1·3 2 4
T0 = 2π 1+ 2
a + a trägheitsmoment J ist längs der Achse AA
g 2 2·4
wirksam (JA ). Mit α = d2 β/ dt2 = β̈ ergibt sich

1·3·5 2 6
+ a + ··· (5.28) −kt β = JA β̈ .
2·4·6

mit a = sin(β̂/ 2) im großen Klammer-Aus-


druck, der als Korrekturfaktor anzusehen ist.
Tabelle 5.2 enthält Korrekturfaktoren für zu-
nehmende Winkelausschläge β. So beträgt die
Abweichung für β̂ = 10◦ beispielsweise 1,9%.
Dies bedeutet, dass für kleine Ausschläge β̂ die Abb. 5.9 Torsionsschwinger
5.1 Schwingungen 429

Umgeformt ergibt sich die Differentialglei- per als Torsionsschwinger aufgehängt. Die Kalibrie-
chung rung der Aufhängung geschieht mit einem Körper, des-
sen Trägheitsmoment bekannt ist. Es ist ein Stahlzylin-
der mit dem Durchmesser d = 80 mm und der Länge
kt l = 150 mm, der für 10 Schwingungen eine Zeit von
β̈ + β=0 (5.29)
JA 67,8 s braucht. Der zu messende Körper benötigt für
10 Schwingungen 107,5 s. Wie groß ist das Massenträg-
heitsmoment dieses Körpers? (Aufhängung immer in
mit der Lösung der Schwereachse.)

Lösung
β(t) = β̂ cos(ω0 t + ϕ0 ) , (5.30) Für den Eichkörper gilt nach (5.32)

kt J0 4π2 J0
T0 = 2π , kt =
ω0 = , (5.31) kt T02
;
JA
für den Messkörper gilt analog
2π JA
T0 = = 2π . (5.32)
ω0 kt kt =
4π2 J
.

T02

Durch Gleichsetzen ergibt sich für das Massenträg-


Der Torsionsschwinger erlaubt, Massenträg-
heitsmoment des Messkörpers
heitsmomente aus der Messung der Schwin-
gungsdauer experimentell zu ermitteln. Es gilt
T02
J = J0 . (5.34)
T02
T02
JA = kt . (5.33)
4 π2 Das Massenträgheitsmoment des Eichkörpers ist
m 2
J0 = r = 4,74 · 10−3 kg m2 .
Falls die Aufhängeachse nicht durch den 2
Schwerpunkt geht, muss der Steiner’sche Satz Damit ergibt sich gemäß (5.34) mit den gemessenen
(Abschn. 2.9.5) berücksichtigt werden, wie in Schwingungsdauern T0 = 6,78 s und T0 = 10,75 s
Abb. 5.10 verdeutlicht. J = 11,9 · 10−3 kg m2 .
Beispiel
5.1-2 Zur Bestimmung des Massenträgheitsmomen-
Physisches Pendel
tes werden geometrisch unregelmäßig geformte Kör-
Ein physisches Pendel ist ein starrer Körper,
der entsprechend Abb. 5.11 um den Aufhänge-
punkt A schwingen kann. Es gilt das Newton’-
sche Bewegungsgesetz für die Rotation: Ma =
JA α = JA β̈; hierbei ist das äußere Drehmo-
ment Ma das rücktreibende Moment aufgrund
der Gewichtskraft FG . Somit gilt Ma = −FG d
und da der Hebelarm d = r sin β ist, lässt sich
schreiben
Abb. 5.10 Steiner’scher Satz zur Berechnung von
Trägheitsmomenten −F G r sin β = JA β̈ .
430 5 Schwingungen und Wellen

Pendels gleicher Schwingungsdauer zurück-


geführt. Diese Pendellänge wird reduzierte
Pendellänge lred genannt und ist für spezielle
Körper in Handbüchern der Technik tabelliert.
Da die Schwingungsdauer beider Pendel gleich
groß sein soll, gilt

T0
phys
= T0math ,
Abb. 5.11 Physisches Pendel
JA lred
2π = 2π .
Um zur allgemeinen Struktur der Differen- mgr g
tialgleichung (5.17) zu gelangen, muss sin β
durch den Winkel β ersetzt werden (siehe Nä- Daraus ergibt sich
herungsformel für mathematisches Pendel).
Dann gilt JA
lred = . (5.40)
mr
−FG r β = JA β̈ oder

Beispiel
mgr
β̈ + β=0. (5.35) 5.1-3 Ein Rad gemäß Abb. 5.12 mit der Masse m = 1 kg
JA und den Abmessungen di = 96 mm und da = 125 mm
pendelt an einer Schneide A. Die Periodendauer be-
Die Lösung lautet trägt T0 = 0,65 s. Ermittelt werden sollen das Massen-
trägheitsmoment um den Schwerpunkt und die redu-
zierte Pendellänge.
β(t) = β̂ cos(ω0 t + ϕ0 ) , (5.36)
Lösung
mgr Nach dem Steiner’schen Satz ist JS = JA − m ri2 ; hierbei
ω0 = , (5.37)
JA errechnet sich JA aus (5.39) mit r = ri . Somit ist
2
2π JA JS = mri
T0
= = 2π i = 2,74 · 10 kg m .
−3 2
T0 . (5.38) g − r
ω0 mgr 4π2
Für die reduzierte Pendellänge gilt nach (5.40)
und (5.39)
Mit Hilfe eines physischen Pendels können –
T02
wie mit einem Torsionspendel – Massenträg- lred = g = 0,105 m .
4π2
heitsmomente gemessen werden. Auch hierbei
muss zur Berechnung von JS der Steiner’sche
Satz (Abb. 5.10) berücksichtigt werden. Es gilt
nach (5.38)

T02
JA = mgr . (5.39)
4π2

Häufig wird in der Technik die Schwin-


gungsdauer eines physischen Pendels auf die
entsprechende Länge eines mathematischen Abb. 5.12 Zu Beispiel 5.1-3
5.1 Schwingungen 431

Flüssigkeitspendel im U-Rohr
Wird in ein U-Rohr mit konstantem Quer-
schnitt A eine Flüssigkeit der Dichte ρ ein-
gefüllt, so stellt sich im Gleichgewicht eine U-
förmige Flüssigkeitssäule der Länge l ein. Wird
der Gleichgewichtshorizont – die gestrichelte
Linie in Abb. 5.13 – um y verschoben, dann
ist eine Differenz der Flüssigkeitsniveaus von
Abb. 5.13 Flüssigkeitspendel im U-Rohr
2y vorhanden. Das Gewicht der überstehenden
Flüssigkeitsmasse mF1 (gekennzeichneter Be-
2g
reich) bewirkt eine rücktreibende Kraft. Nach ÿ + y=0 (5.45)
dem Newton’schen Gesetz gilt l

= ma ,
Fa vereinfacht. Die Lösung ist
−mF1 g = mges ÿ .
y(t) = ŷ cos(ω0 t + ϕ0 ) , (5-42)
Die Masse der überstehenden Flüssigkeits-
2g
menge kann errechnet werden aus ω0 = , (5.46)
l

mFl = VFl ρ = A2yρ . 2π l
T0 = = 2π . (5.47)
ω0 2g
Daraus ergibt sich

−2Aρgy = mges ÿ Aus (5.47) geht hervor, dass die Schwingungs-


dauer des Flüssigkeitspendels nicht von der
Die Differentialgleichung des Flüssigkeitspen- Dichte ρ der Flüssigkeit oder dem Querschnitt
dels lautet dann des U-Rohrs abhängt. Ferner entspricht die
Schwingungsdauer des Flüssigkeitspendels
2Aρg der des mathematischen Pendels mit der
ÿ + y=0. (5.41)
mges halben Länge der Flüssigkeitssäule.
In Abb. 5.14 sind die Differentialgleichungen
und deren Lösungen für die hier beschriebe-
Allgemein gilt nen mechanischen Pendel zusammengestellt.

Beispiel
y(t) = ŷ cos(ω0 t + ϕ0 ) , (5.42) 5.1-4 In einem U-Rohr mit einem lichten Durchmes-
ser von di = 1 cm schwingt eine Quecksilbersäule nach
2Aρg
ω0 = , (5.43) einer einmaligen Auslenkung um 3 cm. Die Masse des
mges Quecksilbers beträgt 0,5 kg. Berechnet werden sollen
T0 , ω0 und f0 . Wie ändern sich diese Größen, wenn
2π mges
T0 = = 2π . (5.44) das U-Rohr, wie in Abb. 5.15 dargestellt, um 50◦ zur
ω0 2Aρg Waagrechten geneigt ist?

Lösung
Für die gesamte Masse gilt mges = Alρ, sodass Nach (5.44) ist T0 = 0,974 s, f0 = 1/ T0 = 1,027 Hz
sich die Differentialgleichung (5.41) zu ω0 = 2πf0 = 6,45 s−1 .
432 5 Schwingungen und Wellen

5.1.2.4 Gesamtenergie der freien, ungedämpften


Schwingung
Für das Feder-Masse-System soll die Gesamt-
energie berechnet werden. Es gilt

Eges (t) = Epot (t) + Ekin (t) . (5.48)

Die potentielle Energie errechnet sich gemäß


1
Epot (t) = ky(t)2
2
mit

y(t) = ŷ cos(ω0 t + ϕ0 ) ,

dann ist

1
Epot (t) = kŷ2 cos2 (ω0 t + ϕ0 ) . (5.49)
2

Für die kinetische Energie gilt


1
Ekin (t) = m(t)2
2
mit

Abb.5.14 Mechanische Schwingungssysteme mit ihren (t) = −ŷω0 sin(ω0 t + ϕ0 ) ,


Differentialgleichungen und Eigenkreisfrequenzen ω0
dann ist

Bei einer Schenkelneigung von γ = 50◦ wirkt die rück-


1
treibende Kraft Frück = −mFl g sin γ = −2 Aρg sin γ y. Ekin (t) = mŷ2 ω20 sin2 (ω0 t + ϕ0 ) .
Diese Kraft beschleunigt die Gesamtmasse mges = Aρ l. 2
2 g sin γ (5.50)
Die Differentialgleichung ÿ + y = 0 führt zu
l
2 g sin γ
ω0 = = 5,65 s−1 , f0 = 0,90 Hz, T0 = 1,11 s.
l Nach (5.11) ist mω20 = k, sodass für die kineti-
sche Energie auch geschrieben werden kann

1
Ekin (t) = kŷ2 sin2 (ω0 t + ϕ0 ) . (5.51)
2

Werden (5.49) und (5.50) in die Gleichung für


den Energieerhaltungssatz (5.48) eingesetzt,
Abb. 5.15 Zu Beispiel 5.1-4 dann ergibt sich
5.1 Schwingungen 433

Abb. 5.16 Energieerhaltung bei Schwingungsvorgängen

Einführung zu diesem Hauptabschnitt er-


1 2
Eges (t) = kŷ [cos2 (ω0 t + ϕ0 ) wähnt – die Grundeigenschaft von Schwin-
2 gungen.
+ sin2 (ω0 t + ϕ0 )] . (5.52)

5.1.2.5 Elektromagnetische Schwingung


Mit cos (ω0 t) + sin (ω0 t) = 1, ˆ
2 2
= ω0 ŷ und Ein elektromagnetischer Schwingkreis besteht
k = m ω20 gelten die Beziehungen aus einem Kondensator der Kapazität C und
einer Spule der Induktivität L gemäß Abb. 5.17
(s. a. Abschn. 5.1.2.5). Für den Stromkreis gilt,
1 1
Eges (t) = kŷ2 = mω20 ŷ2 dass die Summe aller Spannungen gleich null
2 2 ist:
1 2
= mˆ = konstant . (5.53)
2
uL + uC =0. (5.54)

Somit ist bestätigt, dass die gesamte Schwin-


gungsenergie der freien, ungedämpften Abbildung 5.18 zeigt die Differentialgleichun-
Schwingung zu jeder Zeit konstant ist. Die gen und deren Lösungen für die Schwingung
Gesamtenergie ist proportional zum Qua- der Ladung q, der Stromstärke i und der Span-
drat der Schwingungsamplitude ŷ2 bzw. der nung am Kondensator uC . Alle Schwingungen
Maximalgeschwindigkeit ˆ2 . haben dieselbe Kreisfrequenz ω0 bzw. Peri-
In Abb. 5.16 ist der zeitliche Verlauf der odendauer T0 :
potentiellen Energie Epot (t), der kineti-
schen Energie Ekin (t) und der Gesamtener-
gie Eges (t) eingezeichnet. Es wird deutlich,
dass die Summe von potentieller und ki-
netischer Energie zu jedem Zeitpunkt t
gleich dem Wert der gesamten Energie
Eges (t) ist. Außerdem erkennt man, dass sich
die potentielle und kinetische Energie mit
der doppelten Systemfrequenz periodisch
hin- und herbewegen. Dieser periodische Abb. 5.17 Ungedämpfter elektromagnetischer
Energieaustausch ist – wie bereits in der Schwingkreis
434 5 Schwingungen und Wellen

Abb. 5.18 Differentialgleichungen und ihre Lösungen im ungedämpften elektromagnetischen Schwingkreis

1
î = q̂ω0 = q̂ √ = 20 mA ;
1 LC
ω0 = √ , (5.61)
LC
√ der Phasenwinkel ist ϕ0i = − π2 .
T0 = 2 π LC . (5.62) c) Für die Frequenz gilt

ω0 1
f0 = = √ = 1,59 · 103 s−1 .
(s. Thomson-Gl. (4.293)). 2π 2π LC

Beispiel
Abbildung 5.19 zeigt die Analogie mechani-
5.1-5 Die Kapazität des Schwingkreises (Abb. 5.17)
wird in Schalterstellung 0-2 durch eine angelegte scher (am Beispiel des Feder-Masse-Systems)
Gleichspannung U0 aufgeladen und durch Umschalten und elektromagnetischer Schwingungen (am
auf Stellung 1-2 wird die Schwingung erregt. Es ist Beispiel des Schwingkreises Kondensator–
U0 = 2 V, L = 10 mH und C = 1 μF. Zu berechnen Spule). Während beim mechanischen System
sind die Auslenkung periodisch schwingt und ein
a) Amplitude q̂ und Nullphasenwinkel ϕ0q der Ladung, periodischer Austausch zwischen potentieller
b) Amplitude î und Nullphasenwinkel ϕ0i der Strom- und kinetischer Energie stattfindet, schwingt
stärke sowie im elektromagnetischen System die Ladung
c) die Eigenfrequenz f0 . zwischen Kapazität und Spule hin und her
und es findet ein periodischer Austausch
Lösung zwischen elektrischer und magnetischer
a) Es gilt q̂ = CûC mit ûC = U0 . Also ist q̂ = 2 · 10−6 C; Energie statt. Der Masse im mechanischen
für den Nullphasenwinkel gilt ϕ0q = ϕ0u = 0. System entspricht die Spule im elektroma-
b) Es ist gnetischen Schwingkreis, die sich als träges
dq Element der Stromänderung widersetzt. Die
i= = −q̂ω0 sin(ω0 t) rücktreibende Kraft ist im mechanischen
dt
π
= q̂ω0 cos ω0 t − ; System proportional zur Federkonstanten k
2 und im elektromagnetischen Schwingkreis
die Amplitude beträgt umso größer, je kleiner die Kapazität ist.
5.1 Schwingungen 435

Abb. 5.19 Analogie mechanischer und elektromagnetischer Schwingungen


436 5 Schwingungen und Wellen

Im Ausgangszustand (Abb. 5.19, ϕ = 0) ist im gungsenergie mehr vorhanden ist. Tabelle 5.3
mechanischen System die Auslenkung maxi- zeigt übersichtlich drei unterschiedliche Rei-
mal und deshalb die potentielle Energie maxi- bungskräfte bei freien, gedämpften Schwin-
mal und die kinetische Energie null. Im elek- gungen:
tromagnetischen Schwingkreis ist die Konden-
satorspannung und somit die elektrische Ener- – die geschwindigkeitsunabhängige Gleit-
gie maximal; dagegen fließt kein Strom durch oder Rollreibungskraft
die Spule, sodass die magnetische Energie null
ist. Nach einem Winkel von π/ 2 durchläuft
die Masse mit maximaler Geschwindigkeit die FR = μFN , (5.63)
Nulllage. Die potentielle Energie ist null und
die kinetische Energie maximal. Entsprechend
– die geschwindigkeitsabhängige Reibungs-
ist im elektromagnetischen Schwingkreis die
kraft, die proportional zur Geschwindigkeit
Spannung am Kondensator und damit die
ist (Newton’sches Reibungsgesetz der vis-
elektrische Energie gleich null, während der
kosen Reibung),
Spulenstrom und die magnetische Energie ma-
ximal sind. Im mechanischen bzw. elektroma-
gnetischen Schwingungssystem wiederholen FR = −d , (5.64)
sich diese Zustände periodisch.

5.1.2.6 Freie gedämpfte Schwingung – die geschwindigkeitsabhängige Reibungs-


Wird eine freie Schwingung durch Wirken kraft, die proportional zum Quadrat der
von Reibungskräften gedämpft, so kommt die Geschwindigkeit ist (z. B. Luftreibung),
Schwingung im Laufe der Zeit zur Ruhe. Ener-
getisch betrachtet wird ein Teil der Schwin-
gungsenergie in thermische Energie verwan- FR = b2 . (5.65)
delt, und zwar so lange, bis keine Schwin-

Tabelle 5.3 Unterschiedliche Reibungskräfte und die entsprechenden Differentialgleichungen bei gedämpften
Schwingungen

Reibungskraft geschwindigkeitsunab- geschwindigkeitsab- geschwindigkeitsab-


hängige Reibungskraft hängige viskose hängige Luftreibungs-
Reibungskraft kraft
FR = μ FN FR = −d FR = b2

mÿ ± μFN + ky = 0 mÿ + dẏ + ky = 0 mÿ ± bẏ2 + ky = 0


Substitution:
μFN
Differentialgleichung y0 =
k
des Feder-Masse-
d k b 2 k
Systems s = y ± y0 ÿ + ẏ + y = 0 ÿ ± ẏ + y = 0
m m m m
s̈ = ÿ
k
s̈ + s=0
m
5.1 Schwingungen 437

Auch die Differentialgleichungen des Feder- tung-y) bewegt, wirkt die Reibungskraft in
Masse-Systems sind für diese drei Fälle in Ta- negativer oder positiver y-Richtung. Deshalb
belle 5.3 zusammengestellt. Die Lösungen wer- müssen diese Bewegungsabläufe getrennt be-
den (bis auf die vom Quadrat der Geschwindig- trachtet werden. Abbildung 5.20 zeigt eine
keit abhängige Reibungskraft) im Folgenden Übersicht.
näher erläutert. Für die Aufwärtsbewegung gilt die Bewe-
gungsgleichung
Geschwindigkeitsunabhängige Reibungskraft
Je nachdem, ob sich der Körper nach oben mÿ + μ FN + ky = 0 . (5.66)
( in Richtung y) oder nach unten ( in Rich-

Abb. 5.20 Bewegungsabläufe beim Wirken einer geschwindigkeitsunabhängigen Reibungskraft


438 5 Schwingungen und Wellen

Die Konstante μFN kann gleich k y0 gesetzt und ihre Zahlenwerte einer arithmetischen Reihe
als konstante Vorspannung aufgefasst werden. entsprechen. Dieser Reibungsvorgang hat zur
Wird weiter y + y0 = s gesetzt, dann ergibt Folge, dass das System nicht genau bei y = 0
sich für s die Differentialgleichung der un- zur Ruhe kommt, sondern außerhalb (in die-
gedämpften harmonischen Schwingung (Ab- sem Fall bei −y0 ). Dies kann bei Messsyste-
schn. 5.1.2.2, (5.17)) men zu Nullpunktsabweichungen führen, die
bei der Auswertung von Messdaten berück-
k sichtigt werden müssen.
s̈ + s=0 (5.67)
m
Geschwindigkeitsproportionale (viskose) Reibung
Die Reibungskraft ist in diesem Fall propor-
mit der Lösung tional zur Geschwindigkeit (Newton’sches Rei-
bungsgesetz):
s = ŝ0 cos(ω0 t + ϕ0 ) , (5.68)

k FR = −d . (5-64)
ω0 = . (5.69)
m

Die Proportionalitätskonstante d heißt Dämp-


Durch Ersetzen von s durch y + y0 gilt für den fungskoeffizient. Die zugehörige Differential-
zeitlichen Verlauf der Auslenkung y gleichung (Tabelle 5.3) lautet

y = (ŷ + y0 ) cos(ω0 t + ϕ0 ) − y0 . (5.70) ÿ +


d k
ẏ + y = 0 . (5.73)
m m

Beginnt die Bewegung beim negativen Maxi- √


Der Faktor k/ m ist die Kreisfrequenz der un-
malwert A (ϕ0 = 0 am Punkt A) nach oben,
gedämpften Schwingung:
so findet eine völlig ungedämpfte Cosinus-
Schwingung statt, allerdings um die um –y0

verschobene t-Achse. Nach der halben Pe- k
riodendauer T0 / 2 ist die Schwingung am ω0 = . (5-11)
m
höchsten Punkt B angelangt. Dort beginnt
die Abwärtsbewegung, bei der die Reibungs-
kraft das Vorzeichen umkehrt (Abb. 5.20), Der Faktor d/ (2m) wird als Abklingkoeffizient
sodass eine ungedämpfte Schwingung um δ (in s−1 ) definiert:
die um +y0 verschobene t-Achse stattfindet.
Da die Kurve stetig verlaufen muss (unteres d
δ= . (5.74)
Teilbild in Abb. 5.20), ist nach jeder halben 2m
Periodendauer die Amplitude um 2 y0 kleiner,
d. h. nach einer ganzen Periodendauer T um
4μ FN Wie (5.79) verdeutlicht, beschreibt er die
4y0 = . exponentielle Amplitudenabnahme der
k
Die Amplituden werden aus diesem Grund freien, gedämpften harmonischen Schwin-
immer um denselben Betrag kleiner, sodass gung nach (5.73).
5.1 Schwingungen 439

Das Verhältnis von Abklingkoeffizient δ und Wie aus (5.79) weiter hervorgeht, nehmen die
Kreisfrequenz ω0 ergibt den dimensionslosen Amplituden entsprechend der Exponential-
Dämpfungsgrad ϑ der gedämpften Schwin- funktion e−δt ab. Dies heißt, dass aufeinan-
gung: der folgende Amplitudenverhältnisse konstant
sind. Für den zeitlichen Verlauf der mittleren
δ Schwingungsenergie ESch gilt deshalb
ϑ= . (5.75)
ω0
ESch (t) = ESch (0)e−2δt . (5.83)
Der doppelte Wert wird Verlustfaktor d∗ ge-
nannt. Sein Kehrwert ist die Güte Q:
Der Abklingkoeffizient δ kann sowohl analy-
d d tisch als auch grafisch ermittelt werden. Nach
d∗ = 2ϑ = =√ , (5.76)
mω0 mk (5.79) gilt für die Amplituden zweier aufein-
√ ander folgender Schwingungen
1 m ω0 mk
Q= = = . (5.77)
2ϑ d d ŷi+1 = ŷi e−δT d oder

Mit dem charakteristischen Parameter ϑ lau- ŷi


tet die Differentialgleichung eines freien, ge- = eδT d = c , (5.84)
ŷi+1
dämpften Systems

d. h., das Amplitudenverhältnis zweier aufein-


ÿ + 2ϑω0 ẏ + ω20 y = 0 . (5.78)
ander folgender Schwingungen ist konstant. Es
wird Dämpfungsverhältnis c genannt. Für die
Abbildung 5.21 zeigt die drei möglichen Lö- n-te Amplitude gilt entsprechend
sungsfälle dieser Differentialgleichung.
a) Schwingfall für ω0 > δ (ϑ < 1) ŷi
Die Lösung lautet = cn . (5.85)
ŷi+n

y(t) = ŷ0 e−δt cos(ω d t + ϕ0 ) . (5.79)


Zur Bestimmung des Abklingkoeffizienten δ
wird (5.84) logarithmiert. Der Logarithmus
Die Kreisfrequenz der gedämpften Schwin- zweier aufeinander folgenden Amplituden
gung ω d beträgt wird logarithmisches Dekrement Λ genannt:

k d2
ωd = − = ω20 − δ2 Λ = ln
ŷi
= ln(c) = δT d . (5.86)
m 4m2
√ ŷi+1
= ω0 1 − ϑ2 . (5.80) bis (5.82)

Dies bedeutet, dass die Kreisfrequenz des ge- Daraus errechnet sich der Abklingkoeffizient
dämpften Schwingers ω d kleiner als die Kreis-

frequenz des ungedämpften Schwingers ω0 ist. ŷi
ln
(Entsprechend größer ist die Periodendauer ŷi+1 Λ
der gedämpften Schwingung T d im Vergleich
δ= = . (5.87)
Td Td
zur ungedämpften Schwingung T0 .)
440 5 Schwingungen und Wellen

Abb. 5.21 Lösungen der drei Fälle bei gedämpften Systemen

Bei der grafischen Bestimmung von δ geht man Sie ist nach 20 Schwingungen noch halb so groß.
ebenfalls von (5.79) aus: Wie groß ist bei einer Schwingungsdauer T d = 2 s
das Dämpfungsverhältnis k, das logarithmische De-
ŷ(t) = ŷ0 e−δt . krement Λ, der Abklingkoeffizient δ und die Frequenz
des ungedämpften Systems? Wie lautet die Bewegungs-
Diese Gleichung wird durch Logarithmieren gleichung y(t) des gedämpften Systems?
auf eine Geradengleichung zurückgeführt:
Lösung

Nach (5.85) gilt 2 = c20 oder c = 20 2 = 1,0353. Das
ln(ŷ(t)/ ŷ0 ) = −δt , heißt, jede nachfolgende Amplitude ist um 3,4% klei-
ner als die vorausgegangene. Für das logarithmische
y = mx + b . (5.88)
Dekrement gilt nach (5.86)

Λ = ln(c) = 0,03466 .
Daraus ist ersichtlich, dass der Abklingkoef-
fizient δ der Steigung m der Geraden ent- Nach (5.87) errechnet sich der Abklingkoeffizient δ zu
spricht. In einer Graphik wird zweckmäßiger- Λ
weise auf halblogarithmischem Papier der Lo- δ= = 1,733 · 10−2 s−1 .
T
garithmus der Amplituden ŷi aufeinander fol-
Nach (5.81) (Abb. 5.21) errechnet sich ω0 zu
gender Schwingungen als Funktion der Zeit

aufgetragen und aus der Steigung der Abkling- ω0 = ω2d + δ2 = 3,14160 s−1 .
koeffizient δ bestimmt.
Die Kreisfrequenz des ungedämpften Systems ω0 ist
Beispiel im Vergleich zur Kreisfrequenz des gedämpften Sys-
5.1-6 Die Amplitude eines gedämpften Feder-Masse- tems ω d nur geringfügig größer (1/10 Promille). Dies
Systems beträgt zu Beginn der Schwingung ŷ0 = 10 cm. ist in der Praxis häufig der Fall.
5.1 Schwingungen 441

Abb. 5.22 Schwingfall, aperiodischer Grenzfall und Kriechfall eines gedämpften Systems mit den
Anfangsbedingungen y(0) = 1 und ẏ(0) = 0
442 5 Schwingungen und Wellen

Da y(0) = ŷ0 ist, ist der Nullphasenwinkel ϕ0 ≈ 0. Aus


den zuvor errechneten Werten ergibt sich gemäß (5.79)
folgende Bewegungsgleichung:

y(t) = 10 cm · e−1,73·10 cos(πs−1 t) .


−2 s−1 t

Abb. 5.23 Gedämpfter elektromagnetischer


b) Kriechfall für ω0 < δ (ϑ > 1)
Schwingkreis
Die Lösung ist in Abb. 5.21 durch (5.89) ange-
geben. In diesem Fall tritt keine Schwingung
mehr auf; die Amplitude nimmt ganz langsam ferentialgleichung aber über den Energiesatz
ab. Durch die Angabe der Anfangsbedingun- aufgestellt.
gen y(0) und ẏ(0) werden die beiden Integra- Da bei einer freien, gedämpften harmonischen
tionskonstanten y1 und y2 bestimmt. Schwingung die Energieverlustrate pro Zeit-
einheit konstant ist, gilt
c) Aperiodischer Grenzfall für ω0 = δ (ϑ = 1)
Die Lösung lautet für diesen Fall
dEges
− = i2 R . (5.91)
dt
−δt
y(t) = (y1 + c2 t)e . (5.90)

Die Verlustleistung i2 R kann auch noch Ver-


Die beiden Integrationskonstanten y1 und c2 luste, wie z. B. Wirbelstromverluste oder Um-
werden wieder durch die Anfangsbedingun- magnetisierungsverluste, enthalten. Mit dem
gen ermittelt. Beim aperiodischen Grenzfall Energieinhalt für Spule und Kapzaität entsteht
tritt gerade eben keine Schwingung mehr auf. aus (5.91)
Er spielt für viele Messgeräte eine wichtige
d 1 2 1 q2
Rolle, wenn Schwingungen vermieden und − Li + = i2 R ,
dt 2 2C
trotzdem die Messwerte möglichst schnell ein- d
di q
gestellt werden müssen. − L i − i = i2 R und: i ,
dt C dt
Abbildung 5.22 zeigt den Einfluss des Dämp-
d2 i i di
fungsgrades ϑ auf den Schwingungsverlauf. −L 2 − = R.
dt C dt
5.1.2.7 Gedämpfte elektromagnetische Daraus ergibt sich
Schwingung
Ein gedämpfter elektromagnetischer Schwing-
d2 i R di 1
kreis besteht entsprechend Abb. 5.23 aus ei- 2
+ + i=0. (5.92)
dt L dt LC
ner Spule L, einem Kondensator C und ei-
nem Ohm’schen Widerstand R (s. auch Ab-
schn. 4.5.2.2). Diese Differentialgleichung hat dieselbe Struk-
Aus der Forderung, dass die Summe aller tur wie die eines freien, gedämpften mecha-
Spannungen in einer Masche eines Stromkrei- nischen Systems (5.73). In Tabelle 5.4 sind
ses gleich null sein muss (uL + uC + uR = 0), die mechanischen und elektrischen Größen
kann die Differentialgleichung für den ge- von gedämpften schwingungsfähigen Syste-
dämpften elektromagnetischen Schwingkreis men sowie die Gleichungen für die Kreisfre-
hergeleitet werden. Im Folgenden wird die Dif- quenz ω0 , den Abklingkoeffizienten δ, den
5.1 Schwingungen 443

Tabelle 5.4 Charakteristische Kenngrößen mechani- trägt m = 30 g. Wird das Glas kurzzeitig ins Wasser
scher und elektromagnetischer Schwingkreise mit gedrückt, dann führt es Schwingungen aus.
Dämpfung
a) Es soll nachgewiesen werden, dass bei Vernachläs-
mechanisch elektromagnetisch sigung der Flüssigkeitsreibung eine harmonische
Schwingung in vertikaler Richtung vorliegt;
Masse m Induktivität der Spule L
ferner sollen berechnet werden
Dämpfungskon- Widerstand R
stante d Kehrwert der b) die „Federkonstante“ k, die Schwingungsdauer T0
1 und die Eigenkreisfrequenz ω0 des Systems,
Federkonstante k Kapazität
C c) die Abhängigkeit der Eigenkreisfrequenz ω0 vom
Kreisfrequenz ω0 Durchmesser d des Reagenzglases sowie

k 1 d) die potentielle und kinetische Energie zur Zeit
ω0 = ω0 = t = 1,2 s bei einer Amplitude von ŷ = 1 cm und
m LC
Abklingkoeffizient δ Nullphasen-Winkel ϕ0 = 0.
d R
δ= δ= (5.93)
2m 2L
Ü 5.1-3 Ein Schwingkreis mit einer Spule (L = 10 mH)
Dämpfungsgrad ϑ
hat einen Drehkondensator mit veränderlicher Kapazi-
δ d 1 δ R C tät C. Bei einer Änderung des Drehwinkels um γ = 180◦
ϑ= = ϑ= = (5.94)
ω0 2 mk ω0 2 L wird ein Frequenzbereich von 1 kHz bis 3 kHz überstri-
Güte Q chen. Berechnet werden soll die Abhängigkeit der Ei-

1 mk 1 1 L genkreisfrequenz ω0 von dem Drehwinkel γ des Dreh-
Q= = Q= = (5.95)
2ϑ d 2ϑ R C kondensators bei linearer Abhängigkeit der Kapazität
C vom Drehwinkel γ .

Dämpfungsgrad ϑ und die Güte Q gegenüber- Ü 5.1-4 Bei einer gedämpften Schwingung beträgt
gestellt. die Amplitude der ersten Schwingung 20 cm. Nach 15
Schwingungen nimmt sie um die Hälfte ab. Berechnet
Zur Übung werden sollen
Ü 5.1-1 Ein Körper führt eine ungedämpfte, harmo-
nische Schwingung mit folgender Weg-Zeit-Gleichung a) das Dämpfungsverhältnis c bzw. das logarithmische
aus: y(t) = 0,25 m · cos(4π s−1 t + π5 ). Dekrement Λ,
Berechnet werden sollen b) der Abklingkoeffizient δ bzw. die Kreisfrequenz
der gedämpften Schwingung ω d bei einer Schwin-
a) die Eigenkreisfrequenz ω0 , die Schwingungsdauer gungsdauer von T d = 3,5 s sowie
T0 , der Nullphasenwinkel ϕ0 und die Amplitude ŷ, c) die Schwingungsgleichung y(t) des gedämpften Sys-
b) die momentane Auslenkung y(t), die momentane tems (Nullphasenwinkel ϕ0 = 0).
Geschwindigkeit (t) und die momentane Beschleu-
nigung a(t) für die Zeit t = 1,2 s,
c) die maximale Geschwindigkeit max und die maxi-
male Beschleunigung amax sowie 5.1.3 Erzwungene Schwingung
d) die potentielle und die kinetische Energie eines
schwingenden Körpers der Masse m = 0,1 kg bei 5.1.3.1 Differentialgleichung der erzwungenen
der Auslenkung y(t) = 0,10 m. Schwingung
Wird einem mechanischen (oder elektrischen)
Ü 5.1-2 Ein Reagenzglas mit dem Durchmesser d = schwingungsfähigen System (Resonator) von
1,2 cm, in dem sich Blei befindet, schwimmt aufrecht einem äußeren Erreger eine periodische Kraft
im Wasser. Die Gesamtmasse (Reagenzglas + Blei) be- (oder Spannung) aufgezwungen, dann ergibt
444 5 Schwingungen und Wellen

sich eine erzwungene Schwingung. Nach einer 5.1.3.2 Lösung der Differentialgleichung
ausreichend langen Zeit (Einschwingdauer) der erzwungenen gedämpften Schwingung
wird das schwingungsfähige System mit der Die Differentialgleichung der erzwungenen
vom Erreger erzwungenen Kreisfrequenz Ω Schwingung (5.98) ist im Gegensatz zu der
schwingen. Differentialgleichung für die freie Schwingung
Für die folgenden Überlegungen wird das in inhomogen. Die allgemeine Lösung einer linea-
Abb. 5.24 dargestellte mechanische System be- ren, inhomogenen Differentialgleichung ist
trachtet. Hierbei gilt das Newton’sche Bewe-
gungsgesetz:
yinh = yhom + ypart , (5.99)

FFed + FR + FE = ma . (5.96)
d. h. die Summe aus der allgemeinen Lösung
der homogenen Differentialgleichung yhom
Für die periodisch erregende Kraft FE gelte und irgend einer, die inhomogene Differen-
tialgleichung befriedigenden partikulären
FE = F̂E cos(Ωt) . (5.97) Lösung ypart , wie aus Abb. 5.25 hervorgeht. Die
Lösung der homogenen Differentialgleichung
ist bereits bestimmt: Es ist die Bewegungs-
Hierbei ist F̂E der Maximalwert der erregenden gleichung des Schwingfalles (5.79) der freien,
dy gedämpften Schwingung (oberer Kurven-
Kraft. Mit FFed = −ky und FR = −d gilt
dt verlauf in Abb. 5.25). Infolge der Dämpfung
nimmt der Beitrag der homogenen Lösung mit
dy d2 y
−ky − d + F̂E cos(Ωt) = m 2 . der Zeit ab. Für Zeiten t >> 1/δ bestimmt allein
dt dt der Beitrag der partikulären Lösung (in die-
Durch geeignete Umstellung und unter Be- sem Fall die Schwingung mit der erregenden
rücksichtigung des Dämpfungsgrades ϑ ergibt Kreisfrequenz Ω) das Schwingungsverhalten.
sich die Differentialgleichung der erzwunge- Da das System nach einer Einschwingzeit der
nen Schwingung: Erregerschwingung (5.97) folgt, ist als Ansatz
für die partikuläre Lösung

d2 y dy F̂E
+ 2ϑ ω0 + ω20 y = cos(Ωt) .
dt 2 dt m ypart (t) = ŷ ej(Ωt−γ ) (5.100)
(5.98)

zu wählen. Der Winkel γ beschreibt die Pha-


senverschiebung zwischen der Erreger- und
der Resonatorschwingung. Abbildung 5.26
zeigt diesen Zusammenhang in der komple-
xen Ebene. Hierbei ist die erregende Kraft FE
ein komplexer Zeiger F̂E e jΩt , der mit der
erregenden Kreisfrequenz Ω rotiert. Die Aus-
Abb. 5.24 Erzwungene Schwingung des Feder-Masse- lenkung des Schwingers ŷ e j(Ωt−γ ) rotiert als
Systems Zeiger mit derselben Frequenz, jedoch um die
5.1 Schwingungen 445

Abb. 5.26 Erreger- und Resonatorschwingung in der


komplexen Ebene

Durch Division mit e j(Ωt−γ ) resultiert


F̂E jγ
−ŷ Ω2 + j2ϑω0 ŷΩ + ω20 ŷ = e .
m
Der komplexe Ausdruck auf der linken Glei-
chungsseite wird nach Real- und Imaginärteil
getrennt:

Abb. 5.25 Einschwingvorgang und stationärer


F̂E jγ
Zustand bei einer erzwungenen Schwingung ŷ ω20 − Ω2 +j 2ϑω0 Ω ŷ = e .
! "# $ ! "# $ m
Realteil Imaginärteil
Phasenverschiebung γ verzögert. Wie groß (5.103)
diese Phasenverschiebung ist, hängt von der
Erregerfrequenz Ω, der Eigenfrequenz ω0 und
der Dämpfung ab. Nach der Euler’schen Formel für den rechten
Als Ableitungen von (5.100) errechnen sich Teil der Gleichung gilt

dy
= jŷΩe j(Ωt−γ ) , (5.101) F̂E jγ
e =
F̂E
(cos γ + j sin γ ) . (5.104)
dt m m
d2 y
= −ŷΩ2 e j(Ωt−γ ) . (5.102)
dt2
Somit kann der komplexe Zeiger F̂E / m in
Abb. 5.27 in seinen Realteil
Eingesetzt in die Differentialgleichung (5.98)
ergibt mit FE = F̂E e jΩt
F̂E
2 j(Ωt−γ ) j(Ωt−γ )
(Real) = ŷ ω20 − Ω2 (5.105)
−ŷ Ω e + 2ϑω0 jŷΩ e m
F̂E jΩt
+ω20 ŷ e j(Ωt−γ ) = e .
m und in seinen Imaginärteil
446 5 Schwingungen und Wellen

F̂E
(Imaginär) = 2 ϑ ω0 Ωŷ (5.106)
m

zerlegt werden. Der Winkel zwischen dem


komplexen Zeiger F̂E / m und der Realteilachse
ist die Phasenverschiebung γ .
Aus der Lage des komplexen Zeigers lässt sich
der Amplitudenverlauf in Abhängigkeit von
der Erregerfrequenz Ω (Amplitudenresonanz-
funktion) und der Verlauf der Phasenverschie- Abb. 5.28 Amplitudenresonanzfunktion
bung γ zwischen Resonator und Erreger eben-
falls als Funktion der Erregerfrequenz (Pha-
senresonanzfunktion) bestimmen. 5.1.3.3 Amplitudenresonanzfunktion
Die Amplituden- und die Phasenresonanz-
Für den Betrag des Zeigers in Abb. 5.27 gilt
funktion sind in Abhängigkeit des Kreisfre-
nach Pythagoras
quenzverhältnisses η = Ω/ω0 in Abb. 5.28
bzw. 5.30 dargestellt. Es sind drei wichtige Fälle 2
F̂E 2
in den Frequenzverhältnissen zu unterschei- = ŷ2 (ω20 − Ω2 )2 + 2 ϑ ω0 Ωŷ .
m
den:
Daraus ergibt sich für den Amplitudenverlauf
– die quasistatische Anregung η << 1,
– die Resonanz η ≈ 1 und
– die hochfrequente Anregung η >> 1. F̂E
ŷ = .
m (ω20 − Ω2 )2 + (2ϑω0 Ω)2
Für jeden dieser Fälle kann es je nach Dämp-
fungsgrad ϑ (keine Dämpfung, geringe oder (5.107)
überkritische Dämpfung) Unterschiede im
Amplituden- und Phasenverhalten geben.
Zweckmäßigerweise wird das Verhältnis der
Sie werden im Folgenden ausführlicher er-
Kreisfrequenz der erzwungenen Schwingung
läutert. Die Ergebnisse sind in Tabelle 5.5
zusammengefasst.
Ω und der ungedämpften freien Schwin-
gung ω0 eingeführt:

Ω
η= . (5.108)
ω0

Ohne Dämpfung gilt: Wenn Ω = ω0 ist, wird


η = 1 und es tritt der für die erzwungene
Schwingung charakteristische Resonanzfall
ein. Für η < 1 ist der Resonanzfall noch nicht
Abb. 5.27 Real- und Imaginärteil des komplexen erreicht (Ω < ω0 ) und für η > 1 ist der
Zeigers einer erzwungenen Schwingung Resonanzfall bereits überschritten (Ω > ω0 ).
5.1 Schwingungen 447

Tabelle 5.5 Amplituden- und Phasenverlauf einer erzwungenen Schwingung für verschiedene Dämpfungsgrade
und unterschiedliche Kreisfrequenzverhältnisse

Dämpfungsgrad ϑ

ohne Dämpfung geringe Dämpfung überkritische


√ Dämpfung
Kreisfrequenz- ϑ=0 ϑ 0,1 ϑ 1
2
verhältnis η
2

F̂E
quasistatische Amplitude ŷ =
Anregung η << 1 k
(Ω << ω0 )
bis η ≈ 1 zunehmend mit η > 0 abnehmend
Phasenverschiebung γ =0
Resonanz η ≈ 1 Amplitude Amplitude Amplitude
(Ω ≈ ω0 )
F̂E
ŷ → ∞ ŷ → Maximum ŷ <
π k
Phasenverschiebung γ =
2
hochfrequente Amplitude ŷ → 0
Anregung η >> 1
(Ω >> ω0 ) Phasenverschiebung Phasenverschiebung
γ=π γ → π (abhängig von ϑ)

Unter Berücksichtigung des Parameters η und 2. Resonanzfall (η = 1) ohne Dämpfung


m = k/ω20 gilt für die Amplitudenresonanz- (ϑ = 0)
funktion allgemein In diesem Fall wird der Nenner null, d. h. die
Amplitude wird unendlich groß (Abb. 5.28):
ŷ (Res) → ∞. Der Erreger pumpt bei jeder
F̂E
ŷ = . (5.109) Schwingung phasengerecht Energie in den Re-
k (1 − η2 )2 + (2ϑη)2
sonator, sodass dessen Amplitude ständig zu-
nimmt. Es kommt zur Resonanzkatastrophe.
Abbildung 5.28 zeigt den Verlauf der Amplitu- Sie kann durch bestimmte Maßnahmen ver-
denresonanzfunktion in Abhängigkeit von η hindert werden:
für einige Dämpfungsgrade ϑ. In der Ampli-
– Vermeidung periodischer Kraftwirkungen,
tudenresonanzfunktion treten folgende Spezi-
– Einbau von Dämpfungsgliedern oder
alfälle auf (Tabelle 5.5).
– große Differenzen zwischen der Eigenkreis-
1. Sehr langsame, quasistatische Auslenkung frequenz ω0 und der erregenden Kreisfre-
(η << 1) quenz Ω(η >> 1).
Es wird
3. Resonanzfall (η ≈ 1) mit Dämpfung ϑ
F̂E
ŷ = = y (stat) . Ist eine Dämpfung vorhanden, so wird der
k Nenner in der Formel für die Amplitudenreso-
Dies ist die statische Auslenkung aufgrund der nanzfunktion (5.109) nicht mehr null. Es kann
Federkraft. das Kreisfrequenzverhältnis ηRes bzw. die Re-
448 5 Schwingungen und Wellen

sonanzfrequenz ωRes ermittelt werden, für die


1 1√
die Amplitude maximal wird. Dies ist der Fall, ϑGr = √ = 2. (5.113)
wenn der Radiand R der Wurzel im Nenner 2 2
von (5.109) ein Minimum wird:

R = (1 − η2 )2 + (2 ϑ η)2 → Minimum. Bei Überschreiten dieses Grenzdämpfungs-


grades ϑGr fallen die Amplituden mit zuneh-
menden Kreisfrequenzverhältnissen η ständig
Wird die erste Ableitung nach η gleich null ab (überkritische Dämpfung).
gesetzt, so ergibt sich Das Verhältnis von Resonanzamplitude ŷ (Res)
und der statischen Auslenkung ŷ (stat) wird
√ Resonanzüberhöhung genannt:
ηRes = 1 − 2 ϑ2 (5.110)

ŷ (Res) 1
oder die Resonanzkreisfrequenz = √ . (5.114)
ŷ (stat) 2 ϑ 1 − ϑ2

ωRes = ω0 1 − 2 ϑ2 . (5.111)
Für einen geringen Dämpfungsgrad ϑ gilt
ŷ (Res) 1
≈ . Dies beschreibt nach (5.77) die
Dies bedeutet, dass bei einer Dämpfung das ŷ (stat) 2ϑ
Maximum der Amplitudenresonanzfunktion Güte eines Schwingkreises, sodass näherungs-
bei einer Resonanzfrequenz liegt, die stets klei- weise gilt
ner als die Eigenkreisfrequenz ω0 (bzw. ω d )
ist.
ŷ (Res) 1
Werden die Beziehungen für ηRes (5.110) bzw. ≈ =Q. (5.115)
ŷ (stat) 2ϑ
ωRes (5.111) in die Amplitudenresonanzfunk-
tion (5.109) eingesetzt, so ergibt sich für die
Größe der Amplitude im Resonanzfall
Die Güte eines Schwingkreises nimmt also mit
steigender Resonanzüberhöhung zu.
F̂E
ŷ (Res) = √ . (5.112) Die Halbwertsbreite der Resonanzkurve bei
k 2 ϑ 1 − ϑ2 schwacher Dämpfung ist die Breite Δη an der
ŷ (Res)
Stelle √ , verdeutlicht in Abb. 5.29.
ŷ (stat) · 2
Aus den Gleichungen für die Resonanzfre- Sie beträgt
quenz (5.110) bzw. (5.111) und der Resonanz-
amplitude (5.112) geht hervor, dass mit stei-
gendem Dämpfungsgrad ϑ die Resonanzfre- 1
Δη ≈ . (5.116)
quenzen immer kleiner werden und die Am- Q
plituden ebenfalls abnehmen (Abb. 5.28).
Die Amplitudenüberhöhung findet nur bis zu
einer Grenzdämpfung ϑGr statt, für die die Wird (5.115) mit (5.116) multipliziert, so ist
Wurzel in (5.110) noch reell ist. Diese Grenze das Ergebnis 1. Dies bedeutet, dass für geringe
liegt bei Dämpfungsgrade (ϑ 0,1) gilt
5.1 Schwingungen 449

2ϑΩω
tan γ = 2 02 (5.118)
ω0 − Ω
2ϑη
= . (5.119)
(1 − η2 )

Abb. 5.30 zeigt die Phasenresonanzfunktion


als Funktion von η für einige Dämpfungs-
grade ϑ. Auch hierbei unterscheidet man Spe-
zialfälle:
1. Quasistatische Anregung (η << 1)
Abb. 5.29 Resonanzüberhöhung und Güte eines
Schwingkreises Die erregende Kraft ändert sich so langsam,
dass der Schwinger folgen kann. Deshalb gibt
es keine Phasenverschiebung zwischen Erre-
ger und Resonator.
Höhe
ŷ(Res)
· Breite Δη = 1 . (5.117) 2. Resonanzfall (η = 1) ohne Dämpfung
ŷ(stat) (ϑ = 0)
Für diesen Fall ergibt (5.119) einen unbe-
stimmten Ausdruck. Wie Abb. 5.30 zeigt, ist
Ein wichtiges Anwendungsgebiet sind die me-
im Resonanzfall ein Sprung im Phasenwinkel
chanischen Frequenzfilter in der Nachrichten-
von 0 auf π vorhanden.
technik. Hat ein solches Filter bei einer Reso-
3. Resonanzfall (η ≈ 1) mit Dämpfung ϑ
nanzfrequenz von fRes = 50 kHz eine Güte von
Es ist tan γ = ∞, d. h. γ = π2 . Für jeden Dämp-
Q = 15 000, so beträgt die Bandbreite
fungsgrad ist im Resonanzfall die Phasenver-
fRes 50 000 1 schiebung γ = π2 . Deshalb wird auch für ϑ = 0
Δf = = Hz = 3 Hz . der Schwingung dieser Phasenwinkel zugeord-
Q 15 000 3
net.
4. Hochfrequente Anregung (η >> 1) 4. Hochfrequente Anregung (η >> 1)
Für hohe Erregerfrequenzen geht unabhängig Der Erreger und der Resonator schwingen an-
vom Dämpfungsgrad ϑ die Amplitude der er- nähernd gegenphasig (für η → ∞ ist γ = π),
zwungenen Schwingung gegen null. In der Pra-
xis wird dieser Grenzfall verwendet, um die
Übertragung von Eigenschwingungen zu ver-
meiden, so z. B. in der Akustik die Schalldäm-
mung zu erhöhen; die Eigenkreisfrequenz ω0
des erregten Bauteils muss durch eine entspre-
chende Wahl des Verhältnisses Federkonstante
zu Masse weit unterhalb der Erregerkreisfre-
quenz Ω liegen.

5.1.3.4 Phasenresonanzfunktion
Für den Winkel des Zeigers in Abb. 5.27 gilt Abb. 5.30 Phasenresonanzfunktion
450 5 Schwingungen und Wellen

und zwar umso genauer, je geringer die Dämp- Tabelle 5.6 Resultierende Schwingung bei
fung ϑ ist (Abb. 5.30). Schwingungsüberlagerung

Frequenz- Bewegungs- Bewegungs-


Zur Übung art richtungen richtungen
Ü 5.1-5 Eine Maschine der Masse m = 1,5 t steht parallel senkrecht
auf sechs gleichen Federn der Federkonstante
k = 3 · 104 N/m. Dämpfungselemente bewirken gleiche Schwingung glei- verschiedene
eine Dämpfung mit dem Dämpfungsgrad ϑ = 0,15. Frequen- cher Frequenz, Ellipsen je nach
Wenn die Maschine mit der Drehzahl n1 = 500 min−1 zen verschiedener Amplitude und
läuft, treten infolge einer äußeren Erregerkraft Amplitude und/ Phasenlage
Schwingungen mit der Amplitude ŷ1 = 1 mm auf. Wie oder Phase
groß muss die Drehzahl n2 gewählt werden, damit die
unter- Schwebungen ganzzahlige Fre-
Amplitude auf ŷ2 = 0,1 mm abnimmt?
schied- Fourier-Synthese quenzverhältnisse
liche Fre- Lissajous-Figuren
Ü 5.1-6 In einen elektrischen Schwingkreis mit der quenzen
Induktivität L = 20 mH und der Kapazität C = 2 μF
wird ein Widerstand R eingebaut. Berechnet werden
sollen
5.1.4.1 Überlagerung harmonischer
a) die Eigenfrequenz f0 bzw. die Eigenkreisfrequenz ω0 Schwingungen gleicher Raumrichtung
des ungedämpften Systems,
und gleicher Frequenz
b) der Wert des Widerstandes R, wenn sich die Eigen-
frequenz um 3% ändern soll,
Folgende zwei harmonische Schwingungen
c) die Resonanzüberhöhung und die Breite der Reso- sollen sich überlagern:
nanzkurve des Schwingkreises.

y1 (t) = ŷ1 cos(ωt + ϕ01 ) , (5.120)


5.1.4 Überlagerung von Schwingungen y2 (t) = ŷ2 cos(ωt + ϕ02 ) . (5.121)

Solange die Auslenkungen den elastischen Be-


reich nicht übersteigen, können für die Über- Sie ergeben die neue harmonische Schwingung
lagerung von Schwingungen die unterschiedli-
chen momentanen Auslenkungen der Einzel-
yneu (t) = ŷneu cos(ωt + ϕ0 neu ) . (5.122)
schwingungen zeitpunktgerecht zur momen-
tanen Gesamtauslenkung addiert werden (Su-
perpositionsprinzip). Hierbei gelten die Addi- Abbildung 5.31 zeigt die Amplituden als Zeiger
tionstheoreme der Trigonometrie. in der Gauß’schen Zahlenebene. Die Amplitu-
Bei der Überlagerung von Schwingungen den ŷ1 bzw. ŷ2 sind um die Nullphasenwinkel
kommt es darauf an, ob die Schwingungsrich- ϕ01 bzw. ϕ02 verschoben und rotieren mit der
tungen parallel sind oder senkrecht aufeinan- gleich bleibenden Kreisfrequenz ω. Die Pha-
derstehen. Jede Schwingung kann sich von der senverschiebung zwischen den beiden Zeigern
zu überlagernden in ihrer Phase, Amplitude beträgt
oder Frequenz unterscheiden. Tabelle 5.6 zeigt
die wichtigsten Phänomene, die sich ergeben,
wenn Bewegungsrichtungen und Frequenzen Δϕ = ϕ01 − ϕ02 . (5.123)
gleich bleiben oder sich ändern.
5.1 Schwingungen 451

ŷneu = 2ŷ . (5.127)

Auslöschung (ŷ1 = ŷ2 ; Δϕ = (2n − 1)π)


Sind beide Amplituden gleich groß und die
Phasenverschiebung Δϕ = π oder ein unge-
radzahliges Vielfaches davon, dann wird die
Schwingung ausgelöscht (Abb. 5.32b):

Abb. 5.31 Überlagerung gleichfrequenter


Schwingungen gleicher Raumrichtung ŷneu =0. (5.128)

In einem solchen Zeigerdiagramm kann man


Haben die sich überlagernden Schwingun-
die neue Schwingung yneu durch Vektoraddi-
gen beliebige Amplituden und Phasenver-
tion der Zeiger y1 und y2 grafisch ermitteln.
schiebungen, dann ergibt sich eine neue
Bei der Rechnung müssen Additionstheoreme
berücksichtigt werden, die zu folgenden Er-
gebnissen für die neue Amplitude ŷneu und den
neuen Nullphasenwinkel ϕ0 neu führen:


ŷneu = ŷ21 + 2ŷ1 ŷ2 cos(ϕ01 − ϕ02 ) + ŷ22 ,
(5.124)
ŷ1 sin ϕ01 + ŷ2 sin ϕ02
tan ϕ0 neu = .
ŷ1 cos ϕ01 + ŷ2 cos ϕ02
(5.125)

Abbildung 5.32 zeigt Spezialfälle:

Maximale Verstärkung (Δϕ = 0 bzw.


Δϕ = n2π; n = 1,2,3, …)

Wenn keine Phasenverschiebung zwischen


den sich überlagernden Schwingungen vor-
handen ist, wird ŷneu maximal (Abb. 5.32a):


ŷneu = ŷ21 + 2ŷ1 ŷ2 + ŷ22 = ŷ1 + ŷ2 .
(5.126)

Sind die beiden Amplituden gleich groß (ŷ1 = Abb. 5.32 Verstärkung und Auslöschung bei der
ŷ2 = ŷ), dann ist die resultierende Amplitude Überlagerung gleichfrequenter Schwingungen
doppelt so groß: gleicher Raumrichtung
452 5 Schwingungen und Wellen

harmonische Schwingung mit derselben und einer sich ändernden Amplitude mit der
Kreisfrequenz ω (bzw. Periodendauer T). Die Schwebungsfrequenz fS . Es resultiert
neue Amplitude und die neue Phase müssen in
diesem Fall nach (5.124) und (5.125) berechnet
werden (Abb 5.32c). yneu (t) = 2ŷ cos(πfS t) cos(ωneu t) .
(5.133)
5.1.4.2 Überlagerung harmonischer
Schwingungen gleicher Raumrichtung mit geringen Es gilt für die Schwebungsfrequenz fS
Frequenzunterschieden (Schwebung)
Unterscheiden sich die Frequenzen von zwei zu
überlagernden Schwingungen nur geringfü- fS = f2 − f1 (5.134)
gig, dann treten Schwebungen auf: Die Ampli-
tuden der resultierenden Schwingung schwel-
len langsam an und wieder ab. und für die Periodendauer der Schwebung TS
Als Voraussetzung für eine reine Schwebung
müssen die beiden Schwingungen dieselbe 1 T1 T2
Amplitude haben. Bei gleicher Phase ϕ01 =
TS = = . (5.135)
fS T1 − T2
ϕ02 = 0 gilt
Für die Frequenz der neuen Schwingung
y1 (t) = ŷ cos (ω1 t) , (5.129) gilt nach (5.131) unter Berücksichtigung von
y2 (t) = ŷ cos (ω2 t) . (5.130) (5.132)

Unter Anwendung des Additionstheorems f1 + f2


fneu = . (5.136)
cos α + cos β = 2 cos α+2 β cos α−2 β entsteht 2
bei der Addition von (5.129) und (5.130)
Für die Schwingungsdauer errechnet sich
yneu (t) = y1 (t) + y2 (t)

(ω1 − ω2 ) =
2T1 T2
= 2ŷ cos t Tneu
T1 + T2
. (5.137)
2

(ω1 + ω2 )
· cos t . (5.131)
2 Die Amplitude der neuen Schwingung ist dop-
pelt so groß wie die der Ausgangsschwingun-
Bei geringen Frequenzunterschieden gilt nä- gen:
herungsweise ω1 ≈ ω2 . Man erhält

ω1 + ω2 ŷneu = 2 ŷ . (5.138)
ωneu = ≈ ω1 ≈ ω2 . (5.132)
2
Sind die Amplituden der sich überlagernden
Die resultierende Schwingung nach (5.131) ist Schwingungen nicht gleich groß, dann tritt
harmonisch mit der neuen Kreisfrequenz ωneu eine unreine Schwebung auf. Hierbei wird die
5.1 Schwingungen 453

Abb. 5.33 Schwebungen Abb. 5.34 Schwingungsüberlagerung bei großen


Frequenzunterschieden

Amplitude nie null, sondern lediglich peri-


odisch minimal. Abbildung 5.33a zeigt die beiden Ausgangsschwin-
Da Schwebungserscheinungen sehr genaue gungen, Abb. 5.33b die resultierende Schwebung.
Frequenzvergleiche ermöglichen, dienen sie Die beiden Ausgangsamplituden betragen ŷ1 = ŷ2 =
u. a. in der Akustik zum ,,sauberen“ (nämlich 1,5 cm, die Periodendauer der ersten Schwingung
T1 = 1 s und die der zweiten Schwingung T2 = 0,90 s.
schwebungsfreien) Abgleich von Tonfrequen-
Die zweite Periodendauer ist also um 10% kleiner als
zen. In der Musik wird dies zum Stimmen von die erste. Das Verhältnis der Periodendauer beträgt
Instrumenten verwendet. T2 / T1 = 9/ 10. Wie Abb. 5.33b verdeutlicht, hat die
Amplitude der Schwebung den doppelten Wert der
Beispiel
Ausgangsschwingung (2ŷ = 3 cm) und die Schwe-
5.1-7 Es soll ein Programm zur Überlagerung zweier
bungsdauer TS (von Maximum zu Maximum) beträgt
Schwingungen unterschiedlicher Frequenzen entwi-
9 s (auch nach (5.135)). Die Schwingungsdauer der
ckelt werden, das die Ausgangsschwingungen und die
Schwebung Tneu ist nach (5.137) Tneu = 0,947 s und
resultierende Schwingung zeichnet. Im ersten Fall sol-
wird in Abb. 5.33b bestätigt.
len die Frequenzen nahe beieinander liegen (Schwe-
bungsfall) und im zweiten Fall einen großen Unter- 2. Fall: große Unterschiede der Frequenzen
schied aufweisen. Die Ausgangsamplituden betragen wieder ŷ1 = ŷ2 =
Lösung 1,5 cm. Die Periodendauer der ersten Schwingung
beträgt T1 = 1 s und die der zweiten T2 = 12 s. Das
1. Fall: nahe beieinander liegende Frequenzen Verhältnis der Periodendauer beträgt T2 / T1 = 12/ 1
(Schwebungsfall) oder das Frequenzverhältnis f1 : f2 = 1 : 12. Abbil-
454 5 Schwingungen und Wellen

dung 5.34a zeigt die Ausgangsschwingungen und


Abb. 5.34b die resultierende Schwingung. Die neue
Amplitude ist ebenfalls doppelt so groß wie die
Ausgangsamplitude. Wie Abb. 5.34b zeigt, tritt keine
Schwebung und keine harmonische Schwingung
mehr auf. Die schnellere Schwingung (kleinere Pe-
riodendauer, d. h. größere Frequenz; hier die erste
Schwingung mit T1 = 1 s schwingt um die periodische
Achse, die durch die langsamere Schwingung gegeben
ist (größere Periodendauer, d. h. kleinere Frequenz;
hier die zweite Schwingung mit T2 = 12 s).

5.1.4.3 Überlagerung harmonischer Schwin-


gungen gleicher Raumrichtung mit ganzzahligen
Frequenzverhältnissen (Fourier-Analyse)
Besteht zwischen den sich überlagernden
Schwingungen ein großer Frequenzunter-
schied und stehen die Schwingungsfrequen-
zen im Verhältnis ganzer Zahlen, so entstehen
wieder periodisch schwingende Muster. Ab-
bildung 5.35 zeigt die Überlagerung zweier
Schwingungen (Amplitude ŷ = 1 cm) mit
einfacher und dreifacher Frequenz. Die Peri-
Abb. 5.35 Überlagerung harmonischer Schwingungen
odendauer der ersten Schwingung beträgt mit ganzzahligen Frequenzverhältnissen und
Amplitudenspektrum nach der Fourier-Analyse
4
T1 = 7,5 s f1 = Hz
30
Abbildung 5.36 zeigt die Überlagerung von
und die der zweiten Schwingung drei Schwingungen (ω = 15 π s−1 ; ŷ = 2,2 cm)

T2 = 2,5 s (f2 = 0,4 Hz) der Form yi (t) = ŷi sin(ωi t).
4ŷ
gemäß Abb. 5.35a. Abbildung 5.35b zeigt die y1 (t) = sin (ωt) ,
π
resultierende Schwingungsdauer TR (im vor- 4ŷ
liegenden Fall ist TR = T1 ) und die resultie- ŷ2 (t) = sin (3ωt) ,

rende Amplitude ŷR = ŷ1 + ŷ2 = 2 cm. 4ŷ
ŷ3 (t) = sin (5ωt) (Abb. 5.36a)
Werden in einem Diagramm die Amplituden 5π
gegen die Kreisfrequenzen aufgetragen, so
Abbildung 5.36b zeigt die resultierende
ergibt sich eine spektrale Darstellung der
Schwingung yR (t):
Amplituden (Amplitudenspektrum). Dieses
Spektrum zeigt, welche Frequenzen mit wel-
chen Amplituden am Zustandekommen der 4ŷ 1
yR (t) = sin (ωt) + sin(3ωt)
resultierenden Schwingung beteiligt sind π 3

(Abb. 5.35c), enthält aber keine Information 1
+ sin (5ωt) . (5.139)
über die Phasenlage der Ausgangsschwingun- 5
gen.
5.1 Schwingungen 455

Abb. 5.37 Rechteckfunktion

zerlegen lässt. Die auftretenden Kreisfre-


quenzen sind dabei ganzzahlige Vielfache
der das periodische Muster beschreibenden
Grundkreisfrequenz. Somit gilt nach Fourier


a0
yR (t) = + (ak cos(kωt)
2
k=1

+ bk sin(kωt)) . (5.140)

k ist eine ganze Zahl, die folgende Bedeutung


hat:
k = 1: Grundschwingung
(erste Harmonische),
Abb. 5.36 Überlagerung dreier Schwingungen und k = 2: erste Oberschwingung
Amplitudenspektrum nach der Fourier-Analyse (zweite Harmonische),
k = 3: zweite Oberschwingung
.. ..
Sie zeigt in erster Näherung eine Rechteck- . . (dritte Harmonische),
k = n: (n − 1)-te Oberschwingung
schwingung. In Abb. 5.36c ist das Amplituden-
(n-te Harmonische).
spektrum dargestellt.
Die Fourier-Koeffizienten ak und bk geben an,
Durch Überlagern von Schwingungen mit ge-
wie stark die einzelnen Anteile vertreten sind.
eignet gewählten Amplituden und Frequenzen
Sie berechnen sich aus
kann praktisch jede gewünschte periodische
Funktion generiert werden (Fourier-Synthese). T
2
Der umgekehrte Vorgang, die Zerlegung ak = yR (t) cos(kωt) dt (5.141)
T
eines periodischen Musters in seine Ele- 0 (k = 0, 1, 2 …)
mentarschwingungen, wird Fourier-Analyse
und
(J. B. J. Fourier, 1768 bis 1830) genannt.
Fourier zeigte, dass sich jedes periodische T
2
Muster eindeutig in eine Reihe von ele- bk = yR (t) sin(kωt) dt. (5.142)
T
mentaren Cosinus- und Sinusschwingungen 0 (k = 1, 2, 3 …) .
456 5 Schwingungen und Wellen

Abbildung 5.38 zeigt ein Beispiel für eine


Fourier-Analyse in der Elektrotechnik. In
Abb. 5.38a ist das Oszillogramm der Span-
nung eines Kommutierungskondensators dar-
gestellt. Diese Kondensatoren dienen zur
Löschung des leitenden Zustandes eines
Halbleiterbauelementes und werden dazu
periodisch stoßartig umgeladen. (In diesem
Fall beträgt die Umladezeit 300 μs und bei
der Grundfrequenz 200 Hz die Teilspan-
nung 3 200 V.) Aus Abb. 5.38b und 5.38c
geht das Amplitudenspektrum der Span-
nung bzw. der Stromstärke hervor. Aufgrund
der starken Abweichung des trapezförmigen
Spannungsimpulses von der reinen Sinusform
wirken auch noch höherfrequente Anteile
von Spannungen und Stromstärken auf den
Kondensator. Beispielsweise zeigt das Am-
plitudenspektrum der Stromstärke, dass
trotz niedriger Grundfrequenz von 200 Hz
(Stromamplitude î = 125 A) auch noch die 15.
Oberschwingung (15 · 200 Hz = 3 000 Hz) mit
einer Stromamplitude von î27 = 50 A auf den
Kondensator einwirkt. Die Fourier-Analyse
lässt erkennen, in welchen Frequenzen und bei
welchen Strom- und Spannungsamplituden
Abb. 5.38 Fourier-Analyse des Spannungsverlaufs bei diese Kondensatoren einwandfrei arbeiten
einem Kommutierungskondensator
müssen.
Fourier zeigte ferner, dass auch jede nicht-
periodische Funktion (stückweise stetig) ein-
Beispielsweise lautet die Fourier-Reihe einer deutig als Integral über harmonische Anteile
Rechteckkurve gemäß Abb. 5.37 mit der Peri- darstellbar ist (Fourier-Integral).
odendauer T = 2π/ω
Beispiel
5.1-8 Der Verlauf der tangentialen Komponente der
4ŷ 1 Pleuelkraft eines Kolbens wird über zwei Motorumdre-
yR (t) = sin(ωt) + sin(3ωt)
π 3 hungen aufgezeichnet (Kurbelwinkel KW von 720◦ ).
Abbildung 5.39 zeigt den Verlauf der Tangentialkraft
1
+ sin(5ωt) + … . (5.143) (dicke Linie) und eine Fourier-Analyse bis zu 15 Har-
5 monischen sowie die Koeffizienten a und b. Es sind
die ersten fünf harmonischen Schwingungen einge-
zeichnet (dünne Linien). Die Summenkurve über alle
Die Summe der ersten drei Glieder des 15 Harmonischen liegt knapp unter dem ersten Maxi-
Klammerausdrucks zeigt Abb. 5.36b mum und schmiegt sich verhältnismäßig gut der Ori-
(s. auch (5.139)). ginalkurve an.
5.1 Schwingungen 457

Abb. 5.39 Fourier-Analyse der tangentialen Komponente der Pleuelkraft eines Kolbens nach Beispiel 5.1-8

5.1.4.4 Überlagerung harmonischer


Schwingungen mit ganzzahligem y(t) = ŷ sin(ωt) cos ϕ + ŷ cos(ωt) sin ϕ .
Frequenzverhältnis, die senkrecht zueinander (5.146)
schwingen (Lissajous-Figuren)

Bei der Überlagerung zweier senkrecht zu- Aus (5.144) folgt


einander verlaufender Schwingungen mit
ganzzahligen Frequenzverhältnissen ergeben 2
sich Lissajous-Figuren (J. Lissajous, 1822 bis x x
sin(ωt) = und cos(ωt) = 1− .
1880). x̂ x̂
Zunächst werden zwei senkrecht verlaufende
Schwingungen gleicher Kreisfrequenz (mit ei- Damit wird aus (5.146)
ner Phasenverschiebung) betrachtet. Es gilt
2
x x
y(t) = ŷ cos ϕ + ŷ 1 − sin ϕ
x̂ x̂
x(t) = x̂ sin(ωt) (5.144)
oder
und 2
y(t) = ŷ sin(ωt + ϕ) . (5.145) y x x
− cos ϕ = 1− sin ϕ .
ŷ x̂ x̂

Nach dem Additionstheorem sin(α + β) = Quadriert ergibt sich die allgemeine Gleichung
sin α cos β + cos α sin β ergibt (5.145) der Ellipse:
458 5 Schwingungen und Wellen

y2 x2 2yx
+ − cos ϕ = sin2 ϕ . (5.147)
ŷ2 x̂2 ŷx̂

Bei gleichen Schwingungsfrequenzen er-


gibt sich im Allgemeinen eine Ellipse nach
Abb. 5.40a, aus deren Achslage sich die
Phasenverschiebung bestimmen lässt:

y(0) x(0)
sin ϕ = = . (5.148)
ŷ x̂

Dabei ist y(0) die Auslenkung für x = 0 und


x(0) die Auslenkung für y = 0.
Für die Phasenverschiebungen ϕ = 0, ϕ = π2
und ϕ = π treten folgende Spezialfälle auf
((5.147), Abb. 5.40b bis 5.40e):

– Gerade mit positiver Steigung (ϕ = 0)


Es wird
y2 x2 2yx
+ − =0 Abb. 5.40 Senkrechte Überlagerung gleichfrequenter
ŷ2 x̂2 ŷx̂ Schwingungen (Lissajous-Figuren)

oder
Bei gleichen Amplituden ŷ = x̂ wird aus der

y x 2 Ellipse ein Kreis:
− =0;
ŷ x̂
y2 + x2 = ŷ2 = konst . (5.151)
daraus ergibt sich (Abb. 5.40b)

ŷ – Gerade mit negativer Steigung (ϕ = π;


y= x. (5.149) Abb. 5.40e):


y=− x. (5.152)
– Ellipse mit der Hauptachse parallel zur y- x̂
Achse (ϕ = π2 ; Abb. 5.40c):
Werden für den allgemeinen Fall ungleicher
y2
x 2 ganzzahliger Frequenzen die resultierenden
2
+ 2 =1. (5.150) Auslenkungen ermittelt, so entstehen kompli-
ŷ x̂
zierte Bahnkurven. Aus der Anzahl der Ma-
xima auf der waagrechten oder senkrechten
– Kreis mit Mittelpunkt im Koordinatenur- Achse können die Frequenzverhältnisse abge-
sprung (ϕ = π2 ; ŷ = x̂; Abb. 5.40d) lesen werden. Es gilt
5.1 Schwingungen 459

Abb. 5.41 Lissajous-Figuren unterschiedlicher Phasenlage für die Frequenzverhältnisse 1:1, 1:2, 1:3 und 2:3

wird analog zur Mechanik (Abschn. 2.9.1) die


ωx : ωy = fx : fy = k : l . (5.153) Mindestanzahl der Koordinaten verstanden,
die zur Beschreibung des Systems notwendig
Hierbei sind ωx und ωy bzw. fx und fy die sind.
Frequenzen der x- und y-Schwingung, k die Zum besseren Verständnis gekoppelter Vor-
Anzahl der senkrechten und l die Anzahl der gänge seien zwei gleiche Feder-Masse-Pendel
waagrechten Maxima. betrachtet, die durch eine Kopplungsfeder ver-
bunden sind, wie es Abb. 5.42 zeigt. Das gekop-
Beispiel pelte Schwingungssystem hat zwei Freiheits-
5.1-9 Nach Eingabe der beiden Frequenzverhältnisse
sollen mittels eines Rechner-Programms die Lissajous-
Figuren für unterschiedliche Phasenlagen gezeichnet
werden.

Lösung
Abbildung 5.41 zeigt das Ergebnis jeweils für ein Fre-
quenzverhältnis von 1:1, 1:2, 1:3 und 2:3. Der Phasen-
winkel beträgt in allen Fällen ϕ = 0◦ bis ϕ = 360◦ .

5.1.5 Schwingungen
mit mehreren Freiheitsgraden
(gekoppeltes Schwingungssystem)

Die hierfür wichtigen Begriffe sind in DIN Abb. 5.42 Elastisch gekoppelte Feder-Masse-
1311, Blatt 3, definiert. Unter Freiheitsgrad Schwinger
460 5 Schwingungen und Wellen

grade der Auslenkung y1 und y2 , zwei gleiche dass eine Schwebung entsteht mit der Schwe-
Massen m, gleiche Federkonstanten k sowie bungsfrequenz
eine Kopplungsfeder mit der Federkonstan-
ten k12 . Es besteht also aus zwei gleich großen
Energiespeichern, zwischen denen durch die fS = f2 − f1 (5.155)
Kopplungsfeder ein periodischer Energieaus-
tausch stattfinden kann. Wird z. B. der erste (Abschn. 5.1.4.2). Um die Vorgänge genauer
Körper in Abb. 5.42a ausgelenkt, dann gibt das zu analysieren, werden im Folgenden die Dif-
erste Pendel seine Energie allmählich an das ferentialgleichungen für die beiden Schwinger
zweite Pendel ab, bis dieses die gesamte Ener- aufgestellt (Abb. 5.42b). Beim ersten Schwin-
gie besitzt und der Vorgang wieder in die an- ger ist die Kopplungsfeder um y1 − y2 zusam-
dere Richtung abläuft. Es gibt lediglich zwei mengedrückt, sodass das Newton’sche Gesetz
Schwingungszustände, bei denen keine Ener- der Bewegung lautet
gieübertragung stattfindet. Sie werden Funda-
mentalschwingungen genannt. −k y1 − k12 (y1 − y2 ) = m a1 .
Daraus ergibt sich die Differentialgleichung
– Gleichphasige Schwingung für den ersten Schwinger:
Das Kopplungsglied ist in diesem Fall nicht
wirksam, weil die Kopplungsfeder immer
d2 y1 k k12
entspannt bleibt. Deshalb schwingen die
2
+ y1 + (y1 − y2 ) = 0 .
Massen mit der Frequenz der ungedämpf- dt m m
(5.156)
ten harmonischen Schwingung:

Beim zweiten Schwinger ist die Kopplungsfe-


1 k
f1 = f0 = . (5.12) der um y1 − y2 zusammengedrückt, sodass das
2π m
Newton’sche Gesetz heißt
−k y2 − k12 (y2 − y1 ) = m a2 .
– Gegenphasige Schwingung
In diesem Fall bleibt aus Symmetriegrün- Daraus bildet man die Differentialgleichung
den die Mitte der Kopplungsfeder in Ruhe. für den zweiten Schwinger:
Jedem Körper (System) kann somit die
Federkonstante der eigenen Feder k und die
d2 y2 k k12
Federkonstante der halben Kopplungsfeder 2
+ y2 + (y2 − y1 ) = 0 .
dt m m
2 k12 zugerechnet werden. Daraus ergibt (5.157)
sich die Frequenz der zweiten Fundamen-
talschwingung:
Werden beide Differentialgleichungen addiert,
so ergibt sich folgende gekoppelte Differenti-
1 k + 2 k12
f2 = . (5.154) algleichung für y1 + y2 :
2π m

d2 k
In allen anderen Fällen findet eine Überlage- 2
(y1 + y2 ) + (y1 + y2 ) = 0 . (5.158)
dt m
rung der Fundamentalschwingungen so statt,
5.1 Schwingungen 461

Werden beide Differentialgleichungen subtra- Es findet eine Schwingung mit der ersten Fun-
hiert, dann entsteht eine andere Differential- damentalfrequenz f1 = f0 (5.11) statt.
gleichung für y1 − y2 : Bei einer gegenphasigen Schwingung (y1 =
−y2 ) verschwindet die Differentialgleichung
(5.158) und es bleibt für (5.159) stehen
d2 k + 2 k12
2
(y1 − y2 ) + (y1 − y2 ) = 0 .
dt m
(5.159) d2 y1 k + 2 k12
+ y1 =0. (5.163)
dt2 m

Gleichungen (5.158) und (5.159) beschreiben


Diese Schwingung hat die zweite Fundamen-
ungedämpfte harmonische Schwingungen.
talfrequenz f2 (5.154).
Die Lösungen sind die Frequenzen bzw. die
Für den allgemeinen Fall wird folgende
Schwingungsdauern der bereits oben genann-
Anfangsbedingung erfüllt: Bei Beginn der
ten Fundamentalschwingungen. Aus (5.158)
Schwingung (t = 0) ist der erste Schwinger
folgt
maximal ausgelenkt (y1 (0) = ŷ) und der zweite
Schwinger in Ruhe (y2 (0) = 0). Damit wird

k y1 + y2 = ŷ.
ω1 = ω0 = , (5.11) Die beiden Fundamentalschwingungen gehor-
m
chen folgenden Ansätzen:
1 k
f1 = f0 = , (5.12)
2π m

T1 = T0 = 2 π
m
. (5.13) y1 + y2 = ŷ cos (ω1 t) , (5.164)
k y1 − y2 = ŷ cos (ω2 t) . (5.165)

Aus (5.159) folgt Durch Addition von (5.164) und (5.165) ergibt
sich

k + 2 k12 ŷ
ω2 = , (5.160) y1 = (cos(ω1 t) + cos(ω2 t)) .
m 2

1 k + 2 k12 Wird das Additionstheorem
f2 = , (5.154)
2π m
α+β α−β
m cos α + cos β = 2 cos cos
T2 = 2 π . (5.161) 2 2
k + 2 k12
angewendet, dann gilt

Für eine gleichphasige Schwingung (y1 = y2 )


ω1 + ω2 ω1 − ω2
verschwindet die Differentialgleichung (5.159) y1 = ŷ cos t cos t .
und es bleibt für (5.158) stehen 2 2
(5.166)

d2 y1 k
2
+ y1 =0. (5.162) Wird (5.165) von (5.164) subtrahiert, dann er-
dt m
gibt sich
462 5 Schwingungen und Wellen


y2 = (cos(ω1 t) − cos (ω2 t)) . k12
2 κ= oder (5.168)
k + k12
Wird das Additionstheorem T12 − T22 f22 − f12
κ= = . (5.169)
T12 + T22 f22 + f12

α+β α−β
cos α − cos β = 2 sin sin
2 2
mit 0 < κ < 1. Bei loser Kopplung ist κ << 1
und f1 = f2 . Bei fester Kopplung ist κ ≈ 1 und
angewendet, dann gilt
f1 ≈ f2 .
Mit zunehmender Kopplung werden die bei-

ω1 + ω2 ω1 − ω2 den Fundamentalfrequenzen f1 und f2 deutlich
y2 = ŷ sin t sin t . verschieden.
2 2
(5.167) Im allgemeinen Fall sind n Schwinger mitein-
ander gekoppelt. Dieses System besitzt dann n
Fundamentalschwingungen (Eigenschwingun-
Gleichungen (5.166) und (5.167) beschreiben gen). Solche Systeme sind in der Molekül-
nach Abschn. 5.1.4.2 Schwebungen. Dies be- und Festkörperphysik von Bedeutung (Ab-
deutet, dass der erste und der zweite Schwinger schn. 8.6.2, 9.2.1).
Schwebungen ausführen, die gemäß Abb. 5.43 Abbildung 5.44 zeigt die induktive Kopp-
um π2 verschoben sind. lung elektromagnetischer Schwingkreise. Das
Als Kopplungsgrad κ der beiden Schwinger gilt Schema des Messaufbaus verdeutlicht Abb.
für gleiche Massen und gleiche Amplituden 5.44a, und Abb. 5.44b zeigt die prinzipielle

Oszilloskop

Sinus-
generator

Spannung proportional zur Frequenz

Abb. 5.44 Induktive Kopplung elektromagnetischer


Abb. 5.43 Schwebungen zweier gekoppelter Schwingkreise: a) Messanordnung, b) Resonanzkurve
Feder-Masse-Schwinger zweier Schwingkreise
5.1 Schwingungen 463

Resonanzkurve (Spannung in Abhängigkeit Schwingungsform in harmonische Anteile


von der Frequenz). zerlegt werden kann (Abschn. 5.1.4.3).
Besondere Bedeutung haben die Kippschwin-
5.1.6 Nichtlineare Schwinger gungen. Bei ihnen wird einer der Energiespei-
cher des Schwingungssystems kontinuierlich
In den vorhergehenden Abschnitten sind gefüllt. Dieser entleert sich schlagartig nach
harmonische Schwingungen beschrieben, bestimmten Zeiten, wenn ein charakteristi-
denen ein lineares Kraftgesetz (z. B. das Hoo- scher Schwellenwert überschritten wird.
ke’sche Gesetz für die Federkraft) zugrunde Auf diese Weise entsteht eine Sägezahnspan-
lag (Abschn. 5.1.2.2, Abb. 5.7). Bereits beim nung, etwa entsprechend Abb. 5.45. Elektrische
mathematischen und physischen Pendel (Ab- Kippschwingungen werden beispielsweise in
schn. 5.1.2.3) war eine Näherung für kleine Fernsehbildröhren eingesetzt, um den Elek-
Winkel notwendig, um diese Linearität zu tronenstrahl über die Zeile zu leiten und am
erzeugen. Die Kräfte im elektrischen und Zeilenende schlagartig zurückzusetzen. Meist
magnetischen Feld (Abschn. 4.1.1 und 4.4.3.2) werden hierzu Kondensatoren aufgeladen, die
sind beispielsweise nicht linear, sondern pro- nach Erreichen der Zündspannung uZ über
portional zu 1/ r2 ((Coulomb’sches Gesetz), eine Glimmlampe entladen werden.
(4.2)). Dies hat zur Folge, dass der Schwin-
gungszustand durch eine nichtlineare Diffe-
rentialgleichung beschrieben werden muss, 5.1.7 Parametrisch erregte Schwingungen
deren Lösungen keine harmonischen Funktio-
nen (Sinus- bzw. Cosinusfunktion) mehr sind. Im Gegensatz zu den nichtlinearen Schwin-
Diese Schwingungssysteme werden daher als gungen, bei denen die Schwingungsparameter
nichtlinear bezeichnet. Ebenfalls nichtlineare von der momentanen Auslenkung abhängig
Differentialgleichungen treten auf, wenn die sind, hängen bei den parametrischen Schwin-
Koeffizienten vor den Variablen oder deren gungen die Systemparameter von der Zeit
Ableitungen nicht konstant, sondern von ab (z. B. eine periodische Längenänderung
den Variablen selbst bzw. deren Ableitungen des Fadens beim mathematischen Pendel
abhängig sind. oder eine periodische Kapazitätsänderung
Aus diesen Gründen ist eine Vielzahl nicht- beim elektrischen Schwingkreis). Um die
linearer Schwinger denkbar, deren zeitliche Unterscheidung zwischen nichtlinearen oder
Zustandsänderungen komplizierte Verläufe parametrischen Schwingern besser trefen zu
zeigen. Auf eine ausführliche Darstellung können, wird nach DIN 1311, Blatt 2, vorge-
kann aus gutem Grund deshalb verzichtet schlagen, die parametrischen Schwingungen
werden, weil nach Fourier jede beliebige durch die Vorsilbe rheo zu kennzeichnen.
Tabelle 5.7 zeigt die Bezeichnungen der orts-
und zeitabhängigen Schwingungen.
Mit Hilfe parametrisch angeregter Schwingun-
gen kann dem Schwingungssystem zusätzlich
Energie zugeführt werden. Dazu muss das
Schwingungssystem bereits schwingen und
die parametrische Erregung (Pumpfrequenz)
Abb. 5.45 Sägezahnspannung die doppelte Eigenfrequenz haben.
464 5 Schwingungen und Wellen

Tabelle 5.7 Orts- und zeitabhängige Schwingungen

zeitabhängig
ortsabhängig sklero- (nicht parametrisch) rheo- (parametrisch)

d2 y d2 y
linear + ω20 y = 0 + ω20 (t)y = 0
dt2 dt2
d2 y d2 y
nichtlinear + ω20 (y)y = 0 + ω20 (y, t)y = 0
dt2 dt2

In der Mechanik sind parametrische Schwin- ansteigt. Wie lauten die Fourier-Koeffizienten des Sä-
gungen bei Pendeln mit periodisch beweg- gezahns? Welche Form hat das Spektrum?
ten Aufhängepunkten oder Pendellängen zu
beobachten (z. B. periodische Änderung der
Pendellänge durch die Kniebewegungen in
5.2 Wellen
einer Schiffschaukel). Parametrische Verstär-
5.2.1 Physikalische Grundlagen
ker dienen in der Elektrotechnik zur rausch-
der Wellenausbreitung
armen Verstärkung kleinster elektrischer Si-
gnale (z. B. aus dem Weltraum).
Eine Wellenausbreitung wird beobachtet,
Zur Übung wenn schwingungsfähige Systeme räumlich
Ü 5.1-7 Es überlagern sich die folgenden parallelen, miteinander gekoppelt sind. Durch die Kopp-
ungedämpften Schwingungen: lung kann sich die Schwingung eines Systems
π auf die Nachbarn übertragen, was zu einer
y1 (t) = 0,05 m cos 4π s−1 t + und

3 räumlichen Ausbreitung des Schwingungs-
π
y2 (t) = 0,08 m cos 4π s−1 t + . zustandes führt. Dieser Sachverhalt, der in
5
Abb. 5.1 schematisch dargestellt ist, soll hier
Bestimmt werden sollen die Amplitude ŷ und der noch einmal veranschaulicht werden.
Nullphasenwinkel ϕ0 der resultierenden Schwingung Abbildung 5.46a zeigt eine Reihe von Faden-
y(t) = ŷ cos(ωt + ϕ0 ).
pendeln, die über Schraubenfedern mitein-
ander verbunden sind. Regt man das erste
Ü 5.1-8 Zwei gleiche Feder-Masse-Systeme schwingen
Pendel zu harmonischen Schwingungen in y-
in x- bzw. y-Richtung. Das Maximum in x-Richtung
und das Minimum in y-Richtung werden gleichzeitig Richtung an, so wird die erste Feder peri-
erreicht. Die Amplitude der x-Schwingung ist dreimal odisch gedehnt und gestaucht, sodass sie das
so groß im Vergleich zur y-Schwingung. zweite Pendel ebenfalls zu Schwingungen in y-
Richtung anregt. Das zweite Pendel regt nun
a) Wie groß ist der Phasenunterschied ϕ der beiden
seinerseits das dritte zu Schwingungen an,
Schwingungen?
b) Nun sollen die beiden Schwingungen überlagert dann wird das vierte erregt und so fort, bis die
werden. Welche Lissajous-Figur entsteht? ganze Reihe schwingt. In der zeitlichen Ab-
folge entsteht jeweils zwischen zwei Pendeln
Ü 5.1-9 Ein Sägezahngenerator erzeugt einen Span- eine Verzögerung im Schwingungszustand, da
nungsverlauf u(t), der zur Zeit t = 0 bei u(0) = −1 V be- die Wechselwirkungskraft erst wirksam wird,
ginnt und in der Zeit T = 1 ms linear auf u(T) = +1 V wenn die Kopplungsfeder gespannt wird. Der
5.2 Wellen 465

Schwingungszustand breitet sich also nicht von einer Transversal- oder Querwelle. Wenn
sofort über die ganze Reihe aus, vielmehr die einzelnen Schwinger ihre Schwingungs-
wird die Schwingung mit einer charakteristi- richtung (hier die y-Richtung) während der
schen Fortpflanzungsgeschwindigkeit längs der Ausbreitung beibehalten, nennt man die Welle
x-Achse weitergetragen. linear polarisiert. Da die Polarisation von Wel-
Die Ausbreitungsgeschwindigkeit des Schwing- len besonders in der Optik eine Rolle spielt,
zustandes und die Entstehung einer Welle wird in Abschn. 6.4 näher darauf eingegangen.
überhaupt hängen als ganz wesentlich von der Eine Longitudinal- oder Längswelle entsteht,
Kopplung der einzelnen Oszillatoren ab. Ab- wenn das erste Pendel, wie in Abb. 5.46c ange-
bildung 5.46b zeigt in einer Momentaufnahme deutet, in x-Richtung bewegt wird. Auch die-
den „eingefrorenen“ Schwingungszustand der ser Schwingungszustand breitet sich mit einer
ganzen Pendelreihe. typischen Verzögerung von Pendel zu Pendel
Schwingen die Pendel gemäß Abb. 5.46b senk- aus, sodass man eine laufende Welle erhält, bei
recht zur Ausbreitungsrichtung, spricht man der Ausbreitungs- und Schwingungsrichtung
parallel sind. Die Longitudinalwelle ist eine
Folge von Verdichtungen und Verdünnungen,
die sich mit einer bestimmten Geschwindig-
keit ausbreiten.
Betrachtet man eine laufende Welle, etwa eine
Welle auf einer Wasseroberfläche, so erscheint
es, als würde Wasser in Laufrichtung der Welle
transportiert. Tatsächlich wird aber lediglich
ein Schwingungszustand übertragen, wie man
deutlich bei der Betrachtung der schwingen-
den Pendelreihe erkennt. Die einzelnen Pen-
del schwingen ortsfest mit einer bestimmten
Amplitude und Frequenz, lediglich die Infor-
mation des Schwingens wird übertragen.

Bei einer Wellenbewegung wird keine


Materie transportiert, dafür aber Ener-
gie.

Diese Energieübertragung ist notwendig, um


die einzelnen Oszillatoren zu Schwingungen
anzuregen.
Die Auslenkungen der einzelnen Oszillatoren
hängen sowohl vom Ort als auch von der Zeit
Abb. 5.46 Fortschreitende Welle zwischen
ab. Eine Möglichkeit der grafischen Darstel-
gekoppelten Pendeln: a) Pendel mit Kopplungsfedern, lung dieses Zusammenhangs ist in Abb. 5.47
b) Zustand einer Transversalwelle, c) Zustand einer gezeigt. Jedes Teilbild stellt eine Momentauf-
Longitudinalwelle nahme einer Welle dar; hierbei schreitet die
466 5 Schwingungen und Wellen

durch einen Pfeil markierte Wellenberg, um


die Strecke λ vorgerückt. Dieser Abstand
zweier gleichartiger Zustände im Wellenbild
wird Wellenlänge λ genannt. Da die Welle
innerhalb der Periodendauer T gerade den
Weg λ zurückgelegt hat, ergibt sich eine
einfache Beziehung für die Fortpflanzungsge-
schwindigkeit c der Welle:

λ
c= . (5.170)
T

Mit der Frequenz f = 1/ T der Oszillatoren er-


hält man

c = λf . (5.171)
Abb. 5.47 Zustände einer laufenden Transversalwelle
Die Ausbreitungsgeschwindigkeit c einer
Welle ist das Produkt aus Wellenlänge λ
Zeit von oben nach unten in gleichmäßigen
und Frequenz f .
Intervallen fort. Die gesamte Zeitspanne zwi-
schen der ersten und der letzten Darstellung
ist identisch mit der Schwingungsdauer T In Abb. 5.48 ist eine Serie von Momentaufnah-
der beteiligten Oszillatoren. Nach Ablauf der men einer laufenden Longitudinalwelle dar-
Zeit T hat sich das Wellenbild reproduziert, gestellt. Die Wellenlänge λ gibt wieder an,
allerdings ist eine bestimmte Stelle, z. B. der um welchen Weg ein bestimmter Zustand, in

Abb. 5.48 Zustände einer Longitudinalwelle. Der Pfeil markiert jeweils den Ort größter Verdünnung
5.2 Wellen 467

Abb. 5.49 Longitudinalwelle, dargestellt als Transversalwelle

diesem Fall z. B. die durch den Pfeil gekenn- Eine besondere Form der Transversalwellen
zeichnete Verdünnung, innerhalb der Peri- sind die elektromagnetischen Wellen. Bei ih-
odendauer T fortschreitet. Das Zeichnen einer nen schwingt entsprechend Abb. 5.50 ein elek-
Longitudinalwelle ist sehr umständlich, wes- trischer und ein magnetischer Feldstärkevek-
halb in der Praxis meist auch die Longitudi- tor senkrecht zur Ausbreitungsrichtung. Die
nalwelle wie eine Transversalwelle gezeichnet elektromagnetischen Wellen benötigen im Ge-
wird. Die tatsächliche Auslenkung der Teilchen gensatz zu den oben behandelten elastischen
wird dabei um 90◦ gedreht aufgezeichnet, wie Wellen kein Übertragungsmedium. Sie kön-
Abb. 5.49 zeigt. nen sich sowohl im Vakuum als auch (in be-
Bisher sind Wellen nur in diskret angeordneten stimmten Grenzen) in Materie ausbreiten.
Oszillatoren betrachtet worden. Wellen sind Verbindet man benachbarte Punkte mit gleich-
aber auch in den Kontinua ausbreitungsfähig. artigem Schwingungszustand (z. B. Wellen-
(Im Grunde hat man es immer noch mit einzel- berge) einer Welle miteinander, so erhält man
nen Oszillatoren zu tun, deren Größe aber auf eine geometrische Fläche, die Wellenfläche
die Maße von Atomen verringert ist.) In Gasen oder Wellenfront. Die Form der Wellenfläche
und Flüssigkeiten ohne innere Reibung sind hängt vom erregenden Zentrum sowie von
lediglich Longitudinalwellen ausbreitungsfä- den Eigenschaften des Übertragungsmediums
hig. Andere Wellentypen existieren nicht, weil ab. Von besonderer Bedeutung sind die in
benachbarte Volumelemente einer seitlichen
Verschiebung keinen Widerstand entgegenset-
zen. (Die Medien haben keinen Schubmodul.)
An der Grenzfläche von Flüssigkeiten und Ga-
sen kann es jedoch zu transversalen Oberflä-
chenwellen kommen, wie etwa bei den Wasser-
wellen. In Festkörpern sind alle Wellentypen
ausbreitungsfähig: Außer den Longitudinal-
wellen gibt es verschiedene Transversalwellen:
Biegewellen und Scherungswellen. Die wich-
tigste Transversalwelle in Stäben ist die Torsi-
onswelle. Es findet auch Wellenumformung von
einem Typ in einen anderen statt. So löst z. B.
eine Longitudinalwelle bei einem Stab mit ei-
nem exzentrisch aufgesetzten Körper eine se- Abb. 5.50 Momentaufnahme einer elektromagneti-
kundäre Biegewelle aus. schen Welle: a) Feldverteilung, b) Energiedichte
468 5 Schwingungen und Wellen

Ort x gegeben durch

y = ŷ cos[ω(t − Δt) + ϕ0 ]

ω
= ŷ cos ωt − x + ϕ0 .
c

Unter Berücksichtigung von (5.170) und


(5.171) ergibt sich
Abb. 5.51 Wellenflächen einer Kugelwelle und einer
ebenen Welle t x
y = ŷ cos 2π − + ϕ0
T λ
Abb. 5.51 dargestellten Kugelwellen und ebe-
nen Wellen. Kugelwellen entstehen, wenn ein oder
punktförmiger Erreger Wellen aussendet. Bei-
spielsweise breitet sich nach der Zündung ei- y(x, t) = ŷ cos(ωt − kx + ϕ0 ) . (5.172)
nes kleinen Knallkörpers eine kugelförmige
Verdichtungswelle in der Luft aus. Ebene Wel- Die Konstante k wird Wellenzahl genannt und
len entstehen, wenn ein ausgedehnter ebener ist definiert als
Strahler Wellen aussendet. Ein Lautsprecher
mit einer großen Membran gibt näherungs- 2π
k= . (5.173)
weise ebene Wellen ab. Ein Ausschnitt einer λ
Kugelwelle kann in großem Abstand vom Er-
regerzentrum als ebene Welle angesehen wer-
Gleichung (5.172) beschreibt eine Welle, die
den.
nach rechts läuft, d. h. in Richtung zunehmen-
Die Begriffsbestimmungen zur Beschreibung
der x-Werte. Entgegengesetzte Laufrichtung
schwingender Kontinua und Wellen sind in
erhält man durch Vertauschen eines Vorzei-
DIN 1311, Blatt 4, definiert.
chens in der Klammer:
5.2.2 Harmonische Wellen
y(x, t) = ŷ cos(ωt + kx + ϕ0 ) . (5.174)
5.2.2.1 Mathematische Beschreibung
harmonischer Wellen
Der mathematische Zusammenhang zwischen Durch (5.172) und (5.174) wird auch mathe-
Auslenkung y, Ort x und Zeit t bei einer matisch noch einmal zum Ausdruck gebracht,
Welle hängt von der Art der Anregung ab. dass die Auslenkungen bei einer Welle vom Ort
Von besonderer Bedeutung ist die harmoni- und von der Zeit abhängen. Ist wie in diesem
sche Anregung. Wird z. B. in Abb. 5.46 das Fall die Ortsabhängigkeit nur die Funktion ei-
erste Pendel bei x = 0 harmonisch, d. h. ge- ner Ortskoordinate, dann nennt man die Welle
mäß y = ŷ cos(ωt + ϕ0 ) angeregt, so bildet einfach. Im Rahmen dieses Buches werden nur
sich eine harmonische Welle oder Sinuswelle einfache Wellen betrachtet.
aus. Ein Oszillator an einem beliebigen Ort x Hält man die Raumkoordinate x fest, so wird
wird ebenfalls harmonisch schwingen, aller- aus (5.172) y(t) = ŷ cos(ωt − ϕ1 ), also eine
dings zeitlich verspätet gegenüber dem ersten. harmonische Schwingung. Dieser Fall tritt bei-
Die zeitliche Verschiebung beträgt Δt = x/ c. spielsweise auf, wenn eine Schallwelle an das
Damit ist die Auslenkung des Oszillators am Ohr gelangt und dort am festen Ort x das
5.2 Wellen 469

Trommelfell zu erzwungenen Schwingungen


1
mit der Frequenz f erregt. Zu einer bestimm- I = cρŷ2 ω2 . (5.177)
ten Zeit t wird aus (5.172) y(x) = ŷ cos(kx + 2
ϕ2 ), also das Momentbild einer harmonischen
Welle, wie es z. B. in Abb. 5.47 gezeigt ist. Wie in Abschn. 7.2.1 gezeigt wird, lässt sich die
Intensität einer Schallwelle nach (7.22) auch
5.2.2.2 Energietransport schreiben als
In Abschn. 5.2.1 ist bereits darauf hingewie-
1 1 p̂2 1
sen worden, dass eine laufende Welle Ener- I = ˆp̂ = = ˆ2 Z .
2 2Z 2
gie von einem Ort zum andern transportiert.
Solange die Wellenbewegung anhält, enthält Dabei ist ˆ die maximale Geschwindigkeit der
jedes Volumenelement des Übertragungsme- Teilchen, die so genannte Schnellenamplitude
diums einen bestimmten Energiebetrag. Die und p̂ die Amplitude des Schallwechseldrucks.
Energie je Volumeinheit nennt man Energie- Z ist die Feldwellenimpedanz oder kurz der
dichte. Wellenwiderstand. Bei Schallwellen ist nach
Bei mechanischen Wellen hat ein Volumenele- (7.15)
ment dV mit der Masse dm = ρ dV nach (5.53)

die Schwingungsenergie (kinetische plus po- Z = = ρc ,
ˆ
tentielle Energie)
das Produkt aus Dichte und Phasengeschwin-
1 1
dE = ρ dVˆ2 = ρ dV ŷ2 ω2 . digkeit, also eine spezifische Größe des Medi-
2 2
ums, in dem die Welle läuft.
Allgemein wird der Quotient aus einer dyna-
Die Energiedichte mechanischer Wel-
mischen Feldgröße (hier: p̂) und einer kine-
len ist proportional dem Quadrat der
matischen Feldgröße (hier: ˆ) als Wellenwider-
Amplitude ŷ und dem Quadrat der Kreis-
stand oder Impedanz bezeichnet.
frequenz ω:
Die Energiedichte elektromagnetischer Wellen
dE 1
= = ρ ŷ2 ω2 . (5.175) setzt sich aus elektrischer und magnetischer
dV 2 Energiedichte (Abschn. 4.5.5) zusammen:

dE 1
Die Energie, die je Zeiteinheit eine Fläche dA = = (ED + HB)
senkrecht durchsetzt, also der Quotient aus dV 2
1
Leistung und Fläche, nennt man Intensität = εr ε0 E2 + μr μ0 H 2 .
oder Energiestromdichte. Die Intensität I lässt 2
sich wie jede Stromdichte als Produkt von Die elektrische und magnetische Energie-
Dichte (hier: Energiedichte) und Strömungs- dichte sind gleich, sodass auch gilt
geschwindigkeit (hier: Ausbreitungsgeschwin-
digkeit) schreiben:
= εr ε0 E2 = μr μ0 H 2 . (5.178)

I = c . (5.176) Die Energiedichte elektromagnetischer


Wellen ist proportional zum Quadrat
des elektrischen bzw. magnetischen
Mit der Energiedichte nach (5.175) ergibt sich Feldstärkevektors.
für die Intensität mechanischer Wellen
470 5 Schwingungen und Wellen

Die Energiedichte variiert längs der Ausbrei- Auch bei elektromagnetischen Wellen sind die
tungsrichtung, wie es in Abb. 5.50 dargestellt charakteristischen Feldgrößen E und H bzw.
ist. Die einzelnen Maxima verschieben sich mit Spannung U und Strom I auf Leitungen durch
Lichtgeschwindigkeit auf der x-Achse. Am fes- einen Wellenwiderstand in Analogie zum
ten Ort x schwankt die Energiedichte gemäß Ohm’schen Gesetz miteinander verknüpft.
Tabelle 5.8 gibt einen Überblick über die
= εr ε0 Ê2 cos2 (ωt + ϕ0 ) . Abhängigkeiten. Dabei sind die gestrichenen
Größen die so genannten Leitungsbeläge,
Die Energiestromdichte S einer elektromagne-
d. h. der längenbezogene Widerstand R des
tischen Welle ist nach (5.176)
Leiters, der längenbezogene Querleitwert G
des Isolators sowie die längenbezogene Kapa-
S = εr ε0 E2 c = μr μ0 H 2 c . (5.179) zität C und Induktivität L der Leitung. Für
eine einfache Doppelleitung mit Drahtradius
r und Drahtabstand a (Abb. 4.74 und (4.127))
Sie schwankt wie die Energiedichte räumlich gilt
und zeitlich. Der Mittelwert der Energiestrom-
dichte, die Intensität I, ist gegeben durch εr ε0 π μr μ0 a
C = und L = ln .
1 1 ln(a/ r) π r
2
S=I = εr ε0 Ê c = μr μ0 Ĥ 2 c Für eine Koaxialleitung mit dem Innenleiter-
2 2
durchmesser d und dem Außenleiterdurch-
1
oder, mit c = √ (Abschn. 5.2.2.3) messer D (Abb.4.74) gilt
εr ε0 μr μ0
2εr ε0 π μr μ0 D
C =

und L =

ln .
ln(D/ d) 2π d
1 εr ε0 2 1 μr μ0 2
S=I = Ê = Ĥ . Bei der verlustlosen Freiraumübertragung im
2 μr μ0 2 εr ε0
Vakuum beträgt der Wellenwiderstand
(5.180)
μ0
ZF,0 = = 376,7 Ω .
ε0
Ein Detektor, der die Energiestromdichte des
Dieser Wert wird als Wellenwiderstand des Va-
Lichts misst, wird infolge der hohen Frequenz
kuums bezeichnet.
des Lichtes immer nur den Mittelwert S anzei-
Fällt eine Welle auf eine Grenzfläche, die zwei
gen.
Medien mit unterschiedlichen Wellenwider-
Die Energiestromdichte lässt sich auch sehr
ständen Z1 und Z2 voneinander trennt, so wird
einfach als Vektorprodukt der elektrischen
ein Teil der Welle an der Grenzfläche reflek-
und magnetischen Feldstärke darstellen:
tiert, der andere Teil tritt durch, er wird trans-
mittiert (Abb.7.5). Wie in Abschn. 7.2.3 her-
S=E×H . (5.181) geleitet wird, ist der Reflexionsgrad ρ, der die
reflektierte Intensität Ir mit der einfallenden Ie
verknüpft, bei senkrechtem Einfall
Der Vektor S weist in Ausbreitungsrichtung
der Welle und wird Poynting’scher Vektor 2
Ir Z1 − Z2
(J. H. Poynting, 1852 bis 1914) der Energie- ρ= = . (5.188)
Ie Z1 + Z2
stromdichte genannt.
5.2 Wellen 471

Tabelle 5.8 Wellenwiderstand Z bei der Ausbreitung elektromagnetischer Wellen im freien Raum auf Leitungen
in komplexer Notation. { : elektrische Leitfähigkeit, ω: Kreisfrequenz der Welle

Wellen auf Leitungen Wellen im freien Raum

Definition des Wellenwiderstandes


U E
ZL = (5.182) ZF = (5.183)
I H
verlustbehaftes Übertragungsmedium

R + jωL μr μ0
ZL = (5.184) ZF = (5.185)
G + jωC εr ε0 − j{ /ω
verlustloses Übertragungsmedium

L μ0
Z L,0 = (5.186) ZF,0 = (5.187)
C ε0

Die transmittierte Intensität ergibt sich aus chen verteilt werden. Weil die Kugelflächen mit
dem Transmissionsgrad τ dem Radius r quadratisch zunehmen, muss die
Energiedichte mit 1/ r2 abnehmen. Die Glei-
chung für eine Kugelwelle (Abb. 5.51 links)
It 4Z1 Z2
τ= =1−ρ= 2 . (5.189) lautet also für r > 0:
Ie Z1 + Z2
A
y(r, t) = cos(ωt − kr + ϕ0 ) . (5.190)
r
Offensichtlich kommt es zu keiner Reflexion,
wenn die Wellenwiderstände beider Medien
gleich sind: Z1 = Z2 . Insbesondere wird eine Bei Zylinderwellen, bei denen die Wellenflä-
elektromagnetische Welle auf einer Leitung chen die Form langer Zylinder haben, ver-
nicht reflektiert, wenn die Leitung mit einem teilt sich die von der Quelle abgestrahlte Leis-
Ohm’schen Abschlusswiderstand R = ZL abge- tung auf immer größere Zylinderoberflächen,
schlossen wird. Das ist u. a. wichtig bei An- die proportional zum Abstand r wachsen. Da-
tennenleitungen. Ist das Leitungsende offen, durch nimmt die Intensität mit 1/r ab. Die Glei-
wird die Welle am Ende reflektiert und bildet chung einer Zylinderwelle lautet demnach
in der Überlagerung mit einer einlaufenden
Welle eine stehende Welle (Absch. 5.2.4.2). B
Bei den ebenen Wellen ist die Energiedichte y(r, t) = √ cos(ωt − kr + ϕ0 ) . (5.191)
r
und somit auch die Amplitude längs der Aus-
breitungsrichtung konstant, da sich die Wel-
lenflächen, durch die die Energie hindurch-
tritt, nicht ändern (Abb. 5.51 rechts). Dies be- 5.2.2.3 Phasengeschwindigkeit
deutet, dass (5.172) und (5.174) für ebene Wel- Die Geschwindigkeit einer Welle in einem
len gelten. Bei Kugelwellen hingegen muss mit bestimmten Medium wird bestimmt mit
zunehmendem Abstand von der Quelle der Hilfe der Wellengleichung, die zuerst von
Energieinhalt auf immer größer werdende Flä- Euler (L. Euler, 1707 bis 1783) angegeben
472 5 Schwingungen und Wellen


∂y ∂2 y ∂y
Frück = F + dx − F
∂x ∂x2 ∂x
∂2 y
= F 2 dx .
∂x
Die Rückstellkraft beschleunigt das Massen-
element der Masse dm nach dem Newton’schen
Grundgesetz:
∂2 y
Frück = dm a = dm
Abb. 5.52 Teilstück einer gespannten Saite ∂t2
oder
∂2 y ∂2 y
wurde. Das Aufstellen und die Lösung dieser F dx = dm .
Differentialgleichung seien am Beispiel der ∂x2 ∂t2
Wellenausbreitung auf einer gespannten Saite Mit der Querschnittsfläche A der Saite gilt für
demonstriert. die Masse dm = ρA dx. Damit erhält man die
Abbildung 5.52 zeigt einen Ausschnitt aus ei- Differentialgleichung
ner gespannten Saite, die mit der Kraft F ge-
∂2 y ∂2 y
spannt ist. (Die Einspannstellen liegen außer- F dx = ρ A dx
halb des Diagramms.) Die Kraft F, die beidsei-
∂x2 ∂t2
tig des gekennzeichneten Volumelements an- oder
greift, wird in ihre x- und y-Komponente zer-
legt. Die rücktreibende Kraft, die das Volum- ∂2 y F ∂2 y
element in die Ruhelage y = 0 zurücktreibt, = . (5.192)
∂t2 Aρ ∂x2
ist

Frück = −(Fy (x) − Fy (x + dx)) Die allgemeine Lösung dieser Wellendifferen-


= F sin(α + dα) − F sin α . tialgleichung ist nach d’Alembert eine Funk-
tion vom Typ y(x, t) = f (x ± ct). Insbesondere
Für kleine Auslenkungen gilt ist die harmonische Welle nach (5.172) und
(5.174) eine Lösung.
∂y1)
sin α ≈ α ≈ tan α = Zur Kontrolle bildet man die zweiten Ableitun-
∂x gen der Funktion y(x, t) = ŷ cos(ωt − kx + ϕ):
und
∂2 y
∂α ∂y = −ŷω2 cos(ωt − kx + ϕ) ,
dα =
2
dx = 2 dx .
∂t2
∂x ∂x ∂2 y
= −ŷk2 cos(ωt − kx + ϕ)
Damit beträgt die Rückstellkraft ∂x2
und setzt sie in die Wellengleichung (5.192)
ein:
1) Bei der partiellen Differentiation ∂y/∂x wird
y(x, t) nur nach x differenziert; die Variable t − ŷ ω2 cos(ωt − kx + ϕ)
wird konstant gehalten. Der Differentialquotient
F
∂y/∂t wird durch Differenzieren nach t gebildet; = − ŷk2 cos(ωt − kx + ϕ) .
hierbei bleibt x konstant. Aρ
5.2 Wellen 473

Daraus ergibt sich Tabelle 5.9 Phasengeschwindigkeit diverser Wellen in


verschiedenen Medien

ω2 (2πf )2 F Wellentyp Phasengeschwindigkeit


= = c2 = .
k2 (2π/λ)2 Aρ
Longitudinalwellen c=
{ p = √{ R T
ρ i
in Gasen
Die Fortpflanzungsgeschwindigkeit einer Wel- (5.195)

le auf einer Saite beträgt demnach Longitudinalwellen c= K
(5.196)
ρ
in Flüssigkeiten
Longitudinalwellen c= E
ρ (5.197)
F in dünnen Stäben
c= . (5.193)
Aρ Torsionswellen in c= G
ρ (5.198)
dünnen Rundstäben

Biegewellen in c = 2λπ ρA
EI
= ω4 EI
ρA
Beim Vergleich mit der Wellengleichung dünnen Stäben
(5.199)
(5.192) stellt man fest, dass der erste Faktor
Seilwellen c= F
= σ = F
auf der rechten Seite von (5.192) mit dem Aρ ρ m
Quadrat der Wellengeschwindigkeit iden- (5.200)
tisch ist. Die Wellengleichung lautet deshalb Elektromagnetische c = √1
ε0 μ0 (5.201)
allgemein Wellen im Vakuum
Elektromagnetische c = √ 1
εr ε0 μr μ0 (5.202)
Wellen in Materie
∂2 y 2 ∂2 y Elektromagnetische c = √1 (5.203)
=c 2 . (5.194) L C
∂t2 ∂x Wellen auf Leitungen
A Fläche
C Kapazitätsbelag
Die Wellengleichung heißt gewöhnliche Wel- E Elastizitätsmodul
lengleichung, wenn sie – wie in diesem Fall – G Schubmodul
I Flächenträgheitsmoment
hinsichtlich des Ortes nur die zweite Ableitung
K Kompressionsmodul
enthält. L Induktivitätsbelag
Nach dieser Methode kann man in allen m Massenbelag
Systemen, in denen eine Wellenausbreitung p Druck
möglich ist, die Wellengleichung aufstellen Ri individuelle Gaskonstante
und somit einen Ausdruck für die Ausbrei- T thermodynamische Temperatur
ε0 elektrische Feldkonstante
tungsgeschwindigkeit einer Welle erhalten. εr relative Permittivitätszahl
Ohne Herleitung sind in Tabelle 5.9 Glei- { Isentropenexponent
chungen zur Bestimmung der Wellenge- λ Wellenlänge
schwindigkeit in verschiedenen Systemen μ0 magnetische Feldkonstante
angegeben. μr relative Permeabilität
ρ Dichte
Die Ausbreitungsgeschwindigkeit einer Welle
σ Zugspannung
wird im engeren Sinne als Phasengeschwindig- ω Kreisfrequenz
keit c bezeichnet, die streng zu unterscheiden Ein Stab gilt als dünn, wenn die Querdimensionen
ist von der später noch zu definierenden Grup- klein gegen die Wellenlänge sind
pengeschwindigkeit cgr (Abschn. 5.2.4.4):
474 5 Schwingungen und Wellen

Ü 5.2-4 Das menschliche Ohr kann Schallintensitäten


Die Phasengeschwindigkeit gibt an, wie
ab etwa I = 10−12 W/m2 wahrnehmen. Berechnen Sie
schnell sich ein Schwingungszustand für die Frequenz f = 1 000 Hz und die Schallgeschwin-
konstanter Phase (z. B. Wellenberg, digkeit c = 340 m/s die Schwingungsamplitude ŷ der
Wellental, Nulldurchgang), also eine schwingenden Partikeln. Vergleichen Sie das Ergebnis
Wellenfläche, fortbewegt. mit der Molekülgröße der Partikel.

Ü 5.2-5 Berechnen Sie die Amplitude der elektrischen


In der Gleichung einer ebenen Welle y = und magnetischen Feldstärke der Lichtwelle eines La-
ŷ cos(ωt−kx+ ϕ0 ) wird ein Zustand konstanter sers, der im Pulsbetrieb die Leistung P = 1 GW an die
Fläche A = 0,01 mm2 abgibt.
Phase festgelegt durch ωt − kx + ϕ0 = konst.
Orte konstanter Phase sind x = ωt+ϕ0k−konst . Ü 5.2-6 Ein Radiosender mit der Leistung P = 100 kW
Die Phasengeschwindigkeit, definiert als c = strahle Kugelwellen in den isotropen Raum. Welche
dx/ dt, beträgt dann Intensität hat die elektromagnetische Welle im Abstand
100 km vom Sender? (Verluste seien vernachlässigt.)
ω
c= . (5.204) 5.2.3 Doppler-Effekt
k

Bewegen sich eine Quelle, die eine Welle aus-


Dieser Ausdruck ist identisch mit der in sendet, und ein Beobachter relativ zueinander,
(5.171) definierten Fortpflanzungsgeschwin- so registriert der Beobachter die Frequenz fB ,
digkeit c = λf . die verschieden ist von der Frequenz fQ , mit der
Zur Übung die Quelle schwingt. Diese Frequenzverschie-
Ü5.2-1 Schallwellen, die vom menschlichen Ohr wahr- bung kann häufig im Straßenverkehr beob-
genommen werden, haben Frequenzen im Bereich achtet werden: Bei einem hupenden Auto, das
16 Hz 5 f 5 20 kHz. Welche Wellenlängen haben am Beobachter vorüberfährt, erniedrigt sich
diese Schallwellen, wenn die Schallgeschwindigkeit in während des Vorbeifahrens die Tonhöhe (Fre-
Luft c = 340 m/s beträgt?
quenz) des Signaltons. Bei Schallwellen wurde
Ü 5.2-2 Eine ebene Schallwelle wird durch die Glei- dieser Effekt erstmals von Christian Dopp-
chung y = 5 · 10−4 m · sin(1 980 s−1 · t − 6 m−1 · x) be- ler (1803 bis 1853) im Jahr 1842 beschrieben.
schrieben. Für die Berechnung der Frequenzverschie-
Berechnen Sie a) die Frequenz f , b) die Wellenlänge λ, bung sind folgende Fälle zu unterscheiden: Be-
c) die Phasengeschwindigkeit c und d) die Geschwin- wegung des Beobachters, Bewegung der Quelle
digkeitsamplitude v̂ eines Teilchens.
und beiderseitige Bewegung. ,,Bewegung“ be-
Ü 5.2-3 Auf einem langen Seil wird eine Transversal- deutet in diesem Fall, dass sich die Quelle bzw.
welle erzeugt, indem ein Seilende sinusförmig mit der der Beobachter relativ zum Übertragungsme-
Frequenz f = 5 Hz und derAmplitude ŷ = 20 cm hin- dium (Luft), in dem sich die Welle ausbreitet,
und herbewegt wird. Die Spannkraft des Seils beträgt bewegt.
F = 100 N, der Seildurchmesser ist d = 10 mm, die
Dichte beträgt ρ = 1,5 kg/dm3 . a) Beobachter bewegt sich, Quelle ruht
Die Schwingungen einer Schallquelle breiten
a) Wie groß ist die Phasengeschwindigkeit c der Welle?
sich in Form von Kugelwellen in der Luft aus,
b) Welche Wellenlänge λ tritt auf?
c) Wie lautet die Gleichung der Welle, wenn zur Zeit wie Abb. 5.53a zeigt. Bewegt sich ein Beobach-
t = 0 am Ort x = 0 die Auslenkung y = 0 und die ter mit der Geschwindigkeit B auf die Quelle
Geschwindigkeit < 0 ist? zu, so kommen die Verdichtungen und Ver-
5.2 Wellen 475

Abb. 5.53 Wellenfelder zum Doppler-Effekt: a) ruhende Quelle, bewegter Beobachter, b) bewegte Quelle,
ruhender Beobachter und c) Mach’scher Kegel beim Überschallflug

dünnungen der Luft in rascherer Folge an sein Quelle ihren eigenen Wellenzügen nacheilt, ist
Ohr als beim Stillstand. Der zeitliche Abstand, der Abstand zwischen den Wellenflächen auf
in dem zwei aufeinander folgende Verdich- der Vorderseite gestaucht, auf der Rückseite
tungen beim Beobachter ankommen, beträgt gedehnt. Für einen Beobachter, auf den die
TB = c+λ B . Damit ist die Frequenz, die der Be- Welle zuläuft, ist die wirksame Wellenlänge
obachter wahrnimmt, fB = c+λ B . Mit der Bezie- λB = λ − Q TQ verkürzt und die Frequenz
hung c = λfQ ergibt sich fB = λcB erhöht. Mit c = λfQ = TλQ ergibt sich


B fQ
fB = fQ 1 + . (5.205) fB = . (5.207)
c 1 − Q / c

Entfernt sich der Beobachter von der Quelle, Entfernt sich die Quelle vom Beobachter, so
so gilt gilt

B fQ
fB = fQ 1− . (5.206) fB = . (5.208)
c 1 + Q / c

Die beiden Endformeln gelten nur für den Gleichungen (5.207) und (5.208) unterschei-
Fall, dass sich der Beobachter radial auf die den sich von (5.205) und (5.206). Bei kleinen
Quelle zu bzw. von ihr weg bewegt. Erfolgt Geschwindigkeiten gehen die entsprechenden
die Bewegung auf einem um die Quelle kon- Ausdrücke ineinander über. Bei großen Ge-
zentrischen Kreis, so beobachtet man keine schwindigkeiten, besonders nahe der Schall-
Doppler-Verschiebung. Für beliebige Bewe- geschwindigkeit c, ergeben sich erhebliche Ab-
gungen muss man in (5.205) und (5.206) die weichungen.
Radialkomponente der Beobachtergeschwin-
c) Beobachter und Quelle bewegen sich
digkeit einsetzen, um die richtige Frequenz zu
erhalten. Falls sich sowohl der Beobachter als auch die
Quelle relativ zur Luft bewegen, gibt es je nach
b) Beobachter ruht, Quelle bewegt sich Bewegungsrichtung mehrere Möglichkeiten
Abbildung 5.53b zeigt das Wellenfeld einer der Frequenzverschiebung. In Tabelle 5.10
nach rechts laufenden Schallquelle. Da die sind alle Fälle schematisch dargestellt.
476 5 Schwingungen und Wellen

Tabelle 5.10 Doppler-Effekt: Die verschiedenen Die bisher angegebenen Formeln sind nicht anwend-
Bewegungsmöglichkeiten von Quelle und Beobachter bar beim Doppler-Effekt des Lichts. Wie Michelson und
sind durch Pfeile angedeutet. Die Geschwindigkeiten Morley 1887 zeigten, bedarf es keines Übertragungs-
B , Q und c sind betragsmäßig in die Gleichungen mediums (Äther) für die Ausbreitung elektromagneti-
einzusetzen scher Wellen. Für die Doppler-Verschiebung ist nicht
die Geschwindigkeit relativ zu einem ruhenden Koor-
Quelle Beobachter beobachtete Frequenz dinatensystem, sondern nur die Relativgeschwindig-
B
keit v von Quelle und Beobachter zueinander maßge-
• ←• fB = fQ 1 + (5.205) bend. Es ergibt sich bei Annäherung (Abschn. 10.5.2)
c

• •→ fB = fQ 1 − B (5.206)
c c+
fQ fB = fQ . (5.213)
•→ • fB = Q (5.207) c−
1−
c
fQ Entfernen sich Quelle und Beobachter voneinander,
←• • fB = Q (5.208)
1+ werden bei dem Bruch in (5.213) Zähler und Nenner
c vertauscht.
c + B
•→ ←• fB = fQ (5.209)
c − Q
c − B d) Quelle bewegt sich mit Überschallgeschwin-
←• •→ fB = fQ (5.210)
c + Q digkeit
c + B
←• ←• fB = fQ (5.211) Abbildung 5.53b zeigt das Wellenfeld, das um
c + Q
c − B eine bewegte Quelle entsteht. Mit zunehmen-
•→ •→ fB = fQ (5.212)
der Geschwindigkeit der Quelle nähern sich
c − Q
die Wellenflächen auf der Vorderseite immer
Beispiel mehr, bis sie schließlich für Q = c alle durch
5.2-1 Zwei Züge fahren auf parallelen Gleisen mit der einen Punkt gehen und die Einhüllende wie
gleichen Geschwindigkeit einander entgegen. Ein Zug eine ebene Wand aussieht. Durchstößt die
gibt ein Pfeifsignal ab, das ein Reisender im anderen Quelle diese ,,Schallmauer“ und fliegt mit
Zug hört. Der Reisende ist musikalisch und behauptet,
Überschallgeschwindigkeit, dann stellt sich
beim Vorbeifahren eine Tonhöhenänderung von einer
Quinte (Frequenzverhältnis 3:2) gehört zu haben. Wie ein Wellenfeld gemäß Abb. 5.53c ein. An der
schnell fahren die Züge? Die Schallgeschwindigkeit be- Spitze des Kegels befindet sich das auslösende
trägt c = 340 m/s. Objekt. Dieses muss von sich aus gar keine
Schallwellen aussenden. Bei seiner Bewegung
Lösung
drängt es die Luftmoleküle zur Seite, erzeugt
Nach (5.209) und (5.210) in Tabelle 5.9 ist die Fre-
quenz, die der Beobachter bei Annäherung hört, fB1 = also vor sich eine Druckerhöhung, hinter sich
c+ c− eine Druckerniedrigung. Die Druckwellen
fQ , bei Entfernung fB2 = fQ . Das Frequen-
c− c+ breiten sich vom jeweiligen Entstehungspunkt
zenverhältnis beträgt
kugelförmig im Raum aus. Im stationären
fB1 3 c + 2
= = . Zustand ergibt die Überlagerung aller Ku-
fB2 2 c−
gelwellen als Einhüllende einen Kegel, den
Daraus folgt
Mach’schen Kegel (Ernst Mach, 1838 bis

3 1916). Die kegelförmige Wellenfront nennt
2 −1
= c = 34,35 m/s = 123,6 km/h . man eine Kopfwelle. Weil sich auf dem Ke-
3
2 +1 gelmantel die Druckerhöhungen addieren,
5.2 Wellen 477

hört ein Beobachter, über den diese Stoßfront b) Wie groß ist die Frequenzänderung, wenn =
hinwegrast, einen explosionsartigen Knall. 60 km/h und f = 9 GHz ist?
Der Überschallknall tritt auf bei schnellen Ge- c) Mit welcher Genauigkeit muss Δf gemessen werden,
wenn die Geschwindigkeit = 60 km/h auf 10%
schossen und Überschallflugzeugen.
genau sein soll?
Der halbe Öffnungswinkel α des Mach’schen
Kegels ergibt sich nach Abb 5.53c aus folgender Ü5.2-10 Ein Flugzeug fliegt mit der Machzahl Ma=1,5.
Überlegung: Eine zur Zeit t = 0 am Punkt A
erzeugte Druckwelle ist in der Zeit t mit der a) Wie groß ist der halbe Öffungswinkel des Mach’-
schen Kegels?
Schallgeschwindigkeit c von A nach B gelaufen,
b) Das Flugzeug befinde sich zur Zeit t = 0 genau
hat also den Weg AB, d. h. ct zurückgelegt. In senkrecht über einem Beobachter in einer Höhe von
der gleichen Zeit flog die Quelle von A nach Q, h = 5 000 m. Nach welcher Zeit hört der Beobachter
legte also den Weg AQ, d. h. Q t zurück. Der den Überschallknall?
Sinus des Mach’schen Winkels α ist damit
5.2.4 Interferenz
c 1
sin α = = . (5.214)
Q Ma 5.2.4.1 Überlagerung von Wellen
gleicher Frequenz
Ma nennt man die Mach’sche Zahl (s. a. Laufen mehrere Wellen durch ein gemeinsa-
(2.269)). mes Übertragungsmedium, so kann es an be-
stimmten Stellen des Raumes zu Überlagerun-
Zur Übung gen der einzelnen Wellen kommen. Es zeigt
Ü 5.2-7 Eine Blaskapelle macht Musik im Freien. Wie sich, dass im Allgemeinen das Prinzip der un-
schnell muss ein Autofahrer auf die Musiker zufahren,
gestörten Superposition anwendbar ist. Dabei
damit er das Musikstück einen Halbton (Frequenzver-
√ geht man davon aus, dass sich jede Welle so
hältnis 12 2 : 1) höher hört?
ausbreitet, als ob die anderen Wellen nicht da
Ü 5.2-8 Ein Lokführer, der mit der Geschwindigkeit wären; man überlagert sie dann additiv. Er-
= 90 km/h auf einen Tunnel zufährt, lässt ein Pfeifsi- scheinungen, die an einer bestimmten Stelle
gnal der Frequenz f = 500 Hz ertönen. des Raumes durch Überlagerung von Wellen
a) Welche Frequenz fB hört ein ruhender Beobachter, hervorgerufen werden, nennt man Interferenz.
an dem der Zug bereits vorbeigefahren ist? Zunächst soll untersucht werden, wie sich zwei
b) Am Tunneleingang wird das Signal reflektiert. Wel- in derselben Richtung laufende ebene Wellen
che Frequenz fT hört der Beobachter? gleicher Amplitude überlagern. Die erste Welle
c) Wie groß ist die Frequenz fL des reflektierten Signals
sei gegeben durch
für den Lokführer?
y1 = ŷ cos(ωt − kx) .
Ü 5.2-9 Beim Verkehrsradar wird ein Radarstrahl an
einem entgegenkommenden Kraftfahrzeug reflektiert. Die zweite Welle weise gegenüber der ersten
Ein Detektor, der neben dem Sender steht, misst die die Phasenverschiebung ϕ bzw. den Gangun-
ϕ
terschied Δ = λ auf:
Frequenzverschiebung des reflektierten Strahls gegen-
über der Sendefrequenz. 2π
a) Zeigen Sie, dass die relative Frequenzänderung in y2 = ŷ cos(ωt − kx + ϕ)
guter Näherung Δf / f = 2/ c beträgt. ist die Ge-
Δ
schwindigkeit des Autos, c die Lichtgeschwindig- = ŷ cos ωt − kx + 2π .
keit. λ
478 5 Schwingungen und Wellen

Die resultierende Welle, die durch Addition Tabelle 5.11 Interferenzbedingungen für konstruktive
der beiden Teilwellen entsteht, ist wieder eine und destruktive Interferenz, Ordnungszahl
ebene Welle mit der gleichen Frequenz und m = 0, 1, 2, 3…
Wellenlänge, aber anderer Amplitude und
Bedingung für konstruktive destruktive
Phasenlage: Interferenz Interferenz

ϕ ϕ Gangunter-
y = 2 ŷ cos cos ωt − kx + schied Δ = mλ Δ = (2 m + 1) λ2
2 2
Phasenver-
oder schiebung ϕ = m 2π ϕ = (2 m + 1)π

Δ Δ
y = 2 ŷ cos π cos ωt − kx + π .
λ λ
(5.215)
Die Ergebnisse sind in Tabelle 5.11 wiederge-
In Abb. 5.54 sind einige Sonderfälle dargestellt: geben. Konstruktive Interferenz, d. h. Verstär-
kung der beiden Wellen, ergibt sich, wenn der
a) Gangunterschied Δ = 0; Phasenverschie- Gangunterschied ein ganzzahliges Vielfaches
bung ϕ = 0. Die Amplitude der resultie- der Wellenlänge ist. Destruktive Interferenz –
renden Welle ist doppelt so groß wie die der also Auslöschung – tritt ein, wenn der Gang-
Ausgangswellen. Die Nulldurchgänge liegen unterschied der beiden Teilwellen ein unge-
am selben Ort wie bei den Ausgangswellen. radzahliges Vielfaches der halben Wellenlänge
b) Gangunterschied Δ = λ/ 2; Phasenverschie- beträgt.
bung ϕ = π. Die beiden Ausgangswellen
schwingen an jedem Ort gegenphasig und Beispiel
löschen sich überall aus. 5.2-2 Zwei Lautsprecherboxen B1 und B2 sind im Ab-
c) Gangunterschied Δ = λ/ 4; Phasenverschie- stand d = 4 m aufgestellt. Ein Hörer sitzt so, dass er von
der Box B1 die Entfernung s1 = 4,2 m, von B2 den Ab-
bung ϕ = π/ 2. Die
√ Amplitude der resultie- stand s2 = 3,2 m hat. Für welche Frequenzen können
renden Welle ist 2-mal größer als die der sich die Schallwellen am Ort des Hörers auslöschen?
Ausgangswellen. Die Nulldurchgänge liegen (Reflexionen, z. B. an den Wänden, seien vernachläs-
zwischen denen der Wellen y1 und y2 . sigt.)

Abb. 5.54 Überlagerung ebener Wellen mit Zuständen für t = 0


5.2 Wellen 479

Lösung bzw. S2 kommt es zur Interferenz mit verschie-


Bedingung für Auslöschung ist nach Tabelle 5.11 der denen Gangunterschieden. Sind die Spiegel so
λ
Gangunterschied Δ = s2 − s1 = (2m + 1) . Daraus folgt justiert, dass der Empfänger E ein maximales
2
2(s − s ) c Signal registriert, so liegt konstruktive Interfe-
λm = 2 1 . Mit fm = erhält man für die sich
2m + 1 λm renz vor, d. h., der Gangunterschied der beiden
weginterferierenden Frequenzen
Teilwellen beträgt Δ = m λ. Verschiebt man
2m + 1
fm = c
2(s2 − s1 )
. jetzt z. B. den Spiegel S1 um λ/ 4, so verändert
sich der Weg im betreffenden Arm des Spek-
Mit der Schallgeschwindigkeit c = 340 m/s folgt
trometers um λ/ 2; dies führt zur Auslöschung
fm = 170 Hz · (2m + 1) . der interferierenden Wellen.
Man erhält die Zahlenwerte f0 = 170 Hz, f1 = 510 Hz, Bei kontinuierlicher Verschiebung eines Spie-
f2 = 850 Hz, f3 = 1 190 Hz und so fort. gels variiert daher das Empfängersignal peri-
odisch. Ist x die Verschiebung eines Spiegels
Im Interferometer nach Michelson kann die zwischen zwei Empfängermaxima, so beträgt
Überlagerung von zwei ebenen Wellen mit die Wellenlänge der ebenen Welle λ = 2 x.
beliebigem Gangunterschied beobachtet wer- Auf diese Weise lässt sich beispielsweise die
den. Das Prinzip geht aus Abb. 5.55 hervor. Wellenlänge der untersuchten Welle bestim-
Eine ebene Welle (Lichtwelle, elektromagne- men. Nimmt man als Welle eine Lichtwelle,
tische Mikrowelle, Ultraschallwelle), die der so kann man wegen der kleinen Wellenlänge
Sender S ausstrahlt, wird von der halbdurch- von nur einigen hundert Nanometern unge-
lässigen Platte P in zwei Teilwellen zerlegt, die wöhnlich präzise Längenmessungen vorneh-
nach der Reflexion an den Spiegeln S1 und S2 men (Abschn. 6.4). Bereits 1889 haben Michel-
im unteren Arm des Spektrometers überlagert son und Morley darauf hingewiesen, dass die
werden. Je nach Weglänge zwischen P und S1 Längeneinheit ,,Meter“ als Vielfaches einer be-
stimmten Lichtwellenlänge definiert werden
könnte. Diese Definition wurde auch realisiert
und war bis 1983 gültig.
Bei Lichtwellen gelingen Interferenzexperi-
mente nur dann, wenn die beiden interferie-
renden Wellen kohärent sind. Einzelheiten
hierüber findet man in Abschn. 6.4.

5.2.4.2 Stehende Wellen


Bringt man zwei ebene Wellen gleicher Am-
plitude und Frequenz, aber entgegengesetzter
Laufrichtung zur Interferenz, so entsteht eine
stehende Welle. Praktisch geschieht dies z. B.
bei der Reflexion einer Welle an einer Wand.
Mathematisch werden die beiden entgegenge-
setzt laufenden Wellen beschrieben durch
y1 = ŷ cos(ωt − kx)
Abb. 5.55 Michelson-Interferometer, schematisch. S,
Sender; P, halbdurchlässige Platte; S1 und S2 , Spiegel; und
E, Empfänger y2 = ŷ cos(ωt + kx + ϕ) .
480 5 Schwingungen und Wellen

Abb. 5.56 Zustände einer stehenden Welle

Die resultierende Welle ergibt sich durch Ad- xionsstelle ein Schwingungsknoten oder ein
dition der beiden Teilwellen: Schwingungsbauch ausbildet, hängt davon ab,
ob die Reflexion an einem festen oder losen
ϕ ϕ Ende erfolgt. Hängt man einen mit Sand ge-
y(x, t) = 2ŷ cos ωt + cos kx + .
2 2 füllten flexiblen Schlauch an der Decke auf
(5.216) und versetzt ihm einen Schlag, so läuft die
Ausbuchtung nach oben und nach der Refle-
xion am fest eingespannten Ende auf der an-
In Abb. 5.56 sind verschiedene Zustände der
deren Seite wieder herunter, wie Abb. 5.57a
durch (5.216) beschriebenen stehenden Welle
zeigt. Die Welle erfährt also einen Phasen-
dargestellt. In regelmäßigen Abständen λ/ 2,
sprung um ϕ = π. Ist hingegen das obere Ende
entstehen Schwingungsknoten bzw. Schwin-
des Schlauches an einem dünnen Bindfaden
gungsbäuche. Es ist zu beachten, dass diese
gemäß Abb. 5.57b befestigt, so erfolgt bei der
Knoten und Bäuche ortsfest sind und sich nicht
Reflexion am losen Ende kein Phasensprung,
wie bei der laufenden Welle längs der x-Achse
d. h., die Auslenkung kommt auf derselben
weiterbewegen.
Seite zurück, auf der sie begann. Regt man
Bei jeder Reflexion einer Welle tritt ein ste-
nun den Schlauch mit geeigneter Frequenz zu
hendes Wellenfeld auf. Ob sich an der Refle-
Schwingungen an, so bildet sich eine stehende
Welle aus, die bei fester Einspannung einen
Knoten, bei loser Halterung einen Bauch am
Schlauchende hat.
Stehende Wellen treten in vielen Gebieten der
Physik auf. Im Folgenden werden einige Bei-
spiele beschrieben.

Transversalwellen auf Saiten


Spannt man eine Saite an beiden Enden ein,
so bildet sich bei geeigneter Anregung eine
stehende Welle aus. (In Abb. 5.58 wird eine
Einspannstelle zu transversalen Schwingun-
gen mit kleiner Amplitude angeregt.) Je nach
Erregerfrequenz bilden sich verschiedene ste-
Abb. 5.57 Reflexion einer Transversalwelle am festen hende Wellen mit verschiedenen Knoten aus.
(a) und losen Ende (b) Da an den Einspannstellen stets ein Knoten
5.2 Wellen 481

der Saite beträgt ρ = 0,95 kg/dm3 , die Spannkraft


F = 1 N, die Saitenlänge l = 2 m, der Durchmesser
der Saite d = 1 mm.

a) Mit welcher Frequenz f0 muss die Saite angeregt


werden, damit sich die Grundschwingung einstellt?
b) Wie viel Knoten lassen sich beobachten, wenn die
maximal einstellbare Frequenz fmax = 50 Hz be-
trägt?

Lösung
a) Nach (5.217) ist die Frequenz des Grundtons
c
f0 = . Mit
2l

F
c=

Abb. 5.58 Stehende Wellen auf einer Saite
1N
=
7,85 · 10−7 m2 · 950 (kg/m3 )
sein muss, hat die Grundschwingung einen = 36,6 m/s
Bauch in der Saitenmitte. Die Länge l der Saite
muss demnach mit der halben Wellenlänge ist die Grundfrequenz f0 = 9,15 Hz.
übereinstimmen: l = λ/ 2. Mit c = λf ergibt b) Eine Schwingung mit n Knoten hat die Frequenz
fn = (n + 1)f0 . Mit der Bedingung fn 5 fmax folgt
sich für die Frequenz des Grundtons
n = 4.

c
f0 = . (5.217) Longitudinalwellen in Gasen
2l Longitudinale stehende Wellen in einer Luft-
säule können im Kundt’schen Rohr sichtbar
Die Phasengeschwindigkeit der Welle beträgt gemacht werden, wie es Abb. 5.59 zeigt. Die
dabei Luftsäule im Innern eines Glasrohrs wird z. B.
mit Hilfe eines Lautsprechers in Längsschwin-
F
c= . (5.193) gungen versetzt. Die Länge der schwingenden
Aρ Luftsäule lässt sich mit dem verschiebbaren
Stempel am linken Ende verändern. Bei pas-
Die erste Oberschwingung hat in der Saiten-
sender Länge bildet sich ein stehendes Wellen-
mitte einen Knoten, die zweite Oberschwin-
feld mit großen Schwingungsamplituden aus.
gung hat zwei Knoten und so fort. Die n-te
Oberschwingung hat n Knoten und die Fre-
quenz

fn = (n + 1)f0 . (5.218)

Beispiel
5.2-3 Abbildung 5.58 zeigt Fotografien stehender Wel- Abb. 5.59 Stehende Schallwellen im Kundt’schen
len auf einer Gummischnur. Die Anregung geschieht Rohr: a) Prinzip der Anregung und b) Knoten und
mit einem Klingeltrafo variabler Frequenz. Die Dichte Bäuche (Fotografie)
482 5 Schwingungen und Wellen

Im Rohrinnern befindet sich Korkmehl, das an ten) aufweist (Reflexion am losen Ende). Ab-
den Schwingungsbäuchen aufgewirbelt wird bildung 5.60 zeigt einige Schwingungsformen
und an den Knoten liegen bleibt. Der Abstand einer offenen Pfeife. Die Longitudinalwellen
zweier benachbarter Knoten beträgt auch in werden als Transversalwellen dargestellt. Die
diesem Fall λ/ 2. Grundschwingung hat in der Mitte einen Kno-
Stehende Longitudinalwellen spielen auch eine ten. Die Länge l der Pfeife entspricht also ei-
große Rolle bei Blasinstrumenten. Als Beispiel ner halben Wellenlänge der Schallwelle. Mit
seien die Eigenschwingungen der Orgelpfei- der Schallgeschwindigkeit c ergibt sich die
fen näher untersucht. Bei Orgelpfeifen wird Frequenz des Grundtons wie bei den Saiten-
die Luft am vorderen Ende über eine Schneide schwingungen zu f0 = c/ (2l) (5.217). Die n-te
eingeblasen und durch die entstehenden Wir- Oberschwingung hat n+1 Knoten und die Fre-
bel die Luftsäule zu Schwingungen angeregt. quenz fn = (n + 1)f0 (5.218).
Bei offenen Pfeifen ist das hintere Ende der Bei „gedackten“ Pfeifen ist ein Ende der Pfeife
Pfeife offen. Dort wird die Schallwelle reflek- verschlossen. Am geschlossenen Ende ent-
tiert und läuft zurück. Es bildet sich eine steht ein Schwingungknoten, am offenen ein
stehende Welle aus, die an den Enden des Schwingungsbauch. Die verschiedenen Eigen-
Rohres einen Schwingungsbauch (Druckkno- schwingungsformen sind in Abb 5.61 gezeigt.
Bei der Grundschwingung ist die Länge l der
Pfeife mit λ/ 4 identisch. Die Frequenz des
Grundtones ist deshalb

c
f0 = . (5.219)
4l

Eine gedackte Pfeife klingt also bei gleicher


Länge um eine Oktave tiefer als eine offene
Pfeife. Die Frequenz der n-ten Oberschwin-
gung beträgt

Abb. 5.60 Eigenschwingungen offener Orgelpfeifen Abb. 5.61 Eigenschwingungen gedackter Orgelpfeifen
(Verlauf der Auslenkung bzw. Geschwindigkeit): (Verlauf der Auslenkung bzw. Geschwindigkeit):
a) Grundschwingung, b) erste Oberschwingung und a) Grundschwingung, b) erste Oberschwingung und
c) zweite Oberschwingung c) zweite Oberschwingung
5.2 Wellen 483

fn = (2n + 1)f0 . (5.220)

Bei der gedackten Pfeife kommen im Oberton-


spektrum nur ungeradzahlige Vielfache der
Grundfrequenz vor.
Bei den Musikinstrumenten schwingen außer
der Grundschwingung immer mehrere Ober-
schwingungen mit. Der typische individuelle
Klang eines Instrumentes wird durch sein
Obertonspektrum bestimmt (Abschn. 7.2.2,
Abb. 7.16).

5.2.4.3 Beugung
Eine Welle, die auf ein Hindernis trifft, wird an Abb. 5.63 Elementarwelle hinter einer spaltförmigen
dessen Rändern gebeugt. Sie erfährt eine Rich- Öffnung
tungsänderung und pflanzt sich auch in Rich-
tungen fort, die innerhalb der geometrischen gedacht werden. Werden zu einem bestimmten
Schattengrenzen liegen. Die Richtungsände- Zeitpunkt von allen Punkten einer Wellenflä-
rung und die Ausbildung der neuen Wellen- che Elementarwellen ausgesandt, so ergibt sich
front hinter dem Hindernis können nach dem die Wellenfläche zu einem späteren Zeitpunkt
Prinzip von Huygens (C. Huygens, 1629 bis als Einhüllende aller Elementarwellen. Abbil-
1695) ermittelt werden: Alle Punkte einer Wel- dung 5.62 zeigt Beispiele für die Anwendung
lenfläche schwingen mit gleicher Phase. Sie ha- des Huygens’schen Prinzips.
ben dieselbe Frequenz wie der Wellenerreger Das Huygens’sche Prinzip der Elementarwel-
und unterscheiden sich demnach nicht grund- len wurde von A. J. Fresnel (1788 bis 1827)
sätzlich von diesem. Nach Huygens kann nun erweitert. Er zeigte, dass die Schwingung ei-
jeder Punkt einer Wellenfläche als Ausgangs- nes beliebigen Punktes im Wellenfeld dadurch
punkt einer sog. Elementarwelle (Kugelwelle) zustande kommt, dass sämtliche Elementar-
wellen, die von einer Wellenfläche ausgehen,
in dem betreffenden Punkt überlagert werden.
Das Huygens-Fresnel’sche Prinzip erwies sich
als außerordentlich fruchtbar; denn man ist
damit in der Lage, alle Beugungserscheinun-
gen zu erklären.
Die Existenz der Elementarwellen kann man
durch folgenden Versuch sichtbar machen:
Lässt man – wie in Abb. 5.63 gezeigt – ebene
Wasserwellen auf eine Wand mit einer klei-
nen Öffnung zulaufen, so bildet sich hinter der
Öffung eine kreisförmige Elementarwelle aus.
Abb. 5.62 Beispiele zum Huygens’schen Prinzip Hat die Wand zwei oder mehr Öffnungen, so
484 5 Schwingungen und Wellen

(in Abb. 5.64 auf m = 0 bis m = 3). Rechts sind


die Asymptoten eingezeichnet, an die sich die
Hyperbeln in großem Abstand von den Spal-
ten (Fernfeld) anschmiegen. Die Winkel der
Asymptoten zur y-Achse betragen

λ
sin αm =m . (5.221)
d

Bei den bisherigen Betrachtungen war die


Spaltöffnung sehr viel kleiner als die Wellen-
länge. Der Fall, dass die Wellenlänge kleiner
ist als die Öffnung, ist vor allem in der Optik
häufig anzutreffen (Abschn. 6.4).
Abb. 5.64 Beugung am Doppelspalt
5.2.4.4 Überlagerung von Wellen
unterschiedlicher Frequenz
ergibt sich das Wellenfeld hinter den Hinder- Die ebene Welle y = ŷ cos(ωt − kx) ist sowohl
nissen durch Interferenz der Elementarwellen. räumlich als auch zeitlich unendlich ausge-
Die Beugung an einem Doppelspalt soll mit dehnt, d. h., sie hat weder Anfang noch Ende.
Hilfe von Abb. 5.64 genauer untersucht wer- Reale physikalische Wellen sind begrenzt. Bei-
den. Von unten her bewege sich eine ebene spielsweise laufen bei der digitalen Nachrich-
Welle auf ein Hindernis zu, das im Abstand d tentechnik Wellenzüge endlicher Länge auf
zwei spaltförmige Öffnungen hat. Von diesen elektrischen Leitungen. Ein solches Wellen-
Öffnungen aus werden Elementarwellen in den paket ist schematisch in Abb. 5.65 wiederge-
Raum hinter dem Hindernis abgestrahlt. geben. Ein Wellenpaket kann mathematisch
Symbolisieren die konzentrischen Kreise die nicht durch die genannte Gleichung beschrie-
Wellenberge der Elementarwellen, so erhält ben, sondern es muss nach dem Satz von
man Verstärkung immer am Schnittpunkt Fourier als Summe bzw. Integral über un-
zweier Kreise, weil dort der Gangunterschied endlich viele k-Werte (Wellenzahlen) darge-
ein ganzzahliges Vielfaches der Wellen- stellt werden. Die wesentlichen Eigenschaften
länge ist. Die Verbindungslinien aller dieser eines Wellenpakets können am Beispiel der
Orte mit konstruktiver Interferenz ergeben Schwebungsgruppe diskutiert werden, die ent-
als Interferenzmuster eine Schar konfoka- steht, wenn zwei ebene Wellen mit leicht unter-
ler Hyperbeln, die der Hyperbelgleichung schiedlicher Frequenz und Wellenlänge über-
(x2 / a2 ) − (y2 / b2 ) = 1 genügen, mit a = m(λ/ 2) lagert werden:
und b2 = (d/ 2)2 − a2 .
Die Ordnungszahl m gibt den Gangunterschied
der interferierenden Kugelwellen in Vielfachen
der Wellenlänge λ an. Die Intensitätsmaxima
nullter Ordnung (m = 0) liegen auf der y-
Achse. Aus geometrischen Gründen ist die
Ordnungszahl beschränkt auf Werte m d/λ Abb. 5.65 Wellenpaket endlicher Länge
5.2 Wellen 485

y1 = ŷ cos(ω1 t − k1 x) , der Ausbildung von Wellengruppen. Abbil-


y2 = ŷ cos(ω2 t − k2 x) . dung 5.66 zeigt zwei Momentbilder der Funk-
tion von (5.222) mit von oben nach unten fort-
Die Addition der beiden Teilwellen ergibt schreitender Zeit. Das Maximum der Wellen-
gruppe, durch einen Pfeil gekennzeichnet, be-
wegt sich mit der Gruppengeschwindigkeit cgr ,
y = 2ŷ cos(ω t − kx) cos(Δω t − Δk x) die man auf folgende Weise berechnen kann:
(5.222) Die Einhüllende der Gruppe entspricht dem
langwelligen Anteil von (5.222):

mit y = 2ŷ cos(Δω t − Δk x) .


ω1 + ω2
ω= als der mittleren Kreisfrequenz, Ein Zustand konstanter Phase dieser Funktion
2 wird beschrieben durch Δω t − Δk x = konst.
k1 + k2
k= als der mittleren Wellenzahl, Orte konstanter Phase sind
2
ω1 − ω2 Δω t − konst.
Δω = sowie x= .
2 Δk
k1 − k2 Damit ergibt sich die Geschwindigkeit der
Δk = .
2 Gruppe:
Der erste Faktor in (5.222) stellt eine laufende dx Δω ω1 − ω2
cgr = = = .
Welle dar, deren Frequenz und Wellenzahl dt Δk k1 − k2
praktisch mit den Werten der Ausgangswel- Für beliebige Wellenpakete, die durch Fourier-
len identisch sind. Die Phasengeschwindigkeit Synthese erzeugt werden, ist die Gruppenge-
dieser Welle beträgt schwindigkeit
ω ω1 + ω2
c= = .
k k1 + k2 dω
cgr = . (5.223)
dk
Der zweite Faktor ist verantwortlich für eine
langwellige Modulation der Amplitude mit Die Gruppengeschwindigkeit ist die Ge-
schwindigkeit, mit der sich die Hüllkurve
einer Wellengruppe weiterbewegt und
somit auch die Geschwindigkeit, mit der
die Energie transportiert wird.

Die Gruppengeschwindigkeit ist von großer


praktischer Bedeutung. Wie man leicht zeigen
kann, hängt die Gruppengeschwindigkeit cgr
mit der Phasengeschwindigkeit c über die Be-
ziehung

Abb. 5.66 Zustände einer Wellengruppe. Der Pfeil dc


cgr =c−λ (5.224)
kennzeichnet das Maximum der Gruppe; der kleine dλ
Kreis einen Zustand konstanter Phase
486 5 Schwingungen und Wellen

zusammen. Aus dieser Gleichung erkennt


dn
man, dass Gruppen- und Phasengeschwin- ngr =n−λ . (5.225)
digkeit nur dann gleich sind, wenn die dλ
Phasengeschwindigkeit c nicht von der Wel-
lenlänge λ abhängt, d. h. wenn dc/ dλ = 0 ist. In der optischen Nachrichtentechnik lau-
Bei sehr vielen praktischen Anwendungen fen modulierte Lichtsignale auf Glasfasern.
hängt jedoch die Phasengeschwindigkeit von Die für die Signalübertragung maßgebliche
der Wellenlänge ab. Dies nennt man Disper- Geschwindigkeit ist die Gruppengeschwindig-
sion. Sie bewirkt, dass ein Wellenpaket im keit, die mit Hilfe des Gruppenindex bestimmt
Laufe der Zeit seine Form verändert – es wird.
zerläuft.
Man unterscheidet hierbei drei Fälle: Beispiel
5.2-4 In der Nachrichtentechnik werden elektroma-
dc gnetische Wellen häufig auf Hohlleitern übertragen.
> 0, cgr < c, normale Dispersion;

Schwingt nach Abb. 5.67 der elektrische Feldvektor E
in z-Richtung und läuft die Welle in y-Richtung, dann
dc
< 0, cgr > c, anomale Dispersion; gilt folgende Dispersionsrelation:

2
dc π
= 0, cgr = c, keine Dispersion. ω(k) = c0 k2 +
dλ a
.

Die in Abb. 5.66 dargestellte Welle zeigt Für Wellen dieser Art ist die Phasen- und Gruppenge-
normale Dispersion: Ein Zustand konstanter schwindigkeit zu bestimmen.
Phase, durch einen kleinen Kreis gekennzeich- Lösung
net, bewegt sich rascher als das Maximum der Aus der Dispersionsrelation folgt für die Phasenge-
Wellengruppe. schwindigkeit
In der Optik wird die Lichtgeschwindigkeit c ω c0 c0
in einem Medium über den Brechungsindex n c= = 2 2 .
k c0 fgr
ausgedrückt (Abschn. 6.2.3.1): 1− 1−
2af f
c0
c= ,
n

c0 ist die Lichtgeschwindigkeit im Vakuum.


Dieser Brechungsindex zeigt üblicherweise Di-
spersion, d. h., er hängt von der Lichtwellen-
länge ab: n = n(λ).
Wird für die Gruppengeschwindigkeit von
Lichtwellen ein Gruppenindex definiert ge-
mäß
c0
ngr = ,
cgr

dann besteht für diese beiden Brechungsindi- Abb. 5.67 Phasen- und Gruppengeschwindigkeit einer
zes folgender Zusammenhang elektromagnetischen Welle in einem Hohlleiter
5.2 Wellen 487

Eine Wellenausbreitung ist offensichtlich nur mög- Ü 5.2-12 Ein Stahlstab mit der Dichte ρ = 7,83 kg/dm3
lich, wenn die Frequenz f größer ist als eine Grenz- und der Länge l = 1 m ist in der Mitte fest eingespannt.
frequenz fgr : Durch Reiben erzeugt man eine Longitudinalschwin-
c0 gung mit der Grundfrequenz f0 = 2 527 Hz.
f > fgr = .
2a a) Wie groß ist die Schallgeschwindigkeit im Stab?
Zudem ist die Phasengeschwindigkeit c stets größer als b) Bestimmen Sie den Elastizitätsmodul des Stahls.
die Vakuumlichtgeschwindigkeit c0 (Abb. 5.67). Dies c) Welche Frequenzen haben die möglichen Ober-
ist kein Widerspruch zur Relativitätstheorie, nach der töne?
weder materielle Körper schneller sein können als die
Vakuumlichtgeschwindigkeit, noch Energie mit einer
größeren Geschwindigkeit übertragen werden kann. Ü 5.2-13 Zwei ebene ungedämpfte Wellen laufen in
Tatsächlich werden Signale (Energie) auf dem Hohllei- gleicher Richtung und überlagern sich. Die Frequen-
ter mit der Gruppengeschwindigkeit übertragen, die zen sind f1 = 30 Hz und f2 = 33 Hz. Die Ausbreitungs-
stets kleiner ist als die Vakuumlichtgeschwindigkeit. geschwindigkeit ist für beide c1 = c2 = 330 m/s.
Aus der Dispersionsrelation folgt für die Gruppenge-
a) Welchen räumlichen Abstand haben zwei aufein-
schwindigkeit
ander folgende Wellengruppen?
2 b) Wie groß ist die Schwebungsfrequenz am festen Ort
dω fgr
cgr = = c0 1 − . eines Detektors?
dk f
c) Wie groß ist die Gruppengeschwindigkeit einer
Für das Produkt der beiden Geschwindigkeiten gilt: Schwebungsgruppe ?

cgr · c = c02 .
Ü5.2-14 Der Brechungsindex von Quarzglas zeigt nor-
Zur Übung male Dispersion. Im Kern einer Glasfaser werden fol-
Ü 5.2-11 Zwei Wellen gleicher Frequenz, Schwin- gende Werte gemessen:
gungsrichtung und Laufrichtung überlagern sich. Sie
werden beschrieben durch bei λ1 = 840 nm : n1 = 1,47393 ,
π bei λ2 = 860 nm : n2 = 1,47359 .
y1 = 3 · 10−4 m · cos ωt − kx + und
6

2π Bestimmen Sie näherungsweise, mit welcher Ge-
y2 = 2 · 10−4 m · cos ωt − kx + . schwindigkeit (Gruppengeschwindigkeit) sich der
3
Schwerpunkt eines kurzen Lichtpulses auf einer
Ermitteln Sie a) die resultierende Amplitude ŷ, b) die Glasfaser ausbreitet. Der Lichtblitz stammt von einem
Phasenverschiebung der resultierenden Welle gegen- GaAlAs-Laser, der bei der Wellenlänge λ = 850 nm
über y1 . emittiert. Wie groß ist der Gruppenindex?
Kapitel 6
Optik 6

E. Hering et al., Physik für Ingenieure,


DOI 10.1007/978-3-642-22569-7_6, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
6 Optik
6.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 491
6.2 Geometrische Optik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 492
6.2.1 Lichtstrahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 492
6.2.2 Reflexion des Lichtes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 493
6.2.3 Brechung des Lichtes. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 499
6.2.4 Abbildung durch Linsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 510
6.2.5 Blenden im Strahlengang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 522
6 6.2.6
6.2.7
Abbildungsfehler. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Optische Instrumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
523
523
6.3 Radio- und Fotometrie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 534
6.3.1 Einführung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 534
6.3.2 Strahlungsphysikalische Größen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 534
6.3.3 Lichttechnische Größen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 542
6.3.4 Farbmetrik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 545
6.4 Wellenoptik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 549
6.4.1 Interferenz und Beugung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 549
6.4.2 Polarisation des Lichtes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 578
6.5 Quantenoptik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 588
6.5.1 Lichtquanten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 588
6.5.2 Dualismus Teilchen–Welle. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 592
6.5.3 Wärmestrahlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 593
6.5.4 Laser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 596
6.5.5 Materiewellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 600
6.6 Abbildung mikroskopischer Objekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 603
6.6.1 Beugungsbegrenzte Abbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 603
6.6.2 Überwindung der Beugungsbegrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 606
6 Optik

6.1 Einführung flexion an Gegenständen ins Auge gelangen


und dort Sinnesreize auslösen. Mit seiner Kor-
Die Optik ist die Lehre vom Licht und be- puskulartheorie war Newton in der Lage, die
fasst sich mit den Erscheinungen, die durch Reflexion und Brechung von Licht zu erklä-
unser Sinnesorgan Auge wahrgenommen wer- ren.
den. Die Gliederung der Optik in ihre histo- Die Phänomene der Beugung und Interferenz
risch gewachsenen Teilgebiete ist in Abb. 6.1 des Lichtes konnten nur mit der zuerst von
schematisch dargestellt. Huygens (1678) entwickelten Wellentheorie des
Die Auffassung über das Wesen des Lich- Lichtes erklärt werden, die später durch die
tes änderte sich mehrmals im Lauf der Zeit. Arbeiten von Young (1802) erhärtet wurde.
Von Newton wurde 1672 eine Korpuskulartheo- War man zunächst noch der Meinung, dass
rie entwickelt. Ihr zufolge sendet eine Licht- es sich um elastische Longitudinalwellen in ei-
quelle kleine Korpuskeln aus, die sich mit nem das Weltall erfüllenden „Äther“ handelte,
großer Geschwindigkeit geradlinig fortbewe- so wurde nach der Entdeckung der Polarisa-
gen, bis sie entweder direkt oder nach der Re- tion des Lichtes durch Malu̇s (1808) von Fres-

Abb. 6.1 Strukturbild physikalische Optik

M. Stohrer, E. Hering, R. Martin, Physik für Ingenieure.


DOI 10.1007/978-3-642-22569-7_6 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
492 6 Optik

nel (1815) der Schluss gezogen, dass das Licht der elektromagnetischen Wellen. Das sicht-
eine transversale Welle darstellt. bare Spektrum liegt im Wellenlängenbereich
Die Natur der Lichtwellen als elektromagneti- λ = 380 nm bis λ = 780 nm. Die Wellenlänge λ
sche Transversalwellen wurde schließlich von ist mit der Frequenz f und der Lichtge-
Maxwell (1865) erkannt. Die Maxwell’schen schwindigkeit c durch c = λf verknüpft
Gleichungen haben elektromagnetische Wel- (Abschn. 5.2.1). Mit der Vakuumlichtge-
len als Lösung, die sich mit Lichtgeschwindig- schwindigkeit c0 = 299 792,458 km/s ergeben
keit im Vakuum ausbreiten. Es gelang, alle Ge- sich Frequenzen des sichtbaren Lichts im
setze der Optik aus den Grundgleichungen der Bereich f = 3,84 · 1014 Hz bis 7,89 · 1014 Hz.
Elektrodynamik herzuleiten, sodass die Op- Unser Auge ist demnach in einem Frequenz-
tik zu einem Teilgebiet der Elektrodynamik intervall von einer Oktave empfindlich.
wurde. Nachdem Ende des 19. Jahrhunderts die
Abbildung 6.2 zeigt die Einordnung des Wellentheorie des Lichtes etabliert war, wur-
sichtbaren Lichtes in das Gesamtspektrum den um die Jahrhundertwende Experimente
bekannt, die mit der Wellentheorie nicht inter-
pretierbar waren. Diese Schwierigkeiten treten
immer dann auf, wenn Licht und Materie in
Wechselwirkung treten, z. B. bei der Absorp-
tion und Emission von Licht. Einen Ausweg
fand Einstein (1905) mit der Einführung seiner
Lichtquantenhypothese. Danach soll Licht aus
einzelnen Lichtquanten bestehen, die Energie
in ganzen Paketen, d. h. quantenhaft, mit Ma-
terie austauschen. Je nach Experiment wurde
deshalb Licht entweder als Teilchenstrom oder
als elektromagnetische Welle interpretiert.
Diese Zweigleisigkeit der Beschreibung wurde
mit dem Begriff Welle-Teilchen-Dualismus
belegt. Erst in der Quantenoptik bzw. Quan-
tenelektrodynamik wurde eine theoretische
Beschreibung gefunden, die beide Aspekte
vereinigt.

6.2 Geometrische Optik


6.2.1 Lichtstrahlen

Die geometrische Optik oder Strahlenoptik


fußt auf der Prämisse: Lichtstrahlen breiten
sich im homogenen Medium geradlinig aus.
Der Begriff der Strahlen stammt aus der Kor-
Abb. 6.2 Wellenlängen λ und Frequenzen f im puskulartheorie, wo der Weg einer Korpuskel
Spektrum der elektromagnetischen Wellen durch einen geraden Strahl beschrieben wird.
6.2 Geometrische Optik 493

Auch in der Wellentheorie hat der Lichtstrahl verläuft also immer so, als ob keine anderen
eine sinnvolle Bedeutung; er entspricht der Strahlen vorhanden wären.
Normalen auf einer Wellenfläche. Die geometrische Optik ist anwendbar, so-
Abbildung 6.3a zeigt eine punktförmige Licht- lange die Dimension der Gegenstände, Linsen,
quelle mit konzentrischen kugelförmigen Wel- Spiegel, Blenden usw. groß sind gegenüber der
lenflächen. Die eingezeichneten Strahlen, die Wellenlänge des Lichtes. Sind dagegen die Ab-
von der Lichtquelle ausgehen, stehen senk- messungen in der Größenordnung der Wellen-
recht auf den Wellenflächen. Die Gesamtheit länge, dann werden Beugungseffekte wirksam,
aller Strahlen, die von der Blende begrenzt die mit der Wellenoptik erklärt werden müs-
werden, nennt man ein Strahlenbündel. Wenn sen (Abb. 6.1).
die Strahlen – wie in diesem Fall – von ei-
nem Punkt ausgehen bzw. sich in einem Punkt
6.2.2 Reflexion des Lichtes
schneiden, ist das Bündel homozentrisch.
Bei ebenen Wellen, die z. B. von Lasern aus- 6.2.2.1 Reflexion an ebenen Flächen
gesandt werden oder in großer Entfernung
Fällt ein Lichtstrahl nach Abb. 6.4 auf eine spie-
von Lichtquellen vorliegen, sind die Strahlen
gelnde Fläche, so wird der Strahl reflektiert.
parallel (Abb. 6.3b). Der Pfeilrichtung an den
Die Normale zur Fläche durch den Auftreff-
Strahlen kommt keine besondere Bedeutung
punkt wird als Einfallslot bezeichnet. Es gilt
zu, denn der Lichtweg ist grundsätzlich um-
das Reflexionsgesetz:
kehrbar. Lichtstrahlen, die sich durchkreuzen,
beeinflussen sich gegenseitig nicht. Ein Strahl
Einfallender Strahl, reflektierter Strahl
und Einfallslot liegen in einer Ebene; der
Einfallswinkel ε und der Reflexionswin-
kel εr sind gleich: εr = −ε.

Abb. 6.3 Strahlen- und Wellenflächen:


a) Homozentrisches Strahlenbündel und Kugelwellen, Abb. 6.4 Reflexionsgesetz: Der Einfallswinkel ε ist
b) paralleles Strahlenbündel und ebene Wellen gleich dem Reflexionswinkel εr
494 6 Optik

Das Reflexionsgesetz, das von Euklid 300 v. Aus einem 90◦ -Winkelspiegel wird ein Tripel-
Chr. gefunden wurde, ist theoretisch leicht er- spiegel, wenn man noch eine dritte spiegelnde
klärbar. In Newtons Korpuskulartheorie folgt Fläche senkrecht zu den beiden vorhandenen
diese Gesetzmäßigkeit aus dem elastischen aufbringt. (Die Flächen stoßen aneinander
Stoß eines leichten Teilchens an einer schwe- wie bei einer Würfelecke.) Ein Lichtstrahl,
ren Wand. Im Wellenbild ergibt sich das Re- der in einen Tripelspiegel fällt, wird stets
flexionsgesetz zwanglos aus der Konstruktion so reflektiert, dass der reflektierte Strahl
Huygens’scher Elementarwellen an der Auf- parallel zum einfallenden verläuft. Außer
treffstelle (Abschn. 5.2.4.3). als Rückstrahler an Fahrzeugen wird der
Tripelspiegel bei der optischen Entfernungs-
Beispiel
messung eingesetzt. Dabei wird ein Lichtpuls
6.2-1 Zwei ebene Spiegel bilden nach Abb. 6.5 einen
von einem Sender ausgestrahlt, an einem
Winkelspiegel mit dem Öffnungswinkel γ . Ein Licht-
strahl, der senkrecht zur gemeinsamen Kante ver- Tripelspiegel reflektiert und mit einem De-
läuft, wird durch beide Spiegel reflektiert. Wie groß tektor nachgewiesen, der unmittelbar beim
ist der Ablenkungswinkel δ? Was ergibt sich speziell Sender steht. Die Entfernung zwischen Sender
für γ = 45◦ und γ = 90◦ ? und Tripelspiegel ergibt sich aus der Laufzeit
des Lichtpulses und der Lichtgeschwindig-
Lösung
Die Winkelsumme im Dreieck ABC beträgt keit.

(90◦ − α) + (90◦ − β) + γ = 180◦ . (1) Bildentstehung beim Spiegel


Befindet sich ein Gegenstand vor einem Spie-
Im Dreieck ABD gilt
gel, so kann ein Beobachter, der in den Spie-
2α + 2β + (180◦ − δ) = 180◦ . (2) gel blickt, ein Bild des Gegenstandes sehen. In
Abb. 6.6 fällt das Licht einer punktförmigen
Aus (1) und (2) folgt δ = 2 γ . Für γ = 45◦ ist der Lichtquelle L auf einen ebenen Spiegel. Jeder
Ablenkwinkel δ = 90◦ . Ein solcher Winkelspiegel wird
Lichtstrahl wird nach dem Reflexionsgesetz re-
in der Geodäsie benutzt, um senkrechte Richtungen zu
bestimmen. Für γ = 90◦ wird der Ablenkungswinkel
flektiert. Die gestrichelten Verlängerungen der
δ = 180◦ , d. h., der einfallende und der reflektierte Strahlen treffen sich hinter dem Spiegel im
Strahl sind parallel. Punkt L . Für einen Beobachter scheinen alle

Abb. 6.5 Strahlengang im Winkelspiegel Abb. 6.6 Spiegelbild einer punktförmigen


(zu Beispiel 6.2-1) Lichtquelle L in einem Spiegel
6.2 Geometrische Optik 495

Strahlen vom Punkt L herzukommen. L ist


daher das Bild der Lichtquelle L.

Gegenstandspunkt L und Bildpunkt L


liegen auf einer Normalen zur Spiegel-
fläche und haben den gleichen Abstand
vom Spiegel.

Es handelt sich in diesem Fall um ein virtu-


elles oder scheinbares Bild, weil sich nicht die
Strahlen selbst, sondern nur ihre Verlängerun-
gen schneiden. Ein virtuelles Bild kann im Ge-
gensatz zu einem reellen Bild, bei dem sich die
Strahlen wirklich schneiden, nicht auf einem Abb. 6.7 Strahlengang bei einem Parabolspiegel mit
Brennpunkt F
Schirm sichtbar gemacht werden.

Zur Übung als paralleles Lichtbündel den Parabolspiegel.


Ü 6.2-1 Leiten Sie das Reflexionsgesetz her mit Hilfe Parabolspiegel werden bei Scheinwerfern be-
der Huygens’schen Elementarwellen (Abschn. 5.2.4.3).
nutzt, um eine möglichst gute Bündelung des
Hinweis: Wenn eine ebene Welle auf einen Spiegel fällt,
werden an den Schnittpunkten der Wellenflächen mit Lichtes zu erhalten. Selbst bei geometrisch
der Spiegelebene Kugelwellen ausgesandt, deren Ein- idealer Paraboloidform sind bei einem Schein-
hüllende die neue Wellenfront bildet. werfer nicht alle Strahlen parallel, weil die
Lichtquelle (Lampenwendel) nicht punktför-
Ü 6.2-2 Ein Winkelspiegel hat den Öffungswinkel mig ist, sondern eine endliche Ausdehnung
γ = 72◦ . Konstruieren Sie sämtliche Bilder einer hat.
punktförmigen Lichtquelle, die innerhalb des Spiegels Für die Praxis sind sphärische Hohl- oder Kon-
steht. Wie viele Bilder ergeben sich?
kavspiegel von größerer Bedeutung als die Pa-
rabolspiegel. Ein sphärischer Hohlspiegel ist
6.2.2.2 Reflexion an gekrümmten Flächen eine innen verspiegelte Kugelkalotte. Fällt ent-
Wenn ein Lichtstrahl auf eine gekrümmte spie- sprechend Abb. 6.8a ein Lichtbündel parallel
gelnde Fläche fällt, so ist nach dem Reflexions- zu optischen Achse CS auf den Hohlspiegel, so
gesetz der Einfallswinkel gleich dem Ausfalls- können sich infolge der anderen Krümmungs-
winkel. Die gekrümmte Fläche wird im Auf- verhältnisse nicht alle Strahlen in einem Punkt
treffpunkt des Lichtstrahls durch ihre Tangen- treffen wie beim Parabolspiegel.
tialebene ersetzt, das Einfallslot ist die Nor- Die Reflexion eines achsenparallel einfal-
male durch den Berührpunkt. lenden Strahls erkennt man in der oberen
Fällt Licht gemäß Abb. 6.7 parallel zur op- Hälfte von Abb. 6.8a. Das Einfallslot ist die
tischen Achse (Rotationssymmetrieachse) auf Verbindung zwischen Auftreffpunkt A und
einen Parabolspiegel, so schneiden sich alle Kreismittelpunkt C. In der unteren Hälfte
Strahlen in einem Punkt, dem Brennpunkt F. von Abb. 6.8a fällt ein achsenparalleles Licht-
Sitzt dagegen im Brennpunkt eine punktför- bündel auf den Spiegel. Die Einhüllende aller
mige Lichtquelle, so verlassen wegen der Um- reflektierten Strahlen ist eine geschlossene
kehrbarkeit des Strahlengangs alle Strahlen Kurve, die Katakaustik. In Abb. 6.8b ist das
496 6 Optik

Abb. 6.9 Reflexion eines paraxialen Strahls parallel


zur optischen Achse CS am Hohlspiegel

schen Achse CS auf einen Hohlspiegel mit dem


Krümmungsradius r fällt, ist noch einmal in
Abb. 6.9 ausführlich dargestellt.
Der Abstand f des Brennpunktes F vom
Scheitel S beträgt f = r − CF. Die Strecke CF
im gleichschenkligen Dreieck CF A ist CF =
r/ (2 cos ε). Damit ergibt sich für die Brenn-
weite f des Hohlspiegels f = r(1−1/ (2 cos ε)).
Bei paraxialen Strahlen ist der Winkel ε sehr
klein und cos ε ≈ 1. Im Rahmen dieser Verein-
fachung gilt – unabhängig vom Abstand, den
der Strahl von der optischen Achse hat –

r
f = . (6.1)
2

Abb. 6.8 Katakaustik beim Hohlspiegel: a) Entstehung, Bildentstehung beim Hohlspiegel


b) Fotografie In Abb. 6.10 befindet sich ein Objekt O auf
der optischen Achse CS. Der Lichtpunkt sen-
Foto einer Katakaustik wiedergegeben. Hier- det in alle Raumrichtungen Lichtstrahlen aus.
bei wurde ein innen verspiegelter Ring mit Diejenigen Strahlen, die auf den Hohlspiegel
parallelem Licht beleuchtet. treffen, werden dort reflektiert und vereinigen
Bei der Betrachtung von Abb. 6.8a fällt auf, sich alle wieder im Punkt O . Diesen Punkt O
dass diejenigen Strahlen, die nahe der opti- bezeichnet man als Bild des Gegenstandes O.
schen Achse verlaufen, in einem Punkt F ge- Um die Lage des Bildpunktes zu finden, ge-
sammelt werden. Diese achsennahen Strahlen nügt es, zwei ausgewählte Strahlen, die von
werden als Paraxialstrahlen bezeichnet. Die O ausgehen, zu verfolgen. Der Schnittpunkt
Reflexion eines Strahls, der parallel zur opti- dieser beiden Strahlen ist der Bildpunkt. Ein
6.2 Geometrische Optik 497

(Abb. 6.10). Bei Auffaltung gilt die Abbildungs-


gleichung
1 1 1
− = ,
aauf a fauf

dabei ist die aufgefaltete Brennweite


r

fauf = − = −f .
2
Abb. 6.10 Abbildung eines Punktes O auf der
optischen Achse CS eines Hohlspiegels (r < 0) Liegt ein Gegenstandspunkt P nicht auf der op-
tischen Achse, so liegt auch sein Bildpunkt P
außerhalb. Allerdings gilt für den Zusammen-
solcher Strahl verläuft in Abb. 6.10 auf der op-
hang von Gegenstandsweite a und Bildweite
tischen Achse. Er wird am Scheitel S reflek-
a auch in diesem Fall die Abbildungsglei-
tiert und läuft auf der optischen Achse wieder
chung (6.2), falls nur paraxiale Strahlen an der
zurück. Der zweite Strahl wird am Punkt A
Abbildung beteiligt sind. Die Lage des Bild-
reflektiert und schneidet die optische Achse
punktes lässt sich nach Abb. 6.11 sehr einfach
in O . Der Zusammenhang zwischen der Ge-
zeichnerisch konstruieren. Ein von P ausge-
genstandsweite a und der Bildweite a ergibt
hender Strahl, der parallel zur optischen Achse
sich aus einer kleinen Rechnung:
verläuft, geht nach der Reflexion durch den
Für die beiden Dreiecke OCA und CO A gilt
Brennpunkt F . Ein zweiter Strahl, der von P
nach dem Sinussatz
aus durch F geht, wird nach der Reflexion
sin ε sin ε OC CO
= = = . achsenparallel. Am Schnittpunkt der beiden
sin(180 − ϕ) sin ϕ OA O A

reflektierten Strahlen liegt der Bildpunkt P .
Dabei kann geschrieben werden Der Zusammenhang zwischen Gegen-
standsgröße y und Bildgröße y ist an-
OC = a − r = a − 2f und
hand von Abb. 6.11 zu erkennen. Im z, y-
OC=r−a

= 2f − a .

Koordinatensystem erhalten alle Größen ein
Für paraxiale Strahlen gilt näherungsweise OA Vorzeichen. Die positive y-Richtung weist
≈ a und O A ≈ a . Damit ergibt sich
a − 2f 2f − a
= .
a a
Nach kurzer Umformung erhält man die Ab-
bildungsgleichung des Hohlspiegels:

1 1 1
+ = . (6.2)
a a f

Beim Durchrechnen von Strahlengängen ist es


häufig zweckmäßig, den aufgefalteten Strah- Abb. 6.11 Abbildung eines ausgedehnten
lengang zu benutzen. Dabei wird der Bild- Gegenstandes durch einen Hohlspiegel mit
punkt O hinter dem Spiegel eingezeichnet Paraxialstrahlen
498 6 Optik

nach oben, die positive z-Richtung nach af (−2,5) · (−5)


a = = cm = 5 cm .
a − f −2,5 + 5
rechts. (Weitere Hinweise auf die in der tech-
nischen Optik übliche Vorzeichenkonvention Der Abbildungsmaßstab ist
s. Abschn. 6.2.3.3.) In den Dreiecken ABF
und F O P gilt näherungsweise für paraxiale y a 5 cm
β = =− = =2.
y a 2,5 cm
Strahlen
−y y Also ist die Bildgröße y = 2 cm; das Bild steht aufrecht
tan σ= = . hinter dem Spiegel, es ist virtuell. Eine zeichnerische
a − f
f Lösung ist in Abb. 6.12 wiedergegeben. Bei genauem
Abmessen stellt man fest, dass das zeichnerische Er-
Mithilfe der Abbildungsgleichung (6.2) folgt
gebnis vom rechnerischen etwas abweicht. Dies liegt
unmittelbar für den Abbildungsmaßstab oder an den rechnerischen Vereinfachungen für paraxiale
die Lateralvergrößerung Strahlen. Die Abbildungsgleichung gilt umso besser,
je kleiner die Gegenstandsgröße y im Vergleich zur
Brennweite f ist.
y a
β = =− . (6.3)
y a
Beim sphärischen Wölb- oder Konvexspiegel ist
die Außenseite einer Kugelkalotte verspiegelt.
Durch Umformung von (6.2) ergibt sich die Die für den Hohlspiegel abgeleiteten Gleichun-
Beziehung gen (6.2) bis (6.5) gelten unverändert auch für
den Wölbspiegel, lediglich die Brennweite än-
dert das Vorzeichen:
af
a = . (6.4)
a − f r
f = , mit r > 0 . (6.6)
2
Setzt man (6.4) in (6.3) ein, so folgt für den
Abbildungsmaßstab Dies bedeutet, dass der Brennpunkt auf der
dem Gegenstand abgewandten Seite des Spie-
f gels liegt. Das Bild ist beim Wölbspiegel immer
β = . (6.5) virtuell, aufrecht und verkleinert. Der Wölb-
f − a
spiegel wird gern als Rückspiegel bei Kraft-
fahrzeugen benutzt. Er gibt zwar ein verklei-
Es ergeben sich für |a| > |f | reelle, umge- nertes Bild der Umwelt wieder, erzeugt aber
kehrte Bilder. Für |a| < |f | gilt a > 0; dies ein großes Gesichtsfeld.
bedeutet, dass das Bild rechts hinter dem Spie-
gel liegt. Das Bild ist virtuell, aufrecht und stets
größer als der Gegenstand.

Beispiel
6.2-2 Vor einem Hohlspiegel mit f = −5 cm steht im
Abstand a = −2,5 cm ein y = 1 cm großer Gegenstand.
Wo liegt das Bild und wie groß ist es?

Lösung Abb. 6.12 Abbildung eines Gegenstandes innerhalb


Nach (6.4) ist die Bildweite der Brennweite beim Hohlspiegel (zu Beispiel 6.2-2)
6.2 Geometrische Optik 499

Beispiel Ü 6.2-7 Bezeichnet man beim Hohlspiegel den Ab-


6.2-3 Vor einem Konvexspiegel mit der Brennweite stand des Gegenstandes vom Brennpunkt mit z und
f = 5 cm steht im Abstand a = −10 cm ein y = 2 cm den des Bildes mit z , so gilt stets zz = f 2 . Beweisen
großer Gegenstand. Wo liegt das Bild und wie groß ist Sie diese Abbildungsgleichung nach Newton.
es?

Lösung 6.2.3 Brechung des Lichtes


Nach (6.4) ist die Bildweite
af −10 · 5 6.2.3.1 Brechung an ebenen Grenzflächen
a = = cm = 3,33 cm .
a − f −15 Fällt ein Lichtstrahl schräg auf eine Grenzflä-
Der Abbildungsmaßstab beträgt che zwischen zwei verschiedenen Werkstoffen,
so wird die Richtung des Strahls an der Grenz-
y a 3,33
β = =− = = 0,333 . fläche geändert, der Strahl wird gebrochen.
y a 10
Abbildung 6.14 zeigt eine Prinzipskizze die-
Also ist die Bildgröße y = 0,666 cm. Eine zeichnerische ses Vorgangs sowie ein Foto der Lichtbrechung
Lösung zeigt Abb. 6.13. eines Laserstrahls an der Grenzfläche Luft-
Zur Übung
Ü 6.2-3 Auf einen Hohl- bzw. Wölbspiegel gegebe-
ner Brennweite fällt schief zur optischen Achse ein pa-
raxialer Strahl. Konstruieren Sie seinen Weg nach der
Reflexion.
Ü 6.2-4 Konstruieren Sie den Bildpunkt eines paral-
lelen Lichtbündels, das schief zur optischen Achse auf
einen Hohl- bzw. Wölbspiegel gegebener Brennweite
fällt.
Ü 6.2-5 Auf der optischen Achse eines Hohlspiegels
befindet sich im Abstand a = 5f ( 15 f ) vom Scheitel
eine punktförmige Lichtquelle. Welchen Abstand l hat
das Bild von der Lichtquelle?
Ü 6.2-6 Der Mond erscheint von der Erde aus unter
einem Winkel von 31 . Wie groß ist der Durchmesser
seines Bildes, das vom 200-Zoll-Spiegel der Mt.-
Palomar-Sternwarte (Kalifornien) entworfen wird?
Wo entsteht das Bild? Die Brennweite des Spiegels
beträgt f = −16,8 m.

Abb. 6.14 Brechung eines Lichtstrahls an einer ebenen


Abb. 6.13 Bildkonstruktion beim Wölbspiegel (zu Grenzfläche. a) Prinzipskizze, b) Brechung an der
Beispiel 6.2-3) Grenzfläche Luft–Plexiglas
500 6 Optik

Plexiglas. Zunächst gibt es an jeder Grenzflä-


che auch einen mehr oder weniger intensiven
reflektierten Strahl, wobei nach dem Refle-
xionsgesetz Einfallswinkel ε und Reflexions-
winkel εr gleich sind. Der gebrochene Strahl
liegt in einer Ebene mit den beiden ande-
ren Strahlen und dem Lot auf der Grenzflä-
che. Der Brechungswinkel ε ist kleiner als der
Einfallswinkel ε, wenn die Brechung vom op-
tisch dünneren ins optisch dichtere Medium
erfolgt. Nach dem Satz von der Umkehrbar- Abb. 6.15 Brechung einer ebenen Welle an einer
keit des Lichtwegs erfolgt die Brechung beim Grenzfläche
Übergang vom optisch dichteren ins optisch
dünnere Medium so, dass der Strahl vom Lot dium beträgt c, im unteren c mit c < c. Die
weg gebrochen wird. Der Zusammenhang zwi- Schnittpunkte der ebenen Wellenflächen mit
schen Einfallswinkel ε und Brechungswinkel ε der Grenzfläche sind Zentren Huygens’scher
wurde von dem holländischen Mathematiker Elementarwellen, deren Einhüllende die neue
Snellius (W. Snell von Rayen, 1591 bis 1626) Wellenfront und damit die neue Laufrichtung
im Jahr 1620 gefunden. Nach Snellius ist das ergibt. Rechts sind die wesentlichen Punkte
Verhältnis zwischen dem Sinus des Einfalls- und Strecken ohne die Wellenflächen noch
winkels ε und dem Sinus des Brechungswin- einmal gezeichnet. Trifft eine Wellenfront im
kels ε eine Konstante, die von der Natur der Punkt C auf die Grenzfläche, so vergeht noch
beiden Stoffe abhängt: die Zeit t = AB/ c, bis auch das rechte Ende der
Wellenfront am Punkt B die Grenzfläche trifft.
sin ε
= konstant . (6.7) Inzwischen hat die Kugelwelle, die von C aus-
sin ε ging, den Weg CD = c t zurückgelegt. Für die
Dreiecke ABC und BCD gilt
Eine Erklärung des Brechungsgesetzes mit
AB tc
Hilfe von Newtons Korpuskulartheorie ver- sin ε = = und
langt, dass die Korpuskeln, wenn sie z. B. von CB CB
CD c t
Luft in Glas eindringen, eine Geschwindig- sin ε = = .
keitssteigerung erfahren, da nur dann die CB CB
Brechung zum Lot hin erfolgt. Die Korpus- Damit ergibt sich
kulartheorie kam spätestens dann zu Fall, als
man gelernt hatte, Lichtgeschwindigkeiten zu sin ε c
= . (6.8)
messen. Es ergab sich dabei, dass die Lichtge- sin ε c
schwindigkeit in Materie stets kleiner ist als die
Lichtgeschwindigkeit c0 = 299 729,458 km/s Das Verhältnis der Sinus-Werte von
im Vakuum; sie ist in Glas kleiner als in Luft. Einfalls- und Brechungswinkel ist gleich
Die Brechung des Lichtes an Grenzflächen dem Verhältnis der Lichtgeschwindig-
ist zwanglos erklärbar mit der Wellentheo- keiten in den benachbarten Gebieten.
rie von Huygens. Abbildung 6.15 zeigt eine
ebene Welle, die auf eine Grenzfläche zuläuft. Der Quotient zwischen der Lichtgeschwindig-
Die Phasengeschwindigkeit im oberen Me- keit c0 im Vakuum und der Lichtgeschwindig-
6.2 Geometrische Optik 501

keit c in Materie wird üblicherweise als Brech- Tabelle 6.1 Brechzahl n einiger Stoffe für gelbes
zahl oder Brechungsindex n des betreffenden Na-Licht (Wellenlänge λ = 589 nm) bei der
Materials bezeichnet: Temperatur ϑ = 20◦ C und dem Druck p = 1 013 mbar

Festkörper n Flüssigkeiten n
c0
n= . (6.9) und Gase
c
Eis 1,310 Luft 1,0003
Flussspat 1,434 Kohlendioxid 1,0045
Mit Hilfe des Brechungsindex nimmt (6.8) die Quarzglas 1,459 Wasser 1,333
Form des Snellius’schen Brechungsgesetzes an: Borkron BK l 1,510 Ethylalkohol 1,362
Flintglas F 3 1,613 Benzol 1,501
Caesiumiodid 1,790 Schwefel-
sin ε n Bariumoxid 1,980 kohlenstoff 1,628
= = konstant . (6.10) Diamant 2,417 Methyleniodid 1,742
sin ε n

Das Brechungsgesetz kann auch umgeformt


werden zu sin ε
= n . (6.12)
sin ε

n sin ε = n sin ε = konstant . (6.11)


Beispiel
Das Produkt aus Brechungsindex und
6.2-4 Das Foto Abb. 6.14b zeigt die Brechung eines
Sinus des Winkels zwischen Lichtstrahl roten Laserstrahls der Wellenlänge λ = 633 nm an
und Lot bleibt bei einer Brechung kon- der Grenzfläche Luft-Plexiglas. Wie groß ist der Bre-
stant. Es wird als Invariante der Brechung chungsindex von Plexiglas?
bezeichnet.
Lösung

Durchschreitet ein Lichtstrahl eine Schicht- sin ε sin 40◦


n = = = 1,49 .
struktur verschiedener Stoffe mit den Bre- sin ε sin 25,5◦
chungsindizes n1 , n2 , n3 …, so gilt mit den Win-
keln ε1 , ε2 , ε3 …, die der Strahl relativ zum Lot
Der Brechungsindex ist keine Konstante, son-
einnimmt
dern hängt von der Wellenlänge (Farbe) des
Lichts ab. Im Fall normaler Dispersion (Ab-
n1 sin ε1 = n2 sin ε2 = n3 sin ε3 … schn. 5.2.4.4) nimmt mit steigender Wellen-
länge der Brechungsindex ab.
In Tabelle 6.1 sind die Brechzahlen einiger Bisher wurde vorausgesetzt, dass ein Licht-
Stoffe zusammengestellt. strahl vom optisch dünneren ins optisch
Besonders häufig ist der Fall, dass ein Licht- dichtere Medium eindringt. Bei umgekehrtem
strahl an der Grenzfläche zwischen Luft und Strahlengang, wie er in Abb. 6.16 gezeigt
einem dichteren Medium gebrochen wird. Mit ist, gehört zum Strahl 1 mit dem Einfalls-
guter Näherung kann der Brechungsindex von winkel ε1 , der reflektierte Strahl 1r und der
Luft n = 1 gesetzt werden. Dann gilt das ver- gebrochene 1 mit dem Brechungswinkel ε1
einfachte Brechungsgesetz wobei ε1 > ε1 ist. Mit zunehmendem Winkel
502 6 Optik

ε steigt ε verstärkt an, bis für den Strahl 2


beim Einfallswinkel εg der Brechungswinkel
ε2 = 90◦ wird. Man nennt εg den Grenzwinkel
der Totalreflexion. Für ε > εg (Strahl 3) gibt
es keinen gebrochenen Strahl mehr, sondern
nur noch den reflektierten Strahl 3r. Die ganze
Strahlungsleistung des einfallenden Strahls
ist im reflektierten Strahl vorhanden; das
Licht wird total reflektiert. Abbildung 6.16b
zeigt einen gebrochenen, Abb. 6.16c einen
total reflektierten Laserstrahl an der Grenzflä-
che Plexiglas–Luft. Für den Grenzwinkel der
Totalreflexion gilt n sin 90◦ = n sin εg oder

n
sin εg = . (6.13)
n

Hierbei ist n der Brechungsindex des optisch


dichteren, n der des dünneren Mediums. Ist
das dünnere Medium Luft (mit n ≈ 1), so gilt

1
sin εg = . (6.14)
n

Beispiel
6.2-5 Im Halbleiter GaP (Ausgangsmaterial für
Leuchtdioden) ist der Brechungsindex n = 3,3. Wie
groß ist der Grenzwinkel der Totalreflexion?

Lösung
sin εg = 1/ n = 1/ 3,3 = 0,3 liefert εg = 17,6◦ . Von den
Lichtstrahlen, die im Innern des Kristalls erzeugt wer-
den, können also nur diejenigen den Kristall verlassen,
die innerhalb eines schlanken Kegels von εg = 17,6◦
Öffnungswinkel auf die Kristalloberfläche auftreffen.
Alle anderen werden total reflektiert.

Ein Beispiel für die technische Nutzung der To-


talreflexion ist die Übertragung von Daten auf
Lichtwellenleitern (optische Nachrichtentech-
Abb. 6.16 Totalreflexion. a) Prinzip, b) gebrochener nik). Abbildung 6.17 zeigt das Prinzip einer
(ε < εg ) und c) total reflektierter Laserstrahl Stufenindexfaser. Der Brechungsindex nimmt
(ε > εg ) von n1 im Kern stufenförmig ab auf n2 im
6.2 Geometrische Optik 503

groß werden, sonst ist im Innern die Totalrefle-


xion nicht mehr gegeben (gestrichelt gezeich-
neter Strahl in Abb. 6.17). Der maximale Auf-
nahmewinkel ϑ0,max , unter dem Licht in die Fa-
ser eingekoppelt werden kann, bestimmt sich
aus der Beziehung


sin ϑ0,max = n21 − n22 = AN ; (6.15)

Die Größe AN ist die numerische Apertur der


Faser.
Für eine typische Nachrichtenfaser aus Quarz-
glas, bei der der Kern mit 13,5% GeO2 do-
tiert ist, gelten bei λ = 850 nm die Werte
n1 = 1,474 und n2 = 1,453. Mit diesen ergeben
sich die numerische Apertur AN = 0,248 und
der maximale Einkoppelwinkel ϑ0,max = 14,4◦ .
Eine solche Glasfaser kann also nur Strah-
len weiterleiten, die unter diesem verhältnis-
mäßig „schlanken“ Winkel auf die Stirnflä-
che fallen. Ändert sich der Brechungsindex
nicht sprunghaft, sondern kontinuierlich, so
ergeben sich gekrümmte Lichtstrahlen. Abbil-
dung 6.18 zeigt als Beispiel hierfür einen La-
serstrahl in einer Küvette mit Salzwasser. Die
Salzkonzentration und damit auch der Bre-
chungsindex nehmen kontinuierlich von un-
Abb. 6.17 Prinzip eines Lichtwellenleiters
(Stufenindexfaser). a) Aufbau, b) Verlauf der ten nach oben ab. Gekrümmte Lichtstrahlen
Brechzahl n über dem Radius r treten auch auf, wenn infolge von Temperatur-

Mantel und n = 1 in der umgebenden Luft.


Typische Abmessungen einer solchen Glas-
faser sind: 50 μm Kerndurchmesser, 125 μm
Manteldurchmesser. Ein Lichtstrahl, der unter
dem Winkel ϑ0 auf die Stirnfläche der Faser
fällt, wird zum Lot hin gebrochen und trifft
schließlich unter dem Winkel ε = 90◦ − ϑ1 auf
die Grenzfläche zwischen Kern und Mantel. Er
kann dort nur total reflektiert werden, wenn
ε > εg ist mit sin εg = n2 / n1 . Der Eintrittswin- Abb. 6.18 Gekrümmter Lichtstrahl bei kontinuierlich
kel ϑ0 des Lichtstrahls kann also nicht beliebig variierendem Brechungsindex
504 6 Optik

und Dichtegradienten in der Luft der Bre- der Faser ankommen. So hat beispielsweise
chungsindex sich stetig ändert (Luftspiege- der in Abb. 6.19 gezeichnete Strahl einen grö-
lung, Fata Morgana). ßeren Weg zurückzulegen als ein Strahl, der
Ein spezieller Lichtwellenleiter ist die Gradi- exakt auf der Symmetrieachse läuft. Er befin-
entenfaser, die schematisch in Abb. 6.19 dar- det sich aber häufig in Gebieten mit kleinerem
gestellt ist. Bei ihr ändert sich der Brechungs- Brechungsindex, läuft dort also schneller und
index kontinuierlich von n1 in der Mitte auf n2 kompensiert so seinen Umweg. Da Laufzeit-
im Mantel. Die Gradientenfaser hat gegenüber differenzen verschiedener Moden die Über-
der Stufenindexfaser den Vorteil, dass Licht- tragungskapazität beschränken, kann auf der
pulse, die unter verschiedenen Winkeln ϑ0 in Gradientenfaser eine höhere Datenrate über-
die Faser eingekoppelt werden, nahezu die- tragen werden als auf der Stufenindexfaser.
selbe Laufzeit haben, bis sie am anderen Ende
Zur Übung
Ü 6.2-8 Ein Lichtstrahl fällt auf einen Glaswürfel mit
dem Brechungsindex n = 1,5. Der Strahl trifft genau
die Mitte einer Würfelfläche unter dem Einfallswinkel
60◦ . Die Einfallsebene ist parallel zu einer Würfelflä-
che. Berechnen und zeichnen Sie den weiteren Weg des
Lichtstrahls.

Ü 6.2-9 Durchquert ein Lichtstrahl eine planparal-


lele Platte, so ist der durchgehende Strahl parallel zum
einfallenden, jedoch seitlich versetzt. Wie groß ist der
Strahlversatz x in Abhängigkeit von der Plattendicke d,
dem Brechungsindex n und dem Einfallswinkel ε?

Ü 6.2-10 Wie groß ist der Grenzwinkel der Totalrefle-


xion für Plexiglas an Luft? Der Brechungsindex kann
aus Abb. 6.16b entnommen werden.

6.2.3.2 Brechung an einem Prisma


In der Optik versteht man unter einem Prisma
meist einen dreikantigen Glaskörper gemäß
Abb. 6.20. Zwei ebene polierte Flächen sind
um den brechenden Winkel α gegeneinander
geneigt, sie schneiden sich in der brechen-
den Kante K. Im Folgenden wird stets vor-
ausgesetzt, dass Lichtstrahlen im Hauptschnitt
verlaufen, d. h. in einer Ebene, die senkrecht
zur brechenden Kante steht. Das Prisma mit
dem Brechungsindex n sei umgeben von ei-
nem Medium mit dem Brechungsindex n . In
Abb. 6.20 fällt ein Strahl unter dem Einfalls-
Abb. 6.19 Lichtwellenleiter mit kontinuierlich
veränderlichem Brechungsindex n (Gradientenfaser). winkel ε1 auf die linke Prismenfläche und ver-
a) Aufbau, b) Verlauf der Brechzahl n über dem lässt nach zweimaliger Brechung die rechte
Radius r Prismenfläche unter dem Ausfallswinkel ε2 .
6.2 Geometrische Optik 505

Bei einem Prisma ist die Strahlablenkung


minimal, wenn Eintritts- und Austritts-
winkel gleich sind.

Für symmetrischen Durchgang gelten ε1 =


ε2 = 12 (δ + α) und ε1 = ε2 = 12 α. Mithilfe
des Brechungsgesetzes ergibt sich sofort der
minimale Ablenkwinkel

Abb. 6.20 Strahlenverlauf in einem Prisma n α
δmin = 2 arcsin
sin − α . (6.17)
n 2
Der Ablenkungswinkel δ lässt sich aus ele-
mentaren geometrischen Sätzen bestimmen: Für Beispiel 6.2-6 erhält man δmin = 37,2◦ .
δ = ε1 + ε2 − α. Mit Hilfe des Brechungsgeset- Aus Abb. 6.21 folgt ferner, dass für Eintritts-
zes n sin ε1 = n sin ε1 und n sin ε2 = n sin ε2 winkel ε1 < 27,9◦ kein austretender Strahl be-
sowie der Beziehung ε1 + ε2 = α lässt sich der obachtet wird, weil an der zweiten brechenden
Ablenkungswinkel δ für beliebige Einfallswin- Fläche Totalreflexion auftritt. Aus der Bedin-
kel ε1 berechnen: gung sin ε2,g = n / n folgt für den Grenzwinkel
an der Eintrittsfläche

δ = ε1 − α
n

n

⎡ ε
= arcsin sin α − arcsin
2 1,g .
n n n
+ arcsin ⎣sin α − ε
sin2 1 (6.18)
n

− cos α sin ε1 ⎦ . (6.16)

Beispiel
6.2-6 Für ein Prisma mit dem Brechungsindex n = 1,5
und dem brechenden Winkel α = 60◦ sollen der Aus-
trittswinkel ε2 und der Ablenkungswinkel δ als Funk-
tion des Einfallswinkels ε1 dargestellt werden. Die Um-
gebung sei Luft mit n = 1.

Lösung
Gleichung (6.16) sollte am besten mit einem pro-
grammierbaren Rechner ausgewertet werden. Abbil-
dung 6.21 zeigt das Ergebnis. Der Ablenkwinkel δ zeigt
ein Minimum beim Einfallswinkel ε1,min = 48,6◦ . Der
zugehörige Ausfallswinkel beträgt ebenfalls ε2,min = Abb. 6.21 Ablenkwinkel δ und Austrittwinkel ε2 in
48,6◦ . Der Strahl durchläuft das Prisma also symme- Abhängigkeit vom Einfallswinkel ε1 bei der Brechung
trisch. Dieses Ergebnis kann allgemein mit Hilfe der eines Lichtstrahls an einem Prisma; Brechungsindex
Differentialrechnung bewiesen werden: n = 1,5, Prismenwinkel α = 60◦
506 6 Optik

Für Beispiel 6.2-6 ergibt sich in Übereinstim-


mung mit Abb. 6.21 ε1,g = 27,9◦ .
Bei einem Prisma mit kleinem brechendem
Winkel α und symmetrischem Strahlendurch-
gang gilt für den minimalen Ablenkwinkel nä-
herungsweise

n
δmin ≈ α − 1 . (6.19)
n

Da der Ablenkwinkel δ vom Brechungsindex


abhängt, wird kurzwelliges Licht bei normaler
Dispersion stärker gebrochen als langwelliges
Licht. Ein Prisma bietet daher die Möglich- Abb. 6.23 Rechtwinkliges Umkehrprisma
keit, Lichtstrahlen verschiedener Wellenlänge
räumlich zu trennen, also spektral zu zerle- nach zweimaliger Reflexion an den Katheten
gen. Diese Eigenschaft wird ausgenutzt beim um 180◦ umgelenkt, das Prisma parallel verlas-
Prismenspektrometer (Abschn. 6.4.1.7). sen. Zugleich wird das Bild eines Gegenstandes
Prismen haben in der Optik vielfältige Anwen- (Pfeil) um 180◦ gedreht, also z. B. oben mit un-
dungen. Meist werden sie anstelle von Spiegeln ten vertauscht. Schickt man den austretenden
benutzt, um Lichtstrahlen umzulenken, wobei Strahl noch durch ein zweites Prisma, das ge-
die Totalreflexion an einer Prismenfläche oder genüber dem ersten um 90◦ gedreht ist, so wird
an mehreren ausgenutzt wird. Abbildung 6.22 auch noch links und rechts vertauscht; man
zeigt ein gleichschenklig-rechtwinkliges erhält also eine vollkommene Bildumkehr. Ein
Prisma als Umlenkprisma. Der einfallende solches Umkehrprisma nach Porro (1848) fin-
Lichtstrahl wird an der Hypotenusenfläche det im Prismenfeldstecher Verwendung. Das
total reflektiert. (Der Grenzwinkel der Total- Umkehr- oder Wendeprisma nach G. B. Amici
reflexion beträgt εg = 41,5◦ bei Borkron-Glas (1786 bis 1863) entsprechend Abb. 6.24 ver-
mit n = 1,51.) tauscht ebenfalls oben und unten, hat aber
Fällt nach Abb. 6.23 Licht senkrecht auf die einen geradsichtigen Stahlengang. Eine voll-
Hypotenusenfläche eines Prismas, so wird es, ständige Bildumkehr erhält man, wenn zwei
dieser Prismen um 90◦ verdreht hintereinan-
der gestellt werden.
Abbildung 6.25 zeigt das Pentagonalprisma
nach Goullier (1865). Nach zweimaliger Refle-

Abb. 6.22 Rechtwinkliges Umlenkprisma Abb. 6.24 Geradsichtiges Wendeprisma


6.2 Geometrische Optik 507

Abb. 6.26 Vorzeichenkonvention an Kugelflächen

voneinander getrennt. Im Folgenden werden


für alle Strecken und Winkel Vorzeichen ver-
wendet, wie sie in der technischen Optik ge-
bräuchlich und durch DIN 1335 festgelegt sind.
Abb. 6.25 Pentagonalprisma für konstante Ablenkung Die Achse durch den Kugelmittelpunkt C
δ = 90◦
ist die optische Achse, zugleich z-Achse des
Koordinatensystems. Die positive z-Richtung
xion des einfallenden Lichtstrahls ist der Ab-
wird durch die Laufrichtung des Lichts be-
lenkwinkel δ = 2α, er ist unabhängig vom
stimmt und geht im Allgemeinen von links
Einfallswinkel. Das Pentagonalprisma ist im
nach rechts. Die y-Achse steht senkrecht auf
Prinzip ein mit Glas gefüllter Winkelspiegel
der z-Achse und weist von unten nach oben.
(Abb. 6.5). Auch in diesem Fall müssen die
Der Durchstoßpunkt der optischen Achse
Seitenflächen verspiegelt sein, weil die Licht-
durch die Kugelfläche ist der Scheitel S. Der
strahlen so steil auf die Grenzfläche fallen, dass
Radius der Kugel ist positiv, wenn der Mit-
eine Totalreflexion nicht mehr möglich ist.
telpunkt C rechts vom Scheitel S liegt und
Zur Übung negativ, falls C links von S liegt. Sämtliche
Ü 6.2-11 Ein Prisma mit brechendem Winkel α = 45◦ Strecken, die vom Bezugspunkt S aus nach
und der Brechzahl n = 1,51 wird nach Abb. 6.20 durch-
links gemessen werden, also entgegen der z-
strahlt. Zeichnen Sie ein Diagramm analog Abb. 6.21.
Wie groß ist der minimale Ablenkwinkel δmin und der Richtung, erhalten ein negatives Vorzeichen.
zugehörige Eintritts- und Austrittswinkel ε1,min und Strecken, die nach rechts gemessen werden,
ε2,min ? Bei welchem Grenzwinkel ε1, g tritt an der rech- sind positiv.
ten Fläche Totalreflexion auf? Die Vorzeichen der Winkel sind gemäß
Abb. 6.27 definiert: Die Richtungen des Licht-
Ü 6.2-12 Für ein Prisma mit brechendem Winkel
α = 60◦ wird experimentell der minimale Ablenkwin- strahls (σ und σ ) und des Lotes (ϕ) werden
kel δmin = 47,2◦ ermittelt. Wie groß ist der Brechungs- von der optischen Achse aus angegeben. Bei
index n des Glases? Drehung im Gegenuhrzeigersinn (mathema-
tisch positiv) erhält der Winkel ein positives
6.2.3.3 Brechung an Kugelflächen Vorzeichen. Der Einfallswinkel ε und der Bre-
chungswinkel ε sind mit den beiden anderen
Vorzeichenkonvention Winkeln folgendermaßen verknüpft:
Zwei Medien mit den Brechzahlen n und n
seien nach Abb. 6.26 durch eine Kugelfläche ϕ = σ − ε = σ − ε .
508 6 Optik

und r, sondern auch von der Strecke l bzw. dem


Winkel σ ab. Ein Objektpunkt wird demnach
nicht als Punkt abgebildet, sondern als Bildli-
nie auf der optischen Achse. Beschränkt man
sich jedoch auf paraxiale Strahlen, dann gelten
die Näherungen l ≈ s und l ≈ s . Aus (6.20)
wird dann


1 1 1 1
n − =n
− . (6.21)
r s r s
Abb. 6.27 Brechung eines Strahls an einer konvexen
Kugelfläche

Diese Beziehung ist eine Invariante der Bre-


Abbildung eines Punktes chung; sie wird auch als Abbe’sche Invariante
In Abb. 6.27 geht von einem punktförmigen bezeichnet. Die Beschränkung auf achsennahe
Objekt O auf der optischen Achse ein Licht- Strahlen ist Merkmal der Gauß’schen Optik,
strahl aus, der die Kugelfläche in A trifft. Für benannt nach C. F. Gauss (1777 bis 1855),
n > n wird der Strahl zum Einfallslot hin ge- der 1840 die entsprechenden mathematischen
brochen und schneidet die optische Achse in Grundlagen schuf.
O ; O ist das Bild des Gegenstandes O. Mittels Beispiel
trigonometrischer Formeln lässt sich eine Be- 6.2-7 Abbildung 6.28 zeigt die Abbildung eines punkt-
ziehung aufstellen zwischen den Schnittweiten förmigen Objekts O durch eine Kugelfläche. Es sei n = 1
s und s . und n = 1,5.
Der Sinus-Satz liefert für das Dreieck OCA
a) Für r = +80 mm und s = −500 mm ist s zu berech-
OC sin(180◦ − ε) −s + r sin ε
= oder = ; nen.
OA − sin ϕ −l − sin ϕ
Lösung
ebenso gilt für das Dreieck CO A Nach (6.21) gilt

CO sin ε s − r sin ε n r 1,5 · 80


= oder = . s = = mm = 353 mm .
AO sin(180 + ϕ)
◦ l − sin ϕ n − s−rs 1,5 − −500−80
−500

Einfallswinkel ε und Brechungswinkel ε sind s ist positiv, das Bild liegt hinter der brechenden Fläche
verknüpft durch das Brechungsgesetz n sin ε = und ist reell.
n sin ε .
b) Wie groß ist s für s = −100 mm und r = +80 mm?
Aus diesen Beziehungen folgt
Lösung
s = −400 mm .
s−r s −r
n =n . (6.20)
l l Das negative Vorzeichen des Wertes bedeutet, dass der
Bildort links vom Scheitel liegt, das Bild ist virtuell.
Wird diese Gleichung nach s aufgelöst, so er- c) Der Objektort liege im Unendlichen, d. h. s = −∞.
hält man den Ort des Bildpunktes O . Wie man Wo liegt der Bildpunkt bei einer konkav gekrümmten
leicht erkennt, hängt dieser nicht nur von s Kugelfläche mit r = −80 mm?
6.2 Geometrische Optik 509

man die Kugelflächen in den Punkten O


und O durch die Tangentialebenen T und T
annähern:

Ein kleiner, achsennaher und senkrecht


zur optischen Achse stehender Gegen-
stand wird mit Hilfe von Paraxialstrahlen
ähnlich abgebildet.

Der Abbildungsmaßstab ist nach Abb. 6.29

y s − r s − r
β = =− = .
y r−s s−r

Unter Berücksichtigung von (6.21) ergibt sich


für den Abbildungsmaßstab

y n s
β = = . (6.22)
Abb. 6.28 Strahlengang durch eine Kugelfläche (zu y n s
Beispiel 6.2-7)

Lösung Von J. de Lagrange (1736 bis 1813) wurde


Aus (6.21) folgt für s = −∞ 1803 eine wichtige Beziehung zwischen den
Neigungswinkeln der Strahlen zur optischen
n r −1,5 · 80
s = = = −240 mm . Achse und der Gegenstands- bzw. Bildgröße
n−n 0,5
gefunden. In Abb. 6.27 verlaufen zwei Strah-
Das Bild liegt vor der Kugelfläche, es ist virtuell. len unter den beiden spitzen Winkeln σ und
σ zu optischen Achse. Für das Winkelverhält-
nis γ gilt bei kleinen Winkeln (tan σ ≈ sin σ
Abbildung eines ausgedehnten Gegenstandes ≈ σ ) γ = σ /σ = s/ s . Mithilfe von (6.22) folgt
Abbildung 6.29 zeigt die Abbildung eines daraus
Punktes O auf der optischen Achse mittels
paraxialer Strahlen in den Bildpunkt O . Ein
Punkt P, der gemeinsam mit O auf einem Kreis
um C liegt, wird in P abgebildet. Gegenstands-
weite und Bildweite sind für P und P identisch
mit den Werten für O und O . Liegen ver-
schiedene Objektpunkte auf einer Kugelschale
um C, so entstehen ihre Bildpunkte auch auf
einer Kugelschale um C. Gegenstand und Bild
sind einander ähnlich. Beschränkt man sich
auf paraxiale Strahlen, d. h. auf Gegenstände Abb. 6.29 Abbildung eines ausgedehnten Objekts
und Bilder kleiner Ausdehnung, dann kann durch eine brechende Kugelfläche
510 6 Optik

nyσ = n y σ . (6.23)

Das Produkt aus Brechungsindex, Ge-


genstandsgröße und Strahlneigung ist
eine optische Invariante.

Da die Gültigkeit von (6.23) von H. von Helm-


holtz (1821 bis 1894) auch für ein Sys-
tem von mehreren brechenden Flächen Abb. 6.30 Abbildung eines Punktes auf der optischen
bewiesen wurde, nennt man sie Helmholtz- Achse durch eine Sammellinse
Lagrange’sche Gleichung.

Zur Übung sodass das Bild im Punkt O entsteht. Glei-


Ü 6.2-13 Wie tief erscheint ein 1,5 m tiefes Wasserbe- chung (6.21) ergibt, auf die rechte Kugelfläche
cken einem Betrachter, der von oben ins Wasser schaut? angewandt (O’1 spielt die Rolle eines virtuellen
Gegenstandes),

1 1 1 1
6.2.4 Abbildung durch Linsen nL − =n
− .
r2 s2 r2 s2
6.2.4.1 Dünne Linsen Die Strecke s2 hängt mit der Linsendicke d und
Linse grenzt an verschiedene Medien s1 zusammen über die Beziehung s2 = s1 − d.
In den meisten optischen Systemen tritt Licht- Setzt man diese in die obige Gleichung ein, so
brechung an Gläsern auf, die von zwei ku- ergibt sich
gelförmigen Flächen begrenzt werden. Abbil-
1 1 1 1
dung 6.30 zeigt eine solche Linse und die Abbil- nL − = n − . (2)
r2 s1 − d r2 s2
dung eines Lichtpunktes O auf der optischen
Achse. Der Brechungsindex der Linse sei nL , Aus den Gleichungen (1) und (2) lässt sich s1
der der angrenzenden Gebiete n bzw. n . Die eliminieren und eine Beziehung zwischen den
Krümmungsradien der Kugelflächen sind r1 Schnittweiten s1 und s2 herstellen:
und r2 .
Ein Lichtstrahl, der von O ausgehend die Linse nL r1 s1 nL r2 s2
in A trifft, würde nach O1 gebrochen, falls nur = +d.
nr1 + (nL − n)s1 n r2 + (nL − n )s2
die linke Kugelfläche allein vorhanden wäre. (6.24)
Das Bild O1 befände sich dann im Medium
mit dem Brechungsindex nL im Abstand s1 von
der linken Fläche. Die Schnittweiten s1 und Die Schnittweitengleichung (6.24) verknüpft
s1 sind durch die Abbe’sche Invariante (6.21) die Schnittweiten s1 und s2 für ein beliebiges
verknüpft: Flächenpaar im Abstand d.
Eine wesentliche Vereinfachung der etwas un-
1 1 1 1
n − = nL − . (1) handlichen Gleichung ist möglich, wenn die
r1 s1 r1 s1
Linsendicke d vernachlässigbar ist. Für die un-
Tatsächlich wird der Strahl im Punkt B an der endlich dünne Linse (d = 0) geht die objektsei-
rechten Grenzfläche noch einmal gebrochen, tige Schnittweite s1 in die Objektweite a und
6.2 Geometrische Optik 511

die bildseitige Schnittweite s2 in die Bildweite


a über (Abb. 6.30). Aus (6.24) wird dann

n n nL − n nL − n
− = − . (6.25)
a a r1 r2

Bei bekannten Linsendaten lässt sich aus (6.25)


zu jedem Gegenstandsort der zugehörige Bil- Abb. 6.31 Strahlenbündel durch die Brennpunkte
dort berechnen. einer Sammellinse
Der Abbildungsmaßstab kann aus der
Helmholtz-Lagrange’schen Gleichung (6.23)
berechnet werden: Achse auf eine bikonvexe Linse fällt, in ei-
nem Punkt schneiden. Dieser Punkt ist der

y nσ
β = = . bildseitige Brennpunkt F dieser Sammellinse.
y n σ
Die bildseitige Brennweite f lässt sich einfach
Für das Verhältnis der beiden Winkel gilt bei aus (6.27) berechnen. Wenn die Gegenstands-
paraxialen Strahlen nach Abb. 6.30 σ/σ = a / a. weite a = −∞ gesetzt wird, folgt für die Bild-
Somit erhält man für den Abbildungsmaßstab weite, d. h. für die bildseitige Brennweite die
Linsenmacherformel

n a
β = . (6.26)
n a 1 1 1
= D = (nL − 1) − . (6.29)
f r1 r2

Die Linse ist beiderseits von Luft umgeben Die Größe D = 1/ f nennt man die Brechkraft
Eine weitere wesentliche Vereinfachung ergibt einer Linse. Die Maßeinheit für die Brechkraft
sich für den Fall, dass die dünne Linse beid- ist die Dioptrie: 1 dpt = 1 m−1 .
seitig von Luft mit n = n = 1 umgeben ist. Wie Abb. 6.31 ebenfalls zeigt, verlaufen alle
Aus (6.25) folgt dann Strahlen, die durch den gegenstandsseitigen
Brennpunkt F gehen, hinter der Linse ach-
senparallel, d. h., der Bildort ist a = ∞.
1 1 1 1
− = (nL − 1) − . (6.27) Nach (6.27) sind die gegenstandsseitige Brenn-
a a r1 r2
weite f und die bildseitige Brennweite f be-
tragsmäßig gleich, es gilt
Der Abbildungsmaßstab ist in diesem Fall

a
f = −f . (6.30)
β =

. (6.28)
a
Die Abbildungsgleichung (6.27) erhält eine
Abbildung 6.31 zeigt, dass sich alle Strahlen besonders einfache Gestalt, wenn die durch
eines Lichtbündels, das parallel zur optischen (6.29) definierte Brennweite eingeführt wird:
512 6 Optik

1 1 1 parallel zur optischen Achse bis zur Mitte der


− = . (6.31) im Idealfall unendlich dünnen Linse; von dort
a a f
wird er zum bildseitigen Brennpunkt F gebro-
chen. Strahl 3 geht durch den objektseitigen
Brennpunkt F und läuft hinter der Linse paral-
Beispiel
6.2-8 Im Abstand a = −50 cm von einer Sammellinse lel zur optischen Achse. Strahl 2 geht durch den
mit der Brennweite f = 20 cm steht ein Gegenstand. Mittelpunkt der Linse und erfährt keine Ablen-
Wie groß ist die Bildweite a und der Abbildungsmaß- kung (planparallele Platte der Dicke d ≈ 0).
stab β ? Die Diskussion der Abbildungsglei-
chung (6.31) sowie der daraus resultierenden
Lösung
Die Abbildungsgleichung (6.31) liefert für den Bildort Beziehungen (6.32) und (6.33) zeigt, dass re-
elle Bilder nur entstehen für |a| > |f |. Für a = f
af liegt das Bild im Unendlichen, für |a| < |f | ist
a = (6.32) a < 0; d. h., das Bild liegt im Gegenstands-
a + f
raum und ist virtuell. Abbildung 6.33 zeigt die
Verknüpfung von Gegenstand und Bild für
und für den Abbildungsmaßstab
verschiedene Gegenstandsweiten a.
Für manche Zwecke ist es sinnvoll, die Objekt-
f
β = . (6.33) bzw. Bildweite von den jeweiligen Brenn-
a + f
punkten aus zu messen. Bezeichnet man nach
Abb. 6.32 den Abstand vom objektseitigen
Für dieses Beispiel ergibt sich also
Brennpunkt F zum Objekt O mit z und die
a =
−50 cm · 20 cm
= 33,3 cm und entsprechende Länge im Bildraum mit z , so
−50 cm + 20 cm gilt
20 cm
β = = −0,667 .
−50 cm + 20 cm

z z = −f 2 . (6.34)
Die Eigenschaften der Brennpunktsstrahlen
machen auch eine sehr einfache zeichnerische Diese besonders einfache Beziehung zwischen
Konstruktion der Abbildung möglich, die an- Objekt- und Bildort wird Newton’sche Abbil-
hand von Abb. 6.32 erläutert werden soll. Die dungsgleichung genannt.
vom Punkt P ausgesandten Strahlen 1, 2 und
3 treffen sich wieder im Punkt P ; also ist P
das Bild des Gegenstandes P. Strahl 1 verläuft

Abb. 6.32 Abbildung eines Gegenstandes mit Hilfe Abb. 6.33 Zuordnung von Gegenstand und Bild bei
von Brennpunktsstrahlen und Mittelpunktsstrahl einer Sammellinse
6.2 Geometrische Optik 513

Abb. 6.34 Linsenformen und deren Eigenschaften

Linsentypen Die Bedeutung der Brennpunkte bei einer Zer-


Die bisher behandelte Sammellinse hat ihren streuungslinse wird in Abb. 6.35 erläutert.
Namen von der Fähigkeit, parallel einfallende Fallen Strahlen parallel zur optischen Achse
Strahlen in der Brennebene zu sammeln. Die auf die Linse, so scheinen sie nach der Bre-
Brennweite f hängt nach (6.29) von den Ra- chung aus F zu kommen. Diese Eigenschaft
dien der beiden Kugelflächen ab. Wird die der Brennpunktsstrahlen gestattet wieder eine
Brennweite f negativ, dann liegt der bildsei- einfache zeichnerische Konstruktion der Ab-
tige Brennpunkt F im Gegenstandsraum, der bildung.
objektseitige im Bildraum. Mit einer solchen Beispiel
Zerstreuungslinse können Lichtstrahlen nicht 6.2-9 Vor einer Zerstreuungslinse mit der Brennweite
gebündelt werden, es sind lediglich virtuelle f = −30 cm steht im Abstand a = −60 cm ein Ge-
Bilder erzeugbar. Abbildung 6.34 zeigt eine genstand. Wo entsteht das Bild und wie groß ist der
Übersicht gebräuchlicher Linsenformen. Abbildungsmaßstab β ?

Lösung
Abbildung 6.36 zeigt die zeichnerische Konstruktion
mit Hilfe der Brennpunktsstrahlen 1 und 2 sowie des
nicht abgelenkten Mittelpunktsstrahls 3. Das Bild ist

Abb. 6.35 Verlauf von achsenparallelen Strahlen bei


einer Zerstreuungslinse mit den Brennpunkten F Abb. 6.36 Abbildung eines Gegenstandes mit einer
und F Zerstreuungslinse (zu Beispiel 6.2-9)
514 6 Optik

aufrecht, verkleinert und virtuell. Ein virtuelles Bild Sammellinse, so wird er nach zweimaliger Bre-
kann nicht auf einer Mattscheibe sichtbar gemacht chung an den beiden Kugelflächen im bildsei-
werden; trotzdem kann es ein Beobachter wahrneh- tigen Brennpunkt F die optische Achse schnei-
men. Die von P ausgehenden Strahlen können von der
den. Der Strahlenverlauf im Innern der Linse
Augenlinse wieder auf die Netzhaut fokussiert werden.
Die Rechnung ergibt mit (6.32) und (6.33) für die Bild-
ist für die optische Abbildung völlig unwich-
weite a = −20 cm und für den Abbildungsmaßstab tig. Der Strahlenverlauf im bildseitigen Außen-
β = 1/ 3. raum sieht jedenfalls so aus, als ob der Strahl
vom Punkt Q herkäme. Dieser Schnittpunkt
Zur Übung der gestrichelten Strahlverlängerung definiert
Ü 6.2-14 Konstruieren Sie den weiteren Weg eines die Lage der bildseitigen Hauptebene H . Wie
Lichtstrahls, der unter einem beliebigen Winkel schief später noch gezeigt wird, kann die Lage der
auf eine Sammellinse (Zerstreuungslinse) fällt. Hauptebenen berechnet werden. Dadurch ist
eine sehr einfache Konstruktion der Strahlen
Ü 6.2-15 Eine plankonvexe Linse mit dem Brechungs- im Außenraum der Linse möglich. Beispiels-
index nL = 1,51 hat an Luft die Brennweite f = 10 cm. weise wird ein Strahl, der durch den gegen-
Sie berührt mit der ebenen Fläche die Glaswand eines standsseitigen Brennpunkt F geht, ungeach-
Aquariums, das mit Wasser gefüllt ist. a) Sonnenlicht
tet seines tatsächlichen Verlaufs bis zur gegen-
fällt parallel zur optischen Achse auf die Linse. Wo liegt
der Fokus F im Wasser? b) In welcher Entfernung von
standsseitigen Hauptebene H verlängert und
der Linse entsteht das Bild eines Fisches, der 20 cm von verläuft von dort parallel zur optischen Achse.
der Linse entfernt im Wasser schwimmt? Wie groß ist Der Abstand des bildseitigen Brennpunktes F
der Abbildungsmaßstab? Lösen Sie die Aufgabe zeich- vom Linsenscheitel S , d. h. die Strecke sF , er-
nerisch und rechnerisch. gibt sich unmittelbar aus der Schnittweiten-
gleichung (6.24) für einen unendlich weit ent-
Ü 6.2-16 Von F. W. Bessel (1784 bis 1846) stammt fol- fernten Gegenstand, also für s1 = −∞. Ebenso
gende Methode zur experimentellen Bestimmung der
ist der Ort des objektseitigen Brennpunktes,
Brennweite einer Sammellinse: Ein leuchtender Gegen-
stand und eine Mattscheibe werden in festem Abstand d. h. die Strecke sF , aus (6.24) zu ermitteln, in-
l (l > 4f ) aufgestellt. Bildet man den Gegenstand mit dem die Bildweite s2 = ∞ gesetzt wird. Im
einer Linse auf die Mattscheibe ab, so gibt es zwei Lin- Folgenden werden nur Gleichungen angege-
senstellungen, bei denen eine Abbildung möglich ist. ben für den Fall, dass die Linse beidseitig von
Berechnen Sie aus dem Abstand t der beiden Linsen- Luft umgeben ist. Für diesen Spezialfall liefert
orte die Brennweite der Linse.
die Schnittweitengleichung (6.24)
Ü 6.2-17 Eine plankonvexe Linse mit dem Krüm-
mungsradius r1 = 20 cm bildet einen Gegenstand nL r1 − (nL − 1)d
mit der Gegenstandsweite a = −70 cm im Abstand sF = r2 ;
(nL − 1)[nL (r2 − r1 ) + (nL − 1)d]
a = 93,5 cm ab. Wie groß ist die Brechkraft D und der
nL r2 + (nL − 1)d
Brechungsindex nL der Linse? sF = −r1 .
(nL − 1)[nL (r2 − r1 )+(nL − 1)d]
(6.35)
6.2.4.2 Dicke Linsen
Ist die Linsendicke d nicht mehr vernachlässig-
bar klein, so müssen die vorgenannten Abbil- Die Brennweiten f und f , die gemäß Abb. 6.37
dungsgleichungen etwas modifiziert werden. von den Hauptebenen zu den entsprechenden
Fällt ein Lichtstrahl entsprechend Abb. 6.37 Brennpunkten gerechnet werden, können aus
parallel zur optischen Achse auf eine dicke folgender Überlegung gewonnen werden: Für
6.2 Geometrische Optik 515

Abb. 6.37 Lage der Hauptebenen bei einer dicken Sammellinse

den Tangens des Winkels σ2 gilt bei paraxialen


1 1 1
Strahlen tan σ2 = h / sF = h/ f ; also ist = D = (nL − 1) −
f r1 r2
h (nL − 1)2 d
f = s. (1) + . (6.36)
h F nL r1 r2

Ebenso gilt
Hierin ist das erste Glied die Brennweite der
−h
−h h s1 dünnen Linse, wie sie bereits in (6.29) angege-
tan σ1 = = oder = .
s1 − d s1 h s1 − d ben wurde. Das zweite Glied wirkt gleichsam
(2) als Korrekturglied und erfasst den Einfluss der
Linsendicke d. Es ist immer dann vernachläs-
Wird (2) in (1) eingesetzt, so gilt für die Brenn- sigbar, wenn die Linsendicke klein ist gegen-
weite über der Differenz der Radien, d. h., wenn gilt
d << |r2 − r1 |.
s1
f = s. Gleichung (6.36) lässt sich auch direkt nach
s1 −d F
der Brennweite auflösen:
Der Abstand s1 folgt unmittelbar aus der Ab-
nL r1 r2
be’schen Invarianten (6.21) zu f = .
nL − 1 nL (r2 − r1 ) + (nL − 1)d
nL (6.37)
s1 = r1 .
nL − 1

Damit erhält man folgenden Ausdruck für die Die gegenstandsseitige Brennweite f wird ana-
Brennweite: log zur eben gezeigten Methode berechnet.
516 6 Optik

Wie schon bei der dünnen Linse sind auch bei reits bekannte Abbildungsgleichung (6.31):
der dicken Linse die Beträge der Brennweiten 1/ a − 1/ a = 1/ f . Ebenso wird der Abbil-
gleich. Es gilt nach (6.30) f = −f . dungsmaßstab nach der bereits bekannten
Falls die Brennweite einer Linse bekannt ist, Gleichung (6.28) berechnet: β = a / a.
lässt sich das Gleichungspaar (6.35) für die Ab-
Beispiel
stände der Brennpunkte von den Scheiteln sehr
6.2-10 Gegeben sei eine Linse mit r1 = 5 cm. r2 =
viel einfacher ausdrücken. Aus dem Vergleich −5 cm, d = 3 cm, nL = 1,7. Ein Gegenstand ist sO =
von (6.35) und (6.37) folgt −8 cm vom linken Scheitel entfernt (Abb. 6.38). In wel-
chem Abstand sO vom rechten Scheitel entsteht das
Bild? Wie groß ist β ?
nL − 1 d
=f 1−
sF
;
nL r1 Lösung
Die Brechkraft der Linse beträgt nach (6.36)
nL − 1 d
sF = −f 1 + . (6.38)
1 1

0,72 3
nL r2 D = 0,7 · + cm−1 − · cm−1
5 5 1,7 25
= 0,245 cm−1 = 24,5 dpt .
Den Abstand der Hauptebenen von den Schei-
Die Brennweite ist f = 4,07 cm. Für die Abstände der
teln erhält man nach Abb. 6.37 durch einfa-
Hauptebenen von den Scheiteln gilt nach (6.39)
che Differenzbildung zweier Strecken, nämlich
0,7 3
sH = sF − f und sH = sF − f . Dabei ergibt sich −sH = sH = 4,07 cm · · = 1,01 cm .
1,7 5
Abbildung 6.38 zeigt die Lage der beiden Hauptebenen.
nL
−1 d Für die weitere Rechnung benötigt man zunächst die
= −f
sH ; Gegenstandsweite
nL r1
nL − 1 d a = sO − sH = −8 cm − 1,01 cm = −9,01 cm .
sH = −f . (6.39)
nL r2 Die Bildweite a folgt aus der Abbildungsglei-
chung (6.32):
Wird nach Abb. 6.38 die Gegenstandsweite a af −9,01 · 4,07
a = = cm = 7,42 cm .
als Entfernung des Gegenstandes von der a + f −9,01 + 4,07
Hauptebene H definiert und entsprechend Der Abstand von der rechten Linsenfläche ist
die Bildweite a als Abstand zwischen Haupt- sO = a + sH = 7,42 cm − 1,01 cm = 6,41 cm .
ebene H und Bild, so gilt auch bei dicken
Der Abbildungsmaßstab wird nach (6.28) berechnet:
Linsen die von den dünnen Linsen her be-
a 7,42 cm
β = =− = −0,82 .
a 9,01 cm
Die grafische Lösung ist in Abb. 6.38 wiedergegeben.
Das Bild ist reell, Kopf stehend und verkleinert.

Zur Übung
Ü 6.2-18 Gegeben sei eine plankonvexe Linse mit den
Daten r1 = ∞. r2 = −4 cm, d = 2 cm und nL = 1,7.
a) Wie groß ist die Brennweite f der Linse? b) Wo
befinden sich die Hauptebenen H und H relativ zu den
Linsenscheiteln S und S ? c) Im Abstand sO = −12 cm
von der ebenen Fläche befindet sich ein Objekt. In
Abb. 6.38 Abbildung eines Gegenstandes durch eine welcher Entfernung sO , von der Kugelfläche entsteht
dicke Sammellinse (zu Beispiel 6.2-10) das Bild? d) Wie groß ist der Abbildungsmaßstab β ?
6.2 Geometrische Optik 517

Ü 6.2-19 Eine Glaskugel mit dem Radius r und der Strahl auf die Linse L1 und wird auf F1 zu gebrochen.
Brechzahl nL wird als Linse verwendet. Wie groß ist die Hinter der Linse L2 verläuft der Strahl parallel zur Ge-
Brennweite f , und wo befinden sich die Hauptebenen? raden AB (s. Ü 6.2-14), sodass er schließlich die opti-
sche Achse im Brennpunkt F schneidet. Der Schnitt-
Ü 6.2-20 Wie hängt bei einer Plankonvex-
punkt der Strahlverlängerungen definiert die Lage der
(Plankonkav-)Linse die Brennweite f von der Linsen-
bildseitigen Hauptebene H . Nach obigem Muster wird
dicke ab?
der Weg eines von rechts parallel zur optischen Achse
Ü 6.2-21 Wie groß ist die Brennweite f einer Menis- einfallenden Strahls konstruiert. Brennpunkt F und
kuslinse mit r1 = r2 = r und der Dicke d? Wo liegen die Hauptebene H sind somit bestimmt.
Hauptebenen? Zeichnen Sie maßstäblich die Brechung
eines von links kommenden achsenparallelen Strahls Durch Anwendung der Abbildungsglei-
für r = 5 cm, d = 3 cm und nL = 1,7. chung (6.31) erhält man für die Abstände
der Brennpunkte von den Linsen
6.2.4.3 Linsensysteme
Viele optische Systeme bestehen aus mehreren
1 1 1
Linsen mit gemeinsamer optischer Achse. Der = + und
sF f2 f1 − e
für eine optische Abbildung relevante Strah-
1 1 1
lenverlauf kann konstruiert werden, wenn die =− − . (6.40)
Gesamtbrennweite sowie die Lage der zwei sF f1 f2 − e
Hauptebenen des Systems bekannt sind. Man
führt also letztlich das System ersatzweise auf Für Beispiel 6.2-11 ergibt sich sF = 20,6 cm
eine dicke Linse zurück. und sF = −17,6 cm.
Die Brennweite des Systems, als Abstand
Beispiel
6.2-11 Zwei dünne Sammellinsen L1 und L2 gemäß zwischen Brennpunkt und zugeordneter
Abb. 6.39 sind im Abstand e = 25 cm angebracht. Die Hauptebene definiert, lässt sich durch ele-
Brennweiten betragen f1 = 60 cm und f2 = 50 cm. Wie mentare geometrische Überlegungen, auf
groß ist die Gesamtbrennweite f und wo liegen die deren Wiedergabe hier verzichtet wird, be-
Hauptebenen des Systems? rechnen. Das Ergebnis ist
Lösung
Sehr einfach lässt sich das Problem zeichnerisch lösen.
In Abb. 6.39 fällt von links her ein achsenparalleler f1 f2
f = −f = . (6.41)
f1 + f2 − e

Für Beispiel 6.2-11 ergibt sich f = 35,3 cm.


Die Brechkraft des Systems ist
1 1 1 e
D = = + − oder
f f1 f2 f1 f2

D = D1 + D2 − e D1 D2 . (6.42)

Besonders einfache Verhältnisse liegen vor,


Abb. 6.39 Lage der Hauptebenen bei einem System wenn der Abstand e der Linsen gegenüber
aus zwei Sammellinsen (zu Beispiel 6.2-11) den Brennweiten vernachlässigbar ist. Dies ist
518 6 Optik

praktisch der Fall, wenn sich zwei Linsen be-


rühren. Aus (6.42) resultiert dann.

D = D1 + D2 . (6.43)

Bei eng zusammenstehenden Linsen ist


die Brechkraft des Systems gleich der
Abb. 6.40 Strahlenverlauf bei einem beliebigen
Summe der Brechkräfte der einzelnen optischen System
Linsen.
Lichtstrahl durch ein solches System nimmt,
Um die Brennweite einer Zerstreuungslinse bietet die Matrixmethode.
zu messen, kombiniert man diese mit einer Ein Strahl ist durch zwei Parameter be-
Sammellinse größerer Brechkraft, sodass das schreibbar (Abb. 6.40). Beispielsweise durch
System insgesamt sammelnd wirkt. Für dieses die Höhe h1 in einer beliebigen Referenze-
System bestimmt man dann durch Ausmessen bene RE1 sowie sowie den Neigungswinkel σ1
einer reellen Abbildung die Gesamtbrennweite relativ zur optischen Achse. Die Höhe h2 und
(Ü 6.2-16). Die Brennweite der Zerstreuungs- der Winkel σ2 in einer anderen Referenzebene
linse lässt sich dann aus (6.43) berechnen. RE2 hängt linear von den Eingangsdaten h1
und σ1 ab und kann in Form einer Matrixglei-
Zur Übung
chung geschrieben werden:
Ü6.2-22 Eine dünne plankonvexe Linse hat den Krüm-
mungsradius r1 = 20 cm und den Brechungsindex
nL1 = 1,75. Eine plankonkave Linse mit dem Bre- h2 h1
chungsindex nL2 = 1,52 wird so neben die erste
=M (6.44)
σ2 σ1
Linse gestellt, dass sich die beiden ebenen Flächen be-
rühren. Das System hat dann die Gesamtbrennweite
f = 60 cm. a) Wie groß ist der Krümmungsradius r2 A B
M = ist die Systemmatrix, deren
der Zerstreuungslinse? b) Welchen Abstand e müssen C D
die beiden Linsen haben, damit die Gesamtbrennweite Form von den optischen Bauteilen des Systems
auf f = 30 cm abnimmt? c) Bestimmen sie zeich- abhängt.
nerisch und rechnerisch die Lage der Hauptebenen Im Wesentlichen wird der Weg eines Strahls
von b). d) In welchem Abstand sO von der Zerstreu-
durch ein optisches System durch zwei Vor-
ungslinse wird ein Objekt abgebildet, das sO = −65 cm
vor der Sammellinse steht? Wie groß ist der Abbil-
gänge beeinflusst: den Transfer und die Bre-
dungsmaßstab β ? chung.

Ü 6.2-23 Ein Laserstrahl soll von 2 mm Durchmes- Transfermatrix


ser auf 10 mm aufgeweitet werden. Zur Verfügung Als Transfer wird der Weg eines Strahls inner-
steht eine Zerstreuungslinse mit f1 = −10 cm. Welche halb eines homogenen Mediums (einheitlicher
Brennweite f2 braucht die noch erforderliche Sammel-
Brechungsindex) bezeichnet. Nach Abb. 6.41
linse? Wie groß ist der Abstand e der zwei Linsen?
gilt für die Winkel σ2 = σ1 und für die Höhen
h2 = h1 + d tan σ1 bzw. bei paraxialer Optik
6.2.4.4 Matrixmethoden
h2 = h1 + dσ1 . In Matrixschreibweise gilt
Optische Systeme bestehen meist aus mehre-
ren Linsen und anderen Bauelementen. Eine h2 h
=T 1
elegante Beschreibung des Weges, den ein σ2 σ1
6.2 Geometrische Optik 519

Strahlmatrix einer Linse


Nach Abb. 6.43 falle ein Strahl auf eine dicke
Linse mit Brechzahl nL , die links und rechts
umgeben ist von Medien mit den Brechzahlen
n1 und n2 . Der Weg des Lichtstrahls wird durch
drei Matrizen beschrieben:
Brechung an der Fläche S1

h1 h
= BS1 1 ,
σ1
S1
σ1 S1
Abb. 6.41 Transfer eines Strahls zwischen zwei Transfer von S1 nach S2
Referenzebenen

h2 h
= T S1 S2 1
mit der Transfermatrix σ2 σ1
und Brechung an der Fläche S2
1d
T = (6.45)
01 h2 h2
= B .
σ2

S2
S2
σ2 S2
Brechungsmatrix
Insgesamt werden damit die Ausgangsgrößen
Abbildung 6.42 zeigt die Brechung eines
mit den Eingangsgrößen verknüpft durch
Strahls an einer Kugelfläche, die zwei Medien

mit den Brechzahlen n und n voneinander h2 h
= BS2 T S1 S2 BS1 1
trennt. σ2

S2
σ1 S1
Aus den Beziehungen σ = ε + ϕ = ε − hr und
h1
σ = ε + ϕ = ε − hr für die Winkel sowie dem = Ldick
σ1
Brechungsgesetz in paraxialer Form n ε = n ε S1

folgt mit der Strahlmatrix für dicke Linsen



h h
=B
σ
σ 1 0 1d 1 0
Ldick = nL −n nL n−nL n
n r2 n
01 nL r1 nL
mit der Brechungsmatrix
(6.47)
1 0
B = n−n n (6.46)
n r n

Abb. 6.42 Brechung an einer Kugelfläche Abb. 6.43 Verlauf eines Strahls durch eine dicke Linse
520 6 Optik

Für den Fall der dünnen Linse (d = 0), die Systemmatrix


beidseitig von Luft umgeben ist (n = n = 1) Für ein beliebiges System brechender und
ergibt sich reflektierender Flächen (Abb. 6.40) sind die
Höhen und Winkel an zwei Referenzebenen
1 0 10 1 0 durch (6.44) verknüpft. Die Systemmatrix er-
Ldünn, Luft = nL −1 1−nL 1 .
r2 nL 01 nL r1 nL gibt sich durch Matrizenmultiplikation ver-
schiedenster Transfer-, Brechungs- und Refle-
Nach den Regeln der Matrizenmultiplikation xionsmatrizen:
führt dies zu der Matrix
h2 h
=M 1 , mit
1 0 σ2 σ1
Ldünn, Luft = .
(nL − 1) r12 − r11 1 AB
M= = Mk Mk−1 … M2 M1 .
CD
AB
Das Matrixelement C der -Matrix ist Für die Determinante der Systemmatrix gilt
CD
nach (6.29) identisch mit der negativen Brech-
kraft der Linse. Damit vereinfacht sich die Ma- n1
det M = AD − BC = , (6.50)
trix zu n2

1 0 1 0
Ldünn, Luft = = (6.48) wobei n1 und n2 die Brechungsindizes an den
− f1 1 −D 1
Referenzebenen RE1 und RE2 sind. Sehr häufig
ist am Anfang und am Ende eines Systems Luft,
sodass sich (6.60) vereinfacht zu
Reflexionsmatrix
Abbildung 6.44 zeigt die Reflexion an einem det M = AD − BC = 1 .
sphärischen Spiegel (Abb. 6.10). In der Praxis Dies ist ein wichtiges Ergebnis zur Kontrolle
wird der Strahlengang gerne aufgefaltet, d. h. der Systemmatrix auf etwaige Rechenfehler.
nach rechts weiter gezeichnet. Die Höhen und Falls eines oder mehrere Matrixelemente der
Winkel hängen zusammen gemäß Systemmatrix null sind, ergeben sich inter-
essante Schlussfolgerungen (Abb. 6.45).
h h
=R mit der Reflexionsmatrix A = 0: Ein paralleles Strahlenbündel wird auf
σ
σ einen Punkt in der Referenzebene RE2 fokus-
siert. Damit ist RE2 identisch mit der bildsei-
tigen Brennebene.
10
R= 2 . (6.49) B = 0: Strahlen, die von einem Punkt der Refe-
r 1
renzebene RE1 ausgehen, vereinigen sich wie-
der in einem Punkt der Referenzebene RE2 .
Damit sind RE1 und RE2 Gegenstands- und
Bildebene (sie sind konjugiert). Der Abbil-
dungsmaßstab ist

y
β = =A. (6.51)
y
Abb. 6.44 Strahlengang am Hohlspiegel mit Auffaltung
6.2 Geometrische Optik 521

Lösung
Zweckmäßigerweise legt man die Referenzebene RE1
in die Linse L1 und die Ebene RE2 in die Linse L2 .
Damit wird die Systemmatrix ein Produkt aus zwei
Linsenmatrizen nach (6.48) sowie einer Transfermatrix
nach (6.45) :

1 0 1e 1 0
M = L2 T L1 = .
− f1 1 01 − f1 1
2 1

Nach Ausmultiplikation ergibt sich


e

1− f1
e
M=
− f1 − 1
f2
+ e
f1 f2
1− e
f2
1

und numerisch mit f1 = 60 cm, f2 = 50 cm und e =


25 cm

Abb. 6.45 Strahlengänge beim Verschwinden 0.5833 25 cm
spezieller Matrixelemente M= .
−0,02833 cm−1 0.5

C = 0: Parallelstrahlen werden in Parallel- Zur Kontrolle: det M = 1.


Für die Gesamtbrennweite bzw. Brechzahl gilt
strahlen übergeführt. Es liegt also ein afoka-
nach (6.58)
les System vor (Fernrohr, Abschn. 6.2.7.4). Die
f = −C = f + f − f f = 2,83 dpt, in Übereinstim-
1 1 1 e
Winkelvergrößerung (Vergrößerung des Fern- 1 2 1 2
mung mit den Gleichungen (6.41) und (6.42). Ebenso
rohrs) ist

σ Tabelle 6.2 Lage der Kardinalpunkte eines optischen


γ = =D. (6.52) Systems
σ
Kardinalpunkt Beziehung
D = 0: Alle Strahlen, die von einem Punkt der
Abstand des objekt- D
Referenzebene RE1 ausgehen, werden zu Par- seitigen Brennpunktes s1,F = (6.53)
allelstrahlen. Damit ist RE1 die gegenstandsei- F von RE1 C
tige Brennebene. Abstand des bildsei- A
tigen Brennpunktes s2,F =− (6.54)
F von RE2 C
Lage der Kardinalpunkte
Abstand der objekt-
Bezüglich der zwei Referenzebenen RE1 und D − (n1 / n2 )
seitigen Hauptebene s1,H = (6.55)
RE2 (Abb. 6.40) lassen sich einfache Ausdrücke H von RE1 C
finden für die Abstände zu den interessanten Abstand der bildsei- 1−A
Punkten eines optischen Systems. Sie sind in tigen Hauptebene s2,H = (6.56)
H von RE2 C
Tabelle6.2 zusammen gestellt.
n1 / n2
Beispiel objektseitige Brenn- f = (6.57)
weite C
6.2-12 Für das System von zwei dünnen Sammellinsen
1
des Beispiels 6.2-11 Abb. 6.39 soll mithilfe der Matri- bildseitige Brennweite f =− (6.58)
zenmethode die Systembrennweite bestimmt werden. C
522 6 Optik

einfach lassen sich aus der Systemmatrix die Gleichun- r1 = +3 cm; r2 = ∞. Wo erscheint das Bild eines Ob-
gen (6.40) für die Lage der Brennpunkte sowie der jektes, das sich im Abstand sO = −10 cm vom linken
Hauptpunkte herleiten. Linsenscheitel befindet? Geben Sie den Abstand sO von
der rechten Planseite an.
Beispiel
6.2-13 Im Abstand sO = −40 cm von der Linse L1 des
Systems von Beispiel 6.2-12 stehe ein Gegenstand. Wo
entsteht das Bild? Wie groß ist der Abbildungsmaßstab? 6.2.5 Blenden im Strahlengang

Lösung In jedem optischen System sind Blenden vor-


Das System wird nach links und rechts so erweitert,
handen, die den Querschnitt der zur Abbil-
dass die Referenzebene RE1 mit der Gegenstandsebene
übereinstimmt und RE2 mit der Bildebene (Abb. 6.46).
dung verwendeten Lichtstrahlen begrenzen.
Die Systemmatrix wird damit: Abbildung 6.47 zeigt die Abbildung des Ge-
genstandes P1 P2 durch eine Sammellinse ins
1 sO 0,5833 25 cm 1 40 cm
M= reelle Bild P1 P2 . Innerhalb des schraffierten
0 1 −0,02833 cm−1 0,5 0 1
Kegels laufen alle Strahlen, die vom Punkt P2
0,5833 − 0,02833 cm−1 sO 48,33 cm − 0,6333sO ausgehen und in P2 gesammelt werden. Das
=
−0,02833 cm−1 −0,6333
Strahlenbündel ist begrenzt durch eine mate-
Nach Abb. (6.45) liegt eine optische Abbildung vor, rielle Blende oder Pupille. Die Linse entwirft
wenn B = 0 ist. Aus 48,33 cm − 0,6333 sO = 0 folgt von der Blende ein reelles Bild, die Austritts-
sO = 76,3 cm. Der Abbildungsmaßstab ist nach (6.51) pupille AP, durch die wieder alle Strahlen ge-
β = A = 0,5833 − 0,02833 cm−1 · 76,3 cm = −1,58. Das hen müssen. Vom Gegenstandspunkt O, der
Bild ist reell, umgekehrt und vergrößert.
auf der optischen Achse liegt, gelangen alle
Zur Übung
Strahlen, die innerhalb des strichpunktierten
Ü 6.2-24 Ein Linsensystem besteht aus drei dünnen Kegels liegen, zur Abbildung. Der Öffnungs-
Linsen der Brennweiten f1 = 3 cm, f2 = −7,5 cm und winkel σ wird objektseitiger Aperturwinkel ge-
f3 = 1,5 cm. Die Abstände zwischen den Linsen sind nannt, der konjugierte Winkel σ ist der bild-
e12 = 3 cm und e23 = 9 cm. Wie groß ist die Brenn- seitige Aperturwinkel. Allgemein wird σ durch
weite des Systems? Wo liegen die Brennpunkte und die die Eintrittspupille EP begrenzt, σ durch die
Hauptpunkte? Die Linsen befinden sich an Luft.
Austrittspupille AP. In Abb. 6.47 spielt also die
reale Blende zugleich die Rolle der Eintritts-
Ü6.2-25 Bestimmen Sie die Brennweite sowie die Lage
der Brennpunkte und der Hauptpunkte für eine Glas-
pupille. Lässt man den Durchmesser der Ein-
linse, welche die Form einer Halbkugel hat, die bei- trittspupille gegen null gehen, so werden die
derseits von Luft umgeben ist. Linsendaten: nL = 1,5; zur Abbildung gelangenden Lichtkegel immer

Abb. 6.46 Zu Beispiel 6.2-13 Abb. 6.47 Strahlbegrenzung durch eine Blende
6.2 Geometrische Optik 523

schlanker, bis schließlich nur noch die rot ge- chen Blende kann auch das Bild einer Blende,
strichelten Hauptstrahlen übrig bleiben. eine Luke, das Gesichtsfeld begrenzen.
Es ist offensichtlich, dass die Lichtmenge, die
vom Gegenstand zum Bild gelangt, von der Zur Übung
Ü6.2-26 In 30 cm Abstand vor einer Sammellinse steht
Größe der Eintrittspupille abhängt. Die Blende
eine Blende mit 12 mm Durchmesser. Ihr Bild (AP) ent-
steuert damit die Helligkeit des Bildes. steht 60 cm hinter der Linse. a) Welchen Durchmesser
Eine weitere Funktion einer Blende ist die Be- hat die Austrittspupille? b) Konstruieren Sie mithilfe
grenzung des Gesichtsfelds. Diese Blendenwir- der Pupillenstellungen die Abbildung eines Gegenstan-
kung ist in Abb. 6.48 verdeutlicht, wo der Ge- des mit a = −50 cm Gegenstandsweite und y = 1 cm
genstandsraum von Abb. 6.47 noch einmal dar- Größe. c) Wie groß muss der Linsendurchmesser min-
destens sein, damit auch die Randpartien ohne Ab-
gestellt ist. Für diejenigen Gegenstandspunkte,
schattung abgebildet werden?
die sich innerhalb der Grenzen P1 und P2 be-
finden, gelangen alle Strahlen, die die Eintritts-
pupille passiert haben, auch auf das Bild. Für 6.2.6 Abbildungsfehler
Gegenstandspunkte zwischen P1 und P3 bzw.
P2 und P4 wirkt die Linsenfassung als Blende, Bei der bisherigen Beschreibung optischer
sodass nur ein Teil der Strahlen auf das Bild ge- Abbildungen ist idealisierend vorausgesetzt,
langt. Gegenstandspunke schließlich, die au- dass nur achsennahe Strahlen an der Abbil-
ßerhalb von P3 und P4 sitzen, werden durch dung beteiligt sind. Sobald Strahlen in großem
die vorliegende Anordnung überhaupt nicht Abstand von der optischen Achse bzw. unter
mehr abgebildet. Das Gesichtsfeld ist hier nicht großen Winkeln gegen diese verlaufen, ist die
scharf begrenzt, sondern es wird nach außen Abbildung mit Fehlern behaftet. Tabelle 6.3
hin allmählich dunkler. Diesen Effekt bezeich- zeigt eine knappe Zusammenstellung der
net man als Vignettierung oder Abschattung. wichtigsten Abbildungsfehler.
Soll das Gesichtsfeld scharf begrenzt sein, so Zur Behebung der Abbildungsfehler sind im-
muss in der Bildebene eine Gesichtsfeldblende mer mehr oder weniger komplizierte Linsen-
angebracht werden. Anstelle einer körperli- systeme erforderlich. Dabei wird ausgenutzt,
dass bestimmte Fehler in verschiedenen Lin-
sentypen gegenläufig sind, sodass sie sich bei
der Kombination ganz oder teilweise aufhe-
ben. Eine vollkommene Korrektur aller Abbil-
dungsfehler ist nicht möglich.

6.2.7 Optische Instrumente

6.2.7.1 Das menschliche Auge


In Abb. 6.49 sind die wichtigsten Teile des
menschlichen Auges dargestellt. Das Auge
wird eingehüllt von der stabilen Lederhaut
Le. Darunter liegt die für den Stoffwechsel
wichtige Aderhaut A, die mit der lichtemp-
Abb. 6.48 Begrenzung des Gesichtsfelds bei einem findlichen Netzhaut N ausgekleidet ist. Die
ausgedehnten Gegenstand lichtdurchlässigen Teile des Auges sind die
524 6 Optik

Tabelle 6.3 Abbildungsfehler

Bezeichnung Ursache und Auswirkung Beseitigung

sphärische Ein Objektpunkt auf der optischen Achse Kombination mehrerer Linsen ver-
Aberration wird, falls nur achsennahe Strahlen an der schiedener Brennweite (z. B. Sam-
(Öffnungsfehler) Abbildung beteiligt sind, weiter von einer mellinse und Zerstreuungslinse);
Sammellinse entfernt abgebildet, als bei der Variation der Linsenform.
ausschließlichen Verwendung achsenferner Ein korrigiertes System wird als
Strahlen. Daher wird ein Punkt durch weit Aplanat bezeichnet.
geöffnete Strahlenbündel nicht als Punkt, son-
dern als Zerstreuungsscheibchen abgebildet.
Astigmatismus Ausgedehnte ebene Objekte werden nicht in Kombination mehrerer Linsen aus
und Bildfeld- einer Ebene, sondern auf zwei gekrümmten geeigneten Gläsern; Veränderung
wölbung Bildschalen, die sich auf der optischen Achse der Blendenlage.
berühren, abgebildet. Deshalb entsteht bei Ein korrigiertes System ist ein
der Abbildung eines Punktes, der außerhalb Anastigmat.
der optischen Achse liegt, auch bei der Ver-
wendung schlanker Strahlenbündel kein Bild-
punkt, sondern zwei zueinander senkrecht ver-
laufende Bildstriche auf den beiden Bild-
schalen in verschiedenen Abständen von der
Linse.
Koma Strahlenbündel großer Öffnung bilden einen Abblenden; Fehler ist stark abhängig
Punkt, der außerhalb der optischen Achse von der Blendenlage.
liegt, nicht als Punkt, sondern als ovale Figur
mit kometenhaftem Schweif ab.
Verzeichnung Bei falscher Blendenlage sind Bild und Objekt Blende bzw. Pupille sollte in der
nicht geometrisch ähnlich. Liegt die Blende Linsenebene liegen. Verwirklicht im
zu weit im Gegenstandsraum, wird ein orthoskopischen Objektiv.
Quadrat tonnenförmig verzeichnet, liegt sie
zu weit im Bildraum, resultiert eine kissen-
förmige Verzeichnung.
chromatische Farbfehler, der aufgrund der Dispersion des Kombination von Sammellinse aus
Aberration Linsenmaterials entsteht, wenn zur Abbildung Kronglas und Zerstreuungslinse aus
kein monochromatisches Licht verwendet Flintglas; korrigiertes Objektiv ist
wird. Das Bild wird unscharf und erhält ein Achromat.
farbige Ränder.

Hornhaut H, die mit Kammerwasser gefüllte Brechung des Lichts findet vorwiegend an der
vordere Augenkammer K, die Linse Li sowie gekrümmten Hornhaut statt. Die Linse sorgt
der gallertartige Glaskörper G. lediglich dafür, dass Gegenstände in verschie-
Das normalsichtige Auge ist im Ruhezustand denen Entfernungen scharf gesehen werden.
so eingestellt, dass paralleles Licht unendlich Zu diesem Zweck wird die Krümmung der Au-
ferner Gegenstände auf die Netzhaut fokus- genlinse mithilfe des Ziliarmuskels Z verändert
siert wird, wie es Abb. 6.50 zeigt. Dabei re- (Akkommodation). Der nächstgelegene Punkt,
gelt die Iris I (Regenbogenhaut) als Eintritts- den man eben noch scharf sehen kann, wird
pupille die Lichtmenge, die ins Auge fällt. Die Nahpunkt genannt. Er liegt bei Jugendlichen
6.2 Geometrische Optik 525

Abb. 6.49 Querschnitt durch das menschliche Auge

bei etwa 10 cm und nimmt mit zunehmen-


dem Alter zu. Als Bezugssehweite oder deutli-
che Sehweite wurde der Abstand aB = −25 cm
festgelegt, in dem der normalsichtige Mensch
ohne Anstrengung Gegenstände betrachten
kann. Der Fernpunkt liegt beim normalsich- Abb. 6.50 Menschliches Auge: a) normalsichtig, b)
tigen Auge im Unendlichen. kurzsichtig, c) übersichtig (weitsichtig)
Beim kurzsichtigen Auge ist die Brechkraft
des Systems so groß, dass parallel einfallende
Strahlen schon vor der Netzhaut vereinigt wer- verschiedene Farben (rot, grün, blau) unter-
den (Abb. 6.50b). Der Kurzsichtige kann un- scheiden, während die wesentlich empfindli-
endlich entfernte Gegenstände nicht scharf se- cheren Stäbchen farbuntüchtig sind. Die Licht-
hen, sein Fernpunkt liegt im Endlichen. Zur empfindung wird über Nervenfasern dem Seh-
Korrektur wird eine Brille mit Zerstreuungs- zentrum des Gehirns zugeleitet. An der Stelle,
linsen verwandt. wo die Sehnerven das Auge verlassen, ist die
Beim übersichtigen (weitsichtigen) Auge ist die Netzhaut unempfindlich (blinder Fleck B in
Brechkraft so gering, dass der Brennpunkt hin- Abb. 6.49). Die größte Dichte der Zapfen be-
ter der Netzhaut liegt (Abb. 6.50c). Der Über- steht in der Netzhautgrube NG; nach außen hin
sichtige kann durch Akkommodation diesen nimmt die Anzahl der Zapfen ab, gleichzeitig
Fehler zum Teil ausgleichen. Die ständige An- nimmt die Anzahl der Stäbchen zu.
spannung des Augenmuskels wirkt aber er- Das Auflösungsvermögen des Auges ist eng mit
müdend. Zur Korrektur trägt der Übersichtige der Struktur der Netzhaut verknüpft. So kön-
eine Sammellinse. nen zwei Punkte nicht mehr getrennt wahrge-
Hat das Auge in zwei zueinander senkrechten nommen werden, wenn ihre Bildpunkte so an-
Richtungen verschiedene Brennweiten, so liegt einander liegen, dass nur ein einziger Zapfen
Augenastigmatismus vor. Zur Korrektur muss angeregt wird. Der physiologische Grenzwin-
das Brillenglas in verschiedenen Richtungen kel, unter dem Gegenstände noch getrennt
unterschiedlich gekrümmt sein. wahrgenommen werden können, beträgt etwa
Die eigentlich lichtempfindlichen Sinneszellen eine Winkelminute für Bilder in der Netzhaut-
des Auges sind die in der Netzhaut eingebette- grube NG (Abb. 6.49). In der Bezugssehweite
ten Stäbchen und Zapfen. Die Zapfen können 25 cm müssen demnach zwei Punkte 0,07 mm
526 6 Optik

weit auseinander sein, damit man sie noch als weite aB = −25 cm rückt? (Der Abstand e zwischen
getrennt wahrnimmt. Brillenglas und Augenlinse sei vernachlässigbar.)

Ü 6.2-28 Bei einem kurzsichtigen Menschen liegt der


Funktion der optischen Instrumente Fernpunkt aF = −50 cm vor dem Auge. Welche Brech-
Nach Abb. 6.51 entwerfen die brechenden Teile kraft braucht seine Brille, damit er wieder bis unend-
des Auges auf der Netzhaut ein umgekehr- lich sehen kann?
tes reelles Bild eines Gegenstandes. Die Größe
des Netzhautbildes ist direkt proportional zum
6.2.7.2 Lupe
Sehwinkel σ , unter dem das Objekt erscheint.
Will man von einem Gegenstand mehr Details Die Lupe ist eine Sammellinse kurzer Brenn-
erkennen, muss er näher ans Auge gebracht weite. Ihre Vergrößerung ist umso höher, je
werden. Dadurch nimmt der Sehwinkel bzw. stärker die Brechkraft der Linse ist. Nach DIN
die scheinbare Größe des Gegenstandes zu. Bei 58 383 versteht man unter Lupen im engeren
Unterschreiten des Nahpunktes wird das Netz- Sinne solche, die eine mindestens dreifache
hautbild wegen mangelnder Akkommodati- Vergrößerung haben. Bei geringeren Vergrö-
onsfähigkeit unscharf. Eine weitere Vergröße- ßerungen spricht man von Lesegläsern. Die
rung ist nur möglich, wenn optische Instru- Vergrößerung hängt nicht nur von der Lupe
mente (Lupe, Mikroskop, Fernrohr) zu Hilfe selbst ab, sondern auch ganz wesentlich vom
genommen werden. Die Aufgabe der optischen Abstand zwischen Gegenstand und Lupe bzw.
Instrumente besteht darin, den Sehwinkel zu Auge. Da es praktisch unmöglich ist, für alle
vergrößern. Da das Netzhautbild dem Tangens vorkommenden Abstände mit einfachen For-
des Sehwinkels proportional ist, definiert man meln eine Vergrößerung zu berechnen, gibt
sinnvollerweise als Vergrößerung (Angularver- man in der Regel die Normalvergrößerung der
größerung) eines Instruments Lupe an. Dazu wird festgelegt, dass der Gegen-
stand in der Brennebene der Linse steht und
das Auge auf Unendlich akkommodiert ist.
tan σ σ
Γ = ≈ . (6.59) Abbildung 6.52 zeigt den Strahlengang für die-
tan σ σ sen Fall. Es ist im Prinzip gleichgültig für die
Vergrößerung, wo das Auge steht; denn alle
Dabei ist σ der Sehwinkel mit, σ derjenige Strahlen, die von einem Punkt des Gegenstan-
ohne Instrument. Meist kann man den Tan- des ausgehen, verlaufen hinter der Linse unter
gens durch den Winkel selbst ersetzen. demselben Winkel σ zur optischen Achse. Al-
lerdings ist das Gesichtsfeld am größten, wenn
Zur Übung
Ü 6.2-27 Der Nahpunkt eines übersichtigen Auges sei
aN = −50 cm. Welche Brechkraft muss eine Brille ha-
ben, damit der Nahpunkt des Auges in die Bezugsseh-

Abb. 6.51 Definition des Sehwinkels σ Abb. 6.52 Strahlengang bei der Lupe
6.2 Geometrische Optik 527

sich das Auge möglichst nahe an der Linse be-


findet. Welches Strahlenbündel zur Abbildung
herangezogen wird, legt die Augenpupille fest.
Die Augenlinse vereinigt die Parallelstrahlen
zu einem Punkt auf der Netzhaut.
Nach Abb. 6.52 gilt für den Winkel σ die Bezie-
hung tan σ = y/ f = −y/ f . Zur Bestimmung
der Vergrößerung vergleicht man diesen Win-
kel mit jenem, unter dem das Objekt für das Abb. 6.53 Gegenstand innerhalb der Brennweite einer
unbewaffnete Auge erscheint, wenn es im Ab- Lupe
stand aB = −25 cm (Bezugssehweite) angeord-
net ist: tan σ = y/ aB . Somit gilt für die Normal-
vergrößerung der Lupe aus der Abbildungsgleichung (6.31) sofort die
Lupenvergrößerung bei Akkommodation:
aB
ΓL = − . (6.60) aB
f ΓL,A

=1− = 1 + ΓL . (6.61)
f

Die Vergrößerung ist positiv, weil aB ein ne-


gatives Vorzeichen hat. Eine Lupe bewirkt also
gegenüber der Betrachtung mit unbewaffne- 6.2.7.3 Mikroskop
tem Auge keine Bildumkehr. Für sehr starke Vergrößerungen wäre
Soll die Vergrößerung gesteigert werden, so nach (6.60) eine Lupe mit extrem kleiner
wird der Abstand zwischen Lupe und Objekt Brennweite erforderlich, was technisch schwer
vermindert. Dadurch entsteht ein virtuelles zu realisieren ist. Eine kleine Brennweite lässt
vergrößertes Bild in endlichem Abstand vom sich aber auch erzielen, wenn man anstatt
Auge. Bringt man die Linse nach Abb. 6.53 in einer Linse ein Linsensystem mit zwei Linsen
eine solche Position, dass das virtuelle Bild im nimmt. Obwohl die beiden Linsen selbst ver-
Abstand der Bezugssehweite aB von der Linse hältnismäßig große Brennweiten haben kön-
entsteht, dann gilt für den Winkel σ , unter nen, ist nach (6.41) bei geeignetem Abstand
dem der Hauptstrahl die Linse durchgesetzt die Gesamtbrennweite des Systems klein.
y y Der Strahlengang im Mikroskop ist in
tan σ = = . Abb. 6.54 dargestellt. Das Objektiv Ob ent-
a aB
wirft von dem Gegenstand G ein vergrößertes
Unter der Voraussetzung, dass sich das Auge
reelles Zwischenbild ZB. Dieses Zwischenbild
dicht an der Lupe befindet, durchsetzt der
wird mithilfe des Okulars Ok betrachtet. Das
Hauptstrahl die Augenlinse unter demselben
Okular hat die Funktion einer Lupe und dient
Winkel. Das Verhältnis der Sehwinkel mit und
der weiteren Vergrößerung des Zwischenbil-
ohne Instrument ist dann
des. Die parallelen Strahlen, die in Abb. 6.54
tan σ y
= = β . das Okular verlassen, werden durch die Au-
tan σ y genlinse auf die Netzhaut des Betrachters
In diesem Fall ist also die Angularvergröße- fokussiert.
rung identisch mit der Lateralvergrößerung Die Abbildung geschieht im Mikroskop in zwei
(Abbildungsmaßstab). Mit a = aB ergibt sich Stufen. Dementsprechend lässt sich die Mikro-
528 6 Optik

Objektivs begrenzt. Das Objektiv ist demnach


die Eintrittspupille EP des Systems. Die Aus-
trittspupille AP ist das vom Okular entwor-
fene Bild der Eintrittspupille. An der Stelle der
Austrittspupille sollte sich die Pupille des be-
obachtenden Auges befinden.
Sowohl das Objektiv als auch das Okular ei-
Abb. 6.54 Strahlengang beim Mikroskop nes Mikroskops besteht zur Korrektur der Ab-
bildungsfehler immer aus mehreren Linsen.
Abbildung 6.55a zeigt Ansicht und Schnitt ei-
skopvergrößerung ΓM
aus dem Abbildungs-
maßstab βOb des Objektives und der Lupen-

vergrößerung ΓOk

des Okulars berechnen:

ΓM = βOb ΓOk



. (6.62)

Der Abbildungsmaßstab βOb wird mithilfe der


elementaren Gleichungen (6.28) und (6.31) be-
rechnet. Er ist besonders einfach darstellbar
mithilfe der optischen Tubuslänge t des Mikro-
skops: βOb = −t/ fOb

. Somit ist die Gesamtver-
größerung des Mikroskops

t aB
ΓM = . (6.63)
fOb fOk

In der Praxis kann man die Gesamtvergröße-


rung eines Mikroskops sofort aus den Zahlen
bestimmen, die auf Objektiv und Okular ein-
graviert sind. Steht beispielsweise auf einem
Objektiv 40/ 0,65, so beträgt der Abbildungs-
maßstab |β | = 40 und die numerische Aper-
tur ist AN = 0,65. Ist z. B. auf dem Okular 10×
eingraviert, dann ergibt sich die Mikroskop- Abb. 6.55 Technische Ausführung eines Mikroskops:
vergrößerung |ΓM
| = 400. Die mechanische a) Objektiv, Plan-Apochromat 100 × / 1,40 Oil,
Tubuslänge moderner Mikroskope ist in der b) Inverses Mikroskop (Axiovert 200), bei dem das
Regel t = 160 mm. Normwerte für Objektiv- Objekt von unten betrachtet wird. Diese Anordnung
hat besondere Vorteile für biologische Präparate, die
und Okularvergrößerungen sind in DIN 58 886 am Boden einer Kulturschale wachsen. 13, 14: Lampen
festgelegt. für Auf- und Durchlicht, 18: Kondensor, 19: 6-fach
Die Öffnung der abbildenden Strahlenbündel Objektivrevolver, 2: Okular.
wird in Abb. 6.54 durch den Durchmesser des Werbilder: Carl Zeiss AG, Göttingen
6.2 Geometrische Optik 529

nes modernen Planapochromaten, der beson-


ders gegen sphärische und chromatische Ab-
erration sowie Bildfeldwölbung korrigiert ist.
In Abb. 6.55b sind Aufbau und Strahlengang
eines modernen Mikroskops wiedergegeben.
Das Auflösungsvermögen des Mikroskops ist
in Abschn. 6.4.1.5 beschrieben.

Zur Übung
Ü 6.2-29 Bei einem Mikroskop ist die Objektivbrenn-
= 4 mm, die Okularbrennweite f = 25 mm
weite fOb Ok
und die Tubuslänge t = 160 mm. a) Wie groß ist die Mi-
kroskopvergrößerung ΓM ? b) In welchem Abstand z
Ob
vom vorderen Ojektivbrennpunkt muss sich das Ob-
jekt befinden, wenn es von einem auf unendlich einge-
stellten Auge scharf gesehen werden soll? c) Das Okular
wird um ΔzOk nach hinten verschoben und entwirft
dadurch ein reelles Bild. In welchem Abstand aOk vom
Okular muss man einen Schirm aufstellen, um das
Abb. 6.56 Grundtypen des Fernrohrs: a) Kepler’sches
Bild aufzufangen, und wie groß ist der gesamte Ab-
Fernrohr, b) Galilei’sches Fernrohr
bildungsmaßstab β ? Zeichnen Sie ein Diagramm für
1 mm 5 ΔzOk 5 25 mm. Was ergibt sich speziell für
ΔzOk = 1 mm?
sen, das Galilei’sche (1609) oder holländische
Fernrohr eine Sammel- und eine Zerstreu-
Ü 6.2-30 Ein Mikroskop kann ersatzweise wie eine
ungslinse. Beim Kepler’schen Fernrohr ent-
Lupe mit extrem kleiner Brennweite behandelt wer-
wirft das Objektiv in seiner bildseitigen Brenn-
den. Berechnen Sie für das Mikroskop von Ü 6.2-29 die
Gesamtbrennweite f und die Lupenvergrößerung ΓL ebene ein reelles Zwischenbild ZB eines un-
Wieso ist die Gesamtbrennweite negativ? endlich entfernten Gegenstandes, das dann
mit dem als Lupe wirkenden Okular betrachtet
wird. Befindet sich das Objekt in endlicher Ent-
6.2.7.4 Fernrohr fernung, so entsteht das Zwischenbild hinter
Das Fernrohr hat die Aufgabe, den Sehwin- der bildseitigen Brennebene. Eine Scharfein-
kel, unter dem weit entfernte Gegenstände er- stellung geschieht am einfachsten dadurch,
scheinen, zu vergrößern. Das Bild soll mit ent- dass der Abstand zwischen Objektiv und Oku-
spanntem Auge betrachtet werden. Dies be- lar verlängert wird. Beim Galilei’schen Fern-
deutet, dass ein ins Fernrohr eintretendes par- rohr kommt es nicht zur Ausbildung eines reel-
alleles Strahlenbündel auch wieder als paral- len Zwischenbildes, denn die konvergierenden
leles Bündel austreten muss. Diese Bedingung Strahlen treffen auf die Zerstreuungslinse, be-
wird von einem afokalen System mit zwei Lin- vor sie sich in einem Punkt vereinigen können.
sen erfüllt. Dabei fällt der bildseitige Brenn- Die Vergrößerung des Fernrohrs lässt sich
punkt der ersten Linse mit dem gegenstands- anhand von Abb. 6.56 folgendermaßen
seitigen der zweiten zusammen. bestimmen: Der Winkel σ , unter dem
Abbildung 6.56 zeigt die beiden Grundtypen ein Strahlenbündel von einem weit ent-
des Fernrohrs. Das Kepler’sche (1611) oder fernten Gegenstand ins Objektiv fällt, ist
astronomische Fernrohr hat zwei Sammellin- derselbe Winkel, unter dem man den Ge-
530 6 Optik

genstand mit unbewaffnetem Auge sehen


würde. Der Sehwinkel σ , unter dem die
Strahlen ins Auge gelangen, ist offensicht-
lich größer als σ . Nach Abb. 6.56 gilt für
die Winkelfunktionen (Vorzeichen der
Winkel s. Abschn. 6.2.3.3 und DIN 1335)
tan σ = −y / fOk

und tan σ = y / fOb

. Da-
mit ergibt sich für die Vergrößerung des
Fernrohrs


fOb
ΓF = − . (6.64)
fOk

Setzt man die Brennweiten vorzeichenrichtig


in (6.64) ein, wird die Vergrößerung des Kep-
ler’schen Fernrohrs negativ, die des Galilei’-
schen Fernrohrs positiv. Dieser Sachverhalt
lässt sich auch leicht anhand von Abb. 6.56 er-
kennen: Die prinzipielle Richtung eines Licht-
bündels beim Galilei’schen Fernrohr wird bei-
behalten, während sie sich beim Kepler’schen
umkehrt. Das Kopf stehende Bild stört in der
Astronomie nicht, für irdische Beobachtun-
gen jedoch muss das Bild aufgerichtet wer-
den.
Im terrestrischen Fernrohr wird nach
Abb. 6.57a mit der Umkehrlinse U das re-
elle Zwischenbild Kopf stehend abgebildet
und dann durch das Okular betrachtet. Wie
Abb. 6.57b am Beispiel eines Zielfernrohrs
zeigt, sind solche Fernrohre sehr lang. Die
Bildumkehr ist auch mithilfe von Umkehr-
prismen möglich. Abbildung 6.57c zeigt Abb. 6.57 Bildumkehr beim terrestrischen Fernrohr.
a) Prinzip, b) technische Ausführung in einem
einen Prismenfeldstecher, bei dem mit einem
Zielfernrohr, c) Prismenfeldstecher mit Porro’schem
Porro’schen Prismensatz (Abschn. 6.2.3.2) Umkehrprismensatz, d) Fernglas mit geradsichtigem
das Bild aufgerichtet wird. Dieses Fern- Prismensystem nach Schmidt-Pechan. Werkbilder:
rohr ist sehr kurz. Zusätzlich wird durch Carl Zeiss, Oberkochen
die Strahlumlenkung an den Prismen der
gegenseitige Abstand der beiden Objektive
wesentlich größer als der Augenabstand. Abbildung 6.58 zeigt die Abbildung eines
Dieser Effekt unterstützt das stereoskopische Lichtbündels, das parallel zur optischen Achse
Sehen. ins Objektiv fällt. Die Objektivöffnung defi-
6.2 Geometrische Optik 531

niert die Eintrittspupille EP des Systems. Ihr pupille wie die Brennweiten von Objektiv und
Bild, die Austrittspupille AP, erscheint in der Okular. Es gilt also
Gegend des Brennpunktes F2 des Okulars.
Beim Kepler’schen Fernrohr erscheint die DEP
Austrittspupille als reelles Bild der Eintritts- |ΓF | = . (6.65)
DAP
pupille. An der Stelle der Austrittspupille
sollte sich das Auge des Beobachters befinden.
Hält man z. B. einen Feldstecher gegen den Nach DIN 58 386 wird mithilfe von (6.65) die
Himmel und blickt von weitem auf das Okular, Vergrößerung eines Fernrohrs gemessen.
so sieht man deutlich die Austrittspupille als Das Gesichtsfeld des Kepler’schen Fernrohrs
hellen Fleck von einigen mm Durchmesser. kann wesentlich erweitert werden, wenn
Beim Galilei’schen Fernrohr erscheint die Aus- man an der Stelle des reellen Zwischenbildes
trittspupille als virtuelles Bild zwischen den eine Feldlinse FL oder Kollektivlinse gemäß
beiden Linsen. Da man das Auge nicht un- Abb. 6.59 anbringt. Diese Feldlinse ändert zwar
mittelbar an die Stelle der Austrittspupille nicht die Vergrößerung, bricht die Strahlen
bringen kann, erscheint das Gesichtsfeld nicht aber so, dass sie die Okularlinse verhältnis-
scharf begrenzt. Es ist außerdem verhältnis- mäßig zentral durchsetzen. Dadurch können
mäßig klein, vergleichbar mit einem Blick die Strahlen unter einem größeren Winkel ins
durch ein Schlüsselloch. Der Vorteil des Ga- Objektiv einfallen und treffen trotzdem noch
lilei’schen Fernrohrs ist seine kurze Baulänge. auf die Okularlinse. Die Austrittspupille rückt
In Abb. 6.58 sind zwei Fernrohre gleicher Ver- durch diese Maßnahmen näher ans Okular.
größerung gezeichnet, dabei ist das Galilei’- Bei Fernrohren werden in der Regel als wich-
sche etwa halb so lang wie das Kepler’sche tigste Kenngrößen die Vergrößerung und der
Fernrohr. Das Galilei’sche Fernrohr wird am Durchmesser der Eintrittspupille angegeben.
meisten als Opernglas verwendet. Steht beispielsweise auf einem Feldstecher
Wie man Abb. 6.58 entnimmt, verhalten sich 8 × 30, so sind ΓF = 8 und DEP = 30 mm.
die Strahldurchmesser von Ein- und Austritts- Als Maß für die Leistungsfähigkeit bei Däm-
merung kann nach DIN 58 386 vom Hersteller
die Dämmerungszahl Z angegeben werden:


Z = |ΓF |DEP . (6.66)

Abb. 6.58 Pupillenlage beim Fernrohr; Abbildung


eines achsenparallelen Lichtbündels beim Abb. 6.59 Wirkung einer Feldlinse beim Kepler’schen
a) Kepler’schen und b) Galilei’schen Fernrohr Fernrohr
532 6 Optik

DEP ist der Durchmesser der Eintrittspupille Bei der Betrachtung von Fixsternen werden
in mm. Mit DEP = |ΓF |DAP gilt auch Z = selbst mit den größten astronomischen Fern-

|ΓF | DAP . rohren die Sterne nur punktförmig wiederge-
√ den Feldstecher 8 × 30 ergibt sich Z =
Für geben. Der Sinn der Fernrohre in der Astrono-
240 = 15,5. Ist bei einem Fernrohr die Aus- mie besteht deshalb nicht in einer Vergröße-
trittspupille größer als 8 mm, dann ist DAP = rung der Objekte, sondern in einer Steigerung
8 mm zu setzen. Dieser Grenzwert ist der maxi- der Helligkeit. So kann man mit dem Fern-
male Durchmesser der menschlichen Augen- rohr Sterne sehen, die mit dem bloßen Auge
pupille. nicht wahrnehmbar sind. Das Auflösungsver-
Schließlich sei noch die Frage untersucht, ob mögen des Fernrohrs ist in Abschn. 6.4.1.5 be-
die Helligkeit eines betrachteten Gegenstan- schrieben.
des gesteigert wird, wenn man ihn mit einem
Zur Übung
Fernrohr betrachtet. Ein Maß für die Hellig-
Ü 6.2-31 Bei einem Feldstecher 8 × 30 beträgt der Ab-
keit ist der Lichtstrom Φ (Abschn. 6.3), der auf stand zwischen Objektiv und Okular l = 200 mm bei
einen Zapfen der Netzhaut fällt. Ohne Fern- Einstellung auf Unendlich. a) Wie groß ist die Brenn-
rohr sei dieser Lichtstrom Φ0 . Benutzt man weite von Objektiv und Okular? b) Zur Einstellung auf
ein Fernrohr, so wird wegen der großen Ob- nahe Objekte lässt sich das Okular um Δl = 5 mm her-
jektivöffnung zwar mehr Licht eingefangen als ausdrehen. Welches ist der kürzeste Abstand vom Ob-
jektiv, in dem Gegenstände noch scharf gesehen wer-
vom unbewaffneten Auge; dieser große Licht-
den, wenn das Auge auf unendlich akkommodiert ist?
strom wird aber auf ein größeres Netzhautbild
verteilt, sodass im Endeffekt die Helligkeit mit Ü 6.2-32 Zeigen Sie, dass der Einbau einer Feldlinse
Instrument gleich der Helligkeit ohne Instru- gemäß Abb. 6.59 die Vergrößerung eines Fernrohrs
ment ist. (Tatsächlich erscheint das Bild mit In- nicht beeinflusst. (Hinweis: Berechnen Sie die Brenn-
strument sogar dunkler wegen der unvermeid- weite des Systems Feldlinse-Okular.)
lichen Absorptions- und Reflexionsverluste an
Ü 6.2-33 Ein Fixstern wird mit einem astronomi-
den Linsen.) Andere Verhältnisse ergeben sich
schen Fernrohr betrachtet. Die Objektivbrennweite ist
bei der Betrachtung punktförmiger Objekte. In = 2,4 m, die Okularbrennweite f = 4 cm, der
fOb Ok
diesen Fällen ist das Bild wieder nur ein Punkt, Objektivdurchmesser DEP = 32 cm. a) Wie groß ist
und zwar sowohl bei Betrachtung mit unbe- die Fernrohrvergrößerung? b) Welchen Durchmesser
waffnetem Auge als auch bei der Betrachtung hat die Austrittspupille? c) Berechnen Sie die Dämme-
durch ein Fernrohr. Dies bedeutet, dass der rungszahl Z. d) Wie groß ist die Helligkeitssteigerung
gegenüber der Beobachtung mit bloßem Auge, falls
eingefangene Lichtstrom vollständig, z. B. auf
Augenpupille und Austrittspupille gleich groß sind? e)
einen Zapfen der Netzhaut gelenkt wird. Der Wie groß ist die Helligkeitssteigerung, wenn sich die
Lichtstrom wird durch das Instrument im Ver- Augenpupille auf 8 mm vergrößert hat?
hältnis der Flächen von Eintrittspupille und
Augenpupille gesteigert. Ist die Augenpupille
6.2.7.5 Fotoapparat
so groß wie die Austrittspupille des Instru-
Der Fotoapparat ist das optische Instrument,
ments, nimmt die Helligkeit mit dem Quadrat
das dem menschlichen Auge am meisten äh-
der Fernrohrvergrößerung zu:
nelt. Anstelle der Augenlinse steht ein Objek-
tiv, das zur Korrektur von Abbildungsfehlern
immer aus mehreren Einzellinsen zusammen-

Φ = ΓF2 Φ0 . (6.67) gesetzt ist. Das Objektiv entwirft das Bild ei-
nes Gegenstandes nach Abb. 6.60 in der Film-
6.2 Geometrische Optik 533

ebene FE. Dort befindet sich statt der Netzhaut sen. Die in DIN ISO 517 genormte Hauptreihe
ein lichtempfindlicher Film, oder bei Digital- der Blendenzahlen lautet ausschnittsweise
kameras ein CCD-Chip. Das Objektiv kann 1; 1,4; 2; 2,8; 4; 5,6; 8; 11; 16; 22 .
nicht wie das Auge auf unterschiedliche Ob- Eine absolut scharfe Abbildung auf einem ebe-
jektabstände akkommodieren. Deshalb muss nen Film ist theoretisch nur möglich, wenn das
für verschiedene Entfernungen der Abstand Objekt auch eben ist; hierbei steht die Objekt-
zwischen Objektiv und Film gemäß der Ab- ebene OE in Abb. 6.61 senkrecht zur optischen
bildungsgleichung variiert werden. Achse. Objektpunkte, die vor oder hinter der
Wie beim Auge kann der Lichtstrom, der auf idealen Objektebene OE liegen, werden in
den Film fällt, mithilfe einer Irisblende ge- der Filmebene FE als kleine Unschärfekreise
regelt werden. Ein Maß für die einfallende abgebildet. Da sowohl das Auge als auch das
Lichtmenge ist nach DIN ISO 517 die rela- Filmmaterial bzw. der CCD-Chip infolge seiner
tive Öffnung DEP / f . Diese wichtige Kenngröße Körnung ein begrenztes Auflösungsvermögen
ist meist auf dem Kameraobjektiv angegeben. haben, kann man stets eine bestimmte Un-
Steht beispielsweise auf einer Kamera 1:2,8; schärfe auf dem Film tolerieren. Gibt man
f = 45 mm, dann beträgt die maximale relative einen akzeptablen Durchmesser u des Un-
Öffnung 1/2,8 und die Brennweite f = 45 mm. schärfekreises an, so liegt der Objektbereich,
Der Objektivdurchmesser ist bei dieser Ka- der „scharf“ abgebildet wird, zwischen den
mera DEP = 16 mm. Grenzen av und ah . Dabei liegt av vor, ah hinter
Von größerer praktischer Bedeutung ist der der theoretischen Objektebene OE. Durch ele-
Kehrwert der relativen Öffnung, die Blenden- mentare Rechnung erhält man für die Grenz-
zahl k. Es gilt werte

f af 2
k= . (6.68) av = und
DEP f 2 − u k(a + f )
af 2
Die Blendenzahl kann an der Kamera einge-
ah = . (6.69)
f 2 + u k(a + f )
stellt werden. Die Werte sind so abgestuft, dass
sich die Fläche und damit der Lichtstrom von
Die Schärfentiefe beträgt dann
einem Wert auf den andern um den Faktor 2
ändern. Dies bedeutet, dass √ sich aufeinander
folgende Blendenzahlen um 2 ändern müs- Δa = av − ah . (6.70)

Abb. 6.60 „Unendliche“ Einstellung beim Fotoapparat Abb. 6.61 Schärfentiefe beim Fotoapparat
534 6 Optik

Die Schärfentiefe wird mit zunehmender dass diese im Einzelnen definiert sind. Die
Blendenzahl k immer größer. Die Größe des Strahlungs- oder Lichtmessung beschäftigt
zulässigen Unschärfekreises hängt von dem sich mit der Messung dieser Größen. Hierbei
verwendeten Filmformat ab. Als Faustformel interessiert z. B. die Messung der Strahlungs-
kann verwendet werden leistung sowie deren räumliche und spektrale
Verteilung.
Formatdiagonale Bei der objektiven Radiometrie wird die Strah-
u = . (6.71)
1000 lungsleistung mit einem „unbestechlichen“
Messinstrument gemessen. Je nach Empfän-
gertyp ist der Wellenbereich nicht auf das
Beispiel sichtbare Spektrum beschränkt. Zur Kenn-
6.2-14 Mit einer Kleinbildkamera (Format 24 mm ×
zeichnung solcher strahlungsphysikalischer
36 mm) mit f = 45 mm Brennweite soll bei Blende 8
ein Objekt fotografiert werden, das sich in a = −3 m Größen werden die Formelzeichen mit dem
Entfernung befindet. Innerhalb welcher Gegenstands- Index „e“ (für energetisch) versehen. Wird die
weiten av und ah wird die Abbildung scharf? Wie groß Strahlung mit dem Auge bewertet, spricht man
ist die Schärfentiefe? von subjektiver Fotometrie. Die so erhaltenen
lichttechnischen Größen werden durch den
Lösung
Zulässiger Unschärfekreis nach (6.71):
Index „v“ (für visuell) bei den physikalischen
Größen gekennzeichnet. Es versteht sich von
Formatdiagonale 43,3 mm selbst, dass lichttechnische Größen nur für
u = = = 0,0433 mm ;
1000 1000 den sichtbaren Spektralbereich definiert sind.
Ebenso versteht man unter „Licht“ im engeren
nach (6.69) ist av = −1,99 m, ah = −6,07 m und die Sinn elektromagnetische Strahlung im Wel-
Schärfentiefe Δa = av − ah = 4,08 m. lenlängenbereich λ = 380 nm bis λ = 780 nm.
Die in der Fotometrie verwendeten Begriffe,
Formelzeichen und Maßeinheiten sind in
Zur Übung
DIN 5031 festgelegt.
Ü 6.2-34 Berechnen Sie die Schärfentiefe für die in
Beispiel 6.2-14 angegebenen Zahlenwerte, jedoch mit
Blende 2,8.
6.3.2 Strahlungsphysikalische Größen
Ü 6.2-35 Mit einer Kleinbildkamera ( f = 45 mm) soll
mit Blende 8 fotografiert werden. Welche Entfernung a
Fällt elektromagnetische Strahlung auf einen
muss eingestellt werden, wenn die hintere Grenzentfer-
geeigneten Empfänger, so kann man die in
nung ah = −∞ sein soll? Wie groß ist dann die vordere
Grenzentfernung av ? einer bestimmten Zeit zugeführte Strahlungs-
energie messen. Zur Messung bieten sich ver-
schiedene physikalische Effekte an. Beispiels-
6.3 Radio- und Fotometrie weise wird beim Bolometer die Erwärmung ei-
nes geschwärzten Platinbleches über die Ände-
6.3.1 Einführung rung des elektrischen Widerstands gemessen.
Beim Thermoelement fließt ein Thermostrom,
In der geometrischen Optik des letzten Ab- wenn es bei Bestrahlung erwärmt wird. Be-
schnitts werden oft Begriffe, wie z. B. Lichtin- stimmte Halbleiter ändern bei Bestrahlung ih-
tensität und Helligkeit, verwendet, ohne ren elektrischen Widerstand (innerer Fotoef-
6.3 Radio- und Fotometrie 535

fekt). Bei Fotodioden fließt während der Be- winkels ist der Steradiant: 1 sr = 1 m2 /m2 . Der
strahlung ein Fotostrom. Übersichtlichkeit wegen schreibt man gern
Die Strahlungsleistung Φe (auch Strahlungs-
fluss), die auf einen Detektor trifft, hängt mit A
der Strahlungsenergie Qe folgendermaßen zu-
Ω= Ω0 (6.73)
r2
sammen:
mit Ω0 = 1 sr. Der größte Raumwinkel beträgt
Φe =
dQe
. (6.72) 4 π sr, wenn die Strahlung den ganzen Raum
dt erfüllt. Strahlt ein Strahler nur in den Halb-
raum, beträgt der Raumwinkel 2 π sr. Falls
die bestrahlte Fläche nicht zu groß ist, macht
Die Strahlungsleistung wird im SI-Maßsystem
man keinen nennenswerten Fehler, wenn die
in Watt, die Strahlungsenergie in Joule gemes-
Empfängerfläche eben anstatt kugelförmig ist.
sen: 1 W = 1 J/s.
Diese Näherung ist gut erfüllt, wenn der Ab-
Die Strahlungsleistung, die auf einen Empfän-
stand zwischen Sender und Empfänger größer
ger fällt, hängt außer von seiner Fläche auch
ist als die in DIN 5032 definierte fotometrische
von seinem Abstand zum Sender ab. Abbil-
Grenzentfernung. Diese soll mindestens das
dung 6.62 zeigt drei verschiedene Empfänger
Zehnfache der größten Querdimension von
in den Entfernungen r1 , r2 und r3 von einem
Empfänger bzw. Sender betragen.
Sender. Die Abmessungen sind so gewählt,
Im Folgenden wird vereinfacht nur ein Fall be-
dass alle Empfänger auf einem gemeinsamen
trachtet: Der Abstand zwischen Sender und
Kegel liegen. Es ist einleuchtend, dass jeder
Empfänger ist größer als die fotometrische
dieser Empfänger die gleiche Strahlungsleis-
Grenzentfernung. Es handelt sich also um
tung nachweisen würde. Was allen drei Emp-
kleine Sender und Empfänger, die räumlich
fängern gemeinsam ist, ist der Raumwinkel Ω,
weit auseinander liegen.
unter dem sie vom Sender aus gesehen werden.
Abbildung 6.63 zeigt einen Sender mit der Flä-
Zur Definition des Raumwinkels: Um einen
che A1 , der Licht aussendet, das vom Empfän-
leuchtenden Punkt wird eine Kugel mit Ra-
ger mit der Fläche A2 nachgewiesen wird. Der
dius r beschrieben. Beleuchtet die Strahlung
wirksame Raumwinkel beträgt
eine Figur der Fläche A auf der Kugel, dann sagt
man, dass die Strahlung im Raumwinkel Ω =
A/ r2 auftritt. Die SI-Maßeinheit des Raum- A2 cos ε2
Ω= Ω0 . (6.74)
r2

Er enthält die Projektion der Fläche A2 auf die


Verbindungsgerade von Sender und Empfän-
ger. Die Strahlungsleistung, die auf den Emp-
fänger fällt, ist proportional zum Raumwinkel.
Es gilt

Φe = Ie Ω (6.75)
Abb. 6.62 Zur Definition des Raumwinkels
536 6 Optik

Abb. 6.64 Strahlstärke Ie in Abhängigkeit vom


Abstrahlwinkel ε1 im Polardiagramm a) beim
Lambert’schen Strahler, b) bei einer Leuchtdiode

Abb. 6.63 Strahlenkegel, der vom Sender auf den


Empfänger fällt
(J. W. Lambert, 1728 bis 1777). Bei ihm ist die
Strahldichte Le konstant, die Strahlstärke Ie
mit der Strahlstärke Ie als Proportionalitäts- befolgt das Lambert’sche Cosinusgesetz
konstanten. Die Maßeinheit der Strahlstärke
ist 1 W/sr.
Ie (ε1 ) = Ie (0) cos ε1 . (6.77)
Die Strahlstärke Ie und damit der Strahlungs-
fluss Φe , der in einen bestimmten Raumwin-
kel Ω ausgesandt wird, ist proportional zur
Alle Körper mit rauen, diffus reflektierenden
Senderfläche A1 . Beobachtet man die Sen-
Flächen, wie z. B. Gipswände, Pappe und Pa-
derfläche unter dem Winkel ε1 (Abb. 6.63) von
pier, verhalten sich in guter Näherung wie
der Seite, dann wird von der Senderfläche nur
Lambert’sche Strahler. Sie erscheinen aus al-
die Projektion A1 cos ε1 wirksam. Die Strahl-
len Richtungen gleich hell. Betrachtet man sie
stärke kann demnach geschrieben werden als
von der Seite, dann nimmt zwar die Strahl-
stärke mit dem Cosinus des Winkels ab, im
Ie (ε1 ) = Le A1 cos ε1 . (6.76) gleichen Verhältnis erscheint aber auch die
Senderfläche vermindert. Die Fläche erscheint
deshalb dem Auge gleich hell. Aus der Tat-
Die Größe Le nennt man die Strahldichte. Ihre sache, dass Sonne und Mond über die ganze
Maßeinheit ist 1 W/(m2 sr). Die Strahldichte Oberfläche gleichmäßig hell leuchten, folgt,
ist abhängig von den Sendereigenschaften, dass auch diese Körper Lambert’sche Strahler
beispielsweise von dem Werkstoff, der Ober- sind.
flächenbeschaffenheit oder der Temperatur. Abbildung 6.64b zeigt das Abstrahlungsdia-
Die Strahlstärke Ie als Funktion des Abstrah- gramm einer Leuchtdiode (LED). Bei ihr ist die
lungswinkels ε1 (Abb. 6.63) kann experimen- Strahldichte Le nicht konstant, sondern hängt
tell bestimmt werden und wird häufig in vom Winkel ε1 ab. Die gezeigte LED hat eine
den Datenblättern von Emittern angegeben. schlanke Strahlungskeule in Vorwärtsrich-
Abbildung 6.64 zeigt das Abstrahlverhalten tung, wie sie vorzugsweise bei Lichtschranken
von zwei verschiedenen Strahlungsquellen. eingesetzt wird.
Das Diagramm Abb. 6.64a zeigt die Ab- Mit den bisher definierten Begriffen gilt für die
strahlcharakteristik eines Lambert-Strahlers Strahlungsleistung Φe , die auf einen Empfän-
6.3 Radio- und Fotometrie 537

ger trifft (Abb. 6.63),

Φe = Le A1 cos ε1 Ω .
Mit dem Raumwinkel
A2 cos ε2
Ω= Ω0
r2
ergibt sich eine Beziehung, die völlig symme-
trisch Sender- und Empfängergrößen enthält,
nämlich das fotometrische Grundgesetz:
Abb. 6.65 Zur Berechnung der spezifischen
A cos ε1 A2 cos ε2 Ausstrahlung
Φe = Le 1 Ω0 . (6.78)
r2
Die spezifische Ausstrahlung wird in W/m2 ge-
Bei ausgedehnten Strahlungsquellen und messen.
Empfängern erscheinen verschiedene Orte auf Für einen Lambert-Strahler sei ein Zusam-
der Sender- bzw. Empfängeroberfläche unter menhang zwischen der spezifischen Ausstrah-
verschiedenen Winkeln ε1 und ε2 . Ferner kann lung und der Strahldichte hergeleitet. Der
die Strahldichte Le vom Ort auf der Sendero- Sender schickt die Strahlung in einen Kegel
berfläche abhängen. Das bedeutet, dass (6.78) mit dem halben Öffnungswinkel ϕ1 , wie es
streng genommen nur differentiell formuliert Abb. 6.65 zeigt. In den roten Raumbereich,
werden kann: der von den Kegeln mit den Öffnungswin-
keln ε1 und ε1 + dε1 begrenzt wird, fließt der
dA1 cos ε1 dA2 cos ε2 Strahlungsfluss dΦe = Ie (ε1 ) dΩ. Dabei ist der
d2 Φe = Le Ω0 .
r2 Raumwinkel
(6.79)
dA
dΩ = Ω0 = 2π sin ε1 dε1 Ω0 .
r2
Dies ist die Strahlungsleistung, die von einem Mit Ie (ε1 ) = Le A1 cos ε1 beträgt der Strah-
Senderelement der Fläche dA1 auf ein Element lungsfluss
dA2 des Empfängers fällt. Die gesamte Strah-
lungsleistung Φe ergibt sich dann aus einer dΦe = Le A1 cos ε1 sin ε1 2π dε1 Ω0 .
Integration über die Sender- und Empfänger-
Den gesamten Strahlungsfluss erhält man
fläche.
durch Integration vom Winkel ε1 = 0 bis
Eine weitere Größe, die den Sender charak-
terisiert, ist die spezifische Ausstrahlung Me .
ε1 = ϕ1 zu
Darunter versteht man das Verhältnis von ins- ϕ1
gesamt abgegebener Strahlungsleistung Φe zur Φe = Le A1 2 πΩ0 cos ε1 sin ε1 dε1
Senderfläche A1 : 0

= Le A1 πsin ϕ1 Ω0 .
2
Φe
Me = = Le cos ε1 Ω . (6.80)
Für die spezifische Ausstrahlung folgt unmit-
A1
telbar
538 6 Optik

Die strahlungsphysikalischen Größen sind


Me = Le π sin2 ϕ1 Ω0 . (6.81) noch einmal in Tabelle 6.4 zusammengestellt.

Beispiel
6.3-1 Ein Flächenelement der Erde, das senkrecht
Von besonderem Interesse ist es, wenn der
zur Sonne ausgerichtet ist, empfängt die Bestrahlungs-
Strahler in den kompletten Halbraum emit- stärke Ee = 1,35 kW/m2 (außerhalb der Atmosphäre).
tiert. Der Öffnungswinkel des Kegels beträgt Diese Größe heißt Solarkonstante. Die Sonne erscheint
dann ϕ1 = π/ 2 und aus (6.81) folgt für die unter dem halben Öffnungswinkel ϕ2 = 16 . Wie groß
spezifische Ausstrahlung des Lambert’schen ist die spezifische Ausstrahlung Me der Sonne?
Strahlers
Lösung
Abbildung 6.66 zeigt schematisch die kugelförmige
Sonne mit Radius r sowie einen Empfänger auf der
Me = Le π Ω0 . (6.82) Erde im Abstand R (R >> r). Die Kugelschicht auf der
Sonne, begrenzt durch die Winkel ε1 und ε1 + dε1 ,
hat die Fläche dA1 = 2πr2 sin ε1 dε1 . Von ihr fällt der
Auf der Empfängerseite interessiert außer dem Strahlungsfluss
auftreffenden Strahlungsfluss Φe auch die Be- dA1 cos(ε1 + ε2 ) A2 cos ε2
strahlungsstärke Ee , d. h. der auf die Empfän- dΦe = Le Ω0
R2
gerfläche bezogene Strahlungsfluss auf den Empfänger. Infolge des großen Abstands von
Erde und Sonne gilt in guter Näherung cos(ε1 + ε2 ) =
cos ε1 und cos ε2 = 1. Damit sind
Φe
Ee = . (6.83) Le
A2 dΦe = A2 cos ε1 dA1 Ω0
R2
und
Die Maßeinheit der Bestrahlungsstärke ist dΦe L
1 W/m2 . Für die Bestrahlungsstärke folgt dEe = = e2 cos ε1 dA1 Ω0 .
A2 R
mit (6.74) und (6.75) das fotometrische Entfer- Die gesamte Bestrahlungsstärke erhält man durch In-
nungsgesetz tegration über alle Winkel ε1 von 0 bis π/ 2:
2
r
Ie (ε1 ) Ee = Le π Ω0 .
Ee = cos ε2 Ω0 . (6.84) R
r2
Für das Verhältnis der Längen gilt r/ R ≈ ϕ2 .
Nach (6.82) ist Me = Le πΩ0 ; damit folgt Ee = Me ϕ22 .
Die spezifische Ausstrahlung der Sonne ist somit
Wird ein Empfänger eine bestimmte Zeit-
spanne Δt bestrahlt, dann ergibt das Pro-
dukt aus Bestrahlungsstärke und Zeit die Be-
strahlung He , nämlich die auftreffende Ener-
gie je Flächeneinheit: He = Ee Δt, gemessen in
W s/m2 = J/m2 . Allgemein gilt


He = Ee (t) dt . (6.85)
Abb.6.66 Zur Ableitung der spezifischen Ausstrahlung
der Sonne (zu Beispiel 6.3-1)
6.3 Radio- und Fotometrie 539

Tabelle 6.4 Zusammenstellung radiometrischer Größen. Die vereinfachten Gleichungen gelten unter der
Voraussetzung, dass die Strahlungsenergie konstant ist bezüglich Zeit, Fläche und Raumwinkel. Wenn dies nicht
erfüllt ist, gelten die vereinfachten Gleichungen für die Mittelwerte

Größe Symbol Einheit Beziehung Erklärung

Strahlungs- Energietransport durch elektro-


energie Qe Ws = J Qe = Φe dt magnetische Strahlung
Strahlungs- dQe Leistung der elektromagneti-
leistung Φe W = J/s Φe = schen Strahlung
dt
spezifische dΦe Φe Quotient aus Strahlungsleistung
Ausstrah- Me W/m2 Me = ≈ und Senderfläche
lung dA1 A1

Strahlstärke dΦe Φe Quotient aus Strahlungsleistung


Ie W/sr I = ≈ und Raumwinkel, in den die
dΩ1 Ω1 Strahlung austritt
Strahldichte Quotient aus Strahlungsleistung
W d2 Φe
Le Le = und Raumwinkel (d. h. Strahl-
sr · m2 dΩ1 dA1 cos ε1 stärke) sowie Projektion der
dIe Senderfläche auf eine Ebene
=
dA1 cos ε1 senkrecht zur Betrachtungsrich-
tung
Ie
Le ≈
A1 cos ε1
Bestrah- dΦe Φe Quotient aus Strahlungsleistung
lungsstärke Ee W/m2 E= ≈ und bestrahlter Fläche
dA2 A2
Bestrahlung Zeitintegral der Bestrahlungs-
He J/m2 He = Ee dt ≈ Ee t stärke

Ee 1,35 · 103 W/m2


Me = = = 62,4 MW/m2 .
ϕ22
2
(4,65 · 10−3 )
Jeder Quadratmeter der Sonnenoberfläche strahlt also
62,4 MW aus.

Optische Abbildung
Es soll untersucht werden, wie sich die foto- Abb. 6.67 Strahlungsverhältnisse bei der optischen
metrischen Größen bei einer optischen Abbil- Abbildung
dung verhalten.
Abbildung 6.67 zeigt eine einfache Abbildung Le,1 ist die Strahldichte des Gegenstands. Wer-
eines Gegenstands mit der Fläche A1 durch den Verluste an der Linse vernachlässigt, so
eine Sammellinse. Das Bild hat die Fläche A2 . gelangt der gesamte Strahlungsfluss ins Bild
Der Strahlungsfluss, der von der Linse aufge- und wegen der Symmetrie gilt eine analoge
nommen wird, ist nach (6.81) Beziehung:
Φe = A1 Le,1 π sin2 ϕ1 Ω0 . (1) Φe = A2 Le,2 π sin2 ϕ2 Ω0 . (2)
540 6 Optik

Für schlanke Strahlenbüschel gilt sin ϕ ≈ ϕ, erhält man bei bekanntem Xe, λ durch Integra-
sodass aus (1) und (2) folgt tion:

Le,1 A1 ϕ12 = Le,2 A2 ϕ22 .


λ2
Nun ist aber nach der Helmholtz-Lagran- Xe = Xe, λ (λ) dλ . (6.87)
ge’schen Gleichung (6.23) y1 ϕ1 = y2 ϕ2 oder λ1
A1 ϕ12 = A2 ϕ22 .
Daraus ergibt sich, dass die Strahldichte für
Gegenstand und Bild gleich groß ist, d. h. Der spektrale Strahlungsfluss einer blauen
Le,1 = Le,2 . Selbstverständlich kann sich die LED ist in Abb. 6.68 wiedergegeben. Die Breite
Bestrahlungsstärke Ee ändern. Falls der Strah- solcher LED-Spektren ist typischerweise
lungsfluss vom Objekt verlustlos zum Bild ge- Δλ ≈ 40 nm.
langt, hängt die Bestrahlungsstärke des Bildes Von großer praktischer Bedeutung ist das
vom Abbildungsmaßstab β ab. Ist etwa β = 2, Spektrum der Temperaturstrahler. Jeder
dann ist die Bildfläche viermal so groß wie Körper sendet in Abhängigkeit von seiner
die Objektfläche, und die Bestrahlungsstärke Temperatur elektromagnetische Strahlung
wurde auf ein Viertel vermindert. aus. Diese Strahlung wird sichtbar, wenn die
Temperatur etwa 600 ◦ C erreicht (Rotglut).
Bei der optischen Abbildung bleibt die Mit steigender Temperatur verschiebt sich
Strahldichte Le überall konstant; die Be- die Glühfarbe über hellrot (850 ◦ C), gelb
strahlungsstärke Ee kann sich ändern. (1 000 ◦ C) nach weiß (1 300 ◦ C). Der spektrale
Verlauf der ausgesandten Strahlung ist für
einen schwarzen Körper theoretisch bere-
Dieser Satz gilt auch für weit geöffnete Strah-
chenbar. Ein schwarzer Körper zeichnet sich
lenbüschel, wenn die Abbildung aberrations-
dadurch aus, dass er alle auftreffende Strah-
frei ist.
lung absorbiert; sein Reflexionsvermögen ist
null. Ein schwarz gestrichener oder berußter
Spektrale Größen
Wenn die Strahlung über einen größeren Wel-
lenlängenbereich verteilt ist, werden zur Cha-
rakterisierung der Wellenlängenabhängigkeit
spektrale strahlungsphysikalische Größen er-
forderlich. Zu jeder Größe Xe wird die spek-
trale Größe Xe,λ definiert als

dXe
Xe, λ = . (6.86)

So ist z. B. die spektrale Strahldichte Le, λ =


dLe / d λ, gemessen in W/(m2 sr nm).
Die spektralen strahlungsphysikalischen Grö-
ßen Xe,λ werden mit einem Spektrometer ex-
perimentell bestimmt. Die jeweilige Größe Xe Abb. 6.68 Spektrum einer blauen Leuchtdiode
6.3 Radio- und Fotometrie 541

dargestellt. Hat der Strahler eine Tempe-


ratur nahe der Raumtemperatur, liegt die
maximale Emission bei λ ≈ 10 μm. Mit
zunehmender Temperatur verschiebt sich
Abb. 6.69 Hohlraumstrahler
das Maximum ins sichtbare Gebiet. Bei
T = 6 000 K, etwa der Temperatur an der
Körper erfüllt diese Bedingung nur unvoll- Sonnenoberfläche entsprechend, liegt das Ma-
kommen, sehr gut dagegen ein kleines Loch ximum mitten im sichtbaren Spektralbereich
in der Wand eines Hohlraums. Abbildung 6.69 0,38 μm < λ < 0,78 μm.
zeigt die technische Ausführung eines solchen Die gestrichelte Hyperbel (in der doppeltlo-
Hohlraumstrahlers. Lichtstrahlen, die durch garithmischen Darstellung eine Gerade) in
das Loch ins Innere gelangen, werden vielfach Abb. 6.70 verbindet die Maxima der Strah-
reflektiert und gestreut, bis sie schließlich lungsisothermen. Die Verschiebung des Ma-
absorbiert werden. Es besteht nur eine geringe ximums mit der Temperatur wird durch das
Wahrscheinlichkeit dafür, dass ein Strahl Wien’sche Verschiebungsgesetz beschrieben
wieder durch das Loch nach außen gelangt. (W. Wien, 1864 bis 1928):
Dieses erscheint daher absolut schwarz. Heizt
man die Wände des Hohlraums, tritt aus
der Öffnung Strahlung, die bei höherer Tem- λmax T = konstant = 2 898 μm K . (6.89)
peratur sichtbar wird. (Das Loch ist dann
selbstverständlich nicht mehr schwarz.)
Eine gültige theoretische Beschreibung des Die gesamte Strahldichte Le eines schwarzen
Spektrums der Wärmestrahlung (s. auch Ab- Körpers erhält man nach (6.87) durch Integra-
schn. 6.5.3) gelang 1900 M. Planck (1858 bis tion aus der spektralen Strahldichte Le, λ ge-

1947). Danach gilt für die spektrale Strahl- mäß Le = Le, λ dλ.
dichte

c1 1 1
Le, λ (λ, T) = . (6.88)
λ5 ec2 /λT − 1 Ω0

Die Konstanten c1 und c2 in der Planck’schen


Strahlungsgleichung sind

c1 = 2hc2 = 1,191 · 10−16 W m2 und


c2 = hc/ k = 1,439 · 10−2 m K .

Dabei ist c die Lichtgeschwindigkeit im Va-


kuum und k die Boltzmann-Konstante. Die
Konstante h nennt man das Planck’sche Wir-
kungsquantum; sie hat den Wert

h = 6,626 · 10−34 J s .

Der Verlauf der spektralen Strahldichte Le, λ Abb. 6.70 Spektrale Strahldichte eines schwarzen
über der Wellenlänge λ ist in Abb. 6.70 Strahlers
542 6 Optik

Mithilfe von thermodynamischen Überlegun- Ü 6.3-3 Mit einer Sammellinse (Brennglas) der Brenn-
gen fanden 1879 bzw. 1884 J. Stefan (1835 weite f = 100 mm und dem Durchmesser d1 = 40 mm
bis 1893) bzw. L. Boltzmann (1844 bis 1906), wird die Sonne auf ein Papier abgebildet. Der Sonnen-
durchmesser erscheint von der Erde aus unter dem
dass die abgestrahlte Leistung proportional
Winkel 32 . a) Welchen Durchmesser d2 hat das Son-
zur vierten Potenz der Temperatur ist: Le ∼ T 4 . nenbild? b) Wie groß ist die Bestrahlungsstärke Ee,2 auf
Dieses Stefan-Boltzmann’sche Gesetz wird übli- dem Papier, wenn die Bestrahlungsstärke am Ort der
cherweise für die spezifische Ausstrahlung Me Linse Ee,1 = 750 W/m2 beträgt?
geschrieben:

6.3.3 Lichttechnische Größen


Me (T) = σ T 4 (6.90)
Die in Abschn. 6.3.2 definierten strahlungs-
mit der Konstanten physikalischen Größen lassen sich mit einem
geeichten Empfänger objektiv messen. Dient
2 π5 k4
σ= = 5,670 · 10−8 W/(m2 K4 ) . als Empfänger das Auge, so bewertet dieses die
15 h3 c2
auftreffende Strahlung nach einer bestimm-
ten Charakteristik. Betrachtet man beispiels-
Zur Übung weise eine rote (λ = 660 nm) und eine grüne
Ü 6.3-1 Um die Strahlungseigenschaften einer Leucht-
Leuchtdiode (λ = 560 nm), die beide dieselbe
diode zu messen, wird gemäß Abb. 6.63 ein Detektor im
Abstand r = 0,5 m um die LED geführt. Als Funktion Strahlungsleistung abgeben, dann erscheint
des Winkels ε1 registriert man folgende Strahlungsleis- im Vergleich die grüne LED etwa 16 mal heller
tungen (ε2 = 0): als die rote. Die Augenempfindlichkeit hängt
also offensichtlich stark von der Wellenlänge
ε1 in ◦ 0 30 45 60 80 90
des Lichtes ab. Da die Helligkeitsempfin-
Φe in nW 62,0 53,3 43,8 31,7 10,8 0 .
dung von einem zum anderen Beobachter
Sender- und Empfängerfläche sind A1 = A2 = 1 mm2 . schwankt, wurden mit einer großen Anzahl
a) Berechnen Sie die Strahlstärke Ie für die angegebe-
von Testpersonen Vergleiche durchgeführt.
nen Winkel. b) Prüfen Sie nach, ob sich die LED wie ein
Lambert-Strahler verhält und zeichnen Sie ein Strah-
So entstand der Hellempfindlichkeitsgrad
lungsdiagramm analog Abb. 6.64. c) Wie groß ist die des Standard-Beobachters, der von der Com-
Strahldichte Le ? d) Welche spezifische Ausstrahlung mission Internationale de l’Eclairage (CIE)
hat die LED? e) Wie groß ist die maximale Bestrah- festgelegt wurde.
lungsstärke Ee des Empfängers? Abbildung 6.71 zeigt den spektralen Verlauf
des Hellempfindlichkeitsgrads. Bei Tageslicht
Ü 6.3-2 Ein Hohlraumstrahler wird bei der Tempera-
(Zapfensehen, fotopische Anpassung) ist der
tur T = 1800 K betrieben. Die Strahlung wird durch
einen Monochromator geschickt, der lediglich im Wel- Hellempfindlichkeitsgrad V(λ). Bei Nacht
lenlängenbereich 640 nm 5 λ 5 680 nm durchlässig (Stäbchensehen, skotopische Anpassung) wird
ist. a) Wie groß ist die Strahldichte Le der durchge- der Hellempfindlichkeitsgrad durch die Kurve
lassenen Strahlung unter der Annahme, dass der Mo- V (λ) beschrieben; beide Kurven sind auf 1
nochromator verlustlos arbeitet? (Um die numerische normiert. Offensichtlich spricht das Auge bei

Integration Le = Le, λ dλ zu umgehen, kann nähe-
Nacht auf Blautöne stärker an als am Tage
rungsweise gesetzt werden Le ≈ Le, λ (660 nm)·40 nm.)
(Purkinje-Effekt). Die Zahlenwerte für V(λ)
b) Berechnen Sie zum Vergleich die Strahldichte Le ei-
ner roten LED, die bei λ = 660 nm mit einer Halb- und V (λ) sind in DIN 5031 tabelliert.
wertsbreite von Δλ = 40 nm strahlt. Die Strahlstärke Die Helligkeitsempfindung des Auges hängt
beträgt Ie = 5 · 10−4 W/sr, die Fläche A = 0,5 mm2 . also ab von der Strahlungsleistung Φe , die ins
6.3 Radio- und Fotometrie 543

Tabelle 6.5 Fotometrische Größen

Strahlungsphysikalische Größen lichttechnische Größen


Benennung Zeichen Maßeinheit Benennung Zeichen Maßeinheit

Strahlungsenergie Qe Ws Lichtmenge Qv lm s
Strahlungsleistung Φe W Lichtstrom Φv lm
spezifische Ausstrahlung Me W/m2 spezifische
Lichtausstrahlung Mv lm/m2
Strahlstärke Ie W/sr Lichtstärke Iv cd = lm/sr
Strahldichte Le W/(m2 sr) Leuchtdichte Lv cd/m2
Bestrahlungsstärke Ee W/m2 Beleuchtungsstärke Ev lx = lm/m2
Bestrahlung He W s/m2 Belichtung Hv lx s

Die Konstante Km wird als Maximalwert des


fotometrischen Strahlungsäquivalents bei Ta-
gessehen bezeichnet. Sie ist eng verknüpft
mit der weiter unten eingeführten Maßeinheit
für die Lichtstärke, der Candela, und beträgt
Km = 683 lm/W (Lumen/Watt).

Beispiel
6.3-2 Eine rote LED emittiert Licht der Wellen-
länge λ = 660 nm. Die Strahlungsleistung beträgt
Φe = 46 μW. Wie groß ist der Lichtstrom Φv ?
Lösung
Bei λ = 660 nm ist der Hellempfindlichkeitsgrad V(λ)
= 6,1 · 10−2 . Damit errechnet sich der Lichtstrom zu
Φv = 683 lm/W · 46 · 10−6 W · 6,1 · 10−2
= 1,9 · 10−3 lm .

Abb. 6.71 Hellempfindlichkeitsgrad des Standard-


Beobachters. V(λ): Tagessehen, fotopische Anpassung Bei skotopischer Anpassung gilt für die Berech-
V (λ): Nachtsehen, skotopische Anpassung nung des Lichtstroms die Beziehung

Auge gelangt, und vom Hellempfindlichkeits- Φv = Km Φe V (λ) . (6.92)


grad V(λ). Der Lichtstrom Φv (Index v für vi-
suell) ist ein Maß für den Helligkeitseindruck.
Für monochromatische Lichtquellen gilt bei Der Maximalwert des fotometrischen Strah-
fotopischer Anpassung

lungsäquivalents bei Nachtsehen beträgt Km =
1 699 lm/W. Im Folgenden sind nur noch die
Gleichungen für das Tagessehen angegeben.
Φv = Km Φe V(λ) . (6.91) Die Beziehungen für das Nachtsehen entspre-
chen den vorgenannten Darlegungen.
544 6 Optik

Ist die Strahlung nicht monochromatisch son- Tabelle 6.6 Lichtstrom einiger Lichtquellen
dern spektral breitbandig, dann muss für die
Lichtquelle Lichtstrom
Berechnung des Lichtstroms über das sicht-
bare Spektrum integriert werden: Leuchtdiode (weiß) bis 200 lm
Glühlampe 230 V, 60 W 730 lm
Glühlampe 230 V, 100 W 1380 lm
nm
780
Leuchtstoffröhre 230 V, 40 W 2300 lm
Φv = Km Φe, λ (λ)V(λ) dλ . (6.93) Quecksilberdampflampe
380 nm 230 V, 125 W 5400 lm
Quecksilberdampflampe
230 V, 2000 W 125 000 lm
So wie die Strahlungsleistung nach der Bewer-
tung durch das Auge in den Lichtstrom umge-
wandelt wird, kann für jede andere strahlungs- Hieraus folgt sofort für den Umrechnungs-
physikalische Größe Xe eine entsprechende faktor Km der bereits genannte Wert Km =
lichttechnische Größe Xv angegeben werden. 683 (cd sr)/W = 683 lm/W. Als abgeleitete Ein-
Die Berechnung erfolgt nach heiten sind für den Lichtstrom das Lumen
(1 lm = 1 cd sr) und für die Beleuchtungs-
nm
780 stärke das Lux (1 lx = 1 lm/m2 ) eingeführt.
Xv = Km Xe, λ (λ)V(λ) dλ . (6.94) In Tabelle 6.6 sind einige in der Praxis vorkom-
mende Werte für den Lichtstrom zusammen-
380 nm
gestellt. Daten zur Beleuchtungsstärke zeigt
Tabelle 6.7. Die Anforderungen an die Beleuch-
Die Bezeichnungen dieser neuen lichttechni- tungsstärke in Innenräumen sind in DIN 5035
schen Größen sind zusammen mit ihren Maß- niedergelegt. Beleuchtungsstärken für Stra-
einheiten in Tabelle 6.5 den entsprechenden ßenbeleuchtung findet man in DIN 5044. Die
strahlungsphysikalischen Größen gegenüber- lichttechnischen Anwendungen sind in Ab-
gestellt. schn. 4.2.2.2, Abb. 4.49 und 4.50 dargestellt.
Die lichttechnischen Größen haben Maßein-
heiten, die mit der SI-Basiseinheit für die
Lichtstärke 1 cd (Candela) verknüpft sind. Tabelle 6.7 Daten zur Beleuchtungsstärke
Die Candela ist die Lichtstärke einer Strah-
Beleuchtung Beleuch-
lungsquelle, die monochromatische Strahlung tungsstärke
der Frequenz 540 · 1012 Hz in eine bestimmte
Richtung aussendet und deren Strahlstärke Sonne, Sommer 70 000 lx
in dieser Richtung Ie = 1/ 683 W/sr beträgt Sonne, Winter 5500 lx
Tageslicht, bedeckter Himmel 1000 bis
(Abschn. 1.3).
2000 lx
Licht mit der Frequenz f = 540 THz hat die Vollmond 0,25 lx
Wellenlänge λ = 555 nm. Der Hellempfind- Sterne ohne Mond, klare Nacht 10−3 lx
lichkeitsgrad ist in diesem Fall V(555 nm) = 1. Grenze der Farbwahrnehmung 3 lx
Somit gilt für die Lichtstärke 1 Candela Arbeitsplatzbeleuchtung, hohe
Ansprüche 1000 lx
1 W Wohnzimmerbeleuchtung 120 lx
Iv = 1 cd = Km Ie = Km . Straßenbeleuchung 1 lx bis 16 lx
683 sr
6.3 Radio- und Fotometrie 545

Zur Übung Tabelle 6.8 Primärvalenztripel Rot, Grün und Blau


Ü 6.3-4 Welche Lichtstärke Iv muss eine Lichtquelle
haben, damit an einem r = 1,5 m entfernten Arbeits- Farbe Wellenlänge relative
platz bei senkrechter Beleuchtung die Beleuchtungs- Strahlungsleistung
stärke Ev = 500 lx beträgt?
Rot R 700,0 nm 72,096
Ü 6.3-5 Eine gelbe LED emittiert Licht bei λ = 590 nm. Grün G 546,1 nm 1,3791
Die Emissionsfläche beträgt A1 = 0,5 mm2 . Die Ab- Blau B 435,8 nm 1,0000
strahlungscharakteristik gehorcht dem Lambert’schen
Cosinus-Gesetz. Im Abstand r = 1 m unter dem Winkel
ε1 = 30◦ zur Sendernormalen (Abb. 6.63) befindet sich
ein Empfänger (ε2 = 0) mit der Fläche A2 = 20 mm2 .
Farbmischung
Die auf den Empfänger fallende Strahlungsleistung be-
trägt Φe = 1,2 · 10−8 W. a) Wie groß ist der Licht- Bei additiver Farbmischung werden beispiels-
strom Φv , der auf den Detektor trifft? (Die Augen- weise nach dem Schema von Abb. 6.72 drei
empfindlichkeit ist V (590 nm) = 0,757.) b) Berechnen Farben auf einer ideal weißen Wand überla-
Sie die Beleuchtungsstärke am Ort des Empfängers. c) gert. Die Farben verschmelzen auch dann zu
Unter welchem Raumwinkel Ω erscheint der Detektor
einer Mischfarbe, wenn sie nicht miteinan-
vom Sender aus? d) Wie groß ist die Lichtstärke Iv (0)
der LED senkrecht zur strahlenden Fläche? e) Wie groß
der, sondern hintereinander in schneller Folge
ist die Leuchtdichte Lv der LED? (Die LED kann als mo- dem Auge dargeboten werden (z.B. beim Far-
nochromatische Lichtquelle angesehen werden.) benkreisel). Beim Farbfernseher liegen kleine
Farbelemente so dicht beieinander, dass sie
6.3.4 Farbmetrik vom Auge nicht mehr getrennt werden kön-
nen und so eine Mischfarbe entsteht. Die ad-
Die verbale Beschreibung einer Farbe ist ditive Mischung des Sonnenlichts ergibt die
schwierig, da der Farbeindruck subjektiv Farbe Weiß. Ebenso ergibt sich Weiß, wenn
unterschiedlich empfunden wird. Deshalb zwei sogen. Komplementärfarben additiv ge-
wurden Methoden entwickelt, um eine Farbe mischt werden, z.B.
durch Maßzahlen objektiv zu charakteri- Rot – Blaugrün, Orange – Blau, Gelb – Violett.
sieren. Mit solchen Maßzahlen kann eine
bestimmte Farbe überwacht und reproduziert
werden. Die Grundlagen der Farbmessung
sind in DIN 5033 festgelegt.
Zur eindeutigen Kennzeichnung einer Farbe
genügen drei Angaben: entweder abstrakte
Zahlen oder anschauliche Begriffe wie Farb-
ton, Sättigung und Helligkeit. Durch Farbmi-
schung kann mithilfe von drei beliebigen, aber
voneinander unabhängigen Grundfarben (so-
gen. Primärvalenzen) jede beliebige Farbe er-
zeugt werden. Häufig werden für Farbmisch-
versuche die von der CIE im Jahr 1931 fest-
gelegten Primärvalenzen Rot, Grün und Blau
verwendet, die in Tabelle 6.8 näher beschrie-
ben sind. Abb. 6.72 Additive Farbmischung
546 6 Optik

Bei der additiven Mischung zu „Weiß“ entsteht genau so erscheint, wie die Mischung aus
je nach Helligkeit der verwendeten Lichtquel- Grün und Blau (so genannte äußere Mi-
len die Reihe der unbunten Farben von Weiß schung):
über verschiedene Graustufen bis Schwarz.
Werden mithilfe von Farbfiltern aus weißem F + RR = GG + BB , oder
Licht spektrale Anteile entfernt, entsteht durch F = −RR + GG + BB .
subtraktive Farbmischung farbiges Licht (z. B.
beim Diapositiv). Wird eine bestimmte Farbe Die Nachteile negativer Farbmaßzahlen
aus dem Spektrum entfernt, so verbleibt als umgeht man durch eine rechnerische Ko-
Mischfarbe seine Komplementärfarbe. Mit ordinatentransformation auf ein anderes
drei passend gewählten Filtern (z. B. Blau- Primärvalenzsystem, in dem nur positive
grün, Gelb und Purpur) kann die ganze Reihe Farbmaßzahlen vorkommen. Von der CIE
der unbunten Farben erzeugt werden. Körper- wurde deshalb 1931 ein Normvalenzsystem
farben undurchsichtiger Körper beruhen auf mit den Normvalenzen X, Y und Z eingeführt.
selektiver Remission. So entsteht beispiels- Diese sind zwar physikalisch nicht erzeug-
weise das Blattgrün der Pflanzen dadurch, bar, trotzdem kann jede Farbe in diesem
dass das Chlorophyll im roten Spektralbereich virtuellen Primärvalenzsystem dargestellt
(640 ≤ λ ≤ 680 nm) absorbiert und des- werden:
halb die Komplementärfarbe grün vom Blatt
remittiert wird.
F = XX + YY + ZZ . (6.95)
Farbmaßzahlen
Eine Strahlung, die auf das Auge trifft und
Die Normfarbwerte X, Y und Z werden
schließlich eine bestimmte Farbempfindung
folgendermaßen berechnet:
auslöst, wird beschrieben durch die als
Farbreizfunktion ϕλ bezeichnete spektrale
Strahlungsverteilung. Zur Bestimmung der X =k ϕλ x(λ) dλ ,
Maßzahlen einer Farbe F kann man bei-
spielsweise durch additive Farbmischung Y =k ϕλ y(λ) dλ ,
aus den drei Primärvalenzen R, G und B
eine Farbe erzeugen, die der vorgegebenen Z =k ϕλ z(λ) dλ . (6.96)
Farbe gleich ist. In einem dreidimensionalen
Farbraum, der von den drei Basisvektoren
R, G und B aufgespannt wird, kann jede
k ist eine geeignet wählbare Konstante,
Farbe F eindeutig als Vektor dargestellt
x(λ), y(λ) und z(λ) sind die Normspektral-
werden:
werte, die durch Messungen mit Testpersonen
F = RR + GG + BB gefunden wurden und durch die CIE 1931
für den farbmetrischen Normalbeobachter mit
Die Farbmaßzahlen R, G und B sind nicht 2◦ -Gesichtsfeldgröße festgelegt wurde. Weitere
immer positiv. Insbesondere können viele Funktionen für ein Gesichtsfeld von 10° wur-
der hoch gesättigten Spektralfarben nur so den 1964 definiert. Die Normspektralwerte
gemischt werden, dass beispielsweise Rot sind in DIN 5033 in Schritten von Δλ = 5 nm
zusammen mit der auszumessenden Farbe tabelliert und in Abb. 6.73 dargestellt. In der
6.3 Radio- und Fotometrie 547

Abb. 6.73 Normspektralwertfunktionen x(λ), y(λ)


und z(λ) für den farbmetrischen Normalbeobachter
mit 2◦ -Gesichtsfeldgröße. Die Kurven sind so
normiert, dass die Fläche unter den Kurven gleich ist Abb. 6.74 Normfarbtafel für das 2◦ -Normvalenz-
system. E: Farbort des energiegleichen Spektrums
(Unbuntpunkt). 1; 1,5; 2…10: Farborte des schwarzen
Strahlers mit Temperaturen in 1 000 K. Innerhalb des
Praxis werden obige Integrale über Sum-
gestrichelten Dreiecks liegen die Farborte, die sich
men berechnet. Im 2◦ -Normvalenzsystem mit einer Farbfernsehbildröhre realisieren lassen
ist die Normspektralwertfunktion y(λ) iden-
tisch mit dem in Abb. 6.71 dargestellten
Hellempfindlichkeitsgrad V(λ). Dadurch ist gebildet und y gegen x aufgetragen. Die Be-
der Normfarbwert Y proportional zu den rechnung von z ist entbehrlich, denn x + y +
photometrischen Größen wie Leuchtdichte, z = 1. Nach der Darstellung von Abb. 6.74 ist
Lichtstrom usw. jeder Farbart in der Farbtafel ein Punkt zu-
geordnet. Die Normfarbwertanteile der Spek-
tralfarben bilden einen geschlossenen hufei-
Farbtafel
senförmigen Kurvenzug, den Spektralfarben-
Verzichtet man beispielsweise auf die Angabe
zug. Die Verbindungsgerade seiner Eckpunkte
der Helligkeit, dann kann die Farbart durch
ist die Purpurgerade. Alle reellen Farben liegen
zwei Angaben gekennzeichnet werden. An-
innerhalb der so umschlossenen Fläche.
stelle der dreidimensionalen Darstellung einer
Farbvalenz durch die Normfarbwerte X, Y und Beispiel
Z wird deshalb in der Praxis meist eine Darstel- 6.3-3 Welche Normfarbwertanteile x und y hat gelbes
lung in einer ebenen Normfarbtafel bevorzugt. Natriumlicht der Wellenlänge λ = 589 nm, das von
einer Spektrallampe ausgesandt wird?
Dazu werden die Normfarbwertanteile
Lösung
X Für spektral schmalbandiges Licht gilt nach (6.96)
x= , X = kx(λ), Y = ky(λ) und Z = kz(λ). Die Norm-
X+Y+Z
spektralwerte für λ = 589 nm können durch lineare
Y
y= , Interpolation aus der DIN 5033 entnommen werden:
X+Y+Z x = 1,0168, y = 0,7689 und z = 0,0012. Damit ergibt
Z sich X = 1,0168 k, Y = 0,7689 k und Z = 0,0012 k. Mit
z= (6.97)
X+Y+Z X + Y + Z = 1,7869 k folgt x = 0,5690, y = 0,4303 und
z = 0,0007. Zur Kontrolle: x + y + z = 1.
548 6 Optik

Der Unbuntpunkt E in Abb. 6.74 ist der Farb- Eine anschauliche Beschreibung einer Farbe
ort des energiegleichen Spektrums, d. h. ϕλ = ist auch möglich mithilfe der Helmholtz-
konstant. Er hat die Normfarbwertanteile x = Maßzahlen. Dies ist die Angabe der buntton-
y = z = 1/3. Die unbunte Farbe E entsteht aber gleichen Wellenlänge λd , der Sättigung oder
auch durch Mischung von zwei Kompensati- Buntheit sowie der Helligkeit (z. B. Normfarb-
onsfarben, die auf gegenüberliegenden Seiten wert Y oder Leuchtdichte Lv ). Die Sättigung
auf einer Geraden durch den Unbuntpunkt lie- wird durch den spektralen Farbanteil
gen, beispielsweise durch die Spektralfarben
mit λ = 490 nm und λ = 600 nm. FE yF − yn xF − xn
Dicht am Unbuntpunkt (Weißpunkt) vorbei pe = = = (6.98)
SE yS − yn xS − xn
führt der Kurvenzug der Farben des schwarzen
Strahlers. Der geringste Abstand liegt bei T ≈
5600 K. Zur Kennzeichnung der Farbart eines beschrieben. Dabei sind (xF , yF ) die Norm-
Strahlers kann die Farbtemperatur Tf verwen- farbwertanteile der zu beschreibenden Farb-
det werden. Das ist die Temperatur eines Plan- valenz F, (xn , yn ) die des Unbuntpunktes E und
ck’schen Strahlers, der dieselbe Farbart hat. (xS , yS ) die der bunttongleichen Spektralfarbe.
Liegt der Farbort des Strahlers nicht auf dem
Beispiel
Planck’schen Kurvenzug, kann lediglich eine
6.3-4 Welchen spektralen Farbanteil pe hat die Farbart
ähnlichste Farbtemperatur Tn angegeben wer-
des Punktes F in Abb. 6.74?
den.
Die Eckpunkte des gestrichelten Dreiecks in Lösung
Abb. 6.74 sind die Farborte der drei beim Entweder durch direktes Ausmessen oder durch Be-
rechnen der beiden sich schneidenden Geraden und
Farbfernsehen verwendeten Primärfarben. Sie
damit der Abstände FE und SE folgt pe = 0,693.
haben folgende Koordinaten: Rot: (0,67/ 0,33),
Grün: (0,21/ 0,71), Blau: (0,14/ 0,08). Innerhalb
In der Farbtafel von Abb. 6.74 weichen geome-
des gestrichelten Dreiecks liegen alle Farbar-
trische Abstände stark von den empfundenen
ten, die mit der Farbbildröhre darstellbar sind.
Farbabständen ab. Insbesondere ist der Be-
Damit können nahezu alle in der Natur vor-
reich der grünen Farben im Vergleich zu Rot
kommenden Farbarten nachgebildet werden.
und Blau stark ausgedehnt. Um eine bessere
Alle Farbarten, die sich durch Mischung von
Übereinstimmung zu erhalten, wurde 1976
zwei Farben herstellen lassen, liegen auf einer
von der CIE die UCS (Uniform Chromaticity
Geraden. Beispielsweise kann die Farbe F in
Scale)–Farbtafel eingeführt, die eine projek-
Abb. 6.74 durch Mischung der beiden Spektral-
tive Transformation der Normfarbtafel dar-
farben λ = 500 nm und λ = 540 nm erzeugt
stellt und deren Koordinaten u und v durch
werden, aber natürlich auch durch beliebige
folgende Transformationsgleichungen aus den
andere Kombinationen. Die Farbart F kann
Normfarbwertanteilen x und y hervorgehen:
auch aufgefasst werden als additive Mischung
von Weiß (Unbuntpunkt E) mit der Spektral-
farbe S (hier: λ = 520 nm). Alle Punkte auf der u =
4x
und (6.99)
Geraden EFS haben denselben Buntton (Farb- 3 − 2x + 12y
ton) aber unterschiedliche Sättigung. Die Wel- 9y
v = .
lenlänge des Punktes S wird als bunttongleiche 3 − 2x + 12y
Wellenlänge λd bezeichnet.
6.4 Wellenoptik 549

Farbmessverfahren In Abschn. 5.2.4 ist gezeigt, dass sich zwei Wel-


Für die praktische Messung von Farben haben len derselben Frequenz auslöschen, wenn der
sich drei Verfahren herausgebildet: Gangunterschied Δ der beiden Wellen ein un-
geradzahliges Vielfaches der halben Wellen-
– Beim Gleichheitsverfahren wird die zu un-
länge beträgt:
tersuchende Farbe in einem zweigeteilten
Gesichtsfeld mit Farben, deren Maßzahlen λ
Δ = (2m + 1) ; m = 0, 1, 2, …
bekannt sind, verglichen. 2
– Beim Spektralverfahren werden nach (6.96) Umgekehrt verstärken sich die Wellen beim
die Normfarbwerte X, Y und Z berechnet. Gangunterschied Δ = mλ (Tabelle 5.10). Dass
Die Farbreizfunktion ϕλ muss mit einem solche Interferenzeffekte auch bei Licht be-
Spektralfotometer gemessen werden. obachtet werden können, wurde erstmals von
– Beim Dreibereichsverfahren wird die Strah- T. Young 1801 gezeigt. Der Young’sche Interfe-
lung auf drei verschiedene Detektoren renzversuch am Doppelspalt (Abschn. 6.4.1.6)
gerichtet, deren spektrale Empfindlichkeit beweist eindeutig die Wellennatur des Lichtes.
mithilfe von Filterschichten den drei Norm- Im Gegensatz zur Interferenz mechanischer
spektralfunktionen von Abb. 6.73 angepasst Wellen ist die Interferenz von Licht nicht ganz
sind. Die drei Empfängersignale sind damit einfach zu beobachten. Eine wesentliche Be-
proportional zu den Normfarbwerten X, Y dingung für die Beobachtung stationärer In-
und Z. terferenzmuster ist die Kohärenz der wechsel-
wirkenden Wellen. Zwei Wellen werden kohä-
Zur Übung rent genannt, wenn die gegenseitige Phasen-
Ü 6.3-6 Alle Farbarten, die sich durch Mischung aus differenz während der Beobachtungszeit kon-
zwei Ausgangsfarben herstellen lassen, liegen in der stant bleibt. Gibt es zwischen zwei Wellen keine
Normfarbtafel von Abb. 6.74 auf einer Geraden. Zei-
feste Phasenbeziehung, spricht man von inko-
gen Sie, dass man durch Mischen der Spektralfarben
härenten Wellen. Das spontan emittierte Licht
λ = 490 nm (Türkis) und λ = 600 nm (Orange) Weiß
erzeugen kann. eines heißen Körpers stammt von einzelnen
voneinander unabhängigen Atomen. Aus die-
Ü 6.3-7 Die Farbreizfunktion einer LED wird nähe- sem Grund können Wellen, die von zwei ver-
rungsweise beschrieben durch schiedenen Lichtquellen ausgesandt werden,

(x − λ0 )2 nicht miteinander interferieren. Es ist prak-
ϕ(λ) = k exp − , mit λ0 = 640 nm und σ =
2σ 2 tisch ausgeschlossen, dass zwischen den unab-
17 nm. Bestimmen Sie die Normfarbwertanteile x und
y des Lichts.
hängig ausgestrahlten Wellenzügen eine feste
Phasenbeziehung besteht. Zur Interferenz des
Lichtes müssen deshalb die interferierenden
6.4 Wellenoptik Lichtwellen von demselben Punkt einer Licht-
quelle stammen. Experimentell ist dies mög-
6.4.1 Interferenz und Beugung lich durch Aufspalten eines Lichtstrahls mit-
hilfe von z. B. teildurchlässigen Platten und
6.4.1.1 Kohärenz Spiegeln. Abbildung 6.75 zeigt die Überlage-
Die grundlegenden Gesetzmäßigkeiten der rung von zwei Wellenzügen, die jeweils aus
Wellenausbreitung gehen aus Abschn. 5.2 her- derselben Lichtquelle stammen.
vor. Der vorliegende Abschnitt soll spezielle Die elektromagnetischen Wellen, die von
Eigenschaften der Lichtwellen vertiefen. Temperaturstrahlern ausgesandt werden,
550 6 Optik

das ursprünglich stark ausgeprägte Interfe-


renzbild immer kontrastärmer, bis es schließ-
lich ganz verschwindet. Der größte Gangun-
terschied der beiden Wellen, bei dem gerade
noch Interferenz beobachtet werden kann, ist
die Kohärenzlänge l. Diese entspricht der mitt-
leren Länge der interferierenden Wellenzüge
und ist verknüpft mit der mittleren Zeitdauer τ
des Emissionsaktes nach der Beziehung

l = cτ (6.100)

mit c als der Lichtgeschwindigkeit. Die Zeit τ,


Abb. 6.75 Erzeugung kohärenter Wellenzüge durch während der ein Wellenzug ausgesandt wird,
Reflexion: a) konstruktive Interferenz, b) keine beträgt bei isolierten Atomen typischerweise
Interferenz, zu große geometrische Wegdifferenz, τ ≈ 10−8 s. Dies ergibt Wellenzüge mit der
c) keine Interferenz, zu große optische Wegdifferenz
Länge l ≈ 3 m. Bei hoher Temperatur und
großer Atomdichte wird die Kohärenzlänge er-
sind nicht beliebig lang, sondern sie sind heblich vermindert, wie aus Tabelle 6.9 hervor-
Wellenzüge endlicher Länge (Abb. 5.65). Die geht.
Bedeutung dieser Tatsache für die Interferenz Ein Wellenzug der Länge l wird nach Fourier
geht aus Abb. 6.75 klar hervor. Während in beschrieben als Integral über Sinuswellen ver-
Abb. 6.75a die beiden Wellenzüge miteinander schiedener Frequenzen und Wellenlängen.
interferieren, kommt es in Abb. 6.75b und c Dabei müssen Frequenzen innerhalb der
nicht zur Interferenz. Der Grund ist offen- Bandbreite
sichtlich: In Abb. 6.75b ist die Wegdifferenz s
zwischen den beiden Teilwellen größer als
die Länge der beiden Wellenzüge. Sie treffen Tabelle 6.9 Kohärenzeigenschaften verschiedener
Lichtquellen
deshalb nacheinander am Interferenzort ein
und können nicht miteinander interferieren. Lichtquelle Frequenz- Kohärenz-
In Abb. 6.75c sind zwar die geometrischen bandbreite Δf länge l
Wege gleich, das rechte Wellenpaket läuft aber
eine bestimmte Strecke durch ein Medium weißes Licht ≈ 200 THz ≈ 1,5 μm
(Brechungsindex n) und kommt infolge der Spektrallampe,
verminderten Ausbreitungsgeschwindigkeit Raumtemperatur 1,5 GHz 20 cm
verspätet am Interferenzort an. Entscheidend Kr-Spektrallampe,
für die Beobachtung der Interferenz ist daher, auf T = 77 K gekühlt 375 MHz 80 cm
dass die optische Wegdifferenz n s nicht größer Halbleiterlaser
wird als die mittlere Länge der Wellenzüge. GaAlAs 2 MHz 150 m
Verschiebt man, ausgehend von Abb. 6.75a,
HeNe-Laser,
den linken Spiegel nach oben, bis schließlich frequenzstabilisiert 150 kHz 2 km
die Stellung von Abb. 6.75b erreicht ist, so wird
6.4 Wellenoptik 551

1 scher Wellenzug mit mehreren Kilometern Ko-


Δf ≈ (6.101) härenzlänge. In der Praxis vorkommende Ko-
τ
härenzlängen sind in Tabelle 6.9 zusammen-
gestellt.
überlagert werden. Auch auf der Wellenlän- Die Interferenz von Licht aus zwei kohären-
genskala ist ein Wellenzug endlicher Länge ten Lichtquellen wurde 1821 von A. J. Fres-
nicht beliebig scharf, sondern er hat eine Lini- nel (1788 bis 1827) demonstriert. Im klassi-
enbreite schen Fresnel’schen Spiegelversuch wird nach
Abb. 6.76 das Licht einer Lichtquelle L mit-
|Δf | hilfe eines Winkelspiegels so reflektiert, dass
|Δλ| = λ . (6.102)
f die Wellen aus den virtuellen Bildern L1 und
L2 herzukommen scheinen. Die beiden vir-
tuellen Lichtquellen L1 und L2 senden kohä-
Bei einer Spektrallampe ist der Frequenzbe- rente Wellen aus, die im Überlappungsgebiet
reich Δf im Allgemeinen nicht durch (6.101) zur Interferenz gebracht werden. Die konzen-
bestimmt. In Wirklichkeit sind die Spek- trischen Kreise in Abb. 6.76 sollen Wellen-
trallinien durch den Doppler-Effekt und berge darstellen. Dann ist an jedem Schnitt-
Stöße verbreitert. Ein typischer Wert für punkt der Kreise die Bedingung für konstruk-
die Breite des Frequenzbandes einer Cd- tive Interferenz erfüllt. Längs der eingezeich-
Spektrallampe ist Δf = 1 500 MHz. Dies ent- neten Punkte verstärken sich also die Wel-
spricht bei λ = 509 nm einer Linienbreite von
Δλ = 1,3 · 10−12 m und einer Kohärenzlänge
von l = 20 cm.
Selbst bei genügend großer Kohärenzlänge
kann ein Interferenzversuch mit Licht miss-
lingen, wenn die strahlende Fläche oder die
Öffnung der Lichtbündel zu groß ist. Hat die
Lichtquelle die Größe b und ist der halbe Öff-
nungswinkel σ , dann wird Interferenz nur be-
obachtet, wenn die Kohärenzbedingung

2 b sin σ << λ (6.103)

erfüllt ist.
Die kurze Kohärenzlänge von Licht normaler
Lampen rührt daher, dass die Emissionsakte
der einzelnen Atome nicht miteinander kor-
reliert sind. Der Laser (Abschn. 6.5.4) ist eine
Lichtquelle, bei der die einzelnen Atome bei
der Lichtaussendung miteinander kooperieren
und ihr Licht jeweils phasengerecht aussen-
den. Dadurch entsteht ein fast monochromati- Abb. 6.76 Fresnel’scher Spiegelversuch
552 6 Optik

len, dazwischen löschen sie sich aus. Auf ei- Ü 6.4-2 Bei einem Experiment mit dem Fresnel’schen
ner Wand, die von den Lichtbündeln getroffen Winkelspiegel beträgt der Abstand der beiden virtuel-
wird, entsteht das unten stehende stationäre len Lichtquellen (Abb. 6.76) d = 0,6 mm. Im Abstand
D = 2 m von den Lichtquellen befindet sich eine Wand,
Interferenzbild. Die Ordnungszahl m gibt den
auf der die Interferenzstreifen beobachtet werden. Wie
Gangunterschied der interferierenden Wellen groß ist der Abstand Δx zwischen zwei Interferenz-
in Vielfachen der Wellenlänge an: Δ = mλ. streifen in der Nähe der Symmetrieachse, wenn als
Wie bereits in Abschn. 5.2.4.3 erwähnt, liegen Lichtquelle eine Natriumdampflampe mit λ = 589 nm
die Punkte konstruktiver Interferenz auf kon- verwendet wird?
fokalen Hyperbeln mit den Brennpunkten L1
und L2 . Die Hyperbeln entsprechen der Glei- 6.4.1.2 Interferenzen an dünnen Schichten
chung

Interferenzen gleicher Neigung


x2 y2
− =1 (6.104) Interferenzen zwischen kohärenten Lichtwel-
a2 b2
len entstehen durch Reflexion von Lichtwel-
len an planparallelen Schichten. In Abb. 6.77
mit a = m(λ/ 2) und b2 = (d/ 2)2 − a2 ; d ist der fällt ein Lichtstrahl von der Lichtquelle L auf
Abstand der beiden virtuellen Lichtquellen. eine durchlässige Platte mit dem Brechungs-
In großem Abstand von den Lichtquellen index n. Im Auftreffpunkt A wird der Strahl
schmiegen sich die Hyperbeln an ihre Asymp- teilweise reflektiert und gebrochen. Der gebro-
toten an. Dies sind Geraden, die aus dem chene Strahl wird in B wieder teilweise reflek-
Koordinatenursprung kommen und mit der tiert und gebrochen, ebenfalls in C, D und so
y-Achse die Winkel αm einschließen. Für die fort. Zunächst sei die Überlagerung der bei-
Asymptotenwinkel gilt den Strahlen 1 und 2 betrachtet (die weiteren
Strahlen 3 , 4 und so fort haben vernachlässig-
λ bare Intensitäten). Die beiden Parallelstrahlen
sin αm = m . (6.105)
d werden im Brennpunkt F einer Linse verei-
nigt. (Bei Betrachtung mit dem Auge ist dies
Der Abstand zwischen zwei Interferenzstreifen die Augenlinse.) Ob am Punkt F Helligkeit
an der Wand ist proportional zur verwendeten oder Dunkelheit herrscht, hängt vom Gang-
Wellenlänge. Nimmt man Weißlicht anstelle unterschied der beiden interferierenden Licht-
von monochromatischem Licht, ist die kon- wellen 1 und 2 ab.
struktive Interferenzbedingung nur für die Die geometrische Wegdifferenz der Strahlen 1
Interferenzlinie nullter Ordnung (m = 0) zu und 2 ist nach Abb. 6.77 AB + BC − AP. Die
erfüllen. Es erscheint ein weißer Interferenz- optische Wegdifferenz beträgt n (AB + BC) −
streifen nullter Ordnung, der von schwarzen AP. Für die Wegdifferenzen gilt
Streifen begrenzt ist. Die Interferenzstreifen
d
höherer Ordnung bekommen farbige Ränder. AB + BC = 2 ; AP = 2d tan ε sin ε .
cos ε
Zur Übung
Ü 6.4-1 Die theoretische Grenze der Frequenzband- Mithilfe des Brechungsgesetzes sin ε/ sinε =n
breite eines Lasers ist Δf ≈ 1 Hz. Berechnen Sie die ergibt sich daraus die Gangdifferenz
theoretische Linienbreite für λ = 600 nm und die Ko- √
härenzlänge l. s = 2d n2 − sin2 ε .
6.4 Wellenoptik 553

mit m = 0, 1, 2, … Dunkelheit herrscht bei


2 d n2 − sin2 ε = (m + 1)λ . (6.108)

Die Bedingungen (6.107) und (6.108) sind


bei vorgegebener Plattendicke d und Wellen-
länge λ nur für ganz bestimmte Winkel ε ein-
zuhalten. Alle Strahlen, die mit dem gleichen
Winkel ε auf die Platte treffen, erzeugen in der
Brennebene der Linse (oder auf der Netzhaut
des Auges) eine Interferenzlinie. Verschiedene
Winkel ε, die Gleichungen (6.107) und (6.108)
befriedigen, erzeugen Interferenzlinien glei-
cher Neigung, die wegen der Symmetrie kreis-
förmig sind und als Haidinger’sche Ringe be-
zeichnet werden.
Die durchgelassenen Strahlen 1 und 2 in
Abb. 6.77 werden im Brennpunkt F über-
lagert. √
Für sie beträgt der Gangunterschied
Abb. 6.77 Interferenzen an planparalleler Platte Δ = 2d n2 − sin2 ε. Der in (6.106) zusätzlich
eingebrachte Gangunterschied von λ/ 2 für die
Reflexion am dichteren Medium taucht hier
Dies ist noch nicht der vollständige Gangun- nicht auf. Daraus folgt, dass sich die Interfe-
terschied. Wie bereits in Abschn. 5.2.4.2 erläu- renzen in F komplementär zu jenen in F ver-
tert, erfährt der am dichteren Medium reflek- halten, d. h., die Bedingungen für Helligkeit
tierte Strahl 1 einen Phasensprung um π, was und Dunkelheit sind genau vertauscht. Die In-
einem zusätzlichen Gangunterschied von λ/ 2 terferenzen des durchgelassenen Lichtes sind
entspricht. Der Strahl 2 erleidet bei der Refle- nicht so gut sichtbar wie die des reflektierten
xion in B keinen Phasensprung. Lichtes, weil die Intensitäten der Strahlen 1
Somit beträgt der Gangunterschied der beiden und 2 sehr unterschiedlich sind (z. B. 10:1),
Strahlen 1 und 2 während 1 und 2 nahezu dieselbe Intensität
haben.
√ λ
Δ = 2d n2 − sin2 ε − . (6.106)
2 Farben dünner Blättchen
Dünne Schichten, wie z. B. Seifenlamellen,
Die Wellen verstärken sich bei Δ = mλ, sie Ölfilme auf Wasser, Aufdampfschichten und
löschen sich aus für Δ = (2m + 1)(λ/ 2). Oxidschichten, zeigen bei Beleuchtung mit
Die Bedingung für Helligkeit lautet somit weißem Licht oft herrliche Interferenzfar-
ben. Diese entstehen, wenn nach (6.107)
√ und (6.108) je nach Dicke, Brechungsindex
1
2 d n2 − sin2 ε = m + λ. (6.107) und Einfallswinkel aus dem angebotenen
2
weißen Spektrum eine Farbe oder mehrere
554 6 Optik

Farben reflektiert, andere dagegen ausgelöscht


werden. Aus der Farbe kann man bei einiger
Übung die Schichtdicke recht genau bestim-
men.

Beispiel
6.4-1 Eine Seifenlamelle mit der Dicke d = 350 nm
wird mit weißem Licht senkrecht beleuchtet. Welche
Farbe hat das von der Seifenhaut reflektierte Licht,
wenn der Brechungsindex n = 1,33 beträgt?

Lösung
Nach (6.107) wird Licht der Wellenlänge reflektiert, die
der Bedingung

2dn 931 nm Abb. 6.78 Interferenzen an dünnen Schichten:


λm = =
m + 12 m + 12 a) Reflex vermindernde Schicht, b) dielektrischer
Spiegel
genügt. Folgende Wellenlängen erfüllen diese Voraus-
setzung:

m = 0: λ0 = 1 862 nm , dann der durchgehende Strahl d die ganze


m = 1: λ1 = 621 nm , Strahlungsleistung des einfallenden Strahls.
Ist nG > n1 > n0 , dann entsteht sowohl r1
m = 2: λ2 = 372 nm ,
als auch r2 durch Reflexion am optisch dich-
m = 3: λ3 = 266 nm usw.
teren Medium. Beide Strahlen erfahren also
Da nur die Wellenlänge λ1 = 621 nm im sichtbaren den Phasensprung π. Bei senkrechtem Einfall
Spektralbereich liegt, erscheint die Seifenblase rot. ist deshalb die Gangdifferenz der beiden Strah-
len Δ = 2 n1 d.
Die Bedingung für Auslöschung ist Δ = (2 m +
Reflexvermindernde Schichten 1)(λ/ 2) oder (2 m + 1)(λ/ 2) = 2n1 d. Für m = 0
Interferenzen an dünnen Schichten werden be- erhält man die kleinste Schichtdicke. Sie be-
nutzt, um Reflexe an Glasoberflächen zu besei- trägt ein Viertel der Lichtwellenlänge in der
tigen. In der Regel werden Linsen für optische Schicht:
Geräte vergütet, d. h. mit einer reflexmindern-
den Schicht überzogen. λ
Die Wirkungsweise einer Vergütungsschicht d= . (6.109)
4 n1
geht aus Abb. 6.78 hervor. Auf ein Glas mit
dem Brechungsindex nG sei eine dünne Schicht
(Dicke d) mit dem Brechungsindex n1 aufge- Eine vollständige Auslöschung der reflektier-
bracht. Darüber sei Luft mit dem Brechungs- ten Wellen erreicht man nur, wenn deren Am-
index n0 = 1. Der einfallende Strahl e wird an plituden gleich sind. Dies ist dann der Fall,
zwei Grenzflächen reflektiert und liefert die wenn der Brechungsindex n1 des Vergütungs-

Strahlen r1 und r2 . Schichtdicke d und Bre- materials der Bedingung n1 = n0 nG genügt.
chungsindex n2 sind nun so zu wählen, dass Als Beschichtungssubstanzen haben sich z. B.
sich die beiden reflektierten Strahlen auslö- Kryolith (Na3 AlF6 ) mit n = 1,33 und Magnesi-
schen. Nach dem Energieerhaltungssatz hat umfluorid (MgF2 ) mit n = 1,38 bewährt.
6.4 Wellenoptik 555

Beispiel ferenz. Dielektrische Spiegel werden vorzugs-


6.4-2 Wie dick muss eine Entspiegelungsschicht aus weise als Laserspiegel eingesetzt.
MgF2 sein, um die Reflexe für sichtbares Licht (λ =
550 nm) zu verringern?
Interferenzen gleicher Dicke
Lösung Fallen nach Abb. 6.79 zwei kohärente Strahlen
Nach (6.109) ist die erforderliche Mindestdicke auf einen Keil, sodass sie sich im Punkt P wie-
550 nm der vereinigen, dann herrscht in P Helligkeit
d= = 100 nm . oder Dunkelheit je nach Gangunterschied der
4 · 1,38
beiden Strahlen. Die beiden Strahlen 1 und
2 können entweder mit einer Linse auf einem
Grundsätzlich gelingt die Beseitigung der Re- Schirm oder mit der Augenlinse auf der Netz-
flexe nur für eine diskrete Wellenlänge, z. B. haut vereinigt werden. Der Gangunterschied
für die Mitte des sichtbaren Spektrums mit der beiden Teilwellen bestimmt sich bei klei-
λ = 550 nm. Der Effekt ist aber nicht sehr nem Keilwinkel α nach (6.106) zu
selektiv, sodass man für das ganze sichtbare
√ λ
Spektrum eine merkliche Entspiegelung er- Δ = 2d n2 − sin2 ε − .
hält. Das rötliche oder violette Aussehen ver- 2
güteter Linsen kommt daher, dass bevorzugt Da mit größer werdendem Abstand von der
die Wellenlängen von den Enden des sichtba- Keilkante die Dicke d zunimmt, erhält man in
ren Spektrums reflektiert werden. regelmäßigen Abständen helle und dunkle In-
Eine spektral breitbandige Entspiegelung terferenzstreifen, sogenannte Fizeau-Streifen
ist möglich, wenn drei λ/4-Schichten aufge- (H. Fizeau, 1819 bis 1896). Diese Interferenz-
dampft werden. streifen gleicher Dicke verlaufen parallel zur
Keilkante. An der Keilkante selbst ist d = 0
Dielektrische Spiegel und somit der Gangunterschied infolge des
Spiegel mit Reflexionsgraden von ρ > 99,9% Phasensprungs von Strahl 1 eine halbe Wel-
sind möglich mit dielektrischen Mehrfach- lenlänge. Die Strahlen löschen sich also an der
schichten, bei denen abwechselnd eine Schicht Keilkante aus, sodass man dort immer einen
mit hohem n1 und niedrigem Brechungs- dunklen Streifen sieht. Wie schon bei den In-
index n2 auf ein Substrat aufgebracht wird terferenzen gleicher Neigung beschrieben, tre-
(Abb. 6.78b). Die Schichtdicken werden so ten auch beim durchgehenden Licht Interfe-
gewählt, dass die optischen Dicken ein Viertel
der Vakuumwellenlänge betragen:

n1 d1 = n2 d2 = λ/ 4 . (6.110)

Da bei jeder Reflexion an einer Schicht mit


höherem Brechungsindex ein Phasensprung
von π oder λ/ 2 auftritt, sind die Gangunter-
schiede von jeweils zwei benachbarten reflek-
tierten Strahlen r1 und r2 eine ganze Wellen-
länge. Es kommt also zu konstruktiver Inter- Abb. 6.79 Interferenzen an einem Keil
556 6 Optik

renzstreifen auf, die sich komplementär zu je-


nen des reflektierten Lichts verhalten.
Streifen gleicher Dicke sind auch die als New-
ton’sche Ringe bekannten Interferenzkurven,
die an flachen Luftkeilen entstehen. Sie tre-
ten z. B. auf, wenn ein hinter Glas gerahm-
tes Diapositiv ungleichmäßig am Glas anliegt.
Die Newton’schen Ringe lassen sich sehr schön
beobachten mit einer Anordnung, die 1665
zuerst von Hooke und 1676 von Newton be-
nutzt wurde. Nach Abb. 6.80 wird auf eine
ebene Glasplatte eine plankonvexe Linse mit
großem Krümmungsradius aufgesetzt. Wird
die Anordnung von oben mit parallelem Licht
beleuchtet, dann entstehen Interferenzstreifen
gleicher Dicke am Luftkeil, die in diesem Fall
wegen der Symmetrie Kreise um den Berühr-
punkt sind. Da der Keilwinkel bei diesem Luft-
keil nicht konstant ist, nimmt der Abstand der
Ringe nach außen ab.
Bei der Berechnung des Gangunterschieds von
zwei interferierenden Wellen muss wieder be-
achtet werden, dass zusätzlich zur geometri-
schen Wegdifferenz 2 d eine halbe Wellenlänge
addiert oder subtrahiert werden muss, weil ein
Abb. 6.80 Newton’sche Ringe: a) Versuchsaufbau
Strahl am optisch dichteren Medium (Plan- nach Hooke, b) Ringsystem bei Beleuchtung mit
platte) reflektiert wird. An einer Stelle mit der monochromatischem Licht
Keildicke d beträgt demnach der Gangunter-
schied Δ = 2d − λ/ 2. 2
1 rm
Die Radien der hellen Interferenzringe können dm ≈ . (2)
2 R
leicht anhand von Abb. 6.80 berechnet werden.
Helligkeit tritt auf, wenn der Gangunterschied Durch Kombination von (1) und (2) folgt für
der interferierenden Wellen ein ganzzahliges die Radien der hellen Kreise
Vielfaches der Wellenlänge beträgt. Dies ist der
Fall für die Dicken dm des Luftkeils 1
rm = m+ λR (6.111)
2

λ 1
dm = m+ mit m = 0, 1, 2, … (1)
2 2
mit m = 0, 1, 2, … Dunkle Ringe haben die
Radien
Die Dicke dm ist mit dem Radius rm und
dem Krümmungsradius
R der Linse verknüpft √
durch dm = R − R2 − rm2 . Für r
m << R gilt rm = m λR . (6.112)
näherungsweise
6.4 Wellenoptik 557

An der Berührungsstelle der beiden Gläser ist sein, damit Licht mit der Wellenlänge λ = 633 nm
immer ein dunkler Fleck. Bei bekannter Licht- bei senkrechtem Einfall nicht reflektiert wird? b) Für
wellenlänge kann z. B. durch Ausmessen der welche Wellenlänge wird die Reflexion minimal, wenn
Licht unter ε = 45◦ zur Oberfläche einfällt?
Interferenzringe der Krümmungsradius R des
gekrümmten Glases berechnet werden.
Oberflächenprüfung 6.4.1.3 Interferometer
Beobachtet man Unregelmäßigkeiten im Sys- Interferometer sind optische Geräte, bei denen
tem der Newton’schen Kreisringe, so weist dies mithilfe von Lichtinterferenzen physikalische
darauf hin, dass bei der gekrümmten Fläche Größen, wie z. B. Länge, Brechzahl, Winkel und
Abweichungen von der idealen Kugelform vor- Wellenlänge, gemessen werden. Der wichtigste
liegen. (Die Ebenheit der Planplatte ist selbst- Interferometer-Grundtyp ist das Michelson-
verständlich Voraussetzung.) Allgemein kann Interferometer (A. A. Michelson, 1852 bis
man aus Unregelmäßigkeiten im System der 1931).
Fizeau-Streifen an Luftkeilen auf Oberflächen- Aufbau und Arbeitsweise des Michelson-
fehler der Platten schließen. Da der Abstand Interferometers sind schematisch in Abb. 6.81
zwischen zwei benachbarten Interferenzstrei- dargestellt. Von der Lichtquelle L fällt Licht un-
fen gleicher Dicke immer einer Dickenände- ter 45◦ auf den teilverspiegelten Strahlteiler T.
rung des Keils von einer halben Wellenlänge Dabei entstehen zwei unter 90◦ verlaufende
entspricht, können aus Verschiebungen der In- Teilstrahlen 1 und 2, die nach der Reflexion
terferenzstreifen Oberflächenfehler (z. B. Rau- an den Spiegeln S1 und S2 in sich selbst
igkeiten) im Bereich von Bruchteilen der Licht- zurückgeworfen werden. Die reflektierten
wellenlänge vermessen werden. Verschiedene Strahlen werden erneut durch den Strahlteiler
Interferenzmuster, die bei der Oberflächen- geteilt, sodass schließlich die Überlagerung
prüfung von Optikteilen entstehen, sind in der Strahlen 1 und 2 mithilfe der Fernrohrs F
DIN 3140, Teil 5, zusammengestellt. Mithilfe betrachtet werden kann. Die auftretenden
der Fizeau-Streifen werden Passfehler von Op- Interferenzerscheinungen können auch mit
tikbauteilen klassifiziert.

Zur Übung
Ü 6.4-3 Zur Bestimmung der Wellenlänge von mono-
chromatischem Licht werden Newton’sche Ringe nach
Abb. 6.80 ausgemessen. Die Plankonvexlinse hat die
Brennweite f = 5 m und den Brechungsindex n = 1,5.
Der zehnte dunkle Ring hat den Radius r10 = 4 mm.
Wie groß ist die Wellenlänge des Lichtes?

Ü 6.4-4 Eine dicke Glasplatte mit Brechungsindex


nG = 1,5 ist mit einem dünnen Film mit nF = 1,3
überzogen. Eine monochromatische ebene Welle va-
riabler Wellenlänge fällt senkrecht auf die Platte. Licht
der Wellenlänge λ = 693,3 nm wird stark, Licht der
Wellenlänge λ = 594,3 nm wird nicht reflektiert. Wie
dick ist der Film?

Ü 6.4-5 Eine Glasplatte (nG = 1,5) ist mit MgF2 (n = Abb. 6.81 Wirkungsweise des Michelson-
1,33) überzogen. a) Wie dick muss die Antireflexschicht Interferometers
558 6 Optik

dem bloßen Auge betrachtet bzw. mittels einer


Linse auf einen Schirm projiziert werden.
Die Kompensationsplatte K sorgt für gleiche
Glaswege der interferierenden Teilstrahlen.
Wenn die beiden Spiegel S1 und S2 gleich weit
vom Punkt P entfernt sind, treffen die Strahlen
1 und 2 ohne Gangunterschied beim Fern-
rohr ein und verstärken sich. Verstärkung tritt
ebenfalls ein, wenn einer der beiden Spiegel
um ein Vielfaches der halben Wellenlänge ver-
schoben wird. Verschiebt man dagegen um ein
ungeradzahliges Vielfaches einer Viertelwel-
lenlänge, dann löschen sich die Strahlen 1 und
2 aus. Völlige Dunkelheit oder Helligkeit wird
nur beobachtet, wenn ebene Wellen, z. B. von
Abb. 6.82 Interferenzmikroskop: a) Aufbau, b)
einem Laser, interferieren.
Interferenzstreifen an einer Stufe der Höhe s
Eine Lichtquelle, die Kugelwellen aussendet,
erzeugt als Interferenzmuster Haidinger’sche
Ringe, die so zustande kommen: In Abb. 6.81 Bei der Oberflächenprüfung mithilfe des In-
ist mit S2 das virtuelle Bild des Spiegels S2 terferenzmikroskops nach Abb. 6.82a wird das
eingezeichnet. Die Interferenzlinien, die be- vergrößerte Bild eines Prüflings P mit Inter-
obachtet werden, sind die Interferenzen glei- ferenzstreifen überlagert. Zwei identische Mi-
cher Neigung an einer planparallelen Platte kroskopobjektive Ob 1 und Ob 2 bilden sowohl
der Dicke d. Kippt man einen der beiden den Prüfling als auch eine Vergleichsplatte V
Spiegel ganz leicht, dann beobachtet man die hoher optischer Güte mithilfe des Okulars Ok
Fizeau-Streifen am Luftkeil. Bei Verwendung ab. Alle Unebenheiten auf der Oberfläche des
von weißem Licht und gleichen Abständen der Prüflings spiegeln sich im System der Fizeau-
Spiegel vom Punkt P ist der Streifen nullter Streifen wider. Abbildung 6.82b zeigt das ent-
Ordnung leicht zu identifizieren als einziger stehende Interferenzmuster, wenn die Ober-
achromatischer Streifen. fläche des Prüflings eine Stufe aufweist. Der
Bei der Verschiebung eines Spiegels verschiebt Abstand zweier Streifen entspricht einer hal-
sich das System der Interferenzstreifen, so- ben Wellenlänge. Unter der Annahme, dass
dass man durch Auszählen der durchlaufen- eine Versetzung von 1/10 der Streifenbreite
den Streifen die Verschiebung eines Spiegels in noch messbar ist, kann man mit dem Inter-
Vielfachen von λ/ 2 messen kann. Auf diese Art ferenzmikroskop Höhenunterschiede auf der
wurde von Michelson u. a. die Länge des Meter- Objektoberfläche vom Betrag s = λ/ 20 bestim-
Prototyps in Vielfachen der Lichtwellenlänge men. Bei Verwendung von grünem Licht mit
einer bestimmten Spektrallampe ausgemessen λ = 540 nm beträgt die messbare Höhenauflö-
und so eine neue Meterdefinition eingeführt, sung also s = 27 nm.
die bis 1983 Gültigkeit hatte (Abschn. 1.3).
In der optischen Messtechnik misst man die 6.4.1.4 Beugung am Spalt
Länge von Endmaßen und Präzisionsmaßstä- Eine fundamentale Prämisse der geometri-
ben mithilfe des Michelson-Interferometers. schen Optik ist die geradlinige Ausbreitung des
6.4 Wellenoptik 559

Lichtes. Tatsächlich wird dies auch beobachtet, obachtungspunkt P auf dem Schirm liegen
wenn sich Lichtstrahlen ungestört im homo- in endlichem Abstand von der Öffnung. Bei
genen Raum ausbreiten. Sobald aber Hinder- der Fraunhofer’schen Beugung (J. Fraunho-
nisse die freie Ausbreitung stören, stellt man fer, 1787 bis 1826) liegt sowohl die Licht-
fest, dass Lichtstrahlen ihre Richtung ändern. quelle als auch der Beobachtungsschirm im
Sie werden an den Rändern der Hindernisse Unendlichen (Abb. 6.83b). Praktisch kann dies
gebeugt. Wie im Folgenden verdeutlicht, ist die nach Abb. 6.83c realisiert werden, indem Licht-
Abweichung von der geradlinigen Ausbreitung quelle und Schirm jeweils im Brennpunkt ei-
des Lichtes umso stärker, je kleiner die Dimen- ner Linse stehen. Alle folgenden Ableitungen
sionen der Öffnungen und Hindernisse sind, beziehen sich auf die Fraunhofer’sche Betrach-
an denen das Licht gebeugt wird. tungsweise; die Beugung nach Fresnel ist in
Bei der Untersuchung der Beugungserschei- Abschn. 6.4.1.9 beschrieben.
nungen unterscheidet man zwei Fälle der ex- Bei der Fraunhofer’schen Beugung am Spalt
perimentellen Ausführung, die in Abb. 6.83 entsteht auf einem Schirm die in Abb. 6.84
dargestellt sind. Abbildung 6.83a zeigt die gezeigte Helligkeitsverteilung. Ein zentraler
Beugung nach Fresnel. Lichtquelle L und Be- heller Streifen ist symmetrisch von dunklen
und hellen Streifen umgeben. Der Abstand der
Beugungsstreifen vergrößert sich mit abneh-
mender Spaltbreite und zunehmender Wellen-
länge.
Zur Ableitung der Beugungsverhältnisse am
Spalt sei nach Abb. 6.85 ein Spalt mit der
Breite b, der senkrecht zur Zeichenebene nicht
begrenzt sein soll, von links mit parallelem
Licht beleuchtet. Es treffen also ebene Wellen
auf den Spalt. Die Lichtintensität in einem be-
liebigen Punkt hinter dem Spalt kann mit Hilfe
des Prinzips von Huygens und Fresnel (Ab-
schn. 5.2.4.3) bestimmt werden. Danach sen-
det jeder Punkt auf einer Wellenfläche Kugel-
wellen aus, die im betrachteten Aufpunkt über-
lagert werden. In Abb. 6.85 sind innerhalb des
Spalts acht diskrete Sender solcher Elemen-
tarwellen im Abstand s angeordnet. Allgemein
seien es p Sender mit p → ∞. Die Intensität,
die in großer Entfernung vom Spalt in Rich-

Abb. 6.83 Beugung an einer Öffnung: a) Fresnel’sche


Betrachtung, b) und c) Fraunhofer’sche Betrachtung Abb. 6.84 Beugungsbild eines Spaltes
560 6 Optik

Êα = 2rsin(Φ/ 2) mit Φ = pϕ .

Mit ϕ ≈ Ê/ r ergibt sich


Ê pϕ
Êα = 2 sin .
ϕ 2
Setzt man für den Phasenwinkel
bsinα
ϕ = 2π

ein, dann ist

Abb. 6.85 Beugung am Spalt; Überlagerung von sin πλb sinα
Elementarwellen Êα = Ê0 πb .
λ sinα
tung des Winkels α zur Spaltnormalen auf tritt, Der Vorfaktor Ê0 = pÊ ist die Amplitude der
ergibt sich aus den nachfolgenden Überlegun- Feldstärke, die aus der Überlagerung von p
gen. Wellen ohne Phasenverschiebung resultiert,
Alle acht (p) elektromagnetischen Wellen ha- die also in Geradeausrichtung (α = 0) beob-
ben in großem Abstand dieselbe Amplitude Ê achtet wird.
der elektrischen Feldstärke. Lediglich die Pha- Beachtet man, dass die Intensität propor-
senlagen der ankommenden Wellen sind ver- tional zum Quadrat der Feldstärke ist (Ab-
schieden, denn zwischen jeweils zwei benach- schn. 5.2.2.2), dann ergibt sich für die In-
barten Wellen besteht nach Abb. 6.85 der Gang- tensität Iα der in Richtung α abgebeugten
unterschied Δ = s sin α = b sin α/ p. Die Pha- Strahlung
sendifferenz zwischen zwei benachbarten Ku-
gelwellen ist am Aufpunkt
sin2 πλb sinα
Δ bsinα Iα = I0
πb sinα2
. (6.113)
ϕ = 2π = 2π .
λ pλ λ

Die resultierende Feldstärke ist demnach


Eα = Ê cos(ωt) + Ê cos(ωt + ϕ) +
+ Ê cos(ωt + 2ϕ) +
+ · · · + Ê cos[ωt + (p − 1)ϕ] .

Diese Summe kann sehr einfach bestimmt wer-


den, wenn die Wellen komplex geschrieben
und in der komplexen Ebene addiert werden:
Eα = Êejωt (e0 + ejϕ + ej2ϕ + · · · + ej(p−1)ϕ )
Abbildung 6.86 zeigt die Addition der acht Zei-
ger, die jeweils um den Phasenwinkel ϕ ge-
geneinander verdreht sind. Für die Länge des
resultierenden Zeigers liest man ab Abb. 6.86 Addition von p Elementarwellen
6.4 Wellenoptik 561

Abbildung 6.87 zeigt die Intensitätsverhält- nung, die näherungsweise in der Mitte zwi-
nisse bei der Beugung am Spalt. Aufgetra- schen den Nullstellen liegen. Für die Lage der
gen ist die mathematische Funktion Iα / I0 = Nebenmaxima gilt
sin2 x/ x2 mit x = (πb/λ) sin α. Die Funktion

hat Nullstellen (physikalisch: Dunkelheit) für 1 λ
x = ±π, ±2π, ±3π und so fort. Daraus folgt, sinαm ≈ ± m + (6.115)
2 b
dass sich die Teilwellen völlig auslöschen in
den Richtungen mit den Winkeln αm , die ge-
geben sind durch die Beziehung mit m = 1, 2, 3, …

Beispiel
λ
sinαm = ±m (6.114) 6.4-3 Ein Spalt wird mit monochromatischem Licht
b eines HeNe-Lasers (λ = 633 nm) beleuchtet. Man be-
trachtet das Beugungsbild auf einer l = 8 m entfern-
ten Wand. Der Abstand zwischen den beiden Minima
mit der Ordnungszahl m = 1, 2, 3, … Es ist erster Ordnung beträgt s = 30 cm. Wie groß ist die
bemerkenswert, dass immer dann Dunkelheit Spaltbreite b?
herrscht, wenn die Wellen, die von den Rän-
Lösung
dern des Spalts ausgehen, einen Gangunter- Nach (6.114) gilt für die Winkel des ersten Minimums
schied von einem Vielfachen der Wellenlänge sin α1 = ±λ/ b. Der Abstand der beiden Minima ist
aufweisen. deshalb
Außer dem zentralen Hauptmaximum nullter
s = 2l tan α1 ≈ 2l sin α1 = 2l (λ/ b) .
Ordnung gibt es Nebenmaxima höherer Ord-
Die Spaltbreite beträgt

2l λ 2 · 8 m · 633 nm
b= = = 33,8 μm .
s 0,3 m

Bei der bisherigen Betrachtung war der Spalt


in einer Richtung unendlich ausgedehnt. Be-
grenzt man den Spalt auch in der Höhe, so fin-
det auch in dieser Richtung Beugung statt; hier
sind die Winkel, unter denen dunkle Streifen
auftreten, wieder durch (6.114) gegeben.
Ein praktisch wichtiger Fall ist die Beugung
an einer Lochblende mit dem Durchmesser d.
Aus Symmetriegründen ist klar, dass das Beu-
gungsbild rotationssymmetrisch sein muss.
Abbildung 6.88 zeigt ein Beugungsbild hin-
ter einer Lochblende. Das zentrale Airy’sche
Beugungsscheibchen, in das etwa 84% der ge-
samten durch das Loch gehenden Enerie fällt,
ist von dunklen und hellen Ringen umgeben.
Abb. 6.87 Intensitätsverteilung bei der Beugung am Die mathematische Berechnung der Intensi-
Spalt tätsverteilung führt auf Bessel-Funktionen und
562 6 Optik

Abb. 6.89 Beugungsbild eines Drahtes:


a) Durchmesser 0,2 mm, b) Durchmesser
0,05 mm

Helligkeit ausgeblendet; die Beugungsfiguren


sind in der Senkrechten begrenzt, weil der
Laser, mit dem der Draht beleuchtet wurde,
ein Lichtbündel von nur wenigen Millimetern
Abb. 6.88 Beugungsbild hinter einer Lochblende
Durchmesser aussendet.) Die Tatsache, dass
komplementäre Hindernisse (z. B. Spalt und
wurde erstmals 1835 von G. B. Airy (1801 bis Draht) dieselbe Beugungsfigur liefern, wurde
1892) gelöst. Die Funktion von J. Babinet (1794 bis 1872) entdeckt und
wird als Babinet’sches Theorem bezeichnet.
2
Iα 2J1 (x) d
= mit x = π sinα . Zur Übung
I0 x λ Ü 6.4-6 Die in Abb. 6.88 gezeigte Beugungsfigur ent-
(6.116) stand durch Beleuchtung einer Lochblende mit einem
HeNe-Laser mit λ = 633 nm. Der Schirm, auf dem
das Bild entstand, war s = 1,45 m von der Lochblende
beschreibt den normierten Intensitätsverlauf entfernt, der Durchmesser des dritten schwarzen Rings
in Abhängigkeit vom Winkel α. J1 (x) ist die war d3 = 30 mm. Welchen Durchmesser d hat die Loch-
blende?
Bessel-Funktion 1. Ordnung, d der Durchmes-
ser der Blende. Der Winkel, unter dem der erste Ü 6.4-7 Wie groß ist das Intensitätsverhältnis der Ne-
dunkle Ring auftritt, ist gegeben durch benmaxima zum Hauptmaximum bei der Beugung am
Spalt? Bestimmen Sie mithilfe eines Rechners die Zah-
λ lenwerte für die ersten drei Minima.
sinα1 = 1,22 . (6.117)
d
Ü 6.4-8 Stellen Sie ein Programm auf zur Berechnung
der Halbwertsbreite der Beugungsfigur von Abb. 6.87.
Weitere Minima treten auf für sinα2 = Wie groß ist der Winkel α1/ 2 , für den die Intensität auf
2,232(λ/ d), sinα3 = 3,238(λ/ d) und so fort. I0 / 2 zurückgeht?
Vertauscht man in Abb. 6.83c den Spalt mit ei-
nem Draht gleicher Dicke, so stellt man fest, 6.4.1.5 Auflösungsvermögen optischer
dass außerhalb der geometrisch optischen Ab- Instrumente
bildung die gleiche Beugungsfigur auftritt wie Alle optischen Instrumente, wie z. B. Fern-
beim Spalt. Abbildung 6.89 zeigt das Beu- rohr, Mikroskop und auch das menschliche
gungsbild eines Drahtes. (Für die Aufnahme Auge, haben ein begrenztes Auflösungsvermö-
wurde das Zentralbild wegen seiner großen gen. Dies bedeutet, dass sehr eng benachbarte
6.4 Wellenoptik 563

Punkte eines Objektes nicht mehr getrennt ab-


gebildet werden. Ursache für das endliche Auf-
lösungsvermögen ist die Beugung des Lichts
beispielsweise an Blenden oder Linsenfassun-
gen. Betrachtet man etwa mit einem Fern-
rohr einen Fixstern, dann wird nach den Ge-
setzen der geometrischen Optik als Bild ein
Lichtpunkt erwartet. Tatsächlich erhält man Abb. 6.90 Intensitätsverteilung der Beugungsbilder
aber infolge der Beugung an der Objektivöff- zweier punktförmiger Objekte in der Bildebene einer
nung ein Airy’sches Beugungsscheibchen mit Linse
endlichem Durchmesser, umgeben von schwä-
cheren Ringen (Abb. 6.88). Wenn man zwei kel selbst im Bogenmaß ersetzt. Aus (6.118)
benachbarte Fixsterne betrachtet, erhält man folgt:
zwei Beugungsscheibchen, die selbstverständ-
lich nur dann getrennt wahrgenommen wer- Das Auflösungsvermögen eines opti-
den, wenn sie einen bestimmten Mindestab- schen Instruments ist umso besser, je
stand voneinander haben. Ist der Abstand der größer der Objektivdurchmesser und je
beiden Beugungsscheibchen zu klein, dann kleiner die Wellenlänge des Lichtes ist.
verschwimmen beide zu einem hellen Fleck,
und dies bedeutet, dass die beiden Sterne dem Das Auflösungsvermögen großer astronomi-
Beobachter wie ein Stern erscheinen. scher Spiegelteleskope ist nicht beugungsbe-
Die Frage, welchen Abstand die Beugungs- grenzt, sondern durch atmosphärische Stö-
scheibchen für eine sichere Auflösung haben rungen eingeschränkt. Diese werden vermie-
müssen, ist nicht eindeutig zu beantworten. den bei Teleskopen, die im Weltraum statio-
Häufig wird das Rayleigh’sche Kriterium zu- niert sind.
grunde gelegt. Nach Lord Rayleigh (1842
Beispiel
bis 1919) sind zwei Objekte dann sicher zu
6.4-4 Welche Auflösung hat das seit 1990 im Weltraum
trennen, wenn das Maximum nullter Ordnung stationierte Hubble-Teleskop mit einem Spiegeldurch-
der Beugungsfigur des ersten Objekts und das messer von d = 2,4 m?
erste Minimum des zweiten Objekts aufein-
Lösung
ander fallen. Dieser Zustand ist in Abb. 6.90 Für die Wellenlänge λ = 550 nm folgt aus (6.118) für
dargestellt. Die ausgezogene Gesamtintensität den Grenzwinkel
als Summe der beiden gestrichelten Beugungs-
figuren zeigt eine deutliche Einsattelung. Mit- δ = 2,8 · 10−7 rad = 0,058 .
hilfe von (6.117) folgt, dass zwei Objektpunkte,
die unter dem Winkel δ erscheinen, dann auf-
Gleichung (6.118) gibt auch das Auflösungs-
gelöst werden, wenn die Beziehung
vermögen des Auges an. Der Grenzwinkel des
λ Auflösungsvermögens infolge der Beugung an
δ 1,22 (6.118) der Pupille stimmt etwa überein mit dem phy-
d
siologischen Grenzwinkel von einer Winkelmi-
erfüllt ist. Hier ist d der Objektiv- bzw. Blen- nute (Abschn. 6.2.7.1).
dendurchmesser. Da es sich stets um kleine Beim Mikroskop gelten dieselben vorge-
Winkel handelt, ist der Sinus durch den Win- nannten Überlegungen. Der Grenzwinkel
564 6 Optik

nach (6.118) lässt sich umrechnen in einen Objekt mit blauem Licht der Wellenlänge λ = 450 nm,
Mindestabstand y, den zwei Objektpunkte dann ist y = 200 nm.
haben müssen, damit sie getrennt werden:

Zur Übung
λ
y 0,61 . (6.119) Ü 6.4-9 Welchen Grenzwinkel können zwei Objekt-
AN punkte haben, damit sie mit dem Auge aufgelöst wer-
den? Der Pupillendurchmesser sei d = 2 mm. Der Glas-
körper des Auges hat den Brechungsindex n = 1,34.
Hierbei ist AN = n sin σ die numerische Aper- Die Berechnung soll für grünes Licht der Wellenlänge
tur des Objektivs; σ ist der halbe Öffnungs- λ = 550 nm durchgeführt werden. Vergleichen Sie das
winkel, unter dem das Objektiv vom Objekt Ergebnis mit dem physiologischen Grenzwinkel.
aus erscheint, n ist der Brechungsindex des
Mediums, das sich zwischen Objekt und Ob- Ü 6.4-10 Ab welcher Größe kann man Objekte auf dem
jektiv befindet. Gleichung (6.119) setzt vor- Mond mit dem bloßen Auge unterscheiden, wenn die
aus, dass man selbstleuchtende Objekte be- Augenpupille d = 4 mm Durchmesser hat?
trachtet. Ein Objekt das von einer Lampe be-
leuchtet wird und das Licht diffus ins Objektiv Ü 6.4-11 Ein Wanderer betrachtet eine s = 15 km weit
streut, kann wie ein Selbstleuchter angesehen entfernte Burg. An einer Burgwand befindet sich eine
werden. Beleuchtet man ein Objekt mit kohä- Fensterfront mit Fenstern im Abstand y = 1 m. a) Kann
rentem Licht, dann können an feinen Struk- er mithilfe eines Fernrohres 8×30 die Fensterreihe auf-
lösen? b) Welches Auflösungsvermögen hat sein Auge
turen der Objektoberfläche Beugungserschei-
bei einer Pupillengröße von d = 1,5 mm?
nungen auftreten, die das Auflösungsvermö-
gen bestimmen. Abbe zeigte, dass in diesem
Fall das Auflösungsvermögen gemäß y = λ/ AN
6.4.1.6 Beugung am Gitter
berechnet wird. Dieser Ausdruck stimmt bis
Mehrere Spalte, die nach dem Muster gemäß
auf den Faktor 0,61 mit (6.119) überein (Ab-
Abb. 6.91 in regelmäßigen Abständen ange-
schn. 6.6).
ordnet sind, bezeichnet man als Beugungs-
Aus den vorgenannten Überlegungen folgt:
gitter. Ein solches Gitter kann z. B. so herge-
stellt werden, dass in eine durchsichtige Glas-
Mit einem Mikroskop sind Objektstruk-
platte Striche eingeritzt werden, die lichtun-
turen in der Größenordnung der Licht-
durchlässig sind. Die Breite eines Spaltes sei b,
wellenlänge auflösbar.
der Abstand zweier Spalte ist die Gitterkon-
stante g. Senkrecht zur Zeichenebene seien
die Spalte unbegrenzt. Bei Fraunhofer’scher
Beispiel
Beobachtung fällt von links her ein paralle-
6.4-5 Welchen kleinsten Abstand zweier Objekt-
punkte kann man mit einem Lichtmikroskop noch les Lichtbündel (ebene Wellen) auf das Gitter.
auflösen? Beobachtet wird die in Richtung des Winkels α
abgebeugte Intensität Iα in unendlich großer
Lösung
Entfernung (Abb. 6.83b).
Mikroskope mit Ölimmersion haben eine maximale
Zur Berechnung der abgebeugten Intensität Iα
numerische Apertur von etwa AN = 1,4. Nach (6.119)
gilt dann y = 0,44 λ. Dies bedeutet also praktisch, dass bei insgesamt p Spalten werden entsprechend
zwei Teilchen dann getrennt werden, wenn ihr Abstand Abb. 6.85 die Feldstärken von p interferieren-
eine halbe Wellenlänge beträgt. Beleuchtet man das den Wellen addiert.
6.4 Wellenoptik 565

Die Gitterbeugungsfunktion ist ein Produkt


aus zwei Faktoren; hierbei beschreibt der erste
Faktor I1 die Beugungsfunktion des Einzel-
spaltes, der zweite Faktor I2 die Interferenz-
funktion des Gitters.
Zunächst sei der historisch bedeutsame Fall
des Doppelspalts (p = 2) angeführt. Mithilfe
eines Doppelspalts wurde 1802 von Young
erstmals ein Interferenzversuch mit Licht
erfolgreich durchgeführt und die Wellenna-
tur des Lichtes bewiesen. Young bestimmte
Abb. 6.91 Beugung am Gitter damit als erster die Wellenlänge des Lichtes.
Abbildung 6.92 zeigt die Intensitätsverteilung
Zwei benachbarte Wellen haben den Gangun- bei der Beugung am Doppelspalt. Man sieht
terschied Δ = gsinα; die Phasenwinkel unter- deutlich die langsam variierende Einhüllende
scheiden sich um ϕ = (2π/λ)gsinα. der Spaltfunktion, die die rasch variierende
Die Addition der p Wellen ergibt eine resultie- Interferenzfunktion moduliert.
rende Feldstärke

pϕ πg
sin p sin α
Ê0 sin 2 Ê0 λ
Êα = = .
p sin ϕ p πg
sin sin α
2 λ
Für die Intensität erhält man

πg
sin2 p sinα
I0 λ
Iα = 2 .
p πg
sin2 sinα
λ
Die Intensitätsverteilung infolge der Beugung
an jedem einzelnen Spalt wird durch (6.113)
berücksichtigt.
Die gesamte Gitterbeugungsfunktion lautet


πb
sin2 sinα
Iα λ
= ·
I0 πb 2
sinα
λ
πg
sin2 p sinα
· λ
π . (6.120)
Abb. 6.92 Beugung am Doppelspalt; Spaltbreite
g b = 106 μm, Spaltabstand g = 609 μm a)
p2 sin2 sinα
λ theoretische Intensitätsverteilung, b) Fotografie des
Beugungsbildes
566 6 Optik

Für die allgemeine Untersuchung des Auftre- mit m = 0, 1, 2, … erfüllen. Bei diesen Win-
tens von Maxima und Minima wird zunächst keln beträgt der Gangunterschied benachbar-
die Interferenzfunktion ter Wellen ein ganzzahliges Vielfaches der Wel-
sin2 (p z) πg lenlänge. Das Ergebnis stimmt mit (5.209)
I2 = mit z = sinα und (6.105) überein, die die konstruktive In-
p2 sin2 (z) λ
terferenz beim Doppelspalt beschreiben.
betrachtet. Wie Abb. 6.93 zeigt, hat diese Zwischen den Hauptmaxima liegen p − 2
Funktion Hauptmaxima bei den Stellen Nebenmaxima, deren Höhen im Vergleich
z = 0, ±π, ±2π… Hauptmaxima treten also zu den Hauptmaxima mit steigender Strich-
auf unter den Winkeln αm , die die Gleichung zahl p immer schwächer werden. Bei den
üblicherweise verwendeten großen Linien-
λ zahlen der optischen Gitter ist die Intensität
sinαm = ±m (6.121)
g der Nebenmaxima praktisch vernachlässig-
bar. Die Hauptmaxima werden mit steigender
Strichanzahl p immer schärfer. Die zuneh-
mende Schärfe der Linien mit steigender
Strichanzahl ist typisch für die Vielstrahlinter-
ferenz. Je mehr Teilwellen an der Interferenz
beteiligt sind, umso schärfer werden die
Bedingungen für konstruktive Interferenz.
Typische Gitter kommerzieller Spektrometer
haben 1000 und mehr Striche pro mm. Bei
einer Breite von 50…100 mm kann man also
mit p ≈ 100 000 Spalten rechnen.
Die gesamte theoretische Beugungsfunk-
tion (6.120) ist in Abb. 6.94 für den Fall p = 40
und g = 10 b dargestellt. Die Winkel der
Hauptmaxima entsprechen (6.121). Ihre In-
tensität nimmt nach außen geringfügig ab. Alle
Linien befinden sich noch im Hauptmaximum
der Spaltfunktion. Abbildung 6.95 zeigt Fotos
der Beugungsbilder, die in großem Abstand
hinter zwei verschiedenen Gittern entstanden.
In Abb. 6.95b erkennt man besonders deutlich
die abnehmende Intensität mit zunehmender
Ordnungszahl der Beugungsmaxima.
Der Abstand der Maxima vergrößert sich,
wenn das Gitter gedreht wird. Das einfallende
Licht trifft dann nicht mehr senkrecht auf das
Gitter, sondern nach Abb. 6.96 unter dem Ein-
fallswinkel β. Wie man sich leicht klar macht,
Abb. 6.93 Interferenzfunktion bei p = 2, 4 und 8 beträgt der Gangunterschied zwischen zwei
Spalten interferierenden Wellen Δ = g(sinα − sinβ).
6.4 Wellenoptik 567

Abb. 6.96 Beugungsgitter bei schiefer Durchstrahlung

Wird ein Objekt unter dem Mikroskop be-


leuchtet, dann können an feinen Strukturen
Beugungserscheinungen ähnlich jenen beim
Gitter auftreten. Abbe konnte zeigen, dass ein
Abb. 6.94 Beugungsfunktion eines Gitters mit p = 40 Bild der betrachteten Struktur nur dann beob-
Spalten achtet werden kann, wenn außer dem Strahl
nullter Ordnung mindestens auch die Beu-
gungsmaxima erster Ordnung ins Objektiv
eintreten können. Die Details werden umso
deutlicher, je mehr Beugungsmaxima vom Ob-
jektiv aufgenommen werden. Aufgrund dieser
Tatsache gelangte Abbe zu einer Beziehung für
das Auflösungsvermögen eines Mikroskops, die
nahezu identisch ist mit (6.119) des vorstehen-
den Abschnitts. Nach Abbe sind zwei Objekt-
Abb. 6.95 Beugungsbild eines Strichgitters mit dem punkte dann auflösbar, wenn ihr Abstand y die
Spaltabstand g = 4 μm (a) und g = 10 μm (b) Beziehung

λ
Beugungsmaxima treten auf unter den Win- y (6.123)
AN
keln αm , die der Beziehung

erfüllt; AN ist die numerische Apertur des Ob-


g (sin αm − sinβ) = ±m λ (6.122)
jektivs (Abschn. 6.6.1).

mit m = 0, 1, 2, … genügen. Zur Übung


Die vorstehenden Betrachtungen zur Beugung Ü 6.4-12 Bei einem Gitter ist die Gitterkonstante dop-
pelt so groß wie die Spaltbreite: g = 2 b. Welche Beu-
am Gitter zeigen, dass die Richtungen, un-
gungsordnungen m werden im Beugungsbild beob-
ter denen Beugungsmaxima auftreten, von der achtet?
Wellenlänge des Lichtes abhängen. Man kann
daher mithilfe von Gittern sehr präzise Wellen- Ü6.4-13 Welche Beugungsordnungen treten auf, wenn
längenmessungen vornehmen. Dieser Aspekt ein Gitter mit 1200 Strichen/mm mit grünem Licht der
ist in Abschn. 6.4.1.7 ausführlich erläutert. Wellenlänge λ = 550 nm durchstrahlt wird?
568 6 Optik

Ü 6.4-14 Ein Strichgitter mit 1000 Strichen/mm wird Abbildung 6.97 zeigt den schematischen
mit gelbem Natriumlicht der Wellenlänge λ = 589 nm Aufbau eines Spektrometers bzw. Mono-
durchstrahlt. a) Unter welchem Winkel α1 zur Git- chromators nach Czerny-Turner. Das durch
ternormalen liegen die Beugungsmaxima erster Ord-
den Eintrittsspalt E eintretende Licht wird
nung? b) Das Gitter wird um β = 10◦ gedreht. Welche
Winkel α1 ergeben sich jetzt für die erste Ordnung?
mithilfe des Hohlspiegels S1 als paralleles
Lichtbündel auf das Reflexionsgitter G gewor-
fen. Das abgebeugte Lichtbündel wird durch
den Hohlspiegel S2 auf den Austrittsspalt A
6.4.1.7 Spektralapparate
fokussiert. Welche Wellenlänge durchgelassen
Zur Messung von Lichtwellenlängen wurden wird, hängt von der Winkelstellung des Gitters
verschiedene Spektralapparate entwickelt, die ab. Das Gitter wird mit einem geeigneten
je nach Verwendungszweck etwas anders ge- Getriebe langsam gedreht, sodass die durch-
baut sind. In Tabelle 6.10 sind einige Geräte gelassene Wellenlänge proportional zur Zeit t
angeführt. Das Herz aller Spektralapparate ist anwächst. Stellt man hinter den Austrittsspalt
entweder ein Prisma oder ein Gitter, mit de- eine Fotodiode mit nachgeschaltetem Verstär-
ren Hilfe das Spektrum der verschiedenen ker, dann kann auf einem x, t-Schreiber ein
Lichtwellenlängen räumlich auseinandergezo- Spektrum aufgezeichnet werden. Auf diese
gen wird. Weise entstand z. B. das Spektrum der LED
von Abb. 6.68.
Tabelle 6.10 Spektralapparate Reflexionsgitter moderner Spektrometer sind
fast immer als Echelette-Gitter (frz. echelette:
Spektroskop Beobachtung eines Spektrums
kleiner Maßstab) ausgeführt. In eine Glas-
mit dem Auge. Häufig als
Tascheninstrument in der oberfläche wird mit einem Diamanten ein sä-
analytischen Chemie eingesetzt. gezahnähnliches Profil eingeritzt, wie es in
Spektrograph Komplettes Spektrum wird auf Abb. 6.98 gezeigt ist. (Bei den holografischen
Fotoplatte registriert. Ver- Gittern wird das Profil auf fotochemischem
gleich mit Eichspektrum be- Weg geätzt.) Beim Einfallswinkel β ist der Beu-
kannter Spektrallinien liefert gungswinkel αm für die m-te Ordnung wieder
die Wellenlänge. Schwärzung
ist Maß für die Lichtintensität.
durch (6.122) gegeben. Will man nun in eine
bestimmte Ordnung m besonders viel Licht be-
Spektrometer Wellenlängenbestimmung ein-
zelner Spektrallinien anhand
einer geeichten Wellenlängen-
skala über Winkelmessung.
Monochromator Ausblenden eines schmalban-
digen Wellenlängenbereichs
aus einem angebotenen Spek-
trum.
Spektral- Kombination von Monochro-
fotometer mator und fotoelektrischem
Empfänger (Fotomultiplier)
zur Bestimmung spektraler
Stoffdaten, wie z. B. Absorp-
tionsgrad und Transmissions-
grad.
Abb. 6.97 Gittermonochromator, schematisch
6.4 Wellenoptik 569

lung der Beugungsfunktion, wie sie z. B. an


der rechten Wand des Monochromators von
Abb. 6.97 entsteht. Die Hauptmaxima von zwei
dicht benachbarten Wellenlängen λ und λ + dλ
werden in der m-ten Ordnung dann getrennt,
wenn das Intensitätsmaximum von λ + dλ
auf das erste Minimum von λ fällt (Rayleigh’-
sches Kriterium). Da der Raum zwischen zwei
Abb. 6.98 Echelette-Gitter
Hauptmaxima von p−1 Minima durchsetzt ist,
muss gelten
kommen, dann muss der Blaze-Winkel δ (engl.
to blaze: flammen) so gewählt werden, dass die (m + 1)λ − mλ
m(λ + dλ) − m λ = .
Beugungsrichtung der natürlichen Reflexions- p
richtung entspricht. Dies ist der Fall für den
Hieraus folgt sofort für das Auflösungsvermö-
Blaze-Winkel
gen eines Gitters
1
δ = (β − α) . (6.124)
λ
2
= mp . (6.125)

Während bei einem normalen Transmissions-
gitter das gebeugte Licht in viele Ordnun- Das Auflösungsvermögen ist also umso größer,
gen mehr oder weniger gleichmäßig verteilt je mehr Striche das Gitter hat und je höher die
wird (Abb. 6.95), kann bei einem Echelette- Beugungsordnung ist, mit der man arbeitet.
Gitter praktisch das gesamte gebeugte Licht Wie Abb. 6.99 zeigt, ist der nutzbare Wellenlän-
in eine bestimmte Beugungsordnung gelenkt genbereich Δλ beschränkt. Wird Δλ zu groß,
werden. Das spektrale Auflösungsvermögen dann verschmilzt z. B. die Linie λ + Δλ ers-
eines Spektralapparats hängt von seinem Git- ter Ordnung mit der Linie λ zweiter Ordnung.
ter, der verwendeten Beugungsordnung und Auf dieselbe Weise wie oben macht man sich
der Spaltbreite ab. Im Folgenden wird das Auf- klar, dass der nutzbare Wellenlängenbereich –
lösungsvermögen eines Gitters ermittelt. Ab- das ist der Bereich, in dem das Gitterspektro-
bildung 6.99 zeigt eine vereinfachte Darstel- meter eine eindeutige Wellenlängenmessung
erlaubt – beschränkt ist auf

λ
Δλ = . (6.126)
m

Beispiel
6.4-6 Mit einem Gitter mit der Strichanzahl
p = 120 000 bei 1200 Strichen/mm sollen die beiden
Natrium-D-Linien getrennt werden. Ist dies möglich?
Wie groß ist der nutzbare Wellenlängenbereich Δλ?
Abb. 6.99 Zum Auflösungsvermögen eines Gitters. Die Die Wellenlängen betragen λ1 = 589,5930 nm und
Beugungsfunktion für die Wellenlänge λ ist schwarz λ2 = 588,9963 nm.
570 6 Optik

Lösung dem Einfallswinkel β = 50◦ . a) Wie groß ist der Beu-


Mit dem genannten Gitter kann nur in der ersten Ord- gungswinkel α1 für die erste Ordnung? b) Wie groß
nung gemessen werden, da für m > 1 nach (6.121) muss der Blaze-Winkel δ sein, damit maximale Inten-
der Sinus des Beugungswinkels größer als 1 wäre. Das sität in der ersten Ordnung auftritt?
Auflösungsvermögen beträgt somit λ/ dλ = 1,2 · 105 .
Erforderlich ist zur Trennung der D-Linien Ü 6.4-16 Die beiden Natrium-D-Linien mit λ1 =
589,5930 nm und λ2 = 588,9963 nm sollen mit einem
λ 589 nm
= = 987 . Gitter getrennt werden, das 50 Striche/mm hat. a) Wie
dλ 0,5967 nm breit muss das Gitter mindestens sein, wenn in der ers-
ten Ordnung gemessen werden soll? b) Welches Auflö-
Das genannte Gitter kann also mehr als hundert mal
sungsvermögen hat dieses Gitter, wenn es in der dritten
feinere Wellenlängendifferenzen auflösen. Der nutz-
Ordnung benutzt wird?
bare Wellenlängenbereich ist Δλ = λ = 589 nm.

Ü 6.4-17 Welche Basisbreite muss ein Prisma mindes-


Ist ein Spektrum mit einem großen Wellenlän- tens haben, damit man mit ihm die beiden Na-D-Linien
genbereich zu untersuchen, muss eine Vorzer- auflösen kann? Das Prisma aus Flintglas F3 hat bei
legung des Spektrum beispielsweise mithilfe λ = 589 nm die Dispersion dn/ dλ = −8,5 · 104 m−1 .
eines Prismenmonochromators durchgeführt
werden, der in Abb. 6.100 schematisch darge- 6.4.1.8 Röntgenbeugung an Kristallgittern
stellt ist. Die Trennung benachbarter Wellen- Die Röntgenbeugung an Raumgittern ist von
längen (ausgezogene und gestrichelte Strah- besonderer Wichtigkeit bei der Untersuchung
len) hängt ab von der Basislänge B des Pris- der Kristallstruktur fester Körper. Zur Herlei-
mas sowie von der Dispersion dn/ dλ des Gla- tung der wesentlichen Beziehungen sei als ers-
ses. Das Auflösungsvermögen eines Prismas tes die Beugung einer Lichtwelle an einer linea-
beträgt (ohne Beweisführung an dieser Stelle) ren Punktreihe nach Abb. 6.101a betrachtet.
Parallele Strahlen sollen unter dem Glanzwin-

λ dn kel α0 gegen die x-Achse auf die Punktreihe
= B . (6.127)
dλ dλ fallen. Die an den einzelnen Punkten gestreu-
ten Lichtwellen interferieren konstruktiv mit-
einander, wenn der Gangunterschied zwischen
Im Allgemeinen haben Gitterspektrometer zwei benachbarten Strahlen ein ganzes Vielfa-
ein höheres Auflösungsvermögen als Pris- ches der Wellenlänge beträgt. Aus Abb. 6.101a
menspektrometer. Letztere haben aber keine folgt sofort, dass Interferenzmaxima auftreten
Begrenzung im nutzbaren Wellenlängenbe- für die Winkel α gegen die x-Achse, für die gilt
reich.

Zur Übung a (cos α − cos α0 ) = h λ (6.128)


Ü6.4-15 Auf ein Echelette-Gitter mit 450 Strichen/mm
fällt das Licht eines HeNe-Lasers mit λ = 633 nm unter
mit der Ordnungszahl h = 0, 1, 2, … Diese
Gleichung ist physikalisch gleichwertig
mit (6.122). Wegen der Symmetrie liegen
die Intensitätsmaxima der verschiedenen
Ordnungen h auf Kegeln um die x-Achse
mit halbem Öffnungswinkel α (Abb. 6.101b).
Abb. 6.100 Schema eines Prismenspektrometers Bei Fraunhofer’scher Betrachtung wird das
6.4 Wellenoptik 571

Abb. 6.101 Beugung an einer Punktreihe. a) Zur


Ableitung der Bedingung für konstruktive Interferenz,
b) Beugungskegel
Abb. 6.102 Beugung am Flächengitter: a) Punktgitter,
b) Beugungsbild hinter einem Kreuzgitter mit
a = 4 μm, b = 10 μm

gebeugte Licht auf einem Bildschirm in großer


Entfernung aufgefangen. Als Schnittkurven mit der Ordnungszahl k = 0, 1, 2, … entspre-
der Kegel mit dem Schirm ergibt sich eine chen. Das Interferenzmuster, das jetzt auf ei-
Hyperbelschar. Bei kleiner Ordnungszahl h ge- nem Schirm entsteht, ist ein System von Punk-
hen die Interferenzlinien in eine Schar nahezu ten, die an den Schnittpunkten von zwei ge-
paralleler Geraden über, sodass man das vom kreuzten Hyperbelscharen liegen. Bei klei-
ebenen Gitter her bekannte Interferenzbild nen Ordnungszahlen h und k entsteht ein
erhält (Abb. 6.95). rechteckiges Punktmuster gemäß dem Foto
Die lineare Punktreihe wird nun nach Abb. 6.102b. Tatsächlich ist dies das Beugungs-
Abb. 6.102a zu einem ebenen Punktgitter bild eines Kreuzgitters (zwei gekreuzte Strich-
erweitert. Lichtstrahlen, die unter den Win- gitter). Nach dem Theorem von Babinet er-
keln α0 und β0 relativ zur x- bzw. y-Achse gibt sich dabei aber dasselbe Interferenzmus-
auftreffen, interferieren konstruktiv, wenn ter (Abschn. 6.4.1.4).
die unter den Winkeln α und β gestreuten Aus dem Flächengitter nach Abb. 6.102a wird
Strahlen außer (6.128) noch dem Ausdruck ein Raumgitter, wenn gleichartige Flächengit-
ter in der dritten Dimension übereinander
b (cos β − cos β0 ) = k λ gestapelt werden. Der Abstand gleichartiger
572 6 Optik

Netzebenen in der z-Richtung sei c. Lichtstrah-


len sollen unter den Winkeln α0 , β0 und γ0 ge-
gen die x-, y- bzw. z-Achse auftreffen. Inter-
ferenzmaxima werden beobachtet unter den
Winkeln α, β und γ gegen die Achsen, die dem
Gleichungssystem

a (cos α − cos α0 ) = h λ ,
b (cos β − cos β0 ) = k λ ,
c (cos γ − cos γ0 ) = l λ (6.129)

Abb. 6.103 Laue-Aufnahme eines Kupfer-Einkristalls


in (100)-Orientierung. Die vierzählige Symmetrie des
mit ganzzahligen Ordnungszahlen h, k, l ent- kubisches Kristalls spiegelt sich im Beugungsbild
sprechen. Für eine beliebige, aber feste Wel- wider. Foto: Max-Planck-Institut für Metallforschung,
lenlänge sind diese Laue-Gleichungen im All- Stuttgart
gemeinen nicht zu erfüllen. Bestrahlt man das
Raumgitter aber mit weißem Licht, dann kön-
nen mit verschiedenen Wellenlängen die Laue-
Gleichungen für einige Winkel α, β und γ er- natur der Röntgenstrahlen sowie die Raum-
füllt werden. gitterstruktur der Kristalle bewiesen werden
Ideale dreidimensionale Gitter sind die Kris- konnten.
tallgitter der Festkörper. Nach einem Vor- Eine einfachere Erklärung der Beugung von
schlag von M. v. Laue (1879 bis 1960) zeig- Röntgenstrahlen an Kristallgittern stammt
ten Friedrich und Knipping 1912, dass Beu- von W. H. Bragg (1862 bis 1942) und Sohn
gung von Röntgenstrahlung an Kristallgittern W. L. Bragg(1890 bis 1971). Danach kann
möglich ist. (Sichtbares Licht wird an Kristal- die Röntgenbeugung an Kristallen auf die
len nicht gebeugt, weil die Wellenlänge viel Reflexion von Röntgenstrahlen an den ver-
zu groß ist im Vergleich zur Gitterkonstan- schiedenen Netzebenen eines Kristalls zurück-
ten.) Zur Herstellung einer Laue-Aufnahme geführt werden. Jeder Kristall ist von einer
wird auf einen Kristall ,,weiße“ Röntgenstrah- großen Anzahl von Netzebenen durchzogen,
lung gerichtet. Eine Fotoplatte, die hinter dem auf denen die einzelnen Atome angeordnet
Kristall angebracht ist, wird an den Stellen ge- sind, wie Abb. 6.104 zeigt. Der Abstand be-
schwärzt, an denen Beugungsmaxima auftref- nachbarter Netzebenen ist für verschiedene
fen. Abbildung 6.103 zeigt ein solches Laue- Netzebenenscharen unterschiedlich. Fällt
Diagramm. Das Punktmuster spiegelt die Sym- nach Abb. 6.105 ein paralleles Strahlenbündel
metrie des Kristallgitters in Bezug auf die auf einen Kristall, dann werden die einzelnen
Durchstrahlungsrichtung wider. Mit Hilfe von Röntgenstrahlen an verschiedenen Netzebe-
Laue-Aufnahmen werden Kristalle orientiert, nen reflektiert. Konstruktive Interferenz liegt
wenn sie z. B. in bestimmten Richtungen ge- vor, wenn der Gangunterschied benachbarter
schnitten werden sollen. reflektierter Strahlen ein ganzes Vielfaches der
Historisch ist die Laue-Beugung deshalb so Wellenlänge beträgt, d. h., wenn die Bragg’sche
bedeutend, weil damit zugleich die Wellen- Bedingung
6.4 Wellenoptik 573

Abb. 6.106 Schema eines Drehkristall-Spektrometers

tem Netzebenenabstand d die Wellenlänge der


Abb. 6.104 Netzebenen eines Kristalls Röntgenstrahlung bestimmt werden.

Beispiel
6.4-7 Die Strahlung einer Röntgenröhre mit Mo-
lybdänanode fällt auf einen LiF-Kristall mit 2 d =
4,027 · 10−10 m. Wie groß ist die Wellenlänge der Rönt-
genstrahlung, wenn der Reflex erster Ordnung unter
dem Glanzwinkel Θ = 10,15 ◦ auftritt?

Abb. 6.105 Reflexion von Röntgenstrahlen an einer Lösung


Netzebenenschar Nach (6.130) gilt

λ = 2d sinΘ = 4,027 · 10−10 m · sin 10,15◦


= 7,1 · 10−11 m = 71 pm .
2 d sinΘ = m λ (6.130)
Eine für die Praxis sehr wichtige Methode zur
Bestimmung von Netzebenenabständen und
mit der Ordnungszahl m = 0, 1, 2, … erfüllt ist; damit zur Strukturanalyse ist das Pulverver-
d ist der Abstand benachbarter Netzebenen, fahren nach Debye-Scherrer. Hierbei werden
Θ der Glanzwinkel. Die Bragg’sche Bedingung keine großen Einkristalle benötigt, sondern
ist den Laue’schen Gleichungen (6.129) äquiva- viele kleine Kristallite. Dazu wird das Mate-
lent. Nur wenn weißes Licht auf einen Kristall rial meist pulverisiert und zu einem kleinen
fällt, können die Reflexe an den verschiedenen Stäbchen gepresst. Fällt ein monochromati-
Netzebenenscharen zugleich beobachtet wer- scher Röntgenstrahl R nach Abb. 6.107a auf
den. das Stäbchen P, wird die Röntgenstrahlung an
Trifft monochromatische Röntgenstrahlung den willkürlich orientierten Netzebenen der
auf einen Kristall, dann werden nach der regellos verteilten Kriställchen gebeugt. Genü-
Bragg’schen Bedingung Reflexe nur beob- gend viele Netzebenen schließen mit dem Pri-
achtet, wenn der Glanzwinkel Θ ganz be- märstrahl einen Winkel Θ ein, der die Brag-
stimmte Werte annimmt. Beim Drehkristall- g’sche Bedingung (6.130) befriedigt. Die ab-
Spektrometer nach Bragg entsprechend gebeugten Röntgenstrahlen liegen auf Kegel-
Abb. 6.106 fällt Röntgenstrahlung durch einen mänteln um den Primärstrahl und schwärzen
Spalt S auf einen Einkristall K, der langsam einen Film F, der konzentrisch um das Stäb-
gedreht wird. Ein Röntgendetektor D dreht chen gelegt ist. Aus der Lage der Linien auf
sich mit doppelter Winkelgeschwindigkeit dem Film (Abb. 6.107b) lassen sich die Netze-
mit. Registriert der Detektor beim Winkel Θ benenabstände und damit die Kristallstruktur
einen Röntgenreflex, dann kann bei bekann- bestimmen.
574 6 Optik

Abb. 6.107 Pulvermethode nach Debye-Scherrer: a) Debye-Scherrer-Kamera (schematisch), b) Debye-


Scherrer-Aufnahme einer Palladium-Silicium-Legierung (fotografisches Positiv). Foto: Max-Planck-Institut für
Metallforschung, Stuttgart

Zur Übung Betrachtung des Gegenstands selbst. Steht z. B.


Ü6.4-18 Ein kubischer Kristall mit a = b = c = 0,3 nm im Vordergrund des Bildes ein Hindernis, so
wird in z-Richtung mit Röntgenstrahlen bestrahlt, kann man durch Bewegen des Kopfes um das
a) Welche Wellenlänge muss die Strahlung haben, da-
Hindernis herum schauen wie beim realen Ob-
mit ein (1, 1, −1)-Reflex, d. h. h = k = 1, l = −1, auftritt?
b) In welchen Richtungen sind Beugungsmaxima be-
jekt. Die Holografie wurde von D. Gabor (1900
obachtbar? bis 1979) 1948 entwickelt, ist aber praktisch
erst nutzbar, seit mit dem Laser eine intensive
Ü6.4-19 Der Abstand benachbarter (100)-Netzebenen kohärente Lichtquelle zur Verfügung steht.
in NaCl beträgt d = 0,28 nm. Unter welchen Glanz- Wird ein Gegenstand mit einer kohärenten
winkeln treten die ersten drei Beugungsordnungen Lichtquelle beleuchtet, dann sendet jeder be-
auf, wenn Röntgenstrahlung der Wellenlänge λ =
strahlte Punkt des Objekts Huygens’sche Ele-
7,1 · 10−11 m auf einen Einkristall fällt?
mentarwellen aus, deren Gesamtheit die vom
Ü 6.4-20 Der Abstand zwischen (100)-Ebenen des Ei- Objekt abgestrahlte Welle ergibt. Die Wellen-
sens beträgt d = 2,8 · 10−10 m. Eisenpulver wird in front dieser Welle enthält alle Informationen
einer Debye-Scherrer-Kammer mit Röntgenstrahlung über das Objekt, sodass es nach Gabor möglich
der Wellenlänge λ = 1,54 · 10−10 m bestrahlt. a) Wie sein sollte, rückwärts aus der Form der Wellen-
groß sind die Winkel zwischen dem Primärstrahl und
front die Form des Objekts zu rekonstruieren.
den gestreuten Strahlen der ersten zwei Beugungsord-
nungen? b) Welches ist die größte beobachtbare Beu-
Zum besseren Verständnis diene folgendes Ge-
gungsordnung? dankenexperiment: Wirft man eine Handvoll
Steine ins Wasser, so hängt die sich ausbrei-
6.4.1.9 Holografie tende Wellenfront von den Amplituden (Größe
Die Holografie ist eine Methode, mit der man der Steine) und Phasenlagen (Zeitpunkt des
räumliche Bilder von Gegenständen erzeugen Eintauchens) aller Elementarwellen ab. Ändert
kann. Der Raumeindruck ist so echt wie bei der sich Amplitude oder Phase auch nur einer Ele-
6.4 Wellenoptik 575

Abb. 6.108 Prinzip der Holografie. a) Überlagerung einer Kugelwelle des Punktes P mit einer ebenen
Referenzwelle, b) Hologramm (Fresnel’sches Zonensystem), c) Wiedergabe des Bildes

mentarwelle, dann ändert sich auch die Form Zonensystem gemäß Abb. 6.108b als Interfe-
der resultierenden Wellenfront. renzmuster. Zur Wiedergabe des Bildes wird
Bei der gewöhnlichen Fotografie geht der nach Abb. 6.108c das entwickelte Hologramm
räumliche Eindruck verloren, weil die Schwär- H nur noch mit der Referenzwelle beleuchtet.
zung des Films nur von der Intensität (Ampli- Das Hologramm wirkt wie ein Strichgitter, an
tudenquadrat) der Lichtwelle abhängt, nicht dem die Referenzwelle gebeugt wird. (Die ab-
aber von ihrer Phase. Die Information, die in rupten Übergänge zwischen undurchsichtigen
der Phasenlage steckt, geht verloren. Bei der und transparenten Stellen sind in Wirklichkeit
Holografie wird diese Information dadurch stetig.) Ein Teil der gebeugten Strahlen trifft
konserviert, dass die Welle, die vom Objekt sich im reellen Bildpunkt Pr , der andere Teil
ausgeht, mit einer sog. Referenzwelle zur Inter- divergiert und scheint aus dem virtuellen
ferenz gebracht wird. Das auf einer Fotoplatte Bildpunkt Pv zu kommen. Damit wurde ein
registrierte Interferenzmuster enthält dann Bild des Gegenstands entworfen. Erwäh-
Informationen über Amplitude und Phase der nenswert ist, dass eine Zonenplatte parallele
Wellen. Lichtstrahlen bündelt wie eine Sammellinse;
Das Prinzip sei zunächst anhand von man nennt sie deshalb auch Zonenlinse.
Abb. 6.108 demonstriert. In Abb. 6.108a ist Bei der Aufnahme eines Hologramms eines
eine kugelförmige Objektwelle, die von einem ausgedehnten Objekts O wird nach Abb. 6.109a
Objektpunkt P ausgeht, mit einer ebenen Refe- ein Laserstrahl L in zwei Teilstrahlen zerlegt,
renzwelle gleicher Wellenlänge zur Interferenz von denen einer das Objekt beleuchtet, der an-
gebracht. Orte gleicher Phase (Verstärkung) dere (rot) als Referenzstrahl verwendet wird.
der Wellen sind als ausgezogene Linien ge- Die einzelnen Objektpunkte senden Kugelwel-
zeichnet, Orte mit entgegengesetzter Phase len aus, sodass auf der Fotoplatte F ein kom-
(Auslöschung) sind gestrichelt dargestellt. Ein pliziertes Interferenzmuster entsteht. Nach der
Film F wird an den Stellen maximaler Ampli- Entwicklung hat das Hologramm etwa das
tude geschwärzt; es entsteht das Fresnel’sche Aussehen eines Gewirrs von Fingerabdrücken.
576 6 Optik

Abb. 6.110 Reflexion von weißem Licht an den


Schwärzungsebenen eines Weißlichthologramms

vorn, die Referenzwelle von hinten auf die Fo-


toplatte. Dadurch bilden sich stehende Wel-
len aus, die gemäß Abb. 6.110 im Abstand λ/ 2
die Fotoplatte schwärzen. Bei dicker Emulsion
erhält man damit mehrere praktisch parallel
übereinander liegende Hologramme. Die Be-
trachtung des Hologramms erfolgt in Refle-
xion. Weißes Licht fällt auf die verschiedenen
einzelnen Hologramme und wird an ihnen re-
flektiert wie an den Netzebenen eines Kris-
talls. Nach der Bragg’schen Gleichung (6.130)
wird nur einfarbiges Licht reflektiert. Je nach
Blickrichtung erscheint das Bild in einer ande-
ren Farbe. Verwendet man bei der Aufnahme
drei Laser mit den Farben rot, grün und blau,
Abb. 6.109 Holografie-Apparatur,
schematisch: a) Aufnahme,
so werden in verschiedenen Tiefen der Emul-
b) Wiedergabe sion Hologramme für rotes, grünes bzw. blaues
Licht erzeugt. Bei Betrachtung dieses Farbho-
logramms mit weißem Licht entsteht durch ad-
Von der Form des Objekts ist nichts zu erken- ditive Farbmischung ein farbiges Bild des Ge-
nen. Zur Bildwiedergabe stellt man das Holo- genstands.
gramm H nach Abb. 6.109b an seine alte Stelle
und beleuchtet es mit der Referenzwelle. Für Anwendungen
das Auge A entsteht dann ein dreidimensiona- Einen Überblick über die wichtigsten techni-
les Bild B an der Stelle, wo vorher das Objekt schen Anwendungen der Holografie zeigt Ta-
stand. belle 6.11.
Für die Wiedergabe des Bildes ist in der Re- Für die Speicherung von Informationen sind
gel derselbe Laser wie bei der Aufnahme er- Hologramme besonders gut geeignet, weil in
forderlich. Ein Weißlichthologramm kann da- jedem Punkt des Hologramms die Informa-
gegen auch mit weißem Licht betrachtet wer- tion vom ganzen Objekt steckt. Dies bedeutet
den. Bei der Aufnahme eines Weißlichtholo- praktisch, dass selbst ein Teilstück eines zer-
gramms fällt die Gegenstandswelle z. B. von brochenen Hologramms bei der Rekonstruk-
6.4 Wellenoptik 577

Tabelle 6.11 Technische Anwendungen der Holografie

Speicherung von holografische Interferenzholografie Herstellung optischer


Informationen Korrelation Bauteile

Archivierung von Vergleich eines Werk- Zerstörungsfreie Werk- Ersatz von lichtbre-
– dreidimensionalen stückes mit einem holo- stoffprüfung, Vermessen chenden optischen
Bildern, z. B. Werk- grafisch fixierten Mus- von Bewegungen und Bauteilen wie Linsen,
stücke, Modelle, ter, automatische Form- Verformungen aufgrund Spiegel, Prismen,
Kunstwerke, erkennung, Erkennung mechanischer oder ther- Strahlteiler durch
– zweidimensionalen von Formfehlern an mischer Belastung, Hologramme.
Bildern, wie Ätzmas- Werkstücken und Werk- Schwingungsanalyse Holografische Her-
ken für Halbleiter- zeugen. stellung von Beugungs-
fertigung, digitale gittern.
optische Datenspei-
cher.

tion wieder das gesamte dreidimensionale Bild Weicht die Form des Prüflings vom Muster
liefert (allerdings konstrastärmer als das Bild ab, so wird ein abweichender Fotostrom re-
eines vollständigen Hologramms). Ein Holo- gistriert, dessen Abweichung vom Sollwert
gramm ist daher ein gegen Informationsver- ein Maß für den Formfehler des Objektes ist.
lust geschützter Speicher. Hat man digitale Da- Dieses Prüfverfahren ist kaum zeitaufwändig
ten in Form von ebenen Punktmustern vorlie- und kann automatisiert werden.
gen, dann kann man auf einem Hologramm Die Interferenzholografie ist eine wichtige
mehrere hundert Vorlagen abspeichern. Dazu Methode in der zerstörungsfreien Werkstoff-
wird nach jeder Aufnahme das Hologramm prüfung, der Verformungs- und Schwin-
um einen definierten Winkel gedreht (Winkel- gungsanalyse von Bauteilen. Bewegungen
kodierung). Bei der Wiedergabe kann je nach oder Verformungen aufgrund mechanischer
Winkel zwischen Hologramm und Referenz- oder thermischer Belastungen werden durch
welle ein bestimmtes Teilbild ausgelesen wer- Interferenzstreifen sichtbar. Es sind meh-
den. Man rechnet mit einer Speicherkapazität rere Methoden in der Praxis gebräuchlich.
von 1011 bis 1012 bit auf einem Hologramm. Beim Doppelbelichtungsverfahren werden
Bei der holografischen Korrelation wird zu- hintereinander zwei Hologramme des Ob-
nächst von einem Muster ein Hologramm jekts auf einer Fotoplatte aufgenommen. Hat
aufgenommen. Bei der Wiedergabe sitzt ein sich der Gegenstand zwischen den beiden
Bauteil, das mit dem Muster verglichen wer- Aufnahmen verformt, dann ist sein Bild mit
den soll, an der Stelle des Objekts. Beleuchtet Interferenzlinien überzogen, aus denen der
man das Hologramm nur noch mit der Ob- Grad der Verformung abgelesen werden kann.
jektwelle (Referenzwelle ausgeschaltet), dann Beim Echtzeitverfahren wird nur ein Holo-
wird durch Beugung der Objektwelle am gramm eines Objektes aufgenommen. Bei
Hologramm die Referenzwelle rekonstruiert, der Betrachtung wird das Objekt selbst nicht
die auf einen Fotodetektor fokussiert werden entfernt. Dadurch kommt es zur Interferenz
kann. Dies gelingt ideal, wenn die beiden zwischen dem Bild des Hologramms und dem
zu vergleichenden Bauteile formgleich sind. Objekt selbst. Man kann nun das Objekt z. B.
578 6 Optik

Ü 6.4-22 Die Zonenplatte von Ü 6.4-21 wird mit einem


Kr-Laser der Wellenlänge λ = 647,1 nm beleuchtet. In
welchem Abstand von der Zonenplatte entsteht das
Bild?

6.4.2 Polarisation des Lichtes

6.4.2.1 Einführung
Durch die Experimente der Beugung und In-
terferenz wird die Wellennatur des Lichtes be-
wiesen. Die Väter der Wellenlehre, die For-
scher Huygens, Fresnel und Young, dachten da-
bei an eine longitudinale Welle, bei der sich ein
bestimmter Zustand in einem „Äther“ ausbrei-
Abb. 6.111 Interferenzholografische Aufnahme der
tet, analog zu den Schallwellen in Gasen. Durch
Bremsklappe eines Flugzeugs. Die Interferenzlinien
zeigen die Verformung des aus CFK bestehenden einen Zufall fand E. L. Malus (1775 bis 1812)
Bauteils bei Erwärmung. Werkfoto: Dornier GmbH, im Jahr 1808, dass Licht eine „Seitlichkeit“ auf-
Friedrichshafen weist. Er blickte durch ein Kalkspatprisma auf
ein Fenster, in dem sich das Sonnenlicht spie-
gelte. Durch Drehen des Prismas veränderte
durch mechanische Belastung deformieren sich die Helligkeit; unter einem bestimmten
und die Formänderung in Echtzeit beobach- Blickwinkel wurde gar kein Licht vom Prisma
ten. Die Zeitmittelholografie ist eine Methode durchgelassen. Malus zog daraus den Schluss,
zur Schwingungsanalyse. Hierbei wählt man dass das Licht bei der Reflexion am Fensterglas
zur Belichtung des Hologramms eine Zeit, seinen natürlichen Charakter verlor, es wurde
die groß ist gegen die Schwingungsdauer. polarisiert.
Dadurch entstehen helle Knotenlinien und Seit Maxwell weiß man, dass Licht eine trans-
dunkle Schwingungsbäuche. Abbildung 6.111 versale elektromagnetische Welle ist, bei der
zeigt eine Doppelbelichtungsaufnahme eines sich ein elektrisches und magnetisches Feld,
Bauteils, das sich infolge Erwärmung verformt charakterisiert durch die elektrische und
hat. magnetische Feldstärke E und H, mit Lichtge-
Mithilfe von Hologrammen können optische schwindigkeit ausbreitet. Abbildung 5.50 zeigt
Bauteile ersetzt werden, die zum Teil sehr ar- ein Momentbild einer ebenen elektromagneti-
beitsintensiv aus Glas gefertigt werden. Ein schen Welle. Die Feldvektoren E und H stehen
Beispiel ist die fokussierende Wirkung der Zo- senkrecht aufeinander und schwingen gleich-
nenplatte in Abb. 6.108c. phasig. Natürliches Licht besteht aus kurzen
Wellenzügen, die völlig regellos mit willkür-
Zur Übung
lichen Schwingungsrichtungen ausgestrahlt
Ü 6.4-21 Welche Radien haben die Kreisringe ma-
werden (Abschn. 6.4.1.1). Da im zeitlichen
ximaler Schwärzung der Fresnel’schen Zonenplatte
nach Abb. 6.108b, wenn die Entfernung des Punktes P Mittel jede Schwingungsrichtung vorkommt,
vom Film s = 50 cm und die Wellenlänge des Lasers ist senkrecht zur Ausbreitungsrichtung keine
λ = 633 nm beträgt? Richtung ausgezeichnet.
6.4 Wellenoptik 579

Natürliches Licht kann mithilfe eines Po- Stehen Polarisator und Analysator gekreuzt
larisators (Abschn. 6.4.2.2) polarisiert wer- (ϕ = 90◦ ), dann lässt der Analysator kein Licht
den. Abbildung 6.112 zeigt eine solche li- durch.
near polarisierte Welle. Der E-Vektor des Abbildung 6.113 zeigt zwei Lichtwellen, bei de-
Lichts schwingt in der Schwingungsebene, nen die elektrischen Feldvektoren E in zwei
die durch den Polarisator P vorgegeben zueinander senkrechten Ebenen schwingen.
wird. Senkrecht zu dieser Ebene schwingt Sind die Amplituden E gleich groß und beträgt
der H-Vektor (nicht gezeichnet) in der Po- der Gangunterschied der Wellen λ/ 4 (Phasen-
larisationsebene. Um nachzuweisen, dass differenz π/ 2), dann läuft der resultierende
das natürliche Licht durch den Polarisator Feldvektor auf einer Schraubenlinie um die
linear polarisiert wurde, schickt man das z-Achse. Licht dieser Art nennt man zirku-
Licht durch einen Analysator A, der wie der lar polarisiert. In Abb. 6.113 handelt es sich
Polarisator aufgebaut ist. Ist die Analysa- um eine rechts zirkulare Polarisation; hierbei
torrichtung um den Winkel ϕ gegenüber läuft der E-Vektor auf einer Rechtsschraube.
der Schwingungsrichtung verdreht, dann Trifft diese rechts zirkular polarisierte Welle
wird vom elektrischen Feldvektor E nur die auf einen Analysator A, dann läuft der E-
Projektion E cos ϕ vom Analysator durch- Vektor, wenn man der Welle entgegenblickt,
gelassen. (Hinter dem Analysator schwingt im Uhrzeigersinn auf einem Kreis. Dies be-
das Licht in Richtung der Analysatorachse.) deutet, dass im zeitlichen Mittel zirkular pola-
Das Gesetz von Malus beschreibt den Zusam- risiertes Licht durch einen einfachen Analysa-
menhang zwischen den Intensitäten I0 und I tor nicht ausgelöscht werden kann. Dazu muss
vor und hinter dem Analysator sowie dem erst mithilfe eines λ/ 4-Plättchens der Gang-
Winkel ϕ: unterschied zwischen den beiden Teilwellen
rückgängig gemacht werden, sodass man wie-
der linear polarisiertes Licht erhält, das durch
I = I0 cos2 ϕ . (6.131)
einen quer stehenden Analysator ausgelöscht
werden kann.
Sind bei der Überlagerung von zwei senkrecht
zueinander schwingenden Teilwellen entwe-

Abb. 6.112 Linear polarisiertes Licht Abb. 6.113 Zirkular polarisiertes Licht
580 6 Optik

der die Amplituden nicht gleich oder ist der mit n als dem Brechungsindex. Dieses
Gangunterschied von λ/ 4 verschieden, dann Brewster’sche Gesetz (D. Brewster, 1781 bis
läuft der resultierende Feldvektor auf einer el- 1868) liefert für Kronglas mit der Brechzahl
liptischen Schraube; das Licht ist elliptisch po- n = 1,51 den Polarisationswinkel εp = 56,5◦ .
larisiert. Zur Erklärung des Brewster’schen Gesetzes
Durch Interferenzversuche stellt man fest, wird in Abb. 6.114 ein beliebiger E-Vektor
dass senkrecht zueinander polarisierte Wellen des einfallenden natürlichen Lichtes in zwei
nicht miteinander interferieren; die Intensitä- Komponenten zerlegt, wobei E⊥ senkrecht zur
ten addieren sich einfach. Einfallsebene, E parallel zur Einfallsebene
schwingt. Die ins Glas eindringende elektro-
6.4.2.2 Erzeugung von polarisiertem Licht magnetische Welle regt die Elektronen des
Glases zu erzwungenen Schwingungen an, die
Reflexion und Brechung dann ihrerseits nach den Maxwell’schen Glei-
Natürliches Licht, das auf eine Glasoberflä- chungen elektromagnetische Wellen abstrah-
che fällt, ist nach der Reflexion teilweise po- len. Die Abstrahlcharakteristik ist wie bei ei-
larisiert, und zwar so, dass E-Vektoren, die ner linearen Antenne so geartet, dass in der
senkrecht zur Einfallsebene schwingen, do- Schwingungsrichtung nichts abgestrahlt wird
minieren. Das reflektierte Licht ist vollstän- (Abb. 6.114b), während senkrecht zur Schwin-
dig polarisiert, wenn der Einfallswinkel so ge- gungsrichtung die Abstrahlung maximal ist
wählt wird, dass der reflektierte und der ge- (Abb. 6.114a).
brochene Strahl aufeinander senkrecht stehen. Der gebrochene Strahl enthält vorwiegend
Die Schwingungsrichtung ist dabei senkrecht Feldvektoren, die in der Einfallsebene schwin-
zur Einfallsebene. Nach Abb. 6.114 ist der er- gen. Lässt man einen Lichtstrahl unter dem
forderliche Einfallswinkel εp , der als Polarisati- Brewster’schen Winkel auf einen Stapel von
onswinkel oder Brewster’scher Winkel bezeich- Glasplatten fallen, dann ist das durchge-
net wird, aus dem Brechungsgesetz ableitbar: hende Licht praktisch vollständig parallel zur
Einfallsebene polarisiert.
sin εp = n sin (90◦ − εp ) = n cos εp oder

Doppelbrechung
Blickt man durch einen isländischen Kalkspat
tan εp =n (6.132) (CaCO3 ) auf ein beschriebenes Papier, dann
erscheint die Schrift doppelt, wie Abb. 6.115
zeigt. Dieser Effekt der Doppelbrechung ist
auf die anisotropen optischen Eigenschaften
des Kristalls zurückzuführen. (Anisotropie
bedeutet, dass physikalische Eigenschaf-
ten von Stoffen, besonders von Kristallen,
richtungsabhängig sind.) Der Kalkspat lässt
sich leicht spalten; hierbei nehmen seine
Spaltflächen die Form eines Rhomboeders
Abb. 6.114 Zum Brewster’schen Gesetz: an. Das in Abb. 6.116 gezeichnete regelmä-
a) Schwingungsrichtung senkrecht zur Einfallsebene, ßige Rhomboeder hat als Spaltflächen sechs
b) Schwingungsrichtung in der Einfallsebene Rhomben (Rauten), bei denen jeweils zwei
6.4 Wellenoptik 581

Abb. 6.118 Wellenflächen in einachsigen Kristallen. a)


negativer Kristall (z. B. Kalkspat) b) positiver Kristall
(z. B. Quarz)

Abb. 6.115 Doppelbrechender Kalkspat nete Ebene, die sowohl den Lichtstrahl als
auch die optische Achse enthält, wird Haupt-
schnitt genannt. Es zeigt sich, dass der Licht-
strahl in zwei Teilstrahlen aufspaltet. Der or-
dentliche Strahl o geht ungebrochen durch die
Grenzfläche, wie man es von den Gläsern ge-
wohnt ist. Der außerordentliche Strahl e (ex-
traordinär) wird seitlich abgelenkt. Eine Un-
tersuchung mit Hilfe eines Analysators zeigt,
Abb. 6.116 Optische Achse eines Kalkspats dass die beiden Strahlen senkrecht zueinan-
der polarisiert sind. Beim ordentlichen Strahl
gegenüberliegende Winkel 102◦ bzw. 78◦ liegt die Schwingungsrichtung senkrecht zum
betragen. Die strichpunktierte Achse geht Hauptschnitt, beim außerordentlichen liegt sie
durch zwei gegenüberliegende Ecken, an im Hauptschnitt.
denen drei 102◦ -Winkel zusammenstoßen. Die Geschwindigkeit, mit der sich ordentliche
Sie wird kristallografische Hauptachse oder Strahlen ausbreiten, ist in jeder Raumrichtung
optische Achse genannt. Sie ist eine dreizählige gleich. Wellenflächen von Elementarwellen
Symmetrieachse des Kristalls. sind daher Kugeln. Bei außerordentlichen
In Abb. 6.117 fällt ein Strahl senkrecht auf Strahlen ist die Lichtgeschwindigkeit rich-
eine Spaltfläche eines Kalkspats. Die gezeich- tungsabhängig. Wellenflächen sind in diesem
Fall Rotationsellipsoide, wie sie in Abb. 6.118
dargestellt sind. In Richtung der optischen
Achse ist die Ausbreitungsgeschwindigkeit
für beide Polarisationsrichtungen gleich.
Senkrecht dazu ergeben sich die größten
Abweichungen. In negativen Kristallen ist die
Lichtgeschwindigkeit des außerordentlichen
Strahls größer, in positiven kleiner als die
des ordentlichen Strahls. Quantitativ wird
dies beschrieben durch zwei verschiedene
Abb. 6.117 Strahlenverlauf im Hauptschnitt eines Brechungsindizes; Tabelle 6.12 enthält einige
Kalkspats Zahlenwerte.
582 6 Optik

Tabelle 6.12 Brechzahlen einachsiger Kristalle für der senkrecht polarisierte Teilstrahlen zerlegt
gelbes Natrium-Licht (Wellenlänge λ = 589 nm) wird, kann man nutzen, um Polarisatoren her-
zustellen. Durch eine geeignete Anordnung ist
Substanz no ne ne − no Bezeich- dafür zu sorgen, dass ordentlicher und außer-
nung
ordentlicher Strahl voneinander getrennt wer-
Kalkspat 1,6584 1,4864 −0,1720 negativ den. Es wurden verschiedene Polarisations-
Turmalin 1,6425 1,6220 −0,0205 prismen konstruiert, die diese Aufgabe erfül-
Quarz 1,5442 1,5533 +0,0091 positiv len. W. Nicol (1768 bis 1851) entwickelte 1828
Rutil 2,6158 2,9029 +0,2871 das erste brauchbare Prisma. Am häufigsten
wird heute das in Abb. 6.120 gezeigte Prisma
von P. Glan (1877) und S. P. Thompson (1883)
Abbildung 6.119 zeigt das Zustandekommen benutzt. Bei diesem Kalkspatprisma steht die
der verschiedenen Laufrichtungen im Kris- optische Achse senkrecht zur Zeichenebene.
tall. An den Auftreffstellen der einfallenden Das Prisma wird diagonal durchgeschnitten
Strahlen werden Huygens’sche Elementarwel- und anschließend wieder z. B. mit Kanadabal-
len ausgesandt (Abschn. 5.2.4.3). Als Einhül- sam verkittet. Treffen die einfallenden Strahlen
lende der Kugeln bzw. Ellipsoide ergeben sich an die verkittete Grenzfläche, dann wird der
zwei verschiedene Wellenfronten und damit ordentliche Strahl total reflektiert, denn der
ein Auseinanderlaufen der ordentlichen und Brechungsindex n = 1,542 von Kanadabalsam
außerordentlichen Strahlen. ist kleiner als der Brechungsindex von Kalk-
Die Tatsache, dass natürliches Licht in einem spat für den ordentlichen Strahl. An der ge-
doppelbrechenden Kristall in zwei zueinan- schwärzten Seitenwand des Prismas wird der
ordentliche Strahl absorbiert, während der au-
ßerordentliche das Prisma verlässt.
Bei einem Kalkspat, in den das Licht senkrecht
zur optischen Achse eintritt (wie beim Glan-
Thompson-Prisma), findet keine Aufspaltung
der beiden Teilstrahlen statt, wie man sich
leicht anhand von Abb. 6.121 überzeugt.
Da aber die außerordentliche Wellenfront e
schneller fortschreitet als die ordentliche
o, besteht nach Verlassen des Kristalls zwi-
schen den beiden senkrecht zueinander
polarisierten Teilwellen ein Gangunterschied
Δ = d(no − ne ). Dieser Effekt wird ausgenutzt
zur Herstellung von elliptisch oder zirkular

Abb. 6.119 Aufspaltung von Strahlen, die schräg zur


optischen Achse auf einen Kalkspat fallen Abb. 6.120 Glan-Thompson-Prisma
6.4 Wellenoptik 583

len die Verhältnisse etwas komplizierter sind,


gilt das oben Gesagte sinngemäß.

Dichroismus
Einige doppelbrechende Kristalle absorbie-
ren sichtbares Licht (sie sind farbig) in der
Weise, dass das Absorptionsmaximum für
den ordentlichen Strahl bei einer anderen
Wellenlänge liegt als jenes für den außer-
ordentlichen. Beleuchtet man sie mit linear
polarisiertem Licht, so erscheinen sie je
nach Schwingungsrichtung in verschiedenen
Farben (Dichroismus). Ein klassischer Ver-
treter dieser Gruppe ist der grüne Turmalin.
Bestrahlt man eine etwa 1 mm dicke Turma-
linplatte mit natürlichem Licht, dann wird der
Abb. 6.121 Senkrechter Lichteinfall auf einen Kalk-
ordentliche Strahl praktisch vollständig ab-
spat, der parallel zur optischen Achse geschnitten ist sorbiert und nur der außerordentliche verlässt
(geschwächt) den Kristall.
Moderne Polarisationsfolien bestehen aus
polarisiertem Licht. Dazu lässt man linear Kunststoffen, die mit dichroitischen Farb-
polarisiertes Licht, dessen Schwingungsrich- stoffen eingefärbt sind. Eine einheitliche
tung unter 45◦ zur optischen Achse geneigt Ausrichtung der Farbstoffmoleküle wird
ist, auf den Kristall fallen. Der E-Vektor wird erreicht durch mechanische Reckung der
dann im Kristall in zwei gleich große, aufein- Kunststoffe oder durch Ausrichtung in elek-
ander senkrecht stehende Anteile zerlegt. Die trischen oder magnetischen Feldern. Solche
Zusammensetzung der Teilwellen hinter dem Polaroid-Filter sind sehr großflächig herstell-
Kristall ergibt zirkular polarisiertes Licht, bar. Abbildung 6.122 zeigt die Wirkungsweise
falls der Gangunterschied ein ungeradzahliges von zwei Polarisationsfolien. Der erreichbare
Vielfaches von λ/ 4 beträgt, d. h., wenn die Polarisationsgrad liegt meist unter 99%. Für
Beziehung

λ
d (no − ne ) = (2k + 1) (6.133)
4

mit k = 0, 1, 2, … erfüllt ist. Beträgt der Gang-


unterschied Δ = λ/ 2, dann ergibt sich wieder
linear polarisiertes Licht, allerdings hat sich
die Schwingungsebene um 90◦ gedreht. Abb. 6.122 Betrachtung einer Buchseite durch zwei
In der Praxis benutzt man gern Gips- oder Polarisationsfolien.
Glimmerplättchen, die sich dünn spalten las- a) Polarisationsrichtungen parallel,
sen. Obwohl bei diesen zweiachsigen Kristal- b) Polarisationsrichtungen gekreuzt
584 6 Optik

exakte Messungen verwendet man deshalb im Bild dunkle Linien, die Isoklinen, die
auch heute noch Polarisationsprismen. Punkte gleicher Hauptspannungsrichtung
verbinden. Bei Verwendung von weißem
6.4.2.3 Technische Anwendungen Licht entstehen als Isochromaten bezeichnete
der Doppelbrechung farbige Linien. Sie kennzeichnen Orte mit glei-
Substanzen, die von Natur aus nicht doppel- cher Hauptspannungsdifferenz σ1 − σ2 oder
brechend sind, können unter der Wirkung äu- Hauptschubspannung τmax . Abbildung 6.123
ßerer Felder (mechanische Spannungen, elek- zeigt Isochromaten, die an einem Modell
trische und magnetische Felder) akzidentelle aus einem Verbundwerkstoff (GFK, glas-
Doppelbrechung zeigen. faserverstärkter Kunststoff) aufgenommen
wurden.
Spannungsdoppelbrechung Rasch abgekühlte Gläser stehen unter perma-
nenten inneren Spannungen, die man span-
Gläser und Kunststoffe werden infolge me-
nungsoptisch sichtbar machen kann. Linsen
chanischer Spannungen doppelbrechend. So
und Prismen müssen absolut spannungsfrei
vergrößert sich z. B. in einem auf Zug bean-
sein. (Der Brechungsindex darf nicht von der
spruchten Glasstab der Abstand der Atome in
Richtung abhängen.) Sie dürfen daher zwi-
Längsrichtung, wodurch sich der Brechungs-
schen gekreuzten Polarisatoren keine Aufhel-
index vermindert. Quer zur Zugrichtung wird
lung bewirken.
infolge der Querkontraktion der Atomab-
stand reduziert und dementsprechend der
Brechungsindex vergrößert. Der Stab wird Elektromagnetische Lichtschalter
also doppelbrechend wie ein positiv einach- Elektrische und magnetische Felder können
siger Kristall mit der optischen Achse in der in isotropen Substanzen Doppelbrechung her-
Beanspruchungsrichtung. vorrufen. Tabelle 6.13 zeigt eine Zusammen-
Zur experimentellen Untersuchung des ebe- stellung der wichtigsten Effekte. Lichtmodu-
nen Spannungszustands in mechanisch be- latoren oder Lichtschalter, die einen dieser Ef-
lasteten Bauteilen stellt man ein Modell fekte ausnutzen, haben im Prinzip den Aufbau,
des Bauteils aus Kunststoff her. Bringt man
dieses Modell zwischen gekreuzte Polarisa-
tionsfolien, dann wird das an sich schwarze
Gesichtsfeld infolge der Spannungsdoppelbre-
chung aufgehellt. (Das Licht wird elliptisch
polarisiert.) Dabei schwingen ordentlicher
und außerordentlicher Strahl in den Haupt-
spannungsrichtungen. Nach Durchlaufen
des Modells besteht ein Gangunterschied zwi-
schen den Teilstrahlen, der proportional ist zur
Differenz der Hauptspannungen: Δ ∼ σ1 − σ2 .
Abb. 6.123 Isochromaten an einem Modell eines
Alle Orte, bei denen die Hauptspannungsrich-
glasfaserverstärkten Kunststoffs, das senkrecht zu den
tungen mit den Schwingungsrichtungen von Faserachsen auf Zug beansprucht wird. a) Bohrungen
Polarisator und Analysator übereinstimmen, ohne Einlagerungen, b) Einlagerungen mit guter
erscheinen schwarz, da hier kein elliptisches Haftung zur Matrix. Fotos: S. Roth, G. Grüninger,
Licht entsteht. Auf diese Weise entstehen DFVLR Stuttgart
6.4 Wellenoptik 585

Tabelle 6.13 Elektrooptische und magnetooptische Effekte

Kerr-Effekt Pockels-Effekt Cotton-Mouton-Effekt


(J. Kerr, 1875) (F. C. Pockels, 1893) (A. Cotton, H. Mouton,
1907)

Erklärung Optisch isotropes Piezoelektrische Kristalle Flüssigkeiten mit aniso-


Material wird im ohne Symmetriezentrum tropen Molekülen werden
transversalen elektri- werden im elektrischen im transversalen Magnet-
schen Feld doppel- Feld doppelbrechend. feld doppelbrechend.
brechend.
Feldabhängigkeit |no − ne | ∼ E2 |no − ne | ∼ E |no − ne | ∼ H 2
Gangunterschied Δ = λlKE2 ;
K: Kerr- Δ= ln3o r63 E für Δ = λlCH 2 ; C: Cotton-
nach Durchlau- Konstante z. B. longitudinale Zelle; r63 : Mouton’sche Konstante,
fen der Länge l K = 2,48 · 10−12 mV−2 elektrooptische Konstante, z. B. C = 3,181 · 10−14 mA−2
für Nitrobenzol z. B. r63 = 24 · 10−12 mV−1 , für Nitrobenzol bei
bei λ = 589 nm no = 1,5 für KD∗ P λ = 589 nm
Geometrie Elektrisches Feld Feld meist in longitudi- Magnetfeld senkrecht zur
senkrecht zur Aus- naler Richtung, auch Ausbreitungsrichtung des
breitungsrichtung des transversal möglich Lichtes
Lichtes
Materialien Nitrobenzol, Nitro- ADP (Ammoniumdi- Benzol, Toluol, Nitro-
toluol, Schwefelkoh- hydrogenphosphat), benzol
lenstoff, Benzol; KDP (Kaliumdihydro-
in Festkörpern um genphosphat) KD∗ P
eine Zehnerpotenz, (deuteriertes KDP),
in Gasen um drei Lithiumniobat
Zehnerpotenzen
kleinerer Effekt
typische Feld- E ≈ 106 V/m Halbwellenspannung bei H ≈ 107 A/m
stärke für Gang- longitudinaler Zelle mit
unterschied KD∗ P, U ≈ 4 kV
Δ = λ/ 2
Modulations- modulierbar bis etwa modulierbar über 1 GHz langsam
frequenz 200 MHz

der in Abb. 6.124 für eine Pockels-Zelle (W. Po- recht aufeinander stehen, laufen mit verschie-
ckels, 1865 bis 1913) dargestellt ist. Zwischen denen Geschwindigkeiten durch den Kristall,
gekreuzten Polarisatoren P und A ist ein Kris- sodass an dessen Ende zwei Wellen mit einem
tall K angebracht, bei dem z. B. die Stirnsei- Gangunterschied Δ ankommen. Die Überlage-
ten mit einem transparenten Metallfilm über- rung ergibt elliptisch polarisiertes Licht, das
zogen sind. Legt man eine Spannung U und vom Analysator nicht zurückgehalten werden
damit ein elektrisches Feld in longitudinaler kann. Besteht zwischen der ordentlichen und
Richtung an, dann wird der Kristall doppel- der außerordentlichen Welle ein Gangunter-
brechend. Die ordentliche und außerordentli- schied von einer halben Wellenlänge, dann er-
che Welle, deren Schwingungsrichtung senk- gibt die Überlagerung wieder linear polarisier-
586 6 Optik

Glasplatten sind mit einer transparenten


Elektrodenschicht überzogen, die durch eine
besondere Behandlung (Schrägbedampfen,
Reiben) so präpariert ist, dass sich die Mo-
leküle in einer Vorzugsrichtung anlagern.
Sind die Vorzugsrichtungen der beiden Plat-
ten um 90◦ gegeneinander verdreht, dann
ordnen sich die Moleküle schraubenförmig
an, wie Abb. 6.125a zeigt. Strahlt man linear
polarisiertes Licht, dessen Schwingungs-
richtung parallel zur Orientierungsrichtung
Abb. 6.124 Lichtmodulation mit einer Pockels-Zelle der Deckschicht weist, in eine solche ver-
drillte nematische Phase (Twisted Nematic,
tes Licht, das aber gegenüber der Polarisations- TN) der Dicke d, dann läuft die Kompo-
richtung um 90◦ gedreht ist und somit durch nente des elektrischen Feldes in Richtung
den Analysator nicht geschwächt wird. der Moleküllängsachsen langsamer als die
Mit elektrooptischen Zellen lässt sich Licht dazu orthogonale Komponente. Infolge dieser
praktisch trägheitslos schalten. Sie finden Doppelbrechung wird das linear polarisierte
Verwendung bei der Hochgeschwindigkeits- Licht zu elliptischem, das bei richtig dimen-
fotografie, Lichtmodulation beim Tonfilm sionierter Dicke des Flüssigkristalls in der
und Bildfunk, zur Lichtgeschwindigkeits- Tiefe d/2 zu zirkular polarisiertem wird und
messung und als Güteschalter (Q-switch) in schließlich über elliptisches wieder in linear
Riesenimpulslasern. Die magnetooptische polarisiertes übergeht, allerdings mit einer
Doppelbrechung ist von geringem prakti- um 90° gedrehten Schwingungsrichtung. Die
schen Interesse, da der Effekt verhältnismäßig Schwingungsebene wird nicht gedreht, wenn
schwach ausgeprägt ist. zwischen den Elektroden ein elektrisches Feld
liegt (Spannung U = 1,5 V bis 5 V). Dann
richten sich nämlich die Moleküle im Innern
Flüssigkristallanzeigen
der Zelle parallel zum elektrischen Feld aus;
(Liquid Crystal Displays, LCD) beruhen auf
lediglich unmittelbar an den Elektroden bleibt
dem Prinzip der Drehung der Schwingungs-
die Vorzugsrichtung erhalten (Abb. 6.125b).
ebene von polarisiertem Licht. Flüssigkristalle
Abbildung 6.126 zeigt den Aufbau einer Refle-
sind organische Substanzen, die keine Eigen-
xionsanzeige. Umgebungslicht fällt von vorn
gestalt haben, sondern sich wie Flüssigkeiten
einer vorgegebenen Gefäßform anpassen. Sie
bestehen aus langen, stäbchenförmigen Mole-
külen mit starker Nahordnung. So richten sich
z. B. in nematischen Flüssigkristallen die zigar-
renähnlichen Moleküle im Mittel parallel aus
(Abschn. 9.1.6, Abbildung 9.28).
Bei einer Flüssigkristall-Drehzelle nach
Schadt-Helfrich befindet sich in einem 5 μm Abb. 6.125 Prinzip einer Flüssigkristall-Drehzelle
bis 15 μm breiten Raum zwischen zwei Glas- (TN-Zelle), a) spannungslos, b) mit angelegter
platten ein nematischer Flüssigkristall. Die Spannung
6.4 Wellenoptik 587

richtung des polarisierten Lichtes um einen


bestimmten Winkel. Substanzen, die in der
Lage sind, die Schwingungsebene von pola-
risiertem Licht zu drehen, nennt man optisch
aktiv. Außer Quarz zeigen noch andere Kris-
talle, wie z. B. Zinnober, Natriumchlorat und
Kaliumbromat, eine optische Aktivität. Der Ef-
fekt hängt mit der Kristallstruktur zusammen,
denn beim Schmelzen verschwindet er. Tat-
sächlich sind die Siliciumatome des Quarzes
schraubenförmig angeordnet. Hierbei gibt es
Abb. 6.126 Aufbau einer Reflexions-Drehzelle rechts- und linksgängige Schrauben, die eine
Links- bzw. Rechtsdrehung bewirken. (Beim
Rechtsquarz wird die Schwingungsebene im
rechts auf die Zelle und erhält durch den Pola- Uhrzeigersinn gedreht, wenn der Beobachter
risator P1 eine waagrechte Schwingungsrich- dem Lichtstrahl entgegenblickt.) Der Dreh-
tung. Die beiden Glasplatten G sind mit trans- winkel α ist proportional zur Kristalldicke d:
parenten Elektroden versehen, wobei die Elek-
troden der hinteren Zelle aus sieben einzeln
ansteuerbaren Elementen bestehen. Zwischen α = [α] d ; (6.134)
den beiden Glasplatten befindet sich die ver-
drillte nematische Phase, in der die Schwin-
[α] ist das längenbezogene Drehvermögen. Es
gungsrichtung des Lichts um 90◦ gedreht wird.
hängt stark von der Wellenlänge ab (Rotati-
Das Licht durchsetzt den Polarisator P2 , dessen
onsdispersion) und beträgt für Quarz bei λ =
Durchlassrichtung gegenüber P1 um 90◦ ver-
589,3 nm und ϑ = 20 ◦ C [α] = 21,724 ◦ /mm.
dreht ist. Nach der Reflexion am Reflektor R
Die Schwingungsebene von linear polarisier-
dreht sich der Lichtweg um und das reflektierte
tem Licht wird auch in verschiedenen Flüssig-
Licht tritt wieder vorn rechts aus der Zelle aus.
keiten gedreht, wie z. B. in wässrigen Lösungen
Aktiviert man jetzt beispielsweise die Elektro-
von Rohrzucker, Traubenzucker, Weinsäure
den 1, 3, 5, 6 und 7, so erscheint die dunkle Zif-
und Buttersäure. Auch hier beobachtet man
fer 3 auf hellgrauem Hintergrund. Nach ähnli-
sowohl Rechts- als auch Linksdrehung. Die
chem Prinzip lassen sich auch Transmissions-
Drehung wird verursacht durch asymmetrisch
anzeigen konstruieren. Der besondere Vorteil
aufgebaute Moleküle. Am häufigsten tritt die
der LCD-Anzeigen ist der geringe Leistungs-
optische Aktivität auf bei organischen Verbin-
bedarf von nur etwa 5 μW/cm2 .
dungen mit asymmetrischen Kohlenstoffato-
men. Dies sind Kohlenstoffatome, deren vier
6.4.2.4 Optische Aktivität Valenzen durch vier verschiedene Atome oder
Schneidet man eine Quarzplatte senkrecht zur Atomgruppen abgesättigt sind. Bei Lösungen
optischen Achse und strahlt linear polarisier- optisch aktiver Substanzen in inaktiven Lö-
tes Licht parallel zur optischen Achse ein, sungsmitteln (z. B. Wasser) ist der Drehwin-
so entsteht keine Doppelbrechung (ordentli- kel proportional zur Konzentration der Lö-
cher und außerordentlicher Strahl sind gleich sung. Über den gemessenen Drehwinkel kann
schnell), jedoch dreht sich die Schwingungs- man demnach die Konzentration einer Lösung
588 6 Optik

bestimmen. So wird mit einem Saccharime- ist das Verhältnis I3 :I0 , wenn I3 die Intensität hinter
ter beispielsweise die Zuckerkonzentration im dem dritten Polarisator ist?
Harn bestimmt. Auch der Zuckergehalt des
Ü 6.4-25 Welche elektrische Feldstärke ist erforder-
Traubenmostes (Öchslegrade) wird über die
lich, damit in einer mit Nitrobenzol gefüllten l = 4 cm
Drehung der Polarisationsebene gemessen. langen Kerr-Zelle die zwei Teilstrahlen einen Gangun-
Bringt man durchsichtige isotrope Körper in terschied von Δ = λ/ 2 erhalten?
ein Magnetfeld und durchstrahlt sie in Rich-
tung der Feldlinien, dann wird auch in diesem Ü 6.4-26 Zeigen Sie, dass bei einer longitudina-
Fall die Schwingungsebene von linear polari- len Pockels-Zelle die Halbwellenspannung unabhän-
siertem Licht gedreht. Diese Magnetorotation gig ist von der Länge der Zelle. Wie groß ist sie für
λ = 589,3 nm, wenn KD∗ P verwendet wird?
ist als Faraday-Effekt bekannt und wurde 1846
von M. Faraday (1791 bis 1867) entdeckt. Der Ü 6.4-27 Das längenbezogene Drehvermögen [α] von
Drehwinkel α hängt außer von der Dicke d Quarz hängt von der Wellenlänge ab. Folgende Mess-
der Substanz auch von der Magnetfeldstärke H werte liegen vor:
und einer Materialkonstanten V ab:
λ = 656,3 nm: [α] = 17,314 ◦ /mm ,
λ = 486,1 nm: [α] = 32,766 ◦ /mm .
α = V dH . (6.135)
Nach Biot lässt sich die Rotationsdispersion durch die
Gleichung [α] = A/λ2 + B/λ4 beschreiben. Bestimmen
V nennt man die Verdet’sche Konstante. Auch Sie die Konstanten A und B. Wie groß ist das Drehver-
mithilfe des Faraday-Effekts lässt sich Licht mögen für λ = 589,3 nm?
schnell modulieren. Es gibt Modulatoren für
Frequenzen von mehr als 200 MHz. Als ak-
tive Materialien verwendet man ferromagne- 6.5 Quantenoptik
tische Granate seltener Erden, beispielsweise
Ga-dotiertes Yttrium-Eisen-Granat (YIG). Der 6.5.1 Lichtquanten
Drehwinkel hängt nicht linear vom Magnet-
feld ab, sondern zeigt wie die Magnetisierung 6.5.1.1 Lichtelektrischer Effekt
selbst eine starke Feldabhängigkeit mit Sätti- Beleuchtet man eine negativ geladene Metall-
gungsverhalten. Im Bereich der Sättigung ist platte mit kurzwelligem Licht, so entlädt sie
der Drehwinkel typisch 100 ◦ /cm bis 200 ◦ /cm; sich. Dieser lichtelektrische Effekt oder äußere
er zeigt starke Dispersion. YIG ist im sicht- Fotoeffekt wurde 1887 erstmals von W. Hall-
baren Spektralbereich undurchsichtig, jedoch wachs (1859 bis 1922) studiert. Genauere Un-
zwischen λ = 1,2 μm und λ = 5 μm völlig tersuchungen von P. Lenard (1862 bis 1947)
transparent. zeigten, dass infolge der Bestrahlung Elektro-
nen aus dem Metall herausgeschlagen werden.
Zur Übung Die kinetische Energie der wegfliegenden
Ü 6.4-23 Natürliches Licht fällt mit der Intensität I0 auf Elektronen kann mit einer Vorrichtung ge-
einen Polarisator. Wie groß ist die Intensität I des li- mäß Abb. 6.127a gemessen werden. In einer
near polarisierten Lichtes hinter dem Polarisator, wenn
Vakuumfotozelle befindet sich eine Fotoka-
Absorptionsverluste vernachlässigt werden?
thode K gegenüber einer Anode A. Die vom
Ü 6.4-24 Natürliches Licht fällt mit der Intensität I0 Licht ausgelösten Fotoelektronen werden
auf drei hintereinander stehende Polarisatoren, die je- von der Anode abgesaugt, wenn diese auf
weils um 30◦ gegeneinander verdreht sind. Wie groß positivem Potential gegenüber der Kathode
6.5 Quantenoptik 589

Abb. 6.127 Lichtelektrischer Effekt, a) Vakuumfotozelle, b) Fotostrom in Abhängigkeit von der Bremsspannung
für monochromatisches Licht verschiedener Intensität (I2 > I1 ), c) Fotostrom in Abhängigkeit von der
Bremsspannung für verschiedene Wellenlängen (λ2 > λ1 ) und d) kinetische Energie Ekin der Fotoelektronen in
Abhängigkeit von der Lichtfrequenz f

liegt. Der Fotostrom kann am Amperemeter zusammenhängt. Hierbei ist m die Masse und
abgelesen werden. Er verringert sich, wenn die Geschwindigkeit der Elektronen sowie e
die Spannung umgepolt wird, d. h., wenn die Elementarladung. Die kinetische Energie
eine Bremsspannung zwischen Anode und der emittierten Fotoelektronen ist also pro-
Kathode anliegt. Abbildung 6.127b und c portional zur Grenzspannung Ugr .
zeigen den Zusammenhang zwischen Foto- Abbildung 6.127b bis d sagen aus:
strom und Bremsspannung. Der Fotostrom
verschwindet, wenn die Bremsspannung
– Die kinetische Energie der Fotoelektronen
den Grenzwert Ugr erreicht hat, der mit der
hängt nicht von der Intensität, sondern nur
kinetischen Energie der Elektronen gemäß
von der Frequenz des eingestrahlten Lichtes
ab (Abb. 6.127d). Die Fotoemission kommt
1 zum Erliegen, wenn die Frequenz einen un-
Ekin = m2 = eUgr
2 teren Grenzwert fgr erreicht.
590 6 Optik

– Erhöht man die Intensität des Lichtes, dann h ist die Geradensteigung, −WA die Nullpunkt-
nimmt auch der Strom der emittierten Fo- verschiebung. Physikalisch können die Glieder
toelektronen zu, nicht aber deren kinetische auf der rechten Seite mithilfe des Energiesatzes
Energie. interpretiert werden: Die Energie des Photons
beträgt
Diese Ergebnisse stehen im Widerspruch zu
den Erwartungen, die man aufgrund der Wel-
lentheorie des Lichtes an ein solches Experi- Eph = hf . (6.136)
ment stellt. In Anwesenheit eines oszillieren-
den elektrischen Feldes der Form E = Ê cos ωt
erwartet man, dass die Elektronen des Metalls Um ein Elektron vom Metall abzulösen, ist eine
zu erzwungenen Schwingungen angeregt wer- Austrittsarbeit WA aufzubringen, sodass für
den, und zwar mit der Amplitude das Elektron als kinetische Energie die Diffe-
renz von Photonenenergie und Austrittsarbeit
eÊ
ŷ = . zur Verfügung steht:
m ω20 − ω2
Ekin = Eph − WA .
Elektronen, die an der Metalloberfläche sit-
zen, sollten daher das Metall verlassen, wenn Damit ist auch die Existenz einer Grenzfre-
ihre Amplitude ŷ einen bestimmten kritischen quenz fgr verständlich. Der Auslöseprozess
Wert überschreitet. Daraus folgt: kann überhaupt nur ablaufen, wenn die Pho-
tonenenergie größer ist als die erforderliche
– Die kinetische Energie der Elektronen sollte Austrittsarbeit. Im Grenzfall gilt hfgr = WA .
2
mit steigender Lichtintensität (∼ Ê ) an- Die Konstante h ist das bereits von Planck
wachsen. im Jahr 1900 eingeführte und nach ihm be-
– Die Fotoemission sollte bei jeder Frequenz nannte Planck’sche Wirkungsquantum. Planck
stattfinden, vorausgesetzt, die Lichtintensi- nahm bei der Ableitung des Strahlungsge-
tät ist ausreichend. setzes der Wärmestrahler (6.88) an, dass die
Strahlung von einzelnen Oszillatoren ausgeht,
Die Schwierigkeiten bei der Interpretation
deren Energie gemäß En = nhf von der Fre-
des lichtelektrischen Effekts wurden durch
quenz abhängt. Die Planck’sche Konstante be-
A. Einstein (1879 bis 1955) überwunden,
trägt
der 1905 seine revolutionäre Lichtquantenhy-
pothese formulierte. Nach Einstein wird die h = 6,626 · 10−34 J s = 4,136 · 10−15 eV s .
Energie einer Lichtquelle in einzelnen Paketen
(Lichtquanten oder Photonen) transportiert.
Sie kann als Geradensteigung aus Abb. 6.117d
Jedes emittierte Elektron wird durch ein
experimentell bestimmt werden. Dies gelang
Photon ausgelöst, das seine Energie dabei
Millikan im Jahr 1916.
an das Elektron abgibt. Die Energie eines
Da die Photonenenergie Eph der Frequenz f
Lichtquants kann aus Abb. 6.127d abgelesen
des Lichtes proportional ist, muss sie der Wel-
werden. Die Abhängigkeit der kinetischen
lenlänge λ umgekehrt proportional sein:
Energie der Fotoelektronen von der Licht-
frequenz hat die mathematische Form einer
hc
Geradengleichung: Eph = . (6.137)
λ
Ekin = hf − WA ;
6.5 Quantenoptik 591

Für den praktischen Gebrauch kann man die


beiden Naturkonstanten h und c sofort in diese
Gleichung einsetzen und erhält damit

h
Eph = (6.138)
λ

mit h = hc = 1,24 eV μm.


Beispiel
6.5-1 Bei der Untersuchung des lichtelektrischen Ef-
fekts an Natrium stellt man fest, dass für Wellenlängen
λ > λgr = 451 nm keine Fotoelektronen ausgelöst wer-
den. Wie groß ist die Austrittsarbeit von Natrium?

Lösung
Fotoelektronen werden emittiert, wenn die Photonen-
energie größer ist als die Austrittsarbeit. Im Grenzfall
gilt WA = Eph, gr . Mit (6.138) ergibt sich
1,24 μm eV 1,24 μm eV
WA = = = 2,75 eV .
λgr 0,451 μm

Die Werte für die Austrittsarbeit der Elektro-


nen in Metallen betragen einige Elektronen-
volt. Besonders niedrige Werte haben die Al-
kalimetalle, bei denen das Valenzelektron of-
fenbar verhältnismäßig schwach gebunden ist.

6.5.1.2 Compton-Effekt
Eine besondere Unterstützung der Einstein’-
schen Lichtquantenhypothese wurde von
A. H. Compton (1892 bis 1962) geliefert, der Abb. 6.128 Compton-Streuung: a) Messanordnung,
1923 die Streuung von Röntgenstrahlen an b) Intensität der gestreuten Röntgenstrahlung in
freien und schwach gebundenen Elektronen Abhängigkeit von der Wellenlänge für verschiedene
untersuchte. Compton ließ nach Abb. 6.128a Streuwinkel ϑ
einen Röntgenstrahl der Wellenlänge λ auf
einen Grafitblock S fallen. Mithilfe eines verschobene Komponente enthält, deren
Röntgendetektors D maß er die Intensität und Wellenlänge λ vom Winkel ϑ abhängt.
Wellenlänge λ der gestreuten Röntgenstrah- Im Rahmen der Wellenlehre ist Comptons Er-
lung in Abhängigkeit vom Streuwinkel ϑ. gebnis nicht interpretierbar, denn man er-
Die Ergebnisse sind in Abb. 6.128b qualita- wartet, dass die Elektronen des Streukörpers
tiv dargestellt. Compton beobachtete, dass von der elektromagnetischen Welle zu erzwun-
die gestreute Röntgenstrahlung zusätzlich genen Schwingungen angeregt werden. Die
zur primären Wellenlänge λ eine spektral schwingenden Elektronen können dann ihrer-
592 6 Optik

seits elektromagnetische Wellen aussenden, Der Gesamtimpuls muss beim Stoß erhalten
die aber dieselbe Frequenz haben wie die ein- bleiben. Es gelten in x-Richtung
fallende Welle. Eine Frequenz- bzw. Wellenlän-
hf hf
genverschiebung ist nicht möglich. = cos ϑ + mv cos ϕ . (2)
Compton und unabhängig von ihm Debye er- c c
klärten den Streuvorgang als elastischen Stoß und in y-Richtung
eines Photons mit einem ruhenden Elektron
entsprechend Abb. 6.129. hf
0= sin ϑ − mv sin ϕ . (3)
Der Energieerhaltungssatz lautet für diesen c
Vorgang Aus (1), (2) und (3) folgt für die Verschiebung
hf + m0 c2 = hf + m c2 . (1) der Wellenlänge
f ist die Lichtfrequenz vor, f die nach dem
Stoß; m0 c2 ist die Ruheenergie des Elektrons h
Δλ = λ − λ = (1 − cos ϑ) . (6.140)
(Kapitel 10) und m c2 ist die Energie des be- m0 c
wegten Elektrons. Es gilt hierbei
m0
m= √ . λc = h/ (m0 c) nennt man die Compton-Wel-
1 − v2 / c2 lenlänge; sie beträgt λc = 2,426 · 10−12 m. In
Der Impuls eines Photons ist das Produkt aus bester Übereinstimmung mit dem Experi-
seiner Masse und seiner Geschwindigkeit. Die ment hängt die Wellenlängenverschiebung
Geschwindigkeit des Photons ist die Lichtge- Δλ nicht vom Streumaterial und der Primär-
schwindigkeit c. Ein Photon hat keine Ruhe- wellenlänge λ ab.
masse (es gibt kein ruhendes Photon), man
kann ihm aber nach Einsteins Äquivalenzprin- 6.5.2 Dualismus Teilchen–Welle
zip von Masse und Energie (E = m c2 ) eine
Masse zuordnen, nämlich Die in Abschn. 6.4 beschriebenen Interferenz-
E hf und Beugungsexperimente zeigen, dass Licht
mph = 2 = 2 .
c c Welleneigenschaften hat. Den lichtelektrischen
Damit ist der Impuls eines Photons p = mph c Effekt und den Compton-Effekt kann man da-
oder gegen nur verstehen, wenn man annimmt,
dass Licht mit Materie seine Energie in ganzen
hf h Quanten des Betrags Eph = h f austauscht und
p= = . (6.139) dass diese Lichtquanten den Impuls p = h/λ
c λ
haben. Licht hat demnach sowohl Teilchen-
als auch Welleneigenschaften. Je nach Expe-
riment kommt der Wellen- oder Teilchencha-
rakter zum Vorschein (Abb. 6.130). Eine Theo-
rie, die beide Aspekte vereinigt, ist die Quan-
tenelektrodynamik, die in diesem Buch nicht
beschrieben werden soll.
Zur Klärung des Zusammenhangs zwischen
Abb. 6.129 Compton-Streuung eines Photons an Wellen- und Teilchenbild sei das in Abb. 6.130
einem Elektron a) vor und b) nach dem Stoß skizzierte Experiment betrachtet: Paralleles
6.5 Quantenoptik 593

Licht fällt von unten auf einen Doppelspalt. Ist


jeweils entweder nur der rechte oder der linke
Spalt geöffnet, so ergeben sich die nicht un-
terbrochenen schwarzen Intensitätsverteilun-
gen (Abb. 6.130a). Sind beide Spalte geöffnet,
dann erwartet man – falls sich die Photonen
wie klassische Teilchen (z. B. Schrot aus ei-
ner Schrotflinte) verhalten – als resultierende
Beugungsfigur die rote Kurve. Dabei wird ar-
gumentiert, dass ein Teilchen entweder durch
den einen oder durch den anderen Spalt fliegt.
Die gesamte Verteilungsfunktion muss daher
die Summe der Einzelverteilungen sein. Tat-
sächlich beobachtet man aber bei Licht die
in Abb. 6.130b gezeigte Lichtintensität. Daraus
folgt, dass die Photonen nicht wie makrosko-
pische Teilchen anzusehen sind.
Eine Untersuchung bei schwachen Lichtströ-
men zeigt, dass eine hinter dem Doppelspalt
angebrachte Fotoplatte (Abb. 6.130c) an ein-
zelnen lokalisierbaren Stellen von den auftref-
fenden Photonen geschwärzt wird. Es wurden
solche Versuche auch mit Fotomultipliern ge-
macht, die in der Lage sind, einzelne Pho-
tonen nachzuweisen. Dabei hat sich gezeigt,
dass jedes hinter dem Doppelspalt registrierte
Abb. 6.130 Beugung am Doppelspalt: a) Beugungs-
Photon als Ganzes ankommt, also die Energie
figuren der Einzelspalte, b) Beugungsfigur des
Eph = h f hat. Doppelspalts, c) Photonendichte auf einer Fotoplatte
Das Experiment verläuft mithin nicht so, dass
sich ein Photon vor den Spalten teilt und mit
sich selbst interferiert (Prinzip der Unteilbar- dem Quadrat der Wellenamplitude, die der
keit). wellentheoretischen Betrachtung entspricht,
Die zunächst widersprüchlichen Aussagen von also der klassisch berechneten Beugungsfunk-
Wellen- und Teilchenbild lassen sich durch tion. Hat man es mit großen Photonenströ-
eine statistische Betrachtungsweise vereinen: men zu tun, so beschreibt die wellentheore-
Bei Experimenten, wie z. B. bei der Beugung tische Beugungsfunktion praktisch exakt die
am Doppelspalt, werden nach Abb. 6.130c die tatsächlich vorliegende Photonendichte.
Photonen an diskreten Stellen des Raumes
nachgewiesen. Der Ort, an dem ein bestimm- 6.5.3 Wärmestrahlung
tes Photon ankommt, kann nicht vorherge-
sagt werden. Es lässt sich lediglich eine Auf- Die Berechnung der spektralen Strahlungs-
treffwahrscheinlichkeit angeben. Hierbei ist dichte eines schwarzen Strahlers nach (6.88)
die Wahrscheinlichkeitsfunktion identisch mit gelang Planck im Jahr 1900 mithilfe der klas-
594 6 Optik

sischen Elektrodynamik unter der einschrän-


kenden Voraussetzung, dass schwingende Os-
zillatoren nur Energien vom Betrag En =
n h f annehmen können. Einstein leitete 1917
die Planck’sche Strahlungsgleichung aus der
Lichtquantenhypothese ab.
Wie in Abschn. 8.1 beschrieben, nehmen
Elektronen in Atomen diskrete Energiestufen
ein. Abbildung 6.131 zeigt einen Ausschnitt
Abb. 6.132 Besetzungszahlen von zwei Energieniveaus
aus einer solchen Energieleiter mit nur zwei
möglichen Energiezuständen E1 und E2 . Nach
Einstein existieren drei mögliche Wechselwir- Bei einem System von N Atomen befinden sich
kungsmechanismen zwischen dem Atom und nach Abb. 6.132 N1 Atome im unteren, N2 im
der elektromagnetischen Strahlung: oberen Energiezustand. Die Besetzungszahlen
ändern sich bei Wechselwirkung mit Photo-
nen und durch die spontane Emission. Die Ab-
– Absorption: Ein Photon wird absorbiert (es
sorptionsrate, d. h. die Anzahl der Übergänge
verschwindet aus dem Strahlungsfeld) und
je Zeiteinheit von E1 nach E2 ist proportional
hebt ein Elektron vom Energiezustand E1
zur Anzahl N1 der Atome im tiefen Energie-
auf E2 , wenn seine Energie der Bedingung
zustand und zur Energiedichte uf (f ) (Energie
Eph = h f = E2 − E1 genügt.
je Volumeneinheit und Frequenzintervall) des
– Spontane Emission: Nach einer mittleren
Strahlungsfeldes:
Lebensdauer τ im oberen Energieniveau E2
geht ein Elektron in das untere Energieni- dN
= B12 uf (f )N1 .
veau E1 über; hierbei wird ein Photon der dt Abs.
Energie Eph = h f = E2 − E1 ausgesandt. Die Proportionalitätskonstante B12 heißt
– Induzierte Emission: Ein Photon der Ener- Einstein-Koeffizient und ist ein Maß für die
gie Eph = h f = E2 − E1 stimuliert ein Elek- Wahrscheinlichkeit eines Absorptionsaktes.
tron zu einem Übergang von E2 nach E1 . Die Rate der spontanen Emission ist propor-
Das dabei emittierte Photon verstärkt das tional zur Anzahl N2 der Atome im angeregten
primäre. Energieniveau E2 :

dN
= A21 N2 .
dt sp. Em.
Der Einstein-Koeffizient A21 ist ein Maß für
die Wahrscheinlichkeit eines spontanen Über-
gangs eines Elektrons vom Energieniveau E2
zum Energieniveau E1 . Die induzierte Emis-
sion hängt sowohl von der Besetzungszahl
N2 als auch von der spektralen Energiedichte
uf (f ) des Strahlungsfeldes ab:

dN
Abb. 6.131 Wechselwirkungen zwischen Photonen = B21 uf (f )N2 .
und Elektronen in einem Atom dt ind. Em.
6.5 Quantenoptik 595

Der Einstein-Koeffizient B21 ist analog zu B12 Mit der Reihenentwicklung ehf / kT =
definiert. Im thermodynamischen Gleichge- 1 + h f / kT + · · · gilt nach Einstein für h f << kT
wicht müssen die Übergangsraten in beiden
A21 kT
Richtungen gleich sein: uf (f ) = .
B12 hf
dN dN dN
= + Ein Vergleich mit (6.142) führt zu
dt Abs. dt sp. Em. dt ind. Em.

A21 8πhf 3
Diese Bedingung liefert für die Besetzungszah- = . (6.143)
len B12 c3
N2 B12 uf (f )
= .
N1 A21 + B21 uf (f ) Demnach beträgt die spektrale Energiedichte
Im thermodynamischen Gleichgewicht kann des Strahlungsfelds
das Verhältnis der Besetzungszahlen aber auch
aus der Boltzmann-Verteilung berechnet wer- 8πh f 3 1
uf ( f , T) = · hf . (6.144)
den ((3.31) in Abschn. 3.2.3): c 3
e kT − 1

N2 E2 −E1
= e− kT . (6.141) Aus der spektralen Energiedichte uf ( f , T) lässt
N1
sich die spektrale Strahldichte Le,f ( f , T) eines
Hohlraumstrahlers berechnen:
k = 1,38 · 10−23 J/K ist die Boltzmann-Kon-
c 1
stante. Ein Vergleich liefert mit hf = E2 − E1 Le, f = uf .
4π Ω0
A21
uf (f ) = hf
. Damit ergibt sich die Planck’sche Strahlungs-
B12 e kT − B21 gleichung
Die Einstein-Koeffizienten können durch
folgende Betrachtung bestimmt werden: Im
2hf3 1
Grenzfall T → ∞ muss die spektrale Ener- Le,f (f , T) df = · df
c2 Ω0 e hkTf − 1
giedichte uf (f ) ebenfalls gegen unendlich
gehen. Diese Bedingung wird nur erfüllt, (6.145)
wenn B12 = B21 ist. Somit beträgt die spektrale
Energiedichte des Strahlungsfelds oder, wenn man die Frequenz f durch die Wel-
uf (f ) =
A21
hf . lenlänge λ ersetzt, die bereits aus Abschn. 6.3.1
B12 e kT − 1 bekannte Form

Für den Grenzfall kleiner Frequenzen hf << 2 h c2 1


kT gilt das experimentell gut gesicherte Gesetz Le, λ (λ, T) dλ = · dλ .
λ Ω0 e
5 hc
λkT −1
von Rayleigh-Jeans:
(6.146)

8πf 2
uf (f ) = kT . (6.142) Abbildung 6.133 zeigt Strahlungsisothermen
c3
der Planck’schen Strahlungsformel (s. dazu
596 6 Optik

ein Elektron vom tieferen Energiezustand E1


auf den höheren E2 heben (Abb. 6.131). Diese
Übergangsrate ist

dN
= B12 uf (f )N1 = B21 uf (f )N1 .
dt Abs.
Da im thermodynamischen Gleichgewicht
nach (6.141) stets N1 > N2 ist, überwiegt die
Absorptionsrate stets die stimulierte Emissi-
onsrate. Um eine kräftige stimulierte Emission
zu erhalten, muss eine Besetzungsinversion,
d. h. N2 > N1 vorliegen. Ein solcher Zustand
ist in der Natur nirgends verwirklicht, sondern
muss künstlich herbeigeführt werden.
Abb. 6.133 Spektrale Strahldichte Le, λ eines schwarzen
Bei den Festkörperlasern (Rubin, Nd-YAG)
Strahlers für verschiedene Temperaturen T
wird die Besetzungsinversion durch optisches
Pumpen, d. h. mithilfe einer starken Lampe
auch Abb. 6.70). Die gestrichelte Kurve gibt erzwungen. (Der Rubin-Laser war übrigens
das Wien’sche Verschiebungsgesetz (6.89) der erste funktionierende Laser; er wurde
wieder. 1960 von T. H. Maiman gebaut.) Bei Gaslasern
läuft der Pumpmechanismus über Stöße in
6.5.4 Laser einer Gasentladungsröhre. Obwohl der ei-
gentliche Prozess der stimulierten Emission
Der Laser ist eine neuzeitliche Lichtquelle nur zwischen zwei Energieniveaus abläuft,
mit faszinierenden Eigenschaften. Das sind am ganzen Laserprozess mindestens
Wort LASER ist eine Abkürzung für Light drei oder besser vier Energieniveaus beteiligt.
Amplification by Stimulated Emission of Abbildung 6.134 zeigt die Übergänge in einem
Radiation und bedeutet etwa: Lichtverstär- Drei- bzw. Vier-Niveau-System. Damit sich
kung durch stimulierte Emission von Strah- eine Besetzungsinversion aufbauen kann,
lung. Bei dieser Lichtart spielt die von Einstein müssen die Lebensdauern τ der Elektronen
1917 postulierte induzierte oder stimulierte in den einzelnen Niveaus die angegebenen
Emission von Licht eine wesentliche Rolle.
Wie Abb. 6.131 zeigt, kann ein Lichtquant der
Energie Eph = E2 − E1 ein Elektron zu einem
Übergang von einem hohen Energieniveau E2
auf ein tieferes Energieniveau E1 stimulieren.
Die Übergangsrate ist nach den Erläuterungen
im vorhergehenden Abschnitt durch

dN
= B21 uf (f )N2
dt ind. Em. Abb. 6.134 Beteiligung verschiedener Energieniveaus
am Laserprozess, a) Drei-Niveau-System (z. B. Rubin-
gegeben. Ein Photon der betreffenden Energie Laser), b) Vier-Niveau-System (z. B. Nd-YAG-Laser,
kann aber auch absorbiert werden und damit Gaslaser)
6.5 Quantenoptik 597

Ungleichungen erfüllen. Die gestrichelten zur Längsachse nehmen, sehr schnell das ak-
Bereiche bezeichnen Übergänge, die meist tive Material verlassen und nicht weiter ver-
strahlungslos sind. stärkt werden. Der Spiegel S1 hat eine Reflexion
Die Funktion des Lasers beruht auf folgen- von 100%, während der Auskoppelspiegel S2
dem Prinzip: Hat man beispielsweise durch eine geringe Transmission aufweist. Dadurch
einen Lichtblitz im aktiven Material eine Be- wird ständig ein Bruchteil der nach rechts lau-
setzungsinversion erreicht, dann werden zu- fenden Photonen ausgekoppelt.
nächst durch spontane Emission Photonen der Es gibt Laser, z. B. Rubin, die praktisch nur
Energie h f = E2 − E1 erzeugt. Durch Wech- im Pulsbetrieb arbeiten, um die große Wär-
selwirkung eines Photons mit einem ange- meleistung abführen zu können. Viele Laser
regten Atom kann dessen Elektron zu einem lassen sich auch fortdauernd betreiben. Für
Übergang stimuliert werden. Das dabei aus- viele praktische Anwendungen muss das La-
gesandte Photon verstärkt dabei die primäre serlicht gepulst werden. Dies wird durch das
Welle phasengerecht. Die verstärkte Welle sti- Q-switching bewirkt, erläutert in Abb. 6.136:
muliert weitere Elektronen zu Übergängen, so- Während des Pumpvorgangs wird die Reso-
dass sich eine Photonenlawine ausbildet. Diese natorgüte Q künstlich niedrig gehalten, so-
Lawine kommt zum Erliegen, wenn die Beset- dass der Laser nicht anschwingt und eine
zungsinversion abgebaut ist. Wird durch den hohe Besetzungsinversion aufgebaut wird. Er-
Pumpvorgang ständig Energie nachgeliefert, höht man nun zu einem bestimmten Zeit-
kann sich ein stationärer Zustand einstellen. punkt die Güte, so entlädt sich die ganze im
Im Gegensatz zum Glühlicht, bei dem die Pho- Resonator gespeicherte Energie in einem kur-
tonen bzw. die einzelnen Wellenzüge völlig zen, leistungsstarken Lichtpuls. Mit Güteschal-
unkorreliert ausgestrahlt werden, hat man es tern lassen sich Pulsdauern von etwa 1 ns und
beim Laser mit einem kollektiven Phänomen Leistungen von 1010 W erzielen. Als Q-switch
zu tun: Alle Photonen koppeln phasengerecht
an die vorhandene Welle an, sodass eine Licht-
welle mit sehr großer Kohärenzlänge entsteht
(Abschn. 6.4.1.1 und Tabelle 6.9).
Nach Abb. 6.135 wird das aktive Material in
einen Resonator, bestehend aus den Spiegeln
S1 und S2 , eingesetzt. Zwischen den Spiegeln
baut sich eine stehende Welle auf. In der Teil-
chenvorstellung: Photonen, die sich in longi-
tudinaler Richtung bewegen, durchqueren im-
mer wieder das aktive Material und werden
verstärkt, während solche, die den Weg schräg

Abb. 6.136 Wirkungsweise des Güteschalters: a) Güte,


Abb. 6.135 Aufbau eines optisch gepumpten Lasers b) Besetzungsinversion, c) Ausgangsleistung
598 6 Optik

Tabelle 6.14 Anwendungen des Lasers

Optische Messtechnik Materialbearbeitung Nachrichtentechnik Medizin und Biologie

Interferometrie, Holo- Bohren, Schweißen, optische Nachrichten- Anheften der Netzhaut


grafie, Spektroskopie, Schneiden, Aufdampfen; übertragung durch bei Ablösung; Durch-
Entfernungsmessung Auswuchten und Abglei- modulierte Lichtpulse. bohren verschlossener
über Laufzeit von chen von rotierenden Signale von Halbleiter- Blutgefäße; Zerstö-
Laserpulsen, Laser- und schwingenden lasern werden in Glasfa- rung von Krebszellen;
Radar, Leitstrahl beim Teilen; Trimmen von sern geführt. – Optische Schneiden von Gewebe;
Tunnel-, Straßen- und Widerständen. Datenspeicherung und Zahnbehandlung.
Brückenbau. -wiedergabe, Beispiel:
Tonwiedergabe von
digitaler Schallplatte,
Compact-Disc.

Abb. 6.137 Übersicht über verschiedene Typen von Laserstrahlquellen

können beispielsweise die in Abschn. 6.4.2.3 inversion herbei geführt werden muss. Je nach
und 6.4.2.4 beschriebenen elektro- und ma- Art dieses Mediums werden verschiedene La-
gnetooptischen Zellen in den Resonator ein- sertypen unterschieden (Abb. 6.137). Diese
gebaut werden. werden im Folgenden beschrieben.
Die hervorstechendsten Eigenschaften des La-
serlichts sind die hohe Monochromasie und Gaslaser
die damit zusammenhängende räumliche und Je nach verwendeter Art des Gases unterschei-
zeitliche Kohärenz. Von der Vielzahl der An- det man zwischen folgenden Lasertypen:
wendungen des Lasers zeigt Tabelle 6.14 eine – Molekül-Laser: Der CO2 -Laser wird in der
Auswahl. Fertigungstechnik am häufigsten einge-
Jeder Laser benötigt ein aktives Medium, in setzt. Dem Gas CO2 sind noch N2 und He
dem, wie bereits beschrieben, eine Besetzungs- zugesetzt. Die Laserenergie bei CO2 sind
6.5 Quantenoptik 599

bestimmend. N2 -Molekule übertragen die Aluminium-Granat-Kristall, in dem Neo-


Energie durch Stöße auf die CO2 -Moleküle. dym-Ionen eingebettet sind. Die Wellen-
Die Gastemperatur von CO2 darf dabei länge liegt bei 1,064 μm bis 1,3 μm. Es
150 ◦ C nicht überschreiten, weil sonst der sind Leistungen bis zu 1,8 kW möglich.
Lasereffekt nicht mehr eintreten kann. He- Durch nachgeschaltete Verstärkerstufen
lium hat eine gute Wärmeleitfähigkeit und kann die Ausgangsleistung weiter erhöht
transportiert die frei werdende Wärme nach werden. Die Hauptanwendungsfelder sind
außen. Die Wellenlänge liegt bei 10,6 μm die Materialbearbeitung.
(fernes Infrarot). Die Haupteinsatzgebiete – Nd:Glas-Laser: Die Wellenlänge liegt bei
liegen bei der Materialbearbeitung. 1,06 μm (nahes Infrarot).
– Neutralatom-Laser: Der wichtigste Laser ist
der HeNe-Laser. Das Lasermedium ist ein Halbleiterlaser (Diodenlaser)
Gasgemisch aus Helium (5 bis 10 mal mehr) Der Laser besteht aus einem Halbleitermate-
und Neon. Elektrisch angeregt wird zu- rial, das elektrisch angeregt wird. Der Auf-
nächst das Helium, das seine Energie na- bau ist ähnlich dem einer LED. Der Laser-
hezu vollständig an das Neon abgibt. Die Effekt kommt durch die Rekombination von
Wellenlänge liegt bei 633 nm (rot). Die Ein- Ladungsträgern in der Sperrschicht zustande
satzgebiete sind im Wesentlichen die Mess- (Abschn. 9.4.1.2). Im Unterschied zu einer
technik. LED kann die Laserdiode mit einer höheren
– Ionen-Laser: Am häufigsten wird der Ar+ - Stromdichte betrieben werden. Die Kristall-
Laser eingesetzt. Im grünen bis ultraviolet- Endflächen dienen als Spiegel des optischen
ten Spektralbereich werden Ausgangsleis- Resonators. Typische Vertreter sind InGaAsP-
tungen bis zu 10 W erreicht. Laser (570 nm bis 1,6 μm) und GaAlAs-Laser
– Excimer-Laser: Der wichtigste Vertreter ist (780 nm bis 880 nm). Die Halbleiterlaser er-
der ArF-Laser. Er hat eine Wellenlänge von möglichen kleine Abmessungen. Deshalb wer-
175 nm bis 483 nm (ultraviolett). Einge- den sie häufig als Lichtquellen in CD-Spielern,
setzt wird er in der Materialbearbeitung bei optischen Plattenspeichern, bei Laserprin-
von Kunststoff, Glas, Keramik und im tern und in der Nachrichtentechnik eingesetzt.
menschlichen Auge zur Korrektur von Bei höheren Leistungen ab 2,5 kW können sie
Fehlsichtigkeit, ferner in der Messtechnik auch in der Materialbearbeitung Verwendung
und in der Fotochemie. finden.

Festkörperlaser Flüssigkeitslaser
Sie bestehen aus organischen Farbstoffen in
Festkörperlaser bestehen aus Kristallen oder
stark verdünnter Lösung und werden optisch
Gläsern, die mit optisch aktiven Ionen dotiert
mit Blitzlampen oder Lasern gepumpt. Sie fin-
sind. Sie werden optisch, mit Anregungslam-
den Einsatz in der Spektroskopie, weil sie von
pen oder mit einem Diodenlaser gepumpt.
300 nm bis 1,2 μm einstellbar sind.
– Rubin-Laser: dieser Laser wurde als ers- Ein nahezu paralleler Laserstrahl lässt sich mit
ter entwickelt. Er hat eine Wellenlänge von einer Sammellinse ideal fokussieren und kann
694 nm. so der Materialbearbeitung dienen. Aufgrund
– Nd:YAG-Laser: Dies ist der am meisten der Beugung an der Linse erzeugt man aller-
verbreitete Festkörperlaser. Das laser- dings keinen punktförmigen Fokus, sondern
aktive Medium besteht aus einem Yttrium- der Strahl mit dem Durchmesser D schnürt
600 6 Optik

sich zu einem minimalen Durchmesser d ein klassischen elektromagnetischen Wellen


und wird dann wieder breiter. Für einen Strahl Teilcheneigenschaften zugeschrieben wurde,
mit gaußförmiger Intensitätsverteilung gilt für postulierte 1924 der französische Physiker
den Taillendurchmesser in guter Näherung L. de Broglie (1892 bis 1987), dass die bisher
als Teilchen interpretierten Elektronen auch
4λf Welleneigenschaften aufweisen sollten. Die
d= . (6.147) Wellenlänge λ dieser Materiewellen sollte
πD
nach de Broglie mit dem Impuls p der Teilchen
nach (6.139) zusammenhängen:
Bei guter Fokussierung und großer Strah-
lungsleistung wird die Bestrahlungsstärke so
h
groß, dass alle absorbierenden Materialien λ= . (6.148)
p
verdampfen und auf diese Weise abgetragen
werden.
Schnelle Elektronen mit großem Impuls ha-
Beispiel ben demnach eine kleine Wellenlänge. Be-
6.5-2 Wie groß ist die Bestrahlungsstärke in der
schleunigt man ein Elektron in einem elek-
Taille eines CO2 -Lasers mit einem Strahldurchmes-
ser von D = 5 mm, der mit einer Linse der Brenn- trischen Feld mit der Beschleunigungsspan-
weite f = 5 mm fokussiert wird? Der Laser emittiert nung U, dann lässt sich seine Endgeschwindig-
die Strahlungsleistung Φe = 1 kW bei der Wellenlänge keit aus der Zunahme der kinetischen Energie
λ = 10,59 μm. berechnen:

Lösung 1 2eU
m = e U, =
2
.
Der Taillendurchmesser ist nach (6.147) 2 m
√ Impuls des Elektrons beträgt p = m =
4 · 10,59 · 10−6 m 5 · 10−3 m Der
d= = 1,35 · 10−5 m .
π · 5 · 10−3 m 2 e U m. Somit ist die Materiewellenlänge

Damit ist die Fläche der Taille A = 1,43 · 10−10 m2 und


h
die Bestrahlungsstärke λ= √ . (6.149)
Φe W W 2e U m
Ee = = 7 · 1012 2 = 7 · 108 2 .
A m cm
Bestrahlungsstärken dieser Intensität sind weit größer, Diese „klassische“ Rechnung muss bei großen
als man sie mit konventionellen Lichtquellen erzeugen Beschleunigungsspannungen durch eine „re-
kann (Ü 6.3-3). Bei Riesenimpulslasern (Festkörperla-
lativistische“ ersetzt werden, die dem Massen-
ser oder CO2 -Laser mit Q-switch) lassen sich im Puls
Leistungen von 100 MW und Bestrahlungsstärken von zuwachs bei großen Geschwindigkeiten Rech-
1013 W/cm2 erzielen. Bei kontinuierlich arbeitenden nung trägt (Abschn. 4.3.5.1, Abb. 4.57, und Ka-
CO2 -Lasern erreicht man Leistungen von über 10 kW pitel 10). Dabei ergibt sich
und Bestrahlungsstärken von mehr als 5 GW/cm2 .
h
λ= 2 . (6.150)
6.5.5 Materiewellen eU
m0 c m0 c2
+1 −1

6.5.5.1 De-Broglie-Beziehung
Stimuliert durch die Erfolge der Einstein’- Beschleunigungsspannungen um 1 kV rufen
schen Lichtquantenhypothese, in der den Wellenlängen hervor, die in der Größenord-
6.5 Quantenoptik 601

nung von Röntgenwellenlängen liegen. Falls an Nickel-Einkristallen. Mittlerweile wurden


die Elektronen wirklich Welleneigenschaften sämtliche mit Licht bzw. Röntgenstrahlung
haben, sollte daher ein Elektronenstrahl, der möglichen Beugungsexperiment (z. B. Beu-
auf ein Kristallgitter gerichtet ist, dieselben gung am Doppelspalt, an einer Kante und am
Beugungserscheinungen zeigen wie ein Rönt- Fresnel’schen Biprisma) auch mit Elektronen-
genstrahl. strahlen nachvollzogen. Abbildung 6.138 zeigt
Der erste Nachweis der Elektronenbeugung Beugungserscheinungen, die mit Elektronen-
gelang 1927 C. Davisson und L. Germer strahlen aufgenommen wurden.
Nicht nur mit Elektronen, sondern auch mit
Protonen und Neutronen, sogar mit ganzen
Atomen und großen Molekülen (z. B. C60 ) kön-
nen Beugungsexperimente durchgeführt wer-
den. Daraus folgt:

Alle Mikroteilchen tragen sowohl Teil-


chen- als auch Wellencharakter in sich.

Die Interpretation des Wellencharakters


schließt sich eng an die Erläuterungen in
Abschn. 6.5.2 über Photonen an. Bei der
Beugung am Doppelspalt nach Abb. 6.130
werden die einzelnen Teilchen als Ganzes an
diskreten Orten nachgewiesen. Die klassisch
berechnete Intensitätsverteilung gibt lediglich
die Wahrscheinlichkeit an, ein Teilchen an
einem bestimmten Ort anzutreffen.
Die Materiewellen werden durch eine Wel-
lenfunktion Ψ (x, y, z, t) mit einer Wellen-
länge λ beschrieben, die durch die De-Broglie-
Beziehung (6.148) gegeben ist. Nach M. Born
(1882 bis 1970) ist die Wahrscheinlichkeit, ein
Teilchen am Ort (x, y, z) anzutreffen, gegeben
durch | Ψ (x, y, z)|2 .
Die Wellennatur der Elektronen wird beson-
ders eindrucksvoll beim Elektronenmikroskop
demonstriert (Abschn. 6.6).

6.5.5.2 Heisenberg’sche Unschärferelation


Bei der in Abschn. 6.4.1.4 beschriebenen Beu-
Abb. 6.138 Elektronenbeugung. a) Feinbereichsbeu-
gung des Lichtes am Spalt wurde gezeigt, dass
gung an einkristallinem Zirkonoxid ZrO2 (Foto: die Beugungsfigur eines Spaltes umso breiter
Max-Planck-Institut für Metallforschung, Stuttgart) wird, je enger der Spalt ist. Dieser gegenläu-
b) Beugung an einer polykristallinen Zn-Cd-Schicht fige Effekt ist von grundlegender Bedeutung
602 6 Optik

der der Ort der Elektronen in der Spaltebene


angegeben werden kann.
Beschränkt man sich auf die erste Beugungs-
ordnung, dann ist der maximal mögliche Win-
kel α, unter dem die Elektronen auftreten,
nach (6.114) sinα = λ/ Δx. Andererseits ist
nach Abb. 6.139 sinα = Δpx / p und damit
Δpx / p = λ/ Δx.
Die Elektronen haben eine Materiewel-
lenlänge λ, die nach der De-Broglie-
Beziehung (6.148) mit dem Impuls p ver-
knüpft ist: λ = h/ p. Setzt man dies in die obige
Gleichung ein, so ergibt sich

Δpx h
= oder Δx Δpx =h.
p p Δx
Abb. 6.139 Zur Ableitung der Heisenberg’schen Da für die höheren Beugungsordnungen noch
Unschärferelation: Beugung von Elektronen an einem größere Winkel α und damit größere Impuls-
Spalt
komponenten Δpx auftreten, gilt allgemein

für die Quantenmechanik; er sei anhand der


ΔxΔpx h . (6.151)
in Abb. 6.139 skizzierten Beugung eines Elek-
tronenstrahls an einem Spalt erläutert.
Schickt man einen parallelen Elektronen- Dies ist die Heisenberg’sche Unschärferelation,
strahl durch einen Spalt, so entsteht auf einem die von W. Heisenberg 1927 gefunden wurde.
Schirm eine Verteilung der gebeugten Elektro- Sie verknüpft die Messfehler von Orts- und Im-
nen, die durch das Punktmuster angedeutet pulsbestimmung miteinander (Abschn. 8.2.3):
ist. Die Auftreffwahrscheinlichkeit | Ψ |2 der
Elektronen entspricht der klassischen Beu-
Je genauer der Ort eines Teilchens festge-
gungsfunktion (6.113). Ein Teilchen, das
legt wird, umso ungenauer lässt sich sein
unter dem Winkel α zur primären Strahl-
Impuls bestimmen und umgekehrt.
richtung austritt, muss zusätzlich zu seinem
Impuls in Strahlrichtung auch eine Impuls-
komponente Δpx senkrecht dazu haben. In der makroskopischen Physik tritt die Un-
Diese seitliche Impulskomponente muss das schärferelation nicht in Erscheinung, weil der
Teilchen beim Beugungsvorgang am Spalt Zahlenwert der Planck’schen Konstanten h
erhalten haben. Da bei enger werdendem sehr klein ist.
Spalt immer größere Winkel α auftreten, sind
Zur Übung
damit auch immer größere Impulse Δpx in
Ü 6.5-1 UV-Licht einer Quecksilberdampf-Lampe mit
x-Richtung verknüpft. Alle Elektronen, die am der Wellenlänge λ = 253,7 nm fällt auf eine Cäsium-
Beugungsvorgang beteiligt sind müssen durch Oberfläche (WA = 2,14 eV). a) Welche kinetische Ener-
den Spalt hindurchgetreten sein. Die Spalt- gie haben die emittierten Fotoelektronen? b) Wie groß
breite Δx gibt also die Genauigkeit an, mit ist ihre Geschwindigkeit?
6.6 Abbildung mikroskopischer Objekte 603

Ü 6.5-2 Ein Laserstrahl mit der Wellenlänge λ =


647 nm hat die Strahlungsleistung Φe = 100 mW. Wie
viel Photonen Ṅ je Sekunde werden transportiert?

Ü 6.5-3 Röntgenstrahlen mit der Wellenlänge λ =


70,94 · 10−12 m werden an Elektronen gestreut. Wie
groß ist der maximale Energieverlust der Röntgen-
quanten?

Ü 6.5-4 Sichtbares Licht hat die Wellenlängen


380 nm 5 λ 5 780 nm. In welchem Bereich liegen die
Energien der sichtbaren Photonen?

Ü 6.5-5 Die Nachweisgrenze des menschlichen Auges


liegt für gelbes Licht mit der Wellenlänge λ = 590 nm
bei der Strahlungsleistung Φe = 1,7 · 10−18 W. Wie
viele Lichtquanten Ṅ müssen demnach je Sekunde auf
die Netzhaut fallen, damit ein Nervenreiz ausgelöst
wird?

Ü 6.5-6 Ein He-Ne-Laser mit der Wellenlänge λ =


633 nm und dem Strahldurchmesser D = 2 mm wird
mit einer Linse mit der Brennweite f = 150 mm fokus- Abb. 6.140 Bildentstehung im Mikroskop nach Abbe
siert. Berechnen Sie die Bestrahlungsstärke Ee in der
Taille, wenn die Laserleistung Φe = 0,6 mW ist.

Ü 6.5-7 Ein Geschoss mit der Masse m = 40 g fliegt geometrische Optik versagt, wenn die Dimen-
mit der Geschwindigkeit = 1000 m/s. Wie groß ist sionen der Gegenstände in die Größenord-
die zugehörige Materiewellenlänge? Wieso beobachtet nung der Lichtwellenlänge kommen. Infolge
man keine Beugungseffekte? der Beugung an Linsenfassungen, Apertur-
blenden und an den zu untersuchenden Ob-
Ü 6.5-8 Thermische Neutronen haben die Energie jekten selbst, ist das Auflösungsvermögen be-
E = 25 meV. Wie groß ist die De-Broglie-Wellenlänge?
grenzt.
Die Neutronenmasse ist mn = 1,675 · 10−27 kg. Verglei-
chen Sie das Ergebnis mit typischen Gitterkonstanten Die Abbe’sche Theorie der Bildentstehung in
von Kristallen. einem Mikroskop geht davon aus, dass ein
Objekt mit feiner Strukturierung durchstrahlt
wird (Abb. 6.140). Denkt man sich als Objekt
6.6 Abbildung mikroskopischer ein Strichgitter mit dem Strichabstand g, so
Objekte wird das Licht an den Spalten gebeugt und
tritt dann ins Objektiv des Mikroskops ein. In
6.6.1 Beugungsbegrenzte Abbildung Abb. 6.140 sind der Übersichtlichkeit halber
nur die Beugungsordnungen m = 0 und ± 1,
Instrumente, die zur Vergrößerung kleinster ausgehend von zwei Spalten, gezeichnet. Die
Objekte gebaut werden, stoßen irgendwann an parallelen Strahlen werden in der Brennebene
die Grenzen ihre Auflösungsvermögens (Ab- des Objektivs vereinigt und erzeugen dort das
schn. 6.4.1.5). Dies kommt daher, dass die primäre Bild (hier die drei Punkte mit m =
604 6 Optik

Abb. 6.141 Verwendete Wellenlängen und Auflösungsgrenzen beugungsbegrenzter Mikroskope

−1, 0, +1). In der Zwischenbildebene (s. auch Öffnungswinkel α ebenso groß, dann ist der
Abb. 6.54) entsteht dann als sekundäres Bild kleinste aufzulösende Abstand in der Objekt-
das vergrößerte Abbild des Objektes. Die In- ebene
tensitätsverteilung in der Bildebene kommt λ
durch die Interferenz der drei von den Beu- ymin = .
sin α
gungspunkten ausgesandten Wellen zustande.
Sie entspricht also hier der Gitterfunktion ei- Enthält der Raum zwischen Objekt und Objek-
nes Dreifachspaltes ((6.120), Abb. 6.93). tiv eine Immersionsflüssigkeit mit Brechungs-
Die in Abb 6.140 gezeigte Intensitätsverteilung index n, dann wird die Wellenlänge um n re-
am Ort des Zwischenbilds hat nur eine sehr duziert und es gilt
grobe Ähnlichkeit mit dem Objekt. Das Bild λ
wird dem Objekt immer ähnlicher, je mehr ymin = .
n sin α
Beugungspunkte in der Brennebene entste-
hen, also je mehr höhere Beugungsordnungen Das Produkt aus Brechzahl und Sinus des Öff-
ins Objektiv eintreten und an der Abbildung nungswinkels wird als numerische Apertur be-
mitwirken (Vielstrahlinterferenz, Abb. 6.93). zeichnet (6.15):
Im Idealfall ergibt sich schließlich die gestri-
AN = n sin α .
chelte Intensitätsverteilung. Blendet man an-
dererseits alle Beugungsordnungen |m| ≥ 1 Damit gilt für den kleinsten aufzulösenden
aus, sodass nur noch die nullte Ordnung an Objektabstand
der Abbildung teilnimmt, dann ergibt sich ein
gleichmäßig hell ausgeleuchtetes Gesichtsfeld,
λ
das keinerlei Informationen mehr über das ab- ymin = . (6.152)
AN
zubildende Objekt enthält. Die Voraussetzung
dafür, dass überhaupt eine Struktur mit einer
gewissen Ähnlichkeit zum Objekt in der Bild- Werden bei schiefer Durchleuchtung des Ob-
ebene entsteht, ist, dass außer der nullten we- jekts zur Abbildung lediglich die Beugungs-
nigstens eine erste Beugungsordnung ins Ob- ordnungen m = 0 und +1 verwendet, dann
jektiv eintritt. wird die Auflösungsgrenze noch ungefähr um
Für den in Abb. 6.140 dargestellten Fall gilt, den Faktor 2 reduziert.
dass das Objektiv so groß ist, dass die Ord- Trockensysteme haben eine numerische Aper-
nungen m = ±1 mitwirken. Nach (6.121) tre- tur von AN < 0,95. Mit Immersionsflüssigkeit
ten die Hauptmaxima erster Ordnung auf un- kommt man auf Werte von AN < 1,6 (Abb. 6.55,
ter dem Winkel sin α1 = λ/ g. Ist der maximale AN = 1,4).
6.6 Abbildung mikroskopischer Objekte 605

Grob gesprochen ist nach (6.152) das Auf- Röntgenlinsen aus Fresnel’schen Zonenplat-
lösungsvermögen eines Mikroskops begrenzt ten (Abb. 6.108) hergestellt werden. Beim
auf Objektdetails von der Größe der Wellen- Transmissions-Röntgenmikroskop (TXM)
länge. Durch Verwendung von kürzeren Wel- wird monochromatische Strahlung einer star-
lenlängen bei UV-, Röntgen- und Elektronen- ken Röntgenquelle (z. B. Synchrotronstrah-
mikroskopen konnte die Auflösungsgrenze bis lung) mithilfe einer Zonenplatte (Kondensor)
in atomare Dimensionen vorangetrieben wer- auf das Objekt fokussiert. Die durchgehen-
den (Abb. 6.141). den Strahlen erzeugen dann mittels einer
Das Lichtmikroskop arbeitet mit sichtbarem weiteren Zonenplatte (Objektiv) ein stark
Licht (VIS), das mittels Glaslinsen die Ab- vergrößertes Bild, das mit einer CCD-Kamera
bildung und Vergrößerung des Gegenstandes aufgenommen wird. Die numerische Aper-
bewirkt (Abschn. 6.2.7.3). Für eine Bildent- tur ist typischerweise AN ≈ 0,05, sodass
stehung sind gefärbte oder geätzte Präparate nach (6.152) eine Auflösung vom Zwanzig-
erforderlich, die das Licht amplitudenmodu- fachen der Wellenlänge erwartet wird. Die
lieren. Optische Kontrastierungsverfahren er- tatsächliche Auflösung entspricht etwa der
lauben auch Untersuchungen an unveränder- Breite des äußersten Rings der Zonenplatte.
ten Präparaten. Durchlichtpräparate müssen Praktisch erreicht man mit weicher Röntgen-
dünn geschnitten, Auflichtpräparate geschlif- strahlung eine Auflösung von etwa 20 nm.
fen und poliert sein. Das Lichtmikroskop er- Besonders interessant sind die Wellenlän-
reicht die theoretische Auflösung nach (6.152). gen zwischen 2,4 nm und 4,4 nm, dem so
In der Praxis wird eine minimale Auflösung genannten „Wasserfenster“. Dort absorbieren
von etwa 200 nm erreicht. organische Substanzen wesentlich stärker als
Das UV-Mikroskop arbeitet mit UV-Strahlung Wasser, sodass ein guter Kontrast entsteht.
im Bereich von 340 nm bis 193 nm. Zur Es lassen sich somit biologische Präparate in
Abbildung sind Quarzlinsen erforderlich. wässriger Lösung untersuchen. Harte Rönt-
Die Präparate müssen UV-Strahlung absor- genstrahlung (Eph > 10 keV) lässt sich mit
bieren, reflektieren oder in längerwelliges brechenden konkaven Metall-Linsen (Al) fo-
Lumineszenzlicht umwandeln. Auch beim kussieren. Damit wurden Auflösungen von
UV-Mikroskop wird die theoretische Auf- etwa 300 nm erzielt.
lösungsgrenze nach (6.152) erreicht. In der Das Elektronenmikroskop, hier das Transmis-
Halbleiter-Fotolithografie mit λ = 193 nm sions-Elektronenmikroskop (TEM) arbeitet
(ArF-Excimerlaser) werden standardmäßig mit Elektronen, die beschleunigt werden
Strukturen mit 65 nm Abstand hergestellt, die mit Spannungen zwischen 50 kV und 3 MV.
im Labor bereits auf 30 nm reduziert wurden. Nach (6.150) ergeben sich dadurch Materie-
Lange Zeit galt es unmöglich, ein Röntgen- wellenlängen von 5,4 pm bis 360 fm. Die Elek-
mikroskop zu bauen, weil der Brechungsin- tronenstrahlen werden mit elektrostatischen
dex von Gläsern für Röntgenstrahlen nahe bzw. elektromagnetischen Linsen fokussiert.
bei 1 liegt (n = 1 − δ, mit δ ≈ 10−3 ), Der Aufbau entspricht dem klassischen Licht-
Röntgenstrahlen also praktisch nicht ge- mikroskop. Wegen der großen Öffnungsfehler
brochen werden. Möglich ist eine Reflexion der Elektronenlinsen muss die Apertur sehr
an Kristallgittern bei streifendem Einfall klein gemacht werden (AN ≈ 0,04). Dadurch
(Abschn. 6.4.1.8, Abb. 6.105). Heute können ist die Auflösungsgrenze deutlich größer als
606 6 Optik

Rastertunnelmikroskop
Beim Rastertunnelmikroskop (Scanning Tun-
neling Microscope, STM), das 1981 von G. Bin-
nig (geb. 1943) und H. Rohrer (geb. 1933)
entwickelt wurde (Nobelpreis 1986), dient als
Sonde eine extrem dünn ausgezogene Wolf-
ramnadel, deren Spitze im Idealfall durch ein
Atom gebildet wird. Befindet sich die Spitze in
einem Abstand von ungefähr 1 nm von der zu
untersuchenden Oberfläche, dann überlappen
sich die elektronischen Wellenfunktionen und
es fließt zwischen Spitze und Probe ein Tunnel-
strom, der extrem empfindlich (exponentiell)
vom Abstand zwischen Probe und Spitze ab-
hängt (Abschn. 8.2.6).
Abb. 6.142 Hochauflösende TEM-Aufnahme einer Um eine Abbildung der Probenoberfläche
Σ3 (111)-Korngrenze in Strontiumtitanat. Das zu erhalten, wird die Spitze mittels Piezo-
eingesetzte Strukturmodell zeigt die Positionen
Stellgliedern zeilenförmig über die Probe
von Atomsäulen in der Korngrenze, die mittels
quantitativer Bildauswertung bestimmt wurden.
bewegt (Abb. 6.143). Wird die Spitze in z-
Aufnahme: O.Kienzle, MPI für Metallforschung, Richtung so gesteuert, dass der Tunnelstrom
Stuttgart konstant bleibt, dann folgt die Spitze allen Er-
hebungen und Vertiefungen der abgerasterten
Oberfläche. Die Spannung Uz am Piezokristall,
die Wellenlänge. Praktisch erreicht ein 500 kV- der die z-Bewegung bewirkt, beinhaltet somit
Mikroskop eine Auflösung von etwa 100 pm. sämtliche Informationen über die Topogra-
Man kann damit also Atome in Kristallgittern phie der Probenoberfläche, so dass damit
abbilden (Abb. 6.142). Weil Elektronen in auf elektronischem Weg ein Rasterbild der
Materie stark absorbiert werden, können nur Oberfläche erzeugt werden kann.
ultradünn geschnittene, vakuumbeständige
Präparate untersucht werden.

6.6.2 Überwindung der Beugungsbegrenzung

Die Beugungsbegrenzung der Auflösung lässt


sich umgehen, wenn nicht das gesamte Ob-
jekt simultan abgebildet, sondern mithilfe ei-
ner Sonde abgerastert wird und die erhal-
tenen Informationen anschließend zu einem
Bild zusammengesetzt werden. Die Auflösung
der Rastersondenmikroskopie ist im Wesentli-
chen durch den Durchmesser der verwendeten
Sonde sowie die Reichweite der Wechselwir- Abb. 6.143 Rastertunnelmikroskop, Messprinzip.
kung zwischen ihr und der Probe bestimmt. Werkbild IBM, Zürich
6.6 Abbildung mikroskopischer Objekte 607

Abb. 6.145 Prinzip des Rasterkraftmikroskops

Kraft kann optisch detektiert werden über


Abb. 6.144 Rastertunnelmikroskop: Cu- die Ablenkung eines reflektierten Laserstrahls
Phthalocyanin-Moleküle eines auf einer (111)-
auf einer positionsempfindlichen Fotodiode
Si-Oberfläche aufgedampften 50 nm dicken Films.
Aufnahme: Renate Hiesgen, Hochschule Esslingen,
(Abb. 6.145). Regelt man die Höhe mithilfe des
Dieter Meissner, Fachhochschule Wels, Österreich z-Piezos so, dass die Kraft konstant bleibt, so
liefert die Spannung Uz wieder eine Informa-
tion über die Topographie der Oberfläche und
Die Auflösung des Tunnelmikroskops beträgt erlaubt die elektronische Erstellung eines drei-
in lateraler Richtung etwa 200 pm und ist in dimensionalen Abbilds. Bei harten Proben ist
vertikaler Richtung kleiner als 10 pm. Man eine laterale Auflösung von 100 pm erreichbar
kann damit also einzelne Atome abbilden (Abb. 6.146).
(Abb. 6.144). Damit ein Tunnelstrom flie- Jenseits der einfachen Abbildung einer Ober-
ßen kann, müssen die zu untersuchenden fläche können mit dem Kraftmikroskop wei-
Präparate elektrische leitfähig sein. tere Informationen über die physikalischen
und chemischen Eigenschaften der Probe ge-
Rasterkraftmikroskop wonnen werden. Beispielsweise wird beim Rei-
Proben, die nicht elektrisch leitend sind, kön- bungsmikroskop (Friction Force Microscope,
nen mit dem Rasterkraftmikroskop (Atomic
Force Microscope, AFM) untersucht werden.
Dieses ist eine Weiterentwicklung des Raster-
tunnelmikroskops durch G. Binnig, C. Quate
und C. Gerber im Jahr 1986. Dabei wird wie-
der mithilfe von Piezo-Stellgliedern mit einer
sehr feinen Spitze (z. B. Si, SiN, Krümmungs-
radius 0,1 nm bis 10 nm) über die zu unter-
suchende Probe gerastert. Die Spitze befin-
det sich am Ende eines Biegebalkens (canti-
lever), der infolge der Wechselwirkungskraft Abb. 6.146 AFM-Aufnahme von roten Blutkörperchen.
zwischen Spitze und Probe verbogen wird. Durchmesser ca. 8 μm, Höhe ca. 300 nm. Aufnahme:
Diese Durchbiegung und damit die Stärke der Jürgen Haiber, Physiklabor, Hochschule Esslingen
608 6 Optik

FFM) der Federbalken in lateraler Richtung


(y-Richtung in Abb. 6.145) über die Probe be-
wegt. Durch das seitliche Verdrehen des Feder-
balkens kann die Reibungskraft in Abhängig-
keit von der Normalkraft auf einer Nanometer-
skala untersucht werden.
Bilder der Oberfläche ergeben sich auch, wenn
die Spitze die Oberfläche nicht berührt. Dazu
wird der Federbalken zu vertikalen Schwin-
gungen erregt (tapping mode). Die dicht über
der Probenoberfläche schwingende Spitze
wird durch van-der-Waals-Wechselwirkung
mit den Atomen der Probe gedämpft und
liefert so beispielsweise Informationen zur
Adhäsion und Nano-Härte. Verwendet man
Messsonden, die mit spezifischen chemischen
Substanzen belegt sind, dann lässt sich eine
Aussage machen über die chemische Zusam-
mensetzung der Probenoberfläche (Chemical
Force Microscope, CFM). Beschichtet man
die Spitze mit einem ferromagnetischen Stoff,
dann liefert die Wechselwirkung mit verschie-
denen magnetischen Strukturen ein Bild der
magnetischen Eigenschaften der Probe (Ma-
gnetic Force Microscope, MFM). Man kann
damit beispielsweise magnetische Datenbits
auf Computerfestplatten sichtbar machen.

Rasterelektronenmikroskop
Beim Rasterelektronenmikroskop (REM, engl.
Scanning Electron Microscope, SEM) wird als
Sonde ein mithilfe von magnetischen Linsen

Abb. 6.147 REM-Aufnahmen einer durchgebrannten


Lampenwendel. a) Wendel mit Wolframoxid,
100 μm, b) Ausschnittsvergrößerung vom
oberen Bildrand des Teilbilds a), 10 μm, c)
aufgeschmolzenes Glaskügelchen mit Elementanalyse,
10 μm
6.6 Abbildung mikroskopischer Objekte 609

erzeugter schlanker Elektronenstrahl scharf


auf die Probe fokussiert. Rastert dieser die
Probenoberfläche zeilenförmig ab, so werden
teils die primären Elektronen zurück gestreut,
teils aus der Probe Sekundärelektronen aus-
gelöst und mit einem Kollektor gesammelt.
Mit dem daraus gewonnenen elektronischen
Signal wird die Helligkeit eines parallel dazu
laufenden Fernsehmonitors gesteuert, so dass
auf dem Monitor ein vergrößertes Abbild der
Oberfläche entsteht (Abb. 6.147).
Die Bedeutung der REM-Bilder liegt nicht so
sehr in der erzielbaren Vergrößerung (Auflö-
sungsgrenze etwa 10 nm), als vielmehr in der
enormen Schärfentiefe und Plastizität der Bil-
der. Abbildung 6.147a zeigt die Wendel der
Lampe eines Kfz-Scheinwerfers. Der Glaskol-
ben wurde bei einem Unfall zerstört, so dass
die Wendel durchbrannte und das entstehende
Wolframoxid sich auf den kälteren Bereichen
niederschlug. Die große Schärfentiefe zeigt
sich auch in der Ausschnittsvergrößerung von
Abb. 6.147b. Abb. 6.148 Optische Nahfeldmikroskopie,
Der Elektronenstrahl löst beim Rastern nicht a) Messprinzip, b) SNOM, c) PSTM
nur Elektronen aus der Oberfläche aus, son-
dern auch charakteristische Röntgenstrahlung
(Abschn. 8.5). Mithilfe der Röntgenfluores-
erkannt. Die technischen Probleme konnten
zenzanalyse (RFA) kann somit eine Material-
aber erst Mitte der 1980er Jahre gemeistert
bestimmung des untersuchten Objekts durch-
werden. Bei der optischen Nahfeldmikroskopie
geführt werden. Abbildung 6.147c zeigt ein
wird wie beim Rastertunnel- oder Rasterkraft-
auf der heißen Glühwendel aufgeschmolzenes
mikroskop die Probenoberfläche abgerastert.
Glaskügelchen sowie die Konzentration von Si-
Die Sonde, meist eine angespitzte Glasfaser
licium längs der horizontalen Linie.
mit einem Krümmungsradius von einigen
Die im REM untersuchten Präparate müssen
Nanometern, wird mittels Piezo-Stellgliedern
vakuumfest und elektrisch leitend sein. Nicht-
in einem Abstand von wenigen Nanometern
leitende Substanzen werden mit einer dünnen
über die Probe bewegt (Abb. 6.148a. Dabei
Goldschicht besputtert und dadurch leitend.
kann die Sonde entweder das Objekt be-
leuchten oder vom Objekt abgegebenes Licht
Optisches Nahfeldmikroskop weiterleiten oder beides. Die zwei wichtigsten
Dass auch bei einer optischen Abbildung die Modifikationen sind in Abb. 6.148b und c
Beugungsbegrenzung überwunden werden dargestellt.
kann, wenn im Nahfeld anstatt im Fernfeld ge- Beim Scanning Near-Field Optical Microscope
messen wird, hat der Ire E. Synge bereits 1928 (SNOM) dient die Spitze zur Beleuchtung. Um
6 Optik

das Licht möglichst punktförmig auf die Probe


zu bringen, wird eine dünn ausgezogene oder
geätzte Glasfaser metallisiert (z. B. durch Be-
dampfen mit Aluminium), sodass am unte-
ren Ende nur eine winzige Öffnung (Apertur)
bleibt, durch die das Licht austritt. Da Licht in
Al ca. 6 nm tief eindringt, ist der kleinstmög-
liche Aperturdurchmesser 12 nm. Das von der
Probe transmittierte (oder reflektierte) Licht
wird von einem Fotodetektor nachgewiesen.
Beim Photon Scanning Tunneling Microscope
(PSTM) wird das Objekt so beleuchtet, dass
Totalreflexion auftritt. Dabei erstreckt sich
das elektromagnetische Feld geringfügig über
die Probenoberfläche hinaus mit exponentiell
abnehmender Feldstärke. Dieses so genannte
evaneszente Feld kann von einer Spitze „ange-
zapft“ werden. Es tunneln also quasi Photonen
von der Probe zur Glasfaser, die in diesem Fall
nicht metallisiert sein muss und das Licht zu Abb. 6.149 PSTM-Bild der Moden des Lichtfeldes,
einem Detektor weiter leitet. das in einem photonischen Kristall lokalisiert ist.
Je feiner die Spitze und je kleiner der Ab- Wellenlänge 1,56 μm, Auflösung 250 nm. Aufnahme:
Sushil Mujumdar, Nano-Optics Group, ETH Zürich
stand zur Probenoberfläche ist, umso besser ist
das Auflösungsvermögen und zwar unabhän-
gig von der Wellenlänge. Eine typische Auflö- sondern auch das Lichtfeld selbst vermessen
sungsgrenze ist etwa 20 nm, die aber mit spe- werden. Abbildung 6.149 zeigt einen durch
ziellen Spitzen und Methoden auf etwa 1 nm ein Gitter von Bohrungen gebildeten photo-
verbessert werden kann. Die schwierige Auf- nischen Kristall, in dem Licht einer bestimm-
gabe der Abstandsregelung zwischen Spitze ten Wellenlänge gefangen ist. Mittels einer un-
und Probe wird mit den Methoden, die bereits beschichteten Faserspitze wurde das evanes-
vom AFM her bekannt sind (tapping mode) zente Feld (Abb. 6.148c) an der Oberfläche des
realisiert. photonischen Kristalls abgetastet und damit
Mit dem optischen Nahfeldmikroskop kön- die Feldverteilung der eingeschlossenen Licht-
nen nicht nur materielle Objekte abgebildet, welle sichtbar gemacht.
Kapitel 7
Akustik 7

E. Hering et al., Physik für Ingenieure,


DOI 10.1007/978-3-642-22569-7_7, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
7 Akustik
7.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 613
7.2 Schallwellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 614
7.2.1 Schallausbreitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 614
7.2.2 Schallwandler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 619
7.2.3 Schallwellen an Grenzflächen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 624
7.3 Schallempfindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 630
7.3.1 Physiologische Akustik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 630
7 7.3.2
7.4
Musikalische Akustik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Technische Akustik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
634
638
7.4.1 Raumakustik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 638
7.4.2 Luftschalldämmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 641
7.4.3 Körperschalldämmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 642
7.4.4 Strömungsgeräusche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 645
7.4.5 Ultraschall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 647
7.4.6 Schalleinsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 649
7 Akustik

7.1 Einführung Frequenzspektrum, stark schwankender Am-


plitudenverlauf) oder Knall (sehr breitbandi-
Die Akustik beschäftigt sich mit der Ausbrei- ges Frequenzspektrum mit nahezu konstan-
tung von Longitudinalwellen in Gasen, Flüs- tem Amplitudenverlauf) eingeteilt.
sigkeiten und Festkörpern. Abbildung 7.1 zeigt Bei der Schallausbreitung unterscheidet man
eine Übersicht über das Fachgebiet Akustik. die geometrische Akustik mit geradlinigen
Von besonderer Bedeutung sind die Ausbrei- Schallwegen im Raum und den Schallrefle-
tung von Schall in Luft und die beim Men- xionen an den raumumschließenden Flächen,
schen ausgelöste Schallempfindung. Je nach die Schallabsorption, die die Raumakustik
Frequenzverlauf und Amplitude wird Schall und den empfangenen Schallpegel bestimmt,
in Ton (eine Schallfrequenz, sinusförmiger sowie die Schalldämmung als Schallschutz
Amplitudenverlauf), Geräusch (breitbandiges zwischen benachbarten Räumen.

Abb. 7.1 Strukturbild Akustik

M. Stohrer, E. Hering, R. Martin, Physik für Ingenieure.


DOI 10.1007/978-3-642-22569-7_7 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
614 7 Akustik

Die Schallwechseldrücke erstrecken sich


Δx dp
über mehr als sechs, die Schallfrequenzen F rück = −(p2 − p1 )S = −S Δx .
|Δx| dx
über mehr als zehn Zehnerpotenzen. Je nach
(7.1)
Schalldruckbelastung, Schallfrequenzbereich
und Wirkungsgrad werden elektroakusti-
sche Wandler nach dem elektrostatischen, Wegen der Beschleunigung a infolge der
elektrodynamischen, elektromagnetischen, Druckstörung erfährt bei einer Dichte ρ im
piezoelektrischen oder piezoresistiven Prin- Volumen V die Masse m = ρV die Trägheits-
zip verwendet. Von besonderer Bedeutung kraft
ist als biologischer akustischer Wandler das
menschliche Gehör sowie dessen Lautstärke-
d
und Schallfrequenzempfindung. Ft = −ma = −ρV . (7.2)
dt

7.2 Schallwellen Aus dem dynamischen Kräftegleichgewicht


F t + F rück = 0 folgt der Zusammenhang zwi-
7.2.1 Schallausbreitung
schen der Beschleunigung a = d/ dt eines
Volumens V = SΔx und dem Druckgradienten
Schall ist die Ausbreitung lokaler Druck-
dp/ dx einer räumlichen Druckstörung, das
schwankungen in Medien. Der Zusammen-
hydrodynamische Grundgesetz:
hang zwischen den räumlichen und zeitlichen
dp d
Druckzuständen bei der Schallausbreitung −S Δx − ρ V =0 oder
wird im Folgenden für den mathematisch dx dt
einfacheren Fall der Ausbreitung einer ein-
dimensionalen ebenen Kompressionsstörung d 1 dp
=− . (7.3)
wiedergegeben. In dem in Abb. 7.2 dargestell- dt ρ dx
ten säulenförmigen Volumenelement ΔV mit
der Querschnittsfläche S ändert sich räumlich
der Druck in Ausbreitungsrichtung x längs Gleichung (7.3) geht aus den zeitabhängigen
der Säulenachse. Das Zusammenschieben der Navier-Stokes’schen Gleichungen der Hydro-
Moleküle mit der Auslenkungsgeschwindig- mechanik (3.165) hervor, wenn man in die-
keit , der Schnelle, bewirkt eine rücktreibende sen Differentialgleichungen die nichtlinearen
Kraft F rück die vom Druckunterschied an den Glieder vernachlässigt. Bei der Schallausbrei-
Begrenzungsflächen des Volumenelements tung sind die Geschwindigkeiten und Dich-
herrührt: teänderungen so klein, dass diese Näherung
zulässig ist.
Die Druckstörung verursacht im Volumen V =
SΔx einen räumlichen Geschwindigkeitsgradi-
enten d/ dx und damit verbunden eine zeitli-
che Volumenänderung dV / dt. Mit der Konti-
nuitätsbedingung folgt aus Abb. 7.2

dV V[t1 + dt] − V[t1 ]


=
Abb. 7.2 Ausbreitung einer ebenen Schallwelle dt dt
7.2 Schallwellen 615

S [Δx + (2 − 1 ) dt] − SΔx Gleichung (7.7) hat die Form der d’Alem-
=
dt bert’schen Wellengleichung (5.194) (Ab-
SΔx + S 1 + d
dx Δx − 1 dt − SΔx schn. 5.2.2.3). Wie dort gezeigt, erfüllen alle
= Druckfunktionen der Form p(x, t) = p(x ± c t)
dt
diese partielle Differentialgleichung zweiter
und somit Ordnung, c ist dabei die konstante Phasen-
geschwindigkeit, mit der sich die Störung
dV d
=V . (7.4) im kompressiblen Medium ausbreitet. Im
dt dx Fall der Ausbreitung von Druckstörungen
wird die Phasengeschwindigkeit c als Schall-
Die Volumenänderung eines komprimierba- geschwindigkeit bezeichnet. Der Vergleich
ren Mediums ist über den Kompressionsmo- von (7.7) mit (5.194) ergibt, dass die Schall-
dul K mit der Druckänderung im Medium ver- geschwindigkeit c durch die Dichte ρ und den
knüpft; nach (2.158) und Abb. 2.80 gilt für ein Kompressionsmodul K bestimmt ist:
Volumen V
K
dV
=−
V c= . (7.8)
dp K
oder ρ

Werden – wie bei Stoßwellenexperimenten –


dV V dp sehr große Dichtegradienten und Geschwin-
=− . (7.5)
dt K dt digkeitsänderungen erzeugt, sind die Nähe-
rungen des hydrodynamischen Grundgeset-
zes nicht mehr erfüllt. Die Druckausbreitung
Durch Gleichsetzung von (7.4) und (7.5) erhält
wird dann nicht durch die Differentialglei-
man für den Zusammenhang zwischen einem
chung (7.7) beschrieben; insbesondere ist die
räumlichen Geschwindigkeitsgefälle und der
Schallgeschwindigkeit nicht mehr konstant.
dadurch hervorgerufenen zeitlichen Druckän-
Sind die Querabmessungen bei Festkörpern
derung
klein gegen die Wellenlänge (z. B. dünner
Stab), so tritt auch eine Querdehnung oder
d 1 dp Kontraktion des Körpers ein. Dann muss
=− . (7.6)
dx K dt anstelle des Kompressionsmoduls K der
Elastizitätsmodul E gesetzt werden, sodass
Durch Differentiation von (7.3) nach x und gilt:
(7.6) nach t lassen sich die beiden Beziehungen

verknüpfen: E
cdünner Stab = . (7.9)
1∂ p
2
∂ 2
1∂p 2 ρ
− = =− bzw.
ρ ∂x2 ∂t ∂x K ∂t2
Die Druckänderung bei der Schallausbreitung
∂ p K∂ p
2 2 in Gasen erfolgt im Vergleich zur Wärmelei-
= . (7.7)
∂t2 ρ ∂x2 tung so schnell, dass die Zustandsänderung
isentrop ohne Wärmeübertragung verläuft.
616 7 Akustik


Durch Differentiation folgt aus (3.66) pV { = m
cL ≈ 331,5 1+
1 ϑ
s 2 273,15 ◦ C
konstant für isentrope Zustandsänderungen
ϑ m
dV
= 331,5 + 0,6 ◦ .
V C s
=−
dp κp
Die Abweichungen der Werte der Näherungsgleichung
und durch Vergleich mit (7.5) für den isentro- sind im obigen Temperaturbereich kleiner als 0,2%.
pen Kompressionsmodul K idealer Gase
Die Schallgeschwindigkeit einiger Festkörper,
cp p Flüssigkeiten und Gase enthält Tabelle 7.1.
K = κp = . (7.10) Die Lösungsfunktion der Wellenglei-
cV
chung (7.7) hängt entscheidend von den
Rand- und Anfangsbedingungen ab. Im ein-
κ ist der Isentropenexponent nach (3.60) (Ab- fachsten Fall der sinusförmigen Erregung
schn. 3.3.3), der vom Verhältnis der spezifi- durch einen eindimensionalen harmonischen
schen Wärmekapazitäten der Gase abhängt. Schallgeber mit der Erregerfrequenz f lautet
Wird (7.10) mit Hilfe der Zustandsgleichung die Lösung der Wellengleichung
idealer Gase p = ρRi T umgeformt und in (7.8)
eingesetzt, so ergibt sich die Schallgeschwin-
digkeit in Gasen zu p(x, t) = p0 + pw
/ 0
x
= p0 + p̂ cos 2πf t − .
cp Ri c
cGas = κ Ri T = T. (7.11) (7.12)
cV

Hierin ist p0 der statische Gasdruck und p̂ die


Hierin sind cp und cV die spezifischen Wärme-
Amplitude des Schallwechseldrucks pw . Die
kapazitäten bei konstantem Druck bzw. kon-
Schnelleverteilung der Schallausbreitung er-
stantem Volumen und Ri die spezifische (mas-
gibt sich aus der Differentiation von (7.12)
sebezogene) Gaskonstante.
nach x und Integration von (7.3) nach t zu
Beispiel
7.2-1 Es soll eine Näherungsgleichung für die Tempe- / 0
1 x
raturabhängigkeit der Schallgeschwindigkeit cL in Luft (x, t) = p̂ cos 2πf t − .
abgeleitet werden. ρc c
(7.13)
Lösung
Werden die Werte cp = 1,005 J/(g K), cV = 0,717 J/(g K)
und Ri = 287 J/(kg K) von Luft in (7.11) eingesetzt, so
Die Schnelleamplitude ˆ beträgt also
ergibt sich

m ϑ 1
cL = 331,5 1+ . ˆ = p̂ . (7.14)
s 273,15 ◦ C ρc
Im meteorologischen Temperaturbereich von etwa
−20 ◦ C < ϑ < +40 ◦ C ist ϑ/ 273,15 ◦ C << 1, sodass
die Wurzel durch eine Reihenentwicklung genähert Die Schallschnelle (x, t) ist über den Wellen-
werden kann: widerstand oder die Schallkennimpedanz
7.2 Schallwellen 617

Tabelle 7.1 Dichte, Schallgeschwindigkeit und Schallkennimpedanz einiger Stoffe beim Normdruck
pn = 1 013 hPa

Dichte ρ Schallgeschwindigkeit c Schallkennimpedanz Z0


kg m kg
in 3 in in 2
m s m s

Luft −20 ◦ C trocken 1,396 319 445


Luft 0 ◦ C trocken 1,293 331 427
Luft 20 ◦ C trocken 1,21 344 416
Luft 100 ◦ C trocken 0,947 387 366
Wasserstoff 0 ◦ C 0,090 1260 113
Wasserdampf 130 ◦ C 0,54 450 243
Wasser 0 ◦ C 1000 1400 1,40 · 106
20 ◦ C 998 1480 1,48 · 106
Glyzerin 1260 1950 2,46 · 106
Eis 920 3200 2,94 · 106
Holz 600 4500 2,70 · 106
Glas 2500 5300 13,0 · 106
Beton 2100 4000 8,4 · 106
Stahl 7700 5050 39 · 106

Z = ρc (7.15) a(x, t) = −2πf ·


/ 0
1 x
· p̂ sin 2πf t − . (7.17)
ρc c
eindeutig mit dem Schallwechseldruck pw (x, t)
verknüpft. Z ist über die Dichte und die Schall-
Schallaufnehmer zeigen den über die Inte-
geschwindigkeit von dem statischen Druck p0
grationszeit τ gebildeten Effektivwert peff des
und der Temperatur T des Gases abhängig.
Schallwechseldrucks an:
Anhand einer Schnellemessung kann also der

Schallwechseldruckverlauf analysiert werden.
τ

1
=

Werte für die Schallkennimpedanz einiger


peff p2w (x, t) dt . (7.18)
Stoffe sind in Tabelle 7.1 aufgeführt. Durch τ
0
Integration oder Differentiation von (7.13)
ergeben sich die Elongation y und die Be-
schleunigung a der von der Schallwelle Für sinusförmige Schallwellen gilt analog
verursachten longitudinalen Molekülschwin- den Effektivwerten elektrischer Wechsel-
gung: ströme

/ 0 p̂
1 1 x peff =√ . (7.19)
y(x, t) = p̂ sin 2πf t − 2
2πf ρc c
(7.16) Solange die Schallwechselamplituden im
und Vergleich zum statischen Gasdruck klein
sind (Schalldruckpegel L < 130 dB, Ab-
618 7 Akustik

schn. 7.2.2), überlagern sich an einem Ort Oberfläche um die Schallquelle, z. B. einer
des Schallfeldes die Schalldrücke additiv Kugeloberfläche, aufsummiert wird, aus
(Superpositionsprinzip):

p(x0 , t) = p1 (x0 , t) + p2 (x0 , t) + · · · P= I dS . (7.23)
Der am Ort x0 gemessene resultierende Effek- S

tivwert ist dann für zwei Schalldrücke




τ Die geometrische Form einer Schallquelle be-

1

peff = (p1 + p2 )2 dt stimmt die Lösung der Wellengleichung (7.7),


τ die räumliche Ausbreitung des Schallwech-
0
seldrucks und damit die Schallintensität an

τ τ τ

1 jedem Ort im Schallfeld der Schallquelle.

1 2
= 2
p1 dt + 2
p2 dt + p1 p2 dt .
τ τ τ Eindimensionale Schallfelder, wie sie (7.12)
0 0 0 beschreibt, und die nach (7.22) eine konstante
Für nichtkohärente Schallwellen verschwindet Schallintensität haben, gibt es näherungs-
im zeitlichen Mittel das Produkt der Schall- weise nur im Nahfeld ausgedehnter ebener
wechselamplituden und in diesem häufigen Schallquellen oder in vergleichsweise kleinen
Fall gilt Schallfeldbereichen weit entfernt von lokali-
sierten Schallquellen. Bei punkt- oder kugel-
förmigen Schallquellen ist die Schallintensität
peff = p21, eff + p22, eff + · · · . (7.20) räumlich nicht konstant; bei Verdopplung
des Abstands zum Kugelmittelpunkt sinkt die
Schallintensität auf ein Viertel.
Mit den Beziehungen (7.14) und (7.16) ist In Abb. 7.3 sind die Beziehungen für die drei
die Energiedichte = dE/ dV einer Schall- Grundgeometrien der ebenen, linien- und
welle punktförmigen Schallquellen zusammenge-
stellt.
1 1 1 p̂2 Erfolgt die Schallwellenausbreitung über grö-
= ρ(2πf )2 ŷ2 = ρ ˆ2 = .
2 2 2 ρ c2 ßere Entfernungen, beispielsweise in Luft über
(7.21) mehr als 100 m, dann machen sich Schallener-
gieverluste durch Schallabsorption bemerkbar.
Die Schallenergie wird dabei zum einen durch
Nach (5.176) ist die Schallintensität
innere Reibung und durch nicht vollständige
isentrope Kompression direkt in Wärme um-
1 dE 1
I = = c = ρ c ˆ2 oder gewandelt (Dissipation); zum anderen regt die
S dt 2 Schallwelle translatorische, rotatorische und
andere Freiheitsgrade der Moleküle des Schall-
übertragungsmediums an (Relaxation), so-
1 p2eff
I = ˆ p̂ = eff peff = . (7.22) dass die der Schallwelle entzogene Anregungs-
2 Z energie nach einer charakteristischen Zeit-
konstante (Relaxationszeit) ebenfalls der in-
Die Schallleistung P einer Schallquelle er- neren Energie des Mediums zugeführt wird.
gibt sich, wenn die Schallintensität auf einer Diese Schallausbreitungsdämpfung führt zu
7.2 Schallwellen 619

Abb. 7.3 Schallquellengeometrien

einer exponentiellen Abnahme der Schallin- Luftdämpfungskoeffizient αL ≈ 10−3 m−1 ent-


tensität. Zusätzlich zu einer eventuell durch sprechend einer Intensitätsabnahme von mehr
die Schallquellengeometrie verursachten In- als 4 dB/km.
tensitätsabnahme bewirkt diese Absorptions- Einen besonders hohen Dämpfungskoeffizien-
dämpfung einen Schallintensitätsabfall an ei- ten weisen Schallabsorbermaterialien auf. Die
nem Ort r, bezogen auf die Intensität an einem große innere Reibungsfläche der faserartigen
Ort r0 , von oder porösen Stoffe, wie z. B. Mineralfasern,
Steinwolle und Filze, erhöht die Dissipation.

I(r) = I(r0 )e−α(r−r0 ) . (7.28)


7.2.2 Schallwandler

Der Dämpfungskoeffizient α (Maßeinheit m−1 ) Die Wechseldrücke von Schallwellen über-


ist abhängig von der Schallfrequenz und von spannen in der Technik einen Wertebereich
den Schallabsorptionseigenschaften des Medi- von mehr als sechs Zehnerpotenzen. Schall-
ums. Der Luftdämpfungskoeffizient hängt bei- wandler müssen also in diesem großen
spielsweise von der Luftfeuchtigkeit ab; bei Bereich den Schallwechseldruck oder die
normalen klimatischen Verhältnissen ist die nach (7.3) damit verknüpfte Schallschnelle
Luftabsorption bei tiefen Schallfrequenzen ge- über ein mechanisches Schwingungssystem
ring, erst oberhalb f = 1 000 Hz beträgt der (Membran) in eine elektrische Spannung
620 7 Akustik

Abb. 7.4 Elektroakustischen Wandler

umwandeln können. Schallempfänger oder Empfindlichkeit und ihrer Schalldruckbelast-


Mikrofone wandeln den Schalldruck in elektri- barkeit.
sche Spannung, Schallgeber oder Lautsprecher In Abb. 7.4 sind die gebräuchlichen elektro-
elektrische Leistung in Schallleistung. akustischen Wandlerprinzipien einander ge-
Die verschiedenen elektroakustischen Wand- genübergestellt:
ler unterscheiden sich im Absolutwert und
in der Frequenzabhängigkeit des Wandlerwir- – Beim elektrostatischen Wandler bildet die
kungsgrades, aber auch in ihrer mechanischen Schallwandlermembran zusammen mit
7.2 Schallwellen 621

Tabelle 7.2 Schallpegel

Schallpegel Definition Bezugsgröße Beziehungen

peff
Schalldruckpegel Lp = 20 lg dB peff, 0 = 2 · 10−5 Pa
peff, 0
peff = Z eff
eff m
Schallschnellepegel L = 20 lg dB eff, 0 = 5 · 10−8
eff, 0 s
p2eff
I = = 2eff Z
I W Z
Schallintensitätspegel LI = 10 lg dB I0 = 10−12
I0 m2 p2eff
P=S
P Z
Schallleistungspegel LW = 10 lg dB P0 = 10−12 W
P0

einer Gegenelektrode einen Kondensator, Schalldruckmessgeräte bilden über Gleich-


dessen Kapazität und damit elektrische richter die Effektivwerte der Ausgangsspan-
Spannung sich mit der Membranauslen- nungen elektroakustischer Wandler und kor-
kung ändert. rigieren durch spezielle Verstärkerkennlinien
– Beim elektrodynamischen Wandler bewegt den Frequenzgang des Übertragungsmaßes.
die Membran eine Spule in einem Topf- Die Messanzeige muss mit Eichschallquellen
magneten, sodass zur Schallschnelle pro- kalibriert werden.
portionale elektrische Spannungen in der Handliche Zahlenwerte für die Schallwechsel-
Schwingspule induziert werden. druck-Effektivwerte ergeben sich, wenn diese
– Beim elektromagnetischen Wandler verän- in einem relativen logarithmischen Maßstab,
dert die Bewegung der magnetischen Mem- dem Schalldruckpegel Lp , angegeben werden:
bran den Luftspalt eines Magneten; hier-
durch wird der magnetische Fluss im Ma-
gnetjoch moduliert und in einer Wicklung p2eff
Lp = 10 lg 2 dB
eine elektrische Spannung induziert. peff, 0
– Beim piezoelektrischen Wandler bewirkt die
p
Deformation des Kristalls durch den Schall- = 20 lg eff dB . (7.29)
peff, 0
druck eine Verschiebung der Ladungsstruk-
tur und piezoelektrisch, erzeugte Oberflä-
chenladungen, deren elektrische Spannung Der Bezugsschalldruck peff, 0 liegt an der unte-
zum Schalldruck proportional ist. ren Hörgrenze und ist nach DIN EN 21 683 auf
– Beim piezoresistiven Wandler werden durch peff, 0 = 2 · 10−5 Pa festgelegt. Wie in der Elek-
den Schalldruck die Körner von Kohlegrieß trotechnik wird das Zehnfache des logarithmi-
unterschiedlich gepresst, sodass sich der schen Relativmaßes des Schallpegels mit der
elektrische Widerstand des Kohlegrießes Einheit Dezibel gekennzeichnet.
ändert und der dadurch modulierte elek- Außer dem Schalldruckpegel gibt es weitere
trische Strom an einem Lastwiderstand Schallpegel; sie sind in Tabelle 7.2 zusam-
eine in erster Näherung zum Schalldruck mengestellt. Nur bei einer Schallkennimpe-
proportionale Spannung erzeugt. danz Z = 400 kg/(m2 s) des Ausbreitungsme-
622 7 Akustik

Tabelle 7.3 Schallpegel-Additionstabelle ferenz ΔL = L1 − L2 Tabelle 7.3 entnommen


(ΔL Pegeldifferenz, Lz Pegelzuschlag) wird.
ΔL Lz ΔL Lz ΔL Lz Beispiel
dB dB dB dB dB dB 7.2-2 Wie groß ist der Gesamtschallpegel von drei
Schallquellen mit den Schallpegeln L1 = 70 dB, L2 =
0,0 3,0 4,0 1,5 8,0 0,6 73 dB, L3 = 74 dB?
0,5 2,8 4,5 1,3 9,0 0,5 Lösung
1,0 2,5 5,0 1,2 10,0 0,4 Nach (7.30) ermittelt man
1,5 2,3 5,5 1,1 12,0 0,3
2,0 2,1 6,0 1,0 14,0 0,2 Lges = 10 lg(100,1·70 + 100,1·73 + 100,1·74 ) dB
2,5 1,9 6,5 0,9 16,0 0,1 = 10 lg(5,507 · 107 ) dB = 77,4 dB .
3,0 1,8 7,0 0,8 20 0,0
3,5 1,6 7,5 0,7 Dieser Wert ergibt sich auch anhand von Tabelle 7.3:

ΔL32 = L3 − L2 = 1 dB, Lz, 32 = 2,5 dB ;


L4 = L3 + Lz, 32 = 76,5 dB;
diums, wie sie etwa Luft bei ϑ = 20 ◦ C auf- ΔL41 = L4 − L1 = 6,5 dB, Lz, 41 = 0,9 dB ;
weist, und bei gleichen Bezugsflächen S = S0 Lges = L4 + Lz, 41 = 77,4 dB .
für den Schallleistungspegel ergeben sich glei-
che Pegelwerte. Die Addition von Schallpe- Zur Charakterisierung von Schallgebern,
geln ist nicht algebraisch; so ist beispielsweise zur Analyse von Schallquellen und zur Mes-
0 dB + 0 dB = 3 dB. Addiert werden kön- sung des Koinzidenzeffekts bei Trennwänden
nen nur die Schallintensitäten oder entspre- (Abschn. 7.2.3) ist die Bestimmung der Fre-
chend (7.22) die Quadrate der Schalldruckef- quenzabhängigkeit des Schallpegels erforder-
fektivwerte. Die Summe relativer Schallinten- lich, das Schallfrequenzspektrum. Dazu wird
sitäten das Spannungssignal des elektroakustischen
Schallwandlers durch Bandfilter, im einfachs-
I I1 I2 L1 L2
= + + … = 10 10 dB + 10 10 dB + · · · ten Fall durch elektrische Resonanzkreise
I0 I0 I0 entsprechend Abschn. 4.5.2.4 mit variabler
n
Li Resonanzfrequenz, nur in einem Frequenz-
= 10 10 dB
intervall verstärkt und damit der Schallpegel
i=1
in Abhängigkeit von der Resonanzfrequenz
ergibt den Gesamtschallpegel des Bandfilters gemessen. Akustische Band-
filter werden durch das Verhältnis fo / fu der
I oberen zur unteren Grenzfrequenz sowie die
Lges = 10 lg dB
I0
n Bandmittenfrequenz fm = fo fu charakte-
Li risiert. Je schmaler das Frequenzintervall
= 10 lg 10 10 dB dB . (7.30) fo − fu ist, desto höher ist die Auflösung
i=1
des Schallfrequenzspektrums. Für Schall-
und Lärmschutzanalysen √ ist das Grenzfre-
In der Praxis führt man die Pegeladdition suk- quenzverhältnis fo / fu = 3 2 des Terzfilters
zessive für jeweils zwei Pegel aus, indem man ausreichend; es entspricht etwa der Auflösung
die Schallpegel-Additionstabelle 7.3 benutzt. des menschlichen Ohres.
Zum größeren Pegel L1 addiert man einen Pe- Für Grobanalysen werden Oktavfilter mit dem
gelzuschlag Lz , der entsprechend der Pegeldif- Grenzfrequenzverhältnis fo / fu = 2 eingesetzt.
7.2 Schallwellen 623

Tabelle 7.4 Terz und Oktavfilter (fu , fo untere bzw. obere Frequenzgrenze, Δ∗A Schallpegelabschwächung bei
A-Bewertung)

Oktave Terz
fu fo fm Δ∗A fu fo fm Δ∗A
Hz Hz Hz dB Hz Hz Hz dB

11 22 16 −56,7 14,1 17,8 16 −56,7


17,8 22,4 20 −50,5
22,4 28,2 25 −44,7
22 44 31,5 −39,4 28,2 35,5 31,5 −39,4
35,5 44,7 40 −34,6
44,7 56,2 50 −30,2
44 88 63 −26,2 56,2 70,7 63 −26,2
70,7 89,1 80 −22,5
89,1 112 100 −19,1
88 177 125 −16,1 112 141 125 −16,1
141 178 160 −13,4
178 224 200 −10,9
177 355 250 −8,6 224 282 250 −8,6
282 355 315 −6,6
355 447 400 −4,8
355 710 500 −3,2 447 562 500 −3,2
562 708 630 −1,9
708 891 800 −0,8
710 1 420 1 000 0 891 1 122 1 000 0
1 122 1 413 1 250 +0,6
1 413 1 778 1 600 +1,0
1 420 2 840 2 000 +1,2 1 778 2 239 2 000 +1,2
2 239 2 818 2 500 +1,3
2 818 3 548 3 150 +1,2
2 840 5 680 4 000 +1,0 3 548 4 467 4 000 +1,0
4 467 5 623 5 000 +0,5
5 623 7 079 6 300 −0,1
5 680 11 360 8 000 −1,1 7 079 8 913 8 000 −1,1
8 913 11 220 10 000 −2,5
11 220 14 130 12 500 −4,3
11 360 22 720 16 000 −6,6 14 130 17 780 16 000 −6,6
17 780 22 390 20 000 −9,3

In Tabelle 7.4 sind die Bandmittenfrequenzen fm LT


und Grenzfrequenzen der Terz- und Oktavfil- 400 Hz 55 dB
500 Hz 59 dB
ter zusammengestellt.
630 Hz 58 dB .
Lösung
Beispiel
Nach (7.30) ist
7.2-3 Wie groß ist der Oktavpegel, wenn bei den Mit-
LOktav = 10 lg(100,1 L400 + 100,1 L500 + 100,1 L630 ) dB
tenfrequenzen fm folgende Terzpegel LT gemessen wer-
den: = 62,4 dB .
624 7 Akustik

Diese Gleichung lässt sich umschreiben in



Z2 p̂2e (0) − p̂2r (0) = Z1 p̂2t (0) und daraus

Z2 p̂e (0) − p̂r (0) p̂e (0) + p̂r (0) = Z1 p̂2t (0) .

Nun gilt als Folge des Kräftegleichgewichts für


die Amplituden der Schallwechseldrücke

p̂e (0) + p̂r (0) = p̂t (0) . (7.34)


Abb. 7.5 Schall an einer Grenzfläche

7.2.3 Schallwellen an Grenzflächen Dividiert man die vorige Gleichung


durch (7.34), so entsteht
An der Grenzfläche zweier Medien mit un-
terschiedlicher Schallkennimpedanz Z = ρ c Z2 p̂e (0) − p̂r (0) = Z1 p̂t (0)

wird die Schallwelle teilweise reflektiert, wie = Z1 p̂e (0) + p̂r (0) .
Abb. 7.5 zeigt. Bei senkrechtem Einfall ist nach
dem Energieerhaltungssatz die Summe der re- Hieraus folgt für den Reflexionsfaktor r einer
flektierten Schallintensität Ir und der trans- Grenzfläche
mittierten Schallintensität It gleich der einfal-
lenden Schallintensität Ie . p̂r (0) peff, r (0) Z2 − Z1
r= = = . (7.35)
Damit gilt für den Zusammenhang zwischen p̂e (0) peff, e (0) Z2 + Z1
dem Schall-Reflexionsgrad ρS = Ir / Ie und
dem Schall-Transmissionsgrad τS = It / Ie einer
Für den Schall-Reflexionsgrad gilt
Grenzfläche (x = 0)
2
ρS + τS = 1 . Ir (0) Z2 − Z1
(7.31) ρS = = r2 = . (7.36)
Ie (0) Z2 + Z1

Wird im Medium II die transmittierte Schall-


energie absorbiert und in Wärme umgewan- Schließlich ergibt sich nach (7.32) für den
delt (Dissipation), dann ist der Schallabsorpti- Schall-Absorptionsgrad einer Grenzfläche
onsgrad αS = Ia / Ie des absorbierenden Medi-
ums nach (7.31) 4 Z1 Z2
αS = 1 − ρS = . (7.37)
(Z1 + Z2 )2
αS = 1 − ρS . (7.32)
An schallharten Grenzflächen Z2 >> Z1 , bei-
Der Energieerhaltungssatz Ie = Ir +It für senk- spielsweise beim Übergang von Luft in Wasser
rechten Einfall lautet mit Hilfe von (7.22) oder Beton, wird die Schallwelle nahezu total
reflektiert. Eine ebenfalls sehr große Schall-
1 p̂2e (0) 1 p̂2r (0) 1 p̂2t (0) reflexion tritt bei schallweichen Grenzflächen
= + . (7.33) Z2 << Z1 auf. In beiden Fällen kommt es
2 Z1 2 Z1 2 Z2
durch die Überlagerung von einfallender und
7.2 Schallwellen 625

reflektierter Schallwelle zu Schallinterferenzen


(Abschn. 5.2.4) und zu stehenden Schallwel-
len mit Intensitätsknoten und -bäuchen ge-
mäß Abb. 7.6. Im Kundt’schen Rohr (Abb. 5.59)
wird über stehende Wellen die Schallwellen-
länge λ bestimmt. – In realen Schallfeldern
ist die räumliche Verteilung der Schallinter-
ferenzen kompliziert. Im Nahfeld vor Wän-
den erhöht sich beispielsweise der Schallpegel
durch die Reflexion um ΔL = 3 dB, in Ecken
durch dreidimensionale Reflexionen sogar um
ΔL = 6 dB.
Schallreflexionen an Grenzflächen von Me-
dien mit unterschiedlicher Schallkennimpe-
Abb. 7.6 Schallreflexion
danz werden in der Ultraschalldiagnostik (Ab-
schn. 7.4.5) zur Lokalisierung von Material-
fehlern benutzt sowie bei der Körperschalliso- Einen Überblick über Aufbau und Eigenschaf-
lierung (Abschn. 7.4.3) zur Verhinderung der ten technischer Schallabsorber gibt Abb. 7.7.
Schalleinleitung angewandt. Die Schalltransmission durch Trennwände
Schallabsorber erreichen nur dann einen lässt sich berechnen, wenn folgende Näherun-
hohen Schallabsorptionsgrad αs , wenn die gen gemacht werden:
Schallkennimpedanz des Absorbermaterials
in etwa derjenigen von Luft entspricht und so- – Die Grenzfläche ist biegeweich, die Schall-
mit die Schallwelle eindringen kann. Wird die schnelle 2 und der Schallwechseldruck p2
Schallenergie nur in einem schmalen Schall- der auf der Wandrückseite abgestrahlten
frequenzbereich absorbiert, so handelt es Schallwelle sind so groß wie die Schall-
sich um Resonanzabsorber nach dem Prinzip schnelle t und der Schalldruck pt der durch
der erzwungenen Schwingung eines Feder- die vordere Grenzfläche durchgehenden
Masse-Systems (Abschn. 5.1.3). Im Bereich Schallwelle.
der Resonanzfrequenz fo nehmen diese Sys- – Die Schallenergieverluste in der Trennwand
teme große Schallenergien auf und wandeln durch Dissipation sind vernachlässigbar, es
diese als Strömungs- und Reibungsverlust in gilt also τS = 1 − ρS .
Wärme um. – Nur die Massenträgheit der Trennwand be-
Poröse Schallabsorber wirken schallabsorbie- stimmt das Resonanzverhalten; der Einfluss
rend, wenn die Schallwellenlänge λS = c/ f der Elastizität und anderer nichtlinearer
kürzer als die vierfache Absorberdicke ist. oder frequenzabhängiger Effekte wird nicht
Werden poröse Absorber vor schallharten berücksichtigt.
Grenzflächen befestigt, so ist der Schallab-
sorptionsgrad αS maximal, wenn der Abstand Bei sehr biegeweichen Stoffen, wie z. B. bei
einem Viertel der Wellenlänge der stehenden Gummi- oder Bleimatten, sind diese Näherun-
Schallwelle entspricht, die nach Abb. 7.6 durch gen erfüllt, bei Wänden und Decken dagegen
die Interferenz zwischen der einlaufenden und nur bei sehr tiefen Anregungsfrequenzen (Ab-
reflektierten Schallwelle zustande kommt. schn. 7.4.2).
626 7 Akustik

Abb. 7.7 Schallabsorber

Trifft, wie in Abb. 7.8 skizziert, auf die Grenz-


fläche unter dem Einfallswinkel δ eine ein- p1 (x1 ) − p2 (x2 )
fallende Schallwelle mit dem Schallwechsel- = (2 pe (x1 ) − pt (x1 )) − pt (x2 )
druck pe und der Schallschnelle e auf, dann = 2(pe (x1 ) − pt (x1 )) . (7.42)
gilt für den Druck p1 auf der Einfallsebene x1
mit (7.34) für Z1 = Z2
Diese Druckdifferenz p1 − p2 bewirkt nach der
hydrodynamischen Grundgleichung (7.3) eine
p1 (x1 ) = pe (x1 ) + pr (x1 )
Beschleunigung der Trennwand in x-Richtung:
= 2 pe (x1 ) − pt (x1 ) (7.41)

dx p1 (x1 ) − p2 (x2 )


und für die Schallwechseldruckdifferenz über ρ =−
dem Wandquerschnitt, vernachlässigbare dt x1 − x2
Schallabsorption in der Wand und damit oder mit der Wanddicke s = x2 − x1 und der
pt (x2 ) = pt (x1 ) vorausgesetzt. flächenbezogenen Masse m = ρs
7.2 Schallwellen 627

p̂t jωt
jωm cos δ e = 2(p̂e − p̂t )e jωt
Z
oder

pt (x1 ) 1
= . (7.45)
pe (x1 ) m
ω cos δ
1+j
2Z

Der Transmissionsgrad τS (δ) hat dann die


Winkelabhängigkeit
Abb. 7.8 Schalldurchgang durch eine dünne Wand

It pt (x1 ) 2
τS (δ) = =
Ie pe (x1 )
dx 1
m = p1 − p2 . (7.43) = . (7.46)
dt m πf cos δ 2
1+
Z
Die Beschleunigung wird durch die zeitliche
Änderung der Schnelle t der transmittierten Für senkrechten Schalleinfall δ = 0 ergibt sich
Welle bewirkt. Deren x-Komponente ist bei ei-
nem Ausfallwinkel δ
1
τS (0◦ ) = 2 . (7.47)
πm f
x (x1 ) = tx (x1 ) = t (x1 ) cos δ . (7.44) 1+
Z

In komplexer Schreibweise gelten für die In diesem Fall ist also der Transmissions-
Schallwellen an der Grenzfläche x = x1 mit grad einer Trennwand umso größer, je kleiner
der Kreisfrequenz ω = 2πf die flächenbezogene Masse und je niedriger
pe (x1 ) = p̂e e jωt und 1 (x1 ) = ˆ1 e jωt die Schallfrequenz ist. Für Schallschutztrenn-
wände gilt meistens πm f / Z >> 1, sodass für
sowie δ < 90◦ (7.46) in
pt (x1 ) = p̂t ejωt und t (x1 ) = ˆt e jωt .
2
Z
Damit ergibt sich aus (7.43), wenn (7.44) τS (δ) ≈ (7.48)
πm f cos δ

und (7.42) eingesetzt werden,
dt
m cos δ = m cos δ(jω)ˆt e jωt übergeht. Vielfachreflexionen bewirken in
dt
Räumen, dass die Schalleinstrahlung gleich-
= 2(p̂e − p̂t )e jωt .
mäßig über alle Einfallswinkel δ, d. h. diffus
Wird die Schnelle ˆt nach (7.14) mit Hilfe der verteilt ist. Wegen cos2 δ = 0,5 ist daher der
Schallkennimpedanz Z = ρc der Luft in den Transmissionsgrad τS (δ) einer Trennwand im
Wechseldruck p̂t umgewandelt, ergibt sich diffusen Schallfeld
628 7 Akustik

√ 2
2Z
τS (δ) = = 2 τS (0◦ ) . (7.49)
πm f

Als Schalldämmmaß R der Trennwand wird

1
R = 10 lg dB (7.50)
τS (δ)

definiert. Für ein diffuses Schallfeld ist also das


Schalldämmmaß einer biegeweichen Trenn-
wand
Abb. 7.9 Luftschalldämmmaß R einer 70 mm
dicken Gipsplattenwand, beidseitig verspachtelt
π f m (m = 80 kg/m2 , E = 6 · 109 N/m2 , fg = Grenzfrequenz
R = 20 lg dB − 3 dB . (7.51)
Z der Spuranpassung nach (7.57))

Dies ist das Massengesetz für das theoretische


Schalldämmmaß einer Wand. – In der Pra-
xis findet man bei Platten und Wänden mehr
oder weniger große Abweichungen der gemes-
senen Schalldämmmaße gegenüber (7.51), wie
Abb. 7.9 zeigt. Bei schrägem Schalleinfall ge-
mäß Abb. 7.10 kommt es wegen der bei der
Herleitung von (7.51) vernachlässigten Biege-
steifigkeit des Wandmaterials zu transversalen
Biegewellen, die die Platte passieren, auf der
Plattenrückseite Schall abstrahlen und somit
die Schalldämmung vermindern.
Biegewellen auf Platten haben eine anomale
Dispersion (Abschn. 5.2.4.4). Die Ausbrei-
tungsgeschwindigkeit cB ist frequenzabhängig
und wird vom Quotienten aus Biegestei-
figkeit B und flächenbezogener Masse m
bestimmt:

Abb. 7.10 Biegewellen durch Spuranpassung


B
cB = 2πf
4
. (7.52)
m
nant erregt, wenn die Wellenlängenkompo-
nente der Schallwelle parallel zur Plattene-
Die Biegewellen werden von einer auftref- bene, also deren Spurwellenlänge λS = λL / sin δ
fenden Schallwelle der Wellenlänge λL reso- mit der Wellenlänge λB = cB / f der Biege-
7.2 Schallwellen 629

welle übereinstimmt (Koinzidenzeffekt oder Wird der Einfluss von μ(0 μ 0,5) vernach-
Spuranpassung): lässigt, so beträgt bei Luftschall (cL = 340 m/s)
die Luftschall-Grenzfrequenz fg L homogener
Platten
2π B
λS = λB = 4
. (7.53)
f m m 2 1 ρ
fg L, hom = 6,4 · 10
4
. (7.57)
s s E

Bei einem Einfallswinkel δ tritt also Spur-


anpassung bei folgender Schallfrequenz f = Trennwände wirken schalldämmend, wenn
cL /λL ein: ihre flächenbezogene Masse m groß ist und
ihre Grenzfrequenz fg oberhalb des Fre-
quenzbereiches liegt, in dem die Trennwand
cL cL2 m als Schallschutz wirken soll. Bei üblichen
f = = . (7.54)
λS sin δ 2π sin2 δ B homogenen Trennwandmaterialien sind flä-
chenbezogene Masse und Biegesteifigkeit
bzw. Dicke, Dichte und Elastizitätsmodul so
Nach (7.54) ergibt sich die tiefste Schallfre- verknüpft, dass man eine materialunabhän-
quenz, bei der noch eine Biegewelle erregt gige Kurve für den Zusammenhang zwischen
wird, bei streifendem Schalleinfall δ = 90◦ . Die Schalldämmmaß R und flächenbezogener
untere Grenzfrequenz fg der Spuranpassung be- Masse m angeben kann (Abschn. 7.4.2).
trägt also
Zur Übung
Ü 7.2-1 Ein quaderförmiger Raum mit allseitig schall-
cL2 m harten Oberflächen hat die Länge L = 10 m, die Breite
fg = . (7.55) B = 8 m und die Höhe H = 6 m. a) Berechnen Sie für
2π B
jede der drei Raumachsen die Frequenzen der ersten
fünf Raumresonanzen bei einer Schallausbreitung in
Luft mit der Schallgeschwindigkeit 340 m/s. b) Geben
Im diffusen Schallfeld 0◦ δ 90◦ setzt bei
Sie die ermittelten Resonanzen innerhalb des Oktav-
Schallfrequenzen f > fg die erhöhte, durch den bandes mit der Bandmittenfrequenz fm = 63 Hz an.
Koinzidenzeffekt verursachte Schalltransmis- c) Wie ändert sich die Schallausbreitung und die Fre-
sion ein und das Schalldämmmaß weicht vom quenz der ersten Raumresonanz in jede der drei Raum-
theoretischen Massengesetz nach (7.51) ab achsen, wenn im Rahmen einer Modelluntersuchung
(Abb. 7.9). Helium anstatt Luft am Normzustand (ϑn = 0 ◦ C,
Homogene Platten mit der Dichte ρ und der pn = 1,013 bar) verwendet wird?
Dicke s sowie dem Elastizitätsmodul E und
der Querkontraktions- oder Poissonzahl μ ha-
Ü 7.2-2 Gegeben ist ein Klang, der sich aus 10 Teil-
tönen mit den Frequenzen fn = n · f1 zusammensetzt;
ben die Biegesteifigkeit B = E s3 / [12(1 − μ2 )]. es gelte f1 = 200 Hz und n = 1, 2, 3, ... 10. Der Pe-
Die Grenzfrequenz fg, hom homogener Platten gel des ersten Teiltones beträgt L1 = 90 dB. Die Pe-
ist demnach gel der nachfolgenden Teiltöne nehmen von Teilton zu
Teilton jeweils um 2,5 dB ab. a) Wie groß ist der Ge-
samtschallpegel des Klangs? b) Für den Klang wird
cL2 12(1 − μ2 )ρ 1 eine Frequenzanalyse mit Oktavfiltern durchgeführt
fg, hom = . (7.56)
2π E s (Oktavmittenfrequenzen fm = 125 Hz, 250 Hz, 500 Hz,
1 000 Hz und 2 000 Hz). Welche Teiltöne befinden sich
630 7 Akustik

im jeweiligen Oktavband und wie groß sind die daraus der Pegel mindestens gemindert werden, dass der Ge-
in den einzelnen Oktavbändern ermittelten Oktavpe- samtpegel am Gebäude höchstens 60 dB beträgt?
gel? c) Zum oben beschriebenen Klang wird zusätzlich
ein weiteres Geräusch dazugeschaltet, sodass sich für
Ü 7.2-6 Eine s = 10 mm dicke einscheibige Glaswand
beide Signale gemeinsam ein Gesamtpegel von 95 dB
(Dichte ρ = 2 500 kg/m3 ; Querdehnungszahl μ = 0,17;
ergibt. Wie groß ist der Pegel des zweiten Geräusches?
Elastizitätsmodul E = 76 GN/m2 ) ist schalltechnisch
zu analysieren. a) Welches Luftschalldämmmaß hat
Ü 7.2-3 Ein Lautsprecher mit kugelförmiger Abstrah- die Glaswand bei 250 Hz und 1 000 Hz? b) Wo liegt
lung befindet sich frei im Raum und wird mit einer die Grenzfrequenz dieser Glaswand? c) Welche Aus-
elektrischen Leistung von P = 100 W gespeist. Der wirkung hat der Koinzidenzeffekt auf das Luftschall-
akustische Wirkungsgrad des Lautsprechers betrage dämmmaß der Glaswand? (Schätzwert für R bei 250 Hz
η = 5%. a) Wie groß sind die Schallintensität und und 1 000 Hz).
der Schallpegel in 10 m Entfernung vom Lautsprecher?
b) Wie groß ist die Intensität in 10 m Entfernung vom
Lautsprecher, wenn sich derselbe unmittelbar vor einer
schallharten Wand befindet? c) In welcher Entfernung
7.3 Schallempfindung
vom Lautsprecher beträgt die Intensität ein Viertel des
Wertes, der sich in 10 m Entfernung vom Lautsprecher 7.3.1 Physiologische Akustik
ergibt? Wie hoch ist der Schallpegel?
Das menschliche Ohr ist nach statistischen Rei-
Ü 7.2-4 Bei einer ebenen, sinusförmigen Schallwelle henuntersuchungen erst dann in der Lage,
wird in Luft bei 20 ◦ C und Normdruck eine Schall- Schallwellen zu registrieren und eine Schall-
druckamplitude von 0,2 Pa gemessen. a) Wie groß ist empfindung im Bewusstsein auszulösen, wenn
die maximale Schallschnelle? b) Welchen Effektivwert
die Schallfrequenz im Bereich f = 16 Hz bis
hat die Schallschnelle? c) Wie groß sind Schallinten-
sität sowie Schallpegel der Welle? d) Wie ändern sich
20 kHz und der Effektivwert des Schallwech-
Schallintensität und Schallpegel beim Übergang von seldrucks über ca. peff = 2 · 10−5 Pa liegt. Die
Luft in Argon bei 20 ◦ C und Normdruck? Die beiden obere Frequenzgrenze des Hörbereichs verrin-
Gase sind voneinander getrennt durch eine dünne ver- gert sich mit zunehmendem Alter erheblich.
nachlässigbare Membran. Argon hat am Normzustand Bei Schalldrücken oberhalb p = 20 Pa oder
die Dichte ρn = 1,784 kg/m3 und die Schallgeschwin- Schallpegeln höher als L = 120 dB registriert
digkeit 308 m/s (Tabelle 3.6).
der Mensch nahezu keine Frequenz- und Am-
plitudenabhängigkeit des Schalls mehr, son-
Ü 7.2-5 Auf einem Betriebsgelände befinden sich drei dern er empfindet nur noch Schmerz (akusti-
Schallquellen, die als Punktquellen betrachtet werden sche Schmerzgrenze). Einen Überblick über die
können. Neben dem Betriebsgelände steht ein Wohn-
Abgrenzung des Hörbereichs von den übrigen
gebäude; für dieses soll die Wirkung der Schallimmis-
sion bestimmt werden. In jeweils 2 m Abstand von Schallfrequenzbereichen gibt Tabelle 7.5.
den Quellen werden folgende Schallpegel gemessen: Das menschliche Gehörorgan besteht, wie
L1,2 m = 93 dB, L2,2 m = 97 dB und L3,2 m = 98 dB. Die Abb. 7.11 schematisch wiedergibt, aus drei
Abstände zum Wohnhaus sind r1 = 160 m, r2 = 100 m Bereichen, dem äußeren Ohr, dem Mittelohr
und r3 = 252 m. a) Wie groß ist der Schallpegel je- und dem Innenohr. Der äußere Gehörgang
der einzelnen Quelle am Wohngebäude? b) Wie groß
wirkt als offene Pfeife (Abschn. 5.2.4.2), die Ei-
ist der resultierende Gesamt-Schallpegel am Wohnge-
genfrequenz der Luftsäule bewirkt im Bereich
bäude, wenn alle drei Quellen gleichzeitig einwirken?
c) An welcher der drei Schallquellen ist eine Lärmmin- 2 kHz < f < 4 kHz eine Resonanzverstärkung
derungsmaßnahme am sinnvollsten, um den Gesamt- der Schallamplituden. Hammer, Amboss und
pegel am Wohngebäude zu senken? Um wie viel muss Steigbügel wirken als mechanische Über-
7.3 Schallempfindung 631

Tabelle 7.5 Schallbereiche

Schallbereich Infraschall Hörbereich Ultraschall Hyperschall


Frequenzbereich 0 Hz bis 15 Hz 16 Hz bis 20 kHz 20 kHz bis 10 GHz 10 GHz bis 10 THz

Schallgeber mechanische mechanisch: mechanisch: Josephson-Kontakte,


Rüttler (Shaker) Pfeifen, Sirenen, Pfeifen, Sirenen, piezoelektrisch
Musikinstrumente; Pneumatik; gekoppelte Mikro-
elektroakustisch: elektroakustisch: wellen-Resonatoren
elektrodynamische elektrostriktive,
und elektromagne- piezoelektrische,
tische Lautsprecher elektrostatische
Lautsprecher
Schallauf- piezoelektrische Kondensator- Kondensatormikro- Josephson-Kontakte,
nehmer Aufnehmer, mikrofon, elek- fon, piezoelektri- piezoelektrisch
Dehnungsmess- trodynamische, sche Mikrofone gekoppelte Mikro-
streifen piezoelektrische, wellen-Resonatoren
piezoresistive
Mikrofone
Anwendungs- Lagerschwingun- Fonotechnik, Reinigung, Entgasen, Grundlagenphysik,
praxis gen, Körper- Schall- und Lärm- Dispergieren, Emul- Phononenspektros-
schall, schutz, Raum- gieren, Polymerisa- kopie, Molekular-
Bauwerksschwin- akustik, Schwin- tionssteuerung, kinetik
gungsanalyse, gungsisolierung Ultraschallbearbei-
Erdbebenwellen tung (Bohren,
Schneiden), Werk-
stoffprüfung, Ultra-
schalldiagnostik,
Modellakustik

setzung; sie übertragen und verstärken die Das Innenohr ist sehr kompliziert aufge-
Auslenkungen des Trommelfells auf das ovale baut. Grob vereinfachend besteht es aus zwei
Fenster. miteinander verbundenen Räumen (Skalae
vestibuli und tympani) und ist mit einer na-
triumionenreichen Flüssigkeit (Perilymphe)
gefüllt. Beim ovalen und runden Fenster
ist das Flüssigkeitsvolumen jeweils durch
bewegliche Membranen abgeschlossen, so
dass die vom Schall verursachte Steigbü-
gelfußbewegung in eine Schwingung der
inkompressiblen Perilymphflüssigkeit umge-
wandelt wird. Diese Flüssigkeitsschwingung
erzeugt mechanische Deformationen der Ba-
silarmembran der Schneckenspindel, die die
beiden Perilymphteilräume trennt. Die Schne-
Abb. 7.11 Menschliches Gehörorgan, schematisch ckenspindel ist mit kaliumionenreicher Flüs-
632 7 Akustik

sigkeit (Endolymphe) gefüllt, zwischen Endo- Die Lautstärke wird in der Maßeinheit phon
und Perilymphe besteht also ein elektrisches gemessen. Der Verlauf der Lautstärkepegel in
Gleichspannungspotential. Die Haarzellen des Abb. 7.12 gibt an, welcher Schalldruckpegel
Cortischen Organs auf der Basilarmembran Lp (f ) einer Schallwelle die gleiche Schall-
erleiden durch die Basilarmembranbewe- empfindung auslöst wie der Schalldruckpe-
gung elektrische Potentialänderungen und gel Lp (1 000 Hz) einer 1 kHz-Schallwelle.
die dadurch im Hörnerv erzeugten Reiz- Anhand von Abb. 7.12 kann für Schall
ströme lösen im Gehirn die Schallempfindung mit einem schmalbandigen Frequenzspek-
aus. trum von maximal Terzbreite durch eine
Gleiche Schallpegel unterschiedlicher Fre- Schallpegel- und Mittenfrequenzmessung die
quenz führen zu einer unterschiedlichen Lautstärke bestimmt werden. Das mensch-
Schallempfindung. In Abb. 7.12 ist als untere liche Gehör nimmt Lautstärkeunterschiede
Grenzkurve in Abhängigkeit von der Schallfre- von ΔLS = 1 phon gerade noch wahr. Bei
quenz der Schalldruckpegel Lp eingezeichnet, LS = 120 phon liegt die Schmerzgrenze des
der eben noch einen Höreindruck hervorruft, Gehörs.
die Hörschwelle. Die Hörschwelle entspricht nicht dem Laut-
Der Maßstab für das Lautheitsempfinden des stärkepegel von LS = 0 phon, sondern dem
Gehörorgans ist die Lautstärke LS . Er ist so von LS = 4 phon. Der Grund dafür ist, dass
gewählt, dass bei einer Schallfrequenz f = international als Bezugsschalldruck der runde
1 000 Hz der Wert der Lautstärke gleich dem Wert peff, 0 = 2 · 10−5 Pa vereinbart ist, die tat-
Wert des Schalldruckpegels ist: sächliche Hörschwelle aber bei einem etwas
höherem Schalldruck liegt.
Bei der Angabe als Lautstärke LS entspricht
LS (1 kHz) Lp (1 kHz)
= (7.58) eine Verdopplung der Schallempfindung ei-
phon dB ner Zunahme der Lautstärke um 10 phon. Ein
proportional zur Schallempfindung steigendes
Maß ist die Lautheit


LS
S=2
0,1 phon −40
sone . (7.59)

Die Zahlenwerte der Lautheit S werden durch


den Zusatz sone gekennzeichnet. Nach (7.59)
entspricht die Lautstärke LS = 40 phon der
Lautheit S = 1 sone.
Außer den wegen der Resonanzeigenschaften
des Gehörorgans komplizierten Lautstärke-
kurven in Abb. 7.12 weist die Schallempfin-
dung einen Verdeckungseffekt auf. Treffen
gleichzeitig zwei frequenzbenachbarte Schall-
Abb. 7.12 Kurven gleicher Lautstärke LS nach DIN spektren auf das Gehör, so wird durch das
ISO 226 Übersprechen benachbarter Sensoren im
7.3 Schallempfindung 633

Cortischen Organ das Schallspektrum mit


dem niedrigeren Schallpegel verdeckt und
im Wesentlichen ruft nur der höhere Schall-
pegel eine Schallempfindung hervor. In der
Schallmesspraxis wird dieser komplexe Zu-
sammenhang zwischen der Schallempfindung
und dem messbaren Schallpegelspektrum
durch Bewertungskurven berücksichtigt, die
sich in den Schallpegelmessern durch eine
elektronisch einfache frequenzabhängige Ver- Abb. 7.13 Bewertungskurven A und C nach DIN EN
stärkung verwirklichen lassen. Von den in der 61 672-1
DIN EN 61 672-1 festgelegten oder vorgeschla-
genen Bewertungskurven A und C wird in Hohe Schalldruckamplituden führen nur in
der Messpraxis die A-Bewertung am weitaus Extremfällen, beispielsweise bei Stoßwellen
häufigsten benutzt; sie nähert den Verlauf von Explosionen, zur Schädigung des Trom-
der Schallempfindung für Lautstärken unter melfells; sie führen in der Regel zu einer
LS = 90 phon. Die Schallpegel von gehörschä- sofortigen Vertäubung, bei der durch Stoff-
digendem Lärm über LS = 100 phon wird mit wechselstörungen die Haarzellenempfindlich-
der C-Kurve bewertet. keit vermindert wird. Diese Anhebung der
Die bewerteten Schallpegel werden berechnet, Hörschwelle bildet sich wieder vollkommen
indem zu den terz- oder oktavweise gemes- zurück, wenn die hohe Schallexposition durch
senen Schallpegeln Li ein frequenzabhängiges Erholungspausen unterbrochen wird und nur
Bewertungsmaß Δ∗i addiert wird. So ist der kurzfristig ist. Jahrelange Schallbelastung ver-
A-bewertete Schallpegel LA eines Schallspek- ursacht eine beschleunigte Degeneration der
trums Haarzellen und einen irreversiblen Hörverlust,
die Lärmschwerhörigkeit.
8 n 9 Der äquivalente Dauerschallpegel (Mittelungs-
Li +Δ∗ pegel) ist ein Maß für die Schallbelastung des
= 10 lg
i
LA 10 10 dB dB(A) . (7.60) Gehörs. Er wird durch Aufsummieren der Ab-
i=1
werteten Schallpegel LA, i den n Zeitinterval-
len ti des Bezugszeitraums tB , beispielsweise
tB = 8 h, gebildet:
Die Bewertungsmaße kann man Abb. 7.13 ent-
nehmen; die Zahlenwerte der A-Bewertungs- 8 n 9
maße Δ∗A sind in der Tabelle 7.4 aufgeführt. Die 1 LA, i
Lm = 10 lg ti · 10 10 dB dB(A) .
bewerteten Schallpegel werden in dB(A) oder tB i=1
dB(C) angegeben. (7.61)
Mit zunehmendem Lebensalter wird durch die
Schallbelastung und Gefäßveränderung im In-
nenohr der Stoffwechsel der Hörzellen ver- Nach der VDI-Richtlinie 2058 liegt der Grenz-
mindert. Die Frequenzabhängigkeit und der wert der Gehörbelastbarkeit bei einem äquiva-
Absolutwert der Hörschwelle verändern sich; lenten Dauerschallpegel von Lm = 85 dB (A),
es stellt sich die Altersschwerhörigkeit ein. bezogen auf einen achtstündigen Arbeitstag;
634 7 Akustik

er führt bei 5% der Betroffenen nach zehn Jah-


ren zu einer Lärmschwerhörigkeit.
Wird der auf einen achtstündigen Arbeitstag
bezogene, äquivalente Dauerschallpegel von
Lm = 90 dB (A) überschritten, dann sind Ge-
hörschutzmittel (Stöpselgehörschützer, Kap-
selgehörschützer, Gehörschutzkappen) zu
tragen.
Die berufsbedingte Schwerhörigkeit beginnt
meistens mit einer Anhebung der Hör-
schwelle im Frequenzbereich von f = 2 kHz
bis f = 6 kHz, weil dort viele Lärmquellen
das Schallpegelmaximum haben. Die über
die Schallempfindung vegetativ gesteuerte
Innenohr-Stoffwechseländerung kann auch
auf andere Körperfunktionen übergreifen und
zu Kreislauf-, Herz- und Gleichgewichtsstö-
rungen führen.
Abb. 7.14 Höreindruck, charakteristische Spektren
und Schallschnelleverlauf ( Schallschnelle, t Zeit,
7.3.2 Musikalische Akustik I Intensität, f Frequenz)

Die Schallempfindung des Menschen un-


terscheidet den hörbaren Schall nicht nur sitätsverlauf über einen großen Frequenzbe-
nach dessen Lautheit, sondern auch nach reich nahezu konstant.
dem Höreindruck des Schallereignisses. Die In Abb. 7.14 sind die charakteristischen
Unterscheidung des Höreindrucks in Ton, Schallspektren der verschiedenen Hörein-
Klang, Geräusch und Knall wird durch den drücke und der jeweilige zeitliche Verlauf der
Verlauf des Intensitätsspektrums des Schalls Schnelle, den die zu diesen Höreindrücken
bestimmt. führenden Schallwellen an Mikrofonmembra-
Die Schallwelle eines Tons ist rein sinusförmig nen oder dem Trommelfell des Gehörorgans
und monofrequent. Klänge sind eine Überla- hervorrufen, einander gegenübergestellt. Ab-
gerung mehrerer Schallwellen unterschiedli- bildung 7.15 gibt diese Schallspektren als
cher Amplitude und Frequenz, wobei die Fre- graphische Aufzeichnungen am Bildschirm
quenzen in ganzzahligen Verhältnissen zuein- wieder.
ander stehen. Lässt sich das Frequenzverhält- Der Schnelleverlauf einer Schallwelle ist mit
nis durch ganze Zahlen nicht größer als acht deren Intensitätsspektrum eindeutig ver-
ausdrücken, so ist die abendländische Schall- knüpft. Durch eine Fouriertransformation
empfindung ein Wohlklang (Konsonanz), im (Abschn. 5.1.4.3) ergibt sich aus dem Inten-
anderen Fall ein Missklang (Dissonanz). Das sitätsspektrum der Zeitverlauf der Schnelle
Intensitätsspektrum eines Geräusches ist nicht und umgekehrt. Fast-Fourier-Transform-
mehr linienförmig, sondern breitbandig und Analysatoren errechnen aus der zeitlichen
hat einen stark schwankenden Amplitudenver- Änderung der elektrischen Spannung der
lauf. Bei einem Knall schließlich ist der Inten- elektroakustischen Wandler das Frequenz-
7.3 Schallempfindung 635

Abb. 7.15 Charakteristische Schallspektren: Schnelleverlauf (Abszisse: t, Ordinate: ): a) Ton a, b) Klang
a-cis -e, c) Geräusch (Wasserauslauf), d) Knall (Handklatschen). Frequenzspektrum (Abszisse: f , Ordinate: I):
e) Ton a, f) Dreiklang a-cis -e , g) Geräusch (Wassereinlauf in Becken), h) Knall (Handklatschen)
636 7 Akustik

Abb. 7.16 Lautstärkespektren von Musikinstrumenten im Vergleich, Kammerton a = 440 Hz (Aufnahme


mit Fast-Fourier-Transform-Analysator): a) Violine (Originalton Hering), b) Trompete (Originalton Martin),
c) Akkordeon (Originalton Stohrer)

spektrum; Echtzeitanalysatoren geben das f = 4 kHz tiefer empfunden. Die Wahrnehm-


Spannungssignal gleichzeitig auf eine Reihe barkeitsschwelle von relativen Tonhöhen-
schmalbandiger Filter und messen paral- schwankungen ist frequenz- und intensi-
lel die Spannungsamplituden der einzel- tätsabhängig; sie beträgt bei mittleren Schall-
nen Bandfilter. Die niedrigste Frequenz im pegeln etwa 0,3% der Tonfrequenz.
Schallspektrum bestimmt die Tonhöhe des Zur Skalierung der Tonhöhenempfindung
Grundtons. wird der Frequenzbereich der Schallempfin-
Klangerzeugende Instrumente unterscheiden dung logarithmisch in Oktaven unterteilt; die
sich durch das Verhältnis der Amplituden Verdopplung der Tonfrequenz ergibt einen
der höherfrequenten Schwingungen, der Ober- Oktavschritt. Abbildung 7.17 gibt die Eintei-
töne, zur Grundschwingung, dem Grundton. lung in Oktaven wieder. Zur Orientierung sind
Für einige Musikinstrumente unterschiedli- der Tonumfang einiger Musikinstrumente und
cher Klangfarbe sind in Abb. 7.16 die gemes- die Gesangs-Stimmlagen aufgeführt.
senen Frequenzspektren dargestellt. Die Oktave wird in zwölf Tonintervalle mit
Die Einstufung der Tonhöhen durch das ganzzahligen Frequenzverhältnissen unter-
Gehör ist weitgehend proportional zur Schall- teilt; der Tonhöhenunterschied benachbarter
frequenz. Nur für Töne mit Schallpegeln über Tonintervalle beträgt einen Halbtonschritt.
L = 60 dB treten im Gehörorgan nichtli- Die Tonintervalle sind in Tabelle 7.6 zusam-
neare Übertragungseffekte auf; Töne unter mengestellt und durch ihre Klangempfindung
f = 500 Hz werden höher und Töne über charakterisiert.
7.3 Schallempfindung 637

Tabelle 7.7 Tonleitern

diatonisch rein chromatisch wohltemperiert


Ton f :fc f in Hz Ton f :fc f in Hz

c 1 264 c 20/ 12 261,6


cis = des 21/ 12 277,2
d 9/8 297 d 22/ 12 293,7
dis = es 23/ 12 311,1
e 5/4 330 e 24/ 12 329,6
f 4/3 352 f 25/ 12 349,2
fis = ges 26/ 12 370,0
g 3/2 396 g 27/ 12 392,0
gis = as 28/ 12 415,3
a 5/3 440 a 29/ 12 440,0
ais = b 210/ 12 466,2
Abb. 7.17 Frequenzbereiche der Oktaven,
h 15/8 495 h 211/ 12 493,9
212/ 12
der Stimmlagen und der Grundtöne einiger
c 2 528 c 523,3
Musikinstrumente

Die stufenweise Anordnung der Töne inner-


halb der Oktave ergibt die Tonleiter. Basis der stimmtons a (Kammerton) auf fa = 440 Hz
abendländischen Musik ist die diatonische C- sind die Frequenzen der Töne der eingestri-
Dur Tonleiter mit der Grundtonbezeichnung c. chenen Oktave angegeben.
Die Frequenzverhältnisse f :fc der sieben Töne Die diatonische Tonleiter, die mit ganzzahli-
zum Grundton sind in Tabelle 7.7 aufgeführt; gen Frequenzverhältnissen gebildet wird, ist
für die internationale Stimmung des Norm- in sich nicht widerspruchsfrei, wie folgendes
Beispiel zeigt: Ausgehend von der Frequenz fc
des Tons c kommt man durch einen großen
Tabelle 7.6 Tonintervalle Sext- und einen Quartschritt auf den Ton d
mit der Frequenz fd = fc 53 43 = fc 20
9 . Geht
Intervall Frequenz- Halb- Klang-
man von d wieder zwei Quinten zurück, so
Verhältnis tonum- empfin-
fang dung sollte wieder der Ton c entstehen. Tatsächlich
aber weicht die sich dann ergebende Frequenz
Prime 1:1 0 Konsonanz f = fc 20
9 3 3 = fc 81 von der Tonfrequenz fc
22
80
kleine Sekunde 16:15 1 Dissonanz um den Faktor 80/81 ab. Beim Spielen einer
große Sekunde 9:8; 10:9 2 Dissonanz Melodie mit den reinen Intervallsprüngen ge-
kleine Terz 6:5 3 Konsonanz
große Terz 5:4 4 Konsonanz
mäß Tabelle 7.6 bewegt man sich zwangsläufig
Quarte 4:3 5 Konsonanz immer weiter von einer festen Tonleiter weg.
Quinte 3:2 7 Konsonanz Diese diatonischen Unstimmigkeiten wirken
kleine Sexte 8:5 8 Konsonanz sich besonders beim Übergang auf die anderen
große Sexte 5:3 9 Konsonanz Tonleitern der Dur- und Moll-Tonarten aus,
kleine Septime 9:5, 16:9 10 Dissonanz
wenn durch chromatische Erhöhung oder Er-
große Septime 15:8 11 Dissonanz
Oktave 2:1 12 Konsonanz niedrigung die benötigten Halbtonintervalle
festgelegt werden.
638 7 Akustik

Zur Zeit J. S. Bachs wurde die chromatisch Direktschall, und dem über Reflexionen an
wohltemperierte Stimmung eingeführt, bei der den Wänden und Flächen im Raum an den
die Oktave in zwölf gleiche Halbtonschritte Empfangsort gestreuten Schall, dem indirek-
unterteilt ist (Tabelle 7.7). Das Frequenzver- ten Schall, bestimmt. Ist die Laufzeitdifferenz
hältnis zweier aufeinander
√ folgender Halbtöne zwischen dem direkten und dem indirekten
12
beträgt dabei 2. Mit dieser chromatischen Schall, besonders dem Anteil mit nur einem
Tonleiter wurden die diatonischen Probleme einzigen Rückwurf, kleiner als die absolute
gelöst, nach ihr sind die Instrumente mit fes- Wahrnehmbarkeitsschwelle von etwa 0,05 s,
ter Stimmung (z. B. Klavier) gestimmt. dann sind die Reflexionen unschädlich für die
Hörsamkeit und wirken sich vorteilhaft auf die
Zur Übung Verständlichkeit und die Klangfärbung, be-
Ü 7.3-1 An einem Arbeitsplatz werden folgende Ok-
sonders bei Musik, aus.
tavpegel gemessen:
Die nützlichen Rückwürfe kompensieren die
fm /Hz 16 31,5 63 125 250 500 1 000 2 000 geometrisch bedingte Schallpegelabnahme
L/dB 43 48 49 60 52 53 50 38 des Direktschalls bei wachsendem Abstand
zwischen Schallgeber und -empfänger. Grö-
a) Welcher Gesamt-Schallpegel wird gemessen? b) Wel-
ßere Laufzeitunterschiede sind schädlich,
chen A-bewerteten Schallpegel hat das gemessene Fre-
besonders wenn periodische Rückwurffolgen,
quenzspektrum? c) Wie hoch ist der äquivalente Dau-
erschallpegel an diesem Arbeitsplatz, wenn wegen ei- sogenannte Flatterechos, auftreten. Diese
nes zusätzlichen Maschinengeräusches während eines entstehen durch Schallrückwürfe zwischen
10-stündigen Arbeitstages zwei Stunden lang der Ok- parallelen, gut reflektierenden Raumum-
tavpegel bei 250 Hz auf 80 dB ansteigt? schließungsflächen. Sie lassen sich durch
konstruktive Maßnahmen wie schiefwinklige
Ü 7.3-2 Einem Menschen wird ein Sinuston niedri- Flächenanordnungen, im Extremfall in einer
ger Frequenz vorgespielt. Der Ton erzeugt beim Hörer Fünfeckgeometrie, oder durch schallabsor-
einen Schalldruckpegel von 92 dB. Der Hörer empfin- bierende Wand- und Deckenverkleidungen
det den Ton als gleich laut wie einen Sinuston der Fre-
unterdrücken.
quenz 1 kHz mit einem Schalldruckpegel von 70 dB.
a) Was war die Frequenz des tiefen Tones? b) Wie groß Häufige Reflexionen bewirken, dass der indi-
ist die Lautstärke des Tones? c) Welche Lautheit besitzt rekte Schall am Empfangsort gleichmäßig aus
der Ton? d) Wie groß müsste die Lautstärke sein, damit allen Ausbreitungsrichtungen einfällt und die
der Ton vom Hörer doppelt so laut empfunden würde? Schallenergiedichte überall im Raum gleich
groß ist. Ein solches Schallfeld wird als diffuses
Schallfeld bezeichnet.
Eine Wandfläche Si mit dem Schallabsorpti-
7.4 Technische Akustik
onsgrad αi – schematisch in Abb. 7.18 wieder-
gegeben – absorbiert unter dem Einfallswin-
7.4.1 Raumakustik
kel δ aus einem Raumwinkelbereich dΩ die
Schallleistung
Bei der Schallausbreitung in Räumen, bei-
spielsweise in Wohnräumen, Büros, Veranstal-
tungssälen und Hallen wird die Schallemp- dPδ = αi Iδ (Si cos δ) dΩ . (7.62)
findung und die Hörsamkeit im Raum von
den Intensität- und Laufzeitverhältnissen zwi- Iδ ist die Schallintensität der unter dem Win-
schen dem gradlinig einfallenden Schall, dem kel δ einfallenden Schallwelle. Im diffusen
7.4 Technische Akustik 639

Durch Summation der von allen Raumflä-


chen Si absorbierten Schallleistung Pi ergibt
sich die gesamte Schallabsorptionsleistung

1
Pges = Pi = Idiffus Si αi
i
4 i
1
= Idiffus A . (7.65)
4

Abb. 7.18 Schalleinfall auf eine Schallabsorptionsflä-


che
Für die Absorptionseigenschaften eines
Raumes charakteristisch ist die äquivalente
Absorptionsfläche
Schallfeld ist diese unabhängig vom Einfalls-
winkel und Iδ = Idiffus . Mit dem Raumwinkel-
bereich A= Si αi . (7.66)
i

(2 π r sin δ)(r dδ) 1


dΩ = = sin δ dδ
4πr2 2 Wird (7.65) durch den Schallleistungsgrenz-
wert P0 = I0 S0 der Hörschwelle dividiert, so er-
ergibt sich die gesamte von der Fläche Si ab-
gibt sich mit den Gleichungen in Tabelle 7.2 der
sorbierte Schallleistung
Schallleistungspegel des diffusen Schallfelds:

π/ 2 A
1 = Lw − 10 lg
Pi = Idiffus Si αi cos δ sin δ dδ . Ldiffus
4S0
dB . (7.67)
2
0
(7.63)
Lw ist der Schallleistungspegel der Schall-
quelle, S0 = 1 m2 die Bezugsfläche. Die äqui-
Im Allgemeinen hängt der Schallabsorptions- valente Absorptionsfläche A eines Raumes
grad αi einer schallabsorbierenden Fläche vom bestimmt also den Schallpegel des diffusen
Schalleinfallswinkel δ ab; deshalb definiert Schallfeldes und darüber hinaus den akusti-
man einen mittleren Absorptionsgrad schen Raumeindruck. Ist A groß, hat der Raum
eine geringe Halligkeit, seine Akustik wird
π/
2 als trockene Akustik gekennzeichnet. Sehr
αi cos δ sin δ dδ hallige Räume dagegen haben eine geringe
αi = 0
π/
äquivalente Absorptionsfläche.
2
cos δ sin δ dδ Diese für den raumakustischen Eindruck cha-
0 rakteristische Größe A kann messtechnisch
π/ 2 einfach durch eine Nachhallmessung bestimmt
=2 αi cos δ sin δ dδ . (7.64) werden. Dazu wird entsprechend Abb. 7.19 der
0 zeitliche Abfall des Schallpegels Ldiffus im dif-
fusen Schallfeld untersucht, wenn die Schall-
640 7 Akustik

24 ln 10 V
T = . (7.70)
c A

Für Luftschall mit einer mittleren Schallge-


schwindigkeit von cL = 340 m/s geht (7.70)
über in die Sabine’sche Formel:

0,163 V
T = . (7.71)
m/s A
Abb. 7.19 Bestimmung der Nachhallzeit aus
dem Schallpegelabfall eines diffusen Schallfeldes.
Nachhallzeit T / 2 = 0,55 s oder T = 1,1 s Die Nachhallzeit T hängt vom Raumvolumen
und – über den Zusammenhang mit der äqui-
valenten Absorptionsfläche A – wie der Schall-
quelle abgeschaltet wird. Die im Zeitinter- absorptionsgrad αS (Abb. 7.7) von der Schall-
vall dt dem Raumvolumen V durch Absorp- frequenz ab. Um eine optimale Hörsamkeit
tion verloren gehende Schallenergie − dE/ dt in Vortragsräumen, einen vollen Klangein-
ist gleich der absorbierten Schallleistung Pges druck in Musiksälen oder eine ausreichende
nach (7.65). Die Schallintensität des diffusen Schallpegelreduktion in Sporthallen zu errei-
Schallfeldes ist Idiffus = c und hängt damit chen, sind frequenz- und raumvolumenabhän-
von der Schallenergiedichte = E/ V ab; es gige Anforderungen an die Nachhallzeit fest-
gilt die Bestimmungsgleichung gelegt. So sollen nach DIN 18 032 in Sport-
hallen die Nachhallzeiten möglichst kurz oder
dE 1 cA oberhalb f = 500 Hz im unbesetzten Zustand
− = Pges = E . (7.68) nicht größer als T = 1,8 s sein. Eine optimale
dt 4 V
Sprachverständlichkeit wird nach DIN 18 041
erreicht, wenn im Frequenzbereich 500 Hz <
Die Integration von (7.68) ergibt, dass die f < 1 000 Hz die Nachhallzeit T = 1,0 s bis
Schallenergie in einem Raum exponentiell ab- T = 1,2 s beträgt.
nimmt, wenn die Schallquelle ausgeschaltet Eine raumakustische Optimierung erstreckt
wird: sich nicht nur auf die Anpassung der äquiva-
lenten Absorptionsfläche an die zur Nutzung
E(t) = E(0)e−cAt/ (4V) . (7.69) erforderlichen Nachhallzeiten. Ein weiterer
wesentlicher Planungsteil befasst sich mit der
geometrischen Ausbreitung des Direktschalls
Als charakteristische Zeitkonstante für den und der nützlichen ersten Schallrückwürfe.
Abfall der Schallenergie ist die Nachhallzeit T Mit Reflektoren, speziellen Deckenformen,
festgelegt. Es ist die Zeitspanne, in der die ausgeklügelten Schallabsorberanordnungen
Schallenergie auf E(T) = 10−6 E(0) oder der sowie akustisch wirksamen Verkleidungen
Schallpegel Ldiffus des diffusen Schallfelds um von Wänden und Decke wird im konkre-
ΔL = 60 dB abgenommen hat. Aus (7.69) er- ten Fall der Raum nach den akustischen
gibt sich Erfordernissen optimiert.
7.4 Technische Akustik 641

7.4.2 Luftschalldämmung

Trifft der durch Sprechen, Musik oder Arbeit-


stätigkeit erzeugte Luftschall (Schallpegel L1 )
auf die Wände und Decken eines Raumes, so
werden diese zu erzwungenen Biegeschwin-
gungen angeregt. Die periodisch auftretenden
Über- und Unterdrücke der Schallwellen an
der Trennwand oder Trenndecke lenken die
Bauteile senkrecht zur Wandfläche aus, wie in
Abb. 7.20 Luftschallanregung und -abstrahlung
Abb. 7.20 dargestellt. Diese Biegeschwingun-
einer Trennwand (S schallabstrahlende Oberfläche
gen erregen die Luftteilchen im Nachbarraum, im Empfangsraum mit der äquivalenten
die sich vor der Trennwand S befinden, Schallabsorptionsfläche A)
zu Schwingungen und erzeugen dadurch
im Nachbarraum Schallwellen (Schallpegel
L2 ). Bei erzwungenen Schwingungen (Ab- Die transmittierte Schallleistung P2 = τs P1
schn. 5.1.3) ist die Schwingungsamplitude – wird im Empfangsraum von der äquivalenten
und damit die in den Nachbarraum abge- Absorptionsfläche A absorbiert und führt zu
strahlte Schallleistung – abhängig von der einem diffusen Schallfeld im Empfangsraum,
Lage der Anregungsfrequenzen bezüglich dessen Schallintensität nach (7.65)
der Eigenfrequenzen der Biegeschwingungen
der Trennwand und von deren Dämpfung. 4P2 Idiffus, 1 S
Wegen der Einspannbedingungen ist die Idiffus, 2 = = τS (7.74)
A A
Luftschalltransmission kompliziert und muss
messtechnisch erfasst werden.
Die Luftschalldämmung wird durch ein loga- ist. Werden die Schallleistungen der diffusen
rithmisches Maß für den Luftschalltransmis- Schallfelder im Sende- und Empfangsraum auf
sionsgrad τS , das Schalldämmmaß R, gekenn- die Bezugsintensität I0 = 10−12 W/m2 bezogen
zeichnet (7.50): und wird (7.74) logarithmiert, so ergibt sich
für die Schallpegeldifferenz zwischen Sende-
und Empfangsraum
1 P1
R = 10 lg dB = 10 lg dB . (7.72)
τS (δ) P2
S
L1 − L2 = R − 10 lg dB . (7.75)
A
Die Größe P1 ist die auf die Trennwand auf-
treffende, P2 die auf die Rückseite in den Emp- Außer vom Schalldämmmaß R hängt also die
fangsraum abgestrahlte Schallleistung. Die ge- von den Bewohnern empfundene Schalldäm-
samte, auf die Trennwandfläche S auftreffende mung L1 − L2 vom Verhältnis der Trennwand-
Schallleistung ist nach (7.63) für αi = 1 fläche S zur äquivalenten Absorptionsfläche A
des Empfangsraums ab.
Idiffus, 1 S Gleichung (7.75) wird in der Praxis dazu ver-
P1 = . (7.73) wendet, das Schalldämmmaß einer Konstruk-
4
tion zu bestimmen:
642 7 Akustik

S
R = L1 − L2 + 10 lg dB . (7.76)
A

Zu diesem Zweck werden der diffuse Schall-


pegel L1 der Lautsprecher im Senderaum,
der diffuse Schallpegel L2 im Empfangsraum
und die Trennwandfläche S gemessen sowie
nach (7.71) über eine Nachhallzeitanalyse im Abb. 7.21 Körperschalldämmende elastische
Empfangsraum die äquivalente Absorptions- Maschinenlagerung
fläche A ermittelt.
R ist von der Schallfrequenz abhängig und schall möglichst niedrig zu halten. Die Mög-
muss nach DIN 52 210 terzweise im Bereich lichkeiten hierzu sind
100 Hz < f < 3 200 Hz bestimmt werden. – die Körperschalldämmung durch Reflexion
Der Schallschutz hängt nicht nur von der des Körperschalls an Grenzflächen mit
Schalldämmung der Trennfläche S zwischen hohen Schallkennimpedanzunterschieden
den Räumen ab, sondern in hohem Maß auch (Luftzwischenschichten in zweischaligen
von der Schalllängsleitung entlang der flankie- Trennwänden, Sperrmassen) oder abge-
renden Bauteile. Die Luftschalldämmung der stimmter elastischer Zwischenschichten
Trennwand oder Trenndecke wird durch diese (Federelemente, Gummiplatten);
Schalllängsleitung begrenzt. – die geometrische Körperschalldämmung
durch Verminderung der Körperschall-
7.4.3 Körperschalldämmung dichte, indem die Entfernung von der
Quelle vergrößert wird und die abstrahlen-
Körperschall ist die Ausbreitung von Schall in den Flächen verkleinert werden;
einem festen Medium oder an der Oberflä- – die Körperschalldämmung durch Dissipa-
che eines Festkörpers mit Schallfrequenzen tion der Körperschallenergie in zwischen-
im Hörbereich oberhalb f = 15 Hz. Schall- geschalteten Materialien mit hoher innerer
wellen mit kleineren Frequenzen werden Reibung (Hochpolymere, Sand, Entdröhn-
als Schwingungen oder Erschütterungen be- materialien) und über Reibungsverluste
zeichnet. Die Erregung von Körperschall in an Kontaktflächen (Nagelverbindungen,
festen Bauteilen durch direkt einwirkende Stoßstellen-Dämmung an Bauteilübergän-
mechanische Kräfte ist viel wirksamer als gen);
die Luftschallanregung. Besonders wirksam – die Verminderung des Abstrahlgrads der
sind stoßartige Körperschallerregungen. Das körperschallabstrahlenden Fläche, indem
Frequenzspektrum dieser Schlaggeräusche ist durch konstruktive Maßnahmen (kleinflä-
so breit, dass eine Vielzahl der möglichen chige Unterteilung, Aussteifungen, Lochun-
Körperschallwellenformen, wie beispielsweise gen) die Abstrahlfläche möglichst klein
Longitudinal-, Transversal- oder Rayleigh- gemacht (charakteristische Durchmesser
Oberflächenwellen, angeregt werden. kleiner als die Luftschallwellenlänge) und in
Ziel der Körperschalldämmung ist es, die Ein- nebeneinanderliegende Gebiete mit entge-
leitung von Körperschall in ein Bauteil sowie gengesetzter Phasenlage (Schallinterferenz-
die Ausbreitung und die Abstrahlung als Luft- Auslöschung) zerlegt wird.
7.4 Technische Akustik 643

Abb. 7.23 Visko-elastisches Einmassensystem

Körperschallisolierung hochempfindlicher
Empfangsräume, beispielsweise von Aufnah-
Abb. 7.22 Elastische Lagerungen: a) Stahlfederband,
mestudios, kann man über die elastische
b) gelochte Gummiplatte, c) Gummimetallelement
Lagerung des Raumes auf Federisolatoren
erreichen.
In der Praxis werden die verschiedenen Mög- Die Verminderung der Krafteinleitung und da-
lichkeiten miteinander kombiniert. Eine be- mit der Körperschallanregung wird durch den
sonders wirkungsvolle Körperschallisolation Isolierwirkungsgrad η beschrieben:
ist die elastische Lagerung des Schallgebers,
wie in Abb. 7.21 dargestellt. Hierbei steht der F̂L
Erreger mit seiner Fundamentplatte auf einer
η=1− . (7.78)
F̂E
federnden Zwischenschicht gemäß Abb. 7.22
(z. B. Metall- oder Gummifederkörper, weiche
Die Größe F̂L ist die Amplitude der eingeleite-
Gummi-, Kork- oder Schaumstoffplatten, Fa-
ten, F̂E der erregenden Kraft. – Häufig domi-
sermatten) und bildet so ein schwingungsfä-
niert die Kraftkomponente der Erregung senk-
higes Masse-Feder-System.
recht zum Fundament; diese eindimensionale
Liegt die erregende Körperschallfrequenz f
Schwingung kann mit Hilfe der Lösungen für
weit oberhalb der Resonanz- oder Abstimm-
die gedämpfte erzwungene Schwingung in Ab-
frequenz des Masse-Feder-Systems
schn. 5.1.3 beschrieben werden.
Die eingeleitete Kraft in Abb. 7.23, die Lager-

1 k kraft FL , ist FL = kx + dẋ. Ihre Amplitude F̂L
f0 = (7.77)
2π m ist
2
Ω
mit m als der schwingenden Masse und k F̂E 1 + 4 ϑ2
ω0
als der Federkonstante der Federschicht, F̂L =

+
.

2 ,2 2
dann ist nach der Theorie der erzwungenen
1− Ω Ω
Schwingungen (Abschn. 5.1.3) die Schwin- + 4ϑ2
ω0 ω0
gungsamplitude des Bauteils, in das der
Körperschall eingeleitet wird, kleiner als die (7.79)
Erregeramplitude. Die Einleitung des Körper-
schalls, beispielsweise eines Ventilators in die Ω = 2πf ist die Erreger-Kreisfrequenz, ω0 =
Rohdecke, wird dadurch vermindert. Auch die 2πf0 die Eigenfrequenz des Schwingungssys-
644 7 Akustik

von η > 93% werden bei ϑ = 0 nur erreicht,


wenn das Erreger- zu Eigenfrequenzverhältnis
den Wert Ω/ω0 = 4 übersteigt.
Beim Einmassensystem fällt die Amplitude der
eingeleiteten Kraft FL nach (7.79) für Ω >> ω0
proportional zu 1/Ω2 . Einen steileren Abfall
(∼ 1/Ω4 ) und damit einen höheren Isolier-
wirkungsgrad erreicht eine elastische Lage-
rung nach dem Prinzip eines schwingungsge-
Abb. 7.24 Resonanzkurve eines Einmassensystems koppelten Zweimassensystems, verdeutlicht in
mit Verlauf des Isolierwirkungsgrads η Abb. 7.25. Durch eine doppeltelastische Ma-
schinenaufstellung kann man mit verhältnis-
tems mit der Masse m und der Richtgröße k mäßig einfachen Mitteln bereits einen Iso-
und ϑ der Dämpfungsgrad. Im Fall eines Ein- lierwirkungsgrad erreichen, der in der Praxis
massensystems ist der Isolierwirkungsgrad η durch ein Einmassensystem nicht realisierbar
der elastischen Lagerung demnach ist.
2
Der Trittschall ist ein bauphysikalischer
Ω Sonderfall der Körperschallanregung. Er
1+4ϑ2
ω0 wird durch das Begehen und das um etwa
η=1−

+
. ΔL = 20 dB(A) stärkere Geräusch des Hüpfens

2 ,2 2
1− Ω Ω und des Stühleverrückens auf harten Gehbe-
+ 4ϑ2
ω0 ω0 lägen verursacht und über die Decke direkt
(7.80) in den darunterliegenden Raum übertragen.
Über Stoßstellen der Decke an flankierende
Bauteile breitet sich das Trittschallgeräusch
Ist die Dämpfung vernachlässigbar, also ϑ ≈ 0,
in umliegende Räume aus. Die Trittschall-
dann folgt aus (7.80) für Ω > ω0
übertragung wird nach DIN 52 210 gemessen,
indem nach Abb. 7.26 ein Norm-Hammerwerk
Ω 2 mit einer Schlagfrequenz von 10 Schlägen
−2
ω0
η = 2 . (7.81) je Sekunde auf die Decke aufgestellt und
Ω im Empfangsraum der Trittschallpegel Lgem
−1
ω0 terzweise aufgenommen wird.

In Abb. 7.24 ist der Verlauf des Verhältnisses


aus übertragener zu erregender Kraft in Ab-
hängigkeit vom Verhältnis zwischen Erreger-
und Eigenfrequenz für verschiedene Dämp-
fungskonstanten aufgetragen und der sich
nach (7.80) ergebende Isolierungswirkungs-
grad η eingezeichnet. Eine schalldämmende
Wirkung wird erst erreicht, √wenn die Er- Abb. 7.25 Doppeltelastische Maschinenaufstellung
regerfrequenz oberhalb des 2-fachen der (F E , F L Erreger- bzw. Lagerkraft, m Masse,
Eigenfrequenz liegt. Isolierwirkungsgrade k Federkonstante)
7.4 Technische Akustik 645

Abb. 7.27 Schwimmender Estrich

der Decke, wie niedrig der Norm-Trittschall-


pegel ist. Jedoch lassen sich selbst mit sehr
schweren Decken von m ≈ 600 kg/m2 keine
solch niedrigen Trittschallpegel erreichen,
dass der Mindest-Trittschallschutz nach DIN
4109 Schallschutz im Hochbau erfüllt ist. Der
Trittschallschutz wird verbessert, wenn durch
weichfedernde Gehbeläge die Körperschal-
leinleitung vermindert oder der Fußboden
Abb. 7.26 Norm-Messung des Trittschallschutzes durch eine weichfedernde Dämmschicht von
von Decken: a) Messanordnung, schematisch, der Rohdecke abgekoppelt wird. Dieser als
b) Norm-Hammerwerk schwimmender Estrich bezeichnete Boden-
aufbau besteht aus einer lastverteilenden
Der Einfluss der Schallabsorption des Emp- Platte aus Zementmörtel (Zementestrich), As-
fangsraumes auf den gemessenen diffusen phalt (Gussasphaltestrich) oder Spanplatten
Schallpegel wird durch ein Korrekturglied (Trockenestrich) auf einer weichen, 6 mm bis
berücksichtigt, das vom logarithmischen 30 mm dicken Trennschicht. Abbildung 7.27
Verhältnis der äquivalenten Schallabsorpti- zeigt einen solchen Aufbau. Eine gute Tritt-
onsfläche AE des Empfangsraumes zu einer schalldämmung lässt sich allerdings nur
Normabsorptionsfläche A0 = 10 m2 abhängt. erreichen, wenn die Estrichplatte keine Schall-
Der Norm-Trittschallpegel Ln der Deckenkon- brücken aufweist, also keine Mörtelbrücken
struktion ist also oder feste Verbindungen über ungenügend ab-
gedeckte Versorgungsleitungen zur Rohdecke
AE oder zur Wand hat.
Ln = Lgem + 10 lg dB . (7.82)
A0
7.4.4 Strömungsgeräusche

AE wird durch eine Nachhallzeitmessung Strömungsgeräusche entstehen, wenn in Ma-


nach (7.71) bestimmt. schinen und Geräten Strömungsenergie in
Bei massiven, einschaligen Rohdecken be- Schallenergie im Hörfrequenzbereich umge-
stimmt die flächenbezogene Masse m = m/ A wandelt wird. Zu zeitlichen Schwankungen
646 7 Akustik

strömrichtung, sein Schallfrequenzspektrum


ist sehr breitbandig.
Wenn an Regelventildurchlässen die Schall-
geschwindigkeit des gasförmigen Strömungs-
mediums überschritten wird und sich da-
durch Stoßwellen ausbilden, kommt es eben-
falls zu hörbaren Strömungsgeräuschen. Aber
Abb. 7.28 Erzeugung einer Wechselkraft durch auch Resonanzschwingungen von Ventilkegel
wechselseitige Wirbelablösung an einem und Ventilspindel können zu Armaturenge-
angeströmten Zylinder
räuschen führen.
Tritt in strömenden Flüssigkeiten Kavi-
der Gas- oder Flüssigkeitsströmung kommt es tation auf, dann entsteht noch ein wei-
vor allem beim Umströmen von Hindernissen teres Strömungsgeräusch. Die Kavitation
sowie an Strömungskrümmungen und Aus- wird dadurch verursacht, dass die Strö-
strömöffnungen. Beispielsweise werden beim mungsgeschwindigkeit an umströmten
Umströmen eines Zylinders mit abströmseiti- Profilen oder Strömungskanten sehr hoch
ger Wirbelbildung gemäß Abb. 7.28 Kraft- und wird. Nach der Bernoulli-Gleichung (Ab-
Druckschwankungen erzeugt, die ein breit- schn. 2.12.2.2) vermindert sich der statische
bandiges Strömungsrauschen verursachen. Druck p = pges − ρ/ 22 ; er kann niedriger als
Ist die Wirbelablösung an den umströmten der Sättigungsdampfdruck pS der Flüssigkeit
Körpern asymmetrisch, oder wird – wie bei sein. An kleinen Luftbläschen als Keimen
Propellern – der Wirbelbildung eine Periodi- entstehen dann dampfgefüllte Hohlräume,
zität aufgeprägt, so entstehen schmalbandige wie in Abb. 7.30 skizziert. Diese Dampfblasen
Strömungsgeräusche, die Hiebtöne. Über die kondensieren schlagartig mit Schallgeschwin-
Rohr- oder Behälterwandungen werden die digkeit, wenn der statische Druck wieder über
Druckschwankungen des Fluids in Luftschall den Sättigungsdampfdruck ansteigt. Bei dieser
umgewandelt. Implosion entstehen sehr hohe Druckspitzen
Wechselkräfte durch Wirbelablösung entste- bis zu p = 105 bar, die zu Materialschäden (Ka-
hen auch durch Reibungsvorgänge in der
Mischzone zwischen dem hochbeschleunig-
ten Freistrahl von Düsenöffnungen und dem
ruhenden Gas, in das der Freistrahl einströmt,
wie Abb. 7.29 zeigt. Das Freistrahlgeräusch hat
eine ausgeprägte Richtcharakteristik in Aus-

Abb. 7.29 Wechseldruck erzeugende Wirbel um Abb. 7.30 Entstehung und Implosion von
turbulenten Freistrahl einer Düse Kavitationsblasen ( Strömungsgeschwindigkeit)
7.4 Technische Akustik 647

vitationskorrosion, Abschn. 2.12.2.4) führen Frequenzbereiche und besonders hohe Ultra-


und ein prasselndes, breitbandiges Geräusch schallintensitäten von über I = 100 W/cm2
(Kavitationsgeräusch) verursachen. lassen sich durch die Elektrostriktion, also den
Kavitation und Wirbelablösung in Armaturen umgekehrten piezoelektrischen Effekt, von
mit großen Querschnittsverengungen bewir- Quarz- oder Bariumtitanatplatten erreichen
ken die Geräusche bei der Wasserentnahme (Abschn. 9.3.3).
und beim Abwasserabfluss. Über die Rohr- Die Wellenlänge des Ultraschalls ist kurz; in
leitungen und die Wassersäule werden diese Luft ist sie kleiner als etwa λ = 1,5 cm. Beu-
Druckschwankungen weitergeleitet und als gungen sind deshalb bei üblichen Dimensio-
Luftschall abgestrahlt. nen vernachlässigbar, sodass die Ultraschall-
Durch Wasserschalldämpfer (Querschnitts- ausbreitung mit den Gesetzen der geometri-
erweiterungen mit Gummikörper) in den schen Optik beschrieben werden kann. Ultra-
Leitungen, eine Ummantelung der Steigrohre schall kann zu Ultraschall-Richtstrahlen ge-
mit losem Sand oder eine Unterbrechung der bündelt werden, deren Reflexion man z. B. zur
Leitung durch zwischengeschaltete, körper- Ortung von Unstetigkeiten verwendet.
schalldämmende Gummielemente kann man Reflexionen treten an Grenzschichten mit
die Weiterleitung von Installationsgeräuschen sprunghafter Änderung der Schallkennimpe-
unterdrücken. Besonders wirkungsvoll wird danz auf, beispielsweise beim Schall-Übergang
das Armaturengeräusch vermindert, wenn die von Festkörpern auf Luftschichten in Rissen
Strömungsgeschwindigkeit durch zwei hinter- von Schmiedeteilen, Lunkern von Gusseisen
einander geschaltete Lochbleche am Ausfluss oder an Aufdopplungen von Blechen. Aus dem
(Luftsprudler) vermindert und die Wirbel- Zeitunterschied zwischen dem Aussenden
ablösung durch weite, kantenfreie Ventilsitze und dem Empfang des reflektierten Ultra-
verhindert wird. Mit diesen Maßnahmen schalls, dem Ultraschallecho, lässt sich bei
erreicht man einen Armaturengeräuschpegel bekannter Schallgeschwindigkeit der Abstand
LAG 20 dB(A). der Reflexionsstelle berechnen (Echolotver-
fahren). Diskontinuitäten kann man bei der
7.4.5 Ultraschall Ultraschall-Werkstoffprüfung zerstörungsfrei
bis auf 0,1 mm genau lokalisieren.
Schall mit Frequenzen oberhalb des Hör- Zu den ältesten Anwendungen des Ultraschalls
bereichs von etwa f = 20 kHz bis 10 GHz gehören die Verfahren zur Ortung von Unter-
bezeichnet man als Ultraschall. Mechanische seebooten nach dem Sonar-Prinzip (sound na-
Ultraschallgeber, wie z. B. Pfeifen (Galton- vigation and ranging), zur Tiefenbestimmung
Pfeife) und Sirenen, erzeugen Ultraschallfre- mit dem Echolot und zur Kommunikation un-
quenzen bis etwa f = 200 kHz. Höhere Schall- ter Wasser.
frequenzen und größere Ultraschallleistungen Eine weitere Anwendung des Ultraschalls ist
erreichen elektroakustische Schallgeber. Im die bildgebende Ultraschalldiagnostik in der
mittleren Ultraschall-Frequenzbereich wird Medizin. An der Trennfläche von Muskelge-
die Magnetostriktion, also die Längenän- webe und Gewebeflüssigkeit wird etwa 0,1%
derung eines ferromagnetischen Stabes aus der Ultraschallenergie reflektiert. Um einer-
Nickel oder Weicheisen im Magnetfeld einer seits eine hohe räumliche Auflösung durch
Hochfrequenzspule, zur Ultraschallerzeu- kurze Wellenlängen zu erlangen, andererseits
gung verwendet (Abschn. 4.4.4.2). Höhere aber trotz der Ultraschalldämpfung ausrei-
648 7 Akustik

Tabelle 7.8 Schallanwendungen

Schallart Luftschall Flüssigkeitsschall Körperschall

Infraschall Geräusch von Wind- Erschütterungsanalyse


f < 20 Hz böen, Brandung (1 Hz (1 Hz bis 16 Hz);
bis 16 Hz) Erdbebenmessung
(5 mHz bis 20 mHz);
Überwachung von Kern-
waffentests;
Analyse innerer Organ-
schwingungen;
Schallermüdung
Hörakustik Raumakustik; Strömungsgeräusch- Maschinen- und Getrie-
f = 16 Hz bis 20 kHz Schall- und Lärm- und Armaturenge- begeräuschminderung;
Physiologische Akustik: schutz; räuschminderung; Schienenverkehr-
Beschreibung des Hörvor- Bauakustik; Kavitationsgeräusche; Körperschallschutz
gangs; Auswirkung von Schall Schalldämmung; Hiebtonminderung
auf den menschlichen Schalldämpfung und
Organismus Schallabsorption;
Psychologische Akustik: Hiebtonanalyse;
Menschliche Wahrnehmung Gehörschutz
und Empfindung von Schall-
wellen
(musikalische Akustik)
Technische Akustik:
Schallmesstechnik,
Schallabstrahlung,
Schallabsorption
und Schalldämpfung
(medizinische Akustik)
Ultraschall Informationsübertra- Sonar-Tiefenmessung; Ultraschall-
f = 20 kHz bis 1 GHz gung (Fernbedienung); Doppler-Strömungs- Werkstoffprüfung;
Signalübertragung geschwindigkeitsmes- Ultraschalldiagnostik;
(Pfeifen); sung; Polymer-Reibungs-
Näherungsschalter; Emulsions- schweißen;
Echolot-Ortung Dispergieren; Ultraschallermüdung
Nanopartikel- (sonic fatigue);
Disagglomerieren; Stoßwellen-
Homogenisieren; Nierensteinzertrüm-
Ultraschallreinigung; merung
Abwasseraufbereitung
Hyperschall Festkörper-
f > 1 GHz Oberflächenanalyse;
Mikroskopie durch
Phononstreuung
7.4 Technische Akustik 649

chend tief ins Körperinnere eindringen zu Schallwellen findet sich der Großteil der
können, verwendet man Ultraschallfrequen- Schallanwendungen. Sprach- und Musik-
zen im Bereich von 3 MHz bis 15 MHz. Mit- übertragungen, aber auch Schall- und Lärm-
tels Ultraschalldiagnostik kann der Medizi- schutz sind die Hauptanwendungsgebiete.
ner ohne Strahlenbelastung Organverände- Der Schallfrequenzbereich unterhalb der
rungen analysieren und Schwangerschaftsent- Tiefton-Hörschwelle wird als Infraschall be-
wicklungen verfolgen. zeichnet. Der Schallfrequenzbereich oberhalb
Bei Ultraschallfrequenzen von etwa der Hörakustikfrequenzen wird in Ultraschall
f = 20 kHz bis f = 40 kHz lassen sich so und Hyperschall unterteilt. Während es im Ul-
hohe Schallintensitäten und Schallschnellen traschallbereich viele interessante technische
erreichen, dass an festen Grenzflächen Ka- Schallanwendungen in allen Aggregatzu-
vitation auftritt. Durch die Implosion der ständen gibt, ist die Hyperschallausbreitung
Kavitationsblasen können z. B. Emulsions- ausschließlich ein Festkörperphänomen.
vorgänge eingeleitet, Metallschmelzen und Tabelle 7.8 weist, aufgeschlüsselt nach den ver-
Flüssigkeiten entgast sowie Schmutzteil- schiedenen Schallarten, die Einsatzbereiche
chen von Oberflächen losgerissen werden und Anwendungsgebiete von Schall aus.
(Ultraschall-Reinigung). Zur Übung
Die große Ultraschallenergie wird auch zum Ü 7.4-1 Eine Werkhalle (Länge 25 m, Breite 15 m,
Ultraschallbohren eingesetzt. In harten und Höhe 7 m) soll für kulturelle Veranstaltungen als Saal
spröden Materialien, wie z. B. Glas und Quarz, für Musik- und Sprechdarbietungen genutzt werden.
lassen sich bei geeigneter Schleifmittelzugabe Bei den Veranstaltungen wird von einer durchschnitt-
lichen Zuhörerzahl von 300 Personen (äquivalente
durch resonantes mechanisches Absprengen
Schallabsorptionsfläche pro Person A = 0,5 m2 ) ausge-
feinste Profilformen herstellen. gangen. Die Schallabsorptionsgrade der Raumoberflä-
chen im mittleren Frequenzbereich von 500 Hz betra-
7.4.6 Schalleinsatz
gen für die Wände αW = 0,02, für den Boden αB = 0,04
und für die Decke αD = 0,15. a) Wie groß ist im vor-
Als Luftschall wird die Schallausbreitung in
gefundenen Raumzustand die Nachhallzeit bei 500 Hz
Luft und Gasen bezeichnet; als Flüssigkeits- mit und ohne Publikum? b) Bestimmen Sie unter Be-
schall das Schallfeld in Wasser und anderen rücksichtigung von Publikum die erforderliche raum-
Fluiden. Die Ausbreitung wird in beiden Fäl- akustische Maßnahme an der Decke, wenn für die
len durch das hydrodynamische Grundgesetz vorgesehene Nutzung bei 500 Hz die optimale Nach-
nach (7.3) beschrieben, die daraus folgende hallzeit 1,3 s beträgt. Welche Fläche SAbs der Decke
muss mit Absorbermaterial abgedeckt werden, wenn
Wellenausbreitung als longitudinale Kom-
αAbs = 0,8 beträgt?
pressionswelle bestimmt die Anwendung. Die
Schallausbreitung in Festkörpern wird Körper- Ü 7.4-2 Die Schalldämmung eines Fensters soll un-
schall genannt und führt wegen der möglichen ter folgenden Voraussetzungen abgeschätzt werden:
Schubspannungen und Schubdeformation zu Fensterfläche 2,2 m2 , Raumvolumen 45 m3 , Nachhall-
komplexen, von der Isotropie des elastischen zeit des Raumes 0,4 s. Der diffuse Schallpegel außer-
Kontinuums abhängigen Schallfeldern aus halb des Fensters wird gemessen zu L1 = 75 dB. Im
Innern ergibt sich ein Pegel von L2 = 38 dB. a) Das
Longitudinal- und Transversalwellen; an der
Schalldämmaß R des Fensters ist zu berechnen unter
Oberfläche der Festkörper kommt es zu Ober-
der Annahme, dass die Schallübertragung durch die
flächenwellen, die Biegewelle auf plattenförmi- Mauern vernachlässigbar ist. b) Wie groß wird der dif-
gen Bauteilen (Abb. 7.10) ist ein Beispiel dafür. fuse Pegel im Raum, wenn das Fenster halb bzw. ganz
Im hörakustischen Frequenzbereich der geöffnet wird?
Kapitel 8
Atom- und Kernphysik 8

E. Hering et al., Physik für Ingenieure,


DOI 10.1007/978-3-642-22569-7_8, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
8 Atom- und Kernphysik
8.1 Bohr’sches Atommodell. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 654
8.1.1 Optisches Spektrum des Wasserstoffatoms. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 654
8.1.2 Bohr’sche Postulate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 657
8.1.3 Quantenbedingungen nach Bohr/Sommerfeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 659
8.2 Quantentheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 659
8.2.1 Hamilton-Operator . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 662
8.2.2 Schrödinger-Gleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 664
8 8.2.3
8.2.4
Unschärferelation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Quantenmechanik des Wasserstoffatoms . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
669
673
8.2.5 Quanten-Hall-Effekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 677
8.2.6 Tunneleffekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 684
8.3 Bahn- und Spinmagnetismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 686
8.3.1 Zeeman- und Stark-Effekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 690
8.3.2 Elektronen- und Kernspinresonanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 690
8.4 Systematik des Atombaus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 692
8.4.1 Periodensystem der Elemente. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 692
8.4.2 Aufbau der Elektronenhülle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 693
8.5 Röntgenstrahlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 694
8.5.1 Bremsstrahlung und charakteristische Strahlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 694
8.5.2 Absorption von Röntgenstrahlung, Computertomographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 695
8.6 Molekülspektren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 698
8.6.1 Potentialkurve . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 698
8.6.2 Rotations-Schwingungs-Spektrum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 700
8.6.3 Raman-Effekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 703
8.7 Aufbau der Atomkerne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 703
8.7.1 Größe und Ladungsverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 703
8.7.2 Kernmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 706
8.8 Kernumwandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 714
8.8.1 Radioaktiver Zerfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 715
8.8.2 Kernreaktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 730
8.8.3 Kernspaltung und Kernreaktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 733
8.8.4 Kernfusion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 741
8.9 Elementarteilchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 746
8.9.1 Einteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 748
8.9.2 Erhaltungssätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 752
8.9.3 Fundamentale Wechselwirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 754
8.10 Strahlenschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 756
8.10.1 Wechselwirkung der Strahlung mit Materie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 757
8.10.2 Dosisgrößen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 765
8.10.3 Biologische Wirkung der Strahlung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 770
8.10.4 Dosismessung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 773
8.10.5 Strahlenschutzmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 776
8 Atom- und Kernphysik

Aus der Übersicht Abb. 8.1 geht hervor, dass


die Quantentheorie die Grundlage der quan-
titativen Beschreibung der Eigenschaften der
Materie vom Festkörper bis zum Quark ist.
Bis zum atomaren Bereich ist die Schrödinger-
Gleichung (Abschn. 8.2.2), für den subatoma-
ren Bereich die Dirac-Gleichung (Abschn. 8.9)
gültig. Wie Abb. 8.1 außerdem zeigt, sind In-
formationen über den Aufbau von Molekü-
len, Atomen und subatomaren Bausteinen nur
über die Wechselwirkungsprozesse zwischen
Teilchen (bzw. Wellen) und dem zu untersu-
chenden Objekt zu erhalten.
Solche Wechselwirkungen sind die Absorp-
tion oder Emission von elektromagnetischer
Strahlung oder die Streuung von Teilchen (z. B.
von Elektronen am Atomkern zur Ermittlung
der Ladungsverteilung). Um die Strukturen
des Messobjekts zu erkennen, muss die Wel-
lenlänge der Strahlung kleiner als die auf-
zulösende Struktur sein. Abbildung 8.1 zeigt
Abb. 8.1 Atombau und Spektren
die Größenbereiche von Festkörper, Molekül,
Atom, Kern und Elementarteilchen mit den für
sie typischen Energiediagrammen. Durch die aus Abb. 8.1 hervorgeht, reicht bei Molekülen
genannten Wechselwirkungsprozesse finden für Übergänge zwischen Schwingungszustän-
Übergänge zwischen den einzelnen Energie- den Infrarotstrahlung aus, während für Kern-
niveaus (Energiezuständen) statt, deren Ener- übergänge γ -Strahlung benötigt wird.
giedifferenzen in Wellenlängen umgerechnet Das Wort Atom kommt aus dem Griechischen
(E = h c/λ) in der Größenordnung des un- und bedeutet das Unzerschneidbare. Es wurde
tersuchten Objekts liegen. Dies hat zur Folge, im fünften und vierten Jahrhundert v. Chr.
dass mit kleiner werdenden Strukturen im- von den Naturphilosophen Demokrit (460
mer höhere Energien erforderlich sind. Wie bis 370), Platon (429 bis 348) und Aristo-

M. Stohrer, E. Hering, R. Martin, Physik für Ingenieure.


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654 8 Atom- und Kernphysik

Abb. 8.2 Atomistik

teles (384 bis 322) zur Erklärung von Stoffei- 8.1 Bohr’sches Atommodell
genschaften eingeführt. Der moderne Atom-
begriff bezeichnet den kleinsten Bestandteil J. J. Thomson (1856 bis 1940) entwickelte 1904
eines chemischen Elements, der noch die Ei- folgende Atomvorstellung: Die Elektronen be-
genschaften des Elements hat. Eine Zerle- finden sich in einer homogen positiv gelade-
gung des Atoms in seine Bestandteile Pro- nen Kugel mit einem Durchmesser der Grö-
tonen, Neutronen und Elektronen hat den ßenordnung von 10−10 m. Führen die Elektro-
Verlust der Elementeigenschaften (z. B. Spek- nen in der homogenen positiven Ladungsver-
trum) zur Folge. Der atomare Aufbau der Ma- teilung Schwingungen aus, so findet eine Emis-
terie (Abb. 8.2) zeigt sich u. a. darin, dass sion von elektromagnetischer Strahlung statt
es bestimmte ganzzahlige Massenverhältnisse (Hertz’scher Dipol). Die nach diesem Modell
gibt, in denen die Elemente chemische Re- errechneten Schwingungsfrequenzen konnten
aktionen eingehen (Dalton’sches Gesetz). Für experimentell nicht bestätigt werden. Streuex-
Gase stellte Gay-Lussac fest, dass sie nur in perimente von E. Rutherford (1871 bis 1937)
bestimmten ganzzahligen Volumenverhältnis- mit α-Teilchen an Atomen führten zu folgen-
sen miteinander reagieren. Avogadro zog dar- dem Atommodell: Die positive Ladung und
aus den Schluss, dass gleiche Volumina gleich fast die gesamte Masse des Atoms ist in einem
viele Teilchen enthalten (Avogadro-Konstante Atomkern (Durchmesser etwa 10−14 m) kon-
NA = 6,022 · 1023 mol−1 , Abschn. 3.1.5). Die zentriert, der von einer Elektronenhülle um-
Atomistik der Elektrizität zeigen die Faraday’- geben ist (Durchmesser etwa 10−10 m). Auch
schen Gesetze (Abschn. 4.2.1.2), da die ab- mit diesem Atommodell konnten die diskre-
geschiedene Stoffmenge proportional zur La- ten Frequenzen der emittierten elektromagne-
dungsmenge ist. Das Auftreten von Energie in tischen Strahlung nicht berechnet werden.
unteilbaren Portionen (Quanten) wurde von
Planck zur Erklärung des Energieaustausches 8.1.1 Optisches Spektrum des Wasserstoffatoms
zwischen Materie und Strahlung (Planck’sches
Strahlungsgesetz, Abschn. 6.5.3) eingeführt. Unter einem Spektrum versteht man in der Op-
Dies ist der Ausgangspunkt der Quantentheo- tik die Abhängigkeit der Strahlungsintensität
rie, ohne die eine quantitative Beschreibung von der Frequenz bzw. der Wellenlänge der
molekularer, atomarer und subatomarer Vor- Strahlung. Die Auswertung und die Interpre-
gänge nicht möglich wäre. tation von Spektren geschieht in der Spektro-
8.1 Bohr’sches Atommodell 655

skopie. Zur Messung von Spektren, beispiels- schwächt (Abb. 8.3, Spektrum von Schwefel-
weise von Festkörpern, Molekülen und Ato- dioxid). Bei der Resonanzspektroskopie wird
men, werden die in Abb. 8.3 zusammengestell- im Gegensatz zur Emissions- und Absorpti-
ten Spektroskopie-Verfahren eingesetzt. onsspektroskopie die Probe mit einer konstan-
Bei der Emissionsspektroskopie wird die Probe ten Frequenz bestrahlt und eine äußere Größe
beispielsweise durch Hochfrequenzfelder io- (z. B. Magnetfeld, Druck oder Temperatur)
nisiert und zur Lichtemission angeregt. Nach verändert. Bei bestimmten Werten wird die
der spektralen Zerlegung des Lichts durch eingestrahlte Strahlung absorbiert. Zur Mes-
einen Monochromator (Prisma, Gitter, s. Ab- sung kann die von der Probe aufgenommene
schn. 6.4.1.7) kann man aus den Wellenlän- Intensität (durchgezogene Linie in Abb. 8.3)
gen der Emissionslinien auf das Element und oder die abgestrahlte Intensität (gestrichelte
aus der Intensität der Linien auf die Konzen- Linie) gemessen werden (Protonenresonanz-
tration des Elements in der Probe schließen spektrum von Dichlorbenzol in Abb. 8.3).
(Abb. 8.3, Ausschnitt des Spektrums von Ei- Die Spektroskopie ist ein unentbehrliches
sen). Bei der Absorptionsspektroskopie werden Hilfsmittel in der analytischen Chemie, bei-
beispielsweise die in die Gasphase überführ- spielsweise zur Bestimmung der Elemente
ten Atome oder Moleküle mit Licht bestimm- (z. B. Cadmium, Blei, Quecksilber, Selen) in
ter Wellenlänge bestrahlt. Durch Absorption einer Probe (z. B. des Bodens, der Luft, des
wird die eingestrahlte Intensität proportional Wassers oder eines Nahrungsmittels). Mit
der Teilchenkonzentration in der Probe ge- Spektroskopieverfahren ist es heute möglich,

Abb. 8.3 Spektroskopie-Verfahren


656 8 Atom- und Kernphysik

Elementmengen in der Größenordnung von ν = 27 419,4 cm−1 ). Balmer stellte eine em-
:
10−12 g (1 pg) zu bestimmen. Solche Mess- pirische Beziehung zur Berechnung der
methoden dienen der Kontrolle der Umwelt gemessenen Wellenlängen auf:
bezüglich Kontamination durch Schwerme-
talle. n2
Im Folgenden wird das optische Emissi- λ= G (8.1)
n2 − 4
onsspektrum des einfachsten Atoms, des
Wasserstoffs, betrachtet. In Abb. 8.4 ist ein
Teil des Emissionsspektrums (4 050 nm bis Hierin ist G eine Proportionalitätskonstante
50 nm) dargestellt. Da die Wellenlänge umge- und n eine ganze Zahl (n = 3, 4, …). Diese
kehrt proportional zur Strahlungsenergie ist Beziehung kann auch ausgedrückt werden als
(E = hf = h c/λ), wird meist nicht die Wellen-
länge, sondern die der Energie proportionale 1 1 1
ν=
: = RH 2 − 2 , n < n
Wellenzahl :ν = 1/λ = E/ (h c) angegeben. Das λ n n

Spektrum setzt sich aus mehreren Serien von c 1 1
f = = c RH 2 − 2 . (8.2)
Linien zusammen, deren Abstand bis zur Seri- λ n n
engrenze immer kleiner wird. Die Balmerserie
(J. J. Balmer, 1825 bis 1898) ist in Abb. 8.4
Es bedeuten:
vergrößert wiedergegeben. Die Serie be-
ginnt im sichtbaren Bereich mit der Hα -Linie n = 2,
(λ = 656,460 nm, :ν = 15 233,21 cm−1 ) und en- :
Wellenzahl der Spektrallinie,
det mit der Seriengrenze H∞ (λ = 364,71 nm, f Frequenz der Spektrallinie,

Abb. 8.4 Spektrum des Wasserstoffatoms


8.1 Bohr’sches Atommodell 657

RH Rydberg-Konstante Zur Aufhebung dieser Widersprüche stellte


(RH = 4/ G = 109 737,3157 cm−1 , 1913 N. Bohr (1885 bis 1962) drei Postulate
c RH = 3,28984196 · 1015 s−1 ). auf. Abbildung 8.5 zeigt die Bohr’schen Pos-
tulate, ihre mathematische Formulierung und
Die nach dieser Gleichung berechneten Wel-
die sich daraus ergebenden Konsequenzen.
lenlängen sind in Abb. 8.4 den gemessenen
Demnach sind von der Vielzahl der klassisch
Werten gegenübergestellt und ergeben eine
möglichen Bahnen nur solche Bahnen erlaubt,
ausgezeichnete Übereinstimmung. Die weite-
für die der Bahndrehimpuls ein ganzzahliges
ren Serien des Emissionsspektrums des Was-
Vielfaches einer kleinsten Wirkungsgröße ist
serstoffatoms können ebenfalls durch (8.2) be-
( = h/ 2π; h: Planck’sches Wirkungsquantum).
schrieben werden: n = 1 (Lyman), n = 2
Die Quantisierungsvorschrift des Drehimpul-
(Balmer), n = 3 (Paschen), n = 4 (Brackett),
ses nach Bohr ist in seinen Konsequenzen ver-
n = 5 (Pfund).
gleichbar mit der Quantisierung der Energie
Die Untersuchung der Spektrallinien bei grö-
nach Planck. Die Bohr’schen Postulate füh-
ßerer Auflösung ergibt, dass diese aus meh-
ren ebenfalls zu diskreten Zuständen (Bahnen)
reren Linien, den Multipletts, bestehen. Abbil-
mit der Energie En . Der Energieabstand zwi-
dung 8.4 zeigt die Hα -Linie der Balmerserie bei
schen den Zuständen wird bis zur Ionisations-
größerer Auflösung.
grenze des Atoms immer geringer (Abb. 8.5).
Nach (8.3) und (8.5) in Abb. 8.5 ergibt sich für
8.1.2 Bohr’sche Postulate das Wasserstoffatom (Z = 1) die Energie E1 =
−13,59 eV (entspricht der Ionisierungsener-
Das vorstehend beschriebene Spektrum des
gie) und der Radius r1 = 52,9 pm (Bohr’scher
Wasserstoffatoms konnte mit dem Ruther-
Radius a0 ). Für n = 100 ergibt sich der Ra-
ford’schen Atommodell nicht erklärt werden.
dius des Wasserstoffatoms zu r100 = 5 · 10−7 m;
Dieses steht aus folgenden Gründen im Wi-
dies entspricht der Größe eines Virus. Derar-
derspruch mit der klassischen Mechanik und
tige Riesenatome werden als Rydberg-Atome
Elektrodynamik:
bezeichnet und haben eine Lebensdauer in der
– Die Bewegung der Elektronen um den Größenordnung von Millisekunden.
Atomkern kann klassisch in unendlich Die Absorption von Licht erfolgt durch den
vielen Bahnen ablaufen (Kreise, Ellipsen). Übergang des Elektrons von einem Zustand
Dann müssten die Atome einer Atom- niedriger Energie in einen Zustand höherer
sorte unterschiedlich in ihrer räumlichen Energie (z. B. n = 1 nach n = 2). Die Energie
Ausdehnung sein; dies widerspricht allen E = hf der absorbierten Strahlung muss
experimentellen Ergebnissen. der Energiedifferenz der Zustände entspre-
– Die um den Atomkern umlaufenden Elek- chen. Bei der Emission findet der umgekehrte
tronen stellen eine beschleunigte Ladung Vorgang statt. Die Wellenzahl der dabei emit-
dar, die nach der Elektrodynamik elektro- tierten Strahlung berechnet sich nach (8.4) in
magnetische Energie abstrahlen müsste Abb. 8.5. Sie ist identisch mit der Balmer-For-
(Hertz’scher Dipol). Durch diesen ständi- mel (8.2). Die Rydberg-Konstante ist damit auf
gen Energieverlust würde sich das Elektron die elementaren Größen Elektronenladung e,
spiralförmig dem Kern nähern, bis es in den Ruhemasse des Elektrons m0 und das Planck’-
Kern stürzen würde. Nach der klassischen sche Wirkungsquantum h zurückgeführt. Der
Theorie wären Atome deshalb instabil. Vergleich von R∞ aus (8.4) mit RH aus (8.2)
658 8 Atom- und Kernphysik

Abb. 8.5 Bohr’sche Postulate und Erweiterung durch Sommerfeld


8.2 Quantentheorie 659

ergibt einen Unterschied von etwa 60 cm−1 . bahn muss sich infolge des Drehimpulserhal-
Dieser Unterschied ist auf die Mitbewegung tungssatzes (Flächensatz, Abschn. 2.10) das
des Kerns zurückzuführen, dessen Masse Elektron in Kernnähe schneller bewegen als in
bisher unendlich groß angenommen wurde. großer Entfernung. Nach der Relativitätstheo-
Die Bohr’schen Postulate gestatten die Berech- rie nimmt die Masse des Elektrons mit zuneh-
nung des Wasserstoffspektrums und der was- mender Geschwindigkeit zu (Abschn. 10.2),
serstoffähnlichen Spektren (Systeme mit ei- sodass das Elektron in Kernnähe schwerer ist.
nem Z-fach geladenen Kern und einem einzi- Wegen En ∼ m0 kommt es zu einer Energieab-
gen Hüllenelektron, z. B. He+ , Li2+ ). Mit höher senkung des Zustandes, die umso größer ist,
auflösenden Spektralapparaten wird eine Auf- je kleiner die Halbachse bn, k und damit die
spaltung der Spektrallinien beobachtet. So er- Nebenquantenzahl k ist. Das rechnerische Er-
scheint beispielsweise die Hα -Linie als Dublett gebnis von Sommerfeld ist in Abb. 8.5 angege-
(Aufspaltung in zwei Linien) mit einem Wel- ben (8.6). Die relativistische Energieänderung
lenzahlabstand von 0,33 cm−1 . Da diese Auf- ist abhängig von dem Quadrat einer Konstan-
spaltung durch die Bohr’schen Postulate nicht ten α, die Sommerfeld’sche Feinstrukturkon-
erklärbar ist, mussten sie korrigiert werden. stante genannt wird:
Dies gelang A. Sommerfeld (1868 bis 1951). Geschwindigkeit des Elektrons auf der 1. Bohr-Bahn
α=
Lichtgeschwindigkeit
und beträgt
8.1.3 Quantenbedingungen
α = μ0 c0 e2 / 2h = 7,297352568 · 10−3 ≈ 1/ 137.
nach Bohr/Sommerfeld
Eine genaue Bestimmung von α kann durch
Abbildung 8.5 zeigt die Erweiterung durch den von K. von Klitzing (geb. 1943) entdeck-
Sommerfeld. In Analogie zu den Planeten- ten Quanten-Hall-Effekt vorgenommen wer-
bahnen (Abschn. 2.10) sind außer den Bohr’- den (Abschn. 8.2.5). Infolge der relativisti-
schen Kreisbahnen auch Ellipsenbahnen mit schen Massenänderung des Elektrons wird die
gleicher Energie möglich. Die große Halbachse Entartung aufgehoben und führt zu einer Auf-
der Ellipse an bestimmt die Energie und wird spaltung der Spektrallinien (Abb. 8.5).
durch die Hauptquantenzahl n beschrieben. Trotz dieser großen Erfolge der Bohr-
Zur Charakterisierung der kleinen Halbachse Sommerfeld’schen Theorie zur Deutung
bn, k wird analog zu n eine neue Quanten- der Spektren von Einelektronensystemen
zahl, die Nebenquantenzahl k, eingeführt. Für ergaben sich unüberwindliche Schwierigkei-
sie gilt 1 k n. Das Verhältnis der bei- ten bei der Berechnung der Spektren von
den Halbachsen wird durch bn, k / an = k/ n Mehrelektronensystemen.
bestimmt. Dies bedeutet, dass zu einer Ener-
gie En n Energiezustände gleicher Energie ge- 8.2 Quantentheorie
hören (n-fache Entartung), die sich durch die
Die klassische Physik umfasst die Mechanik
Nebenquantenzahl (k = 1 bis n) unterscheiden
(Newton) und die Elektrodynamik (Maxwell).
(Abb. 8.5). So ist beispielsweise der Energie-
Eine Konsequenz der Maxwellgleichungen ist
zustand für n = 3 dreifach entartet, d. h., es
das Auftreten elektromagnetischer Wellen.
handelt sich um drei Energiezustände gleicher
Das klassische Weltbild umfasst somit
Energie mit k = 1, 2, 3.
Bei einer klassischen Betrachtungsweise der – Materie: punktförmige Teilchen mit der
Bewegung des Elektrons auf einer Ellipsen- Masse m und der Ladung Q,
660 8 Atom- und Kernphysik

– Strahlung: elektromagnetische Wellen, schen Materie und Strahlung, die nach der
– Kräfte: Gravitationskraft und Lorentz-Kraft. klassischen Theorie kontinuierlich erfolgt, so-
(Die Lorentz-Kraft ist das Kopplungsglied zwi- dass die Energie im Lauf der Zeit vollständig
schen Mechanik und Elektrodynamik.) aus der Materie in die Strahlung übergeht.
Mit der klassischen Physik konnten aber nicht Dies ist dann nicht mehr möglich, wenn die
alle experimentellen Befunde erklärt und be- Energie in bestimmten Portionen (Quan-
rechnet werden. In Abb. 8.6 sind einige grund- ten) beieinander bleibt. Die Strahlung ist
legende Experimente zusammengestellt, de- somit ein Teilchenstrom aus Energie-Quanten
ren Ergebnisse einen Widerspruch zur klas- (Photonen) mit der Energie E = h f = ω
sischen Physik darstellen. (Planck’sches Wirkungsquantum h, ω = 2 πf )
Plancks Einführung der Quantenhypothese und dem Impuls p = h/λ = k (Wellen-
zur Beschreibung der schwarzen Strahlung zahl k = 2 π/λ). Dieser Teilchencharakter
(Hohlraumstrahlung, Abschn. 6.5.3) führte der Strahlung zeigt sich deutlich bei der
zu einer völligen Revision des physikali- Beschreibung des lichtelektrischen Effekts
schen Weltbildes. Hierbei geht es um die und der Compton-Streuung (Abb. 8.6, s. Ab-
Beschreibung des Energieaustausches zwi- schn. 6.5.1.1 und Abschn. 6.5.1.2).

Abb. 8.6 Grundlegende Experimente zur Quantentheorie


8.2 Quantentheorie 661

De Broglie stellte 1925 die Hypothese auf, dass lenlänge der Elektronen entspricht der De-
jedem freien Teilchen eine Welle zugeordnet Broglie-Wellenlänge (8.7).
werden kann, dessen Wellenlänge durch Anhand der in Abb. 8.6 zusammengestell-
ten Experimente wird deutlich, dass Mate-
rie und Strahlung eine Doppelnatur aufwei-
λ = h /p ; (8.7)
sen, indem sie sich je nach Experiment ein-
p = m (Impuls des Teilchens) mal als Welle, ein anderes Mal als Teilchen
verhalten (Dualismus Welle–Teilchen). Es ist
gegeben ist (Abschn. 6.5.5). Diese Umkehrung offensichtlich, dass Materie nicht gleichzei-
der Planck’schen Vorstellung, dass die Teil- tig aus Wellen und Partikeln bestehen kann.
chen ebenso Wellencharakter haben, wurde Dieser Dualismus ist somit nichts anderes als
1927 eindrucksvoll durch die Experimente von der Ausdruck unserer Unzulänglichkeit, das
C. J. Davisson (1881 bis 1958) und L. H. Ger- Verhalten der uns umgebenden Objekte wi-
mer (1896 bis 1971) bestätigt. Die aus dem derspruchsfrei zu beschreiben. Die Beschrei-
Interferenzmuster der Beugung von Elektro- bung von Vorgängen und die Begriffsbildung
nen an einer Kristalloberfläche ermittelte Wel- stammen aus unserer Erfahrung des täglichen
662 8 Atom- und Kernphysik

Lebens. Begriffe wie Ort, Impuls oder Ener- beschrieben. Für die Bewegung eines Teil-
gie verbinden wir mit Körpern, die sich für chens kann dies beispielsweise durch die
uns sichtbar bewegen; die Begriffe Wellen- Bewegungsgleichungen x(t), y(t) und z(t)
länge und Frequenz bringen wir in Zusam- erfolgen. In vielen Fällen sind die Bewegungs-
menhang mit Wasserwellen oder der Farbe möglichkeiten der Systembestandteile durch
des Lichts. Objekte unserer Anschauung beste- Zwangsbedingungen oder Bindungen einge-
hen aus vielen Teilchen (Moleküle, Atome). Be- schränkt. Wenn beispielsweise die Bewegung
trachten wir dagegen einzelne Atome oder ato- eines Teilchens nur in einer Ebene stattfindet,
mare Prozesse, so sind diese unserer Anschau- ist z konstant, sodass z(t) entfällt. Durch
ung nicht direkt zugänglich, sodass eine Be- derartige Bindungen wird die Anzahl der
schreibung mit makroskopisch gewonnenen Freiheitsgrade des Systems verringert. Für ein
Begriffen widersprüchlich sein muss. Durch System aus n Teilchen ergibt sich die Anzahl
die mathematische Beschreibung in der Quan- der Freiheitsgrade zu f = 3 n − r mit r als der
tentheorie wird der Widerspruch beseitigt, Anzahl der Bindungen.
und der Dualismus tritt nicht auf, da man Für jedes dieser n Teilchen gilt die Newton’-
sich von der Anschauung löst. Die Grenze sche Bewegungsgleichung, beispielsweise für
der Anwendbarkeit des Partikel- oder Wel- das i-te Teilchen in x-Richtung Fxi = mi ẍi .
lenbildes ergibt sich aus der Unschärferela- Die r Bindungen verknüpfen die Koordinaten
tion und damit durch die Größe des Planck’- der n Teilchen untereinander. Deshalb sind
schen Wirkungsquantums (vgl. Abb. 1.2 in Ab- die Newton’schen Bewegungsgleichungen der
schn. 1.2). einzelnen Teilchen voneinander abhängig
(gekoppelt). Die Lösungen solcher gekoppelter
Bewegungsgleichungen sind, wenn überhaupt,
8.2.1 Hamilton-Operator
nur mit sehr großem mathematischem Auf-
Extremalprinzipien (d. h., bestimmte physika- wand zu finden. Um dieses Problem generell
lische Größen werden zu Extremwerten) spie- und einfacher zu lösen, werden für ein Sys-
len in der Physik eine bedeutende Rolle zur Er- tem mit f Freiheitsgraden f voneinander
klärung von Zustandsänderungen bzw. Bewe- unabhängige (generalisierte) Koordinaten
gungsabläufen. In der Thermodynamik laufen qk = qk (t) (k = 1, 2, …, f ) gesucht. Solche
beispielsweise Prozesse so ab, dass die Gesamt- generalisierte Koordinaten müssen nicht nur
entropie ein Maximum annimmt. In der Op- Raumkoordinaten, sondern können auch
tik muss nach dem Fermat’schen Prinzip (Ab- zusammengesetzte Größen sein.
schn. 6.1) der optische Weg (Produkt aus Bre- Zur Beschreibung des Zustands eines Teilchen-
chungsindex und geometrischem Weg) einen systems genügt nicht allein die Kenntnis der
Extremwert annehmen (i. Allg. ein Minimum). Lagen xi der Teilchen, sondern es müssen auch
Für Bewegungen der Mechanik existiert eben- deren Geschwindigkeiten ẋi bekannt sein. Dies
falls ein Extremalprinzip, das Hamilton’sche ergibt sich aus der Newton’schen Formulie-
Prinzip (W. R. Hamilton, 1805 bis 1865), nach rung der Mechanik (F = mẍ). Ist die Kraft F
dem die Wirkung (Energie mal Zeit) extremal als Funktion der Zeit bekannt, so kann die Zu-
wird. kunft des Systems (Entwicklung) nur berech-
Ein mechanisches System wird durch den net werden, wenn die zur Lösung der Diffe-
zeitlichen Verlauf der Ortskoordinaten der rentialgleichung zweiter Ordnung notwendi-
Systembestandteile (Bewegungsgleichung) gen zwei Integrationskonstanten (ẋi , xi ) zu ei-
8.2 Quantentheorie 663

nem bestimmten Zeitpunkt t bekannt sind. Für kinetische Energie. Eine andere Formulierung
eine Beschreibung des Systems durch generali- von (8.8) mit Hilfe der Variationsrechnung er-
sierte Koordinaten muss entsprechend qk und gibt
q̇k = dqk / dt (k = 1, 2, …, f ) zu einem be-
stimmten Zeitpunkt bekannt sein. d ∂L ∂L
− = 0 ; k = 1, 2, …, f .
Für ein System mit einem Freiheitsgrad ( f = 1) dt ∂q̇k ∂qk
kann der Zustand eines Systems zu einem be- (8.9)
stimmten Zeitpunkt t als Punkt in einem Ko-
ordinatensystem mit den Koordinaten q und q̇ Durch Einführung des generalisierten Impul-
dargestellt werden (Phasenraum). In Abb. 8.7 ses
sind die Zustände des Systems zum Zeitpunkt
∂L(q1 , …, qf , q̇1 , …, q̇f , t)
t1 (q1 , q̇1 ) und t2 (q2 , q̇2 ) dargestellt. Die zeit- pk = ; (8.10)
liche Entwicklung des Systems von t1 nach t2 ∂q̇k
kann auf verschiedenen Wegen erfolgen. Aus k = 1, 2, …, f
der Vielzahl möglicher Wege bestimmt das Ha-
milton’sche Prinzip den Weg, für den gilt: ergibt sich aus der Lagrange-Funktion (8.8)
eine neue Funktion, die Hamilton-Funktion H
Die Wirkung W (Einheit: Energie mal (pk , gk , t). Sie stellt i. Allg. die Gesamtenergie
Zeit) entlang des Wegs im Phasenraum des Systems dar:
muss einen Extremwert annehmen.
t2 H = Ekin + V . (8.11)
W = L(q1 , …, qf , q̇1 , …, q̇f , t) dt
t1 Für ein Teilchen in einem Potential V(x) ergibt
→ Extremwert . (8.8)
sich die Hamilton-Funktion für den eindimen-
sionalen Fall zu
Die Funktion L = Ekin − V wird als Lagrange-
Funktion bezeichnet. Sie hat die Dimension p2x
H = + V(x) = Egesamt . (8.12)
einer Energie. V ist die potentielle und Ekin die 2m

Durch Ableitung der Hamilton-Funktion nach


den generalisierten Impulsen pk und den ge-
neralisierten Koordinaten qk ergeben sich die
Bewegungsgleichungen

∂H ∂H
= q̇k ; = −ṗk ; (8.13)
∂pk ∂qk
k = 1, 2, …, f .

Beispiel
8.2-1 Man bestimme die Bewegungsgleichung eines
mathematischen Pendels (Abschn. 5.1.2.3, Abb. 5.7)
Abb. 8.7 Phasenraum mit Hilfe des Hamilton’schen Prinzips.
664 8 Atom- und Kernphysik

Lösung Die Bestrahlung eines Spalts beispielsweise


Die Anzahl der Freiheitsgrade einer Punktmasse m mit Elektronen führt zu einem Beugungsbild,
ist 3. Bindungen: Bewegung nur in der Ebene (z = 0), das zum einen im Wellenbild und zum an-
Abstand der Masse m zum Aufhängepunkt ist konstant:
dern im Teilchenbild erklärt werden kann, wie
f =3−r =3−2=1. Abb. 8.8 und 6.130 verdeutlicht. Im Wellenbild
ergibt sich für die Intensitätsverteilung I(x) =
Das System hat einen Freiheitsgrad und kann durch |Ψ (x, t)|2 (Abschn. 6.4.1.4). Im Teilchenbild
eine generalisierte Koordinate q = β(t) beschrieben ist die Intensitätsverteilung durch die Häufig-
werden. Für die Lagrange-Funktion ergibt sich
keitsverteilung h(x) (Anzahl der Elektronen je
1 Wegelement) gegeben. Da beide Bilder ein und
L = Ekin − V = m (ẋ2 + ẏ2 + ż2 ) − mgy .
2 dasselbe Experiment beschreiben, muss gelten
Mit den Bindungen z = 0, x = l sin β, y = l(1 − cos β)
lautet die Lagrange-Funktion
I(x) ∼ |Ψ (x, t) |2 ∼ h(x) . (8.15)
1 Wellenbild Teilchenbild
L = ml2 β̇2 − mgl(1 − cos β) .
2
Nach (8.10) berechnet sich der zu β gehörige Impuls Die Häufigkeit h(x) dividiert durch die Ge-
pβ zu pβ = ∂L/∂β̇ = ml2 β̇.
samtanzahl der gemessenen Teilchen (z. B.
Damit ergibt sich die Hamilton-Funktion zu
Anzahl der Elektronen) ergibt die Wahrschein-

H(qk , pk ) = Ekin + V = pk q̇k − L = H(β, pβ ); lichkeit, ein Elektron am Ort x anzutreffen.
k Wie aus (8.15) hervorgeht, kann |Ψ (x, t)|2
2
1 pβ somit als Wahrscheinlichkeit (genauer als
H= + mgl(1 − cos β) .
2 m l2 Wahrscheinlichkeitsdichte) interpretiert wer-
Für die Bewegungsgleichung ergibt sich nach (8.13) den. Für die Aufenthaltswahrscheinlichkeit w
eines Elektrons in einem Volumenelement
∂H p ∂H
= β̇ = β2 ; = −ṗβ = mgl sin β . dV = dx dy dz gilt
∂pβ ml ∂β
Daraus ergibt sich
= |Ψ (x, y, z, t)|2 dV. (8.16)
g
β̈ + sin β = 0 .
l

Damit ist ein wichtiger Unterschied zur klas-


sischen Physik aufgezeigt. In der klassischen
8.2.2 Schrödinger-Gleichung Physik wird das Teilchen durch seine Bahn-
kurve r(t) beschrieben, in der Quantentheorie
Nach de Broglie kann dem Teilchen eine dagegen nur durch seine Aufenthaltswahr-
Welle Ψ mit dem Wellenvektor k = p/ und scheinlichkeit |Ψ |2 dV.
der Kreisfrequenz ω zugeordnet werden: Die Fundamentalgleichung der Quantentheo-
rie, die die Bestimmung von Ψ ermöglicht, ist
die Schrödinger-Gleichung (E. Schrödinger,
Ψ (x, t) = ae(ikx x−iωt) = a e ~ (px x−E t)
i

√ 1887 bis 1961). Sie ist vergleichbar mit der


(E = ω ; px = kx ; i = −1) . Newton’schen Bewegungsgleichung, aus der
(8.14) die Bahnkurve r(t) bestimmt wird. Die zeit-
abhängige Schrödingergleichung lautet
8.2 Quantentheorie 665

Abb. 8.8 Beugung am Spalt

2
∂ 2
− Δ + V(r) Ψ (r, t) = i Ψ (r, t) − Δ + V(r) ψ(r) = Eψ(r) . (8.18)
2m ∂t 2m
(8.17)

Wird in die zeitabhängige Schrödinger-


Gleichung die ebene Welle Ψ (r, t) = a e ~ (pr−Et)
i
mit den Größen
für ein freies Teilchen (V(r) = 0) eingesetzt,
m Masse des Teilchens, so erhält man (unter Berücksichtigung von
V(r) Potentielle Energie; r = (x, y, z), p r = px x + py y + pz z) als Lösung
Δ Laplace-Operator:
2
∂2 ∂2 ∂2 ∂ ∂ ∂ 2 i (pr−Et) ∂ ~i (pr−E t)
Δ= + 2+ 2 = , , = ∇2 . − Δ ae ~ = i ae ,
∂x ∂y ∂z
2 ∂x ∂y ∂z 2m ∂t
2
p
=E. (8.19)
2m
Die Wellenfunktion Ψ (r, t) kann in einen orts-
und zeitabhängigen Anteil getrennt werden:
Ψ (r, t) = e−iEt/~ ψ(r). Durch Einsetzen in die Dies ist die kinetische Energie eines freien Teil-
zeitabhängige Schrödinger-Gleichung (8.17) chens in der klassischen Physik.
ergibt sich die zeitunabhängige Schrödinger- Wird die Operation −2 Δ = −2 ∇ 2 auf die
Gleichung: Wellenfunktion eines freien Teilchens ange-
666 8 Atom- und Kernphysik

wandt, so erhält man mit 2m E (8.19) das Qua-


drat des Teilchenimpulses. Zieht man die Qua-
dratwurzel aus der Operation
−2∇ 2 , so ergibt
~ ~ ∂ ∂ ∂
sich i ∇ = i ∂x , ∂y , ∂z . Die Anwendung die-

= ~i ∂∂x ; p̂y = ~i ∂∂y ; p̂z = ~i ∂∂z


ser Operation auf die Wellenfunktion ψ(r) lie-

V(r̂); Ekin = 2P̂m ; Ê = i ~ ∂∂t



p̂ = ~i ∇ ∇ = ∂∂x , ∂∂y , ∂∂z
fert den Impuls p des Teilchens:


l̂x = ~i y ∂∂z − z ∂∂y
y; ẑ = z
i pr

l̂2 = l̂x2 + l̂y2 + l̂z2


= p e~pr .
i
∇ e~ (8.20)

l̂ = i (r̂× ∇ )
i

quantenmechanische Beschreibung

x̂ = x; ŷ =

~
Aus (8.19) und (8.20) ergibt sich, dass der

p̂x

t
klassische Impuls p in der Quantentheorie
durch den Impulsoperator p̂ = ( / i)∇ ∇ er-

Drehimpulsoperator:
setzt wird. Tabelle 8.1 zeigt eine Gegenüber-

Impulsoperator:
stellung der klassischen und quantenmechani-

Ortsoperator:
Operatoren
schen Beschreibung von Systemen. Daraus ist

Energie:
ersichtlich, dass die mathematische Abbildung

Zeit:
des Systems im klassischen Fall durch Skalare
und Vektoren geschieht, die in der Quantenme-
chanik durch Operatoren ersetzt werden. Ope-
ratoren sind Rechenvorschriften (z. B. Diffe-

E = Ekin + V(r)

= lx2 + ly2 + lz2


rentiation, Multiplikation), die auf eine Wel-
lenfunktion ψ anzuwenden sind. Zur Unter-
l =r×p
px , py , pz

scheidung zwischen klassischer Größe und


x, y, z

Operator versieht man die physikalische Größe


l2
p
r

t
Klassische Beschreibung

mit dem Zeichen ˆ. Aus dem Quadrat des Im-


pulses p2 = p2x + p2y + p2z ergibt sich für den
Vektoren und Skalare

Drehimpulsvektor:

entsprechenden Operator
Tabelle 8.1 Klassisches und quantenmechanisches System

Impulsvektor:


Ortsvektor:

∂2 ∂2 ∂2
p̂2 = −2 + 2 + 2 = −2 Δ .
Energie:

∂x ∂y ∂z
2
Zeit:

(8.21)

Wird dieser Ausdruck in die Schrödinger-


Gleichung (8.18) eingesetzt, so ergibt sich
Messgröße (Observable)


p̂2
+ V(x̂ ŷ, ẑ) ψ(x, y, z)
2m
! "# $

= E ψ(x, y, z) .
(8.22)
Tabelle 8.1 (Fortsetzung)

Klassische Beschreibung quantenmechanische Beschreibung

mathematische Abbildung des Vektorrechnung – Vektoranalysis Operatorenalgebra


physikalischen Systems
Gesamtenergie des Systems H(r(t), p(t)) = Ekin (r(t), p(t)) + V(r(t)) Ĥ(x̂, ŷ, ẑ, p̂x , p̂y , p̂z ) = Ekin (x̂, ŷ, ẑ, p̂x , p̂y , p̂z ) + V(x̂, ŷ, ẑ)
(Hamilton-Funktion)
Beschreibung der zeitlichen und ∂H
∂x = −ṗx ; ∂∂Hy = −ṗy ; ∂∂Hz = −ṗz Ĥ Ψ (r, t) = i~ ∂∂t Ψ (r, t)
räumlichen Entwicklung des
Systems ∂H zeitabhängige Schrödinger-Gleichung
∂px = ẋ; ∂∂pHy = ẏ; ∂∂pHz = ż
Lösung dieser Gleichungen liefert die Lösung der Schrödinger-Gleichung liefert die Wellenfunktion
Bahnkurve des Teilchens ⇒ Ψ (r, t) Skalar
(Bewegungsgleichung): Es gibt keine Bahnkurve eines Teilchens, sondern nur seine
⇒ r(t) Wahrscheinlichkeit Ψ (r, t)Ψ ∗ (r, t) dV, es in dem Volumen dV
anzutreffen:
Ψ (r, t)Ψ ∗ (r, t) = |Ψ (r, t)|2 0 (∗ konjugiert komplex)
! "# $
Wahrscheinlich- ΨΨ ∗ dV = 1
keitsdichte
Ψ enthält alle verfügbaren Informationen über das System.
Messprozess Die Observablen können zu jedem Der Messprozess verändert das System, sodass beispielsweise Ort
Zeitpunkt unabhängig voneinander genau und Impuls nicht gleichzeitig scharf messbar sind.
gemessen werden, beispielsweise Ort und
Impuls. – Das System wird durch den Unschärferelation Δx Δpx ~2
8.2

Messvorgang nicht verändert.


Korrespondenzprinzip Die Definitionsgleichungen der klassischen Mechanik, die keine Ableitungen enthalten, gelten auch für die
entsprechenden Operatoren der Quantenmechanik. – Wenn das quantenmechanische System „genügend groß“
wird, muss die Quantenmechanik in die klassische Mechanik übergehen.
Quantentheorie 667
668 8 Atom- und Kernphysik

Der Operator Ĥ ist die quantenmechani-


sche Übersetzung der Hamilton-Funktion ψ(r) = cn ψn (r) (8.25)
H = p2 / (2 m) + V(x, y, z) = Egesamt , in der n

die klassischen Größen durch die Operatoren


ersetzt worden sind (Korrespondenz-Prinzip).
mit Faktoren cn , die komplex sein können. Vor-
In Tabelle 8.1 ist die räumliche und zeitli-
aussetzung ist stets, dass die Wellenfunktion
che Entwicklung des Systems im klassischen
normiert ist, sodass gilt
und quantenmechanischen Fall beschrieben.
Die Beschreibung eines quantenmechanischen
Systems erfolgt durch eine Wellenfunktion, die ψ∗ (r)ψ(r) dV = 1 . (8.26)
alle verfügbaren Informationen über das Sys-
tem enthält. Die Messgrößen werden dabei
durch Operatoren dargestellt. Die möglichen
Dies bedeutet, dass die Wahrscheinlichkeit
Messwerte des Operators  sind die Eigen-
eins ist, das Teilchen irgendwo im Raum anzu-
werte a des Operators. Man erhält diese durch
treffen. Deshalb muss die Wellenfunktion für
Anwendung des Operators auf die zu diesem
r → ±∞ schnell gegen null gehen oder peri-
Eigenwert gehörige Wellenfunktion, die Eigen-
odisch sein.
funktion genannt wird. Es ergibt sich die Ei-
Im Folgenden soll die Lösung der Schrödinger-
genwertgleichung
Gleichung für einige konkrete Probleme, den
Potentialtopf, den harmonischen Oszillator
und die Potentialschwelle genauer betrachtet
Operator · Eigenfunktion Eigenwert · Eigenfunktion
werden. In Abb. 8.9 ist die Schrödinger-
 · ψn (r) = a · ψn (r) .
Gleichung für diese Potentiale mit den Rand-
(8.23)
bedingungen und den Lösungen angegeben.
Aus diesen Beispielen ist ersichtlich, dass zur
Lösung der Differentialgleichung bei den vor-
Diese reellen Eigenwerte a können diskret
gegebenen Randbedingungen ein erheblicher
(an , n = 1, 2, 3, …, k) oder kontinuierlich
mathematischer Aufwand erforderlich ist.
sein. Befindet sich das quantenmechanische
Betrachtet man das quantenmechanische
System nicht in einem Eigenzustand ψn son-
Ergebnis des Rechteckpotentials und des har-
dern in einem allgemeinen Zustand, so ergibt
monischen Oszillators, so zeigt sich als fun-
sich für den Operator  ein schwankender
damentaler Unterschied zum klassischen Er-
Messwert mit Mittelwert a (Erwartungswert):
gebnis, dass nur diskrete Energiezustände En
erlaubt sind. Die Aufeinanderfolge der Ener-

gieniveaus wird durch eine ganze Zahl n be-
a= ψ∗ (r)Âψ(r) dV . (8.24) stimmt, die als Quantenzahl bezeichnet wird.
Beim Rechteckpotential (En ∼ n2 ) nimmt der
Abstand ΔE zwischen benachbarten Energie-
ψ∗ ist die konjugiert komplexe Funktion zu niveaus mit der Quantenzahl n zu (ΔE ∼ n).
ψ(r). Ein solcher allgemeiner Zustand ψ(r) Beim harmonischen Oszillator ist En ∼ n,
ergibt sich durch lineare Überlagerung (Su- d. h., der Abstand zwischen benachbarten
perposition) der Eigenzustände ψn (r) entspre- Energieniveaus ist konstant. Ein weiterer
chend Unterschied zum klassischen Ergebnis besteht
8.2 Quantentheorie 669

darin, dass der quantenmechanisch niedrigste Tunneleffekt genannt und spielt beispiels-
Energiezustand von null verschieden ist, weise beim α-Zerfall (Abschn. 8.8.1.2) und
sodass dem Teilchen auch am absoluten Null- dem Tunnelmikroskop (Abschn. 8.2.6) eine
punkt eine Energie (Nullpunktsenergie) zu- entscheidende Rolle.
kommt. Weil das Planck’sche Wirkungsquan-
tum h sehr klein ist (h = 6,6261 · 10−34 J s), 8.2.3 Unschärferelation
wird die Energiequantelung erst bei atomaren
Dimensionen und Teilchen geringer Masse Wie in Abschn. 8.2.2 ausgeführt, ist es ein
(z. B. Elektronen) erkennbar. Für makroskopi- Grundpostulat der Quantentheorie, dass die
sche Systeme liegt die Energiequantelung weit Eigenwerte der Messgröße (dargestellt durch
unterhalb jeder Messgenauigkeit ihren Operator) identisch mit den Messwer-
Für einen Potentialtopf mit der Länge l = 1 cm ten sind. Wendet man dieses Postulat auf ein
und ein Teilchen mit der Masse m = 1 g ergibt freies Teilchen an, das durch eine ebene Welle
sich für die Energieniveaus beschrieben wird, so ergibt sich

2 π2 2
En = n = 3,4 · 10−44 n2 eV . p̂x eikx x = px eikx x ,
2 m l2
∂ ikx x
Für den harmonischen Oszillator mit der e = kx eikx x ; kx = px .
i ∂x
Energie E (klassisch z. B. eine an einer Feder (8.27)
schwingende Masse m) bewegt sich klassisch
das Teilchen zwischen den Umkehrpunkten x0 ,
wie Abb. 8.9 zeigt. Das quantenmechanische Der Ausdruck eikx x ist die Eigenfunktion zum
Ergebnis zeigt, dass sich ψn (x) über diese Um- Impulsoperator p̂x (analog y und z). Ein ent-
kehrpunkte hinaus erstreckt. Da |ψn (x)|2 dV sprechendes Experiment würde als Resultat
die Aufenthaltswahrscheinlichkeit angibt, einer Impulsmessung pn ergeben. Befindet
bedeutet dies, dass sich das Teilchen auch sich das Teilchen in einem allgemeinen Zu-
außerhalb der klassischen Umkehrpunkte stand, so kann dieser durch die Superposition
aufhalten kann. von ebenen Wellen (8.28) innerhalb eines Be-
Der Widerspruch zum klassischen Verhalten reichs Δk um k0 (Wellenpaket) dargestellt wer-
eines Teilchens wird noch deutlicher beim den (Abb. 8.10):
Anlaufen eines Teilchens gegen eine Potenti-
alschwelle. Bei einer Energie E des Teilchens k
0 +Δk
kleiner als die Potentialschwelle kann das ψ(x) = c(k)eikx x dk . (8.28)
Teilchen klassisch die Schwelle nicht über-
k0 −Δk
winden, sodass es vollständig reflektiert wird
(Abb. 8.9). In der Quantenmechanik besteht
dagegen eine Wahrscheinlichkeit, das Teilchen Führt man eine Impulsmessung an einem Teil-
hinter der Potentialschwelle anzutreffen. Diese chen, dargestellt durch ein Wellenpaket, durch,
Wahrscheinlichkeit wird durch den Transmis- so erhält man einen beliebigen Messwert pn /
sionskoeffizienten T ausgedrückt. Je dünner im Bereich k0 −Δk < pn / < k0 +Δk. Die Wie-
die Potentialschwelle ist, umso größer wird T. derholung der Impulsmessung in einem neu-
Dieses Durchdringen einer Potentialschwelle, präparierten Wellenpaket ψ(x) liefert einen
obwohl es klassisch nicht möglich wäre, wird anderen Messwert für pn . Eine mehrmalige
670 8 Atom- und Kernphysik
8.2

Abb. 8.9 Lösung der Schrödinger-Gleichung für einige Potentiale


Quantentheorie 671
672 8 Atom- und Kernphysik

sung) durchgeführt, so bedeutet dies die An-


wendung des entsprechenden Operators auf
den Zustand des Systems ψn nach der ersten
Messung. Dies hat zur Folge, dass für die Mes-
sung zweier Messgrößen an einem quanten-
mechanischen System das jeweilige Messer-
gebnis von der Reihenfolge der Messungen ab-
hängen kann. Betrachtet seien die Operatoren
 und B̂ sowie die zu beiden Operatoren gehö-
rige Eigenfunktion ψ. Wird zuerst die Messung
von  vorgenommen, so ergibt sich  ψ = a ψ
Abb. 8.10 Wellenpaket (a ist Eigenwert zu Â). Eine anschließende
Messung von B̂ liefert B̂(Âψ) = b a ψ (b ist Ei-
Wiederholung der Messung an jeweils neu- genwert zu B̂). Werden beide Messungen um-
präparierten Wellenpaketen ergibt eine Ver- gekehrt durchgeführt, so folgt Â(B̂ ψ) = a b ψ.
teilung der Messwerte mit dem Erwartungs- Die Differenz der beiden Gleichungen liefert
wert p als Mittelwert (8.24). Der erhaltene (ÂB̂ − B̂Â)ψ = (a b − b a)ψ. Wenn man fordert,
Messwert pn ist der Eigenwert der Eigenfunk- dass die Messergebnisse von der Reihenfolge
tion eikn x , kn = pn / ; hierdurch befindet sich unabhängig sind, so muss (a b−b a)ψ = 0 sein.
das Teilchen nach der Messung im Eigen- Dies muss für jede gemeinsame Eigenfunktion
zustand zum entsprechenden Messwert. Die von  und B̂ gelten:
Messung verändert damit den Zustand ψ des
Systems:
(ÂB̂ − B̂Â)ψ = 0, kurz
(ÂB̂ − B̂Â) = [Â, B̂] = 0 . (8.31)
ψ ψ
(x) Messprozess :(x) =ψ n (x) ⇒ an
−−−−−−−−→ Eigenfunktion
allgemeiner Anwendung Messwert
Zustand von  Eigenwert Wenn eine solche Operatorengleichung auf-
des Systems
tritt, muss man sich stets hinter dem Operator
(8.29) eine Wellenfunktion vorstellen. Der Ausdruck
in (8.32) wird als Vertauschungsrelation oder
Kommutator bezeichnet:
Befindet sich das System in einem Eigenzu-
stand zum Operator Â, so bleibt dieser Eigen- ⎧
zustand nach einer Messung erhalten: ⎪


= 0 Messergebnis unab-



⎨ hängig von der Reihen-
[Â, B̂] = i Ĉ folge der Messung
ψ n (x) Messprozess ψ n (x) ⇒ an ⎪


Eigenzustand −−−−−−−−→ Eigenfunktion Messwert ⎪
⎪ = 0 Messergebnis von der
Anwendung ⎪

von  Eigenwert Reihenfolge abhängig
(8.30) (8.32)

Wird nach einer Messung (z. B. Impulsmes- Wenn die Messung zweier Messgrößen (Obser-
sung) eine weitere Messung (z. B. Ortsmes- vablen) von der Reihenfolge der Messung ab-
8.2 Quantentheorie 673

hängig ist, können beide Messgrößen gleich- zeitigen) Kenntnis der verschiedenen Größen.
zeitig nicht beliebig genau gemessen werden, Diese Relationen beschränken nicht die Ge-
da die erste Messung den Zustand des Systems nauigkeit beispielsweise einer Ortsmessung al-
unkontrolliert verändert (es befindet sich nach lein oder einer Geschwindigkeitsmessung al-
der Messung in einem beliebigen Eigenzu- lein, sondern lediglich die Kenntnis beispiels-
stand). Dies ist genau die Aussage der Heisen- weise der Geschwindigkeit bei einer Ortsmes-
berg’schen Unschärferelation (Abschn. 6.5.5.2). sung.
Durch den Formalismus der Quantentheorie
kann die Gültigkeit folgender Relation gezeigt
werden: 8.2.4 Quantenmechanik des Wasserstoffatoms

Mit den quantentheoretischen Grundlagen


allgemeine Heisen-
c2 von Abschn. 8.2.1 bis 8.2.3 kann das Was-
(Δa)2 · (Δb)2 berg’sche Unschärfe-
4 serstoffatom quantenmechanisch berechnet
relation
werden. Weil der mathematische Aufwand
mittleres Schwan-
erheblich ist, sei darauf verzichtet. Der grund-
(Δa)2 = (a − a)2 kungsquadrat
legende Weg und die Ergebnisse sind in
(analog b)
Abb. 8.11 dargestellt. Es ist zweckmäßig, das
(8.33) kugelsymmetrische Problem in Kugelkoordi-
naten zu rechnen.
Mit dem Ort und Impulsoperator ergibt sich Aufgrund der in Abschn. 8.2.3 durchgeführten
für den Kommutator und damit für die Un- Überlegungen gilt für den Drehimpulsopera-
schärferelation tor l̂, dass seine Komponenten l̂x , l̂y , l̂z nicht
gleichzeitig scharf messbar sind, dagegen l̂z
und l̂2 . Ferner gilt die gleichzeitige Messbar-
[p̂x , x̂] = −i ; [p̂x , ŷ] = 0 ; keit auch für den Hamilton-Operator Ĥ und
2 l̂z bzw. l̂2 . Dies ermöglicht eine Trennung der
(Δpx )2 · (Δx)2 ; analog y, z . Schrödinger-Gleichung in einen Radialanteil
4
(8.34) R(r), der nur von r abhängig ist, und einen
Drehimpulsanteil F(ϑ, ϕ), der nur von den
Winkeln ϑ und ϕ abhängt (Abb. 8.11).
oder weniger exakt Die Lösung der Drehimpulseigenwertglei-
chung sind die Kugelflächenfunktionen
2
F1, m (ϑ, ϕ). Die Eigenwerte zu l̂ und l̂z
Δpx Δx , analog y, z . (8.35)
2 sind diskret (gequantelt). Durch Einsetzen des
Eigenwerts 2 l(l + 1) von l̂2 in den Radialanteil
der Wellenfunktion ergibt sich für die effektive
Für den Drehimpulsoperator (Tabelle 8.1) er-
potentielle Energie Veff der Ausdruck
geben sich folgende Kommutatoren: [lˆ2 , l̂z ] =
0, [l̂z , l̂x ] = il̂y (x, y, z zyklisch vertauschbar).
2
Es ist l̂ mit jeweils nur einer Komponente l̂x , l̂y 1 Ze2 2 l(l + 1)
Veff = − + .
oder l̂z gleichzeitig messbar. 4πε0 r 2mred r2 (8.36)
Die Unschärferelationen beziehen sich auf den Coulomb-Energie Rotationsenergie
Genauigkeitsgrad der gegenwärtigen (gleich-
674 8 Atom- und Kernphysik
8.2
Quantentheorie 675

Abb. 8.11 Lösung des Wasserstoffproblems


676 8 Atom- und Kernphysik

Der zweite Term von (8.36) ist die Rotations- genzustand Fl, m (ϑ, ϕ) die Drehimpulskom-
energie eines auf der Kreisbahn mit Radius r ponenten in x- und y-Richtung.
umlaufenden Teilchens mit der reduzierten
Um diese beiden Aussagen zu erfüllen, muss
Masse mred :
angenommen werden, dass der Bahndrehim-
pulsvektor l um die z-Achse präzediert. Dies
1 (J ω)2 ist in Abb. 8.12b veranschaulicht.
Erot = J ω2 = Der Bahndrehimpulsvektor l verändert zeitlich
2 2J
l2 l2 seine Richtung, obwohl kein äußeres Drehmo-
= = (8.37) ment vorhanden ist. Die Präzession ist letz-
2J 2mred r2

mit J = mred r2 als dem Massenträgheitsmo-


ment und l = J ω als dem Bahndrehimpuls.
Durch Vergleich von (8.36) mit (8.37) ergibt
sich für den Bahndrehimpuls


l2 = 2 l(l + 1); |l| = l(l + 1) (8.38)

mit der Bahndrehimpulsquantenzahl l =


0, 1, 2, … Für die z-Komponente des Bahn-
drehimpulses ergeben sich aus der Eigenwert-
gleichung diskrete Werte lz = m (mit der
magnetischen Quantenzahl m = 0, 1, 2, …, l)
(Abb. 8.11). Die Projektion des Bahndrehim-
pulsvektors l auf die z-Richtung (lz ) kann
damit nur ein ganzzahliges Vielfaches von
sein. Dies wird durch das Vektordiagramm in
Abb. 8.12 veranschaulicht. Zu jedem l-Wert
gibt es 2l + 1 verschiedene m-Werte, d. h., die
dem Bahndrehimpulsvektor l entsprechende
Energie ist (2l + 1)-fach entartet. Aus dem
Vektordiagramm (Abb. 8.12a) wird deutlich,
dass sich der Bahndrehimpuls l quantenme-
chanisch nie parallel zur z-Richtung einstellen
kann. Dies hat folgende Konsequenzen:

– Der Bahndrehimpuls l hat stets eine Kom-


ponente in x- und y-Richtung.
– Die Berechnung der Erwartungswerte lx
und ly der Operatoren l̂x und l̂y ergibt jeweils
null. Im Mittel verschwinden für einen Ei- Abb. 8.12 Vektordiagramm des Bahndrehimpulses
8.2 Quantentheorie 677

ten Endes eine alleinige Folge der Unschärfe- – Die Entartung bezüglich der Nebenquan-
relation (nicht gleichzeitige Messbarkeit von tenzahl l wird aufgehoben (die Energie der
lx , ly , lz ). Zustände für unterschiedliche l-Werte bei
Als Lösung des Radialanteils der Wellenfunk- gleichem n-Wert wird verschieden), wenn
tion (Abb. 8.11) ergibt sich Rn, l (r), der nur das Potential kugelsymmetrisch ist, aber
von den beiden Quantenzahlen n (Hauptquan- nicht mehr proportional zu 1/ r ist. Dies ist
tenzahl) und l (Bahndrehimpulsquantenzahl, bei allen Mehrelektronensystemen der Fall.
Nebenquantenzahl) abhängig ist. Die gesam- Die Entartung bezüglich der Nebenquan-
ten Lösungen der Schrödinger-Gleichung des tenzahl l wird auch bei relativistischer Rech-
Wasserstoffproblems werden als Atomorbitale nung aufgehoben (Bohr-Sommerfeld’sche
bezeichnet. In Abb. 8.13 ist lediglich der Dre- Quantenzahl k = l + 1).
himpulsanteil dargestellt. – Die Entartung bezüglich m wird aufgeho-
Für das Wasserstoffatom sind die Energieei- ben, wenn dem Coulomb-Potential eine
genwerte En nur von der Hauptquantenzahl n nicht kugelsymmetrische Störung (z. B.
abhängig (Abb. 8.11). Zu jedem Energiezu- elektrisches oder magnetisches Feld) über-
stand En gibt es n2 Zustände gleicher Energie lagert wird (Abschn. 8.3).
(l = 0, 1, 2, …, n − 1; −l < m < l, zu jedem l
Zur Ermittlung des Absorptionsspektrums ei-
gehören 2 l + 1 Zustände). Die Energie En ist
nes Atoms wird dieses mit Licht unterschied-
somit n2 -fach entartet.
licher Frequenz bestrahlt. Stimmt die Pho-
tonenenergie ω mit einer Energiedifferenz
von Zuständen (En, l, m − En , l , m ) überein, so
wird dieses Photon absorbiert und ein Elek-
tron geht vom Zustand n, l, m in den Zustand
n , l , m über. Ein derartiger Übergang kann
nicht zwischen beliebigen Zuständen erfolgen.
Es gibt bestimmte Auswahlregeln, nach de-
nen eine Zustandsänderung von n, l, m nach
n , l , m möglich ist. Diese Auswahlregeln er-
geben sich durch die Symmetrie der Wellen-
funktionen der Zustände, zwischen denen der
Elektronenübergang stattfinden soll, und der
Wechselwirkung mit der Lichtwelle.
Eine wichtige Auswahlregel für optische Über-
gänge ist Δl = ±1.

8.2.5 Quanten-Hall-Effekt

8.2.5.1 Freies Elektron im Magnetfeld


(quantenmechanisch)
Im Folgenden sei der Einfluss eines Magnetfel-
des auf ein freies Elektron quantenmechanisch
Abb. 8.13 Drehimpulsanteil der Wellenfunktionen des beschrieben. Zur Vereinfachung des Problems
Wasserstoffatoms soll sich das Elektron nur in der x, y-Ebene
678 8 Atom- und Kernphysik

senkrecht zum magnetischen Feldvektor B be- Analog kann die magnetische Induktion B
wegen können. Abbildung 8.14 vermittelt eine aus dem Vektorpotential A durch Rotations-
Übersicht. bildung erhalten werden:

Die elektrische Feldstärke E ergibt sich durch ∂ ∂
Ableitung des elektrischen Potentials ϕ(x, y, z) B = rot A = A − A ,
∂y z ∂z y
nach den Ortskoordinaten x, y und z:
∂ ∂ ∂ ∂
A − A , A − A .
∂ ∂ ∂ ∂z x ∂x z ∂x y ∂y x
E = −grad ϕ = − ϕ, ϕ, ϕ
∂x ∂y ∂z Damit lautet die Hamilton-Funktion H eines
= −∇
∇ϕ . Elektrons mit der Ladung – e

Abb. 8.14 Klassische und quantenmechanische Beschreibung des freien Elektrons in einem Magnetfeld
8.2 Quantentheorie 679

sich aus einer ebenen Welle in y-Richtung


1
H = (p − (−e)A)2 + (−e) ϕ . (8.39) und den Wellenfunktionen des harmoni-
2m schen Oszillators (Abb. 8.9) um die Ruhe-
lage
Die Bewegungsgleichung des Elektrons er-
gibt sich mit den Hamilton’schen Gleichungen x0 =− ky = ky
m ωc e Bz
ẋ = ∂H /∂px und ṗx = −∂H /∂x (analog y; Ab-
schn. 8.2.1) zu zusammen. Im Gegensatz zur klassischen
Lösung sind nur diskrete Kreisbahnen er-
laubt.
m r̈ = (−e)E + (−e)( × B) . Wird senkrecht zu B zusätzlich ein elektrisches
elektrische Lorentz-Kraft (8.40)
Kraft
Feld E angelegt, so lautet die klassische Bewe-
gungsgleichung (8.40) mit E = (Ex , 0, 0), B =
(0, 0, Bz ) und r = (x, y, z)
Zur Aufstellung der Hamilton-Funktion muss
m ẍ = (−e)Ex + (−e)Bz ẏ ,
das entsprechende Vektorpotential eingesetzt
werden. Für das hier zu lösende Problem m ÿ = −(−e)Bz ẋ .
soll die magnetische Induktion B nur eine z-
Eine Lösung dieser gekoppelten Differential-
Komponente Bz aufweisen. Ein Vektorpoten-
gleichungen ist
tial A, das ein Magnetfeld B = rot A = (0, 0, Bz )
erzeugt, ist gegeben durch A = (0, Bz x, 0).
Mit diesem Vektorpotential ergibt sich die in x = x0 + a cos ωc t ,
Abb. 8.14 angegebene Hamilton-Funktion H Ex eBz
für die Elektronenbewegung in der x, y-Ebene y = y0 + a sin ωc t − t; ωc = .
Bz m
senkrecht zur Magnetfeldrichtung Bz . (8.41)
In Abb. 8.14 ist dieses Problem klassisch
und quantenmechanisch gelöst. Klas-
sisch ergibt sich als Bahnkurve des Elek- Sie drückt eine Kreisbewegung aus mit dem
trons eine Kreisbahn um den Mittelpunkt Radius a. Ihr Mittelpunkt bewegt sich senk-
(x0 = −1/ (mωc ) · ky , y0 ). Der Impuls des recht zu E und B mit der konstanten Geschwin-
Elektrons in y-Richtung py = ky ist eine digkeit ẏ = y = −(Ex / Bz ) in y-Richtung.
Konstante der Bewegung (ṗy = 0). Die Ge- Bei der quantenmechanischen Lösung muss
samtenergie H des Systems wird durch das zur Hamilton-Funktion H noch die potenti-
Magnetfeld nicht verändert, da die Lorentz- elle Energie eEx addiert werden. Infolge der
Kraft stets senkrecht zur Bewegungsrichtung schnellen Kreisbewegung der Elektronen im
des Elektrons wirkt. Die quantenmechanische Magnetfeld (großes B) addiert sich zu Eν le-
Lösung liefert die Energiewerte des harmo- diglich die potentielle Energie des Kreismit-
nischen Oszillators Eν = (ν + 1/ 2)ωc mit telpunktes x0 mit
dem konstanten Energieabstand ωc . (ωc ist
Ex
die Zyklotronfrequenz.) Die Energiewerte Eν eEx = eEx x0 = −eEx ky =− ky .
m ωc Bz
sind unabhängig von der Wellenzahl ky
(Elektronenspin nicht berücksichtigt). Die Damit ergibt sich für die Energie in einem zu-
Wellenfunktion ψ(x, y) des Elektrons setzt sätzlichen elektrischen Feld
680 8 Atom- und Kernphysik


1 Ex
Eν = ν+ ωc + − ky .
2 Bz
(8.42)

Die Geschwindigkeit y = ∂Eν /∂py =


∂Eν /∂( ky ) errechnet sich somit zu

y = −(Ex / Bz ) . (8.43)

Dies ist identisch mit dem klassischen Ergeb-


nis.

8.2.5.2 Quanten-Hall-Effekt Abb. 8.15 Zweidimensionales Elektronengas in einem


Klaus von Klitzing (geb. 1943) entdeckte MOS-FET

im Februar 1980 am Hochfeld-Magnetlabora-


torium des Max-Planck-Instituts für Festkör- beim Anlegen einer positiven Spannung UG
perforschung in Grenoble den Quanten-Hall- (Gate-Spannung) eine 5 nm bis 10 nm dicke
Effekt und wurde dafür 1985 mit dem Nobel- n-Inversionsschicht. Diese kann in sehr gu-
preis für Physik ausgezeichnet. Der klassische ter Näherung als 2DEG betrachtet werden.
Hall-Effekt ist in Abschn. 4.4.3.2 beschrieben. Die flächenbezogene Ladungsträgerkonzen-
Durch Anlegen einer Spannung U an den Lei- tration ns kann durch die Gate-Spannung
ter (dreidimensionales Elektronengas) fließt UG über mehrere Größenordnungen variiert
ein Strom I in x-Richtung, wie Abb. 4.104 werden:
zeigt. Durch das Magnetfeld in z-Richtung ent-
steht senkrecht zu B und I eine Spannung C0
ns = (UG − UE ) . (8.44)
UH = RH I (Hall-Spannung). RH wird (ana- e
log zum Ohm’schen Gesetz U = RI) als Hall-
Widerstand bezeichnet, für den sich klassisch Die Größe C0 ist die flächenbezogene Kapa-
RH = Bz / (nde) ergibt, d: Dicke des Leiters. zität der SiO2 -Schicht und UE ist die Einsatz-
Von Klitzing verwendete zur Untersuchung spannung zur Ausbildung des 2DEG. Durch
des Hall-Effekts nicht ein dreidimensiona- Anlegen einer Spannung U zwischen Quelle
les sondern ein zweidimensionales Elek- (Source) und Senke (Drain) fließt ein Strom I
tronengas (Bewegung der Elektronen im in der n-Inversionsschicht. Es gilt das Ohm’-
Leitungsband nur in x- und y-Richtung mög- sche Gesetz U = RI, solange I einen kritischen
lich). Ein zweidimensionales Elektronengas Wert nicht überschreitet.
(2DEG) kann in einem MOS-FET (Silicium- Für ein 2DEG ist der Widerstand in x-Richtung
Metalloxid-Oberflächen-Feldeffekttransistor, R = U / I = ρ(Lx / Ly ), mit ρ als Resistivität.
Abschn. 9.2.3.4) realisiert werden (Abb. 8.15). Die auftretende Hall-Spannung in y-Richtung
An der Oberfläche des p-Si-Materials un- wird analog zum klassischen Hall-Effekt
terhalb der SiO2 -Isolatorschicht bildet sich berechnet (Abschn. 4.4.3.2) und beträgt
8.2 Quantentheorie 681

UH = Bz / (ns e)I = RH I. Der Hall-Widerstand


RH = ρH = Bz / ns e ist im 2DEG unabhängig
von den Abmessungen Lx und Ly der Probe.
Die Hall-Spannung wird damit bei konstantem
Längsstrom I und Flussdichte Bz umgekehrt
proportional zur flächenbezogenen Träger-
dichte ns : UH ∼ 1/ ns .
Abbildung 8.16 zeigt Messkurven der Hall-
Spannung und der Längsspannung, wie sie
v. Klitzing bei tiefer Temperatur und hoher
Flussdichte erhielt.
Abbildung 8.17 zeigt ρH und ρ in Abhängig-
keit von der Magnetfeldstärke B. Im Verlauf
der Hall-Spannung UH treten im Gegensatz
zum erwarteten Verlauf (UH ∼ 1/ ns ) Plateaus
auf, an denen die Spannung U extrem gering
wird (praktisch null). Der spezifische Hall-
Widerstand ρH in den Plateaus nimmt einen
ganzzahligen Bruchteil von h/ e2 an: Abb. 8.17 Abhängigkeit der Widerstände ρH und ρ
von der Magnetfeldstärke
h 25 813
RH = ρH = ≈ Ω (i = 1, 2, …).
e2 i i
(8.45) Dieses quantenartige Verhalten des Hall-
Widerstands wird als Quanten-Hall-Effekt
(von-Klitzing-Effekt) bezeichnet.
Bereits die klassische Betrachtung zeigt, dass
ein ideales (reibungsfreies) zweidimensiona-
les Elektronengas in gekreuzten elektrischen
und magnetischen Feldern außergewöhnliche
Eigenschaften besitzt. In Abschn. 8.2.5.1 wurde
gezeigt, dass unter dem Einfluss eines elektri-
schen Feldes in x-Richtung und eines Magnet-
feldes in z-Richtung die Elektronen sich auf
Zykloidenbahnen in y-Richtung bewegen mit
der Geschwindigkeit y = −Ex / Bz . Das bedeu-
tet, dass ein Strom in y-Richtung fließt mit der
Stromdichte jy = −ens y = ens Ex / Bz . Für die
Stromdichte j und elektrische Feldstärke E be-
steht damit folgender Zusammenhang:
j = σ E, mit dem Leitfähigkeitstensor
Abb. 8.16 Abhängigkeit der Hall-Spannung UH
0 σxy ns e
und der Längs-Spannung U von der Gatespannung σ= und σxy = .
UG (B = 18 T, I = 1 μA, T = 1,5 K) σyx 0 Bz
682 8 Atom- und Kernphysik

Umgekehrt ist mit dem Widerstandstensor Der Entartungsgrad D = Nmax / Lx Ly ist somit

0 ρxy Bz
ρ= und ρxy = ,
ρyx 0 ns e eBz
D= . (8.48)
E = ρj . h

Ferner gilt
Wenn nun die Dichte ns der Elektronen erhöht
wird, dann wird zuerst das tiefste Landau-
Bz
RH = = ρxy = ρH . (8.46) Niveau mit D Elektronen gefüllt, dann das
ns e
nächsthöhere und so fort.
In realen Systemen entsteht der Widerstand
Das bedeutet, dass der spezifische Widerstand infolge von Streuung der Elektronen. Dabei
ρxx in Längsrichtung verschwindet, zugleich muss ein Elektron von seinem Ausgangszu-
mit der Leitfähigkeit σxx . In realen Systemen stand in einen freien Endzustand gestreut wer-
sorgt die Streuung der Elektronen am Gitter den. Sind nun alle Landau-Niveaus voll belegt,
und an Verunreinigungen dafür, dass ρxx und dann liegt der nächste freie Zustand um ωc
σxx nicht null werden. höher. Bei tiefen Temperaturen und hohen Ma-
Quantenmechanisch werden die Elektronen- gnetfeldern ist diese Energie so groß, dass sie
wellenfunktionen beschrieben durch eine nicht aufgebracht werden kann. Mit anderen
ebene Welle in y-Richtung und Wellen- Worten: der Streuprozess kann nicht stattfin-
funktionen des harmonischen Oszillators in den. Also führt eine komplette Besetzung der
x-Richtung um den Punkt x0 = (/ eBz )ky Landau-Niveaus zu einem Verschwinden des
(Abschn. 8.2.5.1). Energetisch tritt eine Quan- Widerstandes ρxx .
telung der Energieniveaus in die Landau- Für das Verschwinden des Widerstandes ist so-
Niveaus ein, deren Energie gegeben ist durch mit erforderlich, dass die Elektronendichte ein
ganzzahliges Vielfaches des Entartungsgrades
ist: ns = i D. Mit (8.46) ergibt sich damit für
Eν = (ν + 1) ωc , ν = 0, 1, 2, … (8.47) den Hall-Widerstand RH = Bz / ns e = Bz / iDe
und mit (8.48)
Jedes Landau-Niveau kann nur eine begrenzte
Zahl von Elektronen aufnehmen. Dieser h
sog. Entartungsgrad kann folgendermaßen
RH = ρH = , i = 1, 2, 3… (8.49)
i e2
bestimmt werden:
Werden für die Wellenfunktionen in y-
Richtung periodische Randbedingungen Eine weitere Betrachtungsweise ergibt sich,
vorausgesetzt, ψ(x, y + Ly ) = ψ(x, y) (Ab- wenn der magnetische Fluss Φ durch die Probe
schn. 9.2.2), dann sind mögliche ky -Werte berechnet wird: Φ = BA = BLx Ly . Der magne-
ganzzahlige Vielfache von 2π/ Ly . Die maxi- tische Fluss ist quantisiert in Vielfachen des
male Wellenzahl ky, max folgt aus der Forde- Flussquants (Abschn. 9.2.4)
rung, dass x0 maximal so groß sein kann
wie Lx . Damit wird ky, max = (eBz / )Lx und h
die maximale Zahl von Zuständen auf einem Φ0 = . (8.50)
e
Landau-Niveau Nmax = eB~z · 2xπy .
L L
8.2 Quantentheorie 683

Damit ist die Zahl der Flussquanten, wel- (geb. 1939) zusammen mit R. B. Laughlin
che die Probe durchdringen NΦ = Φ/Φ0 = (geb. 1950) für die theoretische Interpre-
Bz Lx Ly e/ h. Die Dichte der Flussquanten ist tation im Jahre 1998 mit dem Nobelpreis
nΦ = NΦ / Lx Ly = eBz / h. Das Verhältnis von ausgezeichnet.
Elektronendichte ns zu Flussquantendichte nΦ Nach der Theorie von Laughlin wird das Elek-
wird als Füllfaktor i bezeichnet und beträgt tronengas bei Temperaturen nahe dem abso-
luten Nullpunkt und hohen Magnetfeldern
ns ns h ns in eine neue Form von Quantenflüssigkeit
i= = = . (8.51) gezwungen. Für Elektronen ist wegen des
nΦ eBz D
Pauli-Prinzips (Abschn. 8.4.2) die Konden-
sation in einen gemeinsamen Grundzustand
Ganzzahlige Füllfaktoren i = 1, 2, 3… bedeu- verboten. Deshalb bilden die Elektronen mit
ten, dass die Landau-Niveaus ν = 0, 1, 2… den Flussquanten zusammengesetzte Teilchen
vollständig besetzt sind, was zu den Plateaus (Abb. 8.19). Diese so entstandenen Bosonen
im Hallwiderstand und zum Verschwinden des können in einen gemeinsamen Grundzustand
Längswiderstands führt. kondensieren, analog zum Mechanismus der
Nach der Entdeckung des Quanten-Hall- Supraleitung (Abschn. 9.2.4).
Effektes durch K. v. Klitzing 1980 wurden 1982 Der Quanten-Hall-Effekt (QHE) hat nicht nur
von H. Störmer und D. Tsui an hochreinen die Theorie der Festkörperphysik befruch-
AlGaAs/GaAs-Heterostrukturen zweidimen- tet (Abb. 8.20), sondern hat auch weit rei-
sionale Elektronengase untersucht. Bei tiefer chende Auswirkungen auf dem Gebiet der Me-
Temperatur (einige mK) und hohen Fluss- trologie. So ist die Genauigkeit der Wider-
dichten fanden sie Strukturen wie in Abb. 8.17, standsmessung durch den QHE um den Fak-
jedoch zusätzlich solche bei gebrochen ratio- tor 1 000 gesteigert worden. Seit 1990 wird
nalen Quantenzahlen i = 1/ 3, 2/ 5, 2/ 3… von der PTB das Widerstandsnormal auf der
(Abb. 8.18). Für die Entdeckung dieses Grundlage der international festgelegten von-
fraktionalen Quanten-Hall-Effekts wurden Klitzing-Konstante RK = 25 812,8074434 Ω mit
H. L. Störmer (geb. 1949) und D. C. Tsui einer relativen Unsicherheit von 3,2 · 10−10
weitergegeben.

Abb. 8.19 Zusammengesetzte Teilchen für den


Abb. 8.18 Hall-Effekt mit gebrochenen Quantenzahlen Füllfaktor i = 1/ 3, bei dem drei Flussquanten mit
an AlGaAs/GaAs einem Elektron verbunden sind
684 8 Atom- und Kernphysik

Abb. 8.20 Bedeutung des Quanten-Hall-Effekts

8.2.6 Tunneleffekt die Potentialbarriere durchtunneln. Voraus-


setzung ist, dass die den Potentialwall durch-
In Abschn. 8.2.2 ist gezeigt, dass Elektro- dringenden Elektronen ein freies (unbesetz-
nen eine Potentialschwelle V (Abb. 8.9) tes) Energieniveau im Metall 2 antreffen. Des-
„überwinden“ können, obwohl klassisch halb können nur Elektronen aus dem Bereich
ihre Energie (EElektron ) dafür nicht ausreicht EF(1) bis EF(1) − eU in den Bereich EF(2) bis
(EElektron < V0 ; Tunneleffekt). Der Tunneleffekt EF(2) + eU durchtunneln. Ohne äußere Be-
ermöglicht, Oberflächen in ihrer atomaren einflussung würden sich die beiden Fermi-
Struktur sichtbar zu machen. Energieniveaus ausgleichen, sodass kein Elek-
Werden zwei unterschiedliche Metalle nahe ge- tronenfluss durch die Potentialschwelle statt-
nug zusammengebracht (keine Berührung), so findet (Gleichgewichtszustand). Durch Anle-
ergibt sich das in Abb. 8.21 dargestellte Ener- gen einer Spannung zwischen den Metallen
giediagramm. Durch den Tunneleffekt können wird die Differenz der Fermi-Energieniveaus
Elektronen vom Metall 1 in das Metall 2 durch aufrechterhalten. Die Stromdichte jTunnel des
durch die Potentialschwelle fließenden Elek-
tronenstroms (Tunnelstrom) kann nach (8.52)
berechnet werden:


κ0 e2
jTunnel = U e−2{0 d (eU << Φ)
π2 d

2κ0 = 10,25 Φ(eV) nm−1 . (8.52)

Abb. 8.21 Energiediagramm zweier Metalle mir sehr Hierin ist d die Dicke der Potentialschwelle in
geringem Abstand d nm, U die angelegte Spannung in V und Φ die
8.2 Quantentheorie 685

Austrittsarbeit in eV. Es gilt

Φ = (Φ1 + Φ2 )/ 2 .

Josephson Effekt
Brian D. Josephson (geb. 1940) entdeckte
1962 den nach ihm benannten quantenmecha-
nischen Effekt, den Josephson-Effekt. Dieser
tritt auf, wenn zwei Supraleiter durch eine
dünne (wenige nm) Isolierschicht (SIS: Supra-
leiter – Isolator – Supraleiter) von einander
getrennt sind (SIS-Josephson-Element nach
Abb. 8.23 Stromstärke-Spannungs-Kennlinie einer
Abb. 8.22). In einem solchen Josephson-
SIS-1V-Schaltung ohne Mikrowelleneinstrahlung
Kontakt können Cooper-Paare (Abschn. 9.2.4)
über die Isolierschicht von einem Supra-
leiter zum anderen tunneln; es fließt also
ein Tunnelstrom. Legt man eine Spannung Spannungsstufen etwa 150 μV. Der Faktor 2e/ h
an eine Josephson-Tunnelstrecke und strahlt wird als Josephsonkonstante KJ bezeichnet.
gleichzeitig eine elektromagnetische Welle mit Die Unsicherheiten der Spannungen sind sehr
Mikrowellenfrequenz (z. B. 70 GHz) ein, dann gering (1:1010 , z. B. 1 nV bei 10 V). Die Joseph-
treten in der Strom-Spannungs-Kennlinie sonkonstante K J−90 wurde am 1.1.1990 weltweit
diskrete Spannungsstufen Un (Abb. 8.23 und verbindlich festgelegt und beträgt:
Abb. 8.24) auf vom Betrag:

h KJ−90 = 483 597,87 GHz/V . (8.54)


Un =n f (8.53)
2e

Dabei ist n = 1, 2, 3 ... die Ordnung der Stufe,


h das Planck’sche Wirkungsquantum, e die
Elementarladung und f die eingestrahlte Fre-
quenz. Bei einer typischen Mikrowellenfre-
quenz von 70 GHz beträgt der Abstand der

Abb. 8.24 Stromstärke-Spannungs-Kennlinie einer


Abb. 8.22 Prinzipieller Aufbau eines SIS-Josephson- SIS-1V-Schaltung mit Mikrowelleneinstrahlung
Elementes (70 GHz)
686 8 Atom- und Kernphysik

8.3 Bahn- und Spinmagnetismus


Ein elektrischer Kreisstrom I erzeugt ein ma-
gnetisches Dipolfeld (Abschn. 4.4.3). Für das
magnetische Dipolmoment μ gilt nach (4.208)

Abb. 8.25 10V-SIS-Josephson-Array

μ = IA (8.55)
Analog zur von-Klitzing-Konstanten (RK =
25 812,807 Ω) für den Widerstand (Ab-
schn. 8.2.5.2) wird die Josephsonkonstante mit A als dem Vektor senkrecht auf der vom
als Spannungsnormal festgelegt. Kreisstrom aufgespannten Fläche (A = |A|).
Werden viele tausende Josephson-Elemente In einem homogenen Magnetfeld mit der ma-
in Serie geschaltet ( Josephson-Array), dann gnetischen Induktion B erfährt der magneti-
sind üblicherweise Spannungsreferenzen von sche Dipol nach (4.209) ein Drehmoment M =
−10 V bis +10 V bei einer Toleranz von ±5 nV μ ×B. Das Drehmoment ist null, wenn μ paral-
möglich. Abbildung 8.25 zeigt ein 10 V- lel zu B ausgerichtet ist, d. h., wenn der Kreiss-
SIS-Josephson-Array. Die 14 000 Josephson- trom senkrecht zu B fließt. Eine Verdrehung
Kontakte sind in den Mikrowellenbahnen des Dipolmoments um den Winkel α gegen
angeordnet. Zur Messung wird das Array α
mit Bond-Drähten an einen Probenträger B erfordert die Arbeit W = μB sin ϕ dϕ =
0
angeschlossen. Abbildung 8.26 zeigt zwei μB(1 − cos α). Damit lässt sich eine (potenti-
Josephson-Apparaturen der PTB (Physikalisch elle) magnetische Energie definieren:
Technischen Bundesanstalt) in Braunschweig.
Eine Apparatur wird zur Reproduzierung der
Einheit „Volt“ und für Kalibrierungen benutzt. Emag = −μ B cos α = −μ B . (8.56)
Die zweite Apparatur kann für Forschungs-
zwecke eingesetzt werden. Die Apparaturen
haben eine Unsicherheit von besser als 1 nV Abbildung 8.27 zeigt die Analogie zwischen
bei 10 V. Bahn-, Spin- und Kernmagnetismus. Das um
den Kern mit der Geschwindigkeit und dem
Radius r kreisende Elektron kann als kreis-
förmiger elektrischer Strom I betrachtet wer-
den. Die Stromstärke I ergibt sich als Quotient
aus der Ladung des Elektrons und der Zeit für
einen Umlauf T:

e e
I =− =− ω. (8.57)
T 2π

Abb. 8.26 Apparatur zur Reproduzierung der Einheit Für das magnetische Dipolmoment ergibt sich
„Volt“. Werkfoto: PTB Braunschweig daraus
8.3 Bahn- und Spinmagnetismus 687

e e Es ist zweckmäßig, das magnetische Dipol-


μ = IA = − ω π r2 = − ω r2 .
2π 2 moment von Elektronen als Vielfaches (Ein-
(8.58) heiten) von μB anzugeben. – In Abschn. 8.2.4
ist gezeigt, dass der Bahndrehimpuls um
die z-Achse präzediert. Dies gilt auch für
Das Minuszeichen gilt für das negativ gela-
den Spin des Elektrons. Da mit dem Dre-
dene Elektron, e ist der Betrag der Elementar-
himpuls ein magnetisches Dipolmoment
ladung. – Durch Einsetzen des Betrages des
μl bzw. μs verbunden ist, präzediert auch
Bahndrehimpulses |l| = |r × p| = mr =
dieses um die z-Achse und ist wie l bzw. s
mωr2 ergibt sich für das magnetische Di-
gequantelt. Experimentell kann somit nur die
polmoment μl (8.59) in Abb. 8.27. Aufgrund
Komponente von μ in z-Richtung gemessen
spektroskopischer Daten und der Ergebnisse
werden.
der Quantentheorie muss dem Elektron un-
Befindet sich das magnetische Dipolmoment
abhängig von seiner Bahnbewegung ein ma-
in einem Magnetfeld mit der magnetischen
gnetisches Dipolmoment zugeschrieben wer-
Induktion Bz , so ist damit eine Vorzugs-
den. Analog zum magnetischen Dipolmoment
richtung festgelegt. Das magnetische Dipol-
der Bahnbewegung μl , das proportional dem
moment kann sich zu Bz nur in bestimm-
Bahndrehimpuls l ist, kann dieses magneti-
ten Werten einstellen, die durch μl, z bzw.
sche Dipolmoment des Elektrons μs proportio-
μs, z ((8.60) und (8.62) in Abb. 8.27) gegeben
nal zum Eigendrehimpuls (Spin) s angenom-
sind. Mit (8.56) ergibt sich damit für die Ener-
men werden ((8.60) in Abb. 8.27). Der Spin
gie des magnetischen Dipolmoments in einem
des Elektrons ergibt sich aus der Lösung der
Magnetfeld der magnetischen Induktion Bz
relativistischen Schrödinger-Gleichung (Dirac-
Gleichung).
/
Die Quantenmechanik des Bahndrehimpulses ml μB Bz
Emag = −μz Bz = .
ist in Abschn. 8.2.4 (Wasserstoffproblem) be- 2,0023 ms μB Bz
schrieben. Der Bahndrehimpuls l kann nur (8.65)
diskrete Werte annehmen (Abb. 8.11). Für den
Spin (Eigendrehimpuls) des Elektrons gelten
analoge Beziehungen wie für den Bahndreh- Es sind somit nur diskrete Energiezustände
impuls. Im Gegensatz zur Bahndrehimpuls- möglich. Das Verhältnis von magnetischem
quantenzahl l, die nur ganzzahlig auftritt, kann Dipolmoment μ und dem entsprechenden
die Spinquantenzahl s des Elektrons nur den Drehimpuls l bzw. s wird als gyromagne-
Wert 1/2 annehmen. Deshalb sind nur zwei tisches Verhältnis γ bezeichnet und kann
Spineinstellungen bezüglich der z-Richtung makroskopisch gemessen werden. Zwischen
möglich (Abb. 8.27). magnetischem Dipolmoment μl bzw. μs
Aus (8.60) ergibt sich für die erste Bohr’sche und dem Drehimpuls l bzw. s tritt ein Pro-
Bahn (|l| = ) ein magnetisches Moment μB portionalitätsfaktor (g-Faktor) auf. Dieser
(Bohr’sches Magneton): g-Faktor ist mit dem gyromagnetischen
Verhältnis verknüpft (Abb. 8.27). Er be-
e trägt für den Bahnmagnetismus gl = 1
μB = = 9,2740 · 10−24 A m2 . und für den Spinmagnetismus gs = 2,0023
2me
(8.63) (Ermittlung durch quantenmechanische Be-
rechnung).
688 8 Atom- und Kernphysik

Abb. 8.27 Bahn- und Spinmagnetismus des Elektrons; Kernmagnetismus durch Protonen und Neutronen
8.3 Bahn- und Spinmagnetismus 689
690 8 Atom- und Kernphysik

8.3.1 Zeeman- und Stark-Effekt derungen, die zu einer Aufspaltung der Spek-
trallinien führen. (Stark-Effekt; J. Stark, 1874
Aus Abb. 8.27 geht hervor, dass sich in ei- bis 1957).
nem äußeren Magnetfeld B0 in z-Richtung das
magnetische Dipolmoment des Spins μs bzw.
8.3.2 Elektronen- und Kernspinresonanz
das magnetische Dipolmoment der Bahn μl
nur diskret einstellen kann: μs, z = −gs ms μB
In Abb. 8.27 ist dem Bahn- und Spinmagne-
bzw. μl, z = −gl ml μB . (m ist die magneti-
tismus der Elektronen Kernmagnetismus ge-
sche Quantenzahl.) Für ein Mehrelektronen-
genübergestellt. Der Atomkern hat einen Ei-
system addieren sich die Drehimpulse l und
gendrehimpuls I, der gequantelt ist und des-
s zu einem Gesamtdrehimpuls J. Da die ma-
halb nur diskrete Werte annehmen kann. Die
gnetischen Dipolmomente mit den entspre-
Kernspinquantenzahl I hat je nach Atomkern
chenden Drehimpulsen gekoppelt sind, addie-
halb- oder ganzzahlige Werte zwischen 0 und
ren sich die magnetischen Dipolmomente zu
15/2. Das magnetische Moment des Kerns μI
einem Gesamtdipolmoment μJ . Die Kompo-
ist über den gI -Faktor mit dem Drehimpuls I
nente von μJ in z-Richtung (μJ, z ) kann die
verknüpft. Analog dem Bohr’schen Magneton
Werte mJ (mJ = J, J − 1, …, −J) annehmen.
(μB ) der Elektronenhülle führt man das Kern-
Die Energie des magnetischen Dipols in ei-
magneton μK = μB / 1 836 = e/ (2mp ) ein. Je
nem Magnetfeld B0 in z-Richtung ergibt sich
nach Kern ist der gI -Faktor größer oder klei-
nach (8.56) zu Emag = −μJ, z B0 . Für den Ener-
ner als null und somit das magnetische Mo-
gieunterschied ΔE zweier Zustände (ΔmJ = 1)
ment μI parallel oder antiparallel dem Eigen-
gilt
drehimpuls I. Abbildung 8.28 zeigt die Niveau-
aufspaltung für ein Elektron und ein Proton in
ΔEmJ ,mJ−1 = gJ μB B0 . (8.66) einem äußeren Magnetfeld B0 . Wird senkrecht
zum B0 -Feld ein Wechselfeld B⊥ mit der Reso-
Die Aufspaltung von Energiezuständen im Ma- nanzfrequenz f = gs μB B0 / h bzw. f = gl μK B0 / h
gnetfeld wird als Zeeman-Effekt bezeichnet eingestrahlt, so wird ein Übergang zwischen
(P. Zeeman, 1865 bis 1943). Die Auswahlregel den Niveaus erfolgen (Umklappen des magne-
für optische Übergänge lautet ΔmJ = 0, ±1. tischen Moments). Je nach Feldstärke B0 sind
Übergänge mit ΔmJ = 0 heißen π-Übergänge, hierfür bei der Elektronenspinresonanz Mi-
die mit ΔmJ = ±1 heißen σ -Übergänge. Die krowellen (GHz), bei der Protonenkernspin-
σ- und π-Strahlung ist unterschiedlich polari- resonanz Radiowellen (60 MHz bis 300 MHz)
siert. Wird das Atom in ein elektrisches Feld E erforderlich.
gebracht, so wird ein elektrisches Dipolmo- Abbildung 8.29 zeigt den prinzipiellen Aufbau
ment p induziert, das proportional zu E ist einer Spinresonanzanordnung. Zwischen den
(p = αE) (Abschn. 4.3.7). α wird als Polari- Polschuhen des Magneten (B0 muss homogen
sierbarkeit bezeichnet. Die Energie Eel eines und sehr konstant sein) befindet sich die Probe
elektrischen Dipols p im elektrischen Feld E (fest oder flüssig). Der Frequenzgenerator
beträgt Eel = 12 pE = 12 αE2 . Die Größe des indu- erzeugt die erforderliche Resonanzfrequenz.
zierten elektrischen Dipolmoments hängt von Zur Aufnahme eines Resonanzspektrums wird
der Elektronenverteilung (gegeben durch n, l, entweder die Frequenz oder das Magnetfeld
m) ab. Dadurch erfahren die Atomorbitale im variiert. Abbildung 8.30 zeigt das Protonen-
elektrischen Feld unterschiedliche Energieän- resonanzspektrum einer Probe mit Ethanol
8.3 Bahn- und Spinmagnetismus 691

Abb. 8.28 Energieaufspaltung von Elektronen und Protonen im Magnetfeld

CH3 −CH2 −OH, Methylenchlorid CH2 Cl2 und (Abschirmungseffekte u. a.). Ferner können
Chloroform CHCl3 . Es ist zu erkennen, dass benachbarte Protonen miteinander wechsel-
die Lage der Resonanzsignale von der che- wirken, sodass es zu einer typischen Signal-
mischen Umgebung des Protons abhängig ist aufspaltung kommt (Wechselwirkung von
CH3 -Protonen und CH2 -Protonen). Für die
Strukturaufklärung organischer Verbindun-
gen ist die Kernspinresonanz-Spektroskopie
ein wichtiges Hilfsmittel.
Die Protonenresonanz wird in abgewandelter
Form in der Medizin eingesetzt (Kernspinto-
mografie). Dabei befindet sich der Patient in
einem homogenen Magnetfeld, das durch ein
Gradientenfeld überlagert wird (Abb. 8.29, rote
Linien). Dieser Feldgradient ermöglicht eine
Zuordnung des Resonanzsignals zum Entste-
hungsort. Abbildung 8.31 zeigt das Schnittbild
Abb. 8.29 Aufbau eines Resonanzspektrometers eines Kopfes, aufgenommen mit einem Kern-
(schematisch). Werkbild: Siemens spintomografen.
692 8 Atom- und Kernphysik

Anordnung der Elemente erfolgt im Peri-


odensystem in 7 waagrechten Perioden und
18 senkrechten Gruppen. Die erste Periode
enthält nur zwei Elemente (Wasserstoff und
Helium). Die zweite und dritte Periode ent-
halten jeweils acht Elemente, die vierte und
fünfte 18 Elemente. Zur Aufrechterhaltung
der chemischen Verwandtschaft der Elemente
innerhalb einer Gruppe müssen den Perioden
sechs und sieben nach Lanthan und Acti-
nium jeweils 14 weitere Elemente eingeordnet
werden (Lanthanoiden, Actinoiden).
Die chemische Verwandschaft innerhalb ei-
ner Gruppe und das periodische Auftreten
bestimmter chemischer Eigenschaften zeigen
Abb. 8.30 Protonenresonanzspektrum von
sich beispielsweise durch das Säure-Base-
Chloroform (CHCl3 ), Methylenchlorid (CH2 Cl2 ) und
Ethanol (CH3 CH2 OH)
Verhalten. In dem diesem Buch beigefügten
Periodensystem (Faltblatt im Anhang) ist
basisches Verhalten mit blauer und saures
Verhalten mit roter Farbe gekennzeichnet.
Innerhalb einer Periode wechselt die Farbe
von dunkelblau über hellblau, hellrot nach
dunkelrot, während innerhalb einer Gruppe
nur graduelle Unterschiede auftreten. Das
periodische Verhalten zeigt sich besonders in
der ersten Ionisierungsenergie. Dies ist die zur
Loslösung des äußersten Elektrons (Valenz-
elektrons) vom Atom erforderliche Energie.
Für die Elemente der ersten Gruppe (Alkali-
Abb. 8.31 Kernspintomogramm eines menschlichen metalle Lithium, Natrium, Kalium, Rubidium,
Schädels. Werkfoto: Siemens Cäsium) ist diese Energie gering, verglichen
mit der 18. Gruppe der Edelgase (Helium,
Neon, Argon, Krypton, Xenon, Radon). In
8.4 Systematik des Atombaus dem vorliegenden Periodensystem sind zu
jedem Element noch weitere physikalische
8.4.1 Periodensystem der Elemente und chemische Daten angegeben.
Die Position des Elements im Periodensystem
Das Periodensystem der Elemente wurde wird durch die Ordnungszahl Z beschrieben.
gleichzeitig von J. L. Meyer (1830 bis 1895) Sie entspricht der Anzahl der Elektronen in
und D. Mendelejew (1834 bis 1907) aufge- der Elektronenhülle bzw. der Kernladungszahl
stellt. Sie ordneten die Elemente nach den (Anzahl der positiven Ladungen im Atom-
Atommassen und Elemente gleicher chemi- kern). Da die chemischen und physikalischen
scher Eigenschaften untereinander an. Die Eigenschaften der Elemente durch die Elektro-
8.4 Systematik des Atombaus 693

nen bestimmt werden (z. B. Ionisierungspo-


tential, Wertigkeit), muss sich die Periodizität
in der Elektronenanordnung der Elektronen-
hülle widerspiegeln.

8.4.2 Aufbau der Elektronenhülle

In Abschn. 8.2.4 ist die quantenmechanische


Lösung für das Wasserstoffatom beschrieben.
Für Mehrelektronensysteme kann die Lösung
der Schrödinger-Gleichung nur noch nähe-
rungsweise erfolgen. Die Lösung für das Was-
serstoffproblem ergibt für das Elektron drei
Quantenzahlen:

– Hauptquantenzahl n,
– Bahndrehimpulsquantenzahl
l = 0, 1, 2, …, n − 1,
– magnetische Quantenzahl
ml = 0, 1, 2, …, l.
Abb. 8.32 Energiediagramm der besetzten
Zu diesen Quantenzahlen muss die magneti- Atomorbitale
sche Quantenzahl des Elektronenspins hinzu-
gefügt werden: ms = ±1/ 2. des Bahndrehimpulses l aufgehoben. Es ergibt
Beim Mehrelektronensystem wird durch die sich das in Abb. 8.32 dargestellte Energiedia-
zusätzliche elektrostatische Wechselwirkung gramm. Dieses gilt nur, wenn die Zustände mit
zwischen den Elektronen die Entartung der Elektronen besetzt sind. Die Auffüllung der
Energiezustände (Abschn. 8.2.4) bezüglich Energiezustände mit Elektronen erfolgt nach

Tabelle 8.2 Elektronenkonfiguration

n l ml ms Bezeichnung Elektronen
Anzahl

1 0 0 ±1/ 2 1 s2 2 2
2 0 0 ±1/ 2 2 s2 2
1 1, 0, −1 ±1/ 2 2 p6 6 8
3 0 0 ±1/ 2 3 s2 2
1 1, 0, −1 ±1/ 2 3 p6 6 18
2 2, 1, 0, −1, −2 ±1/ 2 3 d10 10
4 0 0 ±1/ 2 4 s2 2
1 1, 0, −1 ±1/ 2 4 p6 6 32
2 2, 1, 0, −1, −2 ±1/ 2 4 d10 10
3 3, 2, 1, 0, −1, −2, −3 ±1/ 2 4 f14 14
694 8 Atom- und Kernphysik

dem Pauli-Prinzip, das besagt, dass in einem medizinischen Bereichen eingesetzt, z. B. im


Atom keine Elektronen in allen vier Quanten- Röntgentomograf und bei Materialuntersu-
zahlen (n, l, ml , ms ) übereinstimmen dürfen. chungen. Abbildung 8.33 zeigt den schemati-
Aus dem Energiediagramm Abb. 8.32 folgt, schen Aufbau einer Röntgenröhre. Elektronen
dass sich nach Abschluss von Zuständen mit werden aus einer beheizten Kathode emittiert
gleichem n, l (Teilschalen) besonders stabile und durch Anlegen einer Spannung U0 von
Elektronenanordnungen ergeben. Für abge- etwa 20 kV bis 250 kV auf die Anode (Anti-
schlossene Teilschalen addieren sich die Bahn- kathode) beschleunigt. Die in das Material

drehimpulse li zu L = i li = 0 bzw. die eindringenden Elektronen werden durch

Spins si zu S = i si = 0 und diese abgschlos- das elektrische Feld der positiv geladenen
senen Schalen haben damit auch kein magne- Atomkerne abgelenkt und abgebremst. Dieser
tisches Dipolmoment. Vorgang ist in Abb. 8.34 veranschaulicht. Die
Die Elektronenanordnung (Elektronenkonfi- Abbremsung des Elektrons ist eine negative
guration) im Atom wird durch die Symbolik Beschleunigung der Ladung, die nach der
Elektrodynamik zur Aussendung elektroma-
gnetischer Strahlung führt. Die so erzeugte
(Anzahl der Elektronen)
(Hauptquantenzahl)(Bahndrehimpuls)
Strahlung bezeichnet man als Röntgenbremss-
trahlung. Das Spektrum der Bremsstrahlung
ist ein kontinuierliches Spektrum, da es sich
vorgenommen. In Tabelle 8.2 ist die maximale
um freie Elektronen handelt, deren Ener-
Anzahl der Elektronen zur Hauptquantenzahl
gie nicht gequantelt ist (Abschn. 8.2). Die
n mit der Kurzschreibweise zusammengestellt.
kurzwellige Grenze des Bremsstrahlspektrums
Da die Entartung im Wasserstoffatom n2 ist,
ergibt sich aus der vollständigen Abbremsung
können 2n2 Elektronen mit der Hauptquan-
des Elektrons mit der Energie e U0 in einem
tenzahl n im Atom auftreten.
Vorgang (λ0 = h c/ (e U0 )).
Zur Vereinfachung kürzt man die Elektronen-
Die auf das Antikathodenmaterial auftreffen-
konfiguration des jeweils letzten Edelgases ab
den Elektronen können Elektronen aus den
(beispielsweise [Ar]) und gibt nur die äußers-
inneren Schalen entfernen, sodass eine Ionisa-
ten Elektronen an.
tion des Atoms stattfindet. In Tabelle 8.3 sind
die Ionisierungsenergien für das Elektron der
8.5 Röntgenstrahlung
In Abschn. 8.3 sind die Energiezustände der
äußeren Elektronen (Valenzelektronen) und
deren Aufspaltung beschrieben. Der folgende
Abschnitt hat die Energiezustände der inneren
Elektronen zum Inhalt.

8.5.1 Bremsstrahlung und charakteristische


Strahlung

Die Röntgenstrahlung (Strahlungsenergie im


Bereich keV) wird in vielen technischen und Abb. 8.33 Aufbau einer Röntgenröhre (schematisch)
8.5 Röntgenstrahlung 695

zeichnung des Endzustands des Elektrons an


(K, L, M, …), die zweite als Index (α, β, γ , …)
die Schalenherkunft des Elektrons. Das Auftre-
ten des charakteristischen Röntgenspektrums
ist abhängig von der Beschleunigungsspan-
nung U0 der Elektronen und dem Antikatho-
denmaterial. Bei geringen Elektronenenergien
eU0 reicht die Energie nur zur Ionisation bei-
spielsweise der L-Schale aus. Es können somit
nur die L-Linien (L-Serie) entstehen. Bei grö-
ßerer Elektronenenergie ist eine Ionisation der
K-Schale möglich. Es entstehen die K-Linien
(K-Serie). Das kontinuierliche Bremsstrahl-
spektrum wird vom diskreten Linienspektrum
des Antikathodenmaterials überlagert.

8.5.2 Absorption von Röntgenstrahlung,


Computertomographie

Die Schwächung von Röntgenstrahlung beim


Durchgang durch Materie der Dicke x erfolgt
Abb. 8.34 Entstehung des Röntgenspektrums einer durch Ionisation (Fotoeffekt) und Streupro-
Röntgenröhre zesse (Abschn. 8.10) und wird mathematisch
beschrieben durch
K- und L-Schale EK und EL für einige Elemente
angegeben. I = I0 e−μx . (8.67)
Elektronenübergänge aus den höheren Scha-
len füllen die entstandene Elektronenlücke
unter Aussendung charakteristischer Röntgen- Hierin ist I die Strahlungsintensität nach dem
strahlung (Linienspektrum, Abb. 8.34) auf. Materiedurchgang, I0 diejenige vor dem Ma-
Die Bezeichnung der Strahlung erfolgt durch teriedurchgang und μ der Schwächungskoef-
zwei Größen. Die erste gibt die Schalenbe- fizient. Dieser setzt sich aus dem Streuanteil
μstreu und Absorptionsanteil μabs zusammen.
Für μabs gilt
Tabelle 8.3 Ionisierungsenergien innerer Elektronen

Element Ordnungs- EK in keV ELIII in keV Zk


zahl
μabs ∼ ; 3<k<4. (8.68)
E3

Aluminium 13 1,560 0,073


Kupfer 29 8,979 0,931 Der Absorptionskoeffizient nimmt mit zuneh-
Silber 47 25,514 3,351 mender Energie E der Strahlung ab. Bei be-
Wolfram 74 69,525 10,207
stimmten Energien treten große Sprünge im
Gold 79 80,725 11,919
Absorptionskoeffizienten auf, wie Abb. 8.35
696 8 Atom- und Kernphysik

Eine entscheidende Verbesserung der Abbil-


dung gelingt durch die Röntgencomputerto-
mografie. Hiermit ist es möglich, entlang der
Durchstrahlrichtung Strukturen (Bereiche
unterschiedlicher Absorptionskoeffizienten)
aufzulösen. Man erhält somit Schnittbilder des
Körpers. Das Prinzip der Computertomogra-
fie zeigt Abb. 8.37 am Beispiel einer aus neun
gleich großen Bereichen bestehenden Probe.

Abb. 8.35 Absorption in Abhängigkeit von der


Energie der Röntgenstrahlung

zeigt. Die Energie dieser Absorptionskanten


entspricht der Ionisationsenergie des zugehö-
rigen Elektrons.
Eine wichtige Anwendung der Absorption von
Röntgenstrahlung ist die Röntgendiagnostik in
der Medizin. Der Körper wird mit Röntgen-
strahlung bestrahlt und der nicht absorbierte
Strahlungsanteil ermittelt (Röntgenfilm). Be-
reiche großer Schwärzung stellen Körperteile
mit geringem Absorptionskoeffizienten (z. B.
Gewebe), Bereiche geringer Schwärzung Kör-
perteile mit großem Absorptionskoeffizien-
ten (z. B. Knochen) dar. Da die verschiedenen
Absorptionskoeffizienten der entsprechenden
Bereiche gemäß Abb. 8.36 entlang der Durch-
strahlrichtung aufsummiert werden, handelt
es sich um ein integrales Abbildungsverfahren. Abb. 8.37 Prinzip der Computertomografie

Abb. 8.36 Schwächung der Röntgenstrahlung


beim Durchgang durch Materie unterschiedlicher Abb. 8.38 Kombination der vorläufigen Bilder zum
Zusammensetzung Objektbild
8.5 Röntgenstrahlung 697

Abb. 8.39 Schnittbilder eines Kopfes, aufgenommen mit einem Röntgencomputertomografen.


(Ostalbklinikum Aalen)

Das mittlere Feld soll sich durch einen verhält- zugeordnet, so entsteht eine Abbildung des
nismäßig großen Absorptionskoeffizienten inneren Aufbaus der Probe, also z. B. eines
(μ22 ) von der Umgebung unterscheiden. In Körperteils. Will man Einzelheiten in der Grö-
drei Messserien wird die Probe durchstrahlt ßenordnung Millimeter auflösen, so muss das
und die Intensität I ermittelt. Aus den so 3 × 3-Raster auf 200 × 200 erweitert werden.
erhaltenen neun Gleichungen können μ11 bis Dies erfordert die Lösung eines Gleichungs-
μ33 berechnet werden. Wird dem Absorpti- systems mit 200 × 200 = 40 000 Unbekannten.
onskoeffizienten ein Grauwert oder eine Farbe Hierfür ist eine sehr lange Rechenzeit erforder-
698 8 Atom- und Kernphysik

dung, die die Wechselwirkung vieler Atome


beinhaltet, gibt es noch die kovalente Bindung
zwischen zwei Atomen zu einem Molekül, z. B.
N2 , HCl, CO (Abschn. 9.1).

8.6.1 Potentialkurve

Wird der Abstand r zwischen zwei Atomen


A und B (z. B. Wasserstoff und Chlor) im-
mer mehr verringert, dann tritt eine Kraft-
wirkung FAB (r) zwischen ihnen auf. Diese
kann abstoßend oder anziehend wirken und
somit zu einer Energieerhöhung bzw. Ener-
Abb. 8.40 Aufbau eines Computertomografen gieabsenkung von AB führen. (Das Potential
r
(schematisch) V(r) = ∞ F(r ) dr nimmt mit r zu oder ab.)
Die Ursache der Potentialänderung besteht in
der Wechselwirkung der nicht vollständig be-
lich. Um aus den Messergebnissen trotzdem
setzten Atomorbitale von A und B miteinander
ein Bild des Körperinneren zu gewinnen, wird
(Coulomb-Wechselwirkung). Dabei bilden sich
entlang der Durchstrahlrichtung ein konstan-
Molekülorbitale aus. Sie entsprechen analog
ter mittlerer integraler Absorptionskoeffizient
zu den Atomorbitalen den Aufenthaltswahr-
angenommen. Dies führt zu den in Abb. 8.38
scheinlichkeiten von Elektronen. Erstrecken
dargestellten vorläufigen Bildern, deren Über-
sie sich über beide Atomkerne A und B, so
lagerung (Aufsummierung) ein ungefähres
führt dies zu einer Anziehung (bindendes Mo-
Bild des Probeninnern ergibt. Bei dieser Bild-
lekülorbital). Ist das Molekülorbital lediglich
rekonstruktion findet eine Verschmierung
auf ein Atom A bzw. B beschränkt, so fin-
des mittleren Teils statt. Dies kann durch eine
det keine Bindung statt (nichtbindendes Mo-
Kontrastverstärkung (hervorgerufen durch die
lekülorbital). Für das einfachste Molekül H+2
mathematische Operation der Faltung an der
ist dies in Abb. 8.41 mit den entsprechenden
Messkurve) verbessert werden. In Abb. 8.39
Potentialkurven veranschaulicht.
sind Aufnahmen eines Kopfes bei unter-
Findet eine chemische Bindung zwischen A
schiedlichen Schnittstellen dargestellt. Abbil-
und B statt, so zeigt die Potentialkurve beim
dung 8.40 zeigt schematisch den Aufbau eines
Gleichgewichtsabstand re ein Minimum. Eine
Computertomografen. Hierbei wird lediglich
weitere Annäherung der Atomkerne führt
die Röntgenröhre bewegt, während die Detek-
zu einer schnell anwachsenden abstoßenden
toren in einem Kreis fest angeordnet sind. Die
Coulomb-Kraft. In Abb. 8.41 ist rot das har-
Bestrahlungszeit beträgt nur einige Sekunden.
monische Potential (V(r) ∼ (r − re )2 ) und die
dazu gehörige, von r linear abhängige Kraft
8.6 Molekülspektren eingezeichnet. Das harmonische Potential ist
für die Umgebung des Gleichgewichtsabstan-
Atome kommen in den seltensten Fällen iso- des re eine gute Näherung.
liert vor. Sie gehen chemische Bindungen ein. Das klassische Modell eines zweiatomigen
Außer der ionischen und metallischen Bin- Moleküls kann durch zwei Massen mA und mB
8.6 Molekülspektren 699

Abb. 8.42 Schwingungen eines dreiatomigen Moleküls


Abb. 8.41 Potentialkurve eines bindenden und
nichtbindenden Molekülorbitals Abbildung 8.42 zeigt die Schwingungsmög-
lichkeiten eines dreiatomigen Moleküls. – In
einem Molekül können wie beim Atom Elek-
beschrieben werden, die im Abstand re durch
tronen in ein energetisch höheres Orbital an-
eine Feder verbunden sind. Eine Auslenkung
geregt werden. Dies führt zu einer Erhöhung
aus der Gleichgewichtslage re führt zu ei-
der Potentialkurve um die Anregungsenergie
ner rücktreibenden Kraft, sodass die beiden
EAnreg . Infolge der veränderten Elektronenver-
Kerne gegeneinander schwingen können. Die
teilung und der damit verbundenen Ände-
zur Auslenkung erforderliche Energie wirkt
rung der Coulomb-Wechselwirkungsenergie
als Potential V(r) für die Schwingung des
kann eine elektronische Anregung des Mo-
Moleküls um die Gleichgewichtslage re . Ein
n-atomiges Molekül hat folgende voneinan-
der unabhängige Bewegungsmöglichkeiten
(f : Anzahl der Freiheitsgrade):

– Schwingung der Kerne gegeneinander


(Schwerpunkt des Moleküls bewegt sich
nicht)
/
3n − 5 lineares Molekül
fSchw =
3n − 6 nichtlineares Molekül
– Rotation um den Schwerpunkt
/
2 lineares Molekül
frot =
3 nichtlineares Molekül
– Translation des Schwerpunktes
Abb. 8.43 Verschiebung der Potentialkurve bei
ftrans =3. Molekülanregung
700 8 Atom- und Kernphysik

leküls zu einer Verschiebung des Gleichge-


p̂2
wichtsabstands re im angeregten Zustand füh- + Vel (r − re ) ψSchw (r − re ) =
2m
ren, wie Abb. 8.43 verdeutlicht. Eine Anregung
in einen nichtbindenden Zustand führt zur ESchw ψSchw (r − re ) . (8.69)
Dissoziation des Moleküls.
Als Potentialverlauf Vel (r) muss die in
8.6.2 Rotations-Schwingungs-Spektrum Abb. 8.41 für den bindenden Zustand angege-
bene Funktion eingesetzt werden. Für nicht
Die Schwingungs- und Rotationszustände sind zu große Auslenkungen aus der Ruhelage
gequantelt, d. h., das Molekül kann nicht mit kann dieses Potential durch das harmonische
jeder Frequenz schwingen bzw. jeder Kreisfre- Potential V(r − re ) = 12 D(r − re )2 ersetzt wer-
quenz rotieren. den. Die Lösung der Schrödinger-Gleichung
Zur Berechnung der Energiewerte ESchw (Ei- für dieses Potential ist in Abb. 8.9 angegeben
genwerte) und der zugehörigen Wellenfunk- (Abschn. 8.2.2).
tionen der Schwingungszustände ψSchw (r − re ) In Abb. 8.44 sind die Energieniveaus ESchw =
muss die Schrödinger-Gleichung gelöst wer- ω( 12 + ) mit den Energien und den Auf-
den: enthaltswahrscheinlichkeiten |ψSchw (r − re )|2

Abb. 8.44 Harmonischer Oszillator mit den Wellenfunktionen ψ(r) und den Aufenthaltswahrscheinlichkeiten
|ψ(r)|2 im Vergleich zum anharmonischen Oszillator
8.6 Molekülspektren 701

eingezeichnet. ( ist die Schwingungsquan-


2
tenzahl.) Die Wahrscheinlichkeit, die Atom- Erot (l) = (l + 1) l (8.71)
kerne in einem Abstand zwischen (r − re ) und 2J
(r − re + dr) anzutreffen (|ψSchw (r − re )|2 dr),
ist für die angeregten Zustände am Parabel-
mit l als Rotationsquantenzahl.
rand am größten. Lediglich im Grundzustand
Der Abstand zwischen zwei benachbarten
( = 0) mit der Nullpunktsenergie 12 ( ω) liegt
Energieniveaus beträgt
das Maximum der Aufenthaltswahrscheinlich-
keit in der Mitte der Parabel. Durch Absorp-
tion oder Emission eines Photons der Energie 2
Erot (l + 1) − Erot (l) = (l + 1) (8.72)
ω findet ein Übergang zwischen benach- J
barten Energiezuständen statt (Grundschwin-
gung). Ändert sich die Schwingungsquanten-
und nimmt mit l stark zu. Das Quadrat der
zahl um ±2, ±3, … , so treten im Spektrum
Eigenfunktionen des Drehimpulses einer ro-
Oberschwingungen bei 2 ω, 3 ω, … auf.
tierenden Hantel |Fl, m (ϑ, ϕ)|2 ist in Abb. 8.45
Für große Schwingungsamplituden gilt die Nä-
als Polardiagramm für einige Quantenzahlen l
herung durch das harmonische Potential nicht
dargestellt (Abschn. 8.2.4). Der Radiusvektor r
mehr. Die Energiezustände rücken bis zur
Dissoziation des Moleküls immer dichter zu-
sammen (Abb. 8.44). Gleichzeitig verschiebt
sich der Gleichgewichtsabstand re zu größe-
ren Werten (Unsymmetrie des Potentials).
Zur Berechnung der Energiewerte Erot (Eigen-
werte) und der zugehörigen Wellenfunktio-
nen der Rotationszustände ψrot (ϑ, ϕ) benötigt
man die Schrödinger-Gleichung

l̂2
ψrot (ϑ, ϕ) = Erot ψrot (ϑ, ϕ) . (8.70)
2J

Dabei ist der Abstand re zwischen den Atomen


A und B konstant (V(r) = konst = 0, star-
rer Rotator). Die Rotationsenergie ist durch
Erot = 12 J ω2 = l2 / (2J) gegeben (J = mred re2 ,
reduzierte Masse mred , Drehimpuls l = J ω).
Die Lösung dieser Schrödinger-Gleichung ist
in Abb. 8.11 angegeben. Sie besteht aus den
Drehimpuls-Eigenfunktionen ψrot = Fl, m (ϑ, ϕ)
mit den Eigenwerten des Drehimpulsquadrats.
Für die Eigenwerte des starren Rotators ergibt Abb. 8.45 Polardiagramm zur Verdeutlichung der
sich damit Lage der Molekülachse bei der Rotation
702 8 Atom- und Kernphysik

in ϑ-Richtung gibt die Wahrscheinlichkeit an, Die Stärke der Absorption hängt von der An-
dass die Molekülachse in dieser Richtung liegt. zahl der Moleküle ab, die sich im Energie-
Mit zunehmender Rotationsenergie werden zustand (, l) befinden. Ist dieser Energiezu-
die Fliehkräfte größer und führen zu einer stand von vielen Molekülen besetzt, so kann
Vergrößerung des Abstands und damit des mehr Strahlung absorbiert werden, als wenn
Trägheitsmoments J (unstarrer Rotator). Dies sich nur wenige Moleküle in diesem Zustand
führt zu einer Absenkung der Rotationsener- befinden. Die Besetzung der Zustände wird
gie (8.71). durch die Temperatur T bestimmt und durch
Wird ein Molekül, beispielsweise HCl, die Boltzmann-Verteilung beschrieben (Ab-
mit Infrarotstrahlung bestrahlt, so finden schn. 3.2.3).
Schwingungs- und Rotationsübergänge Die Rotationsstruktur im Absorptionsspek-
gleichzeitig statt (Rotationsschwingungs- trum tritt nur bei Gasen unter geringem Druck
spektrum). Abbildung 8.46 zeigt die beiden auf. Bei Druckerhöhung finden zunehmend
Schwingungsniveaus = 0 und = 1 mit den mehr Stöße zwischen den Molekülen statt,
zu jedem Schwingungszustand gehörenden die eine Linienverbreiterung zur Folge ha-
Rotationszuständen l bzw. l . Mit den Aus- ben (Druckverbreiterung). Bei Flüssigkeiten ist
wahlregeln Δ = 0, ±1, ±2, … und Δl = ±1 die Rotation sehr stark behindert. Infolgedes-
ergeben sich zwei Zweige im Absorptions- sen beobachtet man keine einzelnen Rotati-
spektrum, ein R-Zweig mit Δl = +1 und ein onslinien mehr, sondern eine verhältnismäßig
P-Zweig mit Δl = −1. Der Übergang mit breite unstrukturierte Absorptionsbande. Im
Δl = 0 ist in einem zweiatomigen Molekül festen Zustand ist die Rotationsbewegung na-
nicht erlaubt und erscheint als Lücke im Spek- hezu völlig unterdrückt, sodass die Absorpti-
trum. Bei mehratomigen Molekülen gelten die onsbanden schmaler werden.
Auswahlregeln nicht in voller Strenge, und der Abbildung 8.47 zeigt das Infrarot-Absorptions-
Übergang mit Δl = 0 tritt auf. spektrum einer Kunststofffolie aus Polystyrol.
Ein solches Infrarotspektrum zeigt deutliche
Absorptionen bei bestimmten Wellenzahlen

Abb. 8.46 Infrarot-Gasspektrum von Chlorwasserstoff


(HCl) mit den entsprechenden Übergängen
im Energieniveauschema (Nicolet 5DX FT-IR- Abb. 8.47 Infrarotspektrum einer Polystyrolfolie
Spektrometer) (Nicolet 5DX FT-IR-Spektrometer)
8.7 Aufbau der Atomkerne 703

(Energien), denen bestimmte Schwingungen


im Molekül zugeordnet werden können. So
weisen beispielsweise die Absorptionslinien
zwischen 3 000 und 3 100 cm−1 auf einen Aro-
maten (Benzolring) hin. Anhand eines sol-
chen Spektrums können Kunststoffe identifi-
ziert oder Motorenöle auf Verunreinigungen
untersucht werden.

8.6.3 Raman-Effekt

In einem Molekül können nur solche Schwin-


gungen elektromagnetische Strahlung absor-
bieren, bei denen sich während der Schwin-
gung das Dipolmoment ändert. In einem un-
polaren Molekül, beispielsweise im N2 - oder
O2 -Molekül, ändert sich bei der Schwingung
der Atome kein Dipolmoment und es findet Abb. 8.48 Quantenmechanische Darstellung des
somit auch keine Strahlungsabsorption statt Raman-Effekts
(IR-inaktiv). Die in Abschn. 8.6.2 genannten
Auswahlregeln (Δν = 0, ±1, …, Δl = ±1) gel-
ten nur für Dipolstrahlung. regten Zustand über (ω > ωL , Antistokes-
Durch Messung des gestreuten Lichts (Raman- Übergang).
Effekt; C. V. Raman, 1888 bis 1970) kön-
Damit ist der Streustrahlung mit der Grundfre-
nen auch die nicht IR-aktiven Schwingun-
quenz ωL das Schwingungs- und Rotations-
gen bestimmt werden. Die feste oder flüssige
spektrum überlagert. Durch die Anregung
Probe wird mit intensivem monochromati-
über den virtuellen Zustand gelten nicht die
schen Licht (z. B. He-Ne-Laser, Kr-Laser) be-
Auswahlregeln für Dipolstrahlung.
strahlt. Die eingestrahlte Energie ωL (ωL ist
die Laserkreisfrequenz) darf von der Substanz
nicht absorbiert werden. Man misst die von 8.7 Aufbau der Atomkerne
der Probe gestreute Strahlung. Infolge der in-
tensiven Bestrahlung wird ein Elektron auf ein 8.7.1 Größe und Ladungsverteilung
virtuelles Niveau (kein Eigenzustand des Mole-
küls) angeregt und geht sofort wieder in einen Die ersten Erkenntnisse über einen Atomkern
Energiezustand des Moleküls über. Dabei sind ergaben Untersuchungen über die Streuung
die in Abb. 8.48 dargestellten Fälle möglich: von α-Teilchen (Heliumkerne) an dünnen
Metallfolien durch E. Rutherford (1871
– Rayleigh-Streuung: Das Molekül geht in sei- bis 1937) im Jahr 1911. In Abb. 8.49 ist die
nen Ausgangszustand zurück (ω = ωL ); Rutherford-Streuung anderen elastischen
– Raman-Streuung: Das Molekül geht in einen Streuprozessen gegenübergestellt. Die quan-
angeregten Zustand über (ω < ωL , Stokes- titative Beschreibung von Streuprozessen
Übergang); das Molekül geht in einen abge- erfolgt durch den differentiellen Wirkungs-
704 8 Atom- und Kernphysik

Abb. 8.49 Streuung von α-Teilchen, Elektronen, Röntgen-Quanten und Neutrinos


8.7 Aufbau der Atomkerne 705

querschnitt dσ/ dΩ. Dieser gibt an, mit welcher


Wahrscheinlichkeit ein auf das Streuobjekt
auftreffendes Teilchen (Quant) unter dem
Winkel Θ in den Raumwinkel ΔΩ gestreut
wird. Die theoretische Beschreibung der
Ergebnisse der Rutherford-Streuung an un-
terschiedlichen Streumaterialien kann mit
folgenden Voraussetzungen durchgeführt
werden:
– Das Atom besteht aus einem Kern, der fast
die gesamte Masse des Atoms vereinigt.
Die Wechselwirkung der α-Teilchen mit den
Elektronen führt zu keiner merklichen Win-
kelablenkung. Abb. 8.50 Potentialverlauf
– Der Kern hat eine positive Ladung der Größe
Z e. (Z ist die Ordnungszahl.)
– Der positiv geladene Atomkern erzeugt Kernpotential. Als Kernradius R kann man den
ein elektrisches Feld (Coulombfeld ei- Abstand definieren, bei dem sich beide Kräfte
ner Punktladung mit der Feldstärke etwa das Gleichgewicht halten. Als Ergebnis
E = (1/ 4π ε0 )(Z e/ r3 )r. einer Großzahl von Messungen ergibt sich für
– In der Streufolie soll keine Mehrfachstreu- den so definierten Kernradius
ung der α-Teilchen auftreten.
Der Abstand b (Stoßparameter), mit dem das R = R0 A1/ 3 .
α-Teilchen am punktförmigen Streuzentrum (R0 = 1,2 · 10−15 m) (8.74)
(Kern) vorbeifliegt, ist durch

mit der Massenzahl A = N + Z. Für die Dichte


ZZ e2 1
b= cot Θ (8.73) der Kernmaterie gilt (Kern als Kugel angenom-
2E 2
men)

gegeben mit E als der Energie und Z als der Amu


Ladung des Teilchens. ρKern = 4π 1/ 3 3
3 (R 0A )
Bei einem konstanten Streuwinkel Θ muss 14 g
≈ 2 · 10 = konstant . (8.75)
ein α-Teilchen mit höherer Energie näher am cm3
Streuzentrum vorbeifliegen als ein α-Teilchen
mit geringerer Energie. Das Auftreten von Ab- Mit Teilchenstrahlen, deren Wellenlänge
weichungen (anomale Rutherford-Streuung), größer als das zu untersuchende Objekt ist,
beispielsweise bei Aluminium unterhalb b ≈ können keine Informationen über die innere
6 · 10−15 m (6 fm), weist auf eine kurzreich- Struktur des Kerns, beispielsweise über die
weitige anziehende Kraft hin (Kernkraft). So- Ladungsverteilung, erhalten werden. Hier-
mit hat ein positiv geladenes Teilchen den in für müssen Teilchen- oder Quantenstrahlen
Abb. 8.50 dargestellten Potentialverlauf, beste- mit einer Wellenlänge, die kleiner als der
hend aus dem Coulomb-Potential und dem Atomkernradius ist, verwendet werden.
706 8 Atom- und Kernphysik

Zur Untersuchung der Ladungsverteilung im


Kern werden hochenergetische Elektronen
(E ≈ 300 MeV) auf die Streufolie (Target)
geschossen und wie bei der Rutherford-
Streuung (Abb. 8.49) wird der Anteil elastisch
gestreuter Elektronen in Abhängigkeit vom
Winkel vermessen. Der experimentelle Auf-
wand ist um ein Vielfaches größer als bei der
Rutherford-Streuung. Ein Spektrometer ist
erforderlich, um elastisch gestreute Elektro-
nen von inelastisch gestreuten zu trennen.
Berechnet man den differentiellen Wirkungs-
querschnitt für die Coulomb-Streuung von
hochenergetischen und damit hochrelativis-
tischen Elektronen (E >> moe c2 ) an einer
punktförmigen Ladung Z e, so unterscheidet
sich der Wert von der Rutherford-Streuung
durch den Faktor 4 cos2 (Θ/ 2). Dieser Faktor
rührt vom inneren Drehimpuls (Eigendrehim-
puls, Spin) des Elektrons her, der mit einem
magnetischen Moment verbunden ist (Ab-
schn. 8.3). Aus der Sicht des Elektrons bedeutet
Abb. 8.51 Ladungsverteilung im Atomkern
das vorbeifliegende geladene Streuzentrum
einen Strom mit einem Magnetfeld, mit dem
das magnetische Moment des Elektrons in senzahl. Die auftretenden Oszillationen in
Wechselwirkung tritt. der Ladungsverteilung sind darauf zurückzu-
Das experimentelle Ergebnis (Abb. 8.49) zeigt führen, dass der Kern aus einzelnen Teilchen
eine Art Interferenzstruktur. Es ist prinzipiell aufgebaut ist, und das streuende Elektron
vergleichbar mit der elastischen Streuung von den Impulsunterschied Δp = pa − p0 nur
Röntgen-Quanten an einem Kristall, bei der an ein Proton überträgt, von dem es auf
ebenfalls Interferenzen auftreten. Sie sind be- den gesamten Kern übertragen wird. Eine
dingt durch die Struktur der Elektronenvertei- geringe Erhöhung der Ladungsverteilung vor
lung im Festkörper. Das Streuzentrum ist für dem Abfall der Ladungsdichte wird durch
die hochenergetischen Elektronen nicht mehr die Coulomb-Abstoßung der Protonen verur-
punktförmig, sondern stellt eine Ladungsver- sacht, die dadurch stärker an den Rand des
teilung ρ(r) dar, wobei an unterschiedlichen Kerns gedrückt werden.
Stellen der Ladungsverteilung gestreute Wel-
len interferieren. 8.7.2 Kernmodelle
In erster Näherung kann die Ladungsver-
teilung durch eine Fermi-Verteilung gemäß Nach der Entdeckung des Neutrons 1932
Abb. 8.51 beschrieben werden. Die modell- durch J. Chadwick (1891 bis 1974) ergab sich
unabhängig ermittelten Ladungsverteilungen folgendes Kernmodell: Der Atomkern, der
zeigen keine Gesetzmäßigkeiten mit der Mas- den Hauptanteil der Masse vereinigt, besteht
8.7 Aufbau der Atomkerne 707

aus Protonen und Neutronen (Nukleonen), vermögen eines solchen Massenspektrometers


die durch die kurzreichweitigen Kernkräfte verdeutlicht Abb. 8.52b.
zusammengehalten werden. Als Einheit verwendet man die atomare Mas-
Mithilfe eines Massenspektrometers kann die seneinheit u (Atommassenkonstante). Diese ist
Masse eines Atoms sehr genau bestimmt wer- definiert als ein Zwölftel der Masse des Koh-
den. Abbildung 8.52a zeigt den Aufbau und die lenstoffisotops 12 C:
Arbeitsweise eines modernen Massenspektro-
1
meters. In der Ionenquelle wird die Probe io- mu = 1u = ma (12 C) (8.76)
nisiert, dann werden die entstandenen Ionen 12
1 12 · 10−3 kg/mol
beschleunigt und in einem elektrischen und =
magnetischen Feld getrennt. Das Auflösungs- 12 NA
= 1,66054 · 10−27 kg

NA = 6,02214 · 1023 mol−1 ist die Avogadro-


Konstante, d. h. die Anzahl der Teilchen je mol.
Die relative Atommasse Ar (Molekülmasse Mr )
ist durch

ma mm
Ar = ; Mr = (8.77)
mu mu

gegeben. Hierin ist


ma , ma (A X) Atommasse (des Nuklids A X),
mm , mm (Ax By ) Molekülmasse (des Moleküls
Ax By ).
Die Masse von 1 mol eines Atoms oder Mole-
küls ergibt die Molmasse M:
/
Ar NA mu = Ar · 1 g/mol ,
M=
Mr NA mu = Mr · 1 g/mol .
In der Kernphysik und besonders in der Ele-
mentarteilchenphysik ist es üblich, die Masse
eines Teilchens in der äquivalenten Energie
über die Beziehung m = E/ c2 anzugeben. Es
ergibt sich mu = 1 u = 931,4943 MeV/c2 . (Häu-
fig entfällt c2 .) In Tabelle 8.4 sind für einige
Teilchen und Atomkerne die Massen zusam-
mengestellt.
Die genauen Atommassen von instabilen Ker-
Abb. 8.52 Massenspektrometer: a) Aufbau, schema- nen oder Teilchen kann man aus Kernreak-
tisch, b) Ausschnitt aus einem Massenspektrum. tionen oder Zerfallsprozessen (α-, β-Zerfall)
Werkbild: Finnigan Mat, Bremen durch Messung der Zerfallsenergien ermitteln.
708 8 Atom- und Kernphysik

Tabelle 8.4 Teilchen- und Nuklidmassen Hierin ist ma (n) die Masse des Neutrons,
ma (1 H) die des neutralen Wasserstoffatoms
Teilchen bzw. Nuklid Masse in u
und ma (N+Z K) die Atommasse des K-Atoms.
Elektron 5,48580 · 10−4 Die Größe EB / c2 = Δm wird auch als Mas-
Proton 1,00727647 sendefekt bezeichnet. Die Berücksichtigung
Neutron 1,008664915 der Bindungsenergie der Elektronen Ee kann
1H 1,007825037 durch die Näherung
2H 2,014101787
4 He 4,00260325
9 Be 9,0121825 Ee = 15,73Z7/3 eV (8.79)
12 C 12,00000000
14 N 14,003074008
17 O 16,9991306
in eV erfolgen. In Abb. 8.53 ist der Verlauf der
27 Al 26,9815413 Bindungsenergie je Nukleon EB / A in Abhän-
30 Si 29,9737717 gigkeit von der Massenzahl für die stabilen
30 P 29,9783098 Kerne dargestellt. Die Bindungsenergie je Nu-
164 Dy 163,929183
165 Dy
kleon ist negativ abgetragen. Das Minimum
164,931712
der Kurve befindet sich im Bereich der Mas-
senzahl A = 60.
Es sind grundsätzlich zwei Kernprozesse denk-
Ein Beispiel hierfür ist die Bestimmung der bar, durch die Energie erzeugt werden kann:
Masse des Neutrons aus der Reaktion der Spal- – Kernspaltung
tung des Deuteriums durch γ -Quanten: Durch Spaltung eines Kerns mit der Mas-
+ γ → 10 n + 11 H + ΔE . 92 U, EB / A = 7,6 MeV) in zwei
senzahl 235 (235
2
1H
gleich große Bruchstücke (EB / A = 8,5 MeV)
Der Betrag ΔE = −2,226 MeV ergibt sich aus
wird eine Energie von etwa 200 MeV frei.
der Energie der γ -Quanten, die zur Spaltung
– Kernfusion
von 21 H erforderlich ist (endoergische Reak-
Die Verschmelzung leichter Kerne, bei-
tion). Aufgrund der Energieerhaltung gilt
spielsweise Wasserstoff zu Helium, führt zu
ma (2 H)c2 = ma (n)c2 + ma (1 H)c2 + ΔE . einem Energiegewinn von etwa 24 MeV.
Mit den Tabellenwerten für ma (2 H) und Näherungsweise ist die Bindungsenergie je
ma (1 H) ergibt sich für ma (n) = 939,573 MeV/ c2. Nukleon (7,5 MeV bis 8,8 MeV) konstant.
In analoger Weise kann anhand der genau
bestimmten Atommassen der ΔE-Wert der
allgemeinen Reaktion
N 10 n + Z 11 H → N+Z
ZK + ΔE
berechnet werden. Der ΔE-Wert dieser Reak-
tion ergibt die Bindungsenergie EB des Kerns:

EB = (N ma (n) + Z ma (1 H) −
− ma (N+Z K))c2 . (8.78) Abb. 8.53 Bindungsenergie je Nukleon in
Abhängigkeit von der Massenzahl
8.7 Aufbau der Atomkerne 709

Dies hat zur Folge, dass ein Nukleon nicht somit „Sättigungscharakter“ wie die kovalente
mit jedem anderen Nukleon eine Wech- Bindung zwischen zwei Wasserstoffatomen.
selwirkung durch Kernkräfte eingeht. In
einem solchen Fall müssten A(A − 1)/ 2 8.7.2.1 Tröpfchenmodell
„Bindungen“ gebildet werden, sodass EB / A Bei diesem Kernmodell betrachtet man die
proportional A wäre. Die Kernkräfte haben Nukleonen als Moleküle eines inkompressiblen

Tabelle 8.5 Tröpfchenmodell des Atomkerns

Name Abhängigkeit von Konstante Bemerkungen


der Massenzahl in MeV

Kondensationsenergie EV = −aV A aV = 15,85 Volumenenergie, da A dem


Volumenenergie Kernvolumen proportional;
entspricht der Konstanz der
Bindungsenergie je Nukleon.
Oberflächenenergie EO = +aO A2/ 3 aO = 18,34 Die Nukleonen an der
Oberfläche haben weniger
Bindungspartner, sodass die
Bindungsenergie proportional
zu r2 = A2/ 3 verringert wird.
Coulomb-Energie EC = +aC Z2 A−1/ 3 aC = 0,71 gegenseitige Abstoßung der
Protonen; Energie einer
homogen geladenen Kugel
mit der Ladung Z e.
2
Z − A2
Asymmetrie-Energie EA = +aA aA = 92,86 Berücksichtigt den
A
Neutronenüberschuss, der
zu einer Verminderung von
EB führt gegenüber
einem symmetrischen Kern;
(A − 2Z)2
Symmetrie-Energie ES = +aS aS = 23,22 Symmetrie der Kernkräfte
A aA zwischen Neutron und Proton.
aS =
⎧ 4
⎨ −δ(A, Z) (g, g)
Paarungsenergie Eδ = 0 (g, u)(u, g)Kerne Durch das Tröpfchenmodell

+δ(A, Z) (u,u) nicht erklärbar.
33
δ=
A
A 2
Z−
2
EB = −aV A + aO A2/ 3 + aC Z 2 A−1/ 3 + aA + Eδ
A
Weizsäcker-Formel (8.80)

A 2
Z−
EB 2 Eδ
= −aV + aO A−1/ 3 + aC Z2 A−4/ 3 + aA +
A A2 A
710 8 Atom- und Kernphysik

Abb. 8.54 Linien konstanter Bindungsenergie je Nukleon nach der Weizsäcker-Formel ohne Paarungsterm
(stabile Nuklide eingezeichnet)

geladenen Flüssigkeitströpfchens. Zwischen dieses Diagramm sind die stabilen Atomkerne


den Flüssigkeitsmolekülen im Tröpfchen (Nuklide) mit eingezeichnet. Rechts unten ist
wirkt eine anziehende Kraft kurzer Reich- die Schnittkurve entlang einer Geraden mit
weite. Die Bindungsenergie des Tröpfchens A = konstant (Isobaren) dargestellt. Hierbei
ist dann derjenige Energiebetrag, der bei handelt es sich um eine Parabel. Wird der
der Kondensation freier Moleküle zu einem Paarungsterm mit berücksichtigt, so ergibt
Tröpfchen frei wird. Diese Energie hängt von sich für gerade A-Werte eine Doppelparabel.
der Anzahl der kondensierten Moleküle, der Der stabile Kern befindet sich in der Nähe
Oberfläche des Tröpfchens, der Coulomb- des Parabelminimums. Die im linken Para-
Energie und von der Form des Tröpfchens ab belast liegenden Nuklide wandeln sich durch
(Weizsäcker-Formel (8.80)). Die Abhängigkeit β− -Zerfall (n → p + e− ), die rechts liegenden
der einzelnen Terme von der Massenzahl A durch β+ -Zerfall (p → n + e+ ) in Richtung
ist in Tabelle 8.5 zusammengestellt. Zur Ver- auf das stabile Nuklid um. Deshalb wird das
anschaulichung der Beziehung zwischen der Tal auch Tal der β-Stabilität bezeichnet. Es gilt
Bindungsenergie je Nukleon, der Massenzahl für
dieses Tal
A = N + Z und der Ordnungszahl Z bzw. der ∂(EB / A)
=0.
Neutronenzahl N sind in Abb. 8.54 Linien kon- ∂Z A=konst
stanter Werte EB / A in Abhängigkeit von N und Dies liefert (ohne Paarungsterm) die Linie der
Z dargestellt. Man erhält ein Tal, das bei klei- β-Stabilität
nen N, Z-Werten sehr stark abfällt und eng ist, A
Z= .
sich aber zu größeren N, Z-Werten öffnet. In 1,98 + 0,015 A2/ 3
8.7 Aufbau der Atomkerne 711

Mithilfe der Bindungsenergieformel (8.80) bestimmten Werten von N oder Z (den magi-
kann auch die Stabilität der Kerne gegenüber schen Zahlen) treten Extremwerte von En und
α-Zerfall und Spontanspaltung (f: fission) an- Ep auf (Abschn. 8.7.2.2, Abb. 8.56).
gegeben werden. Eine solche Zerfallsreaktion Die Differenz der Separationsenergien En Ep
kann dann ablaufen, wenn diese mit einem von benachbarten Isotopen bzw. Isotonen
Energiegewinn verbunden ist:
; < δn = En (Z, N) − En (Z, N − 1) ,
Eα = ma N+ZZ K − ma N+Z−4 Z−2 K − ma (α) c
2
δp = Ep (Z, N) − Ep (Z − 1, N)
0, weist darauf hin, dass bei geraden N- bzw.
; <
Ef = ma N+ZZ K − 2 ma N / 2+Z/ 2 K c2 0 . Z-Werten stets eine größere Separationsener-
gie erforderlich ist. Zwei Nukleonen (Protonen
In Abb. 8.54 sind Linien für Eα = 0 und Ef = 0 oder Neutronen) bilden ein energetisch güns-
eingezeichnet. Rechts von diesen Linien ist der tiges Paar. Deshalb bezeichnet man δn bzw. δp
α-Zerfall oder die Kernspaltung mit einem als Paarungsenergie (∼ 2 MeV). Auch im Ver-
Energiegewinn verbunden. Man erkennt dar- lauf der Paarungsenergie treten bei den magi-
aus, dass α-Strahler nur bei Ordnungszahlen schen Zahlen Extremwerte auf. Diese Effekte
größer als 60 zu erwarten sind. weisen auf eine Schalenstruktur des Kerns hin.
Alle Nuklide mit Z > 84 sind instabil. Sie ha-
ben zum Teil große Halbwertszeiten (232 90 Th: 8.7.2.2 Schalenmodell
1,4 · 1010 a) und kommen deshalb noch natür- Im Tröpfchenmodell werden die Nukleonen
lich auf unserer Erde vor. Durch Kernreaktio- wie die Moleküle eines Tropfens behandelt.
nen sind Elemente bis Z = 111 (Roentgenium) Beim Schalenmodell geht man davon aus, dass
hergestellt worden. ein Nukleon in einem mittleren Kernpotential,
Betrachtet man die stabilen Nuklide im Z-N- hervorgerufen durch die andern Nukleonen,
Diagramm genauer, so stellt man fest, dass einen bestimmten Eigenzustand einnimmt,
bei den Neutronen- bzw. Protonenzahlen 2, der durch die Eigenwerte Energie und Bahn-
8, 20, 50, 82, 126 (magische Zahlen) beson- drehimpuls charakterisiert ist. Im Grundzu-
ders viele stabile Isotope (Nuklide mit gleicher stand des Kerns werden die Zustände nach-
Protonenzahl) bzw Isotone (Nuklide mit glei- einander nach dem Pauli-Prinzip mit der ent-
cher Neutronenzahl) auftreten. Von den 267 sprechenden Anzahl Nukleonen besetzt.
bekannten stabilen Nukliden sind Trotz der starken Wechselwirkung zwischen
158 g, g-Kerne Z gerade N gerade, den Nukleonen gibt es keine Möglichkeit für
53 g, u-Kerne Z gerade N ungerade, ein Teilchen, seinen Zustand, d. h. seine Quan-
50 u, g-Kerne Z ungerade N gerade, tenzahlen, ohne eine äußere Energiezufuhr zu
6 u, u-Kerne Z ungerade N ungerade. ändern. Sie verhalten sich deshalb wie wech-
Die Betrachtung der Separationsenergie für selwirkungsfreie Teilchen. Aus diesem Grund
Neutronen En bzw. Protonen Ep liefert können die Nukleonen des Kerns wie die Lei-
; < tungselektronen des Metalls beschrieben wer-
En (Z, N) = ma AZ K − ma A−1Z K − ma (n) c2 , den. Dies ist in Abb. 8.55 dargestellt. Alle
; < Teilchen mit dem Spin 1/2 (Elektronen, Pro-
Ep (Z, N) = ma AZ K − ma A−1
Z−1 K − m a (p) c2 .
tonen, Neutronen) befinden sich in einem
Dies führt zu einem ähnlichen Verlauf wie das rechteckigen Potentialtopf unterschiedlicher
Ionisierungspotential der Elektronenhülle. Bei Höhe mit der Kantenlänge a. Die Lösung der
712 8 Atom- und Kernphysik

Abb. 8.55 Elektronen in einem Metall im Vergleich zu Nukleonen im Kern

Schrödinger-Gleichung, die für jede Koordi- der Topf bis zu einer bestimmten Energie EF
nate getrennt durchgeführt werden kann, er- (Fermi-Energie) lückenlos aufgefüllt werden.
gibt die Energieniveaus mit den Quantenzah- Der Kern oder das Elektronensystem befin-
len λi . In einem Koordinatensystem mit den det sich dann im Grundzustand (thermodyna-
Achsen λx , λy , λz stellen die Gitterpunkte die misch T = 0). Anhand der bekannten Teilchen-
erlaubten Zustände dar. In 1/8 der Kugelschale anzahldichte n = N / V kann mit der Beziehung
mit dem Radius ρ = λ2x + λ2y + λ2z befin- EF
dn
den sich dann dN = πρ2 dρ Zustände. Mit
1 n= 2 dE
2 √ dE
ρ = ap/ (π) und p2 dp = 2m3 E dE er- 0
gibt sich die angegebene Zustandsdichte als die Fermi-Energie berechnet werden.
Funktion der Energie. Da in diesem Potential- Bei der bisherigen Betrachtung des Kerns nach
topf N Teilchen untergebracht werden sollen, dem Fermi-Gas-Modell wurde die Ladung der
und nach dem Pauli-Prinzip bei Spin 1/2 Teil- Protonen und damit die Coulomb-Abstoßung
chen 2 Teilchen je Zustand Platz haben, muss nicht berücksichtigt, sodass sich für Protonen
8.7 Aufbau der Atomkerne 713

und Neutronen der gleiche Potentialtopf mit Neutronen um, sodass EFp = EFn ist. Die
den gleichen Eigenzuständen ergibt. Durch die Energieverschiebung ΔE des Protonentopfes
Berücksichtigung der Coulomb-Abstoßung gegenüber dem Neutronentopf lässt sich aus
verschiebt sich der Potentialtopf der Proto- der Differenz der Gesamtenergie
nen zu geringeren Bindungsenergien. Die EF
dn 3
Folge ist, dass die Fermi-Energien EFp des EG = E dE = C0 EF5/ 2 = N EF
dE 5
Protonentopfes höher liegen als die des Neu- 0
tronentopfes EFn . Dies ist vergleichbar mit dem für eine gleichmäßige Verteilung (N = Z)
Kontakt zweier Metalle mit unterschiedlicher und eine Verteilung Z, N abschätzen. Dieser
Fermi-Energie, bei denen es im Gleichgewicht Energieunterschied ΔE ∼ (1/ 4)(N − Z)2 / A ist
durch Elektronenfluss zum Ausgleich der proportional dem Neutronenüberschuss und
beiden Fermi-Energien kommt. Es entsteht entspricht dem Asymmetrie- bzw. Symmetrie-
ein Kontaktpotential (s. auch Abb. 9.68 in term der Weizsäcker-Gleichung.
Abschn. 9.3.2.2). Der gleiche Vorgang erfolgt Mit Hilfe des Fermi-Gas-Modells hat man
auch im Kern. Es wandeln sich Protonen in ungefähre Daten über die Tiefe des Potentials

Abb. 8.56 Elektronenhülle und Atomkern


714 8 Atom- und Kernphysik

und die Begründung des Neutronenüber-


schusses, nicht aber über den Verlauf der
Separationsenergien. Aus der Physik der Elek-
tronenhülle ist bekannt, dass Extremwerte,
beispielsweise des Ionisierungspotentials,
durch Schalenabschluss zustande kommen.
Im Kern liegen die Schalenabschlüsse bei den
magischen Zahlen. Abbildung 8.56 zeigt den
Vergleich der Schalenstruktur von Elektro-
nenhülle und Kern. Es gilt, die Eigenzustände
in einem mittleren Kernpotential durch Lö-
sung der Schrödinger-Gleichung zu ermitteln.
Für das Elektron im Wasserstoffatom ist dieses
Potential das Coulomb-Potential (Abb. 8.11).
Der Verlauf des Kernpotentials lässt sich nicht
auf ein einfaches Potential zurückführen, son-
dern kann nur empirisch ermittelt werden.
Aufgrund der kurzen Reichweite der Kern-
kräfte muss man annehmen, dass das Kern-
potential sehr schnell abfällt und im Kernmit-
telpunkt konstant ist, da dort das Nukleon all-
seitig von Nukleonen umgeben ist und keine
resultierende Kraft erfährt. Ein Potential, das
Abb. 8.57 Energiediagramm der Protonen und
den Anforderungen genügt, ist das Woods-
Neutronen im Kern mit Spin-Bahn-Kopplung
Saxon-Potential (Abb. 8.56). Die Lösung der
Schrödinger-Gleichung mit diesem Potential
ist nur numerisch möglich. Dieses Potential ben. Man erkennt, dass dieses Modell die Scha-
kann näherungsweise aus einem kugelsym- lenabschlüsse bei 2 und 8 erklärt, nicht aber
metrischen Rechteckpotential und dem Poten- die höheren. Der Grund liegt in der Wechsel-
tial des harmonischen Oszillators zusammen- wirkung des Spinmoments mit dem Bahnmo-
gesetzt werden (Abb. 8.56). Für diese Poten- ment (Spin-Bahn-Kopplung); hierbei kommt
tiale lässt sich die Schrödinger-Gleichung ex- es zu einer Aufspaltung der Energieniveaus,
plizit lösen, wenn der Potentialverlauf nicht wie Abb. 8.57 zeigt. Man erkennt deutlich die
bei r = R abgeschnitten wird. Auf die Lage der Schalenabschlüsse bei den magischen Zahlen
tiefer liegenden Energieniveaus hat dies kei- sowohl für die Neutronen als auch für die Pro-
nen merklichen Einfluss. Die Lösungen für das tonen.
so angenäherte Woods-Saxon-Potential erge-
ben sich durch Interpolation beider oben ge- 8.8 Kernumwandlung
nannter Potentialverläufe.
Die Bezeichnung der Energiezustände erfolgt Es gibt grundsätzlich zwei Typen von Kern-
in gleicher Weise wie bei der Elektronenhülle. umwandlungen, den radioaktiven Zerfall und
In Abb. 8.56 sind die Energiezustände mit den die Kernreaktionen. Während beim radioakti-
maximal besetzbaren Teilchenzahlen angege- ven Zerfall die Prozesse ohne äußere Beeinflus-
8.8 Kernumwandlung 715

sung ablaufen, müssen sie bei Kernreaktionen β+ -Strahlung


von außen in Gang gesetzt werden (z. B. durch Hierbei handelt es sich um positiv geladene
Beschuss des Atomkerns mit Teilchen). Elektronen (Positronen). Bei Kernreaktionen
entstehen instabile Kerne (radioaktive Nuk-
8.8.1 Radioaktiver Zerfall lide), die Positronen aussenden (künstliche Ra-
dioaktivität).
Der französische Physiker H. A. Becquerel
(1852 bis 1908) entdeckte 1896, dass von Uran- 8.8.1.2 Zerfallsreaktionen
salzen eine Strahlung ausgeht, die eine licht- Die bei der Kernumwandlung ablaufende
dicht verpackte Fotoplatte schwärzt. Das Ehe- Kernreaktion kann für den radioaktiven
paar M. und P. Curie (1867 bis 1934 bzw. 1859 Zerfall allgemein geschrieben werden
bis 1906) isolierte 1898 aus dem Uranmine-
A
ZK → AZ K + A−A
Z−Z x + ΔE .
ral Pechblende (U3 O8 ) die Elemente Polonium
Bei dem von selbst ablaufenden radioaktiven
und Radium, die wesentlich stärker als Uran
Zerfall ist ΔE stets positiv (exoergische Reak-
strahlen.
tion) und berechnet sich aus den Massendiffe-
renzen (Abschn. 8.7.2):
8.8.1.1 Strahlenarten
Die von den natürlich vorkommenden Sub- ΔE = [mN (K) − mN (K ) − mN (x)]c2 .
stanzen emittierte Strahlung (natürliche Ra- Hierbei ist mN die Masse des Atomkerns. Mit
dioaktivität) lässt sich in einem Magnetfeld in der Atommasse ma (AZ K) = mN (AZ K) + Z me er-
drei Komponenten zerlegen. gibt sich
ΔE = [ma (K) − ma (K ) − ma (x)]c2 .
α-Strahlung
Die Energie ΔE verteilt sich auf das emittierte
α-Strahlen werden nur wenig abgelenkt und
Teilchen x, auf den Kern K als Rückstoßener-
sind aufgrund der Ablenkungsrichtung posi-
gie (Impulserhaltung) und auf möglicherweise
tiv geladen. Es handelt sich hierbei um He-
frei werdende γ-Quanten. Nach dem Kern-
liumkerne (bestehend aus 2 Protonen und 2
umwandlungsprozess befinden sich die Nu-
Neutronen).
kleonen (Protonen, Neutronen) nicht immer
β− -Strahlung
β− -Teilchen werden im Magnetfeld stärker als
α-Teilchen abgelenkt und haben eine negative
Ladung. Es handelt sich hierbei um Elektronen
mit sehr hoher Geschwindigkeit (etwa 99% der
Lichtgeschwindigkeit c).

γ-Strahlung
Diese Strahlung wird durch ein Magnetfeld
nicht abgelenkt. Es handelt sich um eine elek-
tromagnetische Strahlung vergleichbar der
Röntgenstrahlung, jedoch mit größerer Ener-
gie (> 100 keV). Da die γ-Strahlung in vielen
Wechselwirkungsprozessen Teilchencharakter Abb. 8.58 Energiediagramm des radioaktiven Zerfalls
hat, spricht man auch von γ-Quanten. von 131 I
716 8 Atom- und Kernphysik

Abb. 8.59 Radioaktive Zerfallsreaktionen


8.8 Kernumwandlung 717

im Grundzustand, sondern in einem angereg- Kernpotential gelangt, muss es die Coulomb-


ten Zustand. Beim Übergang von diesem in Abstoßung überwinden (z. B. > 9 MeV für
92 U). Ein vom Kern emittiertes α-Teilchen
238
den Grundzustand (oder einen anderen ange-
regten Zustand) werden γ-Quanten emittiert. müsste klassisch eine kinetische Energie be-
Analog zu den angeregten Zuständen der Elek- sitzen, die größer als die Potentialschwelle
tronenhülle (Abschn. 8.2.4) kann man die An- ist. Die α-Teilchen, die beispielsweise den
regungszustände des Kerns in einem Energie- Uran-238-Kern verlassen, haben jedoch ledig-
diagramm darstellen. Abbildung 8.58 zeigt das lich eine Energie von 4,20 MeV. Sie müssen
Energiediagramm von Iod (131 I). Die einzelnen somit die Potentialschwelle durchtunneln. In
Energiezustände werden durch die Kernspin- Abschn. 8.2.2 ist für ein Rechteckpotential
quantenzahl I (analog J der Elektronenhülle) gezeigt, dass quantenmechanisch ein solcher
und die Parität (Abschn. 8.9.2) charakterisiert. Vorgang möglich ist.
In Abb. 8.59 sind die Zerfallsmöglichkeiten von
instabilen Kernen mit der allgemeinen Zer- β-Zerfall
fallsgleichung, dem ΔE-Wert, dem Energie- Im Gegensatz zum α-Spektrum weist das β-
diagramm und der Energieverteilung (Spek- Spektrum eine kontinuierliche Energievertei-
trum) der emittierten Strahlung zusammen- lung auf. Die Ursache für diese Energiever-
gestellt. teilung liegt in der Emission zweier Teilchen,
dem Elektron β− und dem Antineutrino νe
α-Zerfall bzw. dem Positron β+ und dem Neutrino νe .
Die von den Radionukliden emittierten Die Maximalenergie der β-Teilchen verteilt
α-Teilchen haben eine Energie zwischen sich dabei statistisch auf diese beiden Teilchen:
Eα = 4 MeV und 9 MeV. Der Potentialverlauf Eβ + Eν = Emax . Das Neutrino ist ein Teilchen
für die Wechselwirkung eines α-Teilchens ohne Ladung und mit der Ruhemasse mν = 0.
mit dem Kern ist vereinfacht in Abb. 8.60 ge- Es wird nicht von einem elektromagnetischen
zeigt. Damit ein α-Teilchen in das anziehende Feld umgeben (im Gegensatz zum Elektron)
und hat den Spin 1/2. Aufgrund dieser Eigen-
schaften ist der Nachweis des Neutrinos sehr
schwierig. Er gelang 1956 durch die Reaktion

0 νe + 11 p → 10 n + 01 e .
0

In einem Experiment wurden Protonen (Was-


ser) mit Antineutrinos aus einem Kernreaktor
bestrahlt. Der Nachweis der Positronen
erfolgte über ihre Vernichtungsstrahlung
(01 e + −10 e → 2 γ) und der Nachweis des
Neutrons über die bei einer (n, γ)-Reaktion,
mit Cadmium (Abschn. 8.8.2) auftretende
γ-Strahlung. Der Wirkungsquerschnitt dieser
Antineutrinoreaktion ist sehr gering und
beträgt 10−43 cm2 .
Abb. 8.60 Energieverhältnisse beim Beschuss eines Der β− -Zerfall führt zu einem Abbau eines
Kerns mit α-Teilchen Neutronenüberschusses im Kern; hierbei wird
718 8 Atom- und Kernphysik

ein Elektron aus dem Kern emittiert. Es ent- zwischen den Niveaus gelten die Auswahlre-
steht ein Nuklid mit gleicher Massenzahl, aber geln analog zur Elektronenhülle. Das emit-
mit einer um eins größeren Ordnungszahl. β− - tierte γ-Quant nimmt einen Drehimpuls L
Strahler liegen deshalb unterhalb der Linie der mit (Ia + Ie L |Ia − Ie |; Ia ist die Kernspin-
β-Stabilität (Abb. 8.54). quantenzahl des Ausgangszustandes, Ie die des
Der β+ -Zerfall führt zu einem Abbau eines Endzustandes). 2L bezeichnet die Ordnung der
Protonenüberschusses im Kern. Es entsteht ein Strahlung (21 = 2: Dipolstrahlung; 22 = 4:
Nuklid mit gleicher Massenzahl, aber mit einer Quadrupolstrahlung; 23 = 8: Oktupolstrah-
um eins geringeren Ordnungszahl (deshalb lung). Je höher die Ordnung der Strahlung,
Zerfallsrichtung im Energiediagramm nach desto geringer ist die Übergangswahrschein-
links). β+ -Strahler liegen oberhalb der Linie lichkeit zwischen den entsprechenden Kernni-
der β-Stabilität (Abb. 8.54). veaus. Außer der Drehimpulserhaltung muss
noch die Erhaltung der Parität (Abschn. 8.9)
Elektroneneinfang berücksichtigt werden.
Beim Elektroneneinfang wird vom Kern ein Ist der Unterschied im Kernspin zwischen Aus-
Hüllenelektron (meist K-Elektron) eingefan- gangszustand Ia und Endzustand Ie (Grundzu-
gen. Betrachtet man die Aufenthaltswahr- stand) besonders groß, so ist die Übergangs-
scheinlichkeit des K-Elektrons, so besteht eine wahrscheinlichkeit sehr gering (Lebensdauer
Wahrscheinlichkeit, dieses Elektron auch im besonders groß). In diesem Fall spricht man
Kern anzutreffen. von einem mesomeren Zustand, der mit dem
Beim β+ -Zerfall treten im Gegensatz zum β− - Zusatz m bezeichnet wird (z. B. 137 m Ba).
Zerfall im ΔE-Wert zwei Elektronenmassen Das γ-Quant (Photon) hat einen Eigendrehim-
auf. Dies bedeutet, dass die Atommasse von K puls mit der Spinquantenzahl s = 1. Über-
um mindestens zwei Elektronenmassen grö- gänge zwischen Ia = 0 und Ie = 0 kön-
ßer sein muss als die Atommasse von K . Der nen deshalb nicht unter Aussendung eines γ-
Elektroneneinfang kann dagegen immer statt- Quants erfolgen. Wenn sich bei einem sol-
finden, wenn ma (K) > ma (K ) ist; er tritt so- chen Übergang die Parität nicht ändert, so
mit bevorzugt bei geringen ΔE-Werten auf. kann ein Konversionselektron ausgesandt wer-
Bei höheren ΔE-Werten tritt dagegen der β+ - den oder bei genügend hoher Zerfallsenergie
Zerfall in den Vordergrund. Es gibt viele Nuk- (E > 1,02 MeV) ein Elektron-Positron-Paar.
lide, die sowohl β+ -Zerfall als auch den Elek- Bei der inneren Konversion gibt der Kern
troneneinfang ausführen. Durch Auffüllung seine Anregungsenergie nicht in Form von
der Elektronenlücke in der K-Schale wird cha- γ-Quanten, sondern durch direkte Wechsel-
rakteristische Röntgenstrahlung frei. wirkung mit der Elektronenhülle (meist 1 s-
Elektron) an das Hüllenelektron ab. Dabei
γ-Emission entstehen monoenergetische Elektronen. Die
Elektronenlücke wird unter Aussendung cha-
Nach einer Kernumwandlung (α-, β− -, β+ -
rakteristischer Röntgenstrahlung aufgefüllt.
Zerfall) befindet sich der Kern K häufig in ei-
nem angeregten Zustand (Lebensdauer 10−16
s bis 10−13 s). Beim Übergang zwischen Ener- p-Emission, n-Emission
gieniveaus des Kerns wird γ-Strahlung frei. Das Befindet sich nach einem Kernzerfall der Fol-
diskontinuierliche γ-Spektrum ist für jedes Ra- gekern in einem hoch angeregten Zustand, so
dionuklid charakteristisch. Für die Übergänge ist ein Zerfall unter Aussendung eines Protons
8.8 Kernumwandlung 719

oder Neutrons möglich (verzögerte Protonen, Aus (8.81) ergibt sich durch Integration das
verzögerte Neutronen). Die Emission verzöger- Zerfallsgesetz:
ter Neutronen spielt bei der Regelung eines
Kernreaktors eine entscheidende Rolle.
N = N0 e−λt . (8.83)
Spontanspaltung
Im Jahre 1940 entdeckte man die Spontan- Die Größe N ist die Anzahl der noch vorhan-
spaltung (ohne äußere Beeinflussung) von denen und N0 die zum Zeitpunkt t = 0 vor-
Uran-238-Kernen. Die zugehörige Halb- handene Anzahl zerfallsfähiger Kerne. In der
wertszeit (Abschn. 8.8.1.3) beträgt 9 · 1015 a Praxis wird die weniger anschauliche Größe λ
(Halbwertszeit für α-Zerfall 4,47 · 109 a). Die durch die Halbwertszeit T ersetzt. Sie gibt an,
Spontanspaltung überwiegt bei schweren, in welcher Zeit eine ursprünglich vorhandene
neutronenreichen Kernen. Cf-254 spaltet Anzahl Kerne N0 durch Zerfall auf die Hälfte
sich mit einer Halbwertszeit von 60 d un- N0 / 2 abgenommen hat. Aus (8.83) ergibt sich
ter Aussendung von durchschnittlich 3,88 damit für die Halbwertszeit
Neutronen und eignet sich deshalb gut als
Laborneutronenquelle. ln 2 0,69315
T = = . (8.84)
λ λ
8.8.1.3 Radioaktives Zerfallsgesetz
Zu welchem Zeitpunkt ein bestimmter instabi- Ist die Zerfallswahrscheinlichkeit λ groß, so
ler Kern zerfällt, lässt sich nicht vorhersagen. werden in kürzerer Zeit T die Hälfte der Kerne
Es sind nur Aussagen über die Wahrschein- zerfallen als bei kleiner Zerfallswahrschein-
lichkeit des Zerfalls möglich. Diese Zerfalls- lichkeit. Mit (8.84) kann das Zerfallsgesetz für
wahrscheinlichkeit λ ergibt sich aus dem Ver- die Kernanzahl N bzw. Aktivität A geschrieben
hältnis von im Moment zerfallenden Kernen werden als
(−dN / dt) zur Gesamtanzahl vorhandener in-
stabiler Kerne N:
= N0 e−λt = N0 e− = N0 · 2− T ,
ln 2 t t
N T

−dN / dt A = A0 e−λt = A0 e− = A0 · 2− T .
ln 2 t t
T
λ= . (8.81)
N (8.85)

Die Zerfallswahrscheinlichkeit λ ist für je- Hierbei ist A die Aktivität zum Zeitpunkt t und
den radioaktiven Zerfall eine charakteristische A0 die zum Zeitpunkt t = 0. Abbildung 8.61
Größe und wird Zerfallskonstante genannt. zeigt den zeitlichen Verlauf der Aktivität.
Die Dimension von λ ist eine reziproke Zeit Wird der Logarithmus der Aktivität aufgetra-
(1/s). Die Anzahl der Zerfälle je Zeiteinheit gen, so entsteht eine Gerade. In Tabelle 8.6
(−dN / dt) wird als Aktivität A bezeichnet. sind Angaben über die natürliche Radioaktivi-
tät von Wasser und einigen Nahrungsmitteln
dN
A=− =λN . (8.82) zusammengestellt.
dt Die Beziehung zwischen Aktivität A und Teil-
chenzahl N (A = λN) ist die Grundlage vieler
Die Einheit der Aktivität ist das Becquerel Anwendungen radioaktiver Stoffe in der Che-
(Bq). 1 Bq entspricht einem Zerfall je Sekunde. mie und Technik (z. B. klinische Chemie, Kor-
720 8 Atom- und Kernphysik

stanz ermittelt werden, z. B.


1 g 238 U (T = 4,51 · 109 a): A = 1,23 · 104 Bq
(8.85) und (8.83) ,
37 Bq 131
I (T = 8,05 d): m = 8,1 · 10−15 g
(8.85) und (8.83) .
In Tabelle 8.7 sind für einige Radionuklide
die Massen angegeben, die einer Aktivität
von 37 Bq (messtechnisch gut zu ermitteln)
entsprechen. Liegen mehrere unterschiedliche
Radionuklide vor, so muss man zwischen ab-
hängigem (genetisch verknüpftem) und unab-
Abb. 8.61 Zeitlicher Verlauf der Aktivität hängigem (nicht genetisch verknüpftem) Zer-
fall unterscheiden. In Abb. 8.62 sind diese bei-
rosionsuntersuchungen). Wird N durch die
den Fälle gegenübergestellt. Bei Radionukli-
Masse der Substanz ersetzt, so gilt
den, die nicht genetisch verknüpft sind, zerfällt
m NA jedes unabhängig vom anderen in ein stabiles
A=λN =λ (8.86) Nuklid. Die Gesamtaktivität ergibt sich aus der
M
Summe der Einzelaktivitäten (8.87). Bei gene-
tisch verknüpften Radionukliden ist der Fol-
mit m als der Masse des Radionuklids oder
gekern ebenfalls instabil. Die in der Natur vor-
dessen Verbindung, M als Molmasse des Ra-
kommenden Zerfallsreihen, ausgehend von
dionuklids oder dessen Verbindung und der 238
U, 235 U und 232 Th entsprechend Abb. 8.63,
Avogadro-Konstante NA = 6,022 · 1023 mol−1 .
sind Beispiele von genetisch verknüpften Ra-
Die Aktivität ist direkt proportional der Masse
dionukliden. Diese natürlichen Zerfallsreihen
des entsprechenden Radionuklids. Somit kann
enden bei unterschiedlichen Bleiisotopen.
aus der Aktivitätsmessung die Menge der Sub-
Für zwei miteinander genetisch verknüpfte
Radionuklide (Mutter-Tochter-System) ergibt
Tabelle 8.6 Natürliche Radioaktivität
sich die Aktivität der Tochter Ab aus ihrem
Gegenstand Radionuklid Konzentration Zerfall (−λb Nb ) und aus ihrer Bildung durch
in mBq/l Zerfall der Mutter (+λa Na ) (8.88). Die Lösung
3H
dieser Differentialgleichung führt zur (8.89)
Grundwasser 40 bis 400
40 K (zu Beginn keine Tochter vorhanden).
4 bis 400
238 U 1 bis 200
Oberflächen- 3H 20 bis 100
40 K Tabelle 8.7 Masse von jeweils 37 Bq entsprechendem
gewässer 40 bis 2 000
238 U reinem Radionuklid
bis zu 40
Trinkwasser 3H 20 bis 70 Nuklid Halbwertszeit T Masse in g
40 K 200
238 U 0,4 14 C 5 730 a 0,22 · 10−9
Milch 40 K 46 Bq/kg 85 Kr 10,72 a 2,5 · 10−12
Rindfleisch 116 Bq/kg 122 Sb 2,74 d 2,5 · 10−15
Hering 136 Bq/kg 18 F 110 min 1,0 · 10−17
8.8

Abb. 8.62 Radioaktives Gleichgewicht


Kernumwandlung 721
722 8 Atom- und Kernphysik

Abb. 8.63 Natürliche Zerfallsreihen

Ist die Halbwertszeit Tb größer als Ta , so ist die b bestimmt, die dann mit der Halbwertszeit
Zerfallsgeschwindigkeit von a größer als von b. von b abnimmt (Abb. 8.62).
Es findet somit eine Anhäufung von b statt. Wenn Ta > Tb ist, so lässt sich aus (8.89)
Wenn a zerfallen ist, wird die Aktivität nur von ersehen, dass nach einer bestimmten Zeit der
8.8 Kernumwandlung 723

Faktor e−λb t gegenüber e−λa t vernachlässigt infolge des angelegten elektrischen Feldes zu
werden kann. Dies führt zu (8.90). Das Ver- den Elektroden. Dies ist der Ionisationskam-
hältnis der Aktivitäten von a und b ist nach merbereich. Die Anzahl der gebildeten Ionen
einer bestimmten Zeit konstant. Es stellt sich hängt von der Strahlungsart und -energie ab.
ein Gleichgewichtszustand ein (radioaktives α-Teilchen erzeugen längs ihres Wegs mehr
Gleichgewicht). Die Größe des Aktivitätsver- Ionen als β-Teilchen (Abschn. 8.10). Deshalb
hältnisses wird durch die Halbwertszeiten liegt die Kurve für α-Teilchen in Abb. 8.64
bestimmt. höher als die für β-Teilchen. Durch Erhöhung
Für den häufigen Fall, dass die Halbwerts- der angelegten Spannung werden die primär
zeit von a wesentlich größer als die von b erzeugten Elektronen zwischen zwei Stößen
ist, sind die beiden Aktivitäten im Gleichge- mit Gasatomen so stark beschleunigt, dass sie
wicht gleich (Aa = Ab ). Wird aus einem ra- ihrerseits ionisieren können (Sekundärioni-
dioaktiven Geichgewicht b entfernt, so bil- sation). Die sekundär erzeugten Elektronen
det sich b durch Zerfall von a wieder nach können wieder Gasatome oder Gasmoleküle
(Abb. 8.62). Nach zehn Halbwertszeiten von ionisieren. Dieser Prozess wird noch durch
b (8.91) hat sich b bis auf 0,1% nachgebildet. das zur Anode zunehmende elektrische Feld
Für Uran-238, das von seinen Folgeproduk- (Zylinderkondensator) begünstigt. Es ent-
ten abgetrennt wurde, sind nach zehn Halb- stehen örtlich begrenzte Elektronenlawinen
wertszeiten von Thorium-234 folgende Radio- (Bereich 1 mm). Aus einem primär erzeug-
nuklide im Gleichgewicht: 238 U, 234 Th, 234 m Pa; ten Elektron entstehen somit Ag -Elektronen
AU-238 = ATh-234 = APa-234 m . Aufgrund des (Gasverstärkungsfaktor Ag ). Die von an-
radioaktiven Gleichgewichts kommen kurzle- geregten Atomen oder Molekülen (durch
bige Radionuklide noch natürlich vor. Stoßprozesse) ausgesandten Photonen kön-
nen aus dem Wandmaterial und Füllgas
8.8.1.4 Messung ionisierender Strahlung zusätzliche Elektronen erzeugen (Fotoeffekt).
Ionisierende Strahlung (α, β, γ-Strahlung) Im Proportionalbereich (Abb. 8.64) liegt die
kann nur über ihre Wechselwirkungspro- Gasverstärkung Ag zwischen 102 und 105 . Der
zesse mit Materie nachgewiesen werden Stromimpuls, den ein geladenes Teilchen im
(Abschn. 8.10, Abb. 8.91). Zur Messung der Proportionalzählrohr auslöst, ist proportio-
Aktivität oder Energie der Strahlung eines nal der primär erzeugten Elektronenanzahl.
radioaktiven Präparats wird hauptsächlich Deshalb ist eine Teilchenunterscheidung bzw.
die Ionisation und die Anregung von Materie Energiemessung möglich.
ausgenutzt. Die entsprechenden Strahlungs- Bei weiterer Erhöhung der Spannung ver-
detektoren werden als Ionisationsdetektoren größert sich die Gasverstärkung Ag auf 106
bzw. Anregungsdetektoren bezeichnet. Sie sind bis 108 . Die einzelnen Elektronenlawinen
in Abb. 8.64 mit ihrem Aufbau und ihren überlagern sich, und die Anzahl der durch
Eigenschaften zusammengestellt. Fotoeffekt erzeugten Elektronen erhöht sich.
Bei den Ionisationsdetektoren wird die durch Da die Elektronen wesentlich beweglicher sind
die Strahlung im Zählgas oder Halbleiter- als die Ionen (geringere Masse), wandern sie
kristall erzeugte Ladung (Primärionisation) schneller zur Anode als die Ionen zur Kathode.
gemessen. Die im Gasraum durch Primärio- Dadurch bildet sich eine positive Raumladung
nisation des Zählgases (Edelgase He, Ne, Ar) aus, die die Feldstärke so weit herabsetzt, dass
erzeugten Elektronen und Ionen wandern das Entstehen einer neuen Elektronenlawine
724 8 Atom- und Kernphysik
8.8

Abb. 8.64 Eigenschaften und Anwendung von Strahlungsdetektoren Werkfotos: Zinser und Canberra
Kernumwandlung 725
726 8 Atom- und Kernphysik

nicht mehr möglich ist. Das Zählrohr kann von der n-Seite in das p-Gebiet driften. Auf
eine bestimmte Zeit (Totzeit) keine Strah- diese Weise entsteht zwischen dem n- und
lung registrieren. Nach 10−4 s wandern die dem p-Gebiet eine hochohmige, eigenleitende
positiven Ionen zur Kathode und erzeugen Zone (i-Schicht, Abschn. 9.2.3). Diese i-Zone
bei ihrer Neutralisation aus der Kathode stellt das empfindliche Detektorvolumen dar
oder durch Fotoeffekt weitere Elektronen, die (pin-Fotodiode Abschn. 9.4.2.3). Um das Her-
eine erneute Lawine auslösen. Der Vorgang ausdiffundieren der Li-Atome zu verhindern,
muss deshalb durch Zusatz eines Löschgases muss der Ge- oder Si-Kristall mit flüssigem
(Methan, Ethanol, Brom, Chlor) gelöscht Stickstoff (77 K) gekühlt werden.
werden. Das Löschgas mindert zum einen Durch Herstellung von extrem reinen
das Entstehen von Fotoelektronen (durch Germanium-Einkristallen ist die Dotie-
Absorption der Photonen), zum andern über- rung mit Li-Atomen nicht mehr erforderlich.
geben die Ionen durch Stoß ihre Ladung Derartige Detektoren werden als Reinstger-
an das Löschgas. Beim Entladen der Lösch- maniumdetektoren bezeichnet.
gasmoleküle an der Kathode dissoziieren Bei den Anregungsdetektoren führt die Strah-
diese ohne Aussendung von Sekundärelek- lung zu einer Lichtemission in einem Szin-
tronen. Da die Erzeugung eines Ionenpaars tillator. Der Aufbau eines Szintillationsdetek-
zur Auslösung einer Elektronenlawine und tors ist in Abb. 8.64 dargestellt. Der Lichtblitz
damit eines Impulses ausreicht, bezeichnet wird mit einem Photosekundärelektronenver-
man diese Zählrohre als Auslösezählrohre vielfacher (PSEV) in ein elektrisches Signal
(Geiger-Müller-Zählrohr). umgewandelt und verstärkt (Abschn. 4.2.2.1).
Bei den Halbleiterdetektoren wird das emp- Als Szintillatoren werden anorganische oder
findliche Volumen durch die Raumladungs- organische Kristalle sowie Flüssigkeiten bzw.
zone eines pn-Übergangs gebildet (Abb. 8.64). feste Lösungen (Plastszintillatoren) eingesetzt.
An ihr fällt fast die gesamte, von außen Anorganische Stoffe lumineszieren im Gegen-
angelegte Spannung U ab. Erzeugt ein gela- satz zu organischen Stoffen nur im kristallinen
denes Teilchen oder ein γ-Quant entlang des Zustand. Die meisten Kristalle müssen durch
Weges durch Ionisation Elektron-Lochpaare, Einbau von Fremdatomen (Aktivatoren) lu-
so führt dies zu einem Spannungsimpuls am mineszenzfähig gemacht werden. Organische
Widerstand R. Außer den in unterschiedlichen Verbindungen können sowohl in Lösung als
Bauformen eingesetzten Oberflächensperr- auch im kristallinen Zustand eingesetzt wer-
schichtdetektoren werden zur Energiemes- den.
sung von γ-Quanten Ge(Li)-Detektoren wegen
ihrer großen Energieauflösung eingesetzt (Si 8.8.1.5 Anwendung radioaktiver Stoffe
(Li) für Röntgenstrahlung). Zur Vergrößerung Beim Einsatz radioaktiver Stoffe unterschei-
der Raumladungszone wird Li bei 400 ◦ C in det man gemäß Tabelle 8.8 zwischen offenen
einen p-leitenden Si- oder Ge-Einkristall ein- und umschlossenen radioaktiven Strahlenquel-
diffundiert. Da die auf Zwischengitterplätzen len. In umschlossenen radioaktiven Strahlen-
abgelagerten Li-Atome als Donatoren wir- quellen sind die radioaktiven Stoffe in einer
ken (bei Raumtemperatur bereits ionisiert), allseitig dichten, festen, inaktiven Hülle oder
bildet sich ein pn-Übergang aus. Unter dem in einem festen, inaktiven Stoff eingebettet.
Einfluss einer in Sperrichtung angelegten Unter betriebsmäßiger Beanspruchung wird
Spannung lässt man bei 100 ◦ C die Li-Ionen ein Austritt radioaktiver Stoffe mit Sicherheit
8.8 Kernumwandlung 727

Tabelle 8.8 Anwendung radioaktiver Nuklide reiche sind die Medizin und Chemie. Außer
der Funktions- und Lokalisationsdiagnostik
Bereiche Anwendungsfelder
werden radioaktive Stoffe zur Bestimmung
umschlossene Strahlungsquellen beispielsweise des Schilddrüsenhormons
Triiodthyronin (T3) im Konzentrations-
Medizin Strahlentherapie
bereich ng/ml (10−9 g/ml) routinemäßig
Strahlenchemie Sterilisierung medizinischer Pro-
dukte (z. B. Einwegspritzen);
eingesetzt. Ein immer wichtigeres Gebiet
Konservierung von Nahrungs- ist die Untersuchung des Verhaltens von
mitteln; Abwasserbehandlung Chemikalien in der Umwelt (Ökotoxikologie).
chemische Röntgenfluoreszenz-Analyse; Abbildung 8.65 zeigt einige wichtige Einsatz-
Analytik Elektroneneinfangdetektor gebiete umschlossener radioaktiver Strahlen-
zum Spurennachweis halogenier- quellen. Bei den Durchstrahlverfahren wird die
ter Kohlenwasserstoffe
Schwächung bzw. Absorption der Strahlung
Messtechnik Durchstrahl- und Rückstrahl- im Messobjekt zur Messung herangezogen.
Verfahren mit β- und γ-Quellen
Die durchdringende Strahlungsintensität ist
(z. B. Messung der Füllhöhe, der
Dichte und der Dicke) abhängig von der Dicke oder Füllhöhe des
Energie- Umwandlung der Zerfallsenergie Objekts. Die Rückstreuverfahren nützen den
umwandlung in Wärme; weitere Umwandlung Rückstreueffekt aus. Der Strahlendetektor
der Wärme (Seebeck-Effekt) in ist im Gegensatz zu dem Durchstrahlmess-
elektrische Energie; verfahren nicht gegenüber dem radioaktiven
Radionuklid-Batterien Strahler, sondern auf der gleichen Seite
offene Strahlungsquellen angeordnet. Von diesen beiden Verfahren
Medizin Organ-Funktionsdiagnostik unterscheiden sich die Radiografieverfah-
(Leber- und Nierendiagnostik); ren, bei denen das Untersuchungsobjekt
Lokalisationsdiagnostik durch β-, γ- oder n-Strahlen abgebildet
(Anreicherung im Gewebe); wird.
Szintigrafen
Radioaktive Strahlung (meist α-Teilchen) io-
chemische Bestimmung des Schilddrüsen- nisiert die Luft, deren Ionen die elektrische
Analytik hormons
Aufladung neutralisiert. Dies erfolgt durch fest
Öko- Bestimmung der Anreicherung
eingebaute Flächenstrahler (Statikeliminato-
toxikologie von Umweltchemikalien in Orga-
nen und Geweben von Tieren ren) oder durch Luftgebläse mit einem radio-
durch radioaktive Markierung aktiven Präparat in der Düse (Abb. 8.65). Eine
Prozess- quantitative Verfolgung des Stoff- Beseitigung statischer Elektrizität ist bei fol-
analyse Transports in verfahrenstech- genden Problemen erforderlich:
nischen Anlagen durch Zusatz
radioaktiver Indikatoren
– Klebeverhalten unterschiedlich geladener
Verschleiß- Abriebmessung bis 10−3 μm bis
messungen 10−4 μm Warenbahnen (Papier, Folien aller Art),
– Anziehen unerwünschter Teilchen aus der
Luft (z. B. Staubteilchen bei Lackierungsar-
verhindert. Offene radioaktive Strahlenquel- beiten),
len sind beispielsweise radioaktive Lösungen. – Funkenbildung (Gefahr bzw. Belästi-
Tabelle 8.8 gibt einen Überblick der Ein- gung für Bedienungspersonal, eventuell
satzgebiete radioaktiver Stoffe. Wichtige Be- Explosions- und Brandherde).
728 8 Atom- und Kernphysik
8.8

Abb. 8.65 Einsatzbereiche offener und umschlossener radioaktiver Strahlenquellen


Kernumwandlung 729
730 8 Atom- und Kernphysik

8.8.2 Kernreaktionen A + a = B + b +ΔE


Target Projektil Produktkern Produktteilchen

Die erste künstliche Kernumwandlung wurde A (a, b) B .


von Rutherford 1919 beschrieben. Er beschoss Die bei der Kernreaktion frei werdende oder
in einer Nebelkammer Stickstoffkerne mit α- benötigte Energie Δ E (exoergische bzw. en-
Teilchen des 214 Po und konnte das Auftreten doergische Reaktion) berechnet sich aus der
von Protonen nachweisen: Massendifferenz des Ausgangszustands (A+a)
und des Endzustandes (B + b):
14
7N + 42 α → 178 O + 11 p + ΔE .
ΔE = [(ma (A) + ma (a)) −
Nach der Entdeckung des Neutrons führten
− (ma (B) + ma (b))]c2 .
1934 F. Joliot (1900 bis 1958) und I. Curie
(1887 bis 1956) die erste Kernreaktion durch, In Tabelle 8.9 sind einige stabile und insta-
bei der ein künstliches radioaktives Nuklid bile Nuklide jeweils mit der Nuklidmasse,
entstand: Halbwertszeit, Häufigkeit und dem Wirkungs-
querschnitt zusammengestellt. Anhand dieser
13 Al + 2 α →
27 4 30 1
15 P + 0 n + ΔE , Werte errechnet sich der ΔE-Wert für die
15 P → 14
30 30
Si + 01 e + ΔE . Reaktion, 94 Be (α, n) 126 C zu 5,7 MeV. Diese
Reaktion ist exoergisch, und das α-Teilchen
Zur Vereinfachung der Reaktionsgleichung
muss lediglich die elektrische Abstoßung
wird folgende Kurzschreibweise eingeführt:
durch die positive Kernladung überwinden.
4 Be + 2 α → 6 C
9 4 12
+ 10 n + ΔE Für die (n, γ)-Reaktion 164 66 Dy (n, γ) 66 Dy
165

9 12 ergibt sich ein ΔE-Wert von 5,63 MeV. Die


4 Be (α, n) 6 C .
bei der exoergischen Reaktion frei werdende
Diese (α, n)-Reaktion dient zur Herstellung Energie verteilt sich auf den Produktkern B
von Neutronen im Labor. und das Produktteilchen b unter Berücksich-
tigung des Impulserhaltungssatzes. Für die
8.8.2.1 Energetik (n, γ)-Reaktion ergibt sich, dass nahezu der
Die Kernreaktion kann allgemein geschrieben gesamte Energiebetrag ΔE als γ-Quant(en)
werden als ausgesendet wird.

Tabelle 8.9 Daten einiger Nuklide

Nuklid Häufigkeit in % Nuklidmasse in u Halbwertszeit T Wirkungsquerschnitt


für thermische
Neutronen

4 He 100 4,00260325 –
9 Be 100 9,0121825 – 0,0092 barn
10 B 20 10,0129380 – 0,5 barn
11 B 80 11,0093053 – 0,005 barn
12 C 98,89 12,00000000 – 0,0034 barn
17 N 17,008449 4,61 s
21 Mg 21,011715 122,5 ms
113 Cd 12,26 112,9044013 – 20 000 barn
115 Cd 114,905429 53,45 h
8.8 Kernumwandlung 731

Eine endoergische Reaktion (ΔE < 0) kann nur


ablaufen, wenn das Projektil a eine minimale
Energie ES mitbringt. Diese Schwellenenergie
ist infolge der Impulserhaltung größer als ΔE:


ma (a)
ES = −ΔE 1 + . (8.92)
ma (A)

13 Al (α, n) 15 P mit ΔE =
Für die Reaktion 27 30

−2,65 MeV ergibt sich ES zu 3,04 MeV.


Beim Ablauf der Kernreaktion mit gelade-
nen Teilchen muss die Abstoßungsenergie zwi- Abb. 8.66 Darstellung der Kernreaktion über einen
schen gleichnamig geladenen Teilchen berück- Compoundkern im Energiediagramm
sichtigt werden (Coulomb-Wall VC ). Es gilt
poundkern. Für Protonen und Neutronen be-
Za ZA trägt diese Energie im Mittel 8 MeV. Je nach
VC = 1,44 . (8.93)
R Energie des Projektils Ea wird ein angereg-

Tabelle 8.10 Kernreaktionen


Hierin ist VC die Höhe des Coulomb-Walls in
MeV, Za die Ladung des Projektils und ZA die Bezeichnung Beschreibung
Ladung des Targetkerns jeweils in Vielfachen
der Elementarladung sowie R die Summe der Austausch- Ein Teilchen gelangt in den Kern,
reaktion ein anderes wird dafür emittiert.
Radien von A und a in fm (R = R0 (Aa1/ 3 +
(p, n); (d, p); (α, p)
AA1/ 3 ), R0 = 1,2 fm).
Einfang- Das einfallende Teilchen verbleibt
Für die Reaktion 94 Be (α, n) 126 C ergibt sich reaktion im Kern. Die Anregungsenergie
ein Coulomb-Wall von VC = 3,16 MeV. Auf- wird durch Emission von γ-Quan-
grund dieses Ergebnisses dürfte die Kernre- ten frei.
aktion klassisch nur mit α-Teilchen mit einer (n, γ)
Energie > 3,16 MeV ablaufen. Durch den Tun- elastische Das einfallende Teilchen wird,
neleffekt (Abschn. 8.2.2) ist die (α, n)-Reaktion Streuung ohne den Kern anzuregen, wieder
emittiert.
auch mit α-Teilchen geringerer Energie mög-
(n, n)
lich.
inelastische Das Teilchen gibt einen Teil seiner
Wie beim radioaktiven Zerfall können auch die Streuung Energie als Anregungsenergie an
Kernreaktionen in einem Energiediagramm den Kern.
dargestellt werden. Abbildung 8.66 zeigt ein (n, n )
allgemeines Energiediagramm. Aus dem Tar- inelastische Teilchen werden aus dem Kern
get und dem Projektil (A + a) bildet sich ein Stöße durch energiereiche Teilchen
Zwischenkern (Compoundkern C) mit einer herausgeschlagen.
(n, 2n); (d, 2n)
Lebensdauer < 10−16 s. Der Grundzustand des
Zwischenkerns liegt im Allgemeinen tiefer als Kernspaltung Der Kern zerfällt beim Beschuss
in zwei oder mehrere Bruchstücke.
der Ausgangszustand (A + a) aufgrund der (n, f); (γ, f)
Bindungsenergie EB,a des Projektils im Com-
732 8 Atom- und Kernphysik

ter Zustand des Compoundkerns erreicht, von Die Einheit des Wirkungsquerschnitts ist das
dem aus verschiedene Zerfallsreaktionen ab- barn (1 b = 10−28 m2 ) und entspricht etwa der
laufen können. Bei (n, γ)-Reaktionen (1) geht Kernquerschnittsfläche. Der Wirkungsquer-
der angeregte Compoundkern unter Aussen- schnitt ist abhängig von dem Reaktionstyp,
dung von γ-Quanten in den Grundzustand der Energie des Projektils und dem Ziel-
über. Viele der so entstandenen Reaktionspro- kern (Target). Er kann ein Vielfaches der
dukte sind infolge des Neutronenüberschusses Kernquerschnittsfläche betragen. Dies ist nur
β− -Strahler. Der Compoundkern kann auch quantenmechanisch durch die Welleneigen-
über den Weg 2 oder 3 in B + b bzw. B + b schaften zu erklären. Jedem Reaktionstyp
zerfallen. In Tabelle 8.10 sind einige Kernreak- eines bestimmten Kerns A mit dem Projektil,
tionen zusammengestellt. Welche der mögli- beispielsweise Neutronen n, muss ein Wir-
chen Kernreaktionen ablaufen, wird durch die kungsquerschnitt zugeordnet werden (z. B.
Energie und Art des Projektils bestimmt. σ(n,
A
n) , σ(n, γ) , σ(n, p) , …; partielle Wirkungs-
A A

querschnitte). Der totale Querschnitt oder


8.8.2.2 Wirkungsquerschnitt Gesamtwirkungsquerschnitt σtA ergibt sich
Der Wirkungsquerschnitt σ gibt die Wahr- durch Addition der partiellen Wirkungsquer-
scheinlichkeit an, mit der eine Kernreaktion schnitte:
stattfindet. Stellt man sich die Atomkerne als
kleine Zielscheiben bestimmter Fläche vor, die σtA = σ(n,
A
n) + σ(n, γ) + · · · .
A
(8.94)
mit Projektilen a beschossen werden, so wird
immer dann eine Kernreaktion (a, b) ablaufen, Durch Bestrahlung von 27
13 Al mit Neutronen
wenn ein Projektil die Zielscheibe trifft, wie in können folgende Kernreaktionen ablaufen:
Abb. 8.67 verdeutlicht. Damit ergibt sich die
Trefferanzahl pro Zeit zu

Zeit =
Trefferzahl Projektilteilchen a
Fläche·Zeit · Wahrscheinlichkeit
des Treffers
d N / dt = Φ · NA σ .

Φ ist die Projektilflussdichte in m−2 s−1 , NA


die Anzahl der Kerne A im Target und σ der
Wirkungsquerschnitt (Fläche der Zielscheibe
je Atom in m2 ).
Die Abhängigkeit des Wirkungsquerschnitts
von der Projektilenergie wird als Anregungs-
funktion bezeichnet. Abbildung 8.68 zeigt die
Anregungsfunktionen des 27 13 Al für die unter-
schiedlichen Reaktionen. Der Wirkungsquer-
schnitt kann sich dabei um Größenordnun-
gen ändern und weist u. U. bei bestimmten
Energien ein Maximum auf. Dies wird beson-
ders beim Verlauf des totalen Wirkungsquer-
schnitts für Neutronen mit Cd in Abb. 8.69
deutlich. Bei bestimmten Neutronenenergien
Abb. 8.67 Zum Begriff Wirkungsquerschnitt treten Maxima des Wirkungsquerschnitts (Re-
8.8 Kernumwandlung 733

Abb. 8.68 Wirkungsquerschnitt von 27 Al für


verschiedene Kernreaktionen in Abhängigkeit von der
Neutronenenergie Abb. 8.70 Darstellung der Aktivierungsgleichung

Die Lösung dieser Differentialgleichung ergibt


für NY in Abhängigkeit von der Zeit

σΦNX
NY = (1 − e−λY tB ) . (8.96)
λY

Diese Gleichung ist in Abb. 8.70 für zwei unter-


Abb. 8.69 Wirkungsquerschnitt von Cadmium in
schiedliche Halbwertszeiten dargestellt. Nach
Abhängigkeit von der Neutronenenergie
der Bestrahlungszeit tB zerfällt das Radionuk-
lid mit der Halbwertszeit TY .
sonanzen) auf, wenn die Energie des Teil-
chens einem Wert entspricht, der genau zu ei- 8.8.3 Kernspaltung und Kernreaktoren
nem Energieniveau des Zwischenkerns führt
(Abb. 8.66). Analoge Resonanzen treten in der 8.8.3.1 Kernspaltung
Elektronenhülle auf, wenn die Strahlungsener- Durch Bestrahlung schwerer Atomkerne mit
gie einer Energiedifferenz der Elektronennive- geeigneten Teilchen a (z. B. n, p, d, α) kann eine
aus entspricht. Kernspaltung ausgelöst werden. Eine solche
In den meisten Fällen ist der durch die Kern- Spaltung wird im Gegensatz zur Spontanspal-
reaktion X(x, y)Y gebildete Kern Y radio- tung als künstliche Spaltung (kurz Kernspal-
aktiv und zerfällt mit der Zerfallskonstan- tung) bezeichnet. Die erste künstliche Kern-
ten λY (λY = ln 2/ TY ). Für die Änderungsrate spaltung wurde von O. Hahn (1879 bis 1968)
dN / dt der Kerne Y gilt und F. Strassmann (1902 bis 1980) 1938 bei
dem Versuch der Herstellung von Transuran-

dNY elementen entdeckt.
Bildung = Φ NX σ ⎥ Die wichtigste Spaltreaktion ist die (n, f)-
dt ⎥→d NY
dNY ⎦ dt Reaktion. Die Spaltung wird dabei durch ther-
Zerfall = −λY NY mische Neutronen (E ∼ 10−2 eV) ausgelöst:
dt
= NX Φσ − λY NY (8.95) A + n → (C ) → B + D + νn + ΔE .
Compoundkern
734 8 Atom- und Kernphysik

Aus dem schweren Kern A bildet sich durch


Neutroneneinfang der Compoundkern C.
Dieser zerfällt in zwei mittelschwere Kerne
B und D unter Aussendung mehrerer Neu-
tronen. In Tabelle 8.11 sind für einige Kerne
die Wirkungsquerschnitte σ(n, f) und die
Neutronenzahl ν für die Kernspaltung mit
thermischen Neutronen zusammengestellt.
Für (g, u)-Kerne (z. B. 233 U, 235 U, 239 Pu und
241
Pu) ist der Wirkungsquerschnitt besonders
groß, verglichen mit (g, g)-Kernen (z. B. 238 U, Abb. 8.71 Abhängigkeit des Spaltungsquerschnitts
240
Pu und 232 Th). Dies ist darauf zurück- von der Neutronenenergie. (Das Resonanzgebiet ist
zuführen, dass die Bindungsenergie eines nur angedeutet.)
zusätzlichen Neutrons für (g, u)-Kerne be-
sonders groß ist, sodass die Energieschwelle
stoff 235 U in Abb. 8.72 gezeigt. Durch Neu-
für die Kernspaltung leichter überschritten
troneneinfang bildet sich aus 235 U der Com-
werden kann. Dies führt zu einem großen
poundkern 236 U. Dabei wird die Bindungs-
Wirkungsquerschnitt σ(n, f) . Abbildung 8.71
energie des Neutrons in Höhe von etwa 6 MeV
zeigt die Energieabhängigkeit des Spaltungs-
frei. Der angeregte Kern führt Deformations-
querschnitts σ(n, f) für 238 U, 235 U und 239 Pu.
schwingungen aus (vergleichbar mit einem
Das Resonanzgebiet zwischen 1 eV und 1 keV
schwingenden Wassertropfen). Bei großen De-
ist nur angedeutet.
formationen des Kerns ist die langreichwei-
Der Ablauf der Kernspaltung durch thermi-
tige Coulomb-Abstoßung der Protonen grö-
sche Neutronen ist für den wichtigen Spalt-
ßer als die kurzreichweitige Kernkraft, sodass
der Kern instabil wird und in zwei Bruch-
stücke zerfällt. Von der Neutronenabsorption
Tabelle 8.11 Wirkungsquerschnitt σ(n, f) bis zur kritischen Deformation dauert es etwa
10−15 s. Die entstandenen Spaltprodukte liegen
Nuklid Kerntyp σ(n, f) in barn Neutronen-
in hochangeregten Zuständen vor und zerfal-
zahl ν
len innerhalb von 10−14 s unter Aussendung
227 Th (g, u) ≈ 200 von γ-Strahlung und Abdampfen von Neu-
229 Th (g, u) 31 tronen (prompte Neutronen) in den Grund-
232 Th (g, g) 0,00004 zustand. Diese sogenannten primären Spalt-
230 Th (g, g) 0,0012 2,08 ± 0,02
produkte zerfallen durch β− -Zerfall und Aus-
233 U (g, u) 531 3,13 ± 0,06
senden von γ-Quanten über mehrere Nuklide
235 U (g, u) 582 2,43 ± 0,07
238 U (g, g) < 0,0005 (sekundäre Spaltprodukte) in stabile Kerne.
239 U (g, u) ≈ 14 Zwei dieser Spaltketten sind in Abb. 8.73 ge-
239 Np (u, u) 2500 zeigt. In einer Zeit von 0,2 s bis 54 s nach der
237 Np (u, g) 0,019 Spaltung treten durch Neutronenzerfall von
238 Np (u, u) 2070 Spaltprodukten sogenannte verzögerte Neu-
239 Pu (g, u) 743 2,874 ± 0,138 tronen auf. Der Bruchteil dieser verzögerten
240 Pu (g, g) ≈ 0,03 2,884 ± 0,007
Neutronen beträgt bei der Spaltung des 233 U
241 Pu (g, u) 1009 2,969 ± 0,023
0,0026, bei 235 U 0,0065 und bei 239 Pu 0,0021.
8.8 Kernumwandlung 735

Abb. 8.72 Zeitlicher Verlauf bei der Kernspaltung

Die Häufigkeit der Spaltprodukte von 235 U bei trische Spaltung auf. Die Maxima der Kurve
der Spaltung durch thermische Neutronen ist liegen im Bereich der Massenzahlen 90 bis
in Abb. 8.74 in Abhängigkeit von der Massen- 100 und 133 bis 143 mit einer Spaltausbeute
zahl gezeigt. Es tritt bevorzugt eine asymme- von etwa 6%. Für die symmetrische Spaltung
(A = 236/ 2) beträgt die Spaltausbeute le-
diglich 10−2 %. Die Häufigkeitsverteilung der
Spaltprodukte sieht für 233 U und 239 Pu ähnlich
aus.

Abb. 8.74 Massenverteilungskurve bei der Spaltung


Abb. 8.73 Spaltkette von 235 U von 235 U mit thermischen Neutronen
736 8 Atom- und Kernphysik

Abb. 8.75 Verteilung der Spaltenergie auf die Spaltprodukte

Der bei der Spaltung frei werdende Energie- die Energie je Spaltung um den Wert der Bin-
betrag ΔE kann aus der Bindungsenergiekurve dungsenergie der Neutronen. Im Mittel wird je
(Abb. 8.53) abgeschätzt werden. Für 235 U ergibt Kernspaltung des 235 U eine nutzbare Energie
sich ein Energiegewinn von 0,86 MeV je Nu- von 200 MeV frei.
kleon oder 200 MeV je Spaltung. Diese Ener- Für die Berechnung der Energie, die aus 1 kg
gie verteilt sich zu 85% auf die Spaltprodukte spaltbaren Materials 235 U in einem Kernreak-
als kinetische Energie. Abbildung 8.75 zeigt tor gewonnen werden kann, muss berücksich-
die Energieverteilung auf die Reaktionspro- tigt werden, dass ein Teil des spaltbaren Ma-
dukte. Durch Umwandlung dieser Spaltener- terials durch (n, γ)-Reaktion in weniger leicht
gie in Wärme kann mittels einer Dampfturbine spaltbares Material umgewandelt wird. Dieser
elektrische Energie erzeugt werden (Kernreak- Anteil ergibt sich aus dem Verhältnis der Wir-
toren). kungsquerschnitte für Spaltung und Absorp-
tion (σ(n,f) /σ(n,γ) = 0,839):
8.8.3.2 Kernreaktoren 1 000 g
Die kinetische Energie der Spaltprodukte und E = 200 · 106 eV · 0,839 ·
235 g/mol
die Energie des β-Zerfalls werden in unmittel- 1
· 6,022 · 1023 ,
barer Nähe des Zerfallsorts in Wärme umge- mol
wandelt. Die Energie der Neutronen und der E = 6,89 · 1013 Ws = 6,89 · 1010 kJ
γ-Strahlung steht nur dann als Wärme zur = 797 MWd .
Verfügung, wenn diese im betreffenden Me-
dium absorbiert wird. Die Energie der Neutri- Zum Vergleich: Bei der Verbrennung von 1 kg
nos geht infolge der geringen Wechselwirkung Kohlenstoff wird eine Energie von 34 · 103 kJ
verloren. Durch Neutroneneinfang erhöht sich frei (5 · 107 mal weniger als für 1 kg 235 U).
8.8 Kernumwandlung 737

Voraussetzung für die Energiegewinnung schnellen Neutronen (Energie einige MeV)


durch Kernspaltung ist das Freiwerden von weitere 235 U-Kerne spalten können, müssen
2 bis 3 Neutronen je Spaltung, um eine Ket- sie durch Streuprozesse auf thermische Ener-
tenreaktion zu ermöglichen. Die Spaltung gie abgebremst werden. Dies erfolgt in einem
eines 235 U-Kerns führt zu 2 Neutronen, die Moderator, der aus leichten Atomen mit ge-
ihrerseits eine Spaltung induzieren und somit ringen Einfangsquerschnitten, beispielsweise
2 · 2 Neutronen freisetzen. Diese 4 Neutronen Wasser oder Graphit, besteht. Zur Therma-
erzeugen durch Kernspaltung 2 · 4 Neutronen lisierung von Spaltneutronen sind im Mittel
und so fort. Für diese Kettenreaktion ist der 18 Stöße mit Wassermolekülen, dagegen 2 170
Multiplikationsfaktor k = 2, da je Neutron 2 mit Uranatomen notwendig (Ausgangsenergie
Neutronen erzeugt werden. Um eine kontrol- En = 1,75 MeV; Endenergie En = 0,025 eV). Bei
lierte Kettenreaktion zur Energiegewinnung der Thermalisierung der Neutronen entstehen
aufrecht zu erhalten, muss k = 1 sein. Verluste durch Neutroneneinfang des 238 U im
In Abb. 8.76 ist die Neutronenbilanz für einen Resonanzgebiet (p). Damit eine Spaltung auf-
idealisierten (unendlich ausgedehnten) Reak- tritt, muss das thermische Neutron vom Spalt-
tor dargestellt. Ein Neutron erzeugt durch die stoff absorbiert werden ( f ). Diese Absorption
Kernspaltung ν schnelle Neutronen (ν = 2,43 führt mit der Wahrscheinlichkeit p∗ zu einer
für 235 U). Infolge der Spaltung von 238 U mit Spaltung. Diese Spaltwahrscheinlichkeit p∗ er-
schnellen Neutronen werden ε − 1 zusätzli- gibt sich aus dem Verhältnis des Spaltquer-
che schnelle Neutronen erzeugt. Damit diese schnitts zum Gesamtabsorptionsquerschnitt.

Abb. 8.76 Neutronenbilanz bei der Thermalisierung schneller Spaltneutronen


738 8 Atom- und Kernphysik

Der Multiplikationsfaktor k∞ für einen idea- nach Größe von keff unterscheidet man drei
len Reaktor ist Fälle:
– keff < 1: Das System ist unterkritisch, die
k∞ = ν ε p f p∗ = η ε p f . (8.97) Kettenreaktion kann nicht ablau-
fen.
Der Vermehrungsfaktor η = νp∗ gibt die An- – keff = 1: Das System ist kritisch, die Ketten-
zahl der schnellen Neutronen an, die für je- reaktion ist möglich.
des im Spaltstoff absorbierte Neutron emittiert – keff > 1: Das System ist überkritisch.
werden. Abbildung 8.77 zeigt η für verschie- Durch den Verbrauch an Kernbrennstoff
dene Spaltstoffe in Abhängigkeit von der Neu- und das Entstehen neutronenabsorbierender
tronenenergie. Für 235 U ergibt sich für thermi- Spaltprodukte ist eine bestimmte Überschuss-
sche Neutronen (En ≈ 10−2 eV) mit ν = 2,43 reaktivität δ = keff − 1 erforderlich. Diese wird
der Wert η = 2,07. Es sind also nur 2,07 Neu- durch Kontrollstäbe aus stark neutronenab-
tronen weiterhin nutzbar, der Rest geht durch sorbierendem Material (z. B. Cadmium, Bor)
die (n, γ)-Reaktion mit 238 U verloren. gesteuert. Das Auftreten verzögerter Neutro-
Beim realen Reaktor muss der Neutronenver- nen spielt bei der Regelung des Reaktors eine
lust durch die endliche Ausdehnung des Reak- wichtige Rolle, da durch sie eine Verlängerung
torkerns berücksichtigt werden. Der effektive der Regelzeit hervorgerufen wird.
Multiplikationsfaktor ist
8.8.3.3 Reaktortypen
Die Einteilung der Reaktoren kann nach
keff = k∞ L . (8.98)
verschiedenen Gesichtspunkten erfolgen,
beispielsweise nach dem
L ist die Leckage, d. h. die Wahrscheinlichkeit,
– Brennstoff (z. B. Uranoxid, Uran-Pluto-
dass ein Spaltneutron im Reaktor verbleibt. Je
niumoxid (MOX)),
– Moderator (z. B. leichtes Wasser, schweres
Wasser (D2 O), Graphit),
– Kühlmittel (z. B. gasgekühlte, wasserge-
kühlte, natriumgekühlte Reaktoren).
In Abb. 8.78 bis 8.80 sind einige Reaktortypen
mit ihren charakteristischen Daten beschrie-
ben.
Für den Betrieb eines Druckwasserreaktors
(Abb. 8.78) mit 235 U als Spaltstoff muss die-
ser etwa auf 5% angereichert werden (natür-
licher 235 U-Gehalt 0,72%). Die abgebrannten
Brennstoffelemente enthalten noch etwa 0,8%
235
U. Die gewonnene Energie stammt dabei zur
Hälfte aus der Spaltung von 239 Pu, das durch
Neutroneneinfang aus 238 U gebildet wird.
Abb. 8.77 Vermehrungsfaktor in Abhängigkeit von Das Verhältnis neu gebildeter spaltbarer
der Neutronenenergie für verschiedene Spaltstoffe Atome zur Anzahl der gespaltenen Atome
8.8 Kernumwandlung 739

Abb. 8.78 a) Reaktorgebäude, b) Reaktordruckbehälter und c) Brennstoffelement eines Druckwasserreaktors.


Werkbilder: Kraftwerk-Union
740 8 Atom- und Kernphysik

Abb. 8.79 Reaktorgebäude, Reaktorkern und Brennelement eines Hochtemperaturreaktors. Werkfoto:


Hochtemperatur-Reaktorbau GmbH

wird als Konversionsfaktor bzw. Brutrate Zur Beurteilung der Möglichkeit eines Brut-
bezeichnet. Ist die Brutrate größer als 1, so reaktors ist der Vermehrungsfaktor η wichtig.
erzeugt der Reaktor mehr spaltbares Material Aus Abb. 8.77 ist zu erkennen, dass 239 Pu als
als er verbraucht (Brutreaktor s. Abb. 8.80). Spaltstoff mit thermischen Neutronen (En ≈
Folgende Kombinationen von Spalt- und 10−2 eV) lediglich den Wert 2,1 hat. Dieser
Brutstoff sind sinnvoll: Wert ist zur Aufrechterhaltung einer Ketten-
reaktion zu gering. Für schnelle Neutronen
(En ∼ MeV) steigt der η-Wert auf 2,93 an. Des-
halb ist ein Brutreaktor auf der Basis Uran-
238/Plutonium-239 nur mit schnellen Neu-
tronen durchführbar (schneller Brutreaktor).
8.8 Kernumwandlung 741

Abb. 8.80 Reaktortank und Brennelemente eines schnellen Brutreaktors. Werkfoto: Schnell-Brüter-
Kernkraftwerksgesellschaft

Für 233 U als Spaltstoff beträgt der η-Wert Kohlenstoff-Zyklus


6 C + 1 p → 7 N → 6 C + e + νe
für thermische Neutronen 2,3 und damit ist 12 1 13 13 +

ein thermischer Brüter möglich. Im Thorium-


6C + 1p → 7N + γ
13 1 14
Hochtemperaturreaktor (Abb. 8.79) wird ein
7 N + 1 p → 8 O → 7 N + e + νe
14 1 15 15 +
Konversionsfaktor nahe bei 1 erreicht.
7 N + 1 p → 6 C + 2 He
15 1 12 4

8.8.4 Kernfusion Bruttoreaktion 4 11 p → 42 He + 2 e+ + 2 νe + ΔE


Die Bruttoreaktion ist für beide Zyklen gleich.
8.8.4.1 Fusionsreaktion
Aus der Massendifferenz errechnet sich ΔE =
Aus Abb. 8.53 ist ersichtlich, dass eine Ver-
(4ma (H) − ma ( 4 He) − 4me )c2 zu 24,69 MeV.
schmelzung (Fusion) leichter Kerne, z. B. Was-
Zur Überwindung der Coulomb-Abstoßung
serstoff zu Helium, zu einem Energiegewinn
zwischen den gleichnamig geladenen Kernen
führt. Solche Fusionsreaktionen laufen stän-
müssen die Kerne eine ausreichende kineti-
dig in der Sonne und in Fixsternen ab. Man un-
sche Energie Ekin haben. Aus der kinetischen
terscheidet hierbei zwischen dem Deuterium-
Gastheorie ergibt sich für die wahrschein-
Zyklus und dem Kohlenstoff-Stickstoff-Zyklus.
lichste kinetische Energie (Maximum der Max-
Deuterium-Zyklus well’schen Geschwindigkeitsverteilung 2w =
1 p + 1 p → 1 D + e + νe (langsam)
1 1 2 +
2/ 32 , Abschn. 3.2.3)
1 D + 1 p → 2 He + γ
2 1 3
(rasch)
→ m 2
3
2 He + 3
2 He 4
2 He + 2 1
1 (rasch)
p Ekin = = kT . (8.99)
2 w
Bruttoreaktion 4 1 p → 42 He + 2 e+ +
1
2 νe + ΔE
742 8 Atom- und Kernphysik

k ist die Boltzmann-Konstante. Zur Über-


windung der Proton-Proton-Abstoßung ist
eine Energie von etwa 0,5 MeV nötig. Dies
entspricht nach (8.99) einer Temperatur von
T = 5,8 · 109 K. Die Temperatur im Sonnen-
innern beträgt etwa 1,5 · 107 K. Da für den
Kohlenstoff-Stickstoff-Zyklus eine etwa vier-
mal höhere Temperatur erforderlich ist als für
den Deuterium-Zyklus, läuft dieser bevorzugt
auf Sternen ab, deren Innentemperatur größer
ist als die der Sonne.
Bei der Explosion einer Wasserstoffbombe fin-
det eine Kernfusion statt. Die für die Fusion
benötigten hohen Temperaturen werden hier-
bei durch eine Kernspaltung erzeugt.
Für die Durchführung der Kernfusion zur
Energiegewinnung kann man folgende Fusi-
onsreaktionen in Betracht ziehen:
2 3
1D + 1T → 42 He + 10 n + 17,61 MeV
2 2
1D + 1D → 32 He + 10 n + 3,27 MeV
Abb. 8.81 Abhängigkeit des Wirkungsquerschnitts
2 2
1D + 1D → 31 T + 11 p + 4,03 MeV von der Deuteronenenergie für die Kernfusion
2 3
1 D + 2 He → 42 He + 11 p + 18,35 MeV
1 11
1p + 5B → 342 He + 8,7 MeV .
ist im Gegensatz zu Deuterium instabil (β-
Aus diesen Reaktionsgleichungen ist er- Zerfall, T = 12,3 a) und kommt deshalb in der
sichtlich, dass die Bildung des stabilen Natur praktisch nicht vor. In einer den Reak-
4
2 He große Energiebeträge freisetzt. Abbil- torraum umschließenden Lithiumwand, dem
dung 8.81 zeigt den Wirkungsquerschnitt σ „Blanket“, wird das Tritium durch folgende
der Fusionsreaktion D-T und D-D in Ab- Reaktionen gebildet:
hängigkeit von der Deuteronenenergie. Die 7
3 Li + 10 n → 42 He + 31 T + 10 n − 2,47 MeV
Deuterium-Tritium-Reaktion hat den größten 6
3 Li + 10 n → 42 He + 31 T + 4,78 MeV
Wirkungsquerschnitt und erfordert gleich-
zeitig die geringsten Ausgangsenergien der (Natürliches Lithium enthält 92,6% 7 Li und
Stoßpartner. Dies führt bei der Anwendung 7,4% 6 Li.) Deuterium steht praktisch in un-
in einem Fusionsreaktor zur größtmöglichen begrenzter Menge in den Weltmeeren zur
Leistungsdichte und geringsten Brenntempe- Verfügung, Lithium findet sich in Lithium-
ratur. Die freigesetzte Energie verteilt sich mit Lagerstätten, mineralhaltigen Quellen und
14 MeV auf das Neutron und mit 3,5 MeV auf im Meerwasser. Bei den gegenwärtigen Ex-
den Heliumkern. Während der Heliumkern perimenten wird auf das radioaktive Tritium
im Reaktorraum bleibt und zur Aufrechterhal- verzichtet und durch Wasserstoff oder Deute-
tung der Brenntemperatur beiträgt, verlässt rium ersetzt.
das Neutron den Reaktorraum und erzeugt Aus Abb. 8.81 ist ersichtlich, dass für den Ab-
(erbrütet) den Brennstoff Tritium. Tritium lauf der Fusion aufgrund des Wirkungsquer-
8.8 Kernumwandlung 743

schnitts eine Teilchenenergie von mehr als


100 keV nötig ist (entspricht einer Tempera-
tur von 108 K). Bei dieser Temperatur sind
die Atome vollständig ionisiert. Ein solches
Gas aus Ionen und Elektronen nennt man
Plasma. Wegen der freien Ladungsträger und
des meist hohen Energieinhalts weichen die
Eigenschaften des Plasmas von den sonstigen
Zustandsformen der Materie ab. Plasmen wei-
sen ein besonderes Verhalten in elektrischen
und magnetischen Feldern auf und zeigen cha-
rakteristische Transporteigenschaften (Wär-
meleitung, Viskosität, Diffusion und elektri-
sche Leitfähigkeit). Sie können Strahlung vom
Hochfrequenz- bis zum Röntgenbereich emit-
tieren.
Zur Zündung des Plasmas muss dieses zu-
erst durch äußere Energiezufuhr auf eine
Temperatur aufgeheizt werden, bei der ge-
nügend Fusionsreaktionen ablaufen, sodass Abb. 8.82 Lawson-Diagramm
die frei werdende Fusionsenergie die Tem-
peratur ohne äußere Heizung aufrechterhält.
Dies bedeutet ein Gleichgewicht zwischen ab der ein Fusionsreaktor mit positiver
der Heizung durch die Fusions-Heliumkerne Energiebilanz möglich ist. Für die Deuterium-
(Deuterium-Tritium-Plasma) und den Ener- Tritium-Reaktion ergibt sich eine Temperatur
gieverlusten durch Abstrahlung und Wär- von 108 K und ein Einschlussparameter von
meleitung. Die das Plasma verlassenden etwa 1014 s/cm3 . Abbildung 8.82 zeigt den ge-
Neutronen werden im Blanket abgebremst, nauen Verlauf des Einschlussparameters mit
ihre Energie wird als thermische Energie der Temperatur für die Deuterium-Tritium-
frei und kann in einem Fusionsreaktor über Reaktion (Lawson-Diagramm). In dieses
Dampferzeuger, Turbine und Generator in Diagramm sind die bisher in Fusionsexperi-
elektrische Energie umgewandelt werden. menten erreichten Einschlussparameter als
Außer der Temperatur ist für die Zün- graue Punkte eingezeichnet. Die rot schraf-
dung eines Plasmas die Teilchendichte n fierten Gebiete geben den erwarteten Bereich
(Teilchen/cm3 ) und die Energieeinschluss- der laufenden Experimente an.
zeit τ wichtig. Je besser die Wärmeisolie-
rung des Plasmas ist – je geringer also die 8.8.4.2 Experimente zur kontrollierten Kernfusion
Energieverluste sind –, desto größer ist die Zur Erfüllung des Lawson-Kriteriums muss
Energieeinschlusszeit. Bereits 1957 wurden das Plasma bei geeigneter Zündtemperatur
von J. D. Lawson Minimalwerte für die (108 K) hinreichend lange ohne Wandkontakt
Temperatur T und den Einschlussparameter zusammengehalten werden. Die dafür not-
(Produkt aus Teilchendichte n und Energieein- wendige Einschlusszeit τ ist umso kleiner, je
schlusszeit τ) aufgestellt (Lawson-Kriterium), größer die Plasmadichte n ist.
744 8 Atom- und Kernphysik

Abb. 8.83 Plasmaeinschluss-Verfahren zur Kernfusion. Fotos: Max-Planck-Institut für Plasmaphysik, Garching

Im Prinzip gibt es zwei voneinander unab- durch die Dichte und Temperatur. Bei den
hängige Wege, diese Bedingungen zu erfül- Zündbedingungen herrscht ein Plasmadruck
len: den Trägheitseinschluss und die Anwen- von etwa 1 bar, der Magnetfelder in der Grö-
dung von Magnetfeldern, wie Abb. 8.83 zeigt. ßenordnung 5 T bis 10 T erfordert. Bei einer li-
Beim Trägheitseinschluss werden kleine Men- nearen Anordnung treten Teilchenverluste an
gen aus festem Deuterium und Tritium (Pel- den Enden auf, da das Plasma längs der Feldli-
lets) durch Hochleistungslaser (oder auch mit nien ungehindert ausströmen kann. Diese Ver-
Elektronen- oder Ionenstrahlen) aufgeheizt. luste können durch „magnetische Spiegel“ mit
Das entstehende Plasma wird infolge seiner stark erhöhter Magnetfeldstärke an den Enden
eigenen Massenträgheit (ohne Magnetfelder) vermindert werden.
für eine bestimmte Zeit zusammen bleiben, Das Ausströmen des Plasmas wird durch Aus-
die ausreichen sollte, um durch Fusionsreak- bildung von toroidalen Anordnungen verhin-
tionen einen Energieüberschuss zu erreichen. dert. Hierbei sind die Magnetfeldlinien zu Rin-
Durch Anlegen von Magnetfeldern werden gen geschlossen und bilden einen magneti-
beim magnetischen Einschluss die geladenen schen Torus. Die Magnetfeldstärke nimmt mit
Teilchen auf Spiralbahnen um die Magnetfeld- kleiner werdendem Radius zu, sodass der ma-
linien gezwungen. Dadurch kann der gaskine- gnetische Druck auf der Innenseite des To-
tische Druck des Plasmas durch ein äußeres rus größer ist als auf der Außenseite. Dadurch
Magnetfeld aufgefangen werden. Der Druck würde das Plasma innerhalb kurzer Zeit ge-
des Magnetfelds ist durch das Quadrat der gen die Außenwand gedrückt. Durch geeig-
Feldstärke bestimmt, der Druck des Plasmas nete Zusatzfelder muss dies verhindert wer-
8.8 Kernumwandlung 745

den. Das resultierende Feld muss so beschaf- marand und von dort an die Wand des Plas-
fen sein, dass die Feldlinien schraubenförmig magefäßes gestreut werden können. Beim Auf-
um die Torusachse verlaufen und geschlossene treffen der Elektronen, Ionen, Neutralteilchen
magnetische Flussflächen aufspannen. und Neutronen auf die Gefäßwand oder durch
In Abb. 8.83 sind zwei Anordnungen zum Er- Strahleneinwirkung können Atome von der
reichen dieser Verdrillung gezeigt. Beim Toka- Wand gelöst werden und das Plasma verunrei-
mak bildet das Plasma die Sekundärwicklung nigen. Besonders problematisch sind Schwer-
eines Transformators. Es entsteht ein Plasma- metalle, da sie bei den Fusionstemperatu-
strom, der ein ringförmiges Magnetfeld er- ren erst teilweise ionisiert sind und deshalb
zeugt (poloidales Feld). Die Überlagerung von intensive Linien- und Rekombinationsstrah-
poloidalem und toroidalem Feld führt zu der lung aussenden, die zu einem Energieverlust
notwendigen Verdrillung der Feldlinien. Mit des Plasmas führt. Ein Wolframatom unter
dem Tokamak ASDEX (Axial Symmetrisches 10 000 Plasmateilchen würde die thermonu-
Divertor Experiment) will das Max-Planck- kleare Zündung verhindern.
Institut für Plasmaphysik unter reaktorähn- Der aus dem Plasma an der Gefäßwand an-
lichen Bedingungen vor allem die Plasma- gelagerte Wasserstoff wird durch die Bestrah-
reinhaltung mit einem magnetischen Divertor lung freigesetzt und wieder zurückgeführt.
studieren. Divertoren sind Nebenkammern, Der Rückfluss von kälteren, vorwiegend neu-
die durch besondere Führung des Magnetfel- tralen Wasserstoffatomen von der Gefäßwand
des ober- und unterhalb des Plasmaschlauches in das Plasma spielt bei der Teilchen- und Ener-
entstehen. giebilanz des Plasmas eine wichtige Rolle.
Das Transformatorprinzip funktioniert nur
während der Einschaltphase der zentralen Plasmainstabilitäten
Transformatorspule (zentrale OH-Spule in Eine stromdurchflossene Plasmasäule ist von
Abb. 8.83). Nur dann wird ein Plasmastrom einem zylindrischen Magnetfeld umgeben.
induziert, der das poloidale Feld zur Plasma- Schnürt sich der Plasmaschlauch zufällig
stabilisierung erzeugt. Im Tokamak ist daher an einer Stelle leicht ein, so vergrößert sich
nur Pulsbetrieb möglich. das Magnetfeld und damit der Druck des
Im Gegensatz zu den Tokamaks arbeiten Magnetfeldes auf das Plasma. Dieser Druck
die Stellaratoren nur mit externen Ma- verstärkt die Einschnürung der Plasmasäule,
gnetfeldern und können daher kontinuier- bis es u. U. zur Stromunterbrechung kommt.
lich betrieben werden. Zur Erzeugung der Ein zufälliger Knick in der Plasmasäule führt
schraubenförmigen Feldlinien sollen beim auf der Seite mit dem kleineren Radius zu
Stellarator-Experiment Wendelstein VII-AS einer Magnetfeldvergrößerung und damit zu
am Max-Planck-Institut für Plasmaphysik 45 einer Druckerhöhung in Knickrichtung. Die
unterschiedlich geformte Einzelspulen einge- Instabilität nimmt von selbst zu.
setzt werden. Folgende Problemkreise sind
besonders kritisch: Plasmaheizung
Damit die Kernfusion mit Energiegewinn
Plasmaverunreinigungen abläuft, muss das Plasma auf 108 K aufge-
Im Plasma findet eine Vielzahl von Stößen heizt werden. Die Heizung des Plasmas kann
der Teilchen untereinander statt, durch die die durch Ohm’sche Heizung, Neutralteilchenin-
Teilchen aus dem Plasmainnern an den Plas- jektionsheizung oder Hochfrequenzheizung
746 8 Atom- und Kernphysik

erfolgen. Die Ohm’sche Heizung geschieht Tritium im Kreislauf geführt wird; lediglich
durch einen Plasmastrom (vgl. Tokamak). durch Neutronenaktivierung der Materialien
Durch den Plasmawiderstand wird dem entstehen radioaktive Stoffe.
Plasma Energie (Wärme) zugeführt. Da der
Widerstand des Plasmas mit zunehmender
Temperatur abnimmt, ist diese Methode 8.9 Elementarteilchen
nur zur Anfangsheizung geeignet. – Bei
der Neutralteilcheninjektionsheizung wer- Das Ziel der Elementarteilchenphysik ist die
den geladene Teilchen beschleunigt und vor Aufdeckung und Beschreibung der fundamen-
Einschuss in das Plasma neutralisiert. (Gela- talen Gesetze der Wechselwirkung von Materie.
dene Teilchen können das Magnetfeld nicht Unter Wechselwirkung wird dabei ganz allge-
durchdringen.) Die kinetische Energie der mein jede Kraft oder jeder Einfluss auf Mate-
eingeschossenen Neutralteilchen liegt weit rie verstanden, der zu einer Zustandsänderung
über der der Plasmaionen und wird durch führt.
Stöße an sie übertragen. Die Frage nach den Elementarteilchen ist
Die Ionen und Elektronen eines Plasmas grundlegend mit der Frage nach dem Zusam-
führen verschiedenartige Eigenschwingungen menhalt der Atomkerne (Kernkraft) verbun-
aus, die durch Einstrahlung einer elektroma- den. Um eine Auflösung Δx zu erreichen, ist
gnetischen Welle zur Resonanz angeregt wer- nach der Unschärferelation ΔpΔx / 2 ein
den können. Die spiralförmige Bewegung der Impuls p / (2 Δx) erforderlich. Nach
geladenen Teilchen um die Magnetfeldlinien der Relativitätstheorie kann gemäß E2 = p2 c2
erfolgt mit einer bestimmten Kreisfrequenz + m20 c4 (10.19) die entsprechende Energie be-
(Zyklotronfrequenz). Diese liegt bei Ionen rechnet werden. Zur Ermittlung der inneren
und den üblichen Magnetfeldstärken zwi- Struktur des Protons (Δx ≈ 10−16 m) sind
schen 10 MHz und 100 MHz, für Elektronen Energien in der Größenordnung GeV erfor-
zwischen 60 GHz und 150 GHz. Durch Ein- derlich. Experimente in der Elementarteil-
strahlung mit der entsprechenden Frequenz chenphysik sind deshalb nur mit äußerst leis-
nehmen die Teilchen aus dem elektromagne- tungsstarken Beschleunigeranlagen möglich.
tichen Feld Energie auf und geben sie durch Tabelle 8.12 zeigt die Bauelemente von moder-
Stöße an das Plasma ab. nen Beschleunigeranlagen. Seit den siebziger
Kernspaltung und Kernfusion unterschei- Jahren sind Kollisionsexperimente (Speicher-
den sich in folgenden wichtigen Punkten: ringexperimente) üblich, bei denen die zu-
Die Energiegewinnung aus 1 kg Deuterium sammenstoßenden Teilchen (z. B. e− , e+ , p, p− )
durch Fusion entspricht der Verbrennung von einen entgegengesetzten Impuls haben. Des-
8 · 106 kg Kohle, die aus 1 kg Uran-235 durch halb bleibt der Schwerpunkt des gesamten Sys-
Kernspaltung der von 2 · 106 kg Kohle. Die tems in Ruhe, sodass die doppelte Teilchen-
Kernspaltung kann leicht mit thermischen energie (z. B. für Protonen 2 Ep = 2·270 GeV =
Neutronen in Gang gesetzt werden. Für die 540 GeV) zur Erzeugung neuer Teilchen zur
Kernfusion müssen erst ungewöhnlich hohe Verfügung steht. Um den gleichen Energie-
Temperaturen (108 K) erzeugt werden. Bei betrag (540 GeV) beim Beschuss eines ruhen-
der Kernspaltung entstehen große Mengen den Protons zur Verfügung zu haben, muss
an hochradioaktivem Abfall, im Gegensatz das bewegte Proton eine Energie von 155 TeV
zur Fusionsreaktion, bei dem das radioaktive (1012 eV) haben.
8.9 Elementarteilchen 747

Abb. 8.84 a) Detektor TASSO am DESY, b) Querschnitt des Detektors TASSO. Foto: Deutsches Elektronen-
Synchrotron, Hamburg
748 8 Atom- und Kernphysik

Tabelle 8.12 Bauelemente moderner Beschleunigeranlagen

Bauteil Funktion

Ionenquelle Sie liefert die erforderlichen Teilchen (z. B. Elektronen, Protonen).


Beschleunigungsstrecken Resonatoren (Resonatorfrequenz 30 MHz bis 1 000 MHz), in denen die Teil-
chenpakete je Resonatorlänge Spannungsstöße bis 106 V/m erhalten. Durch
Hintereinanderschalten vieler Resonatoren können Teilchen zu sehr hoher
Energie beschleunigt werden.
Hochfrequenzsender Die Resonatoren werden von Hochfrequenzsenderöhren (Klystron) gespeist
mit einer Dauerleistung von mehr als 1 MW.
Vakuumsystem Die zu beschleunigenden Teilchen müssen in einer Röhre mit Ultrahoch-
vakuum (10−8 mbar) zur Vermeidung von Stößen geführt werden. Dabei
müssen, um die Abgabe von Gasen zu vermeiden, Schweißstellen, Flansche
und die Oberfläche des Materials besonders behandelt werden.
Strahlführungssysteme
Quadrupolmagnete Sie dienen zur Bündelung des Teilchenstrahls.
Sextupolmagnete Stabilisierung des Teilchenstrahls.
Ablenkmagnete Sie sind bei Ringen erforderlich, um die Teilchen auf die Kreisbahn zu
zwingen (Energieverlust durch Synchrotronstrahlung); bei Linearbeschleu-
nigern nicht erforderlich.
Zusatzeinrichtungen Vorbeschleuniger, Einschusssystem, Korrekturelemente, Strahlmess- und
Kontrolleinrichtungen.

Zum Nachweis der Reaktionsprodukte sind nur Art und Energie der Teilchen, sondern
aufwändige Detektoren erforderlich, die nicht auch ihre Richtung genau bestimmen. Abbil-
dung 8.84a zeigt den Detektor TASSO (Two
Arm Spektrometer Solenoid) und Abb. 8.84b
den Querschnitt schematisch. Die vom Com-
puter rekonstruierten Teilchenbahnen (z. B.
π+ , K+ , K− ) für eine Energie von 35 GeV
(e− , e+ ) sind in Abb. 8.85 dargestellt.

8.9.1 Einteilung

Die ersten Elementarteilchen, die Pionen


π+ , π◦ , π− , Myonen μ, Kaonen und Positronen,
wurden in der Höhenstrahlung durch Bestrah-
lung fotographischer Emulsionen oder durch
Nebelkammeraufnahmen nachgewiesen.
In Abb. 8.86 oben sind einige Teilchen mit ih-
ren charakteristischen Größen (Quantenzah-
len) aufgeführt. Die Masse der Teilchen ist
Abb. 8.85 Vom Computer rekonstruierte durch die Beziehung m = E/ c2 in der Einheit
Teilchenbahnen aufgrund der Daten von TASSO MeV/c2 angegeben. Zu jedem Teilchen existiert
8.9 Elementarteilchen 749

ein Antiteilchen mit entgegengesetzter Ladung Die gebildeten Myonen (Leptonen) zerfallen
und entgegengesetzten Werten aller ladungs- nach folgendem Schema:
artigen Quantenzahlen (z. B. B, S, C, I3 ). Alle
anderen Eigenschaften, beispielsweise Masse μ+ → νμ + e+ + νe
und Lebensdauer, stimmen bei Teilchen und μ− → νμ + e− + νe .
Antiteilchen überein. In Abb. 8.86 sind nur
Viele der neu entdeckten Hadronen konnten
für die Leptonen und Quarks die Antiteilchen
als angeregte Zustände anderer Teilchen inter-
mit angegeben (rot). Die grau unterlegten Teil-
pretiert werden. Diese angeregten Zustände
chen sind aus heutiger Sicht stabil. Dies gilt
sind in der Atomphysik mit dem angeregten
auch für die entsprechenden Antiteilchen (so-
Wasserstoffatom vergleichbar. Während die-
fern sie nicht mit anderen Teilchen zusam-
ses beim Übergang in den Grundzustand ein
menkommen). Das Neutron ist nur im ge-
oder mehrere Photonen emittiert, emittieren
bundenen Zustand (z. B. im Atomkern) sta-
die angeregten Hadronenteilchen Pionen. Dies
bil.
weist auf eine innere Struktur der Teilchen hin;
Man unterscheidet zwischen Teilchen mit
diese können deshalb nicht als elementar be-
schwacher (Leptonen) und Teilchen mit star-
trachtet werden.
ker Wechselwirkung, den Hadronen. Die
In Abb. 8.86 unten sind die nach heutiger
Hadronen bestehen aus den Baryonen (Spin J
Sicht elementaren Bausteine (Quarks und
halbzahlig) und den Mesonen (Spin J ganz-
Antiquarks) mit ihren Quantenzahlen zu-
zahlig). Baryonen zerfallen stets direkt oder
sammengestellt. Die Mesonen lassen sich
über einen Umweg in Nukleonen (Protonen
durch ein Quark-Antiquarkpaar und die Ba-
oder Neutronen):
ryonen durch eine Dreier-Quarkkombination
n
+
→ p + e− + νe (T = 918 s) aufbauen. Nach dem Pauli-Prinzip müssen
→ p + π◦ (T = 0,8 · 10−10 s) sich in einem System die Teilchen mit Spin
→ n + π+ s = 1/ 2 (Fermionen) in einer Quantenzahl
Ξ0 → Λ◦ + π◦ (T = 3 · 10−10 s) unterscheiden. Dies erfordert die Einführung
Λ◦ → p + π− einer zusätzlichen Quantenzahl der Farbla-
dung (rot, grün, blau), die weder mit einer
Δ+ (1232) → n + π+ (T = 6 · 10−24 s) . Farbe noch mit einer elektrischen Ladung
Baryonen können im Gegensatz zu Mesonen vergleichbar ist.
weder einzeln erzeugt werden, noch durch Zer- Die Quark-Antiquark-Systeme (Mesonen)
fall verschwinden. Die Mesonen zerfallen in kann man mit einem Positronium vergleichen.
Photonen, Elektronen und Neutrinos: Dieses ist eine wasserstoffähnliche Verbin-
dung aus einem Positron und einem Elektron.
π+ → μ+ + νμ (T = 2,6 · 10−8 s) Analog werden die Quark-Antiquark-Systeme
π− → μ− + νμ (T = 2,6 · 10−8 s) als Quarkonia (z. B. Charmonium cc oder
π◦ → γ + γ (T = 0,83 · 10−16 s) Bottonium bb) bezeichnet. Die Quantenzahlen
→ γ + e+ + e− der Teilchen ergeben sich durch entspre-
ω → π+ + π− + π◦ (T = 10−23 s) chende Addition aus den Quantenzahlen der
π◦ + γ

Quarks gemäß Tabelle 8.13. Die Kombina-
K → μ+ + νμ
+
(T = 1,24 · 10−8 s) tion zweier Quarks kann somit nur Teilchen
→ π+ + π◦ mit ganzzahligem Spin (Mesonen), die von

D+ → K + π+ (T = 7 · 10−13 s) . drei Quarks nur Teilchen mit halbzahligem
750 8 Atom- und Kernphysik
8.9

Abb. 8.86 Elementarteilchen


Elementarteilchen 751
752 8 Atom- und Kernphysik

Tabelle 8.13 Quantenzahlen von Proton und Neutron

Proton p Neutron n

Quarkkombination u +u +d u +d +d
Ladung Q 2/ 3 + 2/ 3 − 1/ 3 = +1 2/ 3 − 1/ 3 − 1/ 3 = 0
Baryonenzahl B 1/ 3 + 1/ 3 + 1/ 3 = +1 1/ 3 + 1/ 3 + 1/ 3 = 1
Isospin I3 1/ 2 + 1/ 2 − 1/ 2 = 1/ 2 1/ 2 − 1/ 2 − 1/ 2 = −1/ 2

Spin (Baryonen) liefern. Höhere Spins als Zwischenraum zwischen den Quarks muss ein
J = 1 ergeben sich durch einen zusätzlichen elektrisch neutrales Füllmaterial enthalten,
Bahndrehimpuls der Quarks, vergleichbar mit dem das Neutrino kaum wechselwirkt.
dem Wasserstoffatom. In Abb. 8.87 ist dies Dieses Füllmaterial wird im Wesentlichen mit
für das cc- System dargestellt. Die Übergänge Trägern der Quarkkräfte (Gluonen) identifi-
zwischen einzelnen Zuständen erfolgen unter ziert.
Aussendung von γ-Quanten.
Streuexperimente mit Elektronen bzw. Neutri- 8.9.2 Erhaltungssätze
nos (Abb. 8.49) zur Untersuchung der inneren
Elektrische Ladung Q
Struktur des Protons ergaben die Existenz von
Die elektrische Ladung eines abgeschlossenen
drei Streuzentren (Quarks) in den Nukleo-
Systems bleibt erhalten:
nen. Zwischen Neutrino und Quark treten
schwache Wechselwirkungskräfte auf, die nur
π− → μ− + νμ
eine Reichweite von etwa einem tausendstel Q : −1 = −1 + 0 .
Protonendurchmesser haben (10−17 m). Der Das Pion und das Muon müssen deshalb exakt
dieselbe Ladung haben. Neutrinos sind elek-
trisch neutral und können deshalb große Ma-
teriemengen ohne Energieverlust durch Ioni-
sationsprozesse durchdringen. Entsprechend
der Erhaltung elektrischer Ladung ergibt sich
für das leichteste geladene Teilchen, das Elek-
tron, dass dieses stabil sein muss.
Leptonenzahl L
Es gibt sechs Leptonen (Le , Lμ , Lτ ) in den Fa-
milien (e, νe ), (μ, νμ ) und (τ, ντ ) mit ihren An-
titeilchen (Abb. 8.86). Sie haben den Spin 1/2
und nur elektromagnetische schwache Wech-
selwirkung. Den Leptonen wird die Leptonen-
zahl L = 1 (Antiteilchen L = −1) zugeordnet.
Diese bleibt bei einer Reaktion erhalten:
μ+ → e+ + νμ + νe
−1 = (−1) + (−1) + (+1) .
L : !"#$
!"#$ !"#$ !"#$
Lμ Le Lμ Le
Abb. 8.87 Quarkoniumzustände
8.9 Elementarteilchen 753

Baryonenzahl B Komponenten im abstrakten Isospinraum. Die


Baryonen (Spin 1/2) zerfallen direkt oder indi- dritte Komponente des Isospins I3 (Iz ) liefert
rekt stets in ein Proton (Neutron zerfällt in ein eine Aussage über die Ladung. Für ein Pro-
Proton). Baryonen können sich nur ineinander ton ist I3 = +1/ 2, für ein Neutron I3 = −1/ 2.
verwandeln aber sie können nicht verschwin- Bei der starken Wechselwirkung bleibt der
den. Demzufolge bleibt die Baryonenzahl B er- Isospin erhalten (ΔI = 0), während bei der
halten (Baryonen B = 1; Antibaryonen B = −1; elektromagnetischen Wechselwirkung nur die
alle anderen Teilchen B = 0, auch die Photo- dritte Komponente erhalten bleibt (ΔI = 0,1;
nen): ΔI3 = 0).

e+ + e− → p + p
Spin J, Parität P
B : 0 + 0 = 1 + (−1) . Der Spin eines Teilchens ergibt sich durch
Die Erhaltung der Baryonenzahl führt zur Sta- Kombination der Quarkspins und des Bahn-
bilität des leichtesten Baryons, dem Proton drehimpulses. Die Teilchen lassen sich
(analog dem Elektron bei Ladungserhaltung), durch das Produkt aus einer Wellenfunk-
und gilt für alle Wechselwirkungen. tion ψ(x, y, z) und einer Spinfunktion ϕ(s)
beschreiben. Die Wahrscheinlichkeit, das
Teilchen an einem bestimmten Ort mit ei-
Seltsamkeit S
nem bestimmten Spin anzutreffen, ist durch
Diese Quantenzahl leitet sich von den
das Quadrat der Wellenfunktion |ψ(x, y, z)|2
„seltsamen Teilchen“, z. B. Λ und K◦ , ab. Solche
gegeben. Dieses Betragsquadrat ist prinzi-
Teilchen sollten theoretisch eine Lebensdauer
piell unabhängig von einer Spiegelung der
von 10−23 s haben. Seltsamerweise ist ihre tat-
Koordinaten an einer Ebene (Übergang ei-
sächliche Lebensdauer aber 1013 -mal länger.
nes rechtsdrehenden in ein linksdrehendes
Diese Seltsamkeit bleibt bei Reaktionen mit
Koordinatensystem). Diese Spiegelung an
starker und elektromagnetischer Wechselwir-
einer Ebene ist identisch mit einer Inver-
kung erhalten, nicht aber bei der schwachen
sion (Spiegelung am Koordinatenursprung
Wechselwirkung.
x, y, z, s → −x, −y, −z, s), verbunden mit einer
Drehung. Die Invarianz der Wellenfunktion
Charme C, Bottom B∗
gegenüber der Drehung ist durch die Drehim-
Außer der Seltsamkeit S können noch weitere
pulserhaltung gegeben. Bei der Inversion darf
Quantenzahlen, wie z. B. Charme C und Bot-
die Wellenfunktion somit nur ihr Vorzeichen
tom B∗ , eingeführt werden, die bei elektroma-
ändern:
gnetischer und starker Wechselwirkung erhal-
ten bleiben. Diese Quantenzahlen sind mit den ψ(−x, −y, −z) = ψ(x, y, z)
c- bzw. b-Quarks verknüpft. P = 1 (gerade Parität) ,
ψ(−x, −y, −z) = −ψ(x, y, z)
Isospin I
Das Proton und das Neutron (Abb. 8.86) kön- P = −1 (ungerade Parität) .
nen als zwei verschiedene Zustände ein und Die Parität kann sich bei der schwachen Wech-
desselben Teilchens aufgefasst werden. Der je- selwirkung ändern. Anschaulich bedeutet dies,
weilige Zustand des Teilchens wird durch den dass eine Reaktion in ihrer räumlich gespie-
Isospin I mit der Multiplizität (2I + 1) gekenn- gelten Form nicht genau in derselben Weise
zeichnet. Der Isospin ist ein Vektor mit drei (mit derselben Häufigkeit) abläuft. Es tritt bei
754 8 Atom- und Kernphysik

der schwachen Wechselwirkung eine grundle- Die elektromagnetische Wechselwirkung


gende Rechts-links-Unsymmetrie auf. wirkt zwischen geladenen Teilchen und wird
in der nichtrelativistischen Quantenmechanik
durch die Schrödinger-Gleichung mit dem
8.9.3 Fundamentale Wechselwirkungen
elektrischen Potential ϕ und dem Vektor-
Man unterscheidet vier fundamentale Wechsel- potential A beschrieben. Durch Einführung
wirkungen, die Gravitation, die elektromagne- des Spins und des magnetischen Moments
tische, die starke und die schwache Wechselwir- ist damit eine Beschreibung aller elektroma-
kung. Aufgrund neuer Erkenntnisse können gnetischen Niederenergie-Phänomene, wie
die elektromagnetische und die schwache z. B. Atombau, Spektren, molekulare Bindung,
Wechselwirkung zur elektroschwachen Wech- Makromoleküle und Festkörper, möglich.
selwirkung zusammengefasst werden. In Gravitation, Kern- und Elementarteilchen-
Abb. 8.88 sind die Wechselwirkungen mit ih- physik können damit nicht beschrieben
ren wichtigen Merkmalen zusammengestellt. werden. Die relativistische Beschreibung von

Abb. 8.88 Fundamentale Wechselwirkungen


8.9 Elementarteilchen 755

Teilchen erfolgt durch die Wellengleichung p→ n + π+


von P. A. M. Dirac (1902 bis 1984). Diese n→ p + π−
stellt die Verknüpfung von Relativitätstheorie n→ n + π◦
und Quantenmechanik dar (Abb. 1.3). Die p + π◦ → p
Lösung dieser Gleichung enthält den Eigen-
p + π− → n
drehimpuls und das magnetische Moment
n + π+ → p.
der Teilchen, weshalb diese Größen nicht
extra eingeführt werden müssen. Außerdem Dementsprechend kann die elektromagne-
enthält die Dirac-Gleichung als Lösung die tische Wechselwirkung ebenfalls durch den
Antiteilchen. Austausch von Teilchen (Photonen) ver-
Die starke Wechselwirkung beschreibt den standen werden. Da die Reichweite der
Zusammenhalt der Atomkerne durch die elektromagnetischen Wechselwirkung un-
kurzreichweitige Kernkraft (Reichweite endlich ist, muss das Photon die Masse null
−15
etwa 10 m). Mit Hilfe der relativisti- haben. Die anschauliche Beschreibung der
schen Energiebeziehung ergibt sich analog Umwandlungsprozesse von Teilchen erfolgt in
zur Schrödinger-Gleichung die Klein-Gordon- einem Zeit-Ort-Koordinatensystem (Feynman-
Gleichung, wiedergegeben in Tabelle 8.14. Aus Diagramm, R. P. Feynman, 1918 bis 1988).
der Reichweite r0 = 1/ k der Wellenfunktion Abbildung 8.89 zeigt den Neutronenzerfall in
ψ errechnet sich die Masse m zu etwa einem einem Feynman-Diagramm. In Abb. 8.88 sind
Fünftel der Protonenmasse. Diese Lösung die Feynman-Diagramme für die fundamen-
kann als Teilchen interpretiert werden (Aus- talen Wechselwirkungen eingezeichnet.
tauschteilchen), das ständig zwischen den Leptonen zeigen keine starke Wechselwirkung.
Nukleonen ausgetauscht wird und so die Kern- Dies wird deutlich bei der Elektron-Elektron-
kraft verursacht. Dieses Austauschteilchen ist Streuung, bei der Abstände von ungefähr
das Pion (π+ , π− , π◦ ): 10−15 m auftreten, und bei den 1-s-Elektronen

Tabelle 8.14 Gegenüberstellung der nichtrelativistischen und der relativistischen Wellengleichung

Schrödinger-Gleichung Klein-Gordon-Gleichung

Energie-
p2
Impuls- E= (nichtrelativistisch) E2 = p2 c02 + m20 c4 (relativistisch)
2m
Gleichung
∂ ∂ ∂ ~ ~ ∂
Operatoren p̂ =
, , ∇ =
; Ê = i~
i i ∂x ∂y ∂z ∂t
Wellen-
∂Ψ ~2 ∂2 ∂2 ∂2 ∂2 Ψ 2 ∂2 ∂2 ∂2 m20 c04
gleichung des i~ + + + Ψ = 0 − c + + Ψ + Ψ=0
freien Teil-
∂t 2 m ∂x2 ∂y2 ∂z2 ∂t2 0
∂x2 ∂y2 ∂z2 ~2
chens
p 1 mc
Lösung ψ = ψ0 e−i ~ r ψ = ψ0 e−kr k=
(stationär) r ~
1 ~
r0 ≈ = Reichweite der Wellenfunktion
k mc
MeV
mit r0 ≈ 10−15 m ⇒ m ≈ 200
c2
756 8 Atom- und Kernphysik

therapie, Kerntechnik, Biotechnologie, Teil-


chenbeschleuniger, Radiochemie, Plasmafor-
schung) wird mit Substanzen oder Apparatu-
ren gearbeitet, die direkt oder indirekt ionisie-
rende Strahlung emittieren. Die Grundlage des
Strahlenschutzes – Abb. 8.90 zeigt die Zusam-
menhänge – ist die Wechselwirkung der ver-
schiedenen Strahlenarten (z. B. α, p, d, n, γ, β)
unterschiedlichster Energie und Flussdichte
mit der Materie. Durch diese Wechselwir-
kungsprozesse sind die Messgrößen und Mess-
prinzipien vorgegeben. Die Wechselwirkungs-
prozesse der Strahlung mit dem lebenden Or-
ganismus und der daraus resultierenden bio-
logischen Wirkung ermöglicht die Beurteilung
bezüglich der Qualität der Strahlung. Ferner
führt die Wechselwirkung der Strahlung mit
der Materie über die Sekundärstrahlung zur
Beeinflussung des primären Strahlungsfeldes
und somit der Strahlenbelastung (Abb. 8.90).
Die – in der Regel schädliche – biologische
Wirkung der Strahlung erfordert Strahlen-
schutzmaßnahmen zur Minderung der Strah-
lenbelastung auf ein nach dem jeweiligen
Abb. 8.89 Neutronenzerfall im Feynman-Diagramm Stand der Wissenschaften für vertretbar an-
gesehenes Maß. Die gesetzlichen Regelungen
in schweren Atomen, deren Wellenfunktion enthalten die Strahlenschutz- und Röntgen-
zum erheblichen Anteil im Kerninnern liegt. verordnung. In diesen sind die Aufgaben des
Beim β-Zerfall werden Elektronen aus einem Strahlenschutzes formuliert:
Kern emittiert:
1. Jede unnötige Strahlenexposition oder
n → p + e− + νe . Kontamination von Personen, Sachgütern
Dies ist eine Wechselwirkung zwischen vier oder der Umwelt ist zu vermeiden.
Teilchen mit dem Spin 1/2, die als schwa- 2. Jede Strahlenexposition oder Kontamina-
che Wechselwirkung bezeichnet wird. Die tion von Personen, Sachgütern oder der
Austauschteilchen der schwachen Wechsel- Umwelt ist unter Beachtung des Standes
wirkung sind die Weakonen W+ , W− und Z◦ von Wissenschaft und Technik und unter
(Abb. 8.89). Berücksichtigung aller Umstände des Ein-
zelfalles auch unterhalb der festgesetzten
Grenzwerte so gering wie möglich zu hal-
8.10 Strahlenschutz ten.

In vielen wissenschaftlichen und technischen Unter Kontamination versteht man eine un-
Bereichen (z. B. Röntgendiagnostik, Strahlen- erwünschte Verunreinigung durch radioaktive
8.10 Strahlenschutz 757

Abb. 8.90 Strahlenschutz

Stoffe, beispielsweise von Arbeitsflächen, Ge- Wechselwirkungsprozesse bestimmt. In vie-


räten, Räumen, Wasser, Luft. Es muss nicht len Fällen ist es zweckmäßig, den verwende-
nur die äußere Strahlenbelastung des Men- ten Absorber nicht durch seine Schichtdicke x,
schen begrenzt werden, sondern auch die in- sondern durch das Produkt aus Schichtdicke
nere Strahlenbelastung, die durch Aufnahme und Dichte des Absorbermaterials, d. h. durch
radioaktiver Substanzen über Kontamination die Flächendichte d, zu charakterisieren.
der Umwelt (Luft, Wasser) direkt oder indi-
rekt (über die Nahrungskette) in den Körper Direktionisierende Strahlen
gelangen (Inkorporation). Zu dieser Gruppe gehören alle geladenen Teil-
chen, beispielsweise α-Teilchen, Elektronen
8.10.1 Wechselwirkung der Strahlung bzw. Positronen aus radioaktiven Zerfällen
mit Materie (β− , β+ ), Elektronen aus Beschleunigern (e),
Protonen (p) oder Deuteronen (d). Der Haupt-
Die wichtigsten Wechselwirkungsprozesse der absorptionsprozess ist die Anregung und Io-
verschiedenen Strahlenarten mit der Materie nisation der Absorberatome bzw. Moleküle.
sind in Abb. 8.91 zusammengestellt. Durch die Dabei tritt das geladene Teilchen über sein
Wechselwirkungsprozesse mit dem Absorber- elektromagnetisches Feld mit den Elektronen
material wird die Flussdichte der Strahlung der Hülle in Wechselwirkung; hierbei bestim-
und deren Energie durch Energieabgabe an men Energie, Ladung und Masse des Teilchens
das Absorbermaterial oder durch Streupro- den differentiellen Energieverlust −dE/ dx = S
zesse gemindert. Die Abhängigkeit der Fluss- (Bremsvermögen) und das differentielle Ioni-
dichte von der Schichtdicke oder Flächen- sationsvermögen (Ionenpaare je Flugstrecke
masse des Absorbermaterials wird Absorpti- dN / dx, auch spezifische Ionisation genannt) in
onskurve genannt. Diese ist in Abb. 8.91 mit einem Absorbermaterial.
eingezeichnet und wird durch die Wahrschein- Vergleicht man Protonen und Elektronen
lichkeit (Wirkungsquerschnitt) der einzelnen gleicher Energie, so ist die Geschwindigkeit
758 8 Atom- und Kernphysik

Abb. 8.91 Wechselwirkungsprozesse von Strahlung mit Materie


8.10 Strahlenschutz 759

Abb. 8.91 (Fortsetzung)


760 8 Atom- und Kernphysik

Abb. 8.91 (Fortsetzung)


8.10 Strahlenschutz 761

Abb. 8.91 (Fortsetzung)

des Protons infolge seiner 1 836-mal grö- Der differentielle Energieverlust kann für
ßeren Masse etwa 43-mal geringer als die schwere geladene Teilchen (z. B. α, p, d) mit
des Elektrons. Dies führt zu einer größeren einer Energie E << m0 c2 (nichtrelativistische
Wechselwirkungszeit des Protons mit dem Teilchen) näherungsweise durch die Bethe-
Absorberatom und daher zu einem grö- Bloch-Gleichung (H. A. Bethe, 1906 bis 2005
ßeren differentiellen Ionisationsvermögen und F. Bloch, 1905 bis 1983) beschrieben
(Abb. 8.91). werden:
762 8 Atom- und Kernphysik

mit zunehmender Energie des Teilchens das


dE Z z2 e4 n 2 moe 2i
S=− = ln Bremsvermögen abnimmt (Abb. 8.91) und bei
dx 4 π ε20 moe 2i I
2 4 gleicher Ladung und Energie des Teilchens
Z z e NA mi 4 moe Ekin
= ln (z. B. p und d) das schwerere Teilchen stärker
8 π ε20 moe Ekin MA Imi im Material gebremst wird. Die Reichweite
(8.100) (Eindringtiefe) von α-Teilchen mit einer
Energie von 10 MeV in Kohlenstoff beträgt
S Bremsvermögen, [S] = 1 MeV/cm, nur 0,07 mm. Bei Teilchenenergien im Be-
Z Ordnungszahl des Absorbermaterials, reich der Ruheenergie – dies entspricht bei
z Ladung des Teilchens i, Protonen ungefähr 103 MeV – zeigt das Brems-
mi Masse des Teilchens i, vermögen infolge relativistischer Effekte ein
i Geschwindigkeit des Teilchens i, Minimum. Die Reichweite R(E0 ) der Teilchen
Ekin kinetische Energie des Teilchens i, mit der Anfangsenergie E0 gibt die notwen-
n Teilchendichte des Absorbermaterials dige Schichtdicke oder Flächenmasse an, die
NA Avogadro-Konstante das Teilchen bei senkrechtem Auftreffen nicht
MA Molmasse des Absorbers mehr zu durchdringen vermag.
I mittlere Ionisierungsenergie. Bei schweren geladenen Teilchen findet kaum
Streuung statt, sodass die Bahnkurve nahezu
Die mittlere Ionisierungsenergie ist in Ta- eine Gerade ist. Die Reichweite ergibt sich aus
belle 8.15 für einige Elemente zusammenge- dem Bremsvermögen zu
stellt.
Dividiert man das Bremsvermögen S durch 0 E0
1 1
die Dichte ρ des Absorbermaterials, so er- R(E0 ) = − dE = dE .
dE/ dx dE/ dx
hält man das Massenbremsvermögen. Mit E0 0
Hilfe dieser Größe kann durch Gewichtung (8.101)
mit dem Masseanteil der entsprechenden
Komponente das Massenbremsvermögen von Für Elektronen, die sehr stark gestreut wer-
Mischungen und Verbindungen ermittelt den, liefert diese Beziehung die Bahnlänge,
werden. Aus (8.100) wird ersichtlich, dass d. h. den Weg unter Berücksichtigung der Um-
wege infolge Streuung im Absorber, die größer
als die Reichweite ist. Die Reichweite, die sich
Tabelle 8.15 Mittlere Ionisierungsenergie
aus der Absorptionskurve ergibt, Abb. 8.91,
Ordnungs- Element bzw. Stoff mittlere schwankt statistisch für die einzelnen Teil-
zahl Z Ionisierungs- chen infolge der diskontinuierlichen Energie-
energie I abgabe an das Absorbermaterial. Man gibt
in eV deshalb in der Praxis die mittlere Reichweite
(gegeben durch die Schichtdicke, die zu einer
1 Wasserstoff 18,7
6 Graphit 78 Flussdichte-Halbierung führt) oder die extra-
13 Aluminium 163 polierte Reichweite (Schnittpunkt der Wende-
79 Gold 797 tangente mit der Schichtdickenachse) an.
82 Blei 826 Betrachtet man das differentielle Ionisations-
Luft 86,8
vermögen dN / dx, so ist dies für Protonen, ver-
Wasser 65,1
glichen mit α-Teilchen, um den Faktor 10 ge-
8.10 Strahlenschutz 763

Tabelle 8.16 Mittlerer Energieverbrauch E zur Bildung mit f (β) als Funktion, die β = / c enthält.
eines Ionenpaars Das Bremsvermögen für Luft in Abhängigkeit
von der Elektronenenergie (Abb. 8.91) zeigt
Gas E in eV EI in eV
den Anstieg von S über 1 MeV, der durch den
Elek- α-Teil- Ionisie- logarithmischen Term in (8.102) verursacht
tronen, chen rungs-
wird. Das differentielle Ionisationsvermögen
β-Teil- energie
chen von Elektronen ist um den Faktor 1000 kleiner
als bei α-Teilchen. Gleichung (8.102) berück-
Helium 41,4 44,4 24,6 sichtigt lediglich den Energieverlust durch
Argon 26,1 26,4 15,8 Ionisation und Anregung, nicht dagegen den
Wasserstoff 36,3 36,7 15,4
Energieverlust durch Bremsstrahlung. Der
Stickstoff 34,7 36,5 15,6
Luft 34,0 35,1 – Energieverlust durch Bremsstrahlung wird
erst oberhalb der Ruheenergie des Teilchens
merklich, z. B. für Protonen oberhalb einer
Ruheenergie von etwa 103 MeV; hierbei laufen
ringer (Abb. 8.91). α-Teilchen zeigen im dif- dann zum großen Teil Kernreaktionen ab. Bei
ferentiellen Ionisationsvermögen in Luft ein Elektronen steigt das Massenbremsvermö-
Maximum bei ungefähr 1 MeV, das zu einem gen infolge der Bremsstrahlung (S/ρ)Strahlung
Maximum der Ionendichte am Ende der Teil- oberhalb 1 MeV stark an (Abb. 8.91). Die
chenbahn führt. Der Energieverbrauch zur Er- Elektronenbahn im Absorbermaterial ist im
zeugung eines Ionenpaars ist für α- und β- Gegensatz zu den schweren geladenen Teilchen
Teilchen in Tabelle 8.16 mit der Ionisierungs- nicht geradlinig, weil infolge der wesentlich
energie zusammengestellt. Die für α-Teilchen geringeren Masse des Elektrons Streuungen
angegebenen Daten gelten auch in guter Nä- auftreten. Die Integration über das rezi-
herung für Protonen und Deuteronen, da der proke Bremsvermögen (dE/ dx)−1 (Summe der
Energieverlust unabhängig von der Teilchen- Energieverluste durch Ionisation und Brems-
art ist. Aus diesen Daten ist ersichtlich, dass der strahlung) analog den schweren geladenen
Energieverbrauch etwa doppelt so groß ist wie Teilchen ergibt die mittlere Bahnlänge. Infolge
die Ionisierungsenergie. Die Hälfte der Ener- der Vielfachstreuung haben die Elektronen
gie wird somit zur Anregung von Atomen oder keine einheitliche Reichweite nach (8.101),
Molekülen verbraucht. sondern nur eine maximale Reichweite. Hier-
Für Elektronen muss das Bremsvermögen rela- unter versteht man die zur vollständigen
tivistisch berechnet werden, da die Ruheener- Absorption der Elektronenstrahlung erfor-
gie des Elektrons E = moe c2 = 0,511 MeV be- derliche Absorberdicke oder Flächenmasse.
trägt. Das Bremsvermögen für Elektronen er- Das exponentielle Absorptionsverhalten
gibt sich damit zu von β-Teilchen für radioaktive Strahlung
(Abb. 8.91) ist rein zufällig und durch die Mess-
geometrie (Anordnung von Strahlenquelle-
dE Ze4 n
S=− = · Absorber-Detektor) beeinflussbar. Da bei der
dx 8πε20 moe 2 Absorption – besonders bei hohen Elektro-

moe 2 Ekin nenenergien und großer Ordnungszahl des
· ln + f (β) . (8.102)
2I (1 − β2 )
2 Absorbermaterials – Bremsstrahlung auftritt,
führt dies in der Absorptionskurve zu einer
764 8 Atom- und Kernphysik

Konstanten, von der Flächenmasse unabhän- nicht möglich. Der Massenschwächungskoef-


gigen Flussdichte (Bremsstrahluntergrund). fizient für Gemische oder Verbindungen kann
Aus der maximalen Reichweite kann auf aus den Massenanteilen p der Komponenten
die Energie bzw. die Maximalenergie der ermittelt werden:
β-Teilchen geschlossen werden.
Das Auftreten von Vielfachstreuung im Ab- (μ/ρ)Mischung = pi (μ/ρ)i ; pi =1.
sorber wird besonders durch die Rückstreu- i i

ung deutlich. Bei der Rückstreuung verlas- (8.104)


sen die Elektronen entgegen der Auftreffrich-
tung den Absorber. β+ -Teilchen verhalten sich Die Wechselwirkungsprozesse der γ-Strahlung
analog β− -Teilchen. Nachdem das β+ -Teilchen mit Materie sind der Fotoeffekt, Compton-
durch Wechselwirkungsprozesse seine kineti- Effekt und Paarbildungseffekt. Während beim
sche Energie an das Absorbermaterial abge- Fotoeffekt Elektronen aus inneren Schalen
geben hat, zerstrahlt (annihiliert) es mit ei- entfernt werden und den Großteil der γ-
nem Elektron zu zwei γ-Quanten der Energie Energie als kinetische Energie erhalten, tritt
0,511 MeV = moe c2 . beim Compton-Effekt die Wechselwirkung
mit äußeren Elektronen (geringe Bindungs-
Indirekt ionisierende Strahlen energie, quasi-freie Elektronen) ein (Ab-
Die Schwächung von Röntgen- und γ- schn. 6.5.1.2). Beim Paarbildungseffekt muss
Strahlung (Abb. 8.91) kann beschrieben aus Energie und Impulserhaltungsgründen
werden durch ein Teilchen (z. B. Atomkern) zur Erzeugung
eines Positron-Elektron-Paars vorhanden
Φ(x) = Φ0 e−μx = Φ0 e−(μ/ρ)d . (8.103) sein.
Der Gesamtschwächungs- bzw. Gesamtmas-
Φ(x) Photonenflussdichte nach dem Absor- senschwächungskoeffizient setzt sich aus den
ber, Koeffizienten der einzelnen Wechselwirkungs-
Φ0 Photonenflussdichte vor dem Absorber, prozesse zusammen. Die Schwächungskoef-
x Schichtdicke des Absorbers, fizienten können als Wahrscheinlichkeiten
μ linearer Schwächungskoeffizient, interpretiert werden, mit der der Wechsel-
d Flächenmasse d = xρ, wirkungsprozess stattfindet. Somit ist der
μ/ρ Massenschwächungskoeffizient. lineare Schwächungskoeffizient μi proportio-
nal einem Wirkungsquerschnitt σi für den
Der lineare Schwächungskoeffizient bzw. Mas-
Prozess i. Vom Gesamtschwächungskoeffizi-
senschwächungskoeffizient ist eine Funktion
enten ist der stets kleinere Energieabsorp-
der Photonenenergie und der Ordnungszahl
tionskoeffizient μe zu unterscheiden. Der
des Absorbers. Der Unterschied zu den direkt
Energieabsorptionskoeffizient μe ist stets
ionisierenden Teilchen besteht darin, dass das
kleiner als der Gesamtschwächungskoeffizi-
Röntgen- bzw. γ-Quant lange Wege zwischen
ent, da der Streuanteil des Compton-Effektes
zwei Wechselwirkungsprozessen zurücklegt
(μc, Streu ) unberücksichtigt bleibt:
und die das Absorbermaterial durchdringen-
den Quanten die Ausgangsenergie haben (ab-
gesehen von inelastisch gestreuten Quanten). μ = μPhoto + μc, Abs + μc, Streu + μPaar ,
Eine vollständige Absorption der Strahlung μe = μPhoto + μc, Abs + μPaar . (8.105)
ist im Gegensatz zu den geladenen Teilchen
8.10 Strahlenschutz 765

Aus Abb. 8.91 ist zu erkennen, dass im nie- 8.10.2 Dosisgrößen


derenergetischen Bereich der Photoeffekt, im
hochenergetischen Bereich der Paarbildungs- Abbildung 8.92 zeigt die Dosisgrößen, deren
effekt und im Zwischenbereich der Compton- Einteilung und Zusammenhänge. Die funda-
Effekt überwiegt. mentale physikalische Dosisgröße ist die Ener-
Wie bei den Wechselwirkungsprozessen gela- giedosis D (Messung in Gray: Gy), während die
dener Teilchen können auch durch die γ-Quan- Ionendosis J aus messtechnischem Grund und
ten Elektronen aus inneren Schalen der Ab- die Äquivalentdosis H (Messung in Sievert: Sv)
sorberatome entfernt werden. Beim Auf- sowie die effektive Äquivalentdosis E wegen ih-
füllen der Elektronenlücke durch Elektronen rer Bedeutung in der Strahlenbiologie und im
aus höheren Schalen entsteht Sekundär- Strahlenschutz eingeführt wurden. Die Ener-
strahlung (Röntgen-Fluoreszenzstrahlung) ge- giedosis D gibt die in einem Masseelement
ringen Durchdringungsvermögens. dm = ρ dV absorbierte Energie dE an. Diese
Im Gegensatz zu den γ-Quanten können Neu- Größe ist unabhängig von der Art der Wech-
tronen nur mit dem Atomkern wechselwirken. selwirkung der Strahlung und dem Absorber-
Die Wahrscheinlichkeit für das Eintreten ei- material. Zur Kennzeichnung eines Strahlen-
ner bestimmten Reaktion wird durch den Wir- feldes oder einer Strahlenwirkung durch die
kungsquerschnitt σ(n, x) beschrieben, der eine Energiedosis ist die Angabe des bestrahlten
große Abhängigkeit von der Neutronenener- Materials notwendig, da die Wahrscheinlich-
gie und dem Absorbermaterial aufweist. Die keit der Wechselwirkungsprozesse vom Mate-
wichtigsten Wechselwirkungsprozesse sind in rial abhängig ist.
Abb. 8.91 zusammengestellt. Eine für den Menschen tödliche Energiedosis
Schnelle Neutronen verlieren durch inelasti- von 10 Gy = 10 J/kg führt in Wasser lediglich
sche (n, n ) und elastische Streuprozesse (n, zu einer Temperaturerhöhung von 2 · 10−3 K.
n) ihre Energie; hierbei ist der Energieverlust Aus diesem Grund ist die direkte Messung der
durch inelastische Streuung infolge Kernan- Energiedosis mit einem Kalorimeter nur bei
regung größer und allgemein bei leichten verhältnismäßig hohen Dosen möglich und
Kernen am größten. Deshalb werden zum Ab- sehr aufwändig. Messtechnisch lassen sich
bremsen von Neutronen leichte Stoffe, wie z. B. verhältnismäßig einfach und genau Ladungen
Wasser bzw. schweres Wasser (D2 O), Paraffin erfassen. Deshalb betrachtet man nicht die
oder Graphit eingesetzt. Bereits während des Summe aller Wechselwirkungsprozesse, die zu
Bremsvorgangs können die Neutronen von einer Energieabgabe an das Masseelement dm
Kernen eingefangen werden ((n, γ)-Reaktion). führen, sondern nur die Ionisation und de-
Mit kleiner werdender Neutronenenergie finiert die Ionendosis J als erzeugte Ladung
nimmt die Wahrscheinlichkeit σ(n, γ) des Neu- eines Vorzeichens dQ je dm. Bei gleichem
troneneinfangs zu. Beim Neutroneneinfang Strahlungsfeld ergeben sich für unterschied-
werden ein oder mehrere γ-Quanten frei, liche Stoffe unterschiedliche Ionendosen, da
deren Gesamtenergie der Bindungsenergie die zur Erzeugung eines Ionenpaares erfor-
des Neutrons (etwa 8 MeV) entspricht. Beim derliche Energie vom Material abhängig ist.
Strahlenschutz ist zu beachten, dass die durch Außer der SI-Einheit C/kg findet man noch
Neutroneneinfang oder andere Kernreaktio- die ältere Einheit Röntgen (R). 1 R ist diejenige
nen entstandenen Nuklide häufig radioaktiv Ionendosis einer ionisierenden Strahlung,
sind. bei der in 0,001293 g Luft (1 cm3 Luft unter
766 8 Atom- und Kernphysik

Abb. 8.92 Verwendete Dosisgrößen


8.10 Strahlenschutz 767

Normalbedingungen) bei Elektronengleich-


gewicht mit der Umgebung eine Ionisation von
3,33 · 10−10 C jedes Vorzeichens erzeugt wird.
Für Luft benötigt man zur Erzeugung eines
Ionenpaars 34 eV. Somit entspricht 1 R einer
Energiedosis von 0,877 · 10−2 Gy (in Luft).
Die Ionendosis und Ionendosisleistung sind
für alle ionisierenden Strahlen mit Ausnahme
der Neutronen gültig. Für die Umrechnung der
Ionendosis in Luft in die Energiedosis eines
Materials gilt für Röntgen- und γ-Strahlung

(μe /ρ)Material
D=f I. (8.106)
(μe /ρ)Luft

Bei Verwendung der Einheit C/kg für die Io-


nendosis I und J/kg für die Energiedosis D gilt
f = 34,0 J/C.
In Abb. 8.93 ist die Energieabhängigkeit von μe
für verschiedene Materialien dargestellt. Für
Weichteilgewebe (entspricht etwa Wasser) er-
gibt sich mit (μe /ρ)Gewebe / (μe /ρ)Luft = 1,1),
1 R (in Luft) = 0,97 · 10−2 Gy (in Gewebe) .
In der Strahlenschutzpraxis gilt
1 C/kg (in Luft) =37,6 Gy (in Weichteilgewebe).
Zur Beurteilung der biologischen Wirkung
der Strahlung ist die Energiedosis ungeeig-
net, da gleiche Dosen verschiedener Strah-
lungsarten unterschiedliche Schädigungen in
Art und Stärke zeigen. In der Strahlenbiologie
wurde deshalb der Faktor der relativen bio-
logischen Wirksamkeit fRBW eingeführt. Die- Abb. 8.93 Energieabsorptionskoeffizient in
ser ergibt sich durch den Vergleich der für Abhängigkeit von der Photonenenergie für
eine bestimmte biologische Wirkung erfor- verschiedene Stoffe
derlichen Energiedosis Di der zu beurteilen-
den Strahlung mit der Energiedosis Do ei-
ner Vergleichsstrahlung, z. B. 250 kV Röntgen-
Der Faktor fRBW ist von der betrachte-
strahlung oder 60 Co γ-Strahlung. Für eine be-
ten Strahlenwirkung abhängig. Man führt
stimmte biologische Wirkung gilt
deshalb zur Beurteilung der biologischen
Do (Vergleichsstrahlung) Wirkung den dimensionslosen Strahlungs-
fRBW = . Wichtungsfaktor R (R für radiation) ein. Das
Di (zu bewertende Strahlung)
Produkt aus Energiedosis und R wird als
(8.107)
Äquivalentdosis H bezeichnet:
768 8 Atom- und Kernphysik

Abb. 8.94 Abhängigkeit des Strahlungs-Wichtungsfaktor von der linearen Energieübertragung und
Zusammenstellung von Gewebe-Wichtungsfaktoren
8.10 Strahlenschutz 769
770 8 Atom- und Kernphysik

biologischen Wirkung miteinander vergleich-


H = R · D . (8.108)
bar und damit addierbar.
9
Organdosis HT = R · DT, R
Im Gegensatz zum Faktor fRBW , der gemes- R E
sen werden kann, wird R unter Berücksich- Effektive Dosis ET = T · HT

tigung der biologischen Erkenntnisse festge- = T R · DT, R (8.109)
setzt. H ist somit prinzipiell nicht messbar. T R

Die biologische Wirkung einer Strahlung mit T = 1 „Körperdosis“
ist eng verknüpft mit der linearen Ener- T
gieübertragung L. Dieser Wert entspricht
dem Bremsvermögen S und wird im Allge-
meinen in keV/μm für Wasser angegeben. 8.10.3 Biologische Wirkung der Strahlung
Man ordnet den L-Werten einen Strahlungs-
Wichtungsfaktor R von 1 bis 20 entspre- In Abb. 8.94 sind die Wechselwirkungen der
chend Abb. 8.94 zu. Für die Beurteilung von unterschiedlichen Strahlen in Materie (z. B.
γ-Strahlung und n-Strahlung werden die L- Gewebe) mit dem Verlauf des Qualitäts-
Werte der Sekundärteilchen (Rückstoßkerne, faktors zusammengestellt. Röntgenstrahlen,
Compton-Elektronen, Photoelektronen) zu- γ-Quanten und β-Teilchen haben eine ge-
grunde gelegt. Die lineare Energieübertra- ringe lineare Energieübertragung und damit
gung L ist abhängig von der Energie der R = 1. Mit zunehmender Energie der
Strahlung und nimmt für geladene Teilchen Quanten oder Elektronen verschiebt sich die
normalerweise mit zunehmender Energie maximale relative Tiefendosis in das Gewe-
ab. Dies führt am Ende der Teilchenbahn zu beinnere, wie Abb. 8.95 zeigt. Für β-Teilchen
einem größeren Energieverlust je Wegstrecke aus einem radioaktiven Zerfall nimmt die
als zu Beginn der Teilchenbahn. Damit gelten Tiefendosis rasch mit der Gewebetiefe ab. Die
entlang der Teilchenbahn unterschiedliche mittleren Strahlungs-Wichtungsfaktoren R
R -Werte. Für eine bestimmte Anfangsener- für Neutronen sind stark von der Neutro-
gie kann ein durchschnittlicher L-Wert und nenenergie abhängig. Thermische Neutronen
damit ein effektiver R angegeben werden. (En = 2,5 · 10−8 MeV) haben ein R = 5, im
Zur Betrachtung der Wirkung der Strahlung Energiebereich 100 keV bis 2 MeV ein R = 20
auf den Menschen muss neben der räumlichen und ab 20 MeV wieder R = 5 (Abb. 8.94).
und zeitlichen Verteilung die Strahlenart und Neutronen haben wie γ-Quanten ein großes
Energie sowie die unterschiedliche Empfind- Durchdringungsvermögen. α-Teilchen dage-
lichkeit von Organen/Gewebe berücksichtigt gen dringen kaum in das Gewebe ein, haben
werden. einen großen L-Wert und damit einen großen
Die Strahlenart bzw. Energie wird durch den Strahlungs-Wichtungsfaktor von 20. Inkor-
Strahlungs-Wichtungsfaktor R , die unter- porierte α-Strahler, die sich in bestimmten
schiedliche Empfindlichkeit der Organe/Ge- Organen anreichern (z. B. in Knochenmark),
webe durch den Gewebe-Wichtungsfaktor T haben deshalb eine besonders große schädi-
(T für tissue, siehe Abb. 8.94) bewertet. Durch gende Wirkung.
diese Bewertung sind Strahlenbelastungen Durch Ionisation und Anregung können sich
unterschiedlicher Art und Energie sowie in chemisch sehr reaktive Molekülbruchstücke,
unterschiedlicher Organen bezüglich ihrer sogenannte Radikale (Moleküle oder Molekül-
8.10 Strahlenschutz 771

nur in der Nachkommenschaft auswirken.


Für genetische und somatische Spätschäden
(Krebs) durch Strahleneinwirkung gibt es
keine untere Dosisgrenze, unterhalb derer
eine schädigende Wirkung mit Sicherheit
nicht auftritt. Eine Dauerbelastung mit ge-
ringer Dosis über viele Jahre bewirkt infolge
der natürlichen Regenerationsfähigkeit eine
wesentlich geringere Schädigung als die glei-
che Dosis in kurzer Zeit, in Tabelle 8.17 sind
somatische Strahlenwirkungen für unter-
schiedliche Äquivalentdosen bei kurzzeitiger
Ganzkörperbestrahlung zusammengestellt.
Durch die natürliche Radioaktivität und
die Höhenstrahlung ist der Mensch ständig
einer Strahlenbelastung ausgesetzt. Hinzu
kommt die Strahlenbelastung in der Medizin
(Röntgendiagnostik) und bei technischen
Anwendungen (Kerntechnik). In Abb. 8.96 ist
die mittlere genetisch signifikante Strahlenbe-
lastung der Bevölkerung der Bundesrepublik
Deutschland zusammengestellt.
Die individuelle Strahlenbelastung kann deut-
Abb. 8.95 Relative Tiefendosis und Dosisverhältnis lich von der mittleren Strahlenbelastung ab-
weichen. Ein dauernder Aufenthalt in 1000 m
bruchstücke mit ungepaartem Elektron), bil- Höhe über dem Meerespiegel erhöht die Strah-
den, die die komplizierten chemischen Re- lenbelastung durch kosmische Strahlung be-
aktionen in der Zelle beeinflussen. Beson- reits um 0,15 mSv/a.
ders schwerwiegend wirken sich Veränderun- Abbildung 8.97 zeigt die Häufigkeitsvertei-
gen der Erbanlagen der Zellen aus, insbeson- lung der terrestrischen Komponente der
dere bei Keimzellen oder während des frühen natürlichen Strahlenbelastung für die Be-
Wachstums eines Organismus. Die Zellen sind völkerung der Bundesrepublik Deutschland.
in der Phase der Zellteilung besonders strah- Ein Langstreckenflugzeug in einer Höhe von
lenempfindlich. Deshalb erweisen sich Gewebe 10 km bis 20 km kann für den Flugreisenden
mit hohen Zellteilungsraten, wie z. B. Kno- eine Erhöhung der Strahlenbelastung durch
chenmark und Haut, stärker gefährdet als Zel- die kosmische Strahlung bis 0,005 mSv je
len, die sich weniger häufig teilen (Nerven, Flugstunde bedeuten.
Bindegewebe, Muskel). Auch Kohlekraftwerke emittieren natürli-
Man unterscheidet hinsichtlich der Wirkung che radioaktive Stoffe, beispielsweise die
zwischen Schäden in Körperzellen (somatische α-Strahler 238 U, 234 U, 232 Th, 226 Ra und 210 Po.
Strahlenschäden), die am bestrahlten Orga- Ein 320-MW-Kohlekraftwerk emittiert jähr-
nismus in Erscheinung treten, und Schäden lich etwa 4 · 109 Bq. Die Gesamtjahresabgaben
in Keimzellen (genetische Schäden), die sich radioaktiver Stoffe in der Abluft und im
772 8 Atom- und Kernphysik

Abb. 8.96 Strahlenexposition der Bevölkerung in Deutschland mit Wertebereich für exponierte Einzelpersonen in Klammern
8.10 Strahlenschutz 773

Tabelle 8.17 Somatische Strahlenwirkungen bei kurzzeitiger Ganzkörperbestrahlung mit γ-Strahlung angegeben
in effektiver Dosis

Dosis 1. Woche 2. Woche 3. Woche 4. Woche

Schwellen- keine subjektiven Blutbild wird


dosis Symptome, Absin- rasch wieder
0,25 Sv ken der Anzahl von normal.
Lymphozyten im
Verlauf von zwei
Tagen
subletale Blutbild wird rasch keine deutlichen Unwohlsein, Spermienproduktion
Dosis 1 Sv wieder normal. subjektiven Mattigkeit, lässt vorübergehend
Symptome. Appetitmangel; nach. Kräfteverfall,
Haarausfall, Erholung wahr-
wunder Rachen. scheinlich.
mittlere am ersten Tag Er- keine deutlichen Unwohlsein, längere bis lebens-
letale brechen und Übel- Symptome Mattigkeit, lange Sterilität bei
Dosis keit, Absinken der Appetitlosigkeit; Männern; Kräftever-
4 Sv Anzahl der Haarausfall, fall, 50% Todesfälle
Lymphozyten auf Entzündungen
1000/mm3 innerhalb im Rachenraum
von zwei Tagen und Dünndarm
letale nach 1 bis 2 h Er- Mattigkeit,
Dosis brechen und Übel- Appetitlosigkeit,
7 Sv keit. Nach zwei Entzündungen im
Tagen keine Mund- und Ra-
Lymphozyten mehr. chenraum, innere
Blutungen, hohes
Fieber.

Abwasser aus kerntechnischen Anlagen der tragen für Edelgase 3 200 GBq/GWa, Tritium
Bundesrepublik Deutschland bezogen auf eine 10 360 GBq/GWa und 131 I 0,023 GBq/GWa.
erzeugte elektrische Energie von 1 GWa be- Anhand der Emissionswerte berechnet sich
die Strahlenexposition in der Umgebung
von Kernkraftwerken zu den in Tabelle 8.18
angegebenen Werten. Diese liegen deutlich
unterhalb des in der Strahlenschutzverord-
nung angegebenen Grenzwertes von 1 mSv/a.

8.10.4 Dosismessung

Zur Dosismessung muss ein durch die Strah-


lung in Materie verursachter, dosisproportio-
naler messbarer Effekt ausgenutzt werden, wie
z. B. Ionisation, Lichterzeugung in einem Szin-
Abb. 8.97 Terrestrische Strahleneinwirkung tillator, Veränderungen in Festkörpern, che-
774 8 Atom- und Kernphysik

Tabelle 8.18 Strahlenexposition in der Umgebung von Atomkernkraftwerken 2004

Kernkraftwerk Oberer Wert der effektiven Dosis für Erwachsene μS/a


radioaktive Stoffe radioaktive Stoffe
mit der Luft mit dem Abwasser
Kahl < 0,1 < 0,1
Lingen < 0,1 –
Obrigheim 2 0,2
Stade 0,5 < 0,1
Würgassen 0,1 < 0,1
Biblis A,B 0,5 0,2
Neckarwestheim 1,2 2 0,5
Brunsbüttel 1 < 0,1
Isar 1,2 2 0,2
Unterweser 0,2 0,1
Philippsburg 1,2 3 0,1
Krümel 0,9 < 0,1
Grundremmingen A,B,C 2 0,6

mische Reaktionen oder Wärmeerzeugung. In mit S als dem Bremsvermögen der Sekundär-
Abb. 8.98 sind einige Messverfahren mit der elektronen, so spricht man von luftäquivalen-
Energieabhängigkeit der Anzeige und dem tem Wandmaterial. Solche Dosimeter sind bis
Messbereich zusammengestellt. 3MeV einsetzbar. In Abb. 8.99 ist ein Stabdo-
Bei der in der Praxis wichtigen Messung simeter schematisch dargestellt. Die in die Io-
der Ionendosis unterscheidet man je nach nisationskammer eindringende Strahlung er-
Messbedingungen zwischen der Standard- zeugt durch primäre Ionisationsprozesse La-
Gleichgewichts-Ionendosis und der Hohlraum-
Ionendosis. Die Standard-Gleichgewichts-
Ionendosis ist die Ionendosis, die von einer
Photonenstrahlung an einem Punkt bei Se-
kundärelektronengleichgewicht frei in Luft
erzeugt wird. Man wählt ein entsprechend
großes Luftvolumen und misst die in einem
allseitig von Luft umgebenen Teilvolumen
erzeugte Ladung. Dadurch wird erreicht, dass
die Summe der Elektronenenergien, die in das
Messvolumen gelangen, gleich der Energie
der austretenden Elektronen ist (Sekundär-
elektronengleichgewicht). Dies kann nur bis
zu einer Energie von 500 keV verwirklicht
werden. Wird das Messvolumen mit einer
Wand umgeben, für die gilt

(μe / S)Kammerwand = (μe / S)Luft (8.110)


Abb. 8.99 Aufbau eines Füllhalterdosimeters
8.10 Strahlenschutz 775

Abb. 8.98 Dosismessverfahren


776 8 Atom- und Kernphysik

dungen, die zu einer Entladung des Konden- beruflich strahlenexponierten Personen. Jede
sators führen. Die Ladung des Kondensators Person, die beruflich mit Röngtenstrahlung,
wird durch das Quarzfadenelektrometer ange- radioaktiver Strahlung oder anderen ionisie-
zeigt und kann durch das Mikroskop (Okular- renden Strahlen zu tun hat, wird als beruflich
linse – Objektiv) abgelesen werden. Die Auf- strahlenexponierte Person bezeichnet und
ladung des Kondensators erfolgt mit einem unterliegt gesetzlichen Regelungen, die in
Ladegerät über den Ladestift. Diese Stabdo- der Strahlenschutzverordnung festgelegt sind.
simeter sind vorzugsweise zur Ermittlung der Die Strahlenschutzverordnung gilt für den
Personendosis bestimmt und werden hierzu Umgang mit radioaktiven Stoffen, ihre Be-
am Körper getragen. Außerdem können sie förderung, Einfuhr und Ausfuhr sowie die
auch als Ortsdosimeter verwendet werden. Bei Aufsuchung, Gewinnung und Aufbereitung
höheren Energien und anderen Strahlenarten von radioaktiven Mineralien, den Umgang
wird die Ionendosis in einem kleinen gasge- mit Kernbrennstoffen und die Errichtung und
füllten Hohlraum mit „gewebeäquivalenten“ den Betrieb von Anlagen zur Erzeugung ioni-
Wänden gemessen (Hohlraum-Ionendosis). sierender Strahlen mit einer Energie oberhalb
Die Messung der Neutronen-Ortsdosisleistung von 5 keV (§2 der Strahlenschutzverordnung).
ist infolge der unterschiedlichen Neutro- In den beiden Verordnungen (Strahlenschutz-
nenenergien (0,025 eV bis MeV) problema- und Röntgenverordnung) sind unter Be-
tisch. Dies zeigen die Absorptionskurven rücksichtigung genetischer Schäden Dosis-
für schnelle Neutronen (Abb. 8.91), je- grenzwerte gemäß Tabelle 8.19 festgelegt, die
weils gemessen mit einem Detektor, der kontrolliert und eingehalten werden müssen.
nur schnelle Neutronen bzw. thermische Außer den in Abb. 8.92 dargestellten Dosis-
Neutronen nachweist. Die Zunahme des Flus- größen sind im Strahlenschutz noch weitere
ses thermischer Neutronen erfolgt durch Dosisbegriffe, wie z. B. Personendosis, Körper-
die Abbremsung der schnellen Neutro- dosis und Ortsdosis, wichtig. Unter Personen-
nen im Absorbermaterial. Zur Messsung dosis versteht man die Dosis, die von einem
der Neutronen-Ortsdosisleistung dient ein Dosimeter an einer für die Strahlenexposition
LiI-Szintillationsdetektor, dessen Kristall repräsentativen Stelle der Körperoberfläche
(10 mm ∅ × 2 mm) auf einem Plexiglaslicht- (Brust → Ganzkörper, Finger → Hände) an-
leiter montiert ist und sich im Mittelpunkt gezeigt wird, angegeben als Äquivalentdosis H
eines kugelförmigen Polyethylenmoderators (Weichteilgewebe). Die effektive Äquivalentdo-
befindet. Durch den kombinierten Effekt von sis E (Körperdosis) ist die gewichtete Summe
Moderierung, Streuung und Absorption in der der Strahlenbelastung der Organe (8.109).
Kugel wird erreicht, dass der im Mittelpunkt Die Ortsdosis (Ortsdosisleistung) gibt die
herrschende Fluss thermischer Neutronen Äquivalentdosis für Weichteilgewebe an ei-
weitgehend der Äquivalentdosisleistung an nem bestimmen Ort des Strahlungsfeldes in
der Oberfläche der Kugel, unabhängig vom einem bestimmten Zeitintervall an. Durch die
Neutronenspektrum, entspricht. unterschiedliche Ortsdosisleistung werden
verschiedene Bereiche des Strahlungsfeldes
8.10.5 Strahlenschutzmaßnahmen abgetrennt. Wie aus Tabelle 8.19 hervorgeht,
unterscheidet man zwischen Sperrbereich,
Im Strahlenschutz unterscheidet man zwi- Kontrollbereich und Überwachungsbereich.
schen beruflich strahlenexponierten und nicht In diesen Bereichen sind unterschiedliche
8.10 Strahlenschutz 777

Tabelle 8.19 Strahlenschutzbereiche (§36, StrschV.) und Dosisgrenzwerte für beruflich Strahlenexponierte
Personen (§54–59, StrschV.)

Kategorie A (mSv/a) Kategorie B (mSv/a)

Effektive 20 > E > 6 ∗ ) 6>E>1


Äquivalentdosis E
Organdosen HT :
- Augenlinse 150 > HT > 45 45 > HT > 15
- Haut, Hände, Füße 500 > HT > 150 150 > HT > 50
- Rotes Knochenmark,
Keimdrüsen < 50 < 15
- Schilddrüse < 300 < 100
- Andere Organe < 150 < 50

∗ ) gemittelt über einen Zeitraum von 5 Jahren, maximal 50 mSv in einem einzigen Jahr

Überwachungsmaßnahmen vorgeschrieben. Strahlenbelastung. Die Gefahr einer inneren


Der Zugang zum Sperrbereich ist nur in Aus- Strahlenbelastung ist bei Arbeiten mit offenen
nahmefällen beruflich strahlenexponierten radioaktiven Stoffen durch Inkorporation be-
Personen der Kategorie A und B gestattet. Im sonders groß.
Kontrollbereich dürfen nur Personen der Ka-
tegorie A und B tätig sein. In Ausnahmefällen
ist auch für nicht beruflich strahlenexponierte Schutz vor äußerer Strahlenbelastung
Personen, beispielsweise für Ausbildungs- Mit folgenden Maßnahmen schützt man sich
zwecke, der Zugang zum Kontrollbereich vor äußerer Strahlenbelastung:
gestattet.
Man unterscheidet zwischen äußerer (Strah- – Strahlenquellen mit möglichst kleiner
lenquellen außerhalb des Körpers) und inne- Quellstärke verwenden, soweit dies tech-
rer (Strahlenquellen innerhalb des Körpers) nisch einzurichten ist,
778 8 Atom- und Kernphysik

– Minimierung der Aufenthaltsdauer im Tabelle 8.20 Gammastrahlendosiskonstante ΓH


Strahlungsfeld. Dies ist eine einfache, aber einiger Radionuklide
wirkungsvolle Maßnahme, da sich die Dosis
proportional zur Zeit verhält: Radionuklid Dosiskonstante ΓH
in Sv m2 h−1 Bq−1

H = Ḣt (H konstant) ; 24 Na 4,72 · 10−13


t
60 Co 3,36 · 10−13
131 I 5,45 · 10−14
H = Ḣ(t)dt . (8.111) 137 Cs 7,70 · 10−14
0 226 Ra 2,14 · 10−13

– Einhaltung möglichst großer Abstände von


der Strahlenquelle sowie Radionuklide die Konstanten angegeben. Für
– Verwendung von Abschirmungen. β-Strahlung kann im Prinzip eine ähnliche Be-
ziehung aufgestellt werden; hierbei wird aller-
Eine punktförmige Strahlenquelle (Dimensio- dings die Äquivalent-Dosisleistungskonstante
nen der Quelle klein im Verhältnis zur be- zur Dosisleistungs-Funktion, da die β-Teilchen
trachteten Umgebung), die in alle Richtungen entlang ihres Weges Energie verlieren. Außer-
gleichmäßig abstrahlt (isotrop), erzeugt an ei- dem werden die β-Teilchen bereits im radioak-
nem Punkt im Abstand r von der Quelle eine tiven Präparat absorbiert (Selbstabsorption),
Flussdichte, die proportional der Quellstärke sodass die Berechnung der Äquivalentdosis
(Anzahl der Teilchen oder Quanten je Zeitein- von β-Strahlung sehr schwierig ist.
heit) und umgekehrt proportional dem Qua- Aus (8.112) entnimmt man, dass sich die Do-
drat des Abstandes ist. Dies ist dadurch be- sisleistung mit dem Quadrat des Abstandes
dingt, dass die Oberfläche einer Kugel um die vermindert. Deshalb sollten auch schwach ra-
Strahlenquelle mit r2 zunimmt. Je größer die dioaktive Präparate niemals mit den Händen
Flussdichte, desto größer ist bei konstantem angefasst werden, wie das Rechenbeispiel Ta-
Energieabsorptionskoeffizienten μe die je Zeit- belle 8.21 belegt. Man erkennt, welchen Ein-
einheit absorbierte Energie im Material. Somit fluss auf die Dosis der Abstand des Objekts zu
ist die Flussdichte proportional zur Dosisleis- einem Strahler hat.
tung. Für Photonenstrahlung gilt Eine weitere Möglichkeit, die Dosisleistung
zu senken, ist die Verwendung von Ab-
d A schirmungen. α-Teilchen lassen sich bereits
H = Ḣ = ΓH . (8.112)
dt r2 durch ein Stück Papier vollständig absor-
bieren. Mit millimeterdickem Aluminium
Hierin ist Ḣ die Äquivalentdosisleistung in erreicht man eine vollständige Absorption
Sv/h, A die Aktivität der Quelle in Bq, r der von β-Teilchen. Hierbei ist allerdings das
Abstand von der Quelle und ΓH die Äquivalent- Auftreten von Sekundärstrahlung größerer
Dosisleistungskonstante in Sv h−1 m2 Bq−1 . Reichweite (Bremsstrahlung, Röntgenstrah-
Die Äquivalent-Dosisleistungskonstante ΓH ist lung) zu berücksichtigen. Im Gegensatz zur
abhängig vom Energiespektrum der Quelle α- und β-Strahlung kann die γ-Strahlung
und dem Energieabsorptionskoeffizienten μe nicht vollständig absorbiert, sondern nur
für Weichteilgewebe (wR = 1 für Röntgen- und geschwächt werden. Es gilt das exponentielle
γ-Strahlung). In Tabelle 8.20 sind für einige Absorptionsgesetz (8.103) mit dem linearen
8.10 Strahlenschutz 779

Tabelle 8.21 Zahlenbeispiel zur Strahlenbelastung

Radioaktives Präparat: 137 Cs Abstand r in m Äquivalentdosisleistung


Dosiskonstante: 0,077 μSv h−1 m2 MBq−1 H in μSv h−1
Aktivität: 10 MBq

direktes Greifen des radioaktiven Präparats, 0,01 7,7 · 103 Finger


Armlänge 0,5 m 0,5 3,1 Körper
Verwendung einer Zange zum Greifen (0,25 m) 0,25 12,3 Finger
0,75 1,4 Körper
1,00 0,77
Abschirmung 5 cm Blei 1,00 0,004
μ = 1,2 cm−1 ; B = 2

Schwächungskoeffizienten μ. In Abb. 8.100 ist des Comptoneffekts im Absorbermaterial auch


diese Größe für einige Materialien in Abhän- Streuung von γ-Strahlung auftritt, kann dies
gigkeit von der Energie dargestellt. Da infolge zu einer Erhöhung der Dosisleistung führen.
Dies wird durch den Dosisaufbaufaktor B, der
eine Funktion der Energie. Absorberdicke und
des Absorbermaterials ist, berücksichtigt. In
Abb. 8.101 sind die B-Werte für Blei und Eisen
in Abhängigkeit von μx dargestellt. Damit
ergibt sich für die Äquivalentdosisleistung
hinter einer Abschirmung

A
Ḣ = ΓH
r2 e−μx B(x, E)
. (8.113)
+

Dosis Schwä- Aufbau-


ohne chungs- faktor
Abschir- faktor
mung

Zur Berechnung der Dosisleistung hinter einer


Abschirmung entnimmt man aus Abb. 8.100
und 8.101 die Werte für μ und B. Für 137 Cs
(Eγ = 0,662 MeV) entnimmt man die in Ta-
belle 8.21 angegebenen Werte und kann da-
mit die Dosisleistung hinter einer 5 cm dicken
Bleiwand ermitteln.

Schutz vor innerer Strahlenbelastung


Man unterscheidet zwischen offenen und um-
schlossenen radioaktiven Stoffen. Umschlos-
Abb. 8.100 Energieabhängigkeit des linearen sene radioaktive Stoffe sind ständig von einer
Schwächungskoeffizienten einiger Metalle allseitig dichten, festen, inaktiven Hülle um-
780 8 Atom- und Kernphysik

Diese gibt die Zeit an, in der eine im Körper


vorhandene Aktivität durch Ausscheidung
auf die Hälfte vermindert wurde. Nach der
Radiotoxizität werden die Freigrenze und
Grenzwerte beispielsweise für Luft, Wasser
und Nahrungsmittel festgelegt. Unter Frei-
grenze versteht man die Aktivität, mit der man
ohne Genehmigung oder Anzeige umgehen
kann. Der Umgang mit Aktivitäten oberhalb
der Freigrenze erfordert eine Umgangsge-
nehmigung (des Gewerbeaufsichtsamts), die
bestimmte Laboreinrichtungen und die Fach-
kenntnis des Personals voraussetzt. Als kriti-
sches Organ wird das Organ bezeichnet, das
nach einer Inkorporation die empfindlichsten
Reaktionen des Körpers erwarten lässt.
In einem Labor, in dem mit offenen radioakti-
ven Stoffen oberhalb der Freigrenze gearbeitet
wird (Isotopenlabor), müssen Überwachungs-
einrichtungen auf Kontamination vorhanden
Abb. 8.101 Dosisaufbaufaktor in Abhängigkeit sein, um ein ungewolltes Verschleppen der
vom Produkt aus Schwächungskoeffizient und
radioaktiven Stoffe in die angrenzenden
Absorberdichte sowie der Energie der γ-Quanten
Räume zu vermeiden. Hierfür werden häufig
Xenon-Großflächen-Zählrohre eingesetzt. Es
schlossen oder in festen inaktiven Stoffen stän- handelt sich um Proportionalzählrohre mit
dig so eingebettet, dass bei üblicher betriebs- einer effektiven Fensterfläche bis 900 cm2
mäßiger Beanspruchung ein Austritt radioak- und Zählwirkungsgrade je nach Radionuklid
tiver Stoffe mit Sicherheit verhindert wird. bis zu 35%. Diese Detektoren sind auch in
Beim Arbeiten mit offenen radioaktiven Stof- den Personen-Kontaminationsmonitoren ein-
fen (z. B. Lösungen, Feststoffe, Gase) besteht gebaut. Beim Verlassen des Isotopenlabors
die Gefahr einer Aufnahme in den Körper muss jede Person diesen Monitor betreten. Es
(Inkorporation). Dies muss durch entspre- erfolgt eine Messung der Oberflächenaktivität
chende Laboreinrichtungen und umsichtiges (Bq cm−2 ) von Händen und Schuhen bzw.
Arbeiten verhindert werden, denn eine innere Kleidung (mit beweglichem Detektor). Bei
Strahlenbelastung ist bedeutend gefährlicher Überschreitung eines Schwellenwertes sind
als eine äußere Strahleneinwirkung. Die in- Dekontaminationsmaßnahmen erforderlich.
korporierten Radionuklide können sich im Zur Überprüfung von Kontaminationen am
Körper in bestimmten Organen anreichern Arbeitsplatz eignen sich besonders Konta-
und diese bis zu ihrem vollständigen Zerfall minationsmonitore, die für ein Radionuklid
direkt schädigen. direkt die Aktivität je Fläche angeben.
Zur Beurteilung der Radiotoxizität (Ta- Zum Schutz von Wasser und Luft müssen in
belle 8.22) ist deshalb außer der physikali- einem Isotopenlabor besondere Kontrollein-
schen die biologische Halbwertszeit wichtig. richtungen installiert sein. Die Messung der
8.10 Strahlenschutz 781

Tabelle 8.22 Radiotoxizität und kritische Organe

Nuklid Freigrenze Bq Halbwertszeit Tphys. Halbwertszeit Tbiol. kritisches Organ

U-238 ∗ ) 103 4,47 · 109 a 300 d Nieren


Cs-137 104 30,17 a 100 d Muskel
Pb-210 ∗ ) 104 22,3 a 730 d Knochen
Po-210 104 138,4 d 40 d Milz
Sr-90 104 28,6 a 11 a Knochen
U-233 104 1,59 · 105 a 300 d Knochen
Ce-144 105 284,8 d 330 d Knochen
Na-24 105 15 h 19 d ges. Körper
Cd-109 106 1,3 a 100 d Leber
I-131 106 8,0 d 180 d Schilddrüse
Na-22 106 2,6 a 19 d ges. Körper
Sr-85 106 68 m 11 a Knochen
C-14 107 5 730 a 35 a Fett
Rh-105 107 35,4 h 28 d Nieren
H-3 109 12,3 a 19 a ges. Körper

∗ ) im Gleichgewicht mit Tochternukliden

Aktivität erfolgt durch Tauchzählrohre, die Ü 8-3 Berechnen Sie mit Hilfe der Radiokarbonme-
in das Abwasser eintauchen. Nur wenn ent- thode das Alter eines in einer archäologischen Fund-
sprechende Grenzwerte unterschritten wer- stätte ausgegrabenen Knochens, der 80 g Kohlenstoff
enthält. Die 14 C-Zerfallsrate beträgt 6,4 Bq.
den, darf das Abwasser in die öffentliche Kana-
Hinweis: In organischen Substanzen befindet sich stets
lisation abgeleitet werden, andernfalls ist eine ein geringer Anteil an radioaktivem 14 C, das entspre-
ordnungsgemäße Beseitigung des radioakti- chend seiner Halbwertszeit zerfällt. In einem leben-
ven Wassers erforderlich. digen Organismus ist das Verhältnis von 14 C zu 12 C
etwa 1,3 · 10−12 . Damit ist die spezifische Aktivität
Zur Übung
0,25 Bq/g. Da nach dem Absterben des Organismus
Ü 8-1 Welche Photonenenergien und welche Wel-
kein Kohlenstoff mehr eingebaut wird, kann aus der
lenlängen werden bei der Balmer-Serie des Wasser-
heute noch messbaren Aktivität an 14 C-Zerfällen in ei-
stoffatoms emittiert? Welche dieser Spektrallinien lie-
nem solchen Objekt auf sein Alter geschlossen werden.
gen im sichtbaren Spektralbereich?

Ü 8-2 Charakteristische Röntgenstrahlung entsteht Ü 8-4 Natürliches Silicium enthält die Isotope 28 Si,
beim Übergang von Elektronen aus Schalen höhe- 29 Si und 30 Si. Beim Transmutation Doping wird es

rer in solche niedrigerer Energie, insbesondere in in- mit Neutronen bestrahlt. Dabei wandeln sich Kerne
nere Schalen mit kleiner Hauptquantenzahl n. a) Be- in 29 Si, 30 Si und 31 Si um. 31 Si ist instabil und geht
rechnen Sie die Quantenenergie und Wellenlänge der durch einen β-Zerfall mit einer Halbwertszeit von
Kupfer-Kα -Strahlung, die entsteht, wenn Elektronen 2,6 h in den stabilen Kern 31 P über. Damit ist Si-
von der L-Schale auf die K-Schale fallen. Benutzen Sie licium mit Phosphor dotiert. a) Ein Siliciumkristall
dazu näherungsweise das Bohr’sche Atommodell. b) der Masse 1 kg soll mit einer Phosphor-Konzentration
Das Bohr’sche Atommodell ist natürlich für ein Mehr- von np = 1017 cm−3 dotiert werden. Wie groß ist
elektronenproblem nicht anwendbar. Berechnen Sie dann die Zahl der benötigten 31 Si-Kerne? b) Wie
mit Hilfe der Tabelle 8.3 die exakte Wellenlänge der groß ist die Aktivität des Kristalls? c) Wie lange muss
Röntgen-Kα1 -Strahlung, die entsteht, wenn Elektronen man warten bis die Aktivität auf 1 Bq abgenommen
aus der LIII - in die K-Schale übergehen. hat?
Kapitel 9
Festkörperphysik 9

E. Hering et al., Physik für Ingenieure,


DOI 10.1007/978-3-642-22569-7_9, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
9 Festkörperphysik
9.1 Struktur fester Körper . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 785
9.1.1 Kristallbindungsarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 785
9.1.2 Kristalline Strukturen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 788
9.1.3 Gitterfehler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 792
9.1.4 Amorphe Werkstoffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 794
9.1.5 Makromolekulare Festkörper . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 796
9.1.6 Ausgewählte Werkstoffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 800
9 9.1.7
9.2
Flüssigkristalle. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Elektronen in Festkörpern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
806
809
9.2.1 Energiebänder-Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 809
9.2.2 Metalle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 812
9.2.3 Halbleiter. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 818
9.2.4 Supraleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 832
9.3 Thermodynamik fester Körper . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 837
9.3.1 Gitterschwingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 837
9.3.2 Effekte im Zusammenhang mit Wärmefluss und elektrischem Strom . . . . . . . . . . . . . 845
9.3.3 Piezoelektrizität. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 847
9.4 Optoelektronische Halbleiter-Bauelemente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 850
9.4.1 Strahlungsquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 850
9.4.2 Empfänger. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 854
9 Festkörperphysik

Die Festkörperphysik hat sich seit Mitte des 9.1 Struktur fester Körper
20. Jh. von der reinen Grundlagenforschung zu
dem wichtigsten anwendungsorientierten Ge- 9.1.1 Kristallbindungsarten
biet entwickelt. Abbildung 9.1 zeigt, dass die
Festkörperphysik ohne die Atom- und Quan- Zwischen den Atomen bzw. Molekülen fester
tenphysik nicht verstanden werden kann, so- Körper wirken ausschließlich elektrostatische
dass des Öfteren auf die entsprechenden Ab- Kräfte der Anziehung oder Abstoßung. Ma-
schnitte verwiesen werden muss. gnetische Kraftwirkungen können demgegen-
Wie Abb. 9.1 weiterhin zeigt, spielt die Fest- über völlig vernachlässigt werden. Je nach Wir-
körperphysik praktisch in jedem Bereich eine kungsweise der Kräfte unterscheidet man vier
Rolle, da sie die mechanischen, thermischen, Bindungstypen:
elektrischen, magnetischen und optischen Ei-
genschaften fester Körper beschreibt. So be- – van-der-Waals’sche Bindung,
trachtet haben alle Abschnitte dieses Buches – kovalente (homöopolare) Bindung,
zu ihr einen Bezug. Um die große Bedeutung – Ionenbindung (heteropolare Bindung) und
der Festkörperphysik zu zeigen, sei beispiels- – metallische Bindung.
weise auf die Anwendungen in der Nanotech- Abbildung 9.2 zeigt für die jeweilige Bindungs-
nologie, in der Mikroelektronik (vom Compu- art die Kraftwirkungen, die Bindungsenergie,
terchip bis zur Flüssigkristallanzeige), in der Beispiele und die typischen Werkstoffeigen-
Werkstofftechnik (z. B. metallische, magneti- schaften.
sche, amorphe und keramische Werkstoffe)
und in der Halbleitertechnik verwiesen. 9.1.1.1 Van-der-Waals’sche Bindung
Auch Atome und Moleküle, die keine Elek-
tronen austauschen können, weil ihre Elek-
tronenschalen abgeschlossen sind, üben
aufeinander schwache elektrische Bindungs-
kräfte aus und kristallisieren; so befinden
sich auch Edelgase bei entsprechend tiefen
Temperaturen im festen Aggregatzustand, bis
auf 3He, das bei diesen Temperaturen super-
fluid wird. Fällt aufgrund der Molekülstruktur
Abb. 9.1 Strukturbild Festkörperphysik oder der Beweglichkeit der Atomelektronen

M. Stohrer, E. Hering, R. Martin, Physik für Ingenieure.


DOI 10.1007/978-3-642-22569-7_9 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
786 9 Festkörperphysik

Abb. 9.2 Bindungsarten

der Schwerpunkt der positiven Ladung nicht dungsenergie EB sehr schnell mit zunehmen-
mit dem der negativen zusammen, so entsteht dem Abstand ab (Nahwirkung) und ist zu-
ein permanentes bzw. induziertes elektrisches dem ziemlich schwach (etwa 0,02 eV/Atom bis
Dipolmoment (Abschn. 4.3.7). Dieses influ- 0,1 eV/Atom). van-der-Waals-Kräfte treten bei
enziert im Nachbaratom oder benachbarten jeder Bindung auf, doch sind sie im Vergleich
Molekül ein entgegengesetztes Dipolmoment, zu den bei anderen Bindungsarten wirkenden
sodass eine schwach wirkende Anziehungs- Bindungskräften so klein, dass sie vernachläs-
kraft auftritt. Sie wird nach ihrem Entdecker sigt werden können.
van-der-Waals-Kraft genannt (J. D. van der
Waals, 1837 bis 1923). 9.1.1.2 Kovalente (homöopolare) Bindung
Je mehr benachbarte Atome vorhanden sind Für die homöopolare oder kovalente Bindung
und je dichter diese beieinander liegen, umso sind die Elektronenstrukturen der Elemente
fester ist die Bindung. Deshalb kristallisieren der dritten bis fünften Hauptgruppe des Pe-
die Edelgase in der kubisch-dichtesten Kugel- riodensystems (Abschn. 8.5.1) besonders ge-
packung. Die Bindungsenergie der van-der- eignet. Beispielsweise haben alle Elemente der
Waals-Bindung ist vierten Gruppe vier Valenzelektronen in der
äußersten Elektronenschale. Mit Hilfe je ei-
Konstante
EB = . (9.1) nes Elektrons von vier nächsten Nachbarn
r6 kann sich jedes Atom eine edelgasähnliche
Elektronenkonfiguration schaffen, die energe-
Die Konstante liegt in der Größenordnung von tisch sehr günstig ist. Jeweils zwei benach-
10−77 J m6 . Wie (9.1) zeigt, nimmt die Bin- barte Atome teilen sich ein Elektronenpaar,
9.1 Struktur fester Körper 787

bei der Errechnung der Bindungsenergie be-


rücksichtigt wird. Für die Bindungsenergie gilt

Q2 α
EB = (9.2)
4 π ε0 r

mit
Abb. 9.3 Tetraederstruktur des Diamantgitters
α 1 1 1 1
=2 − + − + ···
r r 2r 3r 4r
wobei der Elektronenaustausch dann zu ei-
2 1 1
ner anziehenden Kraft führt, wenn die betei- = 1− + − ··· .
r 2 3
ligten Elektronen entgegengesetzte Spinrich-
tungen haben. Die Orbitale der Elektronen Der Faktor 2 vor der Klammer berücksichtigt,
(Abschn. 8.2.4) gehen eine Hybridisierung ein dass die Ionenkette nach beiden Seiten ver-
und dies bewirkt eine stark gerichtete Bin- läuft; r ist der Abstand benachbarter Ionen im
dung. So schließen beispielsweise die sp3 - Kristall. Daraus ergibt sich
Hybridorbitale des Kohlenstoffs einen Winkel
von 109,5◦ ein, sodass sich die in Abb. 9.3 skiz-
α 2 · ln 2 1,386
zierte tetraedrische Struktur des Diamantgit- = = . (9.3)
r r r
ters ergibt.
Die kovalente Bindung herrscht in Stoffen, die
Isolatoren oder Halbleiter sind. Sie sind außer- Im dreidimensionalen Fall ist die Berechnung
ordentlich hart und schwer verformbar und komplizierter. Der konstante Faktor α wird
weisen einen hohen Schmelzpunkt auf. als Madelung-Konstante bezeichnet (E. Made-
lung, 1881 bis 1972) und beträgt für das drei-
9.1.1.3 Ionenbindung dimensionale Kochsalzgitter (NaCl) α = 1,75.
Diese Bindung beruht auf der Coulomb- Die Ionenbindung ist typisch für Salze. Diese
Kraft (4.1.1) zweier Ionen, d. h. unterschied- Substanzen sind bei niedrigen Temperaturen
lich geladener Atome oder Moleküle. Das Isolatoren, weisen aber bei höheren Tempera-
Anion ist negativ, das Kation positiv geladen. turen aufgrund der Dissoziation der Ionen eine
Die Bindungsenergie zweier Ionen beträgt elektrolytische Ionenleitung auf. Diese Werk-
stoffe sind in der Regel hart und nur plastisch
Q2 1
EB = . verformbar.
4 π ε0 r
Im Gegensatz zur van-der-Waals’schen Bin-
dungsenergie, die proportional zu 1/ r6 ab-
nimmt, verringert sich die Bindungsenergie
der Ionenbindung nur mit 1/ r. Die Ionenbin-
dung hat daher eine große Reichweite und
macht die Einbeziehung auch der weiter ent-
fernten Nachbarn erforderlich. Abbildung 9.4 Abb. 9.4 Einfluss der Nachbarionen auf die
zeigt am Beispiel einer linearen Kette, wie dies Bindungsenergie bei einer Ionenbindung
788 9 Festkörperphysik

Beispiel nachbarten Gruppen. Im Allgemeinen brau-


9.1-1 Für NaCl soll die Bindungsenergie EB für einen chen Legierungen jedoch kein festes stöchio-
Atomabstand von 2,8 · 10−10 m berechnet werden. metrisches Atomverhältnis aufzuweisen, um
Lösung stabil zu sein.
Nach (9.2) ergibt sich EB = (α e2 )/ (4π ε0 r) = Wegen der räumlichen Isotropie der metalli-
1,44 · 10−18 J/Ion oder 8,99 eV/Ion: Experimentell wird schen Bindung ist eine leichte Verschiebbarkeit
ein Wert von 7,99 eV/Ion gefunden. Dies bedeutet, der Atomrümpfe innerhalb der Kristallstruk-
dass eine abstoßende Energie von etwa 10% der tur vorhanden. Metalle und Legierungen sind
Bindungsenergie berücksichtigt werden muss.
deshalb in der Regel leicht verformbar.

9.1.1.4 Metallische Bindung 9.1.2 Kristalline Strukturen


Bei der metallischen Bindung kommt die bin-
dende Wirkung dadurch zustande, dass die Viele Festkörper haben eine in drei Raum-
von den Atomen abgegebenen äußeren Va- richtungen regelmäßige (periodische) Atom-
lenzelektronen energetisch mit allen positi- struktur, die kristalline Struktur genannt wird.
ven Atomrümpfen des Kristalls wechselwirken Manche Kristalle lassen diese Symmetrien mit
und dadurch eine metallische Bindungskraft bloßem Auge erkennen. Festkörper ohne regel-
hervorrufen. Diese Bindung kettet die Bin- mäßige Atomanordnung werden amorph ge-
dungspartner nicht starr aneinander. Die Bin- nannt. Zu dieser Stoffgruppe gehören bei-
dungselektronen sind nicht lokalisiert und ha- spielsweise die Gläser, die keramischen Werk-
ben eine große Beweglichkeit (Elektronengas). stoffe und viele organische Materialien (Kunst-
Deshalb haben Kristalle mit metallischen Bin- stoffe). Bei kristallinen Strukturen sind die
dungen eine gute elektrische Leitfähigkeit und
Wärmeleitung. Die Bindungskräfte sind nicht
so stark wie bei der Ionenbindung, sondern
eher mit der kovalenten Bindung vergleichbar.
Da die Bindungskräfte gleichmäßig im Raum
wirken, werden dichteste Kugelpackungen be-
vorzugt. Atome mit zur metallischen Bindung
geeigneter Elektronenstruktur, d. h. Metalle,
kommen im Wesentlichen in der ersten, zwei-
ten und dritten Hauptgruppe sowie in den Ne-
bengruppen des periodischen Systems vor.
Weil bei der metallischen Bindung die posi-
tiven Atomrümpfe nicht stark aneinander ge-
bunden sind, ist es auch leicht möglich, andere
Atome einzuschmelzen und Legierungen her-
zustellen. Die Deformationsenergie des Kris-
tallgitters darf jedoch nicht größer als die Bin-
dungsenergie der metallischen Bindung sein,
weil sich sonst die Legierungspartner entmi- Abb. 9.5 Einkristalline Reinst-Silicium-Stäbe
schen. Besonders legierungsgeeignete Atome mit einem Durchmesser von 150 mm. Werkfoto:
sind aus diesem Grund Atome aus den be- Wacker-Chemitronic
9.1 Struktur fester Körper 789

physikalischen Größen (z. B. Resistivität oder – die Atomabstände entlang der Koordi-
Zugfestigkeit) von der Kristallrichtung ab- natenachsen (z. B. Gitterkonstante a in
hängig (anisotropes Verhalten), während sie x-Richtung, b in y-Richtung und c in
bei homogenen amorphen Strukturen in allen z-Richtung) sowie
Richtungen gleich groß sind (isotropes Verhal- – die Winkel α, β und γ zwischen den Kristall-
ten). achsen.
Die meisten Festkörper kristallisieren aus
ihren Schmelzen polykristallin; die kristalli- Man unterscheidet sieben Kristallsysteme
nen Strukturen erstrecken sich nur über eine (Abb. 9.7) nach folgenden Kriterien:
Größe von einigen Mikrometern. Die makro-
– die Gitterkonstanten sind gleich oder un-
skopischen Eigenschaften dieser Festkörper
gleich und
sind isotrop. Durch Kristallziehverfahren
– die Winkel zwischen den Achsen sind 90◦
gelingt es heute, meterlange Einkristalle mit
oder haben einen anderen Betrag.
einheitlicher Gitterstruktur herzustellen, wie
Abb. 9.5 zeigt. Sie werden bevorzugt in der Innerhalb dieser Kristallsysteme sind je nach
Halbleiterfertigung benötigt. Belegung mit Atomen noch vier Varianten un-
terscheidbar:
9.1.2.1 Kristallsysteme – primitive Gitter
Bei einem Kristall befinden sich die Atome in Es sind nur die Eckpunkte der Elementar-
jeder Raumrichtung in gleichmäßigen Abstän- zelle mit Atomen belegt;
den an den Kreuzungspunkten eines räum-
lichen Gitters. Das Kristallgitter kann somit
durch ein räumliches Koordinatensystem be-
schrieben werden, dessen kleinstes Element
die Elementarzelle ist.
Wie Abb. 9.6 verdeutlicht, wird die Elementar-
zelle beschrieben durch

Abb. 9.6 Beschreibung einer Elementarzelle durch


Gitterkonstanten in den drei Raumrichtungen Abb. 9.7 Bravais-Gitter
790 9 Festkörperphysik

– flächenzentrierte Gitter Ausgangsebene besetzen. Es gibt zwei Mög-


Zusätzlich sind die Gitterflächen mit Ato- lichkeiten, diese dichteste Kugelpackung zu
men belegt; verwirklichen:
– basiszentrierte Gitter
Zusätzlich sind zwei gegenüberliegende Flä- – Folge ABAB … über den Kugellücken der
chen mit Atomen belegt; Ausgangslage A liegt die Kugelebene B, und
– raumzentrierte Gitter die nächste Kugelebene liegt wieder über der
Zusätzlich befindet sich noch ein Atom im Ausgangslage A. Dies ist typisch für die he-
Innern der Zelle. xagonal dichteste Kugelpackung (HdP-, A3-
Struktur);
Die sieben Kristallsysteme mit ihren Varian- – Folge ABCABC … über den Kugellücken
ten ergeben die 14 Bravais-Gitter (A. Bravais, der Ausgangslage A liegt die Kugelebene
1811 bis 1863). Sie sind in Abb. 9.7 nach zuneh- B, darauf folgt über den entstandenen
mender Teilchendichte geordnet zusammen- Kugellücken die Kugelebene C, bis sich
gestellt. die Kugelschichtung wiederholt. Dies
Die Kristallstrukturen ergeben sich durch die ist typisch für die kubisch-flächenzen-
Verschiebung (Translation) der Elementarzel- trierte Struktur (Kfz-, A1-Struktur).
len um die Gitterkonstanten in allen drei Ach-
senrichtungen. Diese Gitter nennt man des- In beiden Fällen beträgt das Kugelvolumen
halb auch Translationsgitter. Die Kristallstruk- 74% des Volumens der Elementarzelle. Für das
turen können durch Röntgen-, Elektronen- kubisch-raumzentrierte Gitter (Krz, A2) ergibt
und Neutronenbeugung genau bestimmt wer- sich noch eine Packungsdichte von 68%. In
den (Röntgenanalyse, Abschn. 6.4.1.8). Abb. 9.8 sind die Eigenschaften der drei Gitter-
Bei den Metallen spielen wegen der isotropen
Bindungswirkung (Abschn. 9.1.1.4) nur drei
Gittertypen eine wesentliche Rolle:

– die kubisch-flächenzentrierte Struktur (Kfz-


oder A1-Struktur),
– die kubisch-raumzentrierte Struktur (Krz-
oder A2-Struktur) und
– die hexagonal dichteste Kugelpackung (HdP-
oder A3-Struktur).

In Tabelle 9.1 sind für einige Metalle mit


kubisch-flächenzentrierter oder kubisch-
raumzentrierter Kristallstruktur die Dichte,
die Gitterkonstante und der Abstand zweier
nächster Nachbarn angegeben.

9.1.2.2 Dichteste Kugelpackungen


Die Atome, idealisiert dargestellt als Kugeln,
liegen besonders dicht beieinander, wenn auf-
einander folgende Kugelebenen die Lücken der Abb. 9.8 Gittertypen dichtester Kugelpackung
9.1 Struktur fester Körper 791

Tabelle 9.1 Atomare Konstanten einiger Metalle mit kubisch-flächenzentrierter und kubisch-raumzentrierter
Struktur

Kubisch- Dichte ρ Gitter- Abstand Kubisch- Dichte ρ Gitter- Abstand


flächen- in g/cm3 konstante zweier raum- in g/cm3 konstante zweier
zentriert a in nächster zentriert a in nächster
10−10 m Nachbarn 10−10 m Nachbarn
in 10−10 m in 10−10 m

Ce 6,9 5,16 3,64 Cs 1,9 6,08 5,24


Pb 11,34 4,94 3,49 K 0,86 5,33 4,62
Ag 10,49 4,08 2,88 Ba 3,5 5,01 4,34
Au 19,32 4,07 2,88 Na 0,97 4,28 3,71
Al 2,7 4,04 2,86 Zr 6,5 3,61 3,16
Pt 21,45 3,92 2,77 Li 0,53 3,50 3,03
Cu 8,96 3,61 2,55 W 19,3 3,16 2,73
Ni 8,90 3,52 2,49 Fe 7,87 2,86 2,48

typen dichtester Kugelpackungen gegenüber- Die Koordinatensysteme sind deshalb für ku-
gestellt. bische, tetragonale, orthorhombische und he-
Um die Atomanzahl je Elementarzelle feststel- xagonale Kristallsysteme rechtwinklig. Weil
len zu können, muss bedacht werden, dass bei die Kristallebenen die Kristallachsen immer im
einer kubischen Elementarzelle die Eckatome Verhältnis ganzer Zahlen (bezogen auf die Git-
zu 8 Zellen, die flächenzentrierten Atome zu terkonstanten) schneiden, kann eine Ebene in
2 Zellen und die raumzentrierten Atome zu einem dreiachsigen Koordinatensystem durch
1 Zelle gehören. Es befinden sich also in der ein Zahlentripel h, k und l indiziert werden. Die
kubisch-flächenzentrierten Elementarzelle Ebenenkennzeichnung wird in runde Klam-
8 · 1/ 8 + 6 · 1/ 2 = 4 Atome. Entsprechende mern gesetzt (h, k, l). Als Bezugsgrößen die-
Berechnungen ergeben für die HdP- bzw. nen also die Gitterkonstanten in x-, y- und z-
Krz-Struktur 2 Atome je Elementarzelle.
Die Koordinationszahl gibt die Anzahl der
nächsten Nachbarn an. Sie beträgt bei der Kfz-
und der HdP-Struktur 12 und bei der Krz-
Struktur 8.

9.1.2.3 Richtungen und Ebenen im Kristallgitter


Weil viele physikalische Eigenschaften in
Kristallen richtungsabhängig sind, müssen
Kristallrichtungen und atombesetzte Ebe-
nen (Netzebenen) gekennzeichnet werden.
Dies geschieht durch Miller’sche Indizes
(W. H. Miller, 1801 bis 1880).
Für die Indizierung wird ein Koordinatensys-
tem gewählt, dessen Achsen parallel zu den Abb. 9.9 Indizierung von Kristallrichtungen und
Kanten der Elementarzelle des Gitters sind. Kristallebenen
792 9 Festkörperphysik

Richtung (a, b und c). Abbildung 9.9 zeigt die 9.1.3 Gitterfehler
Vorgehensweise. Die Ebene durch die Punkte
A, B und C hat folgende Achsenabschnitte: Der periodisch regelmäßige Kristallaufbau
x = a/ 2, y = b und z = c/ 3. Die reziproken kann Fehler aufweisen (Gitterfehler), die zu
Werte sind h = 2, k = 1 und l = 3. Dies sind veränderten Materialeigenschaften führen
die Miller’schen Indizes der Ebene (213). Alle können. Durch den Einbau von Gitterfehlern
dazu parallelen Ebenen sind kristallografisch können deshalb gezielt Werkstoffeigenschaf-
gleichwertig, z. B. (213) und (426). ten eingestellt werden, z. B. eine hohe Zugfes-
Die Kristallrichtung steht immer senkrecht zur tigkeit oder ein bestimmter Verformungsgrad
Kristallebene. Die Indizierung der Richtung oder elektrische Eigenschaften (Halblei-
setzt man in eckige Klammern, also [213]. ter). Abbildung 9.11 zeigt die Einteilung der
Das Wertetripel ist die Gruppe kleinster gan- Gitterfehler. Die Modellvorstellungen von
zer Zahlen, die sich untereinander verhalten Kristallgitterfehlern werden durch elektro-
wie die Komponenten des Richtungsvektors nenmikroskopische Beobachtungen analoger
(Abb. 9.9). Abbildung 9.10 zeigt die Indizie- Fehler bei Flussliniengittern in Supraleitern
rung der wichtigsten Ebenen und Richtungen bestätigt (Abschn. 9.2.4). Die Fotos stammen
in kubischen Kristallen. von einer Pb/6,3%In-Folie der Dicke 1 μm bei
T = 2,1 K und Ba = 7 · 10−3 T. Außerdem zeigt
eine elektronenmikroskopische Aufnahme
Versetzungslinien in Kupfer-Einkristallen.

9.1.3.1 Punktfehler
Man unterscheidet folgende Punktfehler:
– Leerstellen
Es fehlen Atome auf den Gitterplätzen
(Schottky-Fehlordnung);
– Zwischengitteratome
Es befinden sich zusätzliche Atome im Git-
ter zwischen den Atomen (Anti-Schottky-
Fehlordnung);
– Frenkel-Paare
Es fehlen Atome auf den Gitterplätzen (Leer-
stellen) und es befinden sich zusätzliche
Atome auf Zwischengitterplätzen;
– Fremdstörstellen
Fremde Atome befinden sich im Atomgit-
ter entweder an einem regulären Atom-
platz (Substitutionsatome) oder zwischen
den Gitterplätzen (Einlagerungsatome oder
interstitielle Atome).
Punktfehler wirken sich auf die spezifische
Abb. 9.10 Miller’sche Indizes für Ebenen und Wärmekapazität und die elektrischen Eigen-
Richtungen in kubischen Kristallen schaften aus. Von besonderer Bedeutung sind
9.1
Struktur fester Körper 793

Abb. 9.11 Gitterfehler (Fotos: Flussliniengitter in Supraleitern nach Eßmann und Träuble)
794 9 Festkörperphysik

bei Halbleitern die Fremdstörstellen der Do- ler treten bei den dichtesten Kugelpackungen
tierung. (Abschn. 9.1.2.2) auf, wenn entweder zusätzli-
che Stapelebenen eingefügt oder entfernt wer-
9.1.3.2 Linienfehler den. Korngrenzen sind die Grenzflächen zwi-
Die Linienfehler werden Versetzungen ge- schen Kristalliten, d. h. verschieden orientier-
nannt. Bei Stufenversetzungen enden Gitter- ten Kristallbereichen. Sie sind etwa 10 μm bis
ebenen wie Keile im Kristall. Die Gleitrichtung 100 μm groß und vor allem bei Vielkristallen
ist senkrecht zur Versetzungslinie (Symbol ⊥). (Polykristallen) gut zu erkennen.
Bei Schraubenversetzungen ist das Kristall-
gitter parallel zur Versetzungslinie um eine 9.1.4 Amorphe Werkstoffe
Netzebene (Abstand des Burgers-Vektors b)
versetzt. Schraubenversetzungen lassen sich Im Gegensatz zu kristallinen Festkörpern
modellhaft so vorstellen, dass das Kristall- sind in amorphen Festkörpern die einzelnen
gitter zur Hälfte aufgeschnitten wird und die Atome weitgehend unregelmäßig angeordnet.
Schnittkanten z. B. um eine Gitterkonstante Daraus ergeben sich eine Vielzahl spezieller
verschoben werden. Im realen Kristall liegen Werkstoffeigenschaften. Im Folgenden ist die
die Versetzungen sowohl als Stufen- als auch technisch bedeutsame Werkstoffgruppe der
als Schraubenversetzungen vor (gemischte amorphen Legierungen beschrieben.
Versetzungen). Die Versetzungsdichte wird in Kühlt man eine Legierung mit einer Abkühl-
Länge je Volumen (cm/cm3 ) angegeben. Sie geschwindigkeit von mehr als 106 K/s ab, friert
liegt für weichgeglühte Metalle beispielsweise die weitgehend ungeordnete amorphe Struk-
zwischen 106 cm−2 und 108 cm−2 und kann tur der flüssigen Phase ein, und die Kristallisa-
durch Schmieden auf 1011 cm−2 bis 1012 cm−2 tion unterbleibt. Dies wird durch das Schmelz-
gesteigert werden. spinnverfahren erreicht, bei dem die flüssige
Durch Versetzungen können Kristallebenen Schmelze auf eine schnell rotierende (Um-
leichter gegeneinander verschoben werden. fangsgeschwindigkeit 10 m/s bis 50 m/s), sehr
Dies wird deutlich, wenn eine Stufenverset- gut wärmeleitende Trommel gespritzt wird
zung mit einer Falte im Teppich verglichen und dort zu einem dünnen Band erstarrt.
wird. Durch die Wanderung der Teppichfalte Dieses Verfahren erlaubt die kontinuierliche
(der Stufenversetzung) wird der Teppich ver- Herstellung von Bändern mit einer Dicke von
schoben (der Kristall verformt). Diese Ver- 20 μm bis 50 μm und Bandbreiten von 1 mm
schiebung des Teppichs (plastische Verfor- bis 50 mm.
mung des Kristalls) durch Wanderung der Die amorphen Legierungen werden auch me-
Falte (der Versetzung) ist mit viel geringerem tallische Gläser genannt. Sie haben nämlich ei-
Kraftaufwand möglich als die Verschiebung nerseits die Eigenschaften von Metallen (z. B.
des ganzen Teppichs (der ganzen Netzebene). elastisch bei hoher mechanischer Spannung,
Die äußere Spannung, die zur Verschiebung magnetisch weich, gut wärme- und stromlei-
einer Versetzung notwendig ist, liegt zwischen tend) und andererseits die Eigenschaften von
0,1 N/m2 und 1 N/m2 . Gläsern (z. B. mechanisch hart und sehr korro-
sionsbeständig). Während Metalle eine kubi-
9.1.3.3 Flächenfehler sche oder hexagonale Elementarzelle aufwei-
Hierbei handelt es sich um Fehler in den sen, ist bei Gläsern das in der Zellmitte be-
Grenzflächen der Kristallbereiche. Stapelfeh- findliche Atomvolumen etwas kleiner als bei
9.1 Struktur fester Körper 795

der hexagonalen Anordnung, sodass eine fünf- Blutgefäße aussehen und dem Bruchverhalten
zählige Symmetrie entsteht, die auch bei me- von Fetten ähnlich sind.
tallischen Gläsern beobachtet wird. Dadurch Die amorphen Legierungen sind wie die Gläser
ist die für Metalle typische dichteste Raum- extrem korrosionsbeständig. Dennoch ist eine
ausfüllung nicht möglich. In Tabelle 9.2 sind Behandlung der Oberfläche durch galvanische
einige amorphe Legierungen und ihre Eigen- Überzüge oder durch Elektropolieren wie bei
schaften wiedergegeben. Metallen möglich.
Amorphe Legierungen zeigen eine einzig- Die elektrischen und magnetischen Eigen-
artige Kombination von Festigkeit und schaften sind ebenfalls bemerkenswert. Die
Verformbarkeit. Es gibt metallische Glä- Resistivität metallischer Gläser auf Fe-Ni- oder
ser, deren Bruchgrenze dreimal größer ist Co-Ni-Fe-Basis liegt zwischen 1,2 (Ω mm2 )/m
als diejenige von rostfreiem Stahl; hierbei und 1,5 (Ω mm2 )/m und ist vergleichbar mit
ist die Ermüdungsfestigkeit vergleichbar mit Edelstahl (1,12 (Ω mm2 )/m). In der Regel ist
hochwertigen Stählen. Wegen der amorphen die Resistivität zwei- bis dreimal größer als
Struktur ist eine Verformbarkeit des Materials bei vergleichbaren kristallinen Metallen. Der
durch Wanderung von Versetzungen nicht Temperaturkoeffizient der Resistivität ist sehr
möglich. Bei Zugbeanspruchung bricht die klein und liegt im Bereich von −100 · 10−6 K−1
Probe so, dass die Bruchfläche unter 45◦ zur bis 500 · 10−6 K−1 . Es sind amorphe Legierun-
Zugrichtung verläuft. In der Bruchebene sind gen mit einem Temperaturkoeffizienten von
Risse erkennbar, die, wie Abb. 9.12 zeigt, ungefähr null herstellbar.
unter dem Elektronenmikroskop erhaben wie Ausgangsmetalle für magnetische Anwendun-
gen sind die klassischen magnetischen Me-
talle Fe, Co und Ni. Durch kristallisationshem-
Tabelle 9.2 Amorphe Werkstoffe und ihre mende Zusätze von Al, B, C, P und Si in der Grö-
Eigenschaften ßenordnung von 15 bis 25 Atomprozent wird
der amorphe Zustand erreicht (Tabelle 9.2).
Zusammensetzung Eigenschaften Die amorphen Legierungen zeigen eine ex-
(Atomprozent) trem hohe Permeabilitätszahl (μr ≥ 500 000),
Eisen-Legierungen Fe(80) hohe Permeabili-
mit C, Si, B (20) z. B. Fe82 B18 tätszahl μr > 5 · 105
Eisen-Nickel-Legierungen kleine Koerzitiv-
Fe(40) und Ni(40) mit feldstärke
Si oder B (20) Hc ≤ 1 A/m
z. B. Fe40 Ni40 B20
Kobalt-Nickel-Eisen-Legie-
rungen Co, Ni, Fe(75) mit Si
oder B(25)
z. B. Co50 Ni20 Fe6 Si12 B12
Fe32 Ni36 Cr14 P12 B6 sehr hart und kor-
rosionsbeständig
Ti50 Be40 Zr10 hohe Festigkeit bei
geringer Dichte
(4,13 g/cm3 ) Abb. 9.12 Bruchflächen von amorphem Band
(Vergrößerung 1800:1). Werkfoto: VAC
796 9 Festkörperphysik

eine kleine Koerzitivfeldstärke (Hc ≤ 1 A/m)


und sehr geringe Ummagnetisierungsverluste
(z. B. 10 W/kg bei 0,2 T und 20 kHz). Somit ge-
hören sie zu den besten weichmagnetischen
Materialien (Abb. 4.121) und werden verwen-
det als

– Transformatorenbleche,
– magnetische Abschirmungen,
– hartes Tonkopfmaterial, das zugleich
schnell ummagnetisierbar ist,
– magnetische Speicher aufgrund der schnel-
len und verlustfreien Ummagnetisierung
Abb. 9.13 Makromolekulare Festkörper
und als
– Federn und Spannbänder zur Verstärkung
von Kunststoff und Gummi (z. B. Autorei- Polymerwerkstoffe oder Kunststoffe bekannt
fen). sind.

9.1.5.1 Struktur und Eigenschaften


9.1.5 Makromolekulare Festkörper der Polymerwerkstoffe
Die Polymerwerkstoffe entstehen durch
Aus sehr langen Molekülen aufgebaute Fest-
chemische Reaktion (Polymerisieren) der Mo-
körper sind makromolekulare Festkörper.
nomeren zu Makromolekülen. Abb. 9.14 zeigt
Die einzelnen Bausteine werden durch
dies am Beispiel von Polyethylen (PE). Durch
die kovalente oder homöopolare Elektro-
Öffnen der Kohlenstoff-Doppelbindungen des
nenpaarbindung zusammengehalten (Ab-
Monomers C2 H4 kommt es zur Polymerisa-
schn. 9.1.1.2). Wie Abbildung 9.13 zeigt,
tion: Es entsteht das Makromolekül (CH2 )n .
sind makromolekulare Festkörper Riesen-
Solche Makromoleküle können linear oder
moleküle aus vielen Einzelatomen (z. B.
Fullerene, C60 , C70 ) vielen einzelnen Mole-
külen (Monomeren) zusammengesetzt. Der
makromolekulare Festkörper kann amorph,
teilkristallin oder kristallin sein. Es treten
Faden-, Schicht- und Raumnetzstrukturen
auf. Kristalline Fadenstrukturen sind bei
den Elementen Schwefel (S), Selen (Se) und
Tellur (Te) zu finden. Kristalline Schicht-
strukturen sind typisch für die Elemente
der Fünfergruppe des periodischen Sys-
tems, wie z. B. Phosphor (P), Arsen (As),
Antimon (Sb) und Wismut (Bi) sowie Koh-
lenstoff (C) in der Graphitstruktur. Die
wichtigste Werkstoffgruppe sind die hoch-
polymeren organischen Werkstoffe, die als Abb. 9.14 Polymerisation von Polyethylen
9.1 Struktur fester Körper 797

Tabelle 9.3 Kunststoffe (Polymerwerkstoffe)

Polymerwerkstoff
Thermoplaste Elastomere Duromere
Charakteristik

Schmelzverhalten schmelzbar nicht schmelzbar nicht schmelzbar


Quellverhalten quellbar quellbar nicht quellbar
Löslichkeit löslich nicht löslich nicht löslich
Struktur Molekülknäuel, unver- weitmaschig vernetzt, engmaschig vernetzt
netzt, amorph, teilkristallin amorph, teilkristallin
Umweltfreundlichkeit wiederverwendbar (200 ◦ C) nicht wiederverwendbar (pyrolisierbar)
Verarbeitung alle Verfahren alle Verfahren, Form- Pressen, Spritzgießen,
gebung vor oder während Formgebung während
der Vernetzung der Vernetzung
(„Vulkanisieren“) („Härtung“)
Beispiele Polyethylen (PE), Buna, Kautschuk, Phenolformaldehyd,
Polyvinylchlorid (PVC), Silicon Rubber (SIR), Melaminformaldehyd,
Polystyrol (PS), Polychloropren (CR), Harnstoffformaldehyd,
Polyamid (Nylon, Perlon), Neopren (ungesättigter
Polyester (Trevira), Polyester, UP),
Polyacrylnitril (Dralon), Epoxidharz (EP)
Polycarbonat (Macrolon)

kettenförmig, verzweigt oder vernetzt sein bestimmten Temperatur ein plötzliches Auf-
(weitmaschig oder engmaschig); ihre Ord- schmelzverhalten; besteht er dagegen aus un-
nung kann statistisch (Knäuelstruktur) oder terschiedlich langen Makromolekülen, dann
parakristallin gerichtet sein. zeigt er einen weiten Erweichungsbereich.
Die Länge der Makromoleküle liegt zwischen Tabelle 9.3 zeigt die Einteilung der Polymer-
10−6 mm und 10−3 mm, und die Kettendicke werkstoffe in Thermoplaste, Elastomere und
beträgt etwa 2 · 10−7 mm bis 3 · 10−7 mm. Da Duromere (Duroplaste) sowie die wichtigsten
die Länge eines Makromoleküls nicht direkt Eigenschaften. Thermoplaste sind schmelzbar,
zugänglich ist, wird als Ersatzgröße die mitt- quellbar, löslich, schon mit geringem Ener-
lere relative Molekülmasse (Mr = mM / u) ver- gieeinsatz (ab 200 ◦ C) wiederverwendbar und
wendet. Sie beträgt bei den Polymerwerkstof- deshalb umweltfreundlich. Thermoplaste sind
fen einige Tausend bis zu 7 Millionen. Die mitt- die gebräuchlichsten Polymerwerkstoffe. Un-
lere Molekülmasse ist ein Maß für die Viskosi- ter den vielen Sorten bestreiten drei Werk-
tät des Werkstoffs. Eine große Molekülmasse stoffe zwei Drittel der Produktion aller Po-
bedingt eine große Viskosität und umgekehrt. lymerwerkstoffe: die Massenkunststoffe Poly-
Für das Werkstoffverhalten ist auch die Streu- ethylen (PE), Polyvinylchlorid (PVC) und Poly-
breite der Molekülmasse (Molekülmassenver- styrol (PS). Unter den Thermoplasten befinden
teilung) maßgebend. Besteht beispielsweise sich auch Kunststoff-Fasern, die z. B. unter den
ein Polymerwerkstoff nur aus Makromole- Markennamen Nylon, Trevira und Dralon be-
külen gleicher Länge, so zeigt er bei einer kannt sind.
798 9 Festkörperphysik

Abb. 9.15 Spannungs-Dehnungs-Diagramme von Polystyrol: a) bei verschiedenen Dehngeschwindigkeiten und


b) bei verschiedenen Prüftemperaturen

Zu den Elastomeren werden nicht schmelz- Zeit, der Höhe und der Art der Beanspru-
bare, nicht lösliche, aber quellbare Polymer- chung. Zudem werden diese Werkstoffe von
werkstoffe gerechnet. Sie sind weitmaschig der Umgebung beeinflusst, z. B. von Lösungs-
vernetzt und zeigen elastisches Verhalten. Die mitteln und der UV-Strahlung.
Vernetzung wird „Vulkanisieren“ genannt. Sie Aus der Vielzahl der Eigenschaften sei im
geschieht nach oder während der Formge- Folgenden das mechanische Verformungs-
bung. Zu den Elastomeren zählen die künstli- verhalten ausgewählt. Abbildung 9.15a zeigt
chen Gummiwerkstoffe (Kunstkautschuk, z. B. Spannungs-Dehnungs-Kurven von Poly-
Buna, Neopren) und Polyurethan (z. B. Bayflex, styrol in Abhängigkeit von der Beanspru-
Elastolan). chungsgeschwindigkeit und Abb. 9.15b in
Die Duromere sind im Gegensatz zu den Elas- Abhängigkeit von der Temperatur. Bei ho-
tomeren hart, nicht schmelzbar, nicht quellbar, her Belastungsgeschwindigkeit (500 mm/s)
unlöslich und wie die Elastomere nicht um- und tiefer Temperatur (−40 ◦ C) zeigt Poly-
weltfreundlich, da sie nicht wiederverwendbar styrol ein relativ sprödes Verhalten, weil die
sind. Man kann sie jedoch über die Verschwe- Umlagerung der Makromoleküle verhindert
lung (Pyrolyse) zur Energieerzeugung heran- wird. Bei geringer Belastungsgeschwindigkeit
ziehen. (0,1 mm/s) und hoher Temperatur (80 ◦ C)
Zu ihnen zählen beispielsweise die Bakelite, sind Umlagerungen möglich, sodass zähes
Formaldehydharze und Expoxidharze (EP). Verhalten auftritt. Abbildung 9.15 soll ver-
Epoxidharze werden auch faserverstärkt als deutlichen, dass für Polymerwerkstoffe die
spezielle Hochleistungswerkstoffe eingesetzt, alleinige Angabe von Werkstoffkennwerten
z. B. zur Herstellung der Rotorblätter für (z. B. Zugfestigkeit) nicht ausreicht. Es ist
Hubschrauber und von ähnlich hochbean- vielmehr notwendig, die entsprechende Tem-
spruchten Teilen. peratur und die Belastungsgeschwindigkeit
mit anzugeben.
9.1.5.2 Spezielle Eigenschaften Die Werkstoffkennwerte von Kunststoffen
der Polymerwerkstoffe (z. B. Zugfestigkeit) bleiben nicht konstant,
Die Eigenschaften der Polymerwerkstoffe sind sondern ändern sich mit der Belastungsdauer
sehr stark abhängig von der Temperatur, der (Kriechverhalten). Deshalb ist die Kenntnis
9.1 Struktur fester Körper 799

σ̇ σ
ε̇ = ε̇el + ε̇v = + . (9.4)
E0 η0

Hierin ist εel der elastische Dehnungsanteil,


E0 der Elastizitätsmodul für den elastischen
Bereich und η0 die statische Viskosität. Dem-
nach steigt die Zugspannung σges mit zuneh-
mender Belastungsgeschwindigkeit ε̇ = dε/ dt
an (Abb. 9.15a). Das visko-elastische Verhal-
ten (relaxierendes Verhalten) wird durch das
Voigt-Kelvin-Modell erklärt. So werden die
Gummielastizität von Kautschuk und Relaxa-
tionsvorgänge (z. B. Kriechen) verständlich.
Das Vier-Parameter-Modell von H. Burger ge-
stattet die Beschreibung des Verformungsver-
haltens eines Polymerwerkstoffs. Die Gesamt-
dehnung εges ist die Summe aus der elastischen
Abb. 9.16 Einfluss der Temperatur auf die
Zugfestigkeit einiger Kunststoffe
Dehnung εel , der Relaxationsdehnung εr und

des Zeitstandsverhaltens von Polymerwerk-


stoffen wichtig. Abbildung 9.16 zeigt für
einige Polymerwerkstoffe die Zugfestigkeit in
Abhängigkeit von der Temperatur: Die Zug-
festigkeit nimmt mit steigender Temperatur
beträchtlich ab.
Eine weitere Besonderheit von Polymerwerk-
stoffen ist der Abbau der Zugfestigkeit bei
UV-Einstrahlung. Nur Polytetrafluorethylen
(PTFE) weist keine UV-Abhängigkeit der
Zugfestigkeit auf. Alle anderen Kunststoffe
können durch Zusatz von Stabilisatoren
weitgehend UV-beständig gemacht werden.
Das Verformungsverhalten kann durch eine
Kombination des elastischen Verhaltens (Fe-
der nach Hooke) mit einem viskosen Verhalten
(Dämpfungsglied nach Newton) modellhaft
erklärt werden (Rheologie). Abbildung 9.17
zeigt die unterschiedlichen Modelle und das
zugehörige Dehnungsverhalten. Das Maxwell-
Modell beschreibt das elastisch-viskose Ver-
halten: Abb. 9.17 Verformungsverhalten von Kunststoffen
800 9 Festkörperphysik

der viskosen Dehnung εv . Mit den entspre- – Teilchenverbundwerkstoffe


chenden Ausdrücken ergibt sich die zeitab- (in einer Matrix eingebettete kleine Teil-
hängige Dehnung: chen),
– Durchdringungsverbundwerkstoffe

1 t 1 (zusammenhängende Gerüste der beteilig-
εges (t) = + + 1−e − τt
ten Komponenten, z. B. Tränklegierungen),
E0 η0 Er
– Faserverbundwerkstoffe
· σ0 u(t) . (9.5)
(in einer homogenen Grundmasse eingebet-
tete Fasern).
τ = ηr / Er ist die Relaxationszeit, wobei Er
der Elastizitätsmodul, ηr die dynamische Vis- Schichtverbundwerkstoffe
kosität im Relaxationszustand und u(t) eine Aus der Vielzahl der Schichtverbundwerk-
Sprungfunktion ist. stoffe seien nur einige wichtige Anwendungs-
fälle genannt. Für Schichtverbundwerkstoffe
9.1.6 Ausgewählte Werkstoffe in der Elektro- bzw. Wärmetechnik ist die
elektrische Leitfähigkeit bzw. die Wärme-
9.1.6.1 Verbundwerkstoffe leitfähigkeit von Bedeutung. Die elektrische
Werden verschiedene Werkstoffe zu einem Leitfähigkeit ist stark richtungsabhängig.
Verbundwerkstoff vereinigt, dann lassen sich Senkrecht zu den Schichten sind die Wi-
die unterschiedlichen Eigenschaften der betei- derstände der Einzelschichten in Reihe und
ligten Werkstoffe kombinieren. Beispielsweise parallel zu den Schichten parallel geschaltet.
zeigt stahlfaserverstärktes Kupfer sowohl Analoges gilt für die Wärmeleitfähigkeit.
eine hohe Festigkeit (Stahl) als auch eine Kontaktbimetalle bestehen aus einem Kon-
gute elektrische Leitfähigkeit (Kupfer). Häu- taktträger aus einem Unedelmetall (z. B.
fig werden folgende Werkstoffgruppen zu Cu) und einem an geeigneter Stelle aufge-
Verbundwerkstoffen kombiniert: brachten Kontaktwerkstoff aus Edelmetall
– Metalle und Polymere, (z. B. Ag, Au). Der Kontaktträgerwerkstoff
– Metalle und Keramik sowie soll eine gute elektrische und thermische
– Polymere und Keramik. Leitfähigkeit, gute Festigkeits- und Feder-
eigenschaften, hohe Erweichungs- und Dau-
Kombinationen aus gleichartigen Werkstoff-
erverwendungstemperaturen sowie gute
gruppen bezeichnet man als Stoffverbunde
Verarbeitungseigenschaften aufweisen. Die
(z. B. kohlenstofffaserverstärkter Kohlenstoff,
wichtigsten Trägerwerkstoffe sind Kupferle-
SiC-Faser in SiC). Abbildung 9.18 vermittelt
gierungen (z. B. Messing und Zinnbronze).
einen Überblick über die Verbundwerkstoffe,
Der Kontaktwerkstoff soll einen niedrigen,
ihre Einteilung und Anwendungsbereiche
vor allem aber konstanten Übergangswider-
sowie ihre Herstellungsverfahren. Nach der
stand aufweisen. Diese Forderung wird nur
räumlichen Anordnung der Komponenten
von Werkstoffen auf Edelmetallbasis erfüllt.
lassen sich die Verbundwerkstoffe in vier
Vielfach sind die Kontaktwerkstoffe selbst
Gruppen einteilen:
wiederum Verbundwerkstoffe (Teilchen-,
– Schichtverbundwerkstoffe Durchdringungs- oder Faserverbundwerk-
(schichtförmiger Aufbau der Komponen- stoffe), so z. B. Ag/CdO. Abbildung 9.19 zeigt
ten), das Gefüge des dreifachen Kontaktverbund-
9.1 Struktur fester Körper 801

Abb. 9.18 Einteilung der Verbundwerkstoffe

werkstoffes Silber/Cadmiumoxid (AgCdO10) – Energietechnik


in der Folge AgCdO10/AgCd/Cu. (z. B. als Temperaturregler im Warmwasser-
Thermobimetalle bestehen aus zwei Werkstof- mischer),
fen unterschiedlicher Wärmeausdehnung. Die – Automobilbau
Komponente mit der kleineren Wärmeausdeh- (z. B. als Kühlwasser- oder Lichtmaschinen-
nung (α 5 · 10−6 K−1 ) wird passive Kom- regler).
ponente, die mit der größeren Wärmeausdeh-
nung (α 15 · 10−6 K−1 ) aktive Komponente
genannt. Thermobimetalle finden in folgen- Teilchenverbundwerkstoffe
den Gebieten Anwendung: Bei den Teilchenverbundwerkstoffen werden
– Messtechnik unlösliche metallische oder nichtmetallische
(z. B. als Thermometer oder Temperatur- Teilchen in eine metallische oder nichtme-
schreiber), tallische Matrix eingebettet. Sind es harte
– Elektrotechnik Teilchen (z. B. Carbide, Oxide oder Silicide) in
(z. B. als Schutzschalter oder als Regler im einer weichen Matrix, so tritt wegen der Be-
Bügeleisen), hinderung von Versetzungswanderungen eine
802 9 Festkörperphysik

Abb. 9.20 Inneroxidierter Mehrschichtverbundwerk-


stoff AgCdO10 (Vergrößerung 120:1). Werkfoto: RAU

Abb. 9.19 Kontaktverbundwerkstoff


AgCdO10/AgCd/Cu (Vergrößerung 126:1).
Werkfoto: RAU

Festigkeitszunahme ein (Dispersionshärtung).


Für elektrische Kontakte benutzt man einen
Silber-Cadmium-Verbundwerkstoff. Abbil-
dung 9.20 zeigt das Schliffbild des Teil-
chenverbundwerkstoffs AgCdO10, hergestellt
durch innere Oxidation.
Wegen der guten Hochtemperatureigen-
schaften finden disperionsgehärtete Le- Abb.9.21 Metallische Kugeln in einer Kunststoffmatrix
gierungen Anwendung beim Herstellen (Kugeldurchmesser etwa 50 μm). Werkfoto: RAU
von Turbinenschaufeln oder bei Geräten
in der Glasherstellung. Mit Kunststoff-Metall-
Verbundwerkstoffen können leitende Elasto- Abb. 9.22a, z. B. für Folientastaturen. Wird der
mere hergestellt werden: Man bettet metallisch Druck auf einen solchen Verbundwerkstoff
leitende Kohlenstoff- oder Silberkugeln (etwa größer, dann vergrößern sich auch die me-
50 μm Durchmesser) in Silikonkautschuk, tallischen Berührungsflächen. Abbildung 9.23
Polyurethan oder Neopren. Abbildung 9.21 zeigt die Druckabhängigkeit des elektrischen
zeigt einen vergrößerten Ausschnitt. Sehr Widerstands. Bei der lokalisierten Leitfähig-
wichtige Anwendungen sind Druckfühler und keit (Abb. 9.22b) erzeugt man nur an der Stelle
Bauelemente mit lokaler Leitfähigkeit gemäß des Drucks eine Leitfähigkeit des Materials.
9.1 Struktur fester Körper 803

rig schmelzenden Kupfers kühlt das höher


schmelzende Wolframgerüst, sodass die-
ser Durchdringungsverbundwerkstoff sogar
abbrandfester ist als reines Wolfram. Als
Schweißelektrode findet Wolfram getränkt
mit Thoriumoxid oder anderen Oxiden Ein-
satz. Für wartungsfreie Gleitlager verwendet
man poröse Sinterwerkstoffe (z. B. PbSn 10),
die mit Öl oder einem anderen Gleitmittel
getränkt sind. Sind die Geschwindigkeiten
nicht allzu groß, so reicht das in den Poren
Abb. 9.22 a) Druckfühler mit leitfähigem Kunststoff, befindliche Gleitmittel zur Schmierung aus.
schematisch, und b) lokalisierte Leitfähigkeit in
leitfähigem Kunststoff (nach RAU) Faserverbundwerkstoffe
Dies sind Werkstoffe, bei denen kontinuier-
liche (Endlosfasern) oder diskontinuierliche
(Kurzfasern) metallische oder nichtmetalli-
sche Fasern in eine metallische oder nicht-
metallische Matrix eingebettet sind. Die fa-
serverstärkten Polymerwerkstoffe sind in Ab-
schn. 9.1.5 und die Filament-Supraleiter in Ab-
schn. 9.2.4 beschrieben. Die Fasern können
vorgefertigt sein oder während der Herstel-
lung des Verbundwerkstoffs entstehen (z. B.
thermisch durch gerichtete eutektische Erstar-
rung oder mechanisch durch Strecken von
Teilchen beim Strangpressen).
Die festigkeitssteigernde Wirkung der Faser-
verbundwerkstoffe beruht nur bedingt auf der
Behinderung von Versetzungsbewegungen. In
Abb. 9.23 Druckabhängigkeit des elektrischen
größerem Maß wird die Fähigkeit der hoch-
Widerstandes eines leitfähigen Kunststoffes
festen Fasern, einen Teil der Kräfte bzw. Span-
nungen zu übernehmen, ausgenutzt. Bei paral-
Zur Zeit ist es möglich, auf einer Fläche leler Einlagerung der Fasern und ausreichen-
von 1 cm2 etwa 50 unabhängige Schalter der Bindung zwischen Faser und Matrix gilt,
unterzubringen. dass die Dehnung der Faser und der Matrix
gleich ist. Dann ist die Gesamtspannung des
Durchdringungsverbundwerkstoffe Verbundwerkstoffes gleich der Summe aus den
Spannungen der Matrix und der Faser:
Diese Werkstoffgruppe wird bei Hochleis-
tungskontakten eingesetzt. Die hochschmel- σges = σm Vm + σf Vf .
zende Komponente ist beispielsweise ein
Wolframgerüst, das mit Kupfer oder Silber Die Größe σm bzw. σf ist die Spannung der
getränkt ist. Die Verdampfung des nied- Matrix bzw. der Faser und Vm bzw. Vf der Vo-
804 9 Festkörperphysik

lumenanteil der Matrix bzw. der Faser. Auf


diese Weise ist es möglich, die Spannungs-
Dehnungs-Kurve des Faserverbundwerkstof-
fes aus den entsprechenden Kurven des Faser-
bzw. des Matrixmaterials zusammenzusetzen.
Analog gilt für den Elastizitätsmodul

Eges = Em Vm + Ef Vf .

Die höchsten Zugfestigkeitswerte (etwa


30 000 N/mm2 ) werden von einkristallinen
Fasern (Whiskers) erreicht. Abbildung 9.24
Abb. 9.25 Kontaktniet aus Faserverbundwerkstoff
zeigt Saphir-Whiskers vergrößert. Ein wichti-
Ag-Ni20. Werkfoto: RAU
ges Einsatzfeld von Faserverbundwerkstoffen
ist der Leichtbau in Fahr- und Flugzeugen,
wo eine große Festigkeit und Steifigkeit bei
Ein kostengünstiger Faserverbundwerkstoff
geringem Gewicht gefordert werden. Zur
für elektrische Kontakte ist der Silber-
Anwendung kommen z. B. Aluminiumlegie-
Nickel- bzw. der Silber-Kohlenstoff-Faser-
rungen mit Bor-, SiC- oder C-Fasern.
verbundwerkstoff, dargestellt in Abb. 9.25.
Dieser Werkstoff wird durch Bündeln von
Manteldrähten hergestellt. Durch die Anzahl
der Manteldrähte und die Bündelungsvor-
gänge können die erforderlichen Faserdurch-
messer eingestellt werden (zwischen 5 · 10−8 m
und 10−4 m). Aus solchen Verbundwerkstoffen
stellt man Kontaktteile nach konventionellen
Herstellungsverfahren, z. B. durch Pressen,
Walzen und Löten, her.

9.1.6.2 Formgedächtnis-Legierungen
Formgedächtnis-Legierungen (Memory-Leg-
ierungen) zeigen eine temperaturabhängige
Formänderung. Dieser Formgedächtnis-Effekt
beruht auf einer martensitischen Phasenum-
wandlung zwischen den geordneten Gitter-
strukturen der Hochtemperaturphase (Auste-
nit) und der Niedertemperaturphase (Marten-
sit). Wegen der geringen inneren Spannungen
ist diese Phasenumwandlung nahezu vollstän-
dig reversibel. Memory-Legierungen zeigen
außer dem Formgedächtnis-Effekt noch wei-
tere Sondereigenschaften, wie z. B. hohes
Abb. 9.24 Saphir (Al2 O3 )-Whiskers. Werkfoto: RAU Dämpfungsvermögen und superelastisches
9.1 Struktur fester Körper 805

Abb. 9.26 Formgedächtnis-Legierungen

Verhalten. In Abb. 9.26 sind die drei mög- gangsmaterial wird verformt und bei 400 ◦ C
lichen Arten des Formgedächtnis-Effektes bis 500 ◦ C getempert. Die Abkühlung und
zusammengestellt: die anschließende Erwärmung haben eine
– Einwegeffekt völlige Formumkehr zur Folge. Diese Um-
Martensitisches Ausgangsmaterial wird re- wandlung kann nahezu beliebig oft wieder-
versibel verformt, z. B. durch Verschieben holt werden.
von Zwillingsgrenzen. Nach der Erwärmung
Abbildung 9.27 zeigt eine Druckfeder und
über die austenitische Umwandlungstempe-
einen Biegestreifen mit Zweiwegeffekt aus
ratur stellt sich die unverformte Ausgangs-
einer Cu-Zn-Al-Legierung. In Tabelle 9.4 sind
lage wieder ein. Eine weitere Formänderung
nach der Abkühlung ist nicht möglich.
– Zweiwegeffekt
Martensitisches Ausgangsmaterial wird
über den reversiblen Anteil hinaus zu-
sätzlich durch Versetzungsbewegung, d. h.
irreversibel, verformt. Bei Erwärmung
über die austenitische Umwandlungstem-
peratur hinaus entsteht eine bestimmte
Hochtemperaturform und bei Abkühlung
eine entsprechende Niedertemperaturform.
Diese Umwandlung kann nahezu beliebig
oft wiederholt werden.
– All-Round-Effekt Abb. 9.27 Druckfeder und Biegestreifen mit
Diese Erscheinung tritt nur bei speziellen Zweiwegeffekt aus einer Cu-Zn-Al-Legierung.
NiTi-Legierungen auf. Martensitisches Aus- Werkfoto: RAU
806 9 Festkörperphysik

Tabelle 9.4 Eigenschaften von Memory-Legierungen

Legierung
NiTi Cu-Zn-Al Cu-Al-Ni
Eigenschaft

Dichte in g/cm3 6,4 bis 6,5 7,8 bis 8,0 7,1 bis 7,2
elektrische Leitfähigkeit in 106 S/m 1 bis 1,5 8 bis 13 7 bis 9
maximale As -Temperatur in ◦ C 120 120 170
maximaler Einwegeffekt in % 8 4 5
maximaler Zweiwegeffekt in % 5 1 1,2
Überhitzbarkeit in ◦ C bis 400 bis 160 bis 300
Zugfestigkeit in N/mm2 800 bis 1000 400 bis 700 700 bis 800
Bruchdehnung in % 40 bis 50 10 bis 15 5 bis 6

die Werkstoffeigenschaften der drei heute 9.1.7 Flüssigkristalle


technisch anwendbaren Memory-Legierungen
NiTi, Cu-Zn-Al und Cu-Al-Ni zusammenge- 9.1.7.1 Aufbau und Struktur
stellt. Sie weisen folgende Besonderheiten Flüssigkristalle werden von lang gestreckten
auf: Molekülen meist aromatischer Verbindungen
gebildet. Sie befinden sich in einem Zwi-
– großes Arbeitsvermögen je Volumenein-
schenzustand (Mesophase) zwischen dem
heit;
festen, kristallinen, anisotropen Zustand ei-
– vollständige Formänderung innerhalb eines
nes Festkörperkristalls und dem beweglichen,
kleinen Temperaturbereichs;
flüssigen, isotropen Zustand einer Flüssigkeit.
– unterschiedliche Bewegungsarten möglich,
In Flüssigkristallen sind zwei unterschiedli-
z. B. Drücken, Ziehen, Biegen, Drehen;
che Ordnungsstrukturen möglich: einerseits
– Beschränkung der Formänderung auf be-
die von Festkörpern her übliche regelmä-
stimmte Bereiche des Bauelements.
ßige Anordnung der Massenmittelpunkte
Einsatzmöglichkeiten gibt es in der Elektro- (in diesem Fall Molekülschwerpunkte) und
technik zum Anzeigen, Messen und Regeln, andererseits die Ordnungsmöglichkeiten in
in der Wärme- und Installationstechnik so- Bezug auf die Achse der Moleküle. Je nach
wie im Apparate-, Maschinen- und Automo- Ordnungsstruktur unterscheidet man nema-
bilbau. Eine bemerkenswerte Anwendung ist tische (fadenförmige), cholesterinische (von
eine Wärmekraftmaschine, bei der die Form- Cholesterin abstammend) und smektische
änderung der Memory-Legierungen über eine (seifenartige) Flüssigkristalle. Abbildung 9.28
Kurbelwelle in eine Drehbewegung umgesetzt zeigt die Ordnungsstruktur, die chemische
wird. Auch in der Medizintechnik sind Einsatz- Zusammensetzung und die Anwendungsbe-
möglichkeiten gegeben, z. B. Zusammenfügen reiche ausgewählter Flüssigkristalle.
von gebrochenen Knochen durch spreizbare Bei den nematischen Flüssigkristallen sind
Nägel oder Heilung von Rückgratverkrüm- die Molekülschwerpunkte keiner Ordnung un-
mungen durch einen Stab aus einer Memory- terworfen, nur die lang gestreckten Achsen
Legierung, der sich bei einer Abkühlungsbe- der organischen Moleküle sind parallel ausge-
handlung streckt. richtet. Die cholesterinischen Flüssigkristalle
9.1 Struktur fester Körper 807

Abb. 9.28 Flüssigkristalle

weisen verdrillte nematische Strukturen auf, tierungsrichtung ist sie gering und senkrecht
d. h., die Vorzugsrichtung der lang gestreck- dazu sehr groß. Eine weitere Besonderheit ist
ten Molekülachsen ändert sich von Ebene zu die Orientierungselastizität. Durch eine äu-
Ebene schraubenförmig. Es entsteht eine He- ßere Störung (z. B. durch ein elektrisches Feld)
lix mit konstanter Ganghöhe (teilweise in der können die Molekülachsen verschoben wer-
Größenordnung der Wellenlänge des sichtba- den; nach dem Aufheben dieser Störung stellt
ren Lichts). Smektische Flüssigkristalle zei- sich der frühere Zustand wieder ein.
gen noch einen Teil der Ordnung der Mole-
külschwerpunkte. Diese sind in bestimmten Optische Eigenschaften
Ebenen angeordnet; die Molekülachsen sind Besonders cholesterinische Flüssigkristalle
in der Regel parallel. zeigen eine Doppelbrechung, die bis 100-mal
größer ist als die von Quarz. Eine weitere
9.1.7.2 Eigenschaften Eigenschaft ist die Möglichkeit der selektiven
Die Flüssigkristalle weisen ein besonderes Ver- Totalreflexion, wenn die Ganghöhe der Helix
halten in ihren mechanischen, optischen und in der Größenordnung der Wellenlänge von
insbesondere elektrooptischen Eigenschaften Licht liegt. Für die reflektierte Wellenlänge
auf. gilt λr = p n mit p als Ganghöhe der He-
lix und n als mittlerer Brechungsindex des
Mechanische Eigenschaften Flüssigkristalls. Die Ganghöhe ist abhängig
Flüssigkristalle haben eine von der Substanz von Druck und Temperaturänderungen sowie
und der Temperatur abhängige Viskosität, die beeinflussbar durch elektrische und magneti-
wegen der Orientierung der Molekülachsen sche Felder. Somit ist eine elektrisch gesteuerte
stark anisotrop ist; bei Strömung in Orien- Farbumschaltung möglich.
808 9 Festkörperphysik

Elektrooptische Eigenschaften können Temperaturunterschiede von bis zu


Besonders wichtige elektrooptische Effekte 0,007 K (meist bis 0,1 K) gemessen werden
sind außer den erwähnten Farbeffekten die und die Ansprechzeiten 1/30 s gestatten eine
Streu- und Orientierungseffekte. Ohne elek- dynamische Beobachtung.
trisches Feld sind die Flüssigkristalle nicht Solche Wärmebilder finden Einsatz in der
streuend und transparent; beim Anlegen eines zerstörungsfreien Werkstoffprüfung. Beispiels-
elektrischen Feldes tritt Streuung auf und der weise können dadurch Materialeinschlüsse,
Flüssigkristall wird milchig trüb. Die Orientie- Klebe- und Schweißfehler sowie Werkstoffer-
rungseffekte beschreiben die Vorgänge bei der müdungen festgestellt und der Temperaturver-
Umorientierung homogener Schichten. Eine lauf in elektronischen Bauelementen verfolgt
Werkstoffkenngröße ist hierbei die Permittivi- werden. In der Medizin erlaubt die Thermoto-
tätszahl. Ist diese in Molekülachsenrichtungen pografie Rückschlüsse auf Durchblutungsver-
größer als in senkrechter Richtung, dann liegt läufe sowie die Diagnose von Tumoren. In der
eine positive Anisotropie vor, im umgekehrten Optik können die Schwingungsanteile von In-
Fall eine negative. Im ersten Fall richten sich frarotlasern sichtbar gemacht werden.
die Molekülachsen parallel zum elektrischen
Feld aus, im zweiten Fall senkrecht zum
Molekülspektroskopie
elektrischen Feld. Durch Ein- und Ausschal-
ten eines elektrischen (bzw. magnetischen) Da die Flüssigkristalle ihre eigene Orientie-
Feldes können die Moleküle um 90◦ gedreht rungsrichtung anderen Molekülen aufzwin-
werden, sodass sich ihre optischen Eigen- gen, kann in der Molekülspektroskopie eine
schaften ändern (Schadt-Helfrich-Drehzelle, hohe Auflösung erzielt werden. Die Moleküle
Abb. 6.125). werden ausgerichtet, die statistische, räumlich
isotrope Bewegung unterdrückt und damit die
Linienbreiten der Molekülspektren vermin-
9.1.7.3 Anwendungsbereiche
dert. Flüssigkristalle werden deshalb in fast
Wie Abb. 9.28 zeigt, finden vor allem nemati-
allen spektroskopischen Untersuchungs-
sche und cholesterinische Flüssigkristalle An-
verfahren eingesetzt, z. B. in der Fluores-
wendung. Aus der Vielzahl der Anwendungs-
zenz (UV)-, Infrarot (IR)-, Kernresonanz
bereiche seien die Thermotopografie, die Mo-
(NMR)-, Elektronenspinresonanz (ESR)-
lekülspektroskopie und das große Gebiet der
und Mößbauer-Spektroskopie sowie bei der
Anzeigetechnik angeführt.
Gaschromatografie.
Thermotopografie
Wenn die Ganghöhe der Helix eines cholester- Anzeigetechnik
inischen Flüssigkristalls temperaturabhängig Dieser Bereich ist das zur Zeit bedeutendste
ist, wechselt der Flüssigkristall in bestimmten technische Anwendungsfeld für Flüssigkris-
Temperaturbereichen die Farbe. Dadurch wird talle (prinzipieller Aufbau, s. Abschn. 6.4.2.4,
eine Temperaturmessung auf Oberflächen Abb. 6.125 und Abb. 6.126). Die Flüssigkris-
möglich. Es kommen Flüssigkristallschichten tallanzeige (LCD, Liquid Crystal Display) hat
zum Einsatz, die 20 μm dick sind. Zur Aus- folgende Vorzüge:
schaltung der Reflexion an der Oberfläche
sind sie mit einem schwarzen Lack (oder einer – geringer Stromleistungsbedarf (2 μW/cm2
schwarzen Folie) überzogen. Auf diese Weise bis 100 μW/cm2 , Batteriebetrieb möglich);
9.2 Elektronen in Festkörpern 809

Abb. 9.29 Spezifischer elektrischer Widerstand und Bandstrukturen der Festkörper. Die mit Elektronen
besetzten Energiezustände sind rot gekennzeichnet. VB: Valenzband, LB: Leitungsband, VZ: Verbotene Zone

– kleine Betriebsspannungen (3 V bis 100 V; – Leiter mit ρ < 10−5 Ω m,


kombinierbar mit integrierten Schaltun- – Halbleiter mit 10−5 Ω m < ρ < 107 Ω m und
gen); – Isolatoren mit ρ > 107 Ω m.
– sehr kleine Stromdichte (10−8 A/mm2 je Bild- Der spezifische Widerstand einzelner Werk-
punkt; großflächige Anzeigen möglich); stoffe zeigt eine ausgeprägte Abhängigkeit von
– mehrfarbige Anzeigen; der Temperatur (Abb. 4.7), dem Druck und an-
– Speicherung von Informationen durch Mi- deren Parametern. Beispielsweise wird die Re-
schung geeigneter Flüssigkristalle sowie sistivität von reinem Germanium von 45 Ω cm
– großer Helligkeitsbereich und großer Kon- auf etwa 10−2 Ω cm vermindert, wenn nur ein
trast, da kein Eigenlicht abgestrahlt wird. Fremdatom einer Million Germaniumatome
Nachteilig ist, dass die Anzeige als nicht selbst- zugefügt wird. Die Deutung dieser Eigenschaf-
leuchtende Anzeige im Dunkeln mit Fremd- ten erfordert eine genauere Kenntnis der elek-
licht betrieben werden muss. tronischen Struktur der Festkörper.

9.2.1 Energiebänder-Modell
9.2 Elektronen in Festkörpern
Modell gebundener Elektronen
Der spezifische Widerstand oder Resistivität ρ In Abschn. 8.1.2 ist dargelegt, dass sich Elek-
von Festkörpern variiert von 10−8 Ω m bis tronen, die an isolierte Atome gebunden sind,
1017 Ω m um 25 Zehnerpotenzen und ist da- nur auf diskreten Energieniveaus aufhalten
her die physikalische Größe mit dem größten können. Abbildung 9.30 zeigt ein sehr verein-
Wertebereich. Anhand der Resistivität erfolgt fachtes Schema der Energiezustände. Die Auf-
üblicherweise eine Einteilung der Stoffe nach enthaltswahrscheinlichkeit der Elektronen um
Abb. 9.29 in die Kerne wird durch das Quadrat der Wel-
810 9 Festkörperphysik

lenfunktion |Ψ |2 beschrieben. Die Lösung der


Elektronen halten sich in Festkörpern in-
Schrödinger-Gleichung liefert für Ψ räumliche
nerhalb erlaubter Energiebänder auf, die
stehende Wellen. Bilden zwei Atome ein Mo-
durch verbotene Zonen voneinander ge-
lekül, dann überlappen sich die Wellenfunk-
trennt sind.
tionen der beiden Atome. Die Wechselwir-
kung der beteiligten Elektronen führt dazu,
dass ursprünglich gleichartige Energienive- Elektronen hoch liegender Energieniveaus
aus der Einzelatome in jeweils zwei eng be- haben einen großen mittleren Abstand vom
nachbarte Energieniveaus aufspalten. Dieser Kern. Infolge der intensiven Wechselwirkung
Vorgang ist analog zur Entstehung der zwei mit den Nachbarelektronen spalten die oberen
Eigenfrequenzen bei der Kopplung von zwei Energieniveaus stärker auf als die unteren.
gleichartigen schwingenden Systemen (Ab- Dadurch werden die hoch liegenden Ener-
schn. 5.1.5). giebänder breiter als die tief liegenden. Diese
Abbildung 9.30 verdeutlicht die Aufspaltung Verbreiterung der Energiebänder kann so
der Energieniveaus in zwei, drei (bei drei weit führen, dass sie sich überlappen (Leiter
wechselwirkenden Systemen) und N (bei zweiter Art, Abb. 9.29).
N Atomen im Festkörper) eng benachbarte Die Frage, ob ein Festkörper ein Leiter oder
Energieniveaus. Im Festkörper liegen die N Nichtleiter ist, hängt von der Besetzung der
Energiezustände so eng beieinander, dass sie Bänder mit Elektronen ab. Ist beispielsweise
nicht getrennt werden können, sondern zu ei- ein Band vollständig gefüllt, können die Elek-
nem breiten Energieband verschmelzen. Diese tronen dieses Bandes nicht am Stromtransport
erlaubten Energiebänder sind in Abb. 9.30 teilnehmen. Ein fließender Strom bedeutet
schraffiert gezeichnet. nämlich, dass die Elektronen bei der Bewe-
gung durch den Festkörper kinetische Energie
aufnehmen, also energetisch auf eine höhere
Stufe gehoben werden. In einem vollbesetzten
Band, in dem keine höheren Energieniveaus
frei sind, ist dies aber nicht möglich. Daraus
folgt:

Elektrische Leiter sind solche Festkörper,


bei denen ein Energieband nur teilweise
besetzt ist.

Das oberste vollständig gefüllte Band heißt Va-


lenzband. Das darüber liegende entweder teil-
weise gefüllte oder auch leere Band wird als
Leitungsband bezeichnet. Bei den klassischen
Leitern erster Art (Elemente der Gruppe 1 (I A)
und 11 (I B) des Periodensystems) ist nach
Abb. 9.29 das Leitungsband halb gefüllt. Dies
Abb. 9.30 Erlaubte Energiezustände der Elektronen ist verständlich bei Betrachtung der Elektro-
im Atom, Molekül und Festkörper nenkonfiguration im Einzelatom.
9.2 Elektronen in Festkörpern 811

betrachtet werden. Nach der Quantentheorie


wird die Aufenthaltswahrscheinlichkeit der
Elektronen im Kristall durch das Quadrat
der Wellenfunktion |Ψ |2 beschrieben. Hierbei
hängt die Wellenlänge λ dieser Materiewelle
durch die De-Broglie-Beziehung nach (6.147)
mit dem Impuls p der Elektronen zusammen:
λ = h/ p. h ist die Planck’sche Konstante. Mit
der Wellenzahl k = 2π/λ und = h/ (2π)
ergibt sich

h
p= = k . (9.6)
λ
Abb. 9.31 Anordnung der Elektronen im Kupferatom

Diese Gleichung vermittelt zwischen der


Abbildung 9.31 zeigt die Anordnung bei ei- Größe p des Teilchenbildes und λ bzw. k
nem Kupferatom, bei dem das oberste 4s- des Wellenbildes. Die kinetische Energie der
Energieniveau, das nach dem Pauli-Prinzip Elektronen hängt mit dem Impuls p bzw. der
zwei Elektronen mit entgegengesetzter Spin- Wellenzahl k zusammen:
richtung aufnehmen könnte, von nur einem
Elektron besetzt ist. Bei der Vereinigung der p2 2 k2
E= = . (9.7)
Kupferatome zum Festkörper bleibt das zuge- 2m 2m
hörige 4 s-Band halb besetzt. Andere Metalle
(z. B. die Erdalkalimetalle) haben zwar ein voll Die Größe E über k aufgetragen ergibt also
besetztes oberstes Energieband, durch Über- eine Parabel, wie sie in Abb. 9.32a dargestellt
lappung mit einem darüberliegenden leeren ist. Während ein wirklich freies Elektron prak-
Leitungsband entsteht aber letztlich wieder ein tisch jeden beliebigen Zustand (gekennzeich-
breites teilweise gefülltes Band (Leiter zweiter net durch ein Wertepaar E und k) auf der Pa-
Art, Abb. 9.29).
Bei den Halbleitern und Isolatoren ist das leere
Leitungsband vom gefüllten Valenzband durch
eine mehr oder weniger breite verbotene Zone
(VZ) getrennt. Die Breite Eg dieses Energie-
gaps ist maßgebend für die elektrische Leit-
fähigkeit. Substanzen mit Eg 3 eV werden
nach Abb. 9.29 zu den Halbleitern, solche mit
Eg 3 eV zu den Isolatoren gerechnet.

Modell freier Elektronen


Die Entstehung der Bandstruktur kann man
auch verstehen, wenn die Elektronen nä- Abb. 9.32 Energiebandstruktur a) im erweiterten und
herungsweise als frei bewegliche Teilchen b) reduzierten Zonenschema
812 9 Festkörperphysik

Gesamtenergie im Vergleich zu freien Elek-


tronen erfahren. Die Elektronen, die durch die
Welle Ψ2 beschrieben werden, halten sich vor-
wiegend zwischen den Atomrümpfen auf und
haben daher eine höhere Energie. Daraus folgt:
Elektronen mit der Wellenzahl k1 = ±π/ a ha-
Abb. 9.33 Aufenthaltswahrscheinlichkeit |Ψ |2 ben nicht die Energie E1 = 2 k21 / (2m) der
stehender Elektronenwellen mit λ = 2 a und
freien Elektronen, sondern je nach Art der
potentielle Energie Epot der Elektronen im Feld der
Atomrümpfe Wellenfunktion eine größere oder kleinere
Energie. Die E(k)-Parabel in Abb. 9.32a be-
kommt daher an der Stelle k1 = ±π/ a eine
rabel einnehmen kann, ergeben sich für Elek-
Unstetigkeitsstelle, an der für einen k-Wert
tronen in Kristallen bestimmte Energieberei-
zwei Energiewerte existieren, die durch eine
che auf der Parabel, die verboten sind. Breitet
verbotene Zone oder Energielücke vonein-
sich eine Elektronenwelle längs einer Atom-
ander getrennt sind. Weitere Energielücken
kette mit der Gitterkonstanten a aus, dann wird
ergeben sich für die stehenden Wellen der hö-
die Welle an den Atomen reflektiert, sobald die
heren Wellenzahlen nach (9.8): kn = ±(π/ a)n.
Wellenlänge λ der Materiewelle die Bragg’sche
Das E(k)-Diagramm wird gemäß Abb. 9.32a in
Reflexionsbedingung (6.129) erfüllt:
Brillouin-Zonen (L. Brillouin, 1889 bis 1969)
2a eingeteilt. Wegen der Periodizität im k-Raum
λn = , mit n = 1, 2, 3, … können die Brillouin-Zonen höherer Ordnung
n
des erweiterten Zonenschemas nach dem Mus-
Diesen Wellenlängen entsprechen die Wellen- ter von Abb. 9.32b in die erste Zone geklappt
zahlen werden. Bei diesem reduzierten Zonenschema
liegen alle E(k)-Kurven in der ersten Brillouin-
2π π
kn = = n. (9.8) Zone.
λn a

9.2.2 Metalle
Durch Überlagerung der laufenden mit den re-
flektierten Wellen entstehen stehende Elektro- Die meisten Eigenschaften der Metalle lassen
nenwellen mit ortsfesten Knoten und Bäuchen. sich anhand des Modells des freien Elektro-
Abbildung 9.33 zeigt die Aufenthaltswahr- nengases verstehen. Dieses wurde von A. Som-
scheinlichkeit |Ψ |2 für zwei Elektronenwellen merfeld (1868 bis 1951) vorgeschlagen und
mit jeweils derselben Wellenlänge λ1 = 2a: von E. Fermi (1901 bis 1954) erweitert. Es be-
π schreibt die Leitungselektronen der Metalle so
Ψ1 ∼ cos k1 x = cos x , wie die frei beweglichen Moleküle eines Ga-
a
ses, vernachlässigt also die Wechselwirkung
π
Ψ2 ∼ sin k1 x = sin x . der Elektronen mit den ortsfesten Atomker-
a
nen und damit auch das Auftreten von Ener-
Bei der Welle Ψ1 besteht eine große Wahr- gielücken.
scheinlichkeit dafür, dass die Elektronen nahe Befinden sich die Elektronen in einem Wür-
den Atomrümpfen sind und durch die nied- fel der Kantenlänge L, dann ist ihre Aufent-
rige potentielle Energie eine Absenkung der haltswahrscheinlichkeit durch das Quadrat der
9.2 Elektronen in Festkörpern 813

Wellenfunktion Ψ gegeben, die als Lösung


aus der Schrödinger-Gleichung (8.18) folgt. Für
freie Elektronen lautet die zeitunabhängige
Schrödinger-Gleichung

2 ∂2 Ψk ∂2 Ψk ∂2 Ψk
− + + = Ek ψk .
2 m ∂x2 ∂y2 ∂z2
Lösungen dieser Differentialgleichung sind
ebene Wellen der Form

ψk ∼ eikr . Abb. 9.34 Fermi-Kugel im k-Raum; Kristall im


Ortsraum
Hierbei gibt die Richtung des Wellenzahlen-
vektors k die Laufrichtung der Welle an. Zweck- Zustand, der in allen Quantenzahlen kx , ky
mäßigerweise wird verlangt, dass die Wellen- und kz übereinstimmt, von zwei Elektronen
funktionen in x-, y- und z-Richtung periodi- mit entgegengesetzten Spinrichtungen besetzt
sche Randbedingungen erfüllen, d. h., es soll werden kann. Befinden sich N Elektronen im
gelten ψ(x + L, y, z) = ψ(x, y, z) und Ent- Kristall mit dem Volumen V = L3 , dann wer-
sprechendes für die y- und z-Richtung. Diese den alle möglichen Energiezustände von un-
Randbedingungen werden erfüllt, wenn die ten herauf besetzt, bis alle N Teilchen unter-
Komponenten des k-Vektors den Bedingungen gebracht sind. Das höchste besetzte Energie-
2π 4π niveau wird Fermi-Niveau genannt. Die zu-
kx =0, ± , ± ··· gehörige Energiefläche der Fermi-Energie EF
L L
im k-Raum von Abb. 9.34 ist eine Kugel mit
genügen. Entsprechendes gilt für ky und kz .
dem Radius kF . Wenn das Elementarvolumen
Der Impuls des Elektrons hängt nach (9.6)
(2 π)3 / V im k-Raum für zwei Teilchen Platz
mit dem Wellenzahlenvektor gemäß p = k
bietet, dann gilt für das Volumen 4/ 3(π k3F ) der
zusammen. Die Energie der Teilchen ist
Fermi-Kugel von N Teilchen
nach (9.7)
4 3 N (2 π)3
2 2 2 2 πk = .
Ek = k = kx + k2y + k2z . 3 F 2 V
2m 2m
Daraus folgt für die Wellenzahl an der Ober-
Die Energie ist gequantelt, da die Komponen-
fläche der Fermi-Kugel
ten des Wellenzahlvektors diskrete Werte an-
nehmen. Im k-Raum, der nach Abb. 9.34 von 1/ 3
den Komponenten kx , ky und kz aufgespannt 2N
kF = 3π . (9.9)
wird, ist eine Fläche konstanter Energie eine V
Kugel.
Da die Komponenten des Wellenzahlvektors
Die Fermi-Energie ist nach (9.7)
in ganzzahligen Vielfachen von 2 π/ L gequan-
telt sind, ist in jedem Volumenelement des k-
2/ 3
Raums von der Größe (2 π/ L)3 Platz für je- 2 2N
EF = 3π . (9.10)
weils zwei Elektronenzustände. Die Zahl Zwei 2m V
rührt vom Pauli-Prinzip, das zulässt, dass ein
814 9 Festkörperphysik

Diejenigen Elektronen, deren Zustände an der resultiert


Oberfläche der Fermi-Kugel liegen, haben die 3/ 2
maximale Geschwindigkeit F . Mit pF = mF = dN =
V 2m
E1/ 2 dE .
kF ergibt sich 2π2 2


N 1/ 3 Die Zustandsdichte D(E), d. h. die Anzahl der
F = 3 π2 . (9.11) Zustände je Volumeneinheit und Energiein-
m V
tervall, ist D(E) = (dN / dE) (1/ V) oder
Alle Parameter des Fermi-Niveaus hängen von
3/ 2
der Konzentration n = N / V der freien Elek- 1 2m
D(E) = E1/ 2 . (9.12)
tronen ab. Tabelle 9.5 zeigt die nach (9.9) 2 π2 2
bis (9.11) berechneten Werte für einige Me-
talle. Die Elektronenzahldichten werden expe-
rimentell mit Hilfe des Hall-Effekts bestimmt Die bisherigen Erläuterungen gelten streng
(Abschn. 4.4.3.2). genommen nur für T = 0. Nur am absolu-
Für bestimmte Fragestellungen ist die Kennt- ten Nullpunkt besetzen die Elektronen alle
nis der Anzahl dN von Zuständen im Energie- Energieniveaus von null bis EF . Bei endlicher
intervall zwischen E und E + dE wichtig. Im Temperatur nimmt die kinetische Energie
k-Raum liegen diese Zustände innerhalb ei- des Elektronengases zu, sodass einige Ener-
ner Kugelschale mit dem Radius k und der Di- gieniveaus oberhalb der Fermi-Kante besetzt
cke dk. Die Anzahl der möglichen Zustände ist werden und eine gleiche Anzahl unterhalb
leer bleibt. Die Wahrscheinlichkeit, mit der
4πk2 dk
dN =2 . ein bestimmter Energiezustand E mit Elek-
(2π)3 / V
√ tronen besetzt ist, wird beschrieben durch die
Mit k = 2mE/ und Fermi-Dirac-Verteilungsfunktion

1 m
dk = dE
2E 1
f (E) = . (9.13)
e(E−EF )/ (kT) +1
Tabelle 9.5 Parameter des Fermi-Niveaus
verschiedener Metalle

Ele- Elektro- Wellen- Fermi- Fermi-


ment nenkon- zahl kF Energie Ge-
zentration in EF schwin-
n in 108 cm−1 in eV digkeit
1022 cm−3 F in
108 cm/s

Li 4,6 1,1 4,7 1,3


Na 2,5 0,90 3,1 1,1
K 1,34 0,73 2,1 0,85
Cu 8,50 1,35 7,0 1,56
Ag 5,76 1,19 5,5 1,38
Au 5,90 1,20 5,5 1,39 Abb. 9.35 Fermi-Dirac-Verteilungsfunktion
(k: Boltzmann-Konstante)
9.2 Elektronen in Festkörpern 815

Die Fermi-Dirac-Statistik ist anwendbar auf


Teilchen mit halbzahligem Spin, zu denen
die Elektronen gehören. Abbildung 9.35 zeigt
die Wahrscheinlichkeitsfunktion für zwei ver-
schiedene Temperaturen. Bei T = 0 sind alle
Zustände unterhalb der Fermi-Energie EF be-
setzt, oberhalb EF leer: f (E) = 1 für 0 E
< EF , f (E) = 0 für E > EF . Bei endlicher
Temperatur sind entsprechend den schraffier-
ten Flächen Zustände unterhalb der Fermi-
Energie leer und oberhalb besetzt. Die Beset-
zungswahrscheinlichkeit nimmt von 90% auf
10% ab innerhalb eines Energiebereiches von

ΔE ≈ 4,4kT . (9.14)

Abb. 9.36 Dichte der besetzten Energiezustände in


Die bei tiefen Temperaturen scharfe Fermi-
Kupfer bei T = 1200K
Kante weicht also mit zunehmender Tempe-
ratur immer mehr auf.
zifischen Wärmekapazität der Metalle liefern.
Beispiel Jedes frei bewegliche Elektron hat drei Frei-
9.2-1 Wie breit ist der Energiebereich, in dem die
heitsgrade und somit die mittlere thermische
Fermi-Dirac-Verteilung von Natrium bei Raumtempe-
ratur (300 K) von 90% auf 10% abnimmt? Energie Ekin = (3/ 2)kT. Da jedes Atom prak-
tisch ein freies Elektron mitbringt, sollte nach
Lösung den Erläuterungen in Abschn. 3.3.3 der Beitrag
Nach Tabelle 9.5 ist EF = 3,1 eV. Mit k = des Elektronengases zur molaren Wärmeka-
8,62 · 10−5 eV/K ist kT = 0,0259 eV und nach (9.14)
pazität Cm, el = (3/ 2)Rm betragen. Tatsächlich
ΔE ≈ 4,4kT = 0,114 eV. Bezogen auf EF ist die relative
Breite der Übergangszone ΔE/ EF = 3,7%. ist aber der Beitrag der Elektronen bei Zim-
Der Übergang ist also auch bei Raumtemperatur noch mertemperatur lediglich ungefähr 1/100 des
verhältnismäßig scharf. erwarteten Wertes.
Die Erklärung dieser Beobachtung ist mit Hilfe
Die Dichte der besetzten Energiezustände ist der Fermi-Dirac-Statistik möglich. Wird das
das Produkt aus Zustandsdichte und Vertei- Elektronengas von T = 0 aus erwärmt, dann
lungsfunktion D(E)·f (E). Abbildung 9.36 zeigt nehmen nach Abb. 9.35 und Abb. 9.36 nicht alle
den Verlauf in Abhängigkeit von der Ener- Elektronen thermische Energie auf, wie dies
gie für Kupfer bei der verhältnismäßig hohen klassisch erwartet wird, sondern nur die Elek-
Temperatur T = 1200 K (kT / EF ≈ 1/ 70). tronen, die innerhalb des schmalen Streifens
von einigen kT Breite bei E = EF angesiedelt
Molare Wärmekapazität des Elektronengases sind. Von der Gesamtzahl N der Elektronen
Nach dem Gleichverteilungssatz der Thermo- kann also nur ein Bruchteil der Größenord-
dynamik (Abschn. 3.2.2) sollten die freien nung ΔN / N ≈ kT / EF = T / TF zur Wärmeka-
Elektronen einen merklichen Beitrag zur spe- pazität beitragen.
816 9 Festkörperphysik

regellosen Bewegung wird jetzt eine gemein-


EF
TF = (9.15) same Driftbewegung mit der (mittleren) Drift-
k
geschwindigkeit d überlagert.
Ohne Reibungseffekte würden die Elektronen
ist die Fermi-Temperatur. immer schneller werden. Tatsächlich finden
Die innere Energie dieser ΔN Elektronen ist aber im Kristall Stoßprozesse statt, die dafür
mithin näherungsweise sorgen, dass sich nach einer bestimmten Zeit
eine konstante Driftgeschwindigkeit einstellt
3 3 T
Uel = ΔN · kT ≈ N kT . (bei konstanter Feldstärke). Die Elektronen
2 2 TF werden vorwiegend durch Gitterschwingun-
gen (Phononen, Abschn. 9.3.1) und an Störun-
Der Beitrag zur molaren Wärmekapazität ist
gen des Gitters (z. B. Gitterbaufehler, Verunrei-
nach (3.55) Cm, el ≈ 3 Rm (T / TF ). Eine exakte
nigungen, Korngrenzen) gestreut. Die mittlere
Analyse liefert den Ausdruck
Beschleunigung beträgt

1 T
Cm, el = π2 Rm . (9.16) dd
=−
eE d
− . (9.17)
2 TF dt m τ
Der Beitrag der Elektronen zur molaren
Wärmekapazität der Metalle hängt linear Das Glied −eE/ m beschreibt die Geschwindig-
von der Temperatur ab. keitszunahme durch das angelegte elektrische
Feld; das Glied − d /τ berücksichtigt die Rei-
bungsvorgänge im Gitter. Dabei geht man wie
Diese Aussage stimmt mit den experimentel- bei der inneren Reibung laminar strömender
len Befunden überein. Da bei tiefen Tempera- Flüssigkeiten davon aus, dass die Reibungs-
turen der Beitrag der Gitterschwingungen zur kraft proportional zur Strömungsgeschwin-
Wärmekapazität nach dem Debye’schen Gesetz digkeit ist. Die Zeitkonstante τ heißt Relaxa-
Cm, Gitter = AT 3 (Abschn. 9.3.1.2) abfällt, über- tionszeit.
wiegt bei genügend tiefen Temperaturen der Im zeitlich konstanten Feld (Gleichstromver-
Beitrag der Elektronen zur spezifischen bzw. halten) E = E0 ergibt die Integration von (9.17)
molaren Wärmekapazität.

Elektrische Leitung
d = d, 0 (1 − e−t/τ ) , (9.18)
Die Elektronen eines Metalls bewegen sich in-
folge der Wärmebewegung statistisch verteilt dargestellt in Abb. 9.37. Im stationären Zu-
in alle Raumrichtungen, sodass ihr mittlerer stand (t → ∞, dd / dt = 0) nimmt die Drift-
Geschwindigkeitsvektor null ist: geschwindigkeit den konstanten Wert

1 1
N N e
m = i = ki =0. d, 0 = − τ E0 = −μ E0 (9.19)
N i=1 N m i=1 m

In einem elektrischen Feld der Feldstärke E an. Die stationäre Driftgeschwindigkeit ist
wirkt auf jedes Elektron die Kraft −eE, so- proportional zur Feldstärke E0 . Die Propor-
dass alle Elektronen beschleunigt werden. Der tionalitätskonstante
9.2 Elektronen in Festkörpern 817

κ = enμ . (9.23)

Beispiel
9.2-2 Wie groß ist die Beweglichkeit μ von Kupfer bei
Raumtemperatur?

Lösung
Die elektrische Leitfähigkeit von reinem Kupfer ist
{ = 5,9 · 105 Ω−1 cm−1 . Die Konzentration der freien
Abb. 9.37 Abhängigkeit der Driftgeschwindigkeit von Elektronen ist nach Tabelle 9.5 n ≈ 8,5 · 1022 cm−3 .
der Zeit im Fall des Gleichstroms Somit ist nach (9.23) die Beweglichkeit
{ cm2
μ= ≈ 43 .
en Vs

μ=
e
τ (9.20) Die Relaxationszeit τ kann aus (9.22) bestimmt
m werden:

κm
ist die Beweglichkeit. Die Driftgeschwindigkeit τ= . (9.24)
e2 n
d, 0 hängt mit der elektrischen Stromdichte j
zusammen gemäß
Da an den Streuprozessen nur die Elektronen
teilnehmen, die an der Oberfläche der Fermi-
j = −e n d, 0 (9.21) Kugel sitzen, ist deren Geschwindigkeit etwa
die Fermi-Geschwindigkeit F (9.11). Inner-
halb der Relaxationszeit τ legen die Elektronen
mit n = N / V als der Konzentration der freien die mittlere freie Weglänge l zurück:
Elektronen. Mit (9.19) resultiert hieraus

l = F τ . (9.25)
e2
j= n τ E0 = κ E0 . (9.22)
m
Beispiel
Dies ist das Ohm’sche Gesetz (Abschn. 4.1.5), 9.2-3 Wie groß ist die mittlere freie Weglänge der
Elektronen in Kupfer bei Raumtemperatur?
das besagt, dass die Stromdichte proportional
zur elektrischen Feldstärke ist; die Proportio- Lösung
nalitätskonstante κ ist die elektrische Leitfä- Mit { = 5,9 · 105 Ω−1 cm−1 und n ≈ 8,5 · 1022 cm−3
higkeit. Für einen Leiter mit konstantem Quer- ist die Relaxationszeit nach (9.24) τ = 2,5 · 10−14 s. Die
Fermi-Geschwindigkeit ist nach (9.11) bzw. Tabelle 9.5
schnitt ergibt sich hieraus die bekannte Form
F = 1,56 · 106 m/s. Demnach beträgt die mittlere freie
I = U / R.
Weglänge l = F τ = 3,9 · 10−8 m.
Aus (9.20) und (9.22) folgt die für die Praxis Im Vergleich hierzu ist der Abstand zwischen nächs-
wichtige Verknüpfung zwischen elektrischer ten Nachbarn im Kupfergitter nach Tabelle 9.1
Leitfähigkeit κ und Beweglichkeit μ: 2,55 · 10−10 m.
818 9 Festkörperphysik

den typischen Verlauf des spezifischen Wider-


standes in Abhängigkeit von der Temperatur.
Ein Maß für die Reinheit einer Substanz ist
das Widerstandsverhältnis
ρ(4,2 K)
r= ,
ρ(293 K)
das typischerweise in der Größenordnung von
10−3 bis 10−6 liegt. Es kann durch Legieren
sowie mechanische Verformung stark beein-
flusst und bis in die Größenordnung von eins
gebracht werden. Der Ohm’sche Widerstand
solcher Werkstoffe hängt kaum von der Tem-
peratur ab. Sie sind deshalb zur Herstellung
von Normalwiderständen geeignet.
Wie eingangs erwähnt, wird beim Modell
des freien Elektronengases das Auftreten von
Energiebändern mit verbotenen Zonen nicht
berücksichtigt. Die Kontur der Fermi-Fläche
realer Metalle weicht mehr oder weniger von
Abb. 9.38 Temperaturabhängigkeit des spezi- der in Abb. 9.34 dargestellten idealen Kugelge-
fischen Widerstands von Kupfer-Einkristallen stalt ab. Bei Na und K sind die Abweichungen
unterschiedlicher Reinheit (nach Saeger) kleiner als 0,15%, bei anderen Metallen dage-
gen zum Teil erheblich größer. Abbildung 9.39
Das Beispiel zeigt, dass die Elektronen in zeigt als Beispiel die experimentell bestimmte
Metallen zwischen zwei Zusammenstößen im Fermi-Fläche von Zinn. Ihre Form bestimmt
Mittel einen Weg von etwa hundert Atomab- die elektronischen Eigenschaften der Fest-
ständen zurücklegen. körper, da nur diejenigen Elektronen durch
Mit abnehmender Temperatur steigt i. Allg. die äußere Felder beeinflusst werden können, die
Leitfähigkeit von Metallen, weil die Streuung sich nahe der Fermi-Fläche bewegen.
der Elektronen am schwingenden Gitter zu-
rückgeht. Bei sehr tiefen Temperaturen do- 9.2.3 Halbleiter
miniert die temperaturunabhängige Streuung
Halbleiter haben einen spezifischen elektri-
an Gitterfehlern (Verunreinigungen). Für den
schen Widerstand im Bereich 10−3 Ω cm bis
spezifischen Widerstand gilt die Matthiessen’-
109 Ω cm. Die Werte liegen also zwischen
sche Regel (F. Matthiessen, 1830 bis 1906):
denjenigen der Metalle und der Isolatoren
(Abb. 9.29). Der spezifische elektrische Wi-
ρ(T) = ρR + ρG (T) . (9.26) derstand von Halbleitern ist im Unterschied
zu Leitern und Isolatoren stark von der Do-
Hierbei ist ρR der temperaturunabhängige tierung mit Fremdatomen, der Temperatur
Restwiderstand, der sich für T → 0 einstellt, sowie dem Lichteinfall abhängig.
und ρG (T) der temperaturabhängige Anteil Die Elementhalbleiter aus der IV. Gruppe des
der Gitterschwingungen. Abbildung 9.38 zeigt Periodensystems kristallisieren in der Dia-
9.2 Elektronen in Festkörpern 819

Abb. 9.39 Fermi-Fläche von Zinn (nach Hering und Lück): a) Fläche in der dritten Brillouin-Zone des erweiterten
Zonenschemas, b) reduziertes Zonenschema

mantstruktur, bei der jedes Atom vier nächste tronen der Nachbaratome Elektronenpaarbin-
Nachbarn hat, die an den Ecken eines regel- dungen eingehen. Am absoluten Nullpunkt ist
mäßigen Tetraders angeordnet sind. Weitere keine elektrische Leitung möglich, da keine
Halbleiter mit tetraedrischem Gitter ergeben freien Ladungsträger zur Verfügung stehen.
sich nach H. J. Welker (1912 bis 1981), in- Im Bänderschema von Abb. 9.29 ist das oberste
dem Verbindungen zwischen Elementen aus Valenzband vollständig besetzt, das darüber-
verschiedenen Gruppen des Periodensystems liegende Leitungsband ist leer.
hergestellt werden, sodass die mittlere Anzahl Durch Energiezufuhr, z. B. durch Temperatur-
der Valenzelektronen (vier) erhalten bleibt erhöhung oder Lichteinfall, können einzelne
(Tabelle 9.6). Von besonderer Bedeutung für Bindungen gelöst werden. Dies hat zur Folge,
die Optoelektronik sind Mischkristalle auf der dass freie Elektronen im Kristall zur Verfü-
Basis der III-V-Halbleiter, bei denen die Breite gung stehen. Im Bändermodell von Abb. 9.40
der verbotenen Zone in bestimmten Grenzen entspricht diesem Vorgang das Anheben von
beliebig einstellbar ist. Beispiele hierfür sind Elektronen aus dem Valenzband (VB) ins Lei-
tungsband (LB). Die fehlenden Elektronen im
– ternäre Mischkristalle Gax Al1−x As und
Valenzband werden Defektelektronen oder Lö-
– quaternäre Mischkristalle InxGa1−x Asy P1−y .
cher genannt. Sie verhalten sich im See der
negativen Elektronen wie positive Teilchen. Da
9.2.3.1 Eigenleitung freie Elektronen und Löcher immer nur paar-
Die Elementhalbleiter der IV. Gruppe haben weise erzeugt werden können, gilt für die Dich-
jeweils vier Valenzelektronen, die mit Elek- ten der Elektronen n und der Löcher p

Tabelle 9.6 Halbleitende Verbindungen


n=p. (9.27)
Gruppen des Periodensystems
zur Kombination der Elemente Beispiele
Wird an den Kristall eine Spannung angelegt,
IV Si, Ge, Sn (grau) dann fließen die freien Elektronen zur Anode.
IV–IV SiC
Gebundene Elektronen in der Nachbarschaft
III–V GaAs, InSb
II–VI ZnTe, CdSe, HgS von Löchern können durch Platzwechsel in ein
Loch springen (hopping-conductivity); hierbei
820 9 Festkörperphysik

Abb. 9.40 Leitungsmechanismen in Halbleitern

wandert das Loch in Richtung Kathode. Der Abbildung 9.41 zeigt die Zustandsdichte im
Gesamtstrom in einem Halbleiter lässt sich Leitungs- und Valenzband, die Fermi-Dirac-
daher als Summe aus einem Elektronenstrom Verteilungsfunktion und die Dichte der La-
und einem Löcherstrom bilden. Für die elek- dungsträger, die sich als Produkt aus Zu-
trische Leitfähigkeit eines Halbleiters gilt in standsdichte und Besetzungswahrscheinlich-
Erweiterung von (9.23)

κ = e (n μn + p μp ) . (9.28)

Die Beweglichkeiten von Elektronen μn und


Löchern μp technisch wichtiger Halbleiter sind
in Tabelle 9.7 angegeben. Sie zeigen bei rei-
nen Halbleitern eine geringe Temperaturab-
hängigkeit:

μ(T) = μ0 (T / T0 )−3/2 . (9.29)

Die Berechnung der Ladungsträgerdichten n Abb. 9.41 Zustandsdichte D(E), Besetzungswahr-


und p geschieht mit Hilfe der Fermi-Dirac- scheinlichkeit f (E) und Trägerdichte n(E) sowie p(E)
Statistik (Abschn. 9.2.2). eines reinen Halbleiters
9.2 Elektronen in Festkörpern 821

Tabelle 9.7 Eigenschaften der Halbleiter Ge, Si und GaAs. (Die Zahlenwerte gelten für T = 300 K)

Ge Si GaAs
Kristallstruktur Diamant Diamant Zinkblende

Gitterkonstante a in 10−10 m 5,65771 5,43043 5,65325


linearer Ausdehnungskoeffizient α 5,90 2,56 6,86
in 10−6 K−1
spezifische Wärmekapazität c in kJ/(kg K) 0,31 0,70 0,35
Wärmeleitfähigkeit λ in W/(m K) 64 145 46
Schmelzpunkt ϑs in ◦ C 937 1 415 1 238
Atomdichte N / V in 1022 cm−3 4,42 5,0 4,42
Dichte ρ in kg/m3 5 326,7 2 328 5 320
Molmasse M in g/mol 72,60 28,09 144,63
Bandgap Eg in eV 0,660 1,11 1,43
intrinsische Trägerdichte ni in cm−3 2,33 · 1013 1,02 · 1010 2,00 · 106
Effektive Zustandsdichte
im Leitungsband NL in cm−3 1,24 · 1019 2,85 · 1019 4,55 · 1017
im Valenzband NV in cm−3 5,35 · 1018 1,62 · 1019 9,32 · 1018
relative Dielektrizitätszahl 16 11,8 12,9
Beweglichkeit μn in cm2 /(V s) 3 900 1 350 8 500
μp in cm2 /(V s) 1 900 480 435

keit ergibt: Damit lässt sich obiges Integral geschlossen


lösen:
n(E) = De (E) f (E) ,
EL −FF
p(E) = Dh (E)(1 − f (E)) . n(T) = NL e− kT .

Das Fermi-Niveau liegt bei tiefen Temperatu- Die Größe


ren etwa in der Mitte der verbotenen Zone. Für
2πmd kT 3/ 2
die Dichte der Elektronen im Leitungsband gilt NL = 2
h2

n= De (E) f (E) dE . ist die effektive Zustandsdichte im Leitungs-
EL
band. Sie ist in Tabelle 9.7 angegeben. Die glei-
che Rechnung ergibt für die Löcherdichte im
Die Zustandsdichte De (E) wird nach (9.12) Valenzband
berechnet; hierbei muss aber anstatt der EF −Ev
Masse des freien Elektrons eine effektive Zu- p(T) = NV e− kT

standsdichtemasse md eingesetzt werden. Die


Fermi-Dirac-Funktion nach (9.13) beträgt für mit NV als der effektiven Zustandsdichte des
E − EF >> kT Valenzbandes.
E−EF
Die Dichte der freien Elektronen und Löcher
f (E) = e− kT . in reinen Halbleitern wird auch als intrinsische
822 9 Festkörperphysik

Trägerdichte ni bezeichnet. Es gilt ni =n=p Somit beträgt der spezifische Widerstand ρ(200 K) =
und mit obigen Beziehungen 2,72 · 104 Ω cm.

Eg Eg
Bei dieser Rechnung wurde vereinfachend vor-
ni (T) = NL NV e− 2kT = ni0 T 3/2 e− 2kT .
ausgesetzt, dass die Breite der verbotenen Zone
(9.30)
konstant ist. Tatsächlich hängt Eg von der Tem-
peratur ab.
Die mit Hilfe von (9.30) bestimmten Träger- Die große Temperaturabhängigkeit des elek-
dichten sind für die Halbleiter Ge, Si und GaAs trischen Widerstandes von Halbleitern liegt
in Tabelle 9.7 zusammengestellt. Aus diesen in der exponentiellen Abhängigkeit der Trä-
Daten folgt für den temperaturunabhängigen gerdichte von der Temperatur begründet. Mit
Faktor ni0 in (9.30) für Hilfe von (9.28) bis (9.30) folgt

– Germanium ni0 = 1,57 · 1015 cm−3 K−3/2 , Eg


– Silicium ni0 = 4,14 · 1015 cm−3 K−3/2 , R(T) ≈ R0 e 2kT . (9.32)
– Galliumarsenid ni0 = 3,95 · 1015 cm−3 K−3/2 .
Das Produkt von freier Elektronen- und Lö- Der Widerstand steigt mit abnehmender Tem-
cherdichte ist bei gegebener Temperatur eine peratur an. Aus diesem Grund sind Halbleiter-
Konstante, unabhängig von der Dotierung. Es widerstände besonders gut geeignet als Tem-
gilt peratursensoren zur Messung tiefer Tempera-
turen (NTC-Widerstand, Abb. 4.6).
Eg
n p = n2i (T) = n2i0 T 3 e− kT . (9.31)
9.2.3.2 Störstellenleitung
Der spezifische Widerstand von Halbleitern
Beispiel kann erheblich verändert werden durch den
9.2-4 Wie groß ist der spezifische Widerstand von Einbau von Fremdatomen. Wird beispielsweise
reinem Germanium bei T1 = 300 K und T2 = 200 K? Silicium mit Atomen aus der V. Gruppe des
Periodensystems dotiert, dann bringt nach
Lösung
Nach (9.28) gilt
Abb. 9.40 jedes Störatom ein Elektron mit, das
keine Bindung mit nächsten Nachbarn ein-
1 geht und durch geringe Energiezufuhr von
ρ= .
e ni (μn + μp ) seinem Atom abgetrennt werden kann. Im
Bei T1 = 300 K ist nach Tabelle 9.7 ni = Bänderschema sind diese Elektronen energe-
2,33 · 1013 cm−3 und μn + μp = 5 800 cm2 /(V s). tisch dicht unter der Leitungsbandkante an-
Damit ergibt sich ρ(300 K) = 46 Ω cm. gesiedelt. Die Ionisierungsenergien ED eini-
Bei T2 = 200 K ist die Trägerdichte ger Donatoren (Elektronenspender) sind in
Eg Tabelle 9.8 für die Halbleiter Silicium und Ger-
ni (T2 ) = ni0 T23/ 2 e = 2,15 · 1010 cm−3
− 2kT
2
manium zusammengestellt. Aus den Zahlen-
und die Beweglichkeit nach (9.29)
werten ist ersichtlich, dass bereits bei Raum-
temperatur praktisch alle Störstellen ionisiert
−3/ 2
μ(T2 ) = μ(T1 )
T2
= 10 655 cm2 /(V s) . sind. In diesem Fall beruht die elektrische Lei-
T1 tung vorwiegend auf dem Transport der nega-
9.2 Elektronen in Festkörpern 823

Tabelle 9.8 Ionisationsenergie ED von Donatoren und ist, spricht man von Störstellenreserve. Die
EA von Akzeptoren in Silicium und Germanium Trägerdichte wird wie bei der Eigenleitung
mit Hilfe der Fermi-Dirac-Statistik berechnet.
Störstelle Ionisierungsenergie ED bzw. EA
in meV Abbildung 9.42 zeigt die Verteilungsfunktion
Silicium Germanium der Elektronen bei tiefen Temperaturen. Die
Fermi-Energie EF liegt dabei in der Mitte zwi-
Donatoren schen den Störstellenniveaus und den benach-
P 44 12,76 barten Bandkanten.
As 49 14,04
Sb 39 10,19
Ist bei n-Dotierung die Konzentration der Do-
natoratome nD , dann ergibt sich für die Kon-
Akzeptoren
B 45 10,4 zentration der freien Elektronen
Al 57 10,2
Ga 65 10,8
nD NL − ED
In 160 11 n(T) = e 2kT . (9.33)
2

Der Ausdruck ist analog zu (9.30) für die


tiven Elektronen (Majoritätsträger). Der Halb-
Eigenleitung. ED spielt in diesem Fall die
leiter wird deshalb als n-leitend oder als n-Typ
Rolle der Bandlücke (Bandgap). Bei p-
bezeichnet.
Typ-Halbleitern gilt entsprechend mit der
Dotiert man mit Elementen aus der III.
Akzeptoren-Konzentration nA
Gruppe, so fehlt an jedem Störatom ein
Elektron zur Bindung. Bereits durch geringe
Energiezufuhr kann dieses lokalisierte Loch nA NV − EA
p(T) = e 2kT . (9.34)
von einem Elektron eines Nachbaratoms 2
ausgefüllt werden. Dadurch wandert das
Loch ins Valenzband und kann als freies
Abbildung 9.43 zeigt den Verlauf der Trä-
Loch am Ladungstransport teilnehmen. Die
gerdichte bei n-Typ-Silicium in Abhängigkeit
elektrische Leitung beruht also vorwiegend
von der Temperatur. Mit steigender Tempe-
auf der Wanderung der positiven Löcher,
ratur nimmt die Dichte der freien Ladungs-
man spricht deshalb von p-Leitung und von
p-Typ-Halbleitern. Da die Störstellen aus
der III. Gruppe Elektronen aus dem Valenz-
band aufnehmen, werden sie als Akzeptoren
bezeichnet. Die Ionisationsenergie EA der
wichtigsten Akzeptoren sind in Tabelle 9.8
zusammengestellt.
Am absoluten Nullpunkt sind alle Störstel-
len neutral. Der spezifische Widerstand des
Halbleiters ist wie bei der Eigenleitung un-
endlich groß. Mit steigender Temperatur wer-
Abb. 9.42 Fermi-Dirac-Verteilung in n- und
den die Störstellen ionisiert, und die Dichte p-Halbleitern bei tiefen Temperaturen. Die
der freien Ladungsträger nimmt rasch zu. So- schraffierten Gebiete entsprechen den besetzten
lange erst ein Teil der Störstellen ionisiert Elektronenzuständen
824 9 Festkörperphysik

Tabelle 9.9 Halbleitereigenschaften im Zustand


der Störstellenerschöpfung (bei Raumtemperatur;
nD >> ni bzw. nA >> ni )

n-Typ p-Typ

Majoritätsträger-
dichte n = nD p = nA
Minoritätsträger-
dichte p = n2i / nD n = n2i / nA
elektrische
Leitfähigkeit { = e μn nD { = e μp nA

Majoritätsträgerdichte n bzw. p gleich der


Dotierungs-Konzentration. Die Minoritäts-
trägerdichte folgt unmittelbar aus (9.31).
Tabelle 9.9 gibt die Beziehungen für n, p
und κ wieder. Die Beweglichkeit nimmt mit
steigender Dotierung etwas ab und wird
temperaturunabhänig.
Abb. 9.43 Ladungsträgerdichte in n-Typ-Silicium
in Abhängigkeit von der Temperatur. Dotierung: 9.2.3.3 pn-Übergang
Phosphor, nD = 1015 cm−3
Das Grundelement der meisten Halbleiterbau-
elemente ist der pn-Übergang, in dem nach
träger rasch zu und geht schließlich in ein
Abb. 9.44a p- und n-leitendes Material anein-
waagrechtes Plateau über, wenn im Zustand
anderstoßen. Abbildung 9.44b zeigt den Do-
der Störstellenerschöpfung alle Störstellen io-
tierungsverlauf eines unsymmetrischen abrup-
nisiert sind. Ein weiterer Temperaturanstieg
ten pn-Übergangs in Silicium mit der Ak-
verursacht eine erneute Zunahme der Trä-
zeptorkonzentration nA = 1 · 1016 cm−3 im p-
gerdichte, wenn die Eigenleitungsdichte ni (T)
Gebiet und der Donatorkonzentration nD =
größer wird als die Störstellenkonzentration.
2 · 1016 cm−3 im n-Gebiet. Die Ladungsträger-
Im Bereich der Störstellenerschöpfung gilt bei
konzentrationen sind in Abb. 9.44c darge-
n-Dotierung
stellt. Weit weg vom Übergang sind die Ma-
joritätsdichten identisch mit den Störstellen-
2 konzentrationen. Die Minoritätsdichten sind
nD nD
n= + + n2i nach (9.31) berechnet. Infolge des großen Kon-
2 2
zentrationsunterschieds diffundieren Elektro-
und bei p-Dotierung nen aus dem n- ins p-Gebiet und Löcher vom
p- ins n-Gebiet. Die Übergangszone verarmt
2 an beweglichen Ladungsträgern. Die mini-
nA nA
p= + + n2i . male Ladungsträgerkonzentration in Silicium
2 2
ist (n + p)min = 2ni = 2,04 · 1010 cm−3 .
Bereits bei mäßiger Dotierung gilt i. Allg. Durch den Abzug der Löcher aus dem p-Gebiet
nD >> ni oder nA >> ni . Demnach ist die entsteht an dessen Rand durch die ionisierten
9.2 Elektronen in Festkörpern 825

Akzeptoren, die nicht mehr durch die entspre- entsteht im n-Gebiet durch die positiven Do-
chende Anzahl von Löchern kompensiert wer- natorrümpfe eine positive Raumladungszone.
den, eine negative Raumladungszone. Ebenso Abbildung 9.44d zeigt den Verlauf der Raum-
ladungsdichte ρ. Aufgrund der Ladungsneu-
tralität gilt für die Breiten dn und dp

dn nD = dp nA . (9.35)

Wegen der positiven und negativen Raum-


ladungszone entstehen ähnlich wie beim
Plattenkondensator ein Potentialgefälle und
ein elektrisches Feld zwischen dem n- und
p-Gebiet. Abbildung 9.44e zeigt den Potenti-
alverlauf, der mit Hilfe der Poisson-Gleichung
berechnet werden kann und parabolisch
vom Ort abhängt. Die Potentialdifferenz
Ud zwischen n- und p-Gebiet wird Diffusi-
onsspannung genannt, weil sie infolge der
Diffusion der beweglichen Ladungsträger
entsteht. Abbildung 9.44f zeigt den Verlauf der
elektrischen Feldstärke, die dem Gradienten
des Potentials ϕ entspricht (Abschn. 4.3.4:
E = −grad ϕ (4.103)).
Der Betrag der Diffusionsspannung kann
aus thermodynamischen Überlegungen be-
rechnet werden. Nach Abschn. 3.2.3 ist das
Verhältnis der Elektronendichte im p-Gebiet
zu der im n-Gebiet gegeben durch den
Boltzmann-Faktor (Boltzmann-Näherung der
Fermi-Dirac-Verteilung)
np n2i
= = e−eUd /(kT) .
nn nA nD
Daraus folgt für die Diffusionsspannung

kT nA nD
Ud = ln . (9.36)
e n2i
Abb. 9.44 pn-Übergang: a) p- und n-leitendes
Silicium in Kontakt, b) Störstellenkonzentration,
c) Dichteverlauf der beweglichen Ladungsträger, Die Größe kT / e = UT wird oft als Tempera-
d) Raumladungsgebiete, e) Potentialverlauf turspannung bezeichnet. Bei Raumtemperatur
(Ud Diffusionsspannung), f) elektrische Feldstärke (300 K) beträgt sie UT = 25,9 mV. Eine ge-
826 9 Festkörperphysik

naue Analyse des Potentialverlaufs ergibt für


die Breite der Raumladungszone


2 εr ε0 Ud nA + nD
d = dn + dp = · .
e nA nD
(9.37)

Beispiel
9.2-5 Für einen pn-Übergang in Silicium mit nD =
2 · 1016 cm−3 und nA = 1 · 1016 cm−3 sollen die Diffusi-
onsspannung Ud und die Breite der Raumladungszone
berechnet werden.

Lösung
Nach (9.36) ist
2 · 1032 cm−6
Ud = 25,9 mV · ln = 0,73 V .
1,04 · 1020 cm−6
Abb. 9.45 Verteilung der Ladungsträger und
Die Breite der Raumladungszone ist nach (9.37) mit Bändermodell beim pn-Übergang a) ohne äußere
εr = 11,8 d = 0,38 μm. Auf die beiden Teilgebiete ent- Spannung, b) Spannung in Sperrrichtung (U < 0) und
fallen nach (9.35) dp = 0,25 μm und dn = 0,13 μm. c) Spannung in Flussrichtung (U > 0)

Abbildung 9.45a zeigt links anschaulich die


Verteilung der Ladungsträger in einem pn- dere Seite befördert werden. Bei großen Sperr-
Übergang. Die Kreise stellen die ortsfesten io- spannungen sättigt der Strom und geht in den
nisierten Akzeptoren und Donatoren dar. Der Sperrsättigungsstrom IS über.
graue Bereich symbolisiert das Gebiet der be- Abbildung 9.45c zeigt die Verhältnisse im pn-
weglichen Elektronen, der rote das der Lö- Übergang unter der Wirkung einer Spannung
cher. Die Bänderdarstellung rechts zeichnet in Flussrichtung (U > 0). Die angelegte Span-
sich dadurch aus, dass im thermodynami- nung baut die Diffusionsspannung ab, so-
schen Gleichgewicht ohne äußere Spannung dass die Bandverbiegung kleiner wird. Die
das Fermi-Niveau in allen Bereichen auf glei- Breite der Raumladungszone wird verringert
cher Höhe liegt. Die Bandkanten verschieben (in (9.37) wird Ud ersetzt durch Ud − U); die
sich zwischen dem n- und p-Gebiet um den beweglichen Ladungsträger reichern sich in
Energiebetrag eUd . der Verarmungszone an und dringen ins be-
Legt man nach Abb. 9.45b eine Sperrspannung nachbarte Gebiet ein, wo sie mit den dorti-
an (U < 0), dann werden die beweglichen Elek- gen Majoritäten rekombinieren. Der fließende
tronen zum Pluspol und die Löcher zum Mi- Strom nimmt mit wachsender Spannung stark
nuspol gezogen. Dadurch verbreitert sich die zu. Nach W. Shockley (1910 bis 1989) gilt für
Raumladungszone (in (9.37) wird Ud ersetzt die Abhängigkeit des Stroms von der Span-
durch Ud +|U|). Es fließt nur noch ein geringer nung
Sperrstrom, der darauf beruht, dass Minoritä-

ten an den Übergang diffundieren und dort I = IS eeU /(kT) − 1 . (9.38)
von dem starken elektrischen Feld auf die an-
9.2 Elektronen in Festkörpern 827

Abb. 9.46 Diodenkennlinien von Silicium und


Germanium

Abbildung 9.46 zeigt typische Kennlinien


für Ge- und Si-Dioden. Der Sperrsättigungs-
strom IS ist bei Raumtemperatur in der
Größenordnung von 1 nA für Si und 1 μA
für Ge. Er ist sehr stark temperaturabhängig Abb. 9.47 Durchbruch des pn-Übergangs:
gemäß a) Zener-Effekt, b) Lawinenmultiplikation

IS ∼ e−Eg / (kT) .
In Sperrrichtung kann es zu einem Durch- Beide Effekte weisen eine gegenläufige Tempe-
bruch kommen. Dies beruht zum einen auf raturabhängigkeit der Durchbruchspannung
dem Zener-Effekt (C. M. Zener, 1905 bis UZ (Z-Spannung) auf. Bei Si-Dioden mit
1993). Hierbei werden nach Abb. 9.47a in- UZ = 5,6 V lässt sich die beste Temperatur-
folge der großen Feldstärke im Innern des konstanz der Durchbruchspannung erzielen.
Übergangs Elektronen aus dem Valenzband In Abb. 9.48 sind die in der Technik wich-
des p-Materials waagrecht über die verbo- tigsten Diodentypen (Aufbau, Kennlinien,
tene Zone ins Leitungsband des n-Materials Funktionsweise und Anwendungen) zusam-
gezogen (tunneln). Der Zener-Effekt tritt mengestellt.
bevorzugt bei stark dotierten Dioden auf und
kann dort schon bei wenigen Volt Sperrspan- 9.2.3.4 Transistor
nung einsetzen. Der zweite Mechanismus, der Transistoren gehören zu den wichtigsten
zum Durchbruch führt, ist in Abb. 9.47b an- elektronischen Bauelementen. Sie werden
gedeutet. Ein Elektron bewegt sich bei großer zum Verstärken und Schalten elektrischer
elektrischer Feldstärke so schnell, dass es bei Signale verwendet. Man unterscheidet bi-
einem Zusammenstoß mit dem Gitter einen polare und unipolare Transistoren. Letztere
Teil seiner Energie abgeben und ein neues werden auch Feldeffekttransistoren genannt,
freies Elektron-Loch-Paar erzeugen kann. die wiederum in Sperrschicht- bzw. MOS-
Diese Ladungsträger werden in gleicher Weise Feldeffekttransistoren unterteilt werden. Eine
beschleunigt und können ihrerseits neue freie Übersicht über den Aufbau, die Kennlinien
Paare schaffen, sodass der Strom lawinenartig und die Anwendungsbereiche vermittelt
anwächst. Abb. 9.49.
828 9 Festkörperphysik

Abb. 9.48 Eigenschaften der wichtigsten Dioden


9.2 Elektronen in Festkörpern 829

Abb. 9.49 Aufbau und Eigenschaften von Transistoren

Der bipolare Transistor arbeitet im Unter-


schied zum Feldeffekttransistor mit Ladungs-
trägern beider Polaritäten (Elektronen und
Löcher). Er besteht aus zwei hintereinander
geschalteten pn-Übergängen. Je nach Do-
tierung werden npn- und pnp-Transistoren
unterschieden. Abbildung 9.50a zeigt die
Schaltzeichen der Transistoren, Abb. 9.50b
die drei Zonen unterschiedlicher Dotierung,
Abb. 9.50c die Wirkungsweise eines npn-
Transistors und Abb. 9.50d die Basis-Schaltung
eines npn-Transistors. Die Beschaltung des
pnp-Transistors ist im Prinzip gleich, ledig-
lich die Polaritäten sind vertauscht. Für den
bipolaren Transistor sind je nach Zuordnung
von Basis, Emitter und Kollektor zum Ein-
gang oder zum Ausgang drei Schaltungsarten
möglich. Der Schaltungstyp trägt den Namen
des Transistorteils, der sowohl am Eingang
als auch am Ausgang liegt. Aus diesem Grund
unterscheidet man zwischen Basis-, Emitter-
und Kollektorschaltung. Abb. 9.50 Wirkungsweise des Transistors
830 9 Festkörperphysik

Abb. 9.51 Grundschaltungen und Kennlinien von Transistoren

Bei der Basisschaltung (Abb. 9.50c und d) wird eine große Spannung UCB hervorruft. Der
an den Emitter-Basis-Übergang eine Spannung Transistor dient in diesem Fall zur Span-
UEB (kleiner 1 V) in Durchlassrichtung gelegt, nungsverstärkung (100- bis 1000-fach) und
am Basis-Kollektor-Übergang liegt die Sperr- zur Leistungsverstärkung (20 dB bis 30 dB).
spannung UCB . Die Elektronen fließen vom Die Transistorkennlinien in Abb. 9.51 zeigen
Emitter zur Basis. Dort teilt sich der Strom in für die Basisschaltung die Kollektorstrom-
einen geringen Basisstrom IB und einen hohen stärke IC in Abhängigkeit von der Kollektor-
Kollektorstrom IC auf. Die Basiszone ist sehr Basis-Spannung UCB für unterschiedliche
dünn, sodass der Kollektorstrom beinahe so Emitterströme IE . Der Verstärkungseffekt
groß ist wie der Emitterstrom. Der Stromver- wird daraus ersichtlich.
stärkungsfaktor Abbildung 9.51 zeigt auch die Kennlinien,
gleichungsmäßigen Zusammenhänge und
Anwendungsgebiete der anderen Transis-
IC
A = (9.39) torschaltungen. Die Kennlinien beschreiben
IE
die Abhängigkeiten der wichtigsten Kenn-
größen eines Transistors. Sie werden meist
der Basisschaltung ist annähernd eins, ge- in vier Quadranten dargestellt. Der erste
nauer 0,95 bis 0,995. Der Verstärkungseffekt Quadrant beschreibt die Ausgangskennlinie
beruht darauf, dass praktisch derselbe Strom (−UCB für die Basis-, −UCE für die Emitter-
am Eingang bei einem niedrigen Eingangs- und −UEC für die Kollektorschaltung). Der
widerstand (Durchlassrichtung) eine kleine zweite Quadrant zeigt den Verlauf der Strom-
Spannung UEB am Ausgang wegen des ho- verstärkungskennlinie und der dritte Qua-
hen Ausgangswiderstands (Sperrrichtung) drant die Eingangskennlinien. Im vierten
9.2 Elektronen in Festkörpern 831

Quadranten kann der Verlauf der Spannungs- breiter und verengen die Strombahn. Dies be-
Rückwirkungskennlinien dargestellt werden. deutet, dass die Spannung am Gate durch
Da diese jedoch aus den Kurven der übrigen die Änderung des elektrischen Feldes im pn-
Kennlinien ermittelt werden können, werden Übergang die Stromstärke zwischen Source
sie meist nicht gesondert aufgeführt. und Drain steuert.
Am häufigsten wird die Emitterschaltung ein- Ein besonders wichtiger Transistor ist der
gesetzt. Die Stromverstärkung in der Emit- MOS-FET (metal oxide semiconductor-FET).
terschaltung ist das Verhältnis von Kollektor- Die Steuerspannung beeinflusst die Leitfä-
strom zu Basisstrom: B = |IC / IB |. Mit IB = higkeit einer dünnen Oberflächenschicht
IE − IC und (9.42) folgt im Halbleiterkristall (Abb. 9.49). Beim An-
reicherungstyp fließt ohne Steuerspannung
kein Strom zwischen Quelle und Senke. Eine
A
B= . (9.40) negative Steuerspannung verdrängt die Elek-
1−A
tronen in das Kristallinnere, sodass eine
oberflächennahe schmale p-leitende Schicht
entsteht. Je nach Anwendungsfall gibt es p-
Für die genannten A-Werte von 0,95 bis 0,995
MOS oder n-MOS-Feldeffekttransistoren mit
ergeben sich B-Werte von 20 bis 200. Die
einem Aluminium- bzw. Silicium-Gate. In
Emitterschaltung liefert also sowohl eine
der C MOS-Technik (komplementäre MOS-
Spannungs- als auch eine Stromverstärkung
und damit auch eine Leistungsverstärkung. Sie
ist also eine universell einsetzbare Schaltung
zum Verstärken von Spannungen, Strömen
und Leistungen.
Die Kollektorschaltung hat einen hohen Ein-
und einen niedrigen Ausgangswiderstand.
Sie wird vor allem als Impedanzwandlerstufe
sowie in Gegentaktendstufen eingesetzt. Sie
erzeugt keine Spannungsverstärkung, jedoch
eine Stromverstärkung wie die Emitterschal-
tung.
Im Unterschied zum bipolaren Transistor
sind beim Feldeffekt-Transistor (FET) nur
Ladungsträger einer Sorte, also Elektronen
oder Löcher, beteiligt. Beim Sperrschicht-FET
(Abb. 9.49) liegt an einem n-leitenden Bereich
eine Gleichspannung, sodass die Elektronen
von der Quelle (source) zur Senke (drain)
fließen. Die Breite des Kanals wird von zwei
seitlichen p-Zonen und der anliegenden
sperrenden Steuerspannung (Gate-Spannung)
gesteuert. Wird die Steuerspannung erhöht,
dann werden die Raumladungszonen, gekenn- Abb. 9.52 Herstellungsgang für zwei nebeneinander
zeichnet durch gestrichelte Linien in Abb. 9.49, liegende Planar-Transistor-Systeme
832 9 Festkörperphysik

einer jeweils charakteristischen Sprungtem-


peratur Tc Supraleitung fest. Ein Supraleiter
hat außer der Erscheinung des verschwindend
geringen Widerstandes (R = 0) eine zweite
wichtige Eigenschaft: Aus dem Innern eines
Supraleiters wird immer ein Magnetfeld ver-
drängt, d. h., ein Supraleiter ist auch ein idealer
Abb. 9.53 Integrierte Schaltung von Transistor,
Diamagnet (Bi = 0, χm = −1). Dieser zweite
Kondensator und Widerstand
Effekt wird nach ihren Entdeckern Meißner-
Ochsenfeld-Effekt genannt (F. W. Meissner,
Technik) wirken sowohl p-MOS- als auch 1882 bis 1974, R. Ochsenfeld, 1901 bis 1993).
n-MOS-Transistoren zusammen. Modellhaft wird angenommen, dass in einer
Eine Vielzahl von Transistoren oder andere dünnen Oberflächenschicht des Supraleiters
Bauelemente können in einem einzigen Fer- sehr große Oberflächenströme, sogenannte
tigungsprozess auf einem einkristallinen Sili- Supraströme zirkulieren, die ein äußeres
ciumplättchen (Chip) hergestellt werden. Ab- Magnetfeld abschirmen.
bildung 9.52 zeigt die einzelnen Fertigungs- Der supraleitende Zustand wird oberhalb ei-
schritte dieser Planartechnik zur Herstellung ner kritischen magnetischen Flussdichte Bc zer-
zweier Transistoren. In integrierten Schaltkrei- stört. Diese hängt mit der Sprungtempera-
sen (IC, Integrated Circuit) sind eine große tur Tc zusammen und zeigt eine parabolische
Anzahl von Halbleiterbauelementen gleichzei- Temperaturabhängigkeit. In guter Näherung
tig herstellbar. Abbildung 9.53 zeigt eine inte- kann der Zusammenhang durch
grierte Schaltung mit einem Kondensator, ei-
nem Transistor und einem Widerstand. Durch
Großintegration (SLSI, Super Large Scale Inte-
gration) kann man über 1 Mio. Bauelemente
auf einem Chip unterbringen. Auf diese Weise
lassen sich die Herstellungskosten je Element
beträchtlich senken und eine hohe Zuverläs-
sigkeit bei gleichzeitig geringem Leistungsver-
brauch garantieren.

9.2.4 Supraleitung

Als 1908 dem holländischen Physiker


H. Kamerlingh-Onnes (1853 bis 1926) die
Verflüssigung des Heliums bei 4,2 K gelang,
machte er die überraschende Entdeckung,
dass der Widerstand von Quecksilber bei
dieser Temperatur unmessbar klein wird. Er
nannte diese Erscheinung Supraleitfähigkeit.
Seitdem stellte man bei sehr vielen Metallen Abb. 9.54 Abhängigkeit der kritischen Flussdichte
und Legierungen sowie Halbleitern unterhalb von der Temperatur für einige supraleitende Metalle
9.2 Elektronen in Festkörpern 833

2
T
Bc = B0 1 − (9.41)
Tc

beschrieben werden. Hierin ist Tc die ma-


terialspezifische Sprungtemperatur und B0
die kritische Flussdichte für T = 0. Ab-
bildung 9.54 zeigt die Abhängigkeit der
kritischen Flussdichte von der Temperatur
für einige Metalle. Bei den Supraleitern erster
Art tritt der Wechsel von der supraleitenden
in die normalleitende Phase sprunghaft ein,
wie Abb. 9.55a erkennen lässt, während bei
den Supraleitern zweiter Art ein kontinuier-
licher Übergang vom supraleitenden in den
normalleitenden Zustand stattfindet, verdeut-
licht in Abb. 9.55b. Oberhalb einer kritischen
magnetischen Flussdichte Bc1 beginnt ein Ein-
dringen des magnetischen Flusses, jedoch bei Abb. 9.55 Magnetisierungsverlauf in Supraleitern
nach wie vor unmessbar kleinem Widerstand.
Dies geschieht quantisiert in Form von nor-
malleitenden magnetischen Flussschläuchen,
die eine regelmäßige Struktur bilden. Der
Wert eines solchen magnetischen Flussquants
beträgt

h
Φ0 = = 2 · 10−15 V s . (9.42)
2e

Die Größe h ist das Planck’sche Wirkungs-


quantum und e die Elementarladung. Die Abb. 9.56 Flussliniengitter einer Folie aus Pb 3,6% In
bei T = 1,2 K und B = 0,007 T (nach Eßmann und
normalleitenden Flussschläuche bilden auf
Träuble)
der Oberfläche des Supraleiters regelmä-
ßige Gittermuster, die 1966 erstmals durch
H. Träuble (1932 bis 1976) und U. Essmann Abbildung 9.57 zeigt den allmählichen Über-
(geb. 1937) sichtbar gemacht wurden. Ab- gang vom supraleitenden in den normalleiten-
bildung 9.56 zeigt eine solche Struktur. Die den Zustand bei einer 0,1 mm dicken Bleifolie.
Anordnungs- und Gitterfehler dieser Fluss- In Abb. 9.57a beträgt die äußere magnetische
schläuche entsprechen den Versetzungen von Flussdichte Ba = 2,5 · 10−2 T, es sind zylin-
Metallgittern (Abschn. 9.1.3, Abb. 9.11). derförmige magnetische Bereiche sichtbar, die
834 9 Festkörperphysik

In Tabelle 9.10 hat die Verbindung Nb3 Ge die


höchste kritische Temperatur von Tc = 23 K
und die Verbindung PbMo6 S8 die höchste kri-
tische magnetische Flussdichte Bc2 = 45 T.
Die angegebenen Grenzwerte werden weit
übertroffen durch keramische Werkstoffe,
die erstmals 1986 von J. G. Bednorz (geb.
1950) und K. A. Müller (geb. 1927) be-
schrieben wurden. Es handelt sich hierbei
um Keramiken mit Perowskit-Struktur auf
der Basis von Kupferoxid in Verbindung mit
Erdalkalimetallen und seltenen Erden wie
beispielsweise La-Ba-Cu-O, La-Sr-Cu-O und
Y-Ba-Cu-O. Es wurden Sprungtemperatu-
ren Tc von weit über 100 K gemessen und
kritische Flussdichten (bei T = 4,2 K) von
Bc > 350 T. Diese Hochtemperatur-Supraleiter
benötigen zur Herbeiführung des supraleiten-
den Zustands nicht mehr das teuere flüssige
Abb. 9.57 Übergang vom supraleitenden in den Helium, sondern sie werden bereits bei der
normalleitenden Zustand bei Blei (weiß: supraleitend, Siedetemperatur des flüssigen Stickstoffs
schwarz: normalleitend) bei a) 2,5 · 10−2 T und b) (T = 77 K) supraleitend. Somit verspre-
7,5 · 10−2 T (nach Eßmann und Träuble) chen diese neuen Werkstoffe sensationelle
technische Anwendungen.
etwa 50 Flussquanten umfassen. Mit zuneh- Die physikalische Deutung der Supralei-
mender magnetischer Flussdichte gehen sie tung gelang J. Bardeen (1908 bis 1991),
bei Ba = 7,5 · 10−2 T (Abb. 9.57b) in mäander- L. N. Cooper (geb. 1930) und J. R. Shrieffer
förmige magnetische Bereiche über. Nach dem (geb. 1931) erstmals im Jahr 1957. Die nach
Überschreiten der oberen kritischen magneti- ihnen benannte BCS-Theorie geht davon aus,
schen Flussdichte Bc2 ist der Werkstoff voll- dass jeweils zwei Elektronen mit entgegenge-
ständig normalleitend geworden. Technisch setztem Eigendrehimpuls (Spin) und Impuls
bedeutsam ist, dass die Werte von Bc2 oft um ein sogenanntes Cooper-Paar bilden. Die
mehrere Zehnerpotenzen höher liegen als die Kopplung der beiden das Cooper-Paar bilden-
von Bc1 . den Leitungselektronen erfolgt über die Defor-
In Tabelle 9.10 sind die wichtigsten supralei- mation des Atomgitters. Durch die elektrische
tenden Elemente und Verbindungen mit ihren Wechselwirkung verzerrt ein Elektron das lo-
Sprungtemperaturen Tc und ihren kritischen kale Atomgitter. Ist diese Deformationsenergie
magnetischen Flussdichten Bc bzw. Bc2 aufge- größer als die thermischen oder magnetischen
führt. Es wurde empirisch ermittelt, dass nur Einflüsse auf das Gitter, so wirkt sich diese
Metalle mit einer Valenzelektronenanzahl zwi- Deformation bindend auf ein zweites Elektron
schen 2 und 8 supraleitend werden; hierbei aus, das damit an das erste Elektron gekoppelt
weisen die Elemente mit 3, 5 und 7 Valenzelek- ist und einen gemeinsamen Energiezustand
tronen die höchsten Sprungtemperaturen auf. einnimmt. Bei Cooper-Paaren ist der Gesamt-
9.2 Elektronen in Festkörpern 835

Tabelle 9.10 Kritische Temperatur Tc und kritische Flussdichte Bc supraleitender Elemente und Verbindungen

Supraleiter erster Art Supraleiter zweiter Art


Stoffe Tc in K B0 in T Stoffe Tc in K Bc2 in T

Al 1,19 0,0099 MoRe 12,6


Hg 4,15 0,0412 Nb3 Al 18 32
In 3,4 0,0293 Nb3 Ge 23 30
Pb 7,2 0,0803 Nb3 Sn 18 20
Sn 3,72 0,0309 NbTi 10,6 11,8
Th 1,37 0,0162 NbZr 10,8 11
Tl 2,39 0,0171 PbMo6 S8 15 60
V3 Ga 14,5 23
Supraleiter zweiter Art V3 Si 17,1 23
Stoffe Tc in K Bc2 in T Hochtemperatur-Supraleiter
Stoffe Tc in K Bc2 in T
Nb 9,2 0,27
Ta 4,39 0,18 YBa2 Cu3 O7−x 93 110 bis 240
V 5,3 0,34 Bi2 Sr2 CaCu2 O8+x 85 60 bis 250
Zn 0,9 0,0053 Bi2 Sr2 Ca2 Cu3 O10+x 110 40 bis 250
HgBa2 Ca2 Cu3 O8+x 133 108
Bi3 Ba 5,69 0,074 Te2 Ca2 Ba2 Cu3 Ox 135 100 bis 200
Bi3 Sr 5,62 0,053
Mo3 Re 9,8 0,053
Nb3 Au 11 –
NbSn2 2,6 0,062

spin bzw. -impuls null. Aus diesem Grund supraleiter) sowie künftig die keramischen Su-
sind sie nicht dem Pauli-Prinzip unterworfen, praleiter mit den kritischen Größen
sodass alle Cooper-Paare den tiefstmögli-
– kritische Temperatur Tc ,
chen quantenmechanischen Energiezustand
– kritische magnetische Flussdichte Bc2 und
einnehmen können. Die Cooper-Paare unter-
– kritische Stromdichte jc .
liegen nicht mehr der Fermi-Dirac-Statistik
(Abschn. 9.2.1), sondern der Bose-Einstein- Diese Größen sind voneinander abhängig und
Statistik wechselwirkungsfreier Teilchen. Die beschreiben in Abb. 9.58 einen Bereich, inner-
Cooper-Paare treten nicht mehr mit dem halb dessen Supraleitung möglich ist.
Atomgitter in störende Wechselwirkung, wes- Fließt durch einen Supraleiter zweiter Art ein
halb sie sich auch widerstandslos durch den Transportstrom IT , dann übt dieser auf die
Supraleiter bewegen können. Die Existenz von Flussschläuche eine Lorentz-Kraft IT B aus, die
Cooper-Paaren konnte bei der Bestimmung zu einer Wanderung der Schläuche und da-
des Wertes eines Flussquantes bestätigt wer- mit verbunden zu einer Wärmeentwicklung
den. Nach (9.42) wird das Flussquant durch führt, sodass die Supraleitfähigkeit verloren
Teilchen mit doppelter Elementarladung geht. Durch Anheften (Pinnen) dieser Fluss-
gebildet. schläuche in ihrer gegenwärtigen Lage kön-
Eine wichtige technische Bedeutung haben die nen supraleitende Materialien verhältnismä-
Supraleiter zweiter und dritter Art (Hochfeld- ßig hohe Stromdichten tragen (für NbTi zwi-
836 9 Festkörperphysik

tende Magnete in der Medizintechnik bei der


Kernspin-Tomographie verwendet.
Als supraleitende Werkstoffe werden vor al-
lem NbTi und Nb3 Sn eingesetzt. NbTi hat eine
Sprungtemperatur von 9 K und ist (bei 4,2 K)
bis Bc2 = 11,5 T supraleitend. Durch wieder-
holtes Kaltverformen und anschließende Wär-
mebehandlung werden als Pinning-Zentren
Ausscheidungen mit einem Durchmesser in
der Größe der Flussschläuche (etwa 10−8 m)
erzeugt, und zwar in einer Dichte von etwa
1015 cm−1 . Wird der Strom oder das Magnet-
Abb. 9.58 Verlauf der kritischen Größen
Sprungtemperatur, kritische Flussdichte und feld im Supraleiter geändert, dann kann es zur
Stromdichte (schematisch) Wanderung der Flussschläuche kommen, so-
dass die supraleitenden Drähte teilweise nor-
malleitend werden. Die auftretende Wärme
schen 2 · 105 A/cm2 und 6 · 105 A/cm2 ). Ver-
muss schnell abgegeben werden können, um
setzungen, Ausscheidungen und Korngren-
zu verhindern, dass die Drähte vollständig nor-
zen wirken in Supraleitern 2. Art (harte Su-
malleitend werden. Aus diesem Grund werden
praleiter) als Pinning-Zentren für die Fluss-
dünne Filamente mit einem Durchmesser von
schläuche. Für keramische Hochtemperatur-
5 μm bis 50 μm in eine Kupfermatrix eingebet-
Supraleiter wurden bei T = 77 K ebenfalls kri-
tet. Abbildung 9.59 zeigt den Querschliff eines
tische Stromdichten von über 105 A/cm2 ge-
NbTi-Filament-Verbundleiters mit etwa 10 000
messen.
Filamenten. Die maximale Stromstärke dieses
Die Supraleitung kann in unterschiedlicher
Verbundleiters beträgt bei 4,2 K 1400 A bei 9 T
Weise technisch genutzt werden. Wider-
bzw. 5200 A bei 5 T.
standslose supraleitende Kabel dienen zur
verlustfreien Stromleitung hoher Leistung Zur Übung
(P > 2 GW). Das bedeutendste technische Ü 9.2-1 Die Dichte von Eisen beträgt 7850 kg/m3 . Wie
Einsatzfeld liegt heute im Bau supraleitender groß ist die Fermi-Energie EF unter der Voraussetzung,
Magnete hoher magnetischer Flussdichten dass jedes Eisenatom ein freies Elektron im Kristall zur
(B > 10 T). Sie werden in der Festkörper-, Verfügung stellt?
Hochenergie- und Plasmaphysik eingesetzt.
Ferner dienen sie zum Trennen und Ab-
scheiden magnetischer Substanzen. Die
Verdrängung des magnetischen Feldes in ei-
nem Supraleiter wird bei elektrodynamischen
Schwebeverfahren ausgenutzt. Diese Schwe-
betechnik ermöglicht die Entwicklung von
reibungsfreien magnetischen Lagern (z. B. für
Kompasse oder Zentrifugen). Der Bau von Abb. 9.59 Schliffbild eines NbTi-Multifilamentleiters
Synchrongeneratoren mit einer supraleiten- mit etwa 10 000 Filamenten zu je 25 μm Durchmesser
den Erregerwicklung ist bereits verwirklicht und Cu/CuNi-Mischmatrix (1 400 A bei 9 T).
worden. In jüngster Zeit werden supralei- Werkfoto: VAC
9.3 Thermodynamik fester Körper 837

Ü 9.2-2 Die Fermi-Energie von Na ist nach Tabelle 9.5 eine n-Zone erzeugt. a) Wie groß muss die Donatoren-
EF = 3,1 eV. Wie groß sind die Wahrscheinlichkeiten, konzentration nD sein, damit die Diffusionsspannung
dass die Energieniveaus E1 = 3,05 eV und E2 = 3,15 eV Ud = 0,3 V ist? b) Wie viel g Phosphor sind in 1 cm3
besetzt sind bei den Temperaturen T1 = 300 K und der n-Schicht verteilt?
T2 = 600 K?
Ü 9.2-10 Wie breit ist die Raumladungszone eines
Ü 9.2-3 Wie groß ist der Beitrag der Elektronen Cm, el pn-Übergangs in Silicium mit nD = 1017 cm−3 und
zur molaren Wärmekapazität Cm = 28 J/(mol K) von nA = 1015 cm−3 a) in spannungslosem Zustand, b) mit
Natrium bei 20 ◦ C? einer Sperrspannung UR = −10 V, c) mit einer Fluss-
spannung von UF = 0,5 V?
Ü 9.2-4 Wie groß ist die mittlere freie Weglänge der
Elektronen in Eisen bei Raumtemperatur, wenn der
spezifische Widerstand ρ = 10−5 Ω cm beträgt? (wei- 9.3 Thermodynamik fester Körper
tere Daten s. Ü 9.2-1).
9.3.1 Gitterschwingungen
Ü 9.2-5 Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, an
der Leitungsbandkante des Halbleiters Silicium bei 9.3.1.1 Schwingende Gitterbausteine
Raumtemperatur (300 K) Elektronen zu finden? und Phononen
Folgende Fälle sollen untersucht werden: a) Das
Im Kristallgitter eines Festkörpers befinden
Fermi-Niveau befinde sich in der Mitte der verbotenen
Zone (Eigenleitung), b) Das Fermi-Niveau befinde
sich regelmäßig angeordnete Gitterbausteine,
sich ΔE = 20 meV unterhalb der Leitungsbandkante die elastisch miteinander gekoppelt sind.
(n-Halbleiter). c) Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit Diese führen thermische Schwingungen um
beim Halbleiter nach b), an der Valenzbandkante ihre Ruhelagen aus. Wird ein Gitterbaustein
Löcher zu finden? von außen angeregt, beispielsweise durch Stoß
eines Gasmoleküls, Wechselwirkung mit elek-
Ü 9.2-6 Wie groß ist der spezifische Widerstand von tromagnetischer Strahlung (Photonenstoß)
eigenleitendem Germanium bei T = 600 K?
oder Neutronenbestrahlung, dann wird sich
die damit verknüpfte Auslenkung über die
Ü 9.2-7 An einer Si-Probe der Länge l = 2 cm und
elastische Kopplung auf die Nachbarn über-
des Querschnitts A = 1 cm2 mit der Dotierungskon-
zentration nD = 1015 cm−3 (Sb) wird der Widerstand
tragen und als Welle durch das Kristallgitter
R = 10 Ω gemessen. Wie groß ist die Beweglichkeit der laufen. Abbildung 9.60 zeigt die Auslenkung
Majoritätsträger? der Teilchen bei einer transversalen Gitter-
welle.
Ü9.2-8 Ein mit P dotierter Si-Kristall soll als Tempera- Durch viele Experimente, z. B. durch Röntgen-
turfühler eingesetzt werden. Bei T1 = 77 K beträgt der und Neutronenstreuung an Kristallen, wurde
elektrische Widerstand des Bauelements R1 = 1 kΩ. festgestellt, dass die Energie in einer Gitter-
a) Wie groß ist der Widerstand R2 bei der Tempera-
schwingung gequantelt ist. Analog zum Pho-
tur T2 = 50 K, wenn die Beweglichkeit als konstant
angesehen werden kann? b) Wie groß ist der Tempera-
ton, dem Energiequant der elektromagneti-
turkoeffizient dR/ dT des Ohm’schen Widerstands bei schen Wellen, werden die Quanten der Gitter-
T1 = 77 K? wellen als Phononen bezeichnet. Die Energie
eines Phonons ist nach (6.135)
Ü 9.2-9 Zur Herstellung einer Ge-Diode wird eine
schwach p-dotierte Scheibe mit dem spezifischen Wi-
derstand ρ = 5 Ω cm als Ausgangsmaterial benutzt. In EPhonon = hf = ω (9.43)
diesem Kristall wird durch Eindiffusion von Phosphor
838 9 Festkörperphysik

Wechselwirkungskraft nächster Nachbarn be-


schreibt, kF . Dieses gekoppelte Schwingungs-
system (Abschn. 5.1.5) zeigt folgende Abhän-
gigkeit der Kreisfrequenz von den obigen Pa-
rametern:


2kF
ω= (1 − cos ka) . (9.45)
m

Es ergibt sich kein bestimmter Wert für die Fre-


Abb. 9.60 Transversale Gitterwellen quenz sondern ein Phononspektrum, in dem
die Frequenz von der Wellenlänge λ bzw. der
Wellenzahl k abhängt. Der Zusammenhang
mit f und ω als Frequenz bzw. Kreisfre-
zwischen ω und k wird als Dispersionsrela-
quenz der Schwingung, h als der Planck’schen
tion bezeichnet und ist in Abb. 9.62a darge-
Konstanten und = h/ (2π). Die Phono-
stellt. Alle praktisch vorkommenden Wellen-
nen haben wie die Photonen einen Impuls
zahlen liegen innerhalb der ersten Brillouin-
pPhonon , der nach der De-Broglie-Beziehung
Zone (Abschn. 9.2.1):
(Abschn. 6.5.5) mit der Wellenlänge λ bzw. der
Wellenzahl k zusammenhängt. Es gilt π π
− k+ .
a a
h
pPhonon = = k . (9.44)
λ

Gitterschwingungen können also als Teilchen


aufgefasst werden, die sich mit der Schall-
geschwindigkeit cs durch den Kristall bewe-
gen, dabei untereinander sowie mit anderen
Teilchen (z. B. Elektronen, Neutronen, Photo-
nen) zusammenstoßen und Energie und Im-
puls austauschen.
Als einfaches Beispiel sei nach Abb. 9.61 eine
lineare Kette aus gleichartigen Atomen der
Masse m betrachtet, in der eine Longitudinal-
welle läuft. Der äquidistante Abstand (Gitter-
konstante) zwischen den Atomen sei a, die Fe-
derkonstante, die das lineare Kraftgesetz der

Abb. 9.62 Gitterwellen einer linearen Atomkette: a)


Dispersionsrelation der Phononen,
Abb. 9.61 Lineare Atomkette b) Schallgeschwindigkeit
9.3 Thermodynamik fester Körper 839

Die Vorzeichen der k-Vektoren geben die Lauf-


richtung der Welle an. Die maximale Wellen- π 2a kF
cph k = = ,
zahl a π m

π
cgr k = =0. (9.51)
π a
kmax = (9.46)
a

Die verschwindende Gruppengeschwindigkeit


entspricht der minimalen Wellenlänge ist ein Ausdruck dafür, dass die Wellen mit k =
±π/ a stehende Wellen sind (Abschn. 9.2.1).
Ist Δa die Auslenkung eines Teilchens aus der
λmin = 2 a , (9.47) Gleichgewichtslage, dann ist ε = Δa/ a die Deh-
nung, die nach Abschn. 2.3.1 bei Gültigkeit des
Hooke’schen Gesetzes mit der Spannung σ und
die sich nach Abb. 9.60 dadurch auszeichnet,
dem Elastizitätsmodul E verknüpft ist: σ = Eε.
dass benachbarte Atome gegenphasig schwin-
Für die Spannung gilt
gen. Die Geschwindigkeit der Phononen ent-
spricht der Gruppengeschwindigkeit der Git- F F Δa
σ= = =E .
terwelle. Nach (5.223) ist diese cgr = dω/ (dk). A a2 a
Mit ω(k) aus (9.45) folgt Die Kraft F, die auf ein Teilchen wirkt, ist nach
Hooke der Verschiebung Δa proportional: F =
kF Δ a. Daraus folgt eine Beziehung zwischen
kF sin ka
cgr =a √ . (9.48) Federkonstante kF und E-Modul E:
2m 1 − cos ka

kF = aE . (9.52)
Die Phasengeschwindigkeit der Welle beträgt
nach (5.204) cph = λf = ω/ k und mit 9.45)
Wird (9.52) in (9.50) eingesetzt, dann ergibt
√ sich für den Grenzfall langer Wellen (tiefe Fre-
2kF 1 − cos ka quenzen) die maximale Schallgeschwindigkeit
cph = . (9.49)
m k cs,max der Longitudinalwellen


a3 E E
Die Funktionen (9.48) und (9.49) sind in cs, max = = . (9.53)
Abb. 9.62b dargestellt. Bei k = 0 ist die m ρ
Phasengeschwindigkeit gleich der Gruppen-
geschwindigkeit Diese Gleichung ist identisch mit (5.197) aus
der Kontinuumstheorie.

kF Die größte Eigenfrequenz ist nach (9.45) für
cph (k = 0) = cgr (k = 0) = a . (9.50) k = π/ a
m

k
ωmax = 2 F .
Für sehr lange Wellen (λ >> a) gibt es also keine m
Dispersion. Am Rand der Brillouin-Zone ist Mit (9.52) resultiert
840 9 Festkörperphysik

Abbildung 9.63a verdeutlicht, dass zwischen


1 aE den akustischen und optischen Phononenäs-
fmax = . (9.54)
π m ten eine Frequenzlücke (schraffiert) existiert.
Der Kristall hat in diesem Frequenzinter-
vall keine Eigenschwingungen. Wellen mit
Beispiel solchen Frequenzen (für Ge 6,65 · 1012 Hz
9.3-1 Wie groß ist die maximale Schallgeschwindig- bis 7,33 · 1012 Hz) werden stark gedämpft.
keit und die maximale Eigenfrequenz von Eisenatomen Während bei Germanium in anderen Raum-
in einem Eisenstab, der zu Longitudinalschwingungen
richtungen, wie z. B. [100], die Frequenzlücke
angeregt wird? (Elastizitätsmodul E = 2 · 1011 N/m2 ,
Gitterkonstante a = 2,9 · 10−10 m, Molmasse M = nicht auftritt, ist sie bei Kristallen, die zwei
55,85 kg/kmol, Dichte ρ = 7850 kg/m3 .) Atome unterschiedlicher Masse in der Ele-
mentarzelle haben, immer vorhanden.
Lösung
Nach (9.53) ist die maximale Schallgeschwindigkeit Beispiel

cs, max = E/ρ = 5048 m/s. Die maximale Eigenfre-
Die Gitterschwingungen mit k = πa
1
9.3-2 1 ha-
quenz ist nach (9.54) 1
ben in Germanium die Frequenzen fTA = 1,90 THz,
1 aE
fmax = . fLA = 6,65 THz, fLO = 7,33 THz, fTO = 8,68 THz.
π m a) Wie groß sind die zugehörigen Phononenenergien?
Mit m = M/ NA = 9,27 · 10−26 kg ergibt sich fmax = b) Wie groß sind die Impulse der Phononen, wenn
7,96 GHz. in Ge die Gitterkonstante a = 5,65 · 10−10 m beträgt?
c) Welchen Impuls hat ein Photon mit der gleichen
Befinden sich zwei oder mehr Atome in der Energie wie das LA-Phonon?
Elementarzelle, dann ergeben sich je nach
Schwingungstyp verschiedene Dispersionsre-
lationen, wie sie in Abb. 9.63a für Germanium
dargestellt sind. Man unterscheidet akustische
und optische Phononen, die jeweils noch in
longitudinale und transversale unterteilt sind.
Folgende Abkürzungen sind üblich:
– TA: transversal akustisch,
– LA: longitudinal akustisch,
– LO: longitudinal optisch,
– TO: transversal optisch.
Bei den akustischen Phononen schwingen
nach Abb. 9.63b die beiden verschiedenen
Teilchensorten gleichphasig, bei den opti-
schen Phononen nach Abb. 9.63c gegenphasig.
Falls die beiden Atome unterschiedliche La-
dung tragen (z. B. NaCl), erfährt der Kristall
durch die optischen Phononen eine starke
Polarisation. Dieser Schwingungstyp kann Abb. 9.63 Phononen in Kristallen mit zwei Atomen
daher sehr effektiv durch elektromagnetische in der Elementarzelle: a) Dispersionsrelation von
Wellen (Licht) angeregt werden. Germanium, b) akustische und c) optische Phononen
9.3 Thermodynamik fester Körper 841

Lösung
N hf
U =3 hf
. (9.55)
a) Für die Phononenenergien gilt nach (9.43)
ekT − 1
EPhonon = h f . Man errechnet ETA = 7,85 meV,
ELA = 27,5 meV, ELO = 30,3 meV und
ETO = 35,9 meV. Für hohe Temperaturen (k T >> h f ) beträgt
b) Der Impuls ist nach (9.44) pPhonon = ~ k. Mit |k| =
√ die innere Energie
(π/ a) 3 erhält man pLA = 1,02 · 10−24 Ns.
c) Der Impuls eines Photons ist nach (6.118) pPhoton =
(h f )/ c. Mit h f = ELA = 27,5 meV ergibt sich
U ≈ 3N kT = 3 ν Rm T . (9.56)
pPhoton = 1,47 · 10−29 Ns << pPhonon .

Die molare Wärmekapazität befolgt damit


Praktisch kann der Photonenimpuls im Ver- die Dulong-Petit’sche Regel. Für niedrige
gleich zum Phononenimpuls immer vernach- Temperaturen (k T << h f ) wird die Energie
lässigt werden. im Wesentlichen von der Exponentialfunktion
bestimmt und ist viel kleiner, als nach der
9.3.1.2 Molare und spezifische Wärmekapazität Dulong-Petit’schen Regel zu erwarten ist.
Jeder schwingungsfähige Gitterbaustein eines Insbesondere für T = 0 K resultiert Cm = 0. Es
Festkörpers hat drei Freiheitsgrade. Da sich gilt
die Schwingungsenergie gleichmäßig auf die
kinetische und potentielle Energie verteilt, hat hf

jedes Atom im Festkörper die mittlere Ener-


U = 3 N h f e− k T (9.57)
gie E = 2(3/ 2)kT = 3 kT. Die innere Ener-
gie eines Systems aus N Teilchen ist also U = und für die molare Wärmekapazität
3 N k T und die molare Wärmekapazität nach
der Dulong-Petit’schen Regel (Abschn. 3.3.3) 2
hf hf

1 dU
Cm = 3 Rm e− k T . (9.58)
Cm = = 3Rm . kT
ν dT

Die tatsächlich gemessene molare Wärme- Die Grenze für den Übergang von (9.56)
kapazität weicht indessen von diesem Wert in (9.57) liegt bei der Einstein-Temperatur
stark ab und zwar umso mehr, je fester die
Gitterbindung, je leichter die Gitterbausteine
hf
und je tiefer die Temperatur ist. Einstein for- TE = . (9.59)
k
derte deshalb 1907, dass die Schwingungs-
energie der Gitterbausteine in ganzzahligen
Vielfachen von hf gequantelt sein muss. Un- Genaue Messungen des Temperaturverlaufs
ter der Annahme, dass N-Oszillatoren mit der spezifischen Wärmekapazität in Festkör-
drei Freiheitsgraden unabhängig voneinander pern haben ergeben, dass die Einstein’sche
mit derselben Frequenz schwingen, ergibt sich Formel zu geringe Wärmekapazitäten voraus-
für die Gesamtenergie unter Berücksichtigung sagt, weil sie auf der Annahme beruht, dass es
der Boltzmann’schen Verteilungsfunktion (Ab- nur eine einzige Frequenz der Gitterschwin-
schn. 3.2.3) gungen (die eines Gitterbausteins) gibt. Ein
842 9 Festkörperphysik

Gitter hat aber genau so viele Schwingungszu-


stände wie Gitterbausteine (Abschn. 5.1.5).
Nach P. Debye (1884 bis 1966) ist der Ener-
giegehalt eines Festkörpers in den stehenden
Wellen der N Gitterschwingungen gespeichert.
Er berechnete die Gesamtenergie bei drei Frei-
heitsgraden zu

zD
T3 z3 dz
U = 9N kT 3 (9.60)
TD ez − 1
0

mit z = (h f )/ (k T) und zD = TD / T. TD ist die Abb. 9.64 Molare Wärmekapazität der Festkörper
Debye-Temperatur: nach den Theorien von Einstein, Debye und
Dulong-Petit

h fgr
TD = . (9.61)
k Für T → 0 geht die molare bzw. spezifische
Wärmekapazität mit T 3 gegen null. Die De-
Die Größe fgr ist die Debye’sche Grenzfre- bye’sche Beschreibung ist wesentlich genauer
quenz, die in der Nähe der Maximalfre- als die Einstein’sche. Noch vorhandene Unter-
quenz (9.54) der elastischen Schwingungen schiede zum Experiment rühren von der bei
des Kristalls liegt. Tabelle 9.11 zeigt die Debye nicht berücksichtigten Dispersion der
Debye-Temperaturen einiger Festkörper. Gitterwellen her. Abbildung 9.64 zeigt die mo-
Für den Fall T >> TD ergibt (9.60) wieder lare Wärmekapazität in Abhängigkeit von der
U ≈ 3 N k T und für die molare Wärmeka- Temperatur nach dem Einstein’schen bzw. dem
pazität Cm = 3 Rm (Dulong-Petit). Bei T << TD Debye’schen Ansatz.
resultiert
9.3.1.3 Wärmeleitfähigkeit
3 4 T3
U = π N kT 3 und (9.62)
5 TD Isolatoren
12 4 T 3 Zwar breiten sich die Phononen im Festkör-
Cm = π Rm 3 . (9.63)
5 TD per mit Schallgeschwindigkeit aus, jedoch ist
der durch sie bewirkte Wärmetransport deut-
lich langsamer. Dies rührt daher, dass die
Tabelle 9.11 Debye-Temperatur TD einiger Stoffe
Phononen untereinander und mit Verunrei-
Stoff TD in K Stoff TD in K nigungen zusammenstoßen und ihre Richtun-
gen dauernd ändern. Ihnen wird, ähnlich wie
Pb 88 Mg 405 den Gasmolekülen und Elektronen, eine mitt-
Na 172 Al 428 lere freie Phononenweglänge lph zugeordnet.
Ag 226 LiF 740
Abbildung 9.65 zeigt schematisch den Quer-
NaCl 281 Diamant 1 860
Cu 345 schnitt eines Festkörpers, an dem eine kon-
stante Temperaturdifferenz ΔT = T1 − T2 an-
9.3 Thermodynamik fester Körper 843

Energiestromdichte von links:



1 3 ΔT
nph cs k T + lph
6 2 Δx
Energiestromdichte von rechts:

1 3 ΔT
nph cs k T − lph .
6 2 Δx
Die Differenz der Energiestromdichten ist
gleich der Wärmestromdichte

1 ΔT
Abb. 9.65 Temperaturverteilung in einem Festkörper jq = nph k cs lph . (9.65)
2 Δx
liegt. Die je Flächen und Zeiteinheit transpor-
tierte Wärme, die Wärmestromdichte jq beträgt Durch Vergleich mit (9.64) folgt für die Wär-
meleitfähigkeit

ΔT
jq =λ . (9.64) 1
Δx λ = nph k cs lph . (9.66)
2

Hierbei ist λ die Wärmleitfähigkeit in W/(m K)


(Abschn. 3.5.1). Da bei drei Freiheitsgraden die innere Energie
Der Zusammenhang zwischen der Wärmeleit- U = 3 k T nph V beträgt, folgt für die spezifi-
fähigkeit und der Phononenbewegung lässt sche Wärmekapazität (Abschn. 3.3.3)
sich berechnen. Wenn in der Mitte des Fest- 1 dU nph k
körpers die Temperatur T herrscht, dann liegt c= =3
m dT ρ
links und rechts im Abstand ±lph ein Bereich,
in dem kein Phononenzusammenstoß stattfin- mit der Dichte ρ = m/ V oder
det. Die von links kommenden Phononen ha-
ben die Energie 1 cρ
nph = . (9.67)
3 ΔT 3 k
ET1 = k T + lph
2 Δx
und die von rechts kommenden Hieraus ergibt sich die Wärmeleitfähigkeit

3 ΔT
ET2 = k T − lph .
2 Δx 1
λ = ρ c cs lph . (9.68)
3
Ist die Dichte der Phononen nph = Nph / V und
ihre Geschwindigkeit cs , dann ist die mittlere
Phononenstromdichte in positiver bzw. nega- Mit dieser Gleichung ist es möglich, durch
tiver x-Richtung 1/ 6(nph cs ). Für die Energie- Messen von λ die mittlere freie Weglänge lph zu
stromdichte im Mittelpunkt gilt bei der Tem- berechnen. Bei tiefen Temperaturen (T << TD )
peratur T: ist die mittlere freie Weglänge der Phononen
844 9 Festkörperphysik

1 T Rm ρ
lph so groß, dass sie in der Größenordnung der λel = π2 2F τ .
Kristalldimensionen liegt und demnach kon- 6 TF M
stant ist. Da entsprechend den vorgenannten
Mit EF = 12 m2F = k TF und
Ausführungen in diesem Bereich die spezifi-
sche Wärmekapazität c proportional zu T 3 ist, Rm ρ N
= k = nk
gilt auch für die Wärmeleitfähigkeit λ ∼ T 3 . M V
Bei hohen Temperaturen (T >> TD ) ist die
ergibt sich
spezifische Wärmekapazität c konstant. Die
Wärmeleitfähigkeit fällt mit steigender Tem-
1 n
peratur wegen der zunehmenden Phononen- λel = π2 k2 τ T . (9.69)
Stoßwahrscheinlichkeit gemäß λ ∼ 1/ T. 3 m

Beispiel
9.3-3 Wie groß ist die mittlere freie Weglänge lph
Die Größe n = N / V ist die Elektronenzahl-
der Phononen in Porzellan bei Raumtemperatur? Fol- dichte. In reinen Metallen ist die Wärmeleit-
gende Daten sind bekannt: Dichte ρ = 2,4 · 103 kg/m3 , fähigkeit durch die Elektronen stets ein bis
spezifische Wärmekapazität c = 840 J/(kg K), Schall- zwei Größenordnungen größer als durch Git-
geschwindigkeit cs = 4 880 m/s, Wärmeleitfähigkeit terschwingungen. Es gilt daher für die Wär-
λ = 1 W/(m K). meleitfähigkeit des Festkörpers λ ≈ λel . Für
Lösung die elektrische Leitfähigkeit gilt nach (9.24)
Nach (9.68) gilt für die mittlere freie Weglänge κ = n e2 τ/ m. Somit ist das Verhältnis von
lph = 3λ/ (ρ c cs ). Mit obigen Werten ergibt sich Wärme- zu elektrischer Leitfähigkeit
lph = 3,05 · 10−10 m. Diese Strecke entspricht etwa 2
dem Wert einer Gitterkonstanten. λ π2 k
= T.
κ 3 e

Metalle
In Metallen kann Wärme nicht nur durch Pho- Bei konstanter Temperatur ist für alle
nonen, sondern auch durch die freien Elektro- Metalle die Wärmeleitfähigkeit λ propor-
nen übertragen werden. Die Wärmeleitfähig- tional zur elektrischen Leitfähigkeit κ:
keit aufgrund des Energietransports der Elek-
λ = LT κ . (9.70)
tronen wird durch (9.68) beschrieben; hierbei
wird für c die spezifische Wärmekapazität der
Elektronen aus (9.16) eingesetzt. Mit der Mol- Dies ist das Wiedemann-Franz’sche Gesetz
masse M gilt (G. H. Wiedemann, 1826 bis 1899; R. Franz,
1827 bis 1902). Die Konstante
Cm, el 1 Rm T
cel = = π2 .
M 2 M TF 2
π2 k
Anstelle der Schallgeschwindigkeit cs steht L= (9.71)
3 e
die Fermi-Geschwindigkeit F und anstatt
der mittleren freien Weglänge der Phononen
die entsprechende Größe l = F τ nach (9.25) wird Lorenz’sche Zahl (L. Lorenz, 1829
für die Elektronen. Folglich resultiert für die bis 1891) genannt und beträgt L =
Wärmeleitfähigkeit der Elektronen 2,45 · 10−8 V2 /K2 . Aus der Proportionalität
9.3 Thermodynamik fester Körper 845

von λ und κ folgt, dass gute elektrische Lei- 9.3.2.1 Galvanomagnetische


ter auch gute Wärmeleiter und umgekehrt und thermomagnetische Effekte
schlechte elektrische Leiter auch schlechte In Abb. 9.66 sind die galvano- und thermo-
Wärmeleiter sind. magnetischen Effekte zusammengestellt. Gal-
vanomagnetische Effekte sind alle Erscheinun-
Beispiel
gen, die bei einem stromdurchflossenen Lei-
9.3-4 Die spezifische elektrische Leitfähigkeit von
Kupfer ist bei Raumtemperatur { = 5,9 · 107 Ω−1 m−1 ,
ter auftreten können, der sich in einem Ma-
die Wärmeleitfähigkeit λ = 384 W/(m K). a) Wie gnetfeld befindet. In der vorliegenden Betrach-
groß ist die Lorenz-Zahl L in Kupfer? b) Wie tung stehen Strom I und Magnetfeld H senk-
groß ist die mittlere freie Weglänge l der Elektro- recht aufeinander. Das Auftreten einer Po-
nen? tentialdifferenz Δϕ senkrecht zur Strom- und
Magnetfeldrichtung wird als Hall-Effekt be-
Lösung
a) Nach (9.70) ist die Lorenz-Zahl L = λ/ (T { ) = zeichnet (Abschn. 4.4.3.2). Zusätzlich zur Hall-
2,22 · 10−8 V2 /K2 in guter Übereinstimmung mit dem Spannung liegt eine transversale Temperatur-
theoretischen Wert von (9.71). differenz ΔT vor; dies ist der Ettingshausen-
b) Nach (9.69) ist die Relaxationszeit Effekt (A. v. Ettingshausen, 1850 bis 1932).
Diese Erscheinung kann wie auch der Hall-
3λm
τ= . Effekt durch die Wirkung der Lorentz-Kraft
π2 n k2 T
(Abschn. 4.4.3.2) erklärt werden. Aus diesem
Mit n ≈ 8,5 · 1028 m−3 ergibt sich τ = 2,2 · 10−14 s. Grund ist die Temperaturdifferenz ΔT pro-
Die mittlere freie Weglänge ist nach (9.25) l = F τ = portional zur Stromstärke I und zum Ma-
3,4 · 10−8 m. Dieses Ergebnis stimmt sehr gut mit dem gnetfeld H. Das Auftreten einer longitudina-
Resultat von Beispiel 9.2-3 überein.
len Temperaturdifferenz ΔT wird als Nernst-
Effekt bezeichnet (W. H. Nernst, 1864 bis
1941). Infolge der Ablenkung der Strombah-
9.3.2 Effekte im Zusammenhang nen im Magnetfeld beobachtet man eine Wi-
mit Wärmefluss und elektrischem Strom derstandszunahme und damit eine Potential-
differenz in longitudinaler Richtung. Dies ist
Im Zusammenhang mit einem Wärme- der Thomson-Effekt (W. Thomson, 1824 bis
strom Φ, einem elektrischen Strom I und 1907).
einem Magnetfeld H können drei unter- Bei den thermomagnetischen Effekten fließt
schiedliche Effekte auftreten. Bei den ther- ein Wärmestrom Φ und es wirkt ein ho-
moelektrischen Effekten bedingt ein Wär- mogenes Magnetfeld (im Bild transversal).
mestrom Φ eine Potentialdifferenz Δϕ oder Unter diesen Bedingungen kann entweder
umgekehrt eine Potentialdifferenz Δϕ einen eine Potentialdifferenz Δϕ oder eine Tem-
Wärmestrom Φ. Bei den thermomagnetischen peraturdifferenz ΔT gemessen werden. Der
Erscheinungen erzeugen ein Wärmefluss und Ettingshausen-Nernst-Effekt ist die Umkeh-
ein Magnetfeld H entweder eine Potential- rung des Ettingshausen-Effekts. Fließt ein
oder eine Temperaturdifferenz, und bei Wärmestrom Φ senkrecht zum Magnetfeld H,
den galvanomagnetischen Effekten erzeugen dann wird eine transversale Potentialdiffe-
ein elektrischer Strom und ein Magnetfeld renz Δϕ gemessen. Diese Erscheinung ist das
eine Potential- oder eine Temperaturdiffe- thermische Analogon zum Hall-Effekt. Wird
renz. eine longitudinale Potentialdifferenz entlang
846 9 Festkörperphysik

Abb. 9.66 Galvanomagnetische und thermomagnetische Effekte

des Wärmestromes gemessen (Thermokraft), Temperaturunterschied ΔT gemessen wird,


so ist dies der zweite Ettingshausen-Nernst- nennt man Peltier-Effekt (J. C. A. Peltier,
Effekt. Bei einem Wärmefluss Φ und einem 1785 bis 1845). Abbildung 9.67 verdeutlicht
transversalen homogenen Magnetfeld H tritt die Vorgänge.
eine senkrecht zu beiden Größen stehende Wenn sich zwei Metalle mit unterschiedlichen
Temperaturdifferenz auf; dabei handelt es Fermi-Grenzen gemäß Abb. 9.68a berühren,
sich um den Righi-Leduc-Effekt (A. Righi,
1850 bis 1920; S. A. Leduc, 1856 bis 1937).
Liegt die beobachtete Differenz in Richtung
des Wärmestroms, so wird diese Erscheinung
zweiter Righi-Leduc- oder Maggi-Righi-Effekt
genannt.

9.3.2.2 Thermoelektrische Effekte


Fließt durch einen Festkörper ein Wärme-
strom Φ, so kann eine Potentialdifferenz in
Stromrichtung auftreten. Diese Erscheinung
nennt man Seebeck-Effekt (T. J. Seebeck, 1770
bis 1831). Den umgekehrten Effekt, bei dem
durch Anlegen einer Potentialdifferenz Δϕ ein Abb. 9.67 Thermoelektrische Effekte
9.3 Thermodynamik fester Körper 847

trischen Signalen direkt zu Steuer- und Re-


gelzwecken weiterverarbeitet werden können.
Die Änderung der Thermospannung mit der
Temperatur wird Thermokraft genannt; diese
liegt im Bereich 10−5 V/K. Tabelle 9.12 zeigt die
thermoelektrische Spannungsreihe. Das links
stehende Metall ist an der kälteren Lötstelle ge-
genüber einem rechts stehenden thermoelek-
trisch positiv.
In der Technik werden vor allem die Ther-
mopaare NiCr–Ni (bis 1000 ◦ C), Eisen–
Konstantan (bis 700 ◦ C), Kupfer–Konstantan
(bis 400 ◦ C) und Platin/Rhodium–Platin
(bis 1 300 ◦ C) verwendet. Die Thermospan-
Abb. 9.68 Entstehung eines Kontaktpotentials
nungen und die Toleranzen sind für diese
Thermopaare nach DIN 43 722 genormt (Ta-
erfolgt durch einen Diffusionsstrom ein Aus-
belle 9.12). Für Temperaturen bis 2000 ◦ C
gleich dieser Niveaus. Das eine Metall (z. B.
werden Thermopaare aus Iridium/Rhenium-
Zn) mit dem höheren Fermi-Niveau EF2 (ge-
Iridium eingesetzt. Auch Halbleiterwerkstoffe
ringere Austrittsarbeit WA2 ) gibt Elektronen
(z. B. Zinkantimonid-Bleitellurid) finden we-
an das andere Metall (z. B. Cu) mit nied-
gen ihrer großen Thermokräfte (≈ 200 μV/K)
rigerem Fermi-Niveau EF1 ab (höhere Aus-
Verwendung (bis 600 ◦ C).
trittsarbeit WA1 ). Der dabei fließende Diffusi-
Die Umkehrung des Seebeck-Effektes ist der
onsstrom baut eine entgegengesetzt wirkende
Peltier-Effekt (Abb. 9.67). Wird ein Strom
Kontaktspannung UK auf, sodass der Diffu-
durch die Thermopaare geschickt, kühlt sich
sionsstrom aussetzt, wenn die Fermi-Niveaus
eine Lötstelle ab und die andere erwärmt
in beiden Bereichen auf gleicher Höhe liegen
sich. Peltier-Elemente (z. B. Wismuttellurid)
(Abb. 9.68b).
werden in der Technik in Kühlschränken oder
Werden verschiedene Metalle an beiden Enden
Wärmepumpen eingesetzt oder dienen zur
fest verbunden, z. B. durch Löten oder Schwei-
Kühlung von integrierten Schaltkreisen und
ßen, und diese Enden unterschiedlichen Tem-
Halbleiterlasern. Das derzeit kleinste Peltier-
peraturen T1 < T2 ausgesetzt, dann wird eine
Element (0,6 mm × 0,6 mm) verwendet man
Thermospannung Uth messbar, die proportio-
als Kühlelement auf elektronischen Schaltkar-
nal zum Temperaturunterschied ΔT ist. Die
ten. Peltier-Kaskaden finden in Kühlsystemen
Ursache ist, dass mit einer Temperaturände-
mit Wärmeübertragern Anwendung.
rung stets eine Umverteilung der Elektronen
auf die verschiedenen Energieniveaus erfolgt
9.3.3 Piezoelektrizität
(Abschn. 9.2.2), sodass die Fermi-Energie ver-
schoben wird. Messglieder, die diesen Effekt Bestimmte Materialien erzeugen bei einer
ausnutzen, werden Thermoelemente genannt. äußeren Krafteinwirkung eine elektrische
Sie sind zur Temperaturmessung besonders Spannung. Dieser Effekt wird piezoelektri-
gut geeignet, weil sie eine geringe Wärmeka- scher Effekt (Piezoeffekt) genannt (gr. piezo:
pazität bei einer hohen Empfindlichkeit haben ich drücke). Er wurde 1880 von den Brüdern
und die Temperaturwerte in Form von elek- P. Curie (1859 bis 1906) und P. J. Curie (1855
848 9 Festkörperphysik

Tabelle 9.12 Werkstoffe für Thermopaare und ihre Eigenschaften nach DIN IEC 60 584/1

Thermopaar NiCr–Ni Eisen–Konstantan Kupfer–Konstantan Platin/Rhodium–


(100Fe–45Ni55Cu) (100Cu–45Ni55Cu) Platin
(90Pt10Rh–100Pt)
Eigenschaften

spezifischer
Widerstand ρ bei
20 ◦ C in Ω mm2 /m 0,72 bis 0,27 0,49 bis 0,11 0,49 bis 0,017 0,062 bis 0,034
Temperatur in ◦ C Thermospannungen in mV
−200 −5,89 −8,15 −5,70
−100 −3,55 −4,75 −3,40
0 0 0 0 0
100 4,10 5,37 4,25 0,645
200 8,14 10,95 9,20 1,44
300 12,21 16,56 14,90 2,32
400 16,40 22,16 21,00 3,26
500 20,64 27,85 27,41 4,23
600 24,90 33,67 34,31 5,24
700 29,13 39,72 6,27
800 33,28 46,22 7,35
900 37,33 53,14 8,45
1000 41,27 9,59
1100 45,11 10,75
1200 48,83 11,95
1300 52,40 13,16
1400 14,37
1500 15,58
1600 16,77
1700 17,94

bis 1941) bei einigen Kristallen entdeckt. Die – Quer-Effekt:


Eigenschaft wird z. B. an Seignettesalz, Quarz, Die Krafteinwirkung F erzeugt eine trans-
Weinsäure, Turmalin und Zinkblende festge- versale Polarisation P und damit eine Quer-
stellt. Auch der inverse piezoelektrische Effekt, spannung U.
d. h. die Geometrieänderung eines Kristalls – Scher-Effekt:
bei Anlegen einer äußeren Spannung, ist be- Die Krafteinwirkung F erzeugt eine diago-
kannt. Abbildung 9.69 zeigt für den direkten nal wirkende Polarisation P und damit eine
und den inversen piezoelektrischen Effekt die Querspannung U.
drei technisch nutzbaren Vorgänge.
Der piezoelektrische Effekt tritt in Werkstof-
– Längs-Effekt: fen auf, die eine Perowskit-Struktur gemäß
Die Krafteinwirkung F erzeugt eine Pola- Abb. 9.70 aufweisen. Die chemische Zusam-
risation P und damit eine Spannung U in mensetzung ist ein zweiwertiges Element A2+
gleicher Richtung. (z. B. Barium oder Blei), ein vierwertiges Ele-
9.3 Thermodynamik fester Körper 849

Abb. 9.70 Perowskit-Struktur piezoelektrischer


Verbindungen

– Beliebige Formgebung durch die Sintertech-


nologie,
– beliebige Wahl der Polarisationsrichtung,
– große Permittivitätszahl (εr ≈ 1 000),
– großer Energiewandlungsfaktor (25% bis
Abb. 9.69 Piezoelektrizität 50%) sowie
– gute Korrosionsbeständigkeit.
ment B4+ (z. B. Titan, Zirkon oder Zinn) und
Sauerstoff O2− Bei Bariumtitanat-Sinterkörpern liegt die
3 . Diese Verbindungen sind ober-
halb der ferroelektrischen Curie-Temperatur Curie-Temperatur und damit die Grenze für
(Abschn. 4.4.4.2) kubisch. Unterhalb dieser den piezoelektrischen Einsatz bereits bei
Temperatur verzerrt sich die Elementarzelle TC = 120 ◦ C. Für höhere Temperaturen ist
zu einer tetragonalen Struktur. Hierbei ver- Bleizirkonattitanat, ein Zweistoffsystem mit
schieben sich auch die Abstände zwischen den der Zusammensetzung Pb[Ti1−x Zrx ] O3 (x ≈
positiven und den negativen Ladungen, sodass 0,5) geeignet. Durch Wahl des Mischungs-
ein elektrisches Dipolmoment entsteht. Die be- verhältnisses Titan zu Zirkon lassen sich die
nachbarten Elementarzellen ordnen sich ent- physikalischen Eigenschaften variieren.
sprechend um, es tritt eine spontane Polarisa- Piezokeramische Bauteile werden in vielen Be-
tion P auf. reichen eingesetzt. Eine Übersicht vermittelt
Die gebräuchlichsten Materialien sind Ba- Abb. 9.71.
riumtitanat und Bleizirkontitanat, die als
Zur Übung
Sinterkörper hergestellt werden. Die ver- Ü 9.3-1 Die Ausbreitungsgeschwindigkeit von lang-
mischten und vermahlenen Rohstoffe werden welligen Longitudinalwellen in einem Eisenstab ist
einem Kalzinierungsbrand unterzogen, das cs = 5 048 m/s. a) Wie groß ist der Elastizitätsmodul
Granulat presst man zu Rohkörpern und von Eisen, wenn die Dichte ρ = 7 850 kg/m3 beträgt?
sintert bei 1 200 ◦ C. Anschließend werden b) Wie groß ist die Federkonstante kF im Eisengitter?
die Oberflächen sehr genau geschliffen, die
Metallelektroden aufgebracht und eine re- Ü 9.3-2 In Silicium
haben
Phononen mit dem Wellen-
vektor k = 1,64 πa
1
manente Polarisation in der gewünschten 0 die Energien ETO = 58,2 meV
0
Vorzugsrichtung erzeugt. Piezo-Sinterkörper und ETA = 18,2 meV. Wie groß sind a) die Frequenzen
haben folgende Vorteile: der Gitterschwingungen, b) die Phononenimpulse
850 9 Festkörperphysik

Abb. 9.71 Anwendungen des piezoelektrischen Effektes

Ü 9.3-3 Wie groß ist die spezifische Wärmekapazität zeigetechnik, Messtechnik, Elektronik, Daten-
von Diamant bei 20 ◦ C nach der Debye’schen Theorie? verarbeitung sowie Energietechnik eingesetzt.
Wie groß ist die relative Abweichung zum gemessenen
Wert c = 0,502 kJ/(kg K)?
9.4.1 Strahlungsquellen

Ü 9.3-4 Wie groß ist die mittlere freie Weglänge 9.4.1.1 Lumineszenzdioden
von Phononen in Quarzglas? (ρ = 2,2 kg/dm3 , Wär- Alle Lumineszenz- oder Leuchtdioden (Light
meleitfähigkeit λ = 1,36 W/(K m), Schallgeschwin-
Emitting Diode, LED) bestehen aus einem pn-
digkeit cs = 5 400 m/s, spezifische Wärmekapazität
c = 170 J/(kg K).)
Übergang (Abschn. 9.2.3.3). Abbildung 9.72
zeigt die Bandstruktur eines pn-Übergangs,
der in Flussrichtung betrieben wird. Bei der
Ü 9.3-5 Der spezifische elektrische Widerstand von
Flussspannung UF wird die Diffusionsspan-
Silber bei 20 ◦ C ist ρ = 1,6 · 10−8 Ω m. Wie groß ist
nung so weit abgebaut, dass die Elektronen
näherungsweise die Wärmeleitfähigkeit λ?
des n-Gebietes über die kleine Barriere leicht
ins p-Gebiet diffundieren können; umgekehrt
fließen Löcher aus dem p- ins n-Gebiet. In der
9.4 Optoelektronische
Halbleiter-Bauelemente
Die Optoelektronik ist ein Teilgebiet der Elek-
tronik, das sich mit Erscheinungen befasst, die
bei der Umwandlung von elektrischer Ener-
gie in optische und umgekehrt auftreten. Das
wichtigste Bauelement ist der Halbleiter-pn-
Übergang, der als Lichtsender und auch als
-empfänger eingesetzt werden kann. Opto- Abb. 9.72 Leuchtdiode, in Flussrichtung betrieben
elektronische Bauteile werden u. a. in der An- (schematisch)
9.4 Optoelektronische Halbleiter-Bauelemente 851

Nähe des Übergangs rekombinieren die Elek- Tabelle 9.13 Materialien für Lumineszenzdioden
tronen mit den Löchern und geben dabei Ener-
Material: Dotierstoff Farbe Wellenlänge
gie von der Größenordnung Eg ab. Bei der
λ in nm
strahlenden Rekombination wird diese Energie
in Form von Photonen der Energie h f ≈ Eg GaAs:Si IR 930
ausgesandt. Dies bedeutet, dass eine LED nä- GaAs0,6 P0,4 , AlGaInP rot 650
herungsweise monochromatisches Licht aus- GaAs0,15 P0,85 , AlGaInP gelb 590
sendet, dessen Wellenlänge λg nach (6.136) GaP:N, InGaN grün 570
GaN, InGaN/AlGaN blau 470
und (6.137) von der Breite der verbotenen
Zone Eg abhängt:

eine Zusammenstellung der Daten gebräuch-


hc 1,24 μm eV
λg = = . (9.72) licher Leuchtdioden. Weißlicht-LEDs beste-
Eg Eg
hen aus blau emittierenden InGaN-LEDs, de-
ren kurzwelliges Licht durch Beschichtung mit
Abbildung 9.73 zeigt Spektren verschieden far- Leuchtstoffen (z. B. YAG:Ce) bis ins Rote trans-
biger Leuchtdioden. Die Linienbreite liegt in formiert wird.
der Größenordnung von Δ λ ≈ 40 nm. Sie Da jedes Elektron, das vom externen An-
hängt im Wesentlichen von der Temperatur ab schluss ins n-Gebiet strömt, irgendwann ein-
und nimmt mit steigender thermischer Ener- mal mit einem Loch rekombinieren muss, ist
gie der Ladungsträger zu. die Anzahl der generierten Photonen so groß
Die Farbe der LED ist nach (9.72) direkt von wie die Anzahl der injizierten Elektronen (falls
der Breite der verbotenen Zone Eg abhängig. keine strahlungslosen Übergänge stattfinden).
Sie kann also durch die Wahl des Halblei- Daraus folgt, dass die abgegebene Strahlungs-
ters bestimmt werden. Besonders zu erwäh- leistung im Idealfall proportional zum Fluss-
nen sind Mischkristalle auf der Basis von GaAs strom sein muss.
und GaP in der Zusammensetzung GaAsx P1−x . Der Aufbau einer GaAsP-LED ist schematisch
Je nach Mischungsverhältnis kann das Band- in Abb. 9.74 gezeigt. Auf einem einkristallinen
gap zwischen 2,24 eV (x = 0) und 1,43 eV Substrat wird der Mischkristall durch Flüssig-
(x = 1) und damit die Farbe zwischen grün oder Gasphasenepitaxie abgeschieden. Nach
und IR eingestellt werden. Tabelle 9.13 zeigt rückwärts ausgesandte Photonen werden nur

Abb. 9.74 Aufbau einer GaAsP-LED auf


a) absorbierendem GaAs-Substrat, b) transparentem
Abb.9.73 Spektren verschiedener Lumineszenzdioden GaP-Substrat
852 9 Festkörperphysik

Abb. 9.75 Bauformen von Lumineszenzdioden:


a) Chip in Kunststoffgehäuse vergossen,
b) Reflektorwanne mit transparentem Kunststoff, Abb. 9.76 Bänderschema einer Laserdiode bei Betrieb
(Diode erhält starke Richtcharakteristik), in Flussrichtung. Die schraffierten Gebiete sind mit
c) Reflektorwanne mit diffus streuendem Kunststoff Elektronen besetzt
(Diode strahlt breit ab; für Displays geeignet)

im GaAs-Substrat absorbiert, da nur dort die stände im Leitungsband mit Elektronen be-
setzt, tief liegende im Valenzband sind leer.
Energie der Lichtquanten ausreicht, um ein
Elektron vom Valenz- ins Leitungsband zu Es liegt also eine Besetzungsinversion vor, die
heben (Abschn. 9.4.2). Je nach Anwendungs- nach den Ausführungen in Abschn. 6.5.4 die
Grundvoraussetzung für die stimulierte Emis-
zweck setzt man die Chips in verschiedene Ge-
häuseformen; Abb. 9.75 zeigt einige Beispiele. sion des Lasers ist.
Lumineszenzdioden sind sehr zuverlässig. Im Die zweite Laserbedingung, die Rückkopplung
der Lichtwellen an Resonatorspiegeln, wird
normalen Betrieb sind Lebensdauern von etwa
106 h zu erwarten. Die Lebensdauer ist dabei bei den Laserdioden folgendermaßen erfüllt:
so definiert, dass bis zum Ende die Strahlungs- Nach Abb. 9.77 bildet man den Laserkristall als
leistung der LED auf die Hälfte des Neuwerts Quader aus (Länge etwa 200 μm bis 500 μm,
abgenommen hat. Breite etwa 100 μm bis 250 μm). Die spiegeln-
den Endflächen sind Spaltflächen des Kristalls,
9.4.1.2 Halbleiterlaser die völlig eben und planparallel sind. Infolge
Die Laserdiode ist ein pn-Übergang mit sehr der großen Brechungszahl von Halbleitern ist
großer Dotierungskonzentration, d. h. nD bzw.
nA beträgt etwa 1019 cm−3 . Derart hoch do-
tierte Halbleiter nennt man entartet. Das Bän-
derschema von Abb. 9.76 zeigt, dass die Elek-
tronen im n-Material das Leitungsband, die
Löcher im p-Material das Valenzband auf-
füllen. Wird die Diode in Flussrichtung be-
trieben, so stellt sich bei einer bestimmten
Flussspannung das Bänderschema so ein, wie
es in Abb. 9.76 gezeigt ist. Im Übergangsbe-
reich zwischen p- und n-Halbleiter, der akti-
ven Zone, sind energetisch hoch liegende Zu- Abb. 9.77 Aufbau einer Laserdiode
9.4 Optoelektronische Halbleiter-Bauelemente 853

Der Schwellstrom ist temperaturabhängig; er


nimmt mit steigender Temperatur zu gemäß

Ith = I0 eT/T0 . (9.73)

Für die charakteristische Temperatur T0 hat


man empirisch folgende Werte gefunden:
– GaAlAs-Laser: 120 K bis 230 K,
– InGaAsP-Laser: 60 K bis 80 K.
Die Wellenlänge der Laserstrahlung hängt wie
bei der LED vom Bandgap Eg des Halbleiters
ab. Tabelle 9.14 zeigt eine Zusammenstellung
häufig verwendeter Lasermaterialien. Mit den
quaternären Halbleitern lässt sich der für die
optische Nachrichtentechnik wichtige Spek-
tralbereich von 1,3 μm bis 1,6 μm erfassen, in
dem die Glasfasern die besten Übertragungs-
eigenschaften haben.
Abbildung 9.79 zeigt das Emissionsspektrum
eines InGaAsP-Lasers bei λ = 1,3 μm. Die
Breite der gestrichelten Einhüllenden ist ty-
pischerweise Δλ ≈ 4 nm, also etwa zehnmal

Tabelle 9.14 Materialien für Halbleiter-Laser

Material Wellen- Anwendungen


längen-
Abb. 9.78 Kennlinie eines Halbleiterlasers:
bereich
a) Prinzip, b) Messkurven für einen InGaAsP-Laser
in μm
mit λ = 1,3 μm
ternäre 0,69 bis optische Daten-
Mischkristalle 0,87 speicher, optische
die Reflexion so stark, dass keine externen
Gax Al1−x As Nachrichten-
Spiegel erforderlich sind. technik, Material-
Mit zunehmendem Strom steigt nach Abb. 9.78 bearbeitung
die Ausgangsleistung wie bei einer LED an. quaternäre 0,92 bis optische Nachrich-
In diesem Bereich der spontanen Emission ist Mischkristalle 1,65 tentechnik
die Strahlungsleistung verhältnismäßig nied- Inx Ga1−x Asy P1−y
rig. Wenn der optische Gewinn (gain) die Bleisalze, z. B. 4 bis 40 Umweltmess-
Verluste übertrifft, setzt bei einem bestimm- Pbx Sn1−x Se technik,
Absorptions-
ten Schwellstrom Ith (threshold) der Laserbe-
messungen im
trieb ein. Im Bereich der stimulierten Emission mittleren IR
nimmt die Strahlungsleistung extrem zu.
854 9 Festkörperphysik

Abb. 9.79 Emissionsspektrum eines InGaAsP-Lasers

Abb. 9.80 Laser-Modul für die optische Nachrichten-


übertragung. Werkfoto: SEL Alcatel
schmaler als typische LED-Linienbreiten. Das
Spektrum besteht aus mehreren sehr scharfen
Linien, den longitudinalen Schwingungsmo- 9.4.2 Empfänger
den des Lasers. Im Laser können sich nur sol-
9.4.2.1 Absorption elektromagnetischer Strahlung
che stehenden Wellen aufbauen, bei denen die
Länge L des Lasers ein ganzzahliges Vielfaches Aus der Vielzahl von Detektoren für elek-
der halben Wellenlänge ist (Abschn. 5.2.4.2): tromagnetische Strahlung zeigt Tabelle 9.15
eine Zusammenstellung der Detektoren, die
λ auf dem Fotoeffekt beruhen. Beim äußeren Fo-
nL = m , m = 1,2, 3, … (9.74)
2 toeffekt wird ein Elektron durch ein auftref-
fendes Photon vollständig aus dem Festkörper
n ist der Brechungsindex des Kristalls. Durch entfernt. Das Photon muss als Mindestenergie
geeignete Dimensionierung des Lasers kann die Austrittsarbeit des betreffenden Materials
erreicht werden, dass nur eine Longitudinal- haben (Abschn. 6.5.1.1). Im Folgenden sind
mode schwingt. Ein solcher Monomode-Laser ausschließlich Detektoren beschrieben, die auf
ist extrem schmalbandig (Tabelle 6.9). dem inneren Fotoeffekt von Halbleitern be-
Aus Abb. 9.80 geht der Aufbau eines Lasermo- ruhen. Hierbei wird durch ein auftreffendes
duls mit einem InGaAsP-Laser für die optische Photon ein Elektron aus seiner Bindung ge-
Nachrichtentechnik hervor. Der Laser sitzt auf rissen und im Kristall beweglich, den es aber
einem Peltier-Kühler. Die Strahlung wird in nicht verlässt. Im Bänderschema wird bei der
eine Glasfaser eingekoppelt, die direkt vor ei- Absorption eines Photons ein Elektron vom
ner Spiegelfläche montiert ist. Die Strahlung, Valenz- ins Leitungsband gehoben, also ein
die die hintere Spiegelfläche verlässt, fällt auf freies Elektron-Loch-Paar erzeugt. Damit die-
eine Monitor-Fotodiode, über die der Fluss- ser Vorgang ablaufen kann, muss die Photo-
strom des Lasers so geregelt werden kann, nenenergie Eph = h f mindestens so groß sein
dass eine konstante Ausgangsleistung zur Ver- wie die Breite der verbotenen Zone:
fügung steht.
Ausgereifte Laserstrukturen lassen Lebens-
Eph Eg . (9.75)
dauern von 105 h bis 106 h erwarten und
kommen damit annähernd an die Lebensdau-
ern von LEDs heran. Für die Wellenlänge gilt mit (9.72)
9.4 Optoelektronische Halbleiter-Bauelemente 855

Tabelle 9.15 Detektoren auf der Grundlage des Beispiel


Fotoeffekts 9.4-1 Wie dick muss ein Siliciumkristall mindestens
sein, damit er Licht der Wellenlänge λ = 700 nm so ab-
äußerer Fotoeffekt innerer Fotoeffekt sorbiert, dass nur noch 1/1 000 der auffallenden Strah-
lungsleistung durchgelassen wird?
nicht verstärkend
Fotokatode Fotowiderstand, Lösung
(Vakuum-Fotozelle) Fotodiode, Nach Abb. 9.81 ist der Absorptionskoeffizient
Fotoelement α = 2,5 · 103 cm−1 . Die erforderliche Schichtdicke
verstärkend ist nach (9.77) d = 1/α ln(Φ0 /Φ) = 27,6 μm.
Fotomultiplier (PM), Fotolawinendiode,
(Sekundärelektronen- (Avalanche-Foto-
vervielfacher, SEV), Diode, APD),
9.4.2.2 Fotowiderstand
Bildverstärkerröhre Fototransistor,
(Bildwandler) Fotothyristor Beim Fotowiderstand oder Fotoleiter wird die
Tatsache genutzt, dass der Ohm’sche Wider-
stand des Bauteils von der Bestrahlung ab-
hängt. Nach (9.28) gilt für die elektrische Leit-
hc 1,24 μm eV
λ = . (9.76) fähigkeit κ = e (n μn + p μp ). Werden zusätz-
Eg Eg lich zu den bereits im Material vorhandenen
Ladungsträgern durch absorbierte Photonen
Diese Schwellenbedingung zeigt sich im Ver- weitere geschaffen, dann nimmt die Leitfähig-
lauf des Absorptionskoeffizienten α, der für keit zu bzw. vermindert sich der Widerstand.
einige Halbleiter in Abb. 9.81 dargestellt ist. Die Widerstandsänderung kann in einer elek-
Der Absorptionskoeffizient (Absorptions- trischen Schaltung in eine Spannungsände-
konstante) α ist folgendermaßen definiert: rung verwandelt und nachgewiesen werden.
Fällt auf einen Kristall der Dicke d Strahlung Für verschiedene Wellenlängenbereiche wur-
der Leistung Φ0 , dann ist die durchgelassene den unterschiedliche Detektoren entwickelt,
Strahlungsleistung Φ gegeben durch deren Detektivität D∗ in Abb. 9.82 dargestellt
ist. Die Detektivität ist eine Größe, die gestat-
Φ = Φ0 e−α d . (9.77) tet, die Leistungsfähigkeit verschiedener De-
tektoren miteinander zu vergleichen:

US / UN
D∗ = A Δf . (9.78)
Φe

In dieser Definitionsgleichung ist US / UN das


Verhältnis von Signal- zu Rauschspannung
(Signal/Noise), Φe die eingestrahlte Leistung,
A die Detektoroberfläche und Δf die Band-
breite der Nachweiselektronik. Im sichtbaren
Bereich ist CdS das wichtigste Material, im
nahen IR die Halbleiter PbS, InAs und InSb.
Abb. 9.81 Absorptionskoeffizienten verschiedener Der wichtigste Störstellenfotoleiter ist Germa-
Halbleiter nium mit verschiedenen Dotierstoffen. Bei-
856 9 Festkörperphysik

Abb. 9.83 Bänderschema einer Fotodiode ohne äußere


Spannung

Leerlauffotospannung UL abgreifbar. Die ma-


Abb. 9.82 Detektivität verschiedener Fotoleiter ximale Leerlaufspannung ist zwangsläufig im-
mer kleiner als die Diffusionsspannung, so-
spielsweise ist Ge:Zn bis etwa 40 μm Wellen- dass gilt UL < Ud bzw. UL < Eg / e. Dioden
länge verwendbar. Aufgrund ihres einfachen mit großem Bandabstand Eg liefern eine große
Aufbaus und der einfachen Nachweiselektro- Leerlaufspannung UL .
nik werden Fotoleiter häufig eingesetzt. Sie Werden die Enden der Diode kurzgeschlossen,
sind meist nicht sehr schnell. So hat beispiels- dann fließt im äußeren Stromkreis der Foto-
weise PbS, das für die Wellenlängen der op- strom (Kurzschlussstrom) IF , der die Richtung
tischen Nachrichtentechnik 1,3 μm bis 1,6 μm eines Sperrstroms hat. Zum Fotostrom tragen
bestens geeignet wäre, eine Zeitkonstante von nicht nur die Ladungsträger bei, die innerhalb
etwa 500 μs und ist daher viel zu langsam, um der Raumladungszone erzeugt werden. Auch
schnell modulierte Signale nachweisen zu kön- Ladungsträger, die als Minoritäten außerhalb
nen. entstehen und im Lauf ihrer Lebensdauer an
den Übergang diffundieren, werden durch das
9.4.2.3 Fotodioden elektrische Feld auf die andere Seite gezogen
Wird ein pn-Übergang (Abschn. 9.2.3.3) dem und tragen zum Fotostrom bei. Der Fotostrom
Licht ausgesetzt, dann werden die in der Raum- hängt linear von der absorbierten Strahlungs-
ladungszone erzeugten freien Elektron-Loch- leistung Φe ab. Falls jedes absorbierte Photon
Paare nach Abb. 9.83 sofort getrennt durch das ein Elektron-Loch-Paar erzeugt, das zum Foto-
eingebaute elektrische Feld (Diffusionsspan- strom beiträgt, ist die Quantenausbeute η = 1
nung Ud ). Die Elektronen bewegen sich zur n-, und der Fotostrom beträgt IF = (Φe e)/ (hf ).
die Löcher zur p-Seite des Übergangs. Diese In der Praxis gelangen nicht alle erzeugten La-
Ladungstrennung geht vonstatten ohne äußere dungsträger an den Übergang. Somit tragen
Spannung, sie kann aber durch Anlegen einer nicht alle zum Fotostrom bei; die wellenlän-
Spannung beeinflusst werden. genabhängige Quantenausbeute ist kleiner als
Wird die Diode mit offenen Enden betrieben eins: η(λ) < 1. Der Fotostrom ist daher
bzw. mit einem sehr hochohmigen Lastwi-
derstand, dann lädt sich die p-Seite positiv, Φe e
IF = η(λ) . (9.79)
die n-Seite negativ auf. Die Diffusionsspan- hf
nung wird abgebaut und an den Enden ist die
9.4 Optoelektronische Halbleiter-Bauelemente 857

Abb. 9.84 Leerlaufspannung und Kurzschlussstrom


einer Silicium-Fotodiode (Fotoelement)

Abbildung 9.84 zeigt den linearen Zusammen-


hang zwischen Fotostrom (Kurzschlussstrom)
und Beleuchtungsstärke einer Silicium-
Fotodiode.
Die Empfindlichkeit S (Sensitivity) einer Fo-
todiode ist definiert als Verhältnis von Foto-
strom IF zu absorbierter Strahlungsleistung Abb. 9.85 Spektrale Empfindlichkeit einer
Si-Fotodiode (gestrichelt die theoretische
Φe : S = IF /Φe . Mit (9.79) beträgt die Empfind- Empfindlichkeit bei η = 100% Quantenausbeute)
lichkeit
e
S(λ) = η(λ) Gleichung (9.76) kann somit nicht mehr erfüllt
hf werden.
oder mit (6.116) und (6.117) Beispiel
9.4-2 Wie groß ist die Quantenausbeute η der Fotodi-
e ode von Abb. 9.85 bei der Wellenlänge λ = 800 nm?
S(λ) = λ η(λ)
hc
Lösung
λ A
= η(λ) . (9.80) Nach (9.80) ist die Quantenausbeute
1,24 μm W
S(λ) 1,24 μm W
η(λ) = .
λ A
Abbildung 9.85 zeigt die Empfindlichkeit einer Aus Abb. 9.85 ermittelt man S(800 nm) = 0,47 A/W.
Si-Fotodiode in Abhängigkeit von der Wellen- Demnach beträgt die Quantenausbeute η(800 nm) =
länge. Gestrichelt eingezeichnet ist der Ver- 73%. Von jeweils 100 absorbierten Photonen tragen
lauf der Empfindlichkeit einer idealen Diode also 73 Elektron-Loch-Paare zum Fotostrom bei.
mit der Quantenausbeute η = 100%. Die ge-
messene Kurve liegt generell tiefer, verläuft Die Kennlinie einer Fotodiode geht aus der be-
aber bei kurzen Wellenlängen etwa parallel kannten Diodenkennlinie nach (9.38) hervor,
zur theoretischen Kurve. Der steile Abfall auf indem man vom Gesamtstrom den lichtindu-
der langwelligen Seite kommt daher, dass die zierten Fotostrom abzieht:
Photonen nicht mehr genügend Energie ha-
= IS e kT − 1 − IF .
eU
ben, um Elektronen über die verbotene Zone I (9.81)
zu heben. Die Forderung der grundlegenden
858 9 Festkörperphysik

Arbeitspunkt A in Abb. 9.86 ist der Schnitt-


punkt der Widerstandsgeraden I = −U / RL
und der Diodenkennlinie. Die Leistung, die
der Zelle entnommen werden kann, ist P(A) =
U(A) · |I(A)| und hängt von der Lage des Ar-
beitspunktes A ab. Durch Variation von RL
kann die abgegebene Leistung optimiert wer-
den.
Beim Diodenbetrieb wird die Diode (Foto-
diode im engeren Sinn) mit einem Lastwi-
derstand RL in Reihe an eine Batterie an-
geschlossen, wobei die Batteriespannung UB
Abb. 9.86 Kennlinien einer Fotodiode
in Sperrrichtung anliegt. Der Arbeitspunkt B
in Abb. 9.86 ist der Schnittpunkt der Wider-
standsgeraden I = (UB −U)/ RL mit der Kennli-
Abbildung 9.86 zeigt eine Kennlinienschar mit nie. Bei Änderung der Beleuchtungsstärke än-
der Bestrahlungsstärke als Parameter. Im Leer- dert sich nach (9.79) und (9.81) der Strom
lauf (I = 0) ist an den Enden die Leerlaufspan- (Abb. 9.83), sodass am Lastwiderstand eine
nung UL abgreifbar, für die aus (9.81) folgt Spannung IRL abgreifbar ist, die der Beleuch-
tungsstärke proportional ist.
Infolge der linearen Abhängigkeit der Aus-
kT IF
UL = ln +1 . (9.82) gangsspannung von der Strahlungsleistung ist
e IS
die Fotodiode ein hervorragendes Instrument
zur Messung von Strahlungsleistungen. Foto-
IS ist der Sperrsättigungsstrom (Dunkelstrom). dioden reagieren schneller als Fotoleiter und
Da der Fotostrom linear von der Beleuchtungs- sind deshalb geeignet, schnell modulierte Si-
stärke abhängt, nimmt die Leerlaufspannung, gnale, wie sie etwa in der optischen Nachrich-
wie Abb. 9.84 zeigt, logarithmisch zu. Im Kurz- tentechnik vorkommen, zu detektieren. Die
schlussbetrieb (U = 0) fließt der Kurzschluss- Grenzfrequenz hängt im Wesentlichen davon
strom IK , der nach (9.81) mit dem Fotostrom ab, wie schnell Ladungsträger, die außerhalb
identisch ist: IK = −IF . der Raumladungszone erzeugt werden, an die-
Je nach äußerer Schaltung unterscheidet man selbe herandiffundieren. Die Schaltzeiten han-
die Betriebszustände Elementbetrieb und Di- delsüblicher Silicium-Fotodioden betragen ei-
odenbetrieb. Im Elementbetrieb wird die Di- nige Mikrosekunden.
ode ohne äußere Spannungsquelle direkt an Für Fotodioden im sichtbaren Spektralbereich
einen Lastwiderstand RL (Verbraucher) an- und für das nahe IR verwendet man Silicium.
geschlossen. Die Diode arbeitet als Stromge- Die Empfindlichkeitskurve von Abb. 9.85 zeigt,
nerator im vierten Quadranten der Kennlinie dass die Si-Fotodiode sehr gut geeignet ist, die
von Abb. 9.86 und wird als Fotoelement bzw. Strahlung von GaAs-Emittern nachzuweisen.
Solarzelle bezeichnet. Beide sind im Prinzip Für die Wellenlängen 1,3 μm bis 1,6 μm (opti-
gleich; die Solarzelle ist aber für große Leis- sche Nachrichtentechnik) sind Ge-Fotodioden
tungen ausgelegt (Abschn. 9.4.2.5) und spe- geeignet. Vorteilhafter sind Dioden aus ter-
ziell für das Sonnenspektrum optimiert. Der nären Halbleitern, wie beispielsweise InGaAs.
9.4 Optoelektronische Halbleiter-Bauelemente 859

Für das fernere IR werden InAs, InSb und do- toren für Röntgenstrahlung (Si) und Gamma-
tiertes Germanium verwendet (Abb. 9.82). strahlung (Ge) verwendet.

Pin-Fotodiode Lawinen-Fotodiode
Lawinen-Fotodioden (Avalanche Foto Diode,
Pin-Dioden haben zwischen p- und n-Zone
APD) werden mit einer Sperrspannung knapp
eine verhältnismäßig dicke (im Bereich von
unterhalb der Durchbruchspannung betrie-
etwa 1 μm bis etwa 300 μm) eigenleitende (in-
ben. Infolge der großen Feldstärke werden
trinsic) Schicht, die sehr hochohmig ist. Die
freie Ladungsträger so schnell, dass sie durch
angelegte Sperrspannung fällt praktisch über
Stoßionisation weitere Elektron-Loch-Paare
der i-Zone ab, sodass in der i-Zone eine große
erzeugen können und ein lawinenartiger
Feldstärke vorliegt. Die Photonen werden vor-
Anstieg der Anzahl der Ladungsträger ein-
wiegend in der dicken i-Schicht absorbiert,
tritt (Abb. 9.47b). Die innere Verstärkung
erzeugen also dort Elektron-Loch-Paare, die
wird durch einen Multiplikationsfaktor M
sofort durch das elektrische Feld getrennt wer-
beschrieben. Typische Werte sind für
den. Dadurch fallen die langsamen Diffusions-
prozesse der einfachen pn-Dioden weg. Pin- – Si-APD: M = 100 bis maximal 104 ,
Dioden reagieren schnell und können bis in – Ge-APD: M = 40 bis maximal 200.
den GHz-Bereich eingesetzt werden. Durch
Ein großer Verstärkungsfaktor bedeutet, dass
das große Sammelvolumen wird ihre Empfind-
durch ein Photon eine große Ladungsträgerla-
lichkeit gegenüber normalen pn-Übergängen
wine ausgelöst wird. Je größer die Lawine ist,
weiter ins IR ausgedehnt.
umso länger dauert es aber, bis alle Ladungs-
Abbildung 9.87 zeigt einen Baustein mit einem
träger den Übergang überquert haben. Große
Pin-FET-Empfänger für die optische Nach-
Verstärkung und hohe Grenzfrequenz lassen
richtenübertragung. Das optische Signal fällt
sich daher nicht gleichzeitig realisieren. In
von der Glasfaser auf eine Pin-Diode und wird
der Praxis wird ein Verstärkungs-Bandbreite-
im nachgeschalteten Verstärker mit einem FET
Produkt angegeben, das typischerweise fol-
am Eingang verstärkt.
gende Werte aufweist:
Sehr großflächige Pin-Dioden mit i-Zonen von
einigen Millimetern Dicke werden als Detek- – Si-APD: MΔf ≈ 200 GHz,
– Ge-APD: MΔf ≈ 20 GHz.
Hat beispielsweise eine APD ein Verstärkungs-
Bandbreite-Produkt von 160 GHz, dann ist bei
einer Bandbreite von Δf = 2 GHz der Multipli-
kationsfaktor M = 80. Bei hohen Frequenzen
wird die APD der Pin-Diode häufig vorgezogen
wegen der internen Verstärkung.

9.4.2.4 Fototransistor
Der Fototransistor ist wie die APD ein Detek-
tor mit innerer Verstärkung. Abbildung 9.88a
zeigt den Aufbau eines Bipolartransistors. Der
Abb. 9.87 Pin-FET-Modul für die optische Basis-Kollektor-Übergang ist großflächig aus-
Nachrichtentechnik. Werkfoto: SEL Alcatel geführt und in Sperrrichtung gepolt. Durch
860 9 Festkörperphysik

Photonenabsorption erzeugte Elektron-Loch- leuchtungsstärke Ev aufgetragen. Am Basisan-


Paare werden getrennt. Die Löcher fließen schluss kann die Verstärkung eingestellt wer-
durch die Basis zum Emitter, die Elektronen den. Meist ist er aber gar nicht herausgeführt.
zum Kollektor. Die Spannung am flussgepol- Fototransistoren reagieren erheblich langsa-
ten Emitter-Basis-Übergang nimmt leicht zu mer als Fotodioden und werden deshalb nur
und somit der Emitter- bzw. Kollektorstrom. bis zu Frequenzen von etwa 100 kHz verwen-
Der Kollektorstrom beträgt näherungsweise det. Fototransistoren verwendet man in Licht-
schranken, Lochkartenlesern, Optokopplern
und Fotometern. Außer den bipolaren Transis-
IC = (1 + B)IF , (9.83)
toren gibt es auch Foto-Feldeffekttransistoren.

ist also um den Stromverstärkungsfaktor B in 9.4.2.5 Solarzellen


Emitterschaltung größer als der Fotostrom IF . Die Solarzelle ist grundsätzlich eine Foto-
Typische Werte für die Stromverstärkung lie- diode mit großer Fläche (Abb. 9.89). Durch
gen bei B = 100 bis B = 1 000. absorbierte Photonen gebildete Elektron-
Das Ausgangskennlinienfeld von Abb. 9.88b Loch-Paare werden infolge des eingebauten
unterscheidet sich nicht grundlegend von dem elektrischen Feldes getrennt. Dabei werden
eines normalen Transistors. Lediglich ist an- die Elektronen zum n-Kontakt, die Löcher
stelle des Basisstroms als Parameter die Be- zum p-Kontakt befördert (Abb. 9.83). Die
Deckfläche der Solarzelle ist mit einem Gitter
dünner Kontaktfinger versehen, die den er-
zeugten Fotostrom ableiten. Wegen des hohen
Reflexionsgrades der Halbleiter muss die
Oberfläche der Zelle stets mit einer reflexver-
mindernden Schicht versehen werden. Da der
Absorptionskoeffizient beim Halbleiter Sili-
cium nur langsam mit der Photonenenergie
ansteigt (Abb. 9.81), benötigen Si-Solarzellen
eine Dicke von 200 μm bis 300 μm. Solarzellen
aus GaAs kommen dagegen mit Dicken von
1 μm bis 2 μm aus.
Im Kurzschlussbetrieb fließt durch die Solar-
zelle ein Fotostrom IK , der proportional ist zur
eingestrahlten Leistung Φe :

Abb. 9.88 Bipolarer Fototransistor: a) Aufbau,


b) Kennlinien Abb. 9.89 Schematischer Aufbau einer Solarzelle
9.4 Optoelektronische Halbleiter-Bauelemente 861

raden I = U/RL mit der Kennlinie den Arbeits-


IK ∼ Φe = Ee A (9.84) punkt. Der optimale Lastwiderstand liegt vor,
wenn die Fläche des weißen Rechtecks maxi-
mal ist, nämlich
Bei gegebener Bestrahlungsstärke Ee steigt der
Strom und damit die produzierte elektrische
Leistung proportional zur Fläche A. Pm = Im Um . (9.87)
Im Leerlaufbetrieb ist nach (9.82) an den Kon-
takten der Solarzelle die Leerlaufspannung
Der zugehörige Arbeitspunkt ist in Abb. 9.90
mit MPP (Maximum Power Point) gekenn-
kT IK kT IK zeichnet. Da sich die Kennlinie mit der Son-
UL = ln +1 ≈ ln
e IS e IS neneinstrahlung verändert, muss für effekti-
(9.85) ven Betrieb der Lastwiderstand durch eine
elektronische Schaltung so angepasst werden,
dass stets im Punkt maximaler Leistung ge-
abgreifbar, die logarithmisch von der Strah- arbeitet wird. Ein erster Schätzwert für den
lungsleistung abhängt (Abb. 9.84). optimalen Lastwiderstand ist
Zeichnet man – anders als in Abb. 9.86 – die
Kennlinie der Solarzelle im ersten Quadran-
UL
ten, so gilt für die Strom-Spannungs-Kennlinie RL, opt ≈ . (9.88)
IK
(Abb. 9.90) einer idealen Solarzelle

Das Verhältnis der weißen Rechteckfläche in


eU
I = IK − IS exp −1 . (9.86) Abb. 9.90 zur größten denkbaren Rechteckflä-
kT
che, gebildet durch den Kurzschlussstrom IK
und die Leerlaufspannung UL , wird als Füll-
Ist der Lastwiderstand im Außenkreis RL , dann faktor bezeichnet:
definiert der Schnittpunkt der Widerstandsge-
Im Um Pm
FF = = . (9.89)
IK UL IK UL

Der Füllfaktor ist ein Maß für die Güte der


Zelle. Er beträgt 70% bis 85%.

Beispiel
9.4-3 Wie groß ist der Füllfaktor der Zelle in Abb. 9.90?

Lösung
Aus dem Diagramm wird entnommen: UL = 0,6 V,
Um = 0,49 V, IK = 7,6 A, Im = 6,7 A. Damit ist der
Abb. 9.90 Strom-Spannungs-Kennlinie einer Füllfaktor FF = 72%.
Si-Solarzelle bei Standard-Testbedingungen (STC).
Zellengröße 15 cm × 15 cm. Die Hyperbeln sind Der Wirkungsgrad einer Solarzelle ist defi-
Kurven konstanter Leistung P = U · I niert als Verhältnis der maximal entnehmba-
862 9 Festkörperphysik

ren elektrischen Leistung Pm zur eingestrahl-


ten optischen Leistung Φe :

Pm IK UL FF
η= = . (9.90)
Φe Ee A

Trotz großer Anstrengungen ist der Wirkungs-


grad handelsüblicher Solarzellen nicht höher
als etwa 15%. Die wichtigsten Verlustmecha-
nismen sind in Tabelle 9.16 zusammengestellt.
Entscheidend für die optischen Verluste ist
die in Abb. 9.91 dargestellte spektrale Bestrah-
lungsstärke Ee, λ des Sonnenlichts. Außerhalb Abb. 9.91 Spektrale Bestrahlungsstärke des
der Lufthülle (AM0, Air Mass Zero) entspricht Sonnenlichts außerhalb der Atmosphäre (AM0)
und auf der Erdoberfläche (AM1,5). λg ist die
die Verteilung etwa der eines schwarzen Strah-
Grenzwellenlänge für Absorption in Silicium
lers mit T = 5960 K (Abschn. 6.5.3). Die inte-
grale Bestrahlungsstärke

∞ usw. Als Standard zur Messung des Wir-


W
Ee = Ee, λ dλ = 1353 kungsgrades wurde das AM1,5-Spektrum mit
m2
0 Ee = 1 000 W/m2 festgelegt (STC, Standard
wird als Solarkonstante bezeichnet. Je nach Test Conditions).
Einstrahlwinkel und Weglänge der Strahlen Der ganze Teil des Spektrums, der rechts von
durch die Atmosphäre wird die Bestrah- der Grenzwellenlänge λg liegt, wird nicht ab-
lungsstärke infolge von Absorption an Luft- sorbiert, weil die Photonenenergie nicht aus-
molekülen verringert. Wird die Lufthülle reicht, um ein Elektron-Loch-Paar zu bilden.
senkrecht durchstrahlt, spricht man von Strahlung mit λ < λg wird zwar absorbiert,
AM1-Verhältnissen (Air Mass One). Bei AM2 aber die überschüssige Energie Eph − Eg wird
legen die Strahlen den doppelten Weg zurück in der Solarzelle in Wärme verwandelt.
Die größten elektrischen Verluste entstehen
durch Rekombination der Ladungsträger an
Tabelle 9.16 Verluste in Si-Solarzellen der Grenzfläche zwischen der p-dotierten
optische Verluste elektrische Verluste Basis und der metallisierten Rückseite
(Abb. 9.89). Die Rekombination wird stark
Reflexion an der Interne Zellenverluste reduziert, wenn der Halbleiter passiviert wird
Oberfläche ≈ 3% infolge des durch eine dünne Schicht aus SiO2 oder SiN.
Abschattung durch Serienwiderstands des Da diese Schicht elektrisch isoliert, müssen
Kontaktfinger ≈ 3% Zellenmaterials und der
Photonen mit Kontaktfinger ≈ 1%
viele punktförmige Kontakte durch die Schicht
überschüssiger Rekombination von hergestellt werden. Ein kleines Gebiet mit ho-
Energie ≈ 32% Ladungsträgern in Basis her p-Dotierung erzeugt ein elektrisches Feld,
Photonen mit und Emitter ≈ 22% das die Elektronen von den Kontakten fern
ungenügender hält (local back surface field). In der Forschung
Energie ≈ 24%
sucht man nach preisgünstigen Verfahren, um
9.4 Optoelektronische Halbleiter-Bauelemente 863

diese Tausende von Punktkontakten an der Zur Übung


Zellenrückseite herzustellen. Wenn dieses Ü 9.4-1 Bei einem GaAlAs-Laser ist der Schwell-
Problem gelöst ist, sollten Si-Solarzellen in strom bei 0 ◦ C Ith, 0 = 38,6 mA und bei 70 ◦ C Ith, 70
der Massenproduktion mit Wirkungsgraden
= 60,8 mA. a) Wie groß ist die charakteristische Tem-
peratur T0 ? b) Wie groß ist der Schwellstrom Ith, 20 bei
von etwa 20% möglich sein. 20 ◦ C?
Das nach wie vor wichtigste Material zum Bau
von Solarzellen ist Silicium. Wegen der hohen Ü9.4-2 Wie groß ist der Modenabstand longitudinaler
Materialkosten wird intensiv nach Alternati- Moden bei einem InGaAsP-Laser der Wellenlänge λ =
1,3 μm, wenn der Laserresonator L = 500 μm lang ist?
ven gesucht (Tabelle 9.17).
Der Brechungsindex ist n = 3,31; die Dispersion sei
vernachlässigt.

Tabelle 9.17 Wirkungsgrade verschiedener Solarzellen Ü 9.4-3 Ab welcher Wellenlänge λg wird InSb (Band-
aus industrieller Fertigung gap Eg = 0,18 eV) transparent?

Ü 9.4-4 Eine InGaAs-Fotodiode hat bei λ = 1,3 μm


Material Technologie Wirkungsgrad die Empfindlichkeit S = 0,6 A/W. a) Wie groß ist ihre
Quantenausbeute η? b) Von einem 1,3 μm-Laser trifft
Si einkristallin 16% bis 18%
die Strahlungsleistung Φe = 0,5 mW auf die Diode.
polykristallin 14% bis 16%
Wie groß ist der Kurzschlussstrom IK ?
polykr. Band 11% bis 16%
Dünnschicht 7% bis 8% Ü 9.4-5 Eine Si-Fotodiode hat den Sperrsättigungs-
CdTe Dünnschicht 9% bis 10% strom IS = 10 pA. Ihre Empfindlichkeit S(λ) wird durch
Cu(In,Ga)· Dünnschicht 9% bis 12% Abb. 9.85 beschrieben. Wie groß ist die Leerlaufspan-
(S,Se)2 nung, wenn die Strahlungsleistung Φe = 5 μW eines
HeNe-Lasers (λ = 633 nm) auf die Diode fällt?
Kapitel 10
Spezielle Relativitätstheorie 10

E. Hering et al., Physik für Ingenieure,


DOI 10.1007/978-3-642-22569-7_10, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
10 Spezielle Relativitätstheorie
10.1 Relativität des Bezugssystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 867
10.2 Lorentz-Transformation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 870
10.3 Relativistische Effekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 872
10.3.1 Längenkontraktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 872
10.3.2 Zeitdilatation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 872
10.3.3 Relativistische Addition der Geschwindigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 874
10.4 Relativistische Dynamik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 875
10 10.5
10.5.1
Spezielle Relativitätstheorie in der Elektrodynamik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Elektrodynamische Kraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
878
878
10.5.2 Doppler-Effekt des Lichtes. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 880
10 Spezielle Relativitätstheorie

Die Relativitätstheorie, von A. Einstein (1879 chanik und relativistische Elektrodynamik be-
bis 1955) entwickelt, besteht aus der Spezi- trieben werden. Dies hat beispielsweise auch
ellen Relativitätstheorie (1905 veröffentlicht) für den Ingenieur beim Bau von Beschleuni-
und der Allgemeinen Relativitätstheorie (1916 gern Konsequenzen. Wichtig ist festzustellen,
veröffentlicht). Die Spezielle Relativitätstheo- dass die Relativitätstheorie in allen Bereichen
rie befasst sich mit Fragen der Definition von der Physik gültig ist, sodass relativistische Ef-
Raum und Zeit in Systemen, die sich gegen- fekte von den Elementarteilchen bis zum Uni-
einander mit konstanter Geschwindigkeit be- versum nachweisbar sind.
wegen. In der Allgemeinen Relativitätstheorie
werden relativ zueinander beschleunigte Sys-
teme sowie der Einfluss von Gravitationsfel- 10.1 Relativität
dern auf Maßstäbe und Uhren untersucht. So des Bezugssystems
betrachtet ist die Spezielle Relativitätstheorie
ein Spezialfall der Allgemeinen Relativitäts- In Abschn. 2.4.1 sind die als Galilei-
theorie. Transformation bezeichneten Gleichungen
Weil die Spezielle Relativitätstheorie mathe- (Abb. 2.21) für Inertialsysteme beschrieben.
matisch einfacher und ihre Ergebnisse für Inertialsysteme sind Bezugssysteme, in de-
die ingenieurmäßigen Anwendungen wichti- nen das Trägheitsgesetz gilt, nach dem sich
ger sind, wird auf eine ausführliche Erörte- Körper ohne Krafteinwirkung entweder in
rung der Allgemeinen Relativitätstheorie ver- Ruhe befinden oder geradlinig gleichförmig
zichtet. Relativistische Effekte treten nur bei bewegen. Die Galilei-Transformation erlaubt
Geschwindigkeiten nahe der Lichtgeschwin- die Umrechnung der Bewegungsgleichungen
digkeit auf. Da man es im täglichen Umgang von einem Inertialsystem S in ein anderes
mit physikalischen Systemen nicht mit solchen Inertialsystem S , das sich relativ zu S mit
sehr schnell ablaufenden Vorgängen zu tun einer konstanten Geschwindigkeit bewegt.
hat, sind die relativistischen Korrekturen an Daraus resultiert das Relativitätsprinzip der
der klassischen Physik kaum wahrnehmbar. klassischen Mechanik:
Dies hat auch zur Folge, dass die relativisti-
schen Effekte den alltäglichen Erfahrungen zu Die Gesetze der klassischen Mechanik
widersprechen scheinen. In der Elementarteil- gelten unverändert in Inertialsystemen,
chenphysik (Abschn. 8.9) aber kann wegen der die sich relativ zueinander mit konstan-
sehr schnellen Abläufe nur relativistische Me-

M. Stohrer, E. Hering, R. Martin, Physik für Ingenieure.


DOI 10.1007/978-3-642-22569-7_10 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
868 10 Spezielle Relativitätstheorie

die Geschwindigkeit des Lichts relativ zum


ter Geschwindigkeit bewegen. Es gibt
zweiten Stern rel = c. Dieser experimentelle
kein bevorzugtes Bezugssystem und
Befund ist ein Grundprinzip der Relativitäts-
keine Möglichkeit, eine Geschwindigkeit
theorie:
absolut zu messen.
Licht breitet sich unabhängig von der
Die Galilei-Transformation fordert bei einer Relativbewegung zwischen Lichtquelle
Geschwindigkeitsüberlagerung die Addition und Beobachter in allen Systemen mit
bzw. Subtraktion von Relativgeschwindigkei- der konstanten Vakuumlichtgeschwin-
ten. Dies sei anhand von Abb. 10.1 erläu- digkeit c = 2,99792458 · 108 m/s aus.
tert. In Abb. 10.1a befindet sich ein Geschütz
auf einem Wagen. Bewegt sich der Wagen
Dieses Postulat der Speziellen Relativitäts-
mit einer Geschwindigkeit = 50 km/h re-
theorie beruht auf 1887 durchgeführten
lativ zur ruhenden Wand und wird auf die
Messungen von A. A. Michelson (1852 bis
Wand ein Geschoss mit der Geschwindigkeit
1931) und E. W. Morley (1838 bis 1923),
u = 100 km/h abgefeuert, so beträgt die Ge-
die mit Hilfe des Michelson-Interferometers
schossgeschwindigkeit relativ zur Wand rel =
(Abschn. 6.4.1.3, Abb. 6.81) experimentell
u + = 150 km/h. Bewegt sich der Wagen mit
nachwiesen, dass die Lichtgeschwindigkeit
einer Relativgeschwindigkeit = −50 km/h
unabhängig von der Relativbewegung ist.
von der Wand weg, dann trifft das Geschoss
Wie in Abb. 10.2 dargestellt, führt die Kon-
an der Wand mit der Relativgeschwindigkeit
stanz der Lichtgeschwindigkeit zu einem Wi-
rel = u − = 50 km/h auf.
derspruch zur Galilei-Transformation. Um ihn
Die Addition bzw. Subtraktion der Geschwin-
aufzulösen, müssen die Raum-Zeit-Maßstäbe
digkeiten nach der Galilei-Transformation
neu berechnet werden. Dies besorgt die Lo-
gelten für Bewegungen mit Geschwindigkei-
rentz-Transformation. Die entsprechenden
ten nahe der Lichtgeschwindigkeit c nicht
Gleichungen wurden bereits 1899 von H. A.
mehr. Sendet ein Stern 1 Licht aus gemäß
Lorentz (1853 bis 1928) aufgestellt, aller-
Abb. 10.1b und bewegt sich ein Gestirn 2
dings lediglich bezogen auf die Maxwell’schen
mit = 100 000 km/s auf diesen Stern 1 zu
Gleichungen in elektromagnetischen Fel-
oder mit derselben Geschwindigkeit vom
dern (Abschn. 4.5.5) und fälschlicherweise
Stern 1 weg, dann beträgt in beiden Fällen
unter der Annahme abgeleitet, dass sie aus
der Wechselwirkung eines im Raum absolut
ruhenden Äthers mit elektrischen und ma-
gnetischen Feldern herrührt. Einstein zog aus
der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit den
Schluss, dass der Äther als Übertragungsme-
dium für elektromagnetische Wellen nicht
existiert.
Dies bedeutet, dass alle Bewegungen rela-
tiv zu irgendeinem System stattfinden (daher
der Name Relativitätstheorie). Die Lorentz-
Transformation sollte nicht nur elektrodyna-
Abb. 10.1 Geschwindigkeitsüberlagerung mische Vorgänge betreffen, sondern alle mate-
10.1 Relativität des Bezugssystems 869

Abb. 10.2 Postulate der speziellen Relativitätstheorie und Folgerungen

riebehafteten Systeme. Folgende Folgerungen – Massenzunahme


lassen sich der Lorentz-Transformation ent- Die Masse eines Körpers nimmt mit seiner
nehmen (Abb. 10.2): Geschwindigkeit zu.
– Äquivalenz von Masse und Energie
– Längenkontraktion Mit dieser Äquivalenzbeziehung werden die
Ein relativ zu einem Beobachter sich bewe- Erhaltungssätze für die Materie einerseits
gender Körper erscheint verkürzt. und für die Energie andererseits zu einem
– Zeitdilatation einzigen Erhaltungsprinzip zusammenge-
Die Zeit verläuft in einem System, das relativ führt. Zu den bekannten Energieformen
zu einem Beobachter bewegt wird, langsa- kommt die zusätzliche Energie der Ruhe-
mer. masse.
– Additionstheorem der Geschwindigkeiten – Elektromagnetische Kraft
Hiermit wird sichergestellt, dass bei Ge- Durch die Relativbewegung von Ladungen
schwindigkeitsüberlagerungen die Relativ- entsteht eine mit der elektrostatischen Kraft
geschwindigkeit die Lichtgeschwindigkeit verbundene magnetische Kraft (Lorentz-
nicht übersteigt. Kraft).
870 10 Spezielle Relativitätstheorie

– Doppler-Effekt tische Faktor γ stellt sicher, dass die Lichtge-


Die Relativbewegung von Quelle und Be- schwindigkeit c die höchste Teilchengeschwin-
obachter führt zu einem relativistischen digkeit darstellt, da für > c der relativistische
Doppler-Effekt. Faktor γ imaginär wird. Wie aus (10.4) ersicht-
lich, ist die Zeit für jeden Beobachter verschie-
den. Die Zeit t des Beobachters in S hängt
10.2 Lorentz-Transformation von der Zeit t des Beobachters in S, von dessen
Koordinate x und der Relativgeschwindigkeit
Bewegt sich ein System S (x , y , z , t ) mit der der Systeme ab.
konstanten Geschwindigkeit in x-Richtung Die Lorentz-Transformation kann man durch
relativ zum System S (x, y, z, t), dann lautet Minkowski-Diagramme (H. Minkowski, 1864
die Lorentz-Transformation, die die Koordina- bis 1909) grafisch veranschaulichen. Dabei be-
ten der Systeme S und S ineinander umrech- schränkt man sich auf eindimensionale Bewe-
net (unter Berücksichtigung der Konstanz der gungen (z. B. in x-Richtung), sodass sich ein
Lichtgeschwindigkeit c), Intertialsystem S durch ein zweidimensionales
Koordinatensystem darstellen lässt. Die Zeit t
wird als Ordinate und die x-Koordinate als
x = γ (x + t ) bzw. x = γ (x − t) Abszisse gezeichnet, wie es Abb. 10.3 zeigt.
(10.1) Üblicherweise wird die x-Achse in der Ein-
y = y bzw. y=y (10.2) heit Lichtsekunde (Ls) unterteilt, d. h. in Stre-
cken, die vom Licht in einer Sekunde durchlau-
z=z
bzw. z = z

(10.3)
fen werden (1 Lichtsekunde = 3 · 108 m). Die
t = γ t + 2 x bzw. t = γ t − 2x . Bahnkurve eines Lichtstrahls (Lichtlinie) ist
c c
(10.4) in diesem Diagramm die Winkelhalbierende

Hierbei ist γ der relativistische Faktor:

1
γ= 2 . (10.5)

1−
c

Beim Vergleich mit der Galilei-Transformation


(Abb. 2.21) kann man feststellen, dass die
Ortskoordinaten x, y, z bzw. x , y , z durch den
relativistischen Faktor γ korrigiert werden.
Für den Fall c → ∞ wird γ = 1, und die
Lorentz-Transformation geht in die Galilei-
Transformation über. Relativistische Effekte
treten deshalb auf, weil die Lichtgeschwindig-
keit endlich ist, sodass sich Signale nicht un- Abb. 10.3 Grafische Darstellung der Lorentz-
endlich rasch ausbreiten können. Der relativis- Transformation im Minkowski-Diagramm
10.2 Lorentz-Transformation 871

x = c t. Ein Punkt P mit den Koordinaten x


und t (y = konst., z = konst.) wird Weltpunkt
des Ereignisses oder Ereignis genannt. Die Be-
wegungen von Teilchen sind als Linien dar-
stellbar, die man als Weltlinien des bewegten
Teilchens bezeichnet.
Für ein zweites Inertialsystem S , das sich
mit der Geschwindigkeit ( < c) entlang
der x-Achse bewegt und denselben Ursprung
hat, kann die t -Achse (x = 0) folgender-
maßen berechnet werden: Aus der Lorentz-
Transformation (10.1) resultiert für x = 0 der
Ausdruck x = t. Die Gleichung für die x -
Achse lautet (t = 0 für (10.4)) x = (c2 / )t.
In Abb. 10.3 ist das Koordinatensystem für x
und t eingezeichnet. Der Maßstabsfaktor für
die x -Achse ist wegen x = γ x der relativis-
Abb. 10.4 Minkowski-Diagramm für Beispiel 10.2-1
tische Faktor γ und für die t -Achse wegen
t = γ t ebenfalls. Die Winkel zwischen x- und
x -Achse sowie zwischen t - und t-Achse sind rechnet sich nach (10.5) zu
ebenfalls gleich (α). 1 1
γ= 2 = = 1,51 .
Beispiel 1 − (0,75)2
10.2-1 Zwei Inertialsysteme S und S bewegen sich
1−
c
mit der Geschwindigkeit = 0,75 c relativ zueinan-
der. Bestimmt werden sollen a) die Gleichung für die Dies bedeutet, dass die Koordinate x = 1
x -und t -Achse und ihre Darstellung im Minkowski- bei x = γ liegt und entsprechend t = 1 bei
Diagramm, b) die Maßstäbe für die x -und t -Achse, t = γ . Demnach sind die Einheiten auf der
c) die Lorentz-Transformation. d) Gegeben sind fol-
x - und t -Achse um das 1,51-fache größer
gende Ereignisse:
als auf der x- und t-Achse.
in S : P (2; 0; 0; 0) und Q (2; 0; 0; 1) am gleichen Ort, c) Die Lorentz-Transformation lautet nach
in S: R (−1; 0; 0; 2) und T (1; 0; 0; 2) zur selben Zeit.
(10.1) bis (10.4)
Die Ereignisse in den jeweils anderen Bezugssystemen
sollen errechnet und in das Minkowski-Diagramm ein- x = 1,51(x + 0,75 c t ) bzw.
gezeichnet werden. x
= 1,51(x − 0,75 c t) ,
y = y bzw. y = y ,
Lösung
z = z bzw. z = z ,
a) Für die t -Achse gilt x = t − 0,75 c t und t = 1,51(t + 0,75 x / c) bzw.
für die x -Achse x = (c2 / )t = 4/ 3(ct). Da im
t = 1,51(t − 0,75 x/ c) .

Minkowski-Diagramm c = 1 gesetzt wird,
gilt für die t -Achse x = 0,75 t und für die d)Nach der Lorentz-Transformation werden
x -Achse x = 4/ 3(t) gemäß Abb. 10.4. die Ereignisse umgerechnet:
b) Der Maßstabsfaktor für die x - und die t - P (2; 0; 0; 0): Nach (10.1) resultiert
Achse ist der relativistische Faktor γ . Er er- x = 1,51 x = 1,51 · 2 Ls = 3,02 Ls.
872 10 Spezielle Relativitätstheorie

Nach (10.4) ergibt sich t = γ 0,75 x / c = 2


1,51 · 0,75 · 2 s = 2,27 s. Das Ergebnis ist also l 1
= l= 1− l. (10.6)
P (3,02; 0; 0; 2,27). γ c
Für Q (2; 0; 0; 1) ermittelt man
Für alle Körper, die sich mit einer kon-
x = 1,51(x + 0,75 c t ) stanten Geschwindigkeit relativ zuein-
= 1,51(2 + 0,75 · 1) Ls = 4,15 Ls ; ander bewegen, verkürzen sich die Län-
gen des anderen Körpers in dieser Rich-
t = 1,51(1 + 0,75 · 2) s = 3,78 s. Das Ergeb- 2
nis lautet demnach Q (4,15; 0; 0; 3,78). Die tung um den Faktor 1 − c . Senk-
beiden Ereignisse P und Q , die in S am recht zur Bewegungsrichtung liegende
gleichen Ort eintreten, finden in S an ver- Strecken erscheinen nicht verkürzt. Die-
schiedenen Orten statt. ser Effekt heißt Längenkontraktion.
Für R (−1; 0; 0; 2) gilt
x = 1,51(−1 − 0,75 · 2) Ls = −3,775 Ls ; Die Längenkontraktion ist unabhängig von
der Zeit t . Sie ist auch aus dem Minkowski-
t = 1,51(2 − 0,75 · (−1)) s = 4,15 s .

Diagramm Abb. 10.5 ersichtlich. Für die Zah-
Damit ist R (−3,78; 0; 0; 4,15). lenwerte des Beispiels 10.2-1 erscheint eine
Für T (1; 0; 0; 2) wird Strecke, die im System S die Länge x = 3 Ls =
x = 1,51(1 − 0,75 · 2) Ls = −0,755 Ls ; 3 · 3 · 108 m hat, im System S auf ungefähr
x = 2 Ls = 2 · 3 · 108 m verkürzt. Umgekehrt
t = 1,51(2 − 0,75 · 1) s = 1,89 s .

wird auch die Strecke x = 3 Ls in S auf x = 2 Ls
Damit ist T (−0,755; 0; 0; 1,89). Die beiden in S verkürzt.
Ereignisse R und T, die in S gleichzeitig statt-
finden, treten in S zu verschiedenen Zeiten 10.3.2 Zeitdilatation
auf. Abbildung 10.4 zeigt das Minkowski-
Diagramm für dieses Beispiel. Nach der Lorentz-Transformation gilt für die
Zeitdifferenz in relativ zueinander bewegten
Systemen nach (10.4)
10.3 Relativistische Effekte
10.3.1 Längenkontraktion

Im System S ist der Abstand zweier Punkte, die


auf einer zur x-Achse parallelen Strecke liegen,
l = x2 − x1 . Im System S , das sich längs der x-
Achse mit der Geschwindigkeit bewegt, wird
der Abstand l = x2 − x1 gemessen. Die Ab-
stände transformieren sich nach der Lorentz-
Transformation (10.1) gemäß

l = x2 − x1 = γ x2 + t − γ x1 + t ,
l = γ x2 + γ t − γ x1 − γ t ,
Abb. 10.5 Längenkontraktion und Zeitdilatation im
l = γ x2 − x1 = γ l oder Minkowski-Diagramm
10.3 Relativistische Effekte 873

x2 x1
Δt = t2 − t1 = γ t2 − − γ t1 − . im Raumschiff, das sich mit etwa 28 000 km/h
c2 c2 um die Erde bewegte, je Tag um etwa 25,5 μs
Daraus folgt langsamer lief als die Vergleichsuhr der Bo-
denstation. Wenn nach der Zeitdilatation die
Uhren im System S langsamer als im Sys-
Δt = γ Δt − (x2 − x1 ) . (10.7)
c2 tem S laufen, ist es denkbar, dass bei Zwillin-
gen, von denen einer sich bei einem Raumflug
sehr schnell relativ zur Erde bewegt, er seinen
Wenn für einen ruhenden Beobachter in S
Bruder bei der Rückkehr um Jahre gealtert vor-
die Ereignisse gleichzeitig stattfinden, so ist
findet (Zwillingsparadoxon).
Δt = 0. Nach (10.7) sind für den bewegten Be-
Die Längenkontraktion und die Zeitdilatation
obachter in S die Ereignisse nicht gleichzeitig.
wurden durch Experimente mit Elementarteil-
Welches der beiden Ereignisse der Beobach-
chen bestätigt. In etwa 30 km Höhe entste-
ter früher oder später sieht, hängt vom Wert
hen μ-Mesonen, die eine Zerfallsdauer von
der Koordinaten x2 und x1 ab, da die Differenz
etwa tZ = 2 · 10−6 s aufweisen. Sie haben eine
x2 − x1 das Vorzeichen bestimmt. Finden zwei
Geschwindigkeit in der Größenordnung der
Ereignisse am gleichen Ort statt (x2 = x1 , d. h.
Lichtgeschwindigkeit ( ≈ c). Ohne relativis-
x2 − x1 = 0), dann gilt für (10.7)
tische Effekte können die μ-Mesonen nur den
Weg c tZ = 3 · 108 · 2 · 10−6 m = 600 m zu-
Δt rücklegen. Dennoch werden die μ-Mesonen
Δt = γΔt = 2 . (10.8)
1− auf der Erdoberfläche nachgewiesen (30 km
c entfernt). Dies kann sowohl durch die Län-
Bewegen sich zwei Beobachter mit ei- genkontraktion, als auch durch die Zeitdilata-
ner konstanten Geschwindigkeit relativ tion erklärt werden. Wegen der Mesonenge-
zueinander, dann erscheint das Zeitin- schwindigkeit von = 0,9998 c0 beträgt der
tervall Δt des Systems S vom System S relativistische Faktor γ = 50. Aufgrund der
aus betrachtet größer zu sein und umge- Längenkontraktion erscheint dem bewegten
kehrt. Dieser Effekt wird Zeitdilatation μ-Meson der Weg von 30 km tatsächlich auf
genannt. l = 30 · 103 · 0,02 m = 600 m verkürzt. Ver-
wendet man (10.8) für die Zeitdilatation, so
erscheint die Zerfallszeit von der Erde aus
Die Zeitdilatation ist ebenfalls im Minkowski- auf Δt = 2 · 10−6 / 0,02 s = 10−4 s gedehnt, so-
Diagramm (Abb. 10.5) zu erkennen. Liegt bei- dass die μ-Mesonen im Koordinatensystem
spielsweise im System S zwischen zwei Ereig- der Erde den Weg c Δt = 3 · 108 · 10−4 km =
nissen die Zeitspanne Δt = 2 s, so erscheint 30 km zurücklegen können.
diese einem Beobachter in S als Δt = 3 s und
umgekehrt. Beispiel
Die Zeitdilatation hat zur Folge, dass für zwei 10.3-1 Ein Raumfahrer besteigt im Alter von dreißig
Jahren ein sehr schnelles Raumschiff. Während er nach
gegeneinander bewegte Beobachter jeder fest-
seiner Zeitmessung fünf Jahre später wieder heim-
stellt, dass die Uhr des anderen nachgeht (Uh- kehrt, ist sein Zwillingsbruder bereits sechzig Jahre alt.
renparadoxon). Dies wurde beim deutschen Wie schnell muss der Raumfahrer fliegen, um diesen
Spacelab-Flug D-1 im Experiment Navex be- Zeitunterschied zu erzeugen? Wie groß ist die Zeitdi-
stätigt. Es stellte sich heraus, dass die Borduhr latation bei der Geschwindigkeit = 3 000 m/s?
874 10 Spezielle Relativitätstheorie

Lösung Seine Geschwindigkeit u im System S ergibt


Für die Zeitdilatation gilt nach (10.8) Δt = sich aus der Lorentz-Transformation ((10.1)
γΔt. Für Δt = 30 Jahre und Δt = 5 Jahre gilt: bis (10.4)). Demnach ist
30 a = γ · 5 a oder γ = 30/ 5 = 6. Daraus folgt
dx = γ dx + γ dt ,
1 dy = dy ,
2 =6
1− dz = dz ,
c
√ dt = γ dt + γ dx .
und somit / c = 25/ 36 ≈ 0,986 oder ≈ c2
0,986 c. Für die Geschwindigkeitskomponente ux gilt
Für = 3 000 m/s ist
dx γ dx + γ dt
1 ux = =
γ= 3 · 103 2 ≈ 1 ,
dt γ dt + γ 2 dx
c
1− dx
3 · 108
+

dx + dt dt
sodass dieser Effekt nicht beobachtet wird. = = .

dt + 2 dx dx
Das Zwillingsparadoxon ist nicht umkehrbar. c 1+ 2
c dt
Es könnte argumentiert werden, dass aus Sym-
metriegründen vom Standpunkt des fahren- Mit ux = dx / dt ergibt sich
den Astronauten aus der zurückbleibende Bru- ux +
der jünger sein sollte. Dieser Schluss ist nicht ux = .
1 + 2 ux
zulässig, weil das Problem an sich nicht sym- c
metrisch ist. Während der Zwilling auf der Auf dieselbe Weise ergibt sich für die y-
Erde in einem Inertialsystem bleibt, steigt der Komponente
Astronaut von einem System, das sich von der
Erde wegbewegt auf ein System um, das sich dy u
uy = = y
auf die Erde zubewegt. Wegen dieses Wechsels dt γ 1 + 2 ux
des Bezugssystems kann der fahrende Astro- c
naut nicht so argumentieren wie sein ruhender und Entsprechendes für die z-Komponente der
Zwilling. Geschwindigkeit u. Der komplette Satz der
Transformationsformeln lautet
10.3.3 Relativistische Addition
ux + ux −
der Geschwindigkeiten ux = ux = ,
1 + 2 ux 1 − 2 ux
c c
In einem System S , das sich mit der Geschwin-
digkeit in x-Richtung relativ zum System S uy u
uy = uy

= y ,
bewegt, laufe ein Punkt mit der Geschwindig- γ 1 + 2 ux γ 1 − 2 ux
keit c c
⎛ ⎞ uz uz
ux uz = uz

= .
⎜ ⎟ γ 1 + 2 ux γ 1 − 2 ux
u = ⎜ ⎟
⎝ uy ⎠ .
c c
(10.9)
uz
10.4 Relativistische Dynamik 875

Für kleine Systemgeschwindigkeiten ( << c) er Körper mit Kopplung betrachtet (Ab-


gehen (10.9) in die klassische Form der Galilei- schn. 2.7.3). Die Massen m der Körper seien
Transformation von Abb. 2.21 in Abschn. 2.4.1 gleich groß, ein Körper ruhe vor dem Stoß.
über. Es wird zwischen der Masse des ruhenden
Körpers m(0) und der des bewegten Körpers
Beispiel
m() unterschieden. Zunächst wird der Stoß
10.3-2 Im System S bewegen sich zwei Teilchen längs
der x-Achse mit den Geschwindigkeiten u1x = 0,9 c
im Koordinatensystem S beschrieben, in dem
und u2x = −0,9 c aufeinander zu. Wie groß ist die Ge- der Körper 1 die Geschwindigkeit u1 = (in
schwindigkeit des Teilchens 1 relativ zum Teilchen 2? x-Richtung) hat, der Körper 2 ist in Ruhe
(u2 = 0). Dann lautet der Impulserhaltungs-
Lösung satz
Das Teilchen 2 ruhe im System S (u2x = 0),
m() = [m() + m(0)]u . (1)
das sich seinerseits mit = −0,9 c längs der
x-Achse des Systems S bewegt. Die Geschwin- u ist die gemeinsame Endgeschwindigkeit der
digkeit u1x des Teilchens 1 im System S und Körper. Der gleiche Vorgang kann auch im Sys-
damit relativ zu Teilchen 2 ist nach (10.9) tem S beschrieben werden, das sich relativ
u1x − 0,9 c + 0,9 c
u1x = = zu S mit der Geschwindigkeit längs der x-
0,9 c
1 − 2 u1x 1 + 2 · 0,9 c Achse bewegt. In diesem System sind die Ge-
c c schwindigkeiten u1 = 0 und u2 = −. Der Stoß
1,80
= c = 0,9945 c . läuft völlig gleichartig wie im System S ab. Die
1,81
gemeinsame Endgeschwindigkeit ist in die-
Nach der klassischen Galilei-Transformation
sem Fall −u. Die beiden Endgeschwindigkeiten
wäre die Relativgeschwindigkeit die 1,8-
sind durch (10.9) miteinander verknüpft. Mit
fache Lichtgeschwindigkeit. Tatsächlich ist
ux = u und ux = −u resultiert aus (10.9)
nach (10.9) durch Geschwindigkeitsaddition
keine Geschwindigkeit größer als die Lichtge- −u +
u= u . (2)
schwindigkeit erhältlich, solange u ≤ c und 1− 2
≤ c ist. c
Gleichung (2) liefert für den klassischen
Grenzfall << c das Ergebnis u = / 2. Aus (1)
10.4 Relativistische Dynamik
und (2) folgt
Der Stoß zweier Körper in einem abgeschlos- m(0)
senen System verläuft unter Erhaltung des Ge- m() = .
2
samtimpulses. Da in diesem Fall nur wechsel- 1− 2
c
seitige Einflüsse und keine Einwirkung von
dritten Körpern oder Koordinatensystemen Die Masse m(0) = m0 wird als Ruhemasse des
auftreten, gilt der Impulserhaltungssatz auch Körpers bezeichnet. Damit gilt für die Masse
in relativistischen Systemen. Wie sich sofort eines Körpers mit der Geschwindigkeit
zeigt, ist dies allerdings nur möglich, wenn die
Masse eines Körpers nicht konstant ist, son- m0
m() = 2 = γ m0 . (10.10)
dern von seiner Geschwindigkeit abhängt.
Im Folgenden sei zur Berechnung der relati- 1−
c
vistischen Masse ein unelastischer Stoß zwei-
876 10 Spezielle Relativitätstheorie

Für die relativistische Kraft F ergibt sich wegen


Ein Körper mit der Ruhemasse m0 , der
F = dp/ dt ((2.24) in Abschn. 2.3.2)
sich mit der Geschwindigkeit relativ
zu einem Inertialsystem bewegt, erfährt
einen relativistischen Massenzuwachs. ⎛ ⎞
d ⎜⎜ m0

⎟ .
F = ⎝ (10.12)
Abbildung 10.6 zeigt den Massenzuwachs und dt ⎠
2
1−
die Längenkontraktion in Abhängigkeit von c
/ c. Es ist ersichtlich, dass ein Körper mit der
Masse m0 niemals Lichtgeschwindigkeit errei-
chen kann, weil er damit eine unendlich große Findet eine Relativbewegung mit der kon-
Masse bekäme und zu seiner Beschleunigung stanten Geschwindigkeit in x-Richtung statt,
eine unendlich große Beschleunigungsarbeit dann ergibt sich aus (10.12) für die Kraftkom-
erforderlich wäre. ponente in x-Richtung
Nach (10.10) gilt für den relativistischen Im-
puls m0 ax
Fx = 2 3/ 2 = m0 γ 3 ax . (10.13)
1−
m0 c
p = m() = 2 = γ m0 .
1−
c
(10.11) Die Größe ax ist die Beschleunigungskompo-
nente in x-Richtung. Für die Kraftkomponen-
ten
in y- und z-Richtung bleibt der Faktor
1 − (/ c)2 in (10.12) konstant, sodass gilt

m0 ay
Fy = 2 = m0 γ ay , (10.14)
1−
c
m0 az
Fz = 2 = m0 γ az . (10.15)
1−
c

Aus (10.13) bis (10.15) folgt, dass die Beschleu-


nigung, die eine bestimmte Kraft hervorruft,
davon abhängt, ob sie parallel oder senkrecht
zur momentanen Geschwindigkeit wirkt. Ins-
besondere ist i. Allg. die Beschleunigung nicht
parallel zur Kraft.

Abb. 10.6 Längenabnahme und Massenzunahme


Beispiel
nach der Lorentz-Transformation in Abhängigkeit des
10.4-1 Ein Elektron der Ruhemasse m0 =
Geschwindigkeitsverhältnisses / c
9,109 · 10−31 kg wird durch ein elektrisches Feld
10.4 Relativistische Dynamik 877

⎛ ⎞
−1 Wird ein Körper im System S in x-Richtung
⎜ ⎟
E = E0 ⎝ −1 ⎠ beschleunigt, dann muss folgende Beschleu-
0
nigungsarbeit geleistet werden: Für die Ver-
mit E0 = 105 V/m beschleunigt. Wie lautet der Vektor a schiebung längs des Weges dx ist die Arbeit
der Beschleunigung, wenn das Teilchen im betrachte- dW = Fx dx erforderlich. Mit (10.13) ergibt
ten Zeitpunkt a) ruht und b) die Geschwindigkeit sich
⎛ ⎞ dx
1
c⎜ ⎟
dW = m0 γ 3 ax dx = m0 γ 3 x dt
= ⎝ 0 ⎠ hat? dt
2
0 = m0 γ 3 x dx .
Der Index „x“ wird im Folgenden weggelas-
Lösung sen, da ohnehin nur x-Komponenten betrach-
Die Kraft beträgt immer tet werden. Die Gesamtarbeit bei der Beschleu-
nigung von der Geschwindigkeit = 0 auf
⎛ ⎞
1 beträgt
−14 ⎝
F = −E e = 1,602 · 10 N 1 ⎠ .
0 m0
W = 2 3/ 2 d .
a) Der relativistische Faktor ist γ = 1 für 0 1−
c
= 0. Damit ist nach (10.13) bis (10.15)
ax = Fx / m0 = 1,759 · 1016 m/s2 und ay = Nach Ausführung der Integration ergibt sich
1,759 · 1016 m/s2 . Der Beschleunigungsvek- m0
W = 2 2
2 c − m0 c .
tor lautet
⎛ ⎞ 1−
1 c
a = a0 1 ⎠
⎝ Dieser Ausdruck wird wie in der klassischen
0 Mechanik als kinetische Energie des Körpers
interpretiert:
mit a0 = 1,759 · 1016 m/s2 ; er ist parallel zum
Kraftvektor.
b) Der relativistische Faktor ist Ekin = m c2 − m0 c2 . (10.16)

1
γ= = 1,155 .
1 Für kleine Geschwindigkeiten << c geht
1− (10.16) in den klassischen Ausdruck für die
4
kinetische Energie über:
Die Beschleunigungskomponenten sind da- ⎛ ⎞
her ax = Fx / (m0 γ 3 ) = a0 /γ 3 = a0 / 1,54; ay =
⎜ ⎟
Fy / (m0 γ ) = a0 / 1,155. Damit beträgt der Be- =⎜
1 ⎟

2
Ekin 2 − 1⎠ m0 c
schleunigungsvektor
1−
⎛ ⎞ c
0,650
1 2 1
a = a0 ⎝ 0,866 ⎠ ; ≈ 1 + 2 − 1 m0 c2 = m0 2 .
2c 2
0
Gleichung (10.16) zeigt, dass die von einer äu-
er ist also nicht parallel zum Kraftvektor. ßeren Kraft an einem Massenpunkt geleistete
878 10 Spezielle Relativitätstheorie

Arbeit zu einer Massenänderung führt. Allge- wendung der relativistischen Beziehungen än-
mein lässt sich zeigen, dass für alle Energie- dert.
formen gilt: Zwischen Energie und Impuls eines Teilchens
folgt durch Kombination von (10.11) und
Jede Energiezufuhr ist mit einer Massen- (10.17)
zunahme verknüpft.
E2
p2 = − m20 c2 . (10.19)
c2
Die einzelnen Glieder in (10.16) können fol-
gendermaßen definiert werden:
Für das Photon mit der Ruhemasse m0 = 0
ergibt sich hieraus p = E/ c, oder, mit E = hf
E = mc2 (10.17) nach (6.135), p = hf / c = h/λ. (6.138)

Beispiel
ist die Gesamtenergie des Körpers, 10.4-2 Bei der Annihilation eines Elektrons (−e) und
eines Positrons (+e) verschwinden die beiden Teilchen
und es entsteht γ -Strahlung. Aufgrund des Impulser-
E0 = m0 c2 (10.18)
haltungssatzes entstehen zwei Photonen, die in ent-
gegengesetzter Richtung ausgesandt werden. Zu be-
rechnen sind die Energie und die Wellenlänge jedes
Photons.
ist die Ruheenergie.
Die kinetische Energie ist die Differenz aus
Gesamtenergie E und Ruheenergie E0 : Ekin = Lösung

E − E0 . Diese Ergebnisse wurden von Einstein Der Impulserhaltungssatz lautet: p1 = p2 oder


zum Prinzip der Äquivalenz von Masse und hf1 / c = hf2 / c und schließlich f1 = f2 = f .
Energie verallgemeinert: Der Energieerhaltungssatz lautet 2m0 c2 = 2hf .
Dies bedeutet, dass jedes Photon die Ruhe-
energie m0 c2 des Elektrons bzw. Positrons hat,
Jeder Körper mit der Masse m hat die also hf = 0,51 MeV.
Energie E = mc2 . Die Wellenlänge beträgt λ = h/ (m0 c) =
2,4 · 10−12 m. Falls das Elektron-Positron-Paar
Demzufolge stellt Materie eine Energieform bereits kinetische Energie hat, ist die Pho-
dar; Energie ist in Materie und Materie ist in tonenenergie größer als 0,51 MeV und die
Energie umwandelbar. Diese Prozesse werden Wellenlänge kleiner als 2,4 pm.
beispielsweise durch die Paarerzeugung (Elek-
tron und Positron) und die Annihilation (Zer-
strahlung von Materie und Antimaterie) ein- 10.5 Spezielle Relativitätstheorie
drucksvoll bestätigt. Die Elementarteilchen- in der Elektrodynamik
physik zeigt die völlige Symmetrie zwischen
Materie und Antimaterie (Abschn. 8.9). In 10.5.1 Elektrodynamische Kraft
Abschn. 4.3.5.1 ist beschrieben, wie sich die
Geschwindigkeit geladener Teilchen beim Die elektrostatische Kraft zwischen ruhenden
Durchlaufen einer Potentialdifferenz bei An- Ladungen und die magnetische Kraft zwischen
10.5 Spezielle Relativitätstheorie in der Elektrodynamik 879

bewegten Ladungen erhalten eine Verknüp- tral. Aufgrund der Lorentz-Kraft wird die La-
fung durch die Relativitätstheorie. Es lässt sich dung Q durch das Magnetfeld des Stroms vom
zeigen, dass ein rein elektrisches Feld in ei- Draht abgestoßen.
nem System S von einem Beobachter in S , das Das System S soll sich mit der Geschwindig-
sich relativ zu S bewegt, als elektrisches und keit = u längs des Leiters nach rechts bewe-
magnetisches Feld gesehen wird. Ebenso er- gen. In S ruhen die Ladung Q und die Elek-
hält ein rein magnetisches Feld durch Wechsel tronen des Leiters. Die positiven Ionen lau-
in ein bewegtes Koordinatensystem zusätzlich fen dafür nach links mit der Geschwindigkeit
ein elektrisches Feld. Elektrische und magneti- u = −u. Im Gegensatz zum System S ist in
sche Kräfte sind damit nur verschiedene Spiel- S der Draht aber elektrisch nicht neutral. In-
formen desselben physikalischen Phänomens, folge der Längenkontraktion ist nämlich der
der elektromagnetischen Wechselwirkung. Je Abstand zwischen den positiven Ionen kleiner,
nach Wahl des Koordinatensystems ist die der Abstand zwischen den negativen Elektro-
Wechselwirkung rein elektrisch, rein magne- nen größer als im System S. Dadurch wird die
tisch oder gemischt. Ladungsdichte Š+ > Š− , der Draht ist posi-
Zur Illustration soll nach Abb. 10.7 die Kraft tiv geladen. Zusätzlich zum Magnetfeld ent-
zwischen der Ladung Q und einem Leiter be- steht ein radial nach außen gerichtetes elek-
rechnet werden. Im System S ruht der Draht, trisches Feld, das die ruhende Ladung Q ab-
die Elektronen fließen mit der Geschwindig- stößt.
keit u nach rechts, die konventionelle Strom- Vom Standpunkt der Relativitätstheorie ist
richtung geht nach links. Die Ladung Q bewege klar, dass zumindest bei kleinen Geschwindig-
sich mit der Geschwindigkeit u ebenfalls nach keiten ( << c, γ ≈ 1) die Wechselwirkungs-
rechts. Der Draht ist insgesamt elektrisch neu- kraft unabhängig von der Wahl des Koordina-
tensystems sein muss. Die beiden Ausdrücke
für die Kraft, die in Abb. 10.7 angegeben sind,
können also gleichgesetzt werden:
μ0 I u2 Š+ AQ
Qu = 2 .
2πr c 2πε0 r
Mit I = Š+ uA ergibt sich ein Zusammenhang
zwischen den elektrischen und magnetischen
Feldkonstanten und der Lichtgeschwindigkeit:

1
c2 = . (10.20)
ε0 μ0

Die rein magnetische Kraft (Lorentz-Kraft)


Fmagn im System S ist mit der rein elektrischen
Kraft Fel im System S verknüpft durch

Fel = γ Fmagn . (10.21)


Abb. 10.7 Elektromagnetische Kraft
880 10 Spezielle Relativitätstheorie

10.5.2 Doppler-Effekt des Lichtes Wenn sich der Beobachter der Quelle nähert,
gilt
Beim Doppler-Effekt des Schalls (Ab-
schn. 5.2.3) müssen mehrere Fälle unter-
c+
schieden werden: Die Frequenzverschiebung f =f . (10.23)
ist jeweils anders für den Fall, dass der Beob- c−
achter im Übertragungsmedium Luft ruht und
die Quelle bewegt wird oder dass die Quelle
ruht und sich der Beobachter bewegt. Einstein Beispiel
folgerte aus dem Experiment von Michelson 10.5-1 Ein Flugzeug fliegt mit der Geschwindigkeit
und Morley, dass für Licht kein Übertragungs- = 300 m/s auf einen Radarsender der Frequenz f =
9 GHz zu. Wie groß ist die Frequenzänderung, die im
medium (Äther) existiert. Dies bedeutet, dass
Flugzeug gemessen wird?
man beim Doppler-Effekt des Lichts nicht die
oben erwähnten Fälle unterscheiden muss.
Die Frequenzänderung hängt lediglich von Lösung
der Relativgeschwindigkeit zwischen Quelle Da << c ist, kann (10.23) entwickelt werden:
und Beobachter ab. f ≈ f (1 + / c) = f (1 + 1 · 10−6 ). Die relative
Eine einfache Ableitung der Doppler-Formel Frequenzänderung beträgt Δf / f = (f − f )/ f =
ist möglich mit der Lichtquantenvorstellung. f / f − 1 = 10−6 . Die absolute Frequenzände-
Im System S werden Photonen der Energie rung ist Δf = 1 kHz.
E = hf emittiert. Im System S , das sich mit
Gleichungen (10.22) und (10.23) beschreiben
der Geschwindigkeit vom System S entfernt,
die Frequenzverschiebung beim longitudina-
sitzt ein Beobachter, der die Energie E = hf
len Doppler-Effekt, bei dem der Beobachter
der Photonen registriert. Werden die Photo-
sich längs der Lichtstrahlen bewegt. Bewegt
nen zunächst als materielle Teilchen angese-
sich der Beobachter mit der Geschwindigkeit
hen, dann ist ihre Energie bzw. ihr Impuls
senkrecht zu einem Lichtstrahl, dann wird der
in S: E = m(u)c2 , p = m(u)u , transversale Doppler-Effekt beobachtet. In die-
in S’: E = m(u )c2 , p = m(u )u . sem Fall beträgt die beobachtete Frequenz
Die Geschwindigkeiten transformieren sich
2
nach (10.9):
f
=f 1− . (10.24)
u + c
u= .
u
1+ 2
c Dieser Ausdruck entspricht der Zeitdilatation
Aus diesen Gleichungen folgt nach einigen von (10.8), nach der bewegte Uhren langsamer
Umformungen E = (E +p )γ . Wird jetzt spezi- laufen. In der klassischen Wellenlehre gibt es
ell für Photonen E = hf , E = hf und p = E / c keinen transversalen Doppler-Effekt.
eingesetzt, dann ergibt sich hf = hf (1 + / c)γ
oder für die Frequenz im System S Zur Übung
Ü 10-1 Ein Studierender der Ingenieurwissenschaften
hat diesen Abschnitt des Buches studiert und findet
c−
f
=f . (10.22) die Lorentz-Kontraktion für eine Schlankheitskur ge-
c+ eignet. Wie groß müsste seine Geschwindigkeit sein,
damit er ruhenden Betrachtern nur noch drei Viertel
10.5 Spezielle Relativitätstheorie in der Elektrodynamik 881

so dick erscheint? Kann er sich, was den Massenzu- weitere lichtgesteuerte Zugtür angebracht werden, da-
wachs betrifft, darüber freuen? mit der Beobachter B am Bahnsteig ein gleichzeitiges
Öffnen beider Türen feststellt?
Ü 10-2 Ein Proton der Ruhemasse mpo und der Ge-
schwindigkeit = 0,75 c stößt mit einem ruhenden Ü 10-4 Ein Autofahrer fährt mit = 100 km/h auf
Proton zusammen. Nach einem vollkommen unelas- ein Verkehrsradargerät zu. Der am Auto reflektierte
tischen Stoß entsteht ein neues Teilchen der Ruhe- Radarstrahl wird mit einem Detektor unmittelbar ne-
masse m0 . Wie groß ist m0 , und welche Geschwin- ben dem Sender nachgewiesen. Wie groß ist die Fre-
digkeit u hat das neue Teilchen (keine Energieabgabe quenz fE des Empfangssignals, wenn das Sendesignal
nach außen)? die Frequenz fS = 9 GHz hat? Wie groß ist die Schwe-
bungsfrequenz, wenn die beiden Signale überlagert
Ü 10-3 Ein Einstein-Zug der Länge l = 2 · 106 km werden?
und der Geschwindigkeit = 240 000 km/s hat Türen
im ersten und letzten Wagen, die sich bei Lichteinfall Ü 10-5 Um wie viel verringert sich die Masse eines
automatisch öffnen. In der Mitte des Zuges befindet Kernreaktors in einem Jahr, wenn ohne Unterbrechung
sich ein Fahrgast A. Sobald die Zugmitte den am die konstante Leistung P = 500 MW abgegeben wird?
Bahnsteig stehenden Beobachter B passiert, wird
im Zuginnern von A ein Lichtsignal ausgesandt. In Ü 10-6 Wie groß ist die Masse eines Elektrons, das
welchen zeitlichen Abständen öffnen sich für A und auf die kinetische Energie Ekin = 30 GeV beschleunigt
B die Zugtüren? Wie weit von A entfernt müsste eine wird und wie groß ist seine Geschwindigkeit?
Kapitel 11
Anhang 11

E. Hering et al., Physik für Ingenieure,


DOI 10.1007/978-3-642-22569-7, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
11 Anhang 885
11.1 Lösungen der Übungsaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 885
11.2 Nobelpreisträger der Physik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 973

11
11 Anhang

11.1 Lösungen der Übungsaufgaben

1. Einführung

Ü 1.3-1: Die für die Aufgabe relevanten Glei- 2,08. Damit wird die Messunsicherheit
chungen sind in Tab. 1.6 zusammengestellt. uz = ΔT t0,95 = 0,0072 s. Das Endergebnis
lautet somit T0,95 = (1,2116 ± 0,0072)s.
a) Der wahrscheinlichste Wert der Schwin-
gungsdauer T ist der arithmetische Mittel- Ü 1.3-2:
wert a) Der wahrscheinlichste Wert der Wärme-
1
N leitfähigkeit λ berechnet sich aus den Mit-
T = Ti = 1,2116 s . telwerten der Messgrößen:
N i=1
Φs W
b) Die minimale Fehlersumme beträgt λ= = 0,575 .
a b T2 − T1 m·K

N
= = 0,007136 s2 .
2
FSmin Ti2 − N T b) Die Standardabweichung des Mittelwerts
i=1 der Wärmeleitfähigkeit beträgt
Daraus folgt für die Standardabweichung Δλ = sλ
des Messverfahrens

2


∂λ ∂λ 2
sT =
FSmin
= 0,0172 s .
ΔΦ + Δs
N−1
∂Φ 2 ∂s 2

∂λ ∂λ
c) Die Standardabweichung des arithmeti- =


+ Δa + Δb

∂a 2 ∂b 2
schen Mittelwerts beträgt

∂λ ∂λ
sT + ΔT 2 + ΔT 1
sT = ΔT = √ = 0,00345 s . ∂T2 ∂T1
N
Die Ableitungen sind:
d) Wenn eine statistische Sicherheit von 95%
∂λ s λ
verlangt wird, beträgt der t-Faktor nach = =
der Interpolationsformel von Tab 1.7 für ∂Φ a b (T2 − T1 ) Φ
nW = N − 1 = 24 Wiederholungen t0,95 = = 0,03592 m−1 K−1 ,
M. Stohrer, E. Hering, R. Martin, Physik für Ingenieure.
DOI 10.1007/978-3-642-22569-7_11 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
886 11 Anhang

∂λ Φ λ Ü 1.3-3: Die Funktion Uth = a1 ϑ + a2 ϑ2 wird


= =
∂s a b (T2 − T1 ) s im Folgenden geschrieben als y = a1 x + a2 x2 .
= 7,1829 W m−2 K−1 , Die Bedingung, dass die Fehlersumme mini-

mal wird, FS = (yi − a1 xi − a2 x2i )2 = Min!,
führt zu folgenden Normalgleichungen:
∂λ Φs λ
=− 2 =− a1 x2i + a2 x3i = xi yi (1)
∂a a b (T2 − T1 ) a
= −1,1493 W m K ,
−2 −1 a1 x3i + a2 x4i = x2i yi . (2)

Die Koeffizienten-Determinante ist


2
∂λ Φs λ Δ= x2i x4i − x3i .
=− 2 =−
∂b a b (T2 − T1 ) b
Die gesuchten Koeffizienten werden damit
= −1,2519 W m K ,
−2 −1

xi yi x4i − x2i yi x3i
a1 =
Δ
∂λ Φs λ mV
=− =− = 3,919 · 10−2 ◦ und
∂T2 a b (T2 − T1 )2 T2 − T1 C
2 2
= −0,06385 W m−1 K−2 xi xi yi − xi yi x3i
a2 =
Δ
und mV
= 3,338 · 10−5 ◦ 2 .
∂λ Φs λ C
=+ = Die Standardabweichung der y-Werte wird in
∂T1 a b (T2 − T1 )2 T2 − T1
Anlehnung an (1.7) berechnet gemäß
= 0,06385 W m−1 K−2 .
FSmin (yi − a1 xi − a2 x2i )2
sy = =
Damit ergibt sich Δλ = sλ = 0,0122 m·K
W
. N−2 N −2
c) Der absolute Größtfehler der Wärmelei- = 6,037 · 10−3 mV .
tung ist
Der Fehler in a1 rührt her von den Fehlern der

∂λ ∂λ ∂λ Messgrößen yi . Daher gilt nach dem Fehler-
Δλmax = ΔΦ + Δs + Δa +
∂Φ ∂s ∂a fortpflanzungsgesetz (1.12)

∂λ ∂λ ∂λ

ΔT .
∂a1 2 ∂a1 2
+ Δb + ΔT +

∂b ∂T2 2 ∂T1 1
s +
∂y1 y
s +…+
∂y2 y
sa1 =



∂a1 2
Mit den bereits berechneten Ableitungen + s
ergibt sich
∂yN y

x4i
Δλmax = 0,0259
W oder sa1 = sy .
m·K
. Δ
In gleicher Weise folgt für die Standardabwei-
Der relative Größtfehler beträgt
chung von a2 :

Δλmax x2i
= 4,5% . sa2 = sy .
λ Δ
11.1 Lösungen der Übungsaufgaben 887

Mit unseren Werten ergibt sich Funktion beschrieben: y = a0 + a1 x. Mit den


sa1 = 6,24 · 10−5 mV/◦ C in Abb. 1.8 angegebenen Beziehungen ist die
und sa2 = 6,58 · 10−7 mV/◦ C2 . Koeffizienten-Determinante
Der t-Faktor ist nach Tab.1.7 für nW = N − 2 = 2
15 Wiederholungsmessungen t0,68 = 1,04. Δ=N x2i − xi ,
Damit wird die Messunsicherheit
sa mV
uz,a1 = t0,68 √ 1 = 1,6 · 10−5 ◦ der Ordinatenabschnitt
N C 2
xi yi − xi xi yi
und a0 =
s mV Δ
uz,a2 = t0,68 √a2 = 1,7 · 10−7 ◦ C2
.
N und die Geradensteigung
Die zu bestimmenden Konstanten lauten so-
mit: a1 = (39,191 ± 0,016) · 10−3 mV/◦ C und a1 =
N xi yi − xi yi
.
a2 = (33,38 ± 0,17) · 10−6 mV/◦ C2 . Δ
Es ergeben sich folgende Werte in Abhängig-
keit von der Außenlufttemperatur bzw. der
äquivalenten Außentemperatur:

Ü 1.3-4: Die Heizleistung y wird in Abhängig-


keit von der Temperatur x mit einer linearen

Außenlufttemperatur äquivalente Außentemperatur

a) Koeffizienten der linearen Regression


a0 = 84,07 kW a0 = 82,68 kW
a1 = −3,20 kW/◦ C a1 = −5,79 kW/◦ C
b) Korrelationskoeffizient nach (1.21b)
r = 0,45 r = 0,93
kein linearer Zusammenhang enger Zusammenhang
c) Standardabweichungen

x2i
sy = FSN−2
min , s
a0 = s y Δ , sa1 = sy Δ
N

sa0 = 5,52 kW sa0 = 1,48 kW


sa1 = 1,63 kW/◦ C sa1 = 0,61 kW/◦ C
d) Der t-Faktor bei nW = N − 2 = 15 Wiederholungsmessungen beträgt nach Tab. 1.7 t0,68 = 1,04.
Damit wird die Messunsicherheit uz,a = t0,68 √sa
N
a0 = (84,07 ± 1,39)kW a0 = (82,68 ± 0,37)kW
a1 = (−3,20 ± 0,41)kW/◦ C a1 = (−5,79 ± 0,15)kW/◦ C
888 11 Anhang

2. Mechanik

Ü 2.2-1: d) Der Weg entspricht der Fläche im (t)-


Diagramm. Für 0 ≤ t ≤ 2 s gilt s(t) =
2 a t = 0,5 s2 t . Für 2 s < t < 4 s gilt
1 2 m 2
a)
s(t) = s0 + 0 (t − t0 ) = 2 m + 2 ms (t − 2 s).
Für 4 s ≤ t ≤ 5 s gilt s(t) = s0 + 0 (t − t0 ) +
2 a(t−t0 ) = 6 m+2 s (t−4 s)−1 s2 (t−4 s) .
1 2 m m 2

Der insgesamt zurückgelegte Weg ist


s(5 s) = 7 m. Er entspricht der Gesamtflä-
che unter der (t)-Kurve.

Ü 2.2-2:
a)

b) Durch punktweises Bestimmen der Stei-


gung entsteht die a(t)-Kurve:

b) Die Geschwindigkeit hängt im Falle der


konstanten Beschleunigung linear von der
Zeit ab: = a t = 1 m s−2 t für 0 ≤ t ≤ 2 s.
Für 2 s < t < 4 s bleibt die Geschwindig-
keit konstant = 2 m/s. Für 4 s ≤ t ≤ 5 s Die Steigung des (t)-Diagramms zur Zeit
liegt ein Bremsvorgang vor. Die Geschwin- t1 = 4 s beträgt a = 2,1 m/s2 . Die Tangente
digkeit variiert gemäß (t) = 0 −a (t−t0 ) = ist im Diagramm eingezeichnet.
2 ms −2 sm2 (t−4 s). Die maximale Geschwin- c) Werden im (t)-Diagramm die Punkte
digkeit ist max = 2 m/s. durch Geraden verbunden und die Flä-
c) Am Ende des Vorgangs ist (5 s) = 0. Dies chen der Trapeze unter diesem Polygon-
sieht man auch aus dem a(t)-Diagramm. zug ermittelt, so ergibt sich ein Weg von
Die Gesamtfläche ist null. s(5 s) = 8,7 m, der allerdings etwas zu groß
11.1 Lösungen der Übungsaufgaben 889

ist. Nach Aufzeichnen auf Millimeterpa- Ü 2.2-5:


pier und manuellem Auszählen der Ka-
a) Bei gleichmäßiger Beschleunigung wächst
ros wurde eine Fläche von s(5 s) ≈ 8,2 m
die Geschwindigkeit mit der Zeit linear an:
ermittelt. Mit Hilfe von Excel wurde an
(t) = 1 + a t und 2 = 1 + a Δt. Der zu-
die Messpunkte ein Polynom vierten Gra-
rück gelegte Weg Δs in der Zeit Δt kann am
des angepasst, das folgendermaßen lau-
einfachsten aus der mittleren Geschwin-
tet: (t) = 8,333 · 10−3 t4 − 3,333 · 10−2 t3 +
digkeit berechnet werden:
1,917 · 10−1 t2 + 3,333 · 10−2 t. Durch Inte-
1 + 2
gration dieses Ausdrucks folgt für den Weg Δs = Δt = Δt .
s(5 s) = 8,4 m. 2

Ü 2.2-3: Die Wurfparabel für den waagrech- Daraus folgt für die Zeitspanne
ten Wurf entsteht durch Überlagerung einer 2 Δs
Bewegung mit konstanter Geschwindigkeit in Δt = = 66,5 s .
1 + 2
x-Richtung und einer Fallbewegung mit kon-
stanter Beschleunigung in y-Richtung. Ent- b) Die Tangentialbeschleunigung ist
sprechend lautet der Vektor der Beschleuni- Δ 2 − 1 m
atan = = = 0,293 2 .
gung

Δt Δt s
0 0
a= , der Geschwindigkeit = c) Mit dem in Tab. 2.1 dargestellten Zusam-
−g −gt menhang zwischen Tangentialbeschleuni-

0 t gung und Winkelbeschleunigung ergibt
und der Ortsvektor r = .
h − 12 gt2 sich
Die Fallzeit tF bestimmt sich aus der Forde- a rad
rung, dass die y-Komponente des Ortsvektors α = tan = 1,46 · 10−4 2 .
r s
null wird: y(tF ) = 0 = h − 12 gtF2 . Daraus folgt
d) Die Zentripetalbeschleunigung ist
tF = 2hg = 0,391 s.
In dieser Zeit wurde in x-Richtung der Weg 2
azp = rω2 = .
s = 0,40 m = 0 tF zurück gelegt. Dies ergibt r
die Geschwindigkeit 0 = 1,02 m/s. Damit wird
Ü 2.2-4: Im Fall konstanter Winkelbeschleu- 21 m
nigung (-verzögerung, α < 0) gilt für die azp,1 = = 0,0347 und
r s2
Winkelgeschwindigkeit ω(t) = ω0 + α t und 22 m
für den Drehwinkel ϕ(t) = ω0 t + 12 α t2 . Am azp, 2 = = 0,386 2 .
r s
Ende des Bremsvorganges (Zeitpunkt tf ) gilt
ω(tf ) = 0 = ω0 + α tf und N · 2π = ω0 tf + Ü 2.2-6:
2 α tf . Die Auflösung der beiden Gleichun-
1 2
a) Die Winkelgeschwindigkeit folgt aus der
gen für die beiden Unbekannten α und tf lie- Periodendauer gemäß
fert
2π rad
ω2 π n2 rad ωE = = 7,29 · 10−5 .
a) α = − 0 = − 0 = −34,2 2 und TE s
4N π N s b) Der Vektor ωE verläuft parallel zur
ω0 2N Erdachse (Drehachse) von Süden nach
b) tf = − = = 4,29 s.
α n0 Norden.
890 11 Anhang

c) Die Umfangsgeschwindigkeit ist das Pro- eine Kreisbewegung, wenn eine in Rich-
dukt aus Winkelgeschwindigkeit und Ab- tung Zentrum wirkende Kraft vorhanden
stand r von der Drehachse: ist, die Zentripetalkraft.

= r ω = Rω cos ϕ .

Für den Äquator gilt (0) = 465 m/s. In


Stuttgart ist (48◦ 41 ) = 307 m/s.
d) Die Zentripetalbeschleunigung ist

azp = r ω2 = R ω2 cos ϕ . b) Die Haftreibungskraft FH zwischen


Gummi und Scheibe spielt hier die Rolle
Am Äquator gilt azp (0) = 0,0339 m/s2 , in der Zentripetalkraft.
Stuttgart azp (48◦ 41 ) = 0,0224 m/s2 . c) Stabilität ist gegeben für FH = m g μH ≥
m r1 ω2 . Wenn der Radierer rutschen soll,
Ü 2.3-1:
muss gelten
a) An den beiden Körpern zieht jeweils ihre
g μH
Gewichtskraft m1 g bzw. m2 g nach unten. ω> .
r1
Der Faden erfährt also zwei entgegenge-
setzt gerichtete Kräfte. Die resultierende Für die Grenzdrehzahl gilt
Kraft ist Fres = FG, 2 − FG, 1 = (m2 − m1 ) g.
1 g μH
Diese Kraft beschleunigt das gesamte Sys- n1 = = 1,58 s−1 = 94,6 min−1 .
2π r1
tem. Also gilt nach Newton: Fres = mges a
oder (m2 − m1 ) g = (m2 + m1 ) a. Daraus d) Der Stabilitätsbereich ist gegeben durch
folgt g μH
r≤ = 9,13 cm .
m2 − m1 4π2 n22
a= g.
m1 + m2 Ü 2.3-3:
b) Zur Bestimmung der Fadenkraft wird bei- a) Wenn die Geschosse in den Holzklotz ein-
spielsweise Körper 1 betrachtet. An ihm dringen, gibt es jedes Mal eine große Kraft-
greift nach oben die Fadenkraft FF an und spitze. Ersetzt man nun die im zeitlichen
nach unten die Gewichtskraft FG,1 = m1 g. Abstand T = 1/ 6 s auftretenden Kraftstöße
Die resultierende Kraft wirkt nach oben durch eine gleichmäßige mittlere Kraft,
und beschleunigt ihn mit der bereits be- so kann man sich vorstellen, dass diese
kannten Beschleunigung a. Demnach gilt mittlere Kraft jeweils in der Periodendauer
nach Newton: Fres = FF − m1 g = m1 a, oder T die Geschwindigkeit eines Geschosses
FF = m1 (g+a). Wird a von oben eingesetzt, gleichmäßig auf null abbremst. Damit ist

folgt für die Fadenkraft die mittlere Beschleunigung am = und
T
2 m1 m2 die mittlere Kraft
FF = g. m
m1 + m2 Fm1 = m am = = 120 N .
T
Ü 2.3-2:
b) Nach actio = reactio gilt für das Gewehr
a) Die Gewichtskraft FG wirkt senkrecht nach dasselbe wie für den Holzklotz, also ist
unten. Der Radiergummi macht nur dann Fm2 = Fm1 . Vektoriell gilt F m2 = −F m1 .
11.1 Lösungen der Übungsaufgaben 891

c) Wenn die Kugeln wieder mit einem Zehn- oben. Die resultierende Kraft ist verant-
tel ihrer Geschwindigkeit abprallen, ist die wortlich für die Beschleunigung des Mit-
mittlere Beschleunigung größer als in a), fahrers. Also gilt nach Newton:
nämlich Fres= mM g − FBoden = mM a oder
+ 0,1 · FBoden = mM (g − a) = 681,5 N .
am = = 1,1 .
T T Nach actio = reactio drückt der Mitfahrer
Die mittlere Kraft wird jetzt auch um 10 % mit derselben Kraft auf den Boden. Wenn
größer als bei a), nämlich Fm = 132 N. er auf einer Waage stünde, würde diese die
FBoden
Ü 2.3-4: Wenn der Körper nach Süden be- Masse mscheinbar = = 69,5 kg anzei-
g
schleunigt wird, wirkt die resultierende Kraft gen.
F res = F 1 +F 2 +F 3 ebenfalls nach Süden, bzw. in c) Nach einer Fallhöhe von h = 15 m hat
einem kartesischen x, y-Koordinatensystem in die Kabine
√ die Geschwindigkeit (Abb. 2.6)
Richtung der negativen y-Achse. Ihr Betrag ist = 2 a h = 4,66 m/s. Um diese Ge-
Fres = m a = 2 N. In vektorieller Schreibweise schwindigkeit innerhalb des Bremsweges
gilt damit s = 20 cm auf null abzubremsen ist die
mittlere Beschleunigung
0 0 2N F3, x 2 m
= + + am = = 54,2 2
−2 N 3N 0 F3, y 2s s
nach oben erforderlich. Diese wird auf-
−2 N
oder F 3 = . gebracht von der resultierenden Kraft aus
−5 N
Gewichtskraft nach unten und Bodenkraft
Der Betrag der Kraft ist nach oben:
√ Fres = FBoden − mM g = mM am .
F3 = |F 3 | = 4 + 25 N = 5,39 N .
Die mittlere Kraft in den Beinen ist die Ge-
Sie weist in den dritten Quadranten des Koor- genkraft zur Bodenkraft. Also gilt
dinatensystems. Der Winkel zur positiven x-
h
Achse beträgt Fm = mM (g + am ) = mM g + a
s
5
ϕ = arctan = 68,2◦ + 180◦ = 248,2◦ . = 4 802 N .
2
Dies ist das 6,5-fache seiner Gewichtskraft.

Ü 2.3-5: Ü 2.3-6: Die Resultierende aus Seil- und Ge-


wichtskraft beschleunigt die Last nach oben:
a) Im reibungsfreien Fall und ohne Be- Fres = FSeil − FG = m a. Damit ist die Beschleu-
rücksichtigung der Seiltrommel und der nigung
Seilmasse gelten die Ausführungen von FSeil − FG
Ü 2.3-1. Damit ist die Beschleunigung a= .
m
mA + mM − mG m FG
a= g = 0,723 . Mit m = wird die maximale Beschleuni-
mA + mM + mG s2 g
gung
b) Am Mitfahrer greifen zwei Kräfte an: die
Fmax − FG F m
Gewichtskraft nach unten und die Kraft amax = = max − 1 g = 2,45 2 .
vom Kabinenboden auf seine Beine nach FG / g FG s
892 11 Anhang

Ü 2.4-1: Die Zentrifugalkraft zieht senkrecht der Erdachse und weist nach außen. Der Be-
zur Erdachse nach außen und beträgt un- trag ist wieder aC = 2ωE .
abhängig von der Geschwindigkeit des Kör- Ü 2.4-3:
pers (Ü 2.2-6) Fzf = m r ω2 = m R cos ε ω2E =
a) Das Lot hängt in Richtung g eff (Abb. 2.23).
0,218 N. Die Geschwindigkeit des fallenden
Für den Winkel β zwischen g eff und g gilt
Körpers weist näherungsweise in Richtung
nach dem Sinus-Satz
Erdmittelpunkt (s. Ü. 2.4-3). Die Winkelge-
schwindigkeit ωE liegt parallel zur Erdachse. sin β sin ε
= .
Damit weist die Coriolis-Kraft F C = 2m × ωE azf geff
nach Osten (in die Zeichenebene hinein). Damit ist
Sie beträgt FC = 2m ωE sin(90◦ + ε) =
azf rE ω2E
2m ωE cos ε = 0,0937 N. sin β = sin ε = cos ε sin ε
geff geff
und β = 0,0975 ◦ .
b) Die Kugel wird nach Osten abgelenkt, wie
in Ü 2.4-1 erläutert. Die Ablenkung kann
folgendermaßen bestimmt werden: Wäh-
rend des Falls wirkt die Coriolis-Kraft
in Richtung Osten (positive x-Richtung),
wenn man vernachlässigt, dass sie sich
ein klein wenig dreht. Ihr Betrag ist FC =
2m ωE cos ε. Für die Fallgeschwindigkeit
gilt = g t. Damit erfährt der Körper eine
Beschleunigung
FC
aC = = 2 g ωE cos ε · t
m
Ü 2.4-2: Die Coriolis-Beschleunigung ist aC = nach Osten, d. h. in x-Richtung. Die x-
2ωE × ; dabei ist ωE die Winkelgeschwindig- Ablenkung ergibt sich durch zweifache In-
keit der Erde und die Geschwindigkeit des tegration: x = g ωE cos ε t2 ,
Flugzeugs relativ zur Erde. 1
Flug nach Norden: hat die Richtung eines x = g ωE cos ε t3 .
3
Meridians. Die Coriolis-Beschleunigung aC
weist damit nach Westen. Der Betrag ist aC = Der Ortsvektor der Bahnkurve lautet somit
1
2ωE sin ε. Dieser Fall ist in Abb. 2.24 darge- g ωE cos ε t3
r(t) = 3 .
stellt. h − 12 g t2
Flug nach Süden: aC weist in Richtung Osten,
Am Ende des freien Falls ist die Ablenkung
der Betrag ist wieder aC = 2ωE sin ε.
Flug nach Osten: ωE und stehen senkrecht 1
x(tF ) = g ωE cos ε tF3 ≈ 5 mm
aufeinander. Der Vektor aC weist ins Erdin- 3
nere, er steht senkrecht auf der Erdachse. Der mit der Fallzeit
Betrag ist aC = 2ωE .
2h
Flug nach Westen: ωE und stehen senkrecht tF = = 3,19 s .
aufeinander. Der Vektor aC steht senkrecht auf g
11.1 Lösungen der Übungsaufgaben 893

Ü 2.5-2: Das Auto fährt einen Drittelskreis um


den Mittelpunkt M. Die Geschwindigkeit zu
Beginn der Kurvenfahrt sei

1
1 = ,
0

am Ende der Kurvenfahrt



cos 120◦ −1/ 2
2 = = √ .
sin 120◦ 3/ 2

Die Impulsänderung ist



−3/ 2
Δp = p2 − p1 = m (2 − 1 ) = m √ .
3/ 2
Ü 2.4-4: Die Kräfte F 1 und F 2 , die von den bei-
den benachbarten Gliedern auf das betrachtete Für den Betrag gilt
Kettenglied ausgeübt werden, verlaufen tan- √
Δp = m 3 = 24,06 · 103 N s .
gential zum Kreis (Abb. 2.25). Die Zentrifu-
galkraft greift am Schwerpunkt des Ketten- Der Winkel bezüglich der x-Achse ist
glieds an und zieht radial nach außen. Nach √
d’Alembert besteht Gleichgewicht, wenn die 3
Vektorsumme aus F 1 und F 2 sowie der Zentri- ϕ = arctan + 180◦ = 150◦ .
−3
fugalkraft F zf null ist: F 1 + F 2 + F zf = 0. Nach
Abb. 2.25 bedeutet dies, dass die drei Kräfte
ein geschlossenes Krafteck bilden müssen.
Der Winkel β zwischen den Kräften F 1 und F 2
ergibt sich aus der Kettengeometrie. Aus der
Ähnlichkeit der Dreiecke folgt
d Fzf
= oder
R F1
R R2
F1 = F2 = Fzf = m (2 π n)2 = 574 N .
d d
Ü 2.5-1:
a) Die Impulsänderung entspricht nach
(2.46) dem Zeitintegral der Kraft oder der
mittleren Kraft multipliziert mit der Zeit-
Ü 2.5-3: Wenn der Koordinatennullpunkt in
dauer der Einwirkung. Damit ist der Im-
den Mittelpunkt der Erde gelegt wird, gilt
puls am Ende der Kontaktzeit p = F t =
nach (2.51) für den Ortsvektor des Schwer-
0,5 N s. Die Geschwindigkeit ist = p/ m =
punkts
0,25 m/s.
b) Die mittlere Beschleunigung ist am = / t = rS =
mM
r E, M .
50 m/s2 . mE + mM
894 11 Anhang

Der Schwerpunkt liegt also auf der Verbin- Ü 2.6-1:


dungslinie der Schwerpunkte von Erde und
a) Unter Vernachlässigung der Luftreibung
Mond. Sein Abstand vom Erdmittelpunkt ist
folgt die Endgeschwindigkeit beim freien
mM
RS = RE, M = 0,01215 · RE, M Fall unmittelbar aus dem Energieerhal-
mE + mM tungssatz: −ΔEpot = ΔEkin oder mg h =
= 4 617 km . 2 m 0 . Hieraus ergibt sich 0 =
1 2
2g h.
b) Wenn die Kugel nachher wieder auf die
Der gemeinsame Schwerpunkt liegt mit RS = Höhe h1 steigt, muss analog zu a) die
4 617 km = 0,725RE also noch innerhalb der Startgeschwindigkeit 1 = 2g h1 =
Erdkugel. √
2g h · 0,9 = 0,9 0 = 0,95 0 sein.
Ü 2.5-4: Unter der Voraussetzung, dass der c) Die Impulsänderung ist Δp = p1 − p0 =
Uran-Kern vor dem Zerfall in Ruhe ist, ist der −0,95 · m 0 − m 0 = −1,95 · m 0 .
Gesamtimpuls des Systems null. In Abwesen- d) Die kinetische Energie beträgt vor dem
heit äußerer Kräfte gilt der Impulserhaltungs- Aufprall Ekin, 0 = 12 m 20 und nach dem Auf-
satz, d. h. es muss gelten: pTh + pα = pU = 0 prall
oder pTh = −pα . Für die Geschwindigkeiten
ergibt sich damit Th mTh = −α mα oder 1 1
Ekin, 1 = m 21 = m 20 · 0,9 .
2 2
mα 4
Th =− α =− α . Der Verlust an mechanischer Energie ist
mTh 234
damit
Der Betrag der Geschwindigkeit ist
1
Th = 2,4 · 105
m
.
Ev = Ekin, 0 − Ekin, 1 = m 20 (1 − 0,9)
2
s
= 0,1 · Ekin, 0 .
Ü 2.5-5: Bei einem Start auf der Erdoberfläche
gilt für die Brennschluss-Geschwindigkeit nä- Es wurde demnach
herungsweise (Vernachlässigung der Höhen-
Ev
abhängigkeit von g sowie des Luftwiderstands) f = = 10%
nach (2.60) Ekin, 0

mleer + mT in nicht mechanische Energieformen um-
(tB ) = rel ln − g0 tB .
mleer gesetzt.

Die Masse des erforderlichen Treibstoffes wird


damit

(tB ) + g0 tB
mT = mleer exp −1
rel
= 19,6 · 103 kg = 19,6 t .
Beim Start im Weltall fällt die Erdbeschleuni-
gung g0 weg und es verbleibt

(tB )
mT = mleer exp − 1 = 12,9 t .
rel
11.1 Lösungen der Übungsaufgaben 895

Ü 2.6-2: Beim Zusammendrücken der Feder s


wird die Arbeit W = 12 k (Δy)2 benötigt, die Ekin = Eelast = F(x) dx .
als potenzielle Energie im System steckt (Zu- 0

stand 1). Wenn die Kugel ihre größte Höhe Mit dem Kraftgesetz F(x) = k x = k1 x + k2 x3
erreicht hat (Zustand 2), muss sie dieselbe po- wird das Integral
tenzielle Energie besitzen, also ist 12 k (Δy)2 =
s
m g h. Daraus folgt für die Steighöhe
Ekin = (k1 x + k2 x3 ) dx
k (Δy)2
h= = 2,87 m . 0

2m g 1 2 1 4 s 1 1
= k1 x + k2 x = k1 s2 + k2 s4 .
Bezüglich der ungespannten Feder ist die 2 4 0 2 4
Steighöhe h = h − Δy = 2,72 m. Durch Auflösen der biquadratischen Glei-
chung
1 4 1 2
k2 s + k1 s − Ekin = 0
4 2
folgt für den Federweg

k k1 2 4Ekin
s2 = − +
1
+
k2 k2 k2
= 2,606 · 10−4 m2 und s = 1,61 cm .
Ü 2.7-1: Wegen der Abwesenheit äußerer
Kräfte gilt der Impulserhaltungssatz:
m
m = .
2
Ü 2.6-3:
Damit wird die Geschwindigkeit der weiter
a) Nach Abb. 2.34 ist die erforderliche Arbeit fliegenden Rakete = 2.
W12 = 12 k (l22 −l12 ). Sie entspricht der grauen
Fläche im Kraft-Weg-Diagramm, die sich
als Trapezfläche sehr einfach aus der mitt-
leren Höhe F1 + ΔF / 2 und der Breite Δl
berechnen lässt:
Ihre kinetische Energie ist
ΔF
W12 = F1 + Δl = 13 J . 1 m 2
2 Ekin = = m 2 .
2 2
b) Die Gesamtenergie ist Eelast = 12 k l22 . Mit Die kinetische Energie zu Beginn der Bewe-
der Federsteifigkeit k = ΔΔFl = Fl22 folgt dar- gung ist
aus 1
1 F22 1 (F1 + ΔF)2
Ekin = m 2 .
2
Eelast = = Δl = 21,3 J .
2 k 2 ΔF Der Differenzbetrag ΔE = Ekin − Ekin = 12 m 2
Ü 2.6-4: Die gesamte kinetische Energie wird ist dem System zuzuführen (z. B. durch das
in potenzielle Energie der gespannten Feder Lösen gespannter Federn oder durch eine
umgesetzt: Sprengladung etc.).
896 11 Anhang

Ü 2.7-2: b) Der Energieverlust beträgt nach (2.87)


1 1 1
a) Beim unelastischen Stoß mit Kopp- ΔW = m1 21 − m1 1 2 − m 2P = 298 J .
lung folgt aus dem Impulserhaltungssatz 2 2 2
für die gemeinsame Endgeschwindigkeit Der Stoß ist nicht vollständig unelastisch.
nach (2.88) Nach (2.90) ist die Stoßzahl

=
m1 1 + m2 2
= 2,45
m 2ΔW(m1 + m)
m1 + m2 s
. ε= 1− = 0,49 .
m1 m 21
Der Verlust an kinetischer Energie ist Ü 2.7-4:
nach (2.87)
a) Es gilt der Impulserhaltungssatz:
1 1 1
ΔW = m1 21 + m2 22 − (m1 + m2 ) 2 x-Richtung:
2 2 2 m1 1 = m1 1 cos 45◦ + m2 2 cos β , (1)
= 7 855 J y-Richtung:
bzw. mit der Stoßzahl ε = 0 nach (2.90) 0 = m1 1 sin 45◦ − m2 2 sin β . (2)
m1 m2
ΔW = (1 − 2 )2 = 7 855 J .
2(m1 + m2 )
b) Beim elastischen Stoß gilt für die Endge-
schwindigkeiten nach (2.85) und (2.86):
(m1 − m2 )1 + 2m2 2 m
1 = = 1,91
m1 + m2 s Mit den angegebenen Zahlenwerten folgt
und aus (1)
(m2 − m1 )2 + 2m1 1 m m
2 = = 3,11 . 2 cos β = 2,879 (1’)
m1 + m2 s s
und aus (2)
c) Das Vorzeichen der Geschwindigkeit 2 m
2 sin β = 2,121 . (2’)
wird umgedreht: 2 = −1,8 m/s. s
Damit ergibt sich Durch Division dieser beiden Gleichungen
m ergibt sich für den Winkel
= 0,818 , ΔW = 125,7 kJ , 2,121 m/s
s tan β = = 0,737
m m 2,879 m/s
1 = −1,36 , 2 = 3,44 .
s s und β = 36,4◦ .
Ü 2.7-3: Aus (1’) oder (2’) folgt die Geschwindigkeit
m
a) Für das System aus Holzklotz und Ge- 2 = 3,58 .
schoss gilt der Impulserhaltungssatz: s
b) Der Energieverlust ist
m1 1 = m P + m1 1 .
ΔE = Ekin, 1 − Ekin, 1 − Ekin, 2
Die Geschwindigkeit des austretenden Ge- oder
schosses ergibt sich zu 1 1 1
m1 1 − m P m
ΔE = m1 21 − m1 1 2 − m2 2 2
2 2 2
1 = = 100 .
m1 s = 0,961 J .
11.1 Lösungen der Übungsaufgaben 897

Ü 2.8-1: Ü 2.9-1: Zur Lösung werden die Gleichge-


a) Das Drehmoment der Gewichtskraft be- wichtsbedingungen der Statik angewandt. Die
züglich Koordinatenursprung ist Gleichung (2.117) für das Kräftegleichgewicht
liefert für die x- und y-Komponenten zwei
M = r × FG =r×g·m. Gleichungen:
Der Vektor weist in z-Richtung (in die Zei-
chenebene hinein). Der Betrag ist kon-
stant: M = mgr sin β = mgb.
b) Der Drehimpuls ist L = r × p = r × · m;
mit = g t ergibt sich L = r × g · m t.
Der Vektor L weist ebenfalls in z-Richtung, x-Richtung:
sein Betrag ist F
−FA, x + Fx = 0 oder FA, x = √ = 353,6 N .
L = mgr sin β t = mgb t . 2
y-Richtung:
c) Die zeitliche Ableitung des Drehimpulses F
ist FA, y − Fy + FC = 0 oder FA, y − √ + FC = 0 .
2
dL
=r×g ·m=M , Das Momentengleichgewicht nach (2.118) lie-
dt fert bezüglich Punkt A:
erfüllt also den Drehimpulssatz.

FC · 5,5 m − Fy · 3 m = 0
oder
F·3
FC = √ = 192,8 N .
5,5 · 2
Damit wird
F
FA, y = √ − FC = 160,7 N .
2
Die Kraft am Lager A beträgt somit

FA = FA,2
x + FA, y = 388,4 N .
2

Ü 2.9-2:

Ü 2.8-2: Das Massenträgheitsmoment einer a) Wenn die Kugeln als Massenpunkte ange-
Punktmasse ist J = m r2 . Bei mehreren Mas- nähert werden und die Stabmasse vernach-

senpunkten gilt J = mk rk2 . Für das Quadrat lässigt wird, gilt
von Abb. 2.48 ergibt sich: 2
l
√ 2 JS = 2 m = 1 kg m2 .
a) JA = 4m b2 2 = 2m b2 , 2
√ 2
b) JB = 2m b2 + m b 2 = 4m b2 ,
2
c) JC = 2m √b2 = m b2 ,
d) JD = 2m b2 .
898 11 Anhang

b) Das Massenträgheitsmoment des Stabes ist c) Die beiden ungleichen Fadenkräfte üben
nach (2.60) auf das Rad ein Drehmoment aus vom Be-
trag
1
JSt = 2
mSt lSt .
12
M = (FF,2 − FF,1 ) r = 1,097 N m .
Zur Berechnung der Stablänge lSt muss zu-
nächst der Kugelradius ermittelt werden. In Analogie zum Newton’schen Grundge-
Es gilt für die Kugelmasse m = 43 π rK3 ρ und setz F = ma gilt für Drehbewegungen

damit rK = 3 43πmρ = 39,3 mm. M = J α (Tab. 2.6). Das Massenträgheits-
moment des Rades ist folglich
Die Stablänge ist damit lSt = l − 2rK =
0,9213 m. M Mr
Mit der Stabmasse mSt = π4 dSt lSt ρ = J = = = 0,658 kg m2 .
2
α a
0,568 kg folgt für das Massenträgheitsmo-
ment des Stabes JSt = 0,04018 kg m2 .
Das Massenträgheitsmoment einer Kugel
bezüglich ihres Schwerpunkts ist nach
Abb. 2.60 JK = 25 m rK2 = 1,237 · 10−3 kg m2 .
Das Massenträgheitsmoment beider Ku-
geln bezüglich Schwerpunkt S ergibt sich
mithilfe des Steiner’schen Satzes (2.132),
zu
2
l
JK,S = 2 JK + m = 1,002 kg m2 .
2

Das gesamte Massenträgheitsmoment der


Hantel beträgt somit

JS = JK,S + JSt = 1,043 kg m2 , Ü 2.9-4: Die Zentrifugalkraft, die an einer Ku-


gel angreift, ist nach (2.43)
ist also etwa 4% größer als der Näherungs-
wert nach Teil a). Fzf = mω2 R = mω2 r sin ϑ .

Ü 2.9-3: Das Drehmoment der beiden Zentrifugal-


kräfte (Kräftepaar) beträgt nach (2.116)
a) Die Beschleunigung ist konstant, so dass
die kinematische Beziehung (s. Abb. 2.6) Mzf = s · Fzf = 2r cos ϑ · mω2 r sin ϑ
h = 12 a t2 gilt und damit a = 2h
t2
= 0,5 sm2 .
b) Die Fadenkraft über dem Körper 1 ist oder nach trigonometrischer Umformung

FF,1 = m1 (g + a) = 10,31 N . Mzf = mω2 r2 sin 2ϑ .

Über dem Körper 2 ist die Fadenkraft Die Sinusfunktion des doppelten Winkels ist
null für die Winkel ϑ = 0 und 90◦ , sie ist ma-
FF,2 = m2 (g − a) = 13,97 N . ximal für ϑ = 45◦ .
11.1 Lösungen der Übungsaufgaben 899

Ü 2.9-5: Für die Translationsenergie gilt


kin = 2 m S . Der Zylinder ro-
1
nach (2.125) Etrans 2

tiert um seinen Schwerpunkt. Dann ist die Ro-


tationsenergie nach (2.130)
1
Erot
kin = JS ω2 .
2
Mit dem Massenträgheitsmoment des dünn-
wandigen Hohlzylinders JS = mr2 nach (2.131)
Lösungsvariante: ergibt sich
Der Drehimpulsvektor L wird ermittelt als Pro- 1
Erot
kin = m r2 ω2 .
dukt aus dem Trägheitstensor und der Winkel- 2
geschwindigkeit. Für unseren Fall ergibt sich Nun gilt für einen ohne Schlupf abrollenden
⎛ ⎞⎛ ⎞ ⎛ ⎞ Zylinder die Abrollbedingung S = ω r. Damit
Jxx Jxy Jxz 0 Jxz
wird
L = ⎝ Jyx Jyy Jyz ⎠ ⎝ 0 ⎠ = ω ⎝ Jyz ⎠ .
1 2
Jzx Jzy Jzz ω Jzz kin = m S und Ekin = Ekin .
Erot trans rot
2
In einem raumfesten Koordinatensystem, das Ü 2.9-6:
mit dem rotierenden körperfesten zur Zeit null
übereinstimmen soll, nehmen die Zentrifugal- a) Das Grundgesetz der Drehbewegungen
momente und das Trägheitsmoment folgende M = J α (Tab. 2.6) wird angewandt auf das
Werte an: Lager L. Das Drehmoment der Gewichts-
kraft ist ML = FG r = mg 2l .
Jxz = −2m r2 sin ϑ cos ϑ · cos ω t Das Massenträgheitsmoment eines dün-
= −m r2 sin 2ϑ · cos ω t, nen Stabes bezogen auf das Stabende L ist
Jyz = −2m r2 sin ϑ cos ϑ · sin ω t nach dem Satz von Steiner (2.132),
2
= −m r2 sin 2ϑ · sin ω t, JL = JS + m
l 1 1
= m l2 + m l2
Jzz = 2m r2 sin2 ϑ . 2 12 4
1
Damit wird der Vektor des Drehimpulses = m l2 .
3
⎛ ⎞
− sin 2ϑ · cos ω t Damit wird die Winkelbeschleunigung
L(t) = m r2 ω ⎝ − sin 2ϑ · sin ω t ⎠ . ML 3 g rad
α= = = 8,18 .
2 sin2 ϑ JL 2 l s2
Nach dem Drehimpulssatz (2.111), gilt für das Die Beschleunigung des Schwerpunkts
Drehmoment, das die Lager aufbringen muss entspricht der Tangentialbeschleunigung
⎛ ⎞ auf einem Kreis und beträgt nach Tab. 2.1
sin ω t
dL l 3 m
M(t) = = m r2 ω2 sin 2ϑ ⎝ − cos ω t ⎠ . aS = α = g = 7,36 .
dt 2 4 s2
0
Dieses Drehmoment läuft mit der rotierenden
Hantel um. Sein Betrag ist

|M| = m r2 ω2 sin 2ϑ .
900 11 Anhang

b) Am Stab greifen zwei Kräfte an: die Ge- Die kinetische Energie wurde hierbei als
wichtskraft im Schwerpunkt S und die La- reine Rotationsenergie bezüglich L ange-
gerkraft im Lager L. Nach dem Schwer- setzt. Für die Winkelgeschwindigkeit folgt
punktsatz (2.52), ist es unerheblich, wo die
3g rad
äußeren Kräfte Fa angreifen. Der Schwer- ω= = 4,04 .
l s
punkt wird auf jeden Fall beschleunigt ge-
mäß Ü 2.9-7:
Fa = FG + FL = m aS . a) Die Beschleunigung ist konstant, so dass
Für die Beträge gilt das Weg-Zeit-Gesetz s = 12 a t2 (Abb. 2.6)
3 gilt. Daraus folgt die Beschleunigung
m g − FL = m g und
4 2s m
1 a= 2
= 1,45 2 .
FL = m g = 3,43 N . t s
4 Die Winkelbeschleunigung des abrollen-
Lösungsvariante:
den Rades ist α = ar .
Das Grundgesetz der Drehbewegungen an-
Wendet man das Grundgesetz der Dreh-
gewandt auf den Schwerpunkt lautet MS =
bewegungen M = J α (Tab. 2.6) auf den
JS α. Nun ist MS = FL 2l und JS = 12 1
m l2 .
Momentanpol P an, so ergibt sich
Mit dem bereits bekannten Wert für die
Winkelbeschleunigung α = 32 gl ergibt sich MP = m g r sin β = JP α und damit
FL 2l = 121
m l2 · 32 gl oder FL = 14 m g. m g r sin β
JP = .
c) Die gesuchte Winkelgeschwindigkeit er- a/ r
gibt sich aus dem Energieerhaltungssatz.
Wird der Nullpunkt der potenziellen Ener-
gie willkürlich in den tiefsten Punkt des
Schwerpunktes gelegt (s. Skizze), dann gilt
Epot,1 = Ekin,2 oder

l 1 1 1
m g = JL ω2 = m l2 ω2 .
2 2 2 3

Das Massenträgheitsmoment bezüglich P


ist nach dem Steiner’schen Satz, (2.132),
JP = JS + m r2 .
Damit wird das Massenträgheitsmoment
bezüglich Schwerpunkt
m g r2 sin β
JS = − m r2
a

g sin β
= m r2 − 1 = 0,601 kg m2 .
a
11.1 Lösungen der Übungsaufgaben 901

b) Die Winkelbeschleunigung des Rades wird Durch Umformung folgt mit (2)
verursacht durch ein Drehmoment, das ω0 r
die Haftreibungskraft am Umfang des Ra- tf = .
μ g 1 + mJSr
2
des erzeugt. Bezüglich Schwerpunkt S gilt
MS = FR r = JS α.
Mithilfe von (1) ergibt sich für die Endge-
Die Haftreibungskraft beträgt FR ≤
schwindigkeit
μH FN = μH m g cos β (Abb. 2.20). Damit ist
der erforderliche Haftreibungskoeffizient ω0 r 2π n0 r m
f = (tf ) = m r2
= m r2
= 17,6 .
s
JS α J a 1+ JS 1+ JS
μH ≥ = 2 S
r m g cos β r m g cos β b) Die Rutschphase dauert
a
= tan β − = 0,115 . 2π n0 r
g cos β tf = =
f
= 8,97 s .
μ g 1 + mJSr
2 μg
Ü 2.9-8:
a) Die beschleunigende Kraft ist die Rei-
bungskraft FR = μ m g zwischen Rad und
Fußboden. Sie bewirkt eine konstante Be-
schleunigung a = FmR = μ g. Damit steigt
die Geschwindigkeit des Rades linear mit
der Zeit an:

(t) = a t = μg · t . (1)

Bezüglich des Mittelpunkts S bewirkt die


Reibungskraft ein konstantes Bremsmo-
ment MS = FR r = μ m g r, das die Win-
kelbeschleunigung α = MJSS = μ mJSg r zur
Folge hat. Die Winkelgeschwindigkeit des
Rades wird dadurch zeitlich mit einer li-
nearen Funktion verringert:
μmg r
ω(t) = ω0 − α t = ω0 − ·t (2)
JS
So lange das Rad rutscht, sind Winkel-
geschwindigkeit ω(t) und Geschwindig-
keit (t) völlig entkoppelt. Sobald aber der
Rutschvorgang abgeschlossen ist und da-
mit eine Bewegung mit konstanter Ge-
schwindigkeit bzw. Winkelgeschwindig- Lösungsvariante:
keit erfolgt, muss die Abrollbedingung = Einen anderen Weg zur Lösung bietet der
ω r erfüllt sein. Damit gilt für den Zeit- Drehimpulserhaltungssatz. Bezüglich ei-
punkt tf : nes beliebigen Punktes auf der Fahrbahn
erzeugt die Reibungskraft kein Drehmo-
μmg r
μ g tf = ω0 − tf r . ment und deshalb bleibt der Drehimpuls
JS bezüglich dieses Punktes erhalten. Nun
902 11 Anhang

kann der Drehimpuls eines starren Kör- Ü 2.9-9: Bezüglich Aufhängepunkt A wirkt
pers zusammen gesetzt werden aus einem das Drehmoment der Gewichtskraft M =
Drehimpuls um seinen Schwerpunkt sowie m g l sin ϑ. Der Vektor M steht senkrecht auf
dem Bahndrehimpuls des Schwerpunkts, der Zeichenebene und weist in dieselbe hinein.
in dem die Gesamtmasse vereinigt ist: Aufgrund des Drehmomentes ändert sich die
L = LS + m r × S . Horizontalkomponente LH = L sin ϑ des Dreh-
impulses L in der Zeitspanne dt um dLH =
Vor dem Aufsetzen gilt L = LS = JS ω0 .
M dt.
Nach Ablauf des Rutschvorgangs gilt L =
Wie in Abb. 2.68c dargestellt ist, dreht sich da-
JS ωf + mr f .
durch der Vektor LH um den Winkel
Mit der Abrollbedingung = ω r folgt
f
JS ω0 = JS + m r f dϕ =
M dt
.
r L sin ϑ
und daraus
rω0
f = JS = 2 .
Die Winkelgeschwindigkeit der Präzession
1 + mJSr wird damit
dϕ m g l sin ϑ mg l
ωP = = = ,
dt L sin ϑ L
ist also nicht abhängig vom Winkel, den die
Drehachse mit der Vertikalen einnimmt.

Ü 2.10-1: Ein Körper der Masse m erfährt


im Abstand r vom Erdmittelpunkt die Anzie-
hungskraft (Gewichtskraft)
m · mE
FG =G .
r2
Setzt man FG = m g, so folgt daraus für die Fall-
beschleunigung g(r) = G mr2E und mit (2.138)
2
g(r) = g rrE .
Wird der Abstand zwischen Schwerpunkt des
Körpers und Schwerpunkt der Erde als r =
rE + h geschrieben, dann folgt für die Höhen-
abhängigkeit der Fallbeschleunigung
2
G mE rE
gh = 2 =g .
rE + h rE + h

Aufgelöst nach der gesuchten Höhe ergibt sich


mit dem Erdradius rE = 6 371 km

g
h = rE − 1 = 2 553 km .
gh
11.1 Lösungen der Übungsaufgaben 903

Ü 2.10-2: Der neutrale Punkt P habe von der folgt für die Bahngeschwindigkeit
Erde aus den Abstand r0 . Die Anziehungskräfte
G mE m
FE und FM , die ein Körper der Masse m zur Erde = = 7,35 · 103 .
bzw. zum Mond erfährt, sollen gleich sein: rE + h s
m · mE m · mM b) Schreibt man die Gleichgewichtsbedin-
G =G .
r02 (rE,M − r0 )2 gung als
m · mE
Aus dieser Bedingung folgt eine quadratische G = m (rE + h) ω2
Gleichung für den gesuchten Abstand: (rE + h)2
4π2
mM = m (rE + h) 2 ,
2
r0 1 − 2
− 2rE,M r0 + rE,M =0. T
mE
so folgt für die Umlaufzeit
Die Lösung dieser Gleichung liefert
(rE + h)3
rE,M T = 2π = 6 299 s = 1 h 45 min .
r0 = . G mE
1 ± mmME
Diese Gleichung entspricht dem dritten
Nur die positive Lösung der Wurzel liefert Kepler’schen Gesetz, (2.139).
einen Ort, der zwischen Erde und Mond liegt c) Der Satellit hat auf seiner Umlaufbahn die
und zwar im Abstand r0 = 346 000 km ≈ Energie
54,3 · rE . Die negative Lösung der Wurzel führt 1 m · mE
zu einem Punkt, der rechts vom Mond im Eh = m 2 − G .
2 rE + h
Abstand r0 = 432 000 km liegt. Die Gravitati-
Vor dem Start auf der Erdoberfläche hat
onskräfte sind in diesem Punkt auch gleich,
der Satellit die Energie
allerdings ziehen beide in Richtung Erde.
1 m · mE
E0 = m 20 − G .
2 rE
Ü 2.10-3:
Die aufzuwendende Arbeit, um den Satel-
a) Aus der Gleichgewichtsbedingung zwi- liten auf seine Bahn zu bringen ist damit
schen Gravitationskraft und Zentrifugal-
1
kraft W = Eh − E0 = m 2 − 20
2
m · mE m 2 1 1
G = − G m mE − .
(rE + h)2 rE + h rE + h rE
904 11 Anhang

Vernachlässigt man 20 (20 << 2 ), dann l


Fzf = m rS ω2 = m (2π n)2 = 2π2 A l2 ρ n2 .
wird die spezifische Arbeit 2
Die Zugspannung an der Einspannstelle wird
W 1 2 1 1
= = − G mE − damit
m 2 rE + h rE
F
J J σ = zf = 2π2 l2 ρ n2 .
= 27,04 · 106 + 8,49 · 106 A
kg kg
Mit der gegebenen Zugfestigkeit Rm und der
MJ
= 35,5 . Dichte von Stahl ρ = 7 850 kg/m3 folgt für die
kg
maximale Drehzahl
d) Der größte Teil der aufzuwendenden Ar-
beit entfällt auf die kinetische Energie. Der 1 Rm
nmax = = 35,9 s−1 = 2 156 min−1 .
Bruchteil ist l ρ 2ρ
Wkin 27 MJ/kg Mit diesem Ergebnis kann der Vollständig-
f = = = 76% .
W 35,5 MJ/kg keit halber die Zentrifugalbeschleunigung des
Schwerpunkts berechnet werden:
Ü 2.10-4: Die gesuchte Geschwindigkeit folgt
aus dem Energieerhaltungssatz. Wird die po- l m
azf = rS ω2 = (2π n)2 = 38 160 = 3 890 g .
tenzielle Energie nach (2.141) angesetzt, dann 2 s2
ist sie zu Beginn der Bewegung null (r → ∞). Daraus folgt, dass die Stabachse tatsächlich
Die kinetische Energie ist ebenfalls null ( → senkrecht auf der Drehachse steht. Die Abwei-
0). Damit gilt: chung infolge der Wirkung der Gewichtskraft
ist nur 0,014◦ .
mM mS 1
0 = Epot (r) + Ekin (r) = −G + mM 2 .
r 2
Die Geschwindigkeit
ergibt sich daraus zu
(r) = 2G mS
r .
Für die verschiedenen Fälle sind die Ergeb-
nisse:

a) (rSE ) = 2GrSEmS = 42,2 km
s ,
Ü 2.11-2:
√ a) Das Hooke’sche Gesetz (2.150), in der Spra-
b) 12 rSE = 2 (rSE ) = 59,7 kms ,
che der Festigkeitslehre, lautet σ = E ε.
c) (rS ) = 2GrSmS = 619 km F F·4
s . Nun ist die Spannung σ = = 2 und
A πd
Ü 2.10-5: Nach dem dritten Kepler’schen Ge- Δl s
die Dehnung ε = = . Damit ergibt
setz, (2.139), gilt für die Masse des Zentralkör- l l
F·4 s E π d2
pers Jupiter sich = E oder F = s. Durch
π d2 l 4l
4π2 rJo
3 Vergleich mit F = k s folgt für die Feder-
mJ = = 1,898 · 1027 kg = 318 · mE . E π d2
2
G TJo konstante k = .
4l
b) Aus obiger Gleichung folgt fürden er-
Ü 2.11-1: Vereinfachend wird angenommen,
4k l
dass die Stabachse senkrecht zur Drehachse forderlichen Durchmesser d = =

steht. Dann ist die Zentrifugalkraft 2,52 mm.
11.1 Lösungen der Übungsaufgaben 905

c) Nach (2.68) ist die Formänderungsarbeit Durch Umformung ergibt sich für die gesuchte
W = 12 k s2 = 12 k (l ε)2 = 12,5 J. Dichte der Flüssigkeit
Lösungsvariante: 1 kg
Nach (2.167) gilt für die Arbeit W = ρ= = 0,8 .
1
ρW +
aA dm3
V σ dε. Im elastischen Bereich ist σ = E ε m

1 1 π d2 l 2 Ü 2.12-2:
und damit W = V E ε2 = Eε =
2 2 4
12,5 J. a) Die Ladung habe die Dichte ρL , das Wasser
d) Die relative Volumenänderung ist ρW und es gelte ρL > ρW . Dann muss für
nach (2.154) ΔVV = ε(1 − 2μ) = 2 · 10−3 = den Teil des Auftriebs, der auf die Ladung
0,2 %. Das Stabvolumen wird also gering- entfällt, gelten:
fügig vergrößert. FA = FG,L ,
Ü 2.12-1: Die Länge der Flüssigkeitssäule er- d. h. die Auftriebskraft muss gleich groß
gibt sich aus ihrer Masse m und der gesuchten sein wie die Gewichtskraft.
Dichte ρ zu Nun gilt für das Volumen Vverd der ver-
drängten Flüssigkeit nach dem Gesetz von
m Archimedes, (2.188)
l= .
Aρ ρW g Vverd = ρL g VL oder
ρL
Vverd = VL .
Unterhalb der gestrichelten Linie befindet sich ρW
lediglich Wasser im Gleichgewicht. Das be- Es wird also mehr Volumen verdrängt, als
deutet, dass der Druck im linken und im dem Volumen VL der Ladung entspricht.
rechten Schenkel auf Höhe der gestrichelten Konsequenterweise wird also der Wasser-
Linie gleich sein muss. Mithilfe von (2.179) spiegel – wenn auch geringfügig – nach
gilt für den Schweredruck ρW g(l − a) = ρ g l, dem Sinken fallen.
dabei ist ρW = 1 kg/dm3 die Dichte von Wasser. b) Für das ganze Schiff gilt dieselbe Argu-
mentation. Auch hier wird beim Schwim-
men mehr Volumen verdrängt, als dem tat-
sächlichen Schiffsvolumen entspricht.
Ü 2.12-3: Nach (2.181) gilt für die Seiten-
druckkraft auf den Schieber FS = ρ g yS AS .
Die Reibungskraft auf den bewegten Schieber
ist FR = μFS . Die Gesamtkraft, die zum Heben
erforderlich ist, beträgt somit
h
F1 = FG + FR = mg + ρ g b h μ
2
1
= g m + ρ b h2 μ = 11,1 kN .
2
Wenn der Schieber um 60 cm hoch gezogen
ist, wird in obiger Gleichung die Höhe h er-
setzt durch h − 60 cm = 90 cm. Die Zugkraft
beträgt dann F2 = 4,75 kN.
906 11 Anhang

Ü 2.12-4: Die Oberflächenenergie vergrößert Ü 2.12-6: Unter der Annahme, dass die Strö-
sich mit Vergrößerung der Oberfläche ge- mung ideal ist, gilt mit der Gleichung von Ber-
mäß (2.192) um noulli, (2.203),

ΔW = σ ΔA = σ(AT − AW ) . 1 2 1
p1 + ρ = p2 + ρ 22 oder
2 1 2
Die Oberfläche des Tropfens vor dem Zerstäu- 1
p2 = p1 + ρ 21 − 22 .
ben ist AW = 4π rW
2
. 2
Das Volumen V = 43 π rW 3
des Tropfens bleibt Dabei beziehen sich die Größen mit Index 1
beim Zerstäuben unverändert. auf den weiten und jene mit Index 2 auf den
Ist N die Zahl der erzeugten Tröpfchen, dann verengten Teil des Rohres.
gilt Mithilfe der Kontinuitätsgleichung, (2.202),
4 3 4 wird
πr = N · π rT3 oder 2
3 W A1 d
3
3 2 = 1 = 1 1 .
rW A2 d2
N= = 1012 . Damit ergibt sich der gesuchte Druck
rT + 4 ,
1 2 d1
Die Oberfläche von N Tröpfchen mit Radius rT p2 = p1 + ρ 1 1 − = 2,63 bar .
ist AT = N · 4π rT2 . 2 d2
Damit steigt die Oberflächenenergie um Ü 2.12-7:

ΔW = σ N · 4π rT2 − 4π rW
2
. a) Wenn die Reibung nicht berücksichtigt
wird, gilt das Ausflussgesetz von Torri-
Die relative Zunahme beträgt
celli, (2.211):
2
ΔW N · 4π rT2 − 4π rW
2
rT = 2g(h − h ) .
= =N −1
WW 4π rW2 rW
rW Der Volumenstrom ist damit
= − 1 = 104 .
rT π d2
Videal = A = 2g(h − h )
Die Oberflächenenergie steigt also um das 104 - 4
l m3
fache an. = 2,77 ≈ 10 .
s h
Ü 2.12-5: Nach (2.210) ist der Volumenstrom b) Im Realfall beträgt nach (2.213) die Aus-
beim Venturi-Rohr für αε = 1 flusszahl μ = ϕα = 0,795. Der Volumen-


2Δp
strom reduziert sich somit auf

V̇ = AV
2 . l m3
Vreal = μ Videal = 2,20 ≈ 8 .
ρ 1 − AAVR s h
c) Wenn zwischen Behälter und Außenwelt
Daraus folgt für den Druckunterschied ein Überdruck Δp vorliegt, dann folgt aus
(s. Abb. 2.110) der Bernoulli-Gleichung für die Ausström-
2 geschwindigkeit
V̇ ρ 1 − AAVR
2
Δp = Δp m
= 2 + g(h − h ) = 21,9
.
2A2V ρ s
2 2 + 4 ,
= 8ρ

1−
dV
= 70 Pa . Der Volumenstrom ist V = A = 6,87 sl ≈
π dV2 dR 3
25 mh .
11.1 Lösungen der Übungsaufgaben 907

Ü 2.12-8: Der Staudruck entspricht dem dynamischen


Druck: pStau = pdyn = 12 ρ 2 .
a) Die Geschwindigkeit des Wassers im Rohr
Daraus
folgt (2.205) für die Geschwindigkeit:
folgt unmittelbar aus der Kontinuitätsglei- 2p
chung (2.202): = ρ . ρ ist hier die Dichte der Luft.
dyn

Mit der gegebenen Dichte ergibt sich =


1 =
V
=
4V
= 8,84
m
. 52,7 ms = 190 km
h .
A π d2 s In größerer Höhe, in welcher der Luftdruck
b) Nach der Gleichung von Bernoulli, (2.203), und damit auch die Dichte geringer ist (2.187),
gilt wird der Staudruck bei gleicher Flugzeugge-
schwindigkeit niedriger.
1 2 1
p1 + ρ = p2 + ρ 22 .
2 1 2 Ü 2.12-10: Nach dem Gesetz von Hagen und
Daraus folgt die Ausströmgeschwindigkeit Poiseuille, (2.234) gilt für den Volumenstrom
bei laminarer Strömung
2(p1 − p2 ) m
2 = 21 + = 32,5 .
ρ s π R4 Δp
V̇ = .
8η l
c) Die Gleichung von Bernoulli lautet in die-
sem Fall Daraus folgt für den Druckunterschied längs
1 2 1 der Leitung
p1 + ρ = p3 + ρ 23 + ρ g h3 .
2 1 2
8η l V̇
Die Geschwindigkeit an der Oberfläche Δp = = 546 kPa .
π R4
des Sees ist praktisch null: 3 = 0. Der
Druck entspricht dem äußeren Luftdruck: Zusätzlich muss die Pumpe den Schweredruck
p3 ≈ 1 bar. Damit ergibt sich für die Höhe: nach (2.179) überwinden:
21
h3 = p1 −p3
ρg + 2g = 55 m.
pS = ρ g h = 50 kPa .

Der erforderliche Pumpendruck ist damit

pP = Δp + pS = 596 kPa ≈ 6 bar .

Ü 2.12-11: Die Kugel sinkt mit konstanter Ge-


schwindigkeit , wenn die Gewichtskraft so
groß ist wie die Summe aus Reibungskraft und
Auftrieb. Dann gilt nach (2.239) für die Visko-
sität

Ü 2.12-9: Die Druckdifferenz im Prandtl’- 2g r2 (ρK − ρFl )


η= .
schen Staurohr, der so genannte Staudruck, ist 9
(Abb. 2.109)
Mit der Geschwindigkeit = s/ t = 0,05 m/s
pStau = ρ g Δh = 1 766 Pa . ergibt sich η = 0,305 Pa s.
908 11 Anhang

Ü 2.12-12: Beim Segelflugzeug wird im Gleit- Bei Rohrströmungen gilt nach (2.248)
flug die Gewichtskraft F G kompensiert durch dρ
die Resultierende F 0 aus Auftriebskraft F A und Re = .
η
Widerstandskraft F W . Damit gilt für die Be-
träge: Mit der kritischen Reynoldszahl Rekr = 2320
nach Tab. 2.10 folgt daraus für die Strömungs-
F0 = FG = mg = 1,96 kN . geschwindigkeit = Redkrρ η = 1,93 ms .
Der Druckverlust in der Röhre ist nach Hagen-
Die Auftriebskraft beträgt FA = F0 cos β = Poiseuille (2.234)
1,94 kN.
8η l V̇ 8η l π R2 8η l
Der Auftriebsbeiwert ist nach (2.259) pV = = = = 21,5 kPa .
π R4 π R4 R2
2 FA
cA = = 0,622 .
ρ 2 A
Die Widerstandskraft beträgt FW = F0 sin β =
273 N.
Nach (2.244) ist damit der Widerstandsbeiwert
2 FW
cW = = 0,0874 .
ρ 2 A
Für die Gleitzahl gilt
cW 1
ε= = tan β = 0,14 = . Wendet man die modifizierte Bernoulli-
cA 7,1
Gleichung nach (2.240) auf die Punkte 1 und 2
Ü 2.12-13: Beim Umschlag von laminarer in an, so gilt
turbulente Strömung entspricht die Reynolds- 1 2 1
zahl gerade der kritischen Rekr . p1 + ρ + ρ g h1 = p2 + ρ 22 + ρ g h2 + pV .
2 1 2
11.1 Lösungen der Übungsaufgaben 909

Die Drücke p1 und p2 sind gleich dem Atmo- l 2 64 l 2


hV =λ = = 2,19 m .
sphärendruck, 1 ist bei großem Gefäßdurch- d 2g Re d 2g
messer vernachlässigbar. Damit gilt für die er-
forderliche Höhe: Dazu kommt die Geschwindigkeitshöhe
1
ρ 2 + pV
h= 2
= 2,38 m . 2
ρg h= = 0,19 m .
2g
Lösungsvariante:
Die Verlusthöhe ist nach (2.242) Die Gesamthöhe ist damit h = 2,38 m.

3. Thermodynamik

Δl
Ü 3.1-1: Die Länge bei der höheren Tempera- = α ΔT .
tur ist nach (3.7) l
Da dies durch das Verschweißen verhindert
l2 = l1 [1 + α (ϑ2 − ϑ1 )]
wird, erfahren sie eine Dehnung von demsel-
und damit für Glas l2,Glas = 1 000,256 mm und ben Betrag:
für Messing l2,Ms = 1 001,52 mm.
Δl
Für das Verhältnis der Längen gilt ε= = α ΔT .
l
l2,Glas
= 0,9987 . Nach dem Hooke’schen Gesetz, (2.150), beträgt
l2,Ms
die Spannung
Damit liest man auf dem Messingmaßstab die
N
Länge des Glasstabes zu l = 998,7 mm ab. σ = Eε = Eα ΔT = 88,8 .
mm2
Ü 3.1-2: Die Fläche der Platte ist proportional
Ü 3.1-4: Nach (3.11) verhält sich die Dichte ge-
zum Quadrat des Durchmessers. Damit ändert
mäß
sich die Fläche mit dem doppelten linearen
Ausdehnungskoeffizienten. ρ2 1 − γ ϑ2
= .
Herleitung: ρ1 1 − γ ϑ1
π
Fläche: A = d2 ,
4 Daraus folgt für die gesuchte Temperatur
dA π
Änderung der Fläche: = 2d und damit 1 − ρ2 /ρ1
ΔA = π4 2d Δd.
dd 4 ϑ2 = ϑ1 + = 38,7 ◦ C .
γ
ΔA Δd
Die relative Flächenänderung ist =2 = Lösungsvariante:
A d
2α ΔT. Die relativen Änderungen von Dichte und Vo-
lumen betragen Δρ ΔV
ρ = − V = −γ ΔT.
Mit α = 11,1 · 10−6 K−1 aus Tab. 3.4 ergibt sich
Daraus folgt für die Temperaturdifferenz
ΔA = 2α A ΔT = 1 908 mm2 .
Δρ
Ü 3.1-3: Wenn die Schienen nicht verschweißt ΔT = − = 18,7 K .
ργ
wären, würden sie sich beim Abkühlen verkür-
zen. Die relative Längenänderung ist nach (3.6) Also beträgt die Endtemperatur 38,7 ◦ C.
910 11 Anhang

Ü 3.1-5: In Anlehnung an (3.18) beträgt die Ü 3.2-2: Die Schallgeschwindigkeit ist propor-
individuelle Gaskonstante am gegebenen Zu- tional zur
√Wurzel aus der absoluten Tempera-
stand tur: c ∼ T.
p p J Damit gilt cc21 = TT21 .
Ri = = = 457 .
Tρ T kg · K Wenn die Grundfrequenz der Pfeife pro-
portional ist zur Schallgeschwindigkeit (Ab-
Ü 3.1-6: Aus der allgemeinen Zustandsglei-
schn. 5.2.4.2), dann gilt auch für die Frequen-
chung idealer Gase, (3.19) folgt die Masse:
zen
m=
pV
.
Ri T f2 T2 T2
= oder f2 = f1 = 428,6 Hz .
Die individuelle Gaskonstante von Luft ist ge- f1 T1 T1
mäß Beispiel 3.1-3 Ri = 286,9 J/(kg K). Damit
Ü 3.2-3: Die Wahrscheinlichkeit für das Auf-
ergibt sich m ≈ 2,4 kg.
treten von Geschwindigkeiten zwischen 1 =
Ü 3.1-7: Die Stoff- oder Teilchenmenge be- 1 000 m/s und 2 = 1 100 m/s ist nach (3.34)
trägt nach (3.20)
2
pV
ν = = 120 mol . f () d mit
Rm T 1
Ü 3.2-1: m 3/ 2 mM 2
f () = 4π 2
M
e− 2kT .
a) Die mittlere Geschwindigkeit für ein be- 2π kT
stimmtes Gas hängt nur von der Tempera- Die Masse eines Stickstoffmoleküls (N2 ) be-
tur ab. Nach (3.26) gilt für Helium mit der trägt
Molmasse M = 4,0026 g/mol (s. Perioden-
M
system) mM = Mr u = .
NA
3Rm T m
m = = 1 305 . Mit der Molmasse M = 28,014 g/mol und der
M s
Avogadro-Konstante NA = 6,022 · 1023 mol−1
b) Die Anzahl der He-Atome beträgt nach ergibt sich mM = 4,652 · 10−26 kg.
der allgemeinen Zustandsgleichung idea- Durch numerische Integration mit einem
ler Gase (3.22), Rechner folgt für die gesuchte Wahrscheinlich-
2
N =
pn V
. keit f () d = 7,02 · 10−3 .
k Tn 1
Um die numerische Integration zu umgehen,
Die mittlere kinetische Energie eines He- kann mit guter Genauigkeit auch gerechnet
Atoms ist nach (3.28) werden
3 f () Δ mit = 1 −2
= 1 050 ms und Δ =
Ekin = k Tn . 2
2 2 − 1 = 100 s .
m

Damit ist die gesamte kinetische Energie Die gesuchte Wahrscheinlichkeit beträgt damit
aller Atome
f () Δ = 6,78 · 10−3 .
3 pn V 3
Ekin, ges = N Ekin = k Tn · = pn V
2 k Tn 2 Im Gefäß befinden sich N = pknTV = 2,45 · 1022
= 152 J . Moleküle. Damit wird die Zahl der Moleküle,
11.1 Lösungen der Übungsaufgaben 911

die Geschwindigkeiten im angegebenen Inter- Ü 3.3-2: Um die Temperatur des Kalorime-


vall besitzen ters um dT zu erhöhen, ist die Wärme δQ =
(c1 m1 + CK ) dT erforderlich. Die Heizleistung
f () Δ N ≈ 1,7 · 1020 . beträgt

Ü 3.2-4: Obwohl die Elektronen im Fest- δQ dT


körper der Fermi-Statistik unterliegen (Ab- P= = (c1 m1 + CK ) .
dT dt
schn. 9.2.2), soll hier näherungsweise das Elek-
Daraus folgt für die spezifische Wärmekapazi-
tronengas durch die Maxwell’sche Geschwin-
tät
digkeitsverteilung beschrieben werden.
Um die Austrittsarbeit von WA = 4,5 eV zu P
− CK kJ
dT / dt
überwinden, muss die Geschwindigkeit der c1 = = 2,48 .
m1 kg · K
Elektronen
Ü 3.3-3: Beim Durchströmen des Gases der
0 =
2 WA
= 1,26 · 106
m Masse m kühlt sich dasselbe um T1 − T2 = 5 K
m s ab. Dabei wird die Wärme
betragen.
Nach der Näherungslösung von (3.37) beträgt
δQ = cp m (T1 − T2 )
der Bruchteil der Elektronen, der schneller ist frei. Diese Wärme heizt das Wasserbad um
als 0
δQ cp m (T1 − T2 )
2 WA − WA dT3 = =
x= √ e kT . c1 m1 c1 m1
π kT
auf.
Für T = 300 K ergibt sich x(300 K) = Abgeleitet nach der Zeit ergibt sich
3,77 · 10−75 und für T = 1 500 K x(1 500 K) =
5,06 · 10−15 . dT3 cp ṁ (T1 − T2 ) cp V̇ ρ (T1 − T2 )
= = .
Obwohl die Temperatur nur um einen Fak- dt c1 m1 c1 m1
tor 5 ansteigt, ist die Wahrscheinlichkeit des
Die gesuchte isobare spezifische Wärmekapa-
Elektronenaustritts um den Faktor 1,34 · 1060
zität ergibt sich daraus mit c1 = 4,187 kg·K
kJ
zu
gestiegen.
dT3
Ü 3.3-1: Aus der Energiebilanzgleichung dt c1 m1 kJ
cp = =1 .
V̇ ρ (T1 − T2 ) kg · K
m1 c1 (Tm − T1 ) + CK (Tm − T1 )
Die molare Wärmekapazität ist nach (3.4)
= m2 c2 (T2 − Tm )
kJ g J
Cmp = cp M = 1 · 30 = 30 .
folgt die Wärmekapazität des Kalorimeters: kg · K mol mol · K
m2 c2 (T2 − Tm ) − m1 c1 (Tm − T1 ) Ü 3.3-4: Schreibt man die spezifische Wärme-
CK = . kapazität gemäß Debye als c = a T 3 , dann gilt
Tm − T1
für die zu entziehende Wärme nach (3.41)
Die spezifische Wärmekapazität von Wasser
ist c1 = 4,187 kg·K
kJ
, die von Kupfer ist c2 = T1
1
kJ
0,386 kg·K . Q21 =m a T 3 dT = m a T14 − T24 .
4
Damit ergibt sich CK = 182 J/K. T2
912 11 Anhang

Die spezifische Wärmekapazität bei T2 = 20 K Ü 3.3-6:


folgt aus der gegebenen molaren Wärmekapa-
a) Die Stoffmenge wird aus der allgemeinen
zität gemäß (3.4) zu
Zustandsgleichung idealer Gase (3.20), be-
Cm J
c= = 0,0269 . stimmt:
M g·K
p1 V1
Die Konstante a beträgt damit ν = = 358 mol .
Rm T1
c J
a = 3 = 3,365 · 10−6
T2 g · K4 Die Masse des Gases ist
und die abzuführende Wärme Q21 = −26,9 J. m = ν M.
Ü 3.3-5:
a) Wenn keine Wärme an die Umgebung ab- Mit der Molmasse M = 2,016 g/mol ergibt
gegeben wird, liegt ein adiabates System sich m = 721 g.
vor. Bei isentroper Zustandsänderung ist b) Bei isentroper Ausdehnung gilt die
die Endtemperatur nach (3.67) Poisson-Gleichung p V { = const, (3.66).
{ −1 Daraus berechnet sich das Volumen mit
V1
T2 = T1 . dem Isentropenexponent von Wasserstoff
V2 κ = 1,41 (Tab. 3.8) zu
Bei Luft ist der Isentropenexponent κ = 1/ {
p1
1,4 (Tab. 3.8). V2 = V1 = 26,1 m3 .
Damit wird die Endtemperatur T2 = 995 K p2
oder ϑ2 = 722 ◦ C. c) Die Temperatur nach der Expansion folgt
b) Der Enddruck beträgt nach (3.69) aus der allgemeinen Zustandsgleichung
{
V1 idealer Gase (3.16):
p2 = p1 = 63 bar .
V2 p1 V1 p2 V2
c) Die Kompressionsarbeit ist nach (3.70) = oder
T1 T2
W12 = ν CmV (T2 − T1 ) . p2 V2
T2 = T1 = 175 K bzw.
Die Stoffmenge folgt aus der allgemeinen p1 V1
Zustandsgleichung idealer Gase, (3.20): ϑ2 = −98 ◦ C .
p1 V1
ν = = 0,0228 mol . d) Die allgemeine Zustandsgleichung idealer
Rm T1 Gase (3.16), liefert bei isobarer Zustands-
Die molare isochore Wärmekapazität von änderung
Luft (zweiatomige Moleküle mit f = 5 Frei-
V3
heitsgraden) ist nach (3.56) T3 = T2 = 336 K bzw. ϑ3 = 63 ◦ C .
V2
5 J
CmV = Rm = 20,8 .
2 mol · K e) Bei der isentropen Expansion wurde keine
Damit beträgt die Arbeit Wärme aufgenommen. Die Wärmezufuhr
p1 V1 5 erfolgt bei der isobaren Erwärmung und
W12 = Rm (T2 − T1 ) ist nach (3.64)
Rm T1 2

=
5
p1 V1
T2
− 1 = 330 J . Q23 = ν Cmp (T3 − T2 ) .
2 T1
11.1 Lösungen der Übungsaufgaben 913

Die molare isobare Wärmekapazität von Alternativ kann auch die Formel aus
Luft ist nach Tab. 3.8 Abb. 3.22 verwendet werden:
J p2 V2 − p1 V1
Cmp = 28,76 W12 = = p2 V2 − p1 V1
mol · K n−1
Damit wird die aufgenommene Wärme V
= 4p1 1 − p1 V1 = p1 V1 .
Q23 = 1,65 MJ. 2
Im p, V-Diagramm haben die Zustandsände- d) Bei einer beliebigen Zustandsänderung
rungen folgenden Verlauf: sind die Prozessgrößen Q und W sowie die
Zustandsgröße U über den ersten Haupt-
satz, (3.48), verknüpft:

ΔU = U2 − U1 = Q12 + W12 .
Die Änderung der inneren Energie ge-
horcht bei beliebigen Zustandsänderun-
gen (3.47):

ΔU = U2 − U1 = ν CmV (T) dT
≈ ν CmV (T2 − T1 ) .
Ü 3.3-7:
a) Wenn die Zustandsänderung so verläuft, Die Stoffmenge folgt aus der allgemeinen
dass der Polytropenexponent n = 2 ist, gilt Zustandsgleichung idealer Gase, (3.20):
2
p1 V12 = p2 V22 oder p2 = p1 VV12 = 4p1 = p1 V1
ν = = 0,0408 mol .
4 bar. Rm T1
b) Die Endtemperatur folgt aus der all-
Die molare isochore Wärmekapazität ist
gemeinen Zustandsgleichung idealer
für ein Molekül mit f = 5 Freiheitsgraden
Gase (3.16):
nach (3.56)
p1 V1 p2 V2
= oder 5 J
T1 T2 Cmv = Rm = 20,8 .
p2 V2 2 mol · K
T2 = T1 = 2T1 = 590 K bzw.
p1 V1 Damit wird die Änderung der inneren
ϑ2 = 317 C . ◦ Energie

p1 V1 f
c) Die Volumenänderungsarbeit entspricht ΔU = U2 − U1 = Rm (T2 − T1 )
nach (3.50) der Fläche unter der Kurve der Rm T1 2

Zustandsänderung: f T2 f
= p1 V1 − 1 = p1 V1 = 250 J .
2 T1 2
V2 V2
dV
W12 =− p(V) dV = −p1 V12 Die gesuchte Wärme folgt nun aus dem
V2 ersten Hauptsatz zu
V1 V1

1 1 3
= p1 V12 − = p1 V1 = 100 J . Q12 = ΔU − W12 = p1 V1 = 150 J .
V2 V1 2
914 11 Anhang

p2 V2
Im p, V-Diagramm haben die Zustandsände- T2 = T1 = 3T1 = 879 K bzw.
rungen folgenden Verlauf: p1 V1
ϑ2 = 606 ◦ C .
c) Die abgegebene Arbeit entspricht
nach (3.50) betragsmäßig der Fläche unter
der Kurve der Zustandsänderung. Diese
Trapezfläche kann direkt berechnet wer-
den:
p1 + p2
W12 = −(V2 − V1 ) = −150 J .
2
Ü 3.3-8: Eine Zustandsänderung, die im p, V- d) Bei Erhöhung der Temperatur erhöht sich
Diagramm längs einer Geraden verläuft, lässt nach (3.47) auch die innere Energie:
sich beispielsweise realisieren durch eine An- ΔU = U2 − U1 = ν CmV (T2 − T1 ) .
ordnung, bei welcher der Gasdruck auf den
Die molare isochore Wärmekapazität ist
Kolben durch eine gespannte Feder kompen-
nach Tab. 3.8 CmV = 20,43 mol·K
J
. Rechnet
siert wird.
man idealisierend nach (3.56) CmV = 2f Rm ,
mit f = 5 Freiheitsgraden, so ergibt sich
ΔU = 1 000 J .
e) Die zugeführte Wärme folgt nun aus dem
ersten Hauptsatz, (3.48), zu
Q12 = ΔU − W12 = 1 150 J .
Ü 3.3-9:
a) Die Stoffmenge des Gases ist nach der
allgemeinen Zustandsgleichung idealer a) Die Temperaturen ergeben sich aus der
Gase, (3.20): allgemeinen Zustandsgleichung idealer
Gase, (3.20):
p1 V1
ν = = 0,08206 mol . p1 V1
Rm T1 T1 = = 301 K ,
ν Rm

p2 V2
T2 = = 401 K ,
ν Rm

p3 V3
T3 = = 601 K .
ν Rm
b) Die abgegebene Arbeit entspricht der um-
fahrenen Fläche des Kreisprozesses, also
hier einer Rechtecksfläche:
b) Die Endtemperatur ergibt sich aus (3.16): W = (V3 − V1 )(p2 − p1 ) = 125 J .
p1 V1
=
p2 V2
oder Gemäß Vorzeichenkonvention gilt W =
T1 T2 −125 J.
11.1 Lösungen der Übungsaufgaben 915

beiden Temperaturen hätte nach (3.76) den


Wirkungsgrad

T3 − T1
ηth,C = = 50% .
T3

Ü 3.3-10:
a) Die Leistungszahl der Wärmepumpe ist
nach (3.81)

Q̇ab
εW = .
P
Damit ist die Leistung, die der Motor zu-
führen muss

Q̇ab
c) Wärme wird zugeführt bei der isochoren P= = 5 kW .
Erwärmung 1 → 2 sowie bei der iso- εW
baren Erwärmung (Expansion) 2 → 3. b) Bei einem Carnot-Prozess wäre die Leis-
Nach (3.63) und (3.64) gilt tungszahl nach (3.82)
Q12 = ν CmV (T2 − T1 ) und T3
εW, C = = 6,36
Q23 = ν Cmp (T3 − T2 ) . T3 − T1
und die erforderliche Motorleistung ledig-
Die molaren Wärmekapazitäten sind nach
lich P = 2,36 kW.
Tab. 3.7 für Moleküle mit f = 5 Freiheits-
graden Ü 3.3-11:
5 J a) Der Wirkungsgrad des idealen Stirling-
CmV = Rm = 20,79 und
2 mol · K Prozesses entspricht jenem des Carnot-
7 J Prozesses und ist nach (3.80)
Cmp = Rm = 29,1 .
2 mol · K
T1
Damit ergibt sich εK, C = = 0,345 .
T3 − T1
Q12 = 624 J und Q23 = 1 746 J .
Die gesamte zugeführte Wärme beträgt so-
mit
Qzu = Q12 + Q23 = 2 370 J .
d) Der thermische Wirkungsgrad ist
nach (3.75)
|W|
ηth = = 5,27% .
Qzu
e) Die Maximaltemperatur des Prozesses ist
T3 = 601 K, die Minimaltemperatur T1 =
301 K. Ein Carnot-Prozess zwischen diesen
916 11 Anhang

b) Vom Wärmebad der tiefen Temperatur T1 Ü 3.3-13: Die Entropieänderung ist nach
wird Wärme zugeführt während der iso- (3.85)
thermen Expansion 4 → 1. Nach (3.62) T1
δQrev
gilt ΔS = S1 − Sn = .
T
V1 Tn
Q41 = ν Rm T1 ln .
V4 Beide Wege sind im Prinzip reversibel führbar.

Die Stoffmenge ν folgt aus der allgemeinen


Zustandsgleichung idealer Gase, (3.20):
p1 V1
ν = .
Rm T1
Damit wird
V1
Q41 = p1 V1 ln = 175 J .
V4
Bei einer Drehzahl von n = 1 400 min−1
ist die zugeführte Wärmeleistung (d. h. die
dem Kühlgut entzogene Kälteleistung)
a) Im Falle der isobaren Zustandsänderung
Q̇zu = Qzu · n = 4,08 kW . gilt (s. auch (3.87))

c) Die Leistung des Antriebsmotors ist δQ = ν Cmp dT und


nach (3.79) T1
dT T1
Q̇zu ΔS = ν Cmp = ν Cmp ln .
P= = 11,8 kW . T Tn
εK Tn

d) Nach dem Energieflussdiagramm von Die Stoffmenge ν folgt aus der allgemeinen
Abb. 3.26 wird die Summe der zugeführten Zustandsgleichung idealer Gase, (3.20):
Leistungen bei hoher Temperatur abgege- pn Vn
ben. Damit ist ν = = 0,0446 mol .
Rm Tn

Q̇ab = Q̇zu + P = 15,9 kW .
Die isobare molare Wärmekapazität von
Ü 3.3-12: Ein Perpetuum Mobile 2. Art könnte N2 ist nach Tab. 3.8
Wärme aus dem Meerwasser aufnehmen, ohne J
Cmp = 29,1 .
zugleich Wärme an ein kälteres Wärmebad ab- mol · K
zugeben. Wenn die Masse m an Meerwasser Damit ergibt sich die Entropieänderung
um die Temperatur ΔT abgekühlt würde, dann
wäre die frei werdende Energie ΔS = 0,785 J/K .
Q = c m ΔT . b) Im Falle der isochoren Zustandsänderung
ergibt sich (siehe (3.86))
Mit c = 4,17 kg·K
kJ
ergibt sich Q = 5,8 · 1024 J.
Diese Energie würde 4,5 · 1011 s oder etwa T1 J
ΔS = ν CmV ln = 0,560 .
14 000 Jahre reichen. Tn K
11.1 Lösungen der Übungsaufgaben 917

Ü 3.3-14: Der Stirling-Prozess verläuft zwi- den Rechteckflächen des Carnot-Prozesses von
schen Isothermen und Isochoren (Abb. 3.28). Abb. 3.37. Daraus folgt, dass der ideale Stirling-
Isothermen sind im T, S-Diagramm natürlich Prozess den gleichen Wirkungsgrad besitzt
waagrechte Geraden. Bei einer isochoren Zu- wie der Carnot-Prozess.
standsänderung gilt nach (3.86) für die Entro- Ü 3.3-15:
pie
a) Beim Kontakt entsteht eine Temperatur,
T die dem Mittelwert der beiden Tempera-
S(T) = S0 + ν CmV ln ,
T0 turen entspricht (Abschn. 3.3.1, Kalorie-
wobei S0 die Entropie bei der Temperatur T0 ist. metrie):
Umgeformt ergibt sich, dass eine Isochore im T1 + T2
Tm = = 293,15 K .
T, S-Diagramm durch eine Exponentialfunk- 2
tion beschrieben wird:

S − S0
T(S) = T0 exp
ν CmV

S0 S Zur Berechnung der Entropieänderung des
= T0 exp − · exp .
ν CmV ν CmV Systems muss ein reversibler Ersatzprozess
betrachtet werden. Hier kann z. B. ein Kör-
per reversibel um 10 K erwärmt werden,
während der andere um 10 K abgekühlt
wird. Dabei gilt:
δQrev = m c dT und
δQrev dT
dS = = mc .
T T
Beim Aufheizen ergibt sich die Entropie-
änderung
Tm
dT Tm
Beim gezeichneten T, S-Diagramm wurde ΔS1 = m c = m c ln ,
willkürlich die Entropie des Zustandes 2 auf T T1
T1
Null gesetzt: S2 = 0.
Die Flächen unter den beiden Exponential- beim Abkühlen
funktionen sind gleich, nämlich T
ΔS2 = m c ln m .
T2
T(S) dS = Q = ν CmV (T3 − T1 ) . Damit ist die komplette Entropieänderung

T T
Sie stellen die Wärme dar, die intern bei ΔS = m c ln m + ln m .
der isochoren Abkühlung gespeichert und an- T1 T2
schließend bei der isochoren Erwärmung wie- MitderWärmekapazitätc = 0,384 kJ/(kg K)
der zugeführt wird. Damit verbleiben für den für Kupfer ergibt sich ΔS = 0,447 J/K. Die
Wärmeaustausch mit der Umgebung nur noch Entropieänderung ist positiv. Der Vorgang
die schraffierten Flächen unter den Geraden- des Temperaturausgleichs ist daher irre-
stücken. Diese sind aber flächengleich mit versibel.
918 11 Anhang

b) Die Entropie ist mit der thermody- Nach (3.188) beträgt der Wärmeübergangsko-
namischen Wahrscheinlichkeit verknüpft effizient
nach (3.93): S = k ln W. Nu λ W
Also gilt S1 = k ln W1 und S2 = k ln W2 , α∗K = = 4,2 2 .
L m ·K
sowie ΔS = S2 − S1 = k(ln W2 − ln W1 ) = Damit ist der Wärmestrom vom Heizkörper in
k ln W2
W1 . die Raumluft
Das Wahrscheinlichkeitsverhältnis mit W
dem die beiden Zustände realisiert werden jq,K = α∗K (TO − TL ) = 84 2 .
m
ist damit
Bei einer Heizkörperfläche (Vorder- und Rück-
W2 seite des Heizkörpers) von
= eΔS/k = e3,24·10
22
oder
W1
A = 2 hb = 1,44 m2
W1
=e −3,24·1022
= 10−1,4·1022
.
wird der Wärmestrom infolge Konvektion
W2
Das bedeutet, dass die Einstellung des Ori- Q̇K = 121 W .
22
ginalzustands um den Faktor 10−1,4·10 un-
Ü 3.5-2: Die Wärmestromdichte infolge Wär-
wahrscheinlicher ist, als der Zustand des
meleitung beträgt nach (3.131), mit der Wär-
Temperaturausgleichs.
meleitfähigkeit λ = 0,026 W/(m · K) aus
Ü 3.5-1: Für den Wärmetransport ist die Nu- Tab. 3.12:
ßeltzahl entscheidend. Nach Tab. 3.14, (3.185) ΔT W
gilt näherungsweise jq, L =λ = 22 2 .
Δs m
Nu ≈ 0,129(Gr Pr)1/ 3 . Bei einer Scheibenfläche von A = 1 m2 ist der
Wärmestrom infolge Leitung
Die Grashofzahl ist nach Tab. 3.13, (3.172)
Q̇L = 22 W .
g γ ΔT L3
Gr = .
ν2 Der Wärmestrom infolge Konvektion wird
Die erforderlichen Stoffwerte sind in Tab. 3.15 analog zu Ü 3.5-1 berechnet. Hier ergibt sich:
zusammengestellt. Für Luft von 20 ◦ C gilt: Grashofzahl: Gr = 1,972 · 109 ,
γ = 3,421 · 10−3 K−1 und ν = 15,35 · 10−6 m2 /s. Prandtlzahl: Pr = 0,718,
Die Temperaturdifferenz ist ΔT = TO − TL = Nußeltzahl: Nu = 145,
20 K.
Die charakteristische Länge L entspricht der Wärmeübergangskoeffizient α∗K = 3,5 mW
2 ·K .
Höhe h = 0,6 m des Heizkörpers. Damit wird die Wärmestromdichte infolge
Mit diesen Daten ergibt sich für die Grashof- Konvektion
zahl W
jq, K = α∗K ΔT = 35
Gr = 6,153 · 10 8 m2
und der Wärmestrom Q̇K = 35 W.
Die Prandtlzahl ist nach (3.178) in Tab. 3.13
Der Wärmestrom infolge Strahlung ist
ν ρ cp
Pr = = 0,715 . nach (3.200)
λ

Damit wird die Nußeltzahl Nu = 98,1. Q̇S = C12 A T14 − T24 .
11.1 Lösungen der Übungsaufgaben 919

Der Strahlungsaustauschkoeffizient ist nach Ü 3.5-3: Der Wärmedurchgangskoeffizient U


(3.203) in Abb. 3.59 (DIN EN ISO 6946) des Daches beträgt nach
σ σ (3.222)
C12 = = . 1
1 1
ε1 + ε2 − 1
2
ε −1 U1 = 1 s1 s2 s3 1
.
α∗ + λ1 + λ2 + λ3 + α∗
a i
Mit der Stefan-Boltzmann-Konstante Mit den angegebenen Werten ergibt sich U1 =
W 0,57 mW
2 ·K .
σ = 5,67 · 10−8 Die Temperatur ϑGr an der Grenzschicht zwi-
m2 · K4
schen Wärmedämmung und Betondecke kann
und dem Emissionsgrad von Glas ε = 0,88
berechnet werden, wenn der Wärmestrom
nach Tab. 3.16 ergibt sich
durch die Decke bekannt ist.
C12 = 4,455 · 10−8 m2W·K4 und Q̇S = 38 W .
Im Sommer ist die Oberflächentemperatur
Der gesamte Wärmestrom beträgt somit
ϑO = 60 ◦ C direkt gegeben. Das bedeutet, dass
Q̇ges = Q̇L + Q̇K + Q̇S = 95 W . der Wärmeübergang von der Außenluft auf die
Dachhaut nicht betrachtet werden muss. Der
Der Wärmedurchlasswiderstand der Scheibe U-Wert beträgt in diesem Fall
ist 1 W
U2 = s1 s2 s3 = 0,581 2 .
λ + λ + λ + α∗
1 m ·K
A ΔT m2 · K 1 2 3
R= = 0,105
i
. Der Wärmestrom durch die Decke ist
Q̇ges W
nach (3.210)
Wird eine Scheibe bedampft, so dass sie einen Q̇ = U2 A(ϑO − ϑL ) .
Emissionsgrad von ε = 0,08 aufweist, dann
reduziert sich der Strahlungsaustauschkoeffi-
zient auf
W
C12, bedampft = 4,487 · 10−9
m2 · K4
und der Wärmestrom infolge Strahlung auf

QS, bedampft = 4W .
Der gesamte Wärmestrom beträgt jetzt

Qges, bedampft = 61 W . Dieser Wärmestrom muss auch durch die Wär-


medämmung fließen. Nach (3.131) gilt hierfür
Die prozentuale Reduktion ist ϑO − ϑGr
Q̇ = λ1 A .
s1
Q̇ges, normal − Q̇ges, bedampft
= 36% . Durch Gleichsetzen der beiden Beziehungen
Q̇ges, normal folgt
λ1
Nach der Bedampfung erhöht sich der Wär- U2 (ϑO − ϑL ) = (ϑO − ϑGr ) oder
s1
medurchlasswiderstand der Scheibe auf
λ1
A ΔT m2 · K s − U2 ϑO + U2 ϑL
Rbedampft = = 0,164 . ϑGr = 1 λ1
= 25,1 ◦ C .
Q̇ges, bedampft W s1
920 11 Anhang

Im Winter ist die Außentemperatur ϑa = in der Kleidung: jKl = R1 (ϑH − ϑKl )


Kl
−15 ◦ C. Damit ist der Wärmestrom durch die und nach (3.162) und (3.209) für
Decke Wärmestrahlung: jS = α∗S (ϑKl − ϑU ),
Konvektion: jK = α∗K (ϑKl − ϑLi ).
Q̇ = U1 A(ϑL − ϑa ) .
Die Oberflächentemperatur der Dachhaut be-
stimmt sich aus
Q̇ = α∗a A(ϑO − ϑa ) .
Durch Gleichsetzen der Wärmeströme folgt

U1 (ϑL − ϑa ) = α∗a (ϑO − ϑa )

und für die Oberflächentemperatur


U1 (ϑL − ϑa ) + α∗a ϑa
ϑO = = −14,3 ◦ C . Weil der Wärmestrom durch alle Schichten
α∗a konstant sein muss, lassen sich folgende Glei-
Damit wird die Temperatur an der Grenzfläche chungen aufstellen:
wie bereits oben abgeleitet 1 1
(ϑK − ϑH ) = (ϑH − ϑKl ) (1)
λ1 RG RKl
s − U 2 ϑO + U2 ϑL
ϑGr = 1 λ 1
= 15,6 ◦ C . und
s1
1
Der Temperaturunterschied an der Grenzflä- (ϑH − ϑKl ) = α∗S (ϑKl − ϑU ) +
che zwischen Sommer und Winter beträgt so- RKl
mit ΔT = 9,5 K. + α∗K (ϑKl − ϑLi ) . (2)
Ü 3.5-4: Zwischen Körperinnerem und Um- Aus diesen beiden Gleichungen lassen sich die
gebung wird sich folgendes Temperaturprofil Temperaturen auf der Oberfläche der Haut und
einstellen: der Kleidung berechnen:
ϑH ist die Oberflächentemperatur des Körpers
(Haut), ϑH = 32,9 ◦ C und ϑKl = 22,8 ◦ C .
ϑKl ist die Oberflächentemperatur der Klei-
dung. Die gesuchte Wärmestromdichte folgt bei-
Für die Wärmestromdichten gelten folgende spielsweise aus
Beziehungen nach (3.156): 1 W
Im Gewebe: jG = R1G (ϑK − ϑH ), jG = (ϑK − ϑH ) = 51 2 .
RG m

4. Elektrizität und Magnetismus

Ü 4.1-1: Zur Lösung werden die Kirchhoff ’- Masche 1: 3Ω I1M − 5Ω I3M − U = 0 , (1)
schen Gesetze verwendet. Die Maschenre- Masche 2: 6Ω I1a + 4Ω I2M − 3Ω I1M = 0 , (2)
gel, (4.25), ergibt, angewandt auf Masche 3: 8Ω I2a + 5Ω I3M − 4Ω I2M = 0 . (3)
11.1 Lösungen der Übungsaufgaben 921

Die Knotenregel (4.21), liefert, angewandt auf Es ergibt sich:


I1M = 1,286 A, I2M = −0,058 A,
Knoten K: I1a = I2a + I2M , (4)
I3M = −1,228 A.
Knoten M: I1M + I2M + I3M = 0 . (5)
De Strom, der durch die Batterie fließt, folgt
Damit wurden für die fünf Unbekannten fünf aus der Knotenregel, angewandt auf Knoten L:
Gleichungen gefunden, die lösbar sind. I = I1a + I1M .
Mit (2) ist I1a = 3 I1M −4
6
I2M
= 0,681 A und
I = 1,967 A.
Mit dem Ohm’schen Gesetz ergibt sich für den
Gesamtwiderstand
U
Rges = = 5,08 Ω .
I
Der gesamte Leistungsverbrauch ist nach
(4.62)

P = IU = 19,67 W .
Ü 4.1-2: Zur Auswahl eines geeigneten Ma-
terials wird der spezifische Widerstand be-
rechnet. Der Widerstand des Heizdrahtes ist
Eliminiert man beispielsweise mithilfe von (4) nach (4.13)
den Strom I1a in (2), so ergibt sich
l 4l
6 I2a + 10 I2M − 3 I1M =0 R=ρ =ρ .
A π d2
oder
Nach dem Ohm’schen Gesetz, (4.19), gilt
3 I1M − 10 I2M
I2a = . R = UI und somit
6
Dies eliminiert I2a in (3): π d2 U mm2
ρ= = 0,271 Ω
8 4lI m
(3 I1M − 10 I2M ) + 5 I3M − 4 I2M = 0 = 2,71 · 10−5 Ω cm .
6
oder
Ü 4.1-3: Der Winkel β, den der Faden rela-
80 tiv zum Lot einnimmt, wird bestimmt aus
4 I1M − 4 + I2M + 5 I3M = 0 .
6 sin β = 2ls = 0,167. Damit ist β = 9,59◦ .
Damit verbleiben drei Gleichungen für drei Im Gleichgewicht zeigt die Resultierende aus
Unbekannte elektrischer Abstoßungskraft F el und Ge-
U wichtskraft F G in Fadenrichtung. Damit gilt
3 I1M − 5 I3M = für den Winkel β:
Ω
52 tan β = FFelG oder Fel = mg tan β = 3,32 · 10−3 N.
4 I1M − I2M + 5 I3M = 0 Die Coulomb’sche Abstoßungskraft ist
3
I1M + I2M + I3M = 0 , nach (4.2)

die nach den gängigen Regeln der linearen Al- 1 Q2


Fel = .
gebra gelöst werden. 4πε0 s2
922 11 Anhang

Daraus folgt die gesuchte Ladung: Damit ist der erforderliche Strom

Q = Fel 4πε0 s2 = 1,52 · 10−7 C . I =
m
= 37,25 kA .
Ä t
Die 20 Öfen benötigen die Leistung

PO = 20 UO I = 3,427 MW .

Die Leitungen besitzen den Widerstand RL =


ρCu Al .
Mit einer Leitungslänge von l = 1 000 m ergibt
sich RL = 2,81 mΩ.
Die Verlustleistung der Leitungen ist
nach (4.64)

PL = I 2 RL = 3,903 MW .

Damit ist die erforderliche Generatorleistung

Ü 4.2-1: Nach (4.81) ist die Masse des abge- PGen = PO + PL = 7,33 MW .
schiedenen Metalls proportional zum Strom:
Ü 4.2-2: Der elektrische Strom ist nach den
M
m= It . Faraday’schen Gesetzen proportional zur ab-
z NA e geschiedenen Masse. Mit (4.81) bis (4.83) so-
Mit (4.82) und (4.83) gilt wie (4.9) gilt
M
= Ä . I = jA =
m
.
z NA e Ä t

Die Masse der Nickelschicht ist

m = V ρNi = A dρNi ,

dabei ist A die Oberfläche des Zylinders und d


die Schichtdicke.
Da die Stromstärke begrenzt ist, folgt aus den
beiden Gleichungen die erforderliche Zeit:

m A dρNi d ρNi
t = = = = 15,9 h .
Ä j A Ä j A Ä j

Die Oberfläche des Zylinders beträgt A =


2π r l + 2π r2 = 0,487 m2 , was zu einer Strom-
stärke von I = j A = 12,2 A führt.
Insgesamt wird die Masse
m = A dρNi = I Ä t = 0,212 kg abgeschieden.
11.1 Lösungen der Übungsaufgaben 923

Ü 4.3-1: Die Kapazität des Kondensators ist Die Kapazität des unteren Zweiges ist nach den
nach (4.136) Regeln für Parallel- und Reihenschaltung von
A π r2 Abb. 4.76
C = ε0 = ε0 = 4,45 · 10−11 F = 44,5 pF .
d d 1 1 1 1 0, 511
Die elektrische Feldstärke ist nach (4.94) = + + =
U V Cu 5 μF 9 μF 5 μF μF
E= = 2 500 .
d m oder Cu = 1,957 μF .
Für die Verschiebungsdichte gilt nach (4.129)
As
D = ε0 E = 2,21 · 10−8 2 . Damit ist die Gesamtkapazität Cges = 3 μF +
m 4 μF + 1,963 μF = 8,963 μF.
Damit wird die Ladung auf den Platten
nach (4.130) (s. auch Beispiel 4.3-4)
U Ü 4.3-4:
Q = D A = ε0 E A = ε0 π r2 = 4,45 · 10−10 As .
d
Zur Kontrolle: Nach der Definitionsglei- a) In diesem Fall handelt es sich um eine
chung (4.134) für die Kapazität gilt Parallelschaltung von zwei Kondensato-
ren mit jeweils der halben Plattenfläche A.
Q = CU = 44,5 pF · 10 V = 4,45 · 10−10 A s .
Jede Kapazität für sich ist nach (4.136)
Ü 4.3-2: Im statischen Gleichgewicht muss die
und (4.153)
Gewichtskraft mg kompensiert werden durch
die elektrische Feldkraft QE (der Auftrieb wird A A
C1 = εr1 ε0 und C2 = εr2 ε0 .
vernachlässigt): 2d 2d
mg = QE . Die Gesamtkapazität ist nach (4.147)
U
Mit E = folgt (s. (4.127) εr1 + εr2 A
d Cges = C1 + C2 = ε0 ;
mgd 2 d
U= = 368 V .
Q
es wird also das arithmetische Mittel
der beiden relativen Permittivitätszahlen
wirksam.
b) Dieser Fall entspricht der Hintereinander-
schaltung von Kondensatoren. Die Einzel-
kapazitäten sind jetzt
Ü 4.3-3: Abbildung 4.84 kann folgenderma-
ßen umgezeichnet werden: 2A 2A
C1 = εr1 ε0 und C2 = εr2 ε0 .
d d
Nach (4.148) ist die Gesamtkapazität

1 1 1 d d
= + = +
Cges C1 C2 2εr1 ε0 A 2εr2 ε0 A
d(εr1 + εr2 )
=
2εr1 εr2 ε0 A
und
2εr1 εr2 A
Cges = ε .
εr1 + εr2 0 d
924 11 Anhang

Ü 4.4-1: Das Proton verspürt die Lorentz- Bemerkung: Die Lösung setzt voraus, dass der
Kraft (4.203), Haftreibungskoeffizient zwischen Walze und
Unterlage genügend groß ist, so dass der Zy-
FL = Q × B . linder nicht abrutscht.
Die Kraft steht senkrecht auf der Ebene, die Ü 4.4-4: Die magnetische Flussdichte, die
durch die Vektoren und B aufgespannt wird. der linke Leiter erzeugt, ist nach (4.173)
Da senkrecht auf B steht, gilt für den Betrag und (4.191)
der Kraft FL = e B. I
B1 = μ0 d .
Die Geschwindigkeit ergibt sich aus der kine- 2π 2 + x
tischen Energie
Der rechte Leiter erzeugt

1 2 2Ekin m I
Ekin = m → = = 24 · 106 . B2 = μ0 d .
2 m s 2π 2 − x
Damit wird die Kraft FL = 9,6 · 10−12 N. Beide Flussdichten sind gleich gerichtet und
Ü 4.4-2: Die Hall-Feldstärke ist nach (4.206) addieren sich zur gesamten Flussdichte

und Abb. 4.104 EH = UbH = B x . μ0 I 1 1 μ I 2d
B(x) = + = 0 2 .
Die Feldstärke in Längsrichtung ist 2π d2 + x d2 − x π d − 4x2
nach (4.207) Ex = n { e x
.
Auf der Symmetrieachse, für x = 0, ergibt sich
Das Verhältnis der beiden Feldstärken wird da-
mit EEHx = Bn{e = nBeρ . 2μ0 I
B(0) = .
πd
Ü 4.4-3: Die Stromschleife besitzt nach (4.199)
das magnetische Moment

m = N I A = 2N I l r .

Im Magnetfeld erfährt sie nach (4.200) das


Drehmoment

M = mB sin α = 2N I l rB sin α ,
das den Zylinder bergauf bewegen möchte.
Infolge der Hangabtriebskraft wirkt auf den
Zylinder das Drehmoment

M = mg r sin α , Ü 4.4-5: Auf der senkrechten Achse werden


die Positionen μl0LΘ = 2,51 T, 1,26 T und 0,84 T
das den Zylinder bergab bewegen möchte. eingezeichnet und von dort die Scherungsge-
Im Gleichgewicht müssen die beiden Drehmo- raden zum Punkt lΘFe = 10 kA m auf der waag-
mente gleich sein: rechten Achse. Die Schnittpunkte der Sche-
mgr sin α = 2N I l rB sin α . rungsgeraden mit der Magnetisierungskurve
liefern die Arbeitspunkte.
Daraus folgt für die erforderliche Stromstärke: Es ergeben sich folgende Werte:
mg lL = 1 mm: B = 1,56 T; lL = 2 mm: B = 1,17 T
I = = 0,144 A . und lL = 3 mm: B = 0,81 T.
2N lB
11.1 Lösungen der Übungsaufgaben 925

Der Widerstand beträgt

1
R= 1 1
= 66,67 Ω ,
200 Ω + 100 Ω

die Kapazität ist

1
C= 1
= 3,33 μF ,
10 μF + 5 1μF

die Induktivität ist


1
L = 3H+ 1 1
= 3,67 H .
1H + 2H

Das Zeigerdiagramm der R-L-C-Reihen-


schaltung nach Abb. 4.133 hat folgende Form:

Ü 4.5-1: Bei der rotatorischen Spannungser-


zeugung ist nach (4.250) in Abb. 4.125 die in-
duzierte Spannung

u(t) = NBAω sin ω t .

Die Amplitude ist Der Wechselstromwiderstand ist



û = NBAω . 1 2
Z = R2 + ωL − = 207,9 Ω .
Die erforderliche magnetische Flussdichte be- ωC
trägt somit
Der Effektivwert des Stromes ergibt sich damit
û û zu
B= = = 191 mT .
NAω NA2π n U
I = = 1,11 A .
Ü 4.5-2: Die Schaltung von Abb. 4.153 kann Z
auf folgendes Ersatzschaltbild reduziert wer-
Für den Phasenverschiebungswinkel gilt
den:
|UL | − |UC | ωL − ω1C
tan ϕ = = = 2,95 .
UR R

Damit wird der Winkel ϕ = 1,24 rad = 71,3◦ .


Die Wirkleistung ist

P = U I cos ϕ = 81,6 W .
926 11 Anhang

Ü 4.5-3: Der magnetische Widerstand des


Kreises ist

lFe lL
Rm = + .
μr μ0 A μ0 A

Nun gilt nach (4.236) das „Ohm’sche Gesetz“


für magnetische Kreise


Θ = Vm = Φ
lFe
+
lL
.
Aus dem Zeigerdiagramm folgt mit UR = 50 V
μr μ0 A μ0 A und U = 230 V:


Nimmt man näherungsweise an, dass die re- UL = U 2 − UR2 = 224,5 V .
lative Permeabilität μr des Eisens konstant ist,
so gilt bei konstanter Durchflutung Θ
Nun ist UL = IV XL = IV ω L und damit

lFe lL, 1 lFe lL, 2
Φ1 + = Φ2 + . UL
μr μ0 A μ0 A μr μ0 A μ0 A L= = 5,955 H .
IV 2π f

Damit ist das Verhältnis der Flussdichten


Kontrolle:
Nach (4.287) ist der Wechselstromwiderstand
lFe lL, 1 lFe
+ + lL,1 des Verbrauchers
B2 Φ μr μ0 A μ0 A μr 2
= 2= = = .
B1 Φ1 lFe lL, 2 lFe 3
+ + lL, 2
μr μ0 A μ0 A μr ZV = R2 + (ω L)2 .

Bei Verdoppelung des Luftspalts wird die Der Ohm’sche Widerstand ist R = UIVR =
Flussdichte demnach auf 2/3 des ursprüngli- 416,7 Ω. Damit ergibt sich Z = 1 917 Ω und für
chen Wertes reduziert. den Strom durch den Verbraucher IV = U / Z =
Hinweis: Die Konstanz der relativen Permeabi- 0,12 A.
lität ist in der Realität eher nicht gegeben. Des- Für den Phasenverschiebungswinkel zwischen
halb muss man wie in Ü 4.4-5 durch Eintragen Strom und Spannung folgt aus dem Zeigerdia-
der Scherungsgerade in die Magnetisierungs- gramm
kurve den Arbeitspunkt bestimmen.
UR
cos ϕ = = 0,217 .
Ü 4.5-4: Eine Leuchtstoffröhre benötigt zum U
Betrieb eine Vorschaltdrossel (Abb. 4.46). Der
gesamte Verbraucher ist damit eine Reihen- Damit ist ϕ = 77,4◦
schaltung aus Ohm’schem Widerstand und Um den Blindstrom zu kompensieren, wird ein
Spule: Kondensator parallel geschaltet:
11.1 Lösungen der Übungsaufgaben 927

Blindstromkompensation sind I und U in


Phase. Nun gilt
UL IC IV XL UZ
sin ϕ = = oder = .
U IV IV Z UXC

Daraus folgt XZL2 = X1C und R2 +(ωωL L)2 = ω C.


Die erforderliche Kapazität ist
L
C= = 1,62 μF .
R2 + (ω L)2

Alternative:
Nach (4.314) ist die benötigte Kapazität

Q
C= .
U2ω
Wie aus dem Zeigerdiagramm hervorgeht, Die Blindleistung des Verbrauchers ist Q =
wird dadurch der Gesamtstrom I in den Zu- S sin ϕ = U IV sin ϕ = 26,94 VA. Damit ergibt
führungsleitungen geringer. Bei vollständiger sich ebenfalls C = 1,62 μF.

5. Schwingungen und Wellen

Ü 5.1-1: Bei einer harmonischen Schwingung Zur Zeit t = 1,2 s ergibt sich (1,2 s) = 0,
der Form was zu erwarten war, da der Körper im
y(t) = 0,25 m · cos(4 π s−1 · t + π/ 5), ist Totpunkt momentan still steht.
Die Beschleunigung ist nach (5.10)
a) die Kreisfrequenz gegeben als Vorfaktor
der Zeit t:
a = ÿ = −ŷω20 cos(ω0 t + ϕ0 ) .
ω0 = 4πs−1 ,
die Schwingungsdauer
Zur Zeit t = 1,2 s ergibt sich a(1,2 s) =
2π 39,5 m/s2 .
T0 = = 0,5 s ,
ω0 Das ist die maximale Beschleunigung
der Nullphasenwinkel (Abb. 5.6).
ϕ0 = π/ 5 rad oder 36◦ , c) Die maximale Geschwindigkeit ist
die Amplitude
ŷ = 0,25 m. max = ˆ = ŷω0 = 3,14 m/s .
b) Die momentane Auslenkung zur Zeit t =
1,2 s beträgt y(1,2 s) = −0,25 m. Der Kör- Die maximale Beschleunigung ist
per befindet sich im unteren Totpunkt.
Für die Geschwindigkeit gilt allgemein
amax = â = ŷω20 = 39,5 m/s2 .
nach (5.9)
d) Die potenzielle Energie entspricht der Fe-
= ẏ = −ŷω0 sin(ω0 t + ϕ0 ) . derspannenergie
928 11 Anhang

Epot
1
= k y2 . b) Die „Federkonstante“ beträgt k = A ρ g =
2 π d2 ρ g = 1,109 N .
4 m
Die Federkonstante folgt aus der Eigen- Die Differentialgleichung der harmoni-
kreisfrequenz: schen Schwingung lautet:

k = ω20 m = 15,8 N/m . Aρg


ÿ + y=0.
m
Damit ergibt sich Epot = 0,0790 J.
c) Nach (5.20) wird die Kreisfrequenz
Die kinetische Energie

1 k π d2 ρ g
Ekin = m 2 ω0 = = = 6,08 s−1
2 m 4m
kann am einfachsten aus dem Energieer- und die Schwingungsdauer
haltungssatz nach (5.53) berechnet wer-

den: T0 = = 1,03 s .
ω0
1
Ekin = Eges − Epot = k ŷ2 − y2 = 0,415 J . d) Die Kreisfrequenz hängt linear vom
2
Durchmesser ab:
Ü 5.1-2:
πρg s−1
a) Wird das Reagenzglas der Querschnitts- ω0 = d = 5,068 ·d.
4m cm
fläche A um die Strecke y ins Wasser ge-
drückt, so verdrängt es das Wasservolu- e) Die Gleichung der Auslenkung lautet:
men V = Ay. Nach dem Archimedischen
Prinzip, (2.188), ist die damit erzeugte y(t) = ŷ cos(ω0 t) .
zusätzliche Auftriebskraft oder Rückstell-
kraft Zur Zeit t = 1,2 s gilt y(1,2 s) = 0,528 cm.
Damit ist die potenzielle Energie
Frück = −A ρ g y .
1
Epot = k y2 = 1,547 · 10−5 J .
Da die Rückstellkraft wie bei einer Feder 2
proportional ist zur Auslenkung, resultiert Die Geschwindigkeit zur Zeit t = 1,2 s ist
eine harmonische Schwingung
m
= ẏ = −ŷω0 sin(ω0 t) = −0,05167 .
s
Damit wird die kinetische Energie

1
Ekin = m 2 = 4,000 · 10−5 J .
2
Für die Gesamtenergie ergibt sich somit

Eges = Ekin + Epot = 5,547 · 10−5 J .


Zur Kontrolle:
1
Eges = k ŷ2 = 5,547 · 10−5 J .
2
11.1 Lösungen der Übungsaufgaben 929

Ü 5.1-3: Die Kapazität C des Kondensators soll Mit n = 15 folgt


vom Drehwinkel γ linear abhängen gemäß √
c = 2 = 21/ 15 = 1,047 .
n

C = aγ + b .
Das logarithmische Dekrement beträgt
Die Eigenfrequenz des Schwingkreises ist nach
(5.61) Λ = ln c = 0,04621 .
1
f0 = √ . b) Die Abklingkonstante ist nach (5.86)
2π LC
Daraus folgt für die Kapazität Λ
δ= = 0,0132 s−1 .
1 Td
C= .
f02 4π2 LC Die Kreisfrequenz beträgt
Für den Winkel γ1 = 0 ist f1 = 1 kHz und 2π
C1 = 2,533 μF, ωd = = 1,795 s−1 .
Td
für den Winkel γ2 = 180◦ ist f2 = 3 kHz und
C2 = 281,4 nF. c) Die Schwingungsgleichung lautet
Die Konstanten a und b der Eingangsgleichung
können damit aus folgenden Gleichungen be- y(t) = ŷ0 e−δ t cos(ωd t)
= 20 cm · e−0,0132 s
−1 t
stimmt werden: · cos(1,795 s−1 t) .
C1 = a · 0 + b liefert b = C1 und Ü 5.1-5: Die sechs parallelen Federn entspre-
C2 = a · 180◦ + b liefert a = C180
2 −C1
◦ . chen einer Feder mit der resultierenden Fe-
Also gilt allgemein derkonstante kres = 6 k. Die Eigenfrequenz der
Schwingung beträgt somit
C2 − C1
C(γ ) = γ + C1 .
180◦ 1 6k
f0 = = 1,743 Hz .
Die Eigenkreisfrequenz beträgt damit in Ab- 2π m
hängigkeit vom Drehwinkel Die erregende Drehzahl n1 = 500 min−1 =
1 1 8,33 s−1 liegt oberhalb von f0 . Wird die Dreh-
ω0 (γ ) = √ = . zahl erhöht, geht die Amplitude zurück.
LC
L C1 + C2 −C1
180◦ γ Nach (5.109) ist die Amplitude der erzwun-
genen Schwingung
Zur Kontrolle:
ω0 (0) = √LC1
= 6 828 s−1 und f0 (0) = 1 kHz F̂E Ω
ŷ = 2 2 mit η = .
ω0
1
und k 1 − η2 + 2ϑη
ω0 (180◦ ) = √LC1
2
= 18 851 s−1 und f0 (180◦ ) =
3 kHz. Nun gilt
Ü 5.1-4: F̂E
ŷ1 = 2 2 und
a) Nach (5.85) gilt für das Amplitudenver-
k 1 − η21 + 2ϑη1
hältnis
F̂E
ŷi ŷ2 = 2 2 .
=2=c . n
k 1 − η22 + 2ϑη2
ŷi+1
930 11 Anhang

Unter der Voraussetzung, dass die Kraftampli- c) Die Resonanzüberhöhung ist nach (5.115)
tude konstant bleibt, gilt für das Verhältnis bei schwacher Dämpfung, die hier gegeben
ist,


ŷ1
1 − η22 2 + 2ϑη2 2

= 10 = 2 2 ŷ(Res) 1
ŷ2 1 − η2 + 2ϑη1 ≈ = Q = 6,46 .
1 ŷ(stat) 2ϑ
mit η1 = 4,781.
Die 3-dB-Breite der Resonanzkurve ist
Diese Gleichung kann nach der gesuchten nor- nach (5.116)
mierten Frequenz η2 aufgelöst werden. Nach
1
Lösung einer biquadratischen Gleichung er- Δη = = 0,155 .
gibt sich Q

η2 = 14,83 . Das bedeutet anschaulich eine Frequenz-


breite von
Damit ist die gesuchte Erregerfrequenz
Δf = Δη · f0 = 123 Hz .
f2 = η2 f0 = 25,85 Hz bzw. n2 = 1 550 min−1 .
Ü 5.1-7: Nach (5.124) ist die Amplitude der
Ü 5.1-6:
entstehenden Schwingung
a) Das ungedämpfte System hat nach (5.61)
die Eigenkreisfrequenz ŷneu = ŷ21 + 2ŷ1 ŷ2 cos(ϕ01 − ϕ02 ) + ŷ22
ω0 = √
1
= 5 · 103 s−1 = 12,7 cm .
LC
Für den Nullphasenwinkel der resultierenden
und die Eigenfrequenz
Schwingung gilt nach (5.125)
ω0
f0 = = 795,8 Hz . ŷ1 sin ϕ01 + ŷ2 sin ϕ02

tan ϕ0neu = = 1,007 .
b) Die Eigenfrequenz bei Dämpfung beträgt ŷ1 cos ϕ01 + ŷ2 cos ϕ02
nach (5.82) und (5.94) Damit ist ϕ0neu = 0,789 rad = 45,2◦ .

√ R2 C
ωd = ω0 1 − ϑ = ω0 1 −
2 . Ü 5.1-8:
4L
a) Für die Schwingungen in x- bzw. y-
Nun soll gelten: ωd = ω0 · 0,997, also ist
Richtung gilt

R2 C
0,997 = 1 − . x(t) = x̂ cos(ω0 t + ϕx ) und
4L
Daraus ergibt sich y(t) = ŷ cos(ω0 t + ϕy ) .

L Da nur der Phasenunterschied ϕ = ϕy − ϕx
R = 2 (1 − 0,9972 ) = 15,48 Ω . gesucht ist, kann willkürlich ϕx = 0 gesetzt
C
werden. Damit gilt
Der Dämpfungsgrad dieser Schwingung ist
x(t) = x̂ cos(ω0 t) und
δ R
ϑ= = = 0,0774 . y(t) = ŷ cos(ω0 t + ϕ) .
ω0 2Lω0
11.1 Lösungen der Übungsaufgaben 931

2û
Das Maximum in x-Richtung tritt auf zur bk =− .
Zeit t = 0: x(0) = x̂. Zur selben Zeit muss kπ
die y-Schwingung ihr Minimum aufwei- Damit lautet die Fourier-Reihe
sen:
2û 1
u(t) = − sin(ω t) + sin(2ω t)+
y(0) = −ŷ = ŷ cos ϕ .
π 2

1
+ sin(3ω t) + … .
Daraus folgt 3
Das Spektrum hat folgende Form:
ϕ = arccos(−1) = π oder 180◦ .
b) Bei der Überlagerung entsteht im Allge-
meinen eine Ellipse. Aus der Ellipsen-
gleichung (5.147) folgt für den Spezialfall
ϕ = π die Geradengleichung (5.152)
ŷ 1
y=− x=− x.
x̂ 3

Die Überlagerung der ersten 10 Glieder der


Fourier-Reihe liefert folgende Abb.:

Ü 5.1-9: Die Funktion der Sägezahnspannung


lautet
u(t) = −û + 2û
T t für 0 ≤ t ≤ T mit û = 1 V.
Die Fourier-Koeffizienten bestimmen sich
nach (5.141) und (5.142):

T
2 2û
ak = −û + t cos(kω t) dt und
Ü 5.2-1: Nach (5.171) gilt
T T
0
c
T λ= .
2 2û f
bk = −û + t sin(kω t) dt .
T T
0 Damit sind die gesuchten Wellenlängen
λ(16 Hz) = 21,3 m und λ(20 kHz) = 17 mm.
Bereits aus Symmetriegründen (die Funktion
Ü 5.2-2: Eine Welle der Form
ist punktsymmetrisch zum Ursprung) folgt,
dass die Fourier-Koeffizienten ak verschwin- y(x, t) = 5 · 10−4 m ·
den:
sin(1 980 s−1 · t − 6 m−1 · x)
ak = 0.
Für die bk folgt nach Integration besitzt nach (5.172)
932 11 Anhang

a) die Kreisfrequenz ω = 1 980 s−1 und damit Die Geschwindigkeit (Schnelle) ist
die Frequenz f = 2ωπ = 315 Hz, ∂y
b) die Wellenzahl k = 6 m−1 und damit die = = −ŷω sin(ω t − k x + ϕ0 ) ;
∂t
Wellenlänge λ = 2kπ = 1,05 m, = (0, 0) = −ŷω sin(ϕ0 ) .
c) nach (5.171) oder (5.204) die Phasenge-
(0, 0) wird nur dann negativ, wenn ϕ0 = π
schwindigkeit 2
ist.
ω m
c = λf = = 330 . Damit lautet die komplette Lösung:
k s
y(x, t) = 20 cm ·
d) Die Geschwindigkeit oder Schnelle der π
schwingenden Teilchen ist mit · cos 31,4 s−1 · t − 1,08 m−1 · x + .
2
y(x, t) = ŷ cos(ω t − k x + ϕ0 ) : Ü 5.2-4: Nach (5.177) gilt für die Intensität
∂y 1
= = −ŷω sin(ω t − k x + ϕ0 ) . I = cρ ŷ2 ω2 .
∂t 2
Die Schnellenamplitude beträgt Mit der Dichte ρ = 1,293 kg/m3 (Tab. 7.1) folgt
daraus für die Schwingungsamplitude
ˆ = ŷω = 0,99 m/s .
2I
ŷ = = 1,07 · 10−11 m .
Ü 5.2-3: cρ ω2
a) Die Phasengeschwindigkeit der Welle ist Die Schwingungsamplitude ist kleiner als die
nach (5.193) Molekülgröße (einige 10−10 m).

F 4F m Ü 5.2-5: Wird die Fläche gleichmäßig be-
c= = = 29,1 . strahlt, dann ist die Intensität
Aρ πd ρ
2 s
P W
b) Nach (5.171) ist die Wellenlänge I = = 1 · 1017 2 .
A m
c Nach (5.180) gilt
λ= = 5,83 m .
f 1 εr ε0 2
I= Ê .
c) Die Gleichung der Welle lautet allgemein 2 μr μ0
nach (5.172) Für Luft gilt in guter Näherung εr = μr = 1. Da-
y(x, t) = ŷ cos(ω t − k x + ϕ0 ) , mit wird die Amplitude der elektrischen Feld-
stärke
mit ω = 2 π f = 31,4 s−1 , k = 2λπ = ωc = √

μ0
1,078 m−1 und ŷ = 20 cm. Ê = 2I 4
ε0
Der Nullphasenwinkel ϕ0 bestimmt sich
aus den Anfangsbedingungen: oder mit dem Wellenwiderstand des Vakuums
nach (5.187)
y(0, 0) = 0 = ŷ cos ϕ0 . V
Ê = 2I ZF,0 = 8,68 · 109 .
m
Die möglichen Werte für den Nullphasen- Die Amplitude der magnetischen Feldstärke
winkel sind wird mit (5.183)
π 3π
=

= 2,31 · 107
A
ϕ0 = und ϕ0 = . Ĥ
ZF,0 m
.
2 2
11.1 Lösungen der Übungsaufgaben 933

Ü 5.2-6: Die abgestrahlte Leistung verteilt sich zu erzwungenen Schwingungen erregt. Sie
gleichmäßig auf eine Kugeloberfläche. Damit strahlen ihrerseits Wellen mit eben die-
ist die Intensität ser Frequenz ab, die der Beobachter (De-
P P W tektor) nahe des Senders erneut dopp-
I= = = 7,96 · 10−7 2 .
A 4π r 2 m lerverschoben wahrnimmt mit der Fre-
Ü 5.2-7: Für den Fall des bewegten Beobach- quenz
ters gilt nach (5.205)
B c+
fB = fQ 1 + . fB = fE .
c c−
Daraus folgt für die gesuchte Geschwindigkeit
√ Damit ergibt sich
fB
B = −1 c=
12
2−1 c
fQ
c+ 1+
1+β
m
= 20,2 = 72,8
km fB = fQ = fQ c
= fQ
s h c− 1−
c 1−β
mit der Schallgeschwindigkeit c = 340 m/s.
mit β = c .
Ü 5.2-8:
Da β << 1, gilt in guter Näherung
a) Der ruhende Beobachter hört nach (5.208)
die Frequenz
fB = fQ (1 + β)2 = fQ (1 + 2β) .
fQ
fB = = 465,8 Hz .
1 + cQ Die relative Frequenzänderung ist
b) Vom Tunneleingang werden die Wel-
len reflektiert, die in Vorwärtsrichtung Δf fB − fQ fB
= = −1=2 .
abgestrahlt wurden, die also eine hö- fQ fQ fQ c
here Frequenz aufweisen (Abb. 5.53b).
Nach (5.207) gilt b) Die absolute Frequenzänderung ist
fQ
fT = = 539,7 Hz .
Δf = fQ · 2 = 1 kHz .

1 − cQ
c
c) Der Lokführer bewegt sich auf die Wel-
len zu, die vom Tunneleingang mit der Die relative Frequenzänderung beträgt
Frequenz fT reflektiert wurden. Damit gilt
nach (5.205) Δf
B = 1,11 · 10−7 .
fL = fT 1 + = 579,4 Hz . fQ
c
Ü 5.2-9: c) Aus = 2fΔQf c folgt nach dem Fehlerfort-
a) Die beweglichen Elektronen in den Metall- pflanzungsgesetz, (1.14), dass Δf eben-
teilen des Fahrzeugs werden nach (5.213) falls auf 10% genau sein muss. Dabei ist
mit der Frequenz vorausgesetzt, dass der Fehler der Quel-
lenfrequenz fQ vernachlässigbar ist. Der
c+ Absolutfehler der Differenzfrequenz muss
fE = fQ
c− also kleiner als 100 Hz sein.
934 11 Anhang

Ü 5.2-10: Die resultierende Amplitude ist nach Py-


thagoras
a) Nach (5.214) gilt für den halben Öffnungs-
winkel des Mach’schen Kegels ŷ2 = ŷ21 + ŷ22 = 3,61 · 10−4 m .
sin α = cQ = Ma
1
= 23 oder α = 41,8◦ .
Dasselbe Ergebnis liefert auch die Anwen-
b) Die Schallschleppe trifft im Abstand
dung von (5.124).
h b) Für den Phasenverschiebungswinkel gilt
s= = 5,59 km tan ϕ = ŷ21 = 23 oder ϕ = 0,588 rad = 33,7◦ .

tan α
auf den Boden. Um diese Strecke bis zum Ü 5.2-12:
Beobachter zurück zu legen, benötigt das a) In der Stabmitte, der Einspannstelle, be-
Flugzeug und die Schallschleppe die Zeit findet sich ein Schwingungsknoten. Die
freien Enden sind Schwingungsbäuche.
s s
t = = = 11 s . Damit ist die Stablänge l identisch mit der
Q c Ma
halben Wellenlänge:
λ0
l= oder λ0 = 2l .
2
Nach (5.171) ist die Schallgeschwindigkeit
im Stab
m
c = λ0 f0 = 2l f0 = 5 054 .
s

b) Nach (5.197) gilt



Ü 5.2-11: E N
c= oder E = ρ c2 = 2 · 1011 .
a) Das Zeigerdiagramm hat zur Zeit t = 0 ρ m2
und am Ort x = 0 folgendes Aussehen: c) Bei der ersten Oberschwingung gilt
λ1 2
l=3 oder λ1 = l.
2 3
Damit wird die Frequenz
c
f1 = 3 = 3f0 = 7 581 Hz .
2l
Die Serie der Obertöne ist dieselbe wie bei
den gedackten Pfeifen (5.220):
fn = (2n + 1)f0 .
11.1 Lösungen der Übungsaufgaben 935

Ü 5.2-13: Nun gilt


a) Die Addition der beiden Teilwellen ergibt c c
ω = 2π f = 2π = 2π 0 .
nach (5.222) λ nλ
y = 2ŷ cos(ω t − k x) cos(Δω t − Δk x), mit
ω = ω1 +2 ω2 = π(f1 + f2 ) und k = k1 +k2
2 .
Also ist
ω π
Mit k = c = 2π c ergibt sich k = c (f1 + f2 ).
f
1 1
Δω = ω2 − ω1 = 2π c0 − .
Ferner ist n2 λ2 n1 λ1
Δω = ω1 −2 ω2 = π(f1 − f2 ) und Δk =
π (f − f ).
c 1 2 Für die Wellenzahl gilt k = 2λπ . Also ist
Die Einhüllende der Funktion (Abb. 5.66)
ist gegeben durch cos(Δω t− Δk x). Zur Zeit 1 1
Δk = 2π − .
t = 0 gilt cos(Δk x). Sie hat ein Maximum λ2 λ1
am Ort x = 0. Das nächste Maximum (Mi-
nimum) tritt auf an der Stelle, an der gilt Damit ergibt sich für die Gruppengeschwin-
Δk x = π oder digkeit
π c Δω
x= = = 110 m . =
Δk f2 − f1 cgr
Δk
Damit ist der Abstand benachbarter 1 1

n1 λ1 − n2 λ2
Schwebungsgruppen s = 110 m. = c0 n2 λ12 n1 λ1
= c0
b) Am Ort x = 0 ist die zeitabhängige
1 n1 n2 (λ1 − λ2 )

Schwebung gegeben durch den Ausdruck λ2 λ1
m
cos(Δω t). Nach dem ersten Maximum bei = 0,67188 c0 = 2,0143 · 108 .
s
t = 0, folgt das nächste bei
Der Gruppenindex wird
π 1
t= = .
Δω f1 − f2 ngr =
c0
= 1,48835 .
cgr
Die Schwebungsfrequenz ist damit
Alternative:
fS = f2 − f1 = 3 Hz .
Nach (5.225) ist der Gruppenindex
c) Die Gruppengeschwindigkeit beträgt
dn Δn
nach (5.223) ngr =n−λ ≈n−λ .
dλ Δλ
Δω f1 − f2 m
cgr = = c = c = 330 .
Δk f1 − f2 s Dabei ist

Die Welle erfährt keine Dispersion. n1 + n2 λ1 + λ2


n= , λ= ,
Ü 5.2-14: Nach (5.223) ist die Gruppenge- 2 2
schwindigkeit Δn = n2 − n1 und Δλ = λ2 − λ1 .
dω Δω Damit ergibt sich ngr = 1,48821, in guter Über-
cgr = ≈ .
dk Δk einstimmung mit obigem Wert.
936 11 Anhang

6. Optik

Ü 6.2-1: An den Schnittpunkten der Wellen-


flächen der einlaufenden Welle mit der Spie-
gelebene werden Elementarwellen mit den
Radien λ, 2λ, 3λ usw. gezeichnet. Die Einhül-
lende der Kugelwellen ergibt die Wellenflächen
der reflektierten Welle.

Ü 6.2-4: Alle parallelen Strahlen müssen sich


in der Brennebene schneiden. Da der rote
Strahl durch F nach der Reflexion zu einem
achsenparallelen Strahl wird, ist der gemein-
same Schnittpunkt bekannt.

Ü 6.2-2: Es entstehen 5 Bilder.

Ü 6.2-5: Es liegen die Verhältnisse von


Abb. 6.10 vor. Die Bildweite ist nach (6.2)
bzw. (6.4)
af
a = .
a − f
Für a = 5f ergibt sich
Ü 6.2-3: Zeichnet man parallel zum einfal-
5f 2 5
lenden Strahl einen Strahl durch den Brenn- a =
= f .
punkt F , so wird dieser nach der Reflexion 5f − f 4
im Punkt P parallel zur optischen Achse zu- Der gesuchte Abstand beträgt somit

5 15
rückgeworfen. Da der Ausgangsstrahl und der
l = a − a = 5f − f =
f = − 15 f .
Strahl F P parallel sind, scheinen sie aus dem 4 4 4
Unendlichen zu kommen. Ihr Bildpunkt muss Für a = 15 f folgt
also in der Brennebene liegen. Das bedeutet, 1 2
dass der reflektierte Strahl durch den Punkt P 5f 1
a
= 1
= − f .
gehen muss. 5 −f
f 4
11.1 Lösungen der Übungsaufgaben 937

15,5◦
Das Bild liegt rechts vom Spiegel und ist virtu- y = f tan ε = 16,8 m · tan
ell. Der gesuchte Abstand beträgt somit 60
= 0,07575 m
9 9 befindet. Das Bild des Mondes hat damit den
l = a − a = f = − f .
20 20 Durchmesser
d = 2y = 15,15 cm .
Ü 6.2-6: Strahlen vom unteren Rand des Mon-
des fallen unter dem Winkel ε = 15,5 rela- Ü 6.2-7: Für die Bild- und Gegenstandsweite
tiv zur optischen Achse auf den Spiegel. Sie gilt
schneiden sich im Punkt P , der sich in der a = z + f und a = z + f .
Höhe
Setzt man diese Beziehungen in die Abbil-
dungsgleichung (6.2) ein, so ergibt sich
1 1 1
+ =
z + f z + f f
oder mit gemeinsamem Hauptnenner
z + f + z + f 1
= .
(z + f )(z + f ) f

f (z + 2f + z) = (z + f )(z + f )

Nach Ausmultiplikation folgt

z f + 2f + zf
2
= zz + zf + z f + f 2
938 11 Anhang

und damit die Newton’sche Abbildungsglei- Der Brechungswinkel ist


chung
1
ε = arcsin sin ε .

z z = f 2 . n
Für die Länge l innerhalb der Platte gilt
Ü 6.2-8: Für die erste Brechung gilt nach (6.11)
d d d
sin 60◦ = n sin ε1 . l= =√ = .
cos ε 1− ε
sin2 1− 1
sin2 ε
n 2
Damit ist der Brechungswinkel
Der seitliche Versatz wird damit
1
sin ε1 = sin 60◦ = 0,577 oder ε1 = 35,26◦ . x = l sin(ε − ε )
n
d
Der Strahl trifft auf die obere Grenzfläche un- = ·
1 − n 2 · sin2 ε
1
ter dem Winkel ε2 = 90◦ − ε1 = 54,74◦ . Dieser

Winkel ist aber größer als der Grenzwinkel der 1
sin ε − arcsin sin ε .
Totalreflexion n
1
εg = arcsin = 41,8◦ .
n
Daher wird der Strahl total reflektiert und trifft
unter dem Winkel ε3 = 90◦ − ε2 = ε1 auf die
rechte Grenzfläche, die er mit ε4 = 60◦ verlässt.
Der Ablenkwinkel zwischen dem ein- und dem
ausfallenden Strahl ist δ = 120◦ .

Beispiel:
ε = 45◦ , d = 10 mm und n = 1,5 liefert
x = 3,29 mm.
Für ε → 90◦ folgt x → d, für ε = 0 ist x = 0.
Ü 6.2-10: Nach Abb. 6.16b beträgt bei einem
Winkel von ε = 30◦ im Plexiglas der Winkel
ε = 48,5◦ an Luft. Damit ist
n sin 30◦ = sin 48,5◦ oder n = 1,5.
Der Grenzwinkel der Totalreflexion ist
nach (6.14)
1
εg = arcsin = 41,9◦ .
1,5
Ü 6.2-9: Mit dem Brechungsgesetz (6.11), gilt
Wie Abb. 6.16c zeigt, wird der Strahl bei einem
sin ε = n sin ε . Einfallswinkel von 50◦ total reflektiert.
11.1 Lösungen der Übungsaufgaben 939

Ü 6.2-11: Der Ablenkwinkel ist nach (6.16) Mit n = 1, n = 1,333 (Tab. 6.1) und r = ∞
ergibt sich
δ = ε1 − α + arcsin sin α n2 − sin2 ε1 −
1 1 s
n − = − oder s = = −1,13 m .
s s n
− cos α sin ε
1 .

Der minimale Ablenkwinkel beträgt nach


(6.17)
α
δmin = 2 arcsin n sin − α = 25,6◦ .
2
Er tritt auf bei symmetrischem Durchgang.
Dann ist
1
ε1 = ε2 = (δmin + α) = 35,3◦ .
2

Ü 6.2-14: Sammellinse:
In F wird ein Lot errichtet. Der Punkt P in
der Brennebene kann als Gegenstandspunkt
aufgefasst werden. Sein Bildpunkt liegt im Un-
endlichen. Also muss ein Strahl, durch den
Mittelpunkt, der nicht gebrochen wird und
der gesuchte Strahl hinter der Linse, parallel
verlaufen.

An der rechten Fläche tritt nach (6.18) Total-


reflexion auf, wenn der Einfallswinkel kleiner
ist als

1
ε1, g = arcsin n sin α − arcsin = 5,33◦ .
n
Ü 6.2-12: Der minimale Ablenkwinkel beträgt
nach (6.17)
α
δmin = 2 arcsin n sin − α .
2
Daraus folgt für den Brechungsindex

sin α+δ2min
n= = 1,61 .
sin α2
Ü 6.2-13: Aufgrund der Abbe’schen Invariante
(6.21), gilt

1 1 1 1
n − = n − .
r s r s
940 11 Anhang

Zerstreuungslinse: Das Bild ist reell und Kopf stehend.


Die Konstruktion läuft sinngemäß wie oben
beschrieben. Allerdings liegt jetzt F rechts von
der Linse.
Ü 6.2-15:
a) Wenn die Brennweite an Luft f ist, dann
gilt nach der Linsenmacherformel, (6.29)
1 1
= (nL − 1) oder r1 = (nL − 1)f .
f r1

Aus (6.25) folgt mit a = −∞ Ü 6.2-16: Es gilt die Abbildungsgleichung


(6.31)
nW nL − 1
= . 1 1 1
a r1 − =
a a f
Die Bildweite a ist identisch mit der
Brennweite im Wasser: Sowie die geometrische Beziehung


fW =
nW
r1 = nW f = 13,33 cm . −a + a =l.
nL − 1

Aus diesen beiden Gleichungen ergibt sich eine


quadratische Gleichung für die Gegenstands-
b) Nach (6.25) gilt
weite, bei der eine Abbildung möglich ist:
1 nW nL − 1
− =− . a2 + a l + f l = 0 .
a a r2
Der Radius r2 ist jetzt negativ: Sie hat zwei Lösungen:

r2 = −(nL − 1)f .
−l ± l2 − 4f l l l 2
Damit ergibt sich für die Bildweite a1,2 = =− ± − fl .
2 2 2
af
a = = 30 cm . Die beiden Linsenorte, für die eine scharfe Ab-
a + nW f bildung auf der Mattscheibe möglich ist, liegen
Der Abbildungsmaßstab beträgt nach symmetrisch zur Mitte des Aufbaus. Ihr Ab-
(6.26) stand ist


y nW a l 2
β = = = −2 . t=2 − f l = l2 − 4f l .
y a 2
11.1 Lösungen der Übungsaufgaben 941

Daraus ergibt sich die gesuchte Brennweite zu c) Die Gegenstandsweite beträgt

f =
l2 − t 2
. a = sO − sH = −13,18 cm .
4l
Die Bildweite folgt aus (6.32):
Ü 6.2-17: Aus der Abbildungsgleichung (6.31)
folgt die Brechkraft der Linse: af
a = = 10,1 cm .
1 1 1 a + f
D
= = − = 2,5 dpt .
f a a Der Abstand vom rechten Scheitel beträgt
Der Brechungsindex ergibt sich aus der Lin-
sO = a = 10,1 cm .
senmacherformel (6.29):
1 1 d) Der Abbildungsmaßstab ist nach (6.28)
D = = (nL − 1) oder
f r1 y a
nL = 1 + D r1 = 1,50 .
β = = = −0,77 .
y a
Ü 6.2-18: Ü 6.2-19: Die Brennweite bestimmt sich
a) Die Brennweite kann nach (6.36) berech- aus (6.36) mit den Krümmungsradien: r1 = +r,
net werden: r2 = −r:
2
1 1 1 1 nL − 1 2r
= D
= (nL − 1) − = 17,5 dpt 1
= D = nL − 1

+ −
f r2 f r r nL r2
und daraus f = 5,71 cm. 2 n −1
= · L .
b) Die gegenstandseitige Hauptebene H be- r nL
findet sich nach (6.39) im Abstand Die Brennweite wird damit
sH = −f nLn−1 d
L r2
= +1,18 cm von der Plan-
r nL
fläche. f = · .
2 nL − 1
Für die Lage der Hauptebenen gilt nach (6.39):
nL − 1 2r
sH = −f = −r und
nL r
n −1 2r
sH = −f =r.
L
nL −r
Beide Hauptebenen liegen also in der Linsen-
mitte.
Ü 6.2-20: Bei einer Plankonvex- oder Plan-
Die bildseitige Brennebene H hat den Ab-
konkavlinse ist r1 = ∞. Die Brechkraft ist da-
stand
her nach (6.36)
nL − 1 d
sH = −f =0 1 1
nL r1 = D
= nL − 1 − ,
f r2
Vom rechten Scheitel, d. h. sie verläuft
durch den Scheitel. hängt also nicht von der Dicke ab.
942 11 Anhang

Ü 6.2-21: Die Brennweite folgt aus (6.37): Der gesuchte Abstand beträgt somit
f1 f2

=
nL
·
r2
= 28,9 cm . e = f1 + f2 − = 21,3 cm .
f
nL − 1 nL − 1 d f
c) Der Brennpunkt F hat nach (6.40) den Ab-
Für die Lage der Hauptebenen liefert (6.39): stand sF von der Konkavlinse (Linse L2 ):
nL − 1 d r
1
s
= f1 + f 1−e = 0,167 cm−1 oder sF =
sH = −f = = −7,14 cm und F
6 cm.
2 1

nL r 1 − nL
Ebenso gilt für den Brennpunkt F relativ
nL−1 d
sH = −f = sH = −7,14 cm . zur Linse L1 :
nL r
1 1 1
Ü 6.2-22:
=− − = −0,231 cm−1
sF f1 f2 − e
a) Die Brennweite der plankonvexen Linse oder sF = −43,3 cm .
kann aus der Linsenmacherformel, (6.29), Die Lage der Hauptebene H relativ zur
berechnet werden: Linse L2 ergibt sich aus sF = sH + f oder
1
f1
= D1 = (nL,1 − 1) r11 = 3,75 dpt und sH = sF − f = −24 cm.
f1 = 26,7 cm. In gleicher Weise ergibt sich für den Ab-
Nach (6.43) addieren sich die Brechkräfte, stand der Hauptebene H von der Linse L1 :
wenn die Linsen eng zusammen stehen:
sH = sF − f = sF + f = −13,3 cm .
1 1 1
D = D1 + D2 oder = + .
f f1 f2

Daraus folgt D2 = −2,08 dpt oder f2 =


−48 cm.
Aus der Linsenmacherformel für die plan-
konkave Linse erhält man den gesuchten
Radius:
1
f2 = (nL,2 − 1) − r12 liefert
r2 = −(nL,2 − 1)f2 = +25 cm.
b) Die Gesamtbrennweite eines Systems aus
zwei Linsen ist nach (6.41)
d) Die Gegenstandsweite beträgt
f1 f2
f = .
a = sO − sH = −51,7 cm .
f1 + f − e
11.1 Lösungen der Übungsaufgaben 943

Nach (6.32) wird die Bildweite Die Brennpunkte F1 und F2 liegen an derselben
Stelle. Aus dem Strahlensatz folgt
af
a = = 71,5 cm . r2 r1 r2
a + f = oder f2 = −f1 = 50 cm .
f2 −f1 r1
Das Bild hat von der Zerstreuungslinse den Der Abstand der Linsen ist e = 40 cm.
Abstand
Ü 6.2-24: Die Referenzebene RE1 liege in L1 ,
sO =a +
sH = 47,5 cm . die Ebene RE2 in L3 . Damit besteht die Sy-
stemmatrix aus drei Linsenmatrizen und zwei
Der Abbildungsmaßstab beträgt Transfermatrizen:

y a M = L3 T 23 L2 T 12 L1
β = = = −1,38 .
y a 1 0 1 9 cm
=
−0,667 cm−1 1 0 1
Das Bild ist reell, Kopf stehend und vergrö-
ßert. 1 0 1 3 cm 1 0
0,133 cm−1 1 0 1 −0,333 cm−1 1
Ü 6.2-23: Um ein paralleles Strahlenbündel
−3 15,6 cm
wieder in ein paralleles Bündel abzubilden, =
muss das System afokal sein, d. h. die Brenn- 1,667 cm−1 −9
weite muss f = ∞ sein. Zur Kontrolle wird die Determinante berech-
net: det M = 1.
Die Brennweite des Systems ist nach (6.58)
f = − C1 = −0,6 cm. Das System ist also zer-
streuend.
Der objektseitige Brennpunkt F liegt
nach (6.53) am Ort
s1,F = DC = −5,4 cm links von Linse L1 .
Der bildseitige Brennpunkt F liegt nach (6.54)
Aus (6.41) folgt damit s2,F’ = − AC = 1,8 cm rechts von Linse L3 .
Die objektseitige Hauptebene H liegt nach
f1 + f2 − e = 0 oder e = f1 + f2 . (6.55)
944 11 Anhang


D − n1 / n2 der Abstand des bildseitigen Brennpunktes F
s1,H = = −6 cm links von L1 .
C von RE2 ist nach (6.54):
Die bildseitige Hauptebene H liegt nach (6.56) A
1−A s2, F’ = − = 4 cm ,
s2,H = = +2,4 cm rechts von L3 . C
C
der Abstand der objektseitigen Hauptebene H
Ü 6.2-25: Die Konvexfläche liegt links, die von RE1 ist nach (6.55):
Planfläche rechts. Die Referenzebene RE1 geht s1, H = D−1
C = 0, d. h. die Hauptebene verläuft
durch den Scheitel, RE2 liegt in der Planfläche. durch den Scheitel, der Abstand der bildseiti-
Nach (6.47) gilt für die Linsenmatrix: gen Hauptebene H von RE2 nach (6.56):

1−A
1 0 1 r1 1 0 s2, H’ = = −2 cm .
Ldick, Luft = 1−nL 1 . C
0 nL 0 1 nL r1 nL

Nach den Regeln der Matrizenmultiplikation Die Abbildung des Objekts kann mit der klas-
ergibt sich sischen Abbildungsgleichung behandelt wer-
den. In diesem Fall ist die Gegenstandsweite
a = sO = −10 cm. Gleichung (6.32) liefert für
1 r1
Ldick, Luft = nL
1−nL
nL
r1 1 die Bildweite

0,6667 2 cm af
= . a = = 15 cm .
−0,1667 cm−1 1 a + f

Zur Kontrolle wird die Determinante berech- Der Abstand vom rechten Scheitel ist damit
net: detLdick, Luft = 1.
Die Brennweite ist nach (6.58): sO = a + s2, H = 13 cm .
1 Wird die Berechnung mit der Matrixmethode
f = − = 6 cm ,
C durchgeführt, dann erweitert man zweckmä-
ßigerweise das System so, dass die Referen-
der Abstand des objektseitigen Brennpunk-
zebene RE1 im Objekt liegt und die Referen-
tes F von RE1 ist nach (6.53):
zebene RE2 im Bild. Die Systemmatrix besteht
D jetzt aus zwei Transfermatrizen und der bereits
s1, F = = −6 cm ,
C bekannten Linsenmatrix:
11.1 Lösungen der Übungsaufgaben 945


1 sO 0.6667 2 cm 1 −sO b) Die Brennweite der Linse folgt aus der Ab-
M= .
0 1 −0,1667 cm−1 1 0 1 bildungsgleichung (6.31):
Nach den Regeln der Matrizenmultiplikation 1 1 1
ergibt sich = − = 5 dpt oder
f aAP aEP

M=
0,6667 − 0,1667 cm−1 sO f = 20 cm .
−0,1667 cm−1
Ein Gegenstand der Gegenstandsweite a =
−0,6667sO + 2 cm + 0,1667 cm−1 sO sO + sO’ −50 cm wird nach (6.32) abgebildet am Ort
.
0,1667 cm−1 sO + 1
af
Nach Abb. 6.45 liegt eine Abbildung vor, wenn a = = 33,3 cm .
a + f
das Matrixelement B = 0 ist:
Der Abbildungsmaßstab beträgt nach
−0,6667sO + 2 cm + 0,1667 cm−1 sO sO + sO = 0. (6.33)
Daraus folgt sO = 13 cm. y a
β = = = −0,667 .
Ü 6.2-26: y a
a) Für den Abbildungsmaßstab gilt nach Damit ist die Bildgröße y = yβ =
Strahlensatz −6,67 mm.

a Zur Konstruktion des Bildes können Strah-
β = AP = 2 .

aEP len verwendet werden, die durch die Rand-
Damit ist der Durchmesser der Austritts- punkte der Pupillen gehen.
pupille doppelt so groß wie der Durchmes- c) Der notwendig Radius r der Linse folgt

ser der Eintrittspupille: dAP = 24 mm. aus geometrischen Überlegungen (Strah-
lensatz) zu 22,5 mm. Der erforderliche Lin-
sendurchmesser ist damit 2 r = 45 mm.
Ü 6.2-27: Das Auge habe die Brennweite fA ,
die Brennweite der Brille ist fB . Für beide Fälle
gilt die Abbildungsgleichung (6.31). Beim un-
bewaffneten Auge gilt:

1 1 1
− = . (1)
a aN fA
946 11 Anhang

Sitzt die Brille nahe beim Auge, können


nach (6.43) die Brechkräfte von Brille und
Auge addiert werden:
1 1 1
= + .
f fA fB
Damit wird die Abbildungsgleichung
1 1 1 1

− = + . (2)
a aB fA fB
Subtrahiert man (1) von (2), so ergibt sich
1 1 1 Ü 6.2-29:
= DB = − + = 2 dpt .
fB aB aN a) Die Mikroskopvergrößerung beträgt nach
(6.63)
t aB
ΓM = = −400 .
fOb fOk
b) Nach der Newton’schen Abbildungsglei-
chung (6.34) gilt für die Abstände von Ob-
jekt und Bild von den jeweiligen Brenn-
punkten

z · z = −f 2 .
Für unseren Fall wird daraus mit z = t
(Abb. 6.54):

zOb · t = −f 2Ob , oder


f 2Ob
zOb =− = −0,1 mm .
t
c) Normalerweise entsteht das Zwischenbild
Ü 6.2-28: Wie in Ü 6.2-27 gilt für das unbe-
in der vorderen Brennebene des Okulars
waffnete Auge
(Abb. 6.54). Wird das Okular um ΔzOk nach
1 1 1 hinten verschoben, dann wird das Zwi-
− = (1)
a aF fA schenbild durch das Okular abgebildet. Die
Gegenstandsweite beträgt
und für das Auge mit Zerstreuungslinse
1 1 1 1 aOk = −fOk

+ ΔzOk .

− = + . (2)
a ∞ fA fB Nach (6.32) entsteht das stark vergrößerte
Durch Subtraktion der beiden Gleichungen Bild im Abstand

folgt aOk fOk fOk
aOk =

= 1+ f
1 1 aOk + fOk ΔzOk Ok
= DB = = −2 dpt .
fB aF vom Okular.
11.1 Lösungen der Übungsaufgaben 947

Der Abbildungsmaßstab des Okulars ist Ü 6.2-31: Der Feldstecher hat eine Vergröße-
nach (6.33) rung von |ΓF | = 8 und den Objektivdurchmes-

ser DOb = 30 mm.
fOk fOk
βOk = =− .

aOk + fOk ΔzOk a) Nach Abb. 6.56 gilt

Der gesamte Abbildungsmaßstab beträgt l = fOb



+ fOk ;

t fOk
β = βOb · βOk = . ferner ist die Vergrößerung

fOb ΔzOk

fOb
Für den Fall ΔzOk = 1 mm ergibt sich ΓF = − .
fOk
aOk = 650 mm und β = 1000.
Aus diesen beiden Gleichung können die
Brennweiten berechnet werden:
ΓF

fOb = l = 177,8 mm und
ΓF − 1

fOk = l − fOb

= 22,2 mm .
b) Wenn das Auge auf Unendlich akkomo-
diert ist, müssen parallele Strahlen die
Okularlinse verlassen. Das bedeutet, dass
das Zwischenbild ZB in der Brennebene F2
entstehen muss. Es besitzt vom Objektiv
Ü 6.2-30: Das Mikroskop von Ü 6.2-29 hat ein die Bildweite

Objektiv der Brennweite fOb = 4 mm und ein
Okular der Brennweite fOk = 25 mm. Der Lin-

a = fOb

+ Δl .
senabstand ist
Mithilfe der Abbildungsgleichung (6.31)
e = fOb

+ t + fOk = 189 mm . folgt für die Gegenstandsweite

Die Gesamtbrennweite des Systems beträgt 1 1 1



− = oder
nach (6.41) a a fOb
1 1 1

fOb fOk
fOb
fOk = − .
f = = = −0,625 mm . a fOb + Δl fOb
fOb + fOk −e −t
Dies ergibt a = −6 499 mm ≈ −6,5 m.
Nach (6.60) wird damit die Lupenvergröße-
rung
aB
ΓL = − = −400 .
f

Die Vergrößerung ist negativ, weil im Gegen-


satz zur Lupe das Bild beim Mikroskop Kopf
steht.
948 11 Anhang

Ü 6.2-32: Wenn die Feld- oder Kollektivlinse e) Wenn die Augenpupille einen Durchmes-
an der Stelle des Zwischenbildes angebracht ser von DAuge = 8 mm aufweist, könnte
ist, befindet sie sich in der vorderen Brenn- das Auge einen Lichtstrom empfangen, der
ebene des Okulars. Das System aus Feldlinse proportional zur Fläche der Augenpupille
und Okularlinse besitzt also den Linsenab- ist:
stand π
Φ0 ∼ AAuge = D2Auge .
4
e = fOk

. Da aber wegen der kleineren Austrittspu-
pille des Fernrohrs nur die Fläche
Nach (6.41) beträgt die Systembrennweite von π
zwei Linsen AAP = D2AP
4
beleuchtet wird, beträgt der Lichtstrom
fFeld fOk fFeld fOk
f = = = fOk

mit Instrument nur noch
fFeld + fOk − e fFeld

AAP DAP 2
und zwar unabhängig von der Brennweite der Φ = Γ F Φ0
2
= Γ F Φ0
2
AAuge DAuge
Brennweite der Feldlinse.
= 1 600 · Φ0 .
Ü 6.2-33: Ü 6.2-34: Die vordere Grenzentfernung einer
a) Die Fernrohrvergrößerung beträgt nach „scharfen“ Abbildung ist nach (6.69)
(6.64) a f 2
av = .

fOb f 2 − u k(a + f )
ΓF = − = −60 . Mit f = 45 mm, u = 0,0433 mm, a = −3 m
fOk
und Blende k = 2,8 ergibt sich av = −2,55 m.
b) Der Durchmesser der Austrittspupille ist Ebenso folgt für die hintere Grenzentfernung
nach (6.65) a f 2
ah = 2
= −3,64 m .
D f + u k(a + f )
DAP = EP
Γ
= 5,33 mm .
F Die Schärfentiefe ist damit

c) Die Dämmerungszahl ist in (6.66) defi- Δa = av − ah = 1,09 m .


niert: Ü 6.2-35: Die hintere Grenzentfernung wird
nach (6.69) unendlich, falls
Z = ΓF DEP = 139 . f 2 + u k(a + f ) = 0 ist.
Daraus folgt für die einzustellende Gegen-
d) Wenn Augenpupille und Austrittspupille standsweite
denselben Durchmesser haben, steigt die
f 2
Helligkeit mit Instrument nach (6.67) mit a=− − f = −5,89 m .
dem Quadrat der Fernrohrvergrößerung. u k
Der Lichtstrom Φ, der ins Auge fällt, ist Die vordere Grenzentfernung wird dann
im Vergleich zum Lichtstrom Φ0 bei unbe- a f 2 f 2
waffnetem Auge av = =a
f 2 − u k(a + f ) f 2 + f 2
a
Φ = Γ 2F Φ0 = 3 600 · Φ0 . = = −2,95 m .
2
11.1 Lösungen der Übungsaufgaben 949

ε1 in ° 0 30 45 60 80 90
Φe in nW 62,0 53,3 43,8 31,7 10,8 0
Ie in mW/sr 15,5 13,3 10,9 7,9 2,7 0
Ie (0) in mW/sr 15,5 15,4 15,4 15,9 15,5 −
Le in kW/(m2 · sr) 15,5 15,4 15,4 15,9 15,5 −

Ü 6.3-1: berechnet und in obige Tabelle eingetra-


gen. Es zeigt sich, dass Ie (0) hinreichend
a) Die Strahlstärke ist nach (6.75) gegeben
konstant ist. Die LED hat demnach Lam-
durch
bert’sche Charakteristik. Das Polardia-
Φe gramm Ie (ε1 ) zeigt die Abstrahlcharakte-
Ie = ,
Ω risitk.
wobei der Raumwinkel anhand (6.73) be-
rechnet wird: c) Die Strahldichte beträgt nach (6.76)
A2
Ω= Ω0 . Ie (ε1 )
r2 Le = .
A1 cos ε1
Damit gilt
Sie ist in der fünften Zeile der obigen
Φe (ε1 ) r2 Tabelle eingetragen. Der Mittelwert ist
Ie (ε1 ) = .
A2 Ω0 15,5 kW/(m2 · sr).
d) Die spezifische Ausstrahlung eines
Die Ergebnisse sind in obiger Tabelle ein-
Lambert-Strahlers, der in den Halbraum
getragen.
emittiert, ist nach (6.82)
b) Wenn die LED ein Lambert-Strahler ist,
dann muss nach (6.77) gelten:
Me = Le π Ω0 = 48,7 kW/m2 .
Ie (ε1 ) = Ie (0) · cos ε1 .
e) Auf den Empfänger fällt nach dem photo-
metrischen Grundgesetz, (6.78), die Strah-
lungsleistung

A1 cos ε1 A2 cos ε2
Φe = Le Ω0 .
r2

Diese Leistung ist maximal für ε1 = ε2 = 0:


A1 A2
Φe, max = Le Ω0 .
r2

Damit ist nach (6.83) die maximale Be-


Um dies zu überprüfen, wird strahlungsstärke

Ie (ε1 ) Φe, max A1 mW


Ie (0) = Ee, max = = Le Ω0 = 62 .
cos ε1 A2 r2 m2
950 11 Anhang

Ü 6.3-2: b) Wenn die Bestrahlungsstärke am Ort der


Linse Ee, 1 beträgt, dann durchdringt die
a) Die Strahlstärke wäre nach (6.87) als Inte-
Linse die Strahlungsleistung
gral zu berechnen:
λ2
π d12
Φe = Ee, 1 ALinse = Ee, 1 .
Le = Le, λ (λ) dλ . 4
λ1
Vernachlässigt man die Verluste in der
Linse, dann fällt diese Strahlungsleistung
Näherungsweise soll gelten: auch auf das Bild der Sonne. Damit wird
Le ≈ Le, λ (λ) · Δλ . die Bestrahlungsstärke nach (6.83)
2
Nach (6.88) ist die spektrale Strahldichte Φe Φ4 d
Ee, 2 = = e 2 = Ee, 1 1
des Hohlraumstrahlers ABild π d2 d2
c1 1 1 MW
Le, λ = 5 c /λT = 1,38 2 .
λ e 2 − 1 Ω0 m
W Die Vernachlässigung der Linsenabsorp-
= 5,22 · 109 3
m · sr tion ist natürlich in Wahrheit nicht ge-
W
= 5,22 2 . geben. Tatsächlich zeigt das Glas starke
m · nm · sr Absorption im UV und IR, so dass die
Damit ergibt sich die Strahldichte wirkliche Bestrahlungsstärke wesentlich
W niedriger ist. Um die wirkliche Bestrah-
Le ≈ 209 .
m2 · sr lungsstärke zu berechnen, muss der Ab-
b) Die Strahldichte der LED ist nach (6.76) sorptionsgrad des Linsenmaterials in Ab-
hängigkeit von der Wellenlänge bekannt
Ie W
Le = = 1 000 . sein.
A1 m2 · sr
Ü 6.3-4: Nach dem photometrischen Entfer-
Sie ist also deutlich höher, als die des Hohl- nungsgesetz (6.84) gilt für den Zusammen-
raumstrahlers. hang von Lichtstärke und Beleuchtungsstärke
Ü 6.3-3: Iv
Ev = cos ε2 Ω0 .
a) Die parallelen Randstrahlen von der Sonne r2
durchsetzen die Linse unter dem Winkel Daraus folgt die gesuchte Lichtstärke mit ε2 =0
ε = 32 = 9,31 · 10−3 rad. zu
Das Bild in der Brennebene hat damit den 1 lm
Iv = Ev r2 = 1 125 = 1 125 cd .
Durchmesser Ω0 sr

d2 = f ε = 0,931 m . Ü 6.3-5:
a) Der Lichtstrom, der auf den Empfänger
fällt, ist nach (6.91)

Φv = Km V(λ)Φe = 6,2 · 10−6 lm .


Der Hellempfindlichkeitsgrad V(λ) ist in
DIN 5031 in Nanometerschritten tabel-
liert.
11.1 Lösungen der Übungsaufgaben 951

b) Die Beleuchtungsstärke ist in Analogie Für die Spektralfarbe der Wellenlänge λ =


zu (6.83) 600 nm ergibt sich in gleicher Weise mit
Φv x = 1,0622, y = 0,6310 und z = 0,0008 :
Ev = = 0,31 lx .
A2 x = 0,6270, y = 0,3725 und z = 0,0005 .
c) Der Raumwinkel ist nach (6.74) Wieder gilt x + y + z = 1,0000 .
A2
Ω= Ω0 = 20 · 10−6 sr . Die Farborte aller Mischfarben dieser bei-
r2 den Spektralfarben liegen in der Normfarb-
tafel auf einer Geraden durch die Punkte
Ptürkis (0,0454/ 0,2950) und
Porange (0,6270/ 0,3725).
Sie müssen einer Geradengleichung der Form
y = ax + b genügen. Durch Einsetzen der bei-
d) Da die LED eine Lambert’sche Abstrahl-
den Punkte ergeben sich die Gleichungen
charakteristik besitzt, gilt nach (6.77)
0,2950 = 0,0454a + b
Iv (ε1 ) = Iv (0) cos ε1 .
0,3725 = 0,6270a + b .
Die Lichtstärke Iv (ε1 ) beträgt mit (6.75)
Daraus folgt
Φv a = 0,1333 und b = 0,2890.
Iv (ε1 ) = = 0,31 cd = 310 mcd .
Ω Also lauten alle erzeugbaren Farborte:
Damit wird die Lichtstärke in Vorwärts- y = 0,1333x + 0,2890 mit 0,0454 ≤ x ≤ 0,6270.
richtung Setzt man x = 1/ 3 ein, so ergibt sich y = 1/ 3.
Das sind aber die Koordinaten des Unbunt-
Iv (ε1 )
Iv (0) = = 358 mcd . punktes E.
cos ε1
Ü 6.3-7: Wird in erster Näherung die Licht-
e) Die Leuchtdichte beträgt nach (6.76) quelle als monochromatisch angesehen, dann
Iv (ε1 ) cd gilt für die Farbreizfunktion ϕ(λ0 ) = k und
Lv = = 716 · 103 2 ϕ(λ = λ0 ) = 0.
A1 cos ε1 m
klm Mithilfe der Zahlenwerte der Normspektral-
= 716 2 werte x(640 nm) = 0,4479, y(640 nm) = 0,1750
m · sr
und z(640 nm) = 0 aus der DIN 5033 ergibt
Ü 6.3-6: Die Spektralfarbe der Wellenlänge
sich für die Normfarbwerte
λ = 490 nm besitzt nach DIN 5033 die Norm-
X = 0,4479, Y = 0,1750 und Z = 0.
spektralwerte x = 0,0320, y = 0,2080 und
Die Normfarbwertanteile ergeben sich zu
z = 0,4652.
x = 0,7191 und y = 0,2809.
Damit sind gemäß (6.96) die Normfarbwerte
Soll der Farbort genauer bestimmt werden,
X = 0,0320 k, Y = 0,2080 k und Z = 0,4652 k,
müssen die Integrale
mit X + Y + Z = 0,7052 k.
Nach (6.97) ergeben sich die Normfarbwertan- X = ϕλ x(λ) dλ , Y = ϕλ y(λ) dλ und
teile
x = 0,0454, y = 0,2950 und z = 0,6596. Z = ϕλ z(λ) dλ
Zur Kontrolle: x + y + z = 1,0000.
952 11 Anhang

λ/ nm x y z ϕλ ϕλ x ϕλ y ϕλ z

570 0,7621 0,952 0,0021 0,0002 0,0002 0,0002 0,0000


575 0,8425 0,9154 0,0018 0,0007 0,0006 0,0006 0,0000
580 0,9163 0,87 0,0017 0,0020 0,0018 0,0017 0,0000
585 0,9786 0,8163 0,0014 0,0053 0,0052 0,0044 0,0000
590 1,0263 0,757 0,0011 0,0132 0,0136 0,0100 0,0000
595 1,0567 0,6949 0,001 0,0301 0,0318 0,0209 0,0000
600 1,0622 0,631 0,0008 0,0628 0,0667 0,0396 0,0001
605 1,0456 0,5668 0,0006 0,1201 0,1256 0,0681 0,0001
610 1,0026 0,503 0,0003 0,2107 0,2113 0,1060 0,0001
615 0,9384 0,4412 0,0002 0,3391 0,3183 0,1496 0,0001
620 0,8544 0,381 0,0002 0,5006 0,4277 0,1907 0,0001
625 0,7514 0,321 0,0001 0,6775 0,5091 0,2175 0,0001
630 0,6424 0,265 0 0,8411 0,5403 0,2229 0,0000
635 0,5419 0,217 0 0,9577 0,5190 0,2078 0,0000
640 0,4479 0,175 0 1,0000 0,4479 0,1750 0,0000
645 0,3608 0,1382 0 0,9577 0,3455 0,1323 0,0000
650 0,2835 0,107 0 0,8411 0,2385 0,0900 0,0000
655 0,2187 0,0816 0 0,6775 0,1482 0,0553 0,0000
660 0,1649 0,061 0 0,5006 0,0825 0,0305 0,0000
665 0,1212 0,0446 0 0,3391 0,0411 0,0151 0,0000
670 0,0874 0,032 0 0,2107 0,0184 0,0067 0,0000
675 0,0636 0,0232 0 0,1201 0,0076 0,0028 0,0000
680 0,0468 0,017 0 0,0628 0,0029 0,0011 0,0000
685 0,0329 0,0119 0 0,0301 0,0010 0,0004 0,0000
690 0,0227 0,0082 0 0,0132 0,0003 0,0001 0,0000
X = 4,1052, Y = 1,7495, Z = 0,0005

bestimmt werden, die in der Praxis durch Sum- folgt durch Ableiten
men berechnet werden:
dλ c c
=− oder dλ = − df .
X= ϕi xi , Y = ϕi yi und df f2 f2

Z= ϕi zi . Geht man zu den etwas größeren Intervallen
über, so gilt
Die nachfolgende Tabelle ist ein Ausschnitt ei-
c λ
ner Excel-Tabelle mit der die Berechnung vor- Δλ = Δf = Δf .
genommen wird. f2 f
Für die Farbwertanteile ergibt sich in guter Dies ist (6.102). Ersetzt man f durch c/λ, so
Übereinstimmung mit der obigen Näherungs- ergibt sich der unvorstellbar kleine Wert von
rechnung:
x = 0,7011 und y = 0,2988. λ2
Δλ = Δf = 1,2 · 10−21 m .
Ü 6.4-1: Aus der fundamentalen Wellenglei- c
chung Die Kohärenzlänge ist mit (6.100) und (6.101)
c c
c = λ f oder λ= l= = 3 · 108 m .
f Δf
11.1 Lösungen der Übungsaufgaben 953

Ü 6.4-2: Die Orte konstruktiver Interferenz Aus den beiden Gleichungen folgt für die Ord-
liegen in großem Abstand auf den Asympto- nungszahl der Interferenz m = 3 und für die
ten, deren Winkel durch (6.105) gegeben sind. Dicke der Schicht
So ist der Winkel des ersten Maximums
λ2
λ d=m = 800 nm .
sin α1 = . 2nF
d
Der Abstand von der Symmetrieachse, auf der Ü 6.4-5:
das Maximum nullter Ordnung auftritt, ist
a) Nach (6.109) ist die erforderliche Mindest-
D
Δx = D tan α1 ≈ D sin α1 = λ = 1,96 mm . dicke
d
Ü 6.4-3: Aus der Brennweite lässt sich mithilfe λ
d= = 119 nm .
der Linsenmachergleichung (6.29) der Krüm- 4n1
mungsradius der Linse berechnen:
Weitere mögliche Schichtdicken sind
1 1
= (n − 1) liefert (2m + 1)λ
f R dm = = 357 nm, 595 nm, …
R = (n − 1)f = 2,5 m . 4n1

Nach (6.112) sind die Radien der dunklen b) Der Gangunterschied zwischen den bei-
Ringe den reflektierten Strahlen ist (s. Herleitung
√ von (6.106)
rm = mλR .
Δ = 2d n21 − sin2 ε .
Damit wird die Wellenlänge des Lichts
2
rm
λ= = 640 nm .
mR
Ü 6.4-4: Der geometrische Wegunterschied
der beiden reflektierten Strahlen ist 2d. Der
optische Gangunterschied beträgt damit 2dnF .
Wenn keine Reflexion erfolgen soll, dann müs-
sen sich die beiden reflektierten Wellen aus-
löschen (destruktive Interferenz), also einen
Die Reflexion wird minimal, wenn gilt:
Gangunterschied von einer halben Wellen-
länge oder ungeradzahligen Vielfachen davon λ
aufweisen: Δ = (2m + 1) .
2
λ1
2d nF = (2m + 1) . (1) Daraus folgt für die gesuchte Wellenlänge
2
Soll starke Reflexion auftreten, dann müssen
die reflektierten Wellen konstruktiv interferie- 4d n21 − sin2 ε
ren, also einen Gangunterschied von ganzzah-
λ= .
2m + 1
ligen Vielfachen der Wellenlänge haben:
Für d = 119 nm und m = 0 folgt λ =
2d nF = mλ2 . (2) 536 nm.
954 11 Anhang

Ü 6.4-6: Der dritte dunkle Ring erscheint un- Ü 6.4-9: Der Grenzwinkel für das beu-
ter dem Winkel α3 relativ zur Symmetrieachse, gungsbegrenzte Auflösungsvermögen ist nach
der gegeben ist durch (6.118)
λ λ
sin α3 = 3,238 . δ = 1,22 .
d d
Mit tan α3 = d2s3 folgt Da im Auge die Wellenlänge des Lichts ver-
3,238 λ 3,238 λ 3,238 λ · 2s
d= ≈ = kürzt ist um den Betrag des Brechungsindex,
sin α3 tan α3 d3 gilt für den Grenzwinkel innerhalb des Auges
= 198 μm . λ
δi = 1,22 .
nd
Dies entspricht aber nach dem Snellius’-
schen Brechungsgesetz (mit sin δ ≈ δ) einem
Grenzwinkel außerhalb des Auges von wie-
derum
λ
δ = 1,22 ≈ 3,4 · 10−4 rad ≈ 1,2 .
d
Ü 6.4-7: Die Intensitätsverhältnisse werden Dieser Grenzwinkel stimmt etwa überein mit
durch (6.113) beschrieben: dem physiologischen Grenzwinkel von unge-
Iα sin x 2 b fähr einer Winkelminute (Abschn. 6.2.7.1).
= mit x = π sin α .
I0 x λ Ü 6.4-10: Nach den Ausführungen von Ü 6.4-9
Nebenmaxima treten nach (6.115) auf für beträgt der Grenzwinkel für λ = 550 nm
sin αm ≈ (m + 12 ) λb , d. h. für xm ≈ π(m + 12 ).
λ
Sucht man mithilfe eines Rechnerprogramms δ = 1,22 = 1,7 · 10−4 rad .
in der Gegend dieser Stellen die Maxima obiger d
Funktion, so erhält man folgende numerische Der Abstand Erde-Mond ist ungefähr rE,M ≈
Ergebnisse: 3,8 · 108 m. Damit ergibt sich auf dem Mond
I1 I eine Längendifferenz von
= 0,0472 , 2 = 0,0165 und
I0 I0 y = δ rE,M ≈ 64 km .
I3
= 0,00834 . Ü 6.4-11:
I0
Ü 6.4-8: Mathematisch ist die Halbwertsbreite a) Ein Fernrohr 8x30 hat einen Objektiv-
gegeben durch den Schnittpunkt der Funktion durchmesser von 30 mm. Der Grenzwin-
Iα sin x 2 Iα 1 kel des Auflösungsvermögens beträgt
= mit = ,
I0 x I0 2 nach (6.118)
oder vereinfacht λ
x δ = 1,22 = 2,24 · 10−5 rad
sin x = √ . d
2
für eine Wellenlänge von λ = 550 nm. An
Diese Gleichung hat die numerische Lösung
der Burgwand sollten damit Details im Ab-
x = 1,391557.
stand y = δ s ≈ 34 cm aufgelöst werden.
Damit ist der gesuchte Winkel gegeben durch
Die Fenster können also ohne weiteres ge-
λ
sin α1/ 2 = 0,4429 . sehen werden.
b
11.1 Lösungen der Übungsaufgaben 955

b) Beim Auge mit d = 1,5 mm ist die Auflö- Ü 6.4-14:


sungsgrenze
a) Die Beugungsmaxima 1. Ordnung treten
λ nach (6.121) auf unter den Winkeln
y = 1,22 s = 6,7 m .
d
λ
Die Fenster werden also nicht aufgelöst. α1 = ± arcsin = ±36,1◦ .
g
Ü 6.4-12: Die Lage der Hauptmaxima ist ge-
b) Bei einem verdrehten Gitter gilt
geben durch (6.121):
nach (6.122):
λ sin α+1 = λg + sin β oder α+1 = 49,7 ◦ .
sin αm, max = ±m .
g Für m = −1 folgt
sin α−1 = − λg + sin β oder α−1 = −24,5◦ .
Da die Interferenzfunktion des Gitters durch
die Spaltbeugungsfunktion moduliert wird, Ü 6.4-15:
kommt es an all jenen Stellen zur Aus-
a) Nach (6.122) beträgt der Beugungswinkel
löschung, an denen die Spaltfunktion null

wird. Diese Minima der Spaltbeugungsfunk- λ
tion sind nach (6.114) gegeben durch α−1 = arcsin − + sin β = 28,8◦ .
g
λ Für m = +1 gibt es keine Lösung.
sin αk, min = ±k .
b b) Der Blaze-Winkel muss nach (6.124) fol-
Ist also sin αm, max = sin αk, min oder gendermaßen gewählt werden:
λ λ 1
m =k , δ = (β − α) = 10,6◦ .
g b 2
dann ist kein Beugungsreflex zu beobachten. Ü 6.4-16:
Nun soll gelten: g = 2b, d. h.
a) Das erforderliche Auflösungsvermögen
λ λ
m =k oder m = 2k . des Gitters ist
2b b
λ 589
Da k = 1, 2, 3, …, folgt, dass für m = = = 987 .
dλ 589,5930 − 588,9963
2, 4, 6, … Auslöschung erfolgt. Also sind nur
die Hauptmaxima mit den Ordnungszahlen Nach (6.125) ist das Auflösungsvermögen
m = 0, 1, 3, 5, … beobachtbar. eines Gitters in der ersten Ordnung

Ü 6.4-13: Die Winkel der Maxima sind λ


= p; .
nach (6.121) gegeben durch dλ
λ Die notwendige Strichzahl des Gitters ist
sin αm = ± m = ± m · 0,66 .
g damit p ≥ 987.
Bei 50 Strichen pro mm ist die erforderli-
Da der Sinus eines Winkels nie größer sein
che Breite des Gitters s ≥ 20 mm.
kann als 1, kann man lediglich die Beugungs-
b) In der dritten Ordnung wird das Auflö-
ordnungen
sungsvermögen drei mal größer:
m=0±1
λ
= 3p ≈ 3 000 .
beobachten. dλ
956 11 Anhang

Ü 6.4-17: Das erforderliche Auflösungs- b) Die Winkel α, β und γ folgen aus (1) bis (3):
vermögen des Gitters ist nach Ü 6.4-16 α = 48,2◦ , β = 48,2◦ und γ = 70,5◦ .
λ
= 987 . Ü 6.4-19: Röntgenreflexe werden beobachtet,

wenn die Bragg-Bedingung, (6.130) erfüllt ist:
Aus (6.127) folgt die Basisbreite des Pris-
mas:
2d sin Θ = mλ .
λ/ dλ
B≥ = 11,6 mm .
dn/ dλ
Damit gilt
Ü 6.4-18:
λ
a) Die Laue-Gleichungen (6.129) bestimmen Θ = arcsin m .
2d
die Winkel, unter denen Interferenzma-
xima auftreten. Für einen Röntgenstrahl
Die ersten drei Glanzwinkel betragen:
in z-Richtung ist
α0 = β0 = 90◦ und γ0 = 0.
Θ1 = 7,28◦ , Θ2 = 14,69◦ und Θ3 = 22,36◦ .
Mit a = b = c und h = k = 1 sowie l = −1
werden die Laue-Gleichungen
Ü 6.4-20:
a cos α = λ (1)
a cos β = λ (2) a) Nach Abb. 6.106 ist der Winkel zwischen
dem Primärstrahl und dem gebeugten
a(cos γ − 1) = −λ . (3)
Strahl doppelt so groß wie der Glanzwin-
Für die Richtungskosinusse muss gelten: kel Θ, der die Bragg-Bedingung (6.130) er-
füllt:
cos2 α + cos2 β + cos2 γ =1. (4)

Setzt man (1) bis (3) in (4) ein, so folgt λ
2Θ = 2 arcsin m .
2 2 2d
λ λ λ 2
+ + 1− =1.
a a a Die ersten beiden Winkel betragen:
Die Lösung dieser Gleichung ist 2Θ1 = 31,92◦ und 2Θ2 = 66,73◦ .
λ 2 2 b) Das Argument der arcsin-Funktion muss
= oder λ = a = 0,2 nm . stets kleiner oder gleich 1 sein:
a 3 3

λ
m ≤1.
2d

Daraus folgt für die Ordnungszahl:

2d
m≤ = 3,6 .
λ
Die größte mögliche Ordnungszahl ist da-
mit m = 3.
Die zugehörigen Winkel betragen Θ3 =
55,59◦ und 2Θ3 = 111,18◦ .
11.1 Lösungen der Übungsaufgaben 957

Ü 6.4-21: Die Kreise entstehen durch den


Schnitt der Kugelwellen mit den ebenen Wel-
len. Liegt auf der Symmetrieachse in der Film-
ebene konstruktive Interferenz vor, dann ist
der Radius des ersten Rings nach Pythagoras

r1 = (s + 1 · λ)2 − s2 .
Für den k-ten Ring gilt

rk = (s + kλ)2 − s2 = 2ksλ + k2 λ2 .
Da s >> λ, gilt in guter Näherung
√ √
rk ≈ 2ksλ = 0,796 mm · k .
Ü 6.4-23: Nach dem Gesetz von Malus (6.131),
Die ersten vier Radien sind ist die Intensität hinter einem Polarisator
r0 = 0, r1 = 0,796 mm, r2 = 1,13 mm, I = I0 cos2 ϕ, wenn ϕ der Winkel zwischen
r3 = 1,38 mm, r4 = 1,59 mm, usw. der Schwingungsrichtung des Lichts und der
Durchlassrichtung des Polarisators ist. Nun
besitzt natürliches Licht keine Vorzugsrich-
tung sondern besteht aus Wellenzügen mit
statistisch regellos wechselnden Schwingungs-
richtungen. Man muss daher über alle mögli-
chen Winkel ϕ mitteln:


1 1
I = I0 cos2 ϕ = I0 cos2 ϕ dϕ = I0 .
2π 2
0

Ü 6.4-24: Hinter dem ersten Polarisator be-


Ü 6.4-22: Die Gangunterschiede benachbarter trägt die Intensität nach den Ausführungen
Wellen müssen eine Wellenlänge sein. Nach von Ü 6.4-23
Pythagoras gilt für die k-te Welle: 1
I1 = I0 .
rk2 +f 2
= (f + kλ ) .
2 2

Daraus folgt für die Brennweite der Zonenlinse Nach dem Gesetz von Malus, (6.131), ist die
Intensität hinter dem zweiten Polarisator
rk2 − k2 λ 2 rk2
f = ≈ .
2kλ 2kλ I2 = I1 cos2 30◦ =
1 3
· I0
Nun gilt nach Ü 6.4-21 2 4

rk2 = 2ksλ und hinter dem dritten Polarisator


2
und damit 1 3 9
I3 = I2 cos 30 =2 ◦
· I0 = I0
λ 2 4 32
f =s = 48,9 cm .
λ = 0,281 I0 .
958 11 Anhang


Ü 6.4-25: Nach Tab. 6.13 ist der Gangunter- A = 7,1116 · 106 · (nm)2 ,
mm
schied der beiden Teilstrahlen beim Kerr- ◦
Effekt B = 1,4904 · 1011 · (nm)4 .
mm
Δ = λlKE2 Für die Wellenlänge λ = 589,3 nm wird das
Drehvermögen
mit der Kerr-Konstanten [α] = 21,714 ◦ /mm.
K = 2,48 · 10−12 m/V2 .
Wenn der Gangunterschied eine halbe Wellen- Ü 6.5-1:
länge sein soll, gilt a) Die Energie der auftreffenden Photonen ist
1 V nach (6.136) bis (6.138)
E= √ = 2,25 · 106 .
2lK m 1,24 μm · eV
Eph = hf = = 4,89 eV .
λ
Ü 6.4-26: Nach Tab. 6.13 gilt für den Gang-
unterschied der beiden Teilstrahlen beim Von dieser Energie wird die Austrittsarbeit
Pockels-Effekt WA = 2,14 eV benötigt, um die Elektronen
auszulösen. Der verbleibende Rest steht als
Δ = l n30 r63 E . kinetische Energie zur Verfügung:

Die Feldstärke ist bei longitudinal anliegender Ekin = Eph − WA = 2,75 eV .


Spannung E = Ul . Damit wird der Gangunter-
schied b) Die Geschwindigkeit der Elektronen folgt
aus
Δ = n30 r63 U ,
1
Ekin = m 2 zu
unabhängig von der Länge. 2
Die Halbwellenspannung ist 2Ekin m
= = 9,83 · 105 .
m s
λ
Uλ/ 2 = = 3,64 kV . Ü 6.5-2: Die Leistung ist das Produkt aus der
2n30 r63
Energie eines Photons und der Zahl der Pho-
Ü 6.4-27: Setzt man die Messwerte des Dreh- tonen, die je Zeiteinheit ausgesandt werden:
vermögens in °/mm und die Wellenlängen in
nm in die Gleichung Φe = Eph Ṅ .
A B Daraus ergibt sich
[α] = +
λ2 λ4
Φe Φe λ
ein, dann ergeben sich die beiden Gleichungen Ṅ = = = 3,26 · 1017 s−1 .
Eph hc
A B
17,314 = + (1) Ü 6.5-3: Beim Compton-Effekt ist nach
656,32 656,34
A B (6.140) die maximale Änderung der Röntgen-
32,766 = + . (2) Wellenlänge für ϑ = 180◦
486,12 486,14
Nach den Regeln der linearen Algebra folgen h
Δλ = λ − λ = 2 = 2λC = 4,85 · 10−12 m .
daraus die beiden Konstanten m0 c
11.1 Lösungen der Übungsaufgaben 959

Damit ist die Wellenlänge der gestreuten Rönt- Ü 6.5-6: Nach (6.147) ist der Taillendurchmes-
genstrahlung ser bei einem Gauß’schen Strahl

λ = λ + Δλ = 75,79 · 10−12 m . 4λ f
d= = 6,045 · 10−5 m .
πD
Die Energie der ankommenden Quanten be-
Die mittlere Bestrahlungsstärke ist nach (6.83)
trägt
Φe 4Φe W W
=
hc Ee = = = 2,09 · 105 2 = 20,9 2 .
Eph
λ
, A π d2 m cm

die der gestreuten Quanten Ü 6.5-7: Die Wellenlänge der Materiewelle ist
nach (6.148)
hc
Eph = . h h
λ λ= = = 1,66 · 10−35 m .
p m
Damit wird der Energieverlust
Die Größe aller vorkommenden Gegenstände,
1 1
ΔE = Eph − Eph = h c − Spalte, Aperturblenden etc. ist viel größer als
λ λ diese Wellenlänge. Starke Beugungseffekte be-
= 1,79 · 10 −16
J = 1,119 keV . obachtet man aber, wenn Wellenlänge und Di-
mensionen der beugenden Objekte in dersel-
Der relative Energieverlust ist
ben Größenordnung liegen.
ΔE λ
=1− = 6,4% . Ü 6.5-8: Nach (6.148) ist die Materie-
Eph λ Wellenlänge
Ü 6.5-4: Die Photonenenergie beträgt nach h
(6.36) bzw. (6.37) λ= .
p
1,24 μm · eV
Eph = . = 12 m 2 und
λ Mit der kinetischen Energie E
dem Impuls p = m folgt
Für die Wellenlängen des sichtbaren Lichts
380 nm ≤ λ ≤ 780 nm (Abschn. 6.1) ergeben p2 √
sich die Energien 3,26 eV ≥ Eph ≥ 1,59 eV. E= oder p = 2E m .
2m
Ü 6.5-5: Wie bei Ü 6.5-2 erläutert, ist die Leis- Damit ist die Wellenlänge
tung eines monochromatischen Lichtstrahls
h
hc λ= √ = 1,81 · 10−10 m .
Φe = Eph Ṅ = N. 2E m
λ
Diese Wellenlänge entspricht etwa der Gitter-
Daraus folgt für den Photonenstrom
konstante typischer Kristalle. Neutronen kön-
Φe λ nen demnach an Kristallgittern gebeugt wer-
Ṅ = ≈ 5 s−1 .
hc den.
960 11 Anhang

7. Akustik

Ü 7.2-1: liegen die Frequenzen, die in obiger Tabelle


grau unterlegt sind.
a) Bei schallharten Wänden entsteht durch
c) Nach (7.11) ist die Schallgeschwindigkeit
die Überlagerung von einlaufender und re-
in Gasen
flektierter Welle eine stehende Welle mit
κp
Schwingungsknoten an der Wand (Abb. 7.6 c = κ Ri T = .
und 5.58). Wie bei den stehenden Wellen ρ
auf Saiten (Abschn. 5.2.4.2) entstehen Re- Helium hat am Normzustand die Dichte
sonanzen bei den Frequenzen ρn = 0,17847 kg/m3 (Tab. 3.6). Mit dem
fn = (n + 1)f0 mit der Grundfrequenz Isentropenexponenten κ = 5/ 3 ergibt sich
f0 = 2L
c
. cHe = 973 m/s.
Setzt man n+1 = m, wobei m = 1, 2, 3, …, Für Luft am Normzustand gilt nach
dann gilt Tab. 7.1: cLuft = 331 m/s. Damit sind die
c Grundfrequenzen in den drei Hauptrich-
fm = m .
2L tungen des Quaders für die beiden Gase:
Für die drei Raumrichtungen ergeben sich
folgende Resonanzfrequenzen: L = 10 m B = 8m H = 6m

f1, Luft / Hz 16,55 20,69 27,58


m fL, m / Hz fB, m / Hz fH, m / Hz fl, He / Hz 48,65 60,81 81,08
1 17 21,25 28,3
2 34 42,5 56,7 Die Resonanzfrequenzen in Helium sind
3 51 63,75 85 wegen der höheren Schallgeschwindigkeit
4 68 85 113,3 näherungsweise um den Faktor 3 höher als
5 85 106,3 141,7 in Luft.
Ü 7.2-2:
Nun gibt es aber auch Resonanzen von
a) Die Pegel der Teiltöne betragen L1 = 90 dB,
stehenden Wellen, die sich schräg zu
L2 = 87,5 dB, L3 = 85 dB, … L10 = 67,5 dB.
den Hauptachsen des Quaders ausbreiten,
Der Gesamtschallpegel wird nach (7.30)
wenn folgende Bedingung erfüllt ist: 10

c mL 2 mB 2 mH 2
Ln
Lges = 10 lg 10 10 dB dB = 93,6 dB .
fres = + +
2 L B H n=1

mit mL , mB , mH = 0, 1, 2, …, wobei min- b) Die Frequenzen der Teiltöne sind f1 =


destens ein m = 0 sein muss. 200 Hz, f2 = 400 Hz, f3 = 600 Hz, …
Zusätzlich zu den oben angegebenen Re- f10 = 2 000 Hz. Davon befinden sich in den
sonanzfrequenzen ergeben sich: angegebenen Oktavbändern die folgenden
f110 = 27,2 Hz, f101 = 33,0 Hz, f011 = Frequenzen fn . Die Pegel in den einzelnen
35,4 Hz, f111 = 39,3 Hz usw. Oktavbändern werden wie in Teilaufgabe
b) Das Oktavband mit der Mittenfrequenz a) berechnet.
fm = 63 Hz erstreckt sich von fu = 44 Hz c) Der Gesamtpegel des ersten Klangs ist
bis fo = 88 Hz (Tab. 7.4). In diesem Band Lges,1 = 93,6 dB. Zusammen mit dem
11.1 Lösungen der Übungsaufgaben 961

fm / Hz fu / Hz fo / Hz fn / Hz LOktav / dB

125 88 177 – 0
250 177 355 200 90
500 355 710 400, 600 89,4
1 000 710 1 420 800, 1 000, 1 200, 1 400 85,6
2 000 1 420 2 800 1 600, 1 800, 2 000 75,2

Zusatzgeräusch mit dem Pegel L2 ergibt c) Da die Intensität proportional zu 1/ r2 ab-


sich der Gesamtpegel 95 dB. Dann gilt nimmt, ist sie in doppeltem Abstand, also
mit (7.30): in 20 m Entfernung, auf ein Viertel zu-
L rückgegangen. Der Pegel hat dann um
ges,1 L2
95 dB = 10 lg 10 10 dB + 10 10 dB dB . 10 · lg 4 = 6 dB abgenommen auf L20 m =
90 dB (Abb. 7.3).
Daraus folgt
Lges, 1
Ü 7.2-4:
L2 = 10 lg 10 − 10
9,5 10 dB dB
a) Die Schnellenamplitude ˆ und die Am-
9,5
= 10 lg 10 − 109,36 dB = 89,5 dB . plitude p̂ des Schallwechseldrucks sind
nach (7.14) und (7.15) über die Wellen-
Ü 7.2-3: kennimpedanz Z verknüpft:
a) Die akustische Leistung des Lautsprechers

ist PSchall = η · P = 5 W. Diese Leistung ver- ˆ = mit Z = ρc .
Z
teilt sich im Raum gleichmäßig auf Kugelo-
berflächen, so dass nach (7.25) in Abb. 7.3 Nach Tab. 7.1 ist Z = 416 mkg2 s und damit
gilt: ˆ = 4,8 · 10−4 ms .
b) Der Effektivwert
√ ist bei sinusförmigen
PSchall
I(r) = . Größen der 2-te Teil des Scheitelwerts:
4π r2
ˆ m
In r = 10 m Abstand ergibt sich I10 m = eff = √ = 3,4 · 10−4 .
3,98 · 10−3 mW2 . 2 s
Der zugehörige Pegel ist nach Tab. 7.2: c) Die Schallintensität beträgt nach (7.22)
I10 m
L10 m = 10 lg dB = 96 dB . p2eff W
I0 I = = 2eff Z = 4,8 · 10−5 .
Z m2
b) Vor einer schallharten Wand strahlt der
Lautsprecher nur in Vorwärtsrichtung ab, Der Pegel ist gemäß Tab. 7.2
d. h. in eine Halbkugel. Damit gilt I
LI = 10 lg dB = 76,8 dB .
PSchall I0
I(r) = .
2π r2 d) Gemäß Abb. 7.5 kommt es an der Grenzflä-
Jetzt ergibt sich für die Intensität che zu einer Reflexion, so dass die Inten-
m = 7,96 · 10 = 2I10 m und für den
−3 W
I10 m2
sität It der transmittierten Welle kleiner
Pegel L10 m = L10 m + 3 dB = 99 dB.

ist, als die der einfallenden Ie . Nach (7.31)
962 11 Anhang


sowie (7.36) bzw. (7.37) gilt für den Trans- L(ri ) − L(r0 ) = 10 lg r02 − lg ri2 dB =
missionsgrad 20 lg rr0i dB (s. (7.27) in Abb. 7.3).
4Z1 Z2 Mit r0 = 2 m ergeben sich damit am Wohn-
τS = 1 − ρS = . haus folgende drei Pegel:
(Z1 + Z2 )2
2m
Der Wellenwiderstand von Argon ist Z2 = L1, Haus = L1,2 m + 20 lg dB
160 m
cAr ρAr .
Nach (7.11) ist die Schallgeschwindigkeit
= 93 dB − 38,06 dB = 54,94 dB ,
2m
proportional zur Wurzel aus der absoluten L2, Haus = L2,2 m + 20 lg dB
100 m
Temperatur. Damit ist = 97 dB − 33,98 dB = 63,02 dB

293,15 m und
cAr, 20 = cAr, 0 = 319 . 2m
273,15 s L3, Haus = L3,2 m + 20 lg dB
252 m
Aus der Zustandsgleichung idealer = 98 dB − 42,01 dB = 55,99 dB .
Gase (3.19), lässt sich die Dichte eines
Gases berechnen, wenn die Dichte am b) Die drei Einzelpegel werden nach (7.30) zu
Normzustand bekannt ist: einem Gesamt-Pegel addiert:
3
m p T
ρ(T) = = n = ρn n . Lges = 10 lg
Ln
10 10 dB dB
V Ri T T
n=1
Für Argon bei 20 ◦ C ergibt sich ρAr, 20 =
1,662 mkg3 .
= 10 lg 105,494 + 106,302 + 105,599 dB
Damit ist der Wellenwiderstand von Argon = 64,3 dB .
bei 20 ◦ C und Normdruck Z2 = 530 mkg2 s . c) Die dominierende Schallquelle ist die
Die Intensität der Welle, die in Argon ein- Quelle 2. Also sollte ihr Beitrag reduziert
dringt, wird damit werden. Wenn der Gesamtpegel am Haus
W
IAr = ILuft · τS = 4,73 · 10−5 2 . Lges = 60 dB betragen soll, dann gilt
m
Der Schallpegel ändert sich somit nur ge- Lges = 60 dB
ringfügig auf L2, Haus

IAr = 10 lg 10 + 10
5,494 10 dB + 105,599
dB .
LAr = 10 lg dB = 76,7 dB .
I0
Nach kurzer Umformung folgt der erfor-
Ü 7.2-5: derliche Pegel von Quelle 2 am Haus:
a) Die Schallintensität einer Punktquelle ist
L2, Haus = 10 lg 106 − 105,494 − 105,599 dB
nach (7.25)
= 54,64 dB .
P
I(r) = .
4π r2 In 2 m Abstand von der Quelle wird der
Damit ist der Pegel in Abhängigkeit vom erforderliche Pegel
2m
Abstand L2,2 m = L2, Haus − 20 lg dB
P 100 m
L(r) = 10 lg dB . = 88,6 dB .
4π r2 I0
Für die Pegeldifferenz zweier Orte mit den Der Pegel der Quelle 2 muss also um
Radien r0 und ri folgt ΔL2 = −8,4 dB gesenkt werden.
11.1 Lösungen der Übungsaufgaben 963

Ü 7.2-6: b) Zur Berechnung des A-bewerteten Pegels


müssen die Bewertungsfaktoren Δ∗i zur Pe-
a) Unter der Annahme einer biegeweichen
gelabschwächung berücksichtigt werden:
Wand gilt für das Schalldämmmaß (7.51):
π f m Li +Δ∗i
R = 20 lg dB − 3 dB . i fm / Hz Li / dB Δ∗i / dB 10 dB
Z
Die flächenbezogene Masse der Wand er- 1 16 43 −56,7 −1,37
gibt sich aus der Dicke s und der Dichte ρ 2 31,5 48 −39,4 0,86
3 63 49 −26,2 2,28
zu 4 125 60 −16,1 4,39
m kg
m = = sρ = 25 2 . 5 250 52 − 8,6 4,34
A m 6 500 53 − 3,2 4,98
7 1 000 50 0 5,00
Mit Z = 416 kg m−2 s−1 (Tab. 7.1) folgt
8 2 000 38 +1,2 3,92
R250 Hz = 30,5 dB und R1 000 Hz = 42,5 dB.
Da die Frequenzen sich wie 4:1 verhalten, Li +Δ∗i
ist R1 000 Hz um 20 lg 4 dB = 12 dB höher als Mit 10 10 dB = 250 439 wird der
R250 Hz . A-bewertete Pegel nach (7.60): LA =
b) Die Grenzfrequenz der Spuranpassung ist 54 dB(A).
nach (7.55) c) Mit Maschinenschaden ist der Pegel bei
fm = 250 Hz
cL2 m
fg = . L250 + Δ∗250 = 80 dB − 8,6 dB = 71,4 dB .
2π B
Mit der Biegesteifigkeit Damit wird der gewichtete Pegel wäh-
Es 3 rend der zwei lauten Stunden: LA, 2 h =
B= = 6 522 N m 71,5 dB(A).
12(1 − μ2 )
Der äquivalente Dauerschallpegel während
und der Schallgeschwindigkeit cL = 10 h Mittelungszeit wird nach (7.61):
344 m/s (Tab. 7.1) ergibt sich fg = 1 166 Hz.
c) Wenn die Frequenz der Welle klein ist ge- 1
Lm = 10 · lg 2 h · 107,15 +
gen fg , dann liefert (7.51) einen vernünf- 10 h

tigen Wert für das Schalldämmaß. Für die
+ 8 h · 105,4 dB(A) = 64,8 dB(A) .
Frequenz f = 250 Hz gilt also
RMessung ≈ RRechnung = 30,5 dB.
Für die hohe Frequenz f = 1 000 Hz, die Ü 7.3-2:
in der Größenordnung der Grenzfrequenz a) Aus dem Diagramm der Isophonen von
liegt, gilt RMessung < RRechnung . Abb. 7.12 liest man ab: f ≈ 32 Hz.
b) Die Lautstärke beträgt LS = 70 phon.
Ü 7.3-1:
c) Die Lautheit ist nach (7.59)
a) Der Gesamtpegel wird nach (7.30) berech-
S = 20,1(70−40) sone = 8 sone .
net:
8 d) Wenn der Hörer den Ton doppelt so laut

Li / 10 dB
Lges = 10 · lg 10 dB empfindet, ist die Lautheit doppelt so groß,
i=1 also S = 2S = 16 sone.
= 62,1 dB . Die zugehörige Lautstärke beträgt
964 11 Anhang


lg 16 Absorbermaterial abgedeckt wird. Damit
LS = 10 + 4 phon = 80 phon .
lg 2 gilt:
Eine Erhöhung der Lautstärke um 10 phon AD, vorher = αD SD ,
bzw. des Pegels um 10 dB führt zu einer
AD, nachher = αAbs SAbs + αD (SD − SAbs )
Verdoppelung der Schallempfindung.
= AD, vorher + ΔA .
Ü 7.4-1:
Aus diesen beiden Gleichungen folgt für
a) Die äquivalente Absorptionsfläche ist für
den Deckenanteil, der mit Absorbermate-
den leeren Raum nach (7.66)
rial versehen werden muss,
Aleer = αW SW + αB SB + αD SD ΔA
SAbs = = 81,23 m2 .
= 82,45 m2 . αAbs − αD
Ü 7.4-2:
Die Nachhallzeit beträgt nach der Sabine’-
schen Formel, (7.71): a) Die äquivalente Absorptionsfläche des
Raums ist nach der Sabine’schen For-
0,163 V
Tleer = = 5,19 s . mel, (7.71)
m/s A
0,163 V
Wenn 300 Personen anwesend sind, tragen A= = 18,3 m2 .
m/s T
diese noch zusätzlich 150 m2 zur Absorp-
tionsfläche bei. Damit beträgt die äquiva- Nun ist nach (7.76) das Schalldämmmaß
lente Absorptionsfläche des vollen Raums S
R = L1 − L2 + 10 lg dB = 28 dB .
Avoll = 232,45 m2 und die Nachhallzeit A
Tvoll = 1,84 s. b) Der Pegel L2 im Innenraum folgt wieder
b) Wenn die optimale Nachhallzeit erreicht aus (7.76), jetzt allerdings unter der Maß-
werden soll, muss die äquivalente Absorp- gabe, dass die Dämmung des offenen Fens-
tionsfläche erhöht werden auf ters null ist:
0,163 V S
Aopt = = 285,25 m2 . L2 = L1 + 10 lg dB .
m/s Topt A
Dies ist ein Anstieg um ΔA = Aopt − Avoll = Bei halb geöffnetem Fenster führt dies zum
52,8 m2 . Pegel L2, halb = 62,8 dB.
Die zusätzliche Absorptionsfläche wird da- Bei vollständiger Öffnung ist der Pegel um
durch erzeugt, dass ein Teil der Decke mit 3 dB höher: L2, voll = 65,8 dB.

8. Atom- und Kernphysik

Ü 8-1: Nach dem Bohr’schen Atommodell Die Balmer-Serie entsteht durch Übergänge
(Abb. 8.5) gilt für die Energie des Elektrons von den Energieniveaus mit n > 2 auf das
in Abhängigkeit von der Hauptquantenzahl n: Niveau n = 2. Damit ergeben sich folgende
e4 m0 1 1 Photonenenergien:
En = − · = −2,18 · 1018 J · 2
32π2 ε20 2 n2 n
1 1
1
= −13,6 eV · 2 . Eph = h f = 13,6 eV − 2 .
4 n
n
11.1 Lösungen der Übungsaufgaben 965

Die ersten Werte der Reihe sind: Eph, 3 = b) Nach Tab. 8.3 ist die frei werdende Ener-
1,89 eV, Eph, 4 = 2,55 eV, Eph, 5 = 2,86 eV usw. gie bei einem Übergang von LIII nach
Die zugehörigen Wellenlängen berechnen sich K EKα1 = 8,048 keV. Die Wellenlänge ist
nach λn = hEnc mit h c = 1,24 μm eV. λ = 154 pm.
λ3 = 656 nm (Hα ), λ4 = 486 nm (Hβ ), λ5 =
Ü 8-3: Die Aktivität von m = 80 g Kohlen-
434 nm (Hγ ) usw. Die kürzeste noch sichtbare
stoff einer lebenden Substanz beträgt A0 =
(oder eben nicht mehr sichtbare) Spektrallinie
ist λ10 = 380 nm. g · m = 20 Bq.
0,25 Bq
Aus (8.85) ergibt sich für das Alter

Ü 8-2: ln AA0 T
t= = 9 400 a .
a) Nach Bohr ist die Energie elektronischer ln 2
Energieniveaus
Ü 8-4:
Z 2 e4 m0 1
En =− · (8.3) .
32 π ε0
2 2 2 n2 a) Der Si-Kristall hat das Volumen V = mρ =
429 cm−3 . Die Zahl der gewünschten Phos-
Für Kupfer mit Z = 29 ergibt sich für die K-
phoratome und der damit benötigten 31Si-
Schale: E1 = −292 · 13,6 eV = −11,438 keV
Kerne ist N0 = V nP = 4,29 · 1019 .
und für die L-Schale: E2 = −292 · 13,6 eV ·
b) Die Aktivität zu Beginn ist A0 = lnT2 N0 =
4 = −2,859 keV.
1
3,18 · 1015 Bq.
Also ist die Quantenenergie der Röntgen-
K-Strahlung EK = E2 − E1 = 8,579 keV. folgt für die Wartezeit t =
c) Aus (8.85)
A0
Die zugehörige Wellenlänge beträgt λ = ln
A
T
EK = 145 pm.
hc = 154 h = 5,6 d.
ln 2

9. Festkörperphysik

Ü 9.2-1: Wenn jedes Fe-Atom ein freies Elek- Nach (9.10) beträgt die Fermi-Energie
tron liefert, dann ist die Dichte der Leitungs- 2
bandelektronen so groß wie die Atomdichte. EF = (3π2 n)2/ 3 .
2m
Für die Massendichte gilt Mit und m (Elektronenmasse) aus Tab. 1.4
ergibt sich
m νM
ρ= = , EF = 1,13 · 10−18 J = 7,03 eV .
V V
Ü 9.2-2: Die Wahrscheinlichkeit für die Beset-
ν ist die Stoffmenge, M die Molmasse.
zung eines Energieniveaus E mit Elektronen
Nun gilt für die Stoffmenge
ist nach (9.13)
ν = NNA , mit der Avogadro-Konstanten NA und 1
der Teilchenzahl N. f (E) = F .
1 + exp E−E
kT
Damit wird die Teilchenzahldichte
Für die Energie E1 = 3,05 eV, dicht unter
N NA ρ der Fermi-Energie, ergibt sich bei den bei-
n= = = 8,465 · 1028 m−3
V M den Temperaturen f (E1 , T1 ) = 0,874 und f (E1 ,
= 8,465 · 1022 cm-3 . T2 ) = 0,725.
966 11 Anhang

Für die Energie E2 = 3,15 eV, dicht oberhalb b) Für den Fall, dass das Fermi-Niveau ΔE =
der Fermi-Energie, folgt f (E2 , T1 ) = 0,126 und 20 meV unter der Leitungsbandkante liegt,
f (E2 , T2 ) = 0,275. gilt
Ü 9.2-3: Der Beitrag der Elektronen zur mola- 1
f (EL ) = = 0,316 .
ren Wärmekapazität ist nach (9.16) und (9.15) 1 + exp ΔkTE
1 T 1 kT c) Die Wahrscheinlichkeit, an der Valenz-
Cm, el = π2 Rm = π2 Rm .
2 TF 2 EF bandkante Löcher zu finden, ist
Mit EF = 3,1 eV nach Tab. 9.5 ergibt sich 1
fh (EV ) = 1 − f (EV ) = 1 − −EF .
J 1 + exp EVkT
Cm, el = 0,334 .
mol · K
Mit EV −EF = −(Eg − ΔE) = −1,09 eV ergibt
Das sind 1,2% der gesamten molaren Wärme- sich
kapazität.
fh (EV ) = 4,88 · 10−19 .
Ü 9.2-4: Die mittlere freie Weglänge der Elek-
tronen in Metallen ist nach (9.25) Ü 9.2-6: Der spezifische Widerstand eines Ei-
genleiters ist nach (9.28)
l = F τ .
1 1
ρ= = .
Die Fermi-Geschwindigkeit ist nach (9.11) κ e ni (μn + μp )

Die intrinsische Trägerdichte ist nach (9.30)


F = (3π2 n)1/ 3 .
m Eg
ni = ni0 T 3/ 2 exp − = 3,9 · 1016 cm−3 .
Mit der Elektronendichte n = N / V = 2kT
8,465 · 1028 m−3 aus Ü 9.2-1 ergibt sich F =
Die Summe der Beweglichkeiten ist nach
1,57 · 106 ms .
Tab. 9.7 bei 300 K
Die Relaxationszeit ist nach (9.24)
cm2
κm m μ = μn + μp = 5 800 .
τ= = = 4,19 · 10−15 s . Vs
e2 n e2 n ρ
Diese hängt nach (9.29) von der Temperatur
Damit wird die mittlere freie Weglänge l = ab gemäß
6,59 nm. −3/ 2
T cm2
Ü 9.2-5: Die Wahrscheinlichkeit, an der Lei- μ(T) = μ0 = 2 050 .
T0 Vs
tungsbandkante Elektronen zu finden, ist
nach (9.13) Damit ergibt sich der spezifische Widerstand
bei 600 K:
1
f (EL ) = −EF .
1 + exp ELkT ρ = 7,8 · 10−2 Ω cm .
a) Wenn das Fermi-Niveau in der Mitte der Tatsächlich ist das Ergebnis nicht ganz korrekt,
verbotenen Zone liegt, gilt weil die Breite der Energielücke Eg ebenfalls
von der Temperatur abhängt. Bei T = 600 K ist
Eg
EL − EF = = 0,555 eV und Eg (600 K) ≈ 0,55 eV.
2 Damit wird ni = 1,13 · 1017 cm−3 und ρ =
f (EL ) = 4,75 · 10−10 . 2,7 · 10−2 Ω cm.
11.1 Lösungen der Übungsaufgaben 967

Ü 9.2-7: Bei dotiertem Silicium ist der spezifi- Bei 77 K ergibt sich
sche Widerstand nach Tab. 9.9
dR Ω
ρ=
1
=
1 = −43 .
κ e nD μn
. dT 77 K K

Daraus ergibt sich die Beweglichkeit der Elek- Ü 9.2-9:


tronen zu
a) Die Diffusionsspannung beträgt nach
1
μn = . (9.36)
ρ e nD
Mit R = ρ Al folgt Ud =
kT
ln
nA nD
.
e n2i
l cm2
μn = = 1 248 .
e nD RA Vs Die Akzeptorenkonzentration in der p-
Zone berechnet sich nach Tab. 9.9:
Ü 9.2-8: Für die Ladungsträgerkonzentration
κ = ρ1 = e nA μp und daraus nA = ρ e1μp =
gilt bei tiefen Temperaturen (Störstellenre-
6,57 · 1014 cm−3 .
serve) nach (6.33)
Damit wird die erforderliche Donatoren-
ED konzentration
n(T) ∼ exp − .
2kT
n2i eUd
Damit ist der Widerstand nD = exp = 9,06 · 1016 cm−3 .
nA kT
1 1
R(T) ∼ ρ = = oder
e n(T) μn
κ b) Die Masse m der Phosphor-Atome ist

ED
R(T) = a · exp ;
2kT m = νM ,

a ist eine Konstante, ED die Donatoren-


mit der Stoffmenge ν und der Molmasse
Ionisationsenergie nach Tab. 9.8.
M = 30,974 g/mol.
a) Mit Nun ist die Stoffmenge

ED
R1 = a · exp und ν =
N
,
2kT1 NA

ED
R2 = a · exp folgt mit der Avogadro-Konstanten NA und der
2kT2
Teilchenzahl N.
R1 E 1 1
= exp D − und Daraus folgt für die Masse
R2 2k T1 T2
R2 = 5,99 kΩ . NM
m= .
b) Der Temperaturkoeffizient des Wider- NA
stands ist
Dividiert man durch das Probenvolumen,
dR E E so ergibt sich
= − D 2 a exp D
dT 2kT 2kT
ED m N M M μg
= − 2 R(T) . = = nD = 4,66 .
2kT V V NA NA cm3
968 11 Anhang

Ü 9.2-10: Ü 9.3-2:
a) Die Breite des p,n-Übergangs ist a) Die Energie eines Phonons ist nach (9.43)
nach (9.37)
EPhonon = hf = ω .
2εr ε0 Ud nA + nD
d= · . Daraus folgt für die Frequenz der elasti-
e nA · nD schen Wellen
Die Diffusionsspannung wird nach (9.36) EPhonon
f = .
berechnet: h
kT nA nD Für die TO- und TA-Phononen ergibt sich
Ud = ln = 0,713 V . fTO = ETOh = 14,1 THz und fTA = h =
ETA
e n2i
4,4 THz.
Mit εr = 11,8 (Tab. 9.7) ergibt sich d =
b) Der Impuls der Phononen ist nach (9.44)
0,969 μm.
b) Wenn eine Sperrspannung UR anliegt, wird h
pPhonon = = k .
in (9.37) Ud ersetzt durch λ
Ud − UR = Ud + |UR | . Der Betrag des Wellenzahlvektors ist k =
1,64 πa .
Damit vergrößert sich die Raumladungs-
zone auf
Mit der Gitterkonstanten a =
5,43 · 10−10 m aus Tab. 9.7 ergibt sich
Ud + |UR | k = 9,49 · 109 m−1 und damit pPhonon =
d = 0,969 μm = 3,76 μm .
Ud 1 · 10−24 N s.
c) Liegt eine Flussspannung UF an, so wird
Ü 9.3-3: Für Diamant ist die Debye-
die Dicke der Raumladungszone reduziert
Temperatur TD = 1 860 K (Tab. 9.11). Für
auf
T << TD gilt nach (9.63) für die molare Wär-
Ud − UF
d = 0,969 μm = 0,530 μm . mekapazität
Ud
3
Ü 9.3-1: 12 4 T J
Cm = π Rm = 7,61 .
5 TD mol · K
a) Nach (5.188) oder (9.53) ist die Phasenge-
schwindigkeit von Longitudinalwellen mit Mit der Molmasse M = 12,011 g/mol wird
großer Wellenlänge die spezifische Wärmekapazität nach (3.39)
und (3.40)
E
cs = .
ρ c=
Cm
= 633,6
J
.
M kg · K
Damit wird der Elastizitätsmodul
N Der Literaturwert ist cLit = 502 kg·K
J
. Die rela-
E = ρ cs2 = 2 · 1011 2 .
m tive Abweichung beträgt = 26%.
c−cLit
cLit
b) Die Federkonstante der „Federn“, mit
Ü 9.3-4: Aus (9.68) für die Wärmeleitfähigkeit
denen die Eisenatome gegeneinander
1
schwingen, ist nach (9.52) λ = ρ c cs lph
3
kF = aE .
folgt für die mittlere freie Weglänge
Nach Tab. 9.1 ist die Gitterkonstante von
Eisen a = 2,87 · 10−10 m. Damit ergibt sich 3λ
lph = = 2 nm .
kF = 57,4 N/m. ρ c cs
11.1 Lösungen der Übungsaufgaben 969

Ü 9.3-5: Nach dem Wiedemann-Franz’schen Ü 9.4-3: Ein Halbleiter ist transparent für
Gesetz, (9.70), gilt Photonen, deren Energie kleiner als die Band-
lücke ist, d. h. Eph < Eg .
λ = LT κ ,
Mit (6.115) und (6.116) ergibt sich für die Wel-
mit der Lorenz’schen Zahl lenlängen

π2 k 2 V2
L= = 2,45 · 10−8 2 . hc 1,24 μm · eV
3 e K λ > λg = = = 6,89 μm .
Eg Eg
Damit wird die Wärmeleitfähigkeit
LT W Ü 9.4-4:
λ= = 449
ρ K·m
a) Die Empfindlichkeit einer Fotodiode ist
Ü 9.4-1: nach (9.80)
a) Die Temperaturabhängigkeit des Schwell-
e
stroms wird durch (9.73) beschrieben: S= λ η(λ) .
hc
Ith = I0 eT/T0 .
Daraus folgt für die Quantenausbeute
Aus
Ith, 1 = I0 eT1 /T0 und η(λ) =
Shc
= 57% .

Ith, 2 = I0 eT2 / T0
folgt für die charakteristische Temperatur Das bedeutet, dass von je 100 auftreffenden
Photonen 57 nachgewiesen werden.
T1 − T2
T0 = I = 154 K . b) Der Fotostrom, der als Kurzschlussstrom
ln Ith, 1 messbar ist, beträgt nach (9.79)
th, 2

b) Die Konstante I0 beträgt Φe e Φe e λη(λ)


Ith, 1 IK = Iph = η(λ) =
I0 = T / T = 6,56 mA hf hc
e 1 0
= 300 μA .
und damit wird
Ith, 20 = 44 mA . Ü 9.4-5: Die Leerlaufspannung, die an der Fo-
todiode auftritt, ist nach (9.82)
Ü 9.4-2: Die Wellenlängen der Longitudi-
nalmoden sind nach (9.74) kT Iph
UL = ln +1 .
2nL e IS
λm = .
m Der Fotostrom folgt aus (9.79) mit (9.80) zu
Durch Ableiten nach der Modenzahl ergibt
sich Iph = Φe S(λ) .
dλm 2nL
=− 2 . Die Empfindlichkeit kann aus Abb. 9.85 her-
dm m
aus gemessen werden: S(633 nm) = 0,35 A/W.
Setzt man dm = −1, dann ist die Wellenlän-
Damit ergibt sich ein Fotostrom von Iph =
gendifferenz benachbarter Moden
1,75 μA.
2nL λ2m Dies führt zu einer Leerlaufspannung von UL =
δλ = = = 0,51 nm .
m2 2nL 0,312 V.
970 11 Anhang

10. Spezielle Relativitätstheorie

Ü 10-1: Nach (10.6) erscheinen einem ruhen- Ü 10-3: Der Einsteinzug hat im bewegten
den Beobachter die Längen in Bewegungsrich- System S die Länge l = 2 · 106 km =
3 Ls = 6,67 Ls (Lichtsekunden). Für die Licht-
20
tung verkürzt um den Faktor
2 1 geschwindigkeit wird der gerundete Wert
l c = 3 · 108 m/s benutzt.
= 1− = .
l c γ

Soll ll = 34 sein, dann ist die erforderliche Ge-
schwindigkeit
2 2
l 3
=c 1− =c 1− a) Der Mitfahrer A im System S löst zur Zeit
l 4
m t = 0 die beiden Lichtsignale aus, die sich
= 0,661 c = 1,98 · 108 . mit Lichtgeschwindigkeit ausbreiten. Sie
s
Für eine Schlankheitskur eignet sich die Me- erreichen gleichzeitig die Enden P und Q
nach Ablauf der Zeitspanne
thode nicht, da in der Richtung senkrecht zur
Bewegung keine Längenkontraktion stattfin- l
det.

töffnen = = 3,33 s .
2c
Der Massenzuwachs ist nach (10.10) Es gibt also für das Öffnen der Türen kei-
m() 1 4 nen Zeitunterschied: Δt = 0.
= 2 =γ= .
m0 3 b) Für den im System S ruhenden Beobachter
1− c erscheint der Zug verkürzt auf die Länge
Ü 10-2: Für den Stoß gilt der Impulserhal-
l
tungssatz und mit (10.11): l= .
γ
mp0 m0 u
2 = 2 , (1) Der relativistische Faktor ist
1 − c 1 − uc
1
dabei ist die Geschwindigkeit vor und u die γ= 2 = 1,667
1−
Geschwindigkeit nach dem Stoß. Der Energie- c

erhaltungssatz lautet nach (10.10) und (10.17)


und damit die Zuglänge l = 4 Ls =
mp0 c2 m0 c2 1,2 · 109 m.
2 + mp0 c
2
= 2 . (2) Die Laufzeit zum hinteren Zugende P be-
1− c 1 − uc
rechnet der Beobachter B aus
Aus den Gleichungen (1) und (2) folgt l
tP = = 1,111 s .
2( + c)
u= 2 = 0,451 c und
1 + 1 − c Die Laufzeit zum vorderen Zugende Q ist
u 2 für den Beobachter B
1− c
m0 = mp0 2 = 2,24 mp0 . l
u
1 − c tQ = = 10 s .
2(c − )
11.1 Lösungen der Übungsaufgaben 971

Damit entsteht eine Zeitdifferenz von Δt = Ü 10-4: Der Radarstrahl erregt die beweg-
8,889 s. lichen Elektronen in den Metallteilen der
Zweiter Lösungsweg: Karosserie zu erzwungenen Schwingungen
Analog zu (10.7) gilt für die Zeitdifferenz nach (10.23) mit der Frequenz
im System S
c+ 1+β
fPKW = fS = fS .
Δt = γ Δt + 2 x2 − x1 . c− 1−β
c
Die schwingenden Elektronen strahlen ih-
Nun ist Δt = 0 und x2 − x1 = l . Daraus rerseits eine Welle mit dieser Frequenz ab,
folgt die beim Empfänger noch einmal dopplerver-
schoben ankommt mit der Frequenz
Δt = γ 2 l = 8,889 s .
c
1+β 1+β
fE = fPKW = fS .
Die beiden Diagramme zeigen die Darstel- 1−β 1−β
lung im Minkowski-Raum.
Da β << 1, gilt
c) Die Tür befinde sich im Punkt R. Da die fE ≈ fS (1 + β)2 ≈ fS (1 + 2β)
hintere Tür nach tP = 1,111 s öffnet, muss
= fS (1 + 1,85 · 10−7 ) = 9,00000167 GHz .
sich R am Ort x = c·tP = 1,111 Ls befinden.
Mithilfe von (10.1) kann diese Koordinate Da diese Frequenz nicht mit der nötigen
in das System S transformiert werden: Genauigkeit messbar ist, werden die beiden
Schwingungen überlagert. Die resultierende
x = γ (x − t) = 0,37 Ls . Schwebung hat nach (5.134) die Schwebungs-
frequenz
Die Tür müsste also im Zug um 0,37 Ls ent-
fernt von A nach vorne angebracht werden. fSchweb = fE − fS = fS · 2β = 1,668 kHz .
972 11 Anhang

Ü 10-5: Wenn die Leistung P = 500 MW er- m=


Ekin
− m0 = 5,35 · 10−26 kg
zeugt wird, ist die Energie, die im Laufe eines c2
Jahres produziert wird = 58 700 · m0 .
E=P·t = 1,578 · 1016 J . Dieser Massenzuwachs erfordert nach (10.10)
Nach (10.17) entspricht dies einer Massenab- m() 1
= 2
nahme von m0
E 1−
Δm = 2 = 0,176 kg . c
c
die Geschwindigkeit
Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass
m 2
im nachfolgenden thermischen Kraftwerk
=c 1−
0
.
nur 30% bis 40% dieser Energie in elektri- m
sche Energie umgewandelt werden kann (Ab-
Da m0 / m << 1, kann die Wurzel entwickelt
schn. 3.3.5).
werden:
Ü 10-6: Die kinetische Energie ist nach (10.16)
1 m0 2
Ekin = (m − m0 ) c2 . ≈c 1−
2 m
Dann ist die Masse = c (1 − 1,45 · 10−10 ) ≈ c .
11.2 Nobelpreisträger der Physik 973

11.2 Nobelpreisträger der Physik

Jahr Land Name des Preisträgers Grund der Auszeichnung

1901 D Röntgen, Wilhelm Conrad Entdeckung der Röntgenstrahlen


(1845 bis 1923)
1902 NL Lorentz, Hendrik Anton Beschreibung des Übergangs vom ruhenden
(1853 bis 1928) zum gleichförmig bewegten System (Lorentz-
NL Zeeman, Pieter Transformation in der speziellen Relativitäts-
(1865 bis 1943) theorie); Erklärung der Aufspaltung der
Spektrallinien im Magnetfeld (Zeeman-Effekt)
1903 F Becquerel, Henri Antoine Entdeckung der spontanen radioaktiven
(1832 bis 1908) Strahlung von Uran; Erforschung der
F Curie, Pierre Radioaktivität und Entdeckung der
(1859 bis 1906) radioaktiven Elemente Polonium und Radium
Curie, Marie
(1867 bis 1934)
1904 GB Rayleigh, Lord Erforschung der Dichte von Gasen und
(Strutt, John William) Entdeckung des Edelgases Argon
(1842 bis 1919)
1905 D Lenard, Philipp Durchgang von Kathodenstrahlen durch
(1862 bis 1947) Materie und Elektronentheorie
1906 GB Thomson, Joseph John Elektrische Leitung in Gasen
(1856 bis 1940)
1907 USA Michelson, Albert Abraham Spektroskopische Präzisionsmessungen
(1852 bis 1931) (Interferometer), mit denen die
Unabhängigkeit der Lichtgeschwindigkeit von
der Erdbewegung nachgewiesen wurde
1908 F Lippmann, Gabriel Interferenzfarben-Photographie
(1845 bis 1921)
1909 I Marconi, Guglielmo Drahtlose Telegraphie
(1874 bis 1937)
D Braun, Ferdinand
(1850 bis 1918)
1910 NL van der Waals, Zustandsgleichung der realen Gase
Johannes Diderick
(1837 bis 1923)
1911 D Wien, Wilhelm Gesetze der Wärmestrahlung
(1864 bis 1928)
1912 S Dalén, Gustaf Acetylenakkumulator zur Beleuchtung von
(1869 bis 1937) Leuchttürmen und Bojen (Sonnenscheinventile)
1913 NL Kamerlingh-Onnes, Heike Verflüssigung von Wasserstoff und Helium,
(1853 bis 1926) Entdeckung der Supraleitung
974 11 Anhang

Jahr Land Name des Preisträgers Grund der Auszeichnung

1914 D von Laue, Max Röntgenstrahlinterferenzen in Kristallen


(1879 bis 1960)
1915 GB Bragg, William Henry Erforschung von Kristallstrukturen
(1862 bis 1942) durch Röntgenstrahlen
Bragg, William Lawrence
(1890 bis 1971)
1917 GB Barkla, Charles Glover Entdeckung der charakteristischen
(1877 bis 1944) Röntgenstrahlen der Elemente
1918 D Planck, Max Entdeckung der Energiequanten und
(1858 bis 1947) des Wirkungsquantums
1919 D Stark, Johannes Entdeckung des Doppler-Effektes an
(1874 bis 1957) Kanalstrahlen und der Aufspaltung der
Spektrallinien im elektrischen Feld
1920 F Guillaume, Charles Edouard Entdeckung der Anomalien der
(1861 bis 1938) Nickel-Stahl-Legierungen (Invar-Effekt:
geringe Wärmeausdehnung)
1921 D Einstein, Albert Deutung des photoelektrischen Effektes
(1879 bis 1955)
1922 DK Bohr, Niels Quantenphysikalisches Atommodell
(1885 bis 1962)
1923 USA Millikan, Robert Andrews Messung der elektrischen
(1868 bis 1953) Elementarladung und des
Planck’schen Wirkungsquantums
1924 S Siegbahn, Karl Manne Georg Röntgenspektroskopie
(1886 bis 1978)
1925 D Franck, James Quantensprünge durch Elektronenstöße
(1882 bis 1964)
Hertz, Gustav
(1887 bis 1975)
1926 F Perrin, Jean Diskontinuierliche Struktur der Materie;
(1870 bis 1942) Entdeckung des Sedimentationsgleichge-
wichtes von Kolloiden
1927 USA Compton, Arthur Holly Stoß zwischen Röntgenquant und
(1892 bis 1962) Elektron;
GB Wilson, Charles Thomson Sichtbarmachung atomarer Teilchen in
(1869 bis 1959) der Nebelkammer
1928 USA Richardson, Owen Williams Elektronenaustritt aus glühenden
(1879 bis 1959) Körpern
1929 F de Broglie, Louis Victor Wellentheorie der Materie
(1892 bis 1987)
1930 IND Raman, Chandrasekhara Venkata Streuung des Lichts an Molekülen
(1888 bis 1970) (Molekülspektroskopie)
11.2 Nobelpreisträger der Physik 975

Jahr Land Name des Preisträgers Grund der Auszeichnung

1932 D Heisenberg, Werner Begründung der Quantenphysik


(1901 bis 1976)
1933 A Schrödinger, Erwin Wellenmechanik und Anwendung auf
(1887 bis 1961) das Elektron
GB Dirac, Paul Adrien Maurice
(1902 bis 1984)
1935 GB Chadwick, James Entdeckung des Neutrons
(1891 bis 1974)
1936 A Hess, Viktor Franz Entdeckung der Kosmischen Strahlung;
(1883 bis 1964)
USA Anderson, Carl David Entdeckung des Positrons
(1905 bis 1991)
1937 USA Davisson, Clinton Joseph Experimenteller Nachweis der
(1881 bis 1958) Elektronenwellen (Beugung von
GB Thomson, George Paget Elektronen in Kristallen)
(1892 bis 1975)
1938 I Fermi, Enrico Atomreaktionen mit Neutronen
(1901 bis 1954)
1939 USA Lawrence, Ernest Orlando Erfindung und Entwicklung des
(1901 bis 1958) Zyklotrons zur Erzeugung künstlicher
radioaktiver Elemente
1943 D Stern, Otto Richtungsquantelung des Elektronenspins,
(1888 bis 1969) Entdeckung des magnetischen Moments
des Protons
1944 USA Rabi, Isidor Isaak Bestimmung des magnetischen Moments
(1898 bis 1988) von Atomkernen
1945 A Pauli, Wolfgang Entdeckung des Ausschlussprinzips
(1900 bis 1958)
1946 USA Bridgman, Percy Williams Erfindung eines Apparates zur Erzeugung
(1882 bis 1961) von höchsten Drücken
1947 GB Appleton, Edward Victor Ionosphärenforschung
(1892 bis 1965)
1948 GB Blackett, Patrick Maynard Weiterentwicklung der Wilson’schen
Stuart (1897 bis 1974) Nebelkammer und die damit verbundenen
Entdeckungen auf den Gebieten der
Kernphysik und der kosmischen Strahlung
1949 J Yukawa, Hideki Vorhersage der Existenz eines Mesons
(1907 bis 1981)
1950 GB Powell, Cecil Frank Entdeckung des Mesons
(1903 bis 1969)
1951 GB Cockcroft, John Douglas Atomkernumwandlung durch künstlich
(1897 bis 1967) beschleunigte Protonen
IRL Walton, Ernest Thomas
Sinton (1903 bis 1995)
976 11 Anhang

Jahr Land Name des Preisträgers Grund der Auszeichnung

1952 USA Bloch, Felix Präzisionsmessung magnetischer


(1905 bis 1983) Atomkernmomente
Purcell, Edward Mills
(1912 bis 1997)
1953 NL Zernicke, Frederik Entwicklung des Phasenkontrastmikroskops
(1888 bis 1966)
1954 D Born, Max Statistische Deutung der Quantenmechanik
(1882 bis 1970)
Bothe, Walter Zählung atomarer Teilchen durch die
(1891 bis 1957) Geigerzähler-Koinzidenzmethode
1955 USA Lamb, Edward William Entdeckung der Feinstruktur des Wasserstoff-
(1913 bis 2008); spektrums; Präzisionsbestimmung des
Kusch, Polykarp magnetischen Moments des Elektrons
(1911 bis 1993)
1956 USA Bardeen, John Entwicklung des Transistors
(1908 bis 1991)
Brattain, Walter Houser
(1902 bis 1987)
Shockley, William Bradford
(1910 bis 1989)
1957 USA Lee, Tsung Dao Untersuchung der Paritätsgesetze und die
(∗ 1926) dadurch bedingten neuen Entdeckungen des
Yang, Chen Ning Verhaltens von Elementarteilchen
(∗ 1922)
1958 SU Tscherenkow, Pawel Erforschung und Deutung von Lichtstrahlung
(1904 bis 1990) beim Durchdringen eines energiereichen
Frank, Ilja Elektrons durch Materie (Tscherenkow-Effekt)
(1908 bis 1990)
Tamm, Igor
(1895 bis 1971)
1959 USA Chamberlain, Owen Nachweis des Antiprotons
(1920 bis 2006)
Segrè, Emilio
(1905 bis 1989)
1960 USA Glaser, Donald Erfindung der Blasenkammer zur Beobachtung
(∗ 1926) von Elementarteilchen
1961 USA Hofstadter, Robert Elektronenstreuung an Atomkernen
(1915 bis 1990)
D Mössbauer, Rudolf Resonanzabsorption von Gammastrahlen
(1929 bis 2011) (Mössbauer-Effekt)
1962 SU Landau, Lew Davidowitsch Erforschung des superfluiden Heliumzustandes
(1908 bis 1968) bei Tiefsttemperaturen
11.2 Nobelpreisträger der Physik 977

Jahr Land Name des Preisträgers Grund der Auszeichnung

1963 USA Goeppert-Mayer, Maria Schalenmodell des Atomkerns;


(1906 bis 1972) gruppentheoretische Quantenphysik
D Jensen, Hans Daniel
(1907 bis 1973)
USA Wigner, Eugene Entdeckung und Anwendung fundamentaler
(1902 bis 1995) Symmetrieprinzipien bei Atomkern und
Elementarteilchen
1964 SU Basow, Nikolai Entdeckung des Maser- und Laser-Prinzips
(1922 bis 2001)
Prochorow, Alexander
(1916 bis 2002)
USA Townes, Charles
(∗ 1915)
1965 USA Feynman, Richard Entwicklung der Quanten-Elektrodynamik
(1918 bis 1988)
Schwinger, Julian
(1918 bis 1994)
J Tomonaga, Sin-Itiro
(1906 bis 1979)
1966 F Kastler, Alfred Untersuchungen über das ,,optische Pumpen“ zur
(1902 bis 1984) Klärung des energetischen Aufbaus der Atome
1967 USA Bethe, Hans Aufklärung der Energieproduktion der Sonne
(1906 bis 2005) durch Atomkernverschmelzung
1968 USA Alvarez, Louis Entdeckung von Elementarteilchen-Resonanz-
(1911 bis 1988) zuständen mit der Blasenkammer-Technik
1969 USA Gell-Mann, Murray Grundlegende Theorie der Elementarteilchen
(∗ 1929) (Quarks)
1970 S Alfvén, Hannes Beiträge zur Plasmaphysik, insbesondere der
(1908 bis 1995) Magnetohydrodynamik
F Néel, Louis Entdeckungen im Antiferromagnetismus und
(1904 bis 2000) Ferrimagnetismus für Festkörperphysik-
Anwendungen
1971 H Gabor, Dennis Erfindung der Holographie
(1900 bis 1979)
1972 USA Bardeen, John Quantenmechanische Theorie der Supraleitung
(1908 bis 1991) (BCS-Theorie)
Cooper, Leon
(∗ 1930)
Schrieffer, John
(∗ 1931)
1973 N Giaever, Ivar Erforschung des Tunneleffektes in Halbleitern und
(∗ 1929) Supraleitern (Josephson-Effekt)
J Esaki, Leo
(∗ 1925)
GB Josephson, Brian
(∗ 1940)
978 11 Anhang

Jahr Land Name des Preisträgers Grund der Auszeichnung

1974 GB Ryle, Martin Verbesserung der Radioteleskope (Apertursynthese)


(1918 bis 1984)
Hewish, Antony Entdeckung der Pulsare
(∗ 1924)
1975 USA Bohr, Aage Niels Berechnung der Energiezustände von Atomkernen
(1922 bis 2009)
Mottelson, Benjamin
(∗ 1926)
Rainwater, James
(1917 bis 1986)
1976 USA Richter, Burton Entdeckung neuer Elementarteilchen (Psi-Teilchen)
(∗ 1931) mit der neuen Qualität ,,Charm“
Ting, Samuel
(∗ 1936)
1977 USA Anderson, Philip Theorie der elektronischen Struktur
(∗ 1923) magnetischer und ungeordneter Systeme
Mott, Nevill
(1905 bis 1996)
van Vleck, John
(1899 bis 1980)
1978 SU Kapitza, Peter Grundlegende Erfindungen und
(1894 bis 1984) Entdeckungen auf dem Gebiet der
USA Penzias, Arno Tieftemperaturphysik; Entdeckung einer
(∗ 1933) isotropen Strahlung (Mikrowellen) im
Wilson, Robert Weltall (Urknall-Hypothese)
(∗ 1936)
1979 USA Glashow, Sheldon Theorie der vereinheitlichten schwachen
(∗ 1932) und elektromagnetischen Wechselwirkung
Weinberg, Steven zwischen Elementarteilchen; Vorhersage
(∗ 1933) des schwachen neutralen Stroms
GB Salam, Abdus
(1926 bis 1996)
1980 USA Cronin, James Entdeckung der Verletzung grundlegender
(∗ 1931) Symmetrieprinzipien beim Zerfall neutraler
Fitch, Van K-Mesonen
(∗ 1923)
1981 USA Bloembergen, Nicolaas Entwicklung hochpräziser Messmethoden
(∗ 1920) durch Laserspektroskopie
Schawlow, Arthur
(1921 bis 1999)
S Siegbahn, Kai Entwicklung der hochauflösenden
(1918 bis 2007) Elektronen-Spektroskopie
1982 USA Wilson, Kenneth Beiträge zur Theorie der Phasenübergänge
(∗ 1936) und kritischen Phänomene
11.2 Nobelpreisträger der Physik 979

Jahr Land Name des Preisträgers Grund der Auszeichnung

1983 USA Chandrasekhar, Subrahmanyan Theoretische Studien der physikalischen


(1910 bis 1995) Prozesse, die für die Struktur und
Fowler, William Entwicklung von Sternen von Bedeutung
(1911 bis 1995) sind; Kettenreaktionen, die für die Bildung
chemischer Elemente im Weltall von
Bedeutung sind
1984 I Rubbia, Carlo Entdeckung der Feldpartikel W und Z
(∗ 1934) (Vermittler der schwachen Wechselwirkung)
NL van der Meer, Simon Stochastische Kühlung
(∗ 1925)
1985 D von Klitzing, Klaus Quanten-Hall-Effekt
(∗ 1943)
1986 D Ruska, Ernst Entwicklung des Elektronenmikroskops
(1906 bis 1988)
D Binnig, Gerd Konstruktion des Rastertunnelmikroskops
(∗ 1947)
CH Rohrer, Heinrich
(∗ 1933)
1987 D Bednorz, Georg Supraleitung in keramischen Materialien
(∗ 1950)
CH Müller, Karl Alexander
(∗ 1927)
1988 USA Lederman, Leon M. Entdeckung der Verschiedenheit von Elektron-
(∗ 1922) Neutrino und Myon-Neutrino und Begründung
Schwartz, Melvin der Paarstruktur der Leptonen ( eνe , μνμ , τντ );
(1932 bis 2006) erstmalige künstliche Erzeugung eines
Steinberger, Jack Neutrinostrahls in einem Teilchenbeschleuniger
(∗ 1921) (Neutrino-Kanone)
1989 USA Ramsey, Norman Resonanzmethode voneinander getrennt
(∗ 1915) oszillierender Felder (Cäsium-Atomuhr
als Normalzeit-Standard), Wasserstoff-Maser
D Paul, Wolfgang Entwicklung der Ionenkäfig-Technik zum
(1913 bis 1993) langzeitigen Studium einzelner Elektronen und
Dehmelt, Hans Ionen
(∗ 1922)
1990 USA Friedman, Jerome Experimentelle Bestätigung des Quarkmodells
(∗ 1930) der Hadronen durch tief inelastische
Kendall, Henry Elektron-Nukleon-Streuung
(1926 bis 1999)
CDN Taylor, Richard
(∗ 1929)
1991 F de Gennes, Pierre-Gilles Methode zur Beschreibung der Ordnung kom-
(1932 bis 2007) plizierter Formen der Materie, insbesondere von
Flüssigkristallen und Polymeren (Skalengesetze)
1992 F Charpak, Georges Entwicklung von Teilchendetektoren
(1924 bis 2010) (Vieldraht-Proportionalkammer)
980 11 Anhang

Jahr Land Name des Preisträgers Grund der Auszeichnung

1993 USA Hülse, Russell A. Entdeckung eines neuen Typs von Pulsar
(∗ 1950)
Taylor, Joseph H. Jr.
(∗ 1941)
1994 CDN Brockhouse, Bertramin N. Technik der Neutronenstreuung zur
(1918 bis 2003) Untersuchung fester Körper
USA Shull, Clifford G. (Neutronenspektroskopie und
(1915 bis 2001) Neutronenbeugung)
1995 USA Perl, Martin L. Experimentelle Beiträge zur Leptonenphysik
(∗ 1927) (Entdeckung des Tau-Leptons und des
Reines, Frederick Neutrinos)
(1918 bis 1998)
1996 USA Lee, David M. Entdeckung der Suprafluidität in Helium-3
(∗ 1931)
Osheroff, Douglas M.
(∗ 1945)
Richardson, Robert C.
(∗ 1937)
1997 USA Chu, S. Entwicklung von Methoden zur Abkühlung
(∗ 1948) und zum Einfangen von Atomen mit Laserlicht
F Cohen-Tannoudji, C.
(∗ 1933)
USA Phillips, W. D.
(∗ 1948)
1998 USA Laughlin, Robert B. Entdeckung einer neuen Form von Quanten-
(∗ 1950) flüssigkeit mit gebrochen geladenen Anregungen
D Störmer, Horst L.
(∗ 1949)
USA Tsui, David C.
(∗ 1939)
1999 NL ’t Hooft, Gerardus Beiträge zur Theorie der elektroschwachen
(∗ 1946) Wechselwirkung
Veltman, Martinus J. G.
(∗ 1931)
2000 RUS Alferov, Zhores Entwicklung von Halbleiter-Heterostrukturen
(∗ 1930) für die Hochgeschwindigkeitselektronik
USA Krämer, Herbert und Optoelektronik
(∗ 1928)
USA Kilby, Jack Beiträge zur Entwicklung des integrierten
(1923 bis 2005) Schaltkreises
2001 USA Cornell, Eric A. Erzeugung der Bose-Einstein-Kondensation in
(∗ 1961) verdünnten Gasen aus Alkaliatomen und frühe
D Ketterle, Wolfgang grundsätzliche Studien über die Eigenschaften
(∗ 1957) der Kondensate
USA Wieman, Carl E.
(∗ 1951)
11.2 Nobelpreisträger der Physik 981

Jahr Land Name des Preisträgers Grund der Auszeichnung

2002 USA Davis, Raymond Nachweis kosmischer Neutrinos


(1914 bis 2006)
J Koshiba, Masatoshi
(∗ 1926)
USA Giacconi, Riccardo Entdeckung kosmischer Röntgenquellen
(∗ 1931)
2003 RU, Abrikosov, Alexei, A. Bahnbrechende Beiträge zur Theorie der Supra-
USA (∗ 1928) leiter und Supraflüssigkeiten
RU Ginzburg, Vitaly, L.
(1916 bis 2009)
GB, Leggett, Anthony, J.
USA (∗ 1938)
2004 USA Gross, David J. Entdeckung der asymptotischen Freiheit in der
(∗ 1941) Theorie der starken Wechselwirkung
Politzer, David H.
(∗ 1949)
Wilczek, Frank
(∗ 1951)
2005 USA Glauber, Roy J. Beitrag zur Quantentheorie der optischen Kohärenz
(∗ 1925)
USA Hall, John L. Beiträge zur Entwicklung der Laser-basierten Prä-
(∗ 1934) zisionsspektroskopie einschließlich der optischen
D Hänsch, Theodor W. Frequenzkamm-Technik
(∗ 1941)
2006 USA Mather, John C. Entdeckung der Schwarzkörperform und der
(∗ 1946) Anisotropie der kosmischen Hintergrundstrahlung
Smoot, George F.
(∗1945)
2007 F Fert, Albert Entdeckung des Riesenmagnetowiderstands
(∗ 1938) (Giant Magnetoresistance, GMR)
D Grünberg, Peter
(∗ 1939)
2008 USA Nambu, Yoichiro Entdeckung der gebrochenen Symmetrien
(∗ 1921) in der subatomaren Physik;
J Kokayashi, Makoto Vorhersage der Existenz von
(∗ 1944) mindestens drei Quarkfamilien
J Maskawa, Toshihide
(∗ 1940)
2009 GB Kao, Charles Kuen Bahnbrechende Erfolge auf dem Gebiet der
(∗ 1933) Lichtleitung auf Lichtleitfasern für die optische
Nachrichtentechnik
USA Boyle, Willard Erfindung des CCD-Sensors
(1924 bis 2011)
Smith, George E.
(∗ 1930)
982 11 Anhang

Jahr Land Name des Preisträgers Grund der Auszeichnung

2010 NL Geim, Andrej K. Grundlegende Experimente mit dem


(∗ 1958) zweidimensionalen Material Graphen
GB, Novoselov
RU Konstantin S.
(∗ 1974)
2011 USA Perlmutter, Saul Entdeckung der beschleunigten Expansion
(∗ 1959) des Universums durch Beobachtungen
USA Schmidt, Brian P. entfernter Supernovae
(∗ 1967)
USA Riess, Adam G.
(∗ 1969)
Kapitel 12
Namen- und Sachverzeichnis 12

E. Hering et al., Physik für Ingenieure,


DOI 10.1007/978-3-642-22569-7, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
12 Namen- und Sachverzeichnis

Abweichungen, statistische, 15 Ampere, 9


A – systematische, 15 Ampere’sches Gesetz, 353
Achse, freie, 92, 581 Ampere’sches magnetisches
Abbe’sche Invariante, 508 Addition von Kräften, 45 Moment, 361
Abbildung, optische, 539 Adhäsionskraft, 131 Amperemeter, 283
Abbildungsfehler, 523, 524 Adiabatengleichung, 208 Amplitude, 391, 420, 422, 447
Abbildungsgleichung, 511 adiabates System, 175, 207 Amplitudenresonanzfunktion, 446,
– des Hohlspiegels, 497 Admittanz, 399 447
– Newton’sche, 512 Äquipotentialfläche, 324 Amplitudenspektrum, Fourier-
Abbildungsmaßstab, 498, 509 Äquipotentiallinie, 325 Analyse, 454
Aberration, chromatische und Aerodynamik, 135 Analogie der Translation und
sphärische, 524 Aerostatik, 123 Rotation, 81
abgeschlossenes System, 58, 175 äußere Reibung, 49 Analysator, 579
abhängiger Zerfall, 721 Aggregatzustände, 237 Analyse, Korrelation-, 21
Abklingkoeffizient, 439, 443 Aggregatzustand, vierter, 317 Änderung des Drehimpulses,
Ablenkung, Teilchen im elektrischen Ähnlichkeit, geometrische und zeitliche, 76
Feld, 330 hydromechanische, 159 Änderung einer Zustandsgröße, 177
Ablenkungswinkel am Prisma, 505 Ähnlichkeitsgesetze, 158 Aneroid-Barometer, 123
Ablenkwinkel, minimaler, 506 Airy’sche Beugungsscheibchen, 561 Angriffspunkt, 83
Abnahme der Raketenmasse, 61 Akkumulator, 301 Anhangskraft, 131
Abschattung, 523 Aktionsgesetz, 45 anharmonischer Oszillator, 700
Abschirmung, 779 Aktivität, 720 Anion, 292
absolute Luftfeuchtigkeit, 245 – optische, 587 anisotrope Polarisation, elektrische,
absoluter Größtfehler, 19 – radioaktive, 719 347
– Messverfahren, 19 – zeitlicher Verlauf, 719 anisotropes Verhalten, 789
absoluter Nullpunkt, 185 Aktivitätsgleichung, 721 Anisotropie, 580
Absorber, Schall-, 626 Akustik, 613 Anker, 402
Absorberfrequenz, charakteristische, – musikalische, 634 Anlagenkennlinie, 168
626 – physiologische, 630 anodische Oxidation, 294
Absorption, 594 – technische, 638 Anomalie des Wassers, 184, 242
– eines Photons, 594 akustische Schmerzgrenze, 630 anormale Rutherford-Streuung, 762
– elektromagnetischer Strahlung, Akzeptor, 823 Anpassungsfehler, 21
854 Akzeptoren, Ionisationsenergie, 823 Anregungsdetektor, 723, 724
– von Röntgenstrahlung, 696 Akzeptoren-Konzentration, 823 Anregungsfunktion, 732
– Wechselwirkungsprozess, 759 Alcator, 743 Anti-Schottky-Fehlordnung, 793
Absorptionsanteil, 695 All-Round-Effekt, 805 Antiferromagnetismus, 375
Absorptionsfläche, 639 allgemeine Heisenberg’sche Antistokeslinie, 703
– äquivalente, Akustik, 639 Unschärferelation, 673 Antiteilchen, 749, 751
Absorptionsgrad, 639 allgemeine Zustandsgleichung Anwendung der
– Schall-, 624 idealer Gase, 185 – der Kontinuitätsgleichung, 141
Absorptionskoeffizient, 855 allseitige Kompression, 110, 112 – des Reibungsgesetzes, 151
Absorptionskurve, 758 Alpha-Strahlung, 715 Anwendung der Bernoulli-
Absorptionsspektroskopie, 655 Alpha-Teilchen, Streuung, 704 Gleichung, 141
Abstimmungsfrequenz, Masse- Alpha-Zerfall, 716, 717 Anzeigetechnik, 808
Feder-System, 643 amorphe Werkstoffe, 794 aperiodischer Grenzfall, 440, 442

M. Stohrer, E. Hering, R. Martin, Physik für Ingenieure.


DOI 10.1007/978-3-642-22569-7 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
986 Namen- und Sachverzeichnis

Apertur, numerische, 503 Auflösungsvermögen, 562 barn, 732


Aperturwinkel, 522 – eines Gitters, 569 barometrische Höhenformel, 129,
Äquipartionsprinzip, 191 – eines Mikroskops, 567 192
Äquipotentialfläche, 106 – eines Prismas, 570 Baryon, 749, 751
Äquivalent-Dosisleistungskonstante, – optischer Instrumente, 562 Baryonenzahl, 753
778 Auftrieb, 130 Basisgrößen, 9
Äquivalentdosis, 765–767 Auftrieb an umströmten Körpern, Basisschaltung, 829
Äquivalentdosisleistung, 766, 778 163 – Transistor, 831
äquivalente Schallabsorptionsfiäche, – dynamischer, 163 basiszentrierte Gitter, 790
639 Auftriebsbeiwert, 163 Batterie, 296
äquivalenter Dauerschallpegel, 633 Auftriebskraft, 130 Bauelement, elektrisches, 392
Aräometer, 130 Auftriebspumpen, 167 – im Wechselstromkreis, 393
Arbeit, 10, 62 Auge, menschliches, 523 – Parallelschaltung, 396
– allgemein, 62 Augenastigmatismus, 525 – Reihenschaltung, 395
– auf schiefer Ebene, 63 Ausbreitungsgeschwindigkeit, 469 Becquerel, 719
– Hub-, 63 – Biegewelle, 628 Belastungsfall, elementarer, 113, 114
– mechanische, 62 – Wellen, 467 Beleuchtungsstärke, 11, 544
– ortsabhängiger Kräfte, 63 Ausdehnung, thermische, 181 Belichtung, 543
– bei der Drehbewegung, 77 Ausdehnungskoeffizient, Längen, Benetzung, 133, 134
– bei Rotation, 81 181 berührungslose Thermometer, 183
– bei Translation, 81 – Raum, 126, 181 Berührungsthermometer, elektrische
– Beschleunigungs-, 63 Ausfließen von Flüssigkeiten aus und mechanische, 182
– eines Spannungs-Dehnungs- Gefäßen, 143 Berechnung der Wärmekapazität,
Zyklus, 116 Ausflussgeschwindigkeit, 143 195
– elektrische, 290, 319 Ausflussgesetz, Torricellisches, 143 – von Dauermagnetsystemen, 377
– Hub-, 65, 105 Ausflussmassenstrom, 143 Bernoulli-Gleichung, 140, 165
– Reibungs-, 64 Ausflusszahl, 143 – Anwendung, 141
– Verformungs-, 65 Ausgleichsgerade, 21 – bei Newton’scher Reibung, 154
– Volumenänderungs-, 212 Auslöschung bei Schwingungsüber- – für kompressible Medien, 165
Arbeitspunkt, 379 lagerung, 451 – verallgemeinerte, 165
Archimedisches Prinzip, 130 Auslenkung, 422 Beschleunigeranlagen, 748
arithmetischer Mittelwert, 16 Ausschaltvorgänge in Stromkreisen, Beschleunigung, 10, 32, 103
Asdex, 745 404 – Coriolis-, 54
Astigmatismus, 524 Außenpolmaschine, 402 – Fall-, 103
Astronomia nova, 101 Ausströmgesetz nach Bunsen, 145 – gleichmäßige, 34
Asymmetrie-Energie, 709 Ausstrahlung, spezifische, 537, 543 – mittlere, 32
asymmetrische Spaltung, 735 Austauschreaktion, 731 – momentane, 32
Asynchronmotor, 403 Austauschteilchen, 755 – Rakete, 61
Aszension, kapillare, 134 Austrittsarbeit, 590 – Tangential-, 39
Äther, 868 Auswahlregel, 677 – Teilchen im elektrischen Feld, 326
atomare Konstanten einiger Metalle, Avogadro-Konstante, 12, 187 – Winkel-, 40, 77
791 – Feldkonstante, 12 – Zentripetal-, 39
atomare Masseneinheit, 707 – magnetische Energie, 12 Beschleunigung 8
Atombau, 653 Axiome, Newton’sche, 44 – Winkel-, 81
– Systematik, 692 Beschleunigung, Zentrifugal, 54
Atombegriff, 654 B Beschleunigung-Zeit-Diagramm, 33
Atomistik, 654 Beschleunigungsarbeit, 64
Atomkern, Ladungsverteilung, 706 Babinet’sches Theorem, 571 Beschleunigungsvektor, 37
– Aufbau, 703 Bahndrehimpuls, 657, 676 Beschuss eines Kerns mit
– Größe, 703 – Vektordiagramm, 676 Alpha-Teilchen, 717
Atommasse, 707 Bahndrehimpulsquantenzahl, 676, Besetzungsinversion, 596, 852
– relative, 707 688, 693 Besetzungszahl, 594
Atommassenkonstante, 707 Bahnkurve, 37 Bessel-Funktion, 561
Atommodell, Bohr’sches, 654 Bahnlänge, 763 Bestrahlung, 538, 543
Atomorbital, 677 Bahnlinien, 135 Bestrahlungsstärke, 538, 543
– Energiediagramm, 694 Bahnmagnetismus, 687, 688 Beta-Stabilität, 710
Atomphysik, 653 Bahnmoment, 370 – Strahlung, 715
Atomuhr, 13 Bahnscheitel, Rakete, 62 – Zerfall, 716, 717
äußere Strahlenbelastung, Schutz, Balmer-Serie, 657 Bethe-Bloch-Gleichung, 761
777 Bandgap, 823 Beugung, 483, 491, 549, 559
Aufbau der Elektronenhülle, 693 Bandmittenfrequenz, 622 – am Doppelspalt, 484, 593
Aufenthaltswahrscheinlichkeit, 664 bar, 123 – am Gitter, 564
Namen- und Sachverzeichnis 987

– am Spalt, 558, 665 Blindfaktor, 398 Charles’sches Gesetz, 188, 206


– Fraunhofer’sche, 559 Blindleistung, 398 Charme, 753
– Intensitätsverteilung, 561 Blindwiderstand, induktiver und Charmonium, 749
– nach Fresnel, 559 kapazitiver, 393 cholesterische Flüssigkristalle, 807
– von Elektronen (Davison und Bloch-Wand, 373 Clausius-Clapeyron’sche Gleichung,
Germer), 662 Bogenentladung, 310, 312 241
– von Röntgenstrahlung, 662 Bohr’sche Postulate, 657 Clausius-Rankine-Prozess, 218, 221
Beugungsbild eines Drahtes, 562 Bohr’sche Quantenbedingungen, 659 Compoundkern, 731
Beugungsfunktion, 566, 569 Bohr’scher Radius, 657, 679 Compton-Effekt, 591, 759, 764
Beugungsscheibchen, Airische, 561 Bohr’sches Atommodell, 654 Compton-Streuung, 660
Beweglichkeit, 816, 817 Bohr’sches Magneton, 363, 687 Computertomographie, 695
bewegte Bezugssysteme, 50 Bolometer, 534 Cooper-Paar, 833, 834
Bewegung, Nutations-, 96 Boltzmann-Faktor, 192 Coriolis-Beschleunigung, 54
– Dreh-, 75, 77 Boltzmann-Konstante, 12, 187, 595 – Kraft, 52, 55
– Kreis-, 40 – Verteilung, 595, 826, 841 Cotton-Mouton-Effekt, 583, 585
– relative, 50 Bose-Einstein-Statistik, 834 Coulomb’sches Gesetz, 272
– Translations-, 34 Bottom, 753 Coulomb’sches magnetisches
Bewegungsgleichung des Elektrons, Bottonium, 749 Moment, 361
679 Boyle-Mariotte-Gesetz, 188 Coulomb-Energie, Atomkern, 709
Bewegungsgröße der Drehbewegung, Bracket-Serie, 657 Coulomb-Kraft, 657
76 Bragg’sche Bedingung, 572, 812 Coulomb-Potential, 663
Bewegungsverhalten, Feder-Masse- Braun’sche Röhre, 330 – Wall, 731
System, 425 Bravais-Gitter, 790 Coulombmeter, 294
bewertete Schallpegel, 633 Brechkraft, Linse, 511 Crash-Test, 69
Bewertungsfaktor, 633 Brechung an einem Prisma, 504 Curie-Gesetz, 372, 375
Bewertungskurve, 633 – an Kugelflächen, 507 Curie-Temperatur, 372, 849
Bezugsintensität, 641 – von Licht, 499, 580 Curie-Weiss’sches Gesetz, 372
Bezugsschalldruck, 621 Brechungsindex, 501
Bezugssystem, 867 Brechungswinkel, 500 D
– bewegtes, 50 Brechzahl, 501, 582
Brechzahlen einiger Stoffe, 501 d’Alembert’sche Wellengleichung,
– gleichförmig rotierendes, 52 472, 615
Biegesteifigkeit, 628 – von Kristallen, 582
breitbandige Absorber, 626 d’Alembert’sches Prinzip, 52
biegeweiche Grenzfläche, 624 D-D-Reaktion, 742
Biegewelle, 468, 628 Bremsstrahlung, 694, 758
Bremsvermögen, 749, 757 d-Funktionen, 677
Biegewellen durch Spuranpassung, d-Orbitale, 690
628 – für Elektronen, 763
Brennpunkt, 495, 511 D-T-Reaktion, 742
Biegung, 114 dünner Ring, Massenträgheitsmo-
Bild, reelles und virtuelles, 494 Brennstoff, 738
Brennstoffzelle, 303 ment, 90
Bildentstehung beim Spiegel, 494 dünnwandiger Hohlzylinder,
– beim Hohlspiegel, 496 Brennweite, 511, 518
– beim Hohlspiegel, 496 Massenträgheitsmoment, 90
Bildgröße, -weite, 497 Dämmerungszahl, 531
Bimetall, 800 – beim Wölbspiegel, 498
– dicke Linse, 514 Dämpfungsfrequenz, 438
Bimetallmesswerk, 411 Dämpfungsgrad, 439, 443, 446
Brewster’sches Gesetz, 580
Bindung, Ionen-, 787 Dämpfungskoeffizient, 438, 619
Brillouin-Zonen, 812, 838
– kovalente, 787 Dalton’schen Gesetz, 245
Brinell-Verfahren, 119, 120
– metallische, 788 Dampf, Naß, 234
Bruchdehnung, 118
– van-der-Waals’sche, 785 Dampf, trockener, gesättigter, 234
Brutrate, 740
Bindungsarten, 786 – überhitzter, 234
Brutreaktor, 741
Bindungsenergie der Van-der-Waals- Dauermagnetsystem, 377
Bunsensches Ausströmgesetz, 145
Bindung, 785 Dauermagnetwerkstoffe, 377
Burger-Modell, 799
Bindungsenergie des Kerns, 708 Dauerschallpegel, 633
Bindungsenergie zweier Ionen, 787 Davison- und Germer-Beugung, 662
Binnendruck, 233 C De-Broglie-Beziehung, 600, 811
biologische Wirkung der Strahlung, Candela, 9, 543, 544 De-Broglie-Wellenlänge, 664
770 Carnot’scher Kreisprozess, 213 Debye’sches Gesetz, 231, 816
Biot-Savart’sches Gesetz, 354 Carnot-Prozess, Leistungszahl, 216 Debye-Scherrer-Verfahren, 574
bipolarer Transistor, 829 Cavendish’sche Gravitationsdreh- Debye-Temperatur, 842
Blasinstrument, 481 waage, 103 Defektelektron, 819
Blaze-Winkel, 569 Celsius, Grad, 180 deformierbarer Körper, Mechanik,
Blende, 142, 523 charakteristische Strahlung, 694 108
Blendenzahl, 533 charakteristisches Schallspektrum, Dehnung, 109, 110, 114
Blindanteil, 392, 399 635 – zeitabhänige, 800
988 Namen- und Sachverzeichnis

Deklination, 352 Doppler-Effekt, 474, 551, 870, 880 – Sättigungsdampf-Wasser, 240


Dekrement, logarithmisches, 439 Dosisaufbaufaktor, 780 – Schallwechsel-, 619
Depression, kapillare, 134 Dosisgröße, 765 – Schwere-, 127, 128
destruktive Interferenz, 478 Dosismessung, 773 – statischer, 140
Desublimieren, 237 Dosismessverfahren, 775 – Stau-, 141, 142
Detektivität, 855 Drehbewegung, 75–77 – Wirk-, 142
Detektor, Anregungs-, 723 – von Systemen materieller Punkte, Druckänderung, Akustik, 615
– Ionisations-, 723 78 Druckabfall im Rohr, 152
Detektoren, 748 Dreheisenmesswerk, 410 Druckenergie, 140
Deuterium-Zyklus, 741 Drehfrequenz, 40 Druckerhaltung, 140
Diamagnetismus, 369–371 Drehimpuls, 81 Druckfühler, 803
Diamantgitter, 787 – Definition, 75 Druckmessung, 124, 141
Dichroismus, 583 – Eigenfunktionen, 701 Druckmittelpunktsabstand, 128
Dichte der feuchten Luft, 247 – Gesamt-, 79 Druckpunkt, 163
– der Kernmaterie, 706 – innerer, 706 Drucksonde, 141
– einer Flüssigkeit, 130 – mechanischer, 147 Druckverlust bei Newton’scher bung,
– fester Körper, 131 – quantenmechanischer, 668 154
– von Gasgemischen, 233 – zeitliche Änderung, 76 Druckwandlung, 126
dichteste Kugelpackung, 790 Drehimpuls,, 75 Druckwasserreaktor, 738
dicke Linsen, 514 Drehimpulserhaltung, 78, 104 Druckwiderstandsbeiwert, 156
Dielektrikum, 340 Drehimpulsoperator, 666 Druckwiderstandskraft, 155
Dielektrizitätskonstante, 272 – Kommutatoren, 673 Dualismus Welle
Dielektrizitätszahl, 340 Drehimpulssatz von Systemen rieller – Teilchen, 592, 661
Diesel-Prozess, 218, 219 Punkte, 78 dünne Blättchen, Farben, 553
Differentialgleichung Drehimpulsvektor, 666 dünne Kugelschale, Massenträgheits-
– des Feder-Masse-Systems, 423 Drehkristall-Spektrometer, 573 moment, 90
– elektromagnetischer Schwing- Drehmoment, 75, 81, 83 dünne Linse, 510
kreis, 433 – der Strömung, 147 dünne Scheibe, Massenträgheitsmo-
– erzwungene Schwingung, 444 – eines Kräftepaars, 83 ment, 90
– gekoppeltes Schwingungssystem, – Gesamt-, 79 dünne Schicht, Interferenzen, 552
460 – Turbine, Pumpe, 148, 149 dünner Stab
– Struktur, Schwingungen, 427 Drehmomentstoß, 77 – Schallgeschwindigkeit, 616
Differentialgleichung, allgemeine, Drehspulmesswerk, 410 dünner Stab, Massenträgheitsmo-
(Schwingungen), 426 Drehstrom, 399 ment, 90
differentieller Energieverlust, 757 Drehstrommotor, 403 Dulong-Petit’sches Gesetz, 204, 841
differentieller Wirkungsquerschnitt, Drehwinkel, 40 Durchdringungsverbundwerkstoffe,
704, 705 Drehzahl, 40 803
differentielles Ionisationsvermögen, – spezifische, 169 Durchflussgleichung, 138
757 Drei-Niveau-System, 596 Durchflusszahl, 142
diffuses Schallfeld, 638 Dreieck-Stern-Schaltung, 283, 400 Durchflutungsgesetz, 352
Diffusionsspannung, 826 Dreiecksschaltung, 399 durchschnittliche Geschwindigkeit,
digitales elektronisches Messwerk, Dreiphasenstrom, 399 193
412 Driftgeschwindigkeit, 816, 817 Durchstrahlverfahren, 727, 728
Diode, 828 dritter Hauptsatz der mik, 231 Duromer, 795, 797
Dioptrie, 511 dritter Hauptsatz der Thermodyna- Dynamik, 29, 43
Dipolmoment, 272 mik, 176 – in bewegten Bezugssystemen, 50
– elektrisches, 347, 849 drittes Kepler’sches Gesetz, – klassische, 43
– magnetisches, 363, 687 Herleitung, 104 – relativistische, 874
Dirac-Gleichung, 752, 755 Drosselgerät, 142 dynamische Viskosität, 151
direktionisierende Strahlen, 757, 758 Druck, 114, 123, 175 dynamischer Auftrieb, 163
Direktschall, 638 – Betriebs-, 140 – Druck, 140
Dispersion, 486, 628 – Bezugsschall-, 621 dynamisches Grundgesetz der
Dissipation, 618, 619 – Binnen, 234 Rotation, 76
dissipative Kraft, 68 – der feuchten Luft, 245
Dissonanz, 634 – dynamischer, 140 E
Dissoziation, 292 – Gas, 188, 189
Donator, 822 – geodätischer, 140 ebene Schallquelle, 618
– Ionisationsenergie, 823 – Gesamt, 240 ebene Wellen, 468
Doppelbrechung, 580 – hydrostatischer, 127 Ebenen in Kristallgitter, 791
– Anwendung, 584 – kritischer, 234 Echelette-Gitter, 568
Doppelspalt, 549, 565 – Norm, 185 Echtzeitanalysator, 636
– Beugung, 484, 593 – Oberflächen-, 133 Echtzeitverfahren, 577
Namen- und Sachverzeichnis 989

Effekt, All-Round-, 805 Einfangreaktion, 731 – - und Leiter, 331


– Compton-, 591, 759 Einheit, physikalische, 9 – - und Materie, 331, 333
– Cotton-Mouton-, 583 Einlagerung, 793 – - und Nichtleiter, 340
– Doppler-, 474, 880 Einlaufdüse, 142 – Energieinhalt, 349
– Einweg-, 805 Einschaltvorgänge in Stromkreisen, – Feld, Beschreibung, 318
– Ettinghausen-, 845 404 – Teilchen in Flüssigkeit, 330
– Faraday-, 588 Einschlussparameter, 743 elektrisches Feld, 317, 318
– Foto-, 588 Einschwingvorgang, 443 Elektrisierung, 341
– galvonomagnetischer, 845 Einstein-Koeffizient, 594 Elektrizit, 269
– gnetooptischer, 584 Einstein-Temperatur, 841 elektroakustische Wandler, 620
– Hall-, 363, 846 Einwegeffekt, 805 elektrochemische Daten, 295
– Joule-Thomson, 237 elastisch-viskoses Verhalten, 799 – Spannungsquelle, 296
– Kerr-, 584 elastische Energie, 67, 116 – Spannungsreihe, 296
– Koinzidenz-, 629 – Lagerung, 643 – Spannungsreihe der Metalle, 296
– lichtelektrischer, 588, 660 – Streuung, 731, 759 elektrochemischen Vorgänge, 274
– Maggi-Righi-, 846 – Verformung, 108 elektrochemisches Äquivalent, 295
– magnetischer, 846 elastischer Stoß, 69, 72 Elektrodynamik, 414
– magnetokalorischer, 237 – Energieerhaltungssatz, 73 Elektrodynamik, relativistische, 878
– Magnus-, 145 Elastizitätsmodul, 110, 111 – spezielle Relativitätstheorie, 878
– Meißner-Ochsenfeld-, 832 Elastomer, 797 – stationärer Ströme, 415
– Nernst-, 845 elekrische Verschiebungsarbeit, 321 elektrodynamische Kraft, 878
– Paarbildungs-, 759 elektrische Arbeit, 290 elektrodynamischer Wandler, 621
– Peltier-, 846 – an Grenzflächen, 349 elektrodynamisches Messwerk, 410
– Photo-, 759 – anisotrope, 347 Elektroerosion, 294
– piezoelektrischer, 849 – Arten, 347 Elektrokinese, 306
– Pockels-, 584 – atomistische Deutung, 347 elektrokinetische Vorgänge, 306
– Purkinje-, 542 – Berührungsthermometer, 182 Elektrolyse, 292
– Quanten-Hall-, 677, 680 – Doppelschicht, 295 Elektrolytischer Trog, 138
– Raman-Effekt, 703 – Energiedichte, 350 elektrolytisches Polieren, 294
– Righi-Leduc-, 846 – Feldkonstante, 10–12, 271 elektromagnetische Induktion, 383
– Saugeffekt von Strömungen, 143 – Feldlinie, 318 – Lichtstrahler, 582
– Seebeck-, 182, 846 – Feldstärke, 10, 319, 321, 349 – Schwingung, 433
– Stark-, 690 – Gleichungen, 290 elektromagnetischer Schwingkreis,
– Thomson-, 845 – Influenz, 331 Differentialgleichungen, 433
– Tunnel-, 684 – Kapazität, Kugelkondensator, 337 Elektromotor, 401, 403
– Von-Klitzing-, 680, 681 – Kapazitäten, Schaltung, 339 Elektromotorische Kraft, 274
– Zeeman-, 687 – Kraft, 320 Elektron, 751
– Zener-, 827 – Ladung, 11, 752 – Bewegungsgleichung, 679
– Zweiweg-, 805 – Leistung, 290 – freies, 809
Effekte, Grenzflächen-, 131 – Leiter, 810 – Hamilton-Funktion, 679
– relativistische, 872 – Leitfähigkeit, 275, 817 – Ruhemasse, 12
– thermomagnetische, 846 – Leitung, 816 Elektron feld, Flugbahn, 328
effektive potentielle Energie, – Maschinen, 401 Elektronen, Bremsvermögen, 763
stoffatom, 677 – Messgeräte, 408 – Energieaufspaltung im Magnet-
effektiver Multiplikationsfaktor, 738 – Plattenkondensator, 337 feld, 691
Effektivwert, 391 – Polarisation, 340, 341 – gebundene, 809
– der Wechselspannung, 391 – Spannung, 10, 11, 274 – in Festkörpern, 809
– Schallwechseldruck, 617 – Stromdichte, 273 – Streuung, 704
– Wechselstrom, 391 – Stromstärke, 13 – Wärmeleitfähigkeit, 844
Eichschallquelle, 621 – Verschiebungsdichte an Elektronenbeugung, 601
Eigenfrequenz, 420, 422 Grenzflächen, 349 Elektroneneinfang, 718
Eigenfunktion, 668 – Widerstände, 276 Elektroneneinfangdetektor, 729
– Impulsoperator, 669 elektrische Arbeit Elektronenemission, 309
– Wellenfunktion, 672 – - verschiedene Geometrien, 339 Elektronengas, 788, 815
Eigenleitung, 819 elektrische Arbeit Feldstärke, 10, 11 – molare Wärmekapazität, 815
Eigenschaft von Kreisprozessen, 213 elektrische Suszeptibilität, 341 – zweidimensionales, 680
Eigenschwingung, 481 elektrischer Dipol, 686 Elektronengeschwindigkeit, 327
Eigenwert, 668, 672 – -, spezifischer, 278 Elektronenhülle, 693
– starrer Rotator, 701 – Widerstand, 11, 406 Elektronenmikroskop, 605
Eigenwertgleichung, 676 elektrischer Dipol Analogie, 381 Elektronenstrahl-Oszilloskop, 330,
Einführung, Mechanik, 29 elektrisches Dipolmoment, 324, 326, 412
einfache Welle, 468 328, 347, 849 Elektronenvolt, 326
990 Namen- und Sachverzeichnis

Elektronresonator, 690 Energieabsorptionskoeffizient, 764, Euler’sche Turbinengleichung, 148


elektrooptische Eigenschaften, 767 exoergische Reaktion, 715, 731
sigkristalle, 808 Energieaufspaltung Expansion isobare, 197
elektrooptischer Effekt, 585 – von Protonen im Magnetfeld, 691 Expansionszahl, 142
Elektroosmose, 306, 308 Energieband, 809 Experimente zur Quantentheorie,
Elektrophorese, 306 Energiebandstruktur, 811 660
Elektrostatik, 414 Energiedichte, 469, 618 exponentielle Regression, 20
elektrostatisches Messwerk, 411 – bei Wellen, 468 Extremalprinzipien, 662
– Potential, 321 – elektrische, 350
elementare Belastungsfälle, 113, 114 – magnetisches Feld, 389 F
Elementarladung, 12, 271, 327, 331 – Schallwelle, 617
Faktor, relativistischer, 870
Elementarteilchen, 746, 751 – Verlustenergiedichte, 117
Fall, freier, 35
– Erhaltungssätze, 752 Energiedosis, 767
Fallbeschleunigung, 103
Elementarwelle, 483 Energieeinschlusszeit, 743
Fallzeit, 35
Elemente, Periodensystem, 693 Energieerhaltungssatz, 67
Faraday’sches Gesetz, 294
elliptisch polarisiertes Licht, 580 – bei Rotation, 79
Faraday-Effekt, 588
Eloxalverfahren, 294 – beim elastischen Stoß, 74
Faraday-Konstante, 12, 294
Emission, 594 Energieflussdiagramm, 215, 216 Farben dünner Blättchen, 553
– spontane, 853 Energieinhalt des elektrischen Farbladung, Quantenzahl, 749
– spontane, induzierte, 594 Feldes, 350 Farbmetrik, 545
– stimulierte, 852 Energiesatz, Mechanik, 67, 68 Faserkreisel, optische, 100
– thermische, 308 Energiestromdichte, 469 Faserverbund, 800
Emissionsspektroskopie, 655 – Wellen, 469 Faserverbundwerkstoffe, 803
Emitter, 829 Energietransport bei Wellen, 468 Fast-Fourier-Transformation, 634
Emitter-Schaltung, 831 Energieveränderung durch Fata Morgana, 504
Emitterschaltung, Transistor, 831 Magnetfeld, 682 Feder-Masse-System, Differenzial-
Empfangsraum, Schallintensität, 641 Energieverbrauch für Ionenpaare, gleichung, 423
Empfindlichkeit, 857 763 Federkonstante, 47
– Diode, 857 Energieverlust, differenzieller, 757 Federn, Parallelschaltung, 47
endoergische Reaktion, 731 Entartung, 659 – Serienschaltung, 47
Energetik, 730 Entfernungsgesetz, photometrisches, Fehler, Anpassungs, 21
Energie, 10, 66, 87, 390, 673, 709 538 Fehlerfortpflanzung, 18
– Bindungsenergie des Kerns, 708 Enthalpie, 177 Fehlerrechnung, 14
– Coulomb-Energie, Atomkern, 709 – freie, 231 Fehlerrechung
– Druck-, 140 – spezifische, 247 – Kennwerte, 16
– effektive potentielle, Wasserstoffa- Entladungslampe, 312 Fehlersumme, 16, 20
tom, 673 Entmagnetisierungsfaktor, 374 Feinstrukturkonstante, Sommer-
– eines Phonons, 837 Entropie, 176, 224 feld’sche, 12, 659
– elastische, 67, 116 – eines Systems, 231 Feld, allgemein, 317
– elektrische, 350 Epitaxie, 852 – elektrisches, 318
– freie, 229 Erde, Magnetfeld, 352 – magnetisches, 318, 351, 359
– Gesamtenergie, 67 Erdmasse, 103 – Schallfeld, diffuses, 638
– Gesamtenergie, Schwingung, 432 Erdradius, 103 – Strömungsfeld, 135
– innere, 177, 236 Erhaltungssätze bei chen, 752 Feldeffektransistor, 680
– kinetische starrer Körper, 86 Erhaltungssatz, Drehimpuls, 78 Feldelektronenmikroskop, 309
– kinetische, Elektronen, 657 – Energie, 67, 68 Feldemission, 308, 309
– Kondensationsenergie, Atomkern, – Impuls, 59 Felder, instationäre, elektromagneti-
709 Ericsson-Prozess, 218, 221 sche, 383
– Lageenergie, 67 Erreger, 445 Felder, instationäre, Vergleich: Hy-
– magnetisches Dipolmoment, 687 Erstarren, 237 drodynamik, Wärme, Elektrizität,
– magnetisches Feld, 389 erste Brillouin-Zone, 838 137
– mittlere thermische, 191 erster Hauptsatz der mik, 231 Feldkonstante, elektrische, 12, 271
– Oberflächenenergie, 132 erster Hauptsatz der Thermodyna- – magnetische, 12, 359
– Photon, 590 mik, 175 Feldlinse, 531
– potentielle, 106 Erwartungswert, 14, 672 Feldstärke, allgemein, 136, 348
– potentielle starrer Körper, 86 erzwungene Schwingungen, 422, 444 – elektrische, 10, 320, 321
– Rotationsenergie, 77, 87 Estrich, schwimmender, 645 – Gravitationsfeldstärke, 106
– Strahlungsenergie, 543 Ettinghausen-Effekt, 846 – magnetische, 11, 352, 353
– thermische, 191 Ettinghausen-Nernst-Effekt, 846 – Transportfeldstärke, 137
Energie, Feld, 326 Euler’sche Formel, 392, 422 Fermat’sches Prinzip, 662
Energie, Translation, 81 Euler’sche Gleichung, Pumpe, 148, Fermi-Dirac-Verteilungsfunktion,
Energieübertragung, lineare, 770 149 814, 815, 820
Namen- und Sachverzeichnis 991

Fermi-Energie, 813 fotometrische Größen, 543 Gamma-Emission, 718


Fermi-Fläche, 817 fotometrisches, 537 Gamma-Strahlung, 715, 763
Fermi-Gas, 713 – Grundgesetz, 537 Gamma-Zerfall, 716
Fermi-Kugel, 814 – Strahlungsäquivalent, 543 Gangunterschied, 478, 553, 556
Fermi-Niveaus verschiedener fotopische Anpassung, 543 Gas, ideales, 185, 188
Metalle, 814 Fotostrom, 856 – reales, 232
Fermi-Temperatur, 816 Fototransistor, 859 Gasdruck, 188, 190
Fermi-Verteilung, 706 Fotowiderstand, 276, 855 Gase, Ausdehnung, 184
Fermionen, 749 Foucault’sches Pendel, 55 – ideale, Kompressionsmodul, 615
Fernpunkt, 525 Fourier-Analyse, 420, 454 – ruhende, 123
Fernrohr, 529 Fourier-Differenzialgleichung, – Schallgeschwindigkeit, 615
Ferrimagnetismus, 375 konvektiver Wärmeübergang – Schweredruck, 128
Ferromagnetismus, 369, 371, 372, – Wärmeleitung, 248 – strömende, 135
375 Fourier-Koeffizienten, 455 Gasentladung, selbständige, 310
feste Körper, Dichte, 131 Fourier-Reihe, 456 – unselbständige, 310
– Härte, 119 Fourier-Synthese, 450, 455, 485 Gasgemische, Dichte, 233
– Struktur, 785 Fränkelpaar, 793 Gaskonstante, individuelle, 186
– Thermodynamik, 837 Francisturbine, 168, 170 – universelle, 12, 186
festes Ende, Wellenreflexion, 480 Franck-Hertz-Versuch, 660 Gasmoleküle, 192
Festigkeit von Werkstoffen, 111 Fraunhofer’sche Beugung, 559 Gastheorie, 190
Festkörper, Ausdehnung, 181 freie Achsen, 92 Gastheorie, kinetische, 188
– Elektronen, 808 freie Elektronen, Konzentration, 823 Gasthermometer, Prinzip, 179
– makromolekularer, 796 – Modell, 811 Gasturbine, offene, 220
Festkörperlaser, 596 freie Energie, 230 Gasverflüssigung, 236
Festkörperphysik, 785 freie Enthalpie, 231 Gauß’sche Zahlenebene, 392
feuchte Luft, Dichte, 247 freie gedämpfte Schwingung, 436 Gauß’scher Satz, 334
– Druck, 245 freie harmonische Schwingung, 423 Gay-Lussac’sches Gesetz, 185
– spezifische Enthalpie, 247 freie Schwingungen, 422 Gebiete, 6
Feuchtegrad, 246 freier Fall, 35 Gebiete der Physik, 7
Feynman-Diagramm, 755 freies Elektron im Magnetfeld, 678 gebundene Elektronen, 809
Figurenachse, 95 freies Ende, Wellenreflexion, 480 gedämpfte elektronmagnetische
Fizeau-Streifen, 555, 557 freies Teilchen, Impuls, 669 Schwingung, 442
Fläche, 10 Freiheitsgrad, 31, 80, 191, 202, 245, gedämpfte Schwingungen, 439
Flächenfehler, 793, 794 662 gefesselter Kreisel, 98
Flächenträgheitsmoment, 128 – n-atomiges Molekül, 699 Gegenstandsweite, 497
flächenzentrierte Gitter, 789 Fremdatom, 822 Gehörorgan, schematisch, 630
Flatterecho, 638 Fremdstörstelle, 792, 793 Geiger-Müller-Zählrohr, 724, 726,
Flüssigkeit Frenkel-Paar, 792 728
– Ausdehnung, 184 Frequenz, 10, 422, 426 gekoppeltes Schwingungssystem,
– Ausfließen aus Gefäßen, 143 – Drehfrequenz, 40 459, 460
– Dichte, 131 Frequenzbereich, Musikinstrumente, geladene Teilchen im elektrischen
– strömende, 135 635 Feld, 326
Flüssigkeitspendel, 431 Frequenzlücke, 840 generalisierte Koordinaten, 663
Flüssigkeitsreibung, 143 Fresnel’scher Spiegelversuch, 551 generalisierter Impuls, 663
Flüssigkristall, 586, 806, 807 Fresnel’sches Zonensystem, 575 Generator, 385, 403
Fluidität, 151 Fresnel, Beugung, 559 Generatorprinzip, 384
Fluss, elektrischer Froudezahl, 162 genetisch verknüpfte Radionuklide,
– magnetischer, 10, 11, 357 Füllhalterdosimeter, 774 720
Flussdichte, kritische magnetische, fundamentale Wechselwirkungen, genetische Schäden, 771
832 754 geodätischer Druck, 140
– elektrische, 331 Fundamentalschwingung, 460 Geometrien von Schallquellen, 621
– magnetische, 358 Funkenentladung, 312 geometrische Ähnlichkeit, 159
Flussquant, 832 Fusionsreaktion, 741 – Optik, 492
Förderhöhe Geräteeigenschaften, 413
– Pumpe, 148 G Geräusch, 613, 634
Formgedächtnis-Legierung, 804 Germer- und Davison-Beugung, 661
Fotoapparat, 532, 533 g-Faktor, 687 Gesamtaktivität, 721
Fotodiode, 535, 856 Galilei’sches Fernrohr, 529 Gesamtdrehimpuls, 78
Fotoeffekt, 588, 854 Galilei-Transformation, 51 Gesamtdrehmoment, 79
Fotoemission, 309 galvanische Zelle, 296 Gesamtdruck, 240
Fotoleiter, 856 Galvanisieren, 293 Gesamtenergie, 67
Fotometrie, 534 galvanomagnetische Effekte, 845 – Schwingung, 432
992 Namen- und Sachverzeichnis

Gesamtimpuls, 59 – Trägheitsgesetz, 45 Gravitationskonstante, relativisti-


– eines Systems, 59 – Wechselwirkungsgesetz, 45 sche, 12
Gesamtschallpegel, 622 – Wiedemann-Franz’sches, 249, 844 Gravitationskraft, 45, 103, 106, 272
Gesamtschwächungskoeffizient, 764 – Wien’sches Verschiebungsgesetz, – Gravitationskraft, Coulomb Kraft
Gesamtselbstinduktivität, 389 541 Unterschiede, 272
Gesamtspannung des Verbundwerk- – Zerfallsgesetz, 719 Gravitationspotential, 106
stoffs, 803 Gesetze, Kepler’sche, 101 Gray-Energiedosisleistung, 767
Gesamtvergrößerung, 528 – Kirchhoff ’sche, 278 Grenzdämpfung, 48, 448
Gesamtwirkungsgrad, 65 Gesichtsfeld, 523 Grenzentfernung, photometrische,
Geschwindigkeit, 10, 11, 30, 81 gewöhnliche Wellengleichung, 471 535
– durchschnittliche, 193 Gibbs’sche Phasenregel, 245 Grenzfall, aperiodischer, 440
– Energie, 10 Gibbs’sches Potential, 231 Grenzfläche, biegeweiche, 624
– gleichmäßige, 34 Gitter, Auflösungsvermögen, 569 – Reflexionsfaktor, 624
– kritische, 171 Gitter, Beugung, 564 Grenzflächen, elektrische
– Licht, 13 – Echelette-, 568 – schallharte, -weiche, 624
– mittlere, 31, 189 Gitter, holografisches, 568 – Schallwellen, 625
– mittlere, Gasmoleküle, 189 Gitterbeugung, Hauptmaxima, 566 Grenzflächen, elektrische Feldstärke,
– Momentan-, 31, 37 Gitterbeugungsfunktion, 565 Verschiebungsdichte, 349
– nach dem Stoß, 71 Gitterfehler, 792, 793 Grenzflächeneffekte, 131
– Rakete, 61 Gitterkonstante, 564, 790 Grenzfrequenz der Spuranpassung,
– Strahl, 60 Gitterschwingungen, 837 628
– Teilchen im elektrischen Feld, 327 Gittertypen, dichteste, 790 Grenzgerade, 21
– Umfangsgeschwindigkeit, 42 Gitterwelle,, 839 Grenzschicht, 157
– wahrscheinlichste, 193 Glan-Thompson-Prisma, 582 Grenzschichtbildung, laminare und
– Winkel, 39, 81 Glas, metallisches, 794 turbulente, 158
Geschwindigkeiten, relativistische gleichförmig rotierende Koordina- Grenzwinkel der Totalreflexion, 502
Addition, 874 tensysteme, 53 Grenzwinkel, physiologischer, 525,
Geschwindigkeitsgefälle, Akustik, Gleichgewicht, 86 564
615 – -zwischen fester und flüssiger Größe, extensive und intensive, 178
Geschwindigkeitspotenzial,, 137 Phase, 240 – molare und spezifische, 178
Geschwindigkeitsvektor, 36 – thermodynamisches, 238 – physikalische, 8, 10
Geschwindigkeitsverteilung, 192, Gleichgewichtsbedingungen, 238 Größtfehler, 18
193, 240 – der Statik, 84 Grundgesetz, hydrodynamisches,
Geschwindigkeitsziffer, 143 Gleichgewichtszustand, 177 614
Gesetz, Aktionsgesetz, 45, 103, 152, gleichmäßig beschleunigte – fotometrisches, 537
538, 614 Bewegung, 40 – Newton’sches, 45
– Biot-Savart’sches, 354 gleichmäßige Beschleunigung, 34 Grundgleichung der kinetischen
– Boyle-Mariotte’sches, 185 – Geschwindigkeit, 34 – idealer Strömungen, 138
– Brewster’sches, 580 – Kreisbewegung, 42 – reibungsfreier Strömungen, 138
– Bunsensches Ausströmgesetz, 145 gleichsinniger Parallelismus, 97 Grundschwingung, 481
– Coulomb’sches, 272 Gleichungen, Poisson’sche, 208 – Frequenz, 481
– Curie’sches, 370, 372, 375 Gleichverteilungssatz, 191, 203 Gruppengeschwindigkeit, 472, 485,
– Curie-Weiss’sches, 372 Gleitreibungskraft, 436 839
– Debye’sches, 231 Gleitreibungszahl, 48 Gruppenschaltung, 288
– Durchflutungsgesetz, 352 Gleitzahl, 164 Güte, 443, 448
– Faraday’sches, 294 Glimmentladung, 311 Güteschalter, 597
– Gay-Lussac’sches, 184 Glühemission, 308 Gunn-Diode, 828
– Grundgestz, Newton’sches, 45 Glühlampe, 312 gyromagnetisches Verhältnis, 687,
– Hagen-Poiseuille’sches, 153 Gluon, 753, 754 688
– Hooke’sches, 48, 110, 112 Grad Celsius, 180
– Induktionsgesetz, 383 Gradient,, 137 H
– Kepler’sches zweites, 104 gramm, 159
– Lambert’schcs Cosinusgesetz-, 536 Gravitation, 101, 103, 754 h, x-Diagramm, 248
– Malussches, 579 Gravitations- und elektrisches Hadron, 749, 751, 754
– Newton’sches Reibungsgesetz, 151 Vergleich, 324 Härte fester Körper, 119
– Ohm’sches, 278 Gravitationsdrehwaage, Cavendish’- Härteprüfverfahren, 120
– radioaktives Zerfallsgesetz, 719 sche, 103 Häufigkeit, relative, 14
– Rayleigh-Jeans-Gesetz, 596 Gravitationsfeld, 324 Häufigkeitsverteilung, 14, 15
– Reflexionsgesetz, 493 Gravitationsfeldstärke, 106 Haftreibung, 49
– Rohrwiderstandsgesetz, 154 Gravitationsgesetz, Newton’sches, Haftreibungszahlen, 48
– Stefan-Boltzmann-, 542 103 Hagen-Poiseuille’sches Gesetz, 152
– Toricelli’sches Ausflussgesetz, 143 Gravitationskonstante, 12, 103 Haidinger’sche Ringe, 553
Namen- und Sachverzeichnis 993

Halbleiter, 277, 534, 809, 818 Hörbereich, Schallfrequenz, 629 – Eigenfunktion, 669
– spezifischer elektrischer, 278 Höreindruck, 632 Impulssatz, 59
Halbleiter, Eigenschaften, 821 Hörschwelle, 632 – in der Hydrodynamik, 146
– Leitfähigkeit, 820 Hohlraumionendosis, 776 Impulsvektor, 666
– Leitungsmechanismen, 821 Hohlraumstrahler, 541 indifferentes Gleichgewicht, 86
Halbleiterlaser, 852, 853 Hohlspiegel, 496 indirekt ionisierende Strahluna, 759,
Halbwertszeit, 719 Hohlzylinder, Masseträgheitsmo- 763
– biologische, 780 mente, 90 indirekter Schall, 638
– physikalische, 719, 780 Hollraumstrahlung, 660 Induktionsgesetz, 383
Hall-Effekt, 363, 365, 814, 845 Holografie, 574 Induktionsmesswerk, 411
Hall-Generator, 365 holografische Korrelation, 577 Induktionsvorgang, 384, 385
Hall-Koeffizient, 365 holografisches Gitter, 568 induktive Zeitkonstante, 407
– einiger Werkstoffe, 366 Hologramm, 575 induktiver Blindwiderstand, 393
Hall-Spannung, 365, 680, 681 homöopolare Bindung, 787 induzierte Emission, 594
Hall-Widerstand, 680–682 Hooke’sches Gesetz, 48, 110, 112, 424 inelastische Streuung, 731, 759
Halogenlampe, 317 – bei Scherung, 112 inelastischer Stoß, 71, 731
Hamilton’sches Prinzip, 662 Hubarbeit, 64, 65, 104 Inertialsystem, 44, 867
Hamilton-Funktion, 663, 667 Huygens’sches Prinzip, 483 Influenz, 210
Hamilton-Funktion eines Elektrons, Huygens-Fresnel’sches Prinzip, 484, – elektrische, 331, 333
677 559 Infrarotspektrum, 702
Hamilton-Operator, 662 Hydratisierung, 293 Infraschall, 631
– kartesische Koordinaten, 673 – von Ionen, 293 innere Energie, 236
– Kugel-Koordinaten, 673 Hydraulik, 123 – Kräfte, 58
Hangabtriebskraft, 46 hydraulische Presse, 125 – Reibung, 49, 150
Harmonices mundi, 101 Hydrodynamik, 135 – Strahlenbelastung, Schutz, 779
harmonische Schwingungen, 422 – Impulssatz, 146 innerer Widerstand, 287
– und Kreisbewegung, Zusammen- hydrodynamische, Ähnlichkeit, 158 instationäre Felder, tromagnetische,
hang, 421 hydrodynamisches Grundgesetz, 614 383
harmonische Wellen, 468 – Paradoxon, 144 Instrumente, optische, 523
harmonischer Oszillator, 679, 700 Hydrostatik, 123 Intensität von Wellen, 469
Hartmagnet, 376 hydrostatischer Druck, 127 Intensitätsverteilung am Spalt, 664
Hauptachse, kristallografische, 581 hydrostatisches Paradoxon, 127 – bei der Beugung, 561
Hauptebene, 514 Hyperschall, 631 Interferenz, 477, 491, 549, 552
Hauptmaxima, Gitterbeugung, 566 Hysterese, magnetische, 373 – destruktive und konstruktive, 478
Hauptquantenzahl, 659, 677, 693 Hysterese, mechanische, 117 Interferenzen an dünnen Schichten,
Hauptsatz, dritter, 176, 231 Hysteresekurve, 117, 372 552
Hauptsatz, erster, 175, 231 – gleicher Dicke, 555
Hauptsatz, nullter, 179 I Interferenzfarbe, 553
Hauptsatz, zweiter, 175, 222 Interferenzfunktion, 566
Hauptschnitt, 581 ideale Gase, allgemeine, 211 Interferenzholografie, 577
Hauptspannung, 115 ideale Gase, allgemeine Zustands- Interferenzlinie, 553
Hauptstrahl, 523 gleichungen, 185 Interferenzmikroskop, 558
Hauptträgheitsachse, 92 – Kompressionsmodul, 615 Interferometer, 479, 557
Hauptträgheitsmoment, 92 – spezielle Zustandsänderungen, intermediäre Vektorbosonen, 754
Hebung, kapillare, 134 204 internationale Höhenformel, 129
Heidinger’sche Ringe, 553 ideale Strömungen,, 138 intrinsische Trägheitsdichte, 822
Heisenberg’sche, 601 ideales Gas, 185, 188 Invariante, Abbe’sche, 508
Heisenberg’sche Unschärferelation, Impatt-Diode, 828 inverser piezoelektrischer Effekt, 848
673, 748 Impedanz, 399 Inversionstemperatur, 236
Heißleiter, 275 Impuls, 56, 81 Ionen, Hydratisierung, 293
Hellempfindlichkeitsgrad, 543 – Drehimpuls, 76, 81 Ionenbindung, 787
Helligkeit, 532 – eines materiellen Punktes, 56 Ionendosis, 767
Helmholtz-Lagrange-Gleichung, 510, – eines Phonons, 837 Ionendosisleistung, 767
511, 540 – eines Photons, 592 Ionenpaare, Energieverbrauch, 763
Helmholtz-Resonator, 626 – eines Systems, 58 Ionisation, 758
heteropolare Bindung, 786 – freies Teilchen, 669 – spezifische, 761
Histogramm, 14 – generalisierter, 663 Ionisationsdetektor, 723, 724
Hitzdrahtmesswerk, 411 – relativistischer, 876 Ionisationsvermögen, 757, 762
Hochtemperatur-Reaktor, 740 Impulsänderung, 57 ionisierende Strahlung, direkte, 758
Höhenformel, barometrische, 129 – zeitliche, bei Strömung, 145 – indirekte, 759, 764
– internationale, 129 Impulserhaltungssatz, 59 – Messung, 723
Höppler-Kugelfallviskosimeter, 153 Impulsoperator, 666 Ionisierungsenergie, 761, 762
994 Namen- und Sachverzeichnis

Ionisierungskoeffizient, 310 Kepler’sches Gesetz, drittes, 104 – Zähigkeits-, 48


irreversibler Prozess, 222, 226 Kepler’sches Gesetz, zweites, 104 Koeffizienten, Fourier-, 455
isentrope Zustandsänderung, 207, Kern, Bindungsenergie, 708 Körper, starrer, 30, 80
211 Kernfusion, 708, 741 Körperdosis, 776
Isentropenexponent, 165, 190, 202, – Experimente, 743 Körperschall, 642
208 Kernmagnetismus, 686, 688 Körperschalldämmung, 642
Isobare, 207, 210 Kernmagneton, 690 Koerzitivfeldstärke, 374
isobare molare Wärmekapazität, 197 Kernmaterie, Dichte, 705 Koexistenz, 243
– Zustandsänderung, 207, 211 Kernmodell, 706 Kohärenz, 479, 549
Isochore, 210 Kernphysik, 653 Kohärenzbedingung, 551
isochore molare Wärmekapazität, Kernradius, 705 Kohärenzeigenschaften einiger
195 Kernreaktion, 730, 731 Lichtquellen, 550
– Zustandsänderung, 206, 211 Kernreaktor, 736 Kohärenzlänge, 551
Isochromate, 584 Kernspaltung, 708, 731, 733, 735 Kohäsionskraft, 131
Isokline, 584 Kernspin, magnetische, 688 Kohlenstoff-Zyklus, 741
Isolator, 809, 842 Kernspinresonanz, 690 Koinzidenzeffekt, 629
– elektrischer, 809 Kernspintomografie, 691 Kolbenmaschinen, 218
– Wärme, 843 Kernumwandlung, 714 Kolbenpumpe, 167
Isolierwirkungsgrad, 643, 644 Kerr-Effekt, 583, 585 Kollektor, 829
Isospin, 751, 753 Kilogramm, 9 Kollektor-Schaltung, 831
Isotherme, 205, 209, 243 Kinematik, 29, 43 – Transistor, 831
isotherme Kompression, 205 – starrer Körper, 80 Kollektorstrom, 860
– Zustandsänderung, 205, 211 kinematische Zähigkeit, 151 Koma, 524
isotropes Verhalten, 789 Kinetik, 29 Kommutator, 403, 672
kinetische Energie, 665, 875, 877 Kompensationsmethode, 286
J – bei Rotation, 81 Kompensationsmethode nach
– bei Translation, 81 Poggendorf, 286
Jet, 745
– starrer Körper, 86 komplexer Widerstand, 393
Josephson-Effekt, 685
– Teilchen im elektrischen Feld, 327 Kompressibilität, 112, 125
Joule-Prozess, 218, 220
kinetische Gastheorie, 188 kompressible Medien, Bernoulli-
Joule-Thomson-Effekt, 236
– Grundgleichung, 190 Gleichung, 165
Kippschwingung, 463 Kompression, allseitige, 112
K Kippspannung, 330 – isotherme, 206
Käfiganker, 403 Kirchhoff ’sche Gesetze, 278 Kompressionsarbeit, 206
Kältemaschine, 216 Klang, 634 Kompressionsmodul, 110, 112, 615
Kalkspat, 582 Klassifikation der Stoßprozesse., 70 – idealer Gase, 616
Kalorimetrie, 196 klassische Dynamik, 43 Kondensationsenergie, Atomkern,
kalorische Zustandsgrößen, 177 – Mechanik, 43 709
Kaltleiter, 277 – Physik, 6 – Kondensator, 393
Kanalstrahlen, 312 klassische Physik, 5 – Kraft zwischen zwei Platten, 350
Kapazität, 335 Klein-Gordon-Gleichung, 755 – Stromkreis, 404, 406
Kapazität, Kugelkondensator, 337 Kleinwinkel-Korngrenze, 793 Kondensatoren als Baulelemente, 342
– Plattenkondensator, 337 Klemmspannung, 287, 288 – Einteilung, 345
– Wärmekapazität, 10, 11 Klimatechnik, 245 – Reihen- und Parallelschaltung, 339
Kapazitäts-Diode, 828 Knall, 613, 634 Kondensieren, 237
kapazitive Zeitkonstante, 406 Knotenregel, 278 Konditionierung, 245
kapazitiver Blindwiderstand, 393 Koeffizient, Abkling-, 439, 443 Konduktanz, 399
Kapillaraszension, 134 – Absorptions-, 855 Konkavspiegel, 495
Kapillardepression, 134 – Dämpfungs-, 439, 619 konservative Kraft, 68
Kapillarität, 133 – Einstein-Statistik, 594 Konsonanz, 634
Kaplanturbine, 168, 170 – Energieabsorptions-, 764, 767 Konstante, 657
Katakaustik, 495 – Gesamtschwächungs-, 764 – atomare von Metallen, 790
Kataphorese, 307 – Hall-, 365 – Atommassen-konstante, 707
Kathodenstrahl, 312 – Ionisierungs-, 310 – Avogadro, 12, 187
Kation, 292 – Korrelations-, 22 – Avogadro-, 12
Kavitation, 171, 646 – Längenausdehnungs, 181 – Boltzmann-, 12, 187, 595
Kavitationsgeräusch, 647 – Luftdämpfungs-, 619 – Dielektrizitäts-, 271
Kegel, Mach’scher, 476 – Luftreibungs-, 48 – Faraday-, 12, 294
Kelvin, 9 – Massenschwächungs-, 764 – Feder-, 47
Kennwerte der Fehlerrechnung, 16 – Raumausdehnungs, 181 – Feinstruktur-, Sommerfeld’sche,
Kepler’sche Gesetze, 101 – Schwächungs-, 696 12
Kepler’sches Fernrohr, 529 – Volumenausdehnungs-, 126 – Feld-, elektrische, 12, 271, 317
Namen- und Sachverzeichnis 995

– Feld-, magnetische, 12, 351 – Brech-Linse, 511 – linksläufiger, 216


– Gas-, 12, 184 – Coriolis-, 55 – rechtsläufiger, 213
– Gitter-, 564, 790 – Coulomb-, 272, 657 Kreisprozesse, 212
– Gravitations-, 12, 103 – dissipative, 68 – Eigenschaften, 212
– Kraft-, 81 – Druckwiderstands-, 155 – technische, 217, 218
– Madelung-, 787 – elastische, 47 Kriechfall, 440, 442
– Natur-, 12 – elektrodynamische, 878 Kristall, negativer und positiver, 581
– Rydberg-, 656 – elektromotorische, 274 Kristallbindung, 785
– Solar-, 538 – Gleitreibungs-, 436 Kristalle, Brechzahlen, 582
– Stefan-Boltzmann-, 12 – Gravitations-, 103, 106 Kristallgitter, Richtungen und
– van-der-Waals’sche, 235 – Hangabtriebs-, 47 Ebenen, 791
– Verdet’sche, 588 – innere, 58 kristalline Strukturen, 788
– Zeit-, kapazitive, 394 – konservative, 68 kristallografische Hauptachse, 581
– Zerfalls-, 719 – Lager-, 644 Kristallsysteme, 789
Konstante,, 778 – Linienflüchtigkeit, 82 Kriterium, Rayleigh’sches, 563
Konstante, Äquivalent- – Lorentz-, 363 kritische Geschwindigkeit, 171
Dosisleistungs-, 777 – Normal-, 47 – Isotherme, 213
konstruktive Interferenz, 478 – rücktreibende, Akustik, 614 – magnetische Flussdichte, 832
Kontaktbimetalle, 800 – Reibungs-, 48, 150, 153, 436 – Reynoldszahl, 158
Kontaktpotential, 713 – Reibungswiderstands-, 154 – Temperatur, 234
Kontaktspannung, 847 – relativistische, 876 – Temperatur, Supraleitung, 833
Kontamination, 756 – resultierende, 83 kritischer Druck, 235
Kontinuitätsgleichung, 136–138 – Rollreibungs-, 436 – Punkt, 234, 236
– Anwendung, 140 – Schein-, 51 kritisches Volumen, 234
– Elektrizitätslehre, 137 – Schub-, 61 Kühlmittel, 738
– Wärmelehre, 137 – Schwer-, 47 künstliche Spaltung, 733
Kontinuitätsgleichung, Hydrodyna- – Seitendruck-, 128 Kugel, elektrisches Feld, 330
mik, 137 – Stütz-, 85 – Massenträgheitsmomente, 90
Kontraktionszahl, 143 – Trägheits-, 51 Kugelflächen, Lichtbrechung, 507
Konvektion, 248 – Trägheits-, Akustik, 614 Kugelkondensator, Kapazität, 337
Konversationsfaktor, 740 – Wirkungslinie, 83 Kugelpackung, dichteste, 790
Konversion, 718 – Zentrifugal-, 55 Kugelwelle, 468
Konvexspiegel, 498 – Zentripetal-, 47 Kundt’sches Rohr, 481, 625
Koordinaten, generalisierte, 663 – Zerlegung, 45 Kunststoffe, 798, 799
– Schwerpunkt, 85 – Zusammenhangs-, 131 Kurskreisel, 95
Koordinatensystem, rotierendes, 52 Kraft Magnetfeld, 363 Kurvenanpassung, 18
Koordinationzahl, 791 Kraft zwischen zwie elektrischen – grafische, 21
Kopplungsgrad, 462 Leitern, 363 Kurzschlussläufer, 403
Korngrenze, 793 Kraftkonstante, 81
Korpuskulartheorie, 491 Kraftmessung, Methoden, 48 L
Korrelation, holografische, 577 Kraftstoß, 56
Korrelationsanalyse, 22 Kraftwirkungen auf frei bewegliche labiles Gleichgewicht, 86
Korrelationskoeffizient, 22 Ladungsträger, 368 Ladung, 271
Korrespondenz-Prinzip, 668 – im Magnetfeld, 357, 359 – elektrische, 10
kovalente Bindung, 786 Kraftwirkungen auf frei Ladungsträ- – spezifische, 367
Kovolumen, 233 ger, 366 Ladungsträgerkonzentration, 680
Kräfte am starren Körper, 82 Kreisbewegung, 39, 42 Ladungstransport, 292, 310
– auf Punkte im System, 58 – gleichmäßig beschleunigte, 42 – in Flüssigkeiten, 292
– auf schiefer Ebene, 47 Kreisel, 95 – in Gasen, 292, 310
Kräfteaddition, 46 – gefesselter, 99 – stationärer, 273
kräftefreier Kreisel, 95 – kräftefreier, 95 Ladungsverteilung, 706
Kräftegleichgewicht, statisches, 47 Kreiselhorizont, 98 – im Atomkern, 706
Kräftepaar, Drehmoment, 83 Kreiselkompass, 99 Längenausdehnuneskoeffizient, 181
Kräfteparallelogramm, 45 Kreiselmoment, 98 Längenkontraktion, 868, 872
Kräftezerlegung, 46 Kreiselpendel, 98 Längswelle, 465
Kräfte am starren Körper Kreiselpumpe, 167 Lärmschwerhörigkeit, 633
– im Rohrkrümmer, 147 Kreisfrequenz, 422, 426 Lageenergie, 67
Kraft, 10, 43, 45, 81, 350 – Gitterwellen, 838 Lagerkraft, 643
– Addition, 45 Kreiskolbenpumpe, 167 Lagerung, elastische, 642
– Auf triebs-, dynamische, 163 Kreisprozess, allgemein, 212 Lagrange-Funktion, 663
– Auftriebs-, 130 – Carnot’scher, 212, 213, 224 Lambert’sches Cosinusgesetz, 536
– Auftriebs-, Zirkulation, 163 – irreversibler, 226 Lambert-Strahler, 536
996 Namen- und Sachverzeichnis

laminare Grenzschichtbildung, 158 – Polarisation, 491 Mach’scher Winkel, 477


laminare Rohrströmung, 151 – zirkular polarisiertes, 579 Machzahl, 165, 477
laminare Strömung, 150 Lichtbrechung an einem Prisma, 504 Madelung-Konstante, 787
laminare Umströmung, 153 – an Kugelflächen, 507 Maggi-Righi-Effekt, 846
Landau-Effekt, 682 lichtelektrischer Effekt, 588, 660 magische Zahl, 711, 713
Landau-Niveaus, 682 Lichtgeschwindigkeit, 12, 13, 880 Magnetfeld der Erde, 352
Landau-Quantisierung, 657 Lichtmenge, 543 – Kraftwirkungen, 359
Laplace-Gleichung, 136, 251 Lichtmessung, 534 – und elektrischer Leiter, 359
Laser, 596, 854 Lichtquanten, 588 – und Kraftwirkungen, 358
Laserdiode, 852 Lichtquantenhypothese, 492, 590 – und Materie, 368
Laserdosis, 852 Lichtreflexion, 493 magnetische Energie
Laserkreisel, 100 – an gekrümmten Flächen, 495 – Feldkonstante, 359
latente Wärme, 237 Lichtsekunde, 870 – Feldstärke, 11, 352
Lateralvergrößerung, 498 Lichtstärke, 9, 545 – Feldstärke, geradliniger Leiter, 353
Laue-Diagramm, 572 Lichtstrahlen, 493 – Feldstärke, Leiter beliebiger
Laue-Gleichungen, 572 Lichtstrahler, elektromagnetische, Geometrie, 354
Laufradleistung, Turbine, 149 583 – Feldstärke, Ringspule, 354
Lautheit, 632 Lichtstrom, 543, 544 – Feldstärke, Zylinderspule, 354
Lautsprecher, 620 Lichttechnik, 542 – Flussdichte, 357
Lautstärke, 632 lichttechnische Größen, 542 – Induktion, 11, 359
Lawinen-Fotodiode, 859 Lichtwellenleiter, 503 – Leitfähigkeit, 382
Lawson-Diagramm, 743 lineare Energieübertragung, 770 – Polarisation, 368
Leckage, 738 lineare Regression, 21 – Quantenzahl des Kernspins, 688
Leerlaufspannung, Fotodiode, 856 linienförmige Schallquelle, 618 – Salze, 236
Leerstellen, 792, 793 Linienfehler, 793, 794 – Suszeptibilität, 369
Leistung, 10, 64 Linienflüchtigkeit der Kraft, 82 – Werkstoffe, 376
– bei Rotation, 81 linksläufiger Kreisprozess, 216 magnetische Energie Flussdichte,
– Drehbewegung, 77 Linse, 510 kritische, 832
– elektrische, 290 – Brechkraft, 511 magnetischer Einschluss, 744
– gegen turbulente Strömung, 156 – Brennweite, 511 – Fluss, 11, 357, 383
– im Wechselstromkreis, 394 – dünne, 510 – Werkstoff, 376
– mittlere, 65 – dicke, 514 – Widerstand, 382, 399
– Momentan-, 64, 77 Linsensysteme, 517 magnetischer Einschluss Analogie,
– Nenn-, 64 Linsentypen, 513 381
– Translation, 81 Lissajous-Figuren, 450, 457, 459 magnetisches Dipolmoment, 687
– Turbine, 148 Lochblende, 561 – Feld, 351, 389
Leistung 8 Löcher, 819 magnetisches Dipolmoment Feld,
– Torsions-, 77 Lösungsfunktion der Wellenglei- Energiedichte, 389
Leistungszahl, 216 chung, 616 magnetisches Dipolmoment
– für Carnot-Prozess, 217 logarithmische Regression, 21 Moment, 361, 688
Leiter, elektrischer, 810 logarithmisches Dekrement, 439 Magnetisierung, 369
longitudinale Molekülschwingung, Magnetismus, 351
– erster Art, 809
617 – Bahn-, 687
– im elektrischen Feld, 331
longitudinaler Doppler-Effekt, 880 – Kern-, 686
– im Magnetfeld, 359
Longitudinalwelle, 465, 613
– zweiter Art, 809 – Spin-, 687
Longitudinalwellen in Gasen, 481
Leiterspannung, 400 magnetokalorischer Effekt, 237
Lorentz-Kraft, 363, 364, 834, 845
Leiterstrom, 400 Magneton, Bohr’sches, 363
Lorentz-Transformation, 868, 870
Leitfähigkeit eines Halbleiters, 382, Magneton,Bohr’sches, 687
Lorenz’sche Zahl, 249
820 Magnetorotation, 588
Luft, feuchte, Druck, 245
Leitfähigkeit, elektrische, 275, 817 Magnetostatik, 414
luftäquivalentes Wandmaterial, 773
– elektrische und magnetische, 381 Magnetostriktion, 375, 647
Luftdämpfungskoeffizient, 619
Leitrad, 147 Magnetschwebebahn, 377
Luftfeuchtigkeit, 245
Leitungsband, 810 Magnus-Effekt, 145
Luftreibungskoeffizient, 49
Leitungsmechanismen in Halblei- Luftschalldämmung, 641 Majoritätsträger, 823
tern, 820 Lumineszenz-Diode, 828, 850 makromolekulare Festkörper, 796
Leitwert, 275 Lupe, 526 Makrophysik, 5
Leptonen, 749, 751, 755 Lux, 544 Malus-Gesetz, 579
Leptonenzahl, 752 Lyman-Serie, 657 Mammutpumpe, 167
Leuchtdichte, 543 Manometer, 124
Leuchtdiode, 536, 544, 850 Maschenregel, 279
Licht, Brechung, 499 M Maschinen, elektrische, 401
– elliptisch polarisiertes, 580 Mach’scher Kegel, 476 Masse, 9, 44, 81
Namen- und Sachverzeichnis 997

Masse eines Körpers, 875 Messunsicherheit, 16 – statisches, 128


Masse, schwere, träge, 45 Messwerk, digitales, 412 – Torsions-, 77
Masse-Feder-System – elektrodynamisches, 410 Momentanbeschleunigung, 32
– Resonanzkurve, 644 – elektrostatisches, 411 Momentangeschwindigkeit, 31, 37
Masse-Feder-System, Frequenz, 625, Messwerte, Schwerpunkt, 21 Momentanleistung, 64
643 Metall, 803, 812, 844 Momentenbeiwert, 164
Maßeinheiten, 8 – Wärmekapazität, 844 Monochromator, 568
– Potenzen, 13 Metalle, elektrochemische Mott-Streuung, 704
Massenanziehung, 103 Spannungsreihe, 296 multilineare Regression, 21
Massenbremsvermögen, 762 metallische Bindung, 788 Multiple, 657
Massendefekt, 708 metallisches Glas, 794 Multiplikationsfaktor, 738
Masseneinheit, atomare, 707 Meter, 9 musikalische Akustik, 634
Massenmittelpunkt, 59 Methoden der Kraftmessung, 48 Musikinstrumente, 635
Massenschwächungskoeffizient, 764 Metrologie, 8, 683 Mutter-Tochter-System, 721
Massenspektrograph, 367 Michelson-Interferometer, 479, 557 Myon, 749, 751
Massenspektrometer, 707 Mikrophon, 620
Massenstrom, 60, 138 Mikrophysik, 5 N
– beim Ausfluss, 143 Mikroskop, 527, 567
– im Rohr, 152 Miller’sche Indizes, 792 n-Emission, 718
Massenträgheitsmoment, 76, 81, 87, Minkowski-Diagramm, 870, 871 Nachhall, 640
88, 428 Mischkristall, 819 Nachhallzeit, 640
Massenverteilungskurve, 735 Mittelungspegel, 633 Nahfeldmikroskop, 609
Materie im elektrischen Feld, 317 Mittelwert, arithmetischer, 16 Nahpunkt, 524
– im Magnetgfeld, 368 mittlere Bahnlänge, 763 Naßdampf, 234
– Strahlung, Wechselwirkung, 757 – Beschleunigung, 4 natürliche Radioaktivität, 720
materielles Teilchen, Drehimpuls, 75 – Geschwindigkeit, 31 – Zerfallsreihen, 722
Materiewellen, 600 – Geschwindigkeit, Gasmoleküle, Naturkonstanten, 14
mathematisches Pendel, 427 189 Nebenquantenzahl, 659
Matrixmethoden der Optik, 518 – Ionisierungsenergie, 762 Néel-Temperatur, 375
Matthiessen’sche Regel, 818 – Leistung, 65 negativer Kristall, 581
maximale Wellenzahl,, 839 – thermische Energie, 191 nematische Flüssigkristalle, 806
Maxwell’sche Gleichungen, 57, 579, mittlerer Absorptionsgrad, 638 Nennleistung, 65
868 Moderator, 737, 738 Nernst-Effekt, 845
Maxwell’sche Verteilungskurve, 192, Mohr’scher Spannungskreis, 113, 116 Nernst-Wärmesatz, 231
240 Mol, 9 Netzebene, 572
Maxwell-Modell, 799 molare Größen, 178 Neutrino, 751
Mechanik deformierbarer fester molare Wärmekapazität, 195, 202, Neutron, 751
Körper, 108 225, 841 Neutroneneinfang, 734, 736
Mechanik deformierbarer Körper – Wärmekapazität, Elektronengas, Newton’sche, 512
– Einführung, 29 815 Newton’sche Axiome, 44
– Energiesatz, 68 Molekülachse bei der Rotation, 701 Newton’sche Ringe, 556
– klassische, 43 Molekülorbital, 698 Newton’sches Aktionsgesetz
– Newton’sche, 29 Molekülschwingung, 617 Drehbewegung, 75
– relativistische, 29 Molekülspektren, 698 Newton’sches Gravitationsgesetz, 103
– starrer Körper, 80 Molekülspektroskopie, 808 Newton’sches Grundgesetz, 45
– Strukturbild, 30 Mollier-Diagramm, 248 Newton’sches Reibungsgesetz, 151
mechanische Arbeit, 62 Molmasse, 178, 295 Nichtleiter im elektrischen Feld, 340
– Berührungsthermometer, 182 Molvolumen, 186 nichtlineare Schwingungen, 463
– Eigenschaften, Flüssigkristalle, Moment, Dipol nichtnewton’sche Substanzen, 151
807 – elektrisches Norm-Hammerwerk, 644
– Hysterese, 117 – – Drehmoment der Strömung, 147 Norm-Trittschallpegel, 644
– Schwingungssysteme, 432 Moment, Dipol-, elektrisches, 273, Normalkomponente, 38
Meißner-Ochsenfeld-Effekt, 832 347 Normalkraft, 46
Memory-Legierungen,, 806 – Dipol-, magnetisches, 686 Normalspannung, 109, 114
menschliches Auge, 523 – Dreh-, 75, 81, 83 Normalvergrößerung, 526
menschliches Gehörorgan, 630 – Dreh-, Turbine, 148 Normalverteilung, 15
mesomerer Zustand, 718 – Drehmoment eines Kräftepaars, Normatmosphäre, 129
Meson, 749, 751 83 Normdruck , 186
Messbereichserweiterung, 283 – Gesamtdreh-, 78 Normfarbwerte, 547
Messgenauigkeit, 14 – Kreisel-, 98 normierte Wellenfunktion, 668
Messgerät, elektrisches, 408 – magnetisches, 357, 359, 361, 688 Normstimmton, 635
Messgeräte, Einteilung, 409 – Richt-, 77 Normtemperatur, 186
998 Namen- und Sachverzeichnis

Normzustand, Gas, 186 p-Orbital, 677 phon, 632


Nukleon, 707 p-Typ-Halbleiter, 823 Phononen, 837
Nuklide, Daten, 709, 730 p,V-Diagramm, 211, 219 Phononen-Dispersion, 838
Nuklidmassen, 708 Paarbildungseffekt, 759 Phononenweglänge, 842
Nullphasenwinkel, 391, 422, 423 Paarungsenergie, 709, 711 Photodiode, 828
Nullpunkt, absoluter, 179, 185 Parabolspiegel, 495 Photoeffekt, 641, 759
nullter Hauptsatz der Thermodyna- Paradoxon, hydrodynamisches, 144 Photon, 590, 754
mik, 179 – hydrostatisches, 127 – Absorption, 594
numerische Apertur, 503 Paraelektrizität, 347 – Energie, 591
Nutation, 95 Parallelismus, gleichsinniger, 97 – Impuls, 592
Nutationsbewegung, 96 Parallelogramm für Kräfte, 45 Physik, Gebiete, 7
Parallelschaltung, 47, 281, 284, 340, – klassische, 6
O 395 – Quanten-, 6, 491, 493, 588, 653
– der Bauelemente im Wechsel- – Wellen-, 491
Oberflächendruck, 133 stromkreis, 396 physikalische Erkenntnis, Bereiche, 6
Oberflächenenergie, 132 – Spannungsquellen, 288 Physikalische Größen, 8, 10, 11
– Atomkern, 709 – von Federn, 47 Physikalischer Erkenntnisprozeß, 3
Oberflächenspannung, 132 – Widerstände, 281 physiologische Akustik, 630
Oberflächensperrschichtdetektor, Paramagnetismus, 369–371 physiologischer Grenzwinkel, 525
724 parametrisch erregte, 463 physisches Pendel, 429
Oberschwingung, 481 Parität, 753 piezoelektrischer Effekt, 849, 850
Objektiv, 528 Partialdruck, 240 – Wandler, 621
offene Gasturbine, 220 Partikelbild, 6 piezoresistiver Wandler, 621
offene Strahlungsquellen, 727 Pascal, 123 Pin-Fotodiode, 858
offenes System, 175 Paschen-Serie, 657 Pion, 748, 755
Ohm, 275, 683 Passfehler, 557 Pitot-Rohr, 141
Ohm’scher Widerstand, 393
Pauli-Prinzip, 694 Planartechnik, 832
Ohm’sches Gesetz, 278, 817
Pegeldifferenz, 622 Planck’sche Strahlungsformel, 541,
– Stromkreis, 381
Pegelmaße, 621 595
Ohr, 630
Pegelzuschlag, 622 Planck’sches Wirkungsquantum, 5,
Oktave, 633
Peltier-Effekt, 846 12, 541, 590
Oktavfilter, 623
Peltonturbinen, 168, 170 Planeten des Sonnensystems,, 3, 102
Okular, 527
Pendel, ballistisches, 72 Plasma, 743
Operatoren, 666
– Flüssigkeits-, 431 Plasmaeinschluss, 743, 744
Operatorenalgebra, 667
– Foucault’sches, 55 Plasmaheizung, 745
Optik, allgemein, 492
– geometrische, 491, 492 – mathematisches, 427 Plasmastabilitäten, 745
optische Abbildung, 539 – physisches, 430 Plasmastrom, 317
optische Achse, 581 – Torsions-, 429 Plasmaverunreinigungen, 745
optische Aktivität, 587 Pentagonalprisma, 506 plastische Verformung, 117
– Eigenschaften, Flüssigkristalle, Periodendauer, 40, 422, 467 Plattenkondensator, Kapazität, 337
807 – der Schwebung, 452 Plattenschwinger, 626
– Faserkreisel, 100 Periodensystem der Elemente, 692 pn-Übergang, 824
– Instrumente, 523, 526, 562 periodische Felder, 390 Pneumatik, 126
– Wegdifferenz, 550 Periodizität, 421, 422 Pockels-Effekt, 584, 585
optisches Spektrum, 654 Permeabilitätszahl, 368 Poggendorf, 286
Optoelektronik, 850 Permittivitätszahl, 340 Poisson’sche Gleichung, 208
optoelektronische elemente, 850 – Temperatur und Frequenzabhän- Poisson-Zahl, 110, 111
Orbital, Atom-, 677 gigkeit, 349 Poissonasche Gleichung, 256
– Molekül-, 698 Perowskit-Struktur, 848 Polarisation, 331, 340, 347, 465, 849
Ordnungszahl, 484, 692 Perpetuum mobile erster Art, 67, 198 – des Lichtes, 578
Ortsdosis, 776 – zweiter Art, 223 – elektrische, 340, 341, 347
Ortsoperator, 666 Personendosis, 776 – magnetische, 368
Ortsvektor, 36, 666 Phase, 422, 446 – optische, 578, 840
Oszillator, 419, 463, 668 Phasenübergang, 237 Polarisationsfolie, 583
– anharmonischer, 700 Phasengeschwindigkeit, 471, 485, 839 Polarisationsprisma, 582
– harmonischer, 700 – Gitterwellen, 839 Polarisationswinkel, 580
Otto-Prozess, 218, 219 Phasenraum, 663 Polarisator, 578, 579
Phasenregel, Gibbsche, 245 Polaroid-Filter, 583
Phasenresonanzfunktion, 446, 449 Polymerwerkstoff, 797
P
Phasensprung, 478 polynome Regression, 21
p-Emission, 718 Phasenumwandlung, 237 polytrope Zustandsänderung, 210,
p-Funktion, 677 Phasenwinkel, 422 211
Namen- und Sachverzeichnis 999

Polytropenexponent, 209 Pumpenkennlinie, 167 Rakete, Bahnscheitel, 62


poröse Schallabsorber, 625, 626 Punkt, kritischer, 234, 235 – Beschleunigung, 61
Porro’sche Prismen, 530 punktförmige Schallquelle, 618 – Geschwindigkeit, 61
positiver Kristall, 581 Punktfehler, 792, 793 – Steighöhe, 61
Positron, 715, 751 Pupille, 522 Raketengleichung, 60
Positronium, 749 Purkinje-Effekt, 542 Raketenmasse, Abnahme, 61
Postulate, Bohr’sche, 657, 658, 868 Raman-Effekt, 703
Potential, Coulomb Q Rasterelektronenmikroskop, 608
– Geschwindigkeits-Gradient, 137 Rasterkraftmikroskop, 607
– Gibbsches, 231 Q-switching, 597 Rastertunnelmikroskop, 606
– Gravitations-, 106 Quader, Massenträgheitsmomente, Raumakustik, 638
– thermodynamisches, 175, 229 90 Raumausdehnungskoeffizient, 126,
Potential, Coulomb-, 663 Qualitätsfaktor, 768, 770 181, 184
– elektrostatisches, 321 Quanten Raumladungszone, 826
– Rechteck-, 668 – Wellen-, 549 Raumwinkel, 10, 535
– Woods-Saxon-, 713 Quanten-Hall-Effekt, 275, 366, 659, raumzentrierte Gitter, 790
Potentialdifferenz, 274 677, 680, 684 Rayleigh’sches Kriterium, 563
Potentiale, 671 Quantenausbeute, 856 Rayleigh-Jeans-Gesetz, 596
– thermodynamische, 229 Quantenbedingungen nach Rayleigh-Streuung, 703, 759
Potentialkurve bei, 699 Sommerfeld, 659 Reaktanz, 399
Potentialkurve bei Molekülanregung, Quantenmechanik des Atoms, 667 Reaktortypen, 738
698 Quantenoptik, 588 reale Flüssigkeiten, Strömungen, 150
Potentialschwelle, Tunneleffekt, 669 Quantenphysik, 5 reale Gase, Strömungen, 150
Potentialtheorie, 136 Quantentheorie, 653, 659 – Zustandsänderungen, 232
Potentialtopf, 668 – Experimente, 660 Realgasfaktor, 233
Quantenzahl der Farbladung, 749
potentielle Energie, 106 Rechteckpotential, 668
– magnetische, 693
– starrer Körper, 86 rechtsläufiger Kreisprozess, 213
Quantenzahlen von Protonen
– Wasserstoffatom, 679 Redoxreaktion, 293
Neutronen, 752
Potentiometer, 276 Referenzwelle, 575
Quark-Antiquark-System, 749
Potentiometerschaltung, 285 Reflexion an gekrümmten, 495
Quarkonia, 749
Potenzen von Maßeinheiten, 13 Reflexion von Licht, 493, 580
Quarkoniumzustände, 752
Poynting’scher Vektor, 470 Reflexion von Wellen, freies festes
Quarks, 751
Präzession, 96, 97 Ende, 481
quasistationäre Ströme, Elektrody-
Prandtl’sches Staurohr, 141 Reflexionsfaktor einer, 624
namik, 414
Presse, hydraulische, 125 Reflexionsgesetz, Optik, 493
Quelle, 136, 139, 831
Primärbatterien, 299 – Strömungs-, 136 Reflexionsgrad, 470
Primärelement, 296, 297 Quellenfreiheit, 139 – Schall-, 624
Primärionisation, 723 Querdehnung, 110 reflexvermindernde Schichten, 554
primitive Gitter, 789 Querdehnungszahl, 110, 111 Regression, exponentielle, 21
Prinzip von d’Alembert, 52 Querschnittsveränderung, Unter- – lineare, 21
Prisma, 504 Überschallströmung, 166 – logarithmische, 21
– Ablenkungswinkel, 505 Querwelle, 465 – multilineare, 21
– Auflösungsvermögen, 570 – polynome, 21
– Glan-Thompson-, 582 Regressionsgerade, 20
– Lichtbrechung, 504 R Reibung, äußere, 48
Prismenspektrometer, 506 rücktreibende Kraft, Akustik, 614 – Festkörper-, 48
Proton, 751 Radialanteil der Wellenfunktion, 673 – Flüssigkeits-, 49
– Ruhemasse, 12 Radikale, 770 – innere, 49, 150
Protonen, Energieaufspaltung im radioaktive Nuklide, Anwendung, – Luft-, 49
Magnetfeld, 691 727 – Newton’sche, 151
Protonenresonanzspektrum, 692 – Stoffe, Anwendung, 726 – turbulente, 48
Prozess, irreversibler, 175, 195, 222 – Strahlenquellen, 728 Reibungsarbeit, 64
– reversibler, 175, 222 – Zerfallsreaktionen, 716 reibungsfreie Strömungen,
Prozesse, Stoß-, 67 radioaktiver Zerfall, 715, 719 Grundgleichung, 138
Prozessgrößen, 175, 177 radioaktives Gleichgewicht, 721 Reibungsgesetz, Anwendung, 151
Prüfverfahren, Härte, 120 radioaktives Zerfallsgesetz, 719 – Newton’sches, 151
Pulververfahren, 573 Radiografie, 727 – Stokes’sches, 153
Pumpe, 149, 168 Radiografieverfahren, 729 Reibungskräfte, 49
– Förderhöhe, 148, 168 Radiometrie, 534 – bei Schwingungen, 436
Pumpe 119 Radiotoxität, 780 Reibungskraft im Rohr, 152
– Förderstrom, 168 Radius, Bohr’scher, 657, 676 – Stokes’sche, 439
Pumpen, Bauformen, 167 räumliche Spannungszustände, 113 Reibungspumpen, 167
1000 Namen- und Sachverzeichnis

Reibungswiderstandskraft, 154 Röntgenquanten, Streuung, 704 Schallabsorption, 613, 618, 639


Reibungszahl, 49 Röntgenröhre, Aufbau, 694 Schallausbreitung, 613
Reichweite, 762, 763 Röntgenspektrum, 694 – Schnelleverteilung, 616
Reihenschaltung, 281, 288, 339, 393 Röntgenstrahlung, 694 Schallbereich, 631
– der Bauelemente im Wechsel- – Schwächung, 764 Schalldämmmaß, 628, 641
stromkreis, 395 Rohr, Druckabfall, 152 Schalldämmung, 613
– Kondensatoren, 339 – Massenstrom, 152 – Körper-, 642
– Spannungsquellen, 288 – Reibungskraft, 153 – Luft-, 641
– Widerstände, 281 – Volumenstrom, 152 Schalldruck, Hörschwelle, 632
Rekombination, 310, 851 Rohrreibungszahl, 154, 161 Schalldruckpegel, 621
Relativbewegung, 50 Rohrströmung, laminare, 151 Schallempfindung, 630
relative Atommasse, 707 Rohrturbine, 168, 170 Schallfeld, diffuses, 638
– biologische Wirksamkeit, 767 Rohrwiderstandsgesetz, 154 Schallfrequenz, Hörbereich, 630
– Dielektrizitätszahl, 340 Rollreibung, 49 Schallfrequenzspektrum, 622
– Häufigkeit, 14 Rollreibungskraft, 436 Schallgeschwindigkeit, 616
– Tiefendosis, 771 Rotation, 75, 92 – einiger Stoffe, 617
relativistische Addition der Rotation und Translation, Analogie, – maximale, 839
– Dymanik, 875 81 schallharte Grenzflächen, 624
– Effekte, 872 Rotation, dynamisches, 76 Schallintensität, 618, 619, 641
– Geschwindigkeiten, 875 Rotations-Schwingungs-Spektrum, Schallintensitätsabfall, 619
– Kraft, 876 700 Schallintensitätspegel, 621
– Wellengleichung, 755 Rotations-Spannarbeit, 81 Schallinterferenz, 625
relativistischer Faktor, 870 Rotationsenergie, 77 Schallkennimpedanz, 617, 624
– Impuls, 876 – eines Teilchens, 676 Schallleistung, 618
Relativität des Bezugssystems, 867 – Energieerhaltungssatz, 79 – auf die Trennwandfläche, 641
Relativitätsprinzip, 867 – starrer Körper, 87 – diffuses Schallfeld, 638
Relativitätstheorie, spezielle, 867 Rotationsleistung, 81 – im Raumwinkel, 638
Relaxationszeit, 618, 800, 816, 817 rotierendes Koordinatensystem, 53 – spezifische, 620
relaxierendes Verhalten, 800 Rotor, 387, 402 – transmittierte, 641
rem, 766 Rückstreuung, 764 Schallleistungspegel, 621, 639
Remanenz, 373 Rückstreuverfahren, 727, 728 Schallmauer, 477
Resistanz, 399 Ruheenergie, 878 Schallpegel, bewerteter, 633
Resonanz, 395, 396, 420, 446, 643 Ruhemasse des Elektrons, 12 Schallpegel-Additionstabelle, 622
Resonanzüberhöhung, 446, 448 – des Protons, 12 Schallpegeldifferenz, 619
Resonanzabsorber, 625 ruhende Flüssigkeiten, 123 Schallquellengeometrie, 619
Resonanzfall, Amplitude, 447 Rutherford-Streuung, 704, 705 Schallschnellepegel, 621
Resonanzfrequenz, System, 643 Rydberg-Atome, 657 Schallspektren, charakteristische,
Resonanzkreisfrequenz, 448 Rydberg-Konstante, 657 635
Resonanzkurve, 644 Schalltransmissionsgrad, 624
Resonanzspektrometer, Aufbau, 691 S Schallwandler, 619
Resonanzspektroskopie, 655 Schallwechseldruck, 617, 619
Resonator, 420, 421, 445 s-Funktion, 673 schallweiche Grenzflächen, 624
Restdehnung, 117 s-Orbital, 677 Schallwelle, Energiedichte, 618
resultierende Kraft, 83 S-Turbine, 168, 170 Schallwellen, 614
reversible Prozesse, 222 Sabine’sche Formel, 640 – an Grenzflächen, 624
Reynoldszahl, 158 Saccharimeter, 588 Schaltung von Kapazitäten, 339
Rheologie, 799 Sättigungsdampfdruck von Wasser, – von Spannungsquellen, 288
Richardson-Gleichung, 308 240 – von Widerständen, 281
Richtgröße, 47 Sagnac-Effekt, 99 Scheingröße, 392, 399
– Winkel-, 81 Sammellinse, 511 Scheinkraft, 51
Richtmoment, 77 Satz von Steiner, 91 Scheinleistung, 398
Richtungen in Kristallgitter, 791 Saugeffekt von Strömungen, 143 Scherung, 110, 112, 114
richtungsabhängige elektrische, 347 Schadt-Helfrich-Zelle, 586 Schichtverbundwerkstoff, 800
Righi-Leduc-Effekt, 846 Schäden, genetische, 771 Schiebung, 109, 114
Ringe, Haidinger’sche, 553 Schärfentiefe beim Fotoapparat, 533 schiefe Ebene, 47, 64, 89
– Newton’sche, 556 Schalenmodell, 711 schiefer, zentraler Stoß, 73
Ringspule, magnetische, 354 Schall, allgemein, 613 Schlupf, Drehstromasynchronmoto-
Rockwell-Verfahren, 120, 121 – indirekter, 638 ren, 404
Röntgen, 765, 766 Schall-Absorptionsgrad, 624 schmalbandige Absorber, 626
Röntgenbeugung, 570, 743 Schall-Reflexionsgrad, 624 Schmelzdruckkurve, 242
Röntgenbremsstrahlung, 694 Schall-Transmissionsgrad, 624 Schmelzen, 237
Röntgenmikroskop, 605 Schallabsorber, 625 Schmelzenthalpie, 238
Namen- und Sachverzeichnis 1001

Schmelztemperatur, 238 – Strahlung, Absorption, 854 Spalt, Beugung, 558, 665


Schmerzgrenze, akustische, 630 – Wechselwirkung, 754 Spaltprodukt, 734
Schneckenpumpe, 167 – Wellen, 414 Spaltungsquerschnitt, 734
Schnelle, Schall-, 614 Schwingungen Spaltwahrscheinlichkeit, 737
Schnelleamplitude, 616 – elektromagnetische und Spannarbeit, 81
Schnelleverteilung der tung, 616 mechanische, Analogie, 435 Spannung, 273
Schnittweitengleichung, 510, 514 – Größen, 422 – Diffusions-, 826
Schottky-Diode, 828 – mit mehreren Freiheitsgraden, 459 – elektrische, 11, 274
Schottky-Fehlordnung, 793 – Reibungskräfte, 436 – Hall-, 365, 680, 681
Schraubenversetzung, 793 – und Wellen, Zusammenhang, 419 – induzierte, 402
Schrödinger-Gleichung, 664, 668, Schwingungsdauer, 422, 466 – Klemm, 287
755, 813 schwingungsfähige Systeme, lagen, – Klemm-,, 286
– harmonischer Oszillator, 700 419 – magnetische, 402
– Nukleonen, 711 Schwingungssystem, gekoppeltes, – Normal-, 109, 114
– Quanten-Hall-Effekt, 678 459 – Oberflächen-, 132
– zeitabhängige, 667 Schwingungssysteme, 432 – Schub-, 108, 113, 114, 150
– zeitunabhängige, 667 Schwingungsüberlagerung, – Temperatur-, 826
Schubkraft, 60 Auslöschung, 451 – Wechsel-, Effektivwert, 391
Schubmodul, 110, 112 – parallele, 450 Spannungs-Dehnungs-Diagramm,
Schubspannung, 109, 113, 114, 151 – senkrechte, 457 118
Schutz, Strahlenbelastung, 108, 779 – Verstärkung, 451 Spannungsdoppelbrechung, 584
schwache Wechselwirkung, 755 Seebeck-Effekt, 182, 846 Spannungsfaktor, 374
Schwächungsfaktor, 778 Sehwinkel, 526 Spannungsgradient, 137
Schwächungskoeffizient, 695 Seiliger-Prozess, 218, 219 Spannungskreise, Mohr’sche, 116
schwarzer Körper, 540 Seitendruck, 127 Spannungsmesser, 284
Schwebung, 452 Seitendruckkraft, 128 Spannungsquellen, Arten, 274
Schwebungsfrequenz, 452, 460 Seitenkanalpumpe, 167 – elektrochemische, 296
Schwebungsgruppe, 484 Sekundärbatterien, 306 – Schaltung, 288
Schwellenenergie, 731 Sekundärelektronenemission, 308, Spannungsreihe
Schwellstrom, 853 309 – thermoelektrische, 847
Schwere, 45 Sekundärelement, 297 Spannungsreihe, Metalle, 296
Schweredruck in Flüssigkeiten, 127 Sekundärionisation, 723 Spannungsstoß, 358
– in Gasen, 128 Sekunde, 9 Spannungszustände, räumliche, 113
Schwerkraft, 46 selbständige Gasentladung, 310 Spannungszustand, 109
– Hubweg, 105 Selbstinduktion, 387 – dreiachsiger, 109
Schwerpunkt, 59, 85 Seltsamkeit, 751, 753 Speicher-Varaktoren, 828
Schwerpunkt der Messwerte, 21 Senke, 139, 831 Spektralapparat, 568
– starrer Körper, 86 – Strömungs-, 136 spektrale Größen, 540
Schwerpunktsatz, 59 senkrechter Wurf, 36 spektrale Strahldichte, 541
Schwerpunktskoordinaten, 85 Senkung, kapillare, 134 Spektralfotometer, 568
schwimmende Körper, Stabilität, 131 Senkwaage, 130 Spektrograph, 568
schwimmender Estrich, 645 Separation, 711 Spektrometer, 568
schwingende Gitterbausteine, 837 Separationsenergie, 711 – Drehkristall, 573
Schwingfall, 439, 440 Serienschaltung von Federn, 48 Spektroskop, 568
Schwingkreis SI-Einheiten, 12, 13 Spektroskopie, Absorptions-, 655
– Güte, 448 Sicherheit, statistische, 17 – Emissions-, 655
Schwingkreis, Kenngrößen, 443 Sieden, 237 – Resonanz-, 655
Schwingung, allgemein, 420 Sievert, 766 Spektroskopie-Verfahren, 655
– Überlagerung, 450 Skineffekt, 386 Spektrum, 654
– elektromagnetische, 419, 433, 442 skotopische Anpassung, 543 – des Wasserstoffatoms, 654, 657
– erzwungene, 420, 423, 444 smektische Flüssigkristalle, 806 Sperrsättigungsstrom, 827
– freie, 419, 420, 423 Solarkonstante, 538 Sperrspannung, 826
– freie gedämpfte, 420, 436, 440 Solarzelle, 856 spezielle Gaskonstanten, 186
– fundamentale, 460 Solenoid, 354 spezielle Relativitätstheorie, 867
– gedämpfte, 439 somatische Strahlenschäden, 771, – der Elektrodynamik, 878
– gekoppelte, 459 773 – Postulate, 868
– Gesamtenergie, 432 Sommerfeld’sche Erweiterung, 657 spezielle Zustandsänderungen Gase,
– mechanische, 420 – Feinstrukturkonstante, 12, 659 211
– nichtlineare, 463 – Quantenbedingungen, 657 spezielle Zustandsänderungen
– parametrisch erregte, 463 Sonar-Prinzip, 647 idealer Gase, 204
– ungedämpfte, 420, 423 sone, 632 spezifische Ausstrahlung, 538, 543
Schwingung, gedämpfte, 442 Sonnensystem, Planetendaten, 102 – Drehzahl, 169
1002 Namen- und Sachverzeichnis

– Größen, 178 – Moment, 128 Strahlungsäquivalent, photometri-


– Ionisation, 757 statistische Abweichungen, 15 sches, 543
– Ladung, 367 – Deutung der Entropie, 227 Strahlungsdetektoren, 724
– Lichtausstrahlung, 543 – Sicherheit, 17 Strahlungsenergie, 535, 543
– Schallleistung, 620 statistisches Gewicht, 192 Strahlungsgleichung, Planck’sche,
– Wärmekapazität,, 841 Stator, 387, 402 541, 595
sphärischer Spiegel, 494 Staudruck, 141, 142 Strahlungsintensität, 695
Spiegel, Bildentstehung, 494 Staurohr, Prandtl’sches, 141 Strahlungsisothermen, 595
– Konvex-, 496 Stefan-Boltzmann-Gesetz, 542 Strahlungsleistung, 535, 543
Spiegelversuch, Fresnel’scher, 551 Stefan-Boltzmann-Konstante, 12 – durchgelassene, 855
Spin, 753 stehende Wellen, 479 Strahlungsphysik, 534
Spin-Bahn-Kopplung, 714 Steighöhe, 134 strahlungsphysikalische Größen, 534
Spinmagnetismus, 687, 688 – Rakete, 61 Strahlungsquellen, 850
Spinmoment, magnetisches, 370 Steiner’scher Satz, 91, 429 Strangspannung, 399
Spinquantenzahl, 688 Stellarator, 745 Strangstrom, 400
spontane Emission, 594 Steradiant, 535 Streckgrenze, 118
Spontanspaltung, 711, 719 Stern-Dreieck-Schaltung, 283, 400 Streuanteil, 695
Sprungtemperatur, 832 Sternschaltung, 399 Streuung von Alpha-Teilchen, 704
Spule, 393 Steuerspannung, 831 – von Elektronen, 704
Spule Stromkreis, 406 Stirling-Prozess, 218, 219 – von Neutrinos an Protonen, 704
Spuranpassung, 629 Stoß, Drehmoment, 77 – von Röntgen-Quanten, 704
Spurwellenlänge, 628 – elastischer, 69, 72 Strömung, Drehmoment, 147
stabiles Gleichgewicht, 86 – inelastischer, 71, 74 – instationäre, 154
Stabilität schwimmender Körper, 131 – schiefer, zentraler, 73 – laminare, 150, 154
Stabilitätsprobleme, 131 Stoßgesetze, elastische, 71 – Saugeffekt, 143
Stärke, Beleuchtungs-, 10, 544 – inelastische, 71 – turbulente, 154
– Bestrahlungs-, 538, 543 Stoßparameter, 705 – Widerstände, 155
– Feld-, elektrische, 10, 320 Stoßprozesse, 67 Strömungen, laminare, 150
– Feld-, magnetische, 11, 352 – Klassifikation, 70 – realer Flüssigkeiten, 150
– Gravitationsfeld-, 106 Störstellen, 823 – realer Gase, 150
– Koerzitivfeld-, 374 Störstellenleitung, 819, 822 Strömungsdrehimpuls, 147
– Laut-, 632 Stoffmagnetismus, Arten, 371 – mechanischer, 147
– Licht-, 9, 545 Stoffmenge, 9 Strömungsfeld, 135
– Strahl-, 536, 544 Stokes’sches Reibungsgesetz, 153 Strömungsgeräusche, 645
– Strom-, elektrische, 9, 273 Stokeslinie, 703 Strömungsgeschwindigkeit an
– Transportfeld-, 137 strömende Flüssigkeiten, 135 Drosselstelle, 142
Standardabweichung, 16 strömende Gase, 135 Strömungsimpuls, 145, 146
– des Messverfahrens, 19 Strahldichte, 536, 543 Strömungsmaschinen, 149, 218
Standardwasserstoffelektrode, 295 – spektrale, 541 Strömungsmechanik, 135
stante, 778 Strahlen, direktionisierende, 757 – spezielle Probleme, 163
Stapelfehler, 793 Strahlenarten, 715 Strömungspumpen, 167
Stark-Effekt, 690 Strahlenbündel, 493 Strömungsverhältnisse in, 149
starke Wechselwirkung, 754 Strahlenbelastung, 757, 772 Strömungsverhältnisse
starrer Körper, 30 – des Menschen, 772 – in Turbinen, 149
– Kinematik, 80 – Schutz, 779 Strömungswiderstand, 155
– kinetische Energie, 86 Strahleneinwirkung, terrestrische, Stromdichte, 273
– Massenträgheitsmoment, 87, 88 773 – elektrische, 273
– Mechanik, 80 Strahlenquelle, radioaktive, 728 Stromkreis, Ein- und gänge, 404
– potentielle Energie, 85 Strahlenschaden, 773, 818 Stromlinien, 135
– Rotationsenergie, 87 Strahlenschutz, 756, 772 Stromlinienform, 156
– Schwerpunkt, 85 Strahlenschutzmaßnahmen, 776 Strommesser, 283
– Translationsenergie, 87 Strahlenschwächung, 764 Stromresonanz, 397
starrer Rotator, Eigenwerte, 702 Strahlenwirkung, biologische, 770 Stromrichtung,technische, 274
Statik, 29 Strahler, Lambert’sche, 536 Stromstärke, 273
– Eliminatoren, 729 – schwarzer, 540 – elektrische, 9
– Gleichgewichtsbedingungen, 84 Strahlgeschwindigkeit, 60 Stromverstärkungsfaktor, 831
stationäre Ströme, 415 Strahlpumpen, 167 Struktur fester Körper, 785
– Strömung, 139 Strahlstärke, 536, 544 Strukturbild Akustik, 613
stationärer Ladungstransport, 273 Strahlung, biologische Wirkung, 770 – der Mechanik, 30
– Wärmetransport, 250 – charakteristische, 694 – der Thermodynamik, 176
statischer Druck, 140 – ionisierende, 723 – Festkörperphysik, 785
statisches Kräftegleichgewicht, 47 – Materie, Wechselwirkung, 756 – physikalische Optik, 492
Namen- und Sachverzeichnis 1003

– Strahlenschutz, 757 Tesla, 358 – Massen-, 76, 90, 428


Strukturen, kristalline, 788 TFTR, 743 Trägheitsmoment, Flächen-, 129
Student-t-Verteilung, 17 thermische Ausdehnung, 181 Trägheitsmomente, Massen
Stützkraft, 85 – -, Emission, 308 – Körper, 87, 88
Stufenversetzung, 793 – Energie, 190, 191 Transformation, Galilei, 50, 51, 868
Sublimieren, 237, 242 – Zustandsgrößen, 177, 211 – von Wechselströmen, 400
Substanzen, nichtnewton’sche, 151 thermischer Transformator, 385, 400
Substitution, Gitterfehler, 793 – Wirkungsgrad, 215, 218 Transformatorprinzip, 384
Supraleiter, 277, 832 Thermobimetalle, 801 Transistor, 827
Supraleitung, 832 Thermodynamik, 175 – Feldeffekt-, 680
Suszeptanz, 399 – dritter Hauptsatz, 231 Transistoren, Grundschaltungen, 830
Suszeptibilität, elektrische, 341 – Einführung, 175 Transistorkennlinie, 830
– magnetische, 368, 369 – erster Hauptsatz, 231 Translation, 80
Symmetrie-Energie, 709 – fester Körper, 837 – und Rotation, Analogie, 81
symmetrische Spaltung, 735 – Hauptsätze, 192 Translations-Spannarbeit, 81
Synchronmotor, 403 – nullter Hauptsatz, 179 Translationsbewegung, 34
Synchrotron, 367, 747 – Strukturbild, 176 Translationsenergie, starrer, 87
Synergetik, 229 – zweiter Hauptsatz, 222 Translationsgitter, 790
System, abgeschlossenes, 58, 175 thermodynamische Temperatur, 215 Translationsleistung, 81
– adiabates, 175, 177, 207, 227 thermodynamisches Gleichgewicht, Transmissionsgrad, 471
– Entropie, 231 238 – Akustik, 624, 627
– Gesamtimpuls, 59 – Potential, 229 Transmissionskoeffizient, 669
– geschlossenes, 175, 177 – System, 178 transmittierte Schallleistung, 641
– Impuls, 58 thermoelektrische Spannungsreihe, Transportfeldstärke, 137
– Kräfte auf Punkte, 58 847 Transrapid, 378
– offenes, 175, 177 thermoelektrischer und netischer transversaler Doppler-Effekt, 880
systematische Abweichungen, 15 Effekt, 846 Transversalwelle, 465, 480
Systeme materieller Punkte, thermoelektrischer und ther- Tripelpunkt, 180, 244
Drehbewegung, 78 momagnetischer Effekt, – von Wasser, 179, 180
Systeme, thermodynamische, 176 845 Trittschall, 644
Szintillationsdetektor, 728 Thermoelement, 534, 847 trocker gesättigter Dampf, 234
Szintillator, 726 Thermokraft, 847 Tröpfchenmodell, 709
Thermometer, 182, 183 Tubuslänge, 528
Thermoplaste, 797 Tunnel-Diode, 828
T Tunneleffekt, 669, 684
Thermospannung, 847
Tangentialbeschleunigung, 39 Thermotopographie, 808 Tunnelmikroskop, 606, 669
Tangentialeinheitsvektor, 37 Thomson-Effekt, 845 Turbine, 148, 149, 168
technische Akustik, 638 Thomson-Gleichung, 397 Turbinengleichung, Euler’sche, 148
– Kreisprozesse, 217, 218 Tiefendosis, relative, 771 Turbinenleitrad, 147
– Stromrichtung, 274 Tokamak, 745 turbulente Grenzschichtbildung, 158
Teilchen Ton, 613, 634 turbulente Reibung, 49
– Welle Tonintervall, 637
– – Dualismus, 592 Tonleiter, 637, 638 U
Teilchen, Welle, 664 Toroid, 355 überhitzter Dampf, 234
Teilchenmassen, 708 Torricelli’sches Ausflussgesetz, 143 Überlagerung von parallele, 450
Teilchenverbundwerkstoffe, 801 Torsion, 114 Überlagerung von Wellen, 477, 484
Teilchenzahldichte, 712 Torsionsleistung, 77 Überschallbereich, 165
Temperatur, 9, 179, 190 Torsionsmoment, 77 Überschallströmung bei schnittsver-
– charakteristische, 853 Torsionspendel, 428 änderungen, 166
– kritische, 235 Torsionswelle, 467 Überschussreaktivität, 738
– kritische, Supraleitung, 833 Totalreflexion, 502 Übersetzungsverhältnis, 400
– thermodynamische, 215 Trägheitsdichte, intrinsische, 822 Überlagerung von
Temperaturabhängigkeit der Trägheitseinschluss, 744 – senkrechte, 457
– Kapazität, Festkörper, 204 Trägheitsgesetz, 45 Uhrenparadoxon, 873
– Wasserstoff, 203 Trägheitskraft, 51 Ultraschall, 625, 631, 647
Temperaturgradient, 137 – Akustik, 614 – Reinigung, 649
Temperaturmessung, 181 Trägheitsmoment, Flächen- Umkehrlinse, 530
Temperaturspannung, 825 – Massen-, 88 Umkehrprisma, 506
Temperaturstrahler, 540 Trägheitsmoment, Flächen Umlaufzeit der Planeten im
terrestrische Strahleneinwirkung, – Massen-, 81 Sonnensystem, 104
773 Trägheitsmoment, Flächen- umschlossene Strahlungsquellen,
Terzfilter, 622 – Haupt-, 92 727
1004 Namen- und Sachverzeichnis

Umströmen von Körpern, 154 Verlustfaktor, 398, 439 Wärmedurchlasswiderstand, 253


umströmte Körper, Auftrieb, 163 Verlusthöhe, 154 Wärmeisolatoren, 843
Umströmung, laminare, 153 Verlustwinkel, 395, 396 Wärmekapazität, 11, 195, 840
– von zylindrischen Körpern, 155 Vermehrungsfaktor, 740 – allgemein, 175, 195
unabhängiger Zerfall, 721 Vernichtungsstrahlung, 717, 758 – Bestimmung, 198
unelastischer Stoß, 71, 72 Verschiebungsarbeit, elektrische, 322 – Energie, 11
unipolarer Transistor, 827 Verschiebungsdichte, elektrische – isobare, 197
universelle Gaskonstante, 12, 186 – an Grenzflächen, 349 – isobaremolare, 195
Unschärferelation, 601, 673 Verschiebungsgesetz, Wien’sches, – isochore molare, 197
unselbstständige Gasentladung, 310 541 – molare, 195, 841
Unterschallbereich, 165 Versetzung, 794 – molare, Elektronengas, 815
Unterschallströmung bei Quer- Versetzungsdichte, 794 – spezifische, 175, 841
schnittsveränderungen, Verstärkung bei lagerung, 451 – Temperaturabhängigkeit, 203, 204,
166 Vertaubung, 633 241
unvollkommene Benetzung, 133 Vertauschungsrelation, 672 Wärmekapazitäten, Berechnung, 189
Urspannung, 295 Verteilung der Spaltenergie, 736 Wärmeleitfähigkeit, 250, 843, 844
– Häufigkeits-, 15 Wärmeleitfähigkeit der Elektronen,
V – Normal-, 15 844
Verteilungsfunktion, 192 Wärmeleitung, 248
Vakuum-Lichtgeschwindigkeit, 12, Vertrauensbereich, 16 – stationärer Fall, 250
868 Vertrauensgrenzen, 20 Wärmepumpe, 217
Vakuumfotozelle, 589 Verzeichnung, 524 Wärmestrahlung, 248, 594
Vakuumlampe, 317 verzweigter Stromkreis, 278 Wärmestrom, 250
Valenzband, 810 Vibrationsmesswerk, 412 Wärmestromdichte, 842
Valenzelektronen, 694 Vickers-Verfahren, 119, 120 Wärmeübertragung, 248
van-der-Waals’sche Bindung, 785 Vielstrahlinterferenz, 566 Wärmestrahlung, 248
van-der-Waals’sche Konstanten, 235 Vier-Niveau-System, 596 Wahrscheinlichkeit, 227
van-der-Waals’sche Zustandsglei- Vier-Parameter-Modell, 799 – Aufenthalts-, 667
chung, 233 vierter Aggregatzustand, 317 – Spalt-, 737
van-der-Waals’sches Kovolumen, 233 Vignettierung, 523 – Zerfalls-, 719
Van-der-Waals-Kraft, 233 Viskosimeter, 153 Wahrscheinlichkeitsfunktion, 593
Variable, makroskopische, 175 Viskosität, dynamische, 151 Walze auf schiefer Ebene, 91
Varianz, 15 Voigt-Kelvin-Modell, 799 Wandler, biologischer, 614
Varistor vollkommene Benetzung, 133 – elektroakustischer, 621
– Widerstände bei Strömungen, 276 vollkommene Benetzung momente, – elektrostatischer, 614
Varistor Bauarten, Einteilung, 276 90 – piezoelektrischer, 621
Vektor, Poynting’scher, 470 Volt, 274, 275, 686 – piezoresistiver, 621
Vektordiagramm des Bahndrehim- Voltameter, 294 Wandler,biologischer
pulses, 676 Voltmeter, 284 – elektrodynamischer, 621
Venturi-Düse, 142 Volumen, kritisches, 234 Wasser, Anomalie, 184, 242
verallgemeinerte Bernoulli- Volumenänderungsarbeit, 199, 211 – Sättigungsdampfdruck, 241
Gleichung, 165 – isentrope, 208 – Tripelpunkt, 180
Verbrennungsmotor, 219 Volumenausdehnungskoeffizient, Wasserstoff-Spektrum, 655, 677
Verbundwerkstoffe, 800, 803 126 Wasserstoffatom, Lösung, 675
Verdampfungstemperatur, 238 Volumenenergie, Atomkern, 142, 709 – optisches Spektrum, 656
Verdeckungseffekt, Akustik, 632 – im Rohr, 152 – Quantenmechanik, 677
Verdet’sche Konstante, 588 Volumenstrommessung, 141 Wasserstrahlpumpe, 144
Verdrängungspumpen, 167 Von-Klitzing-Effekt, 680 Wasserturbine, 168, 170
Verdunstung, 242 Weakonen, 756
Verflüssigung, 234 W Weber, 358
Verformung, 108 Wechselspannung, Effektivwert, 391
Verformung, elastische, 108 wärmetechnische Stoffwerte, 251 Wechselstrom, Effektivwert, 391
– plastische, 117 Wölbspiegel, Brennweite, 499 – Transformation, 400
Verformungsarbeit, 65 Wärme, 10, 11, 193, 211 Wechselstromkreis, 390, 391, 395,
– beim unelastischen Stoß, 72 – Begriff, 195 396
Verformungsarten, 110 – latente, 237 – -, Bauelemente, 393
Verformungsverhalten von Wärme Energie, 10 – -, Leistung, 397
Kunststoffen, 799 Wärme Spannung Wechselwirkung der Strahlung
Vergrößerung, 526, 527 – elektrische, 11 Materie, 756
Verhältnis, gyromagnetisches, 687, Wärmeäquivalent, mechanisches, Wechselwirkungen, fundamentale,
688 216 754
Verlustenergiedichte, 117 Wärmedurchlasskoeffizient, 253 Wechselwirkungsgesetz, 45
Namen- und Sachverzeichnis 1005

Wechselwirkungsprozesse von lung Widerstand, 275 – Schrödinger-Gleichung, 665


und Materie, 758 – -, komplexer, 393 Zeitdilatation, 868, 872
Weg, 81 – elektrischer, 11, 275, 276 Zeitkonstante, induktive, 407
Weg-Zeit-Diagramm, 31 – elektrischer und magnetischer, – kapazitive, 406
Wegdifferenz, optische, 550 381 zeitliche Impulsänderung bei
Weglänge, mittlere freie, 816, 859 – innerer, 287 Strömung, 145
Weichmagnet, 376 – magnetischer, 382 Zeitmittelholografie, 578
Weiss’sche Bezirke, 372 – spezifischer, 275 Zeitnormal, 13
Weizsäcker-Formel, 708, 709 Widerstand gnetfeldstärke, 681 Zeitstandsverhalten, 799
Welle eines Teilchens, 664 Widerstandsbeiwerte, 156, 161 zeitunabhängige chung, 665
– -, elektromagnetische, 415 Widerstandstransformation, 401 Zelle, galvanische, 296
– einfache, 468 Widerstandsverhältnis, 818 Zener-Diode, 828
– elektromagnetische, 492 Wiedemann-Franz’sches-Gesetz, 844 Zener-Effekt, 827
– Materiewellen, 600, 601 Wien’sches Verschiebungsgesetz, 541 Zentrifugalbeschleunigung, 54
– stehende, 479 Wilson-Aufnahmen, 662 Zentrifugalkraft, 52, 55
Welle-Teilchen, Dualismus, 661 Windkanal, 156 Zentripetalbeschleunigung, 39
Wellen, 419, 464 Winkel, 10, 81 Zentripetalkraft, 47
– Ausbreitungsgeschwindigkeit, 466 – Dreh-, 40 Zerfall, radioaktiver, 715
– Energietransport, 469 – Mach’scher, 477 Zerfallsenergie, 707
– harmonische, 468 – Raum-, 10 Zerfallsgesetz, 719
– Intensität, 470 Winkelbeschleunigung, 40, 77, 81 Zerfallsgleichungen, 716
– stehende, 479 Winkelgeschwindigkeit, 40, 81 Zerfallskonstante, 719
Wellenüberlagerung, 477, 484 – der Präzession, 96 Zerfallskurven, 721
Wellenausbreitung, Grundlagen, 464 Winkelrichtgröße, 81, 428 Zerfallsreaktionen, 715
Wellenbild, 6 Wirbelbildung, 154 Zerfallsschemen, 716
Wellenfläche, 467 Wirbelstrom, 386 Zerfallswahrscheinlichkeit, 719
Wellenfront, 467 Wirkanteil, 392, 399 Zerlegung von Kräften, 45
Wellenfunktion, 666–668 Wirkdruck, 142 Zerstäuber, 144
– normierte, 668 Wirkleistung, 397, 398 zirkular polarisiertes Licht, 579
– Radialanteil, 673 Wirksamkeit, relative biologische, Zirkulation, 163
Wellengleichung, 755 770 Zonenintervalle, 635
– d’Alembert’sche, 471, 615 Wirkung, 663
Zonenlinse, 575
– Diracsche, 754 Wirkungsgrad, 65
Zonenplatte, 575
– Gesamt-, 65
– gewöhnliche, 471 Zonensystem, Fresnel’sches, 575
– thermischer, 215, 218
– Lösungsfunktion, 616 Zug, 114
Wirkungslinie der Kraft, 82
– relativistische, 755 Zugfestigkeit, 118
Wirkungsquantum, Planck’sches, 12,
– Schrödingersche, 664, 754, 813 Zustandänderungen, spezielle, Gase,
541, 590
Wellenlänge, 466 211
Wirkungsquerschnitt, 705, 732, 734
– Balmerserie, 653 Zustandsänderung, isentrope, 207,
Wirkwiderstand, 393
– Material-, 661 211
wohltemperierte Stimmung, 638
Wellenlängenverschiebung, Effekt, Woods-Saxon-Potential, 713, 714 – isobare, 206, 207, 211
592 Wurf, senkrechter, 36 – isochore, 206, 211
Wellenoptik, 549 Wurfparabel, 39 – isotherme, 205, 211
Wellenpaket, 484, 669 – polytrope, 209
Wellenreflexion, freies und Ende, 481 Zustandsänderungen realer Gase,
Wellenwiderstand, 471, 616 X 232
Wellenzahl, 468 Zählrohr, 781 Zustandsdiagramm, 243
Wellenzahlvektor, 812 Zähigkeit, dynamische, 151 Zustandsdichte, 683, 712, 814, 821
Weltlinie, 871 – kinematische, 151 Zustandsflächen idealer Gase, 187
Weltpunkt, 871 Zähigkeitskoeffizient, 49 Zustandsgleichung, 177, 185
Wendekreisel, 99 Zahl, Mach’sche, 477 Zustandsgröße, allgemein, 177
Wendeprisma, 506 Zahnradpumpe, 167 Zustandsgrößen, kalorische, 177
Werkstoff, amorpher, 794 Zeeman-Effekt, 690 – thermische, 177, 211
Werkstoffe, 800 Zeiger, komplexer, 392, 423 zweidimensionales Elektronengas,
– magnetische, 376 Zeigerdiagramm, 393 680
Wertigkeit, 295 Zeit, 9 zweiter Hauptsatz der Thermodyna-
Wheatstone’sche Brücke, 285 – induktive, 407 mik, 175, 222, 223
Widerstände bei Strömungen, 155 – kapazitive, 406 zweiter Righi-Leduc-Effekt, 846
– Schaltung, 281 zeitabhängige Dehnung, 800 Zyklotron, 367

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