Pruefingenieur 42
Pruefingenieur 42
Pruefingenieur 42
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www.bvpi.de | ISSN 1430-0984
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DER PRÜFINGENIEUR
Mai 2013 |
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INHALT
EDITORIAL
Dipl.-Ing. Peter Otte: Braucht auch die Bauaufsicht einen Rettungsschirm? 4
NACHRICHTEN
BVPI-Jahrestagung im September in Konstanz: Fachvorträge und Besichtigungstouren 6
BÜV-Mitgliederversammlung: neue Website und neue strategische Ausrichtung 6
DPÜ: Offizielle Akkreditierung der Zertifizierstelle kurz vor dem Abschluss 7
Aktualisierte Fassung der BÜV-Empfehlungen für Windenergieanlagen 7
Großes Interesse am BVPI-Seminar über die Heißbemessung 8
vpi-EBA-Seminar: EC-Anwendung im Brücken-, Ingenieur- und Hochbau der Eisenbahnen 8
Neuer BÜV- Arbeitskreis für Bauwerksprüfungen nach DIN 1076 9
Lutz Lehmann löst Dieter Zauft als Vorsitzender in Brandenburg ab 9
Bericht über Tätigkeiten und Erfolge der pränormativen Initiativen PRB und PiN 10
„Ingenieurforum Tragwerksplanung“ der Prüfingenieure Sachsen-Anhalt in Halle 14
Arbeitstagung der Prüfingenieure Baden-Württemberg Ende Juni in Baden-Baden 14
Besuch aus Weißrussland in der BVPI-Geschäftsstelle in Berlin 14
vpi-EBA-Vorsitzender Dr. Dietmar H. Maier wurde 60 Jahre 15
BÜV-Leitfaden für Wiederkehrende Bauwerksprüfungen im Hochbau 15
21. Bautechnisches Seminar in NRW mit höchst aktuellen Referaten 16
Ehrenpräsident Dr. Hans-Peter Andrä wurde 65 Jahre 17
Bericht aus dem Deutschen Institut für Bautechnik 18
Gundolf Pahn zum Leiter des Technischen Koordinierungsausschusses gewählt 19
BRÜCKENBAU
Dr.-Ing. Gero Marzahn: Die Tragfähigkeitsreserven vieler älterer Brücken sind
weitgehend aufgebraucht – Zur Weiterentwicklung der Nachrechnungsrichtlinie
für die Entscheidung über Verstärkung oder Ersatz 20
BRANDSCHUTZ
Prof. Dr.-Ing. Jürgen Wesche: Brandschutztechnische Bewertung und Ertüchtigung von
Geschossdecken und vertikalen Bauteilen im Bestand – Ergebnisse wissenschaftlicher
Untersuchungen weisen der Praxis neue Wege zu sicheren Nachweisen 30
BRANDSCHUTZ
Dr.-Ing Ekkehard Richter: Brandschutztechnische Bemessung von Stahlbetonstützen
nach Eurocode 2 Teil 1-2 (DIN EN 1992-1-2) – Nachweise sind auch mit
vereinfachten und mit allgemeinen Rechenverfahren möglich 37
GEOTECHNIK
Prof. Dr.-Ing. Rolf Katzenbach et. al.: Die Berücksichtigung und Modellierung
der Interaktion zwischen Baugrund und Tragwerk ist für die Standsicherheit und
Gebrauchstauglichkeit der Konstruktion von entscheidender Bedeutung 44
HOCHWASSERSCHUTZ
Dr.-Ing. Uwe Müller: Methodische und ingenieurmäßige Leistungen für ein
integriertes Hochwasserrisiko-Management – Bestandsaufnahme und Überblick
zehn Jahre nach dem Jahrhunderthochwasser 2002 in Sachsen 63
TRAGWERKSPLANUNG
Dipl. Ing. Stefan Keck: Beispiel Automobilindustrie: Bauen im Umfeld der Produktion
und Standsicherheit im Betrieb – Unter Produktionaspekten realisierte Gebäude
werden auf Gebrauchstauglichkeit getrimmt und regelmäßig überprüft 70
Titelfoto: Craig Cozart/iStockphoto
HAFTUNG
Dr. jur. Christoph Steiner: Hoheitlich oder privat? Wo beginnt die rechtliche Grenze
der privaten bautechnischen Prüfungen? – Die Privatisierung erscheint
dann unzulässig, wenn bestimmte Schwächungstatbestände auftreten können 78
IMPRESSUM 80
Und wie ist es mit dem Bausektor bestellt? Gerade erst haben in Ban- Und was unterscheidet jene Menschen, die andere mit Lebensmitteln
gladesch über tausend Menschen beim Einsturz eines Fabrikgebäudes versorgen oder an der Errichtung und der Erhaltung unserer Infrastruk-
ihr Leben verloren. Dessen Grund waren keine Explosion und auch tur beteiligt sind, von denen, die Bankdienstleistungen erbringen? Sie
alle müssen sich unter Marktbedingungen behaupten; die aber wer- von der Wirtschaftlichkeit der Angebote und der Vollständigkeit der
den, insbesondere am Bau, auch in der Bundesrepublik Deutschland Leistungserbringung zu überzeugen.
wesentlich von der Art und Weise bestimmt, mit der Planungs- und
Bauleistungen vergeben werden. Ohne wirksame Prüfungen und ohne Kontrollen wächst die Gefahr,
dass Grenzen überschritten und Regeln verletzt werden. Das ist allge-
Entscheidend für Vergaben, auch der öffentlichen Hand, ist nun einmal mein bekannt.
der Preis, und wen wundert es: Jeder Bieter weiß das und jeder holt –
nach immer gleichem Schema – für alles, was er selbst nicht hat oder In welchem Maße dadurch die Sicherheit und Ordnung des öffentli-
nicht für weniger Geld anbieten kann, Angebote von Subunterneh- chen Lebens beeinträchtigt werden können, ist bei den oben erwähn-
mern ein. Bei der Auswahl der Subunternehmerleistungen kommt kei- ten Unglücksfällen deutlich geworden.
ner der Bieter an dem dafür jeweils billigsten Angebot vorbei, denn er
muss damit rechnen, dass auch jeder seiner Mitbewerber gerade die- Warum ist nach dem Einsturz der Eissporthalle in Bad Reichenhall die
ses in sein Angebot mit einbeziehen wird. Nachfrage nach regelmäßigen Überprüfungen von Hochbauten ei-
gentlich deutlich angestiegen?
Das ist nicht neu. Neu sind aber die zunehmend zu beobachtenden ne-
gativen Auswirkungen des Personalabbaus bei den Bauverwaltungen. Doch nicht, weil die Verkehrssicherungspflicht der Eigentümer und
Davon betroffen sind die Vergabestellen ebenso wie die staatliche Bauherrn so selbstverständlich wahrgenommen würde, wie sie als
Bauaufsicht. Das waren und sind, wie wir wissen, die Stellen, die regu- gesetzliche Pflicht besteht, sondern wegen des bekannten „Reueef-
lierend wirksam werden könnten, wenn sie denn ausreichend mit den fektes“, wie ihn alle Verkehrsteilnehmer nach einem Unfall oder einer
erforderlichen Fachkräften besetzt wären. „Blitzerfalle“ kennen, der übrigens im Laufe der Zeit wieder abnimmt.
Solange das nicht so ist, solange wettbewerbswidriges Verhalten bei Die eingangs gestellte Frage aber, ob die Bauaufsicht einen Rettungs-
den Anbietern von Bau- und Planungsleistungen nicht rechtzeitig er- schirm braucht, können wir beantworten mit: Die Bauaufsicht ist der
kannt und nachgewiesen werden kann, haben diejenigen das Nachse- Rettungsschirm unseres Bauwesens, braucht dazu allerdings wieder
hen, die von einem fairen Wettbewerb ausgehen und sich an die Re- die Effektivität aus der Vergangenheit!
geln halten.
Nachdem die Bauaufsicht in den vergangenen Jahrzehnten immer
Der enorme Beschäftigungsrückgang im Bauwesen, der in der zweiten mehr der Deregulierung unterworfen wurde, ist es deshalb höchste
Hälfte der 90er Jahre begann, ist ja nur scheinbar vorbei. Jeder von Zeit, sie wieder ihrer originären Aufgabe zuzuführen und mit den erfor-
uns kann gestandene und gut geführte Firmen nennen, die seitdem derlichen Ressourcen auszustatten, denn nur diejenigen Gesetze und
aufgegeben haben. Das alles kann nicht nur mit der sinkenden Nach- Regeln sind wirkungsvoll, deren Einhaltung auch kontrolliert wird.
frage erklärt werden. Es sind auch die veränderten Rand- und Markt-
bedingungen, unter denen Leistungen am Bau heute vergeben und
überwacht werden, die ihre Spuren hinterlassen.
Es geht hier nicht um die Frage, ob früher alles besser war. Es liegt in
der Natur des Menschen und ist sein großer Vorteil, dass er Verände-
rungen erkennen und sich auf sie einstellen kann. Bleiben die Rah-
menbedingungen wie sie sind, werden wir wohl auch künftig Ereignis-
se beklagen müssen, bei denen die Gier Einzelner zu schwerwiegen-
den Folgen für die Gesellschaft führt. Das mag sich auf Einzelfälle be-
schränken.
Es bleiben der Druck auf die Anbieter auf der einen Seite und die nach-
lassenden Fähigkeiten der Vergabestellen auf der anderen Seite, sich
Der Stand der Aktivitäten in Sachen (prä)nor- Die verantwortungs- und fachlich anspruchsvolle pränormative Arbeit der Praxisinitiative Nor-
mativer Arbeiten auf den verschiedenen Ebe- mung (PiN) wird in Berlin beim Verband Beratender Ingenieure VBI auch im Namen der BVPI
nen wird nachfolgend aufgezeigt. von Dr.-Ing. Ines Prokop und Dipl.-Ing. Christian Klein besorgt.
2 Praxisinitiative Normung PiN – teren unterstützen sie die Projektgruppenlei- mung finanziell. Die Höhe des Sonderbeitra-
Neuigkeiten ter der PG 1 und der PG 3 der PRB sowie die ges richtet sich nach der Größe des Büros.
Für die Stärkung der Position aller praktisch ehrenamtlich tätigen Ingenieurvertreter von Die Normungsaktivitäten der Ingenieure kön-
tätigen Bauingenieure in den nationalen und BVPI und VBI in den Normungsgremien und nen aber langfristig nur durch eine noch brei-
europäischen Normungsgremien haben, wie in den Projektgruppen. Mit Prof. Dr.-Ing. tere finanzielle Beteiligung gesichert werden.
bereits erwähnt, die BVPI und der VBI vor et- Wolfram Jäger (Dresden), dem Vorsitzenden
wa zwei Jahren die Praxisinitiative Normung der Landesvereinigung der Prüfingenieure für Eines steht fest: Wenn wir uns als Ingenieure
(PiN) ins Leben gerufen. Sie ist die Bündelung Bautechnik in Sachsen, sowie Dr.-Ing. Hans nicht proaktiv in das Normungsgeschäft ein-
und gemeinsame Vertretung der Interessen Scholz (WTM ENGINEERS Berlin) stehen den bringen, wird die dritte Normengeneration
von beratenden, planenden und prüfenden beiden Mitarbeitern zwei erfahrene Berater der Eurocodes unter Umständen noch praxis-
Ingenieuren in Sachen Normung. PiN vertritt von BVPI und VBI zur Seite. Für den Erfolg der ferner sein, als es die aktuell gültigen Euro-
die Ingenieure in der PRB. Praxisinitiative Normung sind jedoch noch code-Fassungen sind. Langfristig werden
mehr aktive Mitstreiter willkommen und sehr kleine Büros, die für das deutsche Bauinge-
Für die Professionalisierung der Normungsar- gefragt. Neben der tatkräftigen Unterstüt- nieurwesen so typisch sind, nur überlebens-
beit durch PiN war im November 2011 Dr.- zung durch die Mitglieder von VBI und BVPI fähig und in allen Fachbereichen tätig sein
Ing. Florian Bodensiek beim VBI eingestellt ist die finanzielle Sicherung der beiden Mitar- können, wenn die Normen für den konstruk-
worden. Dessen Arbeit wird seit Oktober letz- beiterstellen und der Ingenieuraktivitäten tiven Ingenieurbau praxisgerecht sind. Damit
ten Jahres durch zwei vom VBI angestellte ganz wesentlich. die Baupraktiker in den Normungsgremien
und gemeinsam mit der BVPI finanzierte ihren Einfluss ausbauen können, muss der
neue Mitarbeiter fortgeführt und intensiviert. Die angestrebte Professionalisierung der Nor- Anteil der praktizierenden Bauingenieure in
Diese sind Dipl.-Ing. Christian Klein und Dr.- mungsarbeit ist ohne erhöhte finanzielle Auf- der Normungs-Triade aus Bauaufsicht, Wis-
Ing. Ines Prokop (Kontakt per E-Mail: wendungen nicht zu leisten. Seit 2011 unter- senschaft und Baupraxis wieder, wie ur-
[email protected] bzw. [email protected], Telefon: stützen die Mitglieder von BVPI und VBI die sprünglich vorgesehen, ein Drittel betragen!
030/26062-281 oder -280). pränormative und normative Arbeit pekuniär. Aber nicht nur das Dabeisein ist wichtig, son-
Die Sonderumlage zur Finanzierung der BVPI- dern vielmehr die aktive Einflussnahme und
Was leisten diese zwei hauptamtlichen Mit- Aktivitäten wurde auf der Mitgliederver- Mitwirkung ist ein maßgebender Eckpfeiler
arbeiter für BVPI und VBI in Sachen Nor- sammlung der Bundesvereinigung der Prüfin- für den Erfolg unserer Initiative.
mung? Erste Voraussetzung für den Erfolg genieure im September 2012 in Dresden er-
der praktisch tätigen Ingenieure in der Nor- neut thematisiert und zur Abstimmung ge- 3 Aktivitäten von PraxisRegelnBau PRB
mung ist die nationale und internationale bracht, weil der Mitgliederbeschluss von Um die pränormative Forschungsarbeit in der
Vernetzung der Akteure. Dazu ist eine enge 2010 lediglich für die Jahre 2011 und 2012 PRB finanziell abzusichern, was Vorausset-
Anbindung der beiden Mitarbeiter an die Ver- galt. Nach einer lebhaften und engagierten zung für eine erfolgreiche Normungsarbeit
bandsaktivitäten und an deren Mitglieder Diskussion wurde mit deutlicher Mehrheit ist, wurden im Sommer 2012 von den Pro-
notwendig. Neben der intensiven Mitarbeit beschlossen, eine jährliche Sonderumlage in jektgruppen PG 1 (Grundlagen und Einwir-
in der Projektgruppe 1 (PG 1, Grundlagen Höhe von 400 Euro pro Mitglied für die Jahre kungen), PG 2 (Stahlbeton), PG 3 (Stahlbau)
und Einwirkungen) und der Projektgruppe 3 2013 bis 2017 zu erheben. Beim VBI unter- und PG 6 (Geotechnik) im Rahmen der For-
(PG 3, Stahlbau) der PRB sollen die neuen stützen insbesondere die Mitglieder der schungsinitiative „Zukunft Bau“ des Bundes-
Mitarbeiter persönlich in den nationalen Nor- Fachgruppe „Konstruktiver Ingenieurbau“ ministeriums für Verkehr, Bau und Stadtent-
mungsgremien (NABau) tätig sein. Des Wei- auf freiwilliger Basis die Praxisinitiative Nor- wicklung (BMVBS) Zuwendungsanträge ge-
Ungefähr 60 Ingenieurinnen und Ingenieure haben im Gebäude des Deutschen Instituts für Bautechnik in Berlin im November an der Tagung teil-
genommen, mit der die einzelnen Projektgruppen der Initiative Praxisgerechte Regelwerke im Bauwesen (PRB) über ihre pränormativen Ziele und
über ihre konkreten Arbeitsergebnisse berichtet haben.
stellt. Gemäß den Ende September 2012 er- dings noch ohne Beschluss. Im CEN/TC 250 Durchsetzung der Vereinfachungen auf euro-
teilten Zuwendungsbescheiden erhält jede hat eine erste Revision des EC 0 bereits ihren päischer Ebene ein wesentlicher Vorteil.
der vier Projektgruppen ein Förderbudget Abschluss gefunden, die die Grundlage für
von maximal 150.000 Euro über 24 Monate. die bevorstehende Überarbeitung aller Euro- Die PG 2 (Stahlbeton) hat die Überarbeitung
Jedem geförderten Euro steht etwa 1 Euro codes darstellt. Eine deutsche Beteiligung der Themen Querkraft und Torsion abge-
aus PRB-Mitteln gegenüber. Zu beachten ist gab es hier bis Mitte 2012 nicht. Prof. Wolf- schlossen. Ein wichtiges Arbeitspaket in 2012
dabei, dass ausschließlich pränormative Ar- ram Jäger ist dort seit jüngstem aktiv, wobei war die Auswertung der Nationalen Anhänge
beiten durch das BMVBS gefördert werden. es sich gezeigt hat, dass die Durchsetzung als eine Voraussetzung für die Weiterent-
Der Antrag der PG 5 (Mauerwerksbau) wurde der Leitplanken der PRB [3] auf europäischer wicklung des EC 2. Wichtige Ergebnisse der
nachgereicht und ist auch bereits genehmigt. Ebene nicht so einfach ist und noch besonde- PG 2 werden im nachfolgenden Kapitel 4
rer strategischer Überlegungen bedarf. zum CEN/TC 250 dargestellt.
Die Projektgruppen PG 1 (Grundlagen und
Einwirkungen), PG 2 (Stahlbeton) und PG 6 In Europa gibt es Bestrebungen, den bisher Die PG 3 (Stahlbau) hat mit teilweise neuer
(Geotechnik) haben in den vergangenen informativen Anhang B langfristig in einen Besetzung ihre Arbeiten seit diesem Jahr in-
Monaten intensiv gearbeitet und umfangrei- normativen Status zu erheben. In der augen- tensiviert. Hervorzuheben ist die nun ver-
che Vereinfachungsvorschläge vorgelegt. Die blicklich überarbeiteten und erweiterten stärkte Beteiligung von beratenden und prü-
PG 5 (Mauerwerksbau) hat sich konstituiert, Form besteht die Gefahr, dass das deutsche fenden Ingenieuren in der PG 3. Auf der
erste Vorschläge zur Straffung erarbeitet und Vier-Augen-Prinzip auf europäischer Ebene 8. Sitzung des Lenkungsausschusses der PRB
die pränormativen Forschungsschwerpunkte ausgehebelt werden könnte und deutschen berichtete Prof. Dr.-Ing. Ulrike Kuhlmann über
definiert. Am 22. November 2012 fand die Politikern auch national dazu Anlass gegeben die anstehende Weiterentwicklung des EC 3.
erste größere öffentliche Informationsveran- wird. Hier ist von deutscher Seite besonders Sie hat die Leitung des CEN/TC 250/SC 3 inne
staltung über die Arbeit der PRB beim Deut- Obacht zu geben. Dieser Tendenz muss aktiv und tat das sowohl aus europäischer als auch
schen Institut für Bautechnik in Berlin statt. entgegengewirkt werden. Jäger sieht aber aus nationaler Sicht. Kuhlmann war der PRB
Etwa 60 Teilnehmer verfolgten die Arbeitsbe- aufgrund der intensiven Gespräche in den gegenüber sehr zugewandt und erhofft sich
richte der einzelnen Projektgruppen mit gro- letzten Monaten doch noch Chancen, die eine gute interaktive Zusammenarbeit. Die-
ßem Interesse. Entwicklungen im Sinne der Ingenieure in der ses Potential muss genutzt werden.
bevorstehenden Phase der Überarbeitung zu
In der PG 1 wurde der EC 0 als Grundlagen- beeinflussen. Dazu wird jedoch eine mühsa- Die Mitarbeiter der PG 6 (Geotechnik) haben
norm redaktionell bearbeitet und Textkürzun- me Überzeugungsarbeit notwendig sein. ihre in vier Pakete aufgeteilten Arbeiten
gen auf ein Drittel des ursprünglichen Nor- schon recht weit vorangebracht. Das erste
mungstextes vorgenommen. Das Ergebnis Für den EC 1, Teil 1-1 (Nutzlasten), Teil 1-3 umfasst die Straffung und Überarbeitung der
hat in einem Entwurf für eine Neufassung im (Schnee) und Teil 1-4 (Wind) wurden eben- sieben Abschnitte des EC 7, Teil 2, und ist
Sinne der PRB seinen Niederschlag gefunden. falls redaktionelle Vereinfachungen erarbei- weitgehend abgeschlossen. Die Verbesse-
Die textlichen Veränderungen wurden dem tet. Die enge personelle Vernetzung der Mit- rungsvorschläge wurden im DIN den zustän-
Spiegelausschuss übergeben und dort bereits glieder der PG 1 in den nationalen und euro- digen Arbeitsausschüssen des Normenaus-
teilweise vorgestellt und diskutiert, aller- päischen Normungsgremien ist hier für die schusses Bauwesen (NABau) bereits vorge-
Der angestrebte Zweck der Richtlinie ist breiter angelegt, als es die Erfahrungen im Umgang mit alten Brücken und auch Kenntnisse in
erste Ausgabe erwarten lässt. So soll der Rahmen der Nachweismög- den alten Normen, nach denen die Bauwerke seinerzeit geplant und
lichkeiten zukünftig um weitere, allgemein anerkannte und abgesi- gebaut wurden, sind verständlicherweise sehr von Vorteil. So lassen
cherte alternative Ingenieurmodelle erweitert werden. Dadurch wer- sich die Brücken vielfach von vornherein und unter Einbeziehung wei-
den dem Ingenieur weitreichende Möglichkeiten gegeben, den Be- terer Randbedingungen, die für die Brücke von Bedeutung sind, besser
stand besser zu erfassen und die erforderlichen Nachweise auf parallel einschätzen. Wie sich weiter unten zeigen wird, sind gerade auch die
geltendem Wege gleichrangig zu normativen Nachweisen führen zu Querbezüge zu den alten Nachweisformen eine wichtige Triebfeder für
können. die Fortentwicklung der Nachrechnungsrichtlinie.
Wenn signifikante Divergenzen zwischen Bestandsstatik und Nach- ■ Brücken mit einer kleineren Tragfähigkeit als Brückenklasse 60,
rechnung auftreten, sind die Gründe dafür zu ermitteln. Erfahrungsge- ■ Hohlkörperplatten,
mäß kann keineswegs immer davon ausgegangen werden, dass die ■ filigrane Verbundbrücken,
neu ermittelten Schnittgrößen qualitativ besser sind als die Schnittgrö- ■ Spannbetonplattenbalken mit sehr dünnen Stegen etc.
ßen der Bestandsstatik. Es hat sich teilweise herausgestellt, dass die
komplexen, modernen Berechnungsprogramme durchaus auch fehler- Andererseits gibt es aber auch eine Anzahl von Brückenbauwerken,
haft angewendet werden und nicht immer Praxiserfahrungen zur die durch die Zunahme des Schwerverkehrs nur unwesentlich beein-
Selbstkontrolle in ausreichendem Maße vorhanden sind. flusst werden. Dazu gehören beispielsweise kleinere überschüttete
Bauwerke. Durch die hohe Erdauflast sind Verkehrslasterhöhungen un-
Der Vorteil einer erneuten Ermittlung der Schnittgrößen bei einer tergeordnet und praktisch ohne Bedeutung für das Tragwerk. Die Zu-
Nachrechnung liegt vor allem darin, dass zum Beispiel die Lastquerver- kunftsfähigkeit dieser Brücken leitet sich allein von ihrem Erhaltungs-
teilung von Einzel- und Linienlasten in den Fahrbahnplatten oder auch zustand ab. Ähnliche Erfahrungen liegen auch mit Brücken kleinerer
die Profilverformung von Plattenbalken- oder Hohlkastenquerschnit- Spannweite vor, die zum Teil nur durch Einzelachsen belastet werden.
ten, Krümmungen des Überbaus im Grundriss, die Einflüsse einer
Schiefwinkligkeit von Plattenbrücken, die Berücksichtigung der Mit- Eine vorhergehende Unterteilung der Bauwerke in sogenannte Bau-
wirkung aller Querträger, Lisenen sowie realistische mitwirkende Brei- werks- oder Brückenfamilien wäre hilfreich, um den Aufwand für die
ten erfasst werden. Selbstredend steigt mit einer detaillierteren Abbil- Nachrechnung reduzieren zu können und dennoch nicht unwirtschaft-
dung des Tragmodells der Rechenaufwand, aber durch diese Schritte lich zu agieren. Hierzu soll eine Parameterstudie einfache und prakti-
lassen sich gegebenenfalls allein schon durch eine realistischere kable Lösungsansätze bereitstellen.
Schnittgrößenermittlung Reserven aufspüren.
Abgesehen von den oben beschriebenen Fällen zeigen sich bei den
2.4 Führen von Bemessungsnachweisen Nachrechnungen für die jeweiligen Bauarten von Brücken (Beton-,
Die Nachrechnung erfolgt in einem gestuften Verfahren. In der Stufe 1 Stahl- und Verbundbrücken) regelmäßig die gleichen und typischen
wird die ältere Brücke nach dem aktuell geltenden technischen Regel- Grundprobleme bei den Bemessungsnachweisen. Neben den höheren
werk gleich einem Neubau bemessen. Auch wenn die Nachweise in Verkehrslasten auf Brücken sind dafür veränderte Bemessungsformate
der Regel nicht erbracht werden können, lassen sich damit alle Defizi- und höhere Nachweisanforderungen ursächlich. Hier entsprechende
te im Vergleich zum heute üblichen Brückenstandard aufzeigen. alternative Nachweisverfahren anzubieten, ist eine Hauptaufgabe für
die Fortschreibung der Nachrechnungsrichtlinie, um die Erfolgsaus-
Es hat sich als sehr zweckmäßig herausgestellt, nach Vorliegen der Er- sichten einer Nachrechnung zu verbessern.
gebnisse für die Stufe 1 diese zu bewerten und erst danach die Nach-
rechnung fortzuführen. Da in Stufe 1 für alle Brücken der gleiche neu- 2.5 Bemessungsdefizite bei den Betonbrücken
trale Beurteilungsmaßstab angelegt wird, können erfahrene Projekt- Zirka 85 Prozent aller Brücken in Nordrhein-Westfalen sind in Beton-
verantwortliche bereits bei dieser Besprechung eine Plausibilitätskon- bauweise errichtet; mehr als die Hälfte davon ist in Spannbeton aus-
Das Problem ist erkannt. Gegenwärtig wird mit Hochdruck an einer Andere typische Defizite sind unter anderen:
Lösung gearbeitet; mehrere Forschungsvorhaben wurden dazu von der
BASt initiiert. Weiter unten soll darauf etwas näher eingegangen wer- ■ ungenügende Beulsicherheit der Stege und der gedrückten Gurte
den. von Kastenträgern,
■ teilweise ungenügende Biegedrillknicksicherheit der Untergurte im
Erkenntnisse der Nachrechnung sind aber auch die, dass bei älteren Innenstützenbereich,
Spannbetonbrücken durchaus nicht selten Baufehler festzustellen ■ Verwendung teilweise ungeeigneter Baustähle (hoher Verunreini-
sind, die hauptsächlich die komplexe Querkraft- und Torsionsabtra- gungsgrad) etc.
gung betreffen. Teilweise enthält die Bestandsstatik grobe Berech-
nungsfehler, oder es wurden für die Schubabtragung unwirksame Be- Des Weiteren wurden bis zur Einführung der DIN-Fachberichte im Stra-
wehrungskonstruktionen vorgesehen. So enden die Schubzulagen oh- ßenbrückenbereich keine Betriebsfestigkeitsnachweise geführt. An-
ne ausreichende Verankerungsmöglichkeit in halber Steghöhe oder die stelle eines rechnerischen Nachweises sollten Konstruktionsregeln die
Torsionsbügel sind nicht geschlossen. In diesen Fällen ist es bei der Ermüdungssicherheit herstellen, die jedoch aus heutiger Sicht zumin-
Nachrechnung kaum noch möglich, einen Nachweis zu erbringen oder dest teilweise als unzureichend eingestuft werden müssen. Dazu ge-
eine wirtschaftliche Verstärkungsmaßnahme zu entwerfen [6]. hören auch die Qualitätsanforderungen von Schweißverbindungen,
deren Ausführungsqualität kaum eine sichere Zuordnung zu Kerbgrup-
2.6 Bemessungsdefizite bei den Stahl- und Stahlverbund- pen in der Nachrechnung ermöglicht. Ähnlich den Betonbrücken sind
brücken in den Betonfahrbahnplatten keine ausreichenden Mindestbeweh-
Auch der Stahl- und Stahlverbundbrückenbau ist durch eine stellen- rungsgrade vorhanden, die Betondeckung ist zu gering ausgeführt
weise rasante Entwicklung, insbesondere in der Verbindungstechnik, oder Zwangsbeanspruchungen, zum Beispiel Schwindverformungen
gekennzeichnet. Häufige Anpassungen an den Stand der Technik führ- oder Temperatureinflüsse, sind nicht ausreichend eingerechnet.
ten zu einer Vielzahl von sich stetig ändernden Normen oder anderer
Regelwerke, sodass ein sehr heterogenes Bild entsteht. Insbesondere Bei älteren Stahl- und Verbundbrücken ist in der Regel eine kurzfristige
neue Regelungen für die Berechnungsverfahren, die Stabilitätsnach- Tragwerksverstärkung notwendig, damit als Ergebnis der Nachrech-
delle untereinander durchzuführen, sondern ein Vergleich der Verkeh- 3.3 Entwicklungsperspektiven der Nachrechnungsrichtlinie auf
re, die in der Nachrechnungsrichtlinie den Ziellastniveaus hinterlegt der Widerstandsseite
sind. Für die Nachrechnungen wäre mit dieser Lösung ein Vorteil durch In fast allen Nachrechnungen von Bestandsbauwerken zeigt sich, dass
weniger Rechengänge und eine vereinfachte Lastüberlagerung gege- den heutigen Belastungen die Brücken oftmals keinen ausreichenden
ben; für die Straßenbauverwaltung läge der Vorteil in der Vergleichbar- rechnerischen Tragwiderstand mit der erforderlichen Zuverlässigkeit
keit von Tragfähigkeiten unterschiedlicher Brückengenerationen. entgegensetzen können. Die Ursachen sind sehr vielfältig, finden sich
in geänderten Bemessungskonzepten, veränderten Rechen- und Last-
Eine Annäherung der Nachrechnungsregeln an europäische Entwick- annahmen, veränderten Baugewohnheiten, gegebenenfalls aber auch
lungen hätte darüber hinaus den Vorteil, dass man sich in der Nach- in Rechenfehlern in der Originalstatik etc. Dennoch werden teilweise
rechnung nicht nur dem Stand der Technik anpasst, sondern sich auch vorhandene Tragreserven nicht genutzt oder dürfen nicht genutzt wer-
Gestaltungsmöglichkeiten im Rahmen europäischer Nachrechnungs- den, weil diese normativ nicht zugelassen sind. Hierauf zu reagieren
normen sichert. Ein entsprechendes Forschungsvorhaben ist kürzlich ist ebenfalls Aufgabe der Nachrechnungsrichtlinie, weil für Bestands-
durch die BASt beauftragt worden. bauwerke eigene Regeln gelten können. Dieser Thematik wird augen-
blicklich sehr viel Energie und Fleiß gewidmet, um für die dringends-
3.2.2 Ersatzlasten für Anprall auf und unter der Brücke ten Probleme auf der Widerstandsseite, möglichst kurzfristig – gege-
Ein weiteres Feld, welches im Rahmen der Fortschreibung der Nach- benenfalls auch vor Veröffentlichung der 2. Ausgabe der Nachrech-
rechnungsrichtlinie bearbeitet wird, betrifft die Festlegung auf Ersatz- nungsrichtlinie – den Straßenbauverwaltungen und den Ingenieuren
lasten für Anprall auf und unter der Brücke. Gegenwärtig trifft die ein erweitertes Instrumentarium an die Hand zu geben.
Nachrechnungsrichtlinie dazu keine Aussagen. Dies hat zur Folge, dass
bei Nachrechnungen oder auch nur bei einem Neuaufbau der Kappen Die Formulierung alternativer Querkraftnachweise von Spannbetonbrü-
auf bestehenden Bauwerken die Ersatzkräfte nach DIN-Fachbericht cken steht gegenwärtig im Fokus der Diskussion. In der Regel liegt es an
101 [11] und zukünftig des Eurocodes 1 [15], [16] anzuwenden sind. zu geringer Querkraftbewehrung, die einen „normativen“ Nachweis
nach dem geltenden Regelwerk nahezu unmöglich machen. Teure
Hierbei ist festzustellen, dass die normativen Anpralllasten auf Schutz- Schubverstärkungen oder gar Ersatzneubauten sind die Folge. Könnte
einrichtungen sich von ehemals 100 kN (Brückenklasse 60) auf 400 kN man die vorhandene Tragfähigkeit des Betons rechnerisch berücksichti-
(Beanspruchungsklasse C) beziehungsweise maximal 600 kN (Bean- gen oder gar ein gänzlich anderes, ingenieurmäßig abgesichertes Trag-
spruchungsklasse D) deutlich erhöht haben. Die in der aktuellen Fas- modell in Ansatz bringen, zum Beispiel ein Sprengwerk oder einen
sung des DIN-Fachberichtes 101 vorgegebenen Lasten stellen also ei- Druckbogen, ließen sich gegebenenfalls viele Bauwerke wirtschaftlich
ne Herausforderung insbesondere im Zuge von Brückeninstandsetzun- erhalten. Entsprechende Forschungsvorhaben wurden von der BASt ini-
gen dar, weil das Bauwerk einschließlich seiner Kappenverankerung tiiert, die zumindest teilweise kurzfristig abgeschlossen werden können.
ursprünglich für wesentlich geringere Lasten ausgelegt wurde. Eine
Nachrechnung oder eine Kappenerneuerung mündet daher nicht sel- Der Berücksichtigung einer Betonzugfestigkeit kommt dabei eine be-
ten in umfangreiche Nachrüstungen des Kragarms und der Kappen- sondere Bedeutung zu, weshalb im Folgenden näher darauf eingegan-
schlussbewehrung. gen werden soll. Interessanterweise lassen sich vielfach Parallelen zur
seinerzeitigen Bemessungsphilosophie ziehen.
Diesen Umstand aufgreifend hat die BASt ein Forschungsvorhaben mit
dem Ziel initiiert, die rechnerischen Grundlagen sowohl für die Kap- 3.3.1 Nachweis der Querkrafttragfähigkeit von Spannbeton-
penverankerung als auch für die Kragarmbemessung mit Hilfe von FE- trägern
Modellen genauer abzubilden und die Lastvorgaben nach DIN-Fachbe- Ältere Spannbetonbrücken weisen im Vergleich mit heutigen Brücken
richt 101 zur Berücksichtigung von Anpralllasten auf Schutzeinrichtun- häufig sehr geringe Querkraftbewehrungsgrade auf, die in der Nach-
gen anhand von Versuchsergebnissen von Anfahrversuchen zu verifi- rechnung nach heutigen Verfahren zu erheblichen Bewehrungsdefizi-
zieren. ten führen können. Das verwundert nicht, da die Bemessungsergeb-
nisse auf Grund der häufigen Änderungen der Nachweiskonzepte in
Das Vorhaben ist noch nicht abgeschlossen, aber es wird angestrebt, der Entwicklung des Spannbetonbaus nicht direkt vergleichbar sind.
die Ergebnisse möglichst kurzfristig in die Nachrechnungsrichtlinie zu So hat sich nicht nur die Querkraftbeanspruchung auf Grund gestiege-
implementieren. ner Verkehrslasten erhöht, sondern die Nachweiskonzepte selbst ha-
Diese Erkenntnis regte an, sich mit den älteren Nachweiskonzepten in- ■ C20/25: ρw = 1,6 · 0,070 = 0,11%
tensiver zu beschäftigen, um insbesondere für die Bestandsbrücken ■ C30/37: ρw = 1,6 · 0,093 = 0,15%
Reserven zu aktivieren, die für den Neubau verständlicherweise nicht ■ C40/50: ρw = 1,6 · 0,112 = 0,18%.
berücksichtigt werden.
Die Mindestquerkraftbewehrung deckt die Schubrisslast mit einfacher
Die Querkraftbemessung bei Ausgabe der ersten Spannbetonnorm DIN Sicherheit (γs = 1,0) ab. Damit soll ein schlagartiges Versagen der Bü-
4227:1953-10 [17] beruhte auf dem Hauptzugspannungskriterium. gel durch innere Kraftumlagerung beim Übergang vom ungerissenen
Danach musste bis zu einem bestimmten Grenzwert der Hauptzugs- in den gerissenen Zustand vermieden werden.
pannungen unter rechnerischen Bruchlasten im ungerissenen Zustand
(Zustand I) keine rechnerisch erforderliche Schubbewehrung eingelegt Obwohl die Nachweiskonzepte nicht direkt miteinander vergleichbar
werden, weshalb damit der Höhe der Vorspannung, als Einflusspara- sind, erlauben die Mindestquerkraftbewehrungsgehalte einen Ver-
meter auf die Hauptspannungen, eine bestimmende Bedeutung zu- gleich untereinander. So sind in Abb. 2 die Mindestbewehrungsgehal-
kam. Auf eine Angabe von Mindestbewehrung war verzichtet worden, te ρw,min ab 1966 in Abhängigkeit der charakteristischen Zylinder-
sodass es dem Ermessen des Konstrukteurs überlassen wurde, ent- druckfestigkeit fck,cyl150 dargestellt. Es ist ersichtlich, dass mit Anwen-
sprechende Bügel vorzusehen. Aus wirtschaftlichen Erwägungen war dung der Normen ab 1966 die geforderte Mindestquerkraftbewehrung
daher die Vorspannung immer so hoch gewählt worden, dass die für gegliederte Querschnitte mit vorgespanntem Zuggurt (Schrägriss-
Hauptzugspannungen klein genug blieben und keine rechnerisch er- bildung im Steg) sogar nach DIN Fachbericht 102 [9] eingehalten ist.
forderliche Bügelbewehrung eingebaut werden musste (Abb. 1). Für allgemeine Querschnitte (Biegeschubrissbildung) werden die Ver-
hältnisse noch günstiger. Es kann folglich davon ausgegangen wer-
den, dass bei Bauwerken, welche nach 1966 erbaut und nach den da-
mals gültigen Regelwerken bemessen worden sind, keine Probleme
durch fehlende Mindestquerkraftbewehrung auftreten werden.
In der Folge können für Brücken aus jener Zeit erhebliche Defizite in
der Querkrafttragfähigkeit bestehen, weil die Betonzugfestigkeit nach
heutigen Bemessungskonzepten nicht ausgenutzt werden darf.
Die Klammerwerte für ρ ergeben sich durch Umrechnung der Streck- Mit Einführung des DIN Fachberichts 102 entfiel die Zone a, und eine
grenzen auf einen Betonstahl BSt 500S mit dem Faktor 420/500 = Beteiligung des Betons am Lastabtrag wurde generell vernachlässigt;
0,84. ein Umstand, der für Bestandsbrücken so nicht aufrecht erhalten wer-
Prof. Dr.-Ing. Jürgen Wesche Die am konkreten Objekt Beteiligten sind häufig verunsichert und fra-
gen sich, wie sie zum Beispiel die Geschossdecken bewerten sollen, sie
studierte das Bauingenieurwesen an der TU in Braunschweig, trat gehen dann auf die sichere Seite und rüsten die Decken so nach, dass
– nach einigen Jahren praktischer Ingenieurarbeit – 1970 der Ma- sie den Vorgaben von DIN 4102-4 für eine Einstufung in F 90 entspre-
terialprüfanstalt für das Bauwesen (MPA) in Braunschweig bei chen beziehungsweise Nachrüstmaßnahmen anwenden, für die ent-
und wurde dort Leiter der Abteilung Brandschutz und 1995 stell- sprechende Anwendbarkeitsnachweise vorliegen.
vertretender Direktor und Mitglied des Vorstandes; Wesche hat
sich bis 2010 maßgeblich an der Entwicklung der Brandschutz- Es hat sich aber gezeigt, dass auch andere Wege zu der Beurteilung
Normung beteiligt, beispielsweise als Obmann der DIN 4102-4 von Geschossdecken und vertikalen Bauteilen im Bestand gangbar
(NaBau 00.34.04) und als Obmann der DIN 4102-2 und des Spie- sind. Es ist in vielen Fällen denkbar, Bestandsschutz zu reklamieren,
gelausschusses CEN TC 127 (NaBau 00.34.02), gleichzeitig wirkte wobei zu überprüfen ist, ob die Bauteile den Vorgaben zum Zeitpunkt
er in verschiedenen Sachverständigenausschüssen des Deutschen der Errichtung entsprachen. Es ist aber auch möglich und zulässig, den
Instituts für Bautechnik und in der Projektgruppe Brandschutz der
Fachkommission Bauaufsicht mit; 2005 ließ Wesche sich in Lever-
kusen als Beratender Ingenieur der Ingenieurkammer Nordrhein- *Der Artikel basiert auf einem Vortrag des Autors auf dem 21. Bau-
Westfalen nieder, und er lehrte nach seiner Pensionierung 2006 technischen Seminar NRW, das die Landesvereinigung der Prüfinge-
noch bis 2010 als Honorarprofessor für „Brandschutz im Be- nieure in Nordrhein-Westfalen, das Ministerium für Bauen, Wohnen
stand“ an der TU Braunschweig. und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen, der Landesverband
[email protected] NRW im Verband Beratender Ingenieure VBI und die Ingenieurkam-
mer-Bau NRW am 7. November 2012 in Ratingen veranstaltet haben.
Wichtig ist bei der Bewertung der Geschossdecken, dass immer das
konkrete Bauwerk zugrunde gelegt wird, da die Randbedingungen va-
riieren, insbesondere in statischer Hinsicht, aber auch bezogen auf die
konstruktiven Einflüsse. An einigen Beispielen soll das dargestellt wer-
Abb. 5: Verformungen statisch gleicher Decken den.
In einem Bauvorhaben wurden unterschiedliche Geschossdecken scher Sicht sind beide Decken gleichwertig, da die Rippenbreiten und
(Abb. 8 und Abb. 9) eingebaut, deren brandschutztechnische Leis- alle weiteren Parameter der Rippendecke übereinstimmten, brand-
tungsfähigkeit erst genaue Untersuchungen offenbarten. Aus stati- schutztechnisch liegen jedoch Welten zwischen diesen beiden Kon-
struktionen, da die Schalkörper die Feuerwiderstandsdauer beeinflus-
sen.
Bei der Decke in Abb. 8 liegt die Stahlbetonrippe frei, und die Feuerwi-
derstandsdauer hängt unmittelbar von dem vorhandenen Achsab-
stand der Bewehrung in der Rippe ab. Im konkreten Fall wurde ein
Achsabstand von zwanzig Millimetern ermittelt, der unter Berücksich-
tigung des vorhandenen Einbauzustandes zu einer Feuerwiderstands-
dauer von annähernd sechzig Minuten führt. Ob sie ausreichend ist,
hängt von dem Brandschutzkonzept ab, in dem auch zum Beispiel an-
lagentechnischer Brandschutz mit angesetzt werden kann, bezie-
Abb. 8: Stahlbetonbalkendecke mit Füllkörpern (schließen an den Trä- hungsweise bei ähnlicher Nutzung im Vergleich zur Nutzung nach der
ger an) Errichtung des Bauwerks auch Bestandsschutz reklamiert werden
könnte.
Neben der Aussage, dass die Decke in Abb. 11 auch ohne Putz als feu-
erhemmende Decke bewertet werden kann (Aussage auf der Basis von
DIN 4102-4 und einer Auswertung der örtlichen Randbedingungen),
lohnt sich der Aufwand, genauer zu untersuchen, welchen Feuerwider-
stand die Stahlsteindecke ohne die Stahlträger erreicht. In Abhängig-
keit vom Deckenaufbau sind Feuerwiderstandszeiten von dreißig bis
neunzig Minuten möglich, was einen erheblichen Einfluss auf die Sa-
nierungskosten haben kann.
Alte Stahlbetonrippendecken wurden nach Abb. 12 bei einer Rippen- Abb. 14: Stahlbetondecke in einem alten Verwaltungsgebäude (Denk-
breite von zehn und einer Spiegeldicke von fünf Zentimetern mit einer malschutz)
Abb. 12: Querschnitt einer Stahlbetonrippendecke mit Schalkörpern Auch bei Geschossdecken entsprechend Abb. 14 ist eine detaillierte
Bestandsaufnahme einschließlich der Überprüfung der Bewehrungs-
führung erforderlich, zumal sehr häufig keine Pläne vorhanden sind.
Man muss nachweisen, dass unter Berücksichtigung eines Querabtra-
ges, der Randeinspannung und des vorhandenen Putzes gegebenen-
falls eine wesentlich längere Feuerwiderstandsdauer erreicht wird, als
es nach den Tabellen von DIN 4102-4 möglich erscheint und dass da-
mit die Decke erhalten bleiben kann.
zen wie die Stützen. Der Beton muss einer Festigkeitsklasse bis maxi-
mal C50/60 angehören. Für Stützen aus hochfestem Beton mit Festig-
keitsklassen über C50/60 muss der Nachweis der Feuerwiderstands-
klasse nach EC2-1-2, Abschnitt 6 geführt werden.
4
4
b’ k 3
= η 3 = c,m (7)
b k c (ΘM )
Damit lässt sich die Breite der geschädigten Zone bei Stützen und
Wänden, bei denen die Auswirkungen infolge Theorie 2. Ordnung be-
rücksichtigt werden müssen, durch die Gleichungen (8) und (9) aus-
drücken:
4 4
2az = b – b’ = b – b ⋅ η 3 = b ⋅ (1− η 3 ) (8)
4
4
b k c,m 3
Abb. 4: kc(Θ)- und kc(ΘM)-Verlauf für einen beidseitig brandbean- az = ⋅ 1− η 3 = w ⋅ 1− (9)
2 kc (ΘM )
spruchten Wandquerschnitt und verformtes Stabelement ds
Abb. 5: Rechenwerte der temperaturabhängigen thermischen Materi- Abb. 7: Temperaturabhängige Spannungs-Dehnungslinien von warm-
alkennwerte von Beton gewalztem Betonstahl (B500)
3.1 Allgemeines
Um ein praxisgerechtes, möglichst einfaches Nachweisverfahren für
brandbeanspruchte Stahlbeton-Kragstützen zu erhalten, wurden Trag-
Abb. 8: Thermische Dehnungen von Beton und Betonstahl lasten NR,fi,d,90 und Gesamtmomente Mtot,fi,d,90 für vier Standardfälle
programmgesteuert berechnet und in Bemessungsdiagrammen darge-
Zur Erfüllung der Gleichgewichts- und Verträglichkeitsbedingungen wer- stellt. Für Stützen, die durch die Standardfälle nicht abgedeckt sind,
den Querschnittsdehnungen ermittelt. Dafür wird angenommen, dass können die Standardwerte aus den Diagrammen mit Hilfe von Fakto-
zwischen Beton und Bewehrung voller Verbund besteht, in entlasteten ren umgerechnet werden [15].
Querschnittsteilen keine bleibenden Dehnungen auftreten, die Quer-
schnitte auch nach der Verformung eben bleiben (Bernoulli-Hypothese) 3.2 Standard-Diagramme
und die Dehnungen ε eines Querschnitts sich zueinander verhalten wie Die Standard-Diagramme gelten für Stahlbeton-Kragstützen
ihre Abstände z von der Dehnungs-Nulllinie, bei einachsiger Biegung
■ aus Normalbeton überwiegend quarzhaltiger Gesteinskörnung der
ε = ε0 + dε/dz · z = ε0 + k · z (14) Festigkeitsklasse C 30/37,
■ mit Querschnittsabmessungen h = 300 mm, h = 450 mm, h = 600
Die Querschnittsdehnungen setzen sich aus den Spannung erzeugen- mm und h = 800 mm,
den Dehnungen εσ und den thermischen Dehnungen εth zusammen ■ mit einlagiger Bewehrung aus Betonstahl B500, mit dem bezoge-
nen Achsabstand der Längsbewehrung u/h = 0,10 und dem geome-
ε = εσ + εth (15) trischen Bewehrungsverhältnis ρ = 2% und
■ bei vierseitiger Brandbeanspruchung.
Zur Spannungsermittlung aus den temperaturabhängigen Spannungs-
Dehnungslinien σ(εσ, θ) wird εσ benötigt Abb. 9 zeigt exemplarisch das Standard-Diagramm für den Quer-
schnitt mit h = 450 mm. In dem Diagramm sind für den Grenzzustand
εσ = ε – εth = εσ + k · z – εth (16) der Tragfähigkeit die Bemessungswerte der bezogenen Stützentraglast
νR,fi,d,90 (rechts) und des bezogenen Einspannmomentes am Stützen-
Die Dehnungsverteilung zur Erfüllung der Gleichgewichts- und Ver- fuß µtot,fi,d,90 (links) in Abhängigkeit von der Stützenschlankheit und
träglichkeitsbedingungen muss iterativ bestimmt werden. Das kann der Lastausmitte dargestellt. Der Nachweis für die Feuerwiderstands-
dadurch geschehen, dass angenommene Werte für die Randdehnun- klasse R 90 erfolgt entsprechend dem Flussdiagramm in Abb. 10.
gen εi und εa iterativ verbessert werden, bis der Dehnungszustand mit
εi und εa die vorgegebenen Schnittgrößen liefert; zur Beschleunigung In Abb. 10 werden im rechten Bildteil alternative Maßnahmen für den
des Iterationsprozesses können für den Dehnungszustand εi und εa Fall genannt, dass der Bemessungswert der Einwirkungen größer ist
Differenzenquotienten ∆N/∆εi und ∆M/∆εi sowie ∆N/∆εa und ∆M/∆εa als der Bemessungswert der Traglast νE,fi,d > νR,fi,d,90. Wenn durch die-
bestimmt und damit vorhandene Abweichungen dN und dM der se Maßnahmen oder eine andere Brandbeanspruchung der im oberen
Schnittgrößen durch Dehnungsänderungen dεi und dεa beseitigt wer- Teil der Abbildung angegebene Anwendungsbereich der Standard-Dia-
den (Gl. (18) und (19)).
∆N ∆N
dε + dε + dN = 0 (18)
∆εi i ∆ε a a
∆M ∆M
dε + dε + dM = 0 (19)
∆εi i ∆ε a a
NE,fi,d,t
k= (22)
NR,fi,d,90
Nach Abb. 11 muss für Faktoren ku > 1,0 der Achsabstand u in Abhän-
gigkeit von der Lastausmitte e1 im Vergleich zu den Standard-Dia-
grammen vergrößert (u > 0,10 · h) werden, wobei die Vergrößerung
für kleinere Lastausmitten zunimmt.
Für Faktoren ku < 1,0 kann der Achsabstand gegenüber dem Wert der
Standard-Diagramme verkleinert (u < 0,10 h) werden. In Abb. 11 ist
der Bereich für Faktoren ku < 1,2 grau hinterlegt, da dieser Bereich bei
Beachtung der Betondeckung nach DIN 1045-1, Abschnitt 6.3 in der
Regel nicht genutzt werden kann.
Dabei bedeuten: Abb. 11: Faktor ku für bezogene Achsabstände 0,05 ≤ u/h ≤ 0,15 und
kfi Faktor zur Berücksichtigung der Brandbeanspruchung (ein- dem Querschnitt h = 300 mm
oder dreiseitig)
ku Faktor zur Berücksichtigung des Achsabstandes (0,05 ≤ u/h
≤ 0,15) 4 Zusammenfassung
kC Faktor zur Berücksichtigung der Betonfestigkeitsklasse
(C 20/25 bis C50/60) In diesem Beitrag wird über die brandschutztechnische Bemessung
kρ Faktor zur Berücksichtigung des Bewehrungsverhältnisses von Stahlbetonstützen nach Eurocode 2 Teil 1-2 berichtet. Der Schwer-
(1% ≤ ρ ≤ 8%) punkt liegt dabei auf den rechnerischen Nachweisverfahren, die in der
XR90 νR,fi,d,90 aus den Standard-Diagrammen deutschen Brandschutznorm DIN 4102 Teil 4 und Teil 22 nicht enthal-
Xtot,90 µtot,fi,d,90 aus den Standard-Diagrammen ten sind.
Für Querschnittsabmessungen, die zwischen den oben genannten drei Nach einer zusammenfassenden Darstellung der Grundlagen des ver-
Standardwerten für h liegen, darf bei Annahme konstanter Schlankheit einfachten und des allgemeinen Rechenverfahrens, wird über die An-
und konstanter Lastausmitte linear zwischen den Werten aus den wendung des allgemeinen Rechenverfahrens bei der Erstellung eines
Standard-Diagrammen interpoliert werden. einfachen brandschutztechnischen Nachweises zur Einstufung von
Stahlbeton-Kragstützen in die Feuerwiderstandsklasse R 90 berichtet
Im Rahmen eines brandschutztechnischen Nachweises kann eine Dar- [15]. Um praxisgerechte Bemessungshilfen zu erhalten, wurden die
stellung vorteilhaft sein, in der Achsabstand, Betondruckfestigkeit und programmgesteuert berechneten Traglasten NR,fi,d,90 und Gesamtmo-
Bewehrungsverhältnis als Funktion der k-Faktoren mit der bezogenen mente am Stützenfuß Mtot,fi,d,90 für vier häufig verwendete Stützenty-
Lastausmitte als Scharparameter aufgetragen werden. Mit dem k-Fak- pen in sog. Standard-Diagrammen dargestellt.
tor nach Gleichung (22) kann beispielsweise für den Querschnitt h =
300 mm aus Abb. 11 der erforderliche Wert für u/h direkt abgelesen Sofern statisch-konstruktive Randbedingungen von den Vorgaben der
werden. Standard-Diagramme abweichen, können die Bemessungswerte der
Da der Baugrund Teil des statischen Systems ist, aber aufgrund seines
Eigengewichtes auch zur Beanspruchung des Bauwerkes werden
kann, werden zwei Typen von Bauwerken unterschieden:
■ sukzessiven Ein-, Um- oder Ausbau von Sicherungsmitteln, chende Duktilität, erfährt es bei Überschreitung der inneren Tragfähig-
■ Änderungen im Materialverhalten (Kriechen, Schwinden, Konsoli- keit ein sprödes Versagen, zum Beispiel infolge Durchstanzens. Eine
dierung). Umlagerung der Sohlspannungen im Baugrund findet dann nicht statt.
Hierdurch entstehen während des Bauablaufs sich verändernde stati- Vergleicht man die Sohlspannungsverteilung in Abb. 2 mit der in der
sche Systeme. Beispielhaft werden in Abb. 1 für eine Baumaßnahme Praxis häufig getroffenen Annahme einer konstanten Sohlspannung,
die qualitativen Verformungen und Belastungen in der Baugruben- so liegen diese für die Grenzzustände der Tragfähigkeit in der Regel
sohle sowie die daraus resultierenden Verformungen von Bauwerks- auf der sicheren, in den Grenzzuständen der Gebrauchstauglichkeit je-
teilen dargestellt, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten errichtet wer- doch auf der unsicheren Seite.
den.
Setzungsmulde, Sohlspannungsverteilung und Momentenverlauf in
1.1 Flachgründungen Abhängigkeit von der Belastung zeigt Abb. 3. Bei zunehmender Belas-
Mögliche Verteilungen der Sohlspannung unter Flachgründungen zeigt tung wächst die anfänglich gleichmäßige Setzung unter der Funda-
Abb. 2 beispielhaft für ein Einzelfundament. Im Fall (a) wird die Sohl- mentmitte stark an. Gleichzeitig verlagern sich die anfänglich im
spannung bei einer geringen Ausnutzung der Tragfähigkeit von Funda- Randbereich konzentrierten Sohlspannungen ebenfalls in die Mitte.
ment und Boden dargestellt. Der Grenzzustand der Gebrauchstaug- Die Biegemomente konzentrieren sich unter der Belastung.
lichkeit ist hier maßgebend.
1.2 Tiefgründungen
Bei Annäherung an die Traglast ist zu unterscheiden zwischen dem Ver- Mit Pfahlgründungen oder Kombinierten Pfahl-Plattengründungen
sagen im Fundament (Fall (b)) und im Baugrund (Fall (c)). Im Fall (b) (KPP) wird die gesamte oder ein Teil der Bauwerkslast in tiefere Bo-
kommt es im Fundament an der Stelle mit der höchsten Belastung zur denschichten abgetragen, um eine Setzungsreduktion zu erzielen oder
Bildung eines Fließgelenkes und damit zur Umlagerung der Sohlspan- die Tragfähigkeit zu gewährleisten [4], [5].
nungen. Die Tragfähigkeit ist dann im Wesentlichen durch die Rotati-
onsfähigkeit des Fließgelenkes bestimmt. Versagt das Fundament Die beiden Gründungsvarianten sind dadurch gekennzeichnet, dass
durch Grundbruch, findet eine Umlagerung der Sohlspannungen zur mehrere Pfähle durch eine Fundamentplatte oder einen Pfahlrost ver-
Fundamentmitte hin statt. Hat ein Fundamentbauteil keine ausrei- bunden sind. Die Baugrund-Tragwerk-Interaktion des hochgradig sta-
π · D2
Rb,k,j (s) = qb,k,j (s) · Gl. (3)
4
α KPP =
∑F Pfahl,k,j (s)
Gl. (5)
Ftot,k
Infolge der Biegesteifigkeit der Fundamentplatte trägt die KPP die aus
der aufgehenden Konstruktion resultierende Einwirkung Ftot,k sowohl
über die Sohlpressung σ(x,y) als auch über die Pfähle in den Baugrund
ab. Der Gesamtwiderstand einer KPP Rtot,k(s) ist abhängig von der auf-
tretenden Baugrundverformung (Setzung s) und besteht aus dem Wi-
derstand der Fundamentplatte RPlatte,k(s) und dem Widerstand der
Pfähle RPfahl,k,j(s). Den Gesamtwiderstand einer KPP beschreibt Glei-
chung (1).
m
Rtot,k (s ) = ∑R Pfahl,k,j ( s ) + RPlatte,k ( s) Gl. (1) Abb. 4: Baugrund-Tragwerk-Interaktion einer Kombinierten Pfahl-
j=1 Plattengründung (KPP)
2 Nachweisführung nach dem Eurocode außergewöhnliche und bei Erdbeben. Die erforderliche rechnerische
Sicherheit des Bauwerks wird von diesen Situationen abhängig ge-
7-1 (EC 7-1) macht.
Mit der Einführung der Eurocodes nach einer über 30-jährigen Ent- Die DIN 1054:2010 differenziert bei den Angaben der Teilsicherheits-
wicklungsarbeit soll eine einheitliche Regelung der Nachweisführung beiwerte die folgenden drei Bemessungssituationen:
in den Disziplinen des Bauingenieurwesens innerhalb von Europa ge-
schaffen werden. Die Eurocodes basieren auf dem Prinzip des Teilsi- ■ ständige Bemessungssituation BS-P („P“ steht für permanent),
cherheitskonzeptes, das das Globalsicherheitskonzept ablöst. ■ vorübergehende Bemessungssituation BS-T („T“ steht für tran-
sient),
In der Geotechnik muss der EC 7-1 in Verbindung mit dem nationalen ■ außergewöhnliche Bemessungssituation BS-A („A“ steht für acci-
Anhang und den ergänzenden Regelungen zum EC 7-1 in der DIN dental).
1054:2010 nach der bauaufsichtlichen Einführung seit dem 1. Juli
2012 angewendet werden. Diese entsprechen weitgehend den bisherigen drei Lastfällen der DIN
1054:2005 [11].
In der Hierarchie steht der EC 7-1 an oberster Stelle, deutsche Normen
dürfen dem Eurocode nicht widersprechen, die DIN 1054:2010 darf Neu hinzugekommen ist die Bemessungssituation BS-E („E“ steht für
daher den Eurocode lediglich ergänzen. Als Verbindungselement zwi- earthquake), bei der keine Teilsicherheitsbeiwerte angesetzt werden,
schen dem EC 7-1 und der DIN 1054:2010 dient der Nationale Anhang das heißt: 1,0-fache Faktorisierung.
des EC 7-1 [6], [7], [8].
Die Teilsicherheitsbeiwerte in Abhängigkeit von der Bemessungssitua-
2.1 Bemessungssituationen tion zur Nachweisführung in den verschiedenen Grenzzuständen der
Der Eurocode „Grundlagen der Tragwerksplanung“ [9], [10] unter- Tragfähigkeit sind in den Tabellen 1, 2 und 3 nach DIN 1054:2010 [6]
scheidet folgende Bemessungssituationen: ständige, vorübergehende, dargestellt.
γG,inf
Beanspruchungen aus ständigen Einwirkungen aus Erdruhedruck γG,E0 1,20 1,10 1,00
Tabelle 1: Teilsicherheitsbeiwerte, Einwirkungen und Beanspruchungen (DIN 1054:2010, Tabelle A 2.1 [6])
Reibungsbeiwert tan ϕ‘ des dränierten Bodens und Reibungsbeiwert tan ϕu γϕ‘, γϕ,u 1,00 1,00 1,00
HYD & UPL
Kohäsion c‘ des dränierten Bodens und Scherfestigkeit cu des undränierten γc‘, γcu 1,00 1,00 1,00
Bodens
Reibungsbeiwert tan ϕ‘ des dränierten Bodens und Reibungsbeiwert tan ϕu γϕ‘, γϕ,u 1,25 1,15 1,10
des undränierten Bodens
GEO-3
Kohäsion c‘ des dränierten Bodens und Scherfestigkeit cu des undränierten γc‘, γcu 1,25 1,15 1,10
Bodens
Tabelle 2: Teilsicherheitsbeiwerte für geotechnische Kenngrößen (DIN 1045:2010, Tabelle A 2.2 [6])
Bodenwiderstände
Erdwiderstand und Grundbruchwiderstand γR,e , γR,v 1,40 1,30 1,20
Gleitwiderstand γR,h 1,10 1,10 1,10
Pfahlwiderstände aus statischen und dynamischen Pfahlprobe-
belastungen
Fußwiderstand γb 1,10 1,10 1,10
Mantelwiderstand (Druck) γs 1,10 1,10 1,10
STR & GEO-2
Bei der Umstellung auf den Eurocode wurde bei der Wahl des Nach- ben ausgeschlossen werden, durch den Grenzzustand der Gebrauchs-
weisverfahrens und der Festlegung der Teilsicherheitsbeiwerte von dem tauglichkeit soll die langfristige Nutzbarkeit (= Funktionssicherheit) si-
Grundsatz ausgegangen, dass das bewährte Sicherheitsniveau des glo- chergestellt werden.
balen Sicherheitskonzepts erhalten bleiben muss. Die Nachweisverfah-
ren und die Teilsicherheitsbeiwerte waren daher so auszuwählen, dass 2.2.1 Grenzzustände der Tragfähigkeit
eine Bemessung mit Teilsicherheitsbeiwerten auf Grundlage des EC 7-1 Im Grenzzustand der Tragfähigkeit werden in der Geotechnik wie im
etwa zu den gleichen Abmessungen führt wie eine Gründungsbemes- übrigen Konstruktiven Ingenieurbau nach dem Eurocode „Grundlagen
sung nach den Normen des globalen Sicherheitskonzepts. der Tragwerksplanung“ [9], [10] und dem EC 7-1 [6], [7], [8] fünf
Grenzzustände unterschieden. In Tab. 4 sind die Grenzzustände nach
2.2 Das Konzept der Grenzzustände der alten DIN 1054:2005 [11] denen des EC 7-1 beziehungsweise der
Der Eurocode fordert den Nachweis von zwei Grenzzuständen, und DIN 1054:2010 [6], [7], [8] gegenübergestellt.
zwar den Grenzzustand der Tragfähigkeit und den Grenzzustand der
Gebrauchstauglichkeit. Mit dem Nachweis im Grenzzustand der Trag- Bei der Nachweisführung im Grenzzustand der Tragfähigkeit werden
fähigkeit sollen Sachschäden und eine Gefährdung von Menschenle- die Bemessungswerte der Beanspruchung Ed den Bemessungswerten
STR
Versagens von Bauwerken und Versagen des Tragwerks oder seiner Teile
(structural)
Bauteilen durch Bruch im Bauwerk oder GZ 1B
im stützenden Baugrund Versagen des Bodens
GEO-2
(Nachweis wie GZ 1B)
Tabelle 4: Gegenüberstellung der Abkürzungen der Grenzzustände der Tragfähigkeit in der DIN 1054:2005 [11] und in der DIN 1054:2010 [6], [12], [13]
des Widerstandes eines Bauwerks oder Bauteils Rd wie folgt gegen- spiel Beanspruchungen in der Gründungssohle beim Nachweis der
übergestellt (Gleichung (6)): Sicherheit gegen Grundbruch und Gleiten) als auch die charakteristi-
schen Werte für die Widerstände (Grundbruchwiderstand, Gleitwider-
E d ≤ Rd Gl. (6) stand).
2.2.2 Grenzzustände der Gebrauchstauglichkeit Im Grenzzustand GEO-3 wird nach dem Nachweisverfahren 3 mit ab-
Als Grenzzustände der Gebrauchstauglichkeit sind alle diejenigen geminderten Scherparametern geführt, sodass die Ermittlung der für
Grenzzustände einzustufen, die die Funktion eines Tragwerks oder ei- den Nachweis maßgebenden Schnittgrößen auf der Grundlage von Be-
nes seiner Teile unter Gebrauchsbedingungen (1,0-fache Einwirkun- messungswerten durchgeführt wird.
gen) oder das Wohlbefinden der Nutzer oder das Erscheinungsbild des
Bauwerks betreffen. Als Eingangsgrößen aus dem Hochbau sind für alle geotechnischen
Nachweise charakteristische Werte erforderlich. Die Verwendung von
Bei der Nachweisführung im Grenzzustand der Gebrauchstauglichkeit Bemessungswerten, die aus der Bemessung der aufgehenden Kon-
darf der Bemessungswert einer Auswirkung von Einwirkungen Ed nicht struktion stammen, ist möglich (Abb. 5).
größer als der Bemessungswert des maßgebenden Gebrauchstauglich-
keitskriteriums Cd sein. Die Teilsicherheitsbeiwerte können hierbei in
der Regel mit 1,0 angesetzt werden (siehe oben). 1. Entwurf des Bauwerkes und Festlegung des statischen Systems
➡
Sdst,k · γH ≤ G’stb,k · γG,stb Gl. (11) Als Voraussetzung zur Anwendung des vereinfachten Nachweises und
somit der Ersparnis der Nachweise gegen Gleiten und Grundbruch so-
erfüllt ist. wie der Setzungen entsprechen denen der DIN 1054:2005:
2 2
x y 1
Ellipse nach e + e =
bL bB 9
3.1.3 Baugrundverformungen
Das installierte geodätische Messprogramm besteht aus rund 220
3 Beispiele aus der geotechnischen Messpunkten im Umfeld des Technischen Rathauses, 110 in der Tiefga-
Ingenieurpraxis rage sowie den Unterschossen des Technischen Rathauses, 30 in der
U-Bahnstation Dom/Römer sowie 220 in den U-Bahntunneln. Der
Nachfolgend werden drei Großbauprojekte aus der geotechnischen In- messtechnisch überwachte Bereich reicht bis 50 m neben das Techni-
genieurpraxis vorgestellt, die gemäß EC 7-1 und DIN 1054 [6], [7], [8] sche Rathaus. Die Verformungen an den Blockfugen der Tunnelröhren
in die Geotechnische Kategorie 3, dies ist die Kategorie mit dem werden bis zu einer Entfernung von 80 m vom Baufeld erfasst.
höchsten Schwierigkeitsgrad, einzustufen sind. Alle Projekte zeigen,
dass die Baugrund-Tragwerk-Interaktion zu jedem Zeitpunkt des Pla- Exemplarisch für die aufgetretenen Verformungen werden die Mess-
nungs- und Baufortschrittes zu berücksichtigen ist und dass mit aus- werte maßgebender geodätischer Punkte auf dem Projektareal darge-
reichender Sicherheit die Tragfähigkeit und die Gebrauchstauglichkeit stellt (Abb. 8). Die Punkte 1 bis 4 liegen jeweils im Untergeschoss des
der Bauobjekte sowie benachbarter Konstruktionen gewährleistet Technischen Rathauses im Bereich der 3 Türme (Messpunkte 1
werden. bis 3) und des Sitzungstraktes (Messpunkt 4). Messpunkt 5 liegt in der
nördlichen, nach Westen abgehenden Tunnelröhre direkt nach dem
3.1 Innerstädtische Großbaumaßnahme in Frankfurt am Main Übergang Stationsbauwerk/Tunnel.
Alle großen Infrastruktur- und Hochhausbaumaßnahmen in Frankfurt
am Main, die der Geotechnischen Kategorie GK 3 zuzuordnen sind, Bisher wurden alle Geschosse einschließlich der Decken, Wände und
werden zur Kontrolle der prognostizierten Baugrund-Tragwerk-Inter- Stützen der beiden Untergeschosse des Technischen Rathauses zurück-
aktion im Rahmen der Beobachtungsmethode überwacht. Aufgrund gebaut. Die neuen Decken, Wände und Stützen der beiden Unterge-
der städtebaulichen Weiterentwicklung werden in Frankfurt am Main schosse wurden größtenteils bereits errichtet. Lediglich im Bereich des
neben Neubaumaßnahmen zunehmend auch Rück- und Umbaumaß- Messpunktes 2 ist die Decke über 1. UG noch herzustellen. Zur Ge-
nahmen durchgeführt [23]. währleistung der Sicherheit gegen Auftrieb der bis zu 7,80 m tief im
Abb. 10. Dom-Römer-Areal mit Technischem Rathaus vor (links) und während des Rückbaus (rechts)
Abb. 11: Gemessene Hebungen im Bereich Technisches Rathaus (1 bis 5 siehe Abb. 8)
Verkehrsaufkommens benötigt. In zahlreichen europäischen Großstäd- Der als zweigleisiger Tunnel für die AVE-Züge (AVE = Alta Velocidad
ten, so auch zum Beispiel in Barcelona, werden derzeit Tunnelbaupro- Española) auszubauende Tunnel verbindet die beiden Bahnhöfe
jekte realisiert. „Sants“ und „La Sagrera“ (Abb. 14).
3.1.1 Projektbeschreibung Der AVE-Tunnel wird zwischen den An- und Ausfahrtsbereichen mit ei-
Im Rahmen des Neubaus der Hochgeschwindigkeits-Eisenbahnstrecke ner Tunnelbohrmaschine (TBM) mit Erddruckschild (earth pressure ba-
von Madrid über Barcelona bis zur französischen Grenze, die Spanien lanced shield = EPB) aufgefahren. Der Tunnelvortrieb wurde im Juni
an das bestehende europäische Netz anschließen soll, wird derzeit im 2011 abgeschlossen. Derzeit erfolgt der Innenausbau. Der äußere
Stadtzentrum von Barcelona ein 5,6 km langer Tunnel gebaut. Die Tun- Durchmesser des einschaligen Tunnels beträgt 11,55 m.
nelstrecke verläuft direkt neben der berühmten Kirche der „Sagrada
Familia“ (Abb. 13). Die Sagrada Familia ist eine seit 1882 im Bau be- 3.2.2 Baugrund- und Grundwasserverhältnisse
findliche Kirche, die sich insbesondere durch ihre außergewöhnliche Im Stadtzentrum Barcelonas wird der oberflächennahe Baugrund-
Tragstruktur und die Vereinigung der architektonischen Stile vieler aufbau hauptsächlich durch quartäre und tertiäre Sedimente der
Epochen auszeichnet. Sie gehört als Werk des Architekten Antoni Gau- Flüsse Besós im Norden und Llobregat im Süden bestimmt, deren
dí zum UNESCO Weltkulturerbe. Schichten leicht zur Küste hin einfallen. Unterhalb von künstlichen
Die Tunnelsohle liegt maximal in einer Tiefe von rund 40 m unter der
Geländeoberfläche und im Mittel 19 m tief unter dem Grundwasser-
spiegel.
■ Die Kirche ist aufgrund ihres hohen künstlerischen Werts auch we- Für die Kirche der Sagrada Familia wurden die niedrigsten Grenzwerte,
sentlicher tragender Elemente sowie der Fassaden sehr sensibel ge- das heißt, diejenigen für Monumentalbauten (Tab. 5) ausgewählt, um
gen Verformungen. ein Maximum an Sicherheit für die Struktur zu gewährleisten. Die An-
wendung der vorgenannten MINTRA-Grenzwerte führte zur Definition
Als Baugrund-Tragwerk-Interaktion waren folglich im Rahmen der der speziell für die Sagrada Familia gewählten Grenzwerte (Tab. 6).
geotechnischen Modellbildung nicht nur die Auswirkungen der Tunnel-
baumaßnahme auf den umgebenden Baugrund und das Nachbarbau- Die Setzungsbeträge an den Nachbarbauwerken sind dabei reine Kon-
werk Sagrada Familia, sondern auch die Auswirkungen der zukünftig trollgrößen, wohingegen mit den Regelgrößen, im Wesentlichen ma-
deutlich höheren und anderen Belastung der Sagrada Familia auf den schinentechnische Parameter der Tunnelbohrmaschine, in einem ge-
Tunnel zu beachten. Um diese verschiedenen Lastfälle möglichst reali- wissen Rahmen Einfluss auf die Verformungen des zu durchfahrenden
tätsnah abbilden zu können, wurden zur Belastungs- und Verfor- Baugrunds genommen werden kann.
mungsprognose Rechenmodelle entwickelt, die sowohl Tunnel und
den Baugrund als auch das Tragwerk der Sagrada Familia und die Bau- Die Einhaltung der Grenzwerte an den maschinentechnischen Parame-
grundschichtung umfassten (Abb. 16). tern wurde durch ein 24-Stunden-Monitoring überwacht.
3.2.4 Verformungsmessungen im Rahmen der Beobachtungs- Des Weiteren wurde ein umfangreiches vermessungstechnisches Mo-
methode nitoringprogramm festgelegt, um die Auswirkungen des Tunnelvor-
Auf der Grundlage von umfangreichen numerischen Berechnungen triebs auf den Baugrund und die angrenzenden Gebäude zu erfassen.
und Simulationen (Prognosen) wurden für den Bau des AVE-Tunnel im Es wurden an der gesamten Tunnelstrecke geodätische Messpunkte
Vorfeld der Baumaßnahme Kontroll- und Regelgrößen sowie deren auf der Geländeoberfläche über der Tunnelachse sowie rechts und
während des Baufortschritts einzuhaltenden Grenzwerte definiert und links der Achse und an den Fassaden der angrenzenden Gebäude re-
ein Notfallkonzept ausgearbeitet. Die Definition der an den Nachbar- gelmäßig eingemessen. Ein besonders dichtes Raster geodätischer
gebäuden einzuhaltenden Grenzwerte erfolgte in Anlehnung an die Messpunkte, aber auch automatisch auszulesender Prismen, wurde in
Kriterien, die die spanische Verkehrsgesellschaft MINTRA (Madrid In- der Nähe und innerhalb der Sagrada Familia installiert.
frastructuras del Transporte) für Tunnelbauprojekte in Spanien veröf-
fentlicht und etabliert hat (Tab. 5). Die Baugrundverformungen werden darüber hinaus von Extensome-
tern, die in zwei Tiefen über der Tunnelachse installiert wurden, und In-
Die MINTRA-Kriterien umfassen Grenzwerte für drei verschiedene Ge- klinometern rechts und links der Tunnelachse erfasst.
fährdungsniveaus für die benachbarten Bauwerke. Die Gefährdungs-
stufen sind in Abhängigkeit der Gefahr des Auftretens von Schäden an Alle Messwerte wurden in einem Kontrollsystem erfasst und perma-
den Bauwerken in grün, gelb und rot: nent einem Soll/Ist-Vergleich zu den zuvor mit rechnerischen Progno-
sen ermittelten Werten unterzogen. Die durch den Tunnelvortrieb her-
Grün Alle Werte sind im unkritischen Bereich unterhalb des ersten vorgerufenen Setzungen an der Geländeoberfläche betrugen auf der
Grenzwertes. Es treten keine Schäden auf. gesamten Tunnelstrecke maximal nur rund 0,5 cm und liegen damit
Gelb Die Werte überschreiten die unkritischen Werte, besondere Vor- deutlich unter den prognostizierten Werten.
sicht ist geboten, leichte Schäden können auftreten.
Rot Die Werte sind im Bereich kritischer Werte, Schäden können auf- Die Kirche der Sagrada Familia wurde zwischen dem 9. und dem 17.
treten, zusätzliche Sicherungsmaßnahmen sind notwendig. Oktober 2010 von der Tunnelbohrmaschine passiert. Die an der dem
Abb. 16: Beispielschnitt einer Verformungsberechnung für Sagrada Familia und AVE-Tunnel, Setzungen in [mm]
Abb. 17: Oberflächensetzungen in der Tunnelachse im Bereich der Sagrada Familia (Längsschnitt)
Abb. 18: Oberflächensetzungen in der Tunnelachse im Bereich der Sagrada Familia (Querschnitt)
Tunnel zugewandten Gloria-Fassade der Sagrada Familia gemessenen des Königreiches Saudi Arabien, ist das mit 1001 m zurzeit höchste
Setzungen betragen maximal nur 0,1 cm, das heißt, sie liegen im Be- Hochhaus der Welt geplant. Diese „landmark“ ist Teil beziehungswei-
reich der Messgenauigkeit (siehe beispielhaft in den Messquerschnit- se das Zentrum eines komplett neuen Stadtteils von Jeddah nördlich
ten in Abb. 17 und Abb. 18). Die Tunnelbohrmaschine hatte aufgrund des Obhur Creek inmitten der Wüste und einer Entfernung von etwa
der sorgfältigen Planung, Bauausführung und des permanenten Moni- 1,25 km zum Roten Meer. Das direkt zum Kingdom Tower zählende
torings keine bautechnisch beziehungsweise messtechnisch identifi- Grundstück hat eine Größe von 85.000 m2, der Towergrundriss selbst
zierbare Wirkung auf die Sagrada Familia. besitzt eine Grundfläche von ungefähr 3.720 m2. Die gesamte Ent-
wicklungsfläche umfasst nach derzeitigem Stand circa 3,5 Millionen
3.3 Gründungskonzept für das nächste, höchste Hochhaus der m2 (Abb. 20).
Welt
3.3.1 Projektbeschreibung Das geplante Gründungsdesign sieht vor, die Gesamtlast des Towers
Im Norden der am Roten Meer gelegenen Stadt Jeddah (Abb. 19), über 270 Bohrpfähle, die im Towergrundriss in regelmäßigen Abstän-
werk-Interaktion beurteilen zu können und um die seitens des Trag- Das Hauptaugenmerk unserer geotechnischen Prüfung richtet sich da-
werksplaners vorgegebenen Verformungskriterien (maximale Verfor- bei neben der Prüfung der Baugrunderkundung, der zutreffenden Ab-
mungsdifferenz zwischen Kern und Ende des Flügels von 25 mm) rech- leitung der bodenmechanischen Parameter und des Gründungsdesigns
nerisch zu erfassen und durch ein entsprechendes Gründungsdesign im Allgemeinen insbesondere auf die richtige und realitätsnahe Erfas-
rechnerisch zu gewährleisten. sung der Baugrund-Tragwerk-Interaktion zur Optimierung der Grün-
dung in technischer wie auch – auf besonderen Bauherrenwunsch – in
3.3.3 Einfluss des geotechnischen Prüfprozesses auf das Grün- wirtschaftlicher Hinsicht.
dungsdesign
Das finale Gründungsdesign wird letztlich auf der Basis eines so ge- Auf der Basis der vorliegenden Berechnungen zum Gründungsdesign
nannten „best estimated“- Steifigkeitsprofils des Baugrundes durch- sowie der Informationen aus den Pfahlprobebelastungen und den
geführt und die Pfahllängen entsprechend so angepasst beziehungs- Baugrunderkundungsmaßnahmen konnte bezüglich der Gründung ein
weise variiert, dass die Verformungskriterien eingehalten werden. Einsparpotential von rund 40% der Pfahlmassen aufgezeigt werden.
■ Der erste Teil dieses Ereignisses, den man als Sturzflut bezeichnen
kann, betraf am 12. und 13. August 2002 die Gewässer im Einzugs-
gebiet der Zwickauer Mulde, im Einzugsgebiet der Freiberger Mulde
und die (in Fließrichtung gesehen) linken, direkten Zuflüsse zur Elbe.
Hier waren die dynamischen Prozesse maßgebend (Abb. 3).
■ Der zweite Teil des Ereignisses betraf am 13. und 14. August 2002
die Vereinigte Mulde. Dieser schon nicht mehr so dynamische Ereig-
nisteil war aufgrund der hohen Wasserstände von ungefähr einhun-
dert Deichbrüchen und den dadurch entstandenen Überschwem-
mungen geprägt (Abb. 4).
■ Der dritte Teil des Ereignisses betraf erst vier Tage später die Elbe
selbst und war durch extrem hohe Wasserstände gekennzeichnet
(Abb. 5) [3].
Die Hauptakteure in dieser Phase sind die Katastrophenschutzbehör- beurteilt werden [3].
den, die Wasserbehörden und Hochwassermeldezentralen, die Gewäs-
ser- und Stauanlagenbetreiber sowie weitere Aufgabenträger. Die Im Nachgang konnte festgestellt werden, dass die Verteilung der
größte Herausforderung für die Akteure ist die insbesondere logisti- Hochwasserschäden von 2002 auf die Regionen und Infrastrukturbe-
sche Bewältigung aller anstehenden und in kurzer Zeit zu erledigen- reiche in Sachsen den Schadenspotenzialen der verschiedenen Nut-
den Aufgaben. Im Weiteren soll dies an einigen Beispielen demons- zungen in den identifizierten hochwassergefährdeten Gebieten ent-
triert werden. spricht. Sinnvoll ist ein ressortübergreifendes modular aufgebautes
Schadenserfassungssystem, weil es wesentlich effizienter zu genaue-
Im Rahmen der Hochwasserbewältigung waren unter anderem viele ren Schadensinformationen führt.
Evakuierungen durchzuführen. Allein im damaligen Landkreis Sächsi-
sche Schweiz mussten in kürzester Zeit 20.459 Personen evakuiert und Als letztes Beispiel soll eine der Sofortmaßnahmen an den Gewässern
anderweitig untergebracht und versorgt werden. dienen. Welch' enormer Personal- und Ressourceneinsatz für Deichsi-
cherungsmaßnahmen erforderlich waren, soll mit den Aktivitäten an
Die Katastrophenschutzbehörden konnten zur Erfüllung ihrer Aufga- der Vereinigten Mulde verdeutlicht werden. Für die Mulde gab es für
ben auf zahlreiche Ressourcen des Bundes, der Länder, von Hilfsor- Ende August 2002 eine erneute Hochwasserwarnung, sodass eine
ganisationen und freiwilligen Helfern zurückgreifen. So waren zum große Gefahr für die nun nicht mehr geschützten Gebiete bestand.
Beispiel rund 20.000 Soldaten der Bundeswehr, 5.000 Polizeibeamte, Deshalb sind innerhalb von fünf Tagen alle 95 Deichbruchstellen an
4.000 Einsatzkräfte des Bundesgrenzschutzes, 8.000 Helfer des Tech- der Mulde provisorisch geschlossen und weitere Schadstellen gesi-
nischen Hilfswerkes und Tausende weitere Hilfskräfte im Einsatz. chert worden. Dazu war folgender Ressourceneinsatz erforderlich:
Stellvertretend für den umfangreichen Einsatz von Technik soll hier
nur der Lufteinsatz (50 Tornadoflüge, ein Airbus A 300, 14 Transall ■ 40 Ingenieure aus 7 Ingenieurbüros,
Flugzeuge, 14 CH-53 Transporthubschrauber und 29 weitere Hub- ■ 27 Baubetriebe,
schrauber) zur Rettung und Evakuierung erwähnt werden. Der Ein- ■ 297 schwere LKW,
satz aller Hilfskräfte und der Technik war entsprechend zu koordinie- ■ 71 Bagger,
ren [3]. ■ 45 Raupen,
(Fotos: LfULG)
Abb. 6a und Abb. 6b: Beispiele für Totalschäden durch Hochwasser, August 2002
Wie wichtig dann auch eine nachhaltige Sicherung der Deichbrüche Bereits in der Phase der Regeneration hat der Freistaat Sachsen, be-
ist, soll an zwei Sachverhalten verdeutlicht werden. ginnend mit der beschriebenen Ereignisanalyse (Abb. 7), über die Er-
arbeitung von Hochwasserschutzkonzepten und die Erstellung von Ge-
■ Im Frühjahr 2005 gab es an der Mulde und der Elbe ein sogenanntes fahrenkarten begonnen, das Katastrophenhochwasser methodisch
Frühjahrshochwasser. Da durch inzwischen vorliegende Ergebnisse aufzuarbeiten und ein sinnvolles Hochwasserschutzinvestitionspro-
der Deichzustandsanalysen der bauliche Zustand und die innere gramm zur schrittweisen Verbesserung des Hochwasserschutzes abzu-
Schädigung der Deiche bekannt waren, sind vor dem Hochwasser- leiten. Auf der parallel geschaffenen landeswassergesetzlichen Grund-
scheitel in kürzester Zeit rund 44,5 Kilometer Deiche durch einen lage sind durch den staatlichen Unterhaltungslastträger für die Ge-
Auflastfilter gesichert worden. Dabei sind circa 341.000 Kubikmeter
Material verbaut worden.
■ Eine ähnliche Konstellation gab es noch einmal im Frühjahr 2006,
als die Elbe lange Zeit eine sehr hohe Wasserführung hatte. Auch
hier sind noch weitere 17 Kilometer Elbdeiche mit einem Auflastfil-
ter gesichert worden, wobei 120.000 Kubikmeter Filtermaterial ver-
baut worden sind. Bei beiden Aktionen war wieder eine logistische
Herausforderung zu bewältigen, was sehr gut gelungen ist [3].
4 Regeneration
Die Phase der Regeneration dient der Schaffung aller Voraussetzungen
für den normalen Alltagsbetrieb und lässt sich in zwei Haupthand-
lungsfelder aufteilen. Einerseits ist die Anfertigung einer Ereignisdoku-
mentation und einer Ereignisanalyse mit den Bestandteilen Prozess-
analyse, Gefahrenanalyse, Schutzdefizitanalyse und Vulnerabilitäts-
analyse wichtig. Nur mit solch einer Analyse kann man die Schwach-
stellen erkennen und sich besser auf nachfolgende Ereignisse vorberei-
ten. Eine zeitnahe, qualifizierte und umfassende Ereignisdokumentati-
on ist erforderlich, um unter anderem die erforderliche Datenbasis für
spätere im Rahmen der eigentlichen Ereignisanalyse oder in der Phase
der Hochwasservorbeugung durchzuführende Analysen, Berechnun-
gen und Simulationen zu schaffen. Ohne diese Datenbasis sind Kali-
brierungen und Weiterentwicklungen von Analyse- und Berechnungs-
modellen nur schwer oder teilweise gar nicht möglich.
(Foto: LfULG)
Mit Hilfe einer straff organisierten Vorgehensweise war es möglich, in- Alle Aktivitäten des Freistaates Sachsen zur Hochwasservorbeugung
nerhalb von acht Monaten die ersten fünf Hochwasserschutzkonzepte zu beschreiben, würde den Rahmen dieses Beitrages sprengen. Des-
zu erstellen und eine an sächsische Verhältnisse angepasste Methodik halb sollen hier nur einige Beispiele benannt werden.
zu entwickeln. Die folgende Aufzählung soll zeigen, welche Ingenieur-
leistungen die Landestalsperrenverwaltung mit Ihren Auftragnehmern Vorangestellt werden soll noch, dass Sachsen seine umfangreichen
in kürzester Zeit realisiert hat: Vorleistungen, wie zum Beispiel die Hochwasserschutzkonzepte und
Gefahrenkarten, entsprechend Artikel 13 der EG-HWRM-RL bis zum
■ 15.11.2002: Vergabe der Laserscanvermessung (circa 300 Quadrat- 22.12.2010 zur Anerkennung eingereicht hatte.
meter Befliegung und Erstellung von digitalen Geländemodellen);
Fertigstellung: 09.01.2003, Entsprechend der EG-HWRM-RL war bis zum 22.12.2011 die vorläufi-
■ 10.12.2002: Vergabe der Pilot-Hochwasserschutzkonzepte, ge Bewertung des Hochwasserrisikos durchzuführen, was Sachsen
■ 20.12.2002: Vergabe der terrestrischen Vermessung (Vermessung fristgerecht für 3.200 Kilometer Gewässer I. Ordnung einschließlich
von ungefähr 3.500 Brücken- und Gewässerprofilen; durchschnitt- der Bundeswasserstraße Elbe und für 4.000 Kilometer Gewässer II.
lich 160 am Tag); Fertigstellung: 30.01.2003, Ordnung durchgeführt hat. Ein Kartenbeispiel vom Gebiet der Schwar-
■ 20.12.02: Vergabe der Neuberechnung aller Niederschlags-und Ab- zen Elster ist in Abb. 8 zu sehen. Im Rahmen des EU-Projektes ELLA
flussmodelle; Fertigstellung. 20.02.2003, sind zusätzlich noch Schadenspotentialkarten erarbeitet worden.
■ Verarbeitung aller Daten der Vermessung und neuer meteorologi-
scher Daten, Bis Dezember 2013 sind die Hochwassergefahren- und die Hochwasser-
■ laufende Abstimmung zwischen den Planern mit Straßenbauamt, risikokarten fertigzustellen. Wie oben schon ausgeführt, liegen die 568
Deutscher Bahn AG, Landratsamt sowie vierzehntägig mit der Lan- Gefahrenkarten für die Gewässer I. Ordnung und die Elbe (rund 3.200
destalsperrenverwaltung, Kilometer) bereits seit 2005 vor. Für die Gewässer II. Ordnung befinden
■ 31.03.2003: Vorlage des Berichts mit Grundlagen und Randbedin- sich die Karten in Erarbeitung. Die Hochwasserrisikokarten sind auf Ba-
gungen der Wiederbebaubarkeit im Untersuchungsgebiet bei HQT*, sis der Gefahrenkarten entsprechend der LAWA-Empfehlung [6] erstellt
■ 15.07.2003: Vorlage des Abschlussberichts der Hochwasserschutz- und werden demnächst veröffentlicht. Ein Kartenbeispiel ist in Abb. 9 zu
konzepte, sehen. Weitere Karten zum Thema Hochwasserrisikomanagement (fest-
■ 06.08.2003: Prüfung und Bestätigung der vorgelegten Hochwasser- gesetzte Überschwemmungsgebiete, überschwemmte Flächen bei hun-
schutzkonzepte durch das Sächsische Staatsministerium für Umwelt dertjährlichem Hochwasser, Atlas der Hochwassergefährdung, über-
und Landwirtschaft als wasserwirtschaftliche Rahmenplanung, schwemmte Flächen August 2002) sind interaktiv unter http://www.um-
■ August 2003: Beginn der Umsetzung der in den Konzepten aufge- welt.sachsen.de/umwelt/wasser/8838.htm verfügbar.
führten Maßnahmen (zum Beispiel Beauftragung von Machbar-
keitsstudien für zehn Standorte für Hochwasserrückhaltebecken). Laut EG-HWRM-RL sind bis Dezember 2015 die Hochwasserrisikoma-
In einem weiteren Jahr sind nach dieser Methodik für alle rund 3.000 nagementpläne zu erarbeiten. Die Bearbeitung in Sachsen ist schon
Kilometer Gewässer I. Ordnung alle 47 Hochwasserschutzkonzepte für weit fortgeschritten. Für die Gewässer I. Ordnung stehen mit den
Sachsen fertiggestellt worden. Diese Konzepte beinhalteten unter an- Hochwasserschutzkonzepten hervorragende Unterlagen zur Verfü-
gung, die bereits sehr große Teile der Pläne für das Hochwasserrisiko-
* HQT – Hochwasserabfluss mit Wiederkehrintervall von T Jahren management (HWRM-Pläne) darstellen. Im Rahmen der EU-Projekte
** EHQ – Hochwasserabfluss bei Extremhochwasser LABEL und FLOOD-WISE sind in Pilotgebieten die Gliederungen und
■ Presswerk,
■ Karosseriebau,
■ Lackiererei,
■ mechanische Fertigung,
■ Montage.
Abb. 2: Herausforderungen
über zwölf Stützen, bis hinunter zu Aufstandslasten von weniger als ■ Beleuchtungsumfänge,
fünfzig Kilogramm bei Komponentenförderern auf leichten Förderebe- ■ Entwässerung,
nen. ■ Wasserver- und Entsorgung.
Neben der reinen Lastkomponente spielen Beschränkungen des Verfor- Im Regelfall kommt noch flächendeckend eine Sprinkleranlage hinzu.
mungs- und Schwingungsverhaltens der Tragwerke eine immer größe-
re Rolle. Durchbiegungsbeschränkungen gewährleisten vor allem in Die größten Lastanteile tragen die Starkstromversorgung mit ihren di-
der Fördertechnik einen störungsfreien Ablauf. cken Leitungsquerschnitten sowie in Bereichen der mechanischen Fer-
tigung die Kühl- und Schmiermittelrohre bei. Beide werden normaler-
Das Schwingungsproblem wird von zwei konträren Tendenzen ge- weise trassenförmig gebündelt, wobei Nutzlasten von 10 kN/m² keine
prägt: Während Werkzeugmaschinen und Roboter bei ihren Bewegun- Seltenheit sind.
gen zunehmend stärkere Beschleunigungen ausführen (Linearantrieb),
arbeiten genau dieselben Geräte mit immer höherer Präzision bei der Je schwieriger es ist, alle relevanten Einflüsse auf Produktionsgebäude
spanenden Bearbeitung beziehungsweise bei der Positionierung. Ge- bei der Erstellung entsprechend zu würdigen, umso problematischer
genseitige Beeinflussungen oder Einflüsse von dritter Seite, zum Bei- wird dies bei den regelmäßig anstehenden Änderungen an der Einrich-
spiel aus Staplerbetrieb, bleiben dabei nicht aus. tung und den gegebenenfalls damit verbundenen Modifizierungen am
Tragwerk.
Sowohl bei der Fördertechnik als bei vielen Fertigungsmaschinen ist
neben der direkten Aufstellung auf der Gebäudetragkonstruktion die Der von Einrichtungsseite gewünschten Flexibilität von Tragwerken
indirekte Ablastung über Sekundärkonstruktionen üblich. Diese Ein- steht meistens die Forderung nach Wirtschaftlichkeit bei der Erstellung
richtungen werden meist der Anlagentechnik zugeordnet und üblicher- im Weg. Die Vorgabe strikter Termine und die unter laufender Produk-
weise von den Anlagenherstellern geliefert. Sie unterliegen damit kei- tion durchgeführten Umbauten erfordern ein besonderes Augenmerk
ner bauaufsichtlichen Genehmigungspflicht oder Kontrolle. auf die Sicherstellung der Standsicherheit zu jedem Zeitpunkt.
Zum Betrieb der Werkzeugmaschinen, Förderanlagen, Handlings- und In den nachfolgenden Kapiteln wird exemplarisch an konkreten Bei-
Fertigungsrobotern ist deren Anschluss an ein umfangreiches Versor- spielen beschrieben, wie die BMW AG mit diesen Herausforderungen
gungsnetz erforderlich. Dazu gehören unter anderem: umgeht.
■ Stromanschlüsse,
■ Datenleitungen, 2 Einwirkungen aus Sekundär-
■ Be- und Entlüftungssysteme, konstruktionen
■ Kühlwasser-,
■ Druckluft- und Gasleitungen. Geprägt werden die meisten der Produktionsgebäude im Automobil-
bau durch umfangreiche aufgeständerte oder abgehängte Sekundär-
Ergänzt werden diese durch die übliche Technische Ausstattung (TA) konstruktionen, die nahezu alle in Stahlbauweise ausgeführt sind.
für den Betrieb des Gebäudes wie: Beispiele für Einbauten/Sekundärkonstruktionen sind:
Abb. 4a: Instandhaltungsbühne für EHB Abb. 4b: Schaltschrankbühne, darunter Sekundärstahlbau für EHB
regelmäßig stark auf der sicheren Seite liegen; und das nicht nur bei Einzellasten mußten nach Einbau der Einrichtungen noch Nachverstär-
der Festlegung von Nutzlasten auf Wartungsstegen und Instandhal- kungen im größeren Umfang vorgenommen werden.
tungsflächen, sondern auch bei der Zusammenstellung der Eigenlas-
ten. Hier hat sich die Einbindung des Statikers auf Bauherrnseite be- Das aktuelle Lastkonzept für Montagegebäude sieht Kombinationen
reits in der Angebotsphase der Fördertechnikvergabe bewährt. Auf aus Einzellastgruppen vor, deren ungünstigste (aber realistische!)
diese Weise konnte die Last für die schwere EHB (deutscher Lieferant) Überlagerung zur Bemessung herangezogen wird (Abb. 5). Auf die
beim Werksneubau in China von rund 130 kN auf 105 kN je 6m-Takt globale Lastabtragung bezogen entspricht dies einer Flächenlast von
reduziert werden. circa 2,5 kN/m². Diese Vorangehensweise hat sich beim letzten Neu-
bau in China bewährt. Dort wurden auch nur vierzig Prozent der Ne-
Zur Gewährleistung der Wirtschaftlichkeit bei der Erstellung von Pro- benbinder vollständig nach diesem Ansatz bemessen. Bei den anderen
duktionsgebäuden ist die Feststellung realistischer Lastannahmen erfolgte die Bemessung der Gurte für eine reduzierte Last. Bei Bedarf
der jeweiligen Einrichtungen nur der erste Schritt. Da in der Pla- kann die Tragfähigkeit der Gurte durch ein einfaches System auf den
nungsphase des Gebäudes so gut wie nie endgültige Einrichtungs- vollen Wert nachverstärkt werden.
pläne vorliegen, fällt der Entwicklung eines realitätsnahen Szenarios
möglicher Kombinationen von Einwirkungen aus der Einrichtungs- Sekundärkonstruktionen werden im Regelfall von den Herstellern
technik, und hier besonders der Fördertechnik, eine besondere Rolle mit der nötigen Sorgfalt entsprechend der technischen Baubestim-
zu. Verdeutlicht werden kann die Entwicklung in den letzten Jahre- mungen geplant und hergestellt. Die fehlende Prüfpflicht auf Stand-
zehnten am oben beschriebenen Schemaschnitt durch ein Montage- sicherheit sowie gängige Sonderkonstruktionen bei Bauelementen
gebäude. und Verbindungen (zum Beispiel kaltverformte Profile, Klemmverbin-
dungen) machen Vorsorgemaßnahmen allerdings sinnvoll. Dazu ge-
2.3 Entwicklung Lastkombinationen hören:
Beim Neubau der Montage im BMW-Werk Regensburg Mitte der acht-
ziger Jahre wurde zur Bemessung der Dachbinder eine Flächenlast von ■ Standardisierte Lastpläne für die Befestigungen am Tragwerk,
1,5 kN/m² auf einhundert Prozent der Hallenfläche angesetzt. Abge- ■ aussagekräftige Konstruktionspläne,
deckt war damit nur die Last einer schweren EHB je Hallenschiff. Im ■ freiwillige Prüfung von exponierten Bühnen (zum Beispiel über Ver-
Zuge des Produktionsaus- und -umbaus kamen weitere Lasten hinzu, kehrswegen, Arbeitsplätzen).
sodass bis heute von den rund 750 Nebenbindern mehr als 300 indivi-
duell nachverstärkt werden mußten.
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kN/m2 kN
Wartungsflächen Flächen auf abgehängten oder 1,5z 1,5y
aufgeständerten Bühnen, die nur zu
Wartungszwecken begangen werdenx
x Die Einhaltung ist durch Beschilderung und Zugangsbeschränkungen an den Bühnenaufgängen sicherzustellen.
y Berücksichtigt ist eine Person mit Werkzeugkoffer, Ersatzteilen o. dgl.
z Bei der Lastweiterleitung zur Gebäudekonstruktion darf dieser Wert für Bauteile die Wartungslasten aus einer Einfluss-
fläche von mind. 10 m2 erhalten, auf 0,5 kN/m2 abgemindert werden.
Abb. 6: Auszug aus Planungsrichtlinie: Wartungslasten
4 Wiederkehrende Bauwerksüber-
prüfung
4.1 Entwicklung
Die vielfältigen in den vorangehenden Kapiteln beschriebenen Einflüs-
se, Einwirkungen und Besonderheiten machen die Notwendigkeit ei-
ner Sicherstellung der Standsicherheit im Betrieb deutlich.
In der VDI-Richtlinie 6200 werden die Überprüfungsintervalle lediglich In die Gewichtung der einzelnen Schadenspotentiale sind die Erfah-
nach der Schadensfolgeklasse bestimmt. Diese einfache Gliederung rungen aus zahlreichen Schadensfällen eingeflossen. Trotzdem kann
hat ihre Berechtigung aus der Konsequenz ihrer Ableitung aus [1], und soll die vorliegende Matrix nur ein Hilfsmittel für die sachkundige
schließt aber eine weitere Verfeinerung nicht aus. oder besonders sachkundige Person zur Festlegung realistischer Inter-
valle sein.
Eine Differenzierung der Intervalle bietet neben dem Systematisie-
rungseffekt noch die Vorteile der risikobezogenen Fokussierung und
Gewichtung (Abb. 9) sowie die Aussicht auf eine wirtschaftlichere Ab-
wicklung der Überprüfung.
5 Literatur
[1] Oberste Baubehörde im Bayerischen Staatsministerium des In-
Inspiriert von der Reduktionsmethode von Munter [3], mit der dieser nern: Hinweise für die Überprüfung der Standsicherheit von bauli-
eine Revolution in der Risikobetrachtung von Lawinenabgängen ein- chen Anlagen durch den Eigentümer/Verfügungsberechtigten (Fas-
leitete, entstand ein einfaches Bonus- und Malussystem. Im Gegensatz sung September 2006)
zu Munters Risikotheorie aufgrund fehlender statistischer Auswertun- [2] VDI 6200 (Februar 2010): Standsicherheit von Bauwerken – regel-
gen von Gebäudeschäden jedoch ohne stochastische Grundlagen mäßige Überprüfung, Beuth-Verlag, Berlin
(Abb. 10). Ausgangspunkt ist eine sog. Basisreferenz, bei der von den [3] Werner Munter: 3 x 3 Lawinen, Verlag Pohl & Schellhammer
Intervallen der VDI 6200 (CC2) für ein durchschnittliches Gebäude auf (1997)
HERAUSGEBER
Bundesvereinigung der Prüfingenieure für Bautechnik e.V.
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ISSN 1430-9084
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