2012 Book KonstruktionselementeDesMaschi
2012 Book KonstruktionselementeDesMaschi
2012 Book KonstruktionselementeDesMaschi
Konstruktionselemente
des Maschinenbaus 1
Grundlagen der Berechnung und Gestaltung
von Maschinenelementen
8. Auflage
Autoren:
Prof. Dr.-Ing. Dr. h.c. Albert Albers, Karlsruher Institut für Technologie (KIT)
Prof. Dr.-Ing. Ludger Deters, Universität Magdeburg
Prof. Dr.-Ing. Jörg Feldhusen, RWTH Aachen
Prof. Dr.-Ing. Erhard Leidich, TU Chemnitz
Prof. Dr.-Ing. habil. Heinz Linke, TU Dresden
Prof. Dr.-Ing. Gerhard Poll, Leibniz Universität Hannover
Prof. Dr.-Ing. Bernd Sauer, TU Kaiserslautern
Prof. Dr.-Ing. Jörg Wallaschek, Leibniz Universität Hannover
Professor Dr.-Ing. Dr.h.c. Waldemar Steinhilper†
Universität Kaiserslautern
Lehrstuhl für Maschinenelemente und Getriebetechnik
ISSN 0937-7433
ISBN 978-3-642-24300-4 ISBN 978-3-642-24301-1 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-642-24301-1
Springer Vieweg
© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 1982, 1988, 1990, 1994, 2000, 2005, 2008, 2012
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht
ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Ver-
lags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfil-
mungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
In der nun vorliegenden achten Auflage des Bandes 1 wurde das Kapitel 6,
Schrauben und Schraubenverbindungen, inhaltlich überarbeitet und ergänzt. Hier-
für konnte auf Ausarbeitungen von Herrn Prof. Dr.-Ing. Christoph Friedrich Uni-
versität Siegen zurückgegriffen werden. Herrn Prof. Friedrich sei an dieser Stelle
herzlich für seine fachliche Unterstützung gedankt. Da zwischenzeitlich auch das
Übungsbuch zu den beiden Lehrbüchern erschienen ist, liegen gute Möglichkeiten
zum Selbststudium vor, auch wenn Studierenden geraten sei, den Dialog mit den
Dozenten aufzunehmen. In der achten Auflage gibt es neben kleineren Korrektu-
ren auch eine Ergänzung im Kapitel Federn zu dynamisch belasteten Federn. Al-
len Autorenkollegen möchte ich für die Unterstützung hier noch einmal danken.
Die nun vorliegende 6. Auflage stellt gegenüber den bisherigen Auflagen eine
völlige Neuberarbeitung dar, auch wenn natürlich viele Abschnitte der vorliegen-
den Bücher „Steinhilper/Röper“ grundsätzlich übernommen wurden und nun auf
den aktuellen Stand gebracht worden sind. Nach dem Ausscheiden aus dem uni-
versitären Berufsleben sind die beiden ursprünglichen Autoren der Maschinen-
und Konstruktionselemente Bücher bedauerlicher Weise in kurzer Folge und viel
zu früh verstorben. In Würdigung der außerordentlichen Verdienste der Herren
Professoren Röper und Steinhilper und wegen des Wertes der Bücher für die uni-
versitäre Ausbildung wurde am Standort Kaiserslautern der Entschluss gefasst,
diese Konstruktionselementebücher „weiterleben“ zu lassen.
Der Charakter der Bücher als Ausbildungswerkzeug und auch als Nachschla-
gewerk für den Praktiker sollte erhalten bleiben. Die von Prof. Steinhilper geplan-
ten, aber leider nicht mehr fertig gestellten Kapitel zu Zahnradgetrieben, Antrie-
VI Vorwort zur siebenten Auflage
Unter Technik verstehen wir jene Vorrichtungen und Maßnahmen, mit denen der
Mensch die Naturkräfte auf Grund der Kenntnis ihrer Gesetzmäßigkeiten in seinen
Dienst stellt, um menschliches leben und in der Folge Zivilisation und Kultur zu
ermöglichen und zu sichern. Das Tätigkeitsfeld der Technik umfasst global die
Erzeugung und Umformung von Energie, Stoff und Information sowie die Orts-
und Lagewandlung. Solche Vorgänge erfolgen durch den Einsatz technischer
Systeme (Maschinen, Apparate und Geräte), in denen physikalische und chemi-
sche Abläufe unter der Beachtung besonderer technischer Begriffe wie Funktion,
Funktionssicherheit, Herstellbarkeit und Aufwand-Nutzen-Relation nutzbar ge-
macht werden. Mit der Ingenieurtätigkeit verbindet sich daher primär die schöpfe-
rische Gestaltung technischer Systeme, und sie wird maßgebend gekennzeichnet
durch das Konstruieren, d.h. das Auffinden von Zielvorgaben und deren Verwirk-
lichung durch logische, physikalische und konstruktive Wirkzusammenhänge.
Hochtechnisierte Länder, insbesondere die mit nur geringen natürlichen Reich-
tümern an Bodenschätzen und Energie, sind darauf angewiesen, technische Pro-
dukte und Verfahren höchster Qualität zu schaffen und unterliegen damit einem
besonderen Zwang zu außerordentlichen Ingenieurleistungen. Ferner ist die Ent-
wicklung der Technik gekennzeichnet durch immer kürzere Innovationszeiten für
technische Produkte, einen wachsenden Grad an Komplexität der Strukturen und
eine immer engere Verknüpfung technischer, ökonomischer, sozialer und ökologi-
scher Systeme. Dies bewirkt eine zunehmend schnellere Veralterung von - z.B. im
Studium erworbenen - Kenntnissen und den frühen Verlust von zeitlich begrenz-
ten Vorteilen einer Spezialisierung. Die sich abzeichnende Entwicklung verlangt
eine stärkere Gewichtung der Grundlagen und eine gegenüber dem heutigen Stand
weiter auszubauende Methodenlehre. Da eine speziellere Kenntnisvermittlung nur
noch exemplarisch erfolgen kann, ist eine verstärkte Ausbildung in den Grundla-
genfächern unerlässlich.
Gerade aus dieser Sicht kommt den Maschinen- und Konstruktionselementen
als Basis für das Konstruieren eine herausragende Rolle zu. Dem widerspricht
nicht die sicher zu pauschale Ansicht, dass „die Elemente nur in der Lehre für
Dimensionierungsaufgaben nützlich sind, in der Praxis aber aus den Katalogen der
Herstellerfirmen entnommen werden“. Tatsächlich sind Maschinen- und Kon-
struktionselemente die technische Realisierung physikalischer Effekte und weite-
rer Wirkzusammenhänge im Einzelelement oder im technischen Teilsystem mit
noch überschaubarer Komplexität. Sie fördern das Verständnis für die wesentli-
chen Merkmale höherer technischer Strukturen, lassen erkennen, auf welcher
VIII Aus dem Vorwort zur ersten Auflage
Band 1
Kapitel 1 1
1 Einleitung 3
1.1 Einführung zur Konstruktionslehre 3
1.2 Konstruktionsabteilung und Konstruktionsprozess 4
1.3 Der allgemeine Lösungsprozess 7
1.4 Definition der Konstruktionselemente 9
1.5 Ziele des Buches 10
1.6 Literatur 11
Kapitel 2 13
2 Normen, Toleranzen, Passungen und Technische Oberflächen 15
2.1 Normung 15
2.2 Toleranzen, Passungen und Passtoleranzfelder 22
2.3 Tolerierung von Maßketten 42
2.4 Technische Oberflächen 48
2.5 Literatur, Normen, Richtlinien 66
Kapitel 3 71
3 Grundlagen der Festigkeitsberechnung 73
3.1 Einführung 73
3.2 Belastungen, Schnittlasten und Beanspruchungen 74
3.3 Werkstoffverhalten und Werkstoffe 104
3.4 Dimensionierung und Festigkeitsnachweis 135
3.5 Anhang 149
3.6 Literatur 160
Kapitel 4 163
4 Gestaltung von Elementen und Systemen 165
4.1 Grundlagen technischer Systeme und Elemente 168
4.2 Grundregeln der Gestaltung 174
4.3 Gestaltungsprinzipien 180
4.4 Gestaltungsrichtlinien 187
4.5 Literatur 198
X Inhaltsverzeichnis
Kapitel 5 199
5 Elastische Elemente, Federn 201
5.1 Allgemeine Grundlagen zu Federn 201
5.2 Zug-/Druckbeanspruchte Federn 218
5.3 Biegebeanspruchte Federn 228
5.4 Torsionsbeanspruchte Federn 240
5.5 Schubbeanspruchte Federn 255
5.6 Konstruktion mit Federn 258
5.7 Literatur 265
Kapitel 6 271
6 Schrauben und Schraubenverbindungen 273
6.1 Wirkprinzip der Schraube 273
6.2 Gewindeformen, Schrauben, Muttern 280
6.3 Herstellung und Werkstoffe 297
6.4 Dimensionierung und Berechnung 312
6.5 Montage der Schraubenverbindung 354
6.6 Gestaltung von Schraubenverbindungen 362
6.7 Bewegungsschrauben 380
6.8 Anhang 384
6.9 Literatur 385
Kapitel 7 395
7 Achsen und Wellen 397
7.1 Funktion, Bauformen 397
7.2 Berechnung von Wellen und Achsen 398
7.3 Kontrolle der Verformungen 408
7.4 Dynamisches Verhalten der Wellen (und Achsen) 413
7.5 Gestaltung von Achsen und Wellen 424
7.6 Literatur 430
Kapitel 8 433
8 Verbindungselemente und -verfahren 435
8.1 Grundlagen und Einführung 435
8.2 Schweißen 436
8.3 Klebverbindungen 474
8.4 Lötverbindungen 491
8.5 Nietverbindungen 499
8.6 Weitere Elemente zum Kaltfügen von Bauteilen 513
8.7 Literatur 516
Inhaltsverzeichnis XI
Kapitel 9 523
9 Welle-Nabe-Verbindungen 525
9.1 Funktion 525
9.2 Formschlüssige Welle-Nabe-Verbindungen 526
9.3 Reibschlüssige Welle-Nabe-Verbindungen 550
9.4 Stoffschlüssige Welle-Nabe-Verbindungen 596
9.5 Literatur 603
Autorenkurzbiographien 609
Sachverzeichnis 613
Band 2
12 Dichtungen
13 Einführung in Antriebssysteme
16 Zugmittelgetriebe
17 Reibradgetriebe
1 Band 1
Kapitel Autor(en)
1 Einführung Jörg Feldhusen und
Bernd Sauer
2 Normen, Toleranzen, Passungen u. techn. Oberflächen Erhard Leidich 2.1 bis 2.3
Ludger Deters 2.4
3 Grundlagen der Festigkeitsberechnung Bernd Sauer
4 Gestaltung von Elementen und Systemen Jörg Feldhusen
5 Elastische Elemente, Federn Albert Albers
6 Schrauben und Schraubenverbindungen Bernd Sauer
7 Achsen und Wellen Erhard Leidich
8 Verbindungselemente und Verfahren Jörg Feldhusen
9 Welle-Nabe-Verbindungen Erhard Leidich
2 Band 2
Kapitel Autor(en)
10 Reibung, Verschleiß und Schmierung Ludger Deters
11 Lagerungen, Gleitlager, Wälzlager Gerhard Poll 11.1
Ludger Deters 11.2
Gerhard Poll 11.3
12 Dichtungen Gerhard Poll
13 Einführung in Antriebssysteme Albert Albers
14 Kupplungen und Bremsen Albert Albers
15 Zahnräder und Zahnradgetriebe Heinz Linke
16 Zugmittelgetriebe Ludger Deters
17 Reibradgetriebe Gerhard Poll
18 Sensoren und Aktoren Jörg Wallaschek
Kapitel 1
Jörg Feldhusen
Bernd Sauer
1 Einleitung .....................................................................................................3
1.1 Einführung zur Konstruktionslehre .........................................................3
1.2 Konstruktionsabteilung und Konstruktionsprozess .................................4
1.3 Der allgemeine Lösungsprozess ..............................................................7
1.4 Definition der Konstruktionselemente.....................................................9
1.5 Ziele des Buches....................................................................................10
1.6 Literatur .................................................................................................11
„Gibt es das perfekte Produkt?“ Diese Frage stellen sich insbesondere Studierende
und Berufsanfänger immer wieder. Die Frage muss, und darin liegt natürlich auch
ein gewisser Trost für kommende Generationen von Konstrukteuren, mit „NEIN“
beantwortet werden. Wie „perfekt“ ein Produkt ist, lässt sich daran messen, wie
gut es an die gegebenen Randbedingungen angepasst ist. Randbedingungen sind
beispielsweise:
x Nutzen für den Anwender/Gebrauchseigenschaften
x Zuverlässigkeit des Produktes
x Entwicklungs-/Konstruktionsbudget
x Fertigungs- und Herstellmöglichkeiten
x erzielbarer Verkaufspreis
x geforderte Nutzungsdauer des Produkts usw.
Die Randbedingungen sind für ein Produkt auf Dauer nicht konstant, sondern
wechseln mit der Zeit, also mit den technischen, gesellschaftlichen, wirtschaftli-
chen und politischen Strömungen. Häufig sind diese Randbedingungen wider-
sprüchlich. Beispielsweise erfordert der Umweltschutz langlebige und damit meis-
tens kostenintensive Produkte, wegen der wirtschaftlichen Gegebenheiten können
aber nur geringe Preise am Markt durchgesetzt werden. Diese ständig wechseln-
den Rand- und Rahmenbedingungen führen deshalb zu immer neuen Produktim-
pulsen und damit zu neuen Entwicklungs- und Konstruktionsaufgaben. Mit Pro-
duktimpulsen ist gemeint, dass sich ständig neue Aufgaben für die Entwicklungs-
und Konstruktionsabteilung stellen. Dies sind neben der völligen Neuentwicklung
eines Produkts auch Aufgaben zur Verbesserung vorhandener Produkte. Bei-
spielsweise die Reduzierung des Energieverbrauchs oder der Herstellkosten stellen
solche Aufgabenstellungen dar. Des Weiteren stellt sich häufig die Frage nach
einer Erweiterung des Leistungs- und/oder Funktionsumfangs eines Produkts,
damit es am Markt attraktiv bleibt. Abb. 1.1. zeigt Quellen für Produktimpulse,
also woher die Ideen für neue Produkte kommen können.
Damit der Konstrukteur die an ihn gestellten Anforderungen erfüllen kann, be-
nötigt er ein breites Wissen. Besonders in kleinen und mittelständischen Unter-
nehmen sind Konstrukteure auch an Marketing-Prozessen beteiligt. Deshalb ist es
durchaus wichtig, dass ein Konstrukteur in der Lage ist, aus wirtschaftlichen und
gesellschaftlichen Gegebenheiten und Strömungen Anforderungen für die Pro-
duktkonstruktion abzuleiten. Er benötigt deshalb, neben dem klassischen Ingeni-
eurwissen, auch Kompetenz auf geisteswissenschaftlichen und wirtschaftswissen-
schaftlichen Gebieten. In Abb. 1.2. ist der notwendige Kompetenzkreis eines Kon-
strukteurs wiedergegeben.
1.2 Konstruktionsabteilung und Konstruktionsprozess 5
Wie stark die Konfrontation bei der zu lösenden Aufgabe empfunden wird
hängt natürlich sehr stark von der Erfahrung des Konstrukteurs mit gleichen oder
ähnlichen Aufgaben ab. Im Laufe der sich dann anschließenden Informations-
Phase geht es um die Ermittlung der zu beachtenden Randbedingungen sowie
geltenden Vorschriften, Richtlinien, Normen usw. Alle Erkenntnisse müssen, z.B.
in Form einer Anforderungsliste an das Produkt, festgehalten werden, womit dann
die Definitionsphase abgeschlossen ist. Der eigentliche Konstruktionsprozess, das
heißt die Festlegung der Produktgeometrie einschließlich der Oberflächengestal-
tung sowie das Erstellen der Zeichnungen, Stücklisten und Nutzungsunterlagen
fällt in die in Abb. 1.4. dargestellte Kreationsphase. Die anschließende Beurtei-
lung der Ergebnisse, insbesondere bei mehreren erarbeiteten Lösungen, erfolgt im
Vergleich zu den in der Definitionsphase festgelegten Anforderungen. Dazu
müssen möglichst eindeutige und messbare Beurteilungskriterien erarbeitet
werden. Auf Basis dieser Beurteilung kann dann eine Entscheidung getroffen
werden, welche Lösung verwirklicht werden soll bzw. wo an einer Lösung
Verbesserungen erforderlich sind. Der Konstruktionsprozess stellt also einen
Kreislauf (siehe Abb. 1.5.) mit den einzelnen Hauptschritten dar:
x Analyse: zum Prüfen und Abgleichen mit Randbedingungen der Aufgabenstel-
lung
x Synthese: zum Erzeugen, bzw. Verbessern von Lösungen
x Selektieren: durch Bewertung und der Auswahl von Lösungen
1.4 Definition der Konstruktionselemente 9
Bezogen auf den Inhalt dieses Buches bedeutet das oben geschilderte Vorgehen
zur Lösung von konstruktiven Aufgaben, gezielt bewährte Komponenten, nämlich
Maschinen- bzw. Konstruktionselemente, einzusetzen. Dementsprechend reduziert
sich die Konfrontationsphase. Während der Informationsphase müssen dann
insbesondere die von außen wirkenden Belastungen geklärt werden. Sie haben
ganz entscheidenden Einfluss auf die Auslegung der Konstruktions- bzw. Maschi-
nenelemente. Häufig gestaltet sich aber gerade dieser Punkt in der Praxis sehr
schwierig, wenn beispielsweise mögliche Stoßbelastungen oder die Dauer von
Belastungen nur schwer ermittelt werden können. In manchen Fällen kann nur mit
Abschätzungen gearbeitet werden. Dies ist insofern problematisch, weil eine zu
geringe Annahme der wirkenden Belastungen zu einer Unterdimensionierung und
damit zu einem vorzeitigen Ausfall der Elemente führen kann. Eine zu hohe
Abschätzung führt zu einer Überdimensionierung und damit zu unnötigem
Bauraum und Gewicht. Die Definition der Anforderungen an Konstruktions- bzw.
Maschinenelemente muss also entsprechend gewissenhaft erfolgen.
Zur Realisierung der geforderten Funktionen werden als wichtige Elemente die
Maschinen- bzw. Konstruktionselemente benötigt. Obwohl der Begriff Maschi-
nenelemente in der einschlägigen Literatur und auch in der Lehre eingeführt ist,
wird in diesem Buch stattdessen die Bezeichnung Konstruktionselemente in den
Vordergrund gestellt und verwendet. Grund dafür ist, dass die meisten Maschi-
nenelemente selbst als reines Kaufteil nicht unmittelbar zur Funktionserfüllung
eingesetzt werden können. Es bedarf einer entsprechenden Gestaltung der Umge-
bung und/oder der Festlegung geometrischer Größen auf Basis der äußeren
Anforderungen.
10 1 Einleitung
Die Beispiele lassen sich weiter fortsetzen, wodurch deutlich wird, dass selbst
bei gegebenem physikalischen Effekt die geometrischen Merkmale gemäß den
vorliegenden Anforderungen vom Konstrukteur festgelegt werden müssen. Das
bisher so genannte Maschinenelement erfüllt erst durch die gestalterische Arbeit
des Konstrukteurs die gewünschte Funktion vollständig, so dass der übergeordnete
Begriff ’Konstruktionselement’ im Sinne der in diesem Buch gewählten Vorge-
hensweise treffender erscheint.
sene Darstellung der einzelnen Themen und eine gleich aufgebaute Systematik der
Präsentation über beide Bände gewählt. Vorkommende Abweichungen von der
Systematik liegen in den Besonderheiten der betroffenen Elemente begründet.
Der Student soll nach dem Studium des Werks in der Lage sein, ausgehend von
der geforderten Funktion ein passendes Konstruktionselement auszuwählen, zu
berechnen und zu gestalten. Dazu muss er den Zusammenhang des betrachteten
Elements mit dem restlichen technischen System beachten. Aus diesem Grund
werden zu Beginn die Toleranzen und technischen Oberflächen behandelt. Aus
demselben Grund folgen dann die Grundlagen der Festigkeitsberechnung. Die in
diesem Buch betrachteten Konstruktionselemente sind Bestandteil eines Produkts
oder allgemeiner eines technischen Systems. Auf dieses System und die darin
befindlichen Bauteile wirken von außen Kräfte und Momente, die wiederum
Schnittkräfte und -momente an den einzelnen Bauteilen hervorrufen. Die Schnitt-
lasten bewirken in den Bauteilen Beanspruchungen, die es zu ermitteln gilt, um
dann die Beanspruchungen mit den zulässigen Werten des Werkstoffes zu
vergleichen. Sind die im Element wirkenden Beanspruchungen bekannt, kann es
auch entsprechend gestaltet werden. Deshalb schließt sich ein Kapitel zur Gestal-
tung an. Als weitere, übergeordnete Kapitel seien noch die Thematik „Reibung
und Schmierung“ sowie „Sensoren und Aktoren“ genannt. Beide Themen sind
heute im Sinne der Wirkungsgradoptimierung bzw. der Mechatronik Bestandteil
des Konstrukteursalltags.
1.6 Literatur
2.1 Normung
Die Normung hat das Ziel, Begriffe, Erzeugnisse, Vorschriften, Verfahren usw. im
Bereich der Wissenschaft, Technik, Wirtschaft und Verwaltung festzulegen, zu
ordnen und zu standardisieren. Die durch die Normung erzielte Häufung von
gleichartigen Erzeugnissen gestattet deren wirtschaftliche Herstellung (Vorrich-
tungen, Werkzeuge und Maschinen!) und Kontrolle (Lehren, Messwerkzeuge!).
Die Normung garantiert ferner den Austauschbau ohne spezielles Anpassen der
Teile, der die Grundlage für die rationelle Fertigung von Massengütern ist.
Grundlage der Normungsarbeit ist [DIN820].
Die Normung ist ganz allgemein gesprochen ein Mittel zur zweckgerichteten
Ordnung in der Technik. Sie fördert die sinnvolle Standardisierung von Objekten,
indem sie für wiederkehrende Aufgaben bewährte Lösungen bereitstellt. Es gibt
z.B. folgende Normenarten:
x Verständigungsnormen (Begriffe, Bezeichnungen, Benennungen, Symbole,
Formelzeichen...);
x Typnormen (Typenbeschreibung von Erzeugnissen nach Art, Form, Größe...);
x Planungsnormen (Grundsätze für Entwicklung, Berechnung, Ausführung);
x Konstruktionsnormen (konstruktive Gesichtspunkte für die Gestaltung techni-
scher Gegenstände);
x Abmessungsnormen (Abmessungen und Maßtoleranzen für Bauelemente,
Profile....);
x Stoffnormen (Stoffe, Einteilung, Eigenschaften, Richtlinien für Verwendung...);
x Gütenormen (Anforderungen an die Qualität von Erzeugnissen);
x Verfahrensnormen (Arbeitsverfahren für die Herstellung und Behandlung);
x Prüfnormen (Untersuchungs- und Messverfahren);
x Liefer- und Dienstleistungsnormen (technische Grundsätze - Lieferbedingun-
gen für die Vereinbarung von Lieferungen);
x Sicherheitsnormen (Schutz von Leben und Gesundheit, Schutz von Sachwer-
ten).
16 2 Normen, Toleranzen, Passungen und Technische Oberflächen
Genormte Erzeugnisse, die in mehreren Größen benötigt werden, sind unter dem
Gesichtspunkt der Teilebeschränkung sowie der Häufigkeit der Anwendung
bestimmter Größen zu stufen. Im Sinne des Normungsgedankens ist eine systema-
tische Stufung der Glieder untereinander, z.B. mit Hilfe von Normzahlen, anzu-
18 2 Normen, Toleranzen, Passungen und Technische Oberflächen
streben. Normzahlen (NZ) sind durch die internationalen Normen [ISO3], [ISO17]
sowie [ISO497] und die nationale Norm [DIN323] festgelegt.
Die zahlenmäßige Reihung bzw. Ordnung von physikalischen Größen kann
durch eine additive oder eine multiplikative Gesetzmäßigkeit erfolgen. Im ersten
Fall hat man die Abstufung in der Art einer arithmetischen Reihe und im zweiten
Fall in der Art einer geometrischen Reihe.
z.B. ' 2 : 1, 3, 5, 7
ai1 ai q (2.2)
ai a1 q i 1 (2.3)
a 1 1; q 2; a1 2; q 3;
1, 2, 4, 8, 16, ... 2, 6, 18, 54, 162, ...
Normzahlen (NZ)
Zweck der Normzahlen (= Vorzugszahlen) ist die sinnvolle Beschränkung von
Typen und/oder Abmessungen. Sie sind die Basis vieler Normen und können in
unterschiedlicher Größe abgestuft sein. Ihre Abstufung basiert wie bei den geo-
2.1 Normung 19
metrischen Reihen auf einem konstanten Stufensprung, der aber keine ganze Zahl
ist. Für die Normzahlen gelten folgende Beziehungen:
1. Sie schließen an den bekannten dezimalen Bereich an, d.h., sie enthalten alle
ganzzahligen Potenzen von 10 (z.B. 0,01; 0,1;1; 10; 100; 1000;...).
2. Sie bilden eine geometrische Reihe mit konstantem Stufensprung.
3. Die Glieder größerer Reihen sind wieder als Glieder in den feiner abgestuften
Reihen enthalten.
4. Produkte und Quotienten von Normzahlen sind wieder Normzahlen.
Daraus lässt sich folgendes Bildungsgesetz ableiten:
a) Geometrische ni - Teilung einer Dekade (Verwirklichung der Punkte 1, 2, 4).
b) Dualteilung des ni - Wertes (Verwirklichung von Punkt 3).
Die Zahlen 1 und 10 werden als Normzahlen gesetzt und die Zwischenwerte
nach einer geometrischen Reihe gestuft [Kle97]. Ist n die Zahl der Zwischenräume
zwischen den Zahlen 1 und 10, so gilt für den Stufensprung die Beziehung:
q n
10 (2.4)
Für z.B. n = 5 wird q = 1,5849... Daraus ergibt sich die Genauwertreihe für n = 5.
Sie lautet vollständig:
1 1,5849 2,5119 3,9811 6,3096 10
Diese Genauwerte sind unhandlich. Durch eine schwache Rundung erhält man aus
ihnen die eigentlichen Normzahlen (= Hauptwerte), die dann die Grundreihen
bilden.
Beispiel: n = 5:
Grundreihe R 5: 1 1,6 2,5 4 6,3 10
Damit ergibt sich folgende Definition für die Normzahlen:
Normzahlen sind vereinbarte, gerundete Glieder einer
dezimalgeometrischen Reihe.
Neben n = 5 sind auch genormt: n = 10, 20, 40, (80).
Daraus ergeben sich die in Tabelle 2.1 angegebenen Grundreihen R 5, R 10,
R 20, R 40, (R80) (vgl. [DIN323]). Im Maschinenbau werden am häufigsten die
Grundreihen R 10 und R 20 angewendet (R 5 ist meist zu grob und R 40 ist meist
zu fein!).
Normzahlen NZ > 10 erhält man durch Multiplikation der Grundreihen mit 101,
2
10 ,...., Normzahlen NZ < 10 erhält man durch Multiplikation der Grundreihen mit
10-1,...., 10-2,..... .
20 2 Normen, Toleranzen, Passungen und Technische Oberflächen
Tabelle 2.1. Grundreihen R 5, R 10, R 20 und R 40; Hinweis: Die Schreibweise der
Normzahlen ohne Endnullen ist international ebenfalls gebräuchlich
2.1 Normung 21
Die wichtigsten und gebräuchlichsten Toleranzen sind die für die Abmessungen
der Bauteile. Man nennt sie daher auch Maßtoleranzen. Daneben gibt es auch
Toleranzen zur Festlegung der Form und der Lage eines Formteiles, die so
genannten Form- und Lagetoleranzen, die in Abschnitt 2.2.5 behandelt werden.
Die Grundbegriffe der Längenmaße und deren Toleranzen sowie die Passungen
für flache (ebene) und zylindrische Werkstücke sind in [DINISO286] T1 und T2
zusammengefasst. Sie gelten sinngemäß auch für die Maßtoleranzen und Passun-
gen an Kegeln [DINISO3040], Prismen und Gewinden.
Die wirtschaftliche Fertigung eines Werkstückes erfordert zusätzlich zum
Nennmaß N (i.d.R. ein runder Zahlenwert) die Angabe einer Toleranz bzw.
Maßtoleranz T. Sie hat kein Vorzeichen und wird immer als positiver Zahlenwert
verstanden. Die Toleranz darf vom Konstrukteur nicht willkürlich gewählt
werden, da grundsätzlich gilt: je kleiner die Toleranz, desto teurer die Fertigung.
Sie leitet sich i.Allg. aus der Funktion ab, wobei aber im Bereich des Ur- und
Umformens durchaus auch das Fertigungsverfahren die Toleranz maßgeblich
bestimmen kann. Das Istmaß I (gemessene Größe) darf wegen der zu erfüllenden
Funktion bestimmte Grenzmaße nicht überschreiten. Die Grenzen für das Istmaß
sind das Höchstmaß Go und das Mindestmaß Gu. Die Differenz zwischen Höchst-
und Mindestmaß ist die bereits oben behandelte Toleranz bzw. Maßtoleranz:
2.2 Toleranzen, Passungen und Passtoleranzfelder 23
T G0 Gu (2.5)
Das Mittenmaß C ist der arithmetische Mittelwert zwischen Höchst- und Min-
destmaß:
G0 Gu (2.6)
C
2
Es wird beim statistischen Tolerieren benötigt.
Das Nennmaß ist eine ideal gedachte Bezugsgröße ohne Abweichungen. Die
Bezeichnungsdarstellung erfolgt auf Basis des Nennmaßes, ebenso die rechnerin-
terne Darstellung von Geometriemodellen. Das Nennmaß N dient zur Festlegung
der Grenzmaße mittels der Grenzabmaße:
x Oberes Abmaß
ES bei Bohrungen, es bei Wellen (ES, es - ecart superieur):
G0 N ES
(2.7)
G0 N es
x Unteres Abmaß
EI bei Bohrungen, ei bei Wellen (EI, ei - ecart inferieur):
Gu N EI
(2.8)
Gu N ei
T ES EI bzw. T es ei (2.9)
Zu beachten ist, dass die Abmaße vorzeichenbehaftet sind und entsprechend in Gl.
(2.9) berücksichtigt werden müssen.
Die Angabe der Toleranz erfolgt in Verbindung mit dem Nennmaß N durch
oberes und unteres Abmaß oder indirekt durch ISO-Kurzzeichen
z.B. 40 00,,13 oder Ø 20H7 (vgl. Abschn. 2.2.2.)
oT 0,1 (0,3) 0,2
In der Praxis entspricht MML der „Gutseite“ der Prüflehre. Falls es überschritten
wird, kann das Werkstück durch Materialabnahme nachgearbeitet werden.
Das Minimum-Material-Grenzmaß LML (least material limit) ist dasjenige (das
andere) der beiden Grenzmaße, das die minimal zulässige Materialmenge be-
grenzt. Es ist
x bei Wellen das Mindestmaß
x bei Bohrungen das Höchstmaß
LML entspricht der „Ausschussseite“ der Prüflehre, weil eine Nacharbeit des
Werkstücks nicht möglich, d.h. das Werkstück Ausschuss ist.
2.2.2 Toleranzfeldlagen
H ¾ EI = 0
ES = T (Grundtoleranz)
h ¾ es = 0
ei = T (Grundtoleranz)
Für jeden der Nennmaßbereiche gibt es mehrere - höchstens 20 - verschieden
große Grundtoleranzgrade. Diese Grundtoleranzgrade werden mit den Buchstaben
IT und den nachfolgenden Zahlen 01, 0, 1, 2 bis 18 gekennzeichnet. Der Grundto-
2.2 Toleranzen, Passungen und Passtoleranzfelder 25
Abb. 2.2. Lage der Toleranzfelder bzw. schematische Darstellung der Lage von Grundab-
maßen für Bohrungen und Wellen nach [DINISO286]
Tabelle 2.2. Zahlenwerte der Grundtoleranzen IT für Nennmaße bis 3150 mm1)
2.2 Toleranzen, Passungen und Passtoleranzfelder 27
Unter einer Passung versteht man die maßliche Zuordnung zwischen den zu
fügenden oder zu paarenden Teilen, die sich aus dem Maßunterschied dieser Teile
vor dem Fügen ergibt. Sie kennzeichnet somit die Beziehung zwischen den
Toleranzfeldern der zu paarenden Teile. Sie ist erreichbar durch die zweckdienli-
che Wahl der Toleranzfeldlage und der Maßtoleranz oder Grundtoleranz des
Innen- und des Außenmaßes der zu paarenden Formelemente bzw. Geometrieele-
mente [DINH07]. Die häufigsten Passungen sind die Rundpassungen (kreiszylind-
rische Passflächen, z.B. Welle und Bohrung) und die Flachpassungen (planparalle-
le Passflächen). Eine Passung wird nach [DINISO286] durch folgende Angaben
bestimmt:
1. Gemeinsames Nennmaß der zu paarenden Geometrieelemente
2. Kurzzeichen der Toleranzklasse für das Innenmaß z.B. H7
3. Kurzzeichen der Toleranzklasse für das Außenmaß z.B. f6
Die Toleranzklasse kennzeichnet durch einen oder zwei Buchstaben das Grund-
abmaß (Toleranzfeldlage) und durch ein oder zwei Zahlen den Grundtoleranzgrad
(Größe der Maßtoleranz oder Grundtoleranz).
Beispiel: Ø30H7, Ø30f6
28 2 Normen, Toleranzen, Passungen und Technische Oberflächen
Passungsarten
Die Art der Passung ist durch die beabsichtigte Funktion bestimmt. Es gibt drei
Arten von Passungen, die sich durch ihr Spiel bzw. Übermaß (im gefügten
Zustand) unterscheiden (Abb. 2.3.).
a) Spielpassung
Beim Fügen des inneren (Bohrung) und äußeren (Welle) Formelementes entsteht
immer Spiel (S),
Höchstspiel S0 ES ei
(2.13)
Mindestspiel Su EI es
b) Übergangspassung
Je nach den Istmaßen der Formelemente entsteht beim Fügen entweder Spiel oder
Übermaß.
Höchstspiel S0 ES ei
Höchstübermaß U0 EI es (2.14)
(Hinweis: Die Bezeichnungen S0 und S u sowie U 0 und U u sind
nicht genormt.)
c) Übermaßpassung
Beim Fügen der Formelemente entsteht immer Übermaß (U)
Höchstübermaß U0 EI es
(2.15)
Mindestübermaß U u ES ei
bedeutet z.B., dass entweder alle Bohrungen oder aber Wellen dieselbe Toleranz-
feldlage bekommen, zweckmäßigerweise diejenige mit dem „Grundabmaß 0“.
Diese ausgezeichnete Lage bezüglich der Nulllinie - d.h. bezüglich des Nennma-
ßes - nehmen die Toleranzfeldlagen H (Bohrung) und h (Wellen) ein, da das
untere Abmaß bei der Bohrung bzw. das obere Abmaß bei der Welle Null ist.
Deshalb wurden diese Toleranzfeldlagen auch dem ISO-Passungssystem Einheits-
bohrung bzw. dem ISO-Passungssystem Einheitswelle zugrunde gelegt.
ISO-Passungssystem Einheitsbohrung
([DINISO286] und [DIN7154])
Für alle Bohrungen wird die Toleranzfeldlage H, für die Wellen dagegen werden
beliebige Toleranzfeldlagen gewählt. Zur Herstellung und Kontrolle der Bohrun-
gen, die aufwändiger in der Fertigung und teurer in der Messung sind als Wellen,
sind dann nur wenige Werkzeuge (z.B. Reibahlen) und Messwerkzeuge (z.B.
Lehrdorne) erforderlich (für ein Nennmaß z.B. nur H5, H6, H7). Das Passungssys-
tem Einheitsbohrung wird überwiegend im Maschinen- und Apparatebau ange-
wendet.
ISO-Passungssystem Einheitswelle
([DINISO286] und [DIN7155])
Für alle Wellen wird die Toleranzfeldlage h, für die Bohrungen dagegen werden
beliebige Toleranzfeldlagen gewählt. Das Passungssystem Einheitswelle wird bei
Maschinen mit vielen langen, glatten Wellen (z.B. aus gezogenem, kalibriertem
Rundmaterial) angewendet, auf denen Hebel, Räder und dgl. befestigt werden
sollen (Land- und Textilmaschinenbau). Das ISO-Passungssystem Einheitswelle
kommt seltener zur Anwendung als das ISO-Passungssystem Einheitsbohrung.
Durch die Einführung der unterschiedlichen ISO-Passungssysteme hat man eine
ganz wesentliche Einschränkung der Auswahlmöglichkeiten erreicht. Eine weitere
Einschränkung ergibt sich durch die Anwendung empfohlener (d.h. in der Praxis
häufig benötigter) Toleranzen gemäß [DIN7157].
2.2.4 Tolerierungsgrundsatz
2.2.4.1 Unabhängigkeitsprinzip
Das Unabhängigkeitsprinzip ist in [DINISO8015] genormt und besagt, dass ein
toleriertes Maß als eingehalten gilt, wenn alle örtlichen Istmaße die Grenzmaße
nicht über- bzw. unterschreiten. Jede Maß-, Form- und Lagetoleranz muss unab-
hängig voneinander eingehalten werden. Es erfolgt also keine Paarungsprüfung.
Soll das Unabhängigkeitsprinzip gelten, muss auf der Zeichnung im oder am
Schriftfeld die Bezeichnung Tolerierung ISO 8015 oder einfach ISO 8015 stehen
(Abb. 2.4.b); ansonsten gilt das Hüllprinzip (s. Abschnitt 2.2.4.2). Bei der heute
üblichen rechnergestützten Konstruktion empfiehlt sich eine entsprechende
Voreinstellung im Schriftfeld, da das Unabhängigkeitsprinzip die ungerechtfertig-
ten Anforderungen bezüglich der Form- und Lageabweichungen, die mit dem
Hüllprinzip verbunden sind, aufhebt. Der Fertigungsaufwand und damit die
Fertigungskosten werden reduziert. Durch das Unabhängigkeitsprinzip werden
Tonnenform, Sattelform, Kegelform und die geradzahligen Vielecke (Ovalität)
begrenzt (vgl. Abb. 2.5.). Krümmungen und ungeradzahlige Vielecke werden
nicht begrenzt.
Bei Gültigkeit des Unabhängigkeitsprinzips kann mit Hilfe der Maximum-
Material-Bedingung eine Vergrößerung der Formtoleranzen erreicht werden. Dazu
sind die Formabweichungen auf der Zeichnung mit einem eingekreisten M zu
kennzeichnen, (Abb. 2.4.a).
2.2.4.2 Hüllprinzip
Das Hüllprinzip gilt für alle tolerierten Maße auf allen Bezeichnungen, die keinen
Hinweis auf DIN ISO 8015 enthalten. Der Klarheit halber sollte man jedoch
eintragen: Tolerierung DIN 7167. Das Hüllprinzip fordert, dass das Geometrie-
element (Kreiszylinder, Parallelebenenpaar) die geometrisch ideale Hülle mit
Maximum-Material-Grenzmaß (MML) nicht durchbricht und kein örtliches
Istmaß das Minimum-Material-Grenzmaß (LML) überschreitet (Bohrungen) bzw.
unterschreitet (Wellen). Es werden nur die Formabweichungen, dagegen außer der
Parallelität keine Lageabweichungen beschränkt. Das Hüllprinzip kann durch
Einzeleintragung partiell aufgehoben werden (vgl. Abschn. 2.2.4.1). Die Prüfung
der Hüllbedingung ist nur mit einer Paarungslehre, die die Gestalt der Hülle hat
oder mit einer Messmaschine und entsprechenden Auswerteprogrammen möglich.
Die Begrenzung der Formabweichungen und der Parallelität wird in den Abb. 2.5.
und Abb. 2.6. an einigen Grenzfällen gezeigt. (I: ist das örtliche Istmaß).
EFL: Kurzzeichen für die Abweichung bei Geradheit nach [Tru97]
EFK: Kurzzeichen für die Abweichung bei Rundheit nach [Tru97]
Tonnenform
(Ursachen: Werkstück zwischen Spitzen eingespannt; gekrümmte Führungsbahn)
Sattelform
(Ursachen: Werkzeugbahn und Werkstückachse windschief zueinander - kürzester Abstand
liegt innerhalb des Werkstücks; gekrümmte Führungsbahn)
Krümmung
(Ursachen: Verzug durch freiwerdende innere Spannungen bei spanloser oder spangebender
Formung, bei Wärmebehandlung und Alterung)
P = 20,000 mm
I min = 19,948 mm EFL = 0,052 mm
Abb. 2.5. Zulässige Formabweichungen bei Gültigkeit des Hüllprinzips für eine Welle mit
20h9 (Axialschnitte)
2.2 Toleranzen, Passungen und Passtoleranzfelder 33
P = 20,000 mm
I max = 20,000 mm
I min = 19,948 mm
EFK = 0,026 mm
P = 20,000 mm
I min = 19,948 mm
EFK = 0,052 mm
Abb. 2.6. Zulässige Formabweichungen bei Gültigkeit des Hüllprinzips für eine Welle mit
ø 20h9 (Radialschnitte)
2.2.4.3 Allgemeintoleranzen
Die Notwendigkeit, die Gestalt eines Bauteils eindeutig zu bemaßen und zu
tolerieren, wird durch die Festlegung von Allgemeintoleranzen nach [DIN-
ISO2768] T1 und T2 vereinfacht (Tabelle 2.3.). T1 gilt für alle Längen- und
Winkelmaße ohne Toleranzangabe, jedoch nicht für Hilfsmaße und theoretische
Maße. Es werden vier Toleranzklassen unterschieden: f (fein), m (mittel), c (grob)
und v (sehr grob). T2 gilt für die Formelemente, die nicht mit einzeln eingetrage-
nen Form- und Lagetoleranzen versehen sind. Es werden drei Toleranzklassen
unterschieden: H, K, L.
Tabelle 2.3. oben - Grenzabmaße für Längenmaße nach [DINISO2768] T1, unten -
Allgemeintoleranzen für Geradheit und Ebenheit nach [DINISO2768] T1
Toleranzklassen Grenzabmaße für Nennmaßbereiche [mm]
Kurz- Benennung von 0,5 über 3 über 6 über 30 über 120 über 400 über 1000
zeichen bis 3 bis 6 bis 30 bis 120 bis 400 bis 1000 bis 2000
f fein ± 0,05 ± 0,05 ± 0,1 ± 0,15 ± 0,2 ± 0,3 ± 0,5
m mittel ± 0,1 ± 0,1 ± 0,2 ± 0,3 ± 0,5 ± 0,8 ± 1,2
c grob ± 0,2 ± 0,3 ± 0,5 ± 0,8 ± 1,2 ±2 ±3
v sehr grob — ± 1,5 ±1 ± 1,5 ± 2,5 ±4 ±6
Sowohl Studenten als auch Praktiker finden häufig schwer Zugang zur Form- und
Lagetolerierung, weil sie kompliziert und insbesondere für den Neuling unüber-
sichtlich erscheint. Im folgenden werden deshalb die wichtigsten Grundlagen und
Zusammenhänge der Tolerierung erläutert. Für ein weiterführendes Studium wird
auf die zugehörige [DINISO1101] und auf die Fachliteratur (z.B. [Jor98],
[DINH07]) verwiesen.
2.2 Toleranzen, Passungen und Passtoleranzfelder 35
Für die eindeutige Interpretation von Form- und Lagetoleranzen ist eine korrek-
te Zeichnungseintragung unerlässlich. Gemäß [DINISO1101] werden Form- und
Lagetoleranzen durch einen Toleranzrahmen gekennzeichnet, der aus mindestens
zwei aber höchstens fünf Feldern besteht (vgl. Abb. 2.8.). Das erste Feld kenn-
zeichnet die Toleranzart, im zweiten wird die Toleranz in mm eingetragen. Die
restlichen Felder enthalten bei Lagetoleranzen Kennbuchstaben für Bezüge.
Der Toleranz- bzw. Bezugspfeil steht senkrecht (wichtig!) auf dem tolerierten
Formelement. Er zeigt an, in welcher Richtung die Abweichung gemessen wird.
Der eindeutigen Zuordnung wegen sollte der Toleranzpfeil in der Nähe der
Maßlinie, die das Geometrieelement bemaßt, stehen. Zwei Fälle sind hier zu
unterscheiden:
1. Bei der Tolerierung eines sichtbaren Geometrieelementes (Fläche, Kante) steht
der Toleranzpfeil mindestens 4 mm vom entsprechenden Maßpfeil entfernt
(Abb. 2.8.a).
2. Wird dagegen ein unsichtbares Geometrieelement (Achse, Symmetrieebene
etc.) toleriert, steht der Toleranzpfeil unmittelbar in der Verlängerung der Maß-
linie, die das Formelement bemaßt (Abb. 2.8.b, c).
Abb. 2.9. Angabe von Bezügen. b) und c) Achse als Bezug, a) untere Fläche als Bezugs-
element, d) gemeinsame Achse von zwei Wellenabsätzen (Lagersitze) als Bezug
2.2.6 Beispiele
Die folgenden Bilder zeigen Beispiele zur (zeichnerischen) Darstellung von Form-
und Lagetoleranzen. Dabei wird unter dem Begriff „Abweichung“ die Differenz
zwischen (realer) Istform bzw. -lage und (theoretisch fehlerfreier) Sollform bzw.
-lage des betrachteten Funktionselementes verstanden. In jedem Fall muss die
vorhandene Abweichung innerhalb des vorgeschriebenen Toleranzbereiches
liegen, anderenfalls liegt eine Toleranzüberschreitung vor. Die dargestellten
Beispiele tragen exemplarischen Charakter.
Die Konzentrizitätsabweichung (Abb. 2.13.) der Achse der Bohrung mit dem
Durchmesser d 2 muss bezogen auf B innerhalb des Toleranzbereiches t liegen.
Der Toleranzbereich wird dargestellt durch einen zur Achse der Bohrung mit dem
Durchmesser d1 konzentrisch liegenden Zylinder mit dem Durchmesser t. Der
Primärbezug A dient der Kontrolle der vorhandenen Konzentrizitätsabweichun-
gen.
Anmerkung:
Analog zur Konzentrizität ist die Koaxialität (Abb. 2.14.) zu betrachten:
Variante 1:
Die Positionsabweichung (Abb. 2.15.) der Achsen der vier Bohrungen mit dem
Durchmesser d 2 muss auf dem Lochkreis innerhalb des Toleranzbereiches liegen.
Der Toleranzbereich wird dargestellt durch zur Bohrungsachse konzentrisch
liegende Zylinder vom Durchmesser t, deren Position durch die theoretischen
Maße d L und W definiert ist.
Variante 2:
Zusätzlich ist hier die Position des Lochkreises festgelegt (Bezug A zur Bohrung
mit dem Durchmesser d1 ).
Die Symmetrieabweichung (Abb. 2.16.) der Mittelebene der Nut mit der Breite
b muss bezogen auf die Achse des Zylinders mit dem Durchmesser d innerhalb
des Toleranzbereiches t liegen. Der Toleranzbereich wird dargestellt durch zwei
2.2 Toleranzen, Passungen und Passtoleranzfelder 41
Die Planlaufabweichung (Abb. 2.18.) der Stirnfläche bezogen auf die Achse
des Zylinders mit dem Durchmesser d1 muss im Bereich des Bezugsdurchmessers
d b innerhalb des Toleranzbereiches t liegen. Der Toleranzbereich wird dargestellt
durch zwei parallele Geraden im Abstand t, senkrecht angeordnet zum Bezug A.
Die Funktionsbaugruppe in Abb. 2.19. besteht aus den Komponenten Kolben-
stange, Kolben und Zylinder. Es sind nur die für die Funktion unmittelbar wichti-
gen Maße eingetragen. Für die Paarung Kolbenstange - Kolben (Nennmaß 30)
bzw. Kolben - Zylinder ist die Hüllbedingung vorgeschrieben, für die restlichen
Maße wird das Unabhängigkeitsprinzip angenommen. Der Konstrukteur muss
entscheiden, ob bei einer Passungsangabe zusätzlich Form- bzw. Lagetoleranzen
angegeben werden müssen (bei 30H7/k6 können diese entfallen, während sie bei
125H7/g6 wegen der relativ großen Führungslänge angebracht sind). Die
42 2 Normen, Toleranzen, Passungen und Technische Oberflächen
angegebenen Werte für die Form- und Lagetoleranzen sowie für die Rauheit sind
in Abhängigkeit des jeweiligen (Maß-)Toleranzfeldes gewählt.
2.3.1 Grundlagen
M 1 = 15-0,1 mm
M 2 = 45-0,2 mm
M 3 = 15-0,1 mm
M 4 = 75+0,4/+0,1 mm
T0
M 0 = C0 ±
2
M 0 = 0,45 ± 0,35 mm
M 2 zu ersetzendes Maß
M e Ersatzmaß
Abb. 2.22. Funktionsorientierte Bemaßung einer abgesetzten Welle
Eine derartige Bemaßung ist erforderlich, wenn die Bohrungen auf einem Koordi-
natenbohrwerk hergestellt werden sollen. Die Funktionseigenschaft wird aber in
den meisten Fällen durch das Abstandsmaß M 0 bestimmt. Es besteht deshalb die
Aufgabe, unter Beachtung des funktionalen Zusammenhangs das Funktionsmaß
(Schlussmaß) zu berechnen. Aus der Maßkette resultiert folgender Zusammen-
hang zwischen Schlussmaß und den Einzelmaßen
2 2 (2.22)
M0 f M 1 , M 2 M1 M 2
M1 M2
T0 T1 T2
2 2 2 2
M1 M 2 M1 M 2
Keine reale technische Oberfläche besitzt ihre Sollform. Es sind immer Formab-
weichungen, Welligkeiten und Rauheiten festzustellen. Außerdem unterscheiden
sich Gefüge, chemische Zusammensetzung und Festigkeit der oberflächennahen
Werkstoffbereiche eines technischen Bauteils häufig erheblich vom Grundwerk-
stoff.
2.4.1.1.1 Aufbau
Der schichtförmige Aufbau von technischen Oberflächen ist vereinfacht in Abb.
2.24. dargestellt. Von innen nach außen können im Wesentlichen der Grundwerk-
stoff mit ungestörtem Gefügeaufbau, die innere und die äußere Grenzschicht
unterschieden werden.
Die innere Grenzschicht wird stark vom Fertigungsverfahren beeinflusst. Sie
weist gegenüber dem Grundwerkstoff infolge von Verformungen durch den
Fertigungsprozess unterschiedliche Verfestigungen und Eigenspannungen, ein
verändertes Gefüge und eventuell Texturinhomogenitäten zwischen Randzone und
Werkstoffinnerem auf.
Die äußere Grenzschicht besitzt durch Wechselwirkungen des Werkstoffs mit dem
Umgebungsmedium und dem Schmierstoff meist eine vom Grundwerkstoff
2.4 Technische Oberflächen 49
2.4.1.1.3 Gefüge
Im oberflächennahen Bereich können im Vergleich zum Grundwerkstoff unter-
schiedliche Korngrößen auftreten, die sich bevorzugt in Bearbeitungsrichtung
ausrichten, wie dies in Abb. 2.24. illustriert ist. Darüber hinaus kann der Oberflä-
chenbereich gegenüber dem Grundwerkstoff eine wesentlich höhere Dichte von
Leerstellen und Versetzungen aufweisen, was sich negativ auf die Festigkeitsei-
genschaften des Oberflächenbereichs auswirkt.
2.4.1.1.4 Härte
Die Härte von oberflächennahen Werkstoffbereichen kann erheblich von der des
Grundwerkstoffs differieren, was auf die unterschiedliche chemische Zusammen-
setzung und Mikrostruktur zurückzuführen ist. Im Allgemeinen besitzen auf der
Oberfläche sitzende Metalloxide eine beträchtlich höhere Härte als die dazugehö-
rigen Metalle.
50 2 Normen, Toleranzen, Passungen und Technische Oberflächen
2.4.1.2 Gestaltabweichungen
Neben den physikalisch-chemischen Eigenschaften sind auch die Gestaltabwei-
chungen von technischen, aufeinander einwirkenden Oberflächen für die Funkti-
onsfähigkeit von Baugruppen verantwortlich. Die Gestaltabweichungen können
nach [DIN4760] in Formabweichungen, Welligkeiten und Rauheiten unterteilt
werden und sind in Abb. 2.26. dargestellt. Der wesentliche Unterschied zwischen
den verschiedenen Gestaltabweichungen liegt in ihrer horizontalen Merkmalsaus-
prägung, während die vertikale Abweichungen sich in der gleichen Größenord-
nung bewegen können.
Die Formabweichung FA ist langwellig und erstreckt sich häufig in einem Zug
über die gesamte Funktionsfläche (Länge der Formabweichung > 1000 x Höhe der
Formabweichung). Welligkeiten liegen vor, wenn das Verhältnis von mittlerer
Wellenlänge WSm zur Gesamthöhe des Welligkeitsprofils Wt zwischen 100 und
1000 beträgt. Wellen sind häufig periodisch auftretende Abweichungen. Bei der
Rauheit weisen die mittleren Rillenbreiten der Rauheitsprofilelemente RSm das
5- bis 100-fache der Gesamthöhe des Rauheitsprofils Rt auf. Ein Rauheitsprofil-
element beinhaltet eine Rauheitsprofilspitze und das benachbarte Rauheitsprofil-
tal. Je nach Fertigungsverfahren treten die Abweichungen regelmäßig oder
unregelmäßig auf.
2.4.2.1 Oberflächenmessung
Zur Erfassung der Gestaltabweichungen steht eine Anzahl verschiedener Mess-
und Prüfverfahren zur Verfügung. Im Allgemeinen werden die Gestaltabweichun-
gen aus einem Profilschnitt ermittelt, der senkrecht zur Oberfläche in der Richtung
durchgeführt wird, in der die größte vertikale Profilabweichung zu erwarten ist
(meist quer zur Bearbeitungsrichtung). Während Formabweichungen über der
gesamten Funktionsfläche erfasst werden, werden Welligkeiten und Rauheiten aus
kürzeren repräsentativen Teilbereichen der Funktionsfläche ermittelt.
Das Ist-Profil beinhaltet die Summe der Gestaltabweichungen 1. bis 4. Ordnung
(Abb. 2.26.). Zur Ermittlung der Oberflächenbeschaffenheit wird zunächst das Ist-
Profil der Oberfläche abgetastet. Dabei entsteht das ertastete Profil. Nach [DIN-
ENISO3274] stellt das ertastete Profil die Linie des Mittelpunktes der Tastspitze
dar, die die Oberfläche in der Schnittebene abtastet. Die Linie auf der der Taster in
der Schnittebene entlang der Tasterführung bewegt wird, beschreibt das Referenz-
profil. Dabei wird das Messsystem auf einer geometrisch nahezu idealen Bezugs-
fläche (Messreferenz) im Tastsystem geführt. Nur die Tastspitze berührt die
Oberfläche. Es wird die Relativbewegung zwischen Tastspitze und Bezugsfläche
gemessen. Die digitale Form des ertasteten Profils aus vertikalen und horizontalen
Koordinaten relativ zum Referenzprofil (= geometrisch ideales Profil) im Mess-
profil) wird Gesamtprofil genannt. Die Anwendung eines Filters für kurze Wellen
2.4 Technische Oberflächen 51
längen Os auf das Gesamtprofil führt schließlich zum Primärprofil oder P-Profil,
welches die Ausgangsbasis für das Welligkeits- und das Rauheitsprofil bildet. Zur
Bestimmung von Rauheits-Kennwerten werden aus dem Primärprofil die langwel-
ligen Profilanteile mit dem Profilfilter Oc abgetrennt. Es entsteht das gefilterte
Rauheitsprofil oder R-Profil. Beim gefilterten Welligkeitsprofil (W-Profil) werden
die Profilfilter Of und Oc nacheinander angewandt, wobei für Of | 10 Oc
empfohlen wird. Mit dem Of -Profilfilter werden die langwelligen und mit dem
Oc -Profilfilter die kurzwelligen Anteile abgespaltet. Die Profilfilterung und
Zusammenhänge zwischen den im Regelfall anzuwendenden Grenzwellenlängen
Os und Oc , dem Tastspitzenradius rtip und dem maximalen Digitalisierungsab-
stand 'X max sind in Abb. 2.27. dargestellt. Als Filterart werden bei der Profil-
filterung heute in der Regel Gauß-Filter nach [DINENISO11562] eingesetzt.
52 2 Normen, Toleranzen, Passungen und Technische Oberflächen
Früher war das 2 RC-Filter genormt. Die Filterart kann im Symbol für die Ober-
flächenbeschaffenheit als “ Gauß “ oder “ 2RC “ angegeben werden.
Abb. 2.27. Profilfilterung bei der Tastschnittmessung, Regelwerte für die Profilfilter Os und
Oc, den Tastspitzenradius und den Digitalisierungsabstand nach [DINENISO3274] und
[DINENISO4288]
2.4.2.2.1 Mittellinie
Eine Voraussetzung für die korrekte Bestimmung der Oberflächenkennwerte ist
die Kenntnis bzw. Festlegung einer Bezugslinie. Diese wird auf mathematischem
Weg bestimmt. Die Bezugslinie stellt im Allgemeinen die Mittellinie dar. Diese
wird für das Primärprofil nach dem Gauß’schen Abweichungsquadratminimum,
für das Welligkeits- und das Rauheitsprofil durch die Profilfilter gebildet.
Abb. 2.29. Taststrecke, Messstrecke und Einzelmessstrecken zur Erfassung der Oberflä-
chenkennwerte nach [San93]
2.4.2.3 Oberflächenkennwerte
Nach [DINENISO4287] wird bei den Oberflächenkenngrößen zwischen Senk-
rechtkenngrößen zur Bestimmung der Spitzenhöhen und Taltiefen, Senkrecht-
kenngrößen zur Ermittlung von Mittelwerten von Ordinaten, Waagerecht- bzw.
Abstandskenngrößen, gemischten Größen und charakteristischen Kurven und
daraus abgeleiteten Kennwerten unterschieden.
Im Regelfall werden für die Berechnungen der Werte der Rauheitskenngrößen
5 Einzelmessstrecken berücksichtigt. Dabei wird aus den 5 Werten, die aus den
Einzelmessstrecken ermittelt werden, ein arithmetischer Mittelwert gebildet. In
diesem Fall wird den Rauheitskurzzeichen keine Zahl angefügt. Wird jedoch der
Wert einer Kenngröße auf der Basis einer anderen Anzahl von Einzelmessstrecken
berechnet, dann muss diese Anzahl als Zahl den Rauheitskurzzeichen angehängt
werden ( z.B. Rz1, Rz3, Ra 6 ).
In Abb. 2.31. ist eine Auswahl relevanter Rauheitskenngrößen mit ihren Defini-
tionen und mathematischen Beziehungen zusammengestellt. Der größte Teil der
dargestellten Kenngrößen wird von den üblicherweise eingesetzten Profilometern
direkt angezeigt. Eine empfohlene Stufung von Zahlenwerten für einige Oberflä-
chenkenngrößen ist in Tabelle 2.5. aufgelistet.
Tabelle 2.5. Empfehlungen für die Stufung von Zahlenwerten für Ra, Rz, Rmr und c
entfernt liegen, voneinander abhängig sind oder nicht. Enthält eine Oberfläche
beispielsweise eine Periodizität mit der Wellenlänge O , die durch Fertigungspro-
zesse, wie Hobeln, Drehen oder Fräsen, verursacht werden kann, dann zeigt die
AKF einen periodischen, gedämpften Verlauf. Die Maxima des AKF-
Kurvenverlaufes treten dort auf, wo der horizontale Abstand 'X Werte annimmt,
die ein Vielfaches der Wellenlänge O betragen. Bei völlig regellosen, aperiodi-
schen zufälligen Profilen, wie sie beispielsweise beim Schleifen oder Läppen
auftreten, fällt die AKF exponentiell ab. Wenn sich das Profil nur mäßig verän-
dert, sinkt die AKF langsam ab. Ändert sich der Profilverlauf jedoch sehr schnell,
nähert sich die AKF schnell der Nulllinie.
(z.B. durch Honen oder Läppen) realisiert werden kann. Günstig wären in diesem
Fall kleine zulässige Rk - und Rpk -Werte. Ein größerer vorgegebener Rvk -Wert
ist vorteilhaft für die Schmiermittelaufnahme. Rt wäre bei diesen Anwendungs-
fällen ungeeignet, Rz in Kombination mit in mehreren Schnitttiefen gemessenen
Rmr -Werten, besser jedoch mit Rk , wäre auch angebracht. Bei porigen Oberflä-
chen ist die Anwendung von Rk und ggf. Ra günstiger als die von Rt oder Rz .
Häufig ist es sinnvoll, zwei voneinander unabhängige Kennwerte zu ermitteln,
um eine Oberfläche zu charakterisieren. Weiterhin ist die Erstellung eines Profi-
logramms zu empfehlen, und zwar sowohl als Rauheitsprofil als auch als Primär-
profil.
Den Abb. 2.35. und Abb. 2.36. ist das Aussehen von Oberflächensymbolen und
die Darstellung von Oberflächenstrukturen und Rillenrichtungen in Zeichnungen
zu entnehmen.
Ein Beispiel für eine funktions-, fertigungs- und prüfgerechte Oberflächenan-
gabe nach [DINENISO1302] ist in Abb. 2.37. ausgeführt. Um die Messbedingun-
gen schon bei der Toleranzfestlegung zweifelsfrei zu definieren, kann der Ober-
flächenkenngröße die Filterart und die Filterübertragungscharakteristik, und zwar
entweder als Kurzwellen-Filter Os und Langwellen-Filter Oc (Beispiel: 0,008 -
0,8) oder nur als Langwellen-Filter Oc (Beispiel: -2,5), vorangestellt werden. Das
ist erforderlich, wenn andere Grenzwellenlängen (cut off-Werte) bzw. Messstre-
cken als die in [DINENISO4288] genormten verwendet werden sollen. Wenn
keine Angaben zur Filterart und zur Filterübertragungscharakteristik gemacht
werden, werden der Regel-Filter (Gauß-Filter) und die Regel-
Übertragungscharakteristik nach [DINENISO3274] und [DINENISO4288]
zugrunde gelegt.
62 2 Normen, Toleranzen, Passungen und Technische Oberflächen
Abb. 2.38. Fertigungsverfahren und erreichbare Mittelwerte der größten Profilhöhen von 5
Einzelmessstrecken Rz
2.4 Technische Oberflächen 65
Abb. 2.39. Zuordnung zwischen Funktionsflächen und maximal zulässigen Werten für Rz
nach VDI/VDE 2601
Bernd Sauer
3.1 Einführung
x Belastung
x Mechanisches Modell
x Berechnung der Beanspruchungen (Spannungen)
x Vergleich mit Werkstoffkennwert für Beanspruchbarkeit im Bauteil
x Bewertung
V Werkstofffestigkeit (3.2)
V vorh d V zul
S
Neben der Beurteilung der Tragfähigkeit eines Bauteiles spielt die unter Belastung
auftretende Verformung in vielen Fällen eine für die einwandfreie Funktion des
Bauteiles wichtige Rolle. Daher ist die Ermittlung der Verformungen ebenfalls
74 3 Grundlagen der Festigkeitsberechnung
Die auf ein Bauteil wirkenden äußeren Belastungen können in die Grundbelas-
tungsfälle Zug, Druck, Biegung, Torsion und Scherung eingeteilt werden. In Abb.
3.1. wird dies schematisch gezeigt.
Mit den Regeln der Mechanik werden aus den äußeren Lasten Schnittlasten
ermittelt, die es gestatten, jeden einzelnen Querschnitt zu analysieren. Üblicher-
weise werden die am höchsten beanspruchten Querschnitte eingehend untersucht.
Außer der genannten Einordnung in Belastungsarten ist weiterhin sehr wichtig,
nach dem zeitlichen Verlauf der Belastung zu unterscheiden. Wie später noch
gezeigt wird, reagiert der Werkstoff sehr unterschiedlich darauf, ob eine Belastung
quasi auf dem Bauteil ruht oder ob die Last das Bauteil periodisch belastet.
Periodische, zeitveränderliche Belastungen führen im Allgemeinen auf zeitverän-
derliche Werkstoffbeanspruchungen. Hinzu kommt, dass z.B. bei rotierenden
Wellen auch eine „ruhende“ Belastung am Bauteil zu einer periodischen Bean-
spruchung für den Werkstoff führt. In Abb. 3.2. werden zeitveränderliche Belas-
tungen am Beispiel eines Momentes bzw. einer Kraft gezeigt:
3.2 Belastungen, Schnittlasten und Beanspruchungen 75
3.2.1 Zugbelastung
Als Beispiel soll ein glatter Stab, der mit einer Zugkraft belastet wird, betrachtet
werden. Wenn die Wirklinie der Kräfte mit der Stablängsachse zusammenfallen,
kann die Spannung in einem zur Stablängsachse senkrechten Querschnitt, unab-
hängig von der Form des Querschnitts, als gleichmäßig verteilt angenommen
werden. Die Zugspannung lässt sich aus der Normalkraft F und der Querschnitts-
fläche A nach der Beziehung ermitteln:
76 3 Grundlagen der Festigkeitsberechnung
F (3.3)
Vz
A
Abb. 3.3. Zugbelastung eines Stabes, Beanspruchung abhängig von der Schnittrichtung
Erfolgt die Schnittführung nicht senkrecht zur Kraftrichtung, sondern wie in Abb.
3.3. unten, so wird die Längskraft in je eine Komponente normal und parallel zur
Schnittfläche zerlegt. Außer der Normalspannung tritt zusätzlich noch eine
Schubspannung auf. Dies bedeutet, dass die Beanspruchung abhängig von der
Schnittrichtung ist, siehe auch nachfolgende Abbildung. Die Spannungskompo-
nenten lassen sich in folgender Weise ermitteln, siehe auch [Hag95]:
Normalspannung
FN F cos M F (3.5)
VM cos 2 M V z cos 2 M
AM A A
cos M
Schubspannung
3.2 Belastungen, Schnittlasten und Beanspruchungen 77
FT F sin M F (3.6)
WM cos M sin M V z cos M sin M
AM A A
cos M
Dabei bedeuten:
FN = F cos M Kraft normal zur Schnittfläche AM
FT = F sin M Kraft tangential zur Schnittfläche AM
AM Geneigte Querschnittsfläche
M Neigungswinkel von AM gegenüber A
Vz Zugspannung im Querschnitt A normal zur Kraft F
Die am Bauteil anliegende Zugspannung V z soll kleiner sein als ein Werkstoff-
kennwert V Grenz , der z.B. ein Festigkeitsgrenzwert Rm sein könnte:
V Grenz (3.7)
V z d V z, zul
S
mit V z, zul Zulässige Zugspannung in N/mm2
V Grenz Werkstoffkennwert in N/mm2 (z. B. Re oder Rm )
S Sicherheitsfaktor
'l l1 l0 (3.8)
H
l0 l0
Vz E H (3.10)
Die maximal zulässige Dehnung wird häufig, wie oben bei der Festigkeitsbedin-
gung dargelegt, durch die Streckgrenze des Werkstoffes bestimmt. Bei einer
Dimensionierung eines Bauteiles nach Steifigkeit, das heißt Begrenzung auf eine
für die Funktion des Bauteiles zulässige Verformung, wird die Streckgrenze des
Werkstoffes nur in seltenen Fällen erreicht. In den meisten Fällen weisen „steife
Bauteile“ nur mittlere bis kleine Dehnungen und damit auch nur mittlere Bean-
spruchungen ( # Spannungen) auf.
Außer der Dehnung infolge der Krafteinwirkung ist die Dehnung durch Tempe-
raturänderung zu erwähnen. Bei einer Temperaturdifferenz 'T und dem linearen
Wärmeausdehnungskoeffizienten D ist die thermisch verursachte Dehnung H t
allgemein :
Ht D 'T (3.11)
Die Dehnung bei Temperaturdifferenz und äußerer Belastung und damit Bean-
spruchung V ist dann:
V (3.12)
H D 'T
E
3.2.2 Druckbelastung
3.2.2.1 Druckbeanspruchung
Am zuvor behandelten Beispiel eines glatten Stabes, der mit Druck in Längsrich-
tung belastet wird, ergeben sich negative Spannungen, da die einwirkenden
Längskräfte zu negativen Schnittlasten führen. Es gilt beispielsweise für einen
kreisrunden Querschnitt mit dem Durchmesser d:
4 F (3.13)
Vd 0
S d2
Eine zu Abb. 3.3. entsprechende Abbildung für Druckbelastung kehrt alle Vektor-
pfeile in ihrer Richtung um, das Bild bleibt sonst völlig identisch. Die Schubspan-
nungen nach Gleichung (3.6) und Normalspannungen nach Gleichung (3.5) sind
wie bei der Zugbelastung mit dem einen wichtigen Unterschied, dass V d 0
einen Zahlenwert kleiner Null besitzt.
Alle anderen Beziehungen, die bei der Zugbelastung und den damit verursach-
ten Zugspannungen gelten, gelten für Druckspannungen analog mit umgekehrten
Vorzeichen. Die bei Zug eintretende Dehnung wird hier mit negativem Vorzei-
chen zur Stauchung; negative Temperaturdifferenzen verkürzen den Stab, haben
entsprechende negative Dehnungen (= Stauchungen bzw. Verkürzungen) zur
Folge.
Zu beachten ist, dass sich die Beanspruchungen bei Druckbelastung zwar ganz
analog zu den Beanspruchungen bei Zugbelastung ergeben, dass aber das Verhal-
ten des Werkstoffes bei Druck häufig ganz anders ist als bei Zug!
3.2.2.2 Flächenpressung
Neben der Druckbeanspruchung in Bauteilen wird der Begriff der Flächenpres-
sung verwendet, wenn zwei Bauteile durch eine Kraft F gegeneinander gepresst
werden. Abb. 3.6. zeigt ein einfaches Beispiel. Vereinfachend wird angenommen,
dass die Pressung in der Berührfläche gleichmäßig sei. Die Flächenpressung ist
dann:
F (3.14)
p
Ap
Die Flächenpressung stellt eine (zum Teil grobe) Näherung dar, die aber im
Maschinenbau für sehr viele Dimensionierungen verwendet wird. Im Kapitel
Dimensionierung und Festigkeitsnachweis wird noch weiter darauf eingegangen.
3.2.3 Biegebelastung
Charakteristisch an der Biegebeanspruchung ist, dass sich auf einer Seite des
Bauteiles Druckspannungen und auf der anderen Seite Zugspannungen ausbilden.
In der Mitte (genauer im Schnittpunkt der Hauptträgheitsachsen) befindet sich die
neutrale Faser mit der Biegespannung null. Die Spannungsverteilung ist über dem
Querschnitt linear und demzufolge am Rand am größten. Die Randspannung
berechnet sich, wie aus der Mechanik bekannt, zu:
Mb (3.15)
V b z z
Iy
Iy 2
³ z dA (3.16)
A
Wobei dA das Flächenelement ist. Die höchste Spannung tritt am Rand auf, das
heißt bei z max und hat den Betrag:
Mb (3.17)
V b, max V b z max z max
Iy
Da häufig nur die größte Spannung von Interesse ist, wird auch das Widerstands-
moment Wy I y z max zur Berechnung der Biegespannung verwendet. Zu beach-
ten ist, dass bei unsymmetrischen Querschnitten die Beträge der Spannungen in
den Randfasern auf der Druck- und Zugseite nicht gleich groß sind. Je nach
verwendetem Werkstoff sind aber die zulässigen Spannungswerte für Druck und
Zug ggf. verschieden, so dass nicht immer die höchste Spannung die größte
Gefährdung darstellt.
Tabelle 3.1. zeigt für elementare Querschnitte die axialen Flächenträgheits- und
Widerstandsmomente, weitere Hinweise in [Dub01], [Hag95], [Schn98].
Die neutrale Faser geht durch den Flächenschwerpunkt der Querschnittsfläche,
dessen Lage bei zusammengesetzten Querschnitten nach dem Satz von Steiner
folgendermaßen ermittelt werden kann (Abb. 3.8.):
Aa A1 a1 A2 a2 A3 a3 (3.18)
3.2 Belastungen, Schnittlasten und Beanspruchungen 83
S D 4 d 4 S D 4 d 4
Iy Iz Wy
64 32 D
b h3
Iy b h2
12 Wy
6
b h3 b h2
Iy Wy
36 24
b3 h b2 h 2
Iz Wz für e h
48 24 3
2 2
h 2 b1 4b1 b2 b2
2
h 3 b1 4b1 b2 b2
2 Wy
Iy 12 2b1 b2
36 b1 b2
h 2b1 b2
für e
3 b1 b2
Das axiale Flächenträgheitsmoment wird bei Profilen, die sich aus einfachen
Querschnitten zusammensetzen, auf die durch den Flächenschwerpunkt gehende
neutrale Faser (Nulllinie) bezogen und nach dem Satz von Steiner berechnet. Das
Flächenträgheitsmoment eines zusammengesetzten Querschnitts ist gleich:
x Summe der Einzelflächen-Trägheitsmomente
plus x Summe der Einzelflächen multipliziert mit dem Abstandsquadrat
der Einzelschwerpunkte zum Gesamtschwerpunkt
Für das Beispiel in Abb. 3.8.:
Iy
I y1 A1 a1 a 2
I y2 A2 a 2 a 2
I y3 A3 a3 a 2 (3.20)
Iy (3.21)
Wy
y max
3.2.4 Schubbelastung
Werden Bolzen, Balken oder Wellen durch eine Querkraft belastet, so liegt eine
Schubbeanspruchung vor, die auch als Scherbeanspruchung bezeichnet wird,
wenn vernachlässigbare Biegebeanspruchung vorliegt. In Abb. 3.9. wird eine
Scherbeanspruchung gezeigt. Bei jedem Biegebalken liegt auch Schubbeanspru-
chung vor, die aber in vielen Fällen vernachlässigt werden kann, weil die Biege-
beanspruchungen bei gestreckten Trägern, wenn z. B. l/d > 5 ist, weit überwiegen.
3.2 Belastungen, Schnittlasten und Beanspruchungen 85
Ist das Bauteil dagegen nicht langgestreckt sondern eher gedrungen, so überwiegt
in diesen Fällen die Verformung infolge der Schubbeanspruchung.
Die äußere Last F bedingt als Schnittkraft die Querkraft Q , die im Gleichge-
wicht mit den über die Schnittfläche A summierten Schubspannungen τ steht.
Q = ³ τ dA (3.22)
In sehr vielen Fällen wird als Näherung eine mittlere Schubspannung, die dann
konstant über den Querschnitt verteilt ist, ermittelt.
Q (3.24)
τm =
A
Diese Näherung unterstellt eine Bewertung mit so genannten Nennspannungen,
auf die noch im Abschnitt Festigkeitsnachweise eingegangen wird. Bei einem
Kreisquerschnitt beträgt die reale Schubbeanspruchung 4/3 der mittleren Schubbe-
anspruchung.
4 Q (3.25)
für Kreisquerschnitt τ max xz =
3 π ⋅ r2
Abb. 3.10. zeigt für einen Kreisquerschnitt den realen und den als Näherung
angenommen Verlauf. Im realen Fall gibt es keine Schubspannungen am Rand
(d.h. an der Oberfläche), bei der Vereinfachung werden auch Schubspannungen an
der Oberfläche angenommen, in der Querschnittmitte wird dafür die auftretende
Schubspannung unterbewertet.
86 3 Grundlagen der Festigkeitsberechnung
3.2.5 Torsionsbelastung
Wird ein gerader Stab (z. B. Träger, Balken oder Welle) an den Enden mit zwei
entgegengesetzt gerichteten Torsionsmomenten belastet, so wird der Stab mit
reiner Torsion beansprucht (Abb. 3.11.).
Mt d Mt (3.27)
W t, max
It 2 Wt
It 2 4
³ r dA Torsionsträgheitsmoment [mm ]
Wt Torsionswiderstandmoment [mm4]
z Abstand von der neutralen Faser [mm]
Die Annahme einer linearen Spannungsverteilung gilt nur für kreisförmige
Querschnitte. Gleichung (3.27) darf deshalb bei anderen Querschnittformen nicht
angewendet werden. Torsionsträgheits- und Widerstandmomente sind in Tabelle
3.2. für einfache Querschnitte gezeigt.
S D 4 d 4 S D 4 d 4
It Wt
32 16 D
b4 h4 b3 h3
It | Wt |
46,19 26 20 13
*
2
4 b h
Iz Wt 2 h b t min
2b t1 h t 2
c1 c1
It c1 h b 3 c1 n b 4 Wt h b2 n b3
c2 c2
*
88 3 Grundlagen der Festigkeitsberechnung
*mit:
h b n t1 N=h/b 1 1,5 2 3 4 6 8 10 f
Wie schon bei Zugbelastung gezeigt, hängen auch bei Torsionsbelastung die
Spannungen von der zugrunde gelegten Schnittrichtung ab. Betrachtet man an der
Wellenoberfläche ein Element, bei dem die Seiten parallel und normal zur x-
Achse verlaufen, greifen nur Torsionsspannungen an. Liegt das betrachtete
Element an der Außenfläche der Welle, dann haben diese Torsionsspannungen
ihren Maximalwert. Wird das Element so gedreht, dass seine Seiten unter 45q zur
x-Achse verlaufen, dann wirken an den Schnittflächen nur Normalspannungen,
d.h. die Torsionsspannungen haben den Wert Null. Die Normalspannungen ( V 1
und V 2 ) sind dann Hauptspannungen. Diese Beziehungen sind im Mohr’schen
Spannungskreis in Abb. 3.12. dargestellt.
3.2.6.3 Normalspannungshypothese
Die Normalspannungshypothese kommt zur Anwendung, wenn mit einem Trenn-
bruch in einer Ebene senkrecht zur größten Hauptspannung zu rechnen ist. Dies ist
zu erwarten wenn:
x Ein spröder Werkstoff vorliegt (z.B. GG 25 ~GJL-200 nach DIN EN 1561) und
/ oder tiefe Temperaturen zu Brüchen ohne plastische Verformung führen (bei
statischer Last).
x Die Verformungsmöglichkeit für den Werkstoff behindert ist, wie es z.B. bei
Schweißnähten der Fall sein kann.
x Spröde Werkstoffe dynamisch belastet werden.
Vv V1 (3.32)
3.2.6.4 Schubspannungshypothese
Die Schubspannungshypothese unterstellt das Versagen des Werkstoffes durch
Fließen oder durch Schubbruch. Nach der Schubspannungshypothese ist die
größte im Bauteil auftretende Schubspannung W max maßgebend für das Versagen.
Die größte Schubspannung ist beim dreiachsigen Spannungszustand:
Vv V1 V 3 2 W max (3.35)
3.2.6.5 Gestaltänderungsenergiehypothese
Die Gestaltänderungsenergiehypothese (GEH) leitet sich aus der Fließbedingung
nach von Mises [Mis13] ab, wonach das Fließen des Werkstoffes bei isotropem
Verhalten von der Lage des Koordinatensystems unabhängig sein muss und der
hydrostatische Spannungszustand keinen Beitrag zum Fließen liefert. Eine aus-
führliche Darstellung befindet sich in [Iss97]. Die auch als „von Mises“ Hypothe-
se bezeichnete Festigkeitshypothese liefert als Vergleichspannung, bei der Versa-
gen (=Fließen) stattfindet:
1 (3.36)
Vv
2
> 2 2
V 1 V 2 V 2 V 3 V 3 V 1
2
@
bzw. ausgedrückt in Raumkoordinaten:
92 3 Grundlagen der Festigkeitsberechnung
(3.37)
Vv >V x
2 2 2
V y V z V x V y V y V z V x V z
2 º
2 2
3 W xy W yz W zx »
¼
Der zweiachsige und einachsige Spannungszustand lässt sich aus Gleichung (3.37)
durch Nullsetzen der entsprechenden Komponenten ableiten. Die GEH gilt für
verformbare Werkstoffe, die durch plastische Verformungen versagen, ebenso bei
schwingender Beanspruchung mit dem Versagen durch Dauerbruch. Die GEH
findet bei entsprechendem Werkstoffverhalten sehr häufige Anwendung im
Maschinenbau. Deshalb werden die Spannungszustände einachsig und zweiachsig
nochmals explizit gezeigt:
(3.38)
Vv >V x
2
3W xy
2
@
(3.39)
Vv >V x
2 2
V y V x V y 3 W xy @ 2
Es existieren noch weitere Hypothesen, auf die hier nicht weiter eingegangen
werden soll [Iss97]. Die aus der Kontinuummechanik begründeten Festigkeits-
hypothesen setzen homogene und isotrope Werkstoffe voraus. Da dies im Normal-
fall nicht gegeben ist, gibt es auch Modifikationen der Hypothesen, die z.B.
Werkstoffkennwerte für Zug und Druck unterschiedlich berücksichtigen. Ein
weiterer und sehr wichtiger Punkt ist aber auch folgender:
Die formale Anwendung der Festigkeitshypothesen birgt eine Reihe von Gefah-
ren. So sollten beispielsweise nicht Spannungskomponenten „aufsummiert“
werden, die einen zeitlich unterschiedlichen Verlauf haben. Für statische Lasten
oder synchrone dynamische Lasten können die genannten Hypothesen verwendet
werden, jedoch ist zu bedenken, dass die Spannungskomponenten am gleichen Ort
wirken müssen und dass bei Kerben (der Begriff wird folgend noch genauer
behandelt) unterschiedliche Spannungserhöhungen auftreten, die in der Festig-
keitshypothese mit berücksichtigt werden müssen. Auch müssen die auftretenden
Spannungen unterhalb der Streckgrenze, (d.h. die bleibenden Dehnungen müssen
sehr klein sein), bleiben, da sonst weitere Einflüsse zu berücksichtigen sind. Da
nur in seltenen Fällen homogene Spannungszustände vorliegen, werden in Be-
rechnungsvorschriften häufig Modifikationen der Festigkeitshypothesen vorge-
nommen, die aus einer Festigkeitshypothese eine Interaktionsformel zur Behand-
lung der Spannungskomponenten ableiten. Diese Interaktionsformeln ähneln den
bekannten Festigkeitshypothesen und sind durch experimentelle Untersuchungen
in einem bestimmten Wertebereich verifiziert. Hierzu folgen weitere Erläuterun-
gen im Abschnitt Festigkeitsnachweise.
3.2 Belastungen, Schnittlasten und Beanspruchungen 93
Zu beachten ist, dass die Knicklast nicht von der Festigkeit des Werkstoffes,
sondern nur vom E-Modul abhängt. Wie später noch gezeigt wird, spielt die
Festigkeit dann eine Rolle, wenn der Stab keinen hohen Schlankheitsgrad besitzt.
Die berechnete Knicklast gilt für den in Abb. 3.14. gezeigten Stab mit seinen
Lagerungsbedingungen. Bei anderen Lagerungsbedingungen ändert sich die
Knicklast. Um dies zu beschreiben, soll die „freie Knicklänge“ s eingeführt
werden, die sich mit der Art der Einspannung ändert, siehe Abb. 3.15. Die kriti-
sche Knicklast ist für die sog. Eulerschen Knickfälle entsprechend Gleichung
(3.43):
S 2 E Iy (3.43)
FK 2
s
Und daraus resultierend die zugehörige Knickspannung (dies entspricht der
Spannung, die bei der kritischen Last anliegt). Diese muss kleiner als die zulässige
Druckspannung sein.
FK S 2 E (3.44)
VK d V p bzw. Re
A O2
Mit den bislang behandelten Größen kann eine Belastung für einen Stab ermittelt
werden, die gerade an der Grenze zum Ausknicken liegt. Das Ergebnis Gleichung
(3.43), bzw. (3.44) zeigt, dass mit schlanker werdendem Stab nur kleinere Lasten
zulässig sind, wobei eine rein elastische Beanspruchung des Werkstoffes unter-
stellt wird. In Abb. 3.16. wird die Euler-Hyperbel gezeigt, mit der die Gebiete der
kritischen Last abgegrenzt werden können, sofern der Stab hinreichend schlank ist
und sein Versagen durch Knicken eintritt.
Abb. 3.16. Euler-Hyperbel für den Bereich der elastischen Knickung am Beispiel von
2
Baustahl mit Re 240 N mm , V p | zulässige Druckspannung bei Grenzschlankheit
Das Versagen des Stabes unter Druckbelastung kann aber eine weitere Ursache
haben: Wird ein Stab betrachtet, der gedrungener ist, das heißt dicker im Quer-
schnitt und kürzer, so wird der Stab gar nicht mehr die Tendenz zum Ausknicken
haben! Dann tritt das Versagen ein, wenn die zulässige Druckspannung V p des
Werkstoffes, bestimmt durch Re oder Rp0,2 , erreicht wird. Der Stab wird dann
nicht knicken, er wird zerquetscht werden [Sza75]. Der Übergang vom elastischen
Knicken zum plastischen Knicken und Druckfließen geschieht bei der sogenann-
ten Grenzschlankheit O , bei der im Beispiel Abb. 3.16. eine zulässige Druckbean-
spruchung von V p 192 N mm 2 vorliegt. Wird in Abb. 3.16. der Wert von Re
als Obergrenze für eine Belastung bzw. Beanspruchung eingetragen, so wird
deutlich, dass Stäbe nur unterhalb des dann entstandenen Kurvenzuges nicht
versagen. Wobei das Versagen für große Werte O durch Knicken passiert und für
kleine Werte, also kurze dicke Stäbe, durch Zerquetschen (= Druckfließen) des
Materials.
Der Übergang vom Knicken zum Druckfließen (Quetschen) geschieht aller-
dings stetig. Für das Versagen des Stabes durch Fließen des Materials sind für
kleine Werte O Näherungslösungen erarbeitet worden. Eine häufig verwendete
Methode wurde von Tetmajer vorgestellt [Dub01]. Tabelle 3.3. gibt Gleichungen
für die Tetmajer-Gerade für verschiedene Werkstoffe an.
Der Verlauf der Knickspannung ist unter Einbeziehung der Tetmajer-Geraden
in Abb. 3.16. gezeigt. Bei O 0 begrenzt die Fließgrenze Re die maximal zulässi-
ge Druckbelastung; von Knickspannung an diesem Punkt zu sprechen ist eigent-
lich unpassend, da der Stab nur gequetscht wird. Mit größerer Schlankheit kommt
die Tetmajer-Gerade zum Tragen, der Stab knickt aus und erfährt dabei auch
plastische Verformungen. Bei der sogenannten Grenzschlankheit (im Beispiel
96 3 Grundlagen der Festigkeitsberechnung
2
Abb. 3.16. für Stahl mit Re 240 N mm und Rm =370 N/mm2) mit O 104
kommt die Euler Hyperbel als Begrenzung der zulässigen Knickspannung im
elastischen Bereich zum Tragen. Da der Wert bei O 0 auf der Tetmajer-Geraden
nicht erreicht werden kann, gibt die in Abb. 3.16. eingezeichnete stichpunktierte
Linie in etwa den zu erwartenden Verlauf wieder.
Tabelle 3.3. Grenzschlankheit O0 , E-Modul und Gleichungen für die Tetmajer-Gerade für
unterschiedliche Werkstoffe
Diese Betrachtungen zum Ausknicken von Stäben zeigen bei praktischen Inge-
nieuranwendungen allerdings erhebliche Abweichungen zwischen Theorie und
Praxis. Die Ursache liegt darin, dass ein Stab nie exakt gerade ist, weiterhin
erfolgt die Belastung in der Praxis kaum in der genauen Mitte des Stabes. Diese
Umstände führen dazu, dass die wirklichen Knicklasten in vielen Fällen erheblich
kleiner sind als die theoretisch berechneten. Aus diesem Grund werden bei
rechnerischen Abschätzungen erhebliche Sicherheitsfaktoren eingebracht. Diese
betragen im Bereich der Euler-Hyperbel 5 bis 10 (!), im nicht-elastischen Bereich
ca. 3 bis 8.
Ein sehr ähnliches Problem wie das Knicken von Stäben stellt das Beulen von
Schalen oder Platten dar. Infolge einer kritischen Belastung beult das Bauteil aus
und es nimmt eine neue stabile Gleichgewichtslage ein.
Für diesen Fall ist das Gleichgewicht nach den Regeln der Mechanik am ver-
formten (ausgelenkten) System zu behandeln. Als Lasten kommen vor allem
Druckbeanspruchungen und Schubbeanspruchungen in Frage. Zum Beispiel ist
eine dünnwandige Hohlwelle, wie sie als Gelenkwelle zum Einsatz kommen kann,
bei Überlastung mit Drehmoment beulgefährdet. Bei Leichtbaukonstruktionen, die
aus Balkenkonstruktionen mit dünnwandigen Blechbeplankungen als Schubfelder
ausgeführt werden, können Druck- oder Schubspannungen das Beulen verursa-
chen. Solche Konstruktionen sind im Flugzeugbau, aber auch an anderen Stellen
mit Leichtbauanforderungen zu finden. Weitere Informationen sind spezieller
Literatur zu entnehmen [Kle89, Dub0l].
mit der Theorie von Hertz [Brä95, Dahl94] berechnet werden. Der Theorie liegen
folgende idealisierende Voraussetzungen zugrunde:
1. Der Werkstoff beider Körper ist homogen und isotrop.
2. In der Druckfläche treten nur Normalspannungen auf.
3. Der Werkstoff wird bei beiden Körpern nur rein elastisch verformt.
Obwohl diese drei Voraussetzungen in praktischen Fällen nie gleichzeitig ein-
gehalten werden, liefert die Hertzsche Theorie brauchbare Näherungen für die
Verformung und Druckspannung zwischen den Körpern.
3.2.8.1 Krümmungsverhältnisse
Es werden zwei allseitig gekrümmte Körper betrachtet, die mit der Kraft F
gegeneinander gepresst werden. In Abb. 3.17. wird die Berührung zweier allseitig
gekrümmter Körper unter der Kraft F gezeigt. Die Kontaktellipse wird durch die
beiden Halbachsen a und b gekennzeichnet. Weiterhin sind im Bild die sich
einstellenden Hauptkrümmungsebenen und die sich einstellenden Radien
r11 , r12 , r21 r2 2 gezeigt. Der erste Index kennzeichnet den Körper, der zweite die
Krümmungsebene. Der Reziprokwert des Radius wird Krümmung U genannt. Das
Vorzeichen von U ist positiv, wenn der Krümmungsmittelpunkt im Körper liegt
(konvexe Krümmung, wie sie z.B. an einer Rolle vorliegt). Die Krümmung
U wird negativ, wenn der Krümmungsmittelpunkt außerhalb des Körpers liegt,
wie es z. B. bei der Innenkontur eines Ringes der Fall ist.
cosW [ K 2k S[ cosW [ K 2k S[
0,9975 13,15 0,220 0,266 0,70 1,91 0,607 0,859
0,9925 8,68 0,271 0,356 0,65 1,77 0,637 0,884
0,9875 7,13 0,299 0,407 0,60 1,66 0,664 0,904
0,9825 6,26 0,319 0,444 0,55 1,57 0,690 0,922
0,9775 5,67 0,336 0,473 0,50 1,48 0,718 0,938
0,9750 5,44 0,343 0,486 0,45 1,41 0,745 0,951
0,9700 5,05 0,357 0,509 0,40 1,35 0,771 0,962
0,9600 4,51 0,378 0,546 0,35 1,29 0,796 0,971
0,9500 4,12 0,396 0,577 0,30 1,24 0,824 0,979
0,9300 3,59 0,426 0,626 0,25 1,19 0,850 0,986
0,9100 3,23 0,450 0,664 0,20 1,15 0,879 0,991
0,8850 2,82 0,485 0,715 0,15 1,11 0,908 0,994
0,8000 2,30 0,544 0,792 0,10 1,07 0,938 0,997
0,7500 2,07 0,577 0,829 0,05 1,03 0,969 0,999
Die folgenden Gleichungen gelten für Körper aus gleichen Werkstoffen. Werden
verschiedene Werkstoffe mit unterschiedlichen Materialwerten E1, Q 1 und E2, Q 2
eingesetzt, so ist jeweils der Ausdruck
1 Q 1
2 2
1 §¨ 1 Q 1 1 Q 2
2
· (3.46)
zu ersetzen durch ¸
E1 2 ¨© E1 E2 ¸
¹
3F 1 Q 2 (3.47)
2a 2[ 3
E ¦U
(3.49)
2b 2K 3
3F §¨ 1 Q 1
2
1 Q 2
2
·¸
2 ¦ U ¨© E1 E2 ¸
¹
Die Fläche der Ellipse ist dann:
(3.50)
Ap
ª 3F 1 Q 2
S ab S [K 3 «
º» 2
«¬ E ¦ U »¼
8F 1 Q 2 (3.51)
2b 2
leff S E ¦ U
Die Berührflächen zwischen Kugel und Ebene bzw. zwischen Rolle und Ebene
werden ermittelt, indem die Radien des Gegenkörpers nach Unendlich gehen,
r2 o f und die Krümmungen zu Null werden, U 2 o 0 .
mit leff in [mm] und F in [N], gütig für die Paarung Stahl/Stahl.
§ · (3.58)
¨ ¸
¨ ª z z
§ · º 1 ¸
Vr pmax ¨ 1 Q «1 arctan¨ ¸» ¸
¨ ¬ a © a ¹¼ ª§ z · 2 º ¸
¨ 2 «¨ ¸ 1» ¸
¬«© a ¹
¨ ¸
© ¼» ¹
§ · (3.59)
¨ ¸
¨ 1 Q ª z § z ·º 3 1 ¸
W p max ¨ «1 arctan¨ ¸» ¸
¨ 2 ¬ a © a ¹¼ 4 ª§ z · 2
º¸
¨ «¨ ¸ 1» ¸
¨
© «¬© a ¹ »¼ ¸¹
Für den Fall Zylinder auf Ebene zeigt Abb. 3.21. die angenäherte Pressungsvertei-
lung und die Spannungsverteilung. Die Spannungen ergeben sich für y=0:
3.2 Belastungen, Schnittlasten und Beanspruchungen 103
§ · (3.60)
¨ ¸
¨ 1 ¸
Vz p max ¨ ¸
¨ 2 ¸
§z·
¨¨ 1 ¨ ¸ ¸¸
© ©a¹ ¹
§ 2 · (3.61)
¨ §z· ¸
¨ §z· 1 2¨ ¸ ¸
Vy p max ¨ 2¨ ¸ ©a¹ ¸
¨ ©a¹ §z·
2 ¸
¨¨ 1 ¨ ¸ ¸¸
© ©a¹ ¹
§ 2 · (3.62)
¨ §z· ¸
¨§ z · ¨ ¸ ¸
a
W p max ¨ ¨ ¸ © ¹ ¸
a
¨© ¹ §z·
2 ¸
¨¨ 1 ¨ ¸ ¸¸
© ©a¹ ¹
Das Verhalten des Werkstoffes ist stark vom zeitlichen Verlauf der Belastung
(siehe auch Abb. 3.2.) und damit auch vom zeitlichen Verlauf der Beanspruchung
abhängig. Der wichtigste Unterschied besteht in der Tragfähigkeit bei statischer
Beanspruchung oder dynamischer Beanspruchung. Bei statischer Belastung kann
der Werkstoff im Allgemeinen deutlich höhere Lasten bzw. Beanspruchungen
ertragen. Da das dynamische Verhalten grundsätzlich anders als das statische
Verhalten der Werkstoffe ist, wird dieses folgend ausführlicher behandelt.
Wenn hier das Werkstoffverhalten behandelt wird, so ist damit zunächst das an
einem glatten Probestab im Labor ermittelte Werkstoffverhalten gemeint. Das
Verhalten des Werkstoffes in einem Bauteil unterscheidet sich davon aufgrund
von Kerben und anderen Einflüssen. Diese Einflüsse werden später behandelt.
Eine statische Beanspruchung liegt vor, wenn der zeitliche Verlauf der Belastung
oder Spannung wie in Abb. 3.22. erfolgt.
In Abb. 3.22. wird eine zuerst zügig ansteigende und dann eine ruhende, konstant
bleibende Belastung gezeigt. Eine zügige Beanspruchung erlaubt hohe zulässige
Werkstoffkennwerte, weil der Werkstoff dabei nicht zerrüttet wird. Treten wie-
derholte Lastwechsel oder Lastspiele auf, so muss die zulässige Spannung kleiner
angesetzt werden als bei einer einmaligen Belastung.
Die zulässigen Spannungen werden unter einachsiger Beanspruchung, z.B. mit
einem Zug-Probestab, ermittelt. Im Regelfall wird ein Zerreiß- oder/und ein
Druckversuch durchgeführt und das Spannungs-Dehnungs-Diagramm für den zu
untersuchenden Werkstoff aufgenommen. Nach Abb. 3.23. werden Werkstoffe mit
und Werkstoffe ohne ausgeprägte Streckgrenze Re bei Zugbelastung bzw.
Quetschgrenze Re d bei Druckbelastung unterschieden.
Die Streck- oder Quetschgrenze Re oder Re d ist diejenige Grenzspannung, bei
deren Überschreitung eine plastische Verformung, d.h. ein Fließen des Werkstof-
fes beginnt und nach Entlastung eine bleibende Verformung vorliegt.
Die Zugspannung (Bruchspannung) Rm ist höchste auftretende Spannung vor
dem Bruch des Probestabes bei Zugbeanspruchung, (Werkstoffkennwert).
Die 0,2% -Dehn- bzw. die 0,2%-Stauchgrenze Rp0,2 ist die Spannung durch die
nach völliger Entlastung eine bleibende plastische Dehnung oder Stauchung von
0,2% zurückbleibt. Am häufigsten werden die Werkstoffwerte bei Raumtempera-
tur ermittelt. Die Bezeichnungen bzw. Kenngrößen werden in Tabelle 3.5. aufge-
führt.
Re d plastische
Druck Druckfließgrenze Re
Verformung
Rp 0,2 d Rp 0,2 plastische
0,2% Stauchgrenze
Verformung
Druckfestigkeit Rm d - Bruch
VbF Re plastische
Biegung Biegefließgrenze
Verformung
V b 0,2 Rp 0,2 plastische
0,2% Biegedehngrenze
Verformung
Biegefestigkeit VbB - Bruch
gen (Spannungen) liegen häufig deutlich unter den zulässigen Spannungen, weil
z.B. bei Getriebewellen nur sehr kleine Durchbiegungen zulässig sind.
Dauerbruch an Straßenbahnradsatzwelle,
Foto: Wiener Linien
Abb. 3.25. Auswirkung von Kerben am Beispiel des Zugstabes nach [Iss97]
a) zeigt die Nennspannungserhöhung
b) zeigt die Überlagerung von Sekundärspannungen (Biegespannungen)
c) zeigt die infolge der Kerbe entstehenden Spannungsspitzen
3.3.2.1 Nennspannung
Unter der Nennspannung wird die Spannung V n bzw. W n verstanden, die aus der
anliegenden Schnittlast und dem Flächenquerschnitt-Kennwert (bei Biegung das
Widerstandmoment; bei Zug/Druck die Querschnittfläche etc.) berechnet wird,
wie es im Abschnitt, Belastungen, Schnittlasten und Beanspruchungen dargestellt
wurde. Wichtig ist dabei, dass der an der betrachteten Stelle wirklich vorhandene
Querschnitt zu Grunde gelegt wird. Der Wert der Nennspannung gibt nur dann die
wirkende Spannung wieder, wenn keine Kerbwirkung vorhanden ist. Die errech-
nete Nennspannung ist im Allgemeinen eine fiktive Größe, oder auch Kenngröße,
die für weitere Betrachtungen zweckdienlich ist.
Vereinfacht gibt die Nennspannung „Kraft pro Fläche“ oder allgemein „Belas-
tung pro Flächenkennwert“ wieder.
3.3.2.2 Kerbspannung
Die Kerbspannung oder auch Kerbgrundspannung gibt die in einer Kerbe im
Allgemeinen an der Oberfläche wirkende höchste Spannung wieder. Der Span-
nungsverlauf mit Berücksichtigung der Kerbspannungen ist in Abb. 3.25. für
einen Zugstab gezeigt. Die größte Kerbspannung wird mit V max bzw. W max be-
zeichnet. Die Summation der Kerbspannung über den gesamten Querschnitt ergibt
aus Gleichgewichtsgründen die äußere Last, wie es bei der Nennspannung eben-
falls der Fall ist.
3.3.2.3 Formzahl
Die Formzahl gibt das Verhältnis zwischen höchster Kerbspannung und Nenn-
spannung am Ort der höchsten Kerbspannung wieder, siehe Abb. 3.26., wobei ein
homogener, isotroper Werkstoff vorausgesetzt wird.
max.Kerbspannung V max W (3.65)
Dk bzw. max
Nennspannung Vn Wn
Die Kerb- oder Formzahl hat nur Gültigkeit, wenn die Kerbspannung im linear-
elastischen Bereich des Werkstoffes bleibt. Kerbzahlen können je nach Schärfe
der Kerbe zwischen D k = 1 und 5 (!) liegen. Grundsätzlich lässt sich feststellen,
3.3 Werkstoffverhalten und Werkstoffe 111
V b max (3.67)
Dk b
Vbn
W t max (3.68)
Dk t
Wtn
Zu beachten ist, dass bei großer Formzahl schon bei vergleichsweise geringer
Nennspannung die Streckgrenze des Werkstoffes örtlich im Kerbgrund erreicht
wird.
In Abb. 3.27. wird ein Wellenstück mit eingestochener umlaufender Nut gezeigt.
Für die dargestellte Kerbform ergeben sich mit der relativen Nutgeometrie
Formzahlen von:
112 3 Grundlagen der Festigkeitsberechnung
D k zd = 1,9 Zugbeanspruchung
Dk b = 1,6 Biegebeanspruchung
Dk t = 1,3 Torsionsbeanspruchung
Durch die Kerbe wird im Kerbgrund eine Überhöhung der Spannung bei Zugbe-
anspruchung von 90% erreicht! Bei Biegebeanspruchung beträgt die Überhöhung
60% und bei Torsion 30%. In Abb. 3.27. sind die Spannungsverläufe qualitativ
über dem Querschnitt dargestellt.
dass die Summation, oder besser Integration der Spannungen über den gesamten
Querschnitt im Gleichgewicht mit der äußeren Last stehen muss. Da durch die
Kerbe im Kerbgrund überhöhte Spannungen auftreten, müssen an anderer Stelle
„zum Ausgleich“ niedrigere Spannungen herrschen.Der Betrag der Formzahl wird
häufig in Diagrammen dargestellt. Abb. 3.28. zeigt beispielhaft die Formzahl bei
Biegebeanspruchung für einen Rundstab mit Einstich und für einen Rundstab mit
Absatz.
Für geometrisch einfache Kerben in Form von Absätzen oder Einstichen kön-
nen Formzahlen einfach berechnet werden. Gegenüber den grafischen Darstellun-
gen, wie in Abb. 3.28. gibt es die Möglichkeit, eine Formeldarstellung zu nutzen,
die in Hinblick auf numerische Weiterverarbeitung günstig handhabbar ist. Eine
sehr kompakte Darstellung ist [Dub01] zu entnehmen. Tabelle 3.6. zeigt für Flach-
und Rundstäbe mit Absatz und Einstich die Berechnung der Formzahlen.
1
Dk 1
l
§ ·
¨ ¸
¨ 1 d ¸ (3.69)
A 2 r d
k
E¨ 3
¸ G
m
§ Dd · ¨§ d · ¸ § Dd ·
¨¨ 2 r ¸¸ ¨¨ ¸ ¸ D¨¨ ¸
¸
© ¹ ¨¨ 2r ¸ ¸
©© ¹ ¹ © 2r ¹
1
Dk 1
l
§ ·
¨ ¸
¨ 1 b ¸ (3.70)
A 2 r b
k
E¨ 3
¸ G
m
§ B b · ¨§ b · ¸ § B b·
¨¨ ¸¸ ¨¨ ¸ ¸ B¨¨ ¸¸
© 2r ¹ ¨¨ 2 r ¸ ¸
©© ¹ ¹ © 2r ¹
Am Bauteil stellt sich der Fließvorgang im Allgemeinen anders dar, weil Bau-
teilkerben die hohen Spannungen bedingen und damit das Fließen häufig nur in
vergleichsweise kleinen Zonen stattfindet. Die Abb. 3.31. zeigt eine Bauteilfließ-
kurve für ein mit einem Wellenabsatz gekerbtes Wellenstück. Die Bauteilfließkur-
3.3 Werkstoffverhalten und Werkstoffe 117
Abb. 3.31. Beispiel für Last- (Nennspannungs-) Maximaldehnungs- Verlauf bei überelasti-
scher Beanspruchung eines Bauteils (Fließkurve), nach [Iss97]
V u Unterspannung Vu V m V a (3.74)
Vu
R Spannungsverhältnis R (3.75)
Vo
3.3 Werkstoffverhalten und Werkstoffe 119
In Abb. 3.33.a) liegt eine ruhende Beanspruchung vor. Die sich einstellende
Spannung V kann auch als Mittelspannung V m verstanden werden. Eine
Spannungsamplitude liegt nicht vor.
In Abb. 3.33.b) liegt eine reine (Zug-) Schwellbeanspruchung vor. Dabei er-
reicht die untere Spannung V u den Wert Null, die Oberspannung V o ist doppelt
so groß wie die Mittelspannung.
In Abb. 3.33.c) liegt eine reine Wechselbeanspruchung des Werkstoffes vor.
Die Oberspannung V o ist identisch mit dem positiven Spannungsausschlag V a ,
die Unterspannung ist identisch mit dem negativen Spannungsausschlag V a , die
Mittelspannung V m ist Null.
In Abb. 3.33.d) liegt eine mittlere Beanspruchung mit V m vor, der eine dynami-
sche Ausschlagspannung V a überlagert ist.
Ein Begriff ist die sogenannte Schwellspannung V sch , die sich aus der
Schwingbreite (oder Doppelamplitude) 2V a ergibt, V sch 2V a . Zu beachten ist,
dass je nach Literaturstelle der Spannungsausschlag zur Beschreibung der Dauer-
120 3 Grundlagen der Festigkeitsberechnung
festigkeit verwendet wird oder auch die Schwingbreite, (bei Federn z.B. als
Hubspannung bezeichnet). Bezüglich der Indizierung der einzelnen Spannungen
ist vereinbart, dass als Indizes kleine Buchstaben die am Bauteil bei Belastung
auftretenden Spannungen und große Buchstaben die ertragbaren oder zulässigen
Spannungen (Festigkeitswerte) kennzeichnen.
Das Werkstoffverhalten bei dynamischer Belastung wird in Dauerschwingver-
suchen an Probestäben bei Zug-Druck, Biegung oder Torsion ermittelt. Dazu sind
viele kostspielige Versuche notwendig. Das Ergebnis der Versuche wird im
sogenannten Wöhler-Diagramm dargestellt. Im Wöhler-Diagramm ist die ertrag-
bare Spannungsamplitude V A linear über der logarithmisch aufgetragenen
Schwingspielzahl N dargestellt. Abb. 3.34. zeigt ein Wöhler-Diagramm.
Bei Schwellbelastung liegt eine Mittelspannung vor, die die gleiche Größe hat,
wie die Ausschlagspannung. Zugmittelspannungen erniedrigen die ertragbaren
Spannungen und damit auch den Dauerfestigkeitswert. Im Bereich kleiner Last-
wechselzahlen (Lastspiele) erreicht nun die Oberspannung schon den Wert der
Bruchfestigkeit, daher liegt die ertragbare Amplitude bei etwa 1 2 Rm . Der
Bereich niedriger Lastwechsel wird in der Literatur auch als „low cycle fatigue“
bezeichnet. Der Niedriglastwechselbereich und der Zeitfestigkeitsbereich sollen
hier nicht weiter vertieft werden.
Zum Zeitfestigkeitsbereich ist prinzipiell zu sagen: Ein Zeitfestigkeitswert ist
diejenige Spannung , die ein glatter polierter kreiszylindrischer Probestab vom Ø
10 mm bei dynamischer Belastung und konstanter Mittelspannung V m z 0 eine
bestimmte Schwing- oder Lastspielzahl N ohne Bruch oder schädigende Verfor-
mung gerade noch ertragen kann. Zeitfestigkeitswerte sind größer als die Dauer-
festigkeit des Werkstoffes und immer nur in Verbindung mit einer Lastspielzahl N
und deshalb mit einer Zeit- oder Lebensdauer anzugeben. Im Maschinenbau
werden Wälzlager überwiegend zeitfest dimensioniert. Im Flugzeugbau sind
aufgrund der Gewichtsersparnis zeitfeste Dimensionierungen bei der Flugzeug-
struktur und den Triebwerken sehr verbreitet.
Folgend wird der sehr wichtige Bereich der Dauerfestigkeit näher betrachtet.
Die Dauerfestigkeit eines Werkstoffes ist diejenige Spannung, die ein glatter,
polierter und kreiszylindrischer Probestab vom Ø 10 mm bei dynamischer Belas-
tung und konstanter Mittelspannung V m z 0 gerade noch beliebig lange ( N ! 10 7
für Stahl) ohne Bruch oder schädigenden Verformungen ertragen kann.
Allerdings zeigen jüngere Forschungsergebnisse, dass durch Einwirkung von
aggressiven Medien und/oder Korrosion eine wirkliche Dauerfestigkeit gar nicht
gegeben ist. Dennoch wird für viele Ingenieuranwendungen von einer Dauerfes-
tigkeit (näherungsweise) ausgegangen.
Im zuvor gezeigten Wöhler-Diagramm war schon zu erkennen, dass die anlie-
gende Mittelspannung den Dauerfestigkeitswert des Werkstoffes beeinträchtigt.
Eine zweckmäßige Darstellung des Mittelspannungseinflusses erfolgt mit einem
Dauerfestigkeitsschaubild nach Smith [Smi10] oder nach Haigh [Haig15]. In Abb.
3.32. ist ein Smith-Diagramm gezeigt. Beide Achsen sind linear skaliert, an der
Ordinate wird die Dauerfestigkeit V D und entsprechende Größen angetragen, an
der Abszisse wird die Mittelspannung V m angetragen. Charakteristisch ist die
Gerade unter einem Winkel von 45º, die die Mittelspannung angibt, von der die
ertragbaren (zulässigen) Spannungsausschläge V A nach oben und nach unten bis
zur Ober- und Unterspannung ( V O und V U ) abgelesen werden. Oberhalb der V m -
Geraden unter 45º wird das Dauerfestigkeitsschaubild durch die Oberspannung
V O und die Streck- oder Fließgrenze Re (V S oder V F ) bzw. die 0,2%-Dehngrenze
Rp 0, 2 (V 0, 2 ) begrenzt. Die untere Begrenzung bildet eine Linie der Unterspannung
V U bis zu der Stelle, die senkrecht unter dem Schnittpunkt der Oberspannung mit
der parallel zur V m -Achse verlaufenden Re oder Rp 0, 2 (V 0, 2 ) -Linie liegt, und ab
hier eine Linie, die linear bis zum Schnittpunkt der Re (V S ) oder Rp 0, 2 (V 0, 2 ) -Linie
mit der Geraden unter 45º verläuft. Im Diagramm sind die Beträge (Abstände)
122 3 Grundlagen der Festigkeitsberechnung
zwischen 45º-Linie und Oberspannungslinie immer gleich dem Abstand der 45º-
Linie zur Unterspannungslinie.
Die obere und die untere Randkurve des Dauerfestigkeitsschaubildes verlaufen so,
dass die senkrecht zur Abszisse gemessenen Abstände der beiden Linienzüge von
der Geraden unter 45º gleich groß sind. Diese senkrecht zur Abszisse gemessenen
Abstände der Ober- und der Unterspannung von der V m -Geraden unter 45º sind
die Spannungsausschläge V A , die für die einzelnen Werte der Mittelspannung
V m1 (betrachtet wird der „Zustand 1“) zugelassen werden können. Man sieht, dass
die V A -Werte mit zunehmenden Werten von V m1 kleiner werden und bei
V m1 Re (V S ) oder V m1 Rp0,2 (V 0, 2 ) den Wert V A 0 haben. Bei V m1 0 (reine
Wechselbeanspruchung) hat V A den Wert V A V W Wechselfestigkeit. Bei
V m1 V A (reine Schwellbeanspruchung) entspricht die ertragbare Oberspannung
V O der Schwellfestigkeit V Sch und die Unterspannung V U dem V U 0 . Eine
andere, aber inhaltlich identische Darstellung ist das Dauerfestigkeitsschaubild
nach Haigh, siehe z. B. [Iss97] oder [Dub01].
Beim Haigh Diagramm ist die 45º-Gerade des Smith- Diagramms auf die Ab-
szisse „gelegt“. In diesem Diagramm kann dann die ertragbare Ausschlagspan-
nung direkt an der Ordinate abgelesen werden. Beispiele für Smith-Diagramme
124 3 Grundlagen der Festigkeitsberechnung
sind folgend für Einsatzstähle gezeigt. Abb. 3.37. zeigt Smith-Diagramme für
Zug/Druck, Biegung und Torsion im Vergleich am Beispiel für den Werkstoff
42CrMo4, ermittelt nach [DIN743].
Abb. 3.37. Dauerfestigkeitsschaubild für Zug- Druck, Biegung und Torsion am Beispiel
42CrMo4, Basiswerte nach [DIN743]
V zd, bW (d ) (3.76)
Eı
V zd, bWK
W tW (d ) (3.77)
EIJ
W tWK
Häufig erfolgt aber eine Berechnung der Kerbwirkungszahl. Dazu wird zu-
nächst die Formzahl D ı oder IJ ermittelt. Die Formzahl (Kerbformzahl) ist ein
dimensionsloser Faktor, welcher die Spannungsüberhöhung im Kerbgrund
gegenüber der Nennspannung im Kerbquerschnitt angibt, siehe auch Abb. 3.25.
Dabei wird linear-elastisches Verhalten des Werkstoffes vorausgesetzt.
Tritt außer Zug auch Biegung und Torsion auf, so ergibt sich die in Abb. 3.26.
gezeigte Spannungsverteilung über dem Querschnitt bzw. Kombinationen aus den
Beanspruchungen.
Für die in Abb. 3.26. dargestellte Welle ergeben sich nach [Well76] für eine
eingestochene umlaufende Nut von halbkreisförmiger Kontur mit den gewählten
Abmessungen im Nutgrund folgende Formzahlen:
D V zd 1,9 für Zug/Druckbelastung
DV b 1,6 für Biegebelastung
DW 1,3 für Torsionsbelastung
3.3.4.2 Mikrostützwirkung
Bei den Betrachtungen der Formzahl wird deutlich, dass die höchsten Spannungen
im Kerbgrund an der Oberfläche auftreten. Das weiter innen liegende Material
kann das am höchsten belastete Volumen im Randbereich „stützen“. Daher spricht
man von Stützwirkung oder genauer, da sich dies in mikroskopisch kleinen
Bereichen abspielt, von Mikrostützwirkung. Die Mikrostützwirkung des Materials
128 3 Grundlagen der Festigkeitsberechnung
hängt einerseits vom Material selbst, aber auch von der Art der Kerbe und der
Belastung ab. Eine Möglichkeit der Berechnung der Stützwirkung besteht darin
das Spannungsgefälles F im Kerbgrund zu ermitteln. Spannungsgefälle bedeutet
die Änderung des Spannungsniveaus, ausgehend von der Kerboberfläche ins
Innere des Bauteiles, ausgedrückt als Gradient:
§ dV · (3.78)
F ¨ ¸ tan M
© dx ¹ max
Die Längenkoordinate x wird dabei vom Kerbgrund aus in Richtung des maxima-
len Spannungsgefälles – also in den Körper hinein – gezählt. Als bezogenes
Spannungsgefälle F
oder nach [DIN743] G ' wird der Quotient aus diesem
Gradienten und der maximalen Spannung an der Oberfläche bezeichnet:
F 1 § dV · (3.79)
G' # F
¨ ¸
V max V max © dx ¹ max
Das bezogene Spannungsgefälle beschreibt den Spannungsgradienten an der
höchstbeanspruchten Stelle, d.h. im Kerbgrund, und kann qualitativ zur Beschrei-
bung der genannten strukturbedingten Mikrostützwirkung herangezogen werden.
Je größer das bezogene Spannungsgefälle F
bzw. G ' wird, desto größer wird
die Stützwirkung des Werkstoffes und desto kleiner wird die Kerbwirkungszahl
E V bzw. EW gegenüber der zugehörigen Formzahl.
DV ,W (3.80)
EV ,W
n
Für übliche Wellenwerkstoffe mit nicht gehärteter Randschicht gilt für die Stütz-
zahl n die Zahlenwertgleichung:
§
¨ 0 , 33
V S d ¸· (3.81)
712 N / mm2 ¹
¨ ¸
n 1 G 'mm 10 ©
Das bezogene Spannungsgefälle wird dabei wie in [DIN743] nach der Tabelle 3.8.
T 2 ermittelt. Andere Quellen zeigen davon abweichende, aber ähnliche Ergebnis-
se, in [Well76], [Nie01] und [FKM02] werden auch weitere Kerbformen behan-
delt. Die für die Stützzahl n angeführte Gleichung (3.82) ist im folgenden Bild
dargestellt:
2 2 1,15
(1 M ) (1 M )
r r r
1
für d ! 0,67 D : M , für d d 0,67 D : M 0
4 t r 2
130 3 Grundlagen der Festigkeitsberechnung
3.3.4.4 Größeneinfluss
Der Vergleich der Schwingfestigkeit von Proben mit Normabmessungen und
größeren Bauteilen zeigt, dass sich die Schwingfestigkeit mit zunehmender
Bauteilgröße verringert. Die Ursachen für die Größenabhängigkeit liegen in:
x der statistisch größeren Wahrscheinlichkeit in einer größeren Oberfläche auch
mehr Fehlstellen vorzufinden, die Ausgangspunkt für einen Dauerbruch sein
können.
x dem größeren Spannungsgradienten von kleinen Proben bei gleicher Oberflä-
chenspannung. Damit wird bei großen Proben und entsprechend „flacherem“
Spannungsgradienten mehr Werkstoffvolumen hoch belastet und damit tritt der
zuvor genannte Effekt der höheren Wahrscheinlichkeit auch hier in Erschei-
nung.
x den fertigungsbedingten Besonderheiten (Erschmelzen, Gießen, Schmieden,
Umformen, Wärmebehandeln), die sich aus der Bauteilgröße ergeben. Ein grö-
ßeres Gussstück weist andere Gefügezustände durch Seigerungen und unter-
schiedliche Abkühlgeschwindigkeiten auf als ein kleines Gussstück. Zu den
sogenannten technologischen Einflüssen zählt auch die erreichbare Härtetiefe
und die Kernhärte, die bei größeren Abmessungen abnehmen.
1 Wiedergabe der Abb. 3.40 mit Genehmigung des DIN (Deutsches Institut für Normung
e. V.) Zur Anwendung ist die aktuelle Version der DIN 743, zu beziehen über Beuth
Verlag Berlin, heranzuziehen.
3.3 Werkstoffverhalten und Werkstoffe 131
Die genannten Ursachen lassen sich nicht exakt voneinander trennen. Näherungs-
weise wird versucht, die Einflüsse über Faktoren zu berücksichtigen. Folgend wird
die Beschreibung des Größeneinflusses bei der Wellenberechnung nach [DIN743]
als Beispiel vorgestellt.
132 3 Grundlagen der Festigkeitsberechnung
§ R · § § V B d · · (3.83)
K Fı 1 0,22 lg¨¨ Z ¸¸ ¨ lg¨¨ ¸ 1¸
2 ¸
¨ ¸
© Pm ¹ © © 20 N mm ¹ ¹
3.4.1 Bewertungskonzepte
Die aus Versuchen ermittelten Werkstoffkennwerte gelten nur für die Geometrie
des Probestabes und definierte Belastungen auf der Prüfmaschine. Es gibt nun
zwei Wege diesen "Laborwert“ für einen Vergleich mit den Beanspruchungen an
einem Bauteil heranzuziehen: Entweder wird aus dem Werkstofffestigkeitswert
ein Bauteilfestigkeitswert, der einen kleineren Betrag hat, ermittelt, wobei in den
Bauteilfestigkeitswert alle sonstigen Einflüsse wie Spannungskonzentrationen an
Kerben, Bauteilgröße etc. berücksichtigt werden. Der Vergleich von zulässigen
Spannungen (hier: = Bauteilfestigkeitswert) und vorhanden Spannungen findet
dann gegenüber den Nennspannungen am Bauteil statt.
Der zweite Weg besteht darin, ausgehend von den im ersten Schritt am Bauteil
ermittelten Nennspannungen sukzessive alle Einflussgrößen, wie z.B. Spannungs-
erhöhungen an Kerben, zu berücksichtigen und wirksame Spannungen im Kerb-
grund zu berechnen. Der Vergleich von zulässigen Spannungen (hier: =Werkstoff-
festigkeitswert) erfolgt dann mit den wirksamen Spannungen im Kerbgrund.
Aus diesen beiden Möglichkeiten leiten sich die beiden Bewertungskonzepte
Nennspannungskonzept und Kerbgrundspannungskonzept ab, wobei das Kerb-
136 3 Grundlagen der Festigkeitsberechnung
3.4.1.1 Nennspannungskonzept
Beim Nennspannungskonzept findet eine sehr vereinfachte Spannungsberechnung
statt, bei der die am betrachteten Querschnitt vorhandene Schnittlast auf die
Querschnittsfläche bzw. den Flächenkennwert bezogen wird, unabhängig davon,
ob es lokal an einer Kerbstelle zu Spannungskonzentrationen kommt. Somit stellt
eine Nennspannung eine Kenngröße dar, -vereinfachend: Kraft pro Fläche oder
Moment pro Widerstandsmoment-, die mit der physikalisch wirksamen Spannung
nur in Sonderfällen vergleichbar ist. Im Allgemeinen sind die am Bauteil wirken-
den höchsten Spannungen immer größer als die berechneten Nennspannungen.
Der Vorteil besteht darin, dass eine Nennspannung immer berechnet werden kann
und dies auch für Verbindungsstellen, bei denen die Berechnung von örtlichen
Spannungen sehr komplex und aufwändig ist, wie zum Beispiel bei Pressverbän-
den.
16 M t (3.85)
d !3
S W zul
Tabelle 3.9. Anhaltswerte für zulässige Flächenpressung bei Bolzen- und Stiftverbindun-
gen (Lochleibungsdruck) nach [Dub01]
3.4.1.1.4 Festigkeitsnachweise
Der rechnerische Festigkeitsnachweis wird üblicherweise nach den zuvor genann-
ten Konzepten durchgeführt. Aufgrund der einfachen Umrechnungen von Ver-
suchsergebnissen auf Beanspruchungsgrenzwerte hat sich in vielen Bereichen das
Nennspannungskonzept in den Vordergrund geschoben. Als Beispiel für einen
Festigkeitsnachweis nach dem Nennspannungskonzept soll die Wellenberechnung
nach [DIN743] folgend betrachtet werden. Werden an Bauteilen nicht Nennspan-
nungen sondern örtliche Spannungen, z.B. mit der Methode der Finiten Elemente
berechnet, so erfolgt der Nachweis mit örtlichen (oder auch Kerbgrund-) Span-
nungen. Hinweise zur Bewertung und Behandlung sind z.B. in [FKM02] gegeben.
3.4.1.1.5 Wellen
Wellen sollen in diesem Kapitel als Anschauungsbeispiel betrachtet werden.
Grundsätzlich gelten die folgenden Berechnungen, je nach Belastungsfall für
andere Bauteile ganz entsprechend. Bei Wellen (oder anderen Bauteilen) müssen
folgende mögliche Schäden durch entsprechende Gestaltung vermieden werden:
1. Bleibende Verformungen:
Ein Verbiegen einer Welle muss in jedem Fall vermieden werden, um die
Funktion sicherzustellen.
2. Gewaltbruch:
Der Gewaltbruch muss auf jeden Fall ebenfalls vermieden werden.
3. Dauerbruch (auch Ermüdungs- oder Schwingungsbruch genannt):
Durch dynamische d.h. zyklische bzw. schwingungsartige Beanspruchungen
können Dauerbrüche verursacht werden, die durch Berechnung und entspre-
chende Dimensionierung zu vermeiden sind.
Für die Berechnung der Fälle 1 und 2 werden die maximal auftretenden Spannun-
gen (Peaks) und die statischen Werkstoffkennwerte als Grundlage verwendet,
auch wenn ein Stoß auf das Bauteil durchaus eine hohe Dynamik hat!
Der 3. Fall wird losgelöst von 1 und 2 behandelt, da völlig andere Gesetzmä-
ßigkeiten und Festigkeitswerte gelten.
3.4 Dimensionierung und Festigkeitsnachweis 139
Im Nenner der Brüche von Gleichung (3.86) steht jeweils die sogenannte Bauteil-
fließgrenze bei Zug/Druck, Biegung bzw. Torsion. Die Bauteilfließgrenze wird
aus den Normwerten der Streckgrenze, dem Größenfaktor , einer statischen
Stützzahl und einem Erhöhungsfaktor der Fließgrenze ermittelt:
V zd, bFK K1 (d eff ) K 2F J F V S d B (3.87)
mit :
V S d B Streckgrenze für den Bezugsdurchmesser d B nach [DIN743] T 3
K1 (d eff ) Technologischer Größenfaktor nach [DIN743] T 2
140 3 Grundlagen der Festigkeitsberechnung
Beanspruchungsart D ı oder E ı JF
bis 1,5 1,00
1,5 bis 2,0 1,05
Zug/Druck oder Biegung
2,0 bis 3,0 1,10
über 3,0 1,15
Torsion beliebig 1,00
Tabelle 3.12. Statische Stützwirkung K 2F für Werkstoffe mit und ohne harter Randschicht
angelehnt an [DIN743]
Beanspruchungsart K 2F
Vollwelle Hohlwelle
ohne harte mit harter ohne harte mit harter
Randschicht Randschicht Randschicht Randschicht
Zug/Druck 1,0 1,0 1,0 1,0
Biegung 1,2 1,1 1,1 1,0
Torsion 1,2 1,1 1,0 1,0
Zusammenfassend kann der Berechnungsablauf zur Ermittlung der statischen
Sicherheit beschrieben werden:
1. Ermittlung der maximalen Nennspannungen für Zug/Druck, Biegung u.
Torsion.
2. Ermittlung der Bauteilfließgrenzen mittels statischer Stützzahl und Erhöhungs-
faktor der Fließgrenze und Streckgrenze des Werkstoffes für Zug/Druck, Bie-
gung und Torsion.
3. Einsetzen der Größen in Gleichung (3.86) zur Ermittlung der Sicherheit.
Bei Bauteilen mit harter Randschicht muss damit gerechnet werden, dass das
Material dicht unterhalb der harten Schicht im Bauteil schon bei niedrigerer
Beanspruchung anfängt zu fließen als das Material der Randschicht!
§ Eı 1 · 1 (3.90)
Kı ¨ K (d ) K 1¸ K
¨ ¸
© 2 Fı ¹ V
§ EIJ 1 · 1 (3.91)
KIJ ¨ K (d ) K 1¸ K
¨ ¸
© 2 FIJ ¹ V
7. Berechnung der Bauteilgestaltfestigkeit (=Wechselfestigkeit) für Zug/Druck,
Biegung und Torsion:
V zdW K1 (d eff ) (3.92)
V zdWK
Kı
V bW K1 (d eff ) (3.93)
V bWK
Kı
142 3 Grundlagen der Festigkeitsberechnung
τ tW ⋅ K1 (d eff ) (3.94)
τ tWK =
KIJ
σ bWK (3.96)
ψ bı K =
2 ⋅ K1 (d eff ) ⋅ Rm (d B ) − σ bWK
τ tWK (3.97)
ψ IJK =
2 ⋅ K1 (d eff ) ⋅ Rm (d B ) − τ tWK
σ mv = (σ zdm + σ bm )
2
+ 3 ⋅τ t2m
(3.98)
σ mv (3.99)
τ mv =
3
10. Der Einflussfaktor der Mittelspannungsempfindlichkeit nach 8. ist abhängig
vom Belastungsfall unterschiedlich zu berücksichtigen, siehe [DIN743]. Hier
soll beispielhaft der Fall angenommen werden, dass die Mittelspannungen
σ mv und τ mv bei Änderung der Betriebsbelastung konstant bleiben, wie es in
der folgenden Abbildung gezeigt wird.
Mit der Auflistung der Arbeitsschritte soll der prinzipielle Rechengang gezeigt
werden. In [DIN743] werden noch weitere Fallunterscheidungen getroffen, so
dass für konkrete Berechnungen die DIN 743 heranzuziehen ist.
Zur Nachweisführung einer dynamisch beanspruchten Welle gegen Dauerbruch
müssen für alle Querschnittübergänge der Welle Berechnungen durchgeführt
werden. Aufgrund der unterschiedlichen Kerbwirkung und der im Allgemeinen
entlang der Welle unterschiedlichen Nennspannungen kann unter Umständen eine
Beschränkung auf die kritischen Querschnitte erfolgen.
Im Anhang ist ein Berechnungsbeispiel ähnlich [DIN743] gezeigt, das den
Berechnungsgang darstellt. Die dort angesetzten Beanspruchungen sind in der
Praxis so kaum vorzufinden und wurden so gewählt, um den Berechnungsgang
umfassend darzustellen. Weiterhin befindet sich im Anhang die Ableitung der
Sicherheitsformeln, wie sie in [DIN743] zur Anwendung kommen.
3.4.1.1.6 Schweißkonstruktionen
Für Schweißkonstruktionsberechnungen werden überwiegend Nennspannungs-
konzepte verwendet. Dies findet seine Ursache darin, dass die Beschreibung der
Kerbgeometrie an einer Schweißnaht zwar grundsätzlich möglich ist, aber großen
Schwankungen in der Praxis unterliegt. Existieren in einem Aufgabenfeld keine
speziellen Vorschriften oder Normen, so wird häufig im Allgemeinen Maschinen-
bau ersatzweise die [DIN15018], die aus dem Kranbau stammt, angewendet. Zu
beachten ist, dass in den verschiedenen Vorschriften die Festigkeitswerte nicht
immer wie in einem Smith Diagramm angegeben werden, aus dem die zulässige
Ausschlagspannung bei einer anliegenden Mittelspannung abgelesen wird. So
existieren auch Darstellungen bei denen zulässige Oberspannungen als Grenzwer-
te gezeigt werden.
3.4.1.2 Kerbspannungskonzept
3.4.1.3 Sicherheitszahlen
Aufgrund von verschiedenen Unwägbarkeiten ist es bei allen Festigkeitsberech-
nungen üblich eine Sicherheitszahl zu berücksichtigen. Diese soll Streuungen im
Werkstoff, Ungenauigkeiten bei der Belastung und Abweichungen vom Berech-
nungsmodell berücksichtigen und damit zu einem sicheren Betrieb des Bauteiles
beitragen. Sind sehr gute Kenntnisse und Erfahrungen vorhanden, so kann die
Sicherheitszahl bis auf 1,0 herabgesetzt werden. Handelt es sich um eine Neukon-
struktion oder neue Anwendung, so sollte eine größere Sicherheitszahl, z.B.
S > 1,5 gewählt werden. Für Berechnungen gegen die statischen Werkstoffkenn-
werte sind Werte von S = 1,0 ...1,5 üblich. Für Berechnungen gegen dynamische
Werkstoffkennwerte sind Sicherheiten von S = (1,3)...1,5 ...2,5 üblich. Bei der
Festlegung eines Sicherheitswertes sind viele Einflussgrößen zu berücksichtigen,
so dass es keine allgemeine Empfehlung geben kann! So wird beispielsweise auch
berücksichtigt, welches Ausmaß ein möglicher Schaden des Bauteiles haben kann.
Besteht eine Gefährdung für Menschen, so wird üblicherweise mit größeren
Sicherheitszahlen gearbeitet, als wenn der Schaden nur wirtschaftliche Folgen hat.
In einigen Anwendungsfällen wird die geforderte Sicherheit von den Klassifikati-
onsgesellschaften festgelegt.
3.4.2 Berechnungsbeispiel
Bild 4 1,060
146 3 Grundlagen der Festigkeitsberechnung
6. Geometrischer d 48 mm K 2 (d ) 0,876
Größenein-
fluss B
nach DIN 743
Bild 13
9. Gesamtein- Eı 1,625 § EV 1 · 1
flussfaktor Kı ¨ K (d ) K 1¸ K
¨ ¸ 1,954
Zug/Druck/ K 2 (d ) 0,876 © 2 Fı ¹ V
Biegung K Fı 0,91
KV 1
13. Stützziffer T §
¨ 0, 33
V S (d ) ·
¸
¨ ¸
DIN 743-2 712 N / mm 2
n 1 G c mm 10 © ¹
Bild 4 1,040
27. Vorhandene V ba 50 N mm 2 2 2
Sicherheit 1 § V ba · § W ta ·
¨ ¸ ¨ ¸
gegenüber W ta 25 N mm 2 S 2 ¨© V bADK ¸ ¨W ¸
¹ © tADK ¹
Dauerbruch
S 2,13
3.5 Anhang 149
3.5 Anhang
3.5.1 Werkstoffdaten
Tabelle 3.17. Richtwerte für Festigkeit bei dynamischer Beanspruchung aus DIN 743
(Tragfähigkeitsberechnung von Wellen und Achsen), mit berechneten dynamischen
Kennwerten, Auswahl
3.5.2 Biegefälle
Biegelinien
1. D1 D2 Biegelinie
M M x1 2
x2 z1 ( x1 ) (l 3b 2 x12 )
x1 z2
6 E I l
z1 M x2 2
a b z 2 ( x2 ) (l 3a 2 x 22 )
6 E I l
l Neigung
M 2
Durchbiegung D1
6 EI l
l 3b 2
M ab M
z max ( a b) D2
l 2 3a 2
3EI l 6 EI l
2. D2 Biegelinie
M D
x 1 2 3
Ml 2 ª x § x· § x· º
z ( x) «2 3¨ ¸ ¨ ¸ »
z 6 E I ¬« l © l ¹ © l ¹ ¼»
xm
l Neigung
Ml
Durchbiegung D1
3EI
Ml 2
z max Ml
9 3 EI D2
6 EI
bei xm l l 3
3. Biegelinie
D1 x1 F D2 x
2
Fbx1
z (1) ( x1 )
6 E I l
l 2 b 2 x12
z1 z2
a b Fbx2
l z 2 ( x2 )
6 E I l
l 2 a 2 x22
Durchbiegung Neigung
Fab (l b)
Fa 2 b 2 D1
z (D ) 6 EIl
3 E I l
Fab (l a )
D2
6 EIl
156 3 Grundlagen der Festigkeitsberechnung
4. l Biegelinie
x1 F
Fx12 § x1 ·
z1 D z1 ( x1 ) ¨l ¸
2 EI © 3¹
Neigung
Durchbiegung
Fl 2
Fl 3 D
z max 2EI
3EI
5. l M Biegelinie
x1 M x12
z1 D z1 ( x1 )
EI 2
Neigung
Durchbiegung Ml
D
Ml 2 EI
z max
2EI
6. q Biegelinie
x1
D qx12 § l 2 lx1 x12 ·
z1 z1 ( x1 ) ¨ ¸
l 2 E I ¨© 2 3 12 ¸¹
Neigung
Durchbiegung
ql 4 ql 3
z max D
8EI 6EI
7. q Biegelinie
x1
D q x1 § l 3 x3 ·
z1 ( x1 ) ¨ lx12 1 ¸
z1 l 12 E I ¨© 2 2 ¸¹
Neigung
Durchbiegung
ql 3
5 ql 4 D
z max 24 E I
384 E I
3.5 Anhang 157
8. D1 l D 2 Biegelinie
a F
x2 Fal 2 ª x § x ·3 º
x1 z1 ( x1 ) « 1 ¨ 1 ¸ »
6EI «¬ l © l ¹ »¼
z1 z2 D3 2 3
Fa 3 ª lx2 §x · §x · º
z 2 ( x2 ) «2 2 3¨ 2 ¸ ¨ 2 ¸ »
Durchbiegung 6 E I ¬« a © a ¹ © a ¹ ¼»
Fa 2 (l a ) Neigung
z ( x2 a ) max
3EI Fal
Fal 2
D1
z ( x1 xm ) max 6 EI
9 3 EI Fal
D2
3EI
bei x m 1 3
Fa
D3 (2l 3a )
6 EI
9. F Biegelinie
a b
D für 0 d x1 d a
x1 x2
3
Flb 2 ª ax1 2 § a · §x · º
z1 ( x1 ) « 2 ¨1 ¸ ¨ 1 ¸ »
z1 z2 4 E I ¬« l 3 © 2l ¹ © l ¹ ¼»
Durchbiegung für 0 d x2 d b
2
z max z1 ( xm ) Fl 2 a ª§ a 2 · § x2 ·
z2 (x2 ) «¨¨1 2 ¸ ¨¨
¸ l ¸¸
für a d 0,414 l 4 EI «¬© l ¹ © ¹
b1 l a 3
bei xm § a 2 · § x2 · º
3b b ¨¨1 2 ¸¸ ¨¨ ¸¸ »
1 © 3l ¹ © l ¹ »¼
2 a 2l
zmax z2 ( xm ) Neigung
für a t 0,414 l Fab 2
D
a 2l 4 E I l
bei xm l
1 a 2 l
158 3 Grundlagen der Festigkeitsberechnung
10. D q Biegelinie
x1 ª x1 3 4
ql 4 §x · §x · º
z1 ( x1 ) « 3¨ 1 ¸ 2¨ 1 ¸ »
48 E I «¬ l © l ¹ © l ¹ »¼
l
z1 Neigung
Durchbiegung ql 3
4 D
ql 48 E I
zmax
185 E I
bei xm 0,4215 l
11. a F b Biegelinie
x1 x2 Flb 2 ª a § x1 · 2 § 3
2a · § x1 · º
z1 ( x1 ) «3 ¨ ¸ ¨1 ¸¨ ¸ »
z1 z2 6EI «¬ l © l ¹ © l ¹ © l ¹ »¼
Durchbiegung für 0 d x1 d a
§ ·
2
Fla 2 ª b § x · 2 § 2b · § x · 3 º
2 Fa b ¨¨ 1 ¸¸
3 2 z 2 ( x2 ) «3 ¨ 2 ¸ ¨1 ¸ ¨ 2 ¸ »
zmax 6 EI «¬ l © l ¹ © l ¹ © l ¹ »¼
3 EI l 2 ¨ 1 2a ¸
¨ ¸ für 0 d x2 d b
© l ¹
1
bei xm l
1 l 2a
für a > b
2
2 Fa 2b3 § 2b ·
zmax ¨ 1 1 ¸
3 E I l2 © l ¹
1
bei xm l
1 l 2b
für a < b
12. Biegelinie
ql 4 ª§ x · 2 3 4
§ x1 · § x1 · º
1
z1 ( x1 ) «¨ ¸ 2
¨ ¸ ¨ ¸ »
24 E I ¬«© l ¹ © l ¹ © l ¹ ¼»
Durchbiegung
ql 4
zmax
384 E I
3.5 Anhang 159
13. l Biegelinie
x2
Fl 3 ª § x ·2 3
§x · º
z2 z 2 ( x2 ) «3¨ 2 ¸ 2¨ 2 ¸ »
12 E I «¬ © l ¹ © l ¹ »¼
Durchbiegung
Fl 3
zmax
12 E I
Die in DIN 743 verwendeten Formeln zur Berechnung der Sicherheit ergeben sich
wie folgend gezeigt. Es wird von der Gestaltänderungsenergiehypothese (GEH),
auch Mises –Hypothese genannt, für Biegung (+Zug/Druck) und Torsion ausge-
gangen:
(3.103)
Vv V b 2 3 W t 2
Die Gleichung wird durch die ertragbare Amplitude V ADK (Amplitude = Index A,
Dauerfestigkeit = Index D, Gestaltfestigkeit/Kerben = Index K) dividiert.
2 2 (3.105)
V va § V ba · § W ·
¨¨ ¸¸ 3 ¨¨ ta ¸¸
V ADK © V ADK ¹ © V ADK ¹
2 2 (3.106)
V va § V ba · § W ta ·
¨¨ ¸¸ ¨¨ ¸¸
V ADK © V ADK ¹ © W ADK ¹
V ADK W ADK
Werden die virtuellen Sicherheiten S b und SW eingeführt, so
V ba W ta
kann für die Sicherheit geschrieben werden:
1 1 1 (3.107)
S2 Sb
2
SW
2
160 3 Grundlagen der Festigkeitsberechnung
V mv (3.108)
V mv V bm 2 3 W tm 2 ; W mv
3
3.6 Literatur
Jörg Feldhusen
Die Basis zur Gestaltung eines Produkts bildet das zu Beginn des Produktentste-
hungsprozesses erarbeitete Konzept. Dabei werden die Wirkflächen und der
Wirkzusammenhang mit Hilfe von Prinzipskizzen dargestellt, indem die zur
Realisierung der Teilfunktionen gewählten physikalischen Effekte in ihrer geo-
metrischen und stofflichen Ausprägung sowie ihren Verknüpfungen untereinander
abgebildet werden. Das Ergebnis ist die Prinziplösung für das Produkt, welche das
Konzept repräsentiert [PaBe03]. Art, Umfang und Anzahl der Prinzipskizzen für
ein Produkt, also auch der Abstraktionsgrad, hängt von dessen Komplexität und
der untersuchten Fragestellung ab. In Abb. 4.1. ist ein Beispiel für eine Darstel-
lung einer Prinziplösung wiedergegeben; in diesem Beispiel ist die Prinziplösung
zur Veranschaulichung schon räumlich ausgestaltet.
Die Gestaltung eines Produkts auf Basis der Prinziplösung geschieht in zwei
Schritten [Koll98]:
1. Der qualitativen Gestaltung. Sie dient der Festlegung qualitativer Gestaltpara-
meterwerte, beispielsweise das maßstäbliche Festlegen des Höhen-, Breiten-
und Längenverhältnisses eines Getriebegehäuses.
2. Der quantitativen Gestaltung. Sie dient der Festlegung quantitativer Gestaltpa-
rameterwerte, beispielsweise der genauen Maße des Getriebegehäuses, der
Gussschrägen usw.
Grundsätzlich gilt es bei der Gestaltung von Produkten zu beachten, dass i.
Allg. eine Reihe von Randbedingungen und die daraus resultierenden Restriktio-
nen beachtet werden müssen. Diese Restriktionen können u.a. herrühren aus
166 4 Gestaltung von Elementen und Systemen
Gestaltelement, Maschinen-/Konstruktionselemente
Unter Gestaltelement wird das kleinste, vom Konstrukteur noch beeinflussbare
Element verstanden. Je nach Aufgabenstellung können Gestaltelemente sehr
unterschiedliche Umfänge und Komplexität haben. Werden Einzelteile konstruiert
sind die Gestaltelemente z.B. durch genormte Radien usw. vorgegeben. Bei der
Projektion von Kraftwerksanlagen stellen u.a. Speisepumpen Gestaltelemente dar,
da sie vom Projektingenieur i. Allg. nicht verändert werden können, Abb. 4.2.
Bei den hier behandelten Maschinenelementen liegen die Prinziplösungen, also
die Wirkprinzipien und ihr Zusammenwirken in Form der Wirkstruktur, fest. In
Bezug auf die Gestaltelemente kann bei Konstruktionselementen zwischen zwei
Grundtypen unterschieden werden:
x Es gibt Konstruktionselemente, deren prinzipielle Gestalt festgelegt ist. Ihre
prinzipielle Form, also die Form und Anordnung der Flächen bzw. Körper, aus
denen das Konstruktionselement besteht, ist in jedem Anwendungsfall grund-
sätzlich gleich. Die genauen Abmessungen, Toleranzen und Oberflächenbe-
schaffenheiten werden während des Konstruierens, z.B. durch entsprechende
Berechnungen, ermittelt. Zu dieser Art von Konstruktionselementen gehören
beispielsweise Querpressverbindungen, bei denen der Wellendurchmesser, inkl.
der gewählten Toleranz und Oberfläche, sowie die Gestaltung der Nabe, z.B.
durch Wahl ihrer Kontur, von Fall zu Fall variiert.
x Neben dieser ersten Art von Konstruktionselementen gibt es auch diejenigen,
deren qualitative und quantitative Gestalt festgelegt ist. Typische Vertreter die-
ser Art sind Norm- und Katalogteile. Diese gibt es nur in ganz bestimmten
Abmessungen und mit vorgegebener Gestaltung. Eine Auswahl erfolgt z.B.
aufgrund geforderter Kräfte oder Momente, die übertragen werden müssen. Bei
Schrauben beispielsweise ergibt sich der Nenndurchmesser aus der erforderli-
chen Vorspannkraft. Die Gestaltelemente einer genormten Schraube stellen z.B.
das Gewinde auf dem zylindrischen Schraubenteil oder der Schraubenkopf dar.
Allerdings können diese im Rahmen der gewählten Norm häufig nur qualitativ
variiert werden. Im Fall des Gewindedurchmessers und der Schlüsselweite
beim Schraubenkopf sind beide gekoppelt und vorgegeben. Nur die Form des
4.1 Grundlagen technischer Systeme und Elemente 167
Die Produktstruktur
Zu Erfüllung der geforderten Gesamtfunktion eines technischen Systems werden i.
Allg. mehrere Systemelemente benötigt. Diese werden bei realen Produkten nach
4.1 Grundlagen technischer Systeme und Elemente 169
Abb. 4.4. Oben vereinfachte Mengenübersicht zum Bleistiftanspitzer aus Abb. 4.3.
Unten: nach fertigungstechnischen Gesichtspunkten gegliederte Produktstruktur des
Bleistiftanspitzers aus Abb. 4.3.
Trotz vielfacher Bemühungen ist es bis heute nicht gelungen, einen eindeutigen
Sprachgebrauch für die Begriffe System, Anlage, Apparat, Maschine, Gerät,
Baugruppe und Einzelteil einzuführen. Besonders in der Alltagssprache, auch von
Technikern und Ingenieuren, hat sich eine nicht eindeutige Begrifflichkeit einge-
führt. Am einfachsten stellt sich noch der Begriff „System“ dar. Nach Pahl/Beitz
[PaBe03] ist ein „System“: Gesamtheit geordneter Elemente, z.B. Funktionen oder
technische Gebilde, die aufgrund ihrer Eigenschaften durch Relationen verknüpft
und durch eine Systemgrenze umgeben sind“.
Diese abstrakte Definition wird schnell verständlich, wenn ein Beispiel betrach-
tet wird. Die Systemgrenze einer Kaffeemaschine wird von außen nach innen
passiert vom Kaffeepulver, dem Filter, Wasser und elektrischer Energie. In umge-
kehrter Richtung vom Kaffeepulver, welches vom heißen Wasser durchströmt
wurde, dem Filter und dem Kaffee. Die Kanne, in der der Kaffee aufgefangen
wird, ist ein Teilsystem des Systems Kaffeemaschine. Dieses in sich abgeschlos-
sene Teilsystem dient zum Auffangen des Kaffees. Die Kanne ist ein echtes
Teilsystem. Wir nutzen sie beim Kaffeekochen separat zum Wasserholen.
In Abb. 4.5. ist am Beispiel einer „Motor-Getriebe-Einheit“ ein System S mit
seinen Grenzen und den Grenzen seiner Teilsysteme dargestellt. Der Eingang in
das System wird von der Größe „E“ gebildet, hier elektrischer Strom, der Ausgang
4.1 Grundlagen technischer Systeme und Elemente 171
von der Größe „A“, hier Drehmoment und Drehzahl. Es besteht aus den beiden
Teilsystemen „Gleichstrommotor“ S1 und „Getriebe“ S2. Das Teilsystem
„Gleichstrommotor“ besteht aus den Systemelementen „Stator“ 1.1, Rotor 1.2.
sowie der „Ausgangswelle“ 2. Das Teilsystem „Getriebe“ wird gebildet aus den
Systemelementen der „Ersten Stufe“ 3, der „Welle“ 4, der „Zweiten Stufe“ 5 und
der „Abtriebswelle“ 6.
Im Gegensatz zum Begriff des „Systems“ ist der Begriff „Anlage“ nicht ein-
deutig festgelegt. Er wird meistens verwendet, um ein kundenspezifisches System
zu kennzeichnen. Eine petrochemische Anlage beispielsweise wird i. Allg. kun-
denspezifisch zusammengestellt. Mit dem Begriff Anlage verbinden wir meistens
außerdem hohen Aufwand, hohe Komplexität und hohe Kosten. Es können unter-
schieden werden:
x Anlagen der Grundstoffindustrie, z.B. Stahlwerke
x Anlagen der Verarbeitungsindustrie, z.B. Papiermaschinen
x Anlagen der chemischen und petrochemischen Industrie
x Infrastrukturanlagen, z.B. Straßenbahnen
All diese technischen Systeme, Teilsysteme und Anlagen werden gebildet aus
Baugruppen und diese wiederum aus Einzel- oder Bauteilen.
Je nachdem, welchen Hauptumsatz das System hat, wird es in der Konstruk-
tionslehre als Apparat (Hauptumsatz Stoff), Maschine (Hauptumsatz Energie)
oder Gerät (Hauptumsatz Signal) bezeichnet. Hier wird aber wieder die Uneinheit-
172 4 Gestaltung von Elementen und Systemen
lichkeit zwischen der Definition aus der Konstruktionslehre und dem Gebrauch
der drei Begriffe im Alltag deutlich. Eine Knetmaschine hat als Hauptumsatz Stoff
den Teig, ein Stromrichtergerät hat als Hauptumsatz Energie in Form des Stromes.
Die Funktion im hier benutzten Sinn beschreibt eindeutig und lösungsneutral den
Zusammenhang zwischen dem Eingang und dem Ausgang eines Systems. Die
Eingangs- und Ausgangsgrößen des Systems werden als Systemumsatz bezeich-
net. Wie bereits erwähnt, gibt es drei Arten von Umsätzen in einem System. Es
sind dies der Energieumsatz, solche Systeme werden in der Konstruktionslehre als
Maschinen bezeichnet, der Stoffumsatz, die entsprechenden Systeme heißen
Apparate und der Signalumsatz, der von Geräten realisiert wird. In Abb. 4.6. ist
dieser Zusammenhang dargestellt.
Meistens ist eine zu lösende Aufgabe bzw. die sie beschreibende Gesamtfunk-
tion zu komplex, um sie ohne weiteres lösen zu können. Deshalb wird die Aufga-
be, also die Gesamtfunktion, in Teilfunktionen zerlegt. Die geschieht solange, bis
die Teilfunktionen eine für den jeweiligen Bearbeiter zu bewältigende Komplexi-
tät haben [VDI2221], siehe Abb. 4.7.
Weiterhin ist es sinnvoll zwischen Haupt- und Nebenfunktionen zu unterschei-
den. Hauptfunktionen sind Teilfunktionen, die unmittelbar der Gesamtfunktion
dienen. Demgegenüber tragen Nebenfunktionen, im Sinne von Hilfsfunktion, nur
mittelbar zur Gesamtfunktion bei.
In Abb. 4.8. ist noch einmal die Motor-Getriebe-Einheit aus Abb. 4.5. wieder-
gegeben. Hier ist aber im unteren Teil der Abbildung die Funktionsstruktur des
Systems dargestellt. Dieses einfache Beispiel veranschaulicht die Möglichkeit, mit
Hilfe der Funktionsstruktur Variationsmöglichkeiten hinsichtlich der gefundenen
Lösungen bzw. deren Reihenfolge innerhalb des Systems zu erkennen. Die Funk-
tion „Vergrößern“ des Moments, welche durch die Zahnradpaare realisiert wird,
könnte auch durch einen Riementrieb realisiert werden.
4.1 Grundlagen technischer Systeme und Elemente 173
Abb. 4.7. Verringerung der Komplexität einer Aufgabe durch Aufgliedern der Gesamtauf-
gabe in Teilfunktionen
Die Grundregeln eindeutig, einfach und sicher dienen dazu, die generellen Ziele
zu erreichen:
x die technische Funktion zu erfüllen
x das Produkt wirtschaftlich zu realisieren
x Sicherheit für Mensch und Umwelt sicherstellen
Wie eingangs dieses Kapitels erwähnt, gelten diese Ziele immer. Die Beach-
tung der Eindeutigkeit ist eine wesentliche Voraussetzung für die zuverlässige
Funktion des späteren Produkts. Die Beachtung dieser Grundregel erlaubt eben-
falls eine zuverlässige Voraussage über das Verhalten des Produkts in unterschied-
lichen Situationen. Wird die Grundregel der Einfachheit beachtet, ist ein wesentli-
cher Schritt zur kostengünstigen Gestaltung getan. Die Grundregel Sicherheit
erfordert eine genaue Betrachtung zur Haltbarkeit, Zuverlässigkeit und Unfallfrei-
heit mit entsprechender Abwägung der Folgen für Mensch und Umwelt. Ein
weiterer entscheidender Punkt in diesem Zusammenhang ist die gemeinsame
Behandlung und Betrachtung der Begriffe „eindeutig“, „einfach“ und „sicher“.
4.2.1 Eindeutig
Die Grundregel der Eindeutigkeit lässt sich auf unterschiedliche Aspekte der
Produkteigenschaften beziehen. Sie sollen im Folgenden erläutert werden:
x Eindeutige Zuordnung der Teilfunktionen untereinander durch ihre zugehörigen
Eingangs- und Ausgangsgrößen.
x Mathematisch eindeutige Zusammenhänge der Eingangs- und Ausgangsgrößen
einer Teilfunktion, Funktion und Gesamtfunktion des Produkts. Hierzu zählt
auch die Betrachtung der Belastungen und resultierenden Beanspruchungen.
x Eindeutige Gestaltung der Mensch-Maschine-Schnittstelle, sodass eine richtige
Bedienung erzwungen wird.
x Vollständige Dokumentation des Produkts ohne Redundanzen, inkl. der Ferti-
gungs- und Nutzungsunterlagen. Insbesondere bei den Fertigungsunterlagen ist
u.a. auf eine eindeutige Schnittführung und vollständige Angabe aller Ferti-
gungsangaben auf den Zeichnungen zu achten.
4.2 Grundregeln der Gestaltung 175
4.2.2 Einfach
Eine Lösung soll möglichst übersichtlich und mit geringem Aufwand realisierbar
sein, dann wird sie als einfach bezeichnet. Ein einfach aufgebautes Produkt
besteht aus wenigen Komponenten oder Teilen, deren Anordnung und geometri-
sche Form ebenfalls einfach ist. Im Folgenden soll der Begriff „einfach“ in Bezug
auf die Gestaltung weiter beschrieben werden:
x Geringe Anzahl von Bauteilen, Baugruppen sowie Vorgängen zur Realisierung
der Funktion
x Einfache geometrische Formen, die sich möglichst mathematisch beschreiben
lassen wie Zylinder, Quader, Kugel usw.
x Ausnutzung von Symmetrie, sowohl für die Geometrie von Bauteilen und
Baugruppen, als auch für die Kraftleitung
x Sinnfällige Mensch-Maschine-Schnittstelle, wenige, übersichtliche Anzeigen
und Bedienelemente unter Beachtung der Richtlinien zur ergonomischen Ges-
taltung [Lucz93], (siehe auch einschlägige Normen)
x Anwendung möglichst weniger und einfach beherrschbarer Fertigungsverfah-
ren
x Leicht identifizierbare Teile
x Klare und schnell durchschaubare Montagevorgänge
x Einfache Fehlererkennung durch z.B. leichte Erkennbarkeit von Abweichun-
gen. Beispiele sind Anschläge, Symmetrien usw.
x Einfaches Recycling durch Verwendung verträglicher Werkstoffe und einfache
Demontagemöglichkeiten
4.2.3 Sicher
dargestellten Wirkkette bewusst sein. Dies gilt auch, wenn er „nur“ ein einfaches
Bauteil konstruiert. Er beeinflusst damit direkt die Bauteil- und Funktionszuver-
lässigkeit und muss deshalb die genauen Belastungen durch Kräfte, Temperaturen
usw. des Bauteils kennen. Damit auch die Betriebssicherheit gewährleistet ist,
bedarf es zusätzlicher Kenntnisse über die Einsatzbedingungen des Systems. Er
muss z.B. klären, ob in der Halle, in der die zu konstruierende Maschine aufge-
stellt werden soll, andere Maschinen schädliche Schwingungen erzeugen, die
entsprechend berücksichtigt werden müssen. Um der Forderung nach Arbeitssi-
cherheit gerecht zu werden, sind u.a. Kenntnisse über Ergonomie und antropro-
metrische Werte erforderlich. Maßnahmen zur Umweltsicherheit können nur
sinnvoll ergriffen werden, wenn das Schädigungspotential des technischen Sys-
tems und die Schädigungstoleranz der Umwelt bekannt sind. Das führt dazu, dass
der Konstrukteur sich neben der Konstruktion des eigentlichen technischen Sys-
tems u.U. auch um die Konstruktion von Schutzeinrichtungen kümmern muss.
Bei der überwiegenden Anzahl von Maschinen und Anlagen handelt es sich
heutzutage um mechatronische Produkte. Eine Maschine oder Teile von ihr sind
also eingebunden in einen Steuer- und/oder Regelkreis. Deshalb muss die Steue-
rung und Regelung mit in das Sicherheitskonzept integriert werden [StVo92].
Sicherheit kann definiert werden als:
Eine Sachlage, bei der das Risiko kleiner als das Grenzrisiko ist.
Das Grenzrisiko ist dabei:
Das größte noch vertretbare anlagenspezifische Risiko eines bestimmten tech-
nischen Vorgangs oder Zustands [DIN31000].
Um Sicherheit zu erreichen gibt es drei grundsätzliche Strategien:
1. Die unmittelbare Sicherheitstechnik: hierbei wird die Lösung so gewählt, dass
von vornherein und aus sich heraus keine Gefährdung besteht.
178 4 Gestaltung von Elementen und Systemen
Soll eine Funktion sicher erfüllt werden, so muss mindestens eines der nachfol-
genden Prinzipien zur Anwendung kommen:
x Prinzip des „Sicheren Bestehens“ (safe-life-Verhalten).
x Prinzip des „beschränkten Versagens“ (fail-safe-Verhalten)
x Prinzip der „Redundanten Anordnung“
Grundsätzlich erfordert die Realisierung des Prinzips des sicheren Bestehens
sehr umfangreiche Untersuchungen oder vorhandene Erfahrungen. Zur Umsetzung
ist die genaue Kenntnis aller Belastungen und resultierenden Beanspruchungen
sowie aller weiteren, die Sicherheit beeinflussenden Größen hinsichtlich ihrer
Quantität und Qualität erforderlich. Deshalb müssen:
x Einwirkende Belastungen und Umwelteinflüsse genau geklärt werden.
x Die Auslegung auf Basis bewährter Hypothesen und Rechenverfahren erfolgen.
x Die Fertigungs- und Montagevorgänge gründlich beschrieben und kontrolliert
werden.
x Systematische Bauteiluntersuchungen unter verschärften Bedingungen durch-
geführt werden.
x Der Anwendungsbereich genau definiert werden.
Der Konstrukteur, der mit Konstruktionselementen arbeitet, muss also entspre-
chend diesem Prinzip die Elemente überdimensionieren. In der Praxis bedeutet
dies, dass jeweils die ungünstigsten Randbedingungen angenommen werden.
Zusätzlich wird der erforderliche Sicherheitsfaktor (siehe Kapitel 3) entsprechend
hoch angesetzt. Bei sehr hohen Sicherheitsanforderungen sind gegebenenfalls
auch Versuchsreihen erforderlich, um zum einen die maximal wirkenden Bean-
spruchungen zu ermitteln und zum anderen die aus den Berechungen ermittelten
Beanspruchungen nachzuweisen.
Bei Konstruktionen, die nach dem Prinzip des beschränkten Versagens ausge-
legt wurden, ist eine auftretende Störung zulässig, darf aber keine schwerwiegen-
den Folgen haben. Entweder bleibt die Funktion in eingeschränktem Umfang
erhalten, mindestens kann die Maschine aber gefahrlos außer Betrieb genommen
werden. Das Auftreten eines Fehlers muss dabei leicht erkennbar sein [PaBe03].
In Abb. 4.11. ist eine Sicherheitsbremse für einen Kran dargestellt. Im unbetätig-
ten Zustand ist die Bremse eingebremst, die Last kann also nicht bewegt werden.
Hierfür sorgt die Feder 1. Erst wenn durch den Pneumatikzylinder 2 die Bremsba-
cken von der Bremstrommel 3 abgehoben werden wird die Last freigegeben und
4.2 Grundregeln der Gestaltung 179
kann bewegt werden. Um eine „fail-safe-Lösung handelt es sich bei dieser Kon-
struktion aufgrund der verwendeten Druckfeder zur Erzeugung der Anpresskraft.
Bricht diese Feder, so geht zwar ein Teil der Anpresskraft durch Setzen (Verkür-
zen) der Feder um maximal eine Windung verloren, kann aber nicht Null werden.
Die Kranlast kann also im Schadensfall nicht schlagartig herunterfallen.
Zur Erhöhung der Sicherheit aber auch der Zuverlässigkeit kommt das Prinzip
der redundanten Anordnung zum Einsatz. Dabei werden zur Erfüllung einer
Funktion Systemelemente mehrfach angeordnet. Sie können entweder während
des normalen Betriebs aktiv sein, aktive Redundanz, oder werden erst beim Aus-
fall des aktiven Elements zugeschaltet, passive Redundanz. Diese grobe Unter-
scheidung soll an dieser Stelle genügen.
Die Schutzfunktion und damit die angestrebte Sicherheit werden mit Hilfe von
Schutzsystemen und Schutzeinrichtungen erreicht.
x Schutzsysteme sind aktive Systeme, die bei einer Gefährdung eine Schutzreak-
tion auslösen. Dazu muss von dem Schutzsystem die Gefahr erfasst und besei-
tigt werden können. Hierfür sind entsprechende Sensoren und Aktoren erfor-
derlich. Ein Beispiel für ein solches Schutzsystem ist der Wärmesensor eines
elektrischen Ofens, der bei Überhitzung ein Schaltsignal an eine Steuereinrich-
tung sendet, die den Ofen dann stromlos schaltet.
x Schutzeinrichtungen sind passive Systeme. Sie haben also eine Schutzfunktion
ohne Schutzreaktion, siehe Abb. 4.12.
180 4 Gestaltung von Elementen und Systemen
Abb. 4.12. Trennung von Gefahr und Mensch durch eine Schutzeinrichtung [StVo92]
4.3 Gestaltungsprinzipien
Bei der hier vorgestellten Betrachtung ist neben der eigentlichen Kraftleitung auch
das Leiten von Biege- und Drehmomenten mit eingeschlossen. Dabei ist zu
beachten, dass Kräfte sowie Biege- und Drehmomente immer auch eine Verfor-
mung hervorrufen. Zu dem hier behandelten Prinzip können die folgend aufge-
führten Untergruppen gezählt werden.
4.3 Gestaltungsprinzipien 181
Abb. 4.15. Kurze und direkte Kraftleitung: Links alte Ausführung, rechts verbesserte
Ausführung mit kurzen Kraftleitungswegen [StVo92]
Auch bei der Verzweigung und dem Zusammenführen von Kräften und Mo-
menten ist das Prinzip der abgestimmten Verformung zu beachten. Ein bekanntes
Beispiel hierzu ist das in Abb. 4.17. dargestellte Kranlaufwerk.
4.3 Gestaltungsprinzipien 183
Das Prinzip der Aufgabenteilung zielt darauf ab, die Grundregel der „Eindeutig-
keit“ umzusetzen. Gleichzeitig ist es möglich durch Mehrfachanordnung eines
Systemelements die Gesamtleistung zu erhöhen. Grundsätzlich wird angestrebt,
Funktionen mit möglichst wenigen Funktionsträgern zu erfüllen. Dementspre-
chend muss der Konstrukteur zu Beginn verschiedene Fragen klären:
1. Welche Teilfunktionen sollen mit je einem Funktionsträger erfüllt werden?
2. Ist es möglich, mehrere Teilfunktionen mit nur einem Funktionsträger zu
erfüllen?
3. Welche Teilfunktionen müssen, z.B. aus Sicherheitsgründen, mit je einem oder
im Sinne der Redundanz mit mehreren Funktionsträgern erfüllt werden?
Durch geschickte Wahl der Systemelemente und ihre Anordnung im System selbst
wird nach dem Prinzip der Selbsthilfe eine sich gegenseitig unterstützende Wir-
kung erzielt, die hilft, die Funktion besser zu erfüllen und bei Überlast Schäden zu
vermeiden. Ein typisches Beispiel ist in Abb. 4.20. wiedergegeben.
Abb. 4.20. Wartungsdeckel nach dem Prinzip der Selbsthilfe. Mit zunehmendem Druck
wird der innen liegende Deckel stärker an die Dichtung gepresst und gleichzeitig die
Spindel entlastet.
Der ovale Deckel in Abb. 4.20. befindet sich auf der Innenseite des Behälters.
Zur Erzeugung einer Anpresskraft „U“ des Deckels im drucklosen Zustand, dient
eine Spindel, die sich auf einer Traverse außen am Kessel abstützt. Mit zuneh-
mendem Kesseldruck pi erhöht sich auch die Anpresskraft des Deckels G. Die
Dichtkraft G des Deckels setzt sich dabei aus der Spindelkraft U und der Hilfs-
kraft H pi * Fläche des Deckels zusammen. Mit zunehmenden Druck pi wird
gleichzeitig die Spindel entlastet.
Abb. 4.21. Nutring zur Dichtung von Hydraulikzylindern nach dem Prinzip der selbstver-
stärkenden Lösung
Abb. 4.22. Elastische Kupplung mit Schraubenfedern und besonderen Anschlägen zur
Übernahme der Kräfte bei Überlast [PaBe03]
4.4 Gestaltungsrichtlinien 187
Aus der Mechanik sind die Begriffe „stabil“, „indifferent“ und „labil“ bekannt.
Beim Konstruieren von Produkten strebt man im Sinne der Grundregel „Eindeu-
tigkeit“ danach stabile, bzw. bistabile Zustände im Produktverhalten sicher zu
stellen.
4.4 Gestaltungsrichtlinien
Jeder Konstrukteur muss sich bei seiner Arbeit im Klaren sein, dass er durch die
Gestaltung der Einzelteile sowie deren Zusammenfügen zu Baugruppen und
letztlich zum vollständigen Produkt einen großen Einfluss auf die Fertigungskos-
ten, -zeiten und -qualitäten hat. Durch die Wahl der Form, der Abmessungen,
Oberflächenqualitäten, Toleranzen und Passungen beeinflusst der Konstrukteur:
x die einsetzbaren Fertigungsverfahren
x die verwendbaren Werkzeugmaschinen, Werkzeuge und Messmittel
x die Möglichkeiten zur Qualitätssicherung
Zusätzlich können Entscheidungen zur Eigen- oder Fremdfertigung beeinflusst
werden, wenn zur Herstellung der gewählten Bauteilform im eigenen Hause keine
Maschine verfügbar ist.
Umgekehrt muss sich ein Konstrukteur über die im eigenen Hause gegebenen
Fertigungsmöglichkeiten informieren, bzw. die Strategie hinsichtlich Eigen- und
Fremdfertigungsteilen des Unternehmens kennen. Es ist durchaus üblich, Werk-
stücke, die ein bestimmtes Fertigungsverfahren erfordern, grundsätzlich nicht im
eigenen Hause zu fertigen. Blechteile sind hierfür ein typisches Beispiel.
Grundsätzlich ist aber das Wissen über die Möglichkeiten der unterschiedlichen
Fertigungsverfahren unabdingbar, auch wenn Bauteile fremdgefertigt werden,
damit der Zulieferer aufgrund der vorgegebenen Gestaltung hinsichtlich der
Qualität und der Kosten optimal arbeiten kann. Deshalb sind im Folgenden Gestal-
tungsrichtlinien für die unterschiedlichen Fertigungsverfahren aufgeführt. In Abb.
4.23. ist ein Überblick nach [DIN8580] über die Fertigungsverfahren wiedergege-
ben.
4.4.2.1 Urformgerecht
Bei Bauteilen aus Gusswerkstoffen, also dem Urformen aus dem flüssigen Zu-
stand, muss die Gestaltung modellgerecht (Mo), formgerecht (Fo), gießgerecht
(Gi) sowie bearbeitungsgerecht (Be) sein, siehe Abb. 4.24.
Hinweis: In den Abb. 4.24. bis Abb. 4.33.bedeutet in der Spalte „Ziele“ ein
„A“: Gestaltungsrichtlinie dient der Verringerung des Aufwands und ein „Q“:
Gestaltungsrichtlinie dient der Erhöhung der Qualität.
4.4 Gestaltungsrichtlinien 189
Bei gesinterten Bauteilen, also dem Urformen aus dem pulverförmigen Zu-
stand, muss die Gestaltung werkzeuggerecht (We) und sintergerecht (Si), bzw.
verfahrensgerecht sein, siehe Abb. 4.25.
4.4.2.2 Umformgerecht
Von den in [DIN8580] aufgeführten Verfahren zum Umformen sollen hier das
Freiformen und das Gesenkformen, beide Verfahren zählen zum Druckumformen,
das Kaltfließpressen und Ziehen, diese beiden Verfahren zählen zum Zugdruck-
umformen, sowie das Biegeumformen betrachtet werden.
Freiformgeschmiedete Werkstücke müssen schmiedegerecht gestaltet sein. Das
bedeutet im Einzelnen:
x Möglichst einfache Formen ohne scharfe Kanten. Große Rundungen und
möglichst parallele Flächen
x Schmiedestücke nicht zu schwer gestalten, deshalb evtl. Bauteil teilen
x Keine großen Querschnittsunterschiede, zu hohe und dünne Rippen vermeiden
x Einseitig sitzende Augen vorsehen
In Abb. 4.26. sind Hinweise für die Gestaltung von Gesenkschmiedeteilen dar-
gestellt. Hier ist eine werkzeuggerechte (We), schmiedegerechte (Sm) und bear-
beitungsgerechte (Be) Gestaltung anzustreben.
4.4 Gestaltungsrichtlinien 191
4.4.2.3 Trenngerecht
Im Rahmen dieses Buches soll nur das Spanen mit geometrisch bestimmter
Schneide, also das Drehen, Bohren und Fräsen sowie das Spanen mit geometrisch
unbestimmter Schneide, also das Schleifen, und das Zerteilen, also das Schneiden,
behandelt werden.
Die Gestaltung der Werkstücke muss sich an den Eigenheiten der Werkzeuge,
werkzeuggerecht (We), und des Spanens, spangerecht (Sp), orientieren. Beide
Gesichtspunkte erfordern vom Konstrukteur Beachtung und eine gewisse Planung.
Das wird deutlich, wenn beide Begriffe näher betrachtet werden.
194 4 Gestaltung von Elementen und Systemen
Werkzeuggerecht heißt:
x Ausreichend Spannmöglichkeiten vorsehen.
x Zu Bearbeitende Flächen so anordnen, dass die gesamte spanende Bearbeitung
in einer Aufspannung erfolgen kann, also nicht umgespannt werden braucht.
x Die Werkstückbemaßung so vorsehen, dass zum Messen abhängiger Maße das
Werkstück nicht abgespannt werden muss.
x Genügend Werkzeugauslauf vorsehen.
Spangerecht heißt:
x Unnötigen Zerspanaufwand vermeiden. Wenn nicht aus optischen Gründen
erforderlich Flächen ohne Passungsfunktion nicht bearbeiten. Dabei muss die
Spannungssymmetrie im Bauteil beachtet werden. Insbesondere bei wärmebe-
handelten, also geschmiedeten, warmgewalzten oder ausgebrannten Bauteilen
ist die in den Oberflächen vorhandene Eigenspannung zu beachten. Wird von
zwei parallelen Oberflächen solcher Halbzeuge nur eine bearbeitet, kann dies
zu Verzug des Bauteils führen. In diesem Fall müssen beide Seiten bearbeitet
werden.
x Bearbeitungsflächen möglichst parallel oder senkrecht zur Aufspannfläche
vorsehen.
x Die zu bearbeitenden Flächen sollten möglichst durch Drehen oder Bohren
herstellbar sein. Fräsen und besonders Hobeln ist aufwändiger.
In Abb. 4.29. sind Gestaltungsrichtlinien mit Beispielen für die Drehbearbei-
tung wiedergegeben. Die Abb. 4.30. zeigt Gestaltungsrichtlinien für Bohrbearbei-
tung, Abb. 4.31. für Fräsbearbeitung und Abb. 4.32. für Schleifbearbeitung.
Ergonomiegerechte Gestaltung
Die ergonomiegerechte Gestaltung von Produkten umfasst eine Reihe von Aspek-
ten, von denen hier die wichtigsten erläutert werden sollen. Da im Mittelpunkt der
Betrachtung immer der Mensch steht, ist ein erster wichtiger Aspekt bei der
ergonomischen Gestaltung die Betrachtung der Gestalt des Menschen. Hierzu
gehören beispielsweise Angaben über:
x Körpermaße
x Greifräume
x .....usw.
Nur mit entsprechenden Vorgaben zum Arbeitsraum und zum zukünftigen Bedie-
ner lassen sich Produkte ergonomiegerecht gestalten. In Abb. 4.34. ist als Beispiel
zum ergonomiegerechten Gestalten die Gestaltung einer Arbeitsfläche wiederge-
geben.
Abb. 4.34. Greifraum eines Menschen mit Angabe der optimalen Arbeitsfläche, schraffierte
Fläche [Lucz93]
4.5 Literatur
Albert Albers
Das der Funktion der Federn zugrundeliegende Wirkprinzip ist die Speicherung
von Energie. Dieses Wirkprinzip kann durch unterschiedliche physikalische
Effekte verwirklicht werden. Federn sind in der Lage die gespeicherte Energie
wieder abzugeben, wodurch unterschiedliche Funktionen ausgeübt werden
können. Auf die Energiespeicherung bzw. die Berechnung der Federenergie wird
im Detail in Abschnitt 5.1.2 eingegangen.
Wie jedes technische Gebilde besitzen Federn Wirkflächen, die im eingebauten
Zustand zusammen mit den Wirkflächen des umgebenden Systems Wirkflächen-
paare bilden [Alb02]. Prinzipiell muss die Feder für die Einleitung der Federkraft
mindestens zwei Wirkflächen besitzen. Es sind also an jeder beliebigen Feder im
Einbauzustand immer mindestens zwei Wirkflächenpaare vorhanden. Darüber
202 5 Elastische Elemente, Federn
5.1.2 Eigenschaften
dM t (5.2)
ct tan D
dM
Die Federrate einer Feder mit linearer Kennlinie ist konstant und wird deshalb
auch oft als Federkonstante bezeichnet. Sie kann gemäß Gleichungen (5.3) bzw.
(5.4) durch den Quotienten aus einer beliebigen Lastdifferenz und der zugehörigen
Auslenkungsdifferenz bestimmt werden.
5.1 Allgemeine Grundlagen zu Federn 203
F2 F1 (5.3)
c
s 2 s1
1 dM (5.6)
Gt
ct dM t
204 5 Elastische Elemente, Federn
5.1.2.2 Federarbeit
Die Energie, die in einer Feder beim Einwirken einer äußeren Belastung als
potentielle Energie gespeichert wird, heißt elastische Federarbeit Wel. Im Feder-
diagramm ist die elastische Federarbeit die Fläche zwischen der Federkennlinie
und dem Abszissenabschnitt von der ursprünglichen bis zur maximalen Federung
(s. Abb. 5.2.). Dementsprechend kann für einen allgemeinen Kennlinienverlauf die
elastische Federarbeit (Formänderungsarbeit), die ausgehend von einer An-
fangsauslenkung der Feder beim weiteren Verformen gespeichert wird, durch die
Gleichungen (5.7) und (5.8) ausgedrückt werden.
s2 (5.7)
W ³ F s ds Wel
s1
M2 (5.8)
W ³ M t M dM Wel
M1
Für den Spezialfall einer linearen Federkennlinie lassen sich die in Gleichungen
(5.9) und (5.10) dargelegten Zusammenhänge aufstellen.
1 1 2
2
Fmax (5.9)
W Fmax s max c s max Wel
2 2 2c
1 1 2
M t,2max (5.10)
W M t, max M max c M max Wel
2 2 2c
5.1 Allgemeine Grundlagen zu Federn 205
5.1.2.3 Nutzungsgrad
Bei strenger Gültigkeit des Hooke’schen Gesetzes und über Federquerschnitt A
und Federlänge l gleichmäßig verteilten Normalspannungen gilt für die ideale
Arbeitsaufnahmefähigkeit der Feder unter der Voraussetzung V A l :
s max s max
F ds s max
ds s max (5.11)
³ F ds ³ A Al l ³ V V l ³ V V dH
0 0 0 0
dV
Mit dH (aus Hooke’schem Gesetz) folgt:
E
V max
V V 2
V max V (5.12)
W ³ dV
0 E 2E
Entsprechend lautet die Beziehung für gleiche Voraussetzungen, allerdings bei
reiner Schub- bzw. Torsionsspannung:
W max
W V 2
W max V (5.13)
W ³ dW
0 G 2G
Die Gleichungen (5.12) und (5.13) beschreiben die ideale Ausnutzung des
Federwerkstoffvolumens. Um eine allgemein gültige Beziehung für die elastische
Federarbeit W zu erhalten, wird der Nutzungsgrad K A eingeführt, der sich aus
dem Verhältnis der wirklichen zur idealen Arbeitsaufnahmefähigkeit einer Feder
ergibt [Dub01, Nie01].
2
V max V 2
W max V (5.14)
W KA bzw. W KA
2E 2G
Durch den Nutzungsgrad wird die Nutzung des Federwerkstoffvolumens in
Abhängigkeit von der Gestalt der Feder und der Belastungsart charakterisiert. Er
gibt an, wie gleichmäßig das Werkstoffvolumen durch die inneren Kräfte oder
Spannungen beansprucht wird. Da der Nutzungsgrad K A ein für die Gestalt der
Feder charakteristischer Wert ist, wird auch die Bezeichnung Art-Nutzwert oder
Artnutzgrad verwendet. Für die Zugstabfeder nimmt der Artnutzgrad genau den
Wert 1 an, da bei diesem Federtyp eine ideale Werkstoffausnutzung vorliegt (s.
Abb. 5.3.). Auf die Berechnung des Artnutzgrades für bestimmte Federtypen wird
noch in den entsprechenden Abschnitten eingegangen. Neben dem Artnutzgrad
werden in der Literatur [Nie01] noch der Volumennutzgrad K V und der Ge-
wichtsnutzgrad K Q verwendet. Der Volumennutzgrad ergibt sich aus dem
Verhältnis der Arbeitsaufnahmefähigkeit zum Federvolumen und ist somit
geeignet, das zur Aufnahme einer bestimmten elastischen Arbeit erforderliche
Volumen zu bestimmen.
206 5 Elastische Elemente, Federn
W V2 W W2 (5.15)
KV KA bzw. K V KA
V 2E V 2G
Dementsprechend wird der Gewichtsnutzgrad aus dem Verhältnis der Arbeitsauf-
nahmefähigkeit zum Gewicht der Feder berechnet. Er kann also zur Ermittlung
des zur Aufnahme einer bestimmten elastischen Arbeit erforderlichen Gewichts
genutzt werden.
WD (5.16)
\
Wel
Wichtiger noch als die Werkstoffdämpfung ist die äußere Dämpfung. Sie setzt
sich aus den Dämpfungsanteilen zusammen, die auf Gestalt und Anordnung der
Feder im System zurückzuführen sind. Bei bestimmten Anordnungen resultieren
Wirkflächenpaare mit Relativbewegung, wodurch Reibungskräfte entstehen.
Dabei wird aufgrund der äußeren Reibung ein Teil der aufgenommenen Federar-
beit in Form von Wärmeenergie abgegeben. Typische Beispiele für Systeme mit
starker äußerer Dämpfung sind geschichtete Blattfedern, Ringfedern und Spiralfe-
dern im Federnhaus [Mei97] sowie Bogenfedern [Alb91]. In Abschnitt 5.6 wird
anhand eines Beispiels aus der Praxis nochmals auf den Einfluss der äußeren
Dämpfung auf das dynamische Verhalten eingegangen.
Abb. 5.4. Dämpfung bei dynamischer Belastung a) innere Dämpfung bei viskoelastischem
Werkstoffverhalten bei schwingender Beanspruchung, b) äußere Dämpfung durch Reibung
bei einmaliger Be- und Entlastung
5.1.3.1 Parallelschaltung
Bei einer Parallelschaltung sind die Federn so angeordnet, dass sich die äußere
Belastung F anteilig auf die einzelnen Federn aufteilt. Als wesentliche Randbe-
dingung dieser Anordnungsform ist festzulegen, dass der Federweg s für alle
Federn gleich groß ist. Für eine Parallelschaltung von n Federn sind also folgende
Zusammenhänge gültig:
s si s1 s2 ... sn (5.17)
n (5.18)
F ¦ Fi mit F1 z F2 z ... z Fn
1
Zur Berechnung der Federrate cges dieses Systems ist es zweckmäßig, eine
Ersatzfeder einzuführen, die eine äußere Belastung F erfährt und um den Weg s
ausgelenkt wird. Mit den Einzelbelastungen aus Gleichung (5.18) und der
Bedingung aus Gleichung (5.17) lässt sich die Federrate cges der Ersatzfeder und
somit jene des Systems wie folgt berechnen:
n n (5.19)
s cges F ¦ Fi s ¦ ci
1 1
n (5.20)
cges ¦ ci
1
Somit ergibt sich die Federrate eines Systems aus parallel geschalteten Federn aus
der Summe der Federraten der Einzelfedern (Analogie: Gesamtkapazität von
parallel geschalteten Kondensatoren).
5.1.3.2 Reihenschaltung
Das wichtigste Merkmal dieser Anordnungsform ist, dass jede einzelne Feder die
gleiche äußere Belastung F erfährt. Aufgrund der unterschiedlichen Federraten ci
müssen demzufolge auch unterschiedliche Federwege si resultieren. Somit gilt für
ein System aus n in Reihe geschalteten Federn:
F Fi F1 F2 ... Fn (5.21)
n (5.22)
s ¦ si mit s1 z s2 z ... z sn
1
Auch in diesem Fall wird zur Berechnung der Federrate des Gesamtsystems eine
um den Federweg s ausgelenkte Ersatzfeder mit der Federrate cges eingeführt.
Unter Berücksichtigung von Gleichung (5.21) ergibt sich cges aus Gleichung
(5.22).
5.1 Allgemeine Grundlagen zu Federn 209
F n n 1 (5.23)
s ¦ si F ¦
cges 1 1 ci
1 n 1 (5.24)
¦
cges 1 ci
Aus der Summe der Reziprokwerte der Einzelfederraten ergibt sich demnach der
Reziprokwert der Gesamtfederrate eines Systems von in Reihe geschalteten
Federn (Analogie: Gesamtkapazität von in Reihe geschalteten Kondensatoren).
c (5.26)
Z0
m
5.1 Allgemeine Grundlagen zu Federn 211
Wird die Schwingung periodisch von einer äußeren Kraft angeregt, handelt es sich
um eine erzwungene Schwingung. Die äußere Kraft ist dabei eine Funktion der
Zeit.
F (t ) Fˆ cos(Z t ) (5.29)
Gleichung (5.29) bildet die rechte Seite der Differentialgleichung zur Beschrei-
bung einer erzwungenen Schwingung. Bei geschwindigkeitsproportionaler
Dämpfung ergibt sich die inhomogene Differentialgleichung (5.30).
d c Fˆ (5.30)
x x x cos(Z t )
m m m
Die allgemeine stationäre Lösung von Gleichung (5.30) lautet:
Fˆ (5.31)
xt V cos(Z t M )
c
212 5 Elastische Elemente, Federn
1 (5.33)
V
1 K
2 2
4 D 2 K 2
Z d (5.34)
mit K und D
Z0 2 mc
Federn sind zum Teil höchstbelastete Bauteile, deren Versagen oft mit hohen
Folgekosten verbunden ist (Beispiel: Ventilfedern). Der Werkstoffauswahl und
-behandlung kommt demnach eine entscheidende Bedeutung im Federentwick-
lungsprozess zu. Bei hochbelasteten Federn ist eine entsprechend hohe Streck-
grenze erforderlich, um rein elastische Verformung zu gewährleisten, wobei in
einigen Fällen beim Herstellungsprozess von metallischen Federn durchaus auch
gezielt plastische Deformationen erzeugt werden (z.B. Setzen, Kugelstrahlen).
Beim Setzen handelt es sich um ein Verfahren dem metallische Druckfedern bei
der Herstellung unterzogen werden, um ihr elastisches Formänderungsvermögen
zu verbessern. Hierzu wird die Feder so stark belastet, dass der Werkstoff im
Randbereich des Drahtes eine Beanspruchung oberhalb der Elastizitätsgrenze
erfährt und somit aufgrund plastischer Verformungen ein Eigenspannungszustand
im unbelasteten Drahtquerschnitt entsteht (s. Abb. 5.9.). Diese Eigenspannungen
erhöhen die Beanspruchbarkeit für die Belastungsrichtung, die beim Setzen
gewählt wurde. Es wird zwischen Kalt- und Warmsetzen unterschieden [Mei97].
Des weiteren sind bei der Auswahl eines geeigneten Federwerkstoffes je nach
Anwendungsfall die statische bzw. dynamische Festigkeit, Korrosionsbeständig-
keit sowie die Warmfestigkeit von Interesse.
In diesem Abschnitt werden einige wichtige Federwerkstoffklassen vorgestellt
und wichtige Begriffe abgegrenzt.
Zur Einteilung der unterschiedlichen Elastomere wird die Shore Härte A nach
[DIN53505] benutzt. Sie wird aus dem Widerstand bestimmt, den ein Kegel-
stumpf (s. Abb. 5.10.) beim Eindringen in den Gummiwerkstoff erfährt. Mit Hilfe
der Shore Härte kann der Schubmodul G bestimmt werden, der unabhängig von
der Geometrie der Feder ist. Des weiteren hängt der dynamische Überhöhungsfak-
tor k d von der Shore Härte A ab. Mit ihm kann die Erhöhung der Federrate bei
dynamischer Beanspruchung von Elastomerfedern berücksichtigt werden (s.
Abschnitt 5.6).
Abb. 5.10. Prüfnadel zur Messung der Härte nach Shore A (DIN 53505) und Abhängigkeit
des Schubmoduls und des dynamischen Überhöhungsfaktors von der Shore Härte
Um sich bei der Vielzahl der existierenden Bauarten einen Überblick über die
einzelnen Federarten verschaffen zu können, muss eine sinnvolle Klassierung
eingeführt werden. Prinzipiell bieten sich Klassierungen nach Werkstoff, nach
Beanspruchung, nach Funktion oder nach der Gestalt der Feder an. Welche
Klassierungsform die günstigste ist, hängt vom verfolgten Ziel ab.
Aus Sicht des Kunden ist letztendlich nicht das Produkt selbst, sondern die
Erfüllung einer angedachten Funktion wichtig. In der Konzeptionsphase wird
deshalb das Produkt abstrakt durch seine Funktion beschrieben, um eine schädli-
che Vorfixierung auf konkrete Bauteile bewusst zu vermeiden [Alb02]. Für den
Produktentwickler erscheint folglich eine Klassierung nach der Funktion als
zweckdienlich. Um eine solche Klassierung zu verwirklichen, müssen unter-
schiedliche technische Systeme analysiert werden, in denen Federn zum Einsatz
kommen. Letztendlich wird dann die Funktion dieser Federn im System als einzig
interessierende Größe herausgearbeitet. Durch konsequente Untergliederung
entsteht am Ende ein umfangreicher Katalog an Funktionen, die in technischen
Systemen durch Federn erfüllt werden können. An dieser Stelle wird in Abb. 5.12.
218 5 Elastische Elemente, Federn
Bei zug- bzw. druckbeanspruchten Federn wird der Werkstoff gleichmäßig durch
Normalspannungen beansprucht. Dieser Kategorie gehören Stabfedern und
Ringfedern an. Es soll hier auch ein Spezialfall von druckbeanspruchten Federn
betrachtet werden, bei dem der „Werkstoff“ gasförmig ist. Es handelt sich dabei
um die Luftfeder, die in vielen Bereichen der Technik immer mehr an Bedeutung
gewinnt (Bsp. Fahrzeugbau).
5.2.1 Stabfedern
5.2.1.1 Eigenschaften
Die Stabfeder besitzt unter allen Federn die wohl einfachste Geometrie. Sie lässt
sich alleine durch die Querschnittsfläche A und die Länge l beschreiben. Wird nun
ein solcher Stab durch eine Zug- bzw. Druckkraft F belastet, so entsteht eine über
dem Querschnitt konstante Spannung.
5.2 Zug-/Druckbeanspruchte Federn 219
Da das Werkstoffvolumen bei der Zugstabfeder ideal ausgenutzt wird und somit
Gleichung (5.12) direkt gültig ist, nimmt der Artnutzgrad bei der Stabfeder den
Wert 1 an.
5.2.1.2 Anwendung
Die Stabfeder besitzt eine hohe Steifigkeit. Um bei vorgegebener Kraft einen
bestimmten Federweg zu erreichen, muss die Länge der Stabfeder deutlich größer
als die Länge einer anderen Federart sein. Die Stabfeder spielt demnach als Zug-
und Druckfeder in der Technik keine große Rolle.
5.2.2 Ringfedern
5.2.2.1 Eigenschaften
Ringfedern setzen sich aus mehreren doppelkegelig geformten Innen- und Außen-
ringen zusammen und können Belastungen in Form von Druckkräften in Richtung
der Kegelachse aufnehmen. Jede Kegelfläche eines Innenringes berührt die Kegel-
220 5 Elastische Elemente, Federn
beschreibt die Verhältnisse unter Vernachlässigung der Reibung, wobei die axiale
Federkraft mit F bezeichnet wird, (zur Modellbildung wird die in axialer Richtung
wirkende Kraft F in zwei Kräfte à F/2 aufgeteilt). Zusammen mit der radial
wirkenden Kraft Frad , die aus der Verformung der Ringe herrührt, resultiert die
Kraft Fres . In diesem Sonderfall steht Fres normal zur Wirkfläche [Frie64,
Krei58]. In den beiden anderen Fällen wird die Reibung mit dem Reibungswinkel
U berücksichtigt. Gleichung (5.40) gibt den Zusammenhang zwischen Rei-
bungswinkel und Reibbeiwert P wieder.
U arctan P (5.40)
In Fall 2 wird die Feder mit der Kraft F1 belastet, die aufgrund der Reibungskraft
FR größer ist als die Kraft F aus Fall 1. Die Radialkraft kann nun wie folgt
berechnet werden:
F1 (5.41)
Frad
tan(D U )
Wird die Feder jetzt entlastet (Fall 3), so sinkt die Federkraft schlagartig auf den
Wert F2 (s. Abb. 5.13. u. Abb. 5.14.), weil dann die Reibungskraft in Gegenrich-
tung wirkt. Es gilt:
tan(D U ) (5.42)
F2 Frad tan(D U ) F1
tan(D U )
Damit eine Rückfederung stattfinden kann, muss eine rückstellende Kraft vorhan-
den sein. In Abb. 5.14. (Fall 3) ist zu erkennen, dass die Kraft F2 nur dann eine
rückstellende Wirkung zeigt, wenn der halbe Kegelwinkel D größer ist als der
222 5 Elastische Elemente, Federn
Sowohl in den Innenringen als auch in den Außenringen liegt ein dreiachsiger
Spannungszustand vor (Tangential-, Radial- und Axialspannungen). Aus der
Belastung an den Wirkflächen der Außenringe resultieren neben Druckspannun-
gen in axialer und radialer Richtung Zugspannungen in Umfangsrichtung.
Demgegenüber treten an den Innenringen in allen drei Richtungen Druckspannun-
gen auf. Die Ringe können näherungsweise als dünnwandige zylindrische Rohre
aufgefasst werden, solange folgende Beziehung zwischen dem inneren Radius ri
und dem äußeren Radius ra der Ringe gilt [Frie64]:
ra (5.44)
d 1,2
ri
p rm (5.46)
V T, a
ta
In den oben genannten Gleichungen steht p für die Pressung an den Wirkflächen-
paaren, rm für den mittleren Fügeradius der Wirkflächen und t für die Wanddicke
der Ringe. Der Index a bezeichnet den äußeren und der Index i den inneren Ring.
Die eigentliche Flächenpressung wird durch die normal zur Wirkfläche stehenden
Kraft FN hervorgerufen, wobei diese allerdings nicht der Pressung in den
Gleichungen (5.45) und (5.46) entspricht. Aufgrund der näherungsweisen Betrach-
tung der konischen Ringe als zylindrische Rohre und der Tatsache, dass die
Tangentialspannungen durch radiale Verformung der Ringe induziert werden,
muss eine radial wirkende Kraft zur Erzeugung dieser Pressung herangezogen
werden. An dieser Stelle wird demnach die konische Form der Ringe vernachläs-
sigt und es werden stattdessen Ersatzringe zur Berechnung der Pressung einge-
führt. Aus Abb. 5.15 geht die prinzipielle Vorgehensweise zur Berechnung der
Tangentialspannungen hervor. Zuerst wird die Radialkraft Frad berechnet, die für
die radiale Verformung der Ringe und somit für die entstehenden Tangentialspan-
nungen verantwortlich ist. In Abb. 5.15. ist Frad gemäß der in Abb. 5.14. getroffe-
nen Vereinbarung eingezeichnet. Diese Kraft ergibt sich für den Belastungsfall
aus Abb.5.14 aus dem Zusammenhang, der in Gleichung (5.41) wiedergegeben ist.
Danach erfolgt der Übergang zum Ersatzmodell. Nun lässt sich die Flächenpres-
5.2 Zug-/Druckbeanspruchte Federn 223
F1 (5.49)
V T, a
S Aa tan(D U )
Durch die Aufweitung des Außenrings und die Stauchung des Innenrings können
sich die Ringe unter Einwirkung der Axialkraft ineinander bewegen. An jedem
Ringfederelement wird so der Teilfederweg s0 zurückgelegt. Dieser lässt sich
unter Berücksichtigung der Aufweitung des Außenrings 'ra und der Stauchung
des Innenrings 'ri direkt aus der Geometrie der konischen Ringe ermitteln.
'ra 'ri (5.50)
s0
tan D tan D
Für die Aufweitung bzw. Stauchung sind bei rein elastischer Verformung folgende
Zusammenhänge gültig, wobei Ea und Ei die Elastizitätsmodule der Werkstoffe
für Außen- bzw. Innenring sind:
224 5 Elastische Elemente, Federn
Demnach lässt sich der Federweg, der durch die Relativbewegung in einem
Wirkflächenpaar entsteht, berechnen, also der Teilfederweg eines Ringfederele-
mentes. Der gesamte Federweg einer Ringfeder mit n Federelementen ergibt sich
aus der Summe der Einzelfederwege. Gleichung (5.53) gilt, wenn die Elastizitäts-
module für die Werkstoffe von Außen- und Innenring identisch sind. In der Praxis
kann es auch zweckmäßig sein, unterschiedliche Materialien zu wählen [Krei58].
V T, a rm,a V T, i rm,i (5.53)
s n
E tan D
Die Federarbeit wird gemäß Gleichung (5.14) berechnet. Mit den Tangentialspan-
nungen aus den Gleichungen (5.48) und (5.49) resultiert die Federarbeit bei
Belastung:
V T,2 a Va V T,2 i Vi (5.54)
W1 KA
2 E
Hieraus kann unter Berücksichtigung von Gleichung (5.42) direkt die abgegebene
Federarbeit bei Entlastung bestimmt werden:
tan(D U ) (5.55)
W2 W1
tan(D U )
5.2.2.2 Anwendung
Aufgrund ihrer Dämpfungseigenschaften werden Ringfedern bei großen oder
stoßartigen Belastungen eingesetzt, deren Stoßenergie gedämpft werden soll.
Typischerweise werden bei Ringfedern etwa 2/3 der aufgenommenen Federarbeit
in Dämpfungsarbeit umgewandelt. Ein klassischer Anwendungsfall sind Puffer für
Eisenbahnwaggons, Prell- und Rammböcke [Krei58]. Des weiteren können
Ringfedern zur elastischen Abstützung schwerer Aggregate und zur elastischen
Aufhängung schwerer Hebezeuggeschirre eingesetzt werden.
5.2.3 Luftfedern
5.2.3.1 Eigenschaften
Eine Luftfeder ist eine Kompressionsfeder, deren elastisches Verhalten nicht in
der elastischen Verformung eines Werkstoffes, sondern in der Kompressibilität
eines Gases bei Drucksteigerung begründet ist. Die Luft ist in einem druckfesten
Zylinder durch einen Kolben oder in einem leicht zusammendrückbaren Balg
luftdicht eingeschlossen. Bei der Kolbenfeder bildet die Wirkfläche des Kolbens
zusammen mit der angrenzenden Wirkfläche des Gases ein Wirkflächenpaar zur
Krafteinleitung. Das zweite Wirkflächenpaar zur Einleitung der Kraft entsteht
zwischen Luft und Zylinder. Bei konstanter Größe der Wirkflächen wird die
Änderung der Federkraft durch Gleichung (5.58) beschrieben.
dF A dp (5.58)
p V n const. (5.59)
Bei niederfrequenten Belastungen kann ein Großteil der bei der Kompression
entstehenden Wärme an die Umgebung abgegeben werden. Die Zustandsänderung
kann somit näherungsweise als isotherm betrachtet werden. Demnach strebt der
Polytropenexponent n für kleine Anregungsfrequenzen den Wert 1 an. Bei
226 5 Elastische Elemente, Federn
p § V0 ·
n (5.60)
¨ ¸
p0 ©V ¹
Um eine Kraft-Weg-Beziehung herzuleiten, ist von Gleichung (5.58) auszugehen.
Daraus folgt im Falle einer im Ausgangszustand unbelasteten Feder ( F0 0) :
p
§ p · ª§ V · n º (5.61)
F ³ A dp A p 0 ¨¨ 1¸¸ A p 0 «¨ 0 ¸ 1»
p0 © p0 ¹ ¬«© V ¹ »¼
Mit:
V0 Ah und V A h s (5.62)
Die Federkraft lässt sich demnach durch Gleichung (5.63) in Abhängigkeit des
Federweges darstellen.
§ h · (5.63)
F A p0 ¨¨ n
1¸¸
© h s ¹
Die Federrate ist allgemein definiert durch Gleichung (5.1). Danach ergibt sich für
die Federrate der Gasfeder unter Berücksichtigung des Zusammenhangs
dV A ds :
5.2 Zug-/Druckbeanspruchte Federn 227
dF A dp A2 dp (5.64)
c
ds ds dV
Mit Hilfe von Gl. (5.60) kann die differentielle Schreibweise aus Gl. (5.64) ersetzt
werden durch:
dp p V n §V · 1
n
1 (5.65)
n 0 n 10 n p0 ¨ 0 ¸ n p
dV V ©V ¹ V V
1 n ª n 1
º (5.68)
p 0 V0 ª§ V · º p0 V0 «§ p · n
W «¨¨ ¸¸ 1» «¨¨ ¸¸ 1»»
n 1 «© V0 ¹ » n 1 © p0 ¹
¬ ¼ «¬ »¼
§V · § p · (5.69)
W p 0 V0 ln¨ 0 ¸ p 0 V0 ln¨¨ ¸¸
©V ¹ © p0 ¹
Es muss an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, dass die Federrate einer
Luftfeder stark temperaturabhängig ist.
5.2.3.2 Anwendung
Luftfedern können aufgrund ihres relativ einfachen Aufbaus einerseits für weniger
aufwendige Systeme eingesetzt werden, z.B. bei Schreibtischstühlen für die
Höhen- und Neigungsverstellung. Die federnden Eigenschaften können hierbei als
Komfortmerkmal genutzt werden. Andererseits bieten Luftfedern für komplexe
Systeme die Möglichkeit, durch Kompressoren als Nebenaggregate über den
anliegenden Druck die Federrate bedarfsgerecht zu variieren. Somit können z.B.
Niveauregulierungen für Pkw- und Nkw-Fahrwerke realisiert werden, die unter
228 5 Elastische Elemente, Federn
5.3.1 Blattfedern
5.3.1.1 Eigenschaften
Zur Modellbildung können einfache Blattfedern als eingespannte Balken unter
Biegebelastung betrachtet werden. Dabei können unterschiedliche Lagerungen
bzw. Einspannungen berücksichtigt werden, wie sie aus der technischen Mechanik
bekannt sind (s. Kapitel 3) [Dub01].
Wird die Blattfeder als Balken mit konstanter Querschnittsfläche betrachtet (s.
Abb. 5.18.), lässt sich die Spannung an der Randfaser, die zugleich die maximale
Biegespannung ist, für eine beliebige Position x mit Gleichung (5.70) bestimmen.
6 F x (5.70)
V b, R x
b h2
Demnach nehmen die Randspannungen aufgrund des wachsenden Hebelarms zur
Einspannstelle hin zu. Der Artnutzgrad wird also zusätzlich zur beanspruchungs-
bedingten Verkleinerung noch weiter verringert. Für Biegefedern mit konstantem
Querschnitt liegt der Artnutzgrad bei 1/9. Um den Werkstoff besser zu nutzen,
kann unter Betrachtung von Gleichung (5.70) sowohl die Breite b als auch die
Höhe h der Blattfeder über der Länge variiert werden. In Abb. 5.19. werden hierzu
exemplarisch eine Parabelfeder, eine Dreiecksfeder und eine Trapezfeder gezeigt.
Es ist zu beachten, dass bei der Parabelfeder für die variable Höhe h(x) eine
Wurzelfunktion gewählt wurde. Bei Betrachtung von Gleichung (5.70) erscheint
dies auch zweckmäßig, da die Höhe quadratisch eingeht. Sowohl bei der Parabel-
feder als auch bei der Dreiecksfeder wird eine über der Länge konstante Rand-
spannung erreicht.
5.3 Biegebeanspruchte Federn 229
Abb. 5.18. Spannungen bei einseitig eingespannter Blattfeder mit konstantem Querschnitt
x
h x h
x
bx bmax b x bmax bmin x bmin
l l l
Mit der Dreiecksfeder wird ein Artnutzgrad von 1/3 erreicht, wobei der Artnutz-
grad der Trapezfeder abhängig vom Verhältnis O im Bereich zwischen 1/3 und
1/9 liegt. Dabei gilt für O der folgende Zusammenhang:
bmin (5.71)
O
bmax
Der maximale Federweg einer Dreiecks- bzw. Trapezfeder kann gemäß der
theoretischen Biegelinie für einen Balken mit konstantem Querschnitt durch
Multiplikation mit einem Einflussfaktor F zur Berücksichtigung des veränderli-
230 5 Elastische Elemente, Federn
chen Querschnitts berechnet werden. Hierzu stehen die Gleichung (5.72) und die
Tabelle 5.7. zur Verfügung.
4 F l3 (5.72)
s F
E bmax h 3
O 0 0,1 0,2 0,3 0,4 0,5 0,6 0,7 0,8 0,9 1,0
F 1,5 1,39 1,32 1,25 1,2 1,16 1,12 1,09 1,05 1,03 1,0
Die Dreieckfeder läuft an ihrem Ende Spitz zu, was im realen Einsatz einer
solchen Feder bei großen aufzunehmenden Kräften ungünstig ist. Besser ist die
Form der Trapezfeder mit bmin bB geeignet, da hier beim Übergang zur
geschichteten Blattfeder ein an den Enden ungeschwächtes Federblatt entsteht (s.
Abb. 5.20.). Bei sehr hohen Kräften kann bmin noch weiter vergrößert werden, so
dass mehrere gleichlange ungeschwächte Federblätter übereinander liegen
[Gro60].
Zwischen den Blattschichten entstehen Wirkflächenpaare, an welchen aufgrund
der Relativbewegungen der Wirkflächen eines Wirkflächenpaares zueinander
Reibkräfte wirken. Dementsprechend ist mit einem Kennlinienverlauf zu rechnen,
bei dem die Belastungskennlinie steiler als die Entlastungskennlinie ist (vgl.
Abschnitt 5.1). Die Dämpfungsarbeit, also die von Be- und Entlastungslinie
eingeschlossene Fläche, kann unter Umständen zu einer erwünschten
Schwingungsdämpfung führen. Jedoch kann die Reibung auch häufig
unerwünschte Effekte hervorrufen.
5.3.1.3 Anwendung
Anwendung finden Blattfedern als Rast- oder Andrückfedern bei Schiebern,
Ankern und Klinken in Gesperren sowie als Kontaktfedern in Schaltern. Früher
wurden geschichtete Blattfedern häufig zur Abfederung von Straßen- und Schie-
nenfahrzeugen eingesetzt, wobei die Reibungseffekte genutzt werden konnten.
Allerdings können sich die Reibungskräfte an den Wirkflächenpaaren auch
negativ auf den Fahrkomfort auswirken, da die Feder sich erst bei Überschreiten
232 5 Elastische Elemente, Federn
der Reibungskraft verformt. Treten Kräfte auf, die diesen Wert unterschreiten,
werden sie direkt und unverändert auf das Fahrzeug übertragen [Gro60]
5.3.2.1 Eigenschaften
Gewundene Biegefedern existieren in Form von Spiralfedern, Rollfedern und
zylindrischen Schraubendrehfedern. Gemäß [DINEN13906] T3 ist eine Drehfeder
eine Feder, die einem Drehmoment um die Längsachse entgegenwirkt. Bei der
Schraubendrehfeder handelt es sich um einen Draht, der um eine Achse gewickelt
ist (s. Abb. 5.21.). In der Regel werden Schraubendrehfedern aus rundem Draht
hergestellt. Spiralfedern besitzen dagegen meistens einen eckigen Drahtquer-
schnitt (s. Abb. 5.22.). Die Rollfeder stellt einen Spezialfall der Spiralfeder ohne
Windungsabstand dar. Sie können so hergestellt werden, dass ihre Kennlinie
nahezu über den gesamten Federweg horizontal verläuft. Wegen ihrer Kennlinie
ist auch die Bezeichnung Migra-Federn (Migra = Minimaler Gradient) gängig
[Kei64]. Sie bestehen aus einem flachen Federstahlband, das zu einer Rolle
gewickelt wird. Anschließend wird diese Rolle auf einen möglichst reibungsfrei
gelagerten Zylinder gesteckt. Es ist eine bestimmte Federkraft nötig, um das
Federband abzuwickeln. Wird das Federband von dem ursprünglichen Zylinder
auf einen Zylinder mit größerem Durchmesser aufgerollt, so entsteht ein An-
triebsmotor (s. Abb. 5.23.)
Abb. 5.23. Rollfedern mit zwei achsparallelen Federrollen. Links: Federband mit gleich-
sinniger Krümmung; Rechts: Federband mit gegensinniger Krümmung)
Mt l (5.76)
M
E I äq
Die Federlänge der Schraubendrehfeder ergibt sich hinreichend genau aus dem
mittleren Windungsdurchmesser Dm und der Anzahl der federnden Windungen n.
l S Dm n (5.77)
Bei der Spiralfeder wird die Federlänge unter Voraussetzung eines konstanten
Windungsabstandes a w näherungsweise durch Gleichung (5.78) wiedergegeben.
Die Federblattdicke wird hier mit t bezeichnet.
§ n · (5.78)
l | 2 S n ¨ ri >t a w @¸
© 2 ¹
Die Drehfederrate ct lässt sich direkt aus Gleichung (5.76) bestimmen, da ein
linearer Zusammenhang zwischen M t und M besteht.
dM t E I äq (5.79)
ct
dM l
Der Artnutzgrad ergibt sich aus einer Betrachtung der gespeicherten elastischen
Energie W nach Gleichung (5.10) und anschließendem Vergleich mit der nach
Gleichung (5.14) berechneten Arbeit.
Der Korrekturfaktor q muss bei einer dynamischen Beanspruchung auf jeden Fall
berücksichtigt werden. Bei statisch beanspruchten Federn ist er bei Beanspru-
chung entgegen des Windungssinnes in die Berechnung einzubeziehen, da an der
Innenseite der Feder durch den Windeprozess Zugeigenspannungen entstehen.
5.3.2.2 Anwendung
Spiralfedern mit Windungszwischenraum werden häufig als Rückstellfedern in
Messgeräten eingesetzt. Die Spiralfedern ohne Windungszwischenraum und die
Rollfedern werden aufgrund des guten Energiespeichervermögens vornehmlich als
Aufzugs- oder Triebfedern in mechanischen Uhren, Laufwerken und Spielzeugen
verwendet. Die Schraubendrehfedern finden als Scharnierfedern zum Anpressen
und Rückziehen von Hebeln, Stempeln, Klinken, Deckeln oder Bügeln (Mausefal-
lenfedern) Anwendung.
5.3.3 Tellerfedern
5.3.3.1 Eigenschaften
Tellerfedern sind Kreisringe mit rechteckigem radialen Querschnitt. Diese Ringe
sind in axialer Richtung um die Höhe h0 gestülpt, sodass eine Tellerform entsteht.
Die Lasteinleitung erfolgt in axialer Richtung über die kreisringförmigen Wirkflä-
chen an den Stellen I und III (s. Abb. 5.24).
In [DIN2093] werden die Tellerfedern in drei Gruppen eingeteilt. Gruppe 1
beinhaltet Tellerfedern deren Tellerdicke t kleiner ist als 1,25 mm. Sie werden
kaltgeformt und an den Kanten nicht abgerundet. Tellerfedern mit einer Tellerdi-
cke zwischen 1,25 und 6 mm sind Gruppe 2 zuzuordnen. Federn dieser Gruppe
werden ebenfalls kaltgeformt, allerdings werden hier die Kanten am Innen- und
am Außendurchmesser abgerundet. Die Federn der Gruppe 3 besitzen eine
Tellerdicke zwischen 6 und 14 mm. Sie werden in der Regel warmgeformt und
anschließend an den Wirkflächen (Position I und III in Abb. 5.24.) spanabhebend
bearbeitet, um Auflageflächen zu erzeugen, die das Führungsverhalten dieser
Tellerfedern verbessern und die Flächenpressung reduzieren.
Durch die axiale Krafteinleitung entsteht zum einen eine Zug- bzw. Druckbean-
spruchung in Umfangsrichtung und zum andern ein Biegebeanspruchung in
radialer Richtung. Die exakte Berechnung von Tellerfedern ist sehr kompliziert.
Für eine näherungsweise Berechnung von Einzeltellerfedern ohne Auflageflächen
sind die Näherungsgleichungen von Almen und László hinreichend genau
[Alm36, Gro60]. In diesen Gleichungen steht Q für die Querkontraktionszahl.
4 E t4 s ª§ h s· §h s· º (5.83)
F 2
2
«¨ 0 ¸ ¨ 0 ¸ 1»
1 Q K1 De t ¬© t t ¹ © t 2t ¹ ¼
§ G 1 ·
2 (5.84)
¨ ¸
1 © G ¹ De
K1 mit G
S G 1 2 Di
G 1 ln G
Aus der in Gleichung (5.83) gegebenen Kraft-Weg-Beziehung ist sofort zu
erkennen, dass die Tellerfeder im Allgemeinen keine lineare Kennlinie besitzt.
Dies wird noch deutlicher, wenn die Federrate bestimmt wird, denn dann ist zu
sehen, dass die Federrate eine Funktion des Federweges ist:
dF 4 E t3 ª§ h · 2 h s 3 §s·
2
º (5.85)
c «¨ 0 ¸ 3 0 ¨ ¸ 1»
ds 1 Q 2 K1 De2 «¬© t ¹ t t 2 ©t¹ »¼
Die Federarbeit einer Einzeltellerfeder, die aus der Ruhelage heraus beansprucht
wird ist gemäß Gleichung (5.7) zu berechnen. Da es sich um eine nichtlineare
Federkennlinie handelt, muss die Kraft über den Weg integriert werden.
2 2 (5.86)
s
2 E t5 § s · ª§ h0 s · º
W ³ F ds 2
2
¨ ¸ «¨ ¸ 1»
0 1 Q K1 De © t ¹ «¬© t 2t ¹ »¼
Aus Gleichung (5.83) kann die Federkennlinie berechnet werden. In Abb. 5.25.
sind berechnete Kennlinien für unterschiedliche Verhältnisse von der Stülphöhe
h0 zur Tellerdicke t dimensionslos dargestellt. Die betrachteten Kennlinien gelten
für eine Zusammendrückung bis zur doppelten Stülphöhe, also über die Planlage
der Tellerfeder hinaus. Die Kraft FC ist die Federkraft, die theoretisch bei dem
Federweg s h0 (Planlage) anliegt. Es ist zu erkennen, dass die Federkennlinie
bei einem kleinen Verhältnis von h0 / t nahezu als linear betrachtet werden kann.
Bei steigendem Federweg weicht sie zunehmend vom linearen Verlauf ab und es
entstehen sogar Kennlinienabschnitte mit negativer Federrate. Die Tellerfeder ist
die einzige Feder, mit der solche Kennlinienverläufe realisiert werden können.
5.3 Biegebeanspruchte Federn 237
Tellerfedern, die durch zwei ebene Platten belastet werden bzw. Tellerfedern, die
zu einer Säule geschichtet sind (s. Abb. 5.27.), können aufgrund der Randbedin-
gungen nur bis zur Planlage gestaucht werden. Allerdings stimmen die wirklichen
Kennlinien mit den berechneten nur für Stauchungen bis ca. 75% der Stülphöhe
überein. Bei größeren Federwegen tritt ein Abwälzen der Einzeltellerfeder auf der
Unterlage bzw. der Tellerfedern aufeinander auf. Dadurch wird der Abstand
zwischen der Wirkfläche an der Position I und jener an Position III verkürzt.
Dementsprechend sind die Tellerfedern in [DIN2092] nur für Federwege bis 75%
der Stülphöhe genormt (s. Abb. 5.26.). Um auch Federwege bis zur Planlage oder
sogar darüber hinaus zu realisieren sind geeignete konstruktive Maßnahmen zu
treffen. So können beispielsweise Zwischenringe eingesetzt werden [Gro60].
Nach [DIN2093] können die rechnerischen Spannungen an den vier in Abb.
5.24. angegebenen Positionen ermittelt werden. An den Positionen I und IV treten
Druckspannungen und an II und III Zugspannungen auf. In den Gleichungen sind
zusätzlich zu dem bereits eingeführten Kennwert K1 die Kennwerte K 2 und K 3
zu berücksichtigen. Gemäß [DIN2092] sind diese Kennwerte folgendermaßen
definiert:
G 1 (5.87)
1
6 3 G 1
K2 ln G und K 3
S ln G S ln G
238 5 Elastische Elemente, Federn
4 E t2 s ª §h s· º (5.88)
VI 2
2
«K 2 ¨ 0 ¸ K3 »
1 Q K1 De t ¬ © t 2t ¹ ¼
4 E t2 s ª §h s· º (5.89)
V II 2
2
«K 2 ¨ 0 ¸ K 3 »
1 Q K1 De t ¬ © t 2t ¹ ¼
4 E t2 1 s ª §h s· º (5.90)
V III 2
2
«K 2 2 K 3 ¨ 0 ¸ K 3 »
1 Q K1 De G t ¬ © t 2t ¹ ¼
4 E t2 1 s ª §h s· º (5.91)
V IV « K 2 2 K 3 ¨ 0 ¸ K 3 »
1 Q K1 De2 G t ¬
2
© t 2t ¹ ¼
5.3.3.3 Anwendung
Tellerfedern finden sehr häufig Anwendung als Federelemente zum Anpressen der
Reibkörper bei Reibungskupplungen und zum Ausgleich von Spiel und Ferti-
gungstoleranzen bei Axiallagern. Der Vorteil der Tellerfedern liegt hier deutlich in
der charakteristischen Kennlinie. Werden Tellerfedern mit einer stückweise
konstanten Federkennlinie eingesetzt, so kann die Feder durch geeignete Gestal-
tung des Systems genau in diesem Kennlinienabschnitt betrieben werden, so dass
auf den Reibkörper bzw. das Axiallager immer eine nahezu konstante Kraft
ausgeübt wird. Eine weitere, sehr wichtige Anwendung, die in Abschnitt 5.6 näher
betrachtet wird, ist die Kupplung von Kraftfahrzeugen. Auch dort wird der
charakteristische Kennlinienverlauf ausgenutzt.
240 5 Elastische Elemente, Federn
5.4.1 Drehstabfedern
5.4.1.1 Eigenschaften
Drehstabfedern besitzen einen Kreis- oder einen Rechteckquerschnitt. Kreisrunde
Drehstabfedern können sowohl mit einem Voll- als auch mit einem Hohlquer-
schnitt ausgeführt werden. Bei reiner Torsionsbeanspruchung durch ein Torsions-
moment M t gilt für den Verdrehwinkel M folgende Beziehung, aus der direkt die
Federrate abgeleitet werden kann:
M t l (5.92)
M
G It
dM t G It (5.93)
c
dM l
Sollen die hier angestellten allgemeinen Betrachtungen auf den speziellen Fall
eines Vollprofils angewendet werden, so ist lediglich für den Innendurchmesser di
der Wert 0 einzusetzen. Der Artnutzgrad der allgemeinen Drehstabfeder mit
Hohlquerschnitt lässt sich direkt durch einen Vergleich von Gleichung (5.14) mit
(5.10) ermitteln, da eine lineare Federkennlinie vorliegt. Als Ansatz zur Bestim-
mung des Artnutzgrades resultiert demnach folgende Beziehung:
1 2
W max V 1 M t, max M max 2 G (5.95)
M t, max M max KA bzw. K A 2
2 2G 2 W max V
d a2 d i2 (5.96)
KA
2 d a2
Es wird deutlich, dass der Artnutzgrad für den Vollquerschnitt ( d i 0 ) den Wert
1/2 annimmt und für kleine Wandstärken ( d i o d a ) gegen den Wert 1 strebt. Dies
ist auch anschaulich, wenn der lineare Spannungsverlauf über dem Stabquerschnitt
betrachtet wird.
Um eine beidseitige Einspannung der runden Stabfedern technisch zu ermögli-
chen, existieren nach [DIN2091] genormte profilierte Stabenden (s. Abb. 5.28.).
Die damit verbundene Querschnittsänderung des Stabes wird in Form von
kreisförmigen Hohlkehlen ausgeführt, um unzulässige Kerbspannungen zu
vermeiden. Weil sowohl das Torsionswiderstandsmoment als auch das Torsions-
flächenmoment in diesen Bereichen zunehmen, kann die Länge l nicht als
wirksame Länge betrachtet werden. Gemäß [DIN2091] ist die federnde Länge lf
mit Gleichung (5.97) zu ermitteln.
lf l 2 (l h le ) mit le Q lh (5.97)
Auch für eine Drehstabfeder mit Rechteckquerschnitt sind die Gleichungen (5.92)
und (5.93) ohne Einschränkung gültig. Torsionsflächenmoment und
Torsionswiderstandsmoment werden durch folgende Gleichungen beschrieben
[Dub01]:
c1 (5.98)
I t c1 h b 3 und Wt h b2
c2
Per Definition ist h > b. Die Konstanten c1 und c2 sind in Tabelle 5.8. für einige
Fälle aufgelistet. Bei Drehstabfedern mit Rechteckquerschnitt tritt die maximale
Spannung in der Mitte der großen Rechteckseite auf.
Tabelle 5.8. Konstanten für die Berechnung von I t und Wt des rechteckigen Querschnit-
tes [Dub01]
h/b 1 1,5 2 3 4 6 8 10 f
c1 0,141 0,196 0,229 0,263 0,281 0,298 0,307 0,312 0,333
c2 0,675 0,852 0,928 0,977 0,990 0,997 0,999 1 1
Der Artnutzgrad wird auch bei einem rechteckigen Querschnitt nach dem Ansatz
aus Gleichung (5.95) ermittelt. Es resultiert:
c1 (5.99)
KA
c 22
Der Artnutzgrad eines Rechteckquerschnitts ist also deutlich niedriger als der
eines runden Querschnittes. Drehstabfedern mit rechteckigem Querschnitt können
auch geschichtet angeordnet werden.
Um die Beanspruchbarkeit einer Drehstabfeder zu steigern, ist eine sehr gute
Oberflächenqualität erforderlich. Risse können durch Schälen oder Schleifen
entfernt werden. Um Kerbwirkung durch Korrosionsnarben zu vermeiden, ist die
Feder vor Korrosion zu schützen. Des weiteren kann die Lebensdauer durch
Druckeigenspannungen im oberflächennahen Bereich vergrößert werden, die
durch Kugelstrahlen induziert werden können. Wird die Drehstabfeder im Betrieb
nur in eine Richtung belastet, so kann ein günstiger Eigenspannungszustand durch
Belastung in diese Richtung über die Streckgrenze hinaus erzeugt werden (s.
Abschnitt 5.1).
5.4.1.2 Anwendung
Drehstabfedern finden hauptsächlich im Fahrzeugbau bei Achskonstruktionen
Anwendung. Als ein häufig anzutreffendes Beispiel sind Stabilisatoren zu nennen.
5.4 Torsionsbeanspruchte Federn 243
5.4.2 Schraubenfedern
5.4.2.1 Eigenschaften
Schraubenfedern bestehen aus einem schraubenförmig mit einem Steigungswinkel
D w um einen Dorn gewickelten bzw. ohne Dorn mit Hilfe einer Windemaschine
gewundenen Draht. Im folgenden sollen ausschließlich Drähte mit rundem
Querschnitt betrachtet werden. Schraubenfedern werden hauptsächlich auf Torsion
beansprucht. Es werden Schraubendruckfedern ([DINEN13906] T1) und Schrau-
benzugfedern ([DINEN13906] T2) unterschieden.
Der Steigungswinkel auf dem mittleren Wickelzylinder lässt sich durch Glei-
chung (5.100) bestimmen. Darin steht Dm für den mittleren Windungsdurchmes-
ser, d für den Drahtdurchmesser und a0 für den lichten Abstand zwischen den
Windungen einer unbelasteten Feder.
a0 d (5.100)
tan D w
S Dm
Bei zentrischer Belastung der Schraubenfeder durch eine axial wirkende Kraft F
entstehen unterschiedliche Beanspruchungen im Federdraht. Die Kraft F ist der
Federsteigung entsprechend in eine Komponente längs des Drahtes und eine
Komponente quer zum Draht aufgeteilt. Die sich dabei entlang des Drahtes
einstellenden Verhältnisse sind schematisch in Abb. 5.30. gezeigt.
Abb. 5.30. Aufteilung einer axial wirkenden Kraft längs des Drahtes
Wird die Krümmung des Federdrahtes nicht berücksichtigt, so ergibt sich ein über
den Drahtquerschnitt linearer Schubspannungsverlauf, dessen Maximalwert, die
Randspannung, mit Gleichung (5.102) berechnet werden kann.
M t 16 F Dm 8 F Dm (5.102)
Wt |
Wt 2 S d3 S d3
Durch die Krümmung des Drahtes entstehen an dem der Innenseite der Feder zu-
gewandten Querschnittsrand höhere Schubspannungen als am äußeren Umfang (s.
Abb. 5.31.). Die höhere Spannung an der Innenseite der Feder wird nach [DI-
NEN13906] T1 bzw. T2 durch Berücksichtigung eines Korrekturfaktors k
berechnet. Dieser Korrekturfaktor kann in Abhängigkeit vom Wickelverhältnis w
mit der Näherungsgleichung von Bergsträsser ermittelt werden:
w 0 ,5 Dm (5.103)
k mit w
w 0 ,75 d
Da hauptsächlich eine Beanspruchung durch Torsion vorliegt, kann die Schrau-
benfeder als eine gewundene Drehstabfeder betrachtet werden. Der axiale
Federweg steht demnach ebenfalls direkt in Beziehung mit der Torsionsbeanspru-
chung und geht somit aus dem Verdrehwinkel des Drahtes hervor. Der Verdreh-
winkel M ist durch Gleichung (5.92) zu ermitteln, die bereits bei der Drehstabfe-
der verwendet wurde. Als Länge l wird die federnde Länge des Federdrahtes
eingesetzt, die sich unter Vernachlässigung der Steigung näherungsweise aus
Gleichung (5.104) ergibt. Hier ist n die Anzahl der federnden Windungen.
lf | S Dm n (5.104)
Als Beziehung zur Berechnung der Federrate kann unter der Voraussetzung einer
linearen Federkennlinie Gleichung (5.106) hergeleitet werden:
F Gd4 (5.106)
c |
s 8 Dm3 n
Aus der Betrachtung der Schraubenfeder als gewundene Drehstabfeder ergibt sich
ein Artnutzgrad von 1/2 für diese Federart. Hierzu kann das Federvolumen unter
Vernachlässigung der Steigung mit Gleichung (5.107) berechnet werden.
S d2 (5.107)
V S Dm n
4
Federn ein kleiner Abstand bleibt [Gro60]. Durch das Aufliegen des Drahtendes
auf der nächsten Windung entsteht bei den kaltgeformten Federn ein weiteres
Wirkflächenpaar, weshalb je Federende eine Windung nicht federt. Die Anzahl
der federnden Windungen ergibt sich demnach gemäß [DINEN13906] aus
folgender Gleichung:
n nges 2 (5.108)
Bei den warmgeformten Federn entsteht bei Beginn der Belastung kein Wirkflä-
chenpaar zwischen Drahtende und der nächsten Windung. Als nicht federnd wird
hier 3/4 einer Endwindung betrachtet, nämlich der Bereich mit einer verminderten
Steigung. Hieraus lässt sich die Anzahl der federnden Windungen gemäß [DI-
NEN13906] berechnen:
n nges 1,5 (5.109)
5.4.2.3 Druckfederdiagramm
In Abb. 5.32. wird das theoretische Druckfederdiagramm gezeigt, wie es in
[DINEN13906] T1 angegeben ist. In dieser Darstellung steht L0 für die Länge der
unbelasteten Feder. Wird die Feder so weit gestaucht, dass sich die Windungen
gegenseitig berühren, ist die Blocklänge Lc erreicht. In diesem Zustand „blo-
ckiert“ die Feder, da die Windungen nicht mehr federn können. Bei der Darstel-
lung in Abb. 5.32. kann direkt der zugehörige Federweg sc zum Erreichen der
Blocklänge abgelesen werden. Die Blocklänge wird bei der theoretisch maximalen
Federkraft Fc, th erreicht. In der Praxis wird eine maximal zulässige Federkraft Fn
definiert, bei deren Erreichen noch ein Mindestabstand sa zwischen den Windun-
gen verbleibt. Nach [DINEN13906] ist dieser Abstand folgendermaßen zu
ermitteln:
Für kaltgeformte Federn:
§ D2 · (5.110)
sa n ¨¨ 0,0015 m 0,1 d ¸¸
© d ¹
Für warmgeformte Federn:
sa 0,02 n Dm d (5.111)
Diese Werte gelten bei statischer bzw. quasistatischer Beanspruchung und sind für
dynamische Beanspruchungen gemäß [DINEN13906] zu vergrößern. Die Berech-
nung der Blocklänge Lc hängt von der Gestaltung der Endwindungen ab und ist in
[DINEN13906] beschrieben.
Die Feder ist knicksicher, wenn s k ! s ist bzw. wenn in Gleichung (5.112) ein
imaginärer Wurzelwert resultiert [DINEN13906]. Außerdem besteht die Möglich-
keit, die Knicksicherheit anhand eines Diagramms zu beurteilen (s. Abb. 5.34.).
Nicht knicksichere Federn können in einer Hülse oder auf einem Dorn geführt
werden. In einem solchen Fall existieren allerdings Wirkflächenpaare mit Relativ-
bewegung zwischen Führung und Federkörper, wodurch Reibung entsteht, die
einen Reibverschleiß bewirkt. Die Lebensdauer der Feder kann hierdurch signifi-
kant herabgesetzt werden. Je nach Randbedingungen ist dementsprechend eine
Unterteilung der Feder in hintereinander geschaltete Teilfedern vorzuziehen.
Zwischen die einzelnen Federn werden geführte Zwischenteller geschaltet
[Gro60].
5.4.2.5 Querfederung
Unter Querfederung versteht man bei einer zwischen zwei parallelen Platten
eingespannten Feder die Verschiebung in Querrichtung aufgrund einer Querkraft
(s. Abb. 5.35.). Die Beanspruchung bei Querfederung soll hier nicht behandelt
werden. Die Querfederrate cQ lässt sich nach [DINEN13906] wie folgt berech-
nen:
[ (5.113)
cQ c
1
[ 1 O
A
A B tan O [ A B
1 G G 1 [ (5.114)
Mit: A und B
2 E E [
Darin sind:
L0 (5.115)
O der Schlankheitsgrad
Dm
s (5.116)
[ der bezogene Federweg
L0
τt =
8
[ ]
⋅ F ⋅ (Dm + sQ ) + FQ ⋅ (L − d )
(5.117)
π ⋅d3
Die Bedingung für das Aufliegen der Federenden lautet nach [DIN13906] T 1:
L Dm − s Q (5.118)
FQ ⋅ ≤F⋅
2 2
Abb. 5.37. Goodman-Diagramm für Federn aus vergütetem Federstahldraht der Sorte VD
nach EN 10270-2:2001, kugelgestrahlt
252 5 Elastische Elemente, Federn
5.4.2.8 Zugfederdiagramm
In Abb. 5.39. ist das theoretische Zugfederdiagramm nach [DINEN13906] T 2
gezeigt. Aufgrund der bei kaltgeformten Schraubenzugfedern erreichbaren
Vorspannung beginnt die Kennlinie bei einer Vorspannkraft F0 und steigt bei
zunehmendem Federweg linear an. Mit steigendem Federweg nimmt auch die
Länge der Feder zu. Sie lässt sich für einen beliebigen Federweg si aus folgender
Beziehung ermitteln:
Li = LK + 2 ⋅ LH + si (5.121)
5.4.2.9 Anwendung
Schraubenfedern sind die im Maschinen- und Fahrzeugbau am häufigsten ver-
wendeten Federn. Es existieren unzählige Anwendungen, in denen Schraubenfe-
dern zum Einsatz kommen. Alleine im Kraftfahrzeug befinden sich Schraubenfe-
dern im Federbein, als Ventilfedern im Motor, als Rückholfedern in Backenbrem-
sen, als Dämpferfedern im Antriebsstrang und an noch vielen weiteren Stellen.
Die Schraubenfeder zeigt sich für den Entwickler als besonders attraktiv, da mit
ihr durch Parallel- bzw. Reihenschaltung nahezu jede beliebige Federcharakteris-
tik erreicht werden kann. In Abschnitt 5.6 wird im Rahmen eines Konstruktions-
beispiels auf eine weitere Form der Schraubenfeder, die Bogenfeder, eingegangen.
5.5 Schubbeanspruchte Federn 255
5.5.1 Elastomerfedern
5.5.1.1 Eigenschaften
Elastomerfedern werden aus den in Abschnitt 5.1.5 vorgestellten Elastomeren
hergestellt. Sie werden hauptsächlich auf Schub beansprucht, wobei auch Zug-
und Druckbeanspruchungen möglich sind.
Druckbeanspruchte Gummifedern werden eingesetzt, um große Lasten bei
hoher Steifigkeit aufzunehmen. In der Regel werden in die Druckflächen Metall-
platten einvulkanisiert, die eine Querdehnung behindern. Somit kann eine hohe
Steifigkeit in Druckrichtung bei gleichbleibender Schubsteifigkeit erreicht werden.
Eine Berechnung des Elastizitätsmoduls nach der bekannten Beziehung würde bei
einer Querkontraktionszahl von 0,5 auf den in Gleichung (5.124) gezeigten
Zusammenhang führen.
E = 2(1 + ν ) ⋅ G = 3 ⋅ G (5.124)
Eine weitere auf Schub beanspruchte Elastomerfederart stellt die auf Axial-
schub bzw. auf Drehschub beanspruchte Hülsenfeder dar. Auch hier wird wieder
vom gleichen Schubspannungs-Verschiebungswinkel-Verhältnis wie oben
ausgegangen. Allerdings muss die Veränderung der Schubfläche in Abhängigkeit
des Radius berücksichtigt werden. Dementsprechend ist die Federrate für Axial-
schub:
5.5 Schubbeanspruchte Federn 257
2π ⋅ h ⋅ G (5.129)
c=
§d ·
ln¨¨ a ¸¸
© di ¹
Die Federrate bei Drehschubbeanspruchung wird zu:
π ⋅h ⋅G (5.130)
cd =
1 1
−
d i2 d a2
In Abb. 5.43. wird eine Scheibenfeder unter Drehschub gezeigt. Für die Dreh-
federrate gilt:
π ⋅ G ⋅ (d a4 − d i3 ⋅ d a ) (5.131)
cd =
24 ⋅ t a
Bei dynamischer Belastung von Elastomerfedern wird die Zeit, die zur Deh-
nung der Molekülknäuel zur Verfügung steht, mit steigender Frequenz kürzer.
Dadurch erscheint das Elastomer steifer. Dementsprechend ist die Federrate mit
dem dynamischen Überhöhungsfaktor k d zu multiplizieren (s. Abschnitt 5.1.5),
um die dynamische Federrate zu erhalten.
cdyn = k d ⋅ c (5.132)
5.5.1.2 Anwendung
Elastomerfedern können fast ausschließlich als einbaufertige Konstruktionsele-
mente mit metallischen Befestigungsstellen bezogen werden, wobei die metalli-
schen Komponenten durch Kleben oder Vulkanisieren mit der Elastomer-
komponente verbunden sind. Diese Elemente werden für die Lagerung und
Führung sowohl von Maschinen und Maschinenteilen als auch von Motoren,
Stoßdämpfer und weiteren Komponenten im Kraftfahrzeugbau eingesetzt. Durch
die besonderen Eigenschaften der Elastomere können gefederte Lagerungen und
Führungen für die Dämpfung von Schwingungen und Stößen realisiert werden.
Bei der Auswahl zur Erfüllung einer vorgegebenen Funktion geeigneter Federn
sind zu Beginn die Randbedingungen genauestens zu klären und zu gewichten.
Anschließend kann entschieden werden, welche Federart der gewünschten
Funktion und den damit verbundenen Randbedingungen gerecht wird. Es muss ein
geeigneter Werkstoff ausgewählt werden, der neben den geforderten mechani-
schen Eigenschaften auch eine ausreichende Beständigkeit gegen die vorliegenden
Umwelteinflüsse besitzt (Korrosion, Temperatur, ...). Während der Auswahl von
Federart und Werkstoff sind überschlägige Berechnungen erforderlich. Sind
sowohl Federart als auch Federwerkstoff festgelegt, so kann eine genaue Dimen-
sionierung der Feder erfolgen. Prinzipiell ist es ratsam, gleich zu Beginn des
Entwicklungsprozesses den Federhersteller einzubeziehen, da ein hohes Maß an
Erfahrung bei der Federauslegung unverzichtbar ist.
5.6.2 Anwendungsbeispiele
Antrieb (Motor) und Abtrieb (Getriebe) herzustellen und somit die Schaltung des
Energieflusses beim Anfahren und Gangwechsel zu ermöglichen. Bei Fahrzeugen
mit Handschaltgetriebe wird diese Funktion reibschlüssig verwirklicht. Im Detail
wird auf Kupplungen in Kapitel 14 (Band 2) eingegangen, deshalb soll an dieser
Stelle der Schwerpunkt auf die Funktion der verwendeten Federn gelegt werden.
Betätigung der Kupplung sehr gut geeignet. Die Vorspannung der Feder wird so
gewählt, dass der Punkt 1 auf der in Abb. 5.45. gezeigten Kraft-Weg-Kurve
erreicht wird. Die Feder liefert nun die zur Momentenübertragung nötige An-
presskraft. Nimmt die Dicke der Reibbeläge im Laufe der Zeit ab, so bewegt sich
der Betriebspunkt von Punkt 1 zu Punkt 2 auf der Kurve. Bis zum Erreichen von
Punkt 2 bleibt demnach die Anpresskraft nahezu konstant.
Zum Öffnen der Kupplung wird der Ausrücker gegen die Laschenenden am
Innendurchmesser der Membranfeder gedrückt. Dadurch wird die Anpresskraft
reduziert und die reibschlüssige Verbindung am Wirkflächenpaar zwischen
Anpressplatte und Reibbelag wird gelöst. Die Tellerfeder liegt dabei an einem
weiteren Abstützpunkt in der Anpressplatte auf, wodurch konstruktiv eine
zusätzliche Kraftübersetzung erreicht wird.
Abb. 5.46. Befestigung der Reibbeläge auf Federsegmenten (links) und mögliche Gestalt
eines Federsegments (rechts)
5.7 Literatur
[Alm36] Almen, J.O.; László, A.: The Uniform-Section Disk Spring. Transac-
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[DINEN10132-4] DIN EN 10132 Teil 4: Kaltband aus Stahl für eine Wärmebehand-
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Bernd Sauer
Die Schraubenlinie ist eine räumliche Kurve, im einfachsten Fall eine auf einen
Zylinder mit konstantem Radius r aufgewickelte Linie mit einem dem Drehwin-
kel ϑ proportionalen Fortschritt z in Achsrichtung, siehe Abb. 6.1. Sie ist rechts-
steigend (rechtsgängig), wenn sich ein auf ihr bewegter Punkt beim Umlauf im
Uhrzeigersinn axial vom Beobachter entfernt, sonst linkssteigend (linksgängig).
Die formale Beschreibung lautet:
r = const
- ∞ ≤ϑ ≤ + ∞
z = a ⋅ϑ
( ϑ = Umfangswinkel im Bogenmaß; a = Steigung der Schraubenlinie)
Ein Umlauf wird als Gang bezeichnet, die Schraubenlinie steigt dabei um die
Ganghöhe P. Daraus folgt:
P (6.1)
z= ϑ
2π
Erweitert mit dem Zylinderradius r und nach Einführung der Größen Umfang
U = 2 π r sowie Umfangskoordinate u = rϑ , geht die Beziehung über in:
274 6 Schrauben und Schraubenverbindungen
P P (6.2)
z= rϑ = ⋅u = C ⋅u
2π r U
Dies ist die Gleichung einer Geraden mit konstanter Steigung C unter dem Stei-
gungswinkel ϕ = arc tan ( P / U ) . Die Schraubenlinie beschreibt somit einen auf
den Zylinder (mittlerer Zylinder mit dem Flankendurchmesser d 2 des Gewindes
oder Radius r2 ) aufgewickelten Keil, und so wie dieser eine Quer- in eine Längs-
bewegung oder umgekehrt überträgt, wandelt die Schraube zwischen einer Dre-
hung und einer proportionalen Längsbewegung (sog. Schraubung). Danach erge-
ben sich die beiden Anwendungsfälle: Schraube als Maschine und Schraube als
Verbindungselement.
Dabei sind:
μ = Reibungszahl
ρ = arc tan μ = Reibungswinkel
Im Kräfteplan (Abb. 6.3.), der für die der Schraubenachse parallele Ebene aufge-
stellt wird, erscheint nur die Komponente
FN′ = FN ⋅ cos (α / 2)
Durch Vergleich entsteht der scheinbare Reibwert μ ′ des Gewindes, für den
folgende Beziehung gilt:
FR / FN′ = μ ′ = tan ρ / cos (α / 2) = μ / cos (α / 2) (6.4)
Abb. 6.3. Kräftepläne für Anziehen und Lösen eines Gewindes a) Anziehen; b) und c)
Lösen
Meistens werden die Gewinde mit Steigungswinkeln ausgeführt, die kleiner sind
als der Reibungswinkel. Es gilt dann:
ϕ < ρ ' (Selbsthemmung!)
Dies führt in Gl. (6.7) zur formalen Umstellung:
M GL = −0,5 FS ⋅ d 2 ⋅ tan ( ρ '−ϕ ) (6.8)
und aus der Darstellung in Abb. 6.3.c) ist ersichtlich, dass beim Lösen der Schrau-
benverbindung die Umfangskraft FU Lösen und das Gewindemoment der Anzugs-
richtung entgegen gerichtet sind. Zum Lösen der Verbindung ist ein Losdrehmo-
ment erforderlich, weil noch so hohe Axialkräfte keine Schraubbewegung bewir-
ken können. Diese Aussage gilt wegen der komplexen Zusammenhänge für dy-
namische Belastung in der Praxis nur bedingt. Diese als „Selbsthemmung“ be-
zeichnete Eigenschaft ist wesentliche Voraussetzung für die Funktion der Befesti-
gungsschrauben und der Hub- sowie Stellspindeln, die ihre Vorspannung oder
Last nach Wegnahme des Schraubmoments halten müssen. Die Verwendung der
Schraube als Maschine oder Getriebe wird dadurch eingeschränkt, denn die Rei-
bung bedeutet einerseits Leistungsverlust (Dissipation). Andererseits ist die Um-
wandlung einer Axialkraft in ein Drehmoment nur sehr begrenzt oberhalb der
Selbsthemmungsgrenze möglich.
278 6 Schrauben und Schraubenverbindungen
Wirkungsgrad
Der Wirkungsgrad, das Verhältnis der Nutzenergie am Ausgang zur am System-
eingang aufgewendeten Arbeit, beträgt für die Umwandlung des Drehmoments in
Längskraft (Abb. 6.4.):
FS ⋅ P tan ϕ (6.9)
ηD = = ( M GA → M G ) Anziehen
M GA ⋅ 2π tan (ϕ + ρ ' )
Nach der Darstellung in Abb. 6.4. liegt der Wirkungsgrad η D , bei der Wandlung
Drehmoment in Längskraft an der Selbsthemungsgrenze bei etwa 50%, für Befes-
tigungsschrauben bei üblichen Reibwerten μ = 0,1 bis 0,15 deutlich unter 40%,
da die Steigungswinkel z.B. des ISO-Regelgewindes im Bereich von 1,7° bis 4,0°
liegen.
Abb. 6.4. Wirkungsgrad des Schraubtriebes bei der Wandlung Drehmoment in Längskraft
Zur gleichen Aussage führt eine Aufspaltung der Gl. (6.6). Das Additionstheorem
liefert:
tan ϕ + tan ρ '
tan (ϕ + ρ ' ) =
1 − tan ϕ tan ρ '
6.1 Wirkprinzip der Schraube 279
Abb. 6.5. Wirkungsgrad des Schraubtriebes bei der Wandlung Längskraft in Drehmoment
Bei der gezeigten Größe des Steigungswinkels ϕ gilt des weiteren mit genügen-
der Genauigkeit:
tan (ϕ + ρ ' ) ≅ tan ϕ + tan ρ '
Die Maschine für die Wandlung der Längs- in die Drehbewegung ist nur mit
einem steilen Gewinde ausführbar, da ihre Funktionsgrenze bei der Selbsthem-
mung liegt. Bessere Wirkungsgrade bei kleineren Steigungswinkeln sind mit Ku-
gelspindeln zu erreichen, bei denen die gleitende Reibung durch die um Größen-
ordnungen kleinere Rollreibung ersetzt ist.
Die technische Realisierung der Schraubenlinie sind die Gewinde nach [DIN202]
und [DIN2244]. Ihr Profil entsteht, indem eine erzeugende Fläche längs der
Schraubenlinie läuft. Die je nach der Flächenform unterschiedlichen Profilformen
bewirken die Kraft- und die Reibungszustände bei der Übertragung der Schrau-
benkräfte, die eine bestimmte Zuordnung der Gewindeformen zum Einsatzfall
erfordern, Tabelle 6.1. Weitere Bezeichnungen ergeben sich aus folgenden Grö-
ßen:
a) Windungssinn. Normal sind Rechtsgewinde, die selteneren Linksgewinde
werden durch ein der Maßangabe nachgesetztes L gekennzeichnet.
b) Verhältnis Steigungshöhe P zu Basisbreite b der Erzeugenden. Ist dieses grö-
ßer als 1, dann liegt ein offenes Gewinde vor, bei dem die Windung abgesetzt
um den zylindrischen Kern läuft. Ausführung z.B. bei Blechschrauben und
Kunststoffspritzteilen. Das Gewinde ist geschlossen, wenn die Basisbreite o-
der, bei mehrgängigen Gewinden, die Summe der Basisbreiten gleich der
Steigungshöhe ist, Abb. 6.6.
c) Gangzahl. Mehrgängig sind Gewinde, bei denen mehrere ( n ) Gewindegänge
gleicher Steigung gleichabständig umlaufen. Sie werden angewendet für
Schnellverschlüsse und Stellaufgaben, da sie eine hohe Steigung und eine
große Gewindefläche (Belastbarkeit) bei kleinen radialen Abmessungen er-
möglichen. Bei diesen Gewinden ist zu unterscheiden zwischen der Steigung
der Schraubenlinie Ph , und der Teilung P , dem achsenparallelen Abstand
aufeinander folgender, gleichgerichteter Flanken. Es gilt: Ph = n ⋅ P .
Befestigungsgewinde sind immer, Lastgewinde überwiegend eingängig, Abb. 6.6.
Bei eingängigem Gewinde ist Ph = P , d.h. Steigung und Teilung sind gleich groß.
H1 Tragtiefe, das ist die senkrecht zur Gewindeachse gemessene Breite der
Flankenüberdeckung.
H Höhe des theoretischen Dreiecksprofils.
6.2.1 Befestigungsgewinde
Flanken- Spannungs-
Gewinde-Nenn- Stei-
durch- Kerndurchmesser querschnitt des
Durchmesser d = D gung
messer Außengewindes
Innen-
Reihe Reihe Reihe Außen-
P d2 = D2 gewinde AS [mm²]
1 2 3 gewinde d3
D1
3 0,5 2,675 2,387 2,459 5,03
3,5 0,6 3,110 2,764 2,850 6,78
4 0,7 3,545 3,141 3,242 8,78
4,5 0,75 4,013 3,580 3,688 11,3
5 0,8 4,480 4,019 4,134 14,2
6 1 5,350 4,773 4,917 20,1
7 1 6,350 5,773 5,917 28,9
8 1,25 7,188 6,466 6,647 36,6
9 1,25 8,188 7,466 7,647 48,1
10 1,5 9,026 8,160 8,376 58
11 1,5 10,026 9,160 9,376 72,3
12 1,75 10,863 9,853 10,106 84,3
14 2 12,701 11,546 11,835 115
16 2 14,701 13,546 13,835 157
18 2,5 16,376 14,933 15,294 193
20 2,5 18,376 16,933 17,294 245
22 2,5 20,376 18,933 19,294 303
24 3 22,051 20,319 20,294 353
27 3 25,051 23,319 23,752 459
30 3,5 27,727 25,706 26,211 561
33 3,5 30,727 28,706 29,211 694
36 4 33,402 31,093 31,670 817
39 4 36,402 34,093 34,670 976
42 4,5 39,077 36,479 37,129 1121
45 4,5 42,077 39,479 40,129 1306
48 5 44,752 41,866 42,587 1473
52 5 48,752 45,866 46,587 1758
56 5,5 52,428 49,252 50,046 2030
60 5,5 56,428 53,252 54,046 2362
64 6 60,103 56,639 57,505 2676
284 6 Schrauben und Schraubenverbindungen
Tabelle 6.3. Metrisches ISO-Feingewinde nach [DINISO261] und diverse Teile von
[DIN13] (Auszug); Nennmaße für Außengewinde in Millimeter ohne Toleranzen
achten, innerhalb derer Reihe 1 vor Reihe 2 und diese vor Reihe 3 zu bevorzu-
gen ist. Bezeichnung: M mit nachgesetztem Produkt, Nenndurchmesser
d x Steigung P; z.B. M 12 x 1,25; M 16 x 1,5; M 24 x 1,5. Abmessungen siehe
Tabelle 6.3.
Gewindemaße
Außen- Flanken- Kern- Steigung Gangzahl
Gewindegröße
durchmesser durchmesser durchmesser auf 1 Zoll
Zoll
d=D d2 = D2 d1 = D1 P z
R 1/2 13,157 12,301 11,445 1,337 19
R 3/8 16,662 15,806 14,950 1,337 19
R 1/2 20,955 19,793 18,631 1,814 14
R 3/4 26,441 25,279 24,117 1,814 14
R1 33,249 31,770 30,291 2,309 11
R 1 1/4 41,910 40,431 38,952 2,309 11
R 1 1/2 47,803 46,324 44,845 2,309 11
R2 59,614 58,135 56,656 2,309 11
6.2.3 Bewegungsgewinde
Sie haben zwischen dem Schraubenbolzen und der Mutter eine geringere Reibung
als die Befestigungsgewinde. Sie lassen sich in die Trapez- und die Sägengewinde
unterteilen. Es ist anzumerken, dass auch das Flachgewinde ein Bewegungsge-
winde ist. Es wird hier aber nicht näher behandelt, weil es nicht gebräuchlich und
nicht genormt ist.
a) Trapezgewinde nach [DIN103], T 1 bis T 8 (Abb. 6.8.).
Die theoretische Grundform ist ein symmetrisches Trapez mit einem Öff-
nungswinkel von 30°. Das Gewinde hat ein Kopf- sowie ein Fußspiel und ist
flankenzentriert. Bezeichnung: Eingängige Gewinde. Tr d x P, z.B. Tr 40 x 7;
mehrgängige Gewinde: Tr d x Ph P, z.B. Tr 40 x 14 P7 (2-gängiges Trapezge-
winde). Maße siehe Tabelle 6.5.
1 2 P d2 d3 P d2 d3 P d2 d3
8 1,5 7,25 6,2
10 2 9,0 7,5 9,25 8,2
12 3 10,5 8,5 2 11,0 9,5
16 4 14,0 11,5 2 15,0 13,5
18 4 16,0 13,5 2 17,0 15,5
20 4 18,0 15,5 2 19,0 17,5
24 8 20,0 15,0 5 21,5 18,5 3 22,5 20,5
28 10 24,0 19,0 5 25,5 22,5 3 26,5 24,5
30 10 25,0 19,0 6 27,0 23,0 3 28,5 26,5
32 8 27,0 21,0 6 29,0 25,0 3 30,5 28,5
36 10 31,0 25,0 6 33,0 29,0 3 34,5 32,5
40 10 35,0 29,0 7 36,5 32,0 3 38,5 36,5
44 12 38,0 31,0 7 40,5 36,0 3 42,5 40,5
48 12 42,0 35,0 8 44,0 39,0 3 46,5 44,5
60 14 53,0 44,0 9 55,5 50,0 3 58,5 56,5
65 16 57,0 47,0 10 60,0 54,0 4 63,0 60,5
70 16 62,0 52,0 10 65,0 59,0 4 68,0 65,5
75 16 67,0 57,0 10 70,0 64,0 4 73,0 70,5
80 16 72,0 62,0 10 75,0 69,0 4 78,0 75,5
85 18 76,0 65,0 12 79,0 72,0 4 83,0 80,5
90 18 81,0 70,0 12 84,0 77,0 4 88,0 85,5
95 18 36,0 75,0 12 89,0 82,0 4 93,0 90,5
100 20 90,0 78,0 12 94,0 87,0 4 98,0 95,5
6.2.5 Befestigungsschrauben
Das An- bzw. Verschrauben ist das weitaus am häufigsten angewendete Verfahren
für lösbare Bauteilverbindungen. Teilweise können die Bauteile selbst, mit Au-
ßen- und Innengewinde versehen werden. Vorzugsweise versteht man aber als
Schraubenverbindung eine Anordnung, bei der die Bauteile mittels Schrauben
miteinander verbunden sind. Diese Ausführung ist vergleichsweise einfach und in
vielen Fällen kostengünstig, denn die Arbeitsvorgänge an den Werkstücken be-
schränken sich meist auf einfaches Bohren von Durchgangslöchern ohne hohe
Anforderungen an die Maßtoleranzen, allenfalls noch auf Gewindebohren. Die
Verbindung selbst wird mit dem qualitativ hochwertigen, aber durch die Massen-
produktion billigen Normteil Schraube vorgenommen. Der Fügevorgang, die
Montage, ist auch unter schwierigen Bedingungen zuverlässig möglich, und die
Verbindung kann mit hoher Sicherheit gegen selbsttätiges Lösen ausgeführt wer-
den.
Schrauben dürfen nur durch Längskräfte beansprucht werden, nur in Sonderfäl-
len lässt man Scherbeanspruchungen des Schraubenschafts zu. Querkräfte zwi-
schen den Bauteilen sind daher üblicherweise durch Reibkräfte in den Trennfugen
zu übertragen, die durch genügend hohe Vorspannung der Schrauben (Flächen-
pressungen in den Trennfugen) bewirkt werden müssen.
Nach der Gestaltung unterscheidet man gemäß Abb. 6.11. Durchsteckverbin-
dungen und Aufschraubverbindungen. Im ersten Fall wird die Schraubenkraft
durch das Anziehen der Mutter erzeugt, im zweiten Fall befindet sich das Gegen-
gewinde in einem Bauteil. Hier besteht nach häufig wiederholtem Fügen, beson-
ders bei weniger festem Material (z.B. Aluminium oder Grauguss) die Gefahr,
dass das Gewinde ausreißt. In diesen Fällen ist es günstiger eine Ausführung mit
Stiftschraube und Mutter zu wählen.
Der Kopf überträgt die Schraubenkraft auf die Bauteile und dient zum Aufbrin-
gen des Anzugsmoments durch außen oder innen angreifende Schlüssel. Nach
seiner Gestalt wird unterschieden in z.B. Sechskant-, Vierkant-, Zylinder- und
Senkkopfschrauben. Bei Zylinder- und Senkkopfschrauben wird weiter nach der
Form der Werkzeugangriffsflächen (z.B. Schlitz, Kreuzschlitz, Innensechskant,
XZN usw.) unterteilt.
Der Schaft hat überwiegend das gleiche Maß wie der Gewindenenndurchmes-
ser. Wegen seiner verhältnismäßig groben Toleranzen ist eine Querbelastung
(Scherbeanspruchung) in einer Mehrschraubenverbindung nicht zulässig. Tritt
trotzdem eine Querbelastung auf, so sind Schrauben mit verstärkten, geschliffenen
Schäften in entsprechend eng tolerierten Bohrungen (Passschraubenverbindung)
erforderlich. Für hohe dynamische Belastung werden häufig Schrauben mit ver-
jüngtem Schaft (Dünnschaftschrauben, auch als Dehnschrauben bezeichnet) ein-
gesetzt. Ihre Bauformen sind keine Normteile, sie können für den Einsatzfall pas-
send konstruiert werden (siehe jedoch [DIN2510]). Verbreitete Ausführungen
haben Schaftdurchmesser d T = (0,9 bis 0,7) ⋅ d 3 . Passbunde und Ansätze fixieren
die Trennflächen und zentrieren die Schrauben in der Bohrung (Abb. 6.12.).
Wichtiger aber ist ein gut gerundeter Übergang vom Schaft zum Kopf.
Die Oberflächengüte der Dehnschäfte braucht nicht besonders hoch zu sein, da
nach Versuchen selbst bei technisch extremen Rauheiten von Rt = 25 μm die
Brüche auch im Gewinde auftraten.
Das Gewinde geht bei kleinen Gewindedurchmessern und bei kurzen Schrau-
ben immer bis fast zum Kopf, sonst - außer z.B. bei der Ausführung nach [DIN-
ENISO4018] oder [DINENISO8676] - überdeckt es nur einen bestimmten
Klemmlängenbereich. Die Gewinde werden in drei Toleranzklassen fein ( f ),
mittel ( m ) - das ist die übliche Ausführung - und grob ( g ) ausgeführt.
Stiftschrauben gemäß Tabelle 6.7. werden je nach dem Werkstoff des aufneh-
menden Bauteiles mit unterschiedlich langen Einschraubenden geliefert ( l E ≅ 1 d
für St, [DIN938]; l E ≅ 1,25 d für Grauguss, [DIN939]; l E ≅ 2 d für Al,
[DIN835]). Wichtig für die ordnungsgemäße Funktion ist, dass beim Lösen der
Verschraubung die Mutter abgeschraubt wird. Dafür ist ein fester Sitz des Ein-
schraubgewindes notwendig. Dies wird erreicht durch ein eng geschnittenes Sack-
lochgewinde, festes Einschrauben bis zum Gewindeende (Kerbgefahr) oder Fest-
ziehen mit einem Endzapfen gegen den Bohrungsgrund.
292 6 Schrauben und Schraubenverbindungen
Gewindestifte gemäß Tabelle 6.8. haben auf der ganzen Länge Gewinde und
sind mit einem Schlitz oder einem Innensechskant versehen. Sie werden haupt-
sächlich zur Sicherung der Lage von Teilen benutzt, z.B. von Stellringen, Rädern
und Rollen auf Wellen usw. (Abb. 6.13.). Das Schraubenende kann als einfache
Kegelkuppe [DINEN24766], mit einem Zapfen [DINEN27435] oder einer Spitze
[DINEN27434] ausgeführt sein, die in eine Senkung oder eine Nut des Gegenstü-
ckes eingreifen, oder als Ringschneide [DINEN27436], die sich selbst ihre Auf-
nahme formt. Verwendet man die Gewindestifte zum Einstellen, so empfiehlt sich,
die Lage durch eine Kontermutter (niedrige Sechskantmutter) zu fixieren.
Schraubenbolzen nach [DIN2509] bestehen aus einem glatten Schaft mit beid-
seitigem Gewindeende. Sie werden in Konstruktionen zum Verbinden von Teilen
eingesetzt, die beidseitig unabhängig voneinander lösbar sein sollen. Nach dem
Abschrauben der Mutter lässt sich das zugehörige Teil abziehen, ohne dass der
Bolzen aus der Bohrung entfernt werden muss (z.B. günstig bei beengten Platz-
verhältnissen). In Abb. 6.14. wird eine Ausführung mit einem Dehnschaft gemäß
[DIN2510], T3, gezeigt, die für Bauteile im Hochtemperaturbereich mit großen
Temperaturdehnungen vorzusehen ist.
294 6 Schrauben und Schraubenverbindungen
Abb. 6.16. Fertigungsstufen bei Schrauben: Anstauchen des Kopfes in mehreren Stufen,
drücken den Schaftes für den Gewindebereich, Kopf fertig stauchen, rollen (eindrücken)
des Gewindes
Belastungsart zu wählen. Ferner ist zu beachten, dass sich die Reibwerte deutlich
ändern.
Beim galvanischen Verzinken von höherfesten Schrauben kann es durch Ein-
diffundieren von Wasserstoff zu einer gefährlichen Versprödung kommen. Hin-
weise zur Ausführung der Verzinkung und Minderung der H2-Verprödung enthält
[DINENISO4042].
6.3.1.1 Stahlschrauben
Die Festigkeitseigenschaften von Stahlschrauben sind in Festigkeitsklassen einge-
stuft, die wie ihre Prüfverfahren in [DINENISO898], T 1 (Schrauben), T 2 (Mut-
tern) oder [DIN267], T 3 (Schrauben) und [DINEN20898] genormt sind. Deren
Geltungsbereich erstreckt sich nur auf die normalen Anwendungsbedingungen der
Normteile aus unlegierten oder niedrig legierten Stählen, die keine besonderen
Anforderungen an Schweißbarkeit, Korrosionsbeständigkeit, Warmfestigkeit (Be-
triebstemperatur > 300°C) und Kaltzähigkeit (Betriebstemperatur < - 50°C) erfül-
len müssen. Schrauben der Festigkeitsklassen 3.6 bis 6.8 werden aus Stählen ohne
Wärmebehandlung gefertigt. Sie haben bei der Kaltumformung eine merkbare
Festigkeitssteigerung erfahren. Für Schrauben mit Zugfestigkeitswerten Rm > 800
N/mm² (Festigkeitsklasse 8.8 und höher) sind vergütete, feinkörnige Edelbaustäh-
le mit homogenem Vergütungsgefüge bis in den Kern erforderlich. Bei größeren
Abmessungen muss man mit Rücksicht auf die Durchvergütung zu niedrig legier-
ten Stählen übergehen.
Die Bezeichnung der Festigkeitsklassen erfolgt durch zwei durch einen Punkt
getrennte Zahlen, z.B. 8.8. Die erste Zahl verschlüsselt die nominelle Zugfestig-
keit Rm des Werkstoffes:
ª N º
Rm « 2 »
1. Zahl = ¬ mm ¼
100
Im Beispiel: Rm = 8 ⋅100 N/mm 2 = 800 N/mm 2 .
Die zweite Zahl steht für das Verhältnis der Werkstoffstreckgrenze Re zur Zug-
festigkeit Rm :
300 6 Schrauben und Schraubenverbindungen
Re
2. Zahl = ⋅10
Rm
Im Beispiel:
Re = Rm 10 ⋅ 8 = 640 N / mm 2
Neben der Festigkeit ist die Bruchdehnung eine wichtige Kenngröße für
Schrauben- und Mutterwerkstoffe. Naturgemäß sinkt die Bruchdehnung mit stei-
gender Festigkeit. Für den Maschinenbau übliche Standardschrauben der Festig-
keitsklasse 8.8 haben ca. 14% Bruchdehnung, hochfeste Schrauben der Klasse
12.9 nur noch 9%. Weitere Hinweise sind z.B. [DINENISO898] zu entnehmen.
Richtig ausgelegte Schraubenverbindungen entstehen durch die Paarung von
Schrauben und (Normal-) Muttern mit gleicher Festigkeitskennzahl, d.h. diese
können mit modernen Verfahren angezogen werden, und es besteht keine Gefahr
des Abstreifens der Gewindegänge. Bei den Muttern muss darüber hinaus eine
Unterscheidung in 3 Klassen beachtet werden:
1. Muttern mit voller Belastbarkeit, d.h. mit Mutterhöhen m 0,8 d und Schlüs-
selweiten SW 1,45 d. Hierfür gelten die zuvor erwähnten Festigkeitskennzah-
len oder -klassen.
2. Muttern mit eingeschränkter Belastbarkeit, vorzugsweise mit reduzierter Mut-
terhöhe 0,5 d m 0,8 d. Eine der Festigkeitskennzahl vorangesetzte Null
weist darauf hin, dass die Gewindegänge vor dem Erreichen der werkstoffbe-
dingten Festigkeit der Schraubenverbindung abscheren können (ausziehen).
3. Muttern für Schraubenverbindungen ohne festgelegte Belastbarkeit. Sie werden
mit einer Ziffern-Buchstaben-Kombination bezeichnet, in der die Zahl 1/10 der
Vickershärte angibt und H für „Härte“ steht.
Werkstoffe der beschriebenen Art sind geeignet für Einsatzfälle unterhalb einer
Betriebstemperatur von 300°C. Für den anschließenden Temperaturbereich bis
700°C eignen sich warmfeste bzw. hochwarmfeste Werkstoffe nach [DIN-
EN10269]. Solche Werkstoffe bieten hohe Zeitdehngrenzen und Zeitstandfestig-
keiten sowie einen guten Relaxationswiderstand. Typische Werkstoffe sind:
400°C: 24 Cr Mo 5
500°C: 40 Cr Mo V 4 7
600°C: X 22 Cr Mo V 12 1
700°C: Ni Cr 20 Ti Al
6.3 Herstellung und Werkstoffe 301
6.3.2 Beschichtungen
folgt real kontinuierlich längs des umlaufenden Gewindeganges, doch schon die-
ses wird modellhaft durch eine Reihenanordnung von „Einzelgewindegängen“ mit
gestuften Lastanteilen ersetzt. Die Mutter ist durch die Auflagekraft auf Druck
beansprucht, und zwar mit höchster Last und daher größter Stauchung gerade am
Gewindeeinlauf. Die so entstandenen Formdifferenzen zwischen dem Schrauben-
und dem Muttergewinde müssen von den Gewindeprofilen der einzelnen Gänge
nachgiebig aufgenommen werden und bewirken eine stark ungleichförmige Ver-
teilung der Betriebslast auf die einzelnen Gewindegänge (Abb. 6.18.).
Abb. 6.17. Kraftfluss im Gewinde; a) bei einer Durchgangsschraube mit einer Druck-
mutter; b) bei einer Stiftschraube, ohne Klemmung in der Trennfuge
Bei noch elastischer Beanspruchung trägt der erste Einschraubgang etwa 35 bis
40% der Schraubenkraft. Etwas günstigere Verhältnisse herrschen im Einschraub-
gewinde einer Stiftschraube, da im Falle der in Abb. 6.17. gezeichneten Zugbelas-
tung auch das Bauteilgewinde Zugdehnung erfährt. Die höchste Belastung erfährt
der letzte, am tiefsten eingeschraubte Gewindegang. Man beachte aber den Son-
derfall wenn das Gegenstück, wie es häufig der Fall ist, klemmend aufgeschraubt
wird, kehrt sich der Kraftfluss um, und die Verhältnisse werden denen in einer
normalen Mutter fast gleich.
Fasst man die beschriebenen Einflüsse zusammen, d.h. die Pressung, die Biege-
Schubbeanspruchung im Gewindeprofil, deren ungleicher Übergang in die zug-
oder druckbeanspruchten Grundkörper, die ungleichförmige Lastverteilung und
die Kerbwirkung, dann wird verständlich, dass eine zutreffende Bestimmung der
tatsächlichen Werkstoffanstrengung an der gefährdeten Stelle im Gewindekerb-
grund nicht möglich ist. Zu berücksichtigen ist dabei, dass die denkbaren Re-
chenmodelle auch angesichts der wirklichen Geometrien nur eine grobe Annähe-
rung der tatsächlichen Verhältnisse ermöglichen. Die Haltbarkeit der Schrauben-
verbindung wird überdies durch weitere Mechanismen geprägt, z.B. die Lastart,
die starke Umlagerung der Spannungsverhältnisse bei Fließvorgängen und
schließlich die Versagensart der schwächsten Stelle, d.h. der Bruch im Bolzen
oder das Abscheren oder Ausreißen des Gewindes. Die Berechnung zur Dimensi-
onierung einer Schraubenverbindung beruht daher auf Festigkeitswerten, die in
Versuchen an vollständigen Schraubenverbindungen gewonnen wurden (Gestalt-
oder Bauteilfestigkeit) und somit alle genannten Einflüsse integral enthalten.
6.3 Herstellung und Werkstoffe 305
Abb. 6.18. Lastverteilung im Gewinde für die einzelnen Gänge; durchgezogenen Linie:
bei elastischem Anziehen; gestrichelte Linie: bei überelastischem Anziehen mit Last-
ausgleich durch plastische Verformung
mit d S = (d 2 + d 3 ) / 2 .
Anmerkung
Sinnvoller wäre hier der Bezug auf den realen Kernquerschnitt A3 und Einführen
einer gewindeformabhängigen Stützziffer n χ , denn die Berechnungen auf Torsi-
onsbeanspruchung und Dauerfestigkeit erfolgen mit dem Kerndurchmesser d 3 .
Für Regelgewinde ist AS ca. 6% größer als der Kernquerschnitt A3 . Damit gelten
für die Schraube unter statischer Zugbelastung folgende Größen:
Kraft an der Fließgrenze (0,2%-Dehngrenze):
F0, 2 = Re ⋅ AS (= Rp 0, 2 ⋅ AS ) (6.13)
mit AT = π ⋅ d T2 / 4 .
durch die überlagerten Kerb- und die Biegezusatzspannungen die größte Bean-
spruchung im 1. Gewindegang.
Bei zu kleiner tragender Gewindelänge setzt sich unter fortlaufend steigender
Last die plastische Verformung der Gewindezone weiter durch. Die einzelnen
Gewindegänge werden dabei ungefähr gleichmäßig belastet, bis - je nach den
Festigkeitsverhältnissen - das Muttergewinde ausgezogen oder das Bolzengewinde
abgestreift wird. Gemäß der Darstellung von Ausreißversuchen in Abb. 6.19.
steigt die Tragfähigkeit der Schraubenverbindung daher proportional mit der Mut-
terhöhe m , bis bei der „kritischen“ Mutterhöhe mKr das verschraubte Gewinde
und der Schraubenbolzen gleich haltbar sind. Bei noch größerer Mutterhöhe m
reißt stets der Schraubenbolzen in der vorher beschriebenen Art. Als zweiter Pa-
rameter erscheint in Abb. 6.19. die Festigkeit des Mutterwerkstoffes. Wenngleich
die Darstellung für konkrete Werkstoffe gewonnen wurde, so gilt das Ergebnis
auch für andere Werkstoffpaarungen, solange das Verhältnis der Festigkeitswerte
für die Schrauben- und die Mutternwerkstoffe gleich ist. Die kritische Mutterhöhe
bei gleichen Werkstoffen liegt bei etwa m ≈ 0,6 ⋅ d , mithin genügend unterhalb
der Höhe für Normmuttern nach [DINENISO4032]. Daher gilt als Regel:
Abb. 6.21. Dauerhaltbarkeit von Schrauben der Festigkeitsklassen 8.8 bis 12.9 in Ab-
hängigkeit vom Gewindenenndurchmesser (Anhaltswerte!)
Die Haltbarkeit oder Festigkeit unter Schwingbeanspruchung ist mit den be-
kannten Maßnahmen zur Minderung von Kerbeinflüssen zu steigern. Eine unmit-
telbare Verbesserung der Schwing- oder Wechselfestigkeit wird durch Kaltverfes-
tigung der Gewindegänge erreicht, wobei der Werkstoff verfestigt und gleichzeitig
ein Druck-Eigenspannungszustand aufgebaut wird, der eine Zugbeanspruchung
mindert. Die Dauerhaltbarkeit oder Dauerfestigkeit der nach dem Vergüten kaltge-
rollten Gewinde („schlussgerollt“) ist rund doppelt so hoch wie die der schluss-
vergüteten Ausführung, allerdings sinkt die Ausschlagfestigkeit σ A (Spannungs-
ausschlag) mit steigender Mittelspannung, d.h. mit zunehmender Vorspannkraft
FV . Diese Art der Schraubenherstellung ist wegen der höheren Umformkräfte und
dem gemäß geringeren Haltbarkeit der Gewindewalzwerkzeuge wesentlich teurer.
Günstiger ist es - besonders bei größeren Durchmessern und festeren Werkstof-
fen -, vorprofilierte Gewinde nach dem Vergüten nachzurollen.
Ihre Dauerfestigkeit erreicht so etwa 80% der Steigerung, die sich bei voller
Profilierung ergibt. Konstruktive Maßnahmen am Gewinde (z.B. andere Profil-
formen, größere Ausrundung) oder an den Anschlussteilen sind sehr wirkungsvoll
um die hohen örtlichen Zusatzspannungen zu reduzieren. Dadurch wird die Wech-
sel- oder Schwingfestigkeit indirekt erhöht.
In der Auflagefläche zwischen den Schraubenköpfen und Muttern und den ver-
spannten Teilen darf unter der Wirkung der maximalen Schraubenkraft die Flä-
chenpressung p die Quetschgrenze oder Grenzflächenpressung pG nicht über-
312 6 Schrauben und Schraubenverbindungen
DK = 0,9 ⋅ SW = Auflagedurchmesser
DC = Innendurchmesser der Auflage (Lochsenkung beachten!)
durch die Praxis wird im Rahmen dieses Kapitels teilweise auch noch auf die alte
und bewährte Ausgabe von 1986 verwiesen.
Neben dieser für den Maschinenbau wichtigsten Richtlinie für die Berechnung
und Gestaltung von Schraubenverbindungen sind in speziellen Anwendungsfel-
dern, wie z.B. im Stahlbau, im Druckbehälterbau und bei Flanschverbindungen
jeweils spezielle Richtlinien zu berücksichtigen, die der Anwender aktuell be-
schaffen muss und die deshalb auch hier nicht zitiert werden sollen.
Voraussetzung für ihre Berechnung sind die Parallelität der Schraubenachse zur
Trennflächennormalen und das elastische Verhalten der Bauteile. Plastische Ver-
formungen werden nur für den mikrogeometrischen Bereich als Setzkraftverlust
zugelassen. Ferner sei die Exzentrizität der Schraubenlage gleich Null. Damit liegt
das klassische 2-Federn-Modell vor, bei dem die Verteilung der Kräfte auf die
Bauteile durch die jeweiligen Nachgiebigkeitsgrößen bewirkt wird.
li
δi =
ES ⋅ Ai
Für die Nachgiebigkeit der Schraube gilt wegen der Hintereinanderschaltung die-
ser Einzelelemente die Bestimmungsgleichung:
n (6.23)
δ S = ¦ δ i + δ SK + δ GM + δ Gew
i =1
Die Aufteilung ist in Abb. 6.25. gezeigt, wobei für den Schaft die geometrischen
Querschnitte A1 sowie A2 und für das Gewinde außerhalb der Mutter der Kern-
querschnitt A3 gelten.
Die Nachgiebigkeit δ SK des Kopfes wird auf Grund vieler Versuche durch ei-
nen Zylinder mit dem Nenndurchmesser d und der Länge 0,5 ⋅ d für Sechskant-
schrauben und für Zylinderschrauben mit Innenkraftangriff mit 0,4 ⋅ d erfasst, d.h.
es gilt die Beziehung:
0,5 ⋅ d 0,4 ⋅ d (6.24)
δ SK = bzw. δ SK = (Zylinderschr.)
ES ⋅ AN ES ⋅ AN
Mit AN = Nennquerschnitt:
π ⋅d2
AN = A1 =
4
Die Nachgiebigkeit im Einschraubbereich ist:
δ GM = δ G + δ M
318 6 Schrauben und Schraubenverbindungen
Mit lG = 0,5 ⋅ d
π ⋅ d 32
und A3 = = Gewindekernquerschnitt ist:
4
lM (6.26)
δM =
EM ⋅ AN
π ⋅ d 32
Mit Ad 3 = = Gewindekernquerschnitt und lGew = Gewindeschaftlänge
4
außerhalb des Muttergewindes.
6.4 Dimensionierung und Berechnung 319
Auch für die gedrückten Teile wird ein linear-elastisches Verhalten angenommen
und dementsprechend als Nachgiebigkeit mit der Klemmlänge l K der Ausdruck
formuliert:
lK (6.28)
δp =
E p ⋅ Ap
Solange das verspannte Teil als Hülse ausgebildet ist, mit einem Durchmesser
etwa gleich dem Kopfauflagedurchmesser d w ( ≈ 0,9·Schlüsselweite), kann eine
homogene Druckspannungsverteilung im Hülsenquerschnitt AH angenommen und
für die Fläche Ap = AH gesetzt werden. Bei gepressten Platten verteilt sich die
Druckspannung auf eine etwa spindel- oder doppelkegelförmige Zone gemäß Abb.
6.26. Hierfür wird zur Berechnung eine zylindrische „Ersatzhülse“ gleicher Nach-
giebigkeit definiert. In den letzten Jahren hat sich die Modellbildung zur Bestim-
mung der Bauteilnachgiebigkeit weiterentwickelt.
Berechnungsmodell A
4 ⋅ lK (6.29)
δP =
(
Ep ⋅ π ⋅ DA2 − d h2 )
6.4 Dimensionierung und Berechnung 321
Berechnungsmodell B
2 ª (d + d h ) ⋅ ( DA − d h ) º (6.30)
ln « W »+
w ⋅ d h ⋅ tan ϕ ¬ (d W − d h ) ⋅ ( DA + d h ) ¼
δP =
EP ⋅ π
4 ª D − dW º
+ l − A
2 « K
D − dh ¬
2
w ⋅ tan ϕ »¼
+ A
EP ⋅ π
Berechnungsmodell C
ª (d + d h ) ⋅ (d W + w ⋅ l K ⋅ tan ϕ − d h ) º (6.31)
2 ⋅ ln « W »
δP = ¬ (d W − d h ) ⋅ (d W + w ⋅ l K ⋅ tan ϕ + d h ) ¼
w ⋅ E P ⋅ π ⋅ d h ⋅ tan ϕ
4
Dieser Ansatz kann erfahrungsgemäß bis zu einem Durchmesser DA verwendet
werden, der bis maximal 30% größer ist als der Kopfauflagedurchmesser d w . Für
einen mittleren Hülsenquerschnitt im Bereich d w ≤ DA ≤ d w + l K :
ª§ ·
2
º (6.33)
π π l ⋅d
Ap = Aers = (d w2 − d h2 ) + d w ⋅ ( DA − d w ) ⋅ «¨ 3 K 2 w + 1¸ − 1»
4 8 «¨© DA ¸ »
¬ ¹ ¼
322 6 Schrauben und Schraubenverbindungen
Und für eine weit um die Schraube ausgedehnte Platte ( d w + l K ≤ DA ) wird Aers
zu:
ª§ ·
2
º (6.34)
π π ¨ lK ⋅ d w
Ap = Aers «
= (d − d ) + d w ⋅ l K «¨ 3
2 2
+ 1¸ − 1»»
¸
¨ (l k + d w )2 ¸
w h
4 8
¬«© ¹ ¼»
In den drei zuvor gezeigten Gleichungen sind d w der Außendurchmesser der
Kopf- oder Mutterauflage, d h der Bohrungsdurchmesser oder Lochdurchmesser
der verspannten Teile, l K die Klemmlänge und Aers die Ersatzfläche, d.h. die
Querschnittsfläche eines Hohlzylinders mit der gleichen elastischen Nachgiebig-
keit wie die der verspannten Teile. Diese Beschreibung entspricht [VDI2230],
Ausgabe 1986, sowie [Dub01].
Bei exzentrischem Kraftangriff und/oder exzentrischer Anordnung der Schrau-
ben ändern sich die Verhältnisse deutlich durch den überlagerten Einfluss der
Biegung.
Hierdurch entsteht eine in der Ebene ungleiche Pressungsverteilung, die im
Trennfugenbereich einen ungleichen Anpressdruck erzeugt mit im Extremfall, bei
Überlast, einseitigem Abheben (Klaffen) auf der Biegezugseite. Die Längsnach-
giebigkeit exzentrisch verspannter Platten ist größer gegenüber dem zentrischen
Fall. Die Berechnung mit Längs- und überlagerter Biegeverformung ist umfang-
reich und sollte nach der jeweils aktuellen [VDI2230] vorgenommen werden.
Abb. 6.28. Verformungen von Schraube (Schraubenbolzen) und Platte (Hülse) unter
Längskrafteinwirkung
Ein weiterer wichtiger Einfluss auf die Vorspannkraft ergibt sich daraus, dass
es vergleichsweise große Streuungen bei der Montage der Schrauben gibt. Die
Streuungen haben ihre Ursache in der Ungenauigkeit des Montagewerkzeuges und
in der Streuung der Reibwerte im Gewinde und unter dem Schraubenkopf. Einzel-
heiten zur Montage werden in Abschnitt 6.5 behandelt. Die Streuung der Vor-
spannkraft infolge der Montage wird über den Anziehfaktor α A bei Berechnun-
gen berücksichtigt. α A ist definiert als:
FM max (6.35)
αA =
FM min
Die Größe des Anziehfaktors hängt wesentlich von der Qualität des Werkzeuges
ab. In Tabelle 6.15. wird ein Auszug von Richtwerten nach [VDI2230] wiederge-
geben.
Wie später noch ausführlicher diskutiert, spielen die plastischen Verformungen
der Rauheitsspitzen in den Kontaktflächen nach dem Fügen eine wichtige Rolle.
Unter Wirkung der in den Kontaktflächen herrschenden Kräfte, unterstützt durch
Mikrobewegungen, werden Rauheitsspitzen plastisch verformt. Dieser Vorgang
6.4 Dimensionierung und Berechnung 325
wird als Setzen bezeichnet. Setzen mindert die Vorspannkraft. Der Setzvorgang
einer Schraubenverbindung ist zeitabhängig und führt zunächst schnell, mit fort-
schreitender Angleichung der Oberflächen aber langsamer zum Verlust an elasti-
schem Spannweg fZ (Abb. 6.31.) und damit zum Vorspannkraftabbau um den
Betrag
f Z ⋅ φK (6.36)
FZ =
δP
δP
mit f Z = f SZ + f PZ und dem sog. Kraftverhältnis φ K =
δP + δS
Tabelle 6.14. Richtwerte für Setzbeträge bei verspannten kompakten Stahlbauteilen nach
[VDI2230], Ausgabe 2001
Gleichfalls tritt ein Verlust an Vorspannkraft auf, wenn die Bauteile über ihre
Streckgrenze hinaus belastet wurden. In Abb. 6.32. wird das Verspannungsschau-
bild einer Verbindung gezeigt, bei der die Schraube (wie üblich) bis kurz vor die
Streckgrenze angezogen wurde. Die Betriebslast FA belastet die Schraube aber
bis in den Fließbereich hinein, d.h. sie erfährt eine plastische Verformung um f SF .
'
Die wirksame Vorspannkraft sinkt dadurch von FV , auf FV . Bei weiterem Be-
trieb ist von diesem neuen Verspannungszustand auszugehen. Derartige Überbe-
lastungen können auch durch thermische Belastung auftreten, dabei kann der Sch-
raubenwerkstoff fließen, aber auch der Bauteilwerkstoff.
FU ⋅ S R
FK erf =
μ0 ⋅ i ⋅ n
Dabei sind:
μ0 = Ruhereibwert (Haftreibwert)
i = Zahl der Reibflächenpaare (Schnittzahl)
n = Zahl der Schrauben
SR = Sicherheit gegen Durchrutschen
6.4 Dimensionierung und Berechnung 329
Hierbei ist der Anziehfaktor α A = FVM max / FVM min zu beachten. Die Betriebskräf-
te, statische oder dynamische, bewirken in einer richtig ausgelegten und ausge-
führten Querverbindung keine Veränderung der Schraubenkraft. Die Schraube
wird nur durch die bei der Montage aufgebrachte Klemmkraft statisch auf Zug
beansprucht. Sobald jedoch der Reibschluss zwischen den Bauteilen durchbrochen
wird, z.B. infolge ungenügender Vorspannung oder zu hoher Betriebsbelastung,
ist die Verbindung sehr gefährdet, besonders bei dynamischer Belastung. Die
Bauteile führen darin Gleitbewegungen gegeneinander aus, durch die der Schrau-
benschaft Verformungen in der im Abb. 6.34. gezeigten Art erfährt. Bei kleinen
Verschiebungen bleibt der Reibschluss an den Kopf- und den Mutterauflagen
erhalten, die wechselnde Biegebelastung kann zum Biegedauerbruch des Schrau-
benbolzens führen. Bei größeren Verschiebeamplituden wird auch die Reibung an
den Auflageflächen und im Gewinde überwunden, die Schraubenverbindung dreht
sich dann selbsttätig los (siehe Abschnitt 6.6.3.1).
Formteile in den Bohrungen eng toleriert sein müssen. Die Berechnung erfolgt
dann wie bei Nietverbindungen auf Scherung im Schaftquerschnitt und Lochlei-
bungsdruck oder Pressung in den Anlageflächen. Zur Übertragung hoher dynami-
scher Lasten ist ein hinreichend dimensionierter Kraftschluss unbedingt erforder-
lich, da durch mikroskopischen Schlupf in der Trennfuge Passungsrostbildung
zum Versagen der Verbindung führen kann.
Abb. 6.36. Richtwerte für die Höhe der Krafteinleitung bezogen auf l K nach [VDI2230-
Ausgabe 1986]
wenn δ P die gesamte elastische Nachgiebigkeit der verspannten Teile nach den
Gleichungen in Abschnitt 6.4.2.1 ist.
Diese zwei Teile werden unter der Wirkung von FA unterschiedlich verformt.
Die Hülse 1, die durch die Vorspannkraft FV um f PV1 = n ⋅ f PV zusammenge-
drückt war, entspannt sich um die Verschiebung f A des Lastangriffspunktes A.
Damit ergibt sich für die Betriebsklemmkraft FK der Wert
1 fA (6.42)
FK = ( f pV1 − f A ) = FV −
δ p1 n ⋅δ p
1 f A − f SA (6.43)
FP = FS = ( f PV 2 + f A − f SA ) = FV +
δ p2 (1 − n) ⋅ δ p
Und daraus dann für die Verschiebung des Lastangriffspunktes A die Beziehung:
f A = n ⋅ f SA + n ⋅ (1 − n) ⋅ δ P ⋅ FA (6.45)
Die Schraubenkraft FS hat sich somit durch die zusätzliche Verlängerung des
Schraubenbolzens um f SA erhöht auf den Wert:
f SA (6.46)
FS = FV + = FV + FSA
δS
Nach kurzer Umrechnung ergibt sich aus den Gleichungen (6.42), (6.45) und
(6.46) für die zusätzliche Schraubenlängung die Beziehung
6.4 Dimensionierung und Berechnung 333
δ S ⋅δ P (6.47)
f SA = n ⋅ ⋅ F = n ⋅ δ S ⋅ φ K ⋅ FA
δS + δP A
Die Schraubenzusatzkraft FSA , d.h. jener Anteil der axial eingeleiteten Betriebs-
kraft FA , den die Schraube „spürt“, hat die Größe (Abb. 6.38.)
FSA = FS − FV (6.48)
f SA δP (6.49)
FSA = = n⋅ F = n ⋅ φ K ⋅ FA
δS δS + δP A
φK ist hierbei das sogenannte Kraftverhältnis für den nur theoretisch denkbaren
Fall, dass die Betriebslast in der Kopfauflageebene angreift (n = 1). Es gilt somit
für n = 1:
δP
φK = = FSA1 / FA ( FSA1 = FSA ) (6.50)
δS + δ P
Der übrige Teil der Betriebskraft FA wird dadurch kompensiert, dass sich die
Hülse um f SA entspannt und dadurch ihre Vorspannung sinkt. Die Hülsenkraft hat
somit die Größe
FPA = FA − FSA = FA (1 − n ⋅ φ K ) (6.51)
Daraus folgt weiter, dass die Hülse, die im einen Teil (H 2) belastet und im ande-
ren Teil (H l) entlastet wurde, in ihrem Gesamtverhalten durch eine „scheinbare“
Hülsennachgiebigkeit beschrieben werden kann, die sich in folgender Weise be-
rechnen lässt:
f SA n ⋅ φK (6.52)
δ P* = = δS ⋅
FPA 1 − n ⋅ φK
Die Klemmkraft FK während des Betriebes hat nach Gl. (6.44) den Wert
FK = FS − FA = FV + FSA − FA = FV − FA (1 − n ⋅ φK ) (6.53)
In Abb. 6.38. werden die hergeleiteten Verhältnisse der Kräfte und der Verschie-
bungen im Verspannungsdiagramm für die Einleitung einer Betriebskraft FA in
ein System mit n = 1, d.h. Krafteinleitung in die Kopfauflagefläche gezeigt. Diese
hat sich um f SA verschoben, und die zwischen den Schrauben- und Hülsenkennli-
nien eingezeichnete Betriebskraft FA belastet die Schraube zusätzlich nur mit
dem Anteil FSA . Der andere Anteil, die Kraft FPA , dient zur Entlastung der Hülse.
Durch die Betriebskraft hat sich der Gleichgewichtszustand um f SA = f PA (d. h.
Weg – gleich) verschoben.
334 6 Schrauben und Schraubenverbindungen
Nach Gl. (6.49) gibt es zwei Möglichkeiten, um den die Schraube zusätzlich
beanspruchenden Lastanteil FSA zu vermindern, nämlich die Verkleinerung von n
und die Verkleinerung von φ K . Das Kraftverhältnis wird ausgedrückt durch das
Verhältnis der Nachgiebigkeiten:
δP (6.54)
φK =
δS + δP
Danach ist es vorteilhaft, die verspannten Bauteile (Hülse) möglichst wenig nach-
giebig, d.h. steif auszuführen, doch sind die Gestaltungsmöglichkeiten bei Platten
nur begrenzt. Wirkungsvoller ist es, die Nachgiebigkeit δ S der Schraube zu erhö-
hen, d.h. sie lang und mit vermindertem Schaftquerschnitt als Dünnschaftschraube
auszuführen. Das Diagramm in Abb. 6.39. zeigt die durch die weichere oder fla-
chere Schraubenkennlinie bewirkte Minderung der Schraubenzusatzkraft
′ < FSA ), allerdings um den Preis größerer Dehnung ( f SA
( FSA ′ > f SA ).
Die andere, wirkungsvollere Maßnahme liegt in der Senkung von n. Danach ist
es besonders vorteilhaft, die Betriebslast FA möglichst tief, d.h. nahe bei (n « 1)
oder sogar in der Trennfuge (n = 0) einzuleiten. Wie die Gl. (6.52) zeigt, wird
dadurch die Nachgiebigkeit der wirksamen Hülse vermindert, die Hülsenkennli-
nien werden mit sinkendem n also steiler bis zur Senkrechten bei n = 0. Das Ver-
spannungsdiagramm in Abb. 6.40. zeigt, wie der Schraubenlastanteil FSA sinkt
und bei n = 0 sogar ganz verschwindet. Konstruktiv wird dies erreicht durch einen
möglichst tief liegenden Anschluss des lasteinleitenden Deckels, Trägers usw. an
den Flansch und sehr wirkungsvoll verstärkt, wenn einfache Rohrhülsen zusätzlich
6.4 Dimensionierung und Berechnung 335
aufgesetzt werden. Dabei wird gleichzeitig die Schraube länger, also nachgiebiger.
Allgemein ist zu sagen, dass die Dehnung des Systems dadurch kleiner wird.
Anmerkung:
Es ist zu beachten, dass sich im Verspannungsdiagramm für den Lastfall wegen
des nach A verlagerten Angriffspunktes von FA im Vergleich zum Verspan-
nungsdiagramm unter der Vorspannung die Hülsenkennlinie ändert, die Schrau-
benkennlinie aber unverändert bleibt. Diese Darstellung baut auf der Verschie-
bung f SA der Kontaktstelle Schraube/Hülse, d.h. der Kopfauflagefläche auf, und
dort sind die Verhältnisse hinsichtlich der Schraube konstant.
Abb. 6.40. Verminderung der zusätzlichen dynamischen Schraubenlast durch eine günstige
Hülsengestaltung; a) Ungünstiger Deckelanschluß; b) günstiger Deckelanschluß; c) Verbes-
serung durch zusätzliche Aufsatzhülsen
In der Literatur werden häufig auch Darstellungen gezeigt, die zwischen dem
Montagezustand FV und dem Lastzustand derart unterscheidet, dass ab dem Vor-
336 6 Schrauben und Schraubenverbindungen
Dynamische Betriebskräfte
Der Vorteil des elastisch verspannten Systems zeigt sich besonders bei der Belas-
tung durch eine zeitlich veränderliche (dynamische) Betriebskraft. Durch den
Entlastungseffekt der Hülse wird der dynamische Lastanteil klein, der die gewin-
degekerbte Schraube mit ihrer niedrigen Dauerfestigkeit belastet. Die Betriebs-
kraft in Abb. 6.41. ist allgemein FA = FAm ± FAw und schwingt zwischen den
Grenzen FAu und FAo . Dies eingetragen in das Verspannungsdiagramm zeigt die
zwischen den Punkten u und o veränderliche Schraubenlast FS . Diese variiert
zwischen FSu = FV + FSAu und FSo = FV + FSAo Mit Gl. (6.49) ergeben sich für
den unteren und den oberen Wert der Schraubenzusatzkraft die Beziehungen
FSAu = n ⋅ φ K ⋅ FAu ; FSAo = n ⋅ φ K ⋅ FAo
Die Angaben und Gleichungen gelten gleichermaßen für den Fall einer einge-
leiteten reinen Wechsellast, für den FAm = 0 zu setzen ist. Aus Abb. 6.43. ist
ersichtlich, dass gemäß den vorherigen Darstellungen die Schraube in der Druck-
phase entlastet wird.
6.4 Dimensionierung und Berechnung 337
Abb. 6.42. Belastung einer vorgespannten Schraubenverbindung durch eine zeitlich ver-
änderliche Last FA
Abb. 6.44. Verspannungsschaubild mit nichtlinearen Kennlinien (z.B. Flansche mit Dich-
tung)
Das beschriebene nichtlineare Verhalten ist nur bedingt mit den gezeigten ein-
fachen Modellvorstellungen darstellbar. Dies gilt auch für den folgenden Ab-
schnitt zu Temperaturbelastungen. Temperaturbelastungen können sehr häufig
bedingen, dass sich Werkstoffkennwerte einerseits bei hohen Temperaturen er-
niedrigen und daher Grenzwerte leicht überschritten werden. Andererseits bedin-
gen Temperaturbelastungen bei unterschiedlichen Wärmeausdehnungskoeffizien-
6.4 Dimensionierung und Berechnung 339
ten von Bauteil und Schraube sehr hohe thermisch verursachte Beanspruchungen,
die ebenfalls vielfach die zulässigen Grenzen überschreiten. Werden die zulässi-
gen Grenzen von Schraubenwerkstoff oder Bauteilwerkstoff überschritten reagiert
das System mit (nichtlinearem) Fließen der Werkstoffe.
6.4.3.4 Temperaturbelastung
Sehr viele Schraubenverbindungen werden neben der mechanischen Belastung
durch Temperaturänderungen im Betrieb belastet. Dabei müssen mehrere Aspekte
berücksichtigt werden:
Sind Werkstoffe mit unterschiedlichen thermischen Ausdehnungskoeffizienten
verspannt, so entsteht bei Temperaturänderung eine Verschiebung des Verspan-
nungsgleichgewichts, was direkt zu einer Änderung der Vorspannkraft um ǻ FVT
führt, siehe Abb. 6.45. Über die Vorspannkraftänderung ist damit auch eine tem-
peraturbedingte Änderung der Flächenpressung in der Kopfauflagefläche ǻ pT
verbunden, die häufig das verspannte Bauteil deutlich höher belastet. Eine derarti-
ge Situation liegt beispielsweise bei Verbindungen vor, bei denen ein Leichtme-
tallbauteil mit einer Stahlschraube verspannt wird. In Abb. 6.45. ist wichtig, dass
die thermisch bedingten Längenänderungen ǻ fT(ǻ T)Schraube und ǻ fT(ǻ T)Bauteil in
die gleiche Richtung im Verspannungsschaubild eingetragen werden, da die Zug-
/Druckrichtung der Achsen zwischen Schraube und verspanntem Bauteil unter-
schiedlich orientiert ist. Wird eine thermische Verlängerung nach rechts eingetra-
gen, so bedeutet dies, dass durch eine Schraubenverlängerung der verspannte
Zustand reduziert wird und analog durch eine Bauteilverlängerung der verspannte
Zustand verstärkt wird.
Durch Temperatureinfluss auf die elastischen Eigenschaften der Werkstoffe
von Schraube und Bauteil (ES, EP) ändern sich i.d.R. die Nachgiebigkeiten gering-
fügig, weshalb įS, įP und įST, įPT unterschieden werden. Mit diesen Kenntnissen
kann für die thermisch bedingte Vorspannkraftänderung ǻFVT und die Flächen-
pressungsänderung ǻpT aufgrund unterschiedlicher thermischer Ausdehnungsko-
effizienten von Schraube und Bauteil linear hergeleitet werden (gleiche Tempera-
turerhöhung ǻT in verspannter Schraube und verspanntem Bauteil ohne Klaffen;
gleichbleibend lineares Verspannungsverhalten ohne Werkstofffließen):
l K ⋅ ΔT (α P − α S ) (6.58)
ΔF VT =
δ ST + δ PT
l K ⋅ ΔT (α P − α S ) (6.59)
Δp T =
AP ⋅ (δ ST + δ PT )
Dabei sind:
lK Klemmlänge der Verbindung
ĮS linearer thermischer Ausdehnungskoeffizient der Schraube (mittlere
Näherungen: ferritische Stahllegierungen ĮS = 11·10-6K-1;
340 6 Schrauben und Schraubenverbindungen
Ziel der Berechnung der Schraubenverbindung ist nach der Festlegung der Ver-
bindungsart und der Zahl der Schrauben, (die nach mehreren Gesichtspunkten
ausgewählt werden müssen, wie Sicherheit, gleichmäßige Pressung bei Laschen
und Dichtungen, Platzbedarf, Zugänglichkeit (Montage) usw.),
die Dimensionierung der Schraube so, dass sie festigkeitsmäßig den Belastungen
durch Vorspannkräfte sowie statischen und dynamischen Betriebskräften genügt
(festigkeitsgerecht), und
die Gewährleistung der Funktion, d.h. z.B. Aufrechterhalten einer genügend gro-
ßen Mindestklemmkraft FK erf zwischen den verbundenen Bauelementen als hin-
reichende Kontaktkraft für einen Reibschluss oder z.B. eine Dichtungspressung.
342 6 Schrauben und Schraubenverbindungen
Zu beachten ist, dass die Abmessungen der Gewinde und die Festigkeitsklassen
in Stufen genormt sind. Die Dimensionierung kann daher nur innerhalb der so
festgelegten Bereiche erfolgen und geschieht dann mit unterschiedlicher Ausnut-
zung der Tragfähigkeit. Dieser Hinweis relativiert die Richtwerte zur Streckgren-
zenausnutzung usw. und gibt nochmals Anlass, die Wichtigkeit der genauen
Kraftermittlung hervorzuheben. Die während des Betriebes wirkenden Kräfte sind
kaum genau genug erfassbar, die zweite Unsicherheit liegt in der Ermittlung des
elastischen Verhaltens der Bauteile mit der Lasteinleitungsstelle und des dadurch
bestimmten Betriebslastanteils auf die Schraube, und schließlich sind die Reibwer-
te erheblich unsicher. Die hier angewandte Sorgfalt bei der Erfassung dieser Grö-
ßen entscheidet über die Güte der Schraubenverbindung, nicht die Genauigkeit der
Zahlenrechnung oder der Angabe der Tragfähigkeitskennwerte der Schrauben.
Aufgrund dieser Unsicherheiten hat sich folgende Vorgehensweise durchgesetzt:
1. Abschätzen der Schraubenquerschnitte AS bzw. AT nach den ge-
wünschten bzw. eingeleiteten maximalen Betriebskräften (Vordimen-
sionierung)
2. Berechnung der Schraubenverbindung mit den Maßen aus 1., d.h. Er-
mittlung des elastischen Systems, der Vorspannkraft, der Lastgrößen
usw.
3. eventuelle Korrektur der Abmessungen, der konstruktiven Anordnung,
der Festigkeitsklassen für die Schraube und die Mutter und danach evtl.
neue Durchrechnung nach 2.
Der erste Schritt erfolgt beispielsweise mit einem Arbeitsblatt aus [VDI2230],
das in Tabelle 6.16. wiedergegeben ist. Tabelle 6.17. zeigt ein Anwendungsbei-
spiel dieser Vorgehensweise.
Tabelle 6.16. Teil 1, Abschätzen des Durchmessers von Schrauben, nach [VDI2230]
Tabelle 6.16. Teil 2, Abschätzen des Durchmessers von Schrauben, nach [VDI2230]
Spalte 1 2 3 4
Nenndurchmesser [mm]
Kraft [N]
Festigkeitsklasse
12.9 10.9 8.8
1000 3 3 3
1600 3 3 3
2500 3 3 4
4000 4 4 5
6300 4 5 6
10000 5 6 8
16000 6 8 10
25000 8 10 12
40000 10 12 14
63000 12 14 16
100000 16 18 20
160000 20 22 24
250000 24 27 30
400000 30 33 36
630000 36 39
Aufgabe: Vorgehen:
Eine Verbindung wird dynamisch A 1600 N ist die nächst größere Kraft zu FQ max in
mit einer Querkraft von
Spalte 1
FQ max = 1200 N belastet.
Es soll eine Schraube der Festig- B vier Stufen für dynamische Querkraft führt
keitsklasse 8.8 mit einem Drehmo- auf FVM min = 10000 N
mentschlüssel montiert werden.
C eine Stufe für „Anziehen mit Drehmoment-
schlüssel“ führt zu FVM max = 16000 N
Die Berechnung der Vorspannung ist sehr umfangreich und daher für die Di-
mensionierungsrechnung, speziell für den ersten Überschlag, wenig geeignet. In
[VDI2230] ist ein Tabellenwerk enthalten, in dem Vorspannkräfte in Abhängig-
keit verschiedener Reibwerte unter dem Kopf und im Gewinde angegeben werden.
Dabei wird der Schraubenwerkstoff zu ca. 90% von Rp 0, 2 beansprucht. Die Be-
rechnungsgrundlage dieser Tabellen wird folgend dargestellt.
Nach Gl. (6.6) ist das Gewindeanzugsmoment für die Montagevorspannkraft
FV M wenn μ G die Reibungszahl im Gewinde ist zu bestimmen. Es belastet den
kleinsten Schraubenquerschnitt A0 , der schon durch die Kraft FV M auf Zug bean-
sprucht wird, zusätzlich auf Torsion mit der Spannung τ V = M GA M Wt 0 .
FS ⋅ d 2 F ⋅d ª P μG º (6.61)
MGA = ⋅ (tan (ϕ ) + tan ( ρ ' ) ) = V M 2 ⋅« + »
2 2 ¬ π ⋅ d 2 cos(α 2 ) ¼
Danach ist das Beanspruchungsverhältnis:
τV M ⋅A 2 d2 ª P º (6.62)
= GAM o = « + μ G / cos (α / 2)»
σ VM FVM ⋅ Wto d o ¬π ⋅ d 2 ¼
und, nach der GE-Hypothese mit der Vergleichsspannung:
σ v = σ 2 + 3τ 2 (6.63)
σ Vv = σ VM 1 + 3(τ V / σ VM ) 2 (6.64)
346 6 Schrauben und Schraubenverbindungen
Für den kleinsten Querschnitt Ao bzw. für dessen Widerstandsmoment Wto gegen
Torsion gelten folgende Werte:
Schaftschrauben:
π ⋅ d S2 π ⋅ d S3 (6.65)
d o = d S und Ao = AS = und Wto = WtS =
4 16
Dünnschaftschrauben:
π ⋅ d T2 π ⋅ d T3 (6.66)
d o = d T und Ao = AT = und Wto = WtT =
4 16
Die Montagevorspannkraft FV M ergibt unter Berücksichtigung des Streckgren-
zenausnutzungsfaktors v Vv die zulässige Montagevorspannkraft FV zul zu:
vVv ⋅ Rp0,2 ⋅ A0 (6.67)
FV zul = σ VM ⋅ A0 = 2
ª 2d § P ·º
1 + 3« 2 ⋅ ¨¨ + μ G / cos(α / 2) ¸¸»
¬« d o © π d 2 ¹¼»
Üblicherweise wird v Vv mit dem Wert 0,9 (= 90% von Rp 0, 2 ) gewählt. Wird ein
geringes plastisches Fließen bei der Montage zugelassen, wie in der neueren VDI
2230 vorgestellt, so kann mit einem modifizierten Torsionswiderstandmoment
Wto = π ⋅ d S3 12 gerechnet werden. Für den Zustand des gleichzeitigen Fließens
durch Torsion und Zugspannung wird dieses modifizierte Widerstandsmoment
angewendet und so die Schraubenkraft bei 100% von Rp 0, 2 berechnet. Von dem
berechneten Wert werden dann üblicherweise 90% ausgenutzt. Die zulässige
Montagevorspannkraft wird dann zu:
vVv ⋅ Rp0,2 ⋅ A0 (6.68)
FV zul = σ VM ⋅ A0 = 2
ª 3⋅ d2 § P ·º
1 + 3« ⋅ ¨¨ + μ G / cos(α / 2) ¸¸»
«¬ 2 ⋅ d o © π d2 ¹»¼
Für diese Bemessungskenngröße sind in [VDI2230] umfangreiche Tabellen für
verschiedene Reibwerte an der Kopfauflage und im Gewinde wiedergegeben.
Tabelle 6.18. und Tabelle 6.19. zeigen Auszüge aus [VDI2230].
Weitere Tabellen sind [VDI2230] zu entnehmen, wo ebenfalls für Feingewinde
Werte zur Verfügung gestellt werden. Die Dimensionierung einer Schraube erfolgt
üblicher Weise auf die Montagebeanspruchung, bei der als Gesamtanstrengung
90% der Streckgrenze zugelassen wird. Der zusätzlich auf die Schraube wirkende
Betriebskraftanteil muss von den verbleibenden 10% zur Streckgrenze ertragen
werden. Dabei ist zu beachten, dass durch Setzerscheinungen eine Reduzierung
der Beanspruchung einhergeht und dass von der äußeren Betriebskraft nur ein
gewisser Anteil zu tragen ist.
6.4 Dimensionierung und Berechnung 347
Berechnung
Die konstruktiven Gegebenheiten müssen für eine Berechnung weitgehend ver-
fügbar sein. Für die folgende Diskussion an einem Beispiel werden (vgl. Abb.
6.33.) folgende Größen festgelegt:
• Zu übertragende Querkraft : 5000 N
• Werkstoff der zu verbindenden Teile: Stahl
• Zahl der Reibflächen: i=2
• Schraubenart: Schaftschraube 8.8
• Zahl der Schrauben: j=2
• Klemmlänge: 40 mm
• Anziehfaktor (nach Tabelle 6.15. ): α A =1,6
6.4 Dimensionierung und Berechnung 349
Vordimensionierung:
Nach Tabelle 6.18. und mit Berücksichtigung, dass zur Auswahl der Schraube
immer aufgerundet werden muss, führt dies ebenfalls auf eine Schraube M10-8.8.
Damit ist eine vorläufige Festlegung der Schraube getroffen.
Nachrechnung
Nachdem die Schraubengröße durch die Vordimensionierung bestimmt ist, erfolgt
eine Nachrechnung. Hierzu sind folgende Schritte notwendig:
Gewinde 3,0 μm
Schraubenkopf 4,5 μm
Mutterauflage 4,5 μm
Trennfugen: 2 5,0 μm
Summe: 17,0 μm
• Bestimmung des Vorspannkraftverlustes durch Setzen nach Gl. (6.38), d.h. der
Kraft FZ :
fZ
FZ =
δP + δS
• Überprüfung der Spannkraft für die Schraube; maximale Spannkraft nach Mon-
tage:
Fsp max = α A ( FK erf + FZ ) = FV M max
350 6 Schrauben und Schraubenverbindungen
Kontrolle minimale Spannkraft nach Montage und Setzen muss größer gleich der
erforderlichen Klemmkraft sein:
FVMmax
Fsp min ≥ FK erf = − FZ = F M min − FZ
αA
• Gegebenenfalls Bestimmung des Schraubenanzugsmomentes nach Gl. (6.61).
Mit:
Ap = ( DK2 − DC2 )π / 4 = Auflagefläche
DK = 0,9 ⋅ SW = Auflagedurchmesser
DC = Innendurchmesser der Auflage (Lochsenkung beachten!)
pG = Grenzflächenpressung
• Bewertung des Ergebnisses:
Überprüfung der Schraubengröße und -anordnung sowie der Teilekonstruktion;
Überprüfung von Sicherheitsaspekten, z.B.
- (innere) Sicherheit gegen Sprödbruch, Sicherung gegen Lockern und Lösen
- (äußere) Sicherheit der Montage (Zugänglichkeit, Gewährleistung der Spann-
kräfte) und Reparatur, Korrosionssicherheit
Und daraus mit den Gleichungen (6.71) und (6.68) auch die Beziehung für die
maximale Vorspannkraft.
FVM max = α A ⋅ ( FZ + FK erf + FA ) − α A ⋅ FSA ≤ FV zul (6.73)
bei der Montage immer die höchst mögliche und zulässige Vorspannkraft ange-
strebt werden, um ein mögliches Klaffen der Schraubenverbindung sicher zu ver-
hindern.
Berechnung
Die konstruktiven Gegebenheiten müssen für eine Berechnung schon weitgehend
verfügbar sein, für die folgende Diskussion werden folgende Größen festgelegt:
• Werkstoff der zu verbindenden Teile
• Schraubenart: Schaft- oder Dünnschaftschraube
• Klemmlänge: l K
• Zahl der Schrauben: j
• Betriebskraft je Schraube: FA ggf. FA = FAm ± FAw
• Mindestklemmkraft: FK erf
• Montagefaktor (Anziehfaktor): α A (nach Tabelle 6.15. )
Vordimensionierung
Die Vordimensionierung erfolgt zweckmäßiger Weise nach dem in [VDI2230]
vorgestellten Verfahren, siehe Tabelle 6.16. Damit ist der Schraubennenndurch-
messer und die Festigkeitsklasse bestimmt.
δP (6.76)
φK =
δS + δ P
φK (6.77)
FZ = ⋅f
δP Z
Die Montage muss wegen der Abhängigkeit der Schraubenlastgrößen vom Ver-
spannungszustand gewährleisten, dass die erforderliche Vorspannkraft in der
Schraubenverbindung möglichst exakt hergestellt wird. Bei den gebräuchlichen
Anziehverfahren lässt sich die Vorspannkraft nicht direkt erfassen, sondern nur
ableiten aus dem Drehmoment, dem Drehwinkel, der elastischen Verlängerung der
Schraube oder dem Fließbeginn an der Streckgrenze. Je nach der Güte der Mess-
werterfassung und der Streuung von Einflussgrößen - hier vornehmlich der Rei-
bungszahl - ist die Vorspannkraft mit einer dem Montageverfahren eigentümli-
chen Unsicherheit belastet. Die Streuung der Montagevorspannkraft zwischen den
sich unter gleichen Bedingungen einstellenden Grenzwerten FVM max und FVM min
wird durch den Anziehfaktor α A ausgedrückt und erfordert eine Überdimensio-
nierung der Schraubenverbindung.
Die Schraubenmontage ist prinzipiell nach zwei Verfahren möglich. Beim ver-
breiteten sog. „Anziehen“ nutzt man die Eigenschaft der Schraube als Keilgetrie-
be, eine eingeleitete Drehung in eine Längsbewegung und dabei ein Drehmoment
in eine Schraubenlängskraft umzusetzen. Beim sog. „Anspannen“, das vornehm-
lich an Großverschraubungen, z.B. im Apparate- und Großmaschinenbau, Anwen-
dung findet, werden die Vorspannkräfte bzw. die Verlängerung des Schrauben-
schaftes direkt axial aufgebracht; das Gewinde dient nur zum Fixieren.
Um eine Schraube auf die Kraft FS anzuziehen, ist zusätzlich zum Gewindean-
zugsmoment M GA nach Gl. (6.6) ein weiteres Moment aufzubringen, um die
Reibung in der Kopf- bzw. der Mutterauflagefläche (mittlerer Reibdurchmesser
DKm ) zu überwinden. Dieses hat folgende Größe:
DKm D + DC (6.82)
M K = FS ⋅ μ K ⋅ = FS ⋅ μ K ⋅ K
2 4
mit DK = äußerer Durchmesser der Mutterauflagefläche
und DC = innerer Durchmesser der Mutterauflagefläche
Das Kopfanziehmoment ist von den Abmessungen des Kopfes bzw. der Mutter
abhängig und daher unterschiedlich zwischen Normschrauben und Schrauben mit
Sonderformen. Daraus ergibt sich das während der Montage (Montagevorspann-
kraft FVM ) aufzubringende Schraubenanzugsmoment:
M SAM = M GAM + M KAM (6.83)
6.5 Montage der Schraubenverbindung 355
§d D + DC · (6.84)
M SAM = FVM ¨ 2 ⋅ tan (ϕ + ρ ' ) + μ K ⋅ K ¸
© 2 4 ¹
Oder umgestellt:
M SAM P d μG D + DC (6.85)
= + 2⋅ + μK ⋅ K
FVM 2 ʌ
,
2 cos (α / 2 )
4
1.Term 2.Term 3.Term
Da zudem die Messwerte nur mit begrenzter Genauigkeit erfasst werden kön-
nen (Betriebseinflüsse, Ablesefehler, Grundgenauigkeit), ergibt sich die Größe des
Anziehfaktors aus der Darstellung in Abb. 6.48.
α A = FVM max / FVM min (6.86)
Die Grenzen der erreichbaren Kraft sind die Paarungen der jeweiligen Extremwer-
te kleinste Kraft/größter Reibwert und umgekehrt. Die Rechnung hat mit dem
niedrigsten Reibungsbeiwert zu erfolgen, denn damit wird die höchste Vorspann-
kraft FVM max in der Schraube erzeugt.
6.5.1.1 Handmontage
Bei untergeordneten Schraubenverbindungen ist die Handmontage üblich und
hinreichend. Ihre Güte beruht aber sehr auf der Erfahrung des Monteurs. In der
Praxis zeigt sich, dass die Schraubengrößen M12 bis M16 der Festigkeitsklassen
5.6, 6.8 bzw. M8 bis M12 der Festigkeitsklassen 8.8, 10.9 tendenziell richtig an-
gezogen werden. Kleinere Schrauben (<M10) werden meist eher überbeansprucht
und größere (>M10) eher unterbeansprucht vorgespannt und damit zu wenig an-
gezogen. Diese Angaben gelten für normale Schraubenschlüssel und Handkräfte.
Hebelverlängerungen sind zu vermeiden. Die Angabe eines Anziehfaktors ist
praktisch nicht möglich.
Als Maß für die Schraubenkraft und damit zur Bestimmung der Vorspannkraft
FV wird die elastische Verlängerung der Schraube benutzt. Prinzipiell ist dieses
die exakteste Messung und wird deshalb auch als Kontroll- und Einstellverfahren
für andere Anziehverfahren benutzt. Die betriebspraktische Anwendung ist aller-
dings begrenzt, denn die Längenmessung unterliegt folgenden Schwierigkeiten:
• nur bei Durchsteckschraubenverbindungen mit guter Zugänglichkeit möglich
• kostenaufwendig, da die Messung einzeln mit genauesten Messzeugen erfol-
gen muss
• abhängig von der Temperatur
• erfordert exakte Messflächen, z.B. eingesetzte Kugeln
• erfordert große Sorgfalt bei der Messung der kleinen Längenänderungen.
Diese liegen bei ca. 70% Streckgrenzenausnutzung für Schrauben der Festig-
keitsklasse 6.8, 10.9 und 12.9 in der Größenordnung von 16, 30 und 36 ȝm je
10 mm Klemmlänge
Die Streuung der Vorspannkraft FV dürfte daher um ca. ± 10% liegen [Illg02].
Bessere Werte sind möglich, wenn bei den Einstellmessungen sehr präzise vorge-
gangen wird.
streckgrenze hinzu, und die Abweichung der Vorspannkraft FV steigt dann auf
ca. ± 10 bis 12% an.
Die Schraubenbolzen werden vor der Montage erwärmt. Bei großen hohlgebohr-
ten Bolzen erfolgt die Erwärmung durch eingeführte Heizpatronen sogar von
innen. Die verspannten Teile (Hülse) bleiben kalt. Die thermische Verlängerung
muss die Schraubenverlängerung f SV und die Hülsenverkürzung f PV , die zum
Vorspannzustand gehören, und die Setzbeträge f Z decken. Es muss also gelten:
α t ⋅ l K ⋅ Δθ = f SV + f PV + f Z (6.87)
Dabei sind:
αt = thermischer linearer Längenausdehnungskoeffizient;
Δθ = Temperaturdifferenz gegenüber der Umgebung (Hülsentemperatur)
6.5 Montage der Schraubenverbindung 361
Die Muttern werden nur auf ein leichtes Fügemoment angezogen, beim Abkühlen
stellt sich der Vorspannzustand ein. Das Verfahren ist nur anwendbar, wenn die
Beträge von f PV und vor allem f Z klein sind gegenüber f SV , da sonst die An-
wärmtemperatur zu hoch werden müsste. Typische Anwendung findet das Verfah-
ren bei Turbinengehäusen mit dicken, starren Flanschen und glatter Trennfläche
ohne Dichtung.
Vorteilhaft sind das gleichmäßige Anspannen aller Schrauben, so dass eine gute
Auflage gewährleistet ist, sowie das zentrische Einleiten der Kraft in die Einzel-
362 6 Schrauben und Schraubenverbindungen
verbindung. Nachteilig ist, dass die Schrauben über die Vorspannkraft hinaus
belastet werden müssen, da das Zurückfedern der verspannten Teile, wenn der
Druck abgelassen wird, einen Verlust an Montagevorspannkraft bewirkt. Dieser
liegt bei etwa 10 bis 20% und sollte vorher experimentell festgestellt werden.
Handelsüblich sind Geräte für Schrauben von 14 bis 160 mm Durchmesser, bei
Drücken bis 1700 bar für Kräfte bis ca. 7500 kN.
Durch eine Reihe konstruktiver Maßnahmen, die teilweise schon weit außerhalb
der Schraubenverbindung wirksam werden müssen, ist zu gewährleisten, dass die
Schrauben (Schraubenbolzen) zur gegebenen Belastung keine Zusatzbeanspru-
chung erfahren und die Verbindungsstelle möglichst frei liegt zwecks einfacher,
kostengünstiger Fertigung und sicherer Montage.
Die häufigste Zusatzbeanspruchung erfolgt aus einer überlagerten Biegung,
wenn Krafteinleitung (Wirkrichtung der Kraft) und Schraubenachse nicht konzen-
trisch liegen. Die einfachste Maßnahme, die Schrauben in die Kraftlinien zu legen,
ist jedoch nur selten anwendbar und wenn überhaupt, nicht immer hinreichend
wegen der Bauteilverformung. Mögliche konstruktive Abhilfemaßnahmen sind in
Abb. 6.51. und Abb. 6.52. gezeigt. Sie lassen sich auf zwei Prinzipien zurückfüh-
ren:
• Erhöhung der Steifigkeit der Bauteile, um die Biegeverformung klein zu
halten
• Schaffung günstiger Auflagebedingungen, um das ausgeleitete Moment als
Kräftepaar mit kleinen Kräften darzustellen
Bei Flanschverbindungen ist das Stülpen der Flanschblätter und die eingeleitete
Wölbverformung durch ebene Böden zu beachten. Hier sind genügende Flansch-
dicken vorzusehen. Andererseits wirkt die Wahl der Schraubenausführung, d.h.
die Entscheidung bezüglich des Werkstoffes und danach für die Schraubengröße,
auf die Verbindung zurück.
6.6 Gestaltung von Schraubenverbindungen 363
Wie in Abb. 6.53. verdeutlicht, vermindert sich mit dem Übergang vom Schrau-
benwerkstoff der Festigkeitsklasse 5.6 zum Schraubenwerkstoff der Festigkeits-
klasse 10.9 nicht nur der Schraubendurchmesser. Die Abmessungen der gesamten
Anschlusskonstruktion gehen wesentlich zurück, so dass die Konstruktion nicht
nur leichter wird, sondern aus dem reduzierten Materialeinsatz auch Kostener-
sparnisse folgen. Vor allem rücken aber die Schrauben auf dem Teilkreis deutlich
364 6 Schrauben und Schraubenverbindungen
Ein weiteres Beispiel zum Einfluss der Schraubenausführung auf die Gestal-
tung der Bauteile findet sich in Abb. 6.54. Zur Montage müssen die Schrauben
zugänglich sein, d.h. in der Nähe von Wänden oder bei Mehrfachverschraubungen
ist der Platzbedarf für den Schraubenschlüsselangriff vorzusehen. Auch die axiale
Zugänglichkeit und genügend Platz für den nötigen Schwenkwinkel des Schrau-
benschlüssels oder des Schraubwerkzeugs müssen im weiteren Raum des Bautei-
les gewährleistet werden.
6.6 Gestaltung von Schraubenverbindungen 365
Das Beispiel zeigt im Vergleich deutlich wie durch den Übergang zum raum-
sparenden Schlüsselangriff die Abmessungen des Bauteils und damit die bereits
genannten verformungsbedingten Zusatzkräfte abnehmen.
Zusatzbeanspruchungen könnten Schrauben weiter durch die Geometrie des
Einbauortes erfahren, z.B. eine Zusatzbiegung durch das Schiefstellen des Kopfes.
Schraubenkopf- und Mutterauflagen müssen deshalb eben sein und senkrecht zur
Durchgangsbohrung stehen. Bei Blechteilen ist die Oberfläche als Auflage hinrei-
chend. Press- und Spritzgussteile haben meist schräge Flanken, die ebenso wie die
in Form und Rauheit noch gröberen Oberflächen der Guss- und der Schmiedeteile
eine spanende Erzeugung der Sitzflächen nötig machen. Die übliche Ausführung
geht aus Abb. 6.55. hervor. Die Durchgangslöcher a, die je nach Maschinenart in
den Reihen „fein“ ( DB = d + 6%, H 12), „mittel“ ( DB = d + 12%, H 13) oder
„grob“ ( DB = d + 20%, H 14) ausgeführt sind, erhalten eine zylindrische Senkung
366 6 Schrauben und Schraubenverbindungen
c. Deren Durchmesser ist um etwa 35% größer als die Schlüsselweite des Sechs-
kantkopfes und bietet daher reichlich Auflagefläche für Unterlegteile, wie z.B.
Unterlegscheiben, Federscheiben, Zahnscheiben usw. Die Senkungstiefe ist belie-
big, sie braucht aber nicht größer zu sein, als zur Herstellung einer ebenen, senk-
recht zur Bohrungsachse stehenden Kreisfläche erforderlich ist.
Die meist verwendeten Unterlegteile sind Unterlegscheiben. Ihr Zweck ist der
Schutz der Bauteiloberfläche, indem sie als Soll-Verschleißteil die hohe Reibung
an der Mutterauflage beim Anziehen aufnehmen. Gleichzeitig verteilen sie die
Auflagepressung, wenn auch nur in geringem Maße, doch hinreichend zum Schutz
von GJL- und Al- Oberflächen. Sie gibt es vornehmlich in der Ausführung „mit-
tel“ nach [DINENISO7089, DINENISO7090] aus Stahl, für Schrauben ab der
Festigkeitsklasse 8.8 aus Stahl gehärtet, und in der Ausführung „grob“ nach [DIN-
ENISO7091] mit größerem Lochdurchmesser. Neben weiteren siehe auch
[DIN6916], Unterlegscheiben für HV-Verbindungen, und [DIN7989], Scheiben
für Stahlkonstruktionen.
Eine Sonderform sind Vierkantscheiben nach [DIN434] ([DIN6918] bei HV-
Verbindungen) für U-Profile und nach [DIN435] ([DIN6917], bei HV-Ver-
bindungen) für I-Profile. Die Scheiben sind bei quadratischer Fläche im Quer-
schnitt keilförmig mit 8% bzw. 14% Neigung und schaffen so auf den gleicher-
maßen geneigten Flanschflächen der Profile die ebene und zur Bohrungsachse
senkrechte Auflagefläche für Schraubenkopf und Mutter (Abb. 6.56.).
Im Abschnitt 6.4.3.2 wurden bereits die Folgerungen aus der Gleichung für die
Schraubenzusatzkraft gezogen. Eine Verminderung des auf eine im Hauptschluss
liegende Schraube entfallenden Lastanteiles FSA der Betriebskraft FA ist durch
6.6 Gestaltung von Schraubenverbindungen 369
In der Paarung des zuggedehnten Bolzens mit der druckverformten Mutter werden
hier etwa 35 bis 40% der Schraubenkraft übertragen. Die Maßnahmen zur örtli-
6.6 Gestaltung von Schraubenverbindungen 373
kennt man im Verlauf der Mutter- und der Schraubbolzenform das für spannungs-
freie Verbindungen bekannte Prinzip der Schäftung, in dem das Gewinde die
Trennfuge bildet. Im wesentlichen ergibt sich daraus der konstruktive Hinweis,
dass nicht allein eine Zugmutter genügt, sondern auch der Schraubenbolzen eine
Übergangskontur erhalten muss.
Bei der Gestaltung von Verbindungen mit Stiftschrauben sind die durchaus ver-
schiedenen Betriebsfälle zu beachten, die völlig unterschiedliche Belastungen der
Gewindezone verursachen. Der in Abb. 6.61. unter Beispiel f) gezeigte Fall der
reinen Zugbelastung einer Stiftschraube kann beispielsweise an Flanschverbin-
dungen auftreten. Bei einer Dichtung innerhalb des Schraubenkreises stehen die
Flanschblätter außen um einen bestimmten Spalt entfernt, die Rohrkräfte werden
großräumig ziehend eingeleitet. Schraubenbolzen und Flanschgewinde erfahren
zwar beide Zugdehnung, die dennoch ungleiche Lastverteilung bewirkt eine Dau-
erbruchgefahr am Bolzenauslauf (Abb. 6.63.a). Abhilfe besteht darin, die Stift-
schraube mit langem Gewinde durchzuschrauben oder von der Gegenseite mit
Ausrundung anzusenken (Entlastungsbohrung). In vielen Anwendungsfällen lie-
gen die verschraubten Teile aufeinander, die Kontaktpressung, z.B. Dichtungs-
pressung, bewirkt im aufnehmenden Bauteil eine Druckbeanspruchung wie bei
einer Mutter. Dementsprechend erfährt jetzt der 1. eingeschraubte Gewindegang
den Höchstwert der ungleichförmigen Gewindebelastung. Diese vergleichmäßigt
sich mit steigender Last, weil dabei die Fugenpressung sinkt und die Stauchung im
Gewindebereich zurückgeht.
Dauerbruchgefahr besteht auch, wenn sich der letzte Gewindegang im Loch-
gewinde verklemmt (Abb. 6.63.d). Abhilfe, wodurch gleichzeitig die Biegebean-
spruchung gemindert wird, bieten in diesem Fall Dünnschaftausführungen, die mit
einem Zapfen als Losdrehsicherung gegen den Bohrungsgrund verklemmt werden.
Querkräfte sollte man durch ein Passstück oder, besser und billiger, durch eine
Scherhülse aufnehmen. Die Bundausführung (Abb. 6.63.g) bietet einen wirksamen
Schutz des Gewindes gegen Biegebeanspruchung.
6.6 Gestaltung von Schraubenverbindungen 375
Das Setzen kann weiter durch mehrfaches Anziehen und Lösen während der
Montage vermindert werden, da durch die Reibung die Oberflächen in der Mutter-
auflage und im Gewinde plastisch eingeebnet werden. Die sicherste fertigungs-
technische Maßnahme ist die, die Schrauben nach bestimmter Betriebszeit nach-
zuziehen (Inspektion). Von der Verwendung anderer Unterlegmittel ist abzuraten.
Federringe nach früherer DIN 127, Federscheiben nach früherer DIN 137 o.ä.
liegen schon bei Bruchteilen (ca. 5%) der erforderlichen Vorspannung auf Block
und sind wegen der zusätzlichen Fugenflächen schlechter als nichts. Weiterhin
sind Vorspannkraftminderungen durch Relaxation der verwendeten Materialien,
durch Temperaturwechsel, oder auch durch das Anziehen benachbarten Schrauben
zu erwarten.
M G = M GN + M GR ( M GN = Gewindenutzmoment; M GR = Gewindereibmoment)
und das Kopf- bzw. Mutterauflagereibmoment M K im Gleichgewicht sind. Dem
Gewindenutzmoment M GN das die Schraube lösen will, wirken dann die Reib-
momente im Gewinde ( M GR ) und in der Kopf- bzw. der Mutterauflagefläche
( M K ) entgegen. Somit gilt:
P (6.88)
− M GN = − FS ⋅ = M GR + M K =
2π
d μG D + DC
FS ⋅ 2 ⋅ + FS ⋅ μ k ⋅ K
2 cos(α / 2) 4
Letztere sind, wie der Vergleich der bei Gl. (6.84) angegebenen Verhältnis-
werte zeigt, um ein Mehrfaches größer als M GN , so dass sich im Normalfall selbst
bei sehr gut geschmierten Flächen und dementsprechend niedrigen Reibwerten der
Schraubenverbund nicht löst. Dieser Zustand ändert sich völlig, wenn in die Reib-
flächen Bewegungen eingeleitet werden, die nicht in Richtung der Umfangskräfte,
sondern z.B. senkrecht dazu stehen. Da Reibkräfte gegen die Bewegungsrichtung
wirken, klappen sie - vereinfacht dargestellt - in die aufgeprägte Richtung um, d.h.
dem Gewindemoment steht kein Reibwiderstand mehr entgegen, und die „rei-
bungsfreie“ Schraubenverbindung dreht sich los.
Unter eingeleiteten Axialkräften entstehen durch die Spreizung an den Gewin-
deflanken elastische Querverformungen in der Mutter, d.h. die Verbindung „at-
met“. Durch den starken Abfall der gemessenen Losdrehmomente ließ sich nach-
weisen, dass dabei die zuvor genannte Reibhemmung deutlich abnimmt; ein
selbsttätiges Losdrehen wurde unter dieser Belastungsart jedoch nicht erreicht.
Gefährdet sind querbelastete Schraubenverbindungen, sobald die Fügeteile bei
nicht gewährleistetem Reibungsschluss Querbewegungen ausführen können. So-
lange noch Reibungsschluss an den Kopf- und den Mutterauflageflächen besteht,
z.B. bei kleinen Verschiebungen, wird sich die Schraube durch Biegung verfor-
men. Sie ist hierbei zwar durch Biegedauerbruch gefährdet, aber sie löst sich -
auch ohne Sicherung - nicht selbsttätig. Oberhalb einer bestimmten „Grenzver-
schiebung“ tritt jedoch Gleiten auch unter der Kopf- bzw. der Mutterauflage ein,
und da in das Gewinde Quer- und Kippbewegungen eingeleitet werden, herrscht
jetzt der zuvor angegebene „reibungsfreie“ Zustand für das Gewinde. Die Schrau-
be dreht sich los, und zwar nach verhältnismäßig kleiner Lastwechselzahl (N um
100).
Obgleich eine konsistente theoretische Begründung der Vorgänge noch fehlt,
die Abhängigkeit des Losdrehens von den Parametern der Verbindung bisher nur
phänomenologisch beschreibbar ist, bietet das umfangreiche Versuchsmaterial
entscheidende Vergleichsmöglichkeiten für die Wirksamkeit der Losdrehsiche-
rungen. Es wird dazu auf Tabelle 6.20. verwiesen. Das wesentliche Ergebnis ist,
dass die Unterlegmittel, Federringe, Zahnscheiben usw. unwirksam sind; es ist vor
ihrer Verwendung zu warnen. Untauglich, jedenfalls für hochbeanspruchte
Schraubenverbindungen ab der Festigkeitsklasse 8.8, sind auch Sicherungsbleche
[DIN462, DIN5406]] und Kronenmuttern mit Splint [DIN935, DIN979]. In den
6.6 Gestaltung von Schraubenverbindungen 379
Tabelle 6.20. Einteilung von Sicherungselemente nach Funktion und Wirksamkeit, ange-
lehnt an [VDI2230], Ausgabe 2001
*)Temperaturabhängigkeit beachten
380 6 Schrauben und Schraubenverbindungen
6.7 Bewegungsschrauben
Bewegungsschrauben werden nach der Definition in Abschnitt 6.1 für Stell- und
Arbeitsfunktionen genutzt. Aus dieser unterschiedlichen Aufgabenzuweisung
folgen spezifische Anforderungen sowohl hinsichtlich der Gestaltung der Elemen-
te, ihrer Lagerung und der Gewindegestaltung, als auch ihrer Beanspruchungsart
und -größe, Kraft- und Momentaufnahme, Werkstoffbeanspruchung, Lastfall usw.
und schließlich der Tribologie.
6.7.1 Bauformen
Nachteilig bei den Gleitpaarungen ist die relativ hohe Reibung, die im Dauer-
betrieb zu Schwierigkeiten wegen der Wärmeentwicklung führt. Bei teueren Aus-
führungen an Werkzeugmaschinen wurden auch hydrostatische Schmierungen
bzw. Lagerungen ausgeführt, d.h. die Muttern mit druckölgespeisten Taschen oder
Nuten in den Flanken versehen. Eine deutliche Minderung der Reibung wird in
den Kugelgewindetrieben erreicht. Spindeln und Muttern sind mit halbkreis- oder
spitzbogenförmigen, gehärteten Schraubennuten versehen, in denen Kugeln die
Lastübertragung vornehmen. Nach dem Durchlauf durch das Gewinde werden die
Kugeln durch innere bzw. äußere Umlenkkanäle an den Gewindeanfang zurückge-
führt (Abb. 6.65.). Die Vorteile dieser Kugelgewindetriebe sind:
− Höhere Positioniergenauigkeit über die Lebensdauer, da niedrigerer Verschleiß
− Deutlich niedrigere Reibung, d.h. Selbsthemmungsgrenze unter 1° Steigungs-
winkel, Gewindewirkungsgrad über 80% bei einem Steigungswinkel α = 2 °;
− Niedrige Erwärmung
− Kein Stick-Slip-Effekt, d.h. keine Reibschwingungen
Da keine Selbsthemmung mehr vorhanden ist, müssen äußere Bremsen für das
Positionieren vorgesehen werden. Die Berechnung erfolgt wie bei Wälzlagern.
Eine andere Möglichkeit, niedrige Reibung durch Rollbewegung zu erreichen,
zeigt das Rollgewindeprinzip, bei dem Gewinderollen zwischen Spindel und Au-
ßenmutter angeordnet sind und wie ein Planetensatz umlaufen. Diese Bauart ist als
Spindelhubgetriebe für sehr große Lasten geeignet und wird auch als Planetenrol-
lentrieb bezeichnet, (Abb. 6.66.).
6.7.2 Berechnung
der Fläche ( 1 ≥ k ≥ 0,75 ) wird mit der zulässigen Pressung pzul die Tragkraft pro
Gang:
Fp = k ⋅ π ⋅ d 2 ⋅ H 1 ⋅ pzul (6.89)
( H1 = Tragtiefe, d 2 = Flankendurchmesser)
Die notwendige Mutterhöhe m für die Aufnahme der Schraubenlast FS , ergibt
sich dadurch mit der Teilung P zu:
FS (6.90)
m= ⋅P
Fp
Die zulässige Pressung pzul ist kein Werkstoffwert, sondern eine Erfahrungsgrö-
ße, die hauptsächlich durch die Größe des Gleitverschleißes bestimmt wird. Die
Richtwerte der Tabelle 6.21. dürfen daher bis zum Zweifachen überschritten wer-
den, wenn folgende Betriebsumstände vorliegen:
- Seltene Betätigung
- Langsame Stellbewegung
- Hinreichende Schmierung
- Höchstlast nur über einen kurzen Schraubenweg wirkend
- Verschleiß zulässig und in Grenzen funktionstechnisch akzeptabel
Werkstoffpaarung p zul
N/mm2
Spindel Mutter
Stahl Stahl 8
Grauguss 2…5…7
Bronze 7…..10
Kunststoffe 2 (bis 30 m / min)
5 (bis 10 m / min)
10...15 (seltene Bewegung)
Stahl gehärtet Bronze ....15
6.8 Anhang
Schrauben und Gewinde werden über eine Vielzahl von Normen definiert. Die
Normung hat in den letzten Jahren zu einer Verschiebung von früheren DIN zu
DIN EN bzw. zu DIN EN ISO Normen geführt. Folgend wird eine Gegenüberstel-
lung der aktuellen Normen mit früheren Ausgaben wiedergegeben.
6.9 Literatur
[DI NISO261] DIN ISO 261, Ausgabe:1999-11. Metrische ISO Gewinde allgemei-
ne Anwendung – Übersicht (ISO 261:1998)
[DINISO262] DIN ISO 262, Ausgabe:1999-11. Metrisches ISO-Gewinde allge-
meiner Anwendung - Auswahlreihen für Schrauben, Bolzen und
Muttern (ISO 262:1998)
[DINISO965] DIN ISO965-1, Ausgabe:1999-11. Metrisches ISO-Gewinde allge-
meiner Anwendung – Toleranzen; - Teil 1: Prinzipien und Grundla-
gen
DIN ISO 965-2, Ausgabe:1999-11. Metrisches ISO-Gewinde allge-
meiner Anwendung – Toleranzen; - Teil 2: Grenzmaße für Außen-
und Innengewinde allgemeiner Anwendung; Toleranzklasse mittel
DIN ISO 965-3, Ausgabe:1999-11. Metrisches ISO-Gewinde allge-
meiner Anwendung - Toleranzen; - Teil 3: Grenzabmaße für Kon-
struktionsgewinde
[Dub01] Dubbel, H.; Beitz, W.; Küttner, K.H. (Hrsg): Dubbel, Taschenbuch
für den Maschinenbau. 20. Aufl. Berlin, Heidelberg, New York:
Springer-Verlag 2001
[Illg01] lllgner, K.H.; Esser, J. : Schrauben Vademecum. 9. Aufl. 2001,
ISBN 3-935326-46-7, D-49565 Bramsche, Rasch Verlag
[ISO898] ISO 898-2, Ausgabe:1992-11. Mechanische Eigenschaften von
Verbindungselementen ; Muttern mit festgelegten Prüfkräften
[VDI2230] VDI-Richtlinie 2230, Bl. 1, Juli 1986. Systematische Berechnung
hochbeanspruchter Schraubenverbindungen; Zylindrische Ein-
schraubenverbindung
VDI-Richtlinie 2230, Bl. 1, Oktober 2001. Systematische Berech-
nung hochbeanspruchter Schraubenverbindungen; Zylindrische
Einschraubenverbindung
VDI-Richtlinie 2230, Bl. 1, 2003. Systematische Berechnung hoch-
beanspruchter Schraubenverbindungen; Zylindrische Einschrauben-
verbindung
[Wie88]
Wiegand, H., Kloos, K.-H., Thomala, W.: Schraubenverbindungen.
Springer-Verlag Berlin Heidelberg New York London Paris Tokyo
1988
Kapitel 7
Erhard Leidich
Wellen und Achsen haben die Aufgabe, Kräfte bzw. Momente abzustützen bzw.
zu leiten. Deshalb sind in Verbindung mit Wellen und Achsen immer Lager
einzusetzen. Der Unterschied zwischen Achsen und Wellen ist funktionsbedingt.
Wellen haben die Aufgabe, ein nutzbares Drehmoment zu übertragen und gleich-
zeitig funktionsbedingte Kräfte aufzunehmen und über die Lager abzu-
stützen. Sie sind stets drehbeweglich, müssen jedoch nicht immer umlau-
fen.
Achsen dienen ausschließlich zum Abstützen von Kräften. Sie können umlaufen
oder stillstehen. Nutzmomente werden nicht übertragen. In der Praxis ist
die Unterscheidung teilweise weniger streng. Beispiel: Triebachsen
(Triebachsen von Fahrzeugen, bei denen ein Nutzmoment als Antriebs-
moment zu den Rädern geleitet wird).
Die Abbildungen Abb. 7.1. bis Abb. 7.4. zeigen typische Bauformen von Achsen
bzw. Wellen.
kungslinien der äußeren Kräfte durch die Mitten der Kraftangriffsflächen gelegt
werden. Nur bei Krafteinleitung über relativ lange Naben erfolgt der Kraftansatz
als Streckenlast. Wirkt eine Axialkraft parallel zur Wellenachse, ist das entstehen-
de Biegemoment zu beachten.
Zur Wellenberechnung ist die räumliche Darstellung des Biegemomentenver-
laufes an der Welle erforderlich. Am einfachsten ist es, diesen Verlauf in zwei
senkrecht aufeinanderstehenden Ebenen zu bestimmen. Alle Kräfte, die nicht in
diesen Ebenen liegen, sind so zu zerlegen, dass ihre Komponenten in den festge-
legten Ebenen erfasst werden können. Für jeden beliebigen Wellenquerschnitt
kann nun das resultierende Biegemoment berechnet werden. Abb. 7.5. zeigt eine
Getriebewelle mit Kraftwirkungen von einem schrägverzahnten Stirnrad und einer
Keilriemenscheibe mit den auftretenden Biegemomentenverläufen in der x-z-
Ebene bzw. in der x-y-Ebene und dem Torsionsmomentenverlauf.
Der Momentenverlauf in einer Ebene lässt sich aus den Wirkungen der einzel-
nen Kräfte bzw. Biegemomente relativ einfach nach der Methode der Superpositi-
on aus den bekannten Fällen der typischen Einzelbelastungen (Abb. 7.6.) zusam-
mensetzen. Für die richtige Addition der Einzelmomente ist es unbedingt erforder-
lich, die Vorzeichen zu beachten. Dazu werden die Biegemomentenflächen an der
Zugseite angetragen. Die Biegemomentenflächen unterhalb der Wellenmitte sind
positiv und oberhalb negativ definiert.
M b res = M b2 x, z + M b2 x, y (7.1)
7.2.2 Vordimensionierung
7.2.2.1 Problemstellung
Im Kapitel 3 wird gezeigt, dass für eine exakte Festigkeitsberechnung einer Welle
Kenntnisse zu den angreifenden Kräften bzw. Momenten, zu den Abmessungen
und zur Beschaffenheit der Kerbstellen erforderlich sind. In der Entwurfsphase
sind aber nur die angreifenden Kräfte und Momente bekannt – Durchmesserwerte
und Gestalt müssen erst ermittelt werden. Mit Hilfe einer Entwurfsrechnung wird
ein Richtwert für den Wellen- bzw. Achsdurchmesser ( d üb ) überschlägig be-
stimmt.
Der überschlägige Durchmesser d üb ist die Ausgangsgröße für den ersten Ent-
wurf. Beim Festlegen des endgültigen Durchmessers sind jedoch die im Wellen-
querschnitt anzuordnenden Profile von Längsnuten, Tiefen von Eindrehungen zur
Aufnahme von Befestigungselementen u.ä. zu berücksichtigen (Abb. 7.7.). Die
402 7 Achsen und Wellen
Die Ermittlung des überschlägigen Durchmessers erfolgt in der Regel auf der
Grundlage der Festigkeit. Dazu werden für den jeweils vorliegenden Beanspru-
chungsfall überschlägige zulässige Spannungen ı b üb bzw. IJ t üb vorgegeben und
die Beziehungen für den Spannungsnachweis nach dem Wellendurchmesser d üb
aufgelöst. Die Werte ı b üb bzw. IJ t üb enthalten näherungsweise alle Faktoren, die
die Gestaltfestigkeit beeinflussen (z.B. Kerbwirkung, Oberflächenfaktor, Größen-
faktor). Bei reiner Torsionsbeanspruchung empfiehlt sich zur Berechnung die
Torsionswechselfestigkeit τ t W , bei Biegung dagegen die Biegewechselfestigkeit
σ b W des ausgewählten Werkstoffes.
16 ⋅ M t (7.4)
τt = ≤ τ t üb
π ⋅d3
Für M t in Nm:
16 ⋅ M t (7.5)
d üb ≥ 3 ⋅10 3
π ⋅τ t üb
bzw.
7.2 Berechnung von Wellen und Achsen 403
Mt (7.6)
d üb ≥ 17,2 ⋅ 3
τ t üb
mit
τ t üb = 0,27 0,47 ⋅τ t W
und
Mt Drehmoment in Nm
IJ t üb überschlägige zulässige Spannung in N/mm2
32 ⋅ M b (7.7)
σb = = σ b üb
π ⋅d3
32 ⋅ M b (7.8)
d üb ≥ 3
π ⋅ σ b üb
bzw.
Mb (7.9)
d üb ≥ 21,7 ⋅ 3
σ b üb
mit
σ b üb = 0,15 0,25 ⋅ σ b W (7.10)
und
σ b üb überschlägige zulässige Spannung in N/mm 2
Mb Biegemoment in Nm
σ v = σ b2 + 3 ⋅ τ t2 = σ b üb σ v Vergleichsspannung (7.11)
Mv M b2 M t2 (7.12)
= + 3 ⋅ M v Vergleichsmoment
Wb Wb2 Wt 2
und mit
Wt = 2 ⋅ Wb (7.13)
ergibt sich
M b2 M2 (7.14)
M v = Wb ⋅ 2
+ 3⋅ t2
Wb 4Wb
3 (7.15)
M v= M b2 + ⋅ M t2
4
für M v in Nm
Mv (7.16)
d üb ≥ 21,7 ⋅ 3
σ b üb
mit
σ b üb = 0,15 0,25 ⋅ σ b W (7.17)
7.2.3 Festigkeitsberechnung
− Konstante Lastamplituden
− Dauerfestigkeitsnachweis (Grenzlastspielzahl N G = 10 7 )
− Einstufenbelastung
− Beim Bestimmen der Bauteil-Dauerfestigkeit ist der zu erwartende Überlas-
tungsfall zu berücksichtigen. Die häufigsten bei Wellen auftretenden Überlas-
tungen entsprechen dem Fall 1, d.h. σ m = konstant (vgl. Kapitel 3). In diesem
Fall bleibt die Mittelspannung bei Überlastung konstant, es vergrößert sich le-
diglich die Spannungsamplitude. Hinweis: Berechnung entsprechend Überlas-
tungsfall 2 ( R = ı u / ı o = konstant) wird in [DIN 743] zusätzlich erläutert.
− Querkraft-Schubspannungen bleiben aufgrund des realen Schubspannungsver-
laufes (Oberfläche schubfrei!) unberücksichtigt.
− Umlauf- und Flachbiegung werden nicht unterschieden
− Die Festigkeitskennwerte gelten, falls nicht anders angegeben, für Werkstoff-
proben mit dem Probendurchmesser (Bezugsdurchmesser). Sie werden für den
realen Wellendurchmesser (max. 500 mm) umgerechnet.
− Temperaturbereich: - 40°C bis +150 °C
− Frequenzbereich: bis 100 Hz
406 7 Achsen und Wellen
für Zug/Druck:
σ z dFK (7.21)
S=
σ z d max
für Torsion:
τ tFK (7.22)
S=
τ t max
7.2 Berechnung von Wellen und Achsen 407
Mittelspannungsempfindlichkeit:
σ WK (7.24)
ψ ık = (*)
2 ⋅ K1 (d ) ⋅ Rm − σ WK
408 7 Achsen und Wellen
Vergleichsmittelspannung:
σ W ⋅ K1 (d ) (7.26)
σ WK =
K
Gesamteinflussfaktor:
§ β 1 · 1 (7.27)
K =¨ K + − 1¸ ⋅
¨ K 2 (d ) K F ı ¸ KV
© ¹
Zur Bestimmung der einzelnen Faktoren in den angegebenen Gleichungen wird
auf Abschnitt 3.3.4 verwiesen. Die Werkstoff-Festigkeitswerte sind Abschnitt 3.5
oder den entsprechenden Normen zu entnehmen.
Achsen und Wellen verformen sich unter den Betriebsbedingungen (Kraft- bzw.
Momentenbelastung), wobei Formänderungen auftreten können, die die Funktion
des Systems störend beeinflussen. So kann es zum Beispiel zu
− Kantenpressungen bzw. Zwangskräften in Lagern
− Eingriffsstörungen an Verzahnungen
− Anlaufen von Rädern und Scheiben bei Pumpen, Verdichtern und Turbinen
kommen.
Deshalb ist zu kontrollieren, ob die Formänderungen in vertretbaren Grenzen
liegen oder ob konstruktive Maßnahmen erforderlich sind, um sie zu verringern.
Abb. 7.11. erläutert die Formänderungen an einer Welle und deren mögliche
Auswirkungen.
Die zulässigen Werte für Formänderungen (Durchbiegung, Neigung, Drillung)
sind durch die Funktion der Welle oder der aufgesetzten Bauteile bestimmt. In der
Fachliteratur werden folgende Richtwerte für die zulässigen Verformungen an
Wellen empfohlen:
− für Wellen allgemein als Maximalwert
f max ≈ 0,33 mm / m (bezogen auf Stützlänge)
δ max ≈ 0,25° / m (bezogen auf Verdrilllänge)
7.3 Kontrolle der Verformungen 409
Die Berechnung der Verformung infolge Biegung an der Welle geht von der
Differentialgleichung der elastischen Linie (Abb. 7.12.) aus.
dx 2 M by (7.28)
=−
dz 2
E ⋅ Iy
folgt für eine Welle mit konstantem Querschnitt aus der ersten Ableitung für jeden
beliebigen Punkt der Biegelinie die Neigung:
l M by (7.29)
tan β ≈ β = ³ ⋅ dx
x =0 E ⋅ Iy
Aus der zweiten Ableitung ergibt sich die Durchbiegung f für jeden Punkt, d.h. die
Biegelinie selbst:
1 l (7.31)
f = ⋅ ³ M by ⋅ x ⋅ dx
E ⋅ I y x =0
In der Fachliteratur sind für die wichtigsten Belastungsfälle für konstante Quer-
schnitte die Gleichungen der elastischen Linie (Biegelinie) zusammengestellt
(siehe [Dub01] und Abschnitt 3.5.2). Damit können für die Verformung in einer
Ebene
f , f max , β A und β B (7.32)
errechnet werden.
Wirken die Belastungen in verschiedenen Ebenen, so werden die in zwei senk-
recht zueinander stehenden Ebenen (x-z-Ebene, x-y-Ebene) ermittelten Durchbie-
gungen bzw. Neigungen zu resultierenden Werten zusammengefasst. Es ergeben
sich für die betrachtete Stelle der Welle
f = f res = f y2 + f z2 (7.33)
und
Die in Abschnitt 3.5.2 aufgeführten Grundfälle können mit Hilfe des Prinzips
der Superposition (vgl. hierzu Abschnitt 7.2) für umfangreiche Belastungen
kombiniert angewendet werden.
Die voranstehend beschriebene Verformungsermittlung wird vom Konstrukteur
in der Regel als Überschlagsrechnung angewendet. Für die exakte Bestimmung
der Biegeverformungen an abgesetzten Wellen existieren moderne Berechnungs-
programme. Gleichermaßen kann ein grafisches Verfahren nach MOHR ange-
wendet werden. Dieses Verfahren beruht auf der Ähnlichkeit der Differentialglei-
chung der Seilkurve eines vollkommen biegsamen Seiles bei Belastung durch eine
stetige Last und der elastischen Linie. Hierbei ist zu beachten, dass beim Über-
412 7 Achsen und Wellen
Mit der Zunahme der Möglichkeiten der modernen Rechentechnik hat das gra-
fische Verfahren nach Mohr an Bedeutung verloren. Deshalb wird hier auf weitere
Erläuterungen verzichtet und im Bedarfsfalle auf die Fachliteratur verwiesen.
Der Verdrehwinkel ϕ (s. auch Abb. 7.11.) ist das Maß für die Formänderung
durch ein Torsionsmoment. Es ist der Winkel, um den zwei Querschnitte im
Abstand l verdreht werden. Es gilt
180 M t ⋅ l (7.35)
ϕ= ⋅
π G ⋅ Ip
180 M t ⋅ l ⋅ 32 (7.37)
ϕ= ⋅
π G ⋅π ⋅ d 4
bzw. bei Beachtung der üblichen Dimensionen
Mt Drehmoment in Nm
l Länge in mm
7.4 Dynamisches Verhalten der Wellen (und Achsen) 413
M t ⋅l (7.38)
ϕ = 584 ⋅10 3 ⋅
G ⋅d 4
Wird der Verdrehwinkel auf eine bestimmte Wellenlänge bezogen, ergibt sich die
Drillung ϑ
ϕ (7.39)
ϑ=
l
bzw. mit den o.a. Dimensionen
ϕ (7.40)
ϑ = 10 3 ⋅
l
(s. auch Abb. 7.11.).
Der Gesamt-Verdrehwinkel einer abgesetzten gestuften Welle mit unterschied-
licher Drehmomentenbeanspruchung kann als Summe der Drehwinkel der einzel-
nen Wellenabschnitte berechnet werden.
7.4.2 Biegeschwingungen
Fce = m ⋅ e ⋅ ω 2 (7.42)
Infolge dieser Kraft verformt sich die Welle, so dass der Massenschwerpunkt mit
dem Radius
r = f +e (7.43)
rotiert. Die Welle verformt sich dabei an der Stelle der Masse um den Betrag f
soweit, bis sich ein Gleichgewichtszustand zwischen der Fliehkraft
7.4 Dynamisches Verhalten der Wellen (und Achsen) 415
Fc = m ⋅ ( f + e ) ⋅ ω 2 (7.44)
c ⋅ f = m ⋅ ( f + e) ⋅ ω 2 (7.46)
m ⋅ e ⋅ω2 (7.47)
f =
c − m ⋅ω2
Dieser Ausdruck wird dimensionslos, wenn man die Verformungen auf die Ex-
zentrizität bezieht
f m ⋅ω 2 (7.48)
=
e c − m ⋅ω 2
Aus der Beziehung ist erkennbar, dass die Verformung gegen Unendlich geht,
wenn
c − m ⋅ω 2 = 0 (7.49)
c (7.50)
ωK =
m
Die in dieser Gleichung enthaltene Federsteife c ist der Quotient aus Kraft und
Federweg. Diese Federsteife kann ermittelt werden aus einer beliebigen Kraft,
welche an der Stelle des Massenschwerpunktes senkrecht zur Wellenachse wirkt,
und der durch sie hervorgerufenen Verformung. Dabei bietet sich an, für diese
beliebige Kraft des Gewicht G der aufgesetzten Masse und die dazugehörige
Verformung f G zu verwenden. Das ist vorteilhaft, weil dann für den Quotienten
aus Gewicht G und Masse m die Erdbeschleunigung g gesetzt werden kann.
G g (7.51)
ωK = =
fG ⋅ m fG
Für g = 9,81 m/s2 und mit den üblichen Einheiten ergibt sich
99 (7.52)
ωK =
fG
mit
ω Kreisfrequenz in 1/s
g Erdbeschleunigung in m/s2
fG Durchsenkung infolge Eigengewicht G in mm
Wird die Winkelgeschwindigkeit durch die Drehzahl mit Hilfe der Beziehung
π ⋅n n (7.53)
ω=
30 1 / min
ersetzt, so folgt
1 (7.54)
nK ≈ 946 ⋅
fG
Diese Ableitung zeigt, dass sich die kritische Drehzahl einer Welle aus der
Durchbiegung unter einem Massegewicht bestimmen lässt. Die Eigenmasse der
Welle wird meist vernachlässigt, was berechtigt ist, wenn die aufgesetzte Masse
mindestens eine Zehnerpotenz größer ist als die Eigenmasse der Welle.
Es ist jedoch notwendig zu beachten, dass die Ermittlung der kritischen Dreh-
zahl aus der Biegung unter dem Gewicht lediglich aus einem Rechenvorteil
resultiert und keinen physikalischen Zusammenhang darstellt. Das geht schon
daraus hervor, dass die Ableitung an einer senkrecht stehenden Welle durchge-
führt wurde, wo eine Durchbiegung unter dem Gewicht infolge Erdanziehung gar
nicht auftreten kann.
Es ist weiterhin zu beachten, dass bei dieser Ableitung die Masse als Punktmas-
se betrachtet worden ist. Soll die aufgesetzte Masse in ihrer realen Scheibenform
7.4 Dynamisches Verhalten der Wellen (und Achsen) 417
f m ⋅ω 2 (7.55)
=
e c − m ⋅ω 2
veranschaulicht Abb. 7.15., wobei die Drehzahl n bezogen auf die kritische
Drehzahl nK dargestellt ist und für f e der absolute Betrag betrachtet wird.
ω2 ω2 ω2 (7.56)
m⋅ m⋅
f ω K2 ωK2
ω K2 ω n
= = = =
e c ω2 ω2 ω K nK
m − m ⋅ 2 1− 2
ω2 ωK ωK
ω K2 − m ⋅
ω K2
Es ist zu sehen, dass bei der kritischen Drehzahl die Amplitude gegen geht.
Wenn vorgeschrieben wird, dass die Amplitude
f ≤ (2,5 3) ⋅ e (7.57)
418 7 Achsen und Wellen
werden soll, dann muss der Bereich (0,85...1,25)Â nK vermieden werden. Dieser
Bereich ist als kritischer Bereich gekennzeichnet. Läuft die Welle bei niedrigeren
Drehzahlen als nK , so spricht man von einem unterkritischen Lauf, und oberhalb
nK von einem überkritischen.
Beim Betrieb im überkritischen Bereich muss darauf geachtet werden, dass der
kritische Drehzahlbereich möglichst schnell durchfahren und der Betrieb in
diesem Bereich mit Sicherheit vermieden wird. Dann bleibt die Auslenkung in
ertragbaren Grenzen, da es eine Zeit dauert, bis sich Schwingungen auf ihren
Größtwert aufschaukeln.
Aus Abb. 7.15. ist weiter zu ersehen, dass die Amplitude klein gehalten werden
kann, wenn e möglichst klein, d.h. die Welle gut ausgewuchtet ist.
Bei mehreren auf einer Welle umlaufenden Massen kann die maßgebende
Durchbiegung näherungsweise nach der Formel von DUNKERLEY berechnet
werden.
1 (7.58)
nK ≈ 946 ⋅ Dimensionen wie oben
*
f G
n (7.59)
¦ f G2i ⋅ Gi
i =1
f G* = n
¦ f G i ⋅ Gi
i =1
7.4.3 Drehschwingungen
d 2φ (7.60)
J + ct ⋅ φ = 0
d t2
bzw.
d 2φ c t G ⋅ ǿp (7.61)
+ ⋅φ = 0 ct =
d t2 J l
Mit der Indizierung gemäß Abb. 7.16. erhält man die Eigenkreisfrequenzen für
den linken und rechten Teil der Welle.
G ⋅ Ip G ⋅ Ip (7.62)
ωA = ; ωB =
lA ⋅ J A lB ⋅ J B
J A ⋅ ϕ A = J B ⋅ ϕ B (7.63)
Daraus folgt
ϕ A J B (7.64)
=
ϕ B J A
Bei konstantem Durchmesser der Welle gilt gemäß Abb. 7.16. (Strahlensatz)
ϕ A lA ϕ A l A (7.65)
= und =
ϕ B lB ϕ B l B
Nach einigen Umformungen erhält man
JB (7.66)
lA = l ⋅
JA +J B
§ 1 (7.67)
1 · J +J
ω 0 = c t ¨¨ + ¸¸ = c t ⋅ A B
in 1/s
© A
J J B ¹ J A ⋅ J B
30 JA + JB (7.68)
nK = ⋅ ct ⋅ in min-1
π JA ⋅ JB
mit
ct Torsionssteifigkeit in Nm
2
J A , J B Massenträgheitsmomente in kgm
mein gilt, dass wegen der Unsicherheit der Berechnung der Abstand zwischen der
Haupterregenden (i.a. Drehfrequenz) und der Grundeigenfrequenz > 20% sein
sollte.
7.4.4 Auswuchten
Dynamisches Auswuchten (Abb. 7.18.) ist vor allem dann erforderlich, wenn
− mehrere aufgesetzte Massen vorhanden sind (Schwerpunkte in verschiedenen
Ebenen)
− hohe Betriebsdrehzahlen und
− hohe l/d-Werte vorliegen (in Sonderfällen auch bei l/d bis 1:8).
422 7 Achsen und Wellen
vs vs 2500 μm / s (7.72)
ezul = = = = 3,98 μm
ω 2 ⋅π ⋅ n 628 1 / s
und
U zul = m ⋅ ezul = 500000 g ⋅ 0,00398 mm = 1990 gmm (7.73)
Nach [Kel87] kann für starre Körper mit zwei Ausgleichsebenen je Ebene die
Hälfte des betreffenden Richtwertes genutzt werden.
U zul (7.74)
U1 = U 2 = = 995 gmm Restunwucht pro Ebene
2
und somit
U 1 995 gmm (7.75)
m′ = = = 4,97 g =ˆ zulässiger Fehler
R 200 mm
Es ist zu erkennen, dass mit steigender Drehzahl (Beispiel Autoräder vs. Bei-
spiel Dampf-/Gasturbinen oder Strahltriebwerke) bzw. erhöhten Anforderungen an
die Laufruhe bzw. -genauigkeit (Beispiel Feinstschleifmaschinen) die zulässige
Schwerpunktgeschwindigkeit sinkt. Das bedeutet, dass die verbleibende Restex-
zentrizität möglichst gering sein muss, was durch die Erhöhung der Auswuchtge-
nauigkeit erreicht werden kann.
424 7 Achsen und Wellen
7.5.1 Allgemeines
Nuten eingesetzt und sind für das Übertragen von axialen Kräften ( Fa ) geeig-
net. Anordnung der Sicherungsringe nicht an Stellen, wo hohe Biegemomente
wirken.
In Abb. 7.22. ist ein Einbaubeispiel dargestellt.
d1 d2 a1 a2 a3 b1 b2 d3 d4 d5 t1 t2 t3
1 2,12 3 3,5 3,5 0,3 0,4 3,15 4,5 5 1,9 2,2 1,9
1,6 3,35 5 5,5 5,5 0,5 0,7 5 6,3 7,1 2,9 3,4 2,9
2,5 5,3 7 8,3 8,3 0,8 0,9 8 9 10 4,6 5,4 4,6
4 8,5 11 12,7 12,7 1,2 1,7 12,5 14 16 7,4 8,6 7,4
6 13,2 18 20 20 1,4 2,3 18 22,4 25 11,4 12,9 11,5
10 21,2 28 31 31 2 3,9 28 35,5 40 18,3 20,4 18,4
Bezeichnungsbeispiel: Zentrierbohrung DIN ISO 6411 A4x8,5
Form A, d1 = 4, d 2 = 8,5
Die Form R findet Anwendung, wenn Schwierigkeiten durch Maßabweichun-
gen am Innen- und Außenkegel beseitigt werden sollen. Muss die Zentrierboh-
rung vor der Fertigstellung des Werkstücks abgestochen werden, so ist die
Form B bzw. C zu verwenden ( a1...3 Abstechmaß).
7.5 Gestaltung von Achsen und Wellen 429
Tabelle 7.5. Abmessungen von Wellenenden nach [DIN748], [DIN1448] und [DIN1449]
(Auswahl)
d1 l1 l2 l6 r t bxh d2 d3 d4
l3 l4 l5
1) lang kurz lang kurz min max lang kurz
12 2x2
30 18 18 — 1,7 —
14 3,2 10 14 M4 4,3
2,3 — 3x3 M8x1
16 12
2,5 2,2
19 40 28 28 16 12,
4 17 0,6 3,2 2,9 M 10 x 1,25 M5 5,3
5
4x4
20
3,4 3,1
22 50 36 36 22 14 5 16 21 M 12 x 1,25 M6 6,4
24 3,9 3,6
25
60 42 42 24 18 6 19 25 1 4,1 3,6 5x5 M 16 x 1,5 M8 8,4
28
430 7 Achsen und Wellen
1)
Toleranzfeld k6 für d1 bis 50 mm und m6 für d1 = 55 ... 630 mm.
Bezeichnungsbeispiel für ein zylindrisches Wellenende mit dem Durchmesser d1 = 50 mm
und der Länge l1 = 110 mm: Wellenende DIN 748-50x110
7.6 Literatur
[DIN471] DIN 471 Sicherungsringe für Wellen. Berlin: Beuth Verlag 1981
[DIN472] DIN 472 Sicherungsringe für Bohrungen. Berlin: Beuth Verlag 1981
[Dub01] Dubbel, H.; Beitz, W.; Grote, K.-H. (Hrsg): Dubbel, Taschenbuch für
den Maschinenbau. 20. Aufl. Berlin, Heidelberg, New York, Sprin-
ger-Verlag 2001
Jörg Feldhusen
Bei der Auswahl der Verbindung stellt die Lösbarkeit, bzw. Nicht-Lösbarkeit das
entscheidende Kriterium dar. Eine Verbindung gilt als lösbar, wenn sie ohne
Zerstörung der Verbindungselemente selbst oder der zu verbindenden Elemente
demontiert werden kann. Weitere wichtige Auswahlkriterien beziehen sich auf den
Einsatzfall der Verbindung. Hierzu gehören im Wesentlichen zwei Hauptkriterien.
Das erste Hauptkriterium bildet der konkrete Einsatz mit seinen Randbedingungen
wie:
− Zugänglichkeit der Verbindung
− wirkende Kräfte und Momente
− wirkende Schwingungen
− Häufigkeit der Demontage und Remontage
− geforderte Zusatzeigenschaften wie Dichtigkeit, thermische Isolation, usw.
Das zweite Hauptkriterium stellt die Fertigung mit ihren Rahmenbedingungen dar,
wie:
− erforderliche Werkzeuge
− Fertigungsaufwand, z.B. Löcher für eine Schraubverbindung,
− Montagezeiten
− erforderliche Vorrichtungen, usw.
Das zweite Hauptkriterium schlägt sich in den Herstellkosten der Verbindung
nieder.
Sie dienen zum unlösbaren, d.h. ohne Zerstörung nicht lösbaren, Verbinden von
Elementen mit Hilfe von Zusatzwerkstoffen, die arteigen oder artfremd in Bezug
auf die Werkstoffe der zu verbindenden Elemente sein können. Zu ihnen werden
die Kleb-, die Löt- und die Schweißverbindungen gezählt. Sie sind im Verhältnis
zu ihrer Tragfähigkeit die leichtesten Verbindungen und werden vornehmlich
dann eingesetzt, wenn Leichtbaukonstruktionen angestrebt werden. Die Hauptan-
wendungsgebiete sind daher der Flugzeug-, Fahrzeug-, Stahl- und Gerätebau.
8.2 Schweißen
i.Allg. industriell sicher beherrscht, es darf aber nicht vergessen werden, dass er
prinzipiell eine Umkehrung des Herstellungsprozesses der zu verbindenden
Werkstoffe darstellt. Was beispielsweise bei der Stahlherstellung im Hochofen
unter kontrollierten Bedingungen abläuft, kann während des Schweißvorgangs,
z.B. im Freien, nur sehr bedingt gesteuert werden. Es besteht immer die Gefahr
von Verunreinigungen oder Einschlüssen im Schweißgut. Deshalb müssen eine
Reihe von Maßnahmen ergriffen werden, um Schweißverbindungen sicher
ausführen zu können. In Abb. 8.2. sind die grundsätzlichen Überlegungen zur
Ausführung einer Schweißkonstruktion abgebildet.
Aus den genannten Gründen sind viele Einflussgrößen auf die Qualität einer
Schweißkonstruktion durch Normung festgelegt. In Abb. 8.3. sind einige Normen
zu den wichtigsten Einflussgrößen aufgeführt.
Unter Schweißen wird nach [DINISO857] das Vereinigen von Werkstoffen oder
das Beschichten eines Werkstückes unter Anwendung von Wärme und/oder von
Kraft ohne oder mit Schweißzusatzwerkstoffen verstanden. Die Festigkeit der
Schweißverbindungen wird durch die Kohäsionskräfte des Grund- und des
Zusatzwerkstoffes gewährleistet. Bei Schweißkonstruktionen lassen sich folgende
Vor- und Nachteile angeben:
Vorteile:
1. Leichtbauweise einfach zu realisieren.
2. Wirtschaftliche Herstellung von Bauteilen bei Kleinserien oder in der Einzel-
fertigung.
3. Wegfall von Modell- und Werkzeugkosten bei einfachen Schweißteilen.
4. Möglichkeit der nachträglichen Versteifung einer Konstruktion bei Belastungs-
erhöhung.
5. Verwirklichung kleiner Wanddicken.
6. Fügen von Blechkonstruktionen, d.h. die Herstellung von großflächigen und/
oder großräumigen Konstruktionen z.B. für Kessel, Behälter und Schiffsrümp-
fe.
7. Herstellung von Verbundkonstruktionen durch die Verbindung von Blechen
mit Profilen und Stahlguss- oder Schmiedeteilen.
8. Modularer Aufbau von Großkonstruktionen im Schiffsbau und Apparatebau für
Groß- und Größtbehälter; Erstellung von Teilegruppen im Werk und Aufbau
der Gesamtkonstruktion auf der Baustelle durch Montageschweißungen, -
verschraubungen oder -nietungen an niedrig belasteten Stellen.
9. Wirtschaftliche Herstellung von Rohren kleiner Nennweite, z.B. längsnahtge-
schweißte Rohre und auch großer Nennweite, wie z.B. Spiralrohre.
Nachteile:
1. Minderung der Festigkeit durch Schweißeigenspannungen. Eine Reduktion
durch Spannungsarmglühen des geschweißten Bauteils ist möglich.
2. Gefügeänderungen in den Übergangszonen der Schweißnaht zum Grundwerk-
stoff. Hierdurch entstehen Werkstoffkerben.
3. Erhöhte Korrosionsanfälligkeit des Schweißnahtbereiches durch eine metallur-
gische Verschlechterung des Gefüges.
4. Verzug der Werkstücke durch Schrumpfen der Bauteile; Minimierung durch
Festlegen der Reihenfolge der zu schweißenden Nähte im Schweißfolgeplan.
5. Sprödbruchgefahr infolge eines mehrachsigen Spannungszustandes. Dieser
entsteht durch die Überlagerung von Schweißeigenspannungen und Belastungs-
spannungen; Minimierung durch Spannungsarmglühen des geschweißten Bau-
teils.
8.2 Schweißen 439
8.2.2 Schweißverfahren
US Ultraschallschweißen
SG (CO2) Schutzgas – Lichtbogenschweißen mit CO2
SG (H2) Schutzgas – Lichtbogenschweißen mit H2
Die Möglichkeit zur Verarbeitung eines Werkstoffes durch Schweißen wird durch
den Begriff der Schweißbarkeit ausgedrückt. Es werden gut schweißbare, bedingt
schweißbare, schwer schweißbare und nicht schweißbare Werkstoffe unterschie-
den. Grundsätzlich ist aber der Einsatzfall zu beachten. Eine Verbindung, die
prinzipiell für niedrige Beanspruchung gut geeignet und einfach herstellbar ist,
kann für hohe Beanspruchungen u.U. durch hohen Fertigungsaufwand ertüchtigt
werden. Nach [DIN8528] wird die Schweißbarkeit eines Werkstoffes in der
Hauptsache von folgenden drei Einflussgrößen bestimmt:
1. Schweißeignung
2. Schweißmöglichkeit
3. Schweißsicherheit
Die Schweißeignung von Stahl wird durch dessen chemische Zusammenset-
zung sowie Erschmelzungs- und Vergießungsart (metallurgische und physikali-
sche Eigenschaften) bestimmt. Es ist zu beachten, dass Anreicherungen (Seige-
rungen) von Schwefel, Phosphor, Stickstoff und Kohlenstoff durch die Gefahr der
Aufhärtung das Schweißen erschweren. Silizium und Mangan sind in kleinen
Mengen (Si < 0,5 %; Mn < 0,8 %) nicht nachteilig, beeinträchtigen jedoch in
größeren Mengen die Schweißeignung. Kupfer (Cu), Nickel (Ni), Molybdän (Mo),
Niob (Nb), Titan (Ti) und Vanadium (V) wirken sich in kleinen Mengen nicht
oder sogar günstig auf das Schweißen aus.
Die Schweißeignung dieser Stähle wird vor allem durch ihre chemische Zusam-
mensetzung bestimmt und kann nicht mehr durch das Kohlenstoff-Äquivalent EC
gekennzeichnet werden. Da die Wärmeeinbringung beim Schweißen dieser Stähle
wegen der Gefahr der Aufhärtung begrenzt ist, wird fast nur das Lichtbogen-
schmelzschweißen angewendet. Das Gasschmelzschweißen kommt somit nicht in
Frage. Hochlegierte ferritische Chromstähle (rost-, säure-, hitze- und zunderbe-
ständige Stähle) werden mit gleichartigen Elektroden oder austenitischen CrNi-
Elektroden verschweißt.
Hochlegierte austenitische CrNi- und Mn-Stähle sind im Allgemeinen gut
schweißbar. Die kohlenstoffarmen CrNi-Stähle gewährleisten beim Schweißen mit
gleichartigem Zusatzwerkstoff mit den Legierungsbestandteilen Niob (Nb), Tantal
(Ta) und Titan (Ti) als Karbidbildner hochfeste korrosionsbeständige Schweißver-
bindungen. Im Bereich der Feinkornbaustähle stehen mittlerweile auch ver-
gleichsweise hochfeste Stähle (z.B. S 960 QL) mit Bruchfestigkeiten von mehr als
900 N/mm2 zur Verfügung.
Durch den Mo- und Cr-Anteil besteht die Gefahr der Seigerungsneigung, also
einer ungleichmäßigen Verteilung der Legierungselemente. Dadurch kommt es
ebenfalls zur Korrosionsanfälligkeit.
Ferritische Cr-Stähle: Der Werkstoff hat schlechte Zähigkeitseigenschaften
aufgrund seiner kfz-Gitterstruktur. In der WEZ zusätzlicher Anstieg der Rissnei-
gung. In der WEZ kann es zu Chromkarbidausscheidungen kommen, wenn nicht
gebundener Kohlenstoff vorhanden ist. Auch dies erhöht die Gefahr der Rissbil-
dung.
Martensitische Cr-Stähle: Je nach Kohlenstoffgehalt sind diese Stähle extrem
schlecht schweißgeeignet. Durch Anlassen verringert sich die Korrosionsbestän-
digkeit.
8.2.3.5 Eisen-Kohlenstoff-Gusswerkstoffe
Gusseisen mit Lamellengraphit (GJL) oder mit Kugelgraphit (GJS) lässt sich
wegen des im Gefüge vorhandenen Graphits nur sehr schwer schweißen. Repara-
turschweißungen werden mit umhüllten erzsauren Stahlelektroden, Reinnickel und
Monelmetall, NiCu-Legierung, als Gasschmelz- und Lichtbogenschmelzschwei-
ßungen nach einem Vorwärmen ausgeführt.
Weißer Temperguss (GTW) ist schweißbar, und schwarzer Temperguss (GTS)
ist ähnlich wie Gusseisen nur unter Verwendung besonderer Elektroden und
spezieller Schweißverfahren zu schweißen.
Unlegierter und legierter Stahlguss lässt sich ähnlich wie dickwandige Stahl-
bauteile der entsprechenden chemischen Zusammensetzung schweißen. Die
Schweißeignung von GS-38 und GS-45 ist gut und die von GS-52, GS-60 und
GS-70 weniger gut oder sogar sehr schlecht.
8.2.3.7 Kunststoffe
Bei den Kunststoffen sind eigentlich nur die Thermoplaste gut schweißbar.
Während die Polyvinylchloride (PVC), die Polyäthylene (PE) und die Poly-
methylmethacrylate (PMMA) gut schweißbar sind, sind die Polyamide (PA) und
die Polystyrole (PS) weniger gut schweißbar. Für das Schweißen dieser Thermo-
plaste, insbesondere als dünnwandige Teile und Folien, werden spezielle Kunst-
stoffschweißverfahren, z.B. das Warmgas-, Heizelement- und Hochfrequenz-
schweißen angewendet.
Die Schweißsicherheit wird durch die Konstruktion aufgrund der Gestaltung
der Schweißbaugruppe festgelegt. Wegen der oben beschriebenen negativen
Einflüsse einer Schweißung auf die Festigkeit eines Bauteils gilt grundsätzlich der
Satz: „die beste Schweißnaht ist diejenige, die nicht vorhanden ist“. Bei der
konstruktiven Gestaltung spielt der Kraftfluss im Bauteil eine wesentliche Rolle.
Eine Schweißnaht sollte möglichst nicht in hoch beanspruchten Werkstoffberei-
chen liegen. Einen weiteren Einfluss stellt die Werkstückdicke dar. Durch sie
werden die resultierenden Eigenspannungen und der Schweißverzug beeinflusst.
Steifigkeitsunterschiede, durch z.B. unterschiedliche Werkstückdicken der zu
verbindenden Teile, wirken sich negativ aus. Außerdem ist die Kerbempfindlich-
keit des Werkstoffes zu berücksichtigen sowie die Art und Höhe der Beanspru-
chung, die Beanspruchungsgeschwindigkeit und der Spannungszustand, insbeson-
dere bei mehrachsigen Spannungszuständen.
Es ist besonders darauf zu achten, dass sich hochbeanspruchte Schweißkon-
struktionen plastisch verformen können und nicht durch verformungslose Brüche
zerstört werden. Es gilt bei Schweißkonstruktionen also die Regel: „weich kon-
struieren“. Die Sprödbruchneigung nimmt von Feinkornbaustahl (Al beruhigt)
über den beruhigt zum unberuhigt vergossenen Stahl zu. Für Schweißkonstruktio-
nen sollten sinnvoller Weise Sprödbruch unempfindliche Stähle ausgewählt
werden.
8.2 Schweißen 445
Bei stark kaltverformten Werkstücken ist die Gefahr der Versprödung und Al-
terung besonders bei anschließendem Schweißen im Bereich der kaltverformten
Zonen sehr groß. Aus diesem Grund sind in der [DIN18800] Grenzwerte für das
Verhältnis von Biegeradius und Blechdicke für unterschiedliche Blechdicken und
Stahlgütegruppen festgelegt, die bei der Kaltverformung vor dem Schweißen nicht
überschritten werden dürfen. Sind größere Kaltverformungen nicht zu umgehen,
so ist ein Sicherheitsabstand für die Schweißnaht von der Stelle der Kaltverfor-
mung einzuhalten, der größer als das Dreifache der Wanddicke des Werkstückes
im Bereich der Schweißnaht ist.
Die Schweißmöglichkeit beschreibt die Fähigkeit der Fertigungsstätte die durch
die konstruktive Gestaltung und die schweißtechnischen Werkstoffeigenschaften
vorgegebenen fertigungstechnischen Anforderungen umsetzen zu können. Sie
wird also im Wesentlichen durch die schweißtechnischen Fertigungseinrichtungen
eines Betriebes und die Qualifikation der Schweißer bestimmt. Diese sind vor der
Konstruktion einer Schweißbaugruppe zu klären. Gegebenenfalls muss eine
schweißtechnisch weniger anspruchvolle Konstruktionsweise gewählt werden.
Insbesondere die Lage, die Position in der eine Schweißnaht hergestellt wird,
beeinflusst die Qualität der Schweißnaht. Die günstigsten Positionen sind die
Wannen- (PA, [ISO6947]) und die Horizontal-Vertikal-Lage (PB, [ISO6947]).
Mit Hilfe von [ISO6947] können die geforderten Positionen bei der Herstellung
einer Schweißnaht einfach beschrieben werden, siehe Abb. 8.5.
Bei einer Stumpfnaht können die Längs- und die Querschrumpfung einige Mil-
limeter und die Winkelschrumpfung einige Winkelgrade betragen, Abb. 8.7. Das
Schweißverfahren, die Werkstückdicke, der Nahtaufbau, die Steifigkeit der
Werkstücke und die Einspannverhältnisse bestimmen im Wesentlichen die Größe
der Schrumpfung. Bei dünnen Blechen sind der Verformungs- und der Span-
nungszustand zweiachsig und bei dickeren Blechen (s 12 mm) dreiachsig. Da
die Berechnung der Schweißeigenspannungen bis heute nur für einfache Bauteile
durchzuführen ist, ist die wirkliche Beanspruchung einer Schweißkonstruktion
beim Einwirken der äußeren Belastung (Kräfte und Momente) nicht exakt voraus-
zusagen. Gerade das Schweißen von dickeren Querschnitten (s 12 mm) führt
wegen des dreiachsigen Spannungszustandes mit starker Fließbehinderung und der
zusätzlich versprödenden Wirkung der Gefügeumwandlung und Aufhärtung im
Bereich der Schweißnaht zu einer starken Herabsetzung der statischen und der
dynamischen Belastbarkeit.
Die vor dem Schweißen am Schweißstoß gebildete Fuge muss bei Bauteilen mit
einer Dicke s > 3 mm vorbereitet werden. Diese Fugenvorbereitung ist von der Art
des Grundwerkstoffes, der Bauteildicke, dem Schweißverfahren, der Zugänglich-
keit der Schweißnaht und der Schweißposition abhängig. Sie ist für die einzelnen
Schweißstöße und Schweißverfahren in [DIN2559], [DINEN29692], [DIN8552],
[DINENISO9692] genormt. In Abb. 8.9. und Abb. 8.10. sind die unterschiedli-
chen Fugenformen zur Schweißnahtvorbereitung nach [DINEN22553] zusam-
mengestellt.
Bei Stumpfstoß-Schweißverbindungen werden dünne Bleche (s 3 mm) ohne
Fugenvorbereitung, Bleche mit einer Dicke 3 mm < s 20 mm einseitig und
Bleche mit 12 mm < s 40 mm beidseitig vorbereitet miteinander verschweißt.
Bei T-Stoß-Schweißverbindungen ist bei den stirnseitig anstoßenden Blechen im
Dickenbereich 3 mm < s 16 mm eine einseitige und im Bereich s > 16 mm eine
beidseitige Nahtvorbereitung erforderlich. Diese kann durchgehend bis zur
Blechmitte vorgenommen werden, sie kann aber auch nur teilweise die Blechdicke
erfassen, so dass noch eine schmale parallele Fuge wie bei einer I-Naht stehen
bleibt.
Die im Maschinen- und Apparatebau am häufigsten vorkommenden Schweiß-
nahtformen sind in Anlehnung an [DINEN22553] in der Abb. 8.11. ausschnitts-
448 8 Verbindungselemente und -verfahren
gen, die gestrichelte Linie gibt die Lage der Gegenseite an. In Abb. 8.14. ist ein
Beispiel zur Eintragung des Nahtsymbols auf der Bezugslinie wiedergegeben.
Abb. 8.14. Beispiel einer Eintragung des Nahtsymbols auf der Bezugslinie
Zu Beginn dieses Abschnitts steht eine Aussage, die auf den ersten Blick im
Widerspruch zum Kapitel steht: „Die beste Schweißnaht ist diejenige, die nicht
vorhanden ist“. Eine Schweißkonstruktion wird gewählt, weil man auf andere Art
nicht in der Lage ist, die Struktur, z.B. eine Kranbrücke, auf andere Weise zu
fertigen. Ein Bauteil wird also aus herstellungstechnischen oder Kostengründen in
mehrere zerlegt, die durch Schweißnähte verbunden werden. Jede Schweißnaht
stellt also eine Störung im Material- und Kraftfluss dar und sollte deshalb vermie-
den werden. Im Folgenden werden die grundsätzlichen Gestaltungsregeln darge-
stellt. Grundsätzlich ist bei der Gestaltung zu unterscheiden, ob die Schweißbau-
gruppe statisch oder dynamisch beansprucht wird. Bei dynamischer Beanspru-
chung gelten prinzipiell andere Gestaltungsregeln. So beanspruchte Konstruktio-
nen sind gekennzeichnet durch sanfte Querschnittübergänge, Ausrundungsradien
und Schweißnähte die nicht in Zonen hoher Spannung und/oder Verformung
liegen.
Seigerungszonen
Grundsätzlich ist bei Verwendung von unberuhigt vergossenen Stählen darauf zu
achten, dass die Schweißnaht von möglichen Seigerungszonen mit Phosphor- und
Schwefelanreicherungen so weit entfernt ist, dass kein Schweißen in diesem
Bereich erfolgt, da sonst Riss- oder Sprödbruchgefahr besteht.
Nahtmenge
Querschnittsunstetigkeiten
Steifigkeitssprünge
Bei den im Leichtbau sehr häufig zur Erhöhung der Biege- und Torsionssteifigkeit
verwendeten dünnwandigen Kasten- und Rohrprofilen ist besonders darauf zu
achten, dass keine großen Steifigkeitssprünge beim Übergang von geschlossenen
zu offenen Profilen oder beim Anschluss anderer Profile entstehen.
8.2 Schweißen 453
Nahtarten
Bei dynamisch hochbeanspruchten Konstruktionen sollten wegen des günstigeren
Kraftflusses und der gleichmäßigeren Spannungsverteilung im Schweißnahtbe-
reich Stumpfnähte anderen Nahtarten vorgezogen werden. Die besonders bei
Kehlnähten und bei K-Nähten auftretende gestaltbedingte Kerbwirkung führt zu
einer Verringerung der Gestaltfestigkeit. Auch Ecknähte unterliegen bei dynami-
scher Beanspruchung einer größeren Dauerbruchgefahr, wenn sie hinsichtlich des
Kraftflusses ungünstig gestaltet sind. Durch eine gute Naht- und Blechvorberei-
tung sowie eine exakte Lagezuordnung der Bleche unmittelbar vor dem Schwei-
ßen kann auch hier die gestaltbedingte Kerbwirkung wesentlich vermindert
werden. In Abb. 8.18. werden allgemeine Gestaltungsregeln bei statischer Bean-
spruchung wiedergegeben.
Schweißteile sind konstruktiv immer so zu gestalten, dass die Nähte leicht zugäng-
lich und somit einfach auszuführen sind. Da die Geometrie am Stoß der zu
verschweißenden Einzelteile die Nahtform und die Zugänglichkeit der Nahtstelle
beeinflusst, sind im Schweißnahtbereich recht- und stumpfwinklige Flächenstöße
den spitzwinkligen Stößen vorzuziehen. Zur einfacheren Durchführung einer
Schweißung und zur Steigerung und Vergleichmäßigung der Güte der Naht ist
beim Verschweißen von Teilen eine Lagefixierung durch eine Zentrierung,
Führung oder Anschlagleisten zu verwirklichen. In der Einzelfertigung erfolgt dies
454 8 Verbindungselemente und -verfahren
meistens durch Vorbearbeitung der Teile, z.B. gedrehte Absätze oder gefräste
Nuten und bei Serienfertigung durch kostengünstigere Schweißvorrichtungen
sowie Anschlagleisten oder Winkelschienen.
Wirtschaftliche Gestaltung
Neben der festigkeits- und steifigkeitsgerechten Gestaltung einer Schweißkon-
struktion ist auch die Wirtschaftlichkeit der Gestaltung zu beachten, die durch eine
brennschneidgerechte Ausführung der einzelnen Teilstücke mit möglichst gleicher
Dicke sowie einer guten Materialausnutzung und durch die Verwendung von
handelsüblichen Walzprofilen, Halbzeugen auch Schmiede- und Stahlgussteile
sowie Blechen zu erreichen ist [Neum65, Neum90, Schl83, Merk379, Merk78,
Merk358, Merk361]. Im Verlauf der Arbeiten zum Erstellen einer Schweißkon-
struktion ist es sinnvoll sich den Fertigungsablauf immer wieder vor Augen zu
halten, um Kosteneinflüsse zu erkennen. In Abb. 8.19. sind die Fertigungsoperati-
onen bei der Herstellung einer Schweißbaugruppe wiedergegeben [Ehrl98].
8.2 Schweißen 455
Montagegerechte Gestaltung
Bei der Gestaltung von Schweißkonstruktionen ist auch deren späterer Einsatz zu
berücksichtigen. So muss beispielsweise insbesondere bei geschweißten Stahlbau-
ten an deren Transport auf dem Landweg und deren Montage an der Baustelle
gedacht werden. Das bedeutet, es ist nicht sinnvoll die gesamte Konstruktion zu
schweißen, sondern auch Fügestellen vorzusehen, die geschraubt werden. Bei der
Konstruktion der geschraubten Fügestellen muss natürlich an die Zugänglichkeit
der Schrauben zum Anziehen gedacht werden.
Sicherheitsgerechte Gestaltung
3. Die Gesamtdicke der zu verbindenden Teile darf nicht größer als 15 mm und
die Dicke eines einzelnen Bleches nicht über 5 mm sein.
4. Das Dickenverhältnis der zu verschleißenden Bleche soll 1:3 nicht überschrei-
ten.
5. Punktschweißnähte sind bei biegebeanspruchten Teilen zur Verringerung der
Kopfzugbelastung immer in den Zugbereich zu legen.
6. Winkel, Laschen und Anschlussprofile sind an Bauteilen möglichst so anzu-
punkten, dass die Schweißstellen fast nur auf Schub beansprucht werden.
Kopfzugbeanspruchung und Schälbeanspruchung sind durch eine besondere
Gestaltung der Anschlussteile und eine zweckmäßige Anordnung der Schweiß-
punkte möglichst zu vermeiden.
7. Bei kastenförmigen Bauteilen, die aus geprägten Blechteilen hergestellt
werden, sind aus Gründen der besseren Zugänglichkeit die Schweißnähte im-
mer nach außen bzw. in die Schmalseite des Kastenprofils, und aus Gründen
8.2 Schweißen 457
Schweißnahtquerschnitt
Die Schweißnahtquerschnittsfläche AW (Längsschnittfläche) ist die Summe aller
Produkte aus den Nahtdicken ai und den Nahtlängen li , d.h. es gilt die Bezie-
hung:
n (8.2)
Aw = ¦ (ai ⋅ li )
i =1
458 8 Verbindungselemente und -verfahren
Schweißnahtdicke
Die für den Festigkeitsnachweis zu ermittelnde Schweißnahtdicke a ist bei
Stumpfnähten immer gleich der minimalen Blechdicke. Bei Kehlnähten wird als
Schweißnahtdicke die Höhe des einbeschreibbaren rechtwinkligen gleichschenkli-
gen Dreiecks angenommen. Die Wölbkehlnaht hat somit die schlechteste und die
Flachkehlnaht die beste volumenmäßige Nahtausnutzung. Wegen des günstigeren
Kraftflusses ist die Hohlkehlnaht der Flach- und der Wölbkehlnaht vorzuziehen.
Die Dicke der Kehlnaht darf 3 mm nicht unterschreiten und im Allgemeinen das
0,7-fache der Dicke des dünnsten Bleches nicht überschreiten
( 3 mm ≤ a ≤ 0,7 ⋅ s min ). Werden Schweißverfahren angewendet, bei denen ein
Schmelzen oder Einbrennen über den theoretischen Wurzelpunkt hinaus erfolgt,
kann für die Schweißnahtdicke zusätzlich der halbe Mindesteinbrand angesetzt
werden, in [Mewe78] sind genaue Angaben zu finden. Prinzipiell gilt:
• Bei Stumpfnähten zur Verbindung zweier Bleche: dünnere Blechdicke
• Bei Kehlnähten: Nahtdicke a
• Andere Stoßformen sind gesondert zu betrachten
Bei Punktschweißverbindungen ist zu beachten, dass der Durchmesser der
Schweißpunkte nach Schlottmann [Schl83] wie folgt ermittelt wird:
d = 5⋅ s (8.3)
wobei s die Dicke des dünnsten der zu verbindenden Bleche ist. Für den Abstand t
(t = Teilung) der Schweißpunkte wird bei stationärer Belastung ein Wert
t (3 bis 6) d und bei dynamischer Belastung ein Wert t = 2 d empfohlen.
Schweißnahtlänge
Bei Stumpfnähten ist die rechnerische Nahtlänge gleich der Blechbreite b. Wegen
der Anrissgefahr am Anfang und am Ende einer Schweißnaht wird von dieser
rechnerischen Blechbreite die Anfangs- und die Endkraterlänge (jeweilige Länge
= Schweißnahtdicke a) abgezogen, sofern nicht Auslaufbleche beim Ausführen
der Schweißnaht benutzt werden. Für die Schweißnahtlänge 1 gilt somit folgende
Beziehung:
l = b − 2a (8.4)
Bei Kehlnähten, die rundum, d.h. ohne Unterbrechung um einen Querschnitt
geschweißt werden, wird als Schweißnahtlänge l der Umfang U des Querschnitts
eingesetzt. Die Schweißnaht der Dicke a wird dabei in die Anschlussebene
umgeklappt und der Umfang längs der theoretischen Wurzellinie berechnet.
Bei mit Flankenkehlnähten ausgeführten Stab-, Laschen- und Knotenblechan-
schlüssen muss die Schweißnahtlänge l im Bereich
100a ≥ 11 ≥ 15a (8.5)
8.2 Schweißen 459
Nennspannungen
Nennspannungen sind die in den Schweißnähten aufgrund der äußeren Belastun-
gen, evtl. sogar unter Berücksichtigung besonderer Stoßfaktoren oder -zahlen nach
[Deck82, Mewe78], mit den Methoden und Gesetzen der Festigkeitslehre rein
rechnerisch zu ermittelnden Spannungen. Sie können gemäß Abb. 8.22.
[DIN18800] als Normal- und als Schubspannungen einzeln oder gleichzeitig
vorliegen und werden wie folgt berechnet:
Zug-, Druckbeanspruchung
a) Normalspannung senkrecht zur Längsschnittfläche der Schweißnaht
460 8 Verbindungselemente und -verfahren
Fz, d (8.7)
σ z,d =
Aw
Fz ,d (8.8)
σ || =
Aw, q
1 2′ 3′ 4 = Längsschnittfläche AW
156 = Querschnittfläche AW,q
FQ (8.10)
τ=
Aw
FQ = Querkraft,
AW = Schweißnahtfläche (Längsschnittfläche)
b) bei Querkraftbiegung in der Längsrichtung der Schweißnaht (Abb. 8.23.)
FQ ⋅ S (8.11)
τ || =
I äq ⋅ ¦ ai
§h−t · (8.12)
FQ = F ; S = b⋅t ⋅¨ ¸
© 2 ¹
8.2 Schweißen 463
1
12
[
b ⋅ h 3 − (b − s ) ⋅ (h − 2t )
I äq = I äq x − x =
3
] (8.13)
Torsionsbeanspruchung
Mt (8.14)
τt = ⋅e
I t, w
Mt Mt
τ t,max = ⋅ emax =
I t, w Wt, w
Mt = Torsionsmoment
I t, w = Torsionsträgheitsmoment der in die Anschlussebene geklappten
Schweißnahtquerschnittfläche,
Wt,w = Torsionswiderstandsmoment der in die Anschlussebene geklappten
Schweißnahtquerschnittfläche,
e = Abstand von der neutralen Faser,
emax = maximaler Randfaserabstand
Vergleichsnennspannung
In Gl. (8.17) sind σ und σ || die mit dem Verhältnis der zulässigen Bauteilspan-
nung σ zul , zur zulässigen Spannung in den Schweißnähten σ w, zul , gewichteten
Spannungen σ , und σ || . Es gilt somit:
464 8 Verbindungselemente und -verfahren
Tabelle 8.1. Nahtgütebeiwert v2 für statische und dynamische Festigkeit nach [Niem01]
Statische Belastung
Für den Festigkeitsnachweis müssen dann die entsprechenden Sicherheiten
bestimmt werden. Für den statischen Fall werden sie nach den Formeln (8.22) bis
(8.25) für folgende Fälle bestimmt:
σ w,F, zd (8.22)
Zug-Druck: S w, F, zd =
σ w, zd
σ w,F, b (8.23)
Biegung: S w, F, b =
σ w, b
8.2 Schweißen 467
τ w, F,s (8.24)
Schub: S w, F,s =
τ w,s
τ w,F, t (8.25)
Torsion: S w, F, t =
τ w, t
Für die Sicherheitswerte ergeben sich die Größen für gut verformbare Stähle
S w, F min von (1,2)...(1,5)…(2,0) (Mittelwert 1,7). Für hochfeste, weniger gut als
S355 verformbare Stähle sind um etwa den Faktor 1,1 bis 1,2 höhere Sicherheits-
werte anzusetzen [Niem01].
Dynamische Belastung
Das unterschiedliche Schädigungsverhalten bei dynamischer Beanspruchung wird
in diesem Fall durch den Nahtbeiwert, Faktor v1 , Siehe Abb. 8.25., statt des
Beanspruchungsbeiwerts für den statischen Fall, Faktor v3 berücksichtigt. Der
Faktor v3 entfällt also, bzw. wird für die Betrachtung der dynamischen Beanspru-
chung zu 1 gesetzt.
Zusätzlich muss auch bei der Betrachtung der dynamischen Beanspruchung der
Nahtgütebeiwert, Faktor v2 , der Schweißnaht (Tabelle 8.1. ) berücksichtigt
werden. Die Sicherheit der dynamisch beanspruchten Schweißverbindung ergibt
sich nach den Formeln:
σ w,A, zd (8.26)
Zug-Druck: S w, D, zd =
σ w,a, zd
σ w,A, b (8.27)
Biegung: S w, D, b =
σ w,a,b
τ w,A,s (8.28)
Schub: S w, D,s =
τ w,a,s
τ w,A, t (8.29)
Torsion: S w, D, t =
τ w,a, t
468 8 Verbindungselemente und -verfahren
Die Sicherheit gegen Dauerbruch S w, Dmin liegt dabei zwischen den Werten
1,5…2,0…3,0. Der Mittelwert liegt im Fall der dynamischen Beanspruchung bei
2,5, bei statischer Beanspruchung liegt dieser bei 1,7. Der untere Wert von 1,5
darf nur bei bekannten und eindeutigen Verhältnissen angesetzt werden.
8.2 Schweißen 469
Im Kranbau und beim Bau von Stahltragwerken werden bei mehrachsiger Bean-
spruchung gemäß [DIN15018] statische und dynamische Belastungen unterschie-
den.
Statische Belastung
Die Nennspannung bzw. die Vergleichsnennspannung des ebenen Spannungszu-
standes einer Schweißnaht nach Gl. (8.16) darf die jeweils zulässige Schweiß-
nahtspannung nicht überschreiten. Die zur Ermittlung der Vergleichsnennspan-
nung ebenfalls erforderlichen zulässigen Bauteilspannungen sind für die Baustähle
S235JR und S355J2G3 in [DIN15018] angegeben.
Dynamische Belastung
Für den ebenen Spannungszustand in einer Schweißnaht mit zwei aufeinander
senkrecht stehenden Normalspannungen σ wx und σ wy sowie einer Tangential-
spannung IJW wird auf Grund experimenteller Untersuchungen nach [DIN15018]
folgender Betriebsfestigkeitsnachweis vorgeschrieben:
470 8 Verbindungselemente und -verfahren
§ σ wx
2
· § σ wy ·
2
σ wx ⋅ σ wy (8.30)
¨ ¸ +¨ ¸ − +
¨σ ¸ ¨σ ¸ σ wxD , zul ⋅ σ wyD , zul
© wxD , zul ¹ © wyD , zul ¹
2
§ τ ·
+¨ w ¸ ≤ 1,1
¨τ ¸
© wD , zul ¹
In dieser Gleichung sind σ wx , σ wy bzw. τ w die in der Schweißnaht auftretenden
maximalen Normal- bzw. Tangentialspannungen, die sich aus einer Mittelspan-
nung ( σ wxm ; σ wym ; τ wm ) und einem Spannungsausschlag ( σ wxa ; σ wya ; τ wa )
zusammensetzen. Sie sind somit Oberspannungen! Ebenso sind die für die
Schweißnähte zulässigen Spannungen σ wxD,zul , σ wyD,zul und τ wD,zul Oberspannun-
gen (Dauerschwingfestigkeit oder Dauerfestigkeit für Schwingspielzahlen
N > 2 ⋅10 6 bis 10 7 bei Stahl bzw. Zeitfestigkeit für Schwingspielzahlen
N < 2 ⋅10 6 bei Stahl). Die Tangentialspannung τ w kann eine Einzelspannung
oder auch eine resultierende Spannung sein.
Für jedes einzelne Spannungsverhältnis in Gl. (8.32) muss der Wert < 1 sein,
und innerhalb der unterschiedlichen Spannungsverhältnisse müssen die Art der
Beanspruchung sowie das Grenzspannungsverhältnis κ übereinstimmen. Das
Grenzspannungsverhältnis κ charakterisiert die Dynamik des Belastungsfalles
und ist für ein Spannungskollektiv in folgender Weise definiert:
Unterspannung (8.31)
κ=
Oberspannung
Für κ = 1 bzw. 0,8 < κ < 1 liegt der statische bzw. der quasistatische Belastungs-
fall und für κ = −1 der Fall der reinen Wechselbeanspruchung vor. Bei reiner
Zugschwellbeanspruchung hat das Grenzspannungsverhältnis den Wert κ = 0 .
Da für die Normalspannungen in der x- und in der y-Richtung und für die Tan-
gentialspannung unterschiedliche κ -Werte berücksichtigt werden können, sind
alle möglichen zusammengesetzten Belastungsfälle (dynamische und statische)
erfassbar.
Die für die Schweißnähte zulässigen Oberspannungen sind abhängig vom Bau-
teilwerkstoff, von der Nahtform bzw. dem Verlauf der Kraftflusslinien (Kerbfall),
von der Nahtgüte (Güte der Ausführung der Schweißnaht; Kerbwirkung), von den
Schwingspielzahlen N der Belastung (Zahl der Lastwechsel), von der Art des
Belastungs- oder Spannungskollektivs, von der Beanspruchungsart und dem
Grenzspannungsverhältnis κ .
Der Einfluss der Schwingspielzahl N (N1 bis N4) und der Einfluss der Art des
Belastungs- oder Spannungskollektivs S ( S 0 bis S3 ) werden in [DIN15018] durch
die so genannten Beanspruchungsgruppen B1 bis B6 erfasst. Dabei bestimmen
8.2 Schweißen 471
Bestimmung der Kerbwirkung für eine sehr große Anzahl von praxisrelevanten
Fällen. Vereinfacht gilt:
Kerbfall K0: keine oder geringe Kerbwirkung;
Kerbfall K1: mäßige Kerbwirkung;
Kerbfall K2: mittlere Kerbwirkung;
Kerbfall K3: starke Kerbwirkung;
Kerbfall K4: besonders starke Kerbwirkung.
Abb. 8.26. Beispiele für den Kerbfall K0, also geringste Kerbwirkung nach [DIN15018]
Tabelle 8.4. Grundwerte der zulässigen Spannungen σ wD, zul (ț = −1) in N/mm² beim Be-
triebsfestigkeitsnachweis für geschweißte Bauteile unter einem Grenzspannungsverhältnis
κ = −1 angelehnt an [DIN15018].
Stahlsorte: S235JR S355J2G3
Kerbfall: K0 K3 K4 K0 K3 K4
Beanspruchungsgruppe zulässige Spannungen σ wD, zul (κ = -1)
B2 180 (180) 108 270 180 108
B5 119 64 38 119 64 38
B6 84 45 27 84 45 27
Werte für σ wD, zul (entweder σ wxD,zul in x-Richtung oder σ wyD,zul in y-Richtung)
berücksichtigen eine Sicherheit gegen Dauerbruch von S D = 4 / 3 und eine
Überlebenswahrscheinlichkeit von 90%.
Unter Beachtung eines idealisierten Dauerfestigkeitsschaubildes (Smith-
Diagramm) können nach [DIN15018], aus den zulässigen Dauerfestigkeiten bei
einem Grenzspannungsverhältnis κ = −1 (zulässige Wechselfestigkeiten σ W ) die
für geschweißte Bauteile zulässigen Oberspannungen für alle anderen Grenzspan-
nungsverhältnisse berechnet werden. Dabei sind die Größen σ wD, zul (κ = 0), z bzw.
σ wD, zul (κ = 0), d die zulässige Schwellfestigkeit σ Sch bei reiner Zug- bzw. Druckbe-
anspruchung (Belastungsfall II) und Rm die Zugfestigkeit (Bruchfestigkeit) bei
statischer Belastung. In [DIN15018] sind ferner zwei Bestimmungsgleichungen
für die zulässige Tangentialspannung (Oberspannung) in Bauteilen und in
Schweißnähten bei beliebigem Grenzspannungsverhältnis κ angegeben. Mit ihrer
Hilfe kann aus der zulässigen Oberspannung eines beliebigen Belastungsfalles bei
Normalbeanspruchung (Zugbeanspruchung) die zulässige Oberspannung des
gleichen Belastungsfalles bei Tangentialbeanspruchung berechnet werden.
Bei einer zusammengesetzten Beanspruchung mit den Schweißnahtspannungen
σ wx , σ wy und τ w muss nach [DIN15018], falls der ungünstigste Fall nicht zu
erkennen ist, der Festigkeitsnachweis getrennt für die maximal auftretenden
Spannungen geführt werden. Hier liegt somit eine Analogie zu [DIN4100] vor,
nach welcher der Festigkeitsnachweis für die Schubspannung ebenfalls separat zu
erbringen ist.
Festigkeitsnachweis nach DV 952 für Fahrzeuge, Maschinen und Geräte und nach
DV 804 für stählerne Eisenbahnbrücken
Für Schienenfahrzeuge gibt es spezielle Vorschriften und Normen die bei der
Konstruktion und Fertigung dieser Produkte beachtet werden müssen. Die Deut-
sche Bahn, beispielsweise, hat eigene Dienstvorschriften (DV), in denen für die
von ihr betriebenen Fahrzeuge, Maschinen und Geräte (DV 952) sowie für
stählerne Eisenbahnbrücken (DV 804) spezielle Berechnungsgrundlagen für den
Festigkeitsnachweis bei Schweißverbindungen vorgeschrieben sind. Da sie den
Vorschriften in [DIN15018] für den Bau von Kranen und Stahltragwerken ver-
gleichbar sind, wird in diesem Rahmen auf ihre Beschreibung verzichtet. Die
Vorgaben für Schienenfahrzeuge für die Konstruktion, Werkstoffauswahl und
Fertigungsgesichtspunkte finden sich in [DIN6700] T 1 bis T6.
8.3 Klebverbindungen
8.3.1 Adhäsion
Die Erzeugung eines polymeren Netzwerks durch chemische Reaktionen oder die
Erstarrung einer Polymerschmelze reicht allein nicht aus, um das zu bewirken,
was man in der Klebtechnik unter Adhäsion versteht. Die Kraftübertragung an der
Grenzschicht zwischen Klebstoff und Fügeteil erfolgt über adhäsive Wechselwir-
kungen. Die unterschiedlichen Adhäsionskräfte besitzen nur eine sehr geringe
Reichweite und können je nach Art der zu verbindenden Materialien in unter-
schiedlichen Anteilen zusammenwirken.
Adhäsion zwischen verschiedenen Stoffen kann also nur stattfinden, wenn die
Stoffe nahe genug aneinander gelangen, damit die entsprechenden Kräfte wirksam
werden können. Dazu ist es notwendig, dass sich zum Zeitpunkt der Verbindung
einer der beiden Stoffe in einem niedrigviskosen Zustand befindet. Dadurch kann
z.B. der Klebstoff auch in die Oberflächenrauheiten eindringen, wodurch nach
dem Aushärten bei porösen Fügewerkstoffen eine mechanische Verklammerung
ermöglicht wird. Die Höhe der so erreichbaren Bindungsenergien ist in Abb. 8.28.
dargestellt:
8.3.2 Kohäsion
Neben der Adhäsion ist die Kohäsion für die Festigkeit einer Klebverbindung
verantwortlich. Unter Kohäsion versteht man die Wechselwirkung, die in der
Klebschicht wirksam ist. Auch das Verhältnis von Adhäsion zu Kohäsion ist für
eine gute Klebeverbindung von Bedeutung. Ist die Kohäsion wesentlich größer als
die Adhäsion, so lässt sich der Klebstoff relativ leicht von der Klebfläche lösen.
Bei umgekehrtem Verhältnis ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass ein
Versagen innerhalb der Klebfuge auftritt. Die besten Klebfestigkeiten erhält man
also, wenn beide Kräfte, also Adhäsion und Kohäsion etwa gleich groß sind.
8.3.3 Oberflächeneigenschaften
Einer der wichtigsten Faktoren für eine gute Klebverbindung ist der Zustand der
Fügeteiloberflächen. Sie müssen zunächst, wenn notwendig, von lose anhaftenden
Verunreinigungen wie Fett, Öl, Staub oder Schmutz, Zunder, Rost, Farbresten
usw. befreit werden, damit der Klebstoff Adhäsion mit den eigentlichen Fügetei-
loberflächen ausbilden kann, wozu er sie vollständig benetzen muss, was z.B. Fett
und Öl verhindern.
Dieses Säubern oder Reinigen kann mechanisch, z.B. durch Schmirgeln oder
Strahlen oder chemisch durch Waschen mit alkalischen wässrigen Lösungen oder
Lösemitteln oder beispielsweise durch Hochdruckwasserstrahlen geschehen.
Anschließend kann man die gereinigten Oberflächen zusätzlich durch Aufrauen
vergrößern oder chemisch durch Beizen oder Anodisieren, typisch für Aluminium-
legierungen, aktivieren. Im Karosserierohbau kann man heute aber bereits verölte
Stahlbleche ohne jede Reinigung und Aktivierung hochfest kleben, weil hier
speziell formulierte Klebstoffe eingesetzt werden, welche die Verunreinigungen
verdrängen und aufnehmen können.
Wesentliche Voraussetzung für das Entstehen der Adhäsion ist die möglichst
vollständige Benetzung der Fügeteiloberfläche durch den Klebstoff. Die Benetz-
barkeit einer Oberfläche kann man anhand des Benetzungswinkels α , dem
Winkel zwischen der Oberfläche und der Tangente an einen Flüssigkeits- bzw.
Klebstofftropfen, Abb. 8.29., messen. Dieser Winkel stellt sich von alleine ein und
hängt, vereinfacht ausgedrückt, von den Oberflächenspannungen oder exakter
ausgedrückt, von den Oberflächenenergien der Flüssigkeit und der Festkörper-
oberfläche ab. Gute, für eine Klebung notwendige Benetzung wird nur erreicht,
wenn die Oberflächenspannung des Festkörpers gleich oder größer ist, als die der
Flüssigkeit (Klebstoff).
8.3.4 Klebstoffe
Abb. 8.36. Klebverbindungen als Falz- oder Nutverbindungen zur Vergrößerung der
Klebfläche und zur Realisierung einer zusätzlichen Formschlusswirkung
Durch die moderne Klebtechnik wurden in den letzten Jahrzehnten zwei neue
Bauweisen entwickelt, die Schicht- und Leichtkern-Bauweise genannt werden.
Eine spezielle Art der Leichtkern-Bauweise ist die seit langem im Flugzeug- und
heute auch im Nutzfahrzeugbau häufig eingesetzte Wabenkern- oder Sandwich-
platten-Bauweise (honeycombs) mit zwei dünnen Außenplatten und dazwischen
geklebten Kernwerkstoffen geringer Dichte (z.B. Holz oder Schaumstoff) oder
wellenförmig profilierten und verschachtelten Bändern. Typische Vertreter
derartiger Konstruktionen sind in den Abb. 8.38. und Abb. 8.39. zusammengestellt
[Merk382].
Von besonderer Bedeutung für die Gestaltung von Klebverbindungen ist die
Berücksichtigung der geeigneten Klebfugendicken.
Bei der Auslegung hochbelasteter Klebverbindungen von Werkstoffen mit
annähernd gleichem Wärmeausdehnungsverhalten hält man die Klebfugendicke
möglichst klein, um eine hohe Festigkeit der Verbindung zu erreichen. Das
Maximum der Tragfähigkeit einer Klebung mit hochfesten Strukturklebstoffen ist
bei ebenen Fügeflächen mit Klebfilmdicken von 0,1 bis 0,2 mm zu erreichen. Bei
gekrümmten Fügeflächen (z.B. bei Welle-Nabe-Verbindungen) liegt die optimale
Klebfilmdicke sogar unter 0,1 mm.
Bei der Gestaltung von großflächigen Klebverbindungen und Werkstoffpaarun-
gen mit unterschiedlichem Ausdehnungsverhalten setzt man zweckmäßig elasti-
sche Klebverbindungen mit Klebfugen im Bereich bis zu mehreren Millimetern
ein. Die dabei zum Einsatz kommenden elastischen Klebstoffe sind aufgrund ihres
Fließverhaltens im unausgehärteten Zustand in der Lage, Spalte zu überbrücken
und ermöglichen dadurch höhere Bauteiltoleranzen als dies bei niedrigviskosen
Klebstoffen möglich wäre.
Diese Schub- oder Scherspannung τ a ist der Mittelwert ( τ am ) der in der Kleb-
fuge auftretenden Schubspannungen längs der Überlappungslänge lü .
Die tatsächliche Spannungsverteilung ist also sehr viel gleichmäßiger und kann
sich durch viskoelastische Nachverformung unter Dauerlast, erhöhter Temperatur
und unter dem Einfluss schwacher Quellvorgänge bei eindringender Feuchtigkeit
noch weiter in Richtung eines homogenen Verlaufs verbessern.
Die vorhandene mittlere Schubspannung τ am darf bei der Dimensionierung
demzufolge höchstens gleich der zulässigen Schubspannung τ a,zul sein, die aus der
Bruchscherfestigkeit τ aB unter Berücksichtigung einer Bruchsicherheit
S B = 2....3 ermittelt wird. Es muss somit folgende Festigkeitsbedingung erfüllt
sein:
τ aB (8.34)
τ a ≤ τ a,zul =
SB
Soll die Klebverbindung für die gleiche Belastung ausgelegt werden, die das
dünnere Blech der Wanddicke s aufgrund seiner Zugfestigkeit Rm aufnehmen
kann, so ist eine Überlappungslänge der folgenden Größe vorzusehen:
s ⋅ Rm (8.35)
lü =
τ aB
Bei einer Welle-Nabe-Verbindung gemäß Abb. 8.45. tritt in der Fügefläche bei der
Übertragung eines Drehmomentes M t folgende mittlere Schubspannung auf:
Fu 2M t (8.36)
τa = = ≡ τ am
π ⋅ d ⋅b π ⋅ d 2 ⋅b
Soll die Klebverbindung dasselbe Drehmoment übertragen können wie die Welle
mit einer Torsionsbruchfestigkeit τ tB , (Torsionsfestigkeit), so muss die Breite b
der Fügefläche den folgenden Wert aufweisen:
d τ tB (8.37)
b=
8 τ aB
Wird bei der Welle die Torsionsfließgrenze τ tF als Obergrenze der Beanspru-
chung zugelassen, so ist in der Beziehung für die Breite der Fügefläche τ tB durch
τ tF zu ersetzen, siehe hierzu auch Kapitel 9.
Eine effektive Gestaltung und Dimensionierung von Klebverbindungen ohne
übertriebene Abminderungsfaktoren setzt die Kenntnis des werkstoffmechani-
schen Verhaltens der Klebstoffe voraus.
[Eich60, Frey53, Matt69a, Matt69b, Matt63, Müll61, Wint61] versuchen, die
tatsächlichen Beanspruchungsverhältnisse in Klebverbindungen besser zu erfassen
und praxistaugliche Versagenskriterien aufzustellen.
Durch den Einsatz moderner Methoden und Werkzeuge der Finite Elemente-
Analyse können die zu erwartenden Spannungs- und Verformungsverteilungen in
der Klebverbindung zuverlässig vorhergesagt werden, sofern die relevanten
Werkstoffparameter verfügbar sind. Dabei ist es zwingend erforderlich, das zeit-,
8.3 Klebverbindungen 489
8.3.7 Langzeitverhalten
8.4 Lötverbindungen
der Schmelztemperatur des Lotes werden Weich– und Hartlote und damit das
Weich - und das Hartlöten unterschieden.
Beim Weichlöten werden Lote mit einer Schmelztemperatur unterhalb 450 °C
verwendet. Es wird für die Verbindung von Teilen aus Schwermetall (z.B. Eisen-,
Kupfer-, Nickelwerkstoffe) und aus Leichtmetall (Aluminium und Aluminiumle-
gierungen) verwendet, die festigkeitsmäßig nicht sehr stark beansprucht werden
und einer niedrigen Gebrauchs- oder Betriebstemperatur unterliegen. Anwen-
dungsbeispiele sind elektrische Anschlüsse, Kraftfahrzeugkühler, Kleinbehälter
(z.B. Weißblechbehälter, Konservendosen, Schalen), Kleinmaschinenteile und
Geräteteile sowie Rohrverbindungen und -anschlüsse für Kalt- und Warmwasser-
versorgungssysteme.
Beim Hartlöten [Jaco52] kommen Lote zum Einsatz, deren Schmelztemperatur
im Bereich von 450° bis 1100°C liegt. Hartlötverbindungen können festigkeits-
mäßig fast so hoch wie Schweißverbindungen beansprucht werden und haben
höhere Gebrauchstemperaturen als Weichlötverbindungen. Dauertemperaturen bis
zu 250°C sind ohne Bedenken zu ertragen. Typische Anwendungsbeispiele sind
Welle-Nabe-Verbindungen, Rohr-Flansch-Verbindungen, Behälter- oder Gefäß-
Stutzen-Verbindungen, Rohrrahmen für Fahr- und Motorräder, Stahlleichtbauten,
Maschinen- und Geräteteile. Hartgelötete Teile sind auch im Einsatzverfahren zu
härten, weil der Schmelzpunkt der Hartlote oberhalb der Einsatztemperatur liegt.
8.4.1 Lote
In Tabelle 8.5. sind die wichtigsten Weich- und Hartlote, deren Arbeitstemperatur,
Scher- oder Schubfestigkeit und Einsatzmöglichkeiten zusammengestellt. Es ist
ersichtlich, dass die antimonarmen Zinn-Blei-Lote schon knapp über 200 °C und
die silberhaltigen Lote erst bei Temperaturen um 800 °C zu verarbeiten sind. Die
Scherfestigkeit der Lote auf Aluminiumbasis, die zum Weich- und Hartlöten von
Aluminium oder Aluminiumlegierungen verwendet werden, ist in der Regel
größer als die der Werkstoffe der Fügeteile.
Weichlote gibt es als so genannte Installations-Weichlote und Spezial-
Weichlote. Sie basieren gemäß [DIN1707] und [DINENISO12224] auf Elemen-
ten, die eine niedrige Schmelztemperatur haben. Es sind dies vornehmlich Blei
(Pb), Zinn (Sn), Antimon (Sb), Zink (Zn) und Cadmium (Cd). Die Lote gibt es
somit als Blei-Zinnlote (z.B. L-Pb Sn 30 (Sb)), Zinn-Bleilote (z.B. L-Sn 50 Pb
(Sb)), Zinn-Zinklote (z.B. L-Sn Zn 40), Blei-Zinn-Antimonlote (z.B. L-Pb Sn 35
Sb), Zinn-Antimonlote (z.B. L-Sn Pb 5), Cadmium-Zinklote (z.B. L-Cd Zn 20)
und Zink-Cadmiumlote (z.B. L-Zn Cd 40).
Hartlote [DINEN1044] und [DIN8513] (Kupferbasislote, silberhaltige Lote,
Aluminiumbasislote, nickelhaltige Lote) sind vornehmlich Messing-, Kupfer-,
Silber- und Neusilberlote. Sie haben gemäß Tabelle 8.5. Scher- und Zugfestigkei-
ten, die in etwa denen von Baustahl entsprechen. Es gibt die universell einsetzba-
ren und niedrigschmelzenden Hartlote (Schmelzbereich 600° ÷ 820°C) mit einem
8.4 Lötverbindungen 493
Bei der Auswahl des Lotes ist zur Vermeidung einer elektrolytischen Zerstö-
rung der Lötstelle (Lokalelementbildung!) zu beachten, dass das Lot und die zu
verlötenden Grundwerkstoffe in der elektrochemischen Spannungsreihe nicht zu
weit auseinander liegen.
Die Lötflächen müssen vor dem Löten sorgfältig gereinigt und geglättet werden.
Die Rauhtiefe Rt soll möglichst im Bereich 10 bis 15 μm liegen. Feinst geschlif-
fene und polierte Flächen sind wegen ihrer schlechten Benetzungsfähigkeit nicht
besonders geeignet und deshalb leicht aufzurauhen. Beim Lötvorgang wird die
Lötstelle in der Regel durch ein Flussmittel, [DINEN1045], metallisch blank
gehalten. Die Flussmittel (z.B. Borax und andere Borverbindungen, Chloride,
Fluoride, Silikate und Phosphate) beseitigen geringste Verunreinigungen und
494 8 Verbindungselemente und -verfahren
Beim Löten selbst müssen das Lot und die zu verlötenden Teile an der Lötstelle
auf eine Temperatur (Arbeitstemperatur) gebracht werden, die höher als die
Solidustemperatur des Lotes ist. Dadurch fließt das Lot, benetzt die Lötflächen
und haftet am Grundwerkstoff der zu verlötenden Teile. Die zu verbindenden
Werkstücke müssen in einen so engen Kontakt zueinander gebracht werden, dass
ein sehr enger Spalt - ein Kapillarspalt - entsteht, in den das flüssige Lot durch den
Kapillareffekt gelangt. In der praktischen Ausführung lassen sich folgende
Lötverfahren unterscheiden.
1. Kolbenlöten
Dieses Verfahren ist nur für Weichlötungen geeignet und verlangt die Anwendung
eines Flussmittels. Es wird - abgesehen vom Löten elektrischer Kontakte - nur bei
der Einzelfertigung vorgesehen. Ein elektrisch oder gasbeheizter Kupferlötkolben
erwärmt die Fügefläche und schmilzt das Lot. Der Lötkolben wird meistens
manuell über die Lötfläche geführt.
2. Flammenlöten
3. Tauchlöten
Es lässt sich für Weich- und Hartlötungen und besonders in der Massenfertigung
anwenden. Die Flächen, die nicht als Füge- oder Lötflächen dienen, müssen durch
Pasten oder Lösungen so vorbehandelt sein, dass sie kein Lot binden. Die zu
verlötenden Teile werden anschließend in fixierter Lage in geschmolzenes Lot
getaucht. Die Lötstellen erwärmen sich, das Lot dringt in die Kapillarspalte ein
und verbindet beide Teile.
8.4 Lötverbindungen 495
4. Ofenlöten
Dieses Verfahren ist für Weich- und Hartlötungen in der Einzel- und in der
Serienfertigung geeignet. Das Lot wird dabei in Form von Blechstücken, Draht-
ringen oder Drahtstücken an die Fügestelle gelegt, und dann werden die gefügten
Werkstücke in einem gas- oder elektrisch beheizten Muffelofen oder Durchlauf-
ofen erwärmt. Das Lot schmilzt und dringt durch den Kapillareffekt in den
Lötspalt. Die Ofenatmosphäre wird durch ein reduzierendes Schutzgas gegeben,
wodurch auf ein Flussmittel für das Lot verzichtet werden kann.
5. Induktivlöten
Die Werkstücke werden an den Lötstellen mit Lot und mit Flussmittel versehen,
gefügt und dann mittels einer Induktionsspule elektrisch erwärmt. Dieses Verfah-
ren ist sehr zeitsparend und eignet sich besonders in der Serienfertigung.
6. Widerstandslöten
Die zu fügenden Werkstücke werden, nachdem das Lot zugelegt worden ist, an
der Lötstelle in Zangen, Spannbacken oder in Widerstandslötmaschinen so
erwärmt (Analogie zum Widerstandspressschweißen), dass das Lot schmilzt und
die beiden Werkstücke benetzt sowie verbindet. Dieses Verfahren kann für
Weich- und Hartlötungen in der Einzel- und besonders in der Serienfertigung
eingesetzt werden.
7. Ultraschall-Löten
Die zum Erwärmen der Werkstücke und zum Schmelzen des Lotes erforderliche
Energie wird durch Ultraschallschwingungen eingebracht. Die Bildung einer
Oxidschicht an der Werkstück- und der Lotoberfläche wird vermieden, so dass auf
Flussmittel verzichtet werden kann. Es eignet sich vornehmlich zum Löten von
Leichtmetallen.
8. Blocklöten
Die zu verlötenden Werkstücke - meistens unterschiedlicher Dicke - werden auf
einem großen erwärmten Metallblock so angewärmt, dass das Lot schmilzt. Dieses
Verfahren ist in der Einzel- und in der Serienfertigung einsetzbar.
9. Salzbadlöten
Die Erwärmung der zu verlötenden Werkstücke erfolgt durch Eintauchen in ein
Bad aus geschmolzenen Salzen, die gleichzeitig als Flussmittel dienen. Dieses
Verfahren dient zum Löten von unlegiertem Stahl, Chromstahl, Kupfer, Messing
und Aluminium. Es wird vornehmlich in der Serienfertigung angewendet.
496 8 Verbindungselemente und -verfahren
10. Sonderlötverfahren
Nach der Gestalt der Lötstelle lassen sich das Spalt-, Fugen- und Auftragslöten
unterscheiden, die in folgender Weise charakterisiert werden:
1. Spaltlöten
Die zu verlötenden Werkstücke sind in einem kleinen und im Idealfall gleichwei-
ten Abstand zueinander angeordnet. Die Spaltweite darf 0,25 mm nicht über-
schreiten.
2. Fugenlöten
3. Auftragslöten
4. Grundsätzliche Gestaltungsregeln
Grundsätzlich müssen Lötstellen so gestaltet werden, dass das Lot gut fließt und
die Oberflächen der zu verbindenden Werkstücke gut benetzt werden [Corn67,
Ditt77, Mezg39, Zimm68]. Zu weite Lötspalte oder Lötfugen sind ungünstig, weil
ihre kapillare Saugwirkung auf das geschmolzene Lot zu schwach ist, und zu enge
8.4 Lötverbindungen 497
Spalten oder Fugen sind ebenfalls ungünstig, weil sie das Fließen des Flussmittels
und des flüssigen Lotes sehr stark behindern. Als besonders kritisch sind Lötstel-
len anzusehen, bei denen, in Flussrichtung des Lotes gesehen, weite Spalte nach
engen Spalten vorgesehen sind. Das Lot kann infolge des Kapillareffekts nicht
mehr vom engen in den weiten Spalt fließen. Parallele und bezüglich der kapilla-
ren Saugwirkung richtig gestaltete Spalte und Fugen sowie in Lotflussrichtung
konstante Lötspaltdicken mit vor dem Löten an der weitesten Stelle platziertem
Lot ergeben die besten Lötverbindungen.
Ähnlich wie Klebverbindungen sind Lötverbindungen nur dann optimal gestal-
tet, d.h. lötgerecht gestaltet, wenn im Lötspalt oder in der Lötfuge nur Schubspan-
nungen auftreten. Dies hat zur Folge, dass Zug-, Biege- und Schälbeanspruchun-
gen - besonders bei Weichlotverbindungen - in hohem Maße vermieden werden
müssen.
Da die Weichlote und z.T. auch die Hartlote im Vergleich zu den Grundwerk-
stoffen der zu verlötenden Teile eine geringere Festigkeit haben, muss auf mög-
lichst große Lötflächen geachtet werden. Stumpfnähte werden daher gegenüber
Bördelnähten oder Überlappnähten selten ausgeführt. Selbst bei Blechen mit einer
Dicke größer als 2 mm wird, siehe auch Klebeverbindungen, bei nicht zu starker
Beanspruchung fast immer anstelle des Stumpfstoßes ein Schrägstoß bzw. eine
Überlappverbindung vorgesehen [Beck73, Ditt77, VDI76, Zimm68]. Hinsichtlich
der Festigkeit sind Überlappnähte ideal (gekröpft und ungekröpft), Laschennähte
(kombiniert mit einer Stumpfnaht) und Falznähte mit einem zusätzlichen Form-
schluss der zu verlötenden Werkstücke, wie sie in Abb. 8.46. zusammengestellt
sind. Bei den zuletzt genannten Falzverbindungen wird die Lötverbindung durch
den Formschluss der Werkstücke sehr stark entlastet. Das Lot sorgt dabei fast nur
für die Dichtheit der Lötfuge. Die Überlapplänge 1, bei Blechverbindungen soll
im Regelfall 3 bis 5mal so lang wie die Dicke s des dünnsten Bleches sein. Zu
lange Überlappungen benötigen nicht nur mehr Lot, sondern bergen auch die
Gefahr in sich, dass das Lot die Fuge nicht voll ausfüllt, was einen Festigkeitsver-
lust zur Folge hat [Beck73, Corn67, Zimm66].
Zum freien Austritt von Flussmittelresten und Gasen sind zur Vermeidung
eines Überdruckes in der Lötfuge oder im Lötspalt - dieser Überdruck behindert
den Fluss des Lotes und verschiebt die Teile relativ zueinander - in Lotflussrich-
tung kleine Entlastungsbohrungen vorzusehen.
Zur Erleichterung des Lotflusses sind auf den Oberflächen der zu verlötenden
Teile quer zur Lotflussrichtung verlaufende Bearbeitungsriefen zu vermeiden.
Ferner soll in Lotflussrichtung die Oberflächenrauhigkeit kleiner als 20 μm sein.
Durch Rändeln, die Rändelkanten müssen in Lotflussrichtung liegen, Abflachen
von Kanten in Lotflussrichtung oder Eindrehen von Gewinderillen in Lotflussrich-
tung wird der Lotfluss erleichtert.
498 8 Verbindungselemente und -verfahren
Die Spalt- oder Fugenweite bzw. Dicke der Lotschicht beeinflusst sehr stark die
Festigkeit einer Lötverbindung. Bei Weichlötverbindungen von Kupfer, Messing
und Baustahl hat sich ein Festigkeitsmaximum bei einer Lotschichtdicke von 0,08
bis 0,10mm experimentell nachweisen lassen.
Bei dynamischer Beanspruchung haben Lötverbindungen wegen der ver-
gleichsweise gleichmäßigen Spannungsverteilung über die gesamte Lötfläche ein
gutes Festigkeitsverhalten. Speziell die Silberlotverbindungen haben nach
[Schl83] eine Schubschwellfestigkeit τ aSch , die bis zu 90% der Schubschwellfes-
8.5 Nietverbindungen 499
8.5 Nietverbindungen
Das Nieten dient zur Herstellung von unlösbaren, d.h. nur durch Zerstörung des
Niets lösbaren Verbindungen. Beim Fügevorgang wird der Niet plastisch umge-
formt und bildet eine formschlüssige Verbindung. Die Bauteile einer Verbindung
können aus gleichen oder unterschiedlichen metallischen und nichtmetallischen
Werkstoffen bestehen und müssen zum Einführen der Niete oder eines Niets
mindestens von einer Seite zugänglich sein. Die Niete sind in ihren Abmessungen,
ihrer Anordnung und ihrem Werkstoff den zu verbindenden Bauteilen anzupassen.
Grundsätzlich sollten möglichst gleiche oder sich ähnlich verhaltende Werkstoffe
verwendet werden, damit die Verbindung sich nicht durch ungleiche Wärmedeh-
nungen der einzelnen Teile lockert oder durch elektrochemische Korrosion
zerstört wird, weil die Werkstoffe in der elektrochemischen Spannungsreihe weit
auseinander liegen. Hier ist die Potentialdifferenz zwischen den zu verbindenden
Bauteilen und der Niete entscheidend.
Hinsichtlich der aus der Verwendung und konstruktiven Gestaltung resultieren-
den Hauptfunktion der Niete können folgende Nietverbindungen unterschieden
werden:
1. Festigkeitsrelevante Verbindungen
2. dichtende Verbindungen
3. festigkeitsrelevante und dichtende Verbindungen
Bei festigkeitsrelevanten Verbindungen dienen die Niete der Kraftleitung in-
nerhalb der gefügten Struktur. Man findet sie vornehmlich im Stahlhoch-, Kran-,
Brücken-, Maschinen-, Fahrzeug- und Flugzeugbau sowie in der Feinwerktechnik.
Die dichtenden Verbindungen sind vorzugsweise im Apparate- und Behälterbau
von Bedeutung, wenn Behälter, Silos, Wannen und Rohrleitungen, die keinen
größeren Drücken ausgesetzt sind, aus Einzelteilen dicht zusammengebaut werden
sollen.
Die festigkeitsrelevanten Verbindungen und gleichzeitig dichtenden Verbin-
dungen werden im Druckbehälter- und Kesselbau gefordert, wo druckführende
Apparate aus Einzelteilen druckdicht zusammengesetzt werden sollen. Es ist
500 8 Verbindungselemente und -verfahren
anzumerken, dass in diesem Bereich das Nieten fast vollständig durch das
Schweißen verdrängt ist.
Nachteile
8.5.1 Nietwerkstoffe
Nahtformen
Da keine Stumpfnietung möglich ist, kommen nur die Überlappungs- und die
Laschennietung zur Anwendung, wobei letztere zur Vermeidung von Biegespan-
nungen meistens beidseitig ausgeführt wird, siehe Abb. 8.47.
Die Niete können ein-, zwei- und sogar mehrreihig angeordnet werden. Nach
der Zahl der Scherflächen je Niet werden ferner ein-, zwei- und mehrschnittige
Niete unterschieden. Bei Überlappungsnietung und einfacher Laschennietung sind
die Niete einschnittig, bei Doppellaschennietung zweischnittig.
Wie im gesamten Maschinenbau üblich und notwendig, sind die jeweils für
spezielle Anwendungen, z.B. Behälter- oder Flugzeugbau, geltenden Vorschriften
und Normen bei der Konstruktion zu berücksichtigen.
Tabelle 8.6. Anhaltswerte für Teilung und Randabstände bei Nietverbindungen, angelehnt
an [DIN15018]
Für die vielen Anforderungen der Praxis gibt es mittlerweile eine fast unüber-
schaubare Anzahl von Nietformen. Viele haben sich aus ursprünglichen Einzel-
anwendungen zu markgängigen und genormten Produkten entwickelt. Allerdings
ist der größte Teil der Nietformen nicht genormt, sondern findet sich nur in den
Katalogen der einschlägigen Hersteller. Häufig sind es aber gerade diese speziel-
len Nietformen, die durch eine Funktionsintegration eines Niets seine Anwendung
besonders wirtschaftlich machen. Als Beispiel seien hier Blindniete mit Gewinde-
8.5 Nietverbindungen 503
zapfen zur Befestigung weiterer Bauteile erwähnt. Prinzipiell lassen sich aber alle
Niete auf vier Grundformen zurückführen, siehe auch Abb. 8.48.:
- den Vollniet
- den Schließringbolzen, dieser wird in der Praxis auch mit dem Handelsnamen
Huckbolt bezeichnet
- den Blindniet
- den Stanzniet
Bei der Auswahl einer Nietform ist neben der Hauptfunktion, festigkeitsrele-
vante Verbindung bzw. dichtende Verbindung, die Zugänglichkeit der Fügestelle
entscheidend:
- Bei der Verwendung von Vollniete, Schließringbolzen und Stanzniete muss
die Fügestelle von beiden Seiten zugänglich sein.
- Bei der Verwendung von Blindniete reicht es, wenn die Fügestelle nur von
einer Seite zugänglich ist.
Vollniet
Er stellt die älteste Nietform dar und ist auch heute noch im Stahl- und Flugzeug-
bau weit verbreitet. Der Vollniet wird hauptsächlich als festigkeitsrelevanter Niet
eingesetzt. Jeder Niet besteht im unverarbeiteten, d.h. umgeschlagenen Zustand
aus dem Setzkopf und dem Nietschaft, der zylindrisch oder leicht konisch ist und
massiv oder hohl sein kann, siehe Abb. 8.49. Durch Stauchen (Schlagen) oder
Pressen des über die zu vernietenden Bauteile hinausragenden Nietschaftes wird
der Schließkopf geformt. Wie bereits oben erwähnt, gibt es auch beim Vollniet
eine große Vielfalt von Niet- und Nietkopfformen, die z.T. genormt sind. Die
Sonderformen werden insbesondere für den Leichtmetall-, Fahrzeug- und Flug-
zeugbau (z.B. Blindniete, Sprengniete, Kerbniete, Dornniete, Durchziehniete und
zweiteilige Niete) eingesetzt.
504 8 Verbindungselemente und -verfahren
Kaltnietung
Stahlniete mit einem Durchmesser d 10 mm, vereinzelt auch bis 16 mm, sowie
alle Leichtmetall- und Kupferniete werden kalt verarbeitet. Bei kalt geschlagenen
Nieten ist die Zusammenpressung der vernieteten Bauteile nur sehr schwach.
Diese geringe Nietaxialkraft bewirkt daher nur eine kleine Reibkraft zwischen den
Bauteilen. Die Kraftschlusswirkung ist daher zu vernachlässigen; die Übertragung
der Kräfte erfolgt nur durch Formschluss. Die vernieteten Bauteile werden über
die halbe Mantelfläche der Bohrungen auf Pressung oder Lochleibung und der
einzelne Niet in seiner halben Mantelfläche auf Pressung oder Lochleibung und in
der Schnittebene auf Scherung beansprucht, siehe Abschnitt 8.5.3.
8.5 Nietverbindungen 505
Warmnietung
Schließringbolzen
Beim Schließringbolzen handelt es sich um ein mehrteiliges Verbindungselement.
Es besteht aus dem
- Schließringbolzen mit Nietkopf, dem glatten Schaft, dem Schließrillenteil mit
groben Rundrillen ohne Steigung, der Sollbruchstelle und dem Zugteil mit
Feinrillen ohne Steigung, Abb. 8.50., und dem
- Schließring, der vor der Montage außen und innen glatt ist und sich mit einer
Spielpassung über den Schließringbolzen schieben lässt, Abb. 8.51.
Auch hier gibt es in der Praxis eine Reihe unterschiedlicher, meistens nicht
genormter Formen. Der Schließringbolzen ist geeignet, sehr hohe Kräfte zu
erzeugen. Seine Funktion entspricht einer hydraulisch gespannten Schraubenver-
bindung. Die erreichten Festigkeitswerte entsprechen ungefähr der einer 8.8
Schraube mit gleichem Durchmesser.
506 8 Verbindungselemente und -verfahren
Die Fügestelle muss beim Schließringbolzen von beiden Seiten zugänglich sein.,
Abb. 8.51.
Blindniete
Der Blindniet ist heute eine sehr weit verbreitete Nietform. Dies ist in zwei
wesentlichen Vorteilen begründet:
- Sowohl handwerklich, z.B. bei Reparaturnietungen, als auch automatisiert sehr
leicht zu verarbeiten.
- Die Fügestelle muss nur von einer Seite zugänglich sein.
Außerdem gibt es Blindniete in den unterschiedlichsten Formen mit Zusatzele-
menten, wie Gewindestifte für sehr viele Anwendungsfälle. Die beiden wichtigs-
ten Formen der Blindniete mit Senkkopf, bzw. mit Flachkopf sind in [DINENI-
SO15982], bzw. [DINENISO15983] genormt. Der Aufbau beider Formen aus
Nietdorn, Nietschaft und Niethülse ist in Abb. 8.52. wiedergeben.
8.53. Der axial in die Niethülse gezogene Kopf des Nietschafts spreizt die Niet-
hülse radial auf.
Stanzniete
52 Vollnietverbindung
Bei der Nachrechnung von Nietverbindungen lässt sich der tatsächlich auftretende
räumliche Spannungszustand nicht exakt erfassen. In den durch die Nietlöcher
geschwächten Bauteilen werden die Spannungsspitzen an den Lochrändern
vernachlässigt und für die Restquerschnitte ein gleichmäßiger Spannungsverlauf
angenommen, siehe Abb. 8.56. Als Nietschaftdurchmesser beim geschlagenen
Niet gilt der Nietlochdurchmesser d1. Der wirkliche Verlauf der Flächenpressung
oder der Lochleibung über die halbe Mantelfläche des geschlagenen Niets wird in
axialer und in tangentialer Richtung vereinfacht gleichmäßig über die projizierte
Zylindermantelfläche verteilt angenommen. In gleicher Weise wird der paraboli-
sche Verlauf der Scherspannungen im Nietschaftquerschnitt vernachlässigt und
nur eine konstante mittlere Scherspannung berücksichtigt.
8.5 Nietverbindungen 509
Abb. 8.57. Beanspruchung eines Niets auf Lochleibung, Flächenpressung, und Scherung;
a): wirklicher Verlauf des Lochleibungsdrucks;
b): vereinfachter Verlauf des Lochleibungsdrucks für die Berechnung.
510 8 Verbindungselemente und -verfahren
Schließringbolzen
Wie oben erwähnt hat eine Schließringbolzenverbindung das gleiche Funktions-
schema wie eine hoch vorgespannte Schraubenverbindung. Dementsprechend
sollte die Verbindung auch so ausgelegt werden, dass der Schließringbolzen
querkraftfrei ist. Da sich die Standardisierung dieser Verbindungstechnik noch im
Aufbau befindet, ist es dringend erforderlich, die mindestens erreichbaren Vor-
spannkräfte vom Hersteller garantiert zu bekommen. Diese Kräfte können dann
als Fv, äquivalent zur Schraubenberechnung, angesetzt werden. Die bei der
Schraubenverbindung anzusetzenden Verlustkräfte aufgrund von Setzerscheinun-
gen können vernachlässigt werden. Dies ist in der Art des Fügevorgangs begrün-
det.
8.5 Nietverbindungen 511
Blindniete
Blindniete werden wie Vollniete gegen Lochleibung, bzw. Scherung ausgelegt.
Die Festigkeitswerte der Niete sind im Einzelfall vom Hersteller zu erfragen. In
[Gran94] ist ein Berechnungsverfahren angegeben, auf das hier nicht eingegangen
wird.
8.6.1 Durchsetzfügen
Das Durchsetzfügen gehört nach [DIN8593] zum Fügen durch Umformen. Zwei
Bauteile werden lokal so verformt, dass zwischen ihnen ein Formschluss und eine
partielle Kaltverschweißung entstehen. Angewendet werden diese Verfahren bei
Blechen aus Aluminium und Stahl bis ca. 3 mm. Es gibt zwei unterschiedliche
Verfahren:
- Durchsetzfügen mit Schneidanteil
- Durchsetzfügen ohne Schneidanteil
Das Verfahren mit Schneidanteil erzeugt glatte Oberflächen, die Verbindung ist
aber nicht dicht und nicht so gut für schwingende Beanspruchung geeignet. Beim
Durchsetzfügen ohne Schneidanteil verhält es sich genau umgekehrt. In Abb. 8.60.
sind je eine Verbindung mit und ohne Schneidanteil wiedergegeben. Die Verfah-
ren sind bis heute nicht oder nur zum Teil genormt.
Wie oben erwähnt liegen heute nur zum geringen Teil Normen für den Ferti-
gungsprozess und die Abmessungen der Verbindungen vor. Ein Berechnungsgang
ist bisher nicht genormt. Da das Verfahren jeweils ganz speziell für den Anwen-
dungsfall optimiert werden muss, müssen im Rahmen dieser Optimierung auch die
Festigkeitswerte ermittelt werden.
Grundsätzlich ist eine durch Durchsetzfügen erzeugte Verbindung vergleichbar
mit einer Punktschweißung. Allerdings übertrifft sie z.T. deutlich deren Festig-
keitswerte, insbesondere das Durchsetzfügen ohne Schneidanteil bei dynamischer
Beanspruchung, siehe Abb. 8.62.
8.6.2 Schnappverbindungen
Diese Verbindungstypen werden heute in sehr großer Zahl nicht genormt von
vielen Herstellern als Katalogteile angeboten. In Abb. 8.64. ist ein kleiner Über-
blick unterschiedlicher Verbindungstypen wiedergegeben.
8.7 Literatur
Erhard Leidich
9 Welle-Nabe-Verbindungen .....................................................................525
9.1 Funktion...............................................................................................525
9.2 Formschlüssige Welle-Nabe-Verbindungen........................................526
9.2.1 Stift-Verbindungen ......................................................................527
9.2.1.1 Querstiftverbindungen .........................................................527
9.2.1.2 Längsstiftverbindungen .......................................................528
9.2.2 Passfeder-Verbindungen..............................................................529
9.2.3 Profilwellenverbindungen............................................................536
9.2.3.1 Keil- und Zahnwellenverbindungen ....................................537
9.2.3.2 Polygonverbindungen ..........................................................543
9.3 Reibschlüssige Welle-Nabe-Verbindungen .........................................550
9.3.1 Zylindrische Pressverbindungen..................................................554
9.3.1.1 Grundlagen ..........................................................................554
9.3.1.2 Elastische Auslegung von Pressverbänden..........................559
9.3.1.3 Reale Beanspruchungen nach dem Fügen ...........................565
9.3.1.4 Pressverbindungen mit gestuftem Nabendurchmesser ........567
9.3.1.5 Rotierende Pressverbindungen ............................................569
9.3.1.6 Gestaltung von Pressverbindungen......................................570
9.3.2 Kegelpressverbindungen .............................................................572
9.3.2.1 Auslegung von Kegelpressverbindungen ............................573
9.3.2.2 Montage und Demontage von Kegelpressverbindungen .....577
9.3.2.3 Fügen und Lösen mit Druckmedium ...................................579
9.3.3 Spannelementverbindungen.........................................................581
9.3.4 Dauerfestigkeit von Pressverbindungen ......................................591
9.4 Stoffschlüssige Welle-Nabe-Verbindungen ........................................596
9.4.1 Geklebte Welle-Nabe-Verbindungen ..........................................596
9.4.2 Gelötete Welle-Nabe-Verbindungen ...........................................601
9.5 Literatur ...............................................................................................603
9.1 Funktion
9.2.1 Stift-Verbindungen
9.2.1.1 Querstiftverbindungen
Die Auslegung der Querstift-Verbindungen erfolgt nach dem in Abb. 9.2. ge-
zeigten elementaren Modell. Demnach wird zwischen Welle und Stift ein dreieck-
förmiger und zwischen Nabe und Stift ein linearer Flächenpressungsverlauf
angenommen. Daraus ergeben sich zur Berechnung der Flächenpressung folgende
Gleichungen:
528 9 Welle-Nabe-Verbindungen
Abb. 9.2. Querstift unter Drehmoment, a) Flächenpressung in Welle und Nabe; b) Absche-
ren des Stiftes
6⋅ M t (9.1)
pI max =
DF2 ⋅ d
und
4⋅ M t 4⋅ M t (9.2)
pA = =
(
d ⋅ (DA + DF )⋅ (DA − DF ) d ⋅ DA2 − DF2 )
Darüber hinaus wird der Stift durch das Drehmoment auf Abscheren (Abb. 9.2.)
beansprucht. Für die Schubspannung τ im gefährdeten Querschnitt gilt
4⋅ M t (9.3)
τ=
d ⋅π ⋅ DF
2
9.2.1.2 Längsstiftverbindungen
Längsstiftverbindungen sind in der Praxis bisher wenig verbreitet. Man findet sie
allenfalls in Bereichen, wo nur wenig Bauraum für den Mitnehmer zur Verfügung
steht, z.B. bei Extruderschnecken. Zu Passfederverbindungen vergleichbare
Forschungsarbeiten existieren nicht. Allerdings hat Birkholz [Bir04] nachgewie-
sen, dass aufgrund der runden Form die Kerbspannungen deutlich kleiner als bei
Passfederverbindungen sind. Trotzdem ist eine stärkere Marktdurchdringung der-
zeit nicht erkennbar.
Die Berechnung der Flächenpressung und der Schubspannung basiert auf dem
in Abb. 9.3. dargestellten Rechenmodell.
9.2 Formschlüssige Welle-Nabe-Verbindungen 529
l = tragende Stiftlänge
Für die Schubspannung im gefährdeten Querschnitt gilt
2⋅ M t p (9.5)
τ= =
d ⋅ l ⋅ DF 2
Tabelle 9.2. enthält die in [Dec98] empfohlenen Erfahrungswerte für die zulässi-
gen Spannungen. Darüber hinaus gehende Empfehlungen sind in [NiWi01]
enthalten.
Die Welle ist zusätzlich auf Gestaltfestigkeit nachzurechnen. Kerbwirkungszahlen
für quergebohrte Wellen sind in [DIN743] enthalten. Für Längsstiftverbindungen
sind keine Kerbwirkungszahlen bekannt.
9.2.2 Passfeder-Verbindungen
Presssitz glatter
Bauteilwerkstoff
Lastfall Stifte
neu alt p σb τ
S235 JR St 37 - 2 98
E 295 St 50 - 2 104
GExxx1) GS 83
EN-GJL-xxx1) GG ruhend 68 190 80
CuSn, CuZn CuSn, CuZn 40
EANW2xxx2) AlCuMg 65
ENAW4xxx2) AlSi 45
S235 JR St 37 - 2 72
E 295 St 50 - 2 76
GExxx*)1) GS 62
EN-GJL-xxx1) GG schwellend 52 145 60
CuSn, CuZn CuSn, CuZn 29
EANW2xxx2) AlCuMg 47
ENAW4xxx2) AlSi 33
S235 JR St 37 - 2 36
E 295 St 50 - 2 38
GExxx1) GS 31
EN-GJL-xxx1) GG wechselnd 26 75 30
CuSn, CuZn CuSn, CuZn 14
EANW2xxx2) AlCuMg 23
ENAW4xxx2 AlSi 16
z.B. Streckgrenze1), chemische Zusammensetzung kodiert2)
Zwischen dem Passfederrücken und dem Nutgrund der Nabe ist ein Spiel (Rü-
ckenspiel!) vorhanden. Die Flanken der Passfeder stehen mit der Welle und der
Nabe in Kontakt, d.h. die Breite der Passfeder und die Breite der Nut in der Welle
sowie in der Nabe müssen somit toleriert sein. Soll z.B. die Nabe auf der Welle
verschoben werden können, so muss die Passfeder eine Gleitfeder und die Passung
zwischen Passfeder und Nabennut eine Spielpassung sein.
Die Passfederformen sowie die Verknüpfung von Wellendurchmesser DF und
Passfederquerschnitt b ⋅ h sind in [DIN6885] festgelegt und in Abb. 9.5. sowie
auszugsweise in Tabelle 9.3. zusammengestellt.
Form A rundstirnig ohne Halteschraube, Form B geradstirnig ohne Halteschraube, Form C rundstirnig
für Halteschraube, Form D geradstirnig für Halteschraube, Form E rundstirnig für zwei Halteschrauben
und eine oder zwei Abdrückschrauben ab 12 x 8, Form F geradstirnig für zwei Halteschrauben und
eine oder zwei Abdrückschrauben, Form G geradstirnig mit Schrägung und für Halteschraube, Form H
geradstirnig mit Schrägung und für zwei Halteschrauben, Form J geradstirnig mit Schrägung und für
Spannhülse
Berechnung
Flächenpressung an den Kontaktstellen
Die Berechnung von Passfederverbindungen ist in DIN 6892 [DIN6892] genormt.
Basierend auf umfangreichen Forschungsarbeiten [Old99] erfasst diese Norm
erstmals die tatsächlichen Beanspruchungs- und Versagenskriterien. Der Festig-
keitsnachweis kann, gemäß der Genauigkeit bzw. Zuverlässigkeit des Verfahrens,
nach den drei Methoden A, B und C geführt werden.
Methode A:
Es handelt sich hierbei um einen experimentellen Festigkeitsnachweis am Bauteil
unter Praxisbedingungen und/oder um eine umfassende rechnerische Beanspru-
chungsanalyse der kompletten Pressverbindung, bestehend aus Welle, Passfeder
und Nabe.
Methode B:
Die Auslegung erfolgt aufgrund einer genaueren Berücksichtigung der auftreten-
den Flächenpressung. Außerdem wird ein Festigkeitsnachweis für die Welle nach
dem Nennspannungskonzept geführt.
Methode C:
Überschlägige Berechnung der Flächenpressung und daraus resultierender Ab-
schätzung für die Wellenbeanspruchung.
Methode C setzt eine konstante Flächenpressung entlang der Passfederlänge
voraus. Für i möglichst gleichmäßig am Umfang angeordnete Passfedern folgt für
das übertragbare Drehmoment.
DF (9.6)
Mt = ⋅ (h − t1 )⋅ ltr ⋅ i ⋅ ϕ ⋅ pzul
2
ltr : tragende Passfederlänge (ohne Rundungen), ltr ≤ 1,3 ⋅ DF
h, t1 gemäß Abb. 9.4.
Da bei i > 1 ein auf Fertigungsabweichungen beruhendes ungleichmäßiges
Tragen im Allgemeinen nicht zu vermeiden ist, wird dafür der Faktor ϕ einge-
führt.
ϕ=1 für i = 1
ϕ = 0,75 für i > 1
Es empfiehlt sich bei i > 1 stets einen weniger festen Werkstoff für die Federn
zu verwenden, da dann schon durch geringes Fließen des Federwerkstoffes eine
Vergleichmäßigung des Tragens eintritt. Die Anzahl der Passfedern sollte nicht
größer als i = 2 sein, weil sonst die Beanspruchung der einzelnen Federn zu
unterschiedlich ist. Lässt sich das Drehmoment nicht mit i = 2 Passfedern übertra-
gen, dann muss eine andere formschlüssige Welle-Nabe-Verbindung (z.B. eine
534 9 Welle-Nabe-Verbindungen
Re min ist das Minimum der Streckgrenzen von Wellen-, Naben- und Passfe-
derwerkstoff. Für Grauguss-Naben ist Rm anstelle von Re zu verwenden.
Das Gleichung (9.6) zugrunde liegende Berechnungsmodell ist nur eine grobe
Approximation der Beanspruchungen von Passfeder-Verbindungen. Durch die
unterschiedlichen Steifigkeiten von Welle, Passfeder und Nabe liegt in Wirklich-
keit ein sehr komplexes dreidimensionales Kontaktproblem vor, für das bis heute
trotz Einsatz numerischer Berechnungsverfahren noch keine allgemeingültige
Lösung ermittelt werden konnte.
Mit Hilfe theoretischer und spannungsoptischer Untersuchungen hat Militzer
[Mil75] ein verbessertes Berechnungsverfahren entwickelt. Er vernachlässigt zwar
ebenfalls die Reibung zwischen Welle und Nabenbohrung und setzt elastische
Verformungen aller Elemente voraus. Wie Abb. 9.6. zeigt, entspricht die Lösung
seines Rechenmodells deutlich besser den gemessenen Werten als Gl. (9.6). Die
Streckenlast an der Passfederflanke weist infolge der gegenüber der Welle größe-
ren Steifigkeit der Nabe am Welleneingang in die Nabe ein Maximum auf und
nimmt mit zunehmender Entfernung von der Nabenkante ab. Militzer ermittelte
bei den von ihm untersuchten Verbindungen eine um ca. 50% höhere max.
Flächenpressung als mit dem elementaren Berechnungsmodell.
Gestaltfestigkeit
Nach Untersuchungen von [Old99] und [LeiF04] ist bei Passfederverbindungen
mit schwellender Torsionsbelastung oder mit Umlaufbiegebelastung die Ver-
sagensursache Schwingungsverschleiß im Passfedernutendbereich. Dieser führt zu
Anrissen an den kaltverschweißten Oberflächen der Nutwand (Abb. 9.8.).
Abb. 9.8. Axiale Risslage (links) und Anrissbereich an der Nutwand (rechts) bei Umlauf-
biegung und phasengleicher schwellender Torsion
Die Rissentstehung ist auf die zwischen Passfedernutwand und Passfeder auf-
tretenden Mikrogleitbewegungen zurückzuführen, die in Verbindung mit den dort
wirkenden Normalkräften bzw. Reibschubspannungen einen adhäsiv-abrasiven
Schichtverschleiß bewirken.
Für den Gestaltfestigkeitsnachweis der Welle kann mit den in [DIN743] ange-
gebenen Kerbwirkungszahlen gerechnet werden (Tabelle 9.4). Die Angaben
beziehen sich auf schwellende Torsion und Umlaufbiegung.
536 9 Welle-Nabe-Verbindungen
Zug: σ n = 4 ⋅ F / (π ⋅ d 2 )
Bezugsdurchmesser d BK = 40 mm
( )
Bie- Einflussfaktor der Oberflächenrauheit:
gung:
σ n = 32 ⋅ M b / π ⋅ d 3 K Fσ = 1 oder K Fτ = 1
Biege- oder Torsionsmoment wird auf die Nabe
(
Torsion: τ n = 16 ⋅ M t / π ⋅ d 3 )
übertragen.
Die Kerbwirkungszahlen gelten für die Enden des
Nabensitzes.
1)
Die angegebenen β σ -Werte gelten für τ tm / σ ba = 0,5 . Es sind Richtwerte. Abhängig
von der Passung, der Wärmebehandlung (z.B. einsatzgehärtete Welle) und den Abmessun-
gen der Nabe können Abweichungen entstehen. Für τ tm / σ ba > 0,5 sinken die Kerbwir-
kungszahlen. Bei reiner Umlaufbiegung sind dagegen Erhöhungen von β σ um den Faktor
1,3 möglich.
Gestaltung
Über die bereits oben diskutierte Kraftein- bzw. -ausleitung hinaus sind bei
Passfederverbindungen weitere Gestaltungsmerkmale von Bedeutung.
a) Passfederform B (PF ohne Rundungen) günstiger als A
b) Scheibenfräsernut hat einen ähnlich positiven Einfluss auf die Kerb-
wirkungszahl wie Form B
c) Bei abgesetzten Wellen Nut bis in den Wellenabsatz ziehen (vgl.
[DIN6892])
9.2 Formschlüssige Welle-Nabe-Verbindungen 537
9.2.3 Profilwellenverbindungen
Bezüglich der Zentrierung der Welle in der Nabe wird zwischen Innenzentrie-
rung und Flankenzentrierung unterschieden (Abb. 9.10.).
Mit Innenzentrierung erreicht man einen guten Rundlauf. Sie wird daher vor-
zugsweise im Werkzeugmaschinenbau angewendet. Die Flankenzentrierung
gewährleistet ein kleines Verdrehspiel und wird deshalb besonders für wechselnde
und stoßartige Drehmomente vorgesehen. Die Passung kann bei diesen im Bereich
Spielpassung (Laufsitz!) bis Übermaßpassung (Festsitz!) liegen. Eine häufige
Anwendung der Keilwelle ist auch die Zapfwelle an Landmaschinen u.Ä., siehe
dazu auch [ISO500].
Die Herstellung der Keilwellenprofile erfolgt bei Einzelfertigung durch Schei-
benfräser, bei Serienfertigung die Nabenverzahnung durch Räumen oder Wälzsto-
ßen, dagegen die Wellenverzahnung durch Wälzfräsen. Bei der Wellengestaltung
ist zu beachten, dass sich gemäß Abb. 9.11. an die eigentliche Fräslänge eine
Auslauflänge für den Fräser anschließt!
Abb. 9.13. Profilform von Welle und Nabe für Zahnwellen (nach [DIN5480])
Tragfähigkeitsberechnung
Bei Zahn- und Keilwellen-Verbindungen ist wie bei den Passfederverbindungen
die Flächenpressung ein wichtiges Dimensionierungskriterium. In Analogie zu
[DIN6892] lautet die vereinfachte Gleichung für das übertragbare Drehmoment
Dm (9.8)
Mt = ⋅ htr ⋅ l tr ⋅ z ⋅ ϕ ⋅ pzul
2
mit ϕ = 0,5 ... 0,75 (die Hälfte bis drei Viertel der z Mitnehmer tragen),
Dm/2 = mittlerer Radius der tragenden Flanke und htr aus den Normen.
In Wirklichkeit sind die Beanspruchungsverhältnisse in den Wirkflächen viel
komplizierter, wie insbesondere Dietz [Die78] und Schäfer [Scha95] durch
umfangreiche experimentelle und theoretische Untersuchungen an Zahnwellen-
Verbindungen zeigen. Das daraus abgeleitete Verfahren gilt für flankenzentrierte
Verbindungen mit Spiel- oder Übergangspassung und kann sinngemäß auf Keil-
Wellenverbindungen übertragen werden. Neben der bereits erwähnten allgemei-
nen Grenze einer zulässigen Flächenpressung sind die Zahnfußfestigkeit
(-> Zahnbruch, Wellenbruch jeweils als Gewalt- oder Dauerbruch) und die
Verschleißfestigkeit (-> Tribokorrosion, Flankenabtrag) zu überprüfen. Entschei-
denden Einfluss auf die Betriebssicherheit einer Zahnwellen-Verbindung hat der
jeweils vorliegende Betriebszustand. Die Betriebszustände einer idealen Verbin-
dung sind geprägt durch die Belastungskombination von Drehmoment M t und
Querkraft FQ . Zur Beurteilung des Betriebszustandes dient u.a. der ideelle Radius
Ri = M t / FQ (9.9)
Diese Größe gibt an, an welchem Hebelarm die Querkraft FQ angreifen müss-
te, um das Drehmoment M t zu erzeugen (Abb. 9.14.). Der Wirkwinkel α w ist der
Winkel zwischen Flankenrichtung und der Richtung der Umfangskomponente der
Flankenkraft.
rw = rb (9.11)
542 9 Welle-Nabe-Verbindungen
Neben dem ideellen Radius Ri sind zur Beurteilung des Beanspruchungs- und
Verschleißverhaltens das Spiel, die Geometrieabweichungen und das elastische
Verhalten der Verbindung sowie die Reibungsbedingungen in den Wirkflächen
von Interesse. Gilt Ri < rw so überwiegt der Einfluss der Querkraft, und beim
Umlauf treten infolge des Flankenwechsels der Last große Relativbewegungen in
der Verzahnung auf. Schäfer [Scha95] hat diesbezüglich umfangreiche Untersu-
chungen durchgeführt und festgestellt, dass Zahnwellen-Verbindungen im prakti-
schen Einsatz immer einem Verschleiß unterliegen. Ursachen dafür sind Gleitbe-
wegungen aufgrund elastischer Verformungen sowie Relativbewegungen, ausge-
löst durch nahezu immer vorhandene Querkraftanteile, Verzahnungsabweichun-
gen sowie Fluchtungsabweichungen bei den zu verbindenden Teilen. Die Relativ-
bewegungen pro Umlauf wären nur durch eine zentrische Lagerung der Welle zu
vermeiden, was aber praktisch kaum realisierbar ist. Verschleiß ist, wie Abb. 9.15.
zeigt, demnach immer vorhanden; er kann lediglich durch Sekundärmaßnahmen
(z.B. Schmierung, Beschichtungen) reduziert werden. Am wirkungsvollsten ist die
Öldurchlaufschmierung, weil damit die Abriebpartikel sofort aus der Wirkzone
gespült werden.
9.2 Formschlüssige Welle-Nabe-Verbindungen 543
9.2.3.2 Polygonverbindungen
Abb. 9.16. Genormte P3G- und P4C Profile nach [DIN32711] und [DIN32712]
Rg (9.12)
n=
Ra
und muss aus technischen Gründen eine ganze Zahl sein. Hierbei bezeichnen Rg
den Radius des Grundkreises und Ra den Radius des Rollkreises. Die genormten
Polygonprofile werden wegen früherer fertigungsbedingter Probleme aus Epitro-
choiden hergeleitet [DIN32711]. Die Geometrie dieser wird mit Hilfe der Parame-
tergleichungen ermittelt:
ªd º (9.13)
xP = « 1 − e cos(nα )» cos α − ne sin( nα ) sin α
¬2 ¼
ªd º (9.14)
y P = « 1 − e cos(nα )» sin α + ne sin( nα ) cos α
¬2 ¼
Hierbei sind:
d1 = Nenndurchmesser nach Abb. 9.16.
e = Exzentrizität des Polygonprofils
n = Eckenzahl des Profils (3 für P3G- und 4 für P4C-Profil)
α = Normalwinkel der Profilkontur, der Winkel zwischen der x-Achse
und Kurvennormal, siehe auch Abb. 9.22.
Torsionsbelastete P3G-Profile
In Abb. 9.18. wird eine torsionsbelastete P3G-Polygonwelle dargestellt, wobei α
die Drillung der Profilwelle bezeichnet und es gilt Δ = δ / l . Unter Anwendung
von konformen Abbildungen auf der SAINT-VENANT’schen Formulierung des
Torsionsproblems wird folgende maximale Torsionsspannung für die Polygonwel-
le ermittelt [Zia03]:
546 9 Welle-Nabe-Verbindungen
Die bezogene Exzentrizität variiert für die nach [DIN32711] genormten P3G-
Profile von 6,22% bei P3G-18 bis 9,0% bei P3G-100.
Spannungsgefälle in P3G-Profilen
Um die Kerbwirkungszahl β IJ, P3G für Dauerfestigkeitsberechnungen rechnerisch
ermitteln zu können, kann man das bezogene Spannungsgefälle GIJ,P3G (s. Abb.
9.19.) für torsionsbelastete P3G-Profilwellen theoretisch ermitteln (s. [Zia03]):
Mit Hilfe von G IJ, P3G kann dann die Kerbwirkungszahl β IJ, P3G für torsionsbelas-
tete P3G-Wellen, analog zum Kapitel 3 bzw. [DIN743] berechnet werden.
In Abb. 9.20. wird die Druckverteilung in einer P3G-WNV infolge einer Torsi-
onsbelastung gezeigt.
Abb. 9.20. Druckverteilung in der Fuge bei einer P3G-WNV infolge Torsionsbelastung
(schematisch)
Hierbei sind:
l = Tragende Nabenlänge
er = Rechnerische Exzentrizität, e für P3G- und (d1-d2)/4 für P4C-Profil
dr = Rechnerischer Durchmesser, d1 für P3G- und (d2+2er) für P4C-Profil
c = 0,75 für P3G- und 1,0 für P4C-Profil
pzul = Zulässige Pressung
548 9 Welle-Nabe-Verbindungen
Mt (9.20)
s ≈ k.
l ⋅ Re
mit:
Re = Streckgrenze des Nabenwerkstoffes
k = Beiwert nach Tabelle 9.6.
d1 < 35 d1 ≥ 35
P3G 1,44 1,20
P4C 0,70 0,70
Entscheidend für die Höhe der Normalspannung ist der in Abb. 9.22. darge-
stellte Anlagewinkel und sein Maximum β max .
β ct (Torsion) β cb (Biegung)
P3G 3,0 3,8
P4C 3,7 5,1
unmittelbar
mittelbar
mittelbar
mittelbar
bzw.
μ = μ u2 + μ ax2 (9.23)
Abb. 9.23. Reibungskreis bei einem ebenen Reibproblem; (Umfangsrichtung und axiale
Richtung!)
9.3 Reibschlüssige Welle-Nabe-Verbindungen 553
so dass mit der bekannten Reibungszahl μ und dem Verhältnis der Reibungszahlen
μ u / μ ax diese einfach berechnet werden können. In den meisten praktischen
Anwendungsfällen ist das Verhältnis der Reibungszahlen leider nicht bekannt und
muss daher geschätzt oder experimentell bestimmt werden. Der Einfachheit halber
können für beide Richtungen gleich große Reibungszahlen (d.h.
μ ax = μ u = 0,707 ⋅ μ ) angenommen werden. Demnach sind im zweidimensionalen
Reibungsfall nur ungefähr 70% der Reibungszahl μ bei eindimensionaler Rei-
bung nutzbar.
Eine ausführliche Abhandlung über Reibung und Reibungszahlen bei reib-
schlüssigen Welle-Nabe-Verbindungen findet man in Kollmann [Kol84]. Neben
allgemeinen Grundlagen wird auch die Verfahrensweise zur Bestimmung der
Reibungszahlen bei diesen Verbindungen erläutert. Da es im Allgemeinen nicht
möglich ist die auftretende Normalkraft in den Wirkflächen experimentell zu
bestimmen, wird die Reibkraft mit Hilfe des Fugendrucks p berechnet.
FR = μ ⋅ A ⋅ p (9.24)
Werkstoffe Reibungszahlen
Bezeichnung neu Bezeichnung alt trocken geschmiert
Nummer μ ll μ rl μ ll μ rl
E 335 1.0060 St 60-2 0,11 0,08 0,08 0,07
GE 300 1.0558 GS-60 0,11 0,08 0,08 0,07
S 235JRG2 1.0038 RSt37-2 0,10 0,09 0,07 0,06
EN-GJL-250 0.6025 GG-25 0,12 0,11 0,06 0,05
EN-GJS-600-3 0.7060 GGG-60 0,10 0,09 0,06 0,05
EN AB-44000 ff. G-AlSi12(Cu) 0,07 0,06 0,05 0,04
CB495K 2.1176.01 G-CuPb10Sn
0,07 0,06 -1) -1)
(G-CuSn10Pb10)
TiAl6V4 3.7165.10 TiAl6V4 -1) -1) 0,05 -1)
1)
Haftbeiwerte nicht bekannt.
der erste Index steht für l: lösen bzw. r: rutschen
der zweite Index steht für Längsbewegung
9.3.1.1 Grundlagen
Die meisten der in der Praxis vorkommenden Pressverbände lassen sich auf ein
Berechnungsmodell zurückführen, bei dem zwei Hohlzylinder gleicher axialer
Länge gefügt werden (Abb. 9.24.). Voraussetzung ist, dass beide Teile - wobei das
innere auch voll sein kann - aus rein elastischen, homogenen und isotropen
Werkstoffen bestehen und der Zusammenhang zwischen den Spannungen und
Verzerrungen mit Hilfe des Hookeschen Gesetzes beschrieben werden kann.
Definitionen:
DF
QA =
D aA
D iI
QI =
DF
Obwohl aus funktionalen Gründen die Welle nahezu immer länger als die Nabe
ist (Abb. 9.25.) hat es sich eingebürgert, Pressverbindungen nach der Theorie des
ebenen Spannungszustandes zu berechnen. In den Randbereichen trifft dies sicher
nicht zu. Die Abweichungen hinsichtlich des übertragbaren Drehmomentes sind
aber so gering, dass sie praktisch vernachlässigt werden können.
Zur Berechnung der Spannungen und Dehnungen werden Welle und Nabe als
dickwandige Hohlzylinder (dickwandige Rohre!) aufgefasst, die unter Innen- bzw.
Außendruck stehen! Für die weiteren Ableitungen ist es hilfreich, das in Abb.
9.26. gezeigte Volumenelement rdϕ ⋅ dr ⋅ dz im Hohlzylinder zu betrachten.
Mit den angetragenen Spannungen gilt für das Gleichgewicht der Kräfte in
radialer Richtung:
(σ r + dσ r ) ⋅ dz ⋅ (r + dr )⋅ dϕ − σ r ⋅ dz ⋅ r ⋅ dϕ (9.25)
dϕ
− 2σ t ⋅ dz ⋅ dr ⋅ sin =0
2
Wegen sin dϕ 2 ≅ dϕ 2 (dϕ = kleiner Winkel ) und unter Vernachlässigung der
Glieder von einer Kleinheit höherer Ordnung ergibt sich daraus:
σ r ⋅ dr + r ⋅ dσ r − σ t ⋅ dr = 0 (9.26)
bzw.
d (9.27)
σt = (r ⋅ σ r )
dr
Aus den radialen Verschiebungen u an der Stelle r bzw. u + du an der Stelle
r + dr folgt für die Dehnung
a) in radialer Richtung
dr − u + u + du − dr u + du − u du (9.28)
εr = = =
dr dr dr
556 9 Welle-Nabe-Verbindungen
b) in tangentialer Richtung
εt =
(r + u )⋅ dϕ − r ⋅ dϕ =
u (9.29)
r ⋅ dϕ r
Ein Vergleich der beiden Beziehungen führt auf folgende Verknüpfung der
Dehnungen:
d (9.30)
εr = (r ⋅ ε t )
dr
Unter Berücksichtigung des zweidimensionalen Spannungszustandes lassen sich
die Dehnungen nach dem Hooke’schen Gesetz auch durch die Spannungen
σ r und σ t ausdrücken:
1 (9.31)
εr = (σ r −νσ t )
E
1 (9.32)
εt = (σ t −νσ r )
E
Dabei sind:
E= Elastizitätsmodul des Werkstoffes
ν = 1 m = Querkontraktionszahl des Werkstoffes
m= Poisson-Zahl des Werkstoffes
Aus
d (9.33)
σ r −νσ t = E ⋅ ε r = E ⋅ (r ⋅ ε t ) = d [r ⋅ (σ t −νσ r )]
dr dr
d
folgt unter Beachtung von σ t = (r ⋅ σ r ) für die Radialspannung σ r die ge-
dr
wöhnliche Differentialgleichung zweiter Ordnung
d 2σ r 3 dσ r (9.34)
+ ⋅ =0
dr 2 r dr
Mit dem Lösungsansatz
σr = C ⋅rn (9.35)
(σ z −νσ r −νσ t ) = − ν (σ r + σ t ) = − 2ν C1
1 (9.39)
εz = für σ z = 0
E E E
d.h. ε z = const.
Die Dehnung ε z in axialer Richtung ist somit über den ganzen Querschnitt
konstant, d.h. die Querschnitte senkrecht zur Zylinderachse bleiben eben.
ri 2 ri 2 ⋅ ra2 (9.41)
C1 = pi ; C 2 = − p i 2
ra2 − ri 2 ra − ri 2
Qr2 − Q 2 (9.42)
σ r = − pi (Druckspannung!)
1− Q2
Tangentialspannung:
Qr2 + Q 2 (9.43)
σ t = pi (Zugspannung!)
1− Q2
558 9 Welle-Nabe-Verbindungen
mit
ri d i ri d (9.44)
Qr = = und Q= = i
r d ra d a
Δd i =
1
(σ t,i −νσ r,i ) d i (9.46)
E
pi § 1 + Q 2 · (9.47)
Δd i = d i ¨¨ + ν ¸¸
E © 1− Q 2
¹
σ r = − pa am Außenrand r = ra (9.49)
Die Spannungen an einer beliebigen Stelle r lassen sich somit nach folgenden
Gleichungen ermitteln:
Radialspannung:
1 − Qr2 (9.51)
σ r = − pa (Druckspannung!)
1− Q2
Tangentialspannung:
1 + Qr2 (9.52)
σ t = − pa (Druckspannung!)
1− Q2
Δd a =
1
(σ t,a −νσ r,a ) d a (9.54)
E
pa § 1 + Q 2 · (9.55)
Δd a = − d a ¨¨ −ν ¸¸
E © 1− Q 2
¹
Radialspannung:
2
QAr − QA2 (9.56)
σ rA = − p (Druckspannung!)
1 − QA2
Tangentialspannung:
2
QAr + QA2 (9.57)
σ tA = p (Zugspannung!)
1 − QA2
Durchmesservergrößerung:
p § 1 + QA2 · (9.58)
Δd iA = DF ¨¨ + ν A ¸¸
© 1 − QA
2
EA ¹
Dabei sind:
riA rF (9.59)
QAr = =
r r
riA r (9.60)
QA = = F
raA raA
560 9 Welle-Nabe-Verbindungen
σ r iA = − p (Druckspannung!) (9.62)
1 + QA2 (9.63)
σ tiA = p (Zugspannung!)
1 − QA2
σ raA = 0 (9.64)
2QA2 (9.65)
σ taA = p = σ tiA − p (Zugspannung!)
1 − QA2
Radialspannung:
1 − QIr2 (9.66)
σ rI = − p (Druckspannung!)
1 − QI2
Tangentialspannung:
1 + QIr2 (9.67)
σ tI = − p (Druckspannung!)
1 − QI2
Durchmesserverkürzung:
p § 1 + QI2 · (9.68)
Δd aI = − DF ¨¨ −ν I ¸¸
© 1 − QI
2
EI ¹
Dabei sind:
riI (9.69)
QIr =
r
a) Innenrand r = ri I (Q Ir =1 )
σ riI = 0 (9.72)
2 (9.73)
σ tiI = − p = σ taI − p (Druckspannung!)
1 − QI2
b) Außenrand r = raI = rF (Q Ir = QI )
1 + QI2 (9.75)
σ taI = − p (Druckspannung!)
1 − QI2
Vollwelle (riI = 0 )
Für den Sonderfall der Vollwelle lässt sich aus den Gleichungen für die Hohlwelle
ableiten, dass die Radial- und die Tangentialspannung über den gesamten Quer-
schnitt konstant sowie gleich groß sind und den Wert
σ rI = σ tI = − p (9.76)
haben.
Der Verlauf der Spannungen in der Nabe und der Welle ist für eine Hohl- und
eine Vollwellenpressverbindung in Abb. 9.27. graphisch dargestellt. Man sieht,
dass bei der Nabe die größten Beanspruchungen am Innendurchmesser (= Füge-
durchmesser) auftreten, der Betrag der Tangentialspannung an jedem beliebigen
Radius r größer ist als der Betrag der Radialspannung, die Tangentialspannungen
Zugspannungen und die Radialspannungen Druckspannungen sind. Am Innen-
durchmesser der Hohlwelle ist ebenfalls die Tangentialspannung die größte
Spannung und zwar eine Druckspannung. Die Radialspannung ist eine Druck-
spannung und fällt vom Druck p am Außendurchmesser (= Fügedurchmesser!)
parabolisch auf den Wert Null am Innendurchmesser ab. Bei der Vollwellenpress-
verbindung ist der qualitative Verlauf der Spannungen in der Nabe der gleiche wie
bei der Hohlwellenverbindung.
In einem beliebigen Querschnitt des Berechnungsmodells nach Abb. 9.27. bil-
den sich die in Tabelle 9.10. aufgeführten elastischen Spannungen aus.
Die größten Spannungen treten demnach jeweils am Innendurchmesser der
Nabe und der Hohlwelle auf, wobei im Allgemeinen der Innendurchmesser der
Nabe die höchstbeanspruchte Stelle ist. Obwohl bei zähen Werkstoffen plastische
Verformungen keineswegs schädlich sind, ist wegen der meist geforderten
Wiedermontage eine elastisch/plastische Auslegung der Pressverbindung (vgl.
[Kol84]) oftmals nicht möglich.
562 9 Welle-Nabe-Verbindungen
Abb. 9.27. Verlauf der Tangentialspannung σ t und der Radialspannung σ r bei einer
Pressverbindung mit Hohlwelle und mit Vollwelle
1 + QA2 1 + QI2 σ tI = σ rI = − p
σ tiA = p ⋅ σ taI = − p ⋅
1 − QA2 1 − QI2
2 ⋅ QA2 σ tiI = − p ⋅
2
σ taA = p ⋅
1 − QA2 1 − QI2
σ riA= −p σ raI = − p
σ raA = 0 σ riI = 0
σȞ =
1
2
[
(σ 1 − σ 2 )2 + (σ 2 − σ 3 )2 + (σ 3 − σ 1 )2 ] (9.77)
9.3 Reibschlüssige Welle-Nabe-Verbindungen 563
2 (9.78)
§ 1 + QA2 · 1 + QA2
σ Ȟ = p ⋅ ¨¨ ¸ +1+
¸
© 1 − QA 1 − QA2
2
¹
3 + QA4 (9.79)
σȞ = p⋅
1 − QA2
für
1 + QA2 (9.80)
σ 1 = σ tiA = p ⋅ ; σ 2 = σ z = 0 und σ 3 = σ riA = − p
1 − QA2
b) bei Berücksichtigung des Torsionsmomentes
σ Ȟ = σ x2 + σ y2 − σ xσ y + 3τ xy2 (9.81)
2 (9.82)
§ 1 + QA2 · 1 + QA2
σ Ȟ = p ⋅ ¨¨ ¸ +1+
¸ + 3μ u2
© 1 − QA −
2 2
¹ 1 QA
für
1 + QA2 (9.83)
σ x = σ tiA = p ⋅
1 − QA2
σ y = σ riA = − p (9.84)
und
μ u = Reibungszahl in Umfangsrichtung (9.86)
Da in Gleichung (9.82) das Glied 3μ u2 klein ist gegenüber den drei anderen
Gliedern, kann in guter Näherung mit der Vergleichsspannung ohne Berücksichti-
gung des Torsionsmomentes gerechnet werden. Mit σ Ȟ ≤ σ zul darf die Flächen-
pressung p in der Fügefläche somit folgenden Größtwert nicht überschreiten:
σ zul σ zul ⋅ (1 − QA2 ) (9.87)
p ≤ pmax = =
§ 1 + QA2 ·
2
1 + QA2 3+Q 4
A
¨ ¸ +1+
¨ 1− Q2 ¸ 1 − QA2
© A ¹
564 9 Welle-Nabe-Verbindungen
Für die zulässige Spannung in der Nabe können folgende Werte eingeführt
werden:
a) zähe Werkstoffe:
Re (9.88)
σ zul = mit S F = 1,0.....1,3 (ausgeprägte Streckgrenze)
SF
Rp0,2 (9.89)
σ zul = mit S F = 1,1.....1,3 (keine ausgeprägte Streckgrenze)
SF
b) Gusseisen:
σ zul = Rm S B mit S B = 2 ÷ 3 (9.90)
Die kleinste erforderliche Flächenpressung pmin ergibt sich aus dem zu übertra-
genden Drehmoment M t und/oder der zu übertragenden Axialkraft Fax , die beide
unter Berücksichtigung einer Rutschsicherheit S R ( S R = 1,5...3) von der Pressver-
bindung übertragen werden müssen. Wird in erster Näherung die Reibungszahl
μ u in Umfangsrichtung der Reibungszahl μ1 in axialer Richtung gleichgesetzt,
d.h. ist μ u ≅ μ l ≅ μ , so kann für die kleinste erforderliche Flächenpressung in der
Fügefläche mit dem Durchmesser DF und der Breite lF folgender Wert ermittelt
werden:
a) zur Übertragung von Fax
Fax ⋅ S R (9.91)
pmin = (μ = μ l )
μ ⋅π ⋅ DF ⋅ l F
b) zur Übertragung von M t
2⋅ M t ⋅ SR Fu ⋅ S R (9.92)
pmin = = (μ = μ u )
μ ⋅π ⋅ DF2 ⋅ l F μ ⋅π ⋅ DF2 ⋅ l F
mit
2⋅M t (9.93)
Fu =
DF
9.3 Reibschlüssige Welle-Nabe-Verbindungen 565
4⋅ M t
2 (9.95)
SR
pmin = ⋅ Fax2 +
μ ⋅ π ⋅ DF ⋅ lF DF2
und
U W = U − G = U − 0,4 ⋅ (RzA + RzI ) (9.97)
In einer realen Pressverbindung mit ein- oder beidseitig überstehender Welle (vgl.
Abb. 9.25.) bildet sich ein dreidimensionaler Spannungszustand aus. Die stati-
schen Kennwerte werden davon nur wenig beeinflusst, wohl aber das dynamische
Verhalten. Im Folgenden werden deshalb die Ursachen und Wirkungen des
dreidimensionalen Spannungszustandes näher erläutert.
Bei der realen Pressverbindung macht die Flächenpressung auf der Wellenober-
fläche einen Sprung vom Fugendruck σ r in der Pressfuge auf Null außerhalb der
Nabe. Für diesen singulären Punkt ist die genaue Berechnung der Spannungen mit
Finiten Elementen nur eingeschränkt möglich. Der komplexe Spannungszustand
in der Umgebung der Nabenkante lässt sich jedoch recht genau erfassen. In Abb.
566 9 Welle-Nabe-Verbindungen
Abb. 9.28. Bezogene Spannungen in der Wellenoberfläche und der Fugenfläche der Nabe
[Lei83].
In Abb. 9.30. sind der nach der Scheibchenmethode (- - -) und der nach der
Finite-Elemente-Methode (–––) berechnete real auftretende Fugendruck gegen-
übergestellt. Die schraffierten Flächen stellen die Differenzen zwischen den
beiden Kurven dar. Die Differenz der Flächen oberhalb und unterhalb der durch-
gezogenen Kurve ist im Allgemeinen nicht größer als 5%.
Abb. 9.30. Fugendruck in der Fügefläche einer Pressverbindung mit gestuften Nabenau-
ßendurchmessern und Schema der Fugendruckberechnung mit Hilfe der Scheibchenmetho-
de (–––– numerisch berechnet, ----nach Abschnitt 9.3.1.2)
l (9.100)
DAäq = l
1
³ D 2 ⋅ dz
0 aA
ξ = rel. Haftmaß
Das maximal übertragbare Drehmoment ergibt sich (bei SR = 1) dann aus:
π (9.102)
M tR = ⋅ DF2 ⋅ l F ⋅ μ ru ⋅ päq
2
K = 3 + ν A + ( 1 −ν A ) ⋅ QA2 −
EA ⋅ ρ I
EI ⋅ ρ A
[
⋅ QA2 ⋅ 1 − ν I + ( 3 + ν I ) ⋅ QI2 ] (9.104)
verwendet.
Für die Abhebewinkelgeschwindigkeit gilt:
4 EA ⋅ ξ (9.105)
ω ab = ⋅
DaA K ⋅ ρA
§ § ω ·
2
· (9.106)
pȦ = ¨1 − ¨¨ ¸
¸
¸⋅ p
¨ ω ¸
© © ab ¹ ¹
Damit eine Pressverbindung die in Abschnitt 9.1 beschriebenen Funktionen
erfüllen kann, ist zwingend die Bedingung pȦ > 0 zu erfüllen. Bei einer vorgege-
benen Sicherheit S R gegen Durchrutschen ist der bei Betriebsdrehzahl erforderli-
che Fugendruck pȦ ≡ pmin nach Gleichung (9.95) zu berechnen.
Die Gestaltung von Pressverbindungen muss einerseits eine sichere und möglichst
einfache Montage gewährleisten. Darüber hinaus sind wegen der vorwiegend
dynamischen Belastungen Maßnahmen zur Reduzierung der Kerbwirkung zu
treffen. Deshalb wird im Folgenden zwischen den allgemeinen Gestaltungsregeln
und den Gestaltungsregeln für dynamisch beanspruchte Pressverbindungen
unterschieden (vgl. auch [DIN7190]).
Allgemeine Gestaltungsregeln
Bei Pressverbindungen in Sacklöchern ist eine Entlüftungsbohrung vor-
zusehen (Abb. 9.31.).
Zur eindeutigen axialen Positionierung sind Lagebegrenzungen kon-
struktiver oder fertigungstechnischer Art vorzusehen (z.B. Wellenschul-
ter).
Um große Momente übertragen zu können, soll möglichst ein volles In-
nenteil mit einem dickwandigen Außenteil ( QA ≤ 0,5 ) gepaart werden.
Längspressverbindungen sind gemäß Abb. 9.32. zu gestalten. Scharfe
Kanten und Übergänge sind zu vermeiden. Der Fasenwinkel ϕ soll
höchstens 5° betragen.
9.3 Reibschlüssige Welle-Nabe-Verbindungen 571
DF r (9.107)
≈ 1,1 ≈2
DW (D F − D W )
Sofern ein Absatz des Innenteils wegen der angrenzenden Bauteile nicht reali-
siert werden kann, kann auch eine Ausführung nach Abb. 9.35. gewählt werden.
Für den Kerbradius gelten die analogen Verhältnisse zu Gleichung (9.107). Für
den Überstand a gilt a ≥ 0 . Wird a < 0 , nähert sich die Verbindung ab
a / DF = 0,05 wieder der Pressverbindung mit glatter Welle an, d.h. die höchst
beanspruchte Stelle (potentieller Bruchort) wandert vom Übergangsradius in den
Fugenbereich dicht hinter der Nabenkante.
9.3.2 Kegelpressverbindungen
Bei kleinen Winkelfehlern gilt bei oberer Anlage für den örtlichen Übermaßver-
lust die Näherung:
U s ( z ) = 2 ⋅ z ⋅ tan γ (9.110)
a = Aufschubweg
des Übermaßverlustes U s infolge Winkelfehler γ und der Glättung G (s. Gl.9.97)
ergibt sich das wirksame Übermaß:
U w ( z ) = U n − U s (z ) − G (9.113)
2 § l · (9.120)
ξm = ¨ a w ⋅ tan β − F ⋅ tan γ ¸
DFm © 2 ¹
Die Tangentialspannung kann mit Hilfe des mittleren Fugendruckes analog
Abschnitt 9.3.1.2 berechnet werden.
§ Frl
2
· § Fru
2
· (9.121)
¨ ¸ +¨ ¸ =1
¨F ¸ ¨F ¸
© rl,max ¹ © ru ,max ¹
Für die maximalen Reibungskräfte gelten folgende Beziehungen:
Frl, max = μ ll ⋅ Fn (9.122)
Durch Umstellen der Gleichung (9.121) und Ergänzen der Beziehungen nach
Gleichung (9.124) ergibt sich die Reibungskraft in Umfangsrichtung zu:
Abb. 9.38. Darstellung der Kräfte, a) die bei der Drehmomentübertragung auf den Kegel
wirken; b) nach dem Fügen; c) bei der maximalen Drehmomentübertragung [Schm73]
2 (9.125)
§ tan β ·
Fru = Fn ⋅ μ lu ⋅ 1 − ¨¨ ¸¸
© μ ll ¹
2 (9.128)
§ tan β ·
μ R = μ lu ⋅ 1 − ¨¨ ¸¸
© μ ll ¹
Die scheinbare Reibungszahl μ R hat nur einen realen positiven Wert, wenn die
Kegelpressverbindung im Selbsthemmungsbereich liegt, d.h. die Reibungszahl in
Längsrichtung die folgende Bedingung erfüllt:
μ ll ≥ tan β (9.129)
In Abb. 9.39. sind die in einer Kegel-Pressverbindung beim Fügen und Lösen auf
die Welle wirkenden Kräfte dargestellt. Aus dem Kräftegleichgewicht beim Fügen
ergibt sich die Fügekraft:
Ff = Fn ⋅ cos β ⋅ (μ f + tan β ) (9.130)
wobei die Reibungszahlen beim Fügen und Lösen unterschiedlich sein können.
Das Verhältnis der Lösekraft zur Fügekraft ist in Abb. 9.40. in Abhängigkeit vom
Kegelwinkel dargestellt. Die resultierende Normalkraft Fn ergibt sich durch
Integration des Fugendruckes entlang der Sitzfläche [Kol84] zu:
π (9.132)
Fn = ⋅ l F ⋅ DFm ⋅ p m
cos β
Abb. 9.39. Darstellung der Kräfte, die beim Fügen und Lösen auf den Kegel wirken
578 9 Welle-Nabe-Verbindungen
Abb. 9.41. Kraft-Weg-Diagramm beim Fügen einer Kegel-PV mit und ohne Stick-Slip-
Effekt [Sme01]
wegen der kleinen Wegstrecke kaum möglich bzw. nicht wirksam, so dass die
Verbindung entweder demontiert werden muss oder im schlimmsten Fall Aus-
schuss ist. Die naheliegenste Abhilfemaßnahme ist zwar das weggesteuerte Fügen.
Dabei können aber Einstellwinkelabweichungen ebenfalls zu gravierenden
Fehlern führen.
Aus der Literatur sind bezüglich des Stick-Slip-Effektes folgende Erkenntnisse
zu entnehmen:
• Stick-Slip-Verhalten tritt besonders dann auf, wenn die Haftreibungszahl
wesentlich größer als die Gleitreibungszahl ist. Dies gilt vor allem beim Fügen
mit Öl.
• Bei höheren Fügegeschwindigkeiten (v 0,5 mm/s) verringert sich der Stick-
Slip-Effekt.
• Verbindungen mit gehärteten Fügeflächen neigen eher zum Stick-Slip-Ver-
halten als solche mit weichen Fügeflächen.
Anstatt Öl bietet sich zur schmierenden Wirkung bei der Montage auch Kleb-
stoff an. Der Vorteil besteht darin, dass nach dem Fügen der Kleber aushärtet und
damit festigkeitssteigernd wirkt [Bär95].
Abb. 9.43. Konischer Druckölverband mit schraubenförmiger Nut für Ölablauf (nach SKF)
9.3 Reibschlüssige Welle-Nabe-Verbindungen 581
9.3.3 Spannelementverbindungen
Konische Spannelemente
Das Spannen der Verbindung, d.h. das Einleiten der axialen Einpresskraft erfolgt
gemäß Abb. 9.45. wellen- oder nabenseitig.
Bei der Montage ist zunächst zwischen Außenring und Nabe sowie zwischen
Innenring und Welle ein radiales Spiel S vorhanden. Um eine Anlage an die zu
verbindenden Teile zu erreichen, müssen sich die Ringe um die Summe dieser
Spiele verformen. Als Richtwert für die erforderliche axiale Verspannkraft zur
Spielüberwindung gilt für Spannelemente aus Stahl:
D−d (9.133)
Fax,0 ≈ 277000 ⋅ l ⋅ S ⋅
D+d
(alle Maße in mm, Fax,0 in N)
Wird die axiale Verspannkraft über Fax,0 hinaus gesteigert, gleiten die koni-
schen Flächen aufeinander, woraus eine radiale Verformung der Ringe resultiert.
Abb. 9.46. zeigt die in dieser Phase an den konischen Spannelementen wirkenden
Kräfte (Ringe axial auseinander gerückt).
Mit dem Reibungswinkel tan ρ = μ und der für Ring 1 geltenden Gleichge-
wichtsbedingung
Fv ⋅ tan (ρ + β ) + Fv ⋅ tan ρ − Fax1 = 0 (9.134)
Mit der für Ring 2 analogen Gleichgewichtsbedingung folgt schließlich für die
axiale Verspannkraft Fax2 :
9.3 Reibschlüssige Welle-Nabe-Verbindungen 583
Das von einer aus Außen- und Innenring bestehenden konischen Spannelement-
verbindung übertragbare Drehmoment errechnet sich aus:
d (9.137)
M t = Fv ⋅ μ ⋅
2
und mit Gl (9.135) zu:
Fax1 d (9.138)
Mt = ⋅μ ⋅
tan ( ρ + β ) + tan ρ 2
Dies bedeutet, dass das zweite und jedes folgende Spannelementepaar nur ein
kleineres Drehmoment übertragen kann als das erste. Bei handelsüblichen Spann-
ringen mit tan β = 0,3 und μ = 0,12 gilt für den Abminderungsfaktor:
tan β (9.139)
q=
2 μ + tan β
584 9 Welle-Nabe-Verbindungen
Spannsätze
Gemäß Abb. 9.49. besteht ein Spannsatz System Ringfeder aus zwei Außenringen
mit konischer Innenfläche, zwei Innenringen mit konischer Außenfläche und zwei
Druckringen, die sowohl innen als auch außen konisch sind. Sie funktionieren in
der Weise, dass beim axialen Zusammenziehen der beiden bezüglich der Konus-
flächen gegensinnig angeordneten Druckringe die Außenringe gedehnt und die
Innenringe gestaucht werden. Dadurch werden diese gegen die Nabe bzw. gegen
die Welle gepresst und übertragen Reibkräfte bzw. Reibmomente. Die Druckringe
haben am Umfang gleichmäßig verteilt eine größere Anzahl von Bohrungen (ein
Druckring ist mit Gewindebohrungen und der andere mit glatten Durchgangsboh-
rungen versehen), die das axiale Zusammenziehen der Druckringe und damit das
Verspannen des gesamten Spannsatzes erlauben. Meistens werden dazu Zylinder-
schrauben der Festigkeitsklasse 10.9 mit Innensechskant nach [DINENISO4762]
verwendet. Wegen der vielen Bohrungen ist kein konstanter Fugendruck entlang
des Umfangs erreichbar. Die Hersteller berücksichtigen dies bei der Angabe der
zul. Belastungen.
Welle oder Nabe brauchen also nicht mit Gewindebohrungen für die Spann-
schrauben versehen zu werden. Spannsätze eignen sich besonders für schwere
Konstruktionen, bei denen große statische und/oder dynamische Kräfte und
Momente übertragen werden müssen. Sie gewährleisten ferner eine gute Rund-
586 9 Welle-Nabe-Verbindungen
Wellspannhülsen
Das Spieth-Spannringelement gemäß Abb. 9.55. ist wie der Spannsatz System
Ringfeder ein einbaufertiges Konstruktionselement, bestehend aus Spannhülse und
Spannschrauben und wirkt in der gleichen Weise wie die Spieth-Druckhülse.
Sternscheiben
Richtung über den größten Teil der Ringbreite geschlitzt sind. Sie haben somit
die gleiche Form wie geschlitzte Tellerfedern und bestehen wie diese aus gehärte-
tem Federstahl. Bei einer axialen Druckkraftbelastung der Sternscheiben verklei-
nert sich ihr Innendurchmesser und vergrößert sich ihr Außendurchmesser.
Werden sie gemäß Abb. 9.57. mit kleinem Spiel zwischen die Welle und einen
axialen Einstich der Nabe gelegt und in axialer Richtung zusammengedrückt, so
entstehen zwischen ihnen und der Welle sowie der Nabe radiale Anpresskräfte, die
in Umfangsrichtung Reibkräfte bewirken. Das übertragbare Drehmoment hängt
neben der Größe der axialen Kraft auch vom Federungsverhalten des Sternschei-
benpaketes und vom Reibungskoeffizienten in den Reibflächen ab.
Toleranzringe
Toleranzringe sollen größere Toleranzen an zu führenden Teilen zulassen. Der
Toleranzring System Star ist eine über den Umfang gewellte und nicht geschlos-
sene Hülse aus dünnem Federstahl (Abb. 9.58.), die in eine Ringnut zwischen die
Welle und die Nabe eingelegt wird (Abb. 9.59.). Die in axialer Richtung verlau-
fenden Wellen gehen nicht über die volle Breite des Ringes. Dadurch kann die
Nabe (Außenteil) leicht an dem in der Ringnut der Welle (Innenteil) liegenden
Toleranzring angeschnäbelt und über diesen geschoben werden. Durch die
Elastizität des in radialer Richtung zusammengedrückten Toleranzringes entstehen
an den Pressflächen Normalkräfte, die ihrerseits in Umfangsrichtung Reibkräfte
bewirken und zur Übertragung eines Drehmomentes dienen. Höhere Reibungszah-
len als üblich können mit einer reibungserhöhenden Beschichtung (z.B. Diamant)
erzielt werden. Sehr häufig werden Toleranzringe zur Fixierung von Wälzlagern
in Umfangsrichtung und bei kleinen Axialkräften auch in axialer Richtung
verwendet.
590 9 Welle-Nabe-Verbindungen
Abb. 9.59. Star Toleranzringe System Einheitsbohrung (zentrierter Einbau, freier Einbau!)
Hydraulische Hohlmantelspannbüchsen
setzt werden dürfen. Die Spannbüchse und der Druckring sind aus gehärtetem
Stahl hergestellt, und die Dichtung besteht aus Kunststoff. Die Spannbüchsen sind
für folgende Toleranzfelder ausgelegt:
Wellen: h8 bis k6
Bohrungen: H7
Tabelle 9.11. Kerbwirkungszahlen für Pressverbände (Auszug aus [DIN 743]), a) glatte
bzw. nicht abgesetzte Welle, b) abgesetzte Welle
Die Angaben basieren auf Versuchswerten und beinhalten somit auch die Reibbe-
anspruchung im Einlaufbereich der Welle in die Nabe.1
1
In einigen Literaturstellen wird deshalb auch die Kerbwirkungszahl mit einem zusätzli-
chen Index c versehen. Aus Gründen der Vereinheitlichung wurde dieser Index in DIN
743 aber weggelassen.
9.3 Reibschlüssige Welle-Nabe-Verbindungen 593
Die Dimensionierung der Welle bzw. der Sicherheitsnachweis kann nun analog
Kapitel 3 durchgeführt werden. Auf eine ausführliche Darstellung der Rechen-
schritte wird aus Platzgründen verzichtet. Vielmehr soll an einem Beispiel die
gegenüber einer einfachen Kerbe abweichende Vorgehensweise und der Größen-
einfluss verdeutlicht werden.
1. Belastung Welle
σ b = σ ba = 78 N / mm 2 (9.142)
τ t = τ tm = τ ta = 36,7 N / mm 2 (9.143)
2. Werkstoffkennwerte
σ b = Rm = 1200 MPa (9.144)
K 3 (d BK ) = 0,962 (9.152)
K 3 (d BK ) 0,962 (9.153)
β ı (d ) = β ı (d BK ) = 2,55 ⋅
K 3 (d ) 0,92
β ı (d ) = 2,66 (9.154)
§ β (d ) · (9.155)
c K ı = ¨¨ ı + 1 − 1¸¸ ⋅1 K 2 (d ) = 0,8
© K 2 (d ) ¹
K Fı = KV = 1
2,66 (9.156)
Kı =
0,8
K ı = 3,325 (9.157)
0,962 (9.163)
β IJ (d ) = 1,65 ⋅
0,92
β IJ (d ) = 1,72 (9.164)
§ β (d ) · (9.165)
K IJ = ¨¨ IJ + 1 − 1¸¸ ⋅1
© K 2 (d ) ¹
1,72 (9.166)
KIJ =
0,8
K IJ = 2,15 (9.167)
5. Sicherheitsnachweis
τ twk 117 (9.170)
ψ IJk = =
2 ⋅ K1 (d ) ⋅ σ B (d B ) − τ twk 2 ⋅ 0,7 ⋅1200 − 117
ψ IJk = 0,0748 (9.171)
τ twk τ mv (9.172)
τ tADK = =1
τ τ ta
1 + ψ IJk ⋅ mv
τ ta
117 (9.173)
τ tADK =
1 + 0,0748 ⋅1
1 1 (9.176)
S= =
2 2 2 2
§ σ ba · § τ ta · § 78 · § 36,7 ·
¨¨ ¸¸ + ¨¨ ¸¸ ¨ ¸ +¨ ¸
© σ bADk ¹ © τ tADk ¹ © 126 ¹ © 109 ¹
S = 1,42 (9.177)
Die vorhandene Sicherheit gegen Dauerbruch ist mit S = 1,42 zwar nahe dem
unteren in [DIN743] genannten Grenzwert. Bei gesicherten Lastannahmen und
keiner unmittelbaren Personengefährdung ist der Wert aber zulässig.
Für weitergehende Betrachtungen, die insbesondere die Einbeziehung des
Schlupfweges – der bei Pressverbindungen praktisch nicht zu vermeiden ist - in
die Haftmaßberechnung bzw. die Vermeidung der Reibkorrosion betreffen, wird
auf [Sme01] und [Lei03] verwiesen.
Obwohl die Bedeutung der stoffschlüssigen WNV weit hinter den oben behandel-
ten form- und kraftschlüssigen zurücksteht, können sie in Einzelfällen eine
optimale Lösung darstellen. Kollmann [Kol84] unterscheidet die stoffschlüssigen
Verbindungen durch den Bindungsmechanismus Adhäsion (Kleben) und Schmelz-
fluss (Kleben, Schweißen) sowie durch den Zusatzwerkstoff, der beim Kleben
Kunststoff, beim Schweißen arteigen und beim Löten artfremd ist. Problematisch
ist das Lösen der Verbindungen. Außer beim Kleben ist dies nur durch Zerstören
möglich, wodurch die praktische Anwendbarkeit stark eingeschränkt ist. Infolge
dessen werden im Weiteren das Kleben ausführlich und das Löten nur informativ
behandelt. Das Schweißen ist praktisch bedeutungslos und allenfalls als Repara-
turmaßnahme von Interesse.
Obwohl der Einfluss des Übermaßes auf die Tragfähigkeit noch nicht statistisch
abgesichert ist, erlauben die bekannten Ergebnisse die Anwendung erheblich
breiterer Fertigungstoleranzen als bei den gewöhnlichen Pressverbindungen.
Wegen der größeren praktischen Bedeutung beziehen sich die nachfolgenden
Ausführungen vorwiegend auf Klebverbindungen mit Übermaß.
Trotz der ständigen Entwicklung von theoretischen Hilfsmitteln und umfang-
reicher Grundlagenuntersuchungen auf dem Gebiet der Klebetechnik in den
letzten Dekaden, ist eine allgemeingültige Theorie für die umfassende Beschrei-
bung der beim Kleben ablaufenden Vorgänge und des Tragverhaltens des entste-
henden Werkstoffverbundes noch nicht möglich. Dies liegt an der Vielzahl der zu
berücksichtigten Parameter und an deren schwieriger Bestimmung, besonders bei
den hybriden Fügeverfahren. Die derzeit gebräuchlichen Berechnungsvorschriften
beruhen im Sinne eines Nennspannungskonzeptes auf der Lastübertragung durch
über die Klebefläche gleichmäßig verteilte Schubspannungen. Die übertragbare
Axialkraft Fax errechnet sich aus den geometrischen Grundparametern der
Fügefläche DF (Fugendurchmesser) und der Fugenlänge l F zu:
9.4 Stoffschlüssige Welle-Nabe-Verbindungen 599
DF2 ⋅ l F (9.179)
Mt = π ⋅ ⋅τ vn, zul
2
wobei τ vn, zul die für die Verbindung zulässige Nennscherfestigkeit unter Be-
rücksichtigung der Art der Verbindung und der verschiedenen Einflussparameter
der Anwendung (siehe Abb. 9.62.) durch so genannte Korrekturfaktoren kenn-
zeichnet. Letztere dienen der Anpassung der im Druckscherversuch nach [I-
SO10123] ermittelten Druckscherfestigkeit τ D an die tatsächlichen physikalischen
Verhältnisse und Betriebsbedingungen. Das in der Praxis vor allem für die
Entwurfsberechnung bewährte Konzept sieht eine multiplikative Verknüpfung der
Korrektur- bzw. im Regelfall Abminderungsfaktoren f i (i=1 bis n, wobei n die
Anzahl der Einflussparameter ist) vor:
τ vn, zul = ( f 0 ⋅τ D + f p ⋅ p )⋅ f1 ⋅ f 2 f n (9.180)
Dynamische Beanspruchungen
Basierend auf umfangreichen dynamischen Untersuchungen (Wechseltorsion und
Umlaufbiegung mit überlagerter statischer Torsion) ist die Minderung der stati-
schen Festigkeit durch dynamische Lasten, gut berechenbar. Insbesondere Quer-
pressklebverbindungen zeigen ein ausgezeichnetes Festigkeitsverhalten bei
dynamischer Beanspruchung. Für den Fall der wechselnden Torsion bestätigen
mehrere Untersuchungsergebnisse ([Gru87], [Ter96]) einen Korrekturfaktor von
0,6. Für ausschließlich geklebte Verbindungen liegt der entsprechende Faktor
deutlich niedriger (bis ca. 0,2). Der Schadensmechanismus ist vergleichbar mit
dem Reißverschlusseffekt. Die Zerstörung der Klebschicht beginnt an der Naben-
kante und setzt sich ins Nabeninnere bis zum Totalversagen fort.
Abb. 9.63. zeigt vergleichsweise die ertragbaren Umlaufbiegespannungsampli-
tuden von drei Probengeometrien. Alle Proben waren mit einem Torsionsmoment
M t = 85 Nm (τ t = 16 N / mm 2 ) statisch vorbelastet. Man erkennt, dass die für
geklebte Spielpassungen als torsionsoptimierte empfohlene Verbindung mit dünn
auslaufender Nabe bei Übermaßverbindungen aufgrund des Fugendruckverlustes
besonders niedrige ertragbare Spannungen aufweist. Darüber hinaus ist festzustel-
len, dass die bei den konventionellen PV bewährte Gestaltoptimierung (abgesetzte
Welle) hier nicht in gleichem Maße wirksam ist. Zumindest bei hohen Lastwech-
selzahlen ist aber eine Verbesserung der Tragfähigkeit zu erreichen.
Wenig erforscht ist bisher das Langzeitverhalten von Klebverbindungen
( LW > 107 ). Für Kunststoffe ist die Existenz einer echten Dauerfestigkeit wie bei
den metallischen Werkstoffen im allgemeinen umstritten. Da die Neigung der
Wöhlerkurven in Abb. 9.63. sehr flach ist, kann diese Unsicherheit durch entspre-
chende Sicherheitsfaktoren berücksichtigt werden. Obwohl anaerobe Klebstoffe
im allgemeinen sehr gute Medien- und Temperaturbeständigkeit aufweisen, ist ihr
9.4 Stoffschlüssige Welle-Nabe-Verbindungen 601
unter allen Umständen niedriger sein als die Schmelztemperatur der Werstoffe der
zu verbindenden Werkstücke. Die Betriebstemperatur einer Lötverbindung muss
deutlich unterhalb der Schmelztemperatur des Lotes liegen, weil sonst die Gefahr
des Kriechens besteht.
Je nachdem ob die Arbeitstemperatur unter- oder oberhalb von 450ºC liegt,
wird zwischen Weich- und Hartlöten unterschieden. Aus Festigkeitsgründen
kommt für die Herstellung von WNV nur das Hartlöten in Betracht. Die Lotaus-
wahl ist in Abhängigkeit der zu lötenden Werkstoffe zu treffen und beruht oft auf
umfangreichen Versuchsreihen. Die Erwärmung der zu verbindenden Teile erfolgt
vorwiegend in einem Schutzgasofen oder durch elektrische Induktion.
Das übertragbare Drehmoment einer gelöteten WNV berechnet sich bei der
vereinfachenden Annahme einer konstanten Schubspannung in der Lötschicht zu
π (9.181)
Mt = ⋅ l F ⋅ DF2 ⋅τ v
2
Wegen der geringen Einsatzhäufigkeit existieren für die Scherfestigkeit τ v
keine gesicherten Werte. Sie ist für den jeweiligen Einsatzfall experimentell zu
ermitteln (vgl. auch Abschnitt 9.4.1)
Das Löten von Bronze mit Stahl oder Grauguss wird in [WieL02] untersucht.
Ziel ist die automatisierte Herstellung von Schneckenrädern mit Bronzering.
Günstig erweist sich hier eine kegelige Wirkfläche (Abb. 9.64.), weil damit der
Lötspalt unabhängig von den Fertigungstoleranzen konstant gehalten werden
kann.
Vorteile ergeben sich bei diesen Verbindungen bei engen Bauräumen und
dünnwandigen Naben, weil trotz geringem Fugendruck bzw. kleinen Abmessun-
gen relativ hohe Drehmomente übertragen werden können. Abschließend sei noch
auf die Arbeiten von [Bee01] verwiesen, der multifunktionale Fügeverbindungen
auf Basis der hier vorgestellten Technologie untersucht hat.
9.5 Literatur
[DIN6885] DIN 6885: Passfedern, Nuten (hohe Form); Blatt 1. Berlin: Beuth
Verlag 1968
[DIN8505] DIN 8505: Löten Teil 1 bis Teil 3. Berlin: Beuth Verlag 1979/1983
[Krei76] Kreitner, L.: Die Auswirkung von Reibkorrosion und von Reibdau-
erbeanspruchung auf die Dauerhaltbarkeit zusammengesetzter
Maschinenteile. FKM-Abschlussbericht, Heft 56, 1976
[LeiF04] Leidich, E.; Forbrig, F.: Einfluss der Fertigungsgenauigkeit auf die
Beanspruchung von Passfederverbindungen. FVA-Abschlussbericht,
Heft 768, 2004
606 9 Welle-Nabe-Verbindungen
[WieL02] Wielage, B.; Leidich, E.: Löten von zweiteilig ausgeführten Schne-
ckenrädern mit Grundkörpern aus Stahl oder Grauguss. Interner
Bericht der Professuren Verbundwerkstoffe v. Konstruktionslehre,
TU Chemnitz 2003
Widerstandslöten 495
Widerstandsmomente 84
Widerstandsschmelzschweißen 439
WIG Siehe Wolfram - Inertgas -
Schweißen
Windungssinn 280
Woflram – Inertgas – Schweißen 440
Wöhler-Diagramm 120
Zahnfußfestigkeit 541
Zahnwellen 537
Zeitfestigkeit 121
Zentrierbohrungen 428
zentrisch belastete Schraube 315
zentrisch verspannte Schraube 315
Zug 74
Zug-E-Modul 149
Zugfestigkeit 149
Zugmutter 374
Zugspannung 75
Zulässige Flächenpressung 312, 562
zulässigen Flächenpressungswerte 137
Zusatzkraft Schraube 330
Zweimassenschwinger 418