Pruefingenieur 42

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DER PRÜFINGENIEUR

Das Magazin der Bundesvereinigung der Prüfingenieure für Bautechnik

Braucht auch die Bauaufsicht einen Rettungsschirm?


Zur Entwicklung der Nachrechnungsrichtlinie für die Brückenertüchtigung

Brandschutz-Nachweise für Geschossdecken und Wände im Bestand


Vereinfachte Brandschutzbemessung von Stahlbetonstützen nach Eurocode


Zur Bedeutung der Baugrund-Tragwerk-Interaktion


Ingenieurleistungen für ein integriertes Hochwasserrisiko-Management


Neue Instrumente für das Bauen im Umfeld einer industriellen Produktion


Hoheitlich oder privat? Wo liegen die rechtlichen Grenzen der Privatisierung?


42

www.bvpi.de | ISSN 1430-0984
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DER PRÜFINGENIEUR

Mai 2013 |
.
INHALT

EDITORIAL
Dipl.-Ing. Peter Otte: Braucht auch die Bauaufsicht einen Rettungsschirm? 4

NACHRICHTEN
BVPI-Jahrestagung im September in Konstanz: Fachvorträge und Besichtigungstouren 6
BÜV-Mitgliederversammlung: neue Website und neue strategische Ausrichtung 6
DPÜ: Offizielle Akkreditierung der Zertifizierstelle kurz vor dem Abschluss 7
Aktualisierte Fassung der BÜV-Empfehlungen für Windenergieanlagen 7
Großes Interesse am BVPI-Seminar über die Heißbemessung 8
vpi-EBA-Seminar: EC-Anwendung im Brücken-, Ingenieur- und Hochbau der Eisenbahnen 8
Neuer BÜV- Arbeitskreis für Bauwerksprüfungen nach DIN 1076 9
Lutz Lehmann löst Dieter Zauft als Vorsitzender in Brandenburg ab 9
Bericht über Tätigkeiten und Erfolge der pränormativen Initiativen PRB und PiN 10
„Ingenieurforum Tragwerksplanung“ der Prüfingenieure Sachsen-Anhalt in Halle 14
Arbeitstagung der Prüfingenieure Baden-Württemberg Ende Juni in Baden-Baden 14
Besuch aus Weißrussland in der BVPI-Geschäftsstelle in Berlin 14
vpi-EBA-Vorsitzender Dr. Dietmar H. Maier wurde 60 Jahre 15
BÜV-Leitfaden für Wiederkehrende Bauwerksprüfungen im Hochbau 15
21. Bautechnisches Seminar in NRW mit höchst aktuellen Referaten 16
Ehrenpräsident Dr. Hans-Peter Andrä wurde 65 Jahre 17
Bericht aus dem Deutschen Institut für Bautechnik 18
Gundolf Pahn zum Leiter des Technischen Koordinierungsausschusses gewählt 19

BRÜCKENBAU
Dr.-Ing. Gero Marzahn: Die Tragfähigkeitsreserven vieler älterer Brücken sind
weitgehend aufgebraucht – Zur Weiterentwicklung der Nachrechnungsrichtlinie
für die Entscheidung über Verstärkung oder Ersatz 20

BRANDSCHUTZ
Prof. Dr.-Ing. Jürgen Wesche: Brandschutztechnische Bewertung und Ertüchtigung von
Geschossdecken und vertikalen Bauteilen im Bestand – Ergebnisse wissenschaftlicher
Untersuchungen weisen der Praxis neue Wege zu sicheren Nachweisen 30

BRANDSCHUTZ
Dr.-Ing Ekkehard Richter: Brandschutztechnische Bemessung von Stahlbetonstützen
nach Eurocode 2 Teil 1-2 (DIN EN 1992-1-2) – Nachweise sind auch mit
vereinfachten und mit allgemeinen Rechenverfahren möglich 37

GEOTECHNIK
Prof. Dr.-Ing. Rolf Katzenbach et. al.: Die Berücksichtigung und Modellierung
der Interaktion zwischen Baugrund und Tragwerk ist für die Standsicherheit und
Gebrauchstauglichkeit der Konstruktion von entscheidender Bedeutung 44

HOCHWASSERSCHUTZ
Dr.-Ing. Uwe Müller: Methodische und ingenieurmäßige Leistungen für ein
integriertes Hochwasserrisiko-Management – Bestandsaufnahme und Überblick
zehn Jahre nach dem Jahrhunderthochwasser 2002 in Sachsen 63

TRAGWERKSPLANUNG
Dipl. Ing. Stefan Keck: Beispiel Automobilindustrie: Bauen im Umfeld der Produktion
und Standsicherheit im Betrieb – Unter Produktionaspekten realisierte Gebäude
werden auf Gebrauchstauglichkeit getrimmt und regelmäßig überprüft 70
Titelfoto: Craig Cozart/iStockphoto

HAFTUNG
Dr. jur. Christoph Steiner: Hoheitlich oder privat? Wo beginnt die rechtliche Grenze
der privaten bautechnischen Prüfungen? – Die Privatisierung erscheint
dann unzulässig, wenn bestimmte Schwächungstatbestände auftreten können 78

IMPRESSUM 80

Der Prüfingenieur | Mai 2013 3


EDITORIAL

Braucht auch die Bauaufsicht einen Rettungsschirm?

kein Erdbeben: Eingestürzt ist ein Gebäude, das wahrscheinlich jeder


von uns betreten hätte, ohne sich Gedanken über seine Stand-
sicherheit zu machen.

Auch bei dem 1995 zusammengebrochenen Sampoong-Kaufhaus in


Seoul mit über 500 Toten und mehr als 900 zum Teil schwer Verletzten
handelte es sich nicht um einen tragischen Unglücksfall, sondern um
eine von Menschen zu verantwortende Katastrophe. Als Ursachen die-
ses Einsturzes wurden die Verwendung ungeeigneter Baustoffe, die
Diplom-Ingenieur Peter Otte vorsätzliche Missachtung bestimmter Bauvorschriften und eine fehler-
Vizepräsident der Bundes- hafte Baukonstruktion herausgefunden; eine maßgebliche Rolle spiel-
vereinigung der Prüfingenieure ten für den Einsturz wohl auch nachlässige Kontrollen der behördli-
für Bautechnik (BVPI), chen Bauaufsicht und die Bestechlichkeit von Beamten.
Präsident der Ingenieurkammer
Mecklenburg-Vorpommern Wer nun in Deutschland und Europa glaubt, das alles berühre ihn nur
am Rande, das sei ja alles so weit weg, der möge sich an den Einsturz
des Daches der Eissporthalle in Bad Reichenhall im Januar 2006 oder
an den Zusammenbruch des Kölner Stadtarchivs im März 2009 erin-
Hand aufs Herz – sind wir nicht alle der Schlagzeilen überdrüssig, die nern.
im Monats-, Wochen- oder gar im Tagesrhythmus über den Ticker kom-
men und über Missstände und Vorfälle in vielen Bereichen des öffent- Und spätestens hier sollten wir uns fragen (lassen), wie es dazu kom-
lichen Lebens berichten? Selbst ohne exakte Zahlen zu kennen, hat men konnte und wie es wohl weitergehen soll.
man das Gefühl, die Häufigkeit dieser Meldungen und das Ausmaß der
Vorfälle nähmen tendenziell zu. Beginnen wir mit dem Lebensmittelbereich: Dort soll – nach dem Mot-
to „Geiz ist geil“ – allein das Verhalten der Konsumenten dafür ver-
Dabei ist wohl der Lebensmittelbereich am häufigsten betroffen. Wir antwortlich sein, dass nichts unversucht gelassen wird, den Herstel-
erinnern uns an Glykol im Wein, an Würmer im Speisefisch, schimmel- lungsaufwand zu minimieren, Regelungen gäbe es genug, mehr staat-
pilzverseuchtes Tierfutter, Pferde- statt Rindfleisch „im Topf“ oder an liche Kontrollen brächten aber nichts und wären schlicht zu teuer.
vermeintliche Bio-Eier aus der Massentierhaltung.
Geht es um den Banken- und Finanzsektor, dann wird häufig doch
Nicht so zahlreich, aber umso dramatischer waren vermutlich für uns schon einmal von der Gier Einzelner als Ursache des schädlichen, ego-
alle die Horrormeldungen über die Auswüchse der Finanzwelt. Sie be- istischen und kurzsichtigen Verhaltens der Banken gesprochen und
gannen, 2008 mit der Pleite von Lehman Brothers ruchbar zu werden, wegen deren „Systemrelevanz“ mehr Aufsicht nicht nur nicht mehr
zeitigten schmerzhafte pekuniäre Konsequenzen für uns alle und erfor- ausgeschlossen, sondern endlich auch gesetzlich eingeführt. Daran,
derten weltweit Gegenmaßnahmen. dass die Gesetze des Marktes hier etwas im Selbstlauf quasi automa-
tisch zum Guten ändern würden, glaubt offensichtlich niemand mehr.
Für uns Europäer sind die Finanzkrisen in Irland, Portugal, Griechen-
land und Zypern zu schwerwiegenden Meilensteinen geworden, und An dieser Stelle drängt sich die Frage auf: Sind unsere Lebensmittel
sie haben wiederholt den Ruf nach einem Rettungsschirm laut werden und sind nicht alle unsere Gebäude und baulichen Anlagen, die den
lassen, der ja mittlerweile die finanzielle Stabilität im Euro-Währungs- wesentlichen Teil unserer ganzen Infrastruktur bilden, ebenso system-
gebiet sichern hilft. relevant?

Und wie ist es mit dem Bausektor bestellt? Gerade erst haben in Ban- Und was unterscheidet jene Menschen, die andere mit Lebensmitteln
gladesch über tausend Menschen beim Einsturz eines Fabrikgebäudes versorgen oder an der Errichtung und der Erhaltung unserer Infrastruk-
ihr Leben verloren. Dessen Grund waren keine Explosion und auch tur beteiligt sind, von denen, die Bankdienstleistungen erbringen? Sie

4 Der Prüfingenieur | Mai 2013


EDITORIAL

alle müssen sich unter Marktbedingungen behaupten; die aber wer- von der Wirtschaftlichkeit der Angebote und der Vollständigkeit der
den, insbesondere am Bau, auch in der Bundesrepublik Deutschland Leistungserbringung zu überzeugen.
wesentlich von der Art und Weise bestimmt, mit der Planungs- und
Bauleistungen vergeben werden. Ohne wirksame Prüfungen und ohne Kontrollen wächst die Gefahr,
dass Grenzen überschritten und Regeln verletzt werden. Das ist allge-
Entscheidend für Vergaben, auch der öffentlichen Hand, ist nun einmal mein bekannt.
der Preis, und wen wundert es: Jeder Bieter weiß das und jeder holt –
nach immer gleichem Schema – für alles, was er selbst nicht hat oder In welchem Maße dadurch die Sicherheit und Ordnung des öffentli-
nicht für weniger Geld anbieten kann, Angebote von Subunterneh- chen Lebens beeinträchtigt werden können, ist bei den oben erwähn-
mern ein. Bei der Auswahl der Subunternehmerleistungen kommt kei- ten Unglücksfällen deutlich geworden.
ner der Bieter an dem dafür jeweils billigsten Angebot vorbei, denn er
muss damit rechnen, dass auch jeder seiner Mitbewerber gerade die- Warum ist nach dem Einsturz der Eissporthalle in Bad Reichenhall die
ses in sein Angebot mit einbeziehen wird. Nachfrage nach regelmäßigen Überprüfungen von Hochbauten ei-
gentlich deutlich angestiegen?
Das ist nicht neu. Neu sind aber die zunehmend zu beobachtenden ne-
gativen Auswirkungen des Personalabbaus bei den Bauverwaltungen. Doch nicht, weil die Verkehrssicherungspflicht der Eigentümer und
Davon betroffen sind die Vergabestellen ebenso wie die staatliche Bauherrn so selbstverständlich wahrgenommen würde, wie sie als
Bauaufsicht. Das waren und sind, wie wir wissen, die Stellen, die regu- gesetzliche Pflicht besteht, sondern wegen des bekannten „Reueef-
lierend wirksam werden könnten, wenn sie denn ausreichend mit den fektes“, wie ihn alle Verkehrsteilnehmer nach einem Unfall oder einer
erforderlichen Fachkräften besetzt wären. „Blitzerfalle“ kennen, der übrigens im Laufe der Zeit wieder abnimmt.

Solange das nicht so ist, solange wettbewerbswidriges Verhalten bei Die eingangs gestellte Frage aber, ob die Bauaufsicht einen Rettungs-
den Anbietern von Bau- und Planungsleistungen nicht rechtzeitig er- schirm braucht, können wir beantworten mit: Die Bauaufsicht ist der
kannt und nachgewiesen werden kann, haben diejenigen das Nachse- Rettungsschirm unseres Bauwesens, braucht dazu allerdings wieder
hen, die von einem fairen Wettbewerb ausgehen und sich an die Re- die Effektivität aus der Vergangenheit!
geln halten.
Nachdem die Bauaufsicht in den vergangenen Jahrzehnten immer
Der enorme Beschäftigungsrückgang im Bauwesen, der in der zweiten mehr der Deregulierung unterworfen wurde, ist es deshalb höchste
Hälfte der 90er Jahre begann, ist ja nur scheinbar vorbei. Jeder von Zeit, sie wieder ihrer originären Aufgabe zuzuführen und mit den erfor-
uns kann gestandene und gut geführte Firmen nennen, die seitdem derlichen Ressourcen auszustatten, denn nur diejenigen Gesetze und
aufgegeben haben. Das alles kann nicht nur mit der sinkenden Nach- Regeln sind wirkungsvoll, deren Einhaltung auch kontrolliert wird.
frage erklärt werden. Es sind auch die veränderten Rand- und Markt-
bedingungen, unter denen Leistungen am Bau heute vergeben und
überwacht werden, die ihre Spuren hinterlassen.

Es geht hier nicht um die Frage, ob früher alles besser war. Es liegt in
der Natur des Menschen und ist sein großer Vorteil, dass er Verände-
rungen erkennen und sich auf sie einstellen kann. Bleiben die Rah-
menbedingungen wie sie sind, werden wir wohl auch künftig Ereignis-
se beklagen müssen, bei denen die Gier Einzelner zu schwerwiegen-
den Folgen für die Gesellschaft führt. Das mag sich auf Einzelfälle be-
schränken.

Es bleiben der Druck auf die Anbieter auf der einen Seite und die nach-
lassenden Fähigkeiten der Vergabestellen auf der anderen Seite, sich

Der Prüfingenieur | Mai 2013 5


NACHRICHTEN

BVPI-Jahrestagung im September in Konstanz:


Aktuelle Fachvorträge und vier Besichtigungstouren
In einer der wohl am schönsten gelege- Ausbau- und Neubaustrecke Karlsruhe – Ba- ■ die womöglich unterschiedliche Haftung
nen Städte Deutschlands, nämlich in sel und über die Umsetzung von EU-Richtlini- von Prüfingenieuren und Prüfsachverstän-
Konstanz am Bodensee, wird am Freitag en im Bereich der Eisenbahninfrastruktur, digen.
und Samstag, dem 20. und 21. Septem- und im zweiten Vortragsblock über die An-
ber, die diesjährige Arbeitstagung der wendung und Umsetzung der Muster-Indus- Der alljährliche Festvortrag der Arbeitsta-
Bundesvereinigung der Prüfingenieure triebau-Richtlinie (MIndBauRL) bei der Prü- gung der BVPI behandelt am Samstagnach-
für Bautechnik (BVPI) durchgeführt, und fung von Brandschutzkonzepten für landwirt- mittag dieses Jahr die „Diversitätsintelli-
zwar im 600 Jahre alten Konzilgebäude, schaftliche Stallanlagen und über die Prü- genz“, die „Weisheit durch Vielfalt“ ver-
einem der zahllosen stummen aber his- fung von Ingenieurmethoden des Brand- spricht, eine Themenaussage, die Prof. Dr.
torisch beredten Zeugen der 2000 Jahre schutzes im Dialog zwischen Fachplanern med. Johannes Kornhuber begründen und er-
alten Geschichte dieser Stadt, das direkt und Prüfingenieuren. klären wird, der Leiter der psychiatrischen
am Ufer des Bodensees liegt. Wie in je- und psychotherapeutischen Klinik des Uni-
dem Jahr, so bieten die Veranstalter auch Danach geht es vor dem Plenum mit einem versitätsklinikum Erlangen.
2013 ein ungewöhnlich vielseitiges und Vortrag über Stuttgart 21 weiter, einem Sta-
ansprechendes Fachprogramm und ein tusbericht aus Sicht der Planer und Prüfinge- Eingerahmt wird die Fachtagung von einem
außerordentlich abwechslungsreiches nieure, den Volker Weiß von der DB Projekt- abwechslungsreichen Begleitprogramm.
Begleitprogramm an, das von der gast- Bau GmbH und der EBA-Sachverständige Dr.- Während am Freitag vier Touren dazu einla-
gebenden Landesvereinigung Baden- Ing. Wolfgang Rauscher erstatten werden. den, Konstanz und die sehr reizvolle Umge-
Württemberg vorbereitet wird. Dazu passend schließt sich ein Vortrag über bung zu erleben, können sich die Begleitper-
die Frage an, warum wir uns in Deutschland sonen am Samstagvormittag in thematisch
Das Fachprogramm am Freitag beginnt mit so schwer mit Großprojekten tun („Motto: unterschiedlichen Führungen durch Konstanz
aktuellen Berichten über die derzeitige Tätig- Ohne Bauen geht nichts!“). Eine Antwort in die Zeit des Mittelalters entführen lassen,
keit des Deutschen Instituts für Bautechnik wagt und versucht als Referent der Präsident einen Blick hinter die steinernen Fassaden
(DIBt), über die Arbeit der Bauministerkonfe- des Bauindustrieverbandes NRW, Dipl.-Ing. werfen oder beim Rundgang die Sehenswür-
renz und über die Fortschritte der pränorma- Martin Schlegel. digkeiten der Stadt aufsuchen.
tiven Arbeit in der Initiative Praxisgerechte
Regelwerke im Bauwesen (PRB); Vortragende Am Samstag, dem 21. September, geht es Der traditionelle festliche Landesabend mit
sind der Präsident des DIBt, Dipl.-Ing. Ger- fachlich weiter mit Vorträgen über: gutem Essen, Tanz und Unterhaltung wird
hard Breitschaft, der Leiter der Fachkommis- ebenfalls im Konzil stattfinden, einem tradi-
sion Bautechnik der ARGEBAU, Ministerialrat ■ BauTech – HighTech (neue Materialien tionellen Ort der Begegnung, der seine Besu-
Dr.-Ing. Gerhard Scheuermann, und der Ge- und Technologien im konstruktiven Inge- cher in diesem Jahr mit renoviertem Gesicht
schäftsführer der PRB, Dr.-Ing. Lars Meyer. nieurbau), empfangen wird, in modernem Glanz mit
Danach folgen ein Praxisvortrag über das ■ Stützen mit hochfestem Betonstahl im mittelalterlichem Charme.
Building Information Modeling (BIM) und am Hochhausbau,
Nachmittag vier Referate über infrastruktu- ■ Pumpspeicherkraftwerke als Beitrag zur Die Anmeldungen zu den einzelnen Pro-
relle Großbauprojekte und über brandschutz- Energiewende, grammpunkten erbittet die BVPI online bis
technische Themen, und zwar parallel im ers- ■ den Neubau der Kanalüberführung Elbeu zum 7. August 2013 über den Link:
ten Vortragsblock über den Bau des Katzen- in der Osthaltung des Mittellandkanals bei
bergtunnels, des größten Einzelbauwerks der Magdeburg und ➔ www.bvpi.de ➔ Veranstaltungskalender

BÜV-Mitgliederversammlung: alter Vorstand, neue Website


und eine neue personelle und strategische Ausrichtung
Der Bauüberwachungsverein BÜV hat ei- ner Mitglieder und deren Kommunikationsda- lauf die bisherigen Amtsinhaber und die Kas-
ne neue Internetpräsenz erarbeitet und ten, Fachgebiete und Tätigkeiten. Außerdem senprüfer für weitere vier Jahre wiederge-
pünktlich zur jüngsten Mitgliederver- werden die Arbeitsgebiete der BÜV-Arbeits- wählt worden sind. Berichtet wurde über die
sammlung im November 2012 an der kreise beschrieben, die fachlichen Veröffentli- Entwicklung des BÜV seit der Mitgliederver-
Hochschule in München für die Öffent- chungen des BÜV aufgelistet und zum Herun- sammlung 2008 in Saarbrücken, über seine
lichkeit freigeschaltet. terladen dargeboten und der Veranstaltungs- personelle und strategische Neuausrichtung
kalender des BÜV veröffentlicht. Im Mittel- sowie über zahlreiche Verbandsaktivitäten auf
Sie erläutert mit kurzen, einprägsamen Texten punkt der Mitgliederversammlung des BÜV vielerlei Sachgebieten.
dessen Ziele und Zweck, die Historie seiner standen der jährliche Bericht des Vorstandes
Existenz, die fachliche Zusammensetzung sei- sowie dessen turnusmäßige Wahl in deren Ver- ➔ www.buev-ev.de

6 Der Prüfingenieur | Mai 2013


NACHRICHTEN

Die Bemühungen des DPÜ um die offizielle Akkreditierung


seiner Zertifizierstelle stehen kurz vor ihrem Abschluss
Das Deutsche Institut für Prüfung und Bereich Schutz und Instandsetzung von Be- Ziel und Zweck der Akkreditierungsbemü-
Überwachung (DPÜ) hat seine Bemühun- tonbauwerken“ nach DIN EN ISO/IEC 17024 hungen ist es, den Sachkundigen Planer für
gen um eine Akkreditierung seiner Zerti- (Zertifizierung der Fachkompetenz einer Per- den Schutz und die Instandsetzung von Be-
fizierstelle (DPÜ-Zert.GmbH), die nach son). Der zweite Schritt war die Evaluation tonbauwerken unter Verwendung des Be-
der Qualitätsnorm DIN EN 45013 hoch- des 9. DPÜ-Zertifizierungslehrganges „Sach- griffs „Zertifizierung“ mit einem besonderen
qualifizierte Prüfsachverständige zertifi- kundiger Planer im Bereich Schutz und In- Qualitätsmerkmal zu versehen, das europa-
ziert und überwacht, mit zwei weiteren standsetzung von Betonbauwerken“, der weit verstanden wird und Anerkennung fin-
Schritten bis kurz vor den Abschluss vo- vom 26. Februar bis zum 2. März 2013 in Ber- det.
rangebracht. Akkreditierende Stelle soll lin stattgefunden hatte. Diesen Lehrgang,
die Deutsche Akkreditierungsstelle der der, wie in den vergangenen Jahren auch, ei- Die Adressen der Sachkundigen Planer für
Bundesrepublik Deutschland (DAkkS, nen großen Zulauf erfahren hat, wurde im den Schutz und die Instandsetzung von Be-
Berlin) sein. Auftrag der DAkkS von dem Auditor Dr.-Ing. tonbauteilen können unter www.buev-mit-
Ulrich Wöhnl aus Osnabrück begutachtet. Er glieder.de gesucht, eingesehen oder ausge-
Der erste Schritt auf dem weiteren Weg zur konnte sich aus erster Hand einen Eindruck druckt werden.
DAkkS-Zertifizierung der DPÜ-Zert.GmbH von der Qualität der Referenten, der Themen
war die Erarbeitung einer aussagefähigen und der abschließenden Prüfung verschaffen. ➔ www.dpue.de
Dokumentation des Zertifizierungssystems Seine Erkenntnisse waren durchweg positiv,
für die Fachgruppe „Sachkundige Planer im wie er nach dem Lehrgang durchblicken ließ.

BÜV-Empfehlungen für die Überwachung der Bauausführung


von Windenergieanlagen liegen in aktualisierter Fassung vor
Weil der Umfang der Überprüfung und bundesweit geltenden Typenprüfung für die lagen spricht die Tatsache, dass sie Beach-
Überwachung von Windenergieanlagen Turmkonstruktion, deren Ausführung nach tung in der Richtlinie für Windenergieanla-
von den jeweils gültigen bauartübergrei- Einschätzung des BÜV einer verstärkten Kon- gen des Deutschen Instituts für Bautechnik
fenden und baustoffspezifischen Rege- trolle bedarf. gefunden haben („Einwirkungen und Stand-
lungen und Vorschriften abhängig ist, sicherheitsnachweise für die Bemessung von
hat der Arbeitskreis Windenergieanlagen Eine ganzheitliche Überwachung von Bau- Turm und Gründung“, Stand: Oktober 2012;
des Bauüberwachungsvereins (BÜV) jetzt grund, Gründung und Turmkonstruktion, be- ab 15. April 2013 zur Nutzung freigegeben).
eine aktualisierte Fassung seiner „Emp- zogen auf die Übereinstimmung mit den ge- Damit werden sie, wovon die Mitglieder des
fehlungen für die Bauüberwachung von prüften Ausführungsunterlagen, wie sie von Arbeitskreises Windenergieanlagen des BÜV
Windenergieanlagen“ vorgelegt, die er den Bauordnungen der deutschen Länder überzeugt sind, „Planungssicherheit für Bau-
seit 2004 veröffentlicht. vorgeschrieben wird, werde aber, so schreibt herren, Planer und ausführende Firmen im
der BÜV, immer noch sehr oft unterlassen. Sinne einer vorbeugenden Gefahrenabwehr
Die aktualisierten Empfehlungen des BÜV und eines nachhaltigen Verbraucherschutzes
stellen die für die Überwachung der Bauaus- Die novellierten Empfehlungen haben die schaffen“.
führung von Windenergieanlagen notwendi- Form einer Checkliste. Unterschieden wird
gen Maßnahmen und Kontrollen zusammen. zwischen bautechnischen Unterlagen und Die Empfehlungen können kostenfrei herun-
Prüfgegenständen, die bei einer Bauüberwa- tergeladen oder ausgedruckt werden unter:
Grund für die Herausgabe und Novellierung chung stichprobenhaft zu kontrollieren sind.
der Empfehlungen ist die nach wie vor anhal- ➔ www.buev-ev.de ➔ Veröffentlichungen
tende Tendenz, immer mehr Windenergiean- Für die Qualität der Empfehlungen des BÜV
lagen zu errichten, häufig versehen mit einer für die Bauüberwachung von Windenergiean-

Der Prüfingenieur | Mai 2013 7


NACHRICHTEN

Großes Interesse am Seminar über die Heißbemessung


von Stahlbeton- und Spannbetontragwerken
Die Bundesvereinigung der Prüfinge- gen im Brandfall und die brandschutz- qualifizieren wollen. Darüber hinaus sind
nieure für Bautechnik (BVPI) hat zusam- technische Bemessung von Stahlbeton- aber auch die Mitarbeiter in den Büros der
men mit der Technischen Universität und Spannbetontragwerken behandeln Prüfingenieure und Prüfsachverständigen so-
Braunschweig und dem Deutschen Insti- wird. wie die Tragwerksplaner und Brandschutzin-
tut für Normung (DIN) Ende März 2013 in genieure willkommen.
Braunschweig ein erstes Brandschutzse- Als Referenten des Seminars in Braun-
minar mit dem Titel „Heißbemessung – schweig fungierten hervorragende, unabhän- Schon 2008 sind auf Wunsch der Fachkom-
Grundlagen und Anwendungen der gige Kenner dieser Materie: Prof. Dr.-Ing. mission Bautechnik der ARGEBAU und auf
Brandschutzteile Eurocode 1/2“ durch- Dietmar Hosser und Univ.-Prof. Dr.-Ing. Jo- Initiative der BVPI bundesweit in fünf Städ-
geführt. Ungefähr 170 zahlende Teilneh- chen Zehfuß von der Technischen Universität ten in ganz Deutschland Brandschutzsemina-
mer belegen, so die Einschätzung der Braunschweig und Prof. Dr.-Ing. Björn Kamp- re „Heißbemessung – Übergang zwischen
Veranstalter, das sehr große Interesse, meier von der Hochschule Magdeburg-Sten- DIN 4102 und Eurocode“ durchgeführt wor-
das die Prüfingenieure diesem Thema dal; Zielgruppe dieses Seminars sind jene den, mit denen die theoretischen und prakti-
entgegenbringen. Deswegen wird am Prüfingenieure und Prüfsachverständigen für schen Grundlagen der Heißbemessung für
8. Oktober 2013 in Frankfurt am Main Bautechnik, die sich für die bauaufsichtlich den Stahlbeton- und für den Stahl- und Ver-
ein weiteres Seminar zu diesem Thema geforderte Prüfung von Brandschutznach- bundbau im Übergang von der DIN 4102 zum
angeboten, das ebenfalls die Einwirkun- weisen mittels allgemeiner Rechenverfahren Eurocode vermittelt worden sind.

Hintergrund dieser beiden Qualifizierungsak-


tivitäten der BVPI ist der Umstand, dass die
Eurocode-Brandschutzteile in die Musterliste
der Technischen Baubestimmungen (MLTB,
Fassung Dezember 2011) aufgenommen
worden, dass sie seit dem 1. Juli 2012 in al-
len Bundesländern als Technische Baubestim-
mungen (TB) zu beachten und dass sie des-
halb jetzt bei der Bemessung der Standsi-
cherheit tragender Bauteile im Brandfall zu
Grunde zu legen sind.

Inhaltlich basiert das neue Seminar auf dem


Normen-Handbuch „Spezialband Tragwerks-
bemessung für den Brandfall“ und dem ent-
sprechenden Kommentar „Brandschutz in
Voller Hörsaal: Beim ersten Brandschutzseminar der Bundesvereinigung der Prüfingenieure für Europa – Bemessung nach Eurocodes“, die
Bautechnik (BVPI) zum Thema „Heißbemessung“ haben ungefähr 170 Teilnehmer das große In- kurz zuvor im Beuth-Verlag des DIN erschie-
teresse bewiesen, das die Prüfingenieure diesem Thema entgegenbringen. nen sind.

vpi-EBA: Erste Weiterbildung zur EC-Anwendung im


Brücken-, Ingenieur- und Hochbau der Eisenbahnen
Die Vereinigung der Sachverständigen und Im April 2013 sind diese Fortbildungsveran- H. Maier und Dr.-Ing. Dieter Winselmann,
Prüfer für bautechnische Nachweise im Eisen- staltungen erstmals durchgeführt worden, und vom EBA die Diplom-Ingenieure Markus
bahnbau (vpi-EBA) hat zusammen mit dem und zwar in Berlin und in Frankfurt am Main. Köppel und Peter Dollowski. Beide Veranstal-
Eisenbahn-Bundesamt (EBA) und der Deut- Über das Thema „Anwendung der Eurocodes tungen zeichneten sich nach den überein-
schen Bahn AG eine Fortbildungsveranstal- im Brücken- und Ingenieurbau sowie im stimmenden Berichten zahlreicher Besucher
tung konzipiert, deren Hauptaugenmerk auf Hochbau im Bereich der Eisenbahnen“ haben durch ein qualitativ sehr hohes Niveau aus,
die Änderungen gerichtet ist, die durch die dabei angesehene Referenten referiert – aus das es den Teilnehmern ermöglichte, von die-
Eurocodes (seit dem 1. Mai 2013) im Hoch- den Reihen der BVPI der Vorsitzende der vpi- ser Tagung viele praxisorientierte Erkenntnis-
und Ingenieurbau wirksam geworden sind. EBA und sein Stellvertreter, Dr.-Ing. Dietmar se mit nach Hause zu nehmen.

8 Der Prüfingenieur | Mai 2013


NACHRICHTEN

BÜV gründet neuen Arbeitskreis für Bauwerksprüfungen


nach DIN 1076. Zielgruppe sind externe Fachleute
Der Bauüberwachungsverein (BÜV), des- Die vornehmlichen Ziele des Arbeitskreises, Auf lange Sicht stellt die Zertifizierung von
sen Mitglieder erfahrene Prüfingenieure gegliedert nach ihrer beschlossenen Dring- Bauwerksprüfern im geregelten Bereich den
und hochqualifizierte, unabhängige Ex- lichkeit und künftigen Bearbeitungsabfolge, Schwerpunkt der Arbeit des neuen Arbeits-
perten sind, die den Bauherren im Sinne sind: kreises dar. Deswegen sind entsprechende
des Verbraucherschutzes, der Gebrauchs- Kontakte zum VFIB anberaumt worden, um
tauglichkeit und der Dauerhaftigkeit be- ■ Erarbeitung einer Empfehlung unter Be- die Möglichkeit einer Zusammenarbeit zu
raten, hat im April vergangenen Jahres rücksichtigung aller für den Brückenprüf- eruieren.
einen Arbeitskreis gegründet, der die bereich relevanten Aspekte,
„Bauwerksprüfung nach DIN 1076“ zum ■ Unterstützung von Mitgliedern und Bau- Hintergrund der Gründung dieses Arbeits-
Thema seiner Arbeit hat. Inzwischen hat herren bei technischen Fragestellungen, kreises, der eine Mitgliederbefragung vo-
der Arbeitskreis viermal getagt, zuletzt ■ Kontaktpflege zu Bauherren/Bauträgern rausgegangen war, mit der festgestellt wor-
am 2. Mai dieses Jahres. außerhalb des „Vereins zur Förderung der den ist, dass ein Großteil der Mitgliedschaft
Qualitätssicherung und Zertifizierung der des BÜV sie befürworte, ist vor allem die vom
Zielgruppen des neuen BÜV-Arbeitskreises Aus- und Fortbildung von Ingenieurinnen Vorstand des BÜV erkannte Tatsache, dass
sind externe Fachleute, beispielsweise ein- und Ingenieuren der Bauwerksprüfung“ weit über 100.000 Bauwerke des Bundes, der
schlägig tätige Mitarbeiter der Kommunen, (VFIB), Länder sowie der Kreise und Kommunen der
der Flughafengesellschaften sowie der Ver- ■ technisch-rechtliche Thematisierung von Verpflichtung zur Bauwerksprüfung nach DIN
kehrsträger der Länder und des Bundes. Grenzfällen. 1076 unterliegen.

Lutz Lehmann neuer Vorsitzender in Brandenburg


Dank an Dieter Zauft für neunzehn Jahre Ehrenamt
Die Mitgliederversammlung der Landes- Zum neuen Vorsitzenden der
vereinigung der Prüfingenieure in Bran- Landesvereinigung der Prüfin-
denburg hat im November vergangenen genieure in Brandenburg ist
Jahres Dr.-Ing. Lutz Lehmann zu ihrem Dr.-Ing. Lutz Lehmann (li.) ge-
neuen Vorsitzenden gewählt. Er über- wählt worden. Er übernahm
nahm diese Funktion von Dr.-Ing. Dieter dieses Amt von Dr.-Ing. Dieter
Zauft, der den Vorsitz der brandenburgi- Zauft, der dem Berufsstand
schen Landesvereinigung neunzehn Jah- der Beratenden Ingenieure
re innehatte und sich deshalb nicht wie- und der Prüfingenieure für
der zur Wahl gestellt hatte. Baustatik neunzehn Jahre
lang ehrenamtlich gedient
Mit großem Beifall haben die Mitglieder der hat.
Landesvereinigung Brandenburg Dieter Zauft
für sein langjähriges ehrenamtliches berufs- ten berufsständischen Arbeit sei die Beibe- bestens mit ihr vertraut, sodass seine Wahl
politisches Engagement gedankt und damit haltung der bautechnischen Prüfung als ho- zum Vorsitzenden für eine sich berufspoli-
für einen Dienst, den er dem Berufsstand heitliche Aufgabe und des Vier-Augen-Prin- tisch vorteilhaft auswirkende Kontinuität der
nicht nur als Landesvorsitzender der Prüfin- zips für alle Bauvorhaben gewesen. „Und ge- Verbandsarbeit steht.
genieure, sondern auch als Mitglied des Vor- nau dies“, so versicherte der neue Vorsitzen-
standes und Vizepräsident der Brandenburgi- de nach seiner Wahl allen Mitgliedern der Als neue und alte Mitglieder des Vorstandes
schen Ingenieurkammer und als Mitglied des Landesvereinigung, „wird auch das wesentli- der Landesvereinigung wurden bei dessen
Sachverständigenausschusses der Industrie- che Ziel meiner kommenden Arbeit als Lan- turnusmäßigen Wahl in ihren bisherigen Äm-
und Handelskammer Potsdam geleistet hat, desvorsitzender sein.“ tern bestätigt:
in dem Zauft sich, wie in der Mitgliederver-
sammlung lobend hervorgehoben wurde, in Lehmann ist als Mitgesellschafter der Potsda- ■ Dr.-Ing. Lorenz Jonigkeit (Cottbus),
herausragender Weise für die Interessen der mer „Dr. Zauft Ingenieurgesellschaft mbH“ ■ Prof. Dr.-Ing. Gundolf Pahn (Herzberg),
brandenburgischen Ingenieure eingesetzt ha- bereits seit vielen Jahren eng mit der berufs- ■ Dipl.-Ing. Rüdiger Scheel (Schwedt/Oder)
be. Zaufts besonderes Anliegen und immer politischen Arbeit der Landesvereinigung der und
wieder öffentlich erklärtes Ziel seiner gesam- Prüfingenieure verbunden und deswegen ■ Dipl.-Ing. Gerhard Sy (Prenzlau).

Der Prüfingenieur | Mai 2013 9


NACHRICHTEN

Die Arbeit an der Verbesserung und Vereinfachung der


3. Generation der Eurocodes macht deutliche Fortschritte
Ein Situationsbericht über die Ziele, Tätigkeiten und
Erfolge der beiden pränormativen Initiativen PRB und PiN
Die meisten Bauingenieure in Deutsch- 1 Stand der Einführung der Eurocodes in gung war relativ gering, dennoch wird eines
land bewerten die Eurocodes für das Bau- der Praxis klar bestätigt: Von der angestrebten Stich-
wesen als zu praxisfern, zu umfangreich Etwa 500.000 Ingenieure arbeiten in ganz tag-Regelung mit der einheitlichen und zeit-
und als zu schlecht anwendbar. Deswegen Europa mit den Eurocodes für das Bauwesen, gleichen Einführung der Eurocodes sind wir
hat vor zwei Jahren ein Zusammenschluss schreibt das CEN/TC 250 in seinem Entwurf in Deutschland weit entfernt. Gut die Hälfte
von zehn Ingenieur- und Bauindustriever- zum „Response to Mandate M/515 EN. der Antwortenden gab an, dass der Anteil der
bänden, unter ihnen die Bundesvereini- Amending Existing Eurocodes and Extending vorgelegten Tragwerksplanungen nach neu-
gung der Prüfingenieure für Bautechnik the Scope of Structural Eurocodes” im Febru- en Normen (ECs) kleiner als 20 Prozent sei!
(BVPI) und der Verband Beratender Inge- ar 2013. Obgleich aus der Perspektive der Eine fehlende Anwenderfreundlichkeit be-
nieure VBI, die Initiative Praxisgerechte praktisch tätigen Ingenieure enorme Verbes- mängeln die Befragten insbesondere beim
Regelwerke im Bauwesen (PRB) gegrün- serungen an den Eurocodes notwendig sind, Eurocode 3 (Stahlbau).
det, die vom VBI und von der BVPI zusätz- gelten die Codes derzeit als das weltweit am
lich und komplementär um die Praxisini- weitesten entwickelte und verbreitete Nor- Am häufigsten wird bislang wohl der Euroco-
tiative Normung (PiN) ergänzt worden ist. menwerk für den Konstruktiven Ingenieur- de 2 (EC 2, Stahlbeton) angewendet. Der EC 2
Ziel beider Initiativen ist es, eine deutli- bau. ist durch seinen umfangreichen deutschen
che Verbesserung und Vereinfachung der Anhang (NA) bis auf wenige Bereiche, zum
Eurocodes zu erreichen. Von vielen Prakti- Die bauaufsichtliche Einführung der Euroco- Beispiel Durchstanzen und Biegeschlankheit,
kern zuerst mit Skepsis betrachtet, sind des in Deutschland wurde von der Fachkom- nahezu identisch mit der bisherigen DIN
beide Initiativen in sinnvoller Ergänzung mission Bautechnik der Bauministerkonfe- 1045-1. Einschränkungen zur Anwendung
die umfangreiche und komplizierte Auf- renz per Stichtag zum 1. Juli 2012 in des EC 2 ergeben sich derzeit vielmehr durch
gabe mittlerweile inhaltlich und personell Deutschland empfohlen. Um eine Parallelgel- die bislang unzureichende Umstellung der
entschlossen angegangen. Und sie haben tung der vormaligen DIN-Normen mit den bauaufsichtlichen Zulassungen für Baupro-
mit zukunfts- und praxisorientierten Re- neuen europäischen Normen für die Trag- dukte und der marktgängigen Software. Bis
formvorschlägen bereits erste bemer- werksbemessung zu vermeiden, schlossen Ende 2013 werden diese Mängel hoffentlich
kenswerte Erfolge errungen, die im nach- sich zahlreiche Verbände der Empfehlung für behoben sein.
stehenden Beitrag aus der Sicht der PiN die Stichtag-Regelung an, unter ihnen die
ausführlich referiert werden. Bundesvereinigung der Prüfingenieure (BVPI) Mit dem EC 3 wird die Bemessung von Stahl-
und der Verband Beratender Ingenieure bauten im Vergleich zur DIN 18800 bedeu-
Der Zusammenschluss war ein erster (VBI). Inzwischen sind gut zehn Monate ver- tend erweitert. Insbesondere die neuen Mög-
Schritt, sich zu finden und etwas zum gangen. Von den Obersten Bauaufsichtsbe- lichkeiten der „Heißbemessung“ unge-
Zwecke der Eindämmung der Normen- hörden der Länder wurde die Stichtag-Rege- schützter Stahlprofile werden positiv bewer-
flut und zur Wahrnehmung der berech- lung allerdings nicht einheitlich umgesetzt. tet. Ein wesentlicher Kritikpunkt im Stahlbau
tigten Praxis-Ansprüche ihrer Anwender Dadurch ist diesbezüglich in Deutschland er- ist jedoch die Vielzahl von Nachweisformaten
zu tun. Jetzt geht es um die Umsetzung neut ein „föderaler Flickenteppich“ entstan- in allen Bereichen, die im Vergleich zur DIN
des Anliegens der Vereinfachung und An- den [1]. Die Spanne reicht von der Einfüh- 18800 stark aufgebläht und dadurch unüber-
wenderfreundlichkeit – national wie eu- rung der Eurocodes per Stichtag-Regelung, sichtlicher und fehleranfälliger geworden
ropäisch. Die Erkenntnisse, wie das be- zum Beispiel in Hamburg und Baden Würt- sind [2]. Problematisch ist zudem häufig die
werkstelligt werden könne, wachsen, temberg, bis hin zur Parallelgeltung von DIN Anwendung des EC 3 in Verbindung mit DIN
und anfängliche Intuitionen bedürfen ei- Vorschriften und ECs bis Ende 2013, die in EN 1090, da insbesondere kleinere Stahlbau-
ner Korrektur, denn ganz ohne Wissen- Bayern, Hessen, Sachsen-Anhalt und Bremen betriebe noch nicht aktuell nach DIN EN 1090
schaftler und Altnormer wird es nicht ge- gestattet ist (vgl. www.bvpi.de/eurocode/ zertifiziert sind.
hen. Nur müssen sie im Dienste der An- 121206-eurocode-einfuehrung-bundeslaen-
wender stehen, die sich zukünftig stär- der.htm). Vielerorts wird die Verantwortung Die Mehrzahl der praktizierenden Ingenieure
ker artikulieren und mit eigenen Beiträ- leider auf die Prüfingenieure übertragen, da in Deutschland kritisiert die jetzige zweite
gen positionieren werden. Der Erfolg es ihrem Ermessen oder dem der Unteren Generation der Eurocodes für das Bauwesen
wird nur gemeinsam zu erringen sein, Bauaufsichtsbehörden obliegt, ob die Euro- als praxisfern und zu umfangreich. Alle Bau-
denn die Einbringung und die Durchset- codes für ein konkretes Bauvorhaben ange- schaffenden, die in Verbänden und Ingenieur-
zung der Vorschläge in den Normungs- wendet werden müssen oder nicht. kammern organisiert sind, haben diese Ent-
gremien – national wie international – wicklung der Eurocodes zwar geahnt, das
stellt den beinahe noch schwierigeren Im März 2013 führte die BVPI unter ihren heutige Ausmaß aber nicht vorhergesehen
Teil der PRB-Aktivität dar, als ihre origi- Mitgliedern eine Umfrage zur praktischen und möglicherweise nicht mit der erforderli-
näre fachliche Aufgabe. Umsetzung der Eurocodes durch. Die Beteili- chen Widerstandskraft in den nationalen und

10 Der Prüfingenieur | Mai 2013


NACHRICHTEN
internationalen Gremien dagegengehalten.
Insofern ist die Gründung der PRB (Initiative
Praxisgerechte Regelwerke im Bauwesen
e.V.) im Jahre 2011 und die Interessenbünde-
lung der BVPI und des VBI in der Praxisinitia-
tive Normung (PiN) als ein wichtiger Schritt
und großer Erfolg anzusehen.

Ziel ist, die Entwicklung der dritten Generati-


on der Eurocodes, die vermutlich innerhalb
der kommenden fünf Jahre abgeschlossen
werden wird, maßgeblich zu beeinflussen.
Unter Verweis auf die Leitplanken der PRB
[3], die mittlerweile in ganz Europa bekannt
sind, sollen die nächsten Codes für die Inge-
nieure anwenderfreundlicher, verständlicher
und praxistauglicher werden

Der Stand der Aktivitäten in Sachen (prä)nor- Die verantwortungs- und fachlich anspruchsvolle pränormative Arbeit der Praxisinitiative Nor-
mativer Arbeiten auf den verschiedenen Ebe- mung (PiN) wird in Berlin beim Verband Beratender Ingenieure VBI auch im Namen der BVPI
nen wird nachfolgend aufgezeigt. von Dr.-Ing. Ines Prokop und Dipl.-Ing. Christian Klein besorgt.

2 Praxisinitiative Normung PiN – teren unterstützen sie die Projektgruppenlei- mung finanziell. Die Höhe des Sonderbeitra-
Neuigkeiten ter der PG 1 und der PG 3 der PRB sowie die ges richtet sich nach der Größe des Büros.
Für die Stärkung der Position aller praktisch ehrenamtlich tätigen Ingenieurvertreter von Die Normungsaktivitäten der Ingenieure kön-
tätigen Bauingenieure in den nationalen und BVPI und VBI in den Normungsgremien und nen aber langfristig nur durch eine noch brei-
europäischen Normungsgremien haben, wie in den Projektgruppen. Mit Prof. Dr.-Ing. tere finanzielle Beteiligung gesichert werden.
bereits erwähnt, die BVPI und der VBI vor et- Wolfram Jäger (Dresden), dem Vorsitzenden
wa zwei Jahren die Praxisinitiative Normung der Landesvereinigung der Prüfingenieure für Eines steht fest: Wenn wir uns als Ingenieure
(PiN) ins Leben gerufen. Sie ist die Bündelung Bautechnik in Sachsen, sowie Dr.-Ing. Hans nicht proaktiv in das Normungsgeschäft ein-
und gemeinsame Vertretung der Interessen Scholz (WTM ENGINEERS Berlin) stehen den bringen, wird die dritte Normengeneration
von beratenden, planenden und prüfenden beiden Mitarbeitern zwei erfahrene Berater der Eurocodes unter Umständen noch praxis-
Ingenieuren in Sachen Normung. PiN vertritt von BVPI und VBI zur Seite. Für den Erfolg der ferner sein, als es die aktuell gültigen Euro-
die Ingenieure in der PRB. Praxisinitiative Normung sind jedoch noch code-Fassungen sind. Langfristig werden
mehr aktive Mitstreiter willkommen und sehr kleine Büros, die für das deutsche Bauinge-
Für die Professionalisierung der Normungsar- gefragt. Neben der tatkräftigen Unterstüt- nieurwesen so typisch sind, nur überlebens-
beit durch PiN war im November 2011 Dr.- zung durch die Mitglieder von VBI und BVPI fähig und in allen Fachbereichen tätig sein
Ing. Florian Bodensiek beim VBI eingestellt ist die finanzielle Sicherung der beiden Mitar- können, wenn die Normen für den konstruk-
worden. Dessen Arbeit wird seit Oktober letz- beiterstellen und der Ingenieuraktivitäten tiven Ingenieurbau praxisgerecht sind. Damit
ten Jahres durch zwei vom VBI angestellte ganz wesentlich. die Baupraktiker in den Normungsgremien
und gemeinsam mit der BVPI finanzierte ihren Einfluss ausbauen können, muss der
neue Mitarbeiter fortgeführt und intensiviert. Die angestrebte Professionalisierung der Nor- Anteil der praktizierenden Bauingenieure in
Diese sind Dipl.-Ing. Christian Klein und Dr.- mungsarbeit ist ohne erhöhte finanzielle Auf- der Normungs-Triade aus Bauaufsicht, Wis-
Ing. Ines Prokop (Kontakt per E-Mail: wendungen nicht zu leisten. Seit 2011 unter- senschaft und Baupraxis wieder, wie ur-
[email protected] bzw. [email protected], Telefon: stützen die Mitglieder von BVPI und VBI die sprünglich vorgesehen, ein Drittel betragen!
030/26062-281 oder -280). pränormative und normative Arbeit pekuniär. Aber nicht nur das Dabeisein ist wichtig, son-
Die Sonderumlage zur Finanzierung der BVPI- dern vielmehr die aktive Einflussnahme und
Was leisten diese zwei hauptamtlichen Mit- Aktivitäten wurde auf der Mitgliederver- Mitwirkung ist ein maßgebender Eckpfeiler
arbeiter für BVPI und VBI in Sachen Nor- sammlung der Bundesvereinigung der Prüfin- für den Erfolg unserer Initiative.
mung? Erste Voraussetzung für den Erfolg genieure im September 2012 in Dresden er-
der praktisch tätigen Ingenieure in der Nor- neut thematisiert und zur Abstimmung ge- 3 Aktivitäten von PraxisRegelnBau PRB
mung ist die nationale und internationale bracht, weil der Mitgliederbeschluss von Um die pränormative Forschungsarbeit in der
Vernetzung der Akteure. Dazu ist eine enge 2010 lediglich für die Jahre 2011 und 2012 PRB finanziell abzusichern, was Vorausset-
Anbindung der beiden Mitarbeiter an die Ver- galt. Nach einer lebhaften und engagierten zung für eine erfolgreiche Normungsarbeit
bandsaktivitäten und an deren Mitglieder Diskussion wurde mit deutlicher Mehrheit ist, wurden im Sommer 2012 von den Pro-
notwendig. Neben der intensiven Mitarbeit beschlossen, eine jährliche Sonderumlage in jektgruppen PG 1 (Grundlagen und Einwir-
in der Projektgruppe 1 (PG 1, Grundlagen Höhe von 400 Euro pro Mitglied für die Jahre kungen), PG 2 (Stahlbeton), PG 3 (Stahlbau)
und Einwirkungen) und der Projektgruppe 3 2013 bis 2017 zu erheben. Beim VBI unter- und PG 6 (Geotechnik) im Rahmen der For-
(PG 3, Stahlbau) der PRB sollen die neuen stützen insbesondere die Mitglieder der schungsinitiative „Zukunft Bau“ des Bundes-
Mitarbeiter persönlich in den nationalen Nor- Fachgruppe „Konstruktiver Ingenieurbau“ ministeriums für Verkehr, Bau und Stadtent-
mungsgremien (NABau) tätig sein. Des Wei- auf freiwilliger Basis die Praxisinitiative Nor- wicklung (BMVBS) Zuwendungsanträge ge-

Der Prüfingenieur | Mai 2013 11


NACHRICHTEN

Ungefähr 60 Ingenieurinnen und Ingenieure haben im Gebäude des Deutschen Instituts für Bautechnik in Berlin im November an der Tagung teil-
genommen, mit der die einzelnen Projektgruppen der Initiative Praxisgerechte Regelwerke im Bauwesen (PRB) über ihre pränormativen Ziele und
über ihre konkreten Arbeitsergebnisse berichtet haben.

stellt. Gemäß den Ende September 2012 er- dings noch ohne Beschluss. Im CEN/TC 250 Durchsetzung der Vereinfachungen auf euro-
teilten Zuwendungsbescheiden erhält jede hat eine erste Revision des EC 0 bereits ihren päischer Ebene ein wesentlicher Vorteil.
der vier Projektgruppen ein Förderbudget Abschluss gefunden, die die Grundlage für
von maximal 150.000 Euro über 24 Monate. die bevorstehende Überarbeitung aller Euro- Die PG 2 (Stahlbeton) hat die Überarbeitung
Jedem geförderten Euro steht etwa 1 Euro codes darstellt. Eine deutsche Beteiligung der Themen Querkraft und Torsion abge-
aus PRB-Mitteln gegenüber. Zu beachten ist gab es hier bis Mitte 2012 nicht. Prof. Wolf- schlossen. Ein wichtiges Arbeitspaket in 2012
dabei, dass ausschließlich pränormative Ar- ram Jäger ist dort seit jüngstem aktiv, wobei war die Auswertung der Nationalen Anhänge
beiten durch das BMVBS gefördert werden. es sich gezeigt hat, dass die Durchsetzung als eine Voraussetzung für die Weiterent-
Der Antrag der PG 5 (Mauerwerksbau) wurde der Leitplanken der PRB [3] auf europäischer wicklung des EC 2. Wichtige Ergebnisse der
nachgereicht und ist auch bereits genehmigt. Ebene nicht so einfach ist und noch besonde- PG 2 werden im nachfolgenden Kapitel 4
rer strategischer Überlegungen bedarf. zum CEN/TC 250 dargestellt.
Die Projektgruppen PG 1 (Grundlagen und
Einwirkungen), PG 2 (Stahlbeton) und PG 6 In Europa gibt es Bestrebungen, den bisher Die PG 3 (Stahlbau) hat mit teilweise neuer
(Geotechnik) haben in den vergangenen informativen Anhang B langfristig in einen Besetzung ihre Arbeiten seit diesem Jahr in-
Monaten intensiv gearbeitet und umfangrei- normativen Status zu erheben. In der augen- tensiviert. Hervorzuheben ist die nun ver-
che Vereinfachungsvorschläge vorgelegt. Die blicklich überarbeiteten und erweiterten stärkte Beteiligung von beratenden und prü-
PG 5 (Mauerwerksbau) hat sich konstituiert, Form besteht die Gefahr, dass das deutsche fenden Ingenieuren in der PG 3. Auf der
erste Vorschläge zur Straffung erarbeitet und Vier-Augen-Prinzip auf europäischer Ebene 8. Sitzung des Lenkungsausschusses der PRB
die pränormativen Forschungsschwerpunkte ausgehebelt werden könnte und deutschen berichtete Prof. Dr.-Ing. Ulrike Kuhlmann über
definiert. Am 22. November 2012 fand die Politikern auch national dazu Anlass gegeben die anstehende Weiterentwicklung des EC 3.
erste größere öffentliche Informationsveran- wird. Hier ist von deutscher Seite besonders Sie hat die Leitung des CEN/TC 250/SC 3 inne
staltung über die Arbeit der PRB beim Deut- Obacht zu geben. Dieser Tendenz muss aktiv und tat das sowohl aus europäischer als auch
schen Institut für Bautechnik in Berlin statt. entgegengewirkt werden. Jäger sieht aber aus nationaler Sicht. Kuhlmann war der PRB
Etwa 60 Teilnehmer verfolgten die Arbeitsbe- aufgrund der intensiven Gespräche in den gegenüber sehr zugewandt und erhofft sich
richte der einzelnen Projektgruppen mit gro- letzten Monaten doch noch Chancen, die eine gute interaktive Zusammenarbeit. Die-
ßem Interesse. Entwicklungen im Sinne der Ingenieure in der ses Potential muss genutzt werden.
bevorstehenden Phase der Überarbeitung zu
In der PG 1 wurde der EC 0 als Grundlagen- beeinflussen. Dazu wird jedoch eine mühsa- Die Mitarbeiter der PG 6 (Geotechnik) haben
norm redaktionell bearbeitet und Textkürzun- me Überzeugungsarbeit notwendig sein. ihre in vier Pakete aufgeteilten Arbeiten
gen auf ein Drittel des ursprünglichen Nor- schon recht weit vorangebracht. Das erste
mungstextes vorgenommen. Das Ergebnis Für den EC 1, Teil 1-1 (Nutzlasten), Teil 1-3 umfasst die Straffung und Überarbeitung der
hat in einem Entwurf für eine Neufassung im (Schnee) und Teil 1-4 (Wind) wurden eben- sieben Abschnitte des EC 7, Teil 2, und ist
Sinne der PRB seinen Niederschlag gefunden. falls redaktionelle Vereinfachungen erarbei- weitgehend abgeschlossen. Die Verbesse-
Die textlichen Veränderungen wurden dem tet. Die enge personelle Vernetzung der Mit- rungsvorschläge wurden im DIN den zustän-
Spiegelausschuss übergeben und dort bereits glieder der PG 1 in den nationalen und euro- digen Arbeitsausschüssen des Normenaus-
teilweise vorgestellt und diskutiert, aller- päischen Normungsgremien ist hier für die schusses Bauwesen (NABau) bereits vorge-

12 Der Prüfingenieur | Mai 2013


NACHRICHTEN
stellt und dort diskutiert. Wesentlich für die sich auch bei den Entwicklungen zur Novel- in der Normung zu engagieren, da jetzt die
Bauingenieure ist das Arbeitspaket 4 der lierung der Eurocodes. Letztlich wird diese entscheidenden Weichen für die nächste Eu-
PG 6. Zur Harmonisierung der drei im EC 7, Aufgabe nur im fruchtbaren Miteinander al- rocodegeneration in den europäischen Gre-
Teil 1, vorgeschlagenen Nachweisverfahren ler interessierten Kreise und mit gegenseiti- mien gestellt werden. Aus der Vergangenheit
wurden für Flachgründungen, Pfahlgründun- ger Achtung und Akzeptanz gelöst werden haben wir lernen müssen, dass eine solche In-
gen, Baugruben und Böschungen weitere können. teressenvertretung nicht nur ehrenamtlich
Vergleichsrechnungen durchgeführt und Lö- funktioniert, wie das bislang der Fall war“ [1].
sungen für die dimensionslose Darstellung 4 Nachrichten vom NABau und CEN/TC
der Ergebnisse zur besseren Vergleichbarkeit 250 Eine praktische und finanzielle Unterstützung
erarbeitet. Um den Novellierungsprozess der Eurocodes der deutschen Akteure im europäischen Nor-
zu starten, hat die Europäische Kommission mungsgeschäft ist notwendig, um Erfolg zu
Die Erarbeitung von Vereinfachungsvorschlä- im Dezember 2013 dem CEN/TC 250 als eu- haben. PiN und PRB werden dabei nicht allen
gen für die Normung durch die Praktiker ist ropäischem Normungsgremium für den Bau- Aufwand, der dabei anfällt, abdecken kön-
nur ein Teil der PRB-Aktivitäten. Genauso bereich das Mandat M/515 erteilt. Darin wird nen. Ein gewisses Maß an Bereitschaft einzu-
wichtig und weitaus schwieriger ist die Ein- das CEN/TC 250 aufgefordert, ein detaillier- bringen und die eigene Kraft zur Verfügung zu
bringung und Durchsetzung der Vorschläge tes Arbeitsprogramm für die Überarbeitung stellen, wird bleiben. Aber schließlich ist es ja
in den Normungsgremien – national wie in- und Erweiterung der Eurocodes vorzulegen unser Handwerkszeug, um das es geht. Wenn
ternational. und zu begründen. Bis April 2013 sollten die man den Blick auf die Liste der Arbeitspakete
Inhalte des Mandats und die Vorschläge der der SC des CEN/TC 250 wirft, die vorab im
Es ist bekannt, dass es gegenüber der PRB in SC für deren Arbeitspakete durch die an der Wesentlichen die zukünftigen Projektteams
den verschiedenen Kreisen – hier insbeson- Normung beteiligten Kreise in Europa ge- definiert, müssen wir feststellen, dass wir
dere unter den Wissenschaftlern – zahlreiche prüft werden. Ein beachtenswerter Erfolg der noch viel mehr Baupraktiker brauchen, die
kritische Meinungen gibt. Die Bemessungs- Aktivitäten von PiN und PRB ist die Aufnah- sich aktiv an der Normungsarbeit auf den ver-
normen sind für den täglichen Gebrauch in me der Kriterien „Enhanced Ease of Use“ schiedenen Ebenen bis hin zu denen der euro-
den Ingenieurbüros sowie in den Bau- und (dt.: verbesserte Anwenderfreundlichkeit) päischen PTs beteiligen – unterstützt von PiN
Herstellerfirmen bestimmt und sollen die all- und „Simplification“ (dt.: Vereinfachung) in und PRB. Bringen auch Sie sich also mit ein,
gemein anerkannten und bewährten Regeln sämtliche Teile des Arbeitsprogramms, und denn nur „Wer wagt, gewinnt!“
der Technik wiedergeben. Davon sollten auch zwar für alle neun Eurocodes. Die Umsetzung
die Zweifler noch überzeugt und für das ge- dieses Programmpunktes muss natürlich von Literatur:
meinsame Ziel gewonnen werden. den Ingenieuren beständig forciert und kon- [1] Steffens, A.: Bauaufsichtliche Einführung
sequent eingefordert werden. des Eurocode 2. Eine Bestandsaufnahme
Bei den Eurocodes gewinnt man den Ein- aus Anwendersicht. Beratende Ingenieu-
druck, dass sie eher das Konsenspapier euro- Einige Länder wünschen die Aufnahme zahl- re 43 (2013) H. 3/4, S. 47–49.
päischer Normenschreiber und Wissenschaft- reicher neuer Themen in die Eurocodes. Diese [2] Krahwinkel, M.: Bauaufsichtliche Einfüh-
ler sind und der eigentliche Sinn verlorenge- wurden von den Praktikern kritisch geprüft, rung des Eurocode 3. Ein Erfahrungsbe-
gangen ist. Insofern ist allein der Fakt schon da die Eurocodes bekanntlich dem Stand der richt aus der Baupraxis. Beratende Inge-
ein Erfolg, dass sich die Praktiker unter- Technik, nicht dem Stand der Wissenschaft nieure 43 (2013) H. 3/4, S. 50–53.
schiedlicher Verbände gemeinsam gegen die entsprechen sollen. Beispielsweise sind ande- [3] Grundlagen für die Arbeiten der Projekt-
bisherige, eingeschliffene Praxis der Nor- re europäische Länder bestrebt, die Entwick- gruppen – „Leitplanken“. Beraten in der
mungsgestaltung zusammengeschlossen ha- lungen des Model Code 2010 (MC 2010) in ad-hoc-Gruppe Koordination am 7. Sep-
ben. Sicher ist, dass es ohne die Wissenschaft eine Neufassung des EC 2 zu übernehmen. tember 2011. Dokument PRB-PG1_0058.
nicht gehen wird, jedoch muss sie sich auf ih- Dank vornehmlich deutscher Einsprüche und Veröffentlicht u. a. in: Die Initiative Pra-
re eigentliche Aufgabe im Normengeschäft Überzeugungsarbeit wurde die Übernahme xisRegelnBau meldet die ersten konkre-
besinnen und dieser dienen. Die Praktiker neuer Bemessungsformate aus dem MC 2010 ten Arbeitsergebnisse. Der Prüfingenieur
werden in den Normungsgremien durch die auf der letzten Sitzung des SC 2 erfreulicher- Heft 40 Mai 2012, S. 7–9 (http://
PRB-Aktivitäten bereits wesentlich stärker weise mehrheitlich abgelehnt. „Hier zeigt www.vbi.de/aktuelles/newsletter/news/
wahrgenommen und akzeptiert, als dies in sich, wie wichtig es für die deutschen Inge- initiative-praxisregelnbau-erste-arbeits-
der Vergangenheit der Fall war. Dies zeigt nieure ist, sich zur Wahrung ihrer Interessen ergebnisse/)

Der Prüfingenieur | Mai 2013 13


NACHRICHTEN

„Ingenieurforum Tragwerksplanung“ der Landesvereinigung


der Prüfingenieure Sachsen-Anhalt im September in Halle
Die Landesvereinigung der Prüfingenieu- ■ die zerstörungsfreie Schadensanalyse im S&P Clever Reinforcement GmbH in Frank-
re für Bautechnik in Sachsen-Anhalt und Betonbau (Erkundung, Messverfahren, furt am Main,
die Ingenieurkammer Sachsen-Anhalt Auswertung), ■ Prof. Dr.-Ing. Carl-Alexander Graubner
werden am 26. September 2013 in der ■ das Verstärken von Stahlbetonbauteilen vom Fachgebiet Massivbau der Techni-
Martin-Luther-Universität in Halle-Wit- mit geklebten CFK-Lamellen (Konstrukti- schen Universität Darmstadt und
tenberg ihr nächstes „Ingenieurforum on, statischer Nachweis, Brandschutz), ■ Prof. Dr.-Ing. Ireneusz Danielewicz vom
Tragwerksplanung“ veranstalten, das ■ die Nachhaltigkeit im Bauwesen (von der Fachbereich Bauwesen der Hochschule
sich mit den Jahren zu einem bedeutsa- Planung bis zur Zertifizierung), Magdeburg-Stendal.
men und fachlich ergiebigen Weiterbil- ■ Einwirkungen auf Straßenbrücken nach
dungsforum für Bauingenieure aus ganz Eurocode (DIN EN 1991-2). Die Teilnahme kostet 85 Euro (für die Mitglie-
Deutschland entwickelt hat. der der beiden Veranstalter: 60 Euro).
Referenten sind
Mit ihrem diesjährigen Ingenieurforum wol- ➔ www.ing.net.de
len beide Veranstalter wiederum aktuelle ■ Dr.-Ing. Wolfgang Erfurt von der Bauhaus- ➔ www.vpi-sa.de
Themen der Tragwerksplanung aufgreifen Universität Weimar,
und zur Diskussion stellen, und zwar: ■ Dipl.-Ing. Dirk Grunewald von der Firma

GEDANKENtanken: Arbeitstagung der Prüfingenieure


in Baden-Württemberg am 28./29. Juni in Baden-Baden
„GEDANKENtanken: Wissen, Gespräche Fachlicher Schwerpunkt dieser Arbeitstagung der Veranstalter, die Zukunft – gerade auch
und Ideen, die uns weiterbringen“ – un- sind ingenieurtechnische, wissenschaftliche in Europa – für sich positiv gestalten können.
ter diesem Motto veranstaltet die Lan- und berufspolitische Themen.
desvereinigung Baden-Württemberg Neben dem Beruflichen gibt es außerdem ein
der Prüfingenieure für Bautechnik am Neben dem offiziellen Vortragsprogramm ist attraktives Begleitprogramm und einen ge-
28. und 29. Juni im Congress-Centrum in es das Ziel der Tagung, sich kollegial auszu- sellschaftlichen Abend mit Buffet, Tanz,
Baden-Baden ihre jährliche Arbeitsta- tauschen und die fachliche und berufspoliti- Kleinkunst und – für die Unermüdlichen – ein
gung 2013 für Prüfingenieure und Gäs- sche Richtung zu diskutieren und zu festigen. Ausklang im Casino.
te aus Politik, Wirtschaft und Verwal- Nur mit gut funktionierenden Netzwerken
tung. werden die Ingenieure, so die Überzeugung ➔ www.vpi-bw.com

BERUFSPOLITISCHE ÖFFENTLICHKEITSARBEIT und


europapolitische Berufspolitik haben der frühere Präsi-
dent und heutige Ehrenpräsident und der Geschäftsfüh-
rer der Bundesvereinigung der Prüfingenieure für Bau-
technik (BVPI), Dr.-Ing. Hans-Peter Andrä und Dipl.-Ing.
Manfred Tiedemann, im Herbst vergangenen Jahres in
Berlin absolviert, als eine zwanzigköpfige Delegation
staatlich zugelassener Prüfingenieure aus Weißrussland
Deutschland besuchte. Dabei erklärten Andrä und Tie-
demann den weißrussischen Kollegen, wie in Deutsch-
land die Bauplanung, die Baugenehmigung und die
Bauüberwachung strukturiert und geregelt sind und
wie sie funktionieren. Gleichzeitig stellten die beiden
Repräsentanten der deutschen Prüfingenieure ihren
weißrussischen Kolleginnen und Kollegen das deutsche
System der hoheitlichen bautechnischen Prüfung vor,
Unser Foto zeigt Andrä während seines Vortrages über das System der deutschen was eine lebhafte Diskussion mit den Ingenieuren aus
Bauwerksprüfung dem Osten Europas auslöste.

14 Der Prüfingenieur | Mai 2013


NACHRICHTEN

vpi-EBA-Vorsitzender Dr. Dietmar H. Maier wurde 60 Jahre


Mitglied zahlreicher Gremien und Ausschüsse des Stahlbaus
Am 7. Februar 2013 ist der Vorsitzende Dr.-Ing. Dietmar der Landesvereinigung der Prüfingenieure in
der Vereinigung der Sachverständigen Helmut Maier, Baden-Württemberg, seit 2005 auch Mitglied
und Prüfer für bautechnische Nachweise Vorsitzender der im Vorstand der Bundesvereinigung der Prüf-
im Eisenbahnbau (vpi-EBA) und Mitglied Vereinigung der ingenieure für Bautechnik (BVPI) und dort zu-
des Vorstandes der Bundesvereinigung Sachverständigen ständig für das Ressort Bundesbehörden. Seit
der Prüfingenieure für Bautechnik und Prüfer für bau- mehr als zehn Jahren ist Maier obendrein
(BVPI), Dr.-Ing. Dietmar Helmut Maier, 60 technische Nach- Mitglied im Vorstand des Deutschen Stahl-
Jahre alt geworden. weise im Eisen- bau-Verbandes (DSTV) sowie vieler weiterer
bahnbau (vpi-EBA), Stahlbau-Ausschüsse und anderer Nor-
Maier begann 1972 an der Technischen Uni- ist 60 Jahre alt ge- mungsgremien.
versität Karlsruhe das Studium des Bauinge- worden.
nieurwesens (Vertieferschwerpunkt: Stahl- Ein besonderes Anliegen ist Maier das Amt
bau) und machte seine ersten beruflichen Er- genhöhe zu sein und der statischen Berech- des Vorsitzenden der Vereinigung der Sach-
fahrungen bei der Ingenieurgruppe Bauen in nung die ihr zukommende Bedeutung der verständigen und Prüfer für bautechnische
Karlsruhe, bis es ihn 1980 wieder an die Uni- Kontrolle einer guten Konstruktion zu geben. Nachweise im Eisenbahnbau (vpi-EBA). Mit
versität zog, wo er am Institut für Baustatik 1994 wurde Maier als Mitgesellschafter in Ausdauer und hohem Engagement ist es ihm
und Messtechnik unter der Leitung von Prof. die Partnerschaft aufgenommen. in vielen Gesprächen mit den Verantwortli-
Udo Vogel eine Assistentenstelle antrat. 1986 chen im Eisenbahn-Bundesamt und im zu-
wurde er mit einer Arbeit über die „Traglast- Die berufliche Entwicklung Maiers ging ständigen Bundesministerium für Verkehr,
ermittlung räumlicher Stabtragwerke aus rasch weiter. 1997 wurde er in Baden-Würt- Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) gelun-
Stahl und Leichtmetall unter Berücksichti- temberg als Prüfingenieur für Baustatik für gen, mit der vpi-EBA eine Institution für die
gung der Schubweichheit“ mit Auszeichnung Metallbau und Massivbau anerkannt, 2000 bautechnische Prüfung von Eisenbahnbau-
promoviert. Anfang 1987 kehrte er in die Pra- folgten die Anerkennung als Sachverständi- werken, insbesondere von Brücken, zu etab-
xis zur Ingenieurgruppe Bauen mit dem Ziel ger für die bautechnische Prüfung im Eisen- lieren, die den Landesvereinigungen der
zurück, dort verantwortungsvolle Aufgaben bahnbau und 2002 die Bestellung zum Prüfingenieure ähnelt. Vor allem aber ist
wahrzunehmen. Sachverständigen nach Paragraf 20 des Maier die Einführung der „Verwaltungsvor-
Atomgesetzes. schrift für die Bauaufsicht im Ingenieurbau,
Bei den großen und komplexen Projekten, Oberbau und Hochbau“ (VV BAU) und der
die er damals bearbeitete, befolgte und be- Heute ist Maier neben seinen hauptberufli- Gebühren-Verordnung (GebV-EBA) zu dan-
lebte Dietmar H. Maier die professionell chen Obliegenheiten ehrenamtlicher Ob- ken, Regelungen, die mit der Sicherung der
grundlegende Denkweise dieses Büros, mit mann der Fachgruppe Konstruktiver Inge- Qualität der präventiven bautechnischen
durchdachten wirtschaftlichen und praxisge- nieurbau des VBI-Landesverbandes Baden- Prüfung auch die Sicherheit der Bauwerke er-
rechten konstruktiven Entwürfen den Archi- Württemberg, Mitglied im Statisch-Konstruk- höhen.
tektenkollegen ein Planungspartner auf Au- tiven Ausschuss und im Erweiterten Vorstand Josef Steiner

BÜV-Arbeitskreis „Wiederkehrende Bauwerksprüfung


im Hochbau“ erarbeitet einen Leitfaden für die Praxis
Nachdem der Bauüberwachungsverein viermal getagt, zuletzt am 21. Februar Möglichkeit bundesweit einheitlichen Empfeh-
BÜV, wie auf Seite 9 in dieser Ausgabe dieses Jahres. lung für Wiederkehrende Prüfungen im Hoch-
berichtet, im April vergangenen Jahres bau, die sowohl den Bauwerksprüfern als
einen Arbeitskreis „Bauwerksprüfung Die vorrangigen Ziele des neuen Arbeitskreises auch den Bauherren als Leitfaden dienen soll.
nach DIN 1076“ gegründet hatte, hat er, sind bereits im Rahmen der konstituierenden Implementiert werden sollen alle relevanten
weil bei der diesbezüglichen Mitglieder- Sitzung formuliert und entsprechende Aufga- Aspekte, die die wiederkehrende Bauwerks-
befragung auch diese Frage mehrheitlich ben an die Mitglieder ausgegeben worden. prüfung im Hochbau umfasst – unter anderem
bejaht worden war, im Sommer vergan- Vor dem Hintergrund verschiedenster Quellen, die Definition des Anwendungsbereichs, der
genen Jahres in Mannheim auch einen eines aber nicht einheitlichen Standards für Qualifikationsanforderungen und der Vorge-
Arbeitskreis „Wiederkehrende Bauwerk- wiederkehrende Hochbauprüfungen, richtet hensweisen bei der täglichen Arbeit. Mit ei-
sprüfung im Hochbau“ ins Leben geru- sich das Hauptaugenmerk dieses neuen Ar- nem ersten Gesamtentwurf der Empfehlungen
fen. Dieser Arbeitskreis hat inzwischen beitskreises auf die Erarbeitung einer nach wird zum Ende des Jahres 2013 gerechnet.

Der Prüfingenieur | Mai 2013 15


NACHRICHTEN

21. Bautechnisches Seminar in NRW mit sehr kompaktem


Vortragsprogramm und vielen höchst aktuellen Referaten
Ein sehr kompaktes Vortragsprogramm barkeit der Richtlinie mit vielen Kontrollrech- Dass der Europäische Binnenmarkt längst
mit höchst aktuellen Referaten hat das nungen und Beispielnachweisen seitens der auch im Bausektor Realität ist, konnte Molter
21. Bautechnische Seminar NRW gebo- diese Arbeit begleitenden Prüfingenieure be- überzeugend darstellen. Ergänzend erläuter-
ten, das die Landesvereinigung der Prüf- stätigt. te Zwolinski die Anforderungen an die Ver-
ingenieure in Nordrhein-Westfalen, die wendbarkeit von Betonfertigteilen in
Ingenieurkammer-Bau von NRW, der Ergänzend zur Erläuterung der Richtlinie Deutschland. Zu unterscheiden sind danach
nordrhein-westfälische Landesverband stellte Dipl.-Ing. Burkhard Walter vom Inge- folgende Kennzeichnungen:
im Verband Beratender Ingenieure VBI nieurbüro Walter in Aachen eine Vielzahl un-
und das Ministerium für Bauen, Wohnen, terschiedlicher Praxisbeispiele des Ingenieur- ■ Einfeldbalken in einem Kreis: Gütezeichen
Stadtentwicklung und Verkehr des Lan- holzbaus vor. Die Gestaltung von Bauteilan- für freiwillige Überwachung im nicht bau-
des Nordrhein-Westfalen Ende Novem- schlüssen, Konstruktions-Aussteifungen und aufsichtlichen Bereich,
ber 2012 in Ratingen durchgeführt hat- anderer wichtiger Details erläuterte er um- ■ Einfeldbalken in dem Buchstaben Ü: Über-
ten. Nahezu 300 Teilnehmer hörten dabei fassend, entsprechend ihrer Wichtigkeit in ih- einstimmungszeichen gesetzlich vorge-
das Neueste über die Entwicklung der ren jeweiligen statischen Beziehungssyste- schriebene Überwachung im bauaufsicht-
Nachrechnungsrichtlinie als Grundlage men. lichen Bereich. Grundlage bis 2008: DIN
der Bewertung bestehender Brücken, 1045, Teil 1–4 und EN 206-1. Heute sind
über Anforderungen an die Verwendbar- Ein Schwerpunkt des Ratinger bautechni- die europäischen Fertigteilnormen DIN EN
keit von Betonfertigbauteilen aus schen Seminars war der statisch-konstruktive maßgebend,
Deutschland und aus anderen EU-Län- Brandschutz. Hierzu wurden zwei Vorträge ■ CE-Zeichen: Kennzeichen europäisch ge-
dern, über die brandschutztechnische angeboten: Mit dem einen trug Dr.-Ing. normter Produkte, Überwachung in ver-
Beurteilung von Bestandskonstruktionen Ekkhard Richter (ehemals TU Braunschweig) schiedenen Konformitäts-Nachweis-Syste-
und über die Brandschutzbemessung von Nachweisverfahren mit vereinfachten Re- men.
Bauteilen des Stahlbetonbaues. chenverfahren, basierend auf Eurocode 2,
Teil 1-2, vor, mit dem anderen referierte Pro- Einzelheiten sind der jeweils aktuellen Baure-
Neben dem Vortrag von Dr.-Ing. Gero Mar- fessor Dr.-Ing. Jürgen Wesche (TU Braun- gelliste für Deutschland zu entnehmen.
zahn vom Landesbetrieb Straßenbau NRW schweig) über die brandschutztechnische Be-
über die neue Nachrechnungsrichtlinie, in urteilung von Bestandskonstruktionen mit Neue Regelungen sind, so machte Zwolinski
die nunmehr auch die Alterung und Schädi- Schwerpunkt Erkundung und Bewertung der deutlich, nach Inkrafttreten der Bauproduk-
gung bestehender Brücken aufgenommen jeweiligen Leistungsfähigkeit der vorhande- tenverordnung am 1. Juli 2013 zur erwarten.
worden sind (siehe den Beitrag auf Seite nen Bauteile. Allgemeine bauaufsichtliche Zulassungen für
20), fand ein Vortrag von Prof. Dr.-Ing. Wer- einzelne Produkte müssen dann an die Bau-
ner Seim von der Universität Kassel über ei- Beide Vorträge geben dem Tragwerksplaner produktenverordnung angepasst werden.
ne komprimierte, widerspruchsfreie, praxis- das Rüstzeug für die Optimierung des sta- Den Mitteilungen des Deutschen Instituts für
taugliche DIN EN 1995-1 für die Bemessung tisch-konstruktiven Brandschutzes und dem Bautechnik sowie denen der jeweiligen Län-
von Holzkonstruktionen des Hochbaus das Prüfingenieur für die Beurteilung der Brand- der-Bauministerien kommt deshalb größte
besondere Interesse der Teilnehmer dieses schutzqualität der Bauteile an die Hand. Sie Bedeutung zu.
Seminars. Seims erklärtes Ziel: 80/80, wobei werden deshalb in dieser Ausgabe des Prüf-
die beiden Zahlen für die Reduktion des Sei- ingenieurs als bearbeitetes Manuskript ver- Alles im Fluss, das zeigten auch die von Dipl.-
tenumfangs der DIN um 80 Prozent und die öffentlicht (siehe Seite 30 und Seite 37). Ing. Andreas Plietz vom Referat Bautechnik im
Anwendung bei 80 Prozent aller Planungs- Bau- und Verkehrsministerium NW mit profun-
aufgaben des Hochbaus steht. Die Anforderungen an die Verwendbarkeit dem Hintergrundwissen vorgetragenen De-
von Betonfertigteilen aus Deutschland und tails der bauaufsichtlichen Einführung der Eu-
Holz als natürlicher Baustoff mit physikali- EU-Ländern behandelten Dr.-Ing. Matthias rocodes 0 bis 9 mit den Einschränkungen, dass
schen Eigenschaften größter Komplexität Molter von der Firma Bremer AG (Paderborn) EN 1996, Eurocode 6, und EN 1998, Eurocode
macht bekanntlich weitergehende statische und Dipl.-Ing. Stefan Zwolinski vom Güte- 8, zurückgestellt worden sind. In beiden Fällen
Nachweise erforderlich, wenn dynamische schutz Beton NRW. gelten vorläufige Übergangslösungen.
und extensive Einwirkungen auftreten, zum
Beispiel Umweltbedingungen oder ein Ver- Molter zeigte mit zahlreichen Fotos das um- Gebäude, deren Standsicherheit auf der
schleiß der Substanz. Hier erwies sich, wie fangreiche Spektrum des Einsatzes von Fer- Grundlage von Naturbrandmodellen bemes-
Seim erläuterte, ein selektives Vorgehen als tigbauteilen aus Stahlbeton und Spannbeton sen sind, unterliegen Nutzungsbedingungen,
gute Möglichkeit für eine Vereinfachung der und die Andienung der Baustellen in die durch betriebliche Maßnahmen und ex-
DIN EN 1995-1. Inzwischen liegt eine weiter- Deutschland, Luxemburg, Polen, Slowakei, terne Überprüfungen sicherzustellen sind.
entwickelte Richtlinie (Stand: 30. Januar Schweden, Schweiz sowie im Vereinigten Kö- Die jeweils aktuellen Bauregellisten „A“,
2013) vor, der vergleichsweise der Rang ei- nigreich. Bauteilanschlüsse sowie der Zu- „B“ und „C“ sind jeweils verpflichtend.
nes Gelbdrucks beigemessen werden kann. sammenbau insgesamt wurden an vielen De-
Seim hat, wie berichtet wurde, die Brauch- tails erläutert. Dipl.-Ing. Josef Dumsch

16 Der Prüfingenieur | Mai 2013


NACHRICHTEN

Ein Prüfingenieur und Ingenieur von hohen Graden:


Ehrenpräsident Hans-Peter Andrä wurde 65 Jahre alt
Am 28. April 2013 hat der langjährige des von 2005 bis 2012 erworben. Er hat sich
ehemalige Präsident und heutige Ehren- in besonderem Maße engagiert für ein positi-
präsident der Bundesvereinigung der ves Berufsbild der planenden und prüfenden
Prüfingenieure für Bautechnik, Dr.-Ing. Bauingenieure in der Öffentlichkeit und der
Hans-Peter Andrä, MSc., sein 65. Lebens- damit verbundenen Fragen der Qualitätssi-
jahr vollendet. Andrä hat sich zeit seines cherung.“
beruflichen Lebens nicht nur als ein In-
genieur von hohen Graden ausgewiesen, Weitere Ehrenämter waren die Mitgliedschaft
sondern auch auf verbandspolitischem im Vorstand des Deutschen Ausschusses für
Parkett bedeutende berufspolitische Er- Stahlbeton und im Sachverständigenaus-
folge und Ergebnisse von Bestand verbu- schuss „Bewehrungselemente“ des Deut-
chen können. schen Instituts für Bautechnik. In der Initiative
„PraxisRegelnBau“ mit dem Ziel, die Praxis-
Sein akademischer Werdegang war: tauglichkeit der Regelwerke zu verbessern, ist
er Gründungs- und Vorstandsmitglied.
■ 1972 Diplom an der TH Stuttgart,
■ 1975 Regierungsbaumeister in Baden- Dr.-Ing. Hans-Peter Andrä, Ehrenpräsident Seit dem 1. Januar 2013 ist Hans-Peter Andrä
Württemberg, der Bundesvereinigung der Prüfingenieure als Geschäftsführer der LAP GmbH pensioniert
■ 1977 MSc. Universität Calgary, für Bautechnik und von 2005 bis 2012 deren und hat den Vorsitz im Aufsichtsrat der nun als
■ 1981 Dr.-Ing. TU Stuttgart. Präsident, wurde am 28. April 65 Jahre alt AG firmierenden LAP übernommen. Darüber
hinaus wird er der LAP AG weiterhin als Prüf-
1977 trat er in das Büro Leonhardt, Andrä nung und Prüfung für namhafte Bauwerke ingenieur und Berater verbunden bleiben.
und Partner GmbH (LAP) in Stuttgart ein: geleitet.
Ein besonderes Anliegen ist ihm die weitere
■ 1988 Geschäftsführender Gesellschafter, Maßgeblich beteiligt war Andrä auch an der Anwendung von Kohlefaser-Verbundwerk-
■ 1989 Prüfingenieur der Fachrichtung Mas- Einführung der Nachrechnungsrichtlinien stoffen im Bauwesen. Sein Entwurf von „The
sivbau in Baden-Württemberg, und an Nachrechnungen und Beurteilungen Cloud“, einem selbsttragenden Stadiondach,
■ 1995 EBA Sachverständiger, einer großen Zahl von Brücken, insbesondere zusammengesetzt aus zeppelinartigen Auf-
■ 1999 Prüfingenieur in Berlin, in Berlin. triebskörpern, beinhaltet eine Verschmelzung
■ 2003 Leiter der Niederlassung Berlin. von Luftschifftechnologie mit Bautechnolo-
Im Jahre 2005 wurde Hans-Peter Andrä zum gie für eine neue Generation von weitge-
Während dieser Zeit beschäftigte sich Hans- Präsidenten der Bundesvereinigung der Prüf- spannten mobilen Dächern. Dessen Verwirkli-
Peter Andrä mit dem Entwurf von Brücken, ingenieure für Bautechnik (BVPI) gewählt. chung zusammen mit seinem Sohn Hans-
aber insbesondere mit Hochbauten. Sein be- Schwerpunkte während dieser seiner Tätig- Adam könnte die Erfüllung eines Lebenstrau-
sonderes Interesse galt der Forschung und keit waren die Weiterentwicklung und Füh- mes werden.
Entwicklung. Er erwarb 26 Patente für die rung des Verbandes in das europäische Um- Holger Svensson
Weiterentwicklung von Vorspannsystemen, feld, die Positionierung und Mitarbeit im
Lagern und Bauteilen für den Schubverbund Consortium of European Building Control [1] Svensson, H.: Hans-Peter Andrä 60 Jahre.
(Dübel- und Schubleisten). Zuletzt befasste er CEBC, die Verlegung der Geschäftsstelle nach Stahlbau 2008, S. 386. Beton- und Stahl-
sich verstärkt mit der Anwendung von Kohle- Berlin und die Integration des BVPI in das beton 2008, S. 283 Bautechnik 2008, S.
faserlamellen im Bauwesen. Eine Würdigung Netzwerk der Kammern und Verbände. Bei 357, Prüfingenieur Heft 32 (2008) S. 9
seiner Leistungen erschien bereits zu seinem der Übergabe der Leitung der BVPI an seinen
60. Geburtstag [1]. Nachfolger wurde Hans-Peter Andrä zum Eh- [2] Andrä, H.-P., Burghagen, K., Häberle, U.
renpräsidenten ernannt. In der Ernennungs- und Svensson, N.: Geh- und Radwegbrü-
Seitdem hat Hans-Peter Andrä weiterhin in- urkunde heißt es: „Herr Dr. Andrä hat sich cke Weil der Stadt. Bauingenieur 2007, S.
tensiv die Tragwerksplanung, Entwurfspla- große Verdienste um die Leitung des Verban- 342-345.

Der Prüfingenieur | Mai 2013 17


NACHRICHTEN

Neues aus dem DIBt: Übergangsregeln für den Eurocode 6


vor der Bekanntmachung als Technische Baubestimmung
Neue Hinweise zu den Ausführungsklassen von Bauwerken,
Tragwerken oder Bauteilen aus Aluminium
Wegen der besonderen Wirkungen, die und Bemessung von Mauerwerk nach allge- im Anhang IV der Verordnung genannte Pro-
seine Tätigkeit auf die Arbeit der Prüfin- meinen bauaufsichtlichen Zulassungen, die duktbereiche bezogen erfolgen kann. Die
genieure haben kann, hat deren Bundes- noch nach DIN 1053 erteilt werden, nach Eu- Benennung des DIBt erfolgte diesbezüglich
vereinigung vor einiger Zeit mit dem rocode 6 und den zugehörigen nationalen umfassend und „insbesondere für die in An-
Deutschen Institut für Bautechnik (DIBt) Anhängen durchzuführen, wenn hang IV Tabelle 1 der EU-Bauproduktenver-
vereinbart, dass im Prüfingenieur in re- ordnung in der jeweils geltenden Fassung
gelmäßigen Abständen ein „Bericht aus ■ es sich um allgemeine bauaufsichtliche genannten Produktbereiche“. Das DIBt wird
dem DIBt“ erscheinen solle, der über die Zulassungen handelt, die ausschließlich daher auch weiterhin im Auftrag des Bun-
hauptsächlich für die Prüfingenieure re- Mauerwerk aus Mauersteinen und Normal- desministeriums für Verkehr, Bau und Stadt-
levanten aktuellen technischen und kon- mauermörtel, Leichtmauermörtel oder Dünn- entwicklung in der EOTA (Europäische Orga-
struktiven Entwicklungen Auskunft gibt, bettmörtel regeln, nisation für Technische Bewertungen) mit-
die im DIBt bearbeitet werden. Hier nun ■ die Wände aus Mauerwerk nach der je- wirken.
berichtet das DIBt in diesem Sinne über weiligen allgemeinen bauaufsichtlichen Zu-
die Anwendbarkeit des Eurocodes 6 lassung keine Anforderungen an die Feuerwi- Artikel 1 des Anpassungsgesetzes zum Bau-
(Mauerwerksbau), es gibt Hinweise zu derstandsfähigkeit erfüllen müssen, produktengesetz bestimmt das DIBt außer-
den Ausführungsklassen von Aluminium- ■ der in der jeweiligen allgemeinen bau- dem als notifizierende Behörde im Sinne von
tragwerken und es gibt bekannt, dass es aufsichtlichen Zulassung festgelegte An- Artikel 40 Absatz 1 der EU-Bauproduktenver-
einen neuen Aufgabenbereich erhalten wendungsbereich auch bei Bemessung des ordnung.
habe, der ihm durch das Bauprodukten- Mauerwerks nach Eurocode 6 eingehalten
gesetz zugefallen sei. wird. Hinweise zu den Ausführungsklassen von
Aluminiumtragwerken: In der Musterliste
Zur Anwendbarkeit des Eurocodes 6: Näheres über die zu führenden Nachweise im der Technischen Baubestimmungen, Ausgabe
„Bemessung und Konstruktion von Mau- Grenzzustand der Tragfähigkeit nach Euroco- Dezember 2011, sind unter der lfd. Nr. 2.4.3
erwerksbauten“ vor der Bekanntma- de 6 steht im DIBt Newsletter 01/2013, Seite Regelungen für die Bemessung und Kon-
chung als Technische Baubestimmung 6., veröffentlicht auf www.dibt.de. struktion (Eurocode 9) sowie für die Ausfüh-
(Übergangsregeln): Die Fachkommission rung (DIN EN 1090-3:2008-09) von Alumini-
Bautechnik der Bauministerkonferenz hat Die endgültige bauaufsichtliche Einführung umtragwerken angegeben. Für die Zuord-
den Ländern empfohlen, die Normen des Eurocode 6 durch Aufnahme in die Liste nung von Bauwerken, Tragwerken oder Bau-
DIN EN 1990 bis 1995, 1997 und 1999 in Tei- der Technischen Baubestimmungen in den teilen aus Aluminium zu den Ausführungs-
len zum Stichtag 01.07.2012 bauaufsichtlich Ländern ist nach den gegenwärtigen Bera- klassen nach DIN EN 1090-3 gelten die Rege-
einzuführen und gleichzeitig die korrespon- tungen in der Fachkommission Bautechnik lungen in Abschnitt NCI zu A.5 des Nationa-
dierenden nationalen Planungs- und Bemes- für das Jahr 2014 geplant. len Anhangs DIN EN 1999-1-1/NA:2010-12.
sungsnormen aus der Liste der Technischen Die Ausführungen dieses Abschnitts sind teil-
Baubestimmungen zu streichen. Von dieser Das Deutsche Institut für Bautechnik ist weise nicht mehr aktuell, sodass die folgen-
Empfehlung ausgenommen ist unter ande- seit dem 12.12.2012 die deutsche Tech- den Zuordnungen verwendet werden sollten.
rem der Eurocode 6. nische Bewertungsstelle sowie notifizie- (Es ist beabsichtigt, diese Formulierungen in
rende Behörde: Der Bundestag hat das Ge- einer Änderung von DIN EN 1999-1-1/
Es bestehen keine Bedenken, dass die mit setz zur Anpassung des Bauproduktengeset- NA:2010-12 zu berücksichtigen.)
den zugehörigen nationalen Anhängen vor- zes und weiterer Rechtsvorschriften an die
liegende Norm DIN EN 1996 nach § 3 Abs. 3 Verordnung (EU) Nr. 305/2011 zur Festlegung Ausführungsklasse EXC 1: In diese Ausfüh-
Satz 3 Musterbauordnung (MBO) (nach Lan- harmonisierter Bedingungen für die Vermark- rungsklasse fallen vorwiegend ruhend und,
desrecht) als gleichwertige Lösung abwei- tung von Bauprodukten beschlossen. Artikel 1 falls ungeschweißt, auch nicht vorwiegend
chend von den korrespondierenden Techni- dieses Gesetzes trat am 12.12.2012 in Kraft. ruhend beanspruchte Bauteile oder Tragwer-
schen Baubestimmungen zusammen mit den Dieser Artikel ändert das bestehende Baupro- ke aus den in DIN EN 1999-1-1, Abschnitt 3
dann bauaufsichtlich eingeführten Eurocode- duktengesetz und bestimmt das Deutsche In- geregelten Aluminiumlegierungen, für die
teilen unter bestimmten generellen Bedin- stitut für Bautechnik (DIBt) zur einzigen deut- mindestens einer der folgenden Punkte zu-
gungen angewendet werden kann (Näheres schen Technischen Bewertungsstelle sowie trifft:
hierzu siehe: DIBt Newsletter 3/2012, Seiten zur notifizierenden Behörde gemäß der EU-
7 bis 9, veröffentlicht auf www.dibt.de). Bauproduktenverordnung. 1. Tragkonstruktionen mit
– bis zu zwei Geschossen aus Strangpress-
Aus Sicht des DIBt bestehen keine techni- Die EU-Bauproduktenverordnung sieht vor, profilen/Walzprofilen ohne biegesteife
schen Bedenken, übergangsweise Entwurf dass eine solche Benennung auf bestimmte, Kopfplattenstöße,

18 Der Prüfingenieur | Mai 2013


NACHRICHTEN
– druck- und biegebeanspruchte Stützen mit 7. Gebäude, die selten von Personen betreten verschlüsse bei extremen Abflussvolumen,
bis zu 3 m Knicklänge, werden, wenn der Abstand zu anderen Ge- 4. folgende, nicht vorwiegend ruhend bean-
– Biegeträgern mit bis zu 5 m Spannweite bäuden oder Flächen mit häufiger Nutzung spruchte Tragwerke oder deren Bauteile:
und Auskragungen bis 2 m, durch Personen mindestens das 1,5-Fache – Geh- und Radwegbrücken,
– charakteristischen veränderlichen, gleich- der Gebäudehöhe beträgt. – Straßenbrücken,
mäßig verteilten Einwirkungen/Nutzlasten – Eisenbahnbrücken,
bis 2,5 kN/m² und charakteristischen ver- Die Ausführungsklasse EXC 1 gilt auch für – fliegende Bauten,
änderlichen Einzelnutzlasten bis 2,0 kN. andere vergleichbare Bauwerke, Tragwerke – Türme und Maste wie z.B. Antennentrag-
und Bauteile. werke, Kranbahnen, zylindrische Türme
2. Tragkonstruktionen mit max. 30° geneig- wie z.B. Aluminiumschornsteine.
ten Belastungsebenen (z.B. Rampen) mit Be- Ausführungsklasse EXC 2: In die Ausfüh-
anspruchungen durch charakteristische Achs- rungsklasse EXC 2 fallen vorwiegend ruhend Die Ausführungsklasse EXC 3 gilt auch für
lasten von max. 63 kN oder charakteristische und nicht vorwiegend ruhend beanspruchte andere vergleichbare Bauwerke, Tragwerke
veränderliche, gleichmäßig verteilte Einwir- Bauteile oder Tragwerke aus Aluminiumlegie- und Bauteile.
kungen/Nutzlasten von bis zu 17,5 kN/m² rungen, die nicht den Ausführungsklassen
(Kategorie E2.4 nach DIN EN 1991-1-1/NA: EXC 1, EXC 3 und EXC 4 zuzuordnen sind. Ausführungsklasse EXC 4: In die Ausfüh-
2010-12, Tabelle 6.4DE) in einer Höhe von rungsklasse EXC 4 fallen alle Bauteile oder
max. 1,25 m über festem Boden wirkend. Ausführungsklasse EXC 3: Dieser Ausfüh- Tragwerke der Ausführungsklasse EXC 3 mit
rungsklasse zugehörig sind vorwiegend ru- extremen Versagensfolgen für Menschen und
3. Treppen und Geländer in Wohngebäuden. hend und nicht vorwiegend ruhend bean- Umwelt, wie z.B.:
spruchte Bauteile oder Tragwerke aus Alumi-
4. Landwirtschaftliche Gebäude ohne regel- niumlegierungen, für die mindestens einer 1. Straßenbrücken und Eisenbahnbrücken
mäßigen Personenverkehr (z.B. Scheunen, der folgenden Punkte zutrifft: (siehe DIN EN 1991-1-7) über dicht besiedel-
Gewächshäuser). tem Gebiet oder über Industrieanlagen mit
1. Großflächige Dachkonstruktionen von Ver- hohem Gefährdungspotential,
5. Wintergärten an Wohngebäuden. sammlungsstätten/Stadien, 2. nicht vorwiegend ruhend beanspruchte
2. Gebäude mit mehr als 15 Geschossen, Wehrverschlüsse bei extremen Abflussvolu-
6. Einfamilienhäuser mit bis zu 4 Geschossen. 3. vorwiegend ruhend beanspruchte Wehr- men.

Prof. Dr.-Ing. Gundolf Pahn wurde zum neuen Leiter


des Technischen Koordinierungsausschusses gewählt
Zum neuen Leiter des Technischen Koor- Mit Aufnahme seiner Leitungsfunktion hat den im Sinne der Schaffung von Syner-
dinierungsausschusses (TKA) der Bun- Pahn im Konsens mit den Mitgliedern des gien,
desvereinigung der Prüfingenieure für TKA angekündigt, dass die Harmonisierung ■ die intensivere Wahrnehmung von Verbän-
Bautechnik ist auf dem jüngsten Treffen der alten und die Formulierung neuer bun- deanhörungen sowie
dieses Ausschusses Prof. Dr.-Ing. Gundolf desweit gültiger Technischer Mitteilungen ■ die Erarbeitung von Arbeitshilfen, die den
Pahn gewählt worden. Er trat die Nach- der BVPI auch weiterhin auf der Agenda des Mitgliedern als Rüstzeug für die prakti-
folge von Prof. Dr.-Ing. Robert Hertle an, Bundesverbandes stehen, ebenso wie die sche Arbeit an die Hand gegeben werden
der seine verbands- und berufspolitische Ausformulierung eines bereits in Arbeit be- können.
Aktivität künftig auf die pränormative findlichen Leitfadens für die Bauüberwa-
Arbeit konzentrieren möchte. Hertle ist chung. Beide Themen sollen, so Pahn, noch Professor Pahn ist Prüfingenieur für Baustatik
Mitglied des Vorstandes der Bundesver- im Laufe dieses Jahres zu einem vorläufigen (Massivbau, Stahlbau, Metallbau) und hat
einigung und bleibt stellvertretender Abschluss gebracht werden. am Studiengang Bauingenieurwesen der
Leiter des TKA, damit die notwendige ar- Hochschule Lausitz in Cottbus Massivbau
beitstechnische Kontinuität und der en- Weitere Ziele des TKA sind nach Pahns Wor- und Tragwerksplanung gelehrt.
ge Konnex des TKA zum Ressort Bautech- ten:
nik des Vorstandes der BVPI aufrecht er- ■ der Aufbau und die Wahrung von Kontak-
halten werden können. ten zu inhaltlich nahestehenden Verbän-

Der Prüfingenieur | Mai 2013 19


BRÜCKENBAU

Die Tragfähigkeitsreserven vieler älterer Brücken sind


weitgehend aufgebraucht
Zur Weiterentwicklung der Nachrechnungsrichtlinie für
die Entscheidung über Verstärkung oder Ersatz
Viele ältere Brücken in Deutschland haben die Grenzen ihrer 1 Einführung
Tragfähigkeit erreicht. Eine Bewertung nach den gültigen Re-
gelwerken für Neubauten ergaben aber so ungenaue Bilder, Die anhaltende Nachfrage nach größeren und schwereren Lastkraft-
dass alsbald weitergehende Regelungen notwendig wurden, wagen hat zu wissenschaftlichen Untersuchungen [1] mit dem Ergeb-
die auch jene Randbedingungen erfüllen und jene Nachweis- nis geführt, dass für die Brückenbauwerke nicht nur Tragfähigkeitspro-
führung ermöglichen, die im Bestandsbrückenbau im Unter- bleme infolge der neuen LKW-Typen zu erwarten wären, sondern, dass
schied zum Neubau notwendig sind. So entstand die Nachrech- auch der heute vorhandene Güterverkehr bereits entsprechende Pro-
nungsrichtlinie, nach der zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen bleme bereitet. Das stetig gestiegene Schwerverkehrsaufkommen, ver-
schon mehr als neunzig Brücken untersucht worden sind. Dabei bunden mit gestiegenen Achs- und Gesamtgewichten der Fahrzeuge
sind Erfahrungen aufgelaufen, die jetzt bei ihrer Weiterentwick- [2], [3] führt zu Einwirkungen, die das Lastniveau der seinerzeit be-
lung in die Nachrechnungsrichtlinie eingearbeitet werden sol- rücksichtigten Verkehrslastmodelle der Normenreihe DIN 1072 errei-
len. Von diesen Erfahrungen und ihrer Implementierung in die chen beziehungsweise bereichsweise übersteigen und dazu führen,
künftige Nachrechnungsrichtlinie und von ihren praktischen dass vorhandene Tragfähigkeitsreserven älterer Brücken weitgehend
Konsequenzen für den alltäglichen Umgang mit den Bauwerken aufgebraucht sind.
handelt der folgende Beitrag.
Das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
(BMVBS) sah deshalb dringenden Handlungsbedarf [4]. In Zusammen-
arbeit mit den Straßenbauverwaltungen der Länder erstellte die Bun-
desanstalt für Straßenwesen (BASt) einen Kriterienkatalog für eine
Analyse des Bauwerkbestands im Zuge von Bundesfernstraßen, nach
welchem die Bauwerke für weitergehende Untersuchungen priorisiert
wurden, um daraus den Bedarf an notwendigen Verstärkungsmaßnah-
men oder – sofern wirtschaftlich gerechtfertigt – auch an Ersatzneu-
baumaßnahmen ableiten zu können.

Grundvoraussetzung für eine fundierte Entscheidung sind eine realisti-


sche Einschätzung der Leistungsfähigkeit der Bestandsbrücken sowie
ein Vergleich mit dem aus heutiger Sicht gewollten Leistungsniveau,
das durch die Regeln der DIN-Fachberichte beziehungsweise zukünftig
der Eurocodes gegeben ist. Dies erfolgt in der Regel auf rechnerischem
Wege durch eine Nachrechnung der Bauwerke. Dass dabei der aktuel-
le Bauwerkzustand berücksichtigt werden muss, ist selbstverständlich.
Nicht immer sind jedoch Schäden infolge zu hoher Belastung, die sich
Dr.-Ing. Gero Marzahn negativ auf die Tragfähigkeit auswirken, an den Bauwerken durch eine
Prüfung nach DIN 1076 feststellbar. Es existieren viele Bauwerke, die
studierte 1989-1994 Bauingenieurwesen an der TH Leipzig und auch nach Jahren keine wesentlichen Schäden aufweisen, aber den-
promovierte 1995-2000 an der Universität Leipzig bei Prof. Dr.- noch die gestiegenen Belastungen nicht mehr mit ausreichender Si-
Ing. Dr.-Ing. E.h. Gert König; gleichzeitig praktizierte er als ange- cherheit aufnehmen. Auch hier kann nur eine Nachrechnung Auf-
stellter oder beratender Ingenieur bei mehreren renommierten In- schluss über die Bauwerksbeschaffenheit geben.
genieurbüros in Deutschland und in den USA; 2004 wechselte er
zum Landesbetrieb Straßenbau Nordrhein-Westfalen, wo er seit Die ersten Nachrechnungen unter Verwendung des aktuellen Regel-
2006 als Abteilungsleiter Konstruktiver Ingenieurbau sowie als werks für Neubauten lieferten ein ungenaues Bild. Fast keine Brücke
Sachgebietsleiter Tragwerksplanung und statisch-konstruktive überstand eine Nachrechnung, und es setzte sich allmählich die Über-
Prüfung tätig ist; daneben erfüllt er Lehraufträge an der Hoch- zeugung durch, dass es weitergehender Regelungen, als für den Neu-
schule Bochum und an der Ruhr-Universität Bochum, dort an der bau vorgesehen, bedarf. Der Brückenbestand setzt andere Randbedin-
Fakultät für Bau- und Umweltingenieurwissenschaften für den gungen und erfordert eine vom Neubau abweichende Nachweisfüh-
„Erhalt und das Lebensdauermanagement im Brückenbau“; au- rung.
ßerdem arbeitet er in zahlreichen nationalen und internationalen
Normenausschüssen und bautechnische Regeln setzenden Gre- Mit der Erarbeitung der Nachrechnungsrichtlinie kam man diesem An-
mien mit. liegen nach und schuf ein in sich geschlossenes Nachweiskonzept für
die Nachrechnung von bestehenden Brücken, die nicht nach aktuellem

20 Der Prüfingenieur | Mai 2013


BRÜCKENBAU
Regelwerk geplant und gebaut wurden. Alle wesentlichen Bauweisen lichkeit ist, mussten in wenigen anderen Fällen einzelne Bauteilmaße
des Brückenbaus: Betonbrücken, Stahlbrücken, Stahlverbundbrücken neu aufgenommen oder zusätzliche Materialparameter bestimmt wer-
und Gewölbebrücken aus Mauerwerk sind erfasst. Durch eine gestufte den. Bauwerke ohne Bestandsunterlagen waren bisher kaum festzu-
Vorgehensweise, mit der die Genauigkeit, aber auch der rechnerische stellen. Sofern Bauwerke ohne Bestandsunterlagen vorgefunden wer-
Aufwand der Einzelnachweise ansteigen, bietet die Richtlinie vielfach den, sind auf Erfahrung beruhende Vorentscheidungen zu treffen und
verfeinerte Nachweismethoden und damit eine Hilfe für eine mög- wirtschaftliche Abwägungen anzustellen, die entweder zugunsten
lichst wirklichkeitsnahe Beurteilung der Bauwerke unter Berücksichti- oder gegen eine Nachrechnung inklusive einer neuerlichen Bauwerks-
gung der Fortentwicklung der Bautechnik, des technischen Regel- aufnahme sprechen können.
werks, aber auch der gestiegenen Anforderungen hinsichtlich der zu
erwartenden Verkehrsentwicklung. Gleichzeitig werden Bauwerksalter Vor Beginn einer jeden Nachrechnung ist es wichtig, dass der bewer-
und Bauwerkzustand sowie die weitere Nutzung ausreichend berück- tende Ingenieur das Bauwerk vor Ort in Augenschein nimmt, um sich
sichtigt. Die Nachrechnungsrichtlinie eröffnet letztlich die Möglichkeit, selbst einen Eindruck vom Bauwerkszustand sowie von den erkennba-
Reserven des Tragwerks und der Baustoffe stärker auszunutzen [5]. ren möglichen Schäden zu verschaffen. Tiefergehende Untersuchun-
Der bewertende Ingenieur sollte sich jedoch seiner höheren Verant- gen sind im Regelfall damit nicht verbunden, können aber in Abhän-
wortung, die er übernimmt, bewusst sein, weshalb in der Richtlinie gigkeit vom Wissen über den Zustand des Bauwerks oder über typi-
auch Anforderungen an die Nachrechnung, die nachrechnenden Inge- sche Schadensmechanismen sowie über die Detaillierung des Rechen-
nieurbüros, aber auch an die Prüfingenieure formuliert sind. modells erforderlich werden.

Der angestrebte Zweck der Richtlinie ist breiter angelegt, als es die Erfahrungen im Umgang mit alten Brücken und auch Kenntnisse in
erste Ausgabe erwarten lässt. So soll der Rahmen der Nachweismög- den alten Normen, nach denen die Bauwerke seinerzeit geplant und
lichkeiten zukünftig um weitere, allgemein anerkannte und abgesi- gebaut wurden, sind verständlicherweise sehr von Vorteil. So lassen
cherte alternative Ingenieurmodelle erweitert werden. Dadurch wer- sich die Brücken vielfach von vornherein und unter Einbeziehung wei-
den dem Ingenieur weitreichende Möglichkeiten gegeben, den Be- terer Randbedingungen, die für die Brücke von Bedeutung sind, besser
stand besser zu erfassen und die erforderlichen Nachweise auf parallel einschätzen. Wie sich weiter unten zeigen wird, sind gerade auch die
geltendem Wege gleichrangig zu normativen Nachweisen führen zu Querbezüge zu den alten Nachweisformen eine wichtige Triebfeder für
können. die Fortentwicklung der Nachrechnungsrichtlinie.

2.2 Genauigkeit in der Erfassung der Einwirkungen auf Brücken


Die enorme Zunahme des Schwerverkehrs in Deutschland war ur-
2 Erste Erfahrungen mit der sprünglich Auslöser für die Nachrechnung älterer Brücken. Im Ver-
Nachrechnung gleich mit der seinerzeitigen Planung haben sich die Nutzungsbedin-
gungen für die Brücken grundlegend verändert. Insbesondere jene
2.1 Grundsätze und Herangehensweise Brücken, die vor 1985 für eine Brückenklasse 60 und kleiner geplant
Der Landesbetrieb Straßenbau Nordrhein-Westfalen hat inzwischen wurden, besitzen in vielen Spannweitenbereichen keine ausreichen-
mehr als neunzig Brücken nachgerechnet. Dabei wurden vielfältige Er- den Reserven mehr. Die Notwendigkeit von Verstärkungen liegt auf
fahrungen und Erkenntnisse gesammelt, die Anlass für weitergehende der Hand.
Entwicklungsschritte zur Fortschreibung der Nachrechnungsrichtlinie
auslösten und nachfolgend zusammengestellt werden. Ausgehend von dem für Brückenneubauten vorgegebenen Lastmodell
LM1 nach DIN-Fachbericht 101:2009 [11] eröffnet die Nachrechnungs-
Bei den nachgerechneten Brücken handelt es sich in der Regel um richtlinie die Möglichkeit, den Verkehr auf die Örtlichkeit abzustellen
Großbrücken, teilweise aber auch um kleinere Brücken im Verlaufe von und anhand einiger Kennwerte abweichende charakteristische Ver-
ausgewiesenen Autobahnabschnitten in Nordrhein-Westfalen. kehrseinwirkungen als Ziellastniveau festzulegen. Die grundlegende
Vorgehensweise soll auch zukünftig erhalten bleiben. Jedoch sind bis-
Wichtigste Grundlage der Nachrechnung sind zunächst die Regeln der her die entsprechenden Verkehrslastansätze an ehemalige oder aktu-
Nachrechnungsrichtlinie selbst. Diese sind ausführlich in [5] beschrie- elle nationale Regelungen beziehungsweise Bezeichnungen ange-
ben. Darüber hinaus sind die Bestandsunterlagen wichtig, um den ak- lehnt. Zukünftig wird es aus vielfältigen Gründen von Vorteil sein, sich
tuellen Bauwerkszustand möglichst genau zu erfassen. Dazu zählen den europäischen Verkehrslastmodellen anzupassen, worüber weiter
insbesondere: Bestandsübersichtszeichnungen, Bauwerksbuch, ge- unten ausführlicher berichtet wird.
prüfte statische Berechnungen, geprüfte Schal- und Bewehrungspläne,
Schriftverkehr zu technischen Aspekten vom Bau der Brücke, gegebe- Neben den üblichen Eigengewichts- und Temperatureinwirkungen so-
nenfalls gutachterliche Stellungnahmen, bekannte Schäden oder In- wie einer erhöhten Verkehrsbelastung müssen die Bestandsbrücken
standsetzungen sowie Prüf- und Zustandsberichte nach DIN 1076. darüber hinaus vielfach weitere Lasten abtragen, die nicht immer do-
kumentiert, aber bei der Nachrechnung berücksichtigt werden müs-
Wenngleich, dem Vertrauensgrundsatz entsprechend, grundsätzlich sen. Dazu zählen insbesondere nachträglich aufgebaute Lärmschutz-
von der Richtigkeit geprüfter Unterlagen ausgegangen werden kann, anlagen, nachträglich aufgebrachter Aufbeton zur Querneigungsver-
ist der bewertende Ingenieur verpflichtet, diese vor einer Nachrech- besserung, Mehrbelagseinbau, Umwidmung von Standstreifen zu
nung auf Plausibilität zu prüfen. Eine Inaugenscheinnahme des Bau- Fahrstreifen, zusätzliche Auf- oder Abfahrten, Brückenverbreiterungen
werks vor Ort ist dabei obligatorisch eingeschlossen. oder seinerzeit nicht einkalkulierte Temperatureinwirkungen aus Tem-
peraturunterschieden zwischen Brückenober- und -unterkante [6].
Während in den meisten Fällen die Bestandsunterlagen der Bauwerke Auch hier helfen ein genaues Studium der vorhandenen Bauwerksun-
vorhanden und auch lesbar waren, was leider keine Selbstverständ- terlagen und Ortbesichtigungen.

Der Prüfingenieur | Mai 2013 21


BRÜCKENBAU
Nach wie vor gibt es in Bezug auf Verkehrseinwirkungen offene Punk- trolle der Berechnung und eine Einschätzung der Ergebnisse hinsicht-
te. Insbesondere für Verkehrssituationen durch zum Beispiel monoli- lich der Erfolgsaussichten für die Bearbeitung in der Stufe 2 vorneh-
thisch in die Hauptfahrbahn einbindende Auf- und Abfahrtsrampen, men und den weiteren Bearbeitungsweg grob abstimmen.
wie sie beispielsweise in Stadtstaaten oder im Ruhrgebiet oft anzutref-
fen sind, auf denen sich Verkehr bewegt und auch stauen kann, ist In der Stufe 2 dürfen, anders als beim Neubau üblich, besondere Nach-
nicht eindeutig klar, ob diese durch die Verkehrsregellaststellungen ab- weisformate und Nachweismodifikationen gewählt werden. Vielfach
gedeckt sind. Hierzu bedarf es weiterer Präzisierungen. lässt sich die Nachweisführung damit positiver gestalten, sodass die
Nachweise erbracht werden und die Defizite kleiner ausfallen und
Eine andere Verkehrssituation spricht die 4+0-Verkehrsführung an, ei- durch entsprechende Verstärkungsverfahren größtenteils behoben
ne bauzeitliche Verkehrsführung, bei der der gesamte vierstreifige Au- werden können.
tobahnverkehr in beiden Richtungen auf einen Überbau in verengten
Fahrstreifen geführt wird. Auch hierzu bedarf es genereller Regelun- Die Erfahrung zeigt aber auch, dass ein kleiner Teil der Bauwerke im Au-
gen, die gegenwärtig durch die BASt in einem Forschungsvorhaben er- tobahnnetz allerdings derart grundhafte Defizite aufweist, dass prak-
arbeitet werden und die in die Nachrechnungsrichtlinie übernommen tisch keine Möglichkeit besteht, sie mit vertretbarem wirtschaftlichen
werden müssen. Aufwand zu erhalten. Diese Brücken, die insbesondere in den Aufbau-
jahren nach dem Zweiten Weltkrieg errichtet worden sind, bieten für
die Abtragung höherer Lasten keine Reserven, Lastumlagerungen zu
2.3 Genauigkeit in der Ermittlung von Schnittgrößen weniger stark beanspruchten Tragwerksteilen sind oft nicht möglich,
Im Wesentlichen werden die Schnittgrößen bei der Nachrechnung neu und häufig ist der Bauwerkszustand durch schlechte Zustandsnoten
ermittelt und keine Werte der Bestandsstatik übernommen. In der durch eine Brückenprüfung nach DIN 1076 gekennzeichnet. Verstärkun-
Nachrechnung lassen die heute üblichen elektronischen Verfahren zur gen sind daher nur mit unwirtschaftlich hohem Aufwand erreichbar, so-
Schnittgrößenermittlung erheblich genauere Modellierungen von sta- fern die technische Machbarkeit überhaupt gegeben ist. Derartige Brü-
tischen Systemen zu, als dies beim Bau der älteren Brücken möglich cken sind nicht zukunftsfähig und sind, gegebenenfalls auch ohne eine
war. Es ist daher verständlich, dass zwischen den Schnittgrößen der detailliierte Nachrechnung, kurzfristig zu ersetzen.
Bestandsstatik und der Nachrechnung Unterschiede auftreten können.
Für eine Plausibilitätsüberprüfung ist jedoch die Genauigkeit der alten Insbesondere folgende Brückentypen gehören nach den vorliegenden
Ergebnisse in der Regel ausreichend. Erfahrungen aus NRW dazu:

Wenn signifikante Divergenzen zwischen Bestandsstatik und Nach- ■ Brücken mit einer kleineren Tragfähigkeit als Brückenklasse 60,
rechnung auftreten, sind die Gründe dafür zu ermitteln. Erfahrungsge- ■ Hohlkörperplatten,
mäß kann keineswegs immer davon ausgegangen werden, dass die ■ filigrane Verbundbrücken,
neu ermittelten Schnittgrößen qualitativ besser sind als die Schnittgrö- ■ Spannbetonplattenbalken mit sehr dünnen Stegen etc.
ßen der Bestandsstatik. Es hat sich teilweise herausgestellt, dass die
komplexen, modernen Berechnungsprogramme durchaus auch fehler- Andererseits gibt es aber auch eine Anzahl von Brückenbauwerken,
haft angewendet werden und nicht immer Praxiserfahrungen zur die durch die Zunahme des Schwerverkehrs nur unwesentlich beein-
Selbstkontrolle in ausreichendem Maße vorhanden sind. flusst werden. Dazu gehören beispielsweise kleinere überschüttete
Bauwerke. Durch die hohe Erdauflast sind Verkehrslasterhöhungen un-
Der Vorteil einer erneuten Ermittlung der Schnittgrößen bei einer tergeordnet und praktisch ohne Bedeutung für das Tragwerk. Die Zu-
Nachrechnung liegt vor allem darin, dass zum Beispiel die Lastquerver- kunftsfähigkeit dieser Brücken leitet sich allein von ihrem Erhaltungs-
teilung von Einzel- und Linienlasten in den Fahrbahnplatten oder auch zustand ab. Ähnliche Erfahrungen liegen auch mit Brücken kleinerer
die Profilverformung von Plattenbalken- oder Hohlkastenquerschnit- Spannweite vor, die zum Teil nur durch Einzelachsen belastet werden.
ten, Krümmungen des Überbaus im Grundriss, die Einflüsse einer
Schiefwinkligkeit von Plattenbrücken, die Berücksichtigung der Mit- Eine vorhergehende Unterteilung der Bauwerke in sogenannte Bau-
wirkung aller Querträger, Lisenen sowie realistische mitwirkende Brei- werks- oder Brückenfamilien wäre hilfreich, um den Aufwand für die
ten erfasst werden. Selbstredend steigt mit einer detaillierteren Abbil- Nachrechnung reduzieren zu können und dennoch nicht unwirtschaft-
dung des Tragmodells der Rechenaufwand, aber durch diese Schritte lich zu agieren. Hierzu soll eine Parameterstudie einfache und prakti-
lassen sich gegebenenfalls allein schon durch eine realistischere kable Lösungsansätze bereitstellen.
Schnittgrößenermittlung Reserven aufspüren.
Abgesehen von den oben beschriebenen Fällen zeigen sich bei den
2.4 Führen von Bemessungsnachweisen Nachrechnungen für die jeweiligen Bauarten von Brücken (Beton-,
Die Nachrechnung erfolgt in einem gestuften Verfahren. In der Stufe 1 Stahl- und Verbundbrücken) regelmäßig die gleichen und typischen
wird die ältere Brücke nach dem aktuell geltenden technischen Regel- Grundprobleme bei den Bemessungsnachweisen. Neben den höheren
werk gleich einem Neubau bemessen. Auch wenn die Nachweise in Verkehrslasten auf Brücken sind dafür veränderte Bemessungsformate
der Regel nicht erbracht werden können, lassen sich damit alle Defizi- und höhere Nachweisanforderungen ursächlich. Hier entsprechende
te im Vergleich zum heute üblichen Brückenstandard aufzeigen. alternative Nachweisverfahren anzubieten, ist eine Hauptaufgabe für
die Fortschreibung der Nachrechnungsrichtlinie, um die Erfolgsaus-
Es hat sich als sehr zweckmäßig herausgestellt, nach Vorliegen der Er- sichten einer Nachrechnung zu verbessern.
gebnisse für die Stufe 1 diese zu bewerten und erst danach die Nach-
rechnung fortzuführen. Da in Stufe 1 für alle Brücken der gleiche neu- 2.5 Bemessungsdefizite bei den Betonbrücken
trale Beurteilungsmaßstab angelegt wird, können erfahrene Projekt- Zirka 85 Prozent aller Brücken in Nordrhein-Westfalen sind in Beton-
verantwortliche bereits bei dieser Besprechung eine Plausibilitätskon- bauweise errichtet; mehr als die Hälfte davon ist in Spannbeton aus-

22 Der Prüfingenieur | Mai 2013


BRÜCKENBAU
geführt. Die Spannbetonbauweise hat sich nach dem Zweiten Welt- weise oder auch für die bauliche Durchbildung von zum Beispiel ortho-
krieg rasant entwickelt, wobei wichtige Impulse von Deutschland aus- tropen Fahrbahnplatten erforderten teilweise umfangreiche Anpassun-
gingen. gen und Korrekturen. Gelegentlich hinkte die Normung der tatsächli-
chen Entwicklung und Verwendung bestimmter Bauweisen und Bau-
Nicht zu verhindern war, dass durch viele Neuentwicklungen auf die- teile hinterher, sodass Daten bauaufsichtlicher Einführungen grund-
sem Gebiet sich erst nach einiger Zeit Erfahrungen einstellen konnten sätzlich nur als Anhalt dienen können [10].
und nach wie vor sogenannte Kinderkrankheiten den Bauwerken aus
jener Zeit anhaften, die heute in der Nachrechnung als Defizite aufge- Ebenso prägend war aber auch die stetig wachsende Bedeutung der
deckt werden. Diese typischen Defizite bei Betonbrücken sind regel- Lohnkosten im Verhältnis zu den Materialkosten im Fertigungsprozess.
mäßig zu finden: Ältere Brücken weisen einen äußerst sparsamen Materialeinsatz und
ein minimiertes Montagegewicht aus, sodass liebevoll und anhand der
■ Biegung mit Längskraft bei sehr schlanken Überbauten und gerin- Schnittkraftverläufe eng abgestufte Tragstrukturen den Stahlbrücken-
gen Betondruckflächen im Innenstützenbereich, bau jener Zeit dominierten. Die Konstruktionen waren zunächst genie-
■ generell zu geringe Betonstahlgehalte in Spannbetonbrücken mit tet, dann teilgeschweißt oder geschraubt. Mit dem Einzug industrieller
allen anhängenden Problemen, wie zum Beispiel ein nicht ausrei- Fertigungsmethoden und dem gestiegenen Lohnkostendruck setzten
chendes Ankündigungsverhalten bei spannungsrisskorrosionsge- sich vollgeschweißte Konstruktionen mit relativ hohem Vorfertigungs-
fährdeten Spannstählen oder eine zu geringe Ermüdungsfestigkeit grad durch [10]. Neuentwicklungen, wie zum Beispiel die orthotrope
insbesondere in den Koppelfugen, Fahrbahnplatte, wurden dadurch erst ermöglicht und gaben ihrerseits
■ zu geringe Betondeckung, Entwicklungsimpulse im Großbrückenbau.
■ fehlende Gurtanschlussbewehrung bei Plattenbalken und Hohlkäs-
ten, Im Verbundbrückenbau folgte die Dimensionierung der Betonfahr-
■ zu geringe Vorspanngrade und deshalb Probleme beim Nachweis bahnplatte ebenfalls dem Credo einer Gewichtsminimierung. In der
der Dekompression etc. Regel wurden die Fahrbahnplatten längs und quer durch Spannglieder
■ Ein übersichtlicher Abriss ist in [6], [7] gegeben. im Verbund vorgespannt, oder die Vorspannung wurde über eine ein-
geprägte Deformation mittels Absenkung der Lager konstruktiv einge-
Das dringendste Problem bei den Spannbetonbrücken, die immerhin tragen.
fast 70 Prozent unseres Brückenbestandes ausmachen, ist aber eine zu
geringe beziehungsweise nicht normativ nachweisbare Querkrafttrag- Leider sind durch den, aus heutiger Sicht zu geringen Materialeinsatz
fähigkeit. Ein wesentlicher Grund liegt hierbei in der Umstellung der keinerlei Reserven bei den älteren Stahl- und Stahlverbundbrücken
Nachweisformate von ehemals DIN 4227 auf DIN-Fachbericht 102. vorhanden. Die Minimierung der Stahlmassen führte zu einer extre-
Wenn man die Nachweise nach DIN 4227:1988 [8] heranzieht und die men Abstufung zwischen Haupt- und Nebentraggliedern mit der Folge
Zugtragfähigkeit des Betons in gewissen Grenzen zulässt, gelingen in einer nahezu einhundertprozentigen Spannungsausnutzung. Typisch
aller Regel die Nachweise. Zwar ist ein entsprechendes Nachweisfor- für Bauwerke aus jener Zeit ist darüber hinaus, dass aus Ermangelung
mat im DIN-Fachbericht 102 [9], Gleichung (4.119), enthalten, jedoch normativer Anforderungen kein Vergleichsspannungsnachweis geführt
gilt dieses nur für nicht dynamisch beanspruchte Konstruktionen, zu wurde und in der Nachrechnung aufgrund der hohen Materialausnut-
denen die Brücken bekanntermaßen nicht zählen. zung sich nachträglich kaum führen lässt.

Das Problem ist erkannt. Gegenwärtig wird mit Hochdruck an einer Andere typische Defizite sind unter anderen:
Lösung gearbeitet; mehrere Forschungsvorhaben wurden dazu von der
BASt initiiert. Weiter unten soll darauf etwas näher eingegangen wer- ■ ungenügende Beulsicherheit der Stege und der gedrückten Gurte
den. von Kastenträgern,
■ teilweise ungenügende Biegedrillknicksicherheit der Untergurte im
Erkenntnisse der Nachrechnung sind aber auch die, dass bei älteren Innenstützenbereich,
Spannbetonbrücken durchaus nicht selten Baufehler festzustellen ■ Verwendung teilweise ungeeigneter Baustähle (hoher Verunreini-
sind, die hauptsächlich die komplexe Querkraft- und Torsionsabtra- gungsgrad) etc.
gung betreffen. Teilweise enthält die Bestandsstatik grobe Berech-
nungsfehler, oder es wurden für die Schubabtragung unwirksame Be- Des Weiteren wurden bis zur Einführung der DIN-Fachberichte im Stra-
wehrungskonstruktionen vorgesehen. So enden die Schubzulagen oh- ßenbrückenbereich keine Betriebsfestigkeitsnachweise geführt. An-
ne ausreichende Verankerungsmöglichkeit in halber Steghöhe oder die stelle eines rechnerischen Nachweises sollten Konstruktionsregeln die
Torsionsbügel sind nicht geschlossen. In diesen Fällen ist es bei der Ermüdungssicherheit herstellen, die jedoch aus heutiger Sicht zumin-
Nachrechnung kaum noch möglich, einen Nachweis zu erbringen oder dest teilweise als unzureichend eingestuft werden müssen. Dazu ge-
eine wirtschaftliche Verstärkungsmaßnahme zu entwerfen [6]. hören auch die Qualitätsanforderungen von Schweißverbindungen,
deren Ausführungsqualität kaum eine sichere Zuordnung zu Kerbgrup-
2.6 Bemessungsdefizite bei den Stahl- und Stahlverbund- pen in der Nachrechnung ermöglicht. Ähnlich den Betonbrücken sind
brücken in den Betonfahrbahnplatten keine ausreichenden Mindestbeweh-
Auch der Stahl- und Stahlverbundbrückenbau ist durch eine stellen- rungsgrade vorhanden, die Betondeckung ist zu gering ausgeführt
weise rasante Entwicklung, insbesondere in der Verbindungstechnik, oder Zwangsbeanspruchungen, zum Beispiel Schwindverformungen
gekennzeichnet. Häufige Anpassungen an den Stand der Technik führ- oder Temperatureinflüsse, sind nicht ausreichend eingerechnet.
ten zu einer Vielzahl von sich stetig ändernden Normen oder anderer
Regelwerke, sodass ein sehr heterogenes Bild entsteht. Insbesondere Bei älteren Stahl- und Verbundbrücken ist in der Regel eine kurzfristige
neue Regelungen für die Berechnungsverfahren, die Stabilitätsnach- Tragwerksverstärkung notwendig, damit als Ergebnis der Nachrech-

Der Prüfingenieur | Mai 2013 23


BRÜCKENBAU
nung eine gewisse akzeptable Restnutzungsdauer bis zu einer grund- Im Übrigen betrifft dies nicht nur die Widerstandsseite, sondern auch
legenden Verstärkung oder einem Ersatzneubau angegeben werden die Einwirkungsseite, was mit der Festlegung des Ziellastniveaus in
kann. Kurzfristige Verstärkungen betreffen unter anderem zusätzliche Teilen bereits heute angewandt wird.
Stahllaschen zur Aufdopplung der Stahlträgergurte, zusätzliche Aus-
steifungsverbände oder Beulsteifen für Trägerstege oder Bodenbleche Geplant ist, die Nachrechnungsrichtlinie zeitnah fortzuschreiben und
etc. Vielfach müssten auch Schweißnähte erneuert, aufgearbeitet oder mit der zweiten Auflage um alternative Nachweisverfahren zu berei-
verstärkt werden, um ein verbessertes Ermüdungsverhalten zu errei- chern. Hierbei sollen insbesondere jene Bereiche angesprochen wer-
chen, was jedoch praktisch kaum möglich ist. Aus Kostengründen wird den, die gegenwärtig in der Nachrechnung große Probleme bereiten,
man diese kleinteiligen Verstärkungen inklusive der zugehörigen Kor- wie zum Beispiel das Querkrafttragverhalten bei Spannbetonbrücken
rosionsschutzarbeiten nur auf unbedingt notwendige Maßnahmen be- oder Anprallvorgänge auf Fahrzeugrückhaltesysteme auf Brücken.
schränken, um eine möglichst ungehinderte Verkehrsführung bis zu Aber auch die Einwirkungsseite wird angesprochen und um entspre-
umfassenden Verstärkungs- oder Erneuerungsmaßnahmen zu ermögli- chende Regelungen ergänzt werden.
chen.
3.2 Entwicklungsperspektiven der Nachrechnungsrichtlinie auf
der Einwirkungsseite
3 Schlussfolgerungen für die 3.2.1 Ziellastniveau für die Verkehrseinwirkung
Normungsarbeit Ein Schwerpunkt der Fortentwicklung der Nachrechnungsrichtlinie ist
die Einwirkungsseite. Mit der Festlegung eines Ziellastniveaus kann
3.1 Allgemeines bereits heute die Verkehrsbeanspruchung auf den örtlich vorhandenen
Wie eingangs dargestellt, gibt es eine riesige Menge bestehender Brü- Verkehr abgestellt werden. Ausgehend vom Verkehrslastmodell für
ckenbauwerke, die den heutigen Ansprüchen nicht mehr genügen. den Brückenneubau gilt als Grundlastniveau das Lastmodell 1 des
Durch eine Nachrechnung werden die statischen Defizite aufgezeigt, DIN-Fachberichts 101 [11], welches über verschiedene Einflusspara-
die in wirtschaftlicher Abwägung zu einem Ersatzneubau durch ent- meter, wie zum Beispiel Straßenkategorie, Schwerverkehrsbelastung
sprechende Verstärkungen behandelt werden müssen, um sie ohne und Schwerverkehrszusammensetzung, beeinflusst wird und dem ört-
wesentliche Einschränkungen weiter nutzen zu können. lich vorhandenen Verkehr in gewissen Grenzen angepasst werden
kann. Neben der Straßenkategorie, dem Unterscheidungsmerkmal der
Die Erfahrungen mit den bisher durchgeführten Nachrechnungen ma- Straßenquerschnitte, wird das Ziellastmodell durch den Schwerver-
chen aber auch deutlich, dass gewisse Fragen an die angewandten kehrsanteil am Gesamtverkehr und damit durch das Nutzungsverhal-
Nachweise selbst oder an deren Nachweisgrenzen auftreten, die auf- ten der Brücke durch Schwerverkehr bestimmt. Maßgebenden Einfluss
grund mangelnden Wissens bisher unbeantwortet geblieben sind, die haben dabei die durchschnittliche tägliche Verkehrsstärke der Fahr-
teilweise weitergehender Überlegungen bedürfen oder insgesamt For- zeugarten des Schwerverkehrs (DTV-SV) sowie die Schwerverkehrscha-
schungsbedarf aufdecken. rakteristik, mit der zwischen schwerem Transitverkehr, mittelschwerem
Regional- und leichtem Ortslieferverkehr und damit letztlich der
Viele Konstruktionen verfügen im Vergleich zu den rechnerisch nach- Schwerverkehrszusammensetzung unterschieden wird. Dabei wird da-
weisbaren Tragfähigkeiten gegebenenfalls noch über Tragfähigkeitsre- von ausgegangen, dass der Verkehr mit hohem mehrachsigen LKW-
serven, die zum Teil wegen der Normenlage nicht aktiviert werden Anteil überwiegend im überregionalen Streckennetz mit großen Ent-
können. Ein wesentlicher Punkt ist dabei die Berücksichtigung einer fernungen (Verkehrsart „Große Entfernung“ – Verkehrskategorie 1),
Betonzugfestigkeit bei den Querkraftnachweisen im Spannbetonbau. der Verkehr mit relativ gleichmäßig verteiltem LKW-Anteil im regiona-
Während bei der Neubauplanung eine Betonzugfestigkeit aus guten len Streckennetz mit Entfernungen bis zu 100 km (Verkehrsart „Mittle-
Gründen vernachlässigt wird, müssen für Bestandsbauwerke andere re Entfernung“ – Verkehrskategorie 2) und der örtliche Lieferverkehr
Regeln gelten. Dies genau war auch der Grund, weshalb für die Nach- mit einem hohen LKW-Anteil mit zwei und drei Achsen im Ortsverkehr
rechnung ein eigenes Regelwerk in Form der Nachrechnungsrichtlinie (Verkehrsart „Ortsverkehr“ – Verkehrskategorie 3) stattfindet. Die
geschaffen wurde. Ein Blick in das Ausland hilft hier ebenso weiter, Schwerverkehrskategorien sind gegenwärtig gegeneinander fest ab-
wie ein Blick in unsere alten Bemessungsnormen. gegrenzt. Tatsächlich überlappen sie sich etwas, was zukünftig bessere
Berücksichtigung finden soll.
Mit dem gestuften Vorgehen in der Nachrechnung ist bewusst Raum
für zukünftige Entwicklungen gelassen worden. Die unterschiedlichen Ziellastniveaus, aus denen der Ingenieur sich ein
zutreffendes Verkehrslastmodell herausfiltert, sind in der Richtlinie
So bietet die Stufe 2, wenn bisher auch nur in engen Grenzen, vorgegeben und durch wissenschaftliche Untersuchungen belegt [12],
Nachweismodifizierungen im Vergleich zum normativen Vorgehen [13]. In Anpassung an die bisherige Ingenieurpraxis und wegen des
nach Stufe 1 an. Abweichungen von der Norm werden dadurch für Fehlens eigener Nachrechnungsklassen in den DIN-Fachberichten wur-
Bestandsbauwerke ermöglicht. Zukünftig sollen diese Möglichkei- den die Verkehrslastmodelle in Anlehnung an die alten Verkehrsregel-
ten deutlich erweitert werden, indem weitere und bisher normativ lasten der Normenreihe DIN 1072 [14] abgeleitet und so bezeichnet.
nicht erfasste, jedoch ingenieurmäßig abgesicherte Nachweisver-
fahren als gleichwertige Alternative zu den Normnachweisen für die Mit der Einführung der Eurocodes für den Brückenbau in Deutschland
Anwendung aufbereitet werden. Dies hätte zugleich den bauprakti- bietet sich nunmehr die Möglichkeit, die Ziellastniveaus an das euro-
schen Vorteil, dass der bewertende Ingenieur einen größeren Hand- päisch geprägte Verkehrslastbild LM1 nach DIN EN 1991-2 [15] (Euro-
lungsspielraum erhält, indem er im Rahmen der Nachrechnungs- code 1) in Verbindung mit DIN EN 1991-2/NA [16] heranzuführen.
richtlinie von den Bemessungsnormen abweichen kann und den- Denkbar wäre es, wie bei den Neubauten eine Regelung über Anpas-
noch keine zum Teil aufwendige Zustimmung im Einzelfall erwirken sungsfaktoren αQi und αqi an das Lastmodell LM1 nach Eurocode 1
muss. (Tab. 1) zu erreichen. Dafür sind jedoch keine Vergleiche der Lastmo-

24 Der Prüfingenieur | Mai 2013


BRÜCKENBAU

Doppelachse Gleichmäßig verteilte Last


Grundwert αQi angepasster Grundwert αqi angepasster
Stellung Grundwert Grundwert
Achslast Achslast qik αqi · qik
Qik in kN αQi · Qik in kN in kN/m2 in kN
Fahrstreifen 1 300 1,0 300 9,0 1,33 12,0
Fahrstreifen 2 200 1,0 200 2,5 2,4 6,0
Fahrstreifen 3 100 1,0 100 2,5 1,2 3,0
andere Fahrstreifen 0 – 0 2,5 1,2 3,0
Restfläche (qrk) 0 – 0 2,5 1,2 3,0
Tabelle 1: Charakteristische Verkehrseinwirkung LM1 nach DIN EN 1991-2 in Verbindung mit DIN EN 1991-2/NA [15], [16]

delle untereinander durchzuführen, sondern ein Vergleich der Verkeh- 3.3 Entwicklungsperspektiven der Nachrechnungsrichtlinie auf
re, die in der Nachrechnungsrichtlinie den Ziellastniveaus hinterlegt der Widerstandsseite
sind. Für die Nachrechnungen wäre mit dieser Lösung ein Vorteil durch In fast allen Nachrechnungen von Bestandsbauwerken zeigt sich, dass
weniger Rechengänge und eine vereinfachte Lastüberlagerung gege- den heutigen Belastungen die Brücken oftmals keinen ausreichenden
ben; für die Straßenbauverwaltung läge der Vorteil in der Vergleichbar- rechnerischen Tragwiderstand mit der erforderlichen Zuverlässigkeit
keit von Tragfähigkeiten unterschiedlicher Brückengenerationen. entgegensetzen können. Die Ursachen sind sehr vielfältig, finden sich
in geänderten Bemessungskonzepten, veränderten Rechen- und Last-
Eine Annäherung der Nachrechnungsregeln an europäische Entwick- annahmen, veränderten Baugewohnheiten, gegebenenfalls aber auch
lungen hätte darüber hinaus den Vorteil, dass man sich in der Nach- in Rechenfehlern in der Originalstatik etc. Dennoch werden teilweise
rechnung nicht nur dem Stand der Technik anpasst, sondern sich auch vorhandene Tragreserven nicht genutzt oder dürfen nicht genutzt wer-
Gestaltungsmöglichkeiten im Rahmen europäischer Nachrechnungs- den, weil diese normativ nicht zugelassen sind. Hierauf zu reagieren
normen sichert. Ein entsprechendes Forschungsvorhaben ist kürzlich ist ebenfalls Aufgabe der Nachrechnungsrichtlinie, weil für Bestands-
durch die BASt beauftragt worden. bauwerke eigene Regeln gelten können. Dieser Thematik wird augen-
blicklich sehr viel Energie und Fleiß gewidmet, um für die dringends-
3.2.2 Ersatzlasten für Anprall auf und unter der Brücke ten Probleme auf der Widerstandsseite, möglichst kurzfristig – gege-
Ein weiteres Feld, welches im Rahmen der Fortschreibung der Nach- benenfalls auch vor Veröffentlichung der 2. Ausgabe der Nachrech-
rechnungsrichtlinie bearbeitet wird, betrifft die Festlegung auf Ersatz- nungsrichtlinie – den Straßenbauverwaltungen und den Ingenieuren
lasten für Anprall auf und unter der Brücke. Gegenwärtig trifft die ein erweitertes Instrumentarium an die Hand zu geben.
Nachrechnungsrichtlinie dazu keine Aussagen. Dies hat zur Folge, dass
bei Nachrechnungen oder auch nur bei einem Neuaufbau der Kappen Die Formulierung alternativer Querkraftnachweise von Spannbetonbrü-
auf bestehenden Bauwerken die Ersatzkräfte nach DIN-Fachbericht cken steht gegenwärtig im Fokus der Diskussion. In der Regel liegt es an
101 [11] und zukünftig des Eurocodes 1 [15], [16] anzuwenden sind. zu geringer Querkraftbewehrung, die einen „normativen“ Nachweis
nach dem geltenden Regelwerk nahezu unmöglich machen. Teure
Hierbei ist festzustellen, dass die normativen Anpralllasten auf Schutz- Schubverstärkungen oder gar Ersatzneubauten sind die Folge. Könnte
einrichtungen sich von ehemals 100 kN (Brückenklasse 60) auf 400 kN man die vorhandene Tragfähigkeit des Betons rechnerisch berücksichti-
(Beanspruchungsklasse C) beziehungsweise maximal 600 kN (Bean- gen oder gar ein gänzlich anderes, ingenieurmäßig abgesichertes Trag-
spruchungsklasse D) deutlich erhöht haben. Die in der aktuellen Fas- modell in Ansatz bringen, zum Beispiel ein Sprengwerk oder einen
sung des DIN-Fachberichtes 101 vorgegebenen Lasten stellen also ei- Druckbogen, ließen sich gegebenenfalls viele Bauwerke wirtschaftlich
ne Herausforderung insbesondere im Zuge von Brückeninstandsetzun- erhalten. Entsprechende Forschungsvorhaben wurden von der BASt ini-
gen dar, weil das Bauwerk einschließlich seiner Kappenverankerung tiiert, die zumindest teilweise kurzfristig abgeschlossen werden können.
ursprünglich für wesentlich geringere Lasten ausgelegt wurde. Eine
Nachrechnung oder eine Kappenerneuerung mündet daher nicht sel- Der Berücksichtigung einer Betonzugfestigkeit kommt dabei eine be-
ten in umfangreiche Nachrüstungen des Kragarms und der Kappen- sondere Bedeutung zu, weshalb im Folgenden näher darauf eingegan-
schlussbewehrung. gen werden soll. Interessanterweise lassen sich vielfach Parallelen zur
seinerzeitigen Bemessungsphilosophie ziehen.
Diesen Umstand aufgreifend hat die BASt ein Forschungsvorhaben mit
dem Ziel initiiert, die rechnerischen Grundlagen sowohl für die Kap- 3.3.1 Nachweis der Querkrafttragfähigkeit von Spannbeton-
penverankerung als auch für die Kragarmbemessung mit Hilfe von FE- trägern
Modellen genauer abzubilden und die Lastvorgaben nach DIN-Fachbe- Ältere Spannbetonbrücken weisen im Vergleich mit heutigen Brücken
richt 101 zur Berücksichtigung von Anpralllasten auf Schutzeinrichtun- häufig sehr geringe Querkraftbewehrungsgrade auf, die in der Nach-
gen anhand von Versuchsergebnissen von Anfahrversuchen zu verifi- rechnung nach heutigen Verfahren zu erheblichen Bewehrungsdefizi-
zieren. ten führen können. Das verwundert nicht, da die Bemessungsergeb-
nisse auf Grund der häufigen Änderungen der Nachweiskonzepte in
Das Vorhaben ist noch nicht abgeschlossen, aber es wird angestrebt, der Entwicklung des Spannbetonbaus nicht direkt vergleichbar sind.
die Ergebnisse möglichst kurzfristig in die Nachrechnungsrichtlinie zu So hat sich nicht nur die Querkraftbeanspruchung auf Grund gestiege-
implementieren. ner Verkehrslasten erhöht, sondern die Nachweiskonzepte selbst ha-

Der Prüfingenieur | Mai 2013 25


BRÜCKENBAU
ben sich grundlegend über die Jahre verändert, was insbesondere für Mit Ausgabe von DIN 4227:1973-06 [20] wurden die Mindestquerkraft-
die Widerstandsseite zutrifft. Dennoch ist unter den derzeit einwirken- bewehrungsgrade leicht modifiziert, wie auch in DIN 4227-1:1979-12
den Verkehrslasten kein Querkraftversagen an den Brücken beobach- [21] und DIN 4227-1:1988-07 [22]. Mit der Einführung von DIN-Fachbe-
tet worden, sodass die Bauwerke trotz rechnerischer Bewehrungsdefi- richt 102:2003 wurde der heute gültige Standard vorgegeben. Als Min-
zite offensichtlich in der Lage sind, die gestiegenen Lasten sicher auf- destschubbewehrungsgrade ergeben sich bei gegliederten Querschnit-
zunehmen. ten mit vorgespanntem Zuggurt und BSt 500S folgende Werte:

Diese Erkenntnis regte an, sich mit den älteren Nachweiskonzepten in- ■ C20/25: ρw = 1,6 · 0,070 = 0,11%
tensiver zu beschäftigen, um insbesondere für die Bestandsbrücken ■ C30/37: ρw = 1,6 · 0,093 = 0,15%
Reserven zu aktivieren, die für den Neubau verständlicherweise nicht ■ C40/50: ρw = 1,6 · 0,112 = 0,18%.
berücksichtigt werden.
Die Mindestquerkraftbewehrung deckt die Schubrisslast mit einfacher
Die Querkraftbemessung bei Ausgabe der ersten Spannbetonnorm DIN Sicherheit (γs = 1,0) ab. Damit soll ein schlagartiges Versagen der Bü-
4227:1953-10 [17] beruhte auf dem Hauptzugspannungskriterium. gel durch innere Kraftumlagerung beim Übergang vom ungerissenen
Danach musste bis zu einem bestimmten Grenzwert der Hauptzugs- in den gerissenen Zustand vermieden werden.
pannungen unter rechnerischen Bruchlasten im ungerissenen Zustand
(Zustand I) keine rechnerisch erforderliche Schubbewehrung eingelegt Obwohl die Nachweiskonzepte nicht direkt miteinander vergleichbar
werden, weshalb damit der Höhe der Vorspannung, als Einflusspara- sind, erlauben die Mindestquerkraftbewehrungsgehalte einen Ver-
meter auf die Hauptspannungen, eine bestimmende Bedeutung zu- gleich untereinander. So sind in Abb. 2 die Mindestbewehrungsgehal-
kam. Auf eine Angabe von Mindestbewehrung war verzichtet worden, te ρw,min ab 1966 in Abhängigkeit der charakteristischen Zylinder-
sodass es dem Ermessen des Konstrukteurs überlassen wurde, ent- druckfestigkeit fck,cyl150 dargestellt. Es ist ersichtlich, dass mit Anwen-
sprechende Bügel vorzusehen. Aus wirtschaftlichen Erwägungen war dung der Normen ab 1966 die geforderte Mindestquerkraftbewehrung
daher die Vorspannung immer so hoch gewählt worden, dass die für gegliederte Querschnitte mit vorgespanntem Zuggurt (Schrägriss-
Hauptzugspannungen klein genug blieben und keine rechnerisch er- bildung im Steg) sogar nach DIN Fachbericht 102 [9] eingehalten ist.
forderliche Bügelbewehrung eingebaut werden musste (Abb. 1). Für allgemeine Querschnitte (Biegeschubrissbildung) werden die Ver-
hältnisse noch günstiger. Es kann folglich davon ausgegangen wer-
den, dass bei Bauwerken, welche nach 1966 erbaut und nach den da-
mals gültigen Regelwerken bemessen worden sind, keine Probleme
durch fehlende Mindestquerkraftbewehrung auftreten werden.

Abb. 1: Querkrafttragfähigkeit nach DIN 4227:1953-10 [17]

In der Folge können für Brücken aus jener Zeit erhebliche Defizite in
der Querkrafttragfähigkeit bestehen, weil die Betonzugfestigkeit nach
heutigen Bemessungskonzepten nicht ausgenutzt werden darf.

Die Gefahr von Sicherheitsdefiziten in der Schubtragfähigkeit von


Spannbetonbrücken, die nach DIN 4227:1953-10 [17] bemessen wur- Abb. 2: Vergleich der Mindestquerkraftbewehrung der bisherigen Re-
den, wurde seinerzeit erkannt, weshalb mit den Zusätzlichen Bestim- gelwerke mit der aktuellen Norm DIN-Fachbericht 102 [24]
mungen zu DIN 4227 (ZB DIN 4227:1966-02 [18] und ZB DIN
4227:1966-11 [19]) darauf reagiert und Mindestbewehrungsgrade für Ab der Ausgabe DIN 4227:1973 [20] war eine unterschiedliche Bemes-
die Querkraftbewehrung definiert wurden. Grundsätzlich war danach sung der Schubbewehrung für die Zone a und b vorgesehen. In Zone a
eine Schubbewehrung nachzuweisen, wobei jedoch die Hauptzug - wurden wegen Einhaltung der Randzugspannungen und Aufrechter-
spannungen im ungerissenen Zustand Einfluss nahmen. Bei Verwen- haltung von Zustand I keine Biegerisse erwartet, sodass im Wesentli-
dung eines Betonstahls III waren folgende geometrische Mindestbe- chen die Querkraftabtragung dem Beton zugewiesen werden konnte.
wehrungsgrade für Bügel einzuhalten: In Zone b konnten sich Schubrisse aus Biegerissen entwickeln, sodass
der Beton für die Querkraftabtragung ausfiel und die Querkraft über
■ B300 (entspricht etwa C20/25): ρ = 0,14% (0,12%) ein Fachwerkmodell mit Druck- und Zugstreben weitergeleitet wurde.
■ B450 (entspricht etwa C30/37): ρ = 0,18% (0,15%) Bei gleicher Querkraft ergab sich bei der Bemessung für Zone a eine
■ B600 (entspricht etwa C40/50): ρ = 0,22% (0,18%) geringere Querkraftbewehrung als für die Zone b.

Die Klammerwerte für ρ ergeben sich durch Umrechnung der Streck- Mit Einführung des DIN Fachberichts 102 entfiel die Zone a, und eine
grenzen auf einen Betonstahl BSt 500S mit dem Faktor 420/500 = Beteiligung des Betons am Lastabtrag wurde generell vernachlässigt;
0,84. ein Umstand, der für Bestandsbrücken so nicht aufrecht erhalten wer-

26 Der Prüfingenieur | Mai 2013


BRÜCKENBAU
den kann und den Bedarf an zusätzlichen Regelungen für ältere Brü- vorgeschlagen. Dieser Wert geht auf Empfehlungen von Leonhardt/
cken aufzeigt. Mönnig [26] zurück.

Für Querkraftnachweise im Grenzzustand der Tragfähigkeit ließe sich


4 Entwicklungsperspektiven für mit diesen Ansätzen eine zukünftige Schubrissbildung ausschließen,
einen Querkraftnachweis im insbesondere auch, weil die schiefen Hauptzugspannungen unter Ge-
brauchslasten meist weniger als 50 Prozent der Werte im Traglastfall
Grenzzustand der Tragfähigkeit erreichen. Bei den meisten bisher untersuchten Brücken lag der vor-
handene Querkraftbewehrungsgrad über dem zur Vermeidung eines
Bauteile ohne Querkraftbewehrung können Lasten abtragen, solange unangekündigten Schubbruches erforderlichen Bewehrungsgrad.
der Beton ungerissen ist. Dabei wird die Querkrafttragfähigkeit von
Bauteilen ohne Querkraftbewehrung maßgeblich durch die Zugfestig- Mittels dieses Konzeptes ließen sich wahrscheinlich viele Problembrü-
keit des Betons bestimmt. Allgemein darf ein Betonbauteil als ungeris- cken hinsichtlich ihrer Querkrafttragfähigkeit im Grenzzustand der
sen angesehen werden, wenn es im Grenzzustand der Tragfähigkeit Tragfähigkeit nachweisen, und viele ansonsten notwendige Verstär-
vollständig überdrückt ist oder wenn die Hauptzugspannung im Beton kungsmaßnahmen wären entbehrlich.
einen Grenzwert fctd nicht überschreitet. Streng genommen sind diese
Regelungen im DIN-Fachbericht 102 [9] durch das implementierte
Hauptzugspannungskriterium bereits aufgenommen, nur gelten diese 5 Entwicklungsperspektiven für
Formeln nicht für durch Verkehr beanspruchte Brücken, womit die Riss- einen Querkraftnachweis im
empfindlichkeit nochmals betont wird.
Grenzzustand der Ermüdung
Auf dieser Basis ließe sich folgende Hypothese aufbauen: Sofern im
Grenzzustand der Tragfähigkeit eine zukünftige Schubrissbildung bei Seit der Einführung der DIN-Fachberichte sind auch Straßenbrücken
einer Brücke ohne vorhandene Schubrisse ausgeschlossen werden gegen Ermüdung nachzuweisen.
kann und genügend Bügel vorhanden sind, um ein ausreichendes An-
kündigungsverhalten zur Vermeidung eines plötzlichen Schubversa- Hinsichtlich der Querkrafttragfähigkeit eines Bauteils unter einer er-
gens sicherzustellen, könnte die Betonzugspannung fctd als Nachweis- müdungswirksamen Beanspruchung beteiligt sich der Beton, ebenso
grenze für den Querkraftabtrag durch den Beton gelten. Als Nachweis- wie unter einer statischen Belastung, an der Querkraftabtragung. Al-
grenze (ohne Teilsicherheitsbeiwerte) würde der untere Quantilwert lerdings ist experimentell nachgewiesen, dass die Betonzugfestigkeit
der Zugfestigkeit des Betons definiert werden: mit zunehmender Lastwechselzahl abfällt [27], was die Festlegung ei-
nes Grenzwertes für die schiefe Hauptzugspannung zunächst er-
σ ct 1 ≤ fct,max = fctk;0 ,05 (1) schwert. Die Festlegung eines Grenzwertes über das Hauptzug-
spannungenkriterium, welches im DIN-Fachbericht 102 [9] in der Glei-
Die Zugfestigkeit fctk;0,05 liegt in der Größenordnung der in DIN 4227 chung (4.118) dargestellt ist, gilt nicht für Brücken, weil es sich hierbei
vorgegebenen zulässigen Hauptzugspannung für den Nachweis der um Bauteile unter einer vorwiegend nichtruhenden Belastung handelt:
Querkraft unter der rechnerischen Bruchlast ohne Nachweis einer
Schubsicherung durch Bügel. 2
I ⋅ bw  fctk;0,05  fctk;0,05
VRd,ct =  γ  − σ cd γ (4)
S c c
Unter Einbeziehung der Teilsicherheiten würde der Grenzwert fctd fol-
gende Form annehmen:
Dies war Ausgangspunkt für weitergehende Forschungsarbeiten an
fctd = α ct · fctk ;0 ,05 / γ c (2) der RWTH Aachen mit dem Ziel, eine Nachweisgleichung für die Quer-
krafttragfähigkeit von Spannbetonbrücken unter einer dynamischen
wobei der Wert αct nach DIN EN 1992-2/NA zu 0,85 [23] angenommen Belastung herzuleiten.
wird. Unter Berücksichtigung der Betonnacherhärtung wäre auch αct
= 1,0 gerechtfertigt [25]. Im Gegensatz zum Neubau, dessen zukünfti- Hilfe gibt dabei der vereinfachte Nachweis der Betonspannungen unter
ge Eigenschaften angestrebt werden, sind beim Bestandsbauwerk einer zyklischen Druckbeanspruchung, hier allerdings mit der Annahme,
Kenntnisse über die Eigenschaften des Bauwerks und die verwendeten dass unter einer zyklischen Belastung der Beton sich unter Zug ähnlich
Materialien unter Berücksichtigung des Erhaltungszustands bereits wie unter Druck verhält. Anstelle der maximalen und minimalen Beton-
vorhanden. spannungen werden die maximalen und minimalen Bemessungswerte
der statischen Querkrafttragfähigkeit VRd,ct eingesetzt, sodass darauf
Der Teilsicherheitsbeiwert für den Beton γc ist nach DIN-Fachbericht aufbauend die Querkrafttragfähigkeit wie beim Ermüdungsnachweis
102 für unbewehrte Bauteile mit Beton γc = 1,80 anzunehmen. Da die der Betonspannungen durch bezogene Belastungskombinationen
Brücken meistens eine geringe Schubbewehrung aufweisen, könnte VEd,max/VRd,ct und VEd,max/VRd,ct ausgedrückt werden kann:
analog zum Neubau der Teilsicherheitsbeiwert zu γc = 1,50 reduziert
werden. VEd,max VEd,min
≤ 0, 5 + 0, 45 ≤ 0, 9 (5)
VRd,ct VRd,ct
Zur Vermeidung eines unangekündigten Schubbruches wird in [25] ein
Mindestschubbewehrungsgrad von
Über die Gleichung (5) werden zulässige Werte der maximalen Quer-
ρw,min = 0,125 % (3) kraft VEd,max (Oberlast) in Abhängigkeit von den auftretenden minima-

Der Prüfingenieur | Mai 2013 27


BRÜCKENBAU
len Querkräften VEd,min (Unterlast) dargestellt und für Beton für eine an den statischen Nachweis der Querkrafttragfähigkeit nach DIN 4227
schädigungsäquivalente Schwingbreite bei einer Lastspielzahl von N = gegeben. Im Verhältnis der auf die Mittelwerte bezogenen Hauptzugs-
1 · 106 hergeleitet, weshalb diese Gültigkeit weiterhin vorausgesetzt pannungen σI,min/fctm sowie σI,max/fctm zeigten die Versuche an den I-
werden kann. Trägern, dass unter der maximalen Beanspruchung die Betonzugfes-
tigkeit nur zu etwa 60 Prozent ausgenutzt werden darf. Darüber hi-
In der grafischen Auswertung ergibt sich das sogenannte Goodman- naus darf die eingetragene Schwingbreite der Hauptzugspannungen
Diagramm (Abb. 3), das für Einstufenversuche mit konstanter maxi- ∆σ1 nicht größer als 0,35 fctm sein (Abb. 4). Bei Plattenbalkenquer-
maler und minimaler Beanspruchung für 1 · 106 Lastwechsel abgelei- schnitten lagen die Werte wegen der größeren Biegerissempfindlich-
tet wurde. Bei einer Einwirkungskombination innerhalb der grau hin- keit geringfügig ungünstiger.
terlegten Fläche kann ein Ermüdungsversagen infolge Querkraft bei N
= 1 · 106 Lastwechseln ausgeschlossen werden. Dies zeigt, dass auch
unter einer dynamischen Last eine ausreichende Querkrafttragfähig-
keit allein durch den Beton gegeben sein kann. Für Bereiche außerhalb
der schraffierten Fläche kann nach DIN-Fachbericht 102 ein Versagen
des Betons infolge Querkraftermüdung auch unter N = 1 · 106 Last-
wechseln eintreten. In Abb. 3 sind nur die Verhältnisse vorzeichenglei-
cher Querkräfte angetragen, was aber aufgrund der hohen Eigenge-
wichtslast der Tragwerke im Verhältnis zu den ermüdungswirksamen
Verkehrslasten praktikabel erscheint.

Abb. 4: Goodman-Diagramm für I-Träger [28] (modifiziert)

Unter Einbeziehung der Teilsicherheitsbeiwerte mit γc = 1,8 für unbe-


wehrten Beton und dem unteren Quantilwert der Betonzugfestigkeit
fctd = fctk;0,05/γc ergeben sich die Bemessungsgleichungen gegen Quer-
kraftermüdung unter maximaler und minimaler Beanspruchung; hier
für den I-Träger:

σ ct1,max ≤ 0, 6 ⋅ fctd (6)

Abb. 3: Goodman-Diagramm für Bauteile ohne Querkraftbewehrung ∆σ ct1d ≤ 0, 35 ⋅ fctd (7)


[28]
Dabei werden die Bemessungswerte der einwirkenden Hauptzug-
Zur Verifizierung der Einflussgrößen wurden verschiedene Spannbe- spannungen unter maximaler und minimaler Beanspruchung,
tonträger mit und ohne Querkraftbewehrung sowie mit wechselnder σct1,max und σct1,min jeweils auf den unteren Quantilwert der Beton-
Querschnittsform (I-Träger, Plattenbalken), unterschiedlicher Vorspan- zugfestigkeit bezogen. Darüber hinaus müssen unter der maßgeben-
nung, verschieden großen Längsbewehrungsgraden und wechselnden den Lastfallkombination wegen der Biegerissgefahr am Stegan-
Querkraftschwingbreiten unter einer dynamischen Belastung getestet. schnitt bei I-Trägern Druckspannungen anliegen; bei Plattenbalken
Über eine FEM-Simulation konnte der Einfluss einzelner Parameter ge- dürfen die Randspannungen einen Wert von 0,1 fctd nicht überstei-
nauer untersucht werden. Die Einzelheiten können [28] und [29] ent- gen.
nommen werden.
Um diesen Bemessungsvorschlag anwenden zu können, ist festzule-
Aus den Versuchsergebnissen wurden zwei Ansätze weiter verfolgt: gen, wie und mit welcher Einwirkungskombination ermüdungswirksa-
me Querkräfte auf Spannbetonbrücken einwirken. Hierzu liegen der-
■ Begrenzung der Querkraftschwingbreite und zeit keine Erkenntnisse vor, werden aber gegenwärtig mit einem wei-
■ Begrenzung der Schwingbreite der schiefen Hauptzugspannungen. teren Forschungsvorhaben erarbeitet. Vorstellbar wäre, als ermü-
dungswirksame Einwirkungskombination die häufige Lastkombination
Eine besondere Schwierigkeit in der Darstellung der Querkraft- heranzuziehen. Diese sollte vorzugsweise auch für die Ermittlung der
schwingbreite ist, dass wegen der über die Trägerlänge veränderlichen Biegespannungen gelten, sodass beide Nachweise unter derselben
statischen Querkrafttragfähigkeit VRd,ct die bezogene Querkraft- Einwirkungskombination geführt werden.
schwingbereite ebenfalls variiert. Damit ist eine ungewollte Abhängig-
keit der Querkraftschwingbreite vom Nachweisquerschnitt entlang der Hinsichtlich des Bruchverhaltens zeigten die Versuche, dass bei fehlen-
Trägerlängsachse, der Belastung, dem Vorspanngrad und der Zugfes- der Querkraftbewehrung die Träger schlagartig ohne erkennbare Vor-
tigkeit des Betons gegeben. Daher liefert dieser Weg keine verallge- ankündigung versagten, während bereits kleine Mengen eingebauter
meinerungsfähigen Aussagen und ist nur bedingt geeignet. Bügel ausreichen, das Bruchverhalten duktil zu gestalten. Somit könn-
te auch bei diesem Nachweis für, wenn auch nur gering bewehrte
Ein geeigneterer Weg für den Nachweis der Querkraftermüdung ist in Querschnitte der Teilsicherheitsbeiwert für Beton auf γc = 1,50 redu-
der Begrenzung der Hauptzugspannungsschwingbreite in Anlehnung ziert werden.

28 Der Prüfingenieur | Mai 2013


BRÜCKENBAU

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Bauingenieur 87 (2012), Heft 1, S. 24 – 35 [23] DIN EN 1992-2/NA: Nationaler Anhang - National festgelegte Pa-
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schränkter oder voller Vorspannung. Ausgabe Juli 1988, Berlin: ton- und Spannbetontragwerken – Teil 2: Betonbrücken – Bemes-
Beuth Verlag, 1988 sungs- und Konstruktionsregeln. Entwurfsstand November 2012,
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Beuth Verlag, 2009 [24] Marzahn, G.; Maurer, R.; Zilch, K.; Dunkelberg, D.; Kolodziejczyk,
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+ AC:2010, Ausgabe Dezember 2003, Berlin: Beuth Verlag, 2010 019, Wiesbaden, 2012.

Der Prüfingenieur | Mai 2013 29


BRANDSCHUTZ

Brandschutztechnische Bewertung und Ertüchtigung von


Geschossdecken und vertikalen Bauteilen im Bestand
Neue Ergebnisse wissenschaftlicher Untersuchungen
weisen der Praxis neue Wege zu sicheren Nachweisen
Weil sie sich weder nach technischen Baubestimmungen noch 1 Einführung
nach Anwendbarkeitsnachweisen unmittelbar bewerten lassen,
werden, wenn das Brandschutzkonzept oder die Baugenehmi- Geschossdecken und auch Stützen und Wände im Bestand lassen sich
gung eine feuerbeständige Konstruktion fordern, Geschossde- in vielen Fällen nicht unmittelbar nach den technischen Baubestim-
cken und Stützen und Wände im Bestand oftmals aufwendig mungen bewerten – zum Beispiel nach DIN 4102-4:1994-03 bezie-
und deshalb teuer nachgerüstet. Viele ingenieurwissenschaftli- hungsweise nach den Eurocodes –, und es gibt auch keine Anwend-
che Untersuchungen und praktische Erfahrungen haben in den barkeitsnachweise, nach denen man das Brandverhalten dieser Bau-
vergangenen Jahren aber gezeigt, dass Geschossdecken und teile direkt ableiten kann (Decken siehe Abb. 1). Diese Umstände füh-
vertikale Bauteile im Bestand auch auf alternative Weise be- ren häufig dazu, dass Geschossdecken und Stützen beziehungsweise
wertet werden können. Vor allem Geschossdecken können, be- Wände im Bestand aufwendig nachgerüstet werden, wenn im Brand-
zogen auf die Feuerwiderstandsdauer, erheblich positiver be- schutzkonzept oder in der Baugenehmigung eine feuerbeständige
wertet werden, als es nach den auf der sicheren Seite liegenden Konstruktion gefordert wird.
„Standardregeln“ möglich ist. In dem folgenden Beitrag* wer-
den diese Verfahren deshalb vorgestellt, ihre Grundlagen und
ihre Anwendung beschrieben und erläutert, wie die Nachweise
geführt werden.

Abb. 1: Rippendecke mit Schalkörpern, HWL-Platten und Putz

Prof. Dr.-Ing. Jürgen Wesche Die am konkreten Objekt Beteiligten sind häufig verunsichert und fra-
gen sich, wie sie zum Beispiel die Geschossdecken bewerten sollen, sie
studierte das Bauingenieurwesen an der TU in Braunschweig, trat gehen dann auf die sichere Seite und rüsten die Decken so nach, dass
– nach einigen Jahren praktischer Ingenieurarbeit – 1970 der Ma- sie den Vorgaben von DIN 4102-4 für eine Einstufung in F 90 entspre-
terialprüfanstalt für das Bauwesen (MPA) in Braunschweig bei chen beziehungsweise Nachrüstmaßnahmen anwenden, für die ent-
und wurde dort Leiter der Abteilung Brandschutz und 1995 stell- sprechende Anwendbarkeitsnachweise vorliegen.
vertretender Direktor und Mitglied des Vorstandes; Wesche hat
sich bis 2010 maßgeblich an der Entwicklung der Brandschutz- Es hat sich aber gezeigt, dass auch andere Wege zu der Beurteilung
Normung beteiligt, beispielsweise als Obmann der DIN 4102-4 von Geschossdecken und vertikalen Bauteilen im Bestand gangbar
(NaBau 00.34.04) und als Obmann der DIN 4102-2 und des Spie- sind. Es ist in vielen Fällen denkbar, Bestandsschutz zu reklamieren,
gelausschusses CEN TC 127 (NaBau 00.34.02), gleichzeitig wirkte wobei zu überprüfen ist, ob die Bauteile den Vorgaben zum Zeitpunkt
er in verschiedenen Sachverständigenausschüssen des Deutschen der Errichtung entsprachen. Es ist aber auch möglich und zulässig, den
Instituts für Bautechnik und in der Projektgruppe Brandschutz der
Fachkommission Bauaufsicht mit; 2005 ließ Wesche sich in Lever-
kusen als Beratender Ingenieur der Ingenieurkammer Nordrhein- *Der Artikel basiert auf einem Vortrag des Autors auf dem 21. Bau-
Westfalen nieder, und er lehrte nach seiner Pensionierung 2006 technischen Seminar NRW, das die Landesvereinigung der Prüfinge-
noch bis 2010 als Honorarprofessor für „Brandschutz im Be- nieure in Nordrhein-Westfalen, das Ministerium für Bauen, Wohnen
stand“ an der TU Braunschweig. und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen, der Landesverband
[email protected] NRW im Verband Beratender Ingenieure VBI und die Ingenieurkam-
mer-Bau NRW am 7. November 2012 in Ratingen veranstaltet haben.

30 Der Prüfingenieur | Mai 2013


BRANDSCHUTZ
Einfluss positiver Randbedingungen eines Bauwerks auf die Feuerwi- Aus den LBO (in NRW: § 3 BauO NRW) ist in Verbindung mit Art. 14
derstandsdauer zu berücksichtigen; dann sind zum Beispiel die jewei- des Grundgesetzes (GG) beziehungsweise aus den Erläuterungen der
lige Deckenkonstruktionen und das umgebende Bauwerk genauer zu MHHR abzuleiten, dass bestehende Bauwerke unter bestimmten
analysieren. Randbedingungen Bestandsschutz genießen und damit dokumentiert
wird, dass bestehende Gebäude gegebenenfalls ein geringes Sicher-
In diesem Beitrag soll aufgezeigt werden, wie diese Verfahren ange- heitsniveau haben dürfen. Es wird sogar darauf hingewiesen, dass
wendet werden, welche Grundlagen zu berücksichtigen sind und wie beim Gebäudebestand die Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen ist,
entsprechende Nachweise geführt werden können. Es hat sich in einer und Erläuterungen von Gerichten und Obersten Bauaufsichten der
Vielzahl von Fällen herausgestellt, dass insbesondere bei den Ge- Länder lassen den Schluss zu, dass im Hinblick auf die Tragkonstrukti-
schossdecken erheblich Kosten eingespart werden können, wenn die on auch bei Nutzungsänderungen gegebenenfalls Bestandsschutz re-
positiven Einflüsse aus den baulichen Randbedingungen des Bau- klamiert werden kann.
werks genutzt werden. Daher wird sich dieser Beitrag schwerpunkt-
mäßig mit den Geschossdecken befassen. 3.2 DIN 4102-4:1994-03
3.2.1 Allgemeine Hinweise
Die Werte von DIN 4102-4:1994-03 sind grundsätzlich „worst-case“-
Angaben, das heißt, im ungünstigsten Einbauzustand müssen die an-
2 Grundlagen gegebenen Feuerwiderstandsklassen erreicht werden. Bezogen auf die
Als Grundlagen für die Bewertung von Geschossdecken in bestehen- Deckenkonstruktionen kann das bedeuten:
den Gebäuden werden die folgende Unterlagen herangezogen:
■ statisch bestimmte Lagerung als Einfeldsystem mit frei verdrehba-
■ die Landesbauordnung (in NRW die BauO NRW), ren Endauflagern,
■ die Muster-Hochhaus-Richtlinie (MHHR) 2008, einschließlich der Er- ■ kein Ansatz einer Durchlaufwirkung, wenn die Vorgaben im Hinblick
läuterungen, Abschnitt C (Bestandsschutz), auf die Bewehrungsführung nach DIN 4102-4, zum Beispiel Ab-
■ DIN 4102-4:1994-03 und die alten Fassungen von DIN 4102, unter schnitt 3.4.5.3, nicht nachweisbar sind,
anderem die Ausgaben 1940 und 1965, ■ keine konstruktive Einspannung an den Endauflagern,
■ Literatur [1] bis [6]. ■ kein Querabtrag über die vorhandene Querbewehrung,
■ keine Dehnungsbehinderung bei partieller Brandbeanspruchung,
Außerdem fließen umfangreiche Prüferfahrungen in Verbindung mit ■ kein Ansatz eines Putzes, da die Vorgaben von DIN 4102-4, Ab-
Brandprüfungen als Grundlage von Anwendbarkeitsnachweisen und schnitt 3.1.6, nicht nachzuweisen sind,
in Verbindung mit Forschungsarbeiten in die Bewertung ein, ebenso ■ kein Ansatz von Holzfußleisten oder verlorenen Schalungen zum
wie die Erkenntnisse aus der Erarbeitung von DIN 4102-4 (der Autor Beispiel aus HWL-Platten mit oder ohne Putz.
war viele Jahre Obmann des entsprechenden Normenausschusses).
Außerdem fließen die Erfahrungen aus einer Vielzahl von Ortsaufnah- 3.2.2 Auswirkungen der einzelnen Parameter
men in Verbindung mit Geschossdecken und vertikalen Bauteilen ein, Die konstruktive Randeinspannung hat einen positiven Einfluss auf die
die zeigten, unter welchen Randbedingungen insbesondere die Ge- Feuerwiderstandsdauer, da durch diese Einspannungen Lastumlage-
schossdecken eingebaut werden. rungen im Brandfall erreicht werden, die zu einer Reduzierung der
Feldmomente führen. Dokumentiert wird dies in einigen Forschungs-
berichten, unter anderem in [2], es werden Verlängerungen bei nur
3 Auswirkungen der Grundlagen, einseitigen Einspannungen von mehr als fünfzehn Minuten erreicht,
bezogen auf die Bewertungen von bei zweiseitiger Einspannung können mehr als dreißig Minuten ange-
setzt werden; dies bezieht sich zunächst auf die Plattendecken.
Geschossdecken im Bestand
Die konstruktive Durchlaufwirkung in Verbindung mit einer Dehnungs-
3.1 LBO und MHHR behinderung über einen gegebenenfalls bewehrten Zwischenauflager-
Die Geschossdecken weichen in den meisten Fällen im Bestand von bereich (Stahlbetonunterzüge beziehungsweise Halbmassivstreifen)
DIN 4102-4:1994-03 ab. Es ist aber unter Berücksichtigung der Vor- wird bei der Dimensionierung nach DIN 4102-4:1994-03 als Einfeld-
gaben der jeweiligen LBO (in NRW: BauO NRW § 3 (1) und (3)) auch system überhaupt nicht angesetzt, hat aber einen erheblichen Einfluss
nach den jetzigen technischen Regeln zulässig, den tatsächlichen auf die Feuerwiderstandsdauer. Durch die Dehnungs- und Rotations-
Einbauzustand im Bauwerk zu berücksichtigen. Abweichungen von behinderung in den Auflagerbereichen ist eine freie Verschiebung und
DIN 4102-4 sind Abweichungen von den Technischen Baubestim- Verdrehung der Deckenfelder auszuschließen, sodass auch bei einer
mungen, bei denen nachzuweisen ist, dass die Schutzziele der LBO Rissbildung am Ende der oberen Bewehrung ein Einspanneffekt erhal-
in gleicher Weise erfüllt werden. Es ist daher nur zu dokumentieren, ten bleibt und damit eine freie Verformung der Feldmitten nicht mög-
warum mit den vorgegebenen Einbauzuständen höhere Feuerwider- lich ist. Brandversuche an einem zum Abriss bestimmten Gebäude ha-
standzeiten erreicht werden und die Anforderungen der jeweiligen ben diese These bestätigt [3]. Abb. 2 zeigt den Einfluss des Einbauzu-
LBO (in NRW: nach Paragraf 34 BauO NRW (Decken)) erreicht wer- standes von Stahlbetondecken, die einen konstruktiven Querabtrag
den. Alternativ ist im Brandschutzkonzept nachzuweisen, dass die und eine Randeinspannung beziehungsweise eine Einspannung über
materiellen Anforderungen (in NRW: nach Paragraf 34) nicht abge- den Querwänden aufweisen. Die Einflüsse aus der Durchlaufwirkung
deckt werden können, dafür aber durch entsprechende Kompensati- sind auch auf Rippendecken zu übertragen. Diese konstruktive Durch-
onsmaßnahmen die Schutzziele (in NRW: nach den Paragrafen 3 be- laufwirkung kann im Vergleich zur beidseitigen konstruktiven Rand-
ziehungsweise 17) eingehalten werden (BauO NRW: Abweichung einspannung eine Verlängerung der Feuerwiderstandsdauer um weite-
nach Paragraf 73). re zehn Minuten ergeben.

Der Prüfingenieur | Mai 2013 31


BRANDSCHUTZ

Abb. 3: Kappendecke in einem mehrgeschossigen Bauwerk

standsdauer um etwa zwanzig Minuten verlängert wird im Vergleich


mit einer Stahlbetonrippendecke ohne Holzfußleisten.
Abb. 2: Statik/Einbauzustand mit Rissbildung von Stahlbetondecken
(u ≈ 20 mm) Bezogen auf Kappendecken geht DIN 4102-4, Tabelle 29. davon aus,
dass unter „worst-case-Bedingungen“ der Stahluntergurt sehr hoch
In Abhängigkeit von den Seitenverhältnissen und der Bewehrungsfüh- ausgelastet ist und dass Umlagerungen in den Steg beziehungsweise
rung sowie der Ausbildung der unterstützenden Bauteile kann der in den Obergurt nicht möglich sind. Bei höheren Trägern mit schmalem
konstruktive Querabtrag eine erhebliche Auswirkung auf die Feuerwi- Untergurt werden im Brandfall immer Umlagerungen stattfinden, und
derstandsdauer haben. Er wurde bei Plattendecken nachgewiesen, die Prüfpraxis hat gezeigt, dass bei den üblichen Kappendecken (Abb.
kann aber auch bei Rippendecken angesetzt werden. Ein Hinweis auf 3) eine Feuerwiderstandsdauer von mehr als dreißig Minuten ohne zu-
den Einfluss des konstruktiven Querabtrages ist aus DIN 4102-4‚ Ta- sätzlichen Schutz erreicht wird.
belle 11, Zeile 1.3, beziehungsweise Tabelle 12, Zeile 3.1.1.2, zu ent-
nehmen (mit einer Reduzierung des erforderlichen Achsabstandes der Auch bei Holzbalkendecken konnten nicht alle Bestandsdecken in DIN
Bewehrung um bis zu fünfzehn Millimeter). 4102-4 aufgenommen werden, daher wird immer eine Detailuntersu-
chung erforderlich, welche Komponenten die Feuerwiderstandsdauer
Die Feuerwiderstandsdauer der Deckenkonstruktionen wurden einer- beeinflussen können (Hinweise auf die Feuerwiderstandsdauer der
seits in einem konkreten Bauwerk nachgewiesen [3] und andererseits verschiedensten Bestandsdecken sind [5] zu entnehmen). Es ist durch-
in umfangreichen Forschungsarbeiten auf der Basis von Brandprüfun- aus zulässig, zum Beispiel auch Putz auf einem brennbaren Putzträger
gen im Labor berechnet [1], [2]. Es werden Verlängerungen bis zu anzusetzen, der im Vergleich mit einem nichtbrennbaren Putzträger
sechzig Minuten gegenüber den theoretischen Ansätzen eines statisch zwar weniger Feuerwiderstandsdauer bringt, aber durchaus mit fünf
idealen Einbauzustandes nach DIN 4102-4:1994-03 erreicht. bis zehn Minuten Verlängerung gegenüber einer ungeputzten Decken-
konstruktion anzusetzen ist. Außerdem ist von Bedeutung, welcher
Ein vorhandener Putz führt dann zu einer Verlängerung der Feuerwi- Deckeneinschub vorhanden ist, wie dieser aufgelagert ist und welcher
derstandsdauer, wenn er im Brandfall nicht kurzfristig abfällt. Die Un- obere Deckenaufbau vorhanden beziehungsweise geplant ist.
tersuchungen nach [3] haben gezeigt, dass ein normaler Kalkzement-
putz frühestens nach einer Brandbeanspruchungsdauer von fünfzehn
Minuten abzufallen begann, das heißt, es ist mit einer Verlängerung 4 Die Vorgehensweise bei der
der Feuerwiderstandsdauer von mehr als zehn Minuten zu rechnen. In Bewertung von Geschossdecken
anderen Fällen wurden HWL-Platten als verlorene Schalung gegebe-
nenfalls mit einer Putzbekleidung eingesetzt (Hinweise auf die Wirk- Es wird vorgeschlagen, folgende Schritte zu gehen, um eine Bewer-
samkeit dieser HWL-Platten sind aus DIN 4102-4, Tabelle 11, Zeile 3.2, tung der Geschossdecken im Bestand zu ermöglichen:
zu entnehmen). Brandprüfungen haben gezeigt, dass in Abhängigkeit
von der Dicke auch bei Bewehrungsstäben, die unter den HWL-Platten ■ Überprüfung des Bestandsschutzes, wenn die Decke so ausgebildet
freiliegenden Feuerwiderstandzeiten liegen, von mehr als sechzig Mi- ist, wie es zum Zeitpunkt der Errichtung erforderlich war und wenn
nuten erreicht werden können. es keine Nutzungsänderungen gibt, die, bezogen auf die Deckenkon-
struktionen, das Risiko erhöhen. Ein Urteil des Verwaltungsgerichts
Die zwanzig bis dreißig Millimeter dicken Holzfußleisten unter Stahl- Düsseldorf bestätigte, dass zum Beispiel bei einer Nutzungsände-
betonrippendecken bringen eine erheblich Verlängerung der Feuerwi- rung von Wohnen auf Büro die Geschossdecken im Rahmen des Ge-
derstandsdauer, da die Holzfußleisten mit einer Abbrandgeschwindig- nehmigungsverfahrens nicht erneut überprüft werden müssen.
keit von etwa 0,7 Millimeter pro Minute zunächst abbrennen müssen, ■ Überprüfung der Leistungsfähigkeit der Decken unter Berücksichti-
ehe eine Brandbeanspruchung der Stahlbetonrippen von unten mög- gung der positiven Einflüsse aus dem Bauwerk, wenn der Bestands-
lich ist. Brandprüfungen an Filigrandecken (Rippenbreiten schutz nicht nachzuweisen ist.
b = 120 mm) mit und ohne Holzfußleisten im Jahre 1982 in der Mate- ■ Entscheidung dafür, ob der Bestand ausreicht, gegebenenfalls Ab-
rialprüfanstalt für das Bauwesen (MPA) in Braunschweig haben ge- weichungen von den materiellen Anforderungen durch Anlagen-
zeigt, dass mit 24 Millimeter dicken Holzfußleisten die Feuerwider- technik oder Ähnliches kompensieren.

32 Der Prüfingenieur | Mai 2013


BRANDSCHUTZ
■ Wenn eine Nachrüstung erforderlich wird: Maßnahmen vornehmen, (Achsabstand der Bewehrung) und die angesetzten Systeme nicht ent-
die auch wirtschaftlich vertretbar sind. Es gibt immer mehrere Mög- sprechend ausgeführt sind. Falls keine detaillierte Überprüfung nach
lichkeiten, wobei zu berücksichtigen ist, welche Installationsmaß- den oben abgegebenen Vorschlägen geplant wird, wird eine Nachrüs-
nahmen im Deckenbereich vorgesehen sind und welche zusätzli- tung geplant, ohne die vorhandenen Möglichkeiten auszunutzen.
chen Anforderungen gegebenenfalls gestellt werden. Es ist sicher-
lich ein nicht zu vertretender Aufwand, wenn entsprechend Abb. 4 Als grober Ansatz zur Bewertung von Geschossdecken unter Berück-
unter eine Stahlbetondecke mit etwas zu geringem Achsabstand der sichtigung der Einbausituation können folgende Annahmen getroffen
Bewehrung eine Unterdecke nachgerüstet wird, die allein in die werden:
Feuerwiderstandsklasse F 90 eingestuft werden kann. Nach DIN
4102-4, Tabelle 99, reicht bei ungünstigsten Stahlbetonkonstruktio- ■ Stahlbetonplattendecken (Ortbeton) weisen grundsätzlich eine Feu-
nen die Nachrüstung durch Unterdecken aus fünfzehn Millimeter di- erwiderstandsdauer von mehr als sechzig Minuten auf [3], unabhän-
cken GKF-Platten aus, um eine Einstufung in F 90 zu gewährleisten. gig von der vorhandenen Betondeckung (siehe Abb. 2 und Abb. 5).
■ Rippendecken mit verlorener Schalung (Abb. 6) sind brandschutz-
technisch günstiger zu bewerten als ohne verlorene Schalung, da
insbesondere die Holzfußleisten eine Verzögerung der Aufheizung
der Betonkonstruktion bewirken. Eine 24 Millimeter dicke Holzfuß-
leiste ist erst nach circa dreißig Minuten abgebrannt.

Abb. 4: Geplante Nachrüstung durch eine F 90-Unterdecke (allein)

5 Beispiele für Geschossdecken im


Bestand
Abb. 6: Rippendecke mit verlorener Holzschalung
Der erste Ansatz zur Bewertung bestehender Decken ist der Vergleich
mit den materiellen Angaben in DIN 4102-4:1994-03. Bei der Untersu- ■ Kappendecken mit ungeschützten Stahlträgern haben zwar nach
chung der Decken wird dann festgestellt, dass die Abmessungen (zum DIN 4102-4 eine Feuerwiderstandsdauer von weniger als dreißig
Beispiel: Rippenbreiten und Spiegeldicken), die Bewehrungsführung Minuten, weil die Stahlträger-Untergurte frei liegen; Brandprüfun-
gen an vergleichbaren Elementen haben jedoch gezeigt, dass auf je-
den Fall eine Feuerwiderstandsdauer von mehr als dreißig Minuten
erreicht wird, da lediglich die Untergurte frei liegen und insbeson-
dere bei betonvergossenen Stahlträgern ein Kühleffekt durch den
Beton berücksichtigt werden kann.
■ Bestehende Holzbalkendecken haben im Allgemeinen eine Feuerwi-
derstandsdauer von mehr als dreißig Minuten. Unter Berücksichti-
gung von Einschüben, vorhandenen Putzen und breiten Balken sind
sogar Einstufungen in die Feuerwiderstandsklasse F 60 möglich
(Abb. 7), wenn auf die vorhandene Dielung ein Trockenestrich oder
Ähnliches aufgebracht wird.
■ Alle Deckenkonstruktionen aus nichtbrennbaren Baustoffen, die
durch Unterdecken mit einem abgehängten Rabbitz-Gewebe ge-
schützt sind – hängende Drahtputzdecken – können normalerweise
in die Feuerwiderstandsklasse F 90 eingestuft werden, wenn die
Rabbitz-Putze eine Dicke von ungefähr dreißig Millimeter aufwei-
sen.

Wichtig ist bei der Bewertung der Geschossdecken, dass immer das
konkrete Bauwerk zugrunde gelegt wird, da die Randbedingungen va-
riieren, insbesondere in statischer Hinsicht, aber auch bezogen auf die
konstruktiven Einflüsse. An einigen Beispielen soll das dargestellt wer-
Abb. 5: Verformungen statisch gleicher Decken den.

Der Prüfingenieur | Mai 2013 33


BRANDSCHUTZ

Abb. 7: Holzbalkendecke mit Putz und Einschub

In einem Bauvorhaben wurden unterschiedliche Geschossdecken scher Sicht sind beide Decken gleichwertig, da die Rippenbreiten und
(Abb. 8 und Abb. 9) eingebaut, deren brandschutztechnische Leis- alle weiteren Parameter der Rippendecke übereinstimmten, brand-
tungsfähigkeit erst genaue Untersuchungen offenbarten. Aus stati- schutztechnisch liegen jedoch Welten zwischen diesen beiden Kon-
struktionen, da die Schalkörper die Feuerwiderstandsdauer beeinflus-
sen.

Bei der Decke in Abb. 8 liegt die Stahlbetonrippe frei, und die Feuerwi-
derstandsdauer hängt unmittelbar von dem vorhandenen Achsab-
stand der Bewehrung in der Rippe ab. Im konkreten Fall wurde ein
Achsabstand von zwanzig Millimetern ermittelt, der unter Berücksich-
tigung des vorhandenen Einbauzustandes zu einer Feuerwiderstands-
dauer von annähernd sechzig Minuten führt. Ob sie ausreichend ist,
hängt von dem Brandschutzkonzept ab, in dem auch zum Beispiel an-
lagentechnischer Brandschutz mit angesetzt werden kann, bezie-
Abb. 8: Stahlbetonbalkendecke mit Füllkörpern (schließen an den Trä- hungsweise bei ähnlicher Nutzung im Vergleich zur Nutzung nach der
ger an) Errichtung des Bauwerks auch Bestandsschutz reklamiert werden
könnte.

Die Decke in Abb. 9 erreicht ohne Einschränkung eine Feuerwider-


standsdauer von mehr als neunzig Minuten, da die Füllkörper aus Bims-
beton in einer Dicke von 25 Millimetern die Stahlbetonrippen überde-
cken und nach genauerer Untersuchung der Bewehrungsführung in den
Rippen deutlich wird, dass die kritische Stahltemperatur der Beweh-
rung erst nach mehr als einhundert Minuten überschritten wird.

Bei derartigen Decken ist es immer notwendig, auch den Aufbau


und den Baustoff der Füllkörper zu ermitteln, zum Beispiel entspre-
Abb. 9: Stahlbetonbalkendecke mit Füllkörpern (laufen unter Träger chend Abb. 10 bei einem anderen Deckentyp.
durch)
Die Feuerwiderstandsdauer der Decken hängt ganz entscheidend vom
Baustoff ab. Bimsbeton ist zum Beispiel wesentlich günstiger zu beur-
teilen als ein Ziegel, bei dem der Abstand der Stege entscheidenden
Einfluss hat auf das Abplatzverhalten. Unter ungünstigen Randbedin-
gungen platzen die Ziegelkörper ab, und es bleibt eine nur vierzig Mil-
limeter breite Rippe mit geringem Feuerwiderstand.

Wenn die Geschossdecken – zum Beispiel Stahlträgerdecken mit Rab-


bitzputz auf einem nichtbrennbaren Putzträger – unverändert bleiben,
ist gegebenenfalls auch bei einer Nutzungsänderung eine Nachrüs-
tung nicht erforderlich, wenn die Decken zum Zeitpunkt der Errichtung
als feuerbeständige Decken zu bewerten waren und wenn durch die
neue Nutzung das Brandrisiko nicht vergrößert wird. Bei Sanierungs-
Abb. 10: Detail eines Deckenquerschnittes maßnahmen wird jedoch häufig der Rabbitzputz entfernt, sodass zu

34 Der Prüfingenieur | Mai 2013


BRANDSCHUTZ

Abb. 11: Geschossdecke ohne Putz

überprüfen ist, welche Leistungsfähigkeit die Decke ohne Putz auf-


weist (Abb. 11).

Neben der Aussage, dass die Decke in Abb. 11 auch ohne Putz als feu-
erhemmende Decke bewertet werden kann (Aussage auf der Basis von
DIN 4102-4 und einer Auswertung der örtlichen Randbedingungen),
lohnt sich der Aufwand, genauer zu untersuchen, welchen Feuerwider-
stand die Stahlsteindecke ohne die Stahlträger erreicht. In Abhängig-
keit vom Deckenaufbau sind Feuerwiderstandszeiten von dreißig bis
neunzig Minuten möglich, was einen erheblichen Einfluss auf die Sa-
nierungskosten haben kann.

Alte Stahlbetonrippendecken wurden nach Abb. 12 bei einer Rippen- Abb. 14: Stahlbetondecke in einem alten Verwaltungsgebäude (Denk-
breite von zehn und einer Spiegeldicke von fünf Zentimetern mit einer malschutz)

verlorenen Schalung aus haufwerkporigem Beton und einem Putz aus-


geführt. Abb. 13 zeigt, dass der Putz eine gute Haftung auf den Schal-
körpern hat und dass auch der Beton mit dem Schalkörper eine Einheit
gebildet hat.

Brandschutztechnisch kann diese Decke als geschlossenes System mit


einer einseitigen Beheizung von unten bewertet werden, da zumindest
der Schalkörper im Brandfall erhalten bleibt und damit die Bewehrung
etwa einen Achsabstand von mehr als 35 Millimeter aufweist. Die De-
cke kann sogar ohne Putz in die Feuerwiderstandsklasse F 90 einge-
stuft werden.

Abb. 12: Querschnitt einer Stahlbetonrippendecke mit Schalkörpern Auch bei Geschossdecken entsprechend Abb. 14 ist eine detaillierte
Bestandsaufnahme einschließlich der Überprüfung der Bewehrungs-
führung erforderlich, zumal sehr häufig keine Pläne vorhanden sind.
Man muss nachweisen, dass unter Berücksichtigung eines Querabtra-
ges, der Randeinspannung und des vorhandenen Putzes gegebenen-
falls eine wesentlich längere Feuerwiderstandsdauer erreicht wird, als
es nach den Tabellen von DIN 4102-4 möglich erscheint und dass da-
mit die Decke erhalten bleiben kann.

6 Behandlung von vertikalen Bauteilen


Stahlbeton-, Mauerwerks- und bekleidete Stahlstützen sind im Allge-
meinen unproblematisch. Es kann im Regelfall nachgewiesen werden,
dass sie den damaligen Vorgaben entsprechen und dass Bestands-
Abb. 13: Deckenansicht der Decke nach Abb. 12 schutz reklamiert werden kann. Es muss jedoch betont werden, dass

Der Prüfingenieur | Mai 2013 35


BRANDSCHUTZ
durch die baulichen Randbedingungen kompensiert werden und
dass dadurch die geforderte Feuerwiderstandsklasse erreicht wird.
Der Nachweis kann im Rahmen des Brandschutzkonzeptes erbracht
werden.
■ Wenn nachgewiesen wird, dass, verglichen mit den materiellen An-
forderungen der jeweiligen LBO, nur eine geringere Feuerwider-
standsklasse erreicht werden kann, wird mit dem plausiblen Nach-
weis eine Abweichung beantragt, dass die Schutzziele der LBO
durch andere Maßnahmen (zum Beispiel durch anlagentechnische
Kompensation) erreicht werden.
■ Im Sonderfall könnte man die Problematik auch über eine Zustim-
mung im Einzelfall lösen, sodass eine gutachterliche Beurteilung ei-
ner anerkannten Prüfstelle oder auch in Ausnahmefällen eines kom-
petenten Sachverständigen erforderlich wird. In Verbindung mit der
Bewertung von Geschossdecken und vertikalen tragenden Bautei-
len sollte das aber eine Ausnahme bleiben.

Abb. 15: Auswertung von Forschungsarbeiten an der TU Braun-


8 Schlussbemerkungen
schweig für Gussstützen
Bei der Bewertung von Geschossdecken und vertikalen Bauteilen im
Stützen, bezogen auf das Gesamtbauwerk, eine hervorragende Be- Bestand sollte DIN 4102-4:1994-03 als Hilfsinstrument benutzt wer-
deutung als primäres Tragwerk haben. den, die tatsächliche Feuerwiderstandsdauer unter Berücksichtigung
verschiedener baulicher Randbedingungen zu ermitteln. Nicht immer
In einigen Fällen sind jedoch sehr geringe Querschnitte bei Stahlbeton- ist es notwendig, über die Tabellenwerte von DIN 4102-4 einen Nach-
stützen vorhanden, und es ist dann im Einzelfall nachzuweisen, dass weis zu führen, da einerseits diese Norm zum Zeitpunkt der Errichtung
unter den Randbedingungen des Bauwerks – Lastausnutzung, redu- des Bauwerkes noch nicht existierte und andererseits die Tabellenwer-
zierte Brandbeanspruchung usw. – die Standsicherheit im Brandfall te von DIN 4102-4 „worst-case-Bedingungen“ zugrunde legen, die
gewährleistet werden kann. mit absoluter Sicherheit ohne genauere Untersuchung der Randbedin-
gungen in jedem Bauwerk erreicht werden.
Es ist bei Umnutzungen aber auch denkbar, dass Nachrüstungen erfor-
derlich werden. Grundsätzlich sollte berücksichtigt werden, dass bei Es lohnt sich daher, die in diesem Beitrag beschriebenen Wege zu ge-
Stahlbetonstützen nach der Fassung von DIN 4102-4:1994-03 die Be- hen, da im Hinblick auf das Gesamtrisiko im Brandfall die Feuerwider-
tondeckung eine untergeordnete Rolle spielt. standsdauer der Tragkonstruktion eine untergeordnete Rolle spielt im
Vergleich zu den Parametern Rettungswege und Brandausbreitung
Bei Stahlstützen und auch bei Stahlträgern muss sichergestellt sein, über Installationen.
dass eine ausreichende brandschutztechnische Bekleidung vorhanden
ist. Alte Bekleidungen, wie zum Beispiel Mauerwerk oder Putzbeklei- Mit den genaueren Untersuchungen der Feuerwiderstandsdauer unter
dungen auf Putzträgern, können durchaus positiv bewertet werden Berücksichtigung der positiven Randbedingungen aus dem Bauwerk
(Hinweise sind aus DIN 4102-4 abzuleiten). lassen sich gegebenenfalls erhebliche Kosten einsparen, die zur Abde-
ckung der größeren Risiken dringend benötigt werden.
Gussstützen sind unmittelbar aus DIN 4102-4 nicht abzuleiten. Es gibt
jedoch eine Anzahl von Forschungsarbeiten, die zeigen, dass Gussstüt-
zen ein besseres Brandverhalten zeigen als Stahlstützen und dass sie
ungeschützt in die Feuerwiderstandsklasse F 30 eingestuft werden
9 Literatur
können. Nachrüstungen sind daher besser zu bewerten als bei Stahl- [1] Kordina/Meyer-Ottens: Beton-Brandschutz-Handbuch, Verlag Bau
stützen (Abb. 15). +Technik 1999
[2] Wesche, J: Brandverhalten von Stahlbetonplatten im bauprakti-
schen Einbauzustand, Diss. Heft 63 Schriftenreihe iBMB TU Braun-
schweig 1985
7 Zusammenfassung [3] Bechtold, Ehlert, Wesche: Brandversuche Lehrte, Schriftenreihe
Bei bestehenden Geschossdecken und vertikalen Bauteilen ist zu- des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau,
nächst der Nachweis zu führen, dass aus statischer Sicht keine Beden- 04.037, 1978
ken bestehen. Bezogen auf den brandschutztechnischen Nachweis [4] Ahnert, Krause: Typische Baukonstruktionen von 1860 bis 1960,
sind mehrere Wege denkbar: Band 2, HUSS Medien GmbH, Berlin, 2009
[5] Beilicke, Wesche (et. al.): Brandschutztechnische Beurteilung und
■ Es kann nachgewiesen werden, dass die Bauteile den zur Zeit der Ertüchtigung von Holzkonstruktionen in bestehenden Gebäuden,
Errichtung gültigen Regeln entsprachen und dass Bestandsschutz AIF-Forschungsvorhaben 175-D, Forschungsbericht 1993, TU
reklamiert werden kann. Magdeburg/TU Braunschweig/MPA Braunschweig
■ Es wird nachgewiesen, dass die Abweichungen von der Technischen [6] Wesche/Stranghöner: Brandschutz im Bestand – Ansätze zur Lö-
Baubestimmung DIN 4102-4:1994-03 oder von den alten Normen sung, Kapitel 13.2 Brandschutzatlas, Feuertrutz-Verlag

36 Der Prüfingenieur | Mai 2013


BRANDSCHUTZ

Brandschutztechnische Bemessung von Stahlbetonstützen


nach Eurocode 2 Teil 1-2 (DIN EN 1992-1-2)
Nachweise sind auch mit vereinfachten und mit
allgemeinen Rechenverfahren möglich
Im Dezember 2010 hat das DIN die Brandschutzteile der Euro- 1 Einführung
codes 1 bis 5 als DIN EN-Normen veröffentlicht, ein Jahr später
wurden sie mit ihren Nationalen Anhängen in die Musterliste Mit den Eurocodes steht ein verbindliches Regelwerk für die brand-
der Technischen Baubestimmungen aufgenommen, und am 1. schutztechnische Bemessung oder Analyse von Einzelbauteilen, von
Juli 2012 sind sie in den meisten Bundesländern bauaufsichtlich Teiltragwerken und von Gesamttragwerken zur Verfügung. Dieser An-
eingeführt worden. Seitdem können sie für die brandschutz- wendungsbereich wird durch die Eurocodes im Vergleich mit der deut-
technische Bemessung von Bauteilen und Tragwerken in schen Brandschutznorm DIN 4102 Teil 4 [1] und Teil 22 [2] wesentlich
Deutschland angewendet werden. Im folgenden Beitrag wer- erweitert, und zwar durch neue rechnerische Nachweisverfahren, mit
den deshalb die Möglichkeiten der brandschutztechnischen Be- denen das Brandverhalten individuell analysiert werden kann, wahl-
messung von Stahlbetonstützen nach dem Eurocode 2 Teil 1-2 weise unter einer nominellen Temperaturbeanspruchung nach der Ein-
dargestellt, der neben der tabellarischen Bemessung auch heits-Temperaturzeitkurve oder unter einer Beanspruchung durch ei-
Nachweise mit vereinfachten und allgemeinen Rechenverfah- nen situationsabhängig berechneten Naturbrand.
ren ermöglicht. Dabei werden die Grundlagen dieser rechneri-
schen Nachweise beschrieben und am Beispiel einer Stahlbe- In diesem Beitrag werden die verschiedenen Verfahren der brand-
ton-Kragstütze gezeigt, wie mit dem allgemeinen Rechenver- schutztechnischen Bemessung am Beispiel von Stahlbetonstützen dar-
fahren Bemessungshilfen zur Verfügung stehen, mit denen der gestellt und verglichen. Ausgehend von der bekannten tabellarischen
konstruktive Brandschutz schnell und sicher nachgewiesen wer- Bemessung, die sehr ähnlich in der DIN-Norm und im Eurocode gere-
den kann. gelt ist, werden die nur im Eurocode vorhandenen vereinfachten und
allgemeinen Rechenverfahren besprochen. Die Nachweise des kon-
struktiven Brandschutzes orientieren sich dabei weitgehend an der
Tragwerksbemessung bei Normaltemperatur und stellen für Tragwerks-
planer prinzipiell nichts Neues dar. Allerdings müssen die speziellen
brandschutztechnischen und physikalischen Grundlagen berücksichtigt
werden und entsprechende Erfahrungen mit deren Anwendung vorhan-
den sein [3]. Das allgemeine Rechenverfahren wurde exemplarisch für
brandbeanspruchte Stahlbeton-Kragstützen angewendet, um ein ver-
einfachtes, praxisgerechtes Bemessungsverfahren herzuleiten. Das ver-
einfachte Nachweisverfahren von Stahlbeton-Kragstützen ist in den
Nationalen Anhang der DIN EN 1992-1-2 aufgenommen worden und
schließt damit eine häufig beklagte Nachweislücke.

Dr.-Ing Ekkehard Richter


2 Brandschutztechnische Nachweise für
studierte Bauingenieurwesen an der TU Braunschweig und war Stahlbetonstützen
seit 1975 am dortigen Institut für Baustoffe, Massivbau und
Brandschutz (iBMB) tätig, von 1978 bis 1982 leitend im Teilbe-
reich A1 des Sonderforschungsbereichs „Brandverhalten von 2.1 Nachweis mit tabellarischen Daten
Bauteilen“; von 1989 bis 1992 war er wissenschaftlicher Leiter In DIN 4102, Teil 22, und DIN EN 1992-1-2 [4] sind ähnliche Tabellen
des EUREKA-Projekts „Firetun“ (Brandversuche in Norwegen) zur brandschutztechnischen Bemessung von Stahlbetonstützen aus
und Nationaler Experte im project team für die Erarbeitung des Normalbeton enthalten. Hierfür werden Mindestdicken und Mindest-
Eurocodes 2 Teil 1-2: Brandschutztechnische Bemessung von achsabstände in Abhängigkeit von der Feuerwiderstandsklasse von R
Stahlbetonbauteilen; außerdem war er Mitarbeiter in zahlreichen 30 bis R 180 (EC2-1-2 bis R 240) und der Belastung, ausgedrückt
nationalen und internationalen Normen- und Fachausschüssen durch den Ausnutzungsfaktor µfi als Verhältnis der Bemessungswerte
(DIN, CEN, fib); sein Hauptarbeitsfeld ist die brandschutztechni- der vorhandenen Längskraft im Brandfall NE,fi,d,t und der Tragfähigkeit
sche Bemessung brandbeanspruchter Betonbauteile, speziell das NRd. Die Anwendung der Tabellen ist an bestimmte statisch-konstrukti-
Trag- und Verformungsverhalten von Tunnelkonstruktionen unter ve Randbedingungen geknüpft (Abb. 1).
Brandeinwirkung; seit 1987 ist Richter in der Lehre im Vertie-
fungsfach „Brand- und Katastrophenschutz“ tätig und nach Voll- Es wird grundsätzlich von Innenstützen in ausgesteiften Gebäuden
endung seines 65. Lebensjahres seit Ende Juni 2010 im Ruhe- ausgegangen. Die Decken ober- und unterhalb der Stütze müssen so
stand. ausgebildet sein, dass der Brand auf ein Geschoss beschränkt bleibt,
die Decken also mindestens die gleiche Feuerwiderstandsdauer besit-

Der Prüfingenieur | Mai 2013 37


BRANDSCHUTZ
teilwiderstand Rfi,d,t. Dafür werden Vereinfachungen bei der Tempera-
turermittlung für die Bauteilquerschnitte und bei der Beschreibung des
Versagenszustandes im Brandfall getroffen.

Das als „Zonenmethode“ bezeichnete vereinfachte Rechenverfahren


wird in EC2-1-2, Abschnitt 4.2.1, auch für den brandschutztechnischen
Nachweis von schlanken Stützen unter Normbrandbeanspruchung
empfohlen. Das Verfahren basiert auf einer von der Branddauer ab-
hängigen Verkleinerung des Betonquerschnitts (Abb. 2) und einer von
Abb. 1: Tragverhalten von Stützen in ausgesteiften Gebäuden der Querschnittstemperatur abhängigen Reduktion der Baustoffeigen-
a) Verformung des Tragwerks im Brandfall schaften (Abb. 3). Der Nachweis der Tragfähigkeit im Brand wird ana-
b) Statisches System für die Bemessung bei Normaltemperatur log zum Nachweis für Normaltemperatur nach EC2-1-1 [9] für die La-
c) Statisches System für die Bemessung im Brandfall steinwirkungen Efi,d,t nach EC1-1-2 geführt.

zen wie die Stützen. Der Beton muss einer Festigkeitsklasse bis maxi-
mal C50/60 angehören. Für Stützen aus hochfestem Beton mit Festig-
keitsklassen über C50/60 muss der Nachweis der Feuerwiderstands-
klasse nach EC2-1-2, Abschnitt 6 geführt werden.

Exemplarisch wird nachstehend die Bemessung einer Stütze mit


Rechteck- oder Kreisquerschnitt erläutert. Hierfür wird entsprechend
der Vorgabe im NA zu EC 2-1-2 das als „Methode A“ bezeichnete Ver-
fahren verwendet. Die Bemessung erfolgt mit Tabelle 5.2 a. Zwischen
den angegebenen Mindestmaßen darf jeweils linear interpoliert wer-
den. Tabelle 5.2 a gilt für überwiegend auf Druck beanspruchte schlaff Abb. 2: Verkleinerung des Betonquerschnitts von Stützen um das Maß
bewehrte und vorgespannte Betonstützen in ausgesteiften Bauwer- az und Restquerschnitt einer vierseitig brandbeanspruchten Stahlbe-
ken, wenn – zusätzlich zu den Randbedingungen aus Abb. 1 – folgen- tonstütze
de Bedingungen erfüllt sind:

■ Ersatzlänge der Stütze (gemäß EC2-1-1, Abschnitt 5) im Brandfall


l0,fi ≤ 3 m;
■ Lastausmitte nach Theorie l. Ordnung im Brandfall e = M0Ed,fi /
N0Ed,fi ≤ emax;
■ Bewehrungsquerschnitt As < 0,04 Ac.

Im EC2-1-2 wird neben der Bemessungstabelle eine empirische Glei-


chung (5.7) zur Berechnung der Feuerwiderstandsdauer angegeben, in
der die Lastausnutzung (Rηfi), der Achsabstand (Ra), die Ersatzlänge im
Brandfall (Rl), die Größe und Form des Betonquerschnitts (Rb) und die
Bewehrungsmenge (Rn) berücksichtigt werden: Abb. 3: Reduktionsfaktoren für die charakteristische Druckfestigkeit
von Beton kc(Θ) (links) mit w= b/2; Reduktionsfaktoren für die cha-
R = 120 × [(Rηfi + Ra + Rl + Rb + Rn) / 120]1,8 (1) rakteristische Festigkeit von Zug- und Druckbewehrung ks(Θ) (natur-
harter (Kurve 1) und kalt verformter (Kurve 2) Betonstahl mit εs,fi ≥
Die Verwendung der Gl. (5.7) ist dann vorteilhaft, wenn die Mindest- 2% und mit εs,fi < 2% (Kurve 3)) (rechts)
abmessungen gemäß Tabelle 5.2 a nicht eingehalten werden können
und der Lastausnutzungsgrad gering ist. Im EC2-1-2, Anhang B.2, sind Gleichungen und Bilder für den Wert az
in Abhängigkeit von der Bauteilbeanspruchung infolge Biegung oder
In [7] wurden die Werte der Bemessungstabelle und die Rechenergeb- Drucks enthalten. Die Unterscheidung zwischen biege- und druckbe-
nisse nach Gleichung (5.7) mit den Werten von DIN 4102 Teil 22, Tabel- anspruchten Bauteilen macht deutlich, dass der Wert az eine mechani-
le 31, verglichen. Wegen der guten Übereinstimmung darf die Glei- sche Bedeutung besitzt. In [10] werden die Gleichungen für az an ei-
chung in Deutschland angewendet werden. nem unendlich langen, zweiseitig brandbeanspruchten Wandquer-
schnitt hergeleitet. Mit az wird die druckbeanspruchte Querschnittsflä-
Hingegen darf ein weiteres vereinfachtes Verfahren im EC2-1-2 zur Be- che so festgelegt, dass die resultierende Betondruckkraft durch einen
messung von Stahlbetonstützen, dort als „Methode B“ bezeichnet, Spannungsblock mit der temperaturabhängigen Betondruckfestigkeit
auf Grund teils gravierender Abweichungen von den Tabellenwerten im Mittelpunkt der Druckfläche ermittelt werden kann und die infolge
der DIN 4102 Teil 22 nicht in Deutschland angewendet werden. Brandes verminderte Biegesteifigkeit des Querschnitts näherungswei-
se erfasst wird (Abb. 4).
2.2 Nachweis mit vereinfachten Rechenverfahren
Mit den vereinfachten Rechenverfahren wird in der Regel nachgewie- Nach Abb. 4 lässt sich der Bemessungswert der Biegetragfähigkeit
sen, dass für die geforderte Feuerwiderstandsdauer t die maßgeben- MRd eines Wandstreifens durch Gleichung (2) zusammen mit Glei-
den Lasteinwirkungen Efi,d nach EC1-1-2 [8] kleiner sind als der Bau- chung (3) beschreiben. Dabei werden die Berechnungsmethoden der

38 Der Prüfingenieur | Mai 2013


BRANDSCHUTZ
In [10] wird für das Verhältnis zwischen reduzierter und ursprünglicher
Querschnittsbreite die Näherung nach Gleichung (7) eingeführt

4
4
b’  k 3
= η 3 =  c,m  (7)
b  k c (ΘM ) 

Damit lässt sich die Breite der geschädigten Zone bei Stützen und
Wänden, bei denen die Auswirkungen infolge Theorie 2. Ordnung be-
rücksichtigt werden müssen, durch die Gleichungen (8) und (9) aus-
drücken:
4 4
2az = b – b’ = b – b ⋅ η 3 = b ⋅ (1− η 3 ) (8)

 4
4
b    k c,m  3
Abb. 4: kc(Θ)- und kc(ΘM)-Verlauf für einen beidseitig brandbean- az = ⋅  1− η 3  = w ⋅ 1−  (9)
2    kc (ΘM )  
spruchten Wandquerschnitt und verformtes Stabelement ds  

klassischen Elastizitätstheorie zugrunde gelegt mit den Voraussetzun- mit


gen, dass die Querschnitte rechtwinklig zur ausgebogenen Stabachse
b
stehen und bei der Biegung eben bleiben (Bernoullische Hypothese),
dass für jede Stabfaser das Hookesche Gesetz σ = E · ε gilt und dass ∫ k (Θ(z)) ⋅ dz
0
c
(1− 0, 2 / n
n
die Querschnitts- und Steifigkeitswerte mit δσ/δε = E = const nicht k c,m = = ∑ k (Θ )c i (10)
b n
von der Beanspruchung abhängen. i=1

b/ 2 b/ 2 Im EC2-1-2 wird in Gleichung (9) für den Exponenten 1,3 geschrieben,


z2
MRd = σ z ⋅ z ⋅ dz = Ec ⋅ ⋅ dz (2) und der Summenausdruck in Gleichung (10) wird als Gleichung (B.11))

− b/ 2

− b/ 2
r
zur Ermittlung des mittleren Reduktionsfaktors kc,m angegeben.
∆ds z
∆ds : z = ds : r oder ε x = = (3) Damit geht in die Berechnung von az die Anzahl n der Zonen ein, in die
ds r
der brandbeanspruchte Querschnittsbereich unterteilt wird. In der
Norm wird dafür lediglich n ≥ 3 gefordert. Weiterhin ist für jede Zone
Nach [10] und DIN EN 1992-1-2, Abschnitt B.3.1, kann die temperatur- die Temperatur in der Mitte maßgebend, was bei einer einseitig brand-
abhängige Reduktion des Elastizitätsmoduls von Beton durch Glei- beanspruchten Wand oder Decke noch annähernd gleiche Werte er-
chung (4) beschrieben werden. Dabei wird der Reduktionsfaktor für gibt, bei einem drei- oder vierseitig brandbeanspruchten Balken- oder
die charakteristische Druckfestigkeit von Beton kc(Θ) mit der Tempera- Stützenquerschnitt aber zu relativ großen Streuungen führen kann.
tur im Mittelpunkt der reduzierten, druckbeanspruchten Querschnitts-
fläche ΘM ermittelt (Gleichung (4a)). Nach [11] wird bei biegebeanspruchten Bauteilen eine befriedigende
Übereinstimmung zwischen den berechneten und den aus den Grafi-
2
Ec (Θ ) = [k c (Θ )] ⋅ Ec (4) ken abgelesenen az-Werten erst für n ≥ 20 erreicht. Deshalb wird vor-
geschlagen, das bestimmte Integral in Gleichung (10) nicht durch
2
E c (ΘM ) = [k c (ΘM )] ⋅ Ec (4a) Summenbildung zu bestimmen, sondern als Näherung die Simpson-
sche Regel nach Gleichung (11) zu verwenden. Zu beachten ist dabei,
Mit den Gleichungen (4) und (4a) ergibt sich der Bemessungswert der dass n immer gerade sein muss.
Biegetragfähigkeit MR,fi,d,t eines beidseitig brandbeanspruchten Wand-
streifens, bei dem die Isothermen parallel zur beflammten Oberfläche kc,m = (kc,0 + 4 · kc,1 + 2 · kc,2 + 4 · kc,3 + … + kc,n)/(3 · n) (11)
verlaufen, nach Gleichung (5)
Im EC2-1-2, Abschnitt 4.2.1, wird in Anmerkung 1 die Zonenmethode
b/2 b’/2 „für kleine Querschnitte und schlanke Stützen“ empfohlen. Nach An-
z2 E
MR,fi,d,t =
∫ [k c (Θ)]2 ⋅ Ec ⋅ r
⋅ dz = c
r ∫ [k (Θ c M) ]2 ⋅ z2 ⋅ dz (5) hang B.2 (9) kann auch ein Berechnungsverfahren für Normaltempera-
− b/ 2 −b’/2 tur, beispielsweise das Verfahren mit Nenn-Krümmungen aus dem
E 2 ( b’)
3 EC2-1-1, Abschnitt 5.8.8 [9], unter Berücksichtigung des reduzierten
= c ⋅ [k c ( Θ M )] ⋅ Querschnitts, der temperaturabhängigen Festigkeiten und des neuen
r 12
Elastizitätsmoduls angewendet werden.
bzw. die Biegesteifigkeit im Ursprung B = δM/δ(1/r) nach Gleichung (6))
Bisher fehlt eine systematische Untersuchung der Eignung des verein-
b/ 2 b’/2 fachten Rechenverfahrens für den Nachweis brandbeanspruchter Stüt-
2
B= c c
2
∫ [k (Θ)] ⋅ E ⋅ z ⋅ dz = E ∫ [k (Θ c c M) ]2 ⋅ z2 ⋅ dz (6 zen. Mit ihr müsste geklärt werden, ob bei der Berechnung der Bau-
− b/ 2 −b’/2 teilverformungen, die den Grenzzustand der Tragfähigkeit schlanker
(b’)3 2 Druckglieder beeinflussen, die Verkleinerung des Betonquerschnitts
= Ec ⋅ [k c (ΘM )] ⋅ um das Maß az ausreicht oder ob die nichtlinearen, temperaturabhän-
12

Der Prüfingenieur | Mai 2013 39


BRANDSCHUTZ
gigen Spannungs-Dehnungslinien des Betons und der Bewehrung so- Einheits-Temperaturzeitkurve nach dem EC1-1-2, ausgegangen. In die
wie die begrenzte Zugfestigkeit des Betons, die im Regelfall bereits im Berechnung der Temperaturen im Bauteilquerschnitt gehen die tempe-
Gebrauchslastzustand überschritten wird, durch eine beanspru- raturabhängigen thermischen Materialeigenschaften Wärmeleitfähig-
chungsabhängige Biegesteifigkeit nach Gleichung (12) berücksichtigt keit λ, spezifische Wärme cp und Rohdichte ρ ein (Abb. 5).
werden müssen.
Im Rahmen der mechanischen Analyse werden das Trag- und gegebe-
nenfalls auch das Verformungsverhalten der brandbeanspruchten Bau-
δσ 2
B=
∫ δε ⋅ z ⋅ dA = f(N,M) (12) teile oder Tragwerke berechnet. Dabei müssen auf der Einwirkungssei-
te die mechanischen Einwirkungen, die behinderten thermischen Ver-
formungen (Zwangskräfte und -momente) sowie gegebenenfalls
Die Angaben in EC 2-1-2, Anhang B.2, sind für eine praxisrelevante nichtlineare geometrische Einflüsse berücksichtigt werden. Die me-
brandschutztechnische Stützenbemessung unter Berücksichtigung der chanischen Einwirkungen im Brandfall können nach den Kombinati-
Stützenverformungen unzureichend. Aus diesem Grund wird in [12], onsregeln im EC0 [13] für außergewöhnliche Situationen oder verein-
das Berichtigungen und Korrekturen zur EC2-1-2 von deutscher Seite facht aus den Einwirkungen bei Normaltemperatur nach Gleichung
enthält, das vereinfachte Rechenverfahren (Zonenmethode) lediglich (13) mit einem Reduktionsfaktor ηfi, der ohne genaueren Nachweis für
für kleine Querschnitte empfohlen, die Empfehlung für schlanke Stüt- Betonbauteile mit 0,7 angenommen werden.
zen wurde gestrichen.
Efi,d,t = ηfi · Ed (13)
Folgerichtig wird auch im NA zu EC2-1-2 die Anwendung der Zonen-
methode nach Anhang B.2 für Druckglieder ausgeschlossen. Auf die Auf der Widerstandsseite gehen die temperaturabhängigen thermo-
Möglichkeit von Erweiterungen der Zonenmethode im Hinblick auf ei- mechanischen Eigenschaften der Baustoffe und die thermischen Deh-
ne vereinfachte Bemessung von schlanken Druckgliedern – bei Absi- nungen ein. Im Abschnitt 3 vom EC2-1-2 sind alle wesentlichen Infor-
cherung des Anwendungsbereichs mit Hilfe von allgemeinen Rechen- mationen über temperaturabhängige Veränderung der mechanischen
verfahren oder Versuchen – und auf erste Veröffentlichungen derart er- Baustoffwerte enthalten. Exemplarisch sind in Abb. 6 die temperatur-
weiterter Zonenmethoden [16], [17] wird hingewiesen. abhängigen Spannungs-Dehnungslinien für Beton mit überwiegend
quarzhaltiger Gesteinskörnung und in Abb. 7 für warmgewalzten Be-
2.3 Nachweis mit dem allgemeinen Rechenverfahren tonstahl (B500) wiedergegeben. Abb. 8 zeigt die thermischen Deh-
Das allgemeine Rechenverfahren kann für den brandschutztechni- nungen für Beton und Betonstahl.
schen Nachweis von Einzelbauteilen, Teil- und Gesamttragwerken mit
beliebiger Querschnittsart und -form und bei voller oder lokal begrenz-
ter Temperaturbeanspruchung angewendet werden. Für den Nachweis
werden Rechengrundlagen für die Ermittlung der Temperatur- und
Lasteinwirkungen benötigt, die im EC1-1-2 [8] geregelt sind. Weiterhin
werden Angaben über die temperaturabhängige Veränderung der
thermischen und thermo-mechanischen Eigenschaften der Baustoffe
(zum Beispiel Wärmeleitfähigkeit, Festigkeit, thermische Dehnung
usw.) benötigt. Dazu enthalten die Brandschutzteile der baustoffbezo-
genen Eurocodes jeweils im Abschnitt 3 mehr oder weniger detaillierte
Angaben, die zum Teil in Anhängen ergänzt werden.

Der brandschutztechnische Nachweis wird in der Regel unterteilt in ei-


ne thermische und eine mechanische Analyse. In der thermischen Ana-
lyse werden die Temperaturen im Bauteilquerschnitt berechnet. Dabei
wird von den Heißgastemperaturen im Brandraum, beispielweise der Abb. 6: Temperaturabhängige Spannungs-Dehnungslinien von Beton
mit überwiegend quarzhaltiger Gesteinskörnung

Abb. 5: Rechenwerte der temperaturabhängigen thermischen Materi- Abb. 7: Temperaturabhängige Spannungs-Dehnungslinien von warm-
alkennwerte von Beton gewalztem Betonstahl (B500)

40 Der Prüfingenieur | Mai 2013


BRANDSCHUTZ
Die Anwendung des allgemeinen Rechenverfahrens bedarf in Deutsch-
land in jedem Einzelfall der Abstimmung mit der Bauaufsichtsbehörde.
Die Berechnungen müssen von einem für derartige Brandschutznach-
weise qualifizierten Prüfingenieur oder Prüfsachverständigen geprüft
werden [3].

3 Vereinfachter Nachweis für brand-


beanspruchte Stahlbeton-Kragstützen

3.1 Allgemeines
Um ein praxisgerechtes, möglichst einfaches Nachweisverfahren für
brandbeanspruchte Stahlbeton-Kragstützen zu erhalten, wurden Trag-
Abb. 8: Thermische Dehnungen von Beton und Betonstahl lasten NR,fi,d,90 und Gesamtmomente Mtot,fi,d,90 für vier Standardfälle
programmgesteuert berechnet und in Bemessungsdiagrammen darge-
Zur Erfüllung der Gleichgewichts- und Verträglichkeitsbedingungen wer- stellt. Für Stützen, die durch die Standardfälle nicht abgedeckt sind,
den Querschnittsdehnungen ermittelt. Dafür wird angenommen, dass können die Standardwerte aus den Diagrammen mit Hilfe von Fakto-
zwischen Beton und Bewehrung voller Verbund besteht, in entlasteten ren umgerechnet werden [15].
Querschnittsteilen keine bleibenden Dehnungen auftreten, die Quer-
schnitte auch nach der Verformung eben bleiben (Bernoulli-Hypothese) 3.2 Standard-Diagramme
und die Dehnungen ε eines Querschnitts sich zueinander verhalten wie Die Standard-Diagramme gelten für Stahlbeton-Kragstützen
ihre Abstände z von der Dehnungs-Nulllinie, bei einachsiger Biegung
■ aus Normalbeton überwiegend quarzhaltiger Gesteinskörnung der
ε = ε0 + dε/dz · z = ε0 + k · z (14) Festigkeitsklasse C 30/37,
■ mit Querschnittsabmessungen h = 300 mm, h = 450 mm, h = 600
Die Querschnittsdehnungen setzen sich aus den Spannung erzeugen- mm und h = 800 mm,
den Dehnungen εσ und den thermischen Dehnungen εth zusammen ■ mit einlagiger Bewehrung aus Betonstahl B500, mit dem bezoge-
nen Achsabstand der Längsbewehrung u/h = 0,10 und dem geome-
ε = εσ + εth (15) trischen Bewehrungsverhältnis ρ = 2% und
■ bei vierseitiger Brandbeanspruchung.
Zur Spannungsermittlung aus den temperaturabhängigen Spannungs-
Dehnungslinien σ(εσ, θ) wird εσ benötigt Abb. 9 zeigt exemplarisch das Standard-Diagramm für den Quer-
schnitt mit h = 450 mm. In dem Diagramm sind für den Grenzzustand
εσ = ε – εth = εσ + k · z – εth (16) der Tragfähigkeit die Bemessungswerte der bezogenen Stützentraglast
νR,fi,d,90 (rechts) und des bezogenen Einspannmomentes am Stützen-
Die Dehnungsverteilung zur Erfüllung der Gleichgewichts- und Ver- fuß µtot,fi,d,90 (links) in Abhängigkeit von der Stützenschlankheit und
träglichkeitsbedingungen muss iterativ bestimmt werden. Das kann der Lastausmitte dargestellt. Der Nachweis für die Feuerwiderstands-
dadurch geschehen, dass angenommene Werte für die Randdehnun- klasse R 90 erfolgt entsprechend dem Flussdiagramm in Abb. 10.
gen εi und εa iterativ verbessert werden, bis der Dehnungszustand mit
εi und εa die vorgegebenen Schnittgrößen liefert; zur Beschleunigung In Abb. 10 werden im rechten Bildteil alternative Maßnahmen für den
des Iterationsprozesses können für den Dehnungszustand εi und εa Fall genannt, dass der Bemessungswert der Einwirkungen größer ist
Differenzenquotienten ∆N/∆εi und ∆M/∆εi sowie ∆N/∆εa und ∆M/∆εa als der Bemessungswert der Traglast νE,fi,d > νR,fi,d,90. Wenn durch die-
bestimmt und damit vorhandene Abweichungen dN und dM der se Maßnahmen oder eine andere Brandbeanspruchung der im oberen
Schnittgrößen durch Dehnungsänderungen dεi und dεa beseitigt wer- Teil der Abbildung angegebene Anwendungsbereich der Standard-Dia-
den (Gl. (18) und (19)).

∆N ∆N
dε + dε + dN = 0 (18)
∆εi i ∆ε a a

∆M ∆M
dε + dε + dM = 0 (19)
∆εi i ∆ε a a

Die thermische und mechanische Analyse sind numerisch aufwendig


und können sinnvoll nur programmgesteuert erfolgen. Rechenpro-
gramme für das allgemeine Rechenverfahren müssen validiert sein.
Dies soll anhand der im Anhang CC des Nationalen Anhangs [14] zum
EC1-1-2 beschriebenen Validierungsbeispiele mit zulässigen Toleran-
zen der Ergebnisse erfolgen. Abb. 9: Standard-Diagramm für einen Querschnitt mit h = 450 mm

Der Prüfingenieur | Mai 2013 41


BRANDSCHUTZ

NE,fi,d,t
k= (22)
NR,fi,d,90

Nach Abb. 11 muss für Faktoren ku > 1,0 der Achsabstand u in Abhän-
gigkeit von der Lastausmitte e1 im Vergleich zu den Standard-Dia-
grammen vergrößert (u > 0,10 · h) werden, wobei die Vergrößerung
für kleinere Lastausmitten zunimmt.

Für Faktoren ku < 1,0 kann der Achsabstand gegenüber dem Wert der
Standard-Diagramme verkleinert (u < 0,10 h) werden. In Abb. 11 ist
der Bereich für Faktoren ku < 1,2 grau hinterlegt, da dieser Bereich bei
Beachtung der Betondeckung nach DIN 1045-1, Abschnitt 6.3 in der
Regel nicht genutzt werden kann.

Hintergründe und Rechenansätze für das vereinfachte Rechenverfah-


ren sowie Anwendungsbeispiele für den Nachweis des konstruktiven
Brandschutzes bei Stahlbeton-Kragstützen finden sich im DAfStb Heft
596 [18].

Abb. 10: Ablaufdiagramm zum Nachweis der Tragfähigkeit einer


Stahlbeton-Kragstütze für die Feuerwiderstandsklasse R 90

gramme verlassen wird, sind Überlegungen zur Erweiterung des An-


wendungsbereiches anzustellen.

3.3 Erweiterter Anwendungsbereich


3.3.1 Nachweisformat
Für abweichende Brandbeanspruchungen und abweichende statisch-
konstruktive Randbedingungen sind die Werte νR,fi,d,90 und µtot,fi,d,90
aus den Standard-Diagrammen nach Gleichung (20) und Gleichung
(21) zu modifizieren.

νR,fi,d,90 = kfi · ku · kC · kρ · XR90 (20)

µtot,fi,d,90 = kfi · ku · kC · kρ · Xtot,90 (21)

Dabei bedeuten: Abb. 11: Faktor ku für bezogene Achsabstände 0,05 ≤ u/h ≤ 0,15 und
kfi Faktor zur Berücksichtigung der Brandbeanspruchung (ein- dem Querschnitt h = 300 mm
oder dreiseitig)
ku Faktor zur Berücksichtigung des Achsabstandes (0,05 ≤ u/h
≤ 0,15) 4 Zusammenfassung
kC Faktor zur Berücksichtigung der Betonfestigkeitsklasse
(C 20/25 bis C50/60) In diesem Beitrag wird über die brandschutztechnische Bemessung
kρ Faktor zur Berücksichtigung des Bewehrungsverhältnisses von Stahlbetonstützen nach Eurocode 2 Teil 1-2 berichtet. Der Schwer-
(1% ≤ ρ ≤ 8%) punkt liegt dabei auf den rechnerischen Nachweisverfahren, die in der
XR90 νR,fi,d,90 aus den Standard-Diagrammen deutschen Brandschutznorm DIN 4102 Teil 4 und Teil 22 nicht enthal-
Xtot,90 µtot,fi,d,90 aus den Standard-Diagrammen ten sind.

Für Querschnittsabmessungen, die zwischen den oben genannten drei Nach einer zusammenfassenden Darstellung der Grundlagen des ver-
Standardwerten für h liegen, darf bei Annahme konstanter Schlankheit einfachten und des allgemeinen Rechenverfahrens, wird über die An-
und konstanter Lastausmitte linear zwischen den Werten aus den wendung des allgemeinen Rechenverfahrens bei der Erstellung eines
Standard-Diagrammen interpoliert werden. einfachen brandschutztechnischen Nachweises zur Einstufung von
Stahlbeton-Kragstützen in die Feuerwiderstandsklasse R 90 berichtet
Im Rahmen eines brandschutztechnischen Nachweises kann eine Dar- [15]. Um praxisgerechte Bemessungshilfen zu erhalten, wurden die
stellung vorteilhaft sein, in der Achsabstand, Betondruckfestigkeit und programmgesteuert berechneten Traglasten NR,fi,d,90 und Gesamtmo-
Bewehrungsverhältnis als Funktion der k-Faktoren mit der bezogenen mente am Stützenfuß Mtot,fi,d,90 für vier häufig verwendete Stützenty-
Lastausmitte als Scharparameter aufgetragen werden. Mit dem k-Fak- pen in sog. Standard-Diagrammen dargestellt.
tor nach Gleichung (22) kann beispielsweise für den Querschnitt h =
300 mm aus Abb. 11 der erforderliche Wert für u/h direkt abgelesen Sofern statisch-konstruktive Randbedingungen von den Vorgaben der
werden. Standard-Diagramme abweichen, können die Bemessungswerte der

42 Der Prüfingenieur | Mai 2013


BRANDSCHUTZ
Traglast und des Gesamtmomentes am Stützenfuß aus den Standard- [10] Hertz, K.: Analyses of prestressed concrete structures exposed to
Diagrammen mit Faktoren modifiziert werden, die durch einfache fire. Technical University of Denmark. Institute of Building De-
Funktionen beschrieben sind. sign. Report no. 174. Lyngby 1985.
[11] Richter, E.: Brandschutztechnische Bemessung von Betontrag-
werken nach Eurocode 2 Teil 1-2. In: Braunschweiger Brand-
schutz-Tage, `09, Tagungsband. Institut für Baustoffe, Massivbau
5 Literatur und Brandschutz, Technische Universität Braunschweig, Heft
208, Braunschweig, 2009.
[1] DIN 4102-4:1994-03 – Brandverhalten von Baustoffen und Bautei- [12] EN 1992-1-2:2004/AC:2008(D) Eurocode 2 – Bemessung und
len – Teil 4: Zusammenstellung und Anwendung klassifizierter Konstruktion von Stahlbeton- und Spannbetontragwerken – Teil
Baustoffe, Bauteile und Sonderbauteile. 1-2: Allgemeine Regeln – Tragwerksbemessung für den Brandfall.
[2] DIN 4102-22:2004-11: Brandverhalten von Baustoffen und Bau- Berichtigungen 2008.
teilen; Teil 22: Anwendungsnorm zu DIN 4102-4. [13] DIN EN 1990:2010-12 – Eurocode: Grundlagen der Tragwerks-
[3] Hosser, D.; Richter, E.: Rechnerische Nachweise im Brandschutz – planung.
Zukunftsaufgabe für Prüfingenieure. Der Prüfingenieur, Oktober [14] DIN EN 1991-1-2/NA:2010-12: Nationaler Anhang – National
2007. festgelegte Parameter — Eurocode 1 – Einwirkungen auf Trag-
[4] DIN EN 1992-1-2:2010-12 – Eurocode 2: Bemessung und Kon- werke — Teil 1-2/NA: Allgemeine Einwirkungen – Brandeinwir-
struktion von Stahlbeton- und Spannbetontragwerken – Teil 1-2: kungen auf Tragwerke.
Allgemeine Regeln – Tragwerksbemessung für den Brandfall. [15] Hosser, D.; Richter, E.; Hollmann, D.: Entwicklung eines verein-
[5] DIN 4102-4/A1:2004-11 – Brandverhalten von Baustoffen und fachten Rechenverfahrens zum Nachweis des konstruktiven
Bauteilen – Teil 4/A.1: Änderungen A1. Brandschutzes bei Stahlbeton-Kragstützen. Forschungsbericht im
[6] DIN 1045-1:2001-07 – Tragwerke aus Beton, Stahlbeton und Auftrag des Deutschen Ausschusses für Stahlbeton (DAfStb),
Spannbeton – Teil 1: Bemessung und Konstruktion. Sonderforschungsvorhaben S 08. Institut für Baustoffe, Massiv-
[7] Hosser, D.; Richter, E.: Überführung von EN 1992-1-2 in EN-Norm bau und Brandschutz der Technischen Universität Braunschweig,
und Bestimmung der national festzulegenden Parameter (NDP) im März 2009.
Nationalen Anhang zu EN 1992-1-2. Schlussbericht des Instituts [16] Cyllok, M; Achenbach, M.: Anwendung der Zonenmethode zur
für Baustoffe, Massivbau und Brandschutz (iBMB) der Technischen brandschutztechnischen Bemessung von Stahlbetonstützen. Be-
Universität Braunschweig im Auftrag des Deutschen Instituts für ton- und Stahlbetonbau 104 (2009), Heft 12, S. 813-822.
Bautechnik, Az.: ZP 52-5-7.240-1132/04. Dezember 2006 [17] Zilch, K.; Müller, A.; Reitmayer, C.: Erweiterte Zonenmethode zur
[8] DIN EN 1991-1-2:2010-12 – Eurocode 1 Einwirkungen auf Trag- brandschutztechnischen Bemessung von Stahlbetonstützen.
werke – Teil 1-2: Allgemeine Einwirkungen – Brandeinwirkungen Bauingenieur Band 85, Juni 2010, S. 282-287.
auf Tragwerke. [18] Hosser, D.; Richter, E.: Vereinfachtes Rechenverfahren zum Nach-
[9] DIN EN 1992-1-1:2011-01 – Eurocode 2: Bemessung und Kon- weis des konstruktiven Brandschutzes bei Stahlbeton-Kragstüt-
struktion von Stahlbeton- und Spannbetontragwerken – Teil 1-1: zen. Herausgeber: Deutscher Ausschuss für Stahlbeton (DAfStb),
Allgemeine Bemessungsregeln und Regeln für den Hochbau. Heft 596, 2013.

Der Prüfingenieur | Mai 2013 43


GEOTECHNIK

Die Berücksichtigung und Modellierung der Interaktion


zwischen Baugrund und Tragwerk ist für die
Standsicherheit und Gebrauchstauglichkeit der
Konstruktion von entscheidender Bedeutung
Der Modellierung der Baugrund-Tragwerk-Interaktion kommt, 1 Einführung
nicht nur bei innerstädtischen Großbauprojekten eine große
Bedeutung zu. Schließlich gilt es bei der Bemessung projektier- Grundsätzlich muss bei jeder Baumaßnahme die Interaktion zwischen
ter Baumaßnahmen, wirtschaftliche Aspekte mindestens ge- Baugrund und Tragwerk berücksichtigt und zutreffend modelliert wer-
nauso zu berücksichtigen wie Fragen der Standsicherheit und den, um die Standsicherheit und die Gebrauchstauglichkeit der Kon-
der Gebrauchstauglichkeit. Dabei sind auch die Auswirkungen struktion mit ausreichender Sicherheit zu gewährleisten. An der
auf die Nachbarschaft zu berücksichtigen [1], [2]. Die im folgen- Schnittstelle zwischen Tragwerksplanung und Geotechnik kommt der
den Beitrag* zu diesem Thema vorgestellten nationalen und in- sogenannten Baugrund-Tragwerk-Interaktion daher große Bedeutung
ternationalen Beispiele aus der Ingenieurpraxis zeigen, dass die zu [3].
Berücksichtigung und Modellierung der Interaktion zwischen
Baugrund und Tragwerk für die Gewährleistung der Standsi- Zur realitätsnahen Erfassung der in der Regel dreidimensionalen, zeit-
cherheit und der Gebrauchstauglichkeit der Konstruktion von varianten Baugrund-Tragwerk-Interaktion sind folgende Aspekte zu
entscheidender Bedeutung sind. Dabei ist die Anwendung der berücksichtigen:
Beobachtungsmethode nach dem EC 7-1 und der DIN
1054:2010 zur Überprüfung der Brauchbarkeit und Validierung ■ Modellierung des Tragwerks und dessen mechanisches Verhalten,
der Modellbildung sowie zur Qualitätssicherung der Bauausfüh- ■ Modellierung des Baugrundes und des mechanischen Verhaltens
rung bei Projekten der Geotechnischen Kategorie 3 ein unab- des Mehrphasenmediums Bodens,
dingbarer Bestandteil. ■ Beschreibung des Kontaktverhaltens zwischen Boden und Bauwerk.

Zur Erfassung der Baugrund-Tragwerk-Interaktion bei der Dimensio-


* Dieser Beitrag ist die schriftliche Fassung eines Vortrages, den der nierung der Bauwerksteile werden unterschiedliche, auf verschiede-
Autor und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf der Arbeitsta- nen Modellbildungen basierende Näherungslösungen verwendet. Der
gung 2012 der Vereinigung der Prüfingenieure für Bautechnik in Ba- Baugrund ist dabei nicht nur stützendes oder nur belastendes Ele-
den-Württemberg gehalten haben, die am 29. und 30. Juni in Baden- ment, sondern bildet zusammen mit den anderen Werkstoffen ein Ver-
Baden stattgefunden hat. bundtragsystem. Häufig verursachen beim Nachweis der Tragfähigkeit
die Einwirkungen aus dem Bauwerk den maßgebenden Grenzzustand,
während beim Nachweis der Gebrauchstauglichkeit Setzungsdifferen-
zen im Baugrund den Grenzzustand im Tragwerk darstellen.

Da der Baugrund Teil des statischen Systems ist, aber aufgrund seines
Eigengewichtes auch zur Beanspruchung des Bauwerkes werden
kann, werden zwei Typen von Bauwerken unterschieden:

■ Gründungen (Flach- und Flächengründungen, Tiefgründungen), die


vom Baugrund gestützt werden,
■ Stützbauwerke (Baugrubenverbaukonstruktionen, Stützwände, Tun-
nelwände), die den Baugrund stützen.

Bei den Nachweisen der Tragfähigkeit und der Gebrauchstauglichkeit


Prof. Dr.-Ing. Rolf Katzenbach ist das Materialverhalten von Baugrund und Tragwerk zu berücksichti-
Dipl.-Ing. Christiane Bergmann gen. Oft werden hierzu elastoplastische, vom Beanspruchungsniveau
Dipl.-Ing. Steffen Leppla und der Einwirkungsgeschwindigkeit abhängige, nichtlineare Stoffge-
Technische Universität Darmstadt setze verwendet.
Fachbereich Bauingenieurwesen und Geodäsie
Institut und Versuchsanstalt für Geotechnik Darüber hinaus ist die Zeitabhängigkeit der Baugrund-Tragwerk-Inter-
aktion zu erfassen. Sie entsteht durch:
Dipl.-Ing. Susanne Kurze
Dipl.-Ing. Matthias Seip ■ sukzessive Struktur- und Laständerung,
Ingenieursozietät Professor Dr.-Ing. Katzenbach GmbH ■ Steifigkeitsänderung,
Frankfurt am Main · Darmstadt · Weinheim · Kiew · Moskau ■ Schwerpunktverlagerung,
■ sukzessiven Aushub oder Abbruch,

44 Der Prüfingenieur | Mai 2013


GEOTECHNIK

Abb. 2: Mögliche Verteilungen der Sohlspannungen unter Einzelfun-


Abb. 1: Verformungen und Belastungen während der Bauzeit [3] dament [3]

■ sukzessiven Ein-, Um- oder Ausbau von Sicherungsmitteln, chende Duktilität, erfährt es bei Überschreitung der inneren Tragfähig-
■ Änderungen im Materialverhalten (Kriechen, Schwinden, Konsoli- keit ein sprödes Versagen, zum Beispiel infolge Durchstanzens. Eine
dierung). Umlagerung der Sohlspannungen im Baugrund findet dann nicht statt.

Hierdurch entstehen während des Bauablaufs sich verändernde stati- Vergleicht man die Sohlspannungsverteilung in Abb. 2 mit der in der
sche Systeme. Beispielhaft werden in Abb. 1 für eine Baumaßnahme Praxis häufig getroffenen Annahme einer konstanten Sohlspannung,
die qualitativen Verformungen und Belastungen in der Baugruben- so liegen diese für die Grenzzustände der Tragfähigkeit in der Regel
sohle sowie die daraus resultierenden Verformungen von Bauwerks- auf der sicheren, in den Grenzzuständen der Gebrauchstauglichkeit je-
teilen dargestellt, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten errichtet wer- doch auf der unsicheren Seite.
den.
Setzungsmulde, Sohlspannungsverteilung und Momentenverlauf in
1.1 Flachgründungen Abhängigkeit von der Belastung zeigt Abb. 3. Bei zunehmender Belas-
Mögliche Verteilungen der Sohlspannung unter Flachgründungen zeigt tung wächst die anfänglich gleichmäßige Setzung unter der Funda-
Abb. 2 beispielhaft für ein Einzelfundament. Im Fall (a) wird die Sohl- mentmitte stark an. Gleichzeitig verlagern sich die anfänglich im
spannung bei einer geringen Ausnutzung der Tragfähigkeit von Funda- Randbereich konzentrierten Sohlspannungen ebenfalls in die Mitte.
ment und Boden dargestellt. Der Grenzzustand der Gebrauchstaug- Die Biegemomente konzentrieren sich unter der Belastung.
lichkeit ist hier maßgebend.
1.2 Tiefgründungen
Bei Annäherung an die Traglast ist zu unterscheiden zwischen dem Ver- Mit Pfahlgründungen oder Kombinierten Pfahl-Plattengründungen
sagen im Fundament (Fall (b)) und im Baugrund (Fall (c)). Im Fall (b) (KPP) wird die gesamte oder ein Teil der Bauwerkslast in tiefere Bo-
kommt es im Fundament an der Stelle mit der höchsten Belastung zur denschichten abgetragen, um eine Setzungsreduktion zu erzielen oder
Bildung eines Fließgelenkes und damit zur Umlagerung der Sohlspan- die Tragfähigkeit zu gewährleisten [4], [5].
nungen. Die Tragfähigkeit ist dann im Wesentlichen durch die Rotati-
onsfähigkeit des Fließgelenkes bestimmt. Versagt das Fundament Die beiden Gründungsvarianten sind dadurch gekennzeichnet, dass
durch Grundbruch, findet eine Umlagerung der Sohlspannungen zur mehrere Pfähle durch eine Fundamentplatte oder einen Pfahlrost ver-
Fundamentmitte hin statt. Hat ein Fundamentbauteil keine ausrei- bunden sind. Die Baugrund-Tragwerk-Interaktion des hochgradig sta-

Der Prüfingenieur | Mai 2013 45


GEOTECHNIK
Der Widerstand eines Einzelpfahles RPfahl,k,j(s) wird durch die über die
Tiefe veränderliche Mantelreibung qs,k,j(s, z) und den von der Setzung
abhängigen Pfahlspitzendruck qb,k,j(s) bestimmt (Gleichungen (2) bis
(4)).

RPfahl,k,j (s) = Rb,k,j (s) + Rs,k,j (s) Gl. (2)

π · D2
Rb,k,j (s) = qb,k,j (s) · Gl. (3)
4

Rs,k,j (s) = qs,k,j (s,z) · π ·D dz Gl. (4)



Abb. 4 zeigt die Baugrund-Tragwerk-Interaktion einer KPP. Das Trag-
und Verformungsverhalten ist bestimmt durch die Interaktionen zwi-
schen:

■ der Fundamentplatte und dem Baugrund,


■ den Pfählen und dem Baugrund,
■ den Pfählen untereinander sowie
■ der Fundamentplatte und den Pfählen.

Die Tragwirkung einer KPP wird durch den Pfahl-Plattenkoeffizienten


αKPP beschrieben. Er gibt an, welcher Teil Σ FPfahl,k,j(s) der gesamten
Bauwerkslast Ftot,k über die Pfähle abgetragen wird Gleichung (5).

α KPP =
∑F Pfahl,k,j (s)
Gl. (5)
Ftot,k

Ein Pfahl-Plattenkoeffizient von αKPP = 0 beschreibt eine Plattengrün-


dung ohne Pfähle, ein Pfahl-Plattenkoeffizient von αKPP = 1,0 be-
schreibt eine klassische Pfahlgründung bei der die Fundamentplatte
Abb. 3: Qualitativer Verlauf von Verformungen und Beanspruchungen keinen Anteil am Lastabtrag in den Baugrund hat.
eines Einzelfundamentes in Abhängigkeit von der Belastung [3]

tisch unbestimmten Tragsystems wird durch die Steifigkeit des Bau-


werks und der die Pfähle verbindenden Fundamentplatte, durch die
Baugrundeigenschaften und die Wechselwirkungen zwischen den
Gründungselementen und dem Boden, aber auch durch die gegensei-
tige Beeinflussung der einzelnen Gründungselemente maßgebend be-
stimmt. Dies gilt auch für Gründungssysteme, bei denen statt klassi-
scher Pfähle zum Beispiel Schlitzwandelemente (sogenannte Barretts)
oder Spundwandelemente zur Anwendung kommen.

Im Gegensatz zu einer reinen Pfahlgründung erfolgt der Lastabtrag in


den Baugrund bei einer KPP auch durch die Fundamentplatte.

Infolge der Biegesteifigkeit der Fundamentplatte trägt die KPP die aus
der aufgehenden Konstruktion resultierende Einwirkung Ftot,k sowohl
über die Sohlpressung σ(x,y) als auch über die Pfähle in den Baugrund
ab. Der Gesamtwiderstand einer KPP Rtot,k(s) ist abhängig von der auf-
tretenden Baugrundverformung (Setzung s) und besteht aus dem Wi-
derstand der Fundamentplatte RPlatte,k(s) und dem Widerstand der
Pfähle RPfahl,k,j(s). Den Gesamtwiderstand einer KPP beschreibt Glei-
chung (1).

m
Rtot,k (s ) = ∑R Pfahl,k,j ( s ) + RPlatte,k ( s) Gl. (1) Abb. 4: Baugrund-Tragwerk-Interaktion einer Kombinierten Pfahl-
j=1 Plattengründung (KPP)

46 Der Prüfingenieur | Mai 2013


GEOTECHNIK

2 Nachweisführung nach dem Eurocode außergewöhnliche und bei Erdbeben. Die erforderliche rechnerische
Sicherheit des Bauwerks wird von diesen Situationen abhängig ge-
7-1 (EC 7-1) macht.

Mit der Einführung der Eurocodes nach einer über 30-jährigen Ent- Die DIN 1054:2010 differenziert bei den Angaben der Teilsicherheits-
wicklungsarbeit soll eine einheitliche Regelung der Nachweisführung beiwerte die folgenden drei Bemessungssituationen:
in den Disziplinen des Bauingenieurwesens innerhalb von Europa ge-
schaffen werden. Die Eurocodes basieren auf dem Prinzip des Teilsi- ■ ständige Bemessungssituation BS-P („P“ steht für permanent),
cherheitskonzeptes, das das Globalsicherheitskonzept ablöst. ■ vorübergehende Bemessungssituation BS-T („T“ steht für tran-
sient),
In der Geotechnik muss der EC 7-1 in Verbindung mit dem nationalen ■ außergewöhnliche Bemessungssituation BS-A („A“ steht für acci-
Anhang und den ergänzenden Regelungen zum EC 7-1 in der DIN dental).
1054:2010 nach der bauaufsichtlichen Einführung seit dem 1. Juli
2012 angewendet werden. Diese entsprechen weitgehend den bisherigen drei Lastfällen der DIN
1054:2005 [11].
In der Hierarchie steht der EC 7-1 an oberster Stelle, deutsche Normen
dürfen dem Eurocode nicht widersprechen, die DIN 1054:2010 darf Neu hinzugekommen ist die Bemessungssituation BS-E („E“ steht für
daher den Eurocode lediglich ergänzen. Als Verbindungselement zwi- earthquake), bei der keine Teilsicherheitsbeiwerte angesetzt werden,
schen dem EC 7-1 und der DIN 1054:2010 dient der Nationale Anhang das heißt: 1,0-fache Faktorisierung.
des EC 7-1 [6], [7], [8].
Die Teilsicherheitsbeiwerte in Abhängigkeit von der Bemessungssitua-
2.1 Bemessungssituationen tion zur Nachweisführung in den verschiedenen Grenzzuständen der
Der Eurocode „Grundlagen der Tragwerksplanung“ [9], [10] unter- Tragfähigkeit sind in den Tabellen 1, 2 und 3 nach DIN 1054:2010 [6]
scheidet folgende Bemessungssituationen: ständige, vorübergehende, dargestellt.

Einwirkung bzw. Beanspruchung Formel Bemessungssituation


zeichen
BS-P BS-T BS-A

Destabilisierende ständige Einwirkungen(a) γG,dst 1,05 1,05 1,00

Stabilisierende ständige Einwirkungen γG,stb 0,95 0,95 0,95


HYD & UPL

Destabilisierende veränderliche Einwirkungen γQ,dst 1,50 1,30 1,00

Stabilisierende veränderliche Einwirkungen γQ,stb 0 0 0

Strömungskraft bei günstigem Untergrund γH 1,35 1,30 1,20

Strömungskraft bei ungünstigem Untergrund γH 1,80 1,60 1,35

Ungünstige ständige Einwirkungen γG,dst 1,10 1,05 1,00


EQU

Günstige ständige Einwirkungen γG,stb 0,90 0,90 0,95


ULS

Ungünstige veränderliche Einwirkungen γQ 1,50 1,25 1,00

Beanspruchungen aus ständigen Einwirkungen allgemein(a) γG 1,35 1,20 1,10

Beanspruchungen aus günstigen ständigen Einwirkungen(b) 1,00 1,00 1,00


STR & GEO-2

γG,inf

Beanspruchungen aus ständigen Einwirkungen aus Erdruhedruck γG,E0 1,20 1,10 1,00

Beanspruchungen aus ungünstigen veränderlichen Einwirkungen γQ 1,50 1,30 1,10

Beanspruchungen aus günstigen veränderlichen Einwirkungen γQ 0 0 0

Ständige Einwirkungen(a) γG 1,00 1,00 1,00


GEO-3

Ungünstige veränderliche Einwirkungen γQ 1,30 1,20 1,00

Ständige Einwirkungen bzw. Beanspruchungen γG 1,00


SLS

Veränderliche Einwirkungen bzw. Beanspruchungen γQ 1,00

(a) einschließlich ständigem und veränderlichem Wasserdruck


(b) nur wenn bei der Ermittlung der Bemessungswerte der Zugbeanspruchung eine gleichzeitig wirkende charakteristische Druckbean-
spruchung aus günstigen ständigen Einwirkungen angesetzt wird

Tabelle 1: Teilsicherheitsbeiwerte, Einwirkungen und Beanspruchungen (DIN 1054:2010, Tabelle A 2.1 [6])

Der Prüfingenieur | Mai 2013 47


GEOTECHNIK

Bodenkenngrößen Formel Bemessungssituation


zeichen
BS-P BS-T BS-A

Reibungsbeiwert tan ϕ‘ des dränierten Bodens und Reibungsbeiwert tan ϕu γϕ‘, γϕ,u 1,00 1,00 1,00
HYD & UPL

des undränierten Bodens


Kohäsion c‘ des dränierten Bodens und Scherfestigkeit cu des undränierten γc‘, γcu 1,00 1,00 1,00
Bodens
Reibungsbeiwert tan ϕ‘ des dränierten Bodens und Reibungsbeiwert tan ϕu γϕ‘, γϕ,u 1,00 1,00 1,00
des undränierten Bodens
GEO-2

Kohäsion c‘ des dränierten Bodens und Scherfestigkeit cu des undränierten γc‘, γcu 1,00 1,00 1,00
Bodens
Reibungsbeiwert tan ϕ‘ des dränierten Bodens und Reibungsbeiwert tan ϕu γϕ‘, γϕ,u 1,25 1,15 1,10
des undränierten Bodens
GEO-3

Kohäsion c‘ des dränierten Bodens und Scherfestigkeit cu des undränierten γc‘, γcu 1,25 1,15 1,10
Bodens
Tabelle 2: Teilsicherheitsbeiwerte für geotechnische Kenngrößen (DIN 1045:2010, Tabelle A 2.2 [6])

Widerstand Formel Bemessungssituation


zeichen
BS-P BS-T BS-A

Bodenwiderstände
Erdwiderstand und Grundbruchwiderstand γR,e , γR,v 1,40 1,30 1,20
Gleitwiderstand γR,h 1,10 1,10 1,10
Pfahlwiderstände aus statischen und dynamischen Pfahlprobe-
belastungen
Fußwiderstand γb 1,10 1,10 1,10
Mantelwiderstand (Druck) γs 1,10 1,10 1,10
STR & GEO-2

Gesamtwiderstand (Druck) γt 1,10 1,10 1,10


Mantelwiderstand (Zug) γs,t 1,15 1,15 1,15
Pfahlwiderstände auf der Grundlage von Erfahrungswerten
Druckpfähle γb , γs ,γt 1,40 1,40 1,40
Zugpfähle (nur in Ausnahmefällen) γs,t 1,50 1,50 1,50
Herausziehwiderstände
Boden- bzw. Felsnägel γa 1,40 1,30 1,20
Verpresskörper von Verpressankern γa 1,10 1,10 1,10
Flexible Bewehrungselemente γa 1,40 1,30 1,20

Tabelle 3: Teilsicherheitsbeiwerte für Widerstände (DIN 1045:2010, Tabelle A 2.3 [6])

Bei der Umstellung auf den Eurocode wurde bei der Wahl des Nach- ben ausgeschlossen werden, durch den Grenzzustand der Gebrauchs-
weisverfahrens und der Festlegung der Teilsicherheitsbeiwerte von dem tauglichkeit soll die langfristige Nutzbarkeit (= Funktionssicherheit) si-
Grundsatz ausgegangen, dass das bewährte Sicherheitsniveau des glo- chergestellt werden.
balen Sicherheitskonzepts erhalten bleiben muss. Die Nachweisverfah-
ren und die Teilsicherheitsbeiwerte waren daher so auszuwählen, dass 2.2.1 Grenzzustände der Tragfähigkeit
eine Bemessung mit Teilsicherheitsbeiwerten auf Grundlage des EC 7-1 Im Grenzzustand der Tragfähigkeit werden in der Geotechnik wie im
etwa zu den gleichen Abmessungen führt wie eine Gründungsbemes- übrigen Konstruktiven Ingenieurbau nach dem Eurocode „Grundlagen
sung nach den Normen des globalen Sicherheitskonzepts. der Tragwerksplanung“ [9], [10] und dem EC 7-1 [6], [7], [8] fünf
Grenzzustände unterschieden. In Tab. 4 sind die Grenzzustände nach
2.2 Das Konzept der Grenzzustände der alten DIN 1054:2005 [11] denen des EC 7-1 beziehungsweise der
Der Eurocode fordert den Nachweis von zwei Grenzzuständen, und DIN 1054:2010 [6], [7], [8] gegenübergestellt.
zwar den Grenzzustand der Tragfähigkeit und den Grenzzustand der
Gebrauchstauglichkeit. Mit dem Nachweis im Grenzzustand der Trag- Bei der Nachweisführung im Grenzzustand der Tragfähigkeit werden
fähigkeit sollen Sachschäden und eine Gefährdung von Menschenle- die Bemessungswerte der Beanspruchung Ed den Bemessungswerten

48 Der Prüfingenieur | Mai 2013


GEOTECHNIK

DIN 1054:2005-01 EC 7-1 und DIN 1054:2010-12


Benennung Abkürzung Benennung Abkürzung
EQU
Verlust der Lagesicherheit/Kippen
(equilibrium)
Aufschwimmen UPL
Verlust der Lagesicherheit GZ 1A (Nachweis wie GZ 1A) (uplift)

Hydraulischer Grundbruch HYD


(Nachweis wie GZ 1A) (hydraulic)

STR
Versagens von Bauwerken und Versagen des Tragwerks oder seiner Teile
(structural)
Bauteilen durch Bruch im Bauwerk oder GZ 1B
im stützenden Baugrund Versagen des Bodens
GEO-2
(Nachweis wie GZ 1B)

Grenzzustand des Verlustes der Gesamt- Versagen des Bodens


GZ 1C GEO-3
sicherheit (Nachweis wie GZ 1C (Fellenius-Regel))

Tabelle 4: Gegenüberstellung der Abkürzungen der Grenzzustände der Tragfähigkeit in der DIN 1054:2005 [11] und in der DIN 1054:2010 [6], [12], [13]

des Widerstandes eines Bauwerks oder Bauteils Rd wie folgt gegen- spiel Beanspruchungen in der Gründungssohle beim Nachweis der
übergestellt (Gleichung (6)): Sicherheit gegen Grundbruch und Gleiten) als auch die charakteristi-
schen Werte für die Widerstände (Grundbruchwiderstand, Gleitwider-
E d ≤ Rd Gl. (6) stand).

2.2.2 Grenzzustände der Gebrauchstauglichkeit Im Grenzzustand GEO-3 wird nach dem Nachweisverfahren 3 mit ab-
Als Grenzzustände der Gebrauchstauglichkeit sind alle diejenigen geminderten Scherparametern geführt, sodass die Ermittlung der für
Grenzzustände einzustufen, die die Funktion eines Tragwerks oder ei- den Nachweis maßgebenden Schnittgrößen auf der Grundlage von Be-
nes seiner Teile unter Gebrauchsbedingungen (1,0-fache Einwirkun- messungswerten durchgeführt wird.
gen) oder das Wohlbefinden der Nutzer oder das Erscheinungsbild des
Bauwerks betreffen. Als Eingangsgrößen aus dem Hochbau sind für alle geotechnischen
Nachweise charakteristische Werte erforderlich. Die Verwendung von
Bei der Nachweisführung im Grenzzustand der Gebrauchstauglichkeit Bemessungswerten, die aus der Bemessung der aufgehenden Kon-
darf der Bemessungswert einer Auswirkung von Einwirkungen Ed nicht struktion stammen, ist möglich (Abb. 5).
größer als der Bemessungswert des maßgebenden Gebrauchstauglich-
keitskriteriums Cd sein. Die Teilsicherheitsbeiwerte können hierbei in
der Regel mit 1,0 angesetzt werden (siehe oben). 1. Entwurf des Bauwerkes und Festlegung des statischen Systems

Gelten die Setzungen als Gebrauchstauglichkeitskriterium, so werden


diese nach DIN V 4019-100:1996-04 „Baugrund – Setzungsberech- 2. Ermittlung der charakteristischen Werte Fk,i der Einwirkungen
nungen – Teil 100: Berechnung nach dem Konzept mit Teilsicherheits-
➡ ➡

beiwerten“ [9] bestimmt.


3. Ermittlung der charakteristischen Beanspruchungen Ek,i
2.3 Kombinationsregeln
Mit der Einführung des Eurocodes wurde in der Geotechnik die An-
4. Ermittlung der charakteristischen Widerstände Rk,i des Baugrundes
wendung von Kombinationsbeiwerten eingeführt. Hierbei wird der

Wahrscheinlichkeit Rechnung getragen, dass die möglichen veränder-


lichen Einwirkungen gleichzeitig in voller Größe wirken. Bei mehreren
5. Ermittlung der Bemessungswerte Ed,i der Beanspruchungen
veränderlichen Einwirkungen wird dementsprechend nach den Kombi-

nationsregeln lediglich die Leiteinwirkung Qk,1 voll berücksichtigt, die


weiteren Einwirkungen (Begleiteinwirkungen Qk,i) werden mit Hilfe ei- 6. Ermittlung der Bemessungswerte Rd,i mit den Teilsicherheitsbei-
nes Kombinationsbeiwertes ψ0 abgemindert. werten für Bodenwiderstände sowie Ermittlung der Bemessungs-
widerstände Rd,i der Bauteile
2.4 Nachweisführung

Die grundlegende Bemessungsprozedur der Nachweisführung in den


Grenzzuständen konnte trotz der Umstellung auf das Teilsicherheits- 7. Nachweis der Einhaltung der Grenzzustandsbedingung
konzept erhalten bleiben. Bei allen Nachweisen, bis auf GEO-3, er-
folgt die Faktorisierung mit Hilfe der Teilsicherheitsbeiwerte erst auf Σ Ed,i ≤ Σ Rd,i
Schnittkraftebene, das heißt, aus den Einwirkungen (zum Beispiel
Lasten aus dem Hochbau, Wasserdruck, Erddruck) ergeben sich so-
wohl die charakteristischen Werte für die Beanspruchungen (zum Bei- Abb. 5: Allgemeiner Bemessungsablauf [14]

Der Prüfingenieur | Mai 2013 49


GEOTECHNIK
2.4.1 Nachweis der Sicherheit gegen Gleichgewichtsverlust 2.4.4 Nachweise im Grenzzustand des Versagens des Bau-
durch Kippen (EQU) grunds (GEO)
Der Nachweis der Sicherheit gegen Gleichgewichtsverlust durch Kip- Der EC 7-1 sieht für die verschiedenen geotechnischen Nachweise im
pen (EQU) wird durch einen Vergleich destabilisierender und stabilisie- Grenzzustand des Versagens des Baugrunds (GEO) drei Nachweisver-
render Bemessungsgrößen der Einwirkung bezogen auf eine fiktive fahren vor, nach denen die Standsicherheitsnachweise und die Bemes-
Kippkante am Fundamentrand, nach den Gleichungen (7), (8) und (9) sung in der Geotechnik durchgeführt werden können. Die drei Nach-
geführt: weisverfahren unterscheiden sich darin, wie und wann die Einwirkun-
gen beziehungsweise Beanspruchungen und Widerstände mit Teilsi-
Edst,d ≤ Estb,d Gl. (7) cherheitsbeiwerten belegt werden. In Deutschland kommen im Hin-
blick auf die Praktikabilität und die Transparenz beziehungsweise Lo-
Bemessungswert der stabilisierenden Einwirkung: gik der Nachweisführung nur die Nachweisverfahren 2 und 3 zur An-
wendung.
Estb,d = Estb,k · γG,stb Gl. (8)
2.4.4.1 Das Verfahren GEO-2 zum Nachweis von Gründungen
Bemessungswert der destabilisierenden Einwirkung: In Deutschland wird bei den Nachweisen von Flachgründungen, Stütz-
wänden, Pfählen und Ankern das Nachweisverfahren 2 verwendet, bei
Edst,d = EG,dst,k · γG,dst + EQ,dst,k · γQ,dst Gl. (9) der die gesamte Berechnung mit charakteristischen Werten durchge-
führt wird. Erst am Ende werden bei dem als GEO-2 bezeichneten Ver-
Die tatsächliche Kippkante wandert mit abnehmender Steifigkeit fahren bei der Überprüfung der Grenzzustandsgleichung die charakte-
und Scherfestigkeit des Untergrunds zunehmend in die Fundament- ristischen Einwirkungen und Widerstände mit den Teilsicherheitsbei-
fläche hinein. Daher ist der Nachweis um die Fundamentkante allei- werten beaufschlagt (Gleichung (12)).
ne nicht ausreichend. Deshalb ist zusätzlich der Nachweis der klaf-
fenden Fuge zu führen, der als Nachweis der Gebrauchstauglichkeit E d ≤ Rd Gl. (12)
geregelt ist. Dieser stellt sicher, dass die Sohldruckresultierende bei
charakteristischen beziehungsweise repräsentativen Lasten in ei- 2.4.4.2 Das Verfahren GEO-3 zum Nachweis der Böschungs-
nem erfahrungsgemäß ausreichend großen Fundamentbereich standsicherheit
wirkt. Beim Nachweis der Standsicherheit von Böschungen wird das Nach-
weisverfahren 3 – bezeichnet mit GEO-3 – angewendet. Bei diesem
2.4.2 Nachweis gegen Aufschwimmen (UPL) Nachweisverfahren werden die Bemessungswerte der Einwirkungen
Das Aufschwimmen von Bauwerken infolge der Auftriebskraft des und Widerstände des Baugrundes mit Bemessungswerten der Scher-
Wassers ist ebenfalls ein Versagen durch Verlust der Lagesicherheit. parameter ϕ´d und c´d ermittelt, die Teilsicherheitsbeiwerte also auf die
Scherparameter im Sinne der Fellenius-Regel angewendet (Gleichung
Bei dem Nachweis der Sicherheit gegen Aufschwimmen fordert die (13)).
Grenzzustandsgleichung, dass der Bemessungswert der destabilisie-
renden ständigen und veränderlichen Vertikalkräfte Gdst,d und Qdst,d E d ≤ Rd
nicht größer werden darf als die Bemessungswerte der stabilisieren- Ed (ϕ´d , c´d) ≤ Rd (ϕ´d , c´d) (Gl. (13)
den ständigen Vertikalkräfte Gstb,d (Gleichung (10)).
2.4.5 Vereinfachter Nachweis für Flachgründungen in Regel-
Gdst,d + Qdst,d ≤ Gstb,d + Rd Gl. (10) fällen
Bei dem vereinfachten Nachweis für Flachgründungen ergibt sich
Gegebenenfalls darf der Bemessungswert eines zusätzlichen Wider- durch die Einführung des EC 7-1 eine entscheidende Veränderung. So
standes Rd gegen Aufschwimmen berücksichtigt werden, der wie eine wird nicht, wie bisher, in der DIN 1054:2005 [11] der aufnehmbare
zusätzliche stabilisierende Einwirkung behandelt wird. Sohldruck, also ein charakteristischer Wert, angegeben. Die DIN
1054:2010 [6] gibt stattdessen in den Tabellen den Bemessungswert
2.4.3 Nachweis der Sicherheit gegen hydraulischen Grund- des Sohlwiderstandes σR,d an, mit denen die Bemessungswerte der
bruch, innere Erosion und Piping (HYD) Sohlbeanspruchung verglichen werden können (Gleichung 14)).
Die Definition des Grenzzustands HYD umfasst die Versagensformen
hydraulischer Grundbruch, innere Erosion und Piping im Boden, die al- σE,d ≤ σR,d Gl. (14)
le durch Strömungsgradienten hervorgerufen werden.
Die Bemessungswerte des Sohlwiderstands sind für die ständige Be-
Es gibt jedoch nur für den hydraulischen Grundbruch eine Grenzzu- messungssituation BS-P angegeben und können daher, auf der siche-
standsgleichung. Bei dem Nachweis der Sicherheit gegen hydrauli- ren Seite liegend, auch für die anderen Bemessungssituationen ver-
schen Grundbruch muss nachgewiesen werden, dass für jedes in Frage wendet werden. Diese sind durch Multiplikation mit dem Faktor 1,4
kommende Bodenprisma der Bemessungswert Sdst,d der destabilisie- aus den bisherigen Tabellen abgeleitet worden. Der Multiplikations-
renden Strömungskraft kleiner ist als der Bemessungswert des stabili- faktor 1,4 wurde als gewichteter Mittelwert für die Teilsicherheitsbei-
sierenden Gewichts desselben Bodenprismas unter Auftrieb G’stb,d werte auf die Einwirkungen beziehungsweise Beanspruchung γG =
(Gleichung (11)). 1,35 und γQ = 1,50 gewählt.

Sdst,k · γH ≤ G’stb,k · γG,stb Gl. (11) Als Voraussetzung zur Anwendung des vereinfachten Nachweises und
somit der Ersparnis der Nachweise gegen Gleiten und Grundbruch so-
erfüllt ist. wie der Setzungen entsprechen denen der DIN 1054:2005:

50 Der Prüfingenieur | Mai 2013


GEOTECHNIK
1. Die Fundamentsohle ist waagerecht und die Geländeoberfläche so-
wie die Schichtgrenzen verlaufen annähernd waagerecht.
2. Der Baugrund weist bis in eine Tiefe unter der Gründungssohle, die
der zweifachen Fundamentbreite entspricht, mindestens aber bis in
2,0 m Tiefe eine ausreichende Festigkeit auf.
3. Das Fundament wird nicht regelmäßig oder überwiegend dyna-
misch beansprucht; in bindigen Schichten entsteht kein nennens-
werter Porenwasserüberdruck.
4. Eine stützende Wirkung des Bodens vor dem Fundament darf nur in
Rechnung gestellt werden, wenn sein Verbleib durch konstruktive
oder andere Maßnahmen sichergestellt ist.
5. Die Neigung der charakteristischen beziehungsweise repräsentati-
ven Sohldruckresultierenden hält die Bedingung
tan δ = H/V ≤ 0,2 Abb. 6: Begrenzung der Ausmitte der Sohldruckresultierenden
mit: δ charakteristischer Wert der Neigung der Sohlresultierenden,
H Horizontalkomponente des charakteristischen Wertes der menten auf mindestens mitteldicht gelagerten nichtbindigen Böden
Sohlbeanspruchung und beziehungsweise mindestens steifen bindigen Böden keine unzuträgli-
V Vertikalkomponente des charakteristischen Wertes der chen Verdrehungen des Bauwerks auftreten. Andernfalls sind zur Er-
Sohlbeanspruchung mittlung der Verdrehungen die Setzungsunterschiede zu berechnen.
ein.
6. Die Bedingungen hinsichtlich der zulässigen Ausmittigkeit der Sohl- 2.5 Beobachtungsmethode
druckresultierenden für charakteristische beziehungsweise reprä- Seit den Jahren 2002/2003 ist die Beobachtungsmethode mit Erscheinen
sentative Beanspruchungen eingehalten sind. der DIN 1054:2003-01 „Baugrund - Sicherheitsnachweise im Erd- und
7. Der Nachweis gegen Gleichgewichtsverlust durch Kippen entspre- Grundbau“ [15] und E-DIN 4020:2002-08 „Geotechnische Untersu-
chend erfüllt ist. chungen für bautechnische Zwecke“ [16] eine bauaufsichtlich einge-
führte Nachweisprozedur im geotechnischen Normenwerk. Sie trägt der
2.4.6 Nachweis der Fundamentverdrehung und Begrenzung Besonderheit Rechnung, dass die Eigenschaften des Baugrunds nicht
einer klaffenden Fuge (SLS) mit der gleichen Zuverlässigkeit ermittelt und in Berechnungsmodellen
Zusätzlich zu dem Nachweis der Sicherheit gegen Gleichgewichtsverlust beschrieben werden können wie andere Baumaterialien wie zum Bei-
durch Kippen (EQU) im Grenzzustand der Tragfähigkeit ist in Deutsch- spiel Beton oder Stahl, und dass bei der Bauausführung Abweichungen
land nach DIN 1054:2010 der Nachweis der Begrenzung einer klaffen- zwischen den modelltheoretischen, boden- beziehungsweise felsmecha-
den Fuge im Grenzzustand der Gebrauchstauglichkeit zu führen. Dabei nischen Planungsvorgaben und den tatsächlichen Baugrund- und
ist die maßgebende Sohldruckresultierende die resultierende charakte- Grundwasserverhältnissen auftreten können [17], [18]. Dies ist sowohl
ristische Beanspruchung in der Sohlfläche aus der ungünstigsten Kombi- bautechnisch als auch baurechtlich von Bedeutung [19], [20], [21].
nation der charakteristischen Werte ständiger und veränderlicher Einwir-
kungen für die Bemessungssituation BS-P und gegebenenfalls BS-T. Die Beobachtungsmethode ist damit eine Kombination der üblichen
geotechnischen Untersuchungen und Berechnungen (Prognosen) mit
Bei Gründungen auf nichtbindigen und bindigen Böden darf in der der laufenden messtechnischen Kontrolle des Bauwerks während des-
Sohlfläche infolge der aus ständigen Einwirkungen resultierenden cha- sen Herstellung und gegebenenfalls auch während dessen Nutzung,
rakteristischen Beanspruchung keine klaffende Fuge auftreten. Diese wobei kritische Situationen durch die Anwendung geeigneter techni-
Bedingung ist eingehalten, wenn die Sohldruckresultierende innerhalb scher Maßnahmen beherrscht werden müssen. Die Beobachtungsme-
der 1. Kernweite liegt (Abb. 6): thode ist eine Kombination von Rechnung und Messung, die letzten
Endes ein scharfes Kontrollverfahren zur Überprüfung der boden- be-
ziehungsweise der felsmechanischen Modellbildungen und der Quali-
xe y e 1
Raute nach + = tät der Bauausführung darstellt (Abb. 7).
bL bB 6

Damit die Sohle des Gründungskörpers noch mindestens bis zu ihrem


Schwerpunkt mit Druckspannungen belastet ist – das heißt, es stellt
sich keine klaffende Fuge über die Fundamentschwerachse hinaus ein
– muss die Ausmittigkeit der Resultierenden des Sohldrucks R auf die
„2. Kernweite“ begrenzt werden. Diese Kernweite wird für Fundamen-
te mit rechteckiger beziehungsweise kreisförmiger Grundfläche von
folgenden Flächen beschrieben:

2 2
x  y  1
Ellipse nach  e  +  e  =
 bL   bB  9

Bei Einhaltung der zulässigen Ausmittigkeit der Sohldruckresultieren-


den darf angenommen werden, dass bei Einzel- und Streifenfunda- Abb. 7: Beobachtungsmethode [12]

Der Prüfingenieur | Mai 2013 51


GEOTECHNIK
Die konsequente Anwendung der Beobachtungsmethode ist bei Bau- Im Rahmen der Stadtentwicklung plant die Stadt Frankfurt am Main die
maßnahmen mit hohem Schwierigkeitsgrad (Geotechnische Kategorie Neugestaltung des Areals zwischen Kaiserdom und Rathaus (Römer) in
GK 3) Stand der Technik, insbesondere in folgenden Fällen: der Innenstadt (Dom-Römer-Areal). Die geplante Neubebauung soll
■ Baumaßnahmen mit ausgeprägter Baugrund-Tragwerk-Interaktion, historische Baulinien aufgreifen und teilweise historische Gebäude re-
zum Beispiel Hochhäuser, Mischgründungen, Gründungsplatten, konstruieren. Zur Schaffung der Baufreiheit soll das ehemalige Techni-
Kombinierte Pfahl-Plattengründungen (KPP), Tiefe Baugruben (Bau- sche Rathaus bis auf die Untergeschosse zurückgebaut werden.
grubenkennzahl TBK > 0,4 [20],[ 22]),
■ Bauwerke mit erheblicher und veränderlicher Wasserdruckeinwir- 3.1.1 Projektbeschreibung
kung, zum Beispiel Trogbauwerke oder Ufereinfassungen im Tidege- Das ehemalige Technische Rathaus wurde zu Beginn der 1970-er Jahre
biet, zwischen Römer und Kaiserdom südlich der Braubachstraße errichtet.
■ komplexe Wechselwirkungssysteme, bestehend aus Baugrund, Bau- In weiten Bereichen überdecken das Technische Rathaus und die zuge-
grubenkonstruktion und angrenzender Bebauung, hörige Tiefgarage die unmittelbar vorweg gebaute U-Bahnlinie U4 mit
■ Baumaßnahmen, bei denen Porenwasserdrücke die Standsicherheit der U-Bahnstation Dom/Römer (Abb. 8 und Abb. 9). Sowohl das Tech-
herabsetzen können, nische Rathaus als auch die Tiefgarage geben ihre Lasten bereichswei-
■ Baumaßnahmen an Hängen, se unmittelbar auf das U-Bahnbauwerk ab. Die Abdichtung der im
■ Tunnel und Staudämme. Grundwasser stehenden Bauwerke erfolgte durch eine außen liegende
Schwarzabdichtung.
Einschränkend heißt es zur Beobachtungsmethode in der DIN
1054:2010-12 [6] unter Berücksichtigung der Problematik Sprödbruch Das ehemalige Technische Rathaus hat bis zu zwölf Obergeschosse,
beziehungsweise Duktilität richtigerweise: „Wenn das Versagen vorab zwei Erdgeschosse und zwei Untergeschosse. Unmittelbar mit den Un-
nicht erkennbar ist bzw. sich nicht rechtzeitig ankündigt, dann ist die tergeschossen sind die Tiefgarage mit ebenfalls zwei Untergeschossen
Beobachtungsmethode als Sicherheitsnachweis nicht anwendbar.“ und die U-Bahnhaltestelle Dom/Römer verbunden sowie die nach Os-
ten und Westen führenden, eingleisigen U-Bahntunnel verbunden. Die
Es sei an dieser Stelle ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Beob- Bestandssituation und den Zustand während des Rückbaus gibt
achtungsmethode als alleiniges Element des Standsicherheits- bezie- Abb. 10 wieder.
hungsweise Gebrauchstauglichkeitsnachweises ohnehin nicht ausrei-
chend und auch nicht zulässig ist, denn die Beobachtungsmethode ist 3.1.2 Baugrund- und Grundwasserverhältnisse
per definitionem eine Kombination der üblichen geotechnischen Un- Am Projektstandort steht unter dem Kulturschutt und den quartären
tersuchungen, also Berechnungen, mit der laufenden messtechnischen Sanden und Kiessanden der setzungsaktive, tertiäre Frankfurter Ton
Kontrolle (Monitoring) [17]. an, der ab ungefähr 30 m Tiefe unter Geländeoberfläche von den felsi-
gen Frankfurter Kalken unterlagert wird. Im Rahmen der Baugrunder-
Die Anwendung der Beobachtungsmethode führt methodisch per se kundung wurden zwei Grundwasserleiter aufgeschlossen. Der obere
zur Überprüfung der Brauchbarkeit und Validierung der Modellbildung Grundwasserleiter liegt in den rolligen Böden des Quartärs, die auf
und zur Qualitätssicherung der Bauausführung, was projektspezifisch den grundwasserstauenden tertiären bindigen Böden aufliegen. In den
beim Auftreten nicht erwarteter Messdaten zu nicht unerheblichen Kalksand-, Kalkstein- und Algenkalkschichten des Frankfurter Tons und
Diskursen zwischen den Projektbeteiligten im Zuge der Ursachenana- der Frankfurter Kalke steht der untere, zum Teil gespannte Grundwas-
lyse führen kann. serleiter an.

3.1.3 Baugrundverformungen
Das installierte geodätische Messprogramm besteht aus rund 220
3 Beispiele aus der geotechnischen Messpunkten im Umfeld des Technischen Rathauses, 110 in der Tiefga-
Ingenieurpraxis rage sowie den Unterschossen des Technischen Rathauses, 30 in der
U-Bahnstation Dom/Römer sowie 220 in den U-Bahntunneln. Der
Nachfolgend werden drei Großbauprojekte aus der geotechnischen In- messtechnisch überwachte Bereich reicht bis 50 m neben das Techni-
genieurpraxis vorgestellt, die gemäß EC 7-1 und DIN 1054 [6], [7], [8] sche Rathaus. Die Verformungen an den Blockfugen der Tunnelröhren
in die Geotechnische Kategorie 3, dies ist die Kategorie mit dem werden bis zu einer Entfernung von 80 m vom Baufeld erfasst.
höchsten Schwierigkeitsgrad, einzustufen sind. Alle Projekte zeigen,
dass die Baugrund-Tragwerk-Interaktion zu jedem Zeitpunkt des Pla- Exemplarisch für die aufgetretenen Verformungen werden die Mess-
nungs- und Baufortschrittes zu berücksichtigen ist und dass mit aus- werte maßgebender geodätischer Punkte auf dem Projektareal darge-
reichender Sicherheit die Tragfähigkeit und die Gebrauchstauglichkeit stellt (Abb. 8). Die Punkte 1 bis 4 liegen jeweils im Untergeschoss des
der Bauobjekte sowie benachbarter Konstruktionen gewährleistet Technischen Rathauses im Bereich der 3 Türme (Messpunkte 1
werden. bis 3) und des Sitzungstraktes (Messpunkt 4). Messpunkt 5 liegt in der
nördlichen, nach Westen abgehenden Tunnelröhre direkt nach dem
3.1 Innerstädtische Großbaumaßnahme in Frankfurt am Main Übergang Stationsbauwerk/Tunnel.
Alle großen Infrastruktur- und Hochhausbaumaßnahmen in Frankfurt
am Main, die der Geotechnischen Kategorie GK 3 zuzuordnen sind, Bisher wurden alle Geschosse einschließlich der Decken, Wände und
werden zur Kontrolle der prognostizierten Baugrund-Tragwerk-Inter- Stützen der beiden Untergeschosse des Technischen Rathauses zurück-
aktion im Rahmen der Beobachtungsmethode überwacht. Aufgrund gebaut. Die neuen Decken, Wände und Stützen der beiden Unterge-
der städtebaulichen Weiterentwicklung werden in Frankfurt am Main schosse wurden größtenteils bereits errichtet. Lediglich im Bereich des
neben Neubaumaßnahmen zunehmend auch Rück- und Umbaumaß- Messpunktes 2 ist die Decke über 1. UG noch herzustellen. Zur Ge-
nahmen durchgeführt [23]. währleistung der Sicherheit gegen Auftrieb der bis zu 7,80 m tief im

52 Der Prüfingenieur | Mai 2013


GEOTECHNIK

Abb. 8: Lageplan des Dom-Römer-Areals

gebauten Geschossen und Bauteilen sind erwartungsgemäß die größ-


ten Hebungen von knapp 8 cm festzustellen. Die Hebungen klingen
am Rand des Technischen Rathauses mit zunehmender Distanz über-
proportional ab. An den das Projektareal umgebenden besonderen
Bauwerken, wie zum Beispiel dem Kaiserdom, sind, wie erwartet, kei-
ne Baugrundverformungen aufgetreten.

3.2 Tunnelbau neben Weltkulturerbe in Barcelona


Hinsichtlich ihrer Baugrund-Tragwerk-Situation stellen Tunnelbauwer-
Abb. 9: Schnitt aus Abb. 8 ke im Vergleich zu Gründungen etc. eine Besonderheit dar, da der
Baugrund nicht nur belastet, sondern in seiner Tragstruktur verändert
Grundwasser stehenden Untergeschosse wurde für die Bauzeit ein wird. Es wird ein Hohlraum im Baugrund geschaffen, der nicht nur
Ballastierungs- und Flutungskonzept erarbeitet. von der Tunnelschale, sondern vor allem durch die Gewölbetragwir-
kung des Bodens stabilisiert wird. Alle Tunnelbauwerke sind in die
Die Reduktion und der Neubau der Geschosse beziehungsweise Bau- Geotechnische Kategorie GK 3 nach EC 7-1 und DIN 1054 [6], [7], [8]
teile und die damit in Zusammenhang gemessenen Verformungen einzustufen und die Bauausführung mit der Beobachtungsmethode
sind in Abb. 11 dargestellt. Beginnend mit dem Rückbau zeigen sich zu begleiten.
an den ausgewiesenen Messpunkten 1 bis 4 Hebungen, die zwischen
rund 2 cm und 8 cm liegen. Vorhanden sind die Wände, Decken und Gerade an Tunnelbauwerke in dicht bebauten Innenstadtlagen sind die
Stützen des 1. und 2. Untergeschosses. Die gemessenen Hebungen Anforderungen hinsichtlich der Minimierung der Einwirkungen auf
neben dem Rückbauareal (Messpunkt 5) betragen weniger als 1,0 den Bestand, teilweise mit großer historischer oder kultureller Bedeu-
cm. tung, besonders hoch. Die Wechselwirkungen zwischen Bestand, bau-
technischen Eingriffen durch den Tunnel, Baugrund und Grundwasser
Die Hebungen des gesamten Projektareals sind als Isolinien in sind hochgradig komplex. Andererseits werden genau in diesen dicht
Abb. 12 dargestellt. Im Bereich des Turmes 2 mit den maximal zurück- besiedelten Gebieten Tunnelbauwerke zur Bewältigung des erhöhten

Abb. 10. Dom-Römer-Areal mit Technischem Rathaus vor (links) und während des Rückbaus (rechts)

Der Prüfingenieur | Mai 2013 53


GEOTECHNIK

Abb. 11: Gemessene Hebungen im Bereich Technisches Rathaus (1 bis 5 siehe Abb. 8)

Abb. 12: Gemessene Hebungen im gesamten Projektareal [cm]

Verkehrsaufkommens benötigt. In zahlreichen europäischen Großstäd- Der als zweigleisiger Tunnel für die AVE-Züge (AVE = Alta Velocidad
ten, so auch zum Beispiel in Barcelona, werden derzeit Tunnelbaupro- Española) auszubauende Tunnel verbindet die beiden Bahnhöfe
jekte realisiert. „Sants“ und „La Sagrera“ (Abb. 14).

3.1.1 Projektbeschreibung Der AVE-Tunnel wird zwischen den An- und Ausfahrtsbereichen mit ei-
Im Rahmen des Neubaus der Hochgeschwindigkeits-Eisenbahnstrecke ner Tunnelbohrmaschine (TBM) mit Erddruckschild (earth pressure ba-
von Madrid über Barcelona bis zur französischen Grenze, die Spanien lanced shield = EPB) aufgefahren. Der Tunnelvortrieb wurde im Juni
an das bestehende europäische Netz anschließen soll, wird derzeit im 2011 abgeschlossen. Derzeit erfolgt der Innenausbau. Der äußere
Stadtzentrum von Barcelona ein 5,6 km langer Tunnel gebaut. Die Tun- Durchmesser des einschaligen Tunnels beträgt 11,55 m.
nelstrecke verläuft direkt neben der berühmten Kirche der „Sagrada
Familia“ (Abb. 13). Die Sagrada Familia ist eine seit 1882 im Bau be- 3.2.2 Baugrund- und Grundwasserverhältnisse
findliche Kirche, die sich insbesondere durch ihre außergewöhnliche Im Stadtzentrum Barcelonas wird der oberflächennahe Baugrund-
Tragstruktur und die Vereinigung der architektonischen Stile vieler aufbau hauptsächlich durch quartäre und tertiäre Sedimente der
Epochen auszeichnet. Sie gehört als Werk des Architekten Antoni Gau- Flüsse Besós im Norden und Llobregat im Süden bestimmt, deren
dí zum UNESCO Weltkulturerbe. Schichten leicht zur Küste hin einfallen. Unterhalb von künstlichen

54 Der Prüfingenieur | Mai 2013


GEOTECHNIK
gespannt. Das Grundwasser hat ein natürliches Gefälle in Richtung
Mittelmeer.

Der freie Grundwasserspiegel steht an der Sagrada Familia in einer


Tiefe von etwa 16,5 m unter der Geländeoberfläche an, das heißt, auf
einem Niveau von circa 13,5 mNN.

Die Tunnelsohle liegt maximal in einer Tiefe von rund 40 m unter der
Geländeoberfläche und im Mittel 19 m tief unter dem Grundwasser-
spiegel.

3.2.3 Besondere Bedeutung der Baugrund-Tragwerk-Interakti-


on bei historischer Nachbarbebauung
Die Tunnelführung in direkter Nachbarschaft von kulturell wichtigen
und wertvollen historischen Bauwerken stellt nicht nur besonders ho-
Abb. 13: Blick auf das Dach der Sagrada Familia in Barcelona he Anforderungen an die Bauausführung, sondern insbesondere im
Vorfeld der Baumaßnahme an die geotechnische Modellbildung im
Auffüllungen, die eine Dicke von bis zu 2 m haben, folgen die quar- Rahmen der Planung. Es waren nicht nur das Tragwerk „Tunnel“ und
tären Schichten, deren Dicke von 4 m bis zu 20 m reicht. Im oberen der Baugrund und dessen mechanisches Verhalten zu modellieren,
Bereich des Quartärs liegen schluffige, teilweise auch kiesige röt- sondern insbesondere das Tragwerk und die Gebrauchstauglichkeit
liche Tone vor. Darunter folgen Wechsellagerungen von schluffigem des benachbarten Gebäudes zu berücksichtigen.
Sand und sandigem Schluff; zum Teil finden sich auch reine Sand-
lagen im Quartär. Für die Sagrada Familia stellte dies in mehrfacher Hinsicht eine
Schwierigkeit dar:
Unter dem Quartär folgen tertiäre, schluffige Sande, in die wenige
Zentimeter bis zu mehrere Meter dicke Tonbänder eingelagert sind. ■ Die Kirche wird mit insgesamt 18 Türmen mit maximal 170 m Höhe
Diese sandigen tertiären Schichten reichen im westlichen Bereich des sehr hohe Lasten in den Baugrund abtragen.
Tunnels bis zur Endtiefe der Erkundungsbohrungen von ungefähr ■ Die Kirche ist noch nicht fertiggestellt, sondern befindet sich im
60 m. Im östlichen Bereich liegt ab einer Tiefe von rund 25 m tertiärer Bau, das heißt, es sind veränderliche Belastungszustände zu be-
Ton vor (Abb. 15). rücksichtigen.
■ Aufgrund der historischen Plansituation konnte die Gründungssi-
Das Grundwasser fließt im Stadtzentrum Barcelonas in mehreren tuation sowie die Statik dieser Kirche nicht vollständig erfasst
Grundwasserstockwerken, die teilweise miteinander korrespondieren, werden. Zudem sind bis heute große Teile der Statik noch nicht er-
da die dichtenden Tonschichten im Tertiär nicht großflächig durchgän- stellt, da im Wesentlichen auf der Grundlage von physischen Mo-
gig sind. Das oberste Grundwasserstockwerk bildet einen freien dellen (aus Gips. etc.) des Architekten Gaudí geplant und gebaut
Grundwasserspiegel aus, die tieferen Grundwasserleiter sind teilweise wird.

Abb. 14: Lageplan AVE-Tunnel

Der Prüfingenieur | Mai 2013 55


GEOTECHNIK

Abb. 15: Geotechnischer Längsschnitt AVE-Tunnel

■ Die Kirche ist aufgrund ihres hohen künstlerischen Werts auch we- Für die Kirche der Sagrada Familia wurden die niedrigsten Grenzwerte,
sentlicher tragender Elemente sowie der Fassaden sehr sensibel ge- das heißt, diejenigen für Monumentalbauten (Tab. 5) ausgewählt, um
gen Verformungen. ein Maximum an Sicherheit für die Struktur zu gewährleisten. Die An-
wendung der vorgenannten MINTRA-Grenzwerte führte zur Definition
Als Baugrund-Tragwerk-Interaktion waren folglich im Rahmen der der speziell für die Sagrada Familia gewählten Grenzwerte (Tab. 6).
geotechnischen Modellbildung nicht nur die Auswirkungen der Tunnel-
baumaßnahme auf den umgebenden Baugrund und das Nachbarbau- Die Setzungsbeträge an den Nachbarbauwerken sind dabei reine Kon-
werk Sagrada Familia, sondern auch die Auswirkungen der zukünftig trollgrößen, wohingegen mit den Regelgrößen, im Wesentlichen ma-
deutlich höheren und anderen Belastung der Sagrada Familia auf den schinentechnische Parameter der Tunnelbohrmaschine, in einem ge-
Tunnel zu beachten. Um diese verschiedenen Lastfälle möglichst reali- wissen Rahmen Einfluss auf die Verformungen des zu durchfahrenden
tätsnah abbilden zu können, wurden zur Belastungs- und Verfor- Baugrunds genommen werden kann.
mungsprognose Rechenmodelle entwickelt, die sowohl Tunnel und
den Baugrund als auch das Tragwerk der Sagrada Familia und die Bau- Die Einhaltung der Grenzwerte an den maschinentechnischen Parame-
grundschichtung umfassten (Abb. 16). tern wurde durch ein 24-Stunden-Monitoring überwacht.

3.2.4 Verformungsmessungen im Rahmen der Beobachtungs- Des Weiteren wurde ein umfangreiches vermessungstechnisches Mo-
methode nitoringprogramm festgelegt, um die Auswirkungen des Tunnelvor-
Auf der Grundlage von umfangreichen numerischen Berechnungen triebs auf den Baugrund und die angrenzenden Gebäude zu erfassen.
und Simulationen (Prognosen) wurden für den Bau des AVE-Tunnel im Es wurden an der gesamten Tunnelstrecke geodätische Messpunkte
Vorfeld der Baumaßnahme Kontroll- und Regelgrößen sowie deren auf der Geländeoberfläche über der Tunnelachse sowie rechts und
während des Baufortschritts einzuhaltenden Grenzwerte definiert und links der Achse und an den Fassaden der angrenzenden Gebäude re-
ein Notfallkonzept ausgearbeitet. Die Definition der an den Nachbar- gelmäßig eingemessen. Ein besonders dichtes Raster geodätischer
gebäuden einzuhaltenden Grenzwerte erfolgte in Anlehnung an die Messpunkte, aber auch automatisch auszulesender Prismen, wurde in
Kriterien, die die spanische Verkehrsgesellschaft MINTRA (Madrid In- der Nähe und innerhalb der Sagrada Familia installiert.
frastructuras del Transporte) für Tunnelbauprojekte in Spanien veröf-
fentlicht und etabliert hat (Tab. 5). Die Baugrundverformungen werden darüber hinaus von Extensome-
tern, die in zwei Tiefen über der Tunnelachse installiert wurden, und In-
Die MINTRA-Kriterien umfassen Grenzwerte für drei verschiedene Ge- klinometern rechts und links der Tunnelachse erfasst.
fährdungsniveaus für die benachbarten Bauwerke. Die Gefährdungs-
stufen sind in Abhängigkeit der Gefahr des Auftretens von Schäden an Alle Messwerte wurden in einem Kontrollsystem erfasst und perma-
den Bauwerken in grün, gelb und rot: nent einem Soll/Ist-Vergleich zu den zuvor mit rechnerischen Progno-
sen ermittelten Werten unterzogen. Die durch den Tunnelvortrieb her-
Grün Alle Werte sind im unkritischen Bereich unterhalb des ersten vorgerufenen Setzungen an der Geländeoberfläche betrugen auf der
Grenzwertes. Es treten keine Schäden auf. gesamten Tunnelstrecke maximal nur rund 0,5 cm und liegen damit
Gelb Die Werte überschreiten die unkritischen Werte, besondere Vor- deutlich unter den prognostizierten Werten.
sicht ist geboten, leichte Schäden können auftreten.
Rot Die Werte sind im Bereich kritischer Werte, Schäden können auf- Die Kirche der Sagrada Familia wurde zwischen dem 9. und dem 17.
treten, zusätzliche Sicherungsmaßnahmen sind notwendig. Oktober 2010 von der Tunnelbohrmaschine passiert. Die an der dem

56 Der Prüfingenieur | Mai 2013


GEOTECHNIK

Abb. 16: Beispielschnitt einer Verformungsberechnung für Sagrada Familia und AVE-Tunnel, Setzungen in [mm]

Grenzwerte für die Auswirkungen Zulässige Setzungen Winkelverdrehung Horizontalverformung


des Tunnelbaus auf die Umgebung [cm] [cm/m] [%]
Grün Gelb Rot Grün Gelb Rot Grün Gelb Rot
Gebiete ohne Bebauung <5,0 5,0 bis 10,0 >10,0 <1,00 1,00 bis 2,00 >2,00 <1,50 1,50 bis 2,00 >2,0
Nachbargebäude mit Pfahl- oder
Plattengründungen in gutem Zu- <2,0 2,0 bis 3,0 >3,0 <0,10 0,10 bis 0,20 >0,20 <0,15 0,15 bis 0,20 >2,0
stand, Leitungen (ausgenommen
Gasleitungen)
Benachbarte unterirdische <1,5 1,5 bis 2,5 >2,5 <0,05 0,05 bis 0,10 >0,10 <0,15 0,15 bis 0,20 >2,0
Bauwerke oder Bestandstunnel
Nachbargebäude mit Flachgründun- <1,0 1,0 bis 1,5 >1,5 <0,05 0,05 bis 0,10 >0,10 <0,15 0,15 bis 0,20 >2,0
gen, ohne sichtbare Schäden
Nachbargebäude mit Flach-
gründungen mit vorhandenen <0,5 0,5 bis 1,0 >1,0 <0,033 0,033 bis 0,05 >0,05 <0,05 0,05 bis 0,10 >1,0
Schäden, Monumentalbauten,
Gebäude mit mehr als
10 Geschossen, Gasleitungen
Bestandstunnel Durchbiegung bzw. Aufwölbung: 1.0 cm/10 m

Tabelle 5: Allgemeine Grenzwerte gemäß MINTRA (Madrid Infrastructuras del Transporte)

Grün Gelb Rot


Setzungen der Oberfläche oberhalb der Tunnelachse <2,0 cm 2,0 – 3,0 cm >3,0 cm
Setzungen an der Gloria Fassade sowie an dem alten Teil der Sagrada <0,50 cm 0,50 cm – 1,00 cm >1,00 cm
Familia, der zum UNESCO Weltkulturerbe zählt
Verdrehung der Gesamtstruktur der Sagrada Familia <1/3.000 1/3.000 – 1/2.000 >1/2.000
Horizonzale Verformung in der Bewegungsfuge zwischen Gloria <0,375 cm 0,375 cm – 0,75 cm >0,75 cm
Fassada und Hauptschiff (in 45 m Höhe)
Rissbreitenvergrößerung bestehender Risse (Referenzlänge 1 m) <0,05 cm 0,05 cm – 0,10 cm >0,10 cm

Tabelle 6: Speziell für die Sagrada Familia gewähle Grenzwerte

Der Prüfingenieur | Mai 2013 57


GEOTECHNIK

Abb. 17: Oberflächensetzungen in der Tunnelachse im Bereich der Sagrada Familia (Längsschnitt)

Abb. 18: Oberflächensetzungen in der Tunnelachse im Bereich der Sagrada Familia (Querschnitt)

Tunnel zugewandten Gloria-Fassade der Sagrada Familia gemessenen des Königreiches Saudi Arabien, ist das mit 1001 m zurzeit höchste
Setzungen betragen maximal nur 0,1 cm, das heißt, sie liegen im Be- Hochhaus der Welt geplant. Diese „landmark“ ist Teil beziehungswei-
reich der Messgenauigkeit (siehe beispielhaft in den Messquerschnit- se das Zentrum eines komplett neuen Stadtteils von Jeddah nördlich
ten in Abb. 17 und Abb. 18). Die Tunnelbohrmaschine hatte aufgrund des Obhur Creek inmitten der Wüste und einer Entfernung von etwa
der sorgfältigen Planung, Bauausführung und des permanenten Moni- 1,25 km zum Roten Meer. Das direkt zum Kingdom Tower zählende
torings keine bautechnisch beziehungsweise messtechnisch identifi- Grundstück hat eine Größe von 85.000 m2, der Towergrundriss selbst
zierbare Wirkung auf die Sagrada Familia. besitzt eine Grundfläche von ungefähr 3.720 m2. Die gesamte Ent-
wicklungsfläche umfasst nach derzeitigem Stand circa 3,5 Millionen
3.3 Gründungskonzept für das nächste, höchste Hochhaus der m2 (Abb. 20).
Welt
3.3.1 Projektbeschreibung Das geplante Gründungsdesign sieht vor, die Gesamtlast des Towers
Im Norden der am Roten Meer gelegenen Stadt Jeddah (Abb. 19), über 270 Bohrpfähle, die im Towergrundriss in regelmäßigen Abstän-

58 Der Prüfingenieur | Mai 2013


GEOTECHNIK
Für den Lastfall G+Q betragen die resultierenden Pfahlkräfte am
Pfahlkopf gemäß den Berechnungen 18 bis 39 MN.

3.3.2 Baugrund- und Grundwasserverhältnisse


Zur Erkundung der Baugrund- und Grundwasserverhältnisse wurden
umfangreiche Untersuchungen durchgeführt. Insgesamt wurden
sechzehn Bohrungen zwischen 40 und 200 m Tiefe ausgeführt, in de-
nen verschiedene in-situ-Versuche wie Einpressversuche, Versuche
zur Bestimmung der Scherwellen und Kompressionswellengeschwin-
digkeiten und Bohrlochaufweitungsversuche sowie sehr umfangrei-
che Laborversuche durchgeführt. Die Baugrund- und Grundwasser-
verhältnisse im Bereich des Towergrundrisses lassen sich auf der Ba-
sis der Erkundungsergebnisse wie folgt zusammenfassend beschrei-
ben:

Die Geländeoberfläche liegt auf einem Niveau zwischen 3 m und 5 m


MSL (Mean Sea Level). Oberflächennah stehen schluffige Sande mit
einer Schichtdicke von 0,5 m bis 2 m an (Abb. 21).

Unterlagert wird der schluffige Sand von einem Korallenkalkstein, der


eine Schichtdicke von 45 m bis 50 m aufweist und dessen Basis auf ei-
Abb. 19: Lageplan Standort Kingdom Tower, Jeddah nem Niveau von –43 m MSL bis –50 m MSL liegt. Im Liegenden des
Korallenkalksteins sind Schluffsteinlagen und verfestigter Kies einge-
schaltet. Die Dicke dieser Schichten beträgt 0,5 m bis 4 m, und die Ba-
sis liegt auf einem Niveau von –40 m MSL bis –48 m MSL.

Darunter folgt der sogenannte obere Kies beziehungsweise ein zer-


setztes Konglomerat mit einer Dicke von 2,5 m bis 7 m. Die Schichtun-
tergrenze wurde typischerweise bei –49 m MSL bis –52 m MSL ange-
troffen; vereinzelt sind auch dünne Lagen aus Schluffstein beziehungs-
weise Linsen aus Korallenkalk mit mehreren Metern Dicke eingeschal-
tet.

Die nächste Schichteinheit wird von einem schwach verfestigten be-


ziehungsweise zersetzten Sandstein gebildet, der eine Schichtdicke
zwischen 36 und 48 m aufweist und zwischen einer Tiefe von 52 m
MSL bis 105 m MSL anzutreffen ist. In dieses Schichtpacket sind ver-
einzelt Kies beziehungsweise Konglomerate eingelagert.
Abb. 20: Lageplan der gesamten Entwicklungsfläche
Unterlagert wird diese Schicht von dem sogenannten unteren Kies be-
den angeordnet sind und Durchmesser zwischen 1,5 m (226 Stück.) ziehungsweise Konglomerat mit einer Dicke von 2,5 m bis 9,0 m und
und 1,8 m (44 Stück.) bei Pfahllängen zwischen 45 m und 105 m auf- einer Schichtuntergrenze bei –90 m MSL bis –110 m MSL. Darunter
weisen, abzutragen. Die Fundamentplatte beteiligt sich hierbei rech- folgt bis zur maximalen Erkundungsendtiefe von etwa 200 m der
nerisch mit etwa 25 bis 30% am Abtrag der Gesamtlast des Towers. Sandstein (Abb. 21). Das Grundwasser wurde in einer Tiefe von rund
Die rechnerisch dabei auftretende Sohlspannung beträgt im Mittel un- 0,2 m MSL bis –1 m MSL angetroffen.
gefähr 625 kN/m2. Die Baugrubensohle liegt bei rund 1,0 m MSL
(Mean Sea Level) und damit 2 m bis 4 m unter der Geländeoberfläche. Neben den vorbeschriebenen Baugrunderkundungsmaßnahmen wur-
den insgesamt vier Pfahlprobebelastungen an Testpfählen, eine Probe-
Das Gesamtgewicht des Kingdom Towers beträgt rund 8.800 MN in- belastung an einem Einzelfundament und eine horizontale Probebe-
klusive der 4,5 m bis 5 m dicken Fundamentplatte. Hieraus resultiert lastung an Pfählen ausgeführt (Abb. 22).
eine mittlere Sohlpressung von 2,4 MN/m2. Die Horizontalbelastung
aus Windbeanspruchung beträgt ungefähr 125 MN. Die Lasten aus Gemeinsam mit den Laborversuchen und den Feldversuchen liefert
dem Tower werden über das massive Wandsystem des Towers abgetra- insbesondere die Auswertung der Last-Setzungslinie der Testpfähle so-
gen. Insgesamt sind vier verschiedene Wandtypen, die Kernwände (tri- wie des Einzelfundamentes die maßgebenden Baugrundparameter,
angular core walls), die Seitenwände (fin walls), die Flurwände (corri- nämlich die Steifigkeit des Baugrundes respektive die Steifigkeit der
dor walls) und die Stirnwände (end walls) zu nennen. unterschiedlichen Boden-/Felsschichten, die in Form eines Steifigkeits-
profils des Baugrundes in der Gründungsberechnung verwendet wer-
Im Gebrauchslastfall (Lastfall G+Q) werden von den Kern- und Flurwän- den. Hierbei wird zunächst eine Bandbreite der Baugrundsteifigkeit in
den Lasten von jeweils rund 520 bis 580 MN, von den Stirnwänden je- Form einer oberen und unteren Grenzbetrachtung für das Gründungs-
weils rund 450 bis 540 MN und von den Seitenwänden jeweils 52 bis design verwendet, um die Sensitivität der Baugrundsteifigkeit auf die
110 MN in die Fundamentplatte eingeleitet. Berechnungsergebnisse und insbesondere auf die Baugrund-Trag-

Der Prüfingenieur | Mai 2013 59


GEOTECHNIK

Bild 21: Geotechnischer Schnitt C-C’

werk-Interaktion beurteilen zu können und um die seitens des Trag- Das Hauptaugenmerk unserer geotechnischen Prüfung richtet sich da-
werksplaners vorgegebenen Verformungskriterien (maximale Verfor- bei neben der Prüfung der Baugrunderkundung, der zutreffenden Ab-
mungsdifferenz zwischen Kern und Ende des Flügels von 25 mm) rech- leitung der bodenmechanischen Parameter und des Gründungsdesigns
nerisch zu erfassen und durch ein entsprechendes Gründungsdesign im Allgemeinen insbesondere auf die richtige und realitätsnahe Erfas-
rechnerisch zu gewährleisten. sung der Baugrund-Tragwerk-Interaktion zur Optimierung der Grün-
dung in technischer wie auch – auf besonderen Bauherrenwunsch – in
3.3.3 Einfluss des geotechnischen Prüfprozesses auf das Grün- wirtschaftlicher Hinsicht.
dungsdesign
Das finale Gründungsdesign wird letztlich auf der Basis eines so ge- Auf der Basis der vorliegenden Berechnungen zum Gründungsdesign
nannten „best estimated“- Steifigkeitsprofils des Baugrundes durch- sowie der Informationen aus den Pfahlprobebelastungen und den
geführt und die Pfahllängen entsprechend so angepasst beziehungs- Baugrunderkundungsmaßnahmen konnte bezüglich der Gründung ein
weise variiert, dass die Verformungskriterien eingehalten werden. Einsparpotential von rund 40% der Pfahlmassen aufgezeigt werden.

60 Der Prüfingenieur | Mai 2013


GEOTECHNIK

Abb. 22: Links: Probebelastung Einzelfundament, rechts: Probepfahl mit Osterbergzellen

Abb. 23: Probelastung, dargestellt exemplarisch am Testpfahl TP1 – Multilevel-Test

Der Prüfingenieur | Mai 2013 61


GEOTECHNIK
Dies resultiert im Wesentlichen aus den folgenden Randbedingun- [10] DIN EN 1990/NA:2010 Nationaler Anhang – National festgelegte
gen: Parameter – Eurocode: Grundlagen der Tragwerksplanung. Beuth
Verlag, Berlin.
■ Berücksichtigung der Steifigkeit der aufgehenden Konstruktion, [11] DIN 1054:2005 Baugrund: Sicherheitsnachweise im Erd- und
■ Ausnutzung der Tragwirkung und der Sicherheitsphilosophie einer Grundbau. Beuth Verlag, Berlin.
Kombinierten Pfahl- Plattengründung, [12] Katzenbach, R., Schuppener, B., Weidle, A., Ruppert, T. (2011):
■ Realitätsnahe Abbildung/Berücksichtigung der Baugrund-Tragwerk- Grenzzustandsnachweise in der Geotechnik nach EC 7-1. Bauin-
Interaktion, genieur 86, Heft 7/8, Springer-Verlag, Heidelberg, 356-363.
■ Ermittlung der Baugrundsteifigkeit maßgeblich auf der Basis der [13] Schuppener, B. (Hrsg.) (2012): Kommentar zum Handbuch Euro-
vorliegenden großmaßstäblichen „full scale“-Versuche der Probe- code 7 – Geotechnische Bemessung, Band 1: Allgemeine Regeln.
belastungen im Sinne einer Erfassung der Gebirgssteifigkeit. Verlag Ernst & Sohn, Berlin.
[14] Katzenbach, R., Bachmann, G., Gutberlet, Chr. (2006): Einfüh-
rung in das Teilsicherheitskonzept. Fortbildungsseminar zur neu-
en DIN 1054:2005, Hochtief Construction AG, Frankfurt am Main.
4 Literatur [15] DIN 1054:2003-01 Baugrund: Sicherheitsnachweise im Erd- und
[1] Moormann, C. (2002): Trag- und Verformungsverhalten tiefer Grundbau. Beuth Verlag, Berlin.
Baugruben in bindigen Böden unter besonderer Berücksichtigung [16] DIN 4020:2002-08 Geotechnische Untersuchungen für bautech-
der Baugrund-Tragwerk-Interaktion und der Baugrund-Grund- nische Zwecke. Beuth Verlag, Berlin.
wasser-Interaktion. Mitteilungen des Institutes und der Versuchs- [17] Katzenbach, R., Gutwald, J. (2003): Interaktion in der Geotechnik
anstalt für Geotechnik der Technischen Universität Darmstadt, – Baugrunderkundung, Bemessung, Bauausführung und Beob-
Heft 59. achtungsmethode. DIN-Gemeinschaftstagung „Bemessung und
[2] Katzenbach, R., Leppla, S., Weidle, A., Werner, A. (2011): Das Vier- Erkundung in der Geotechnik – Neue Entwicklungen im Zuge der
Augen-Prinzip in der Geotechnik: Der Prüfsachverständige für Erd- Neuauflage der DIN 1054 und DIN 4020 sowie der europäischen
und Grundbau. Geotechnik-Kolloquium anlässlich des 60. Ge- Normung“, Heidelberg, 8-1 – 8-24.
burtstages von Prof. Dr.-Ing. Dietmar Placzek, Universität Duis- [18] Katzenbach, R., Bachmann, G., Ramm, H., Waberseck, T., Duna-
burg-Essen, 26. Mai 2011, Essen, 255-267. evskiy, R. (2008): Monitoring of geotechnical constructions – an
[3] Katzenbach, R., Zilch, K., Moormann, C. (2012): Baugrund-Trag- indispensable tool for economic efficiency and safety of urban
werk-Interaktion. Handbuch für Bauingenieure – Technik, Organi- areas. International Geotechnical Conference, St. Petersburg,
sation und Wirtschaftlichkeit, Springer-Verlag, Heidelberg, 1471- Russland, 695 – 699.
1490. [19] Katzenbach, R., Bachmann, G. (2007): Continuous monitoring of
[4] Hanisch, J., Katzenbach, R., König, G. (2002): Kombinierte Pfahl- deep excavation pits for damage prevention. 7th International
Plattengründungen. Verlag Ernst & Sohn, Berlin. Symposium on Field Measurements in Geomechanics, ASCE, Bos-
[5] Deutsche Gesellschaft für Geotechnik e.V. (2012): Empfehlungen ton, USA.
des Arbeitskreises „Pfähle“: EA-Pfähle. 2. Auflage, Verlag Ernst & [20] Katzenbach, R., Moormann, Ch. (2006): Experimentelle und rech-
Sohn, Berlin. nerische Untersuchungen zum Tragverhalten räumlicher Ausstei-
6] DIN 1054:2010 Baugrund: Sicherheitsnachweise im Erd- und fungssysteme von Tiefen Baugruben. Bauingenieur 81, Heft 9,
Grundbau – Ergänzende Regelungen zu DIN EN 1997-1. Beuth Springer-Verlag, Heidelberg, 373 – 386.
Verlag, Berlin. [21] Katzenbach, R., Bachmann, G. (2006): Sicherheit und Systemop-
[7] DIN EN 1997-1:2009 Eurocode 7: Entwurf, Berechnung und Be- timierung durch Monitoring in der Geotechnik. 29. Darmstädter
messung in der Geotechnik – Teil 1: Allgemeine Regeln, Deutsche Massivbauseminar, Darmstadt, 251 -265.
Fassung EN 1997-1:2004 + AC:2009. Beuth Verlag, Berlin. [22] Katzenbach, R., Weidle, A., Hoffmann, H., Vogler, M. (2006): Be-
[8] DIN EN 1997-1/NA:2010 Nationaler Anhang – National festgeleg- herrschung des Risikopotenzials Tiefer Baugruben im urbanen
ter Parameter – Eurocode 7: Entwurf, Berechnung und Bemessung Umfeld – Aktuelle Szenarien. Vorträge der Baugrundtagung 2006
in der Geotechnik – Teil 1: Allgemeine Regeln. Beuth Verlag, Ber- in Bremen, Deutsche Gesellschaft für Geotechnik e. V. (DGGT),
lin. 135-142.
[9] DIN EN 1990:2010 Eurocode: Grundlagen der Tragwerksplanung; [23] Katzenbach, R., Leppla, S., Seip, M. (2011):Das Verformungsver-
Deutsche Fassung EN 1990:2002 + A1:2005 + A1:2005/AC:2010. halten des Frankfurter Tons infolge Baugrundentlastung. Bauin-
Beuth Verlag, Berlin. genieur 86, Heft 5, Springer-Verlag, Heidelberg, 233-240.

62 Der Prüfingenieur | Mai 2013


HOCHWASSERSCHUTZ

Methodische und ingenieurmäßige Leistungen für ein


integriertes Hochwasserrisiko-Management
Bestandsaufnahme und Überblick zehn Jahre nach dem
Jahrhunderthochwasser 2002 in Sachsen
Als im August 2002 große Teile Sachsens im Hochwasser ver- 1 Integriertes Hochwasserrisiko-
sanken, waren nicht nur mannigfaltige Katastrophenschutz-
maßnahmen erforderlich, sondern auch eine große Menge Inge- management
nieurleistungen, die von hunderten von Ingenieuren aus zahllo-
sen Ingenieurbüros erbracht worden sind. Im vorliegenden Bei- In Artikel 7 der Hochwasserrisikomanagementrichtlinie (EG-HWRM-
trag wird deshalb ein Überblick über die methodischen und in- RL) [1] ist ausgeführt, dass die Hochwasserrisikomanagementpläne al-
genieurmäßigen Leistungen des integrierten Hochwasserrisiko- le Aspekte des Hochwasserrisikomanagements (HWRM) berücksichti-
managements der Wasserwirtschaftsverwaltung in Sachsen seit gen sollen, wobei der Schwerpunkt auf Vermeidung, Schutz und Vor-
dem Hochwasser 2002 gegeben, in das alle Facharbeiten einge- sorge sowie auf Hochwasservorhersagen und Frühwarnsysteme gelegt
ordnet wurden, die nachfolgend besprochen werden: Hochwas- wird. Um die folgenden Ausführungen in den Kontext des Hochwasser-
serschutzkonzepte, Hochwassergefahren- und Hochwasserrisi- risikomanagements stellen zu können, sollen hier zuerst das Hochwas-
kokarten, Ereignisanalysen, vorläufige Risikobewertungen, Pi- serrisiko und anschließend das integrierte Hochwasserrisikomanage-
lotprojekte für Hochwasserrisikomanagementpläne, Schadens- ment kurz erläutert werden.
potenziale und Hochwassernachrichtendienst.
Das Hochwasserrisiko wird in der EG-HWRM-RL als Produkt aus Ein-
trittswahrscheinlichkeit eines Hochwasserereignisses und der hoch-
wasserbedingten potenziellen nachteiligen Folgen (Hochwasserschä-
den) auf die menschliche Gesundheit, die Umwelt, das Kulturerbe und
die wirtschaftlichen Tätigkeiten definiert. Da die Vulnerabilität der
Schutzgüter in die Betrachtung mit einbezogen werden muss ist in
Abb. 1 das Hochwasserrisiko als Interaktion von Gefährdung und Vul-
nerabilität dargestellt. Im weiteren Verlauf dieses Beitrages wird diese
weitergehende Risikodefinition verwendet, weil damit auch die Expo-
sition, das Schadenspotenzial und die Anfälligkeit der Schutzgüter mit
berücksichtigt werden.

Der Umgang mit den Risiken wird als Risikomanagement bezeichnet.


Übliche Risikosteuerungsstrategien sind die Risikovermeidung, die Ri-
sikoverminderung, die Risikobegrenzung, die Risikoübertragung und
die Risikoakzeptanz.

Dr.-Ing. Uwe Müller

studierte von 1985 bis 1990 Bauingenieurwesen (Fachrichtung


Wasserbau) an der TU Dresden, ging 1997 zur Landestalsperren-
verwaltung (LTV) des Freistaates Sachsen und avancierte 2008
zum Leiter der Abteilung Wasser, Boden und Wertstoffe im Säch-
sischen Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie
(LfULG); er gehörte den Katastrophenstäben zur Bewältigung der
Hochwasser 2002 und 2006 an, stand 2003/2004 der Leitstelle
Hochwasserschadensbeseitigung der LTV und 2004/2005 der LTV-
Stabsstelle Hochwasserschutz vor, war Mitglied der Krisenstäbe
des LfULG zur Bewältigung der Hochwasser im August 2010 und
Januar 2011 und hatte damit auch die Leitung des Hochwasser-
nachrichtendienstes in Sachsen inne; seit 2005 arbeitet er an
mehreren Forschungs- oder EU-Vorhaben mit und hat bisher über
einhundert Veröffentlichungen platziert (unter anderen das Fach-
buch „Hochwasserrisikomanagement – Theorie und Praxis“) und
ebenso viele Fachvorträge gehalten.
[email protected] Abb. 1: Risiko als Resultat der Interaktion von Gefährdung und Vulne-
rabilität; aus: [3]

Der Prüfingenieur | Mai 2013 63


HOCHWASSERSCHUTZ
Das Augusthochwasser von 2002 muss für Sachsen in drei Teilereignis-
se unterschieden werden:

■ Der erste Teil dieses Ereignisses, den man als Sturzflut bezeichnen
kann, betraf am 12. und 13. August 2002 die Gewässer im Einzugs-
gebiet der Zwickauer Mulde, im Einzugsgebiet der Freiberger Mulde
und die (in Fließrichtung gesehen) linken, direkten Zuflüsse zur Elbe.
Hier waren die dynamischen Prozesse maßgebend (Abb. 3).
■ Der zweite Teil des Ereignisses betraf am 13. und 14. August 2002
die Vereinigte Mulde. Dieser schon nicht mehr so dynamische Ereig-
nisteil war aufgrund der hohen Wasserstände von ungefähr einhun-
dert Deichbrüchen und den dadurch entstandenen Überschwem-
mungen geprägt (Abb. 4).
■ Der dritte Teil des Ereignisses betraf erst vier Tage später die Elbe
selbst und war durch extrem hohe Wasserstände gekennzeichnet
(Abb. 5) [3].

Abb. 2: Kreislauf Hochwasserrisikomanagement; aus: [3]

Das Hochwasserrisikomanagement kann als Risikokreislauf (oder Spi-


rale) dargestellt werden, weil es als fortlaufender und iterativer Pro-
zess unter Berücksichtigung möglichst vieler Ebenen verstanden wird.
Für die weiteren Ausführungen in diesem Beitrag wird der in Abb. 2
dargestellte Kreislauf verwendet, der inhaltlich auch den
LAWA-Empfehlungen [2] entspricht.

(Foto: Harald Weber)


Die einzelnen Phasen des Hochwasserrisikomanagementkreislaufes
können wie folgt beschrieben werden: Das Hochwasserereignis ist das
Abflussgeschehen mit Wasserständen oder Durchflüssen ab einem defi-
nierten Schwellwert. Die Hochwasserbewältigung dient der Begrenzung
des Ausmaßes und der Dauer einer Hochwasserkatastrophe. In der Pha- Abb. 3: Müglitz, schießender Abfluss auf der Staatsstraße S 178 in
se der Regeneration müssen alle Voraussetzungen für den normalen All- Schlottwitz, August 2002
tagsbetrieb geschaffen werden, und in die Phase der Vorbeugung fallen
alle Aktivitäten (Prävention und Vorsorge) zur Verminderung der Vulne-
rabilität gegenüber Hochwasserereignissen. (Eine ausführliche Erläute-
rung zu den einzelnen Phasen ist in [3] enthalten.)

Mit dem in Abb. 2 dargestellten Hochwasserrisikomanagementkreis-


lauf werden viele Fachdisziplinen und Akteure auch außerhalb der
Wasserwirtschaft angesprochen. Ziel des integrierten Hochwasserrisi-
komanagements ist es, neben der Risikoakzeptanz (Risikobewusstsein)
die größtmögliche Vermeidung, Verminderung oder Begrenzung des
Hochwasserrisikos unter Beteiligung aller Betroffenen und Akteure al-
ler Ebenen, mit allen verfügbaren Mitteln, in allen Phasen des Risiko-
(Foto: LTV)

kreislaufes zu erreichen [3].

Abb. 4: Überschwemmungen an der Mulde bei Wurzen, August 2002


2 Hochwasserereignis von 2002
Eine sogenannte Vb-Wetterlage führte im August 2002 zu den höchs-
ten jemals in Deutschland gemessenen Tagesniederschlagssummen.
Das Extremereignis vom August 2002 war eine der schlimmsten Hoch-
wasserkatastrophen in Europa, die Schäden in Höhe von circa 18,5
Milliarden Euro verursachte und 37 Menschen das Leben kostete. Am
stärksten betroffen waren Deutschland mit Schäden von 9,2 Milliar-
den Euro sowie Österreich und Tschechien mit Schäden von je drei Mil-
liarden Euro. Fast die Hälfte der Hochwasserschäden entfiel auf
Deutschland und hier wiederum entstanden rund achtzig Prozent der
(Foto: LfULG)

Schäden im Freistaat Sachsen, wo zwei Drittel der sächsischen Ge-


meinden direkt vom Hochwasser betroffen und alle 21 deutschen To-
desopfer zu beklagen waren [3]. Abb. 5: Überschwemmungen an der Elbe in Dresden, August 2002

64 Der Prüfingenieur | Mai 2013


HOCHWASSERSCHUTZ
Wesentlich ausführlichere Erläuterungen können den zahlreichen Ver- Vor allen Ressorts stand auch die Aufgabe der Schadenserfassung, um
öffentlichungen, wie zum Beispiel [3] und [4], entnommen werden. die Lage überhaupt einschätzen zu können. Von Hunderten Ingenieu-
ren mussten dafür an:

25.000 beschädigten Häusern (davon 400 Totalschäden) (Abb. 6a


3 Hochwasserbewältigung ■
und Abb. 6b),
In diese Phase fallen alle Sachverhalte und Maßnahmen zur Begren- ■ 740 Kilometer beschädigten oder zerstörten Straßen,
zung des Ausmaßes und der Dauer einer Hochwasserkatastrophe. Da- ■ zwanzig Prozent des sächsischen Schienennetzes, die beschädigt
zu gehören der Hochwassereinsatz mit den Bestandteilen Alarmie- oder zerstörten worden waren,
rung, Rettung, Schadensabwehr durch Sofortmaßnahmen (zum Bei- ■ 470 beschädigten oder zerstörten Brücken,
spiel Evakuierung, Sandsäcke, …) und Opferbetreuung (zum Beispiel ■ 280 beschädigten sozialen Einrichtungen,
Notunterkünfte, Verpflegung, ärztliche Versorgung, …), die provisori- ■ 11,2 Prozent der sächsischen Schulen,
sche Instandsetzung/Sicherstellung von lebenswichtigen Einrichtun- ■ über 115 beschädigten Baudenkmälern und an
gen (zum Beispiel Krankenhäuser, Wasserwerke, …), Verkehrs- und ■ unzähligen sächsischen Kultureinrichtungen und Kulturstätten
Rettungswegen, Kommunikationswegen (zum Beispiel Telekommuni-
kation, Internet, …), Ver- und Entsorgungsleitungen (zum Beispiel Schadensaufnahmen durchgeführt werden und außerdem
Wasser, Strom, Abwasser, …), Ver- und Entsorgung (zum Beispiel Le-
bensmittel, Abfall, …) und die Dokumentation des Hochwasserereig- ■ 20.000 Schäden an Gewässern und wasserwirtschaftlichen Anla-
nisses und der Hochwasserbewältigung. gen

Die Hauptakteure in dieser Phase sind die Katastrophenschutzbehör- beurteilt werden [3].
den, die Wasserbehörden und Hochwassermeldezentralen, die Gewäs-
ser- und Stauanlagenbetreiber sowie weitere Aufgabenträger. Die Im Nachgang konnte festgestellt werden, dass die Verteilung der
größte Herausforderung für die Akteure ist die insbesondere logisti- Hochwasserschäden von 2002 auf die Regionen und Infrastrukturbe-
sche Bewältigung aller anstehenden und in kurzer Zeit zu erledigen- reiche in Sachsen den Schadenspotenzialen der verschiedenen Nut-
den Aufgaben. Im Weiteren soll dies an einigen Beispielen demons- zungen in den identifizierten hochwassergefährdeten Gebieten ent-
triert werden. spricht. Sinnvoll ist ein ressortübergreifendes modular aufgebautes
Schadenserfassungssystem, weil es wesentlich effizienter zu genaue-
Im Rahmen der Hochwasserbewältigung waren unter anderem viele ren Schadensinformationen führt.
Evakuierungen durchzuführen. Allein im damaligen Landkreis Sächsi-
sche Schweiz mussten in kürzester Zeit 20.459 Personen evakuiert und Als letztes Beispiel soll eine der Sofortmaßnahmen an den Gewässern
anderweitig untergebracht und versorgt werden. dienen. Welch' enormer Personal- und Ressourceneinsatz für Deichsi-
cherungsmaßnahmen erforderlich waren, soll mit den Aktivitäten an
Die Katastrophenschutzbehörden konnten zur Erfüllung ihrer Aufga- der Vereinigten Mulde verdeutlicht werden. Für die Mulde gab es für
ben auf zahlreiche Ressourcen des Bundes, der Länder, von Hilfsor- Ende August 2002 eine erneute Hochwasserwarnung, sodass eine
ganisationen und freiwilligen Helfern zurückgreifen. So waren zum große Gefahr für die nun nicht mehr geschützten Gebiete bestand.
Beispiel rund 20.000 Soldaten der Bundeswehr, 5.000 Polizeibeamte, Deshalb sind innerhalb von fünf Tagen alle 95 Deichbruchstellen an
4.000 Einsatzkräfte des Bundesgrenzschutzes, 8.000 Helfer des Tech- der Mulde provisorisch geschlossen und weitere Schadstellen gesi-
nischen Hilfswerkes und Tausende weitere Hilfskräfte im Einsatz. chert worden. Dazu war folgender Ressourceneinsatz erforderlich:
Stellvertretend für den umfangreichen Einsatz von Technik soll hier
nur der Lufteinsatz (50 Tornadoflüge, ein Airbus A 300, 14 Transall ■ 40 Ingenieure aus 7 Ingenieurbüros,
Flugzeuge, 14 CH-53 Transporthubschrauber und 29 weitere Hub- ■ 27 Baubetriebe,
schrauber) zur Rettung und Evakuierung erwähnt werden. Der Ein- ■ 297 schwere LKW,
satz aller Hilfskräfte und der Technik war entsprechend zu koordinie- ■ 71 Bagger,
ren [3]. ■ 45 Raupen,
(Fotos: LfULG)

Abb. 6a und Abb. 6b: Beispiele für Totalschäden durch Hochwasser, August 2002

Der Prüfingenieur | Mai 2013 65


HOCHWASSERSCHUTZ
■ 43 Walzen und das Hochwasser vom August 2002 so gewaltige Auswirkungen hatte,
■ 210.000 Kubikmeter Erdstoffe. dauerten die oben beschriebenen Maßnahmen der Hochwasserbewäl-
tigung bis zum Jahresende 2002 an. Um diesen Prozess effektiv steu-
Der logistische Aufwand war gewaltig. Hier zeigte sich sehr deutlich, ern zu können, sind in der Regel die sich auflösenden Krisenstäbe in
dass meist nur die mittelständigen Bauunternehmen flexibel genug Koordinierungsstellen überführt worden. Nach Abschluss der be-
waren und über die entsprechenden Ressourcen verfügten. Die großen schriebenen Aufgabenschwerpunkte sind die verbleibenden Aufgaben
Baukonzerne hatten weder das Personal noch die Gerätetechnik ver- dieser Koordinierungsstellen im Januar 2003 in die Standardstrukturen
fügbar. oder zeitweilig gebildete Sonderstrukturen übergeleitet worden.

Wie wichtig dann auch eine nachhaltige Sicherung der Deichbrüche Bereits in der Phase der Regeneration hat der Freistaat Sachsen, be-
ist, soll an zwei Sachverhalten verdeutlicht werden. ginnend mit der beschriebenen Ereignisanalyse (Abb. 7), über die Er-
arbeitung von Hochwasserschutzkonzepten und die Erstellung von Ge-
■ Im Frühjahr 2005 gab es an der Mulde und der Elbe ein sogenanntes fahrenkarten begonnen, das Katastrophenhochwasser methodisch
Frühjahrshochwasser. Da durch inzwischen vorliegende Ergebnisse aufzuarbeiten und ein sinnvolles Hochwasserschutzinvestitionspro-
der Deichzustandsanalysen der bauliche Zustand und die innere gramm zur schrittweisen Verbesserung des Hochwasserschutzes abzu-
Schädigung der Deiche bekannt waren, sind vor dem Hochwasser- leiten. Auf der parallel geschaffenen landeswassergesetzlichen Grund-
scheitel in kürzester Zeit rund 44,5 Kilometer Deiche durch einen lage sind durch den staatlichen Unterhaltungslastträger für die Ge-
Auflastfilter gesichert worden. Dabei sind circa 341.000 Kubikmeter
Material verbaut worden.
■ Eine ähnliche Konstellation gab es noch einmal im Frühjahr 2006,
als die Elbe lange Zeit eine sehr hohe Wasserführung hatte. Auch
hier sind noch weitere 17 Kilometer Elbdeiche mit einem Auflastfil-
ter gesichert worden, wobei 120.000 Kubikmeter Filtermaterial ver-
baut worden sind. Bei beiden Aktionen war wieder eine logistische
Herausforderung zu bewältigen, was sehr gut gelungen ist [3].

4 Regeneration
Die Phase der Regeneration dient der Schaffung aller Voraussetzungen
für den normalen Alltagsbetrieb und lässt sich in zwei Haupthand-
lungsfelder aufteilen. Einerseits ist die Anfertigung einer Ereignisdoku-
mentation und einer Ereignisanalyse mit den Bestandteilen Prozess-
analyse, Gefahrenanalyse, Schutzdefizitanalyse und Vulnerabilitäts-
analyse wichtig. Nur mit solch einer Analyse kann man die Schwach-
stellen erkennen und sich besser auf nachfolgende Ereignisse vorberei-
ten. Eine zeitnahe, qualifizierte und umfassende Ereignisdokumentati-
on ist erforderlich, um unter anderem die erforderliche Datenbasis für
spätere im Rahmen der eigentlichen Ereignisanalyse oder in der Phase
der Hochwasservorbeugung durchzuführende Analysen, Berechnun-
gen und Simulationen zu schaffen. Ohne diese Datenbasis sind Kali-
brierungen und Weiterentwicklungen von Analyse- und Berechnungs-
modellen nur schwer oder teilweise gar nicht möglich.
(Foto: LfULG)

Die zweite große Herausforderung ist der nachhaltiger Wiederauf-


bau von lebenswichtigen Einrichtungen (zum Beispiel von Kranken- Abb. 7: Ereignisanalyse
häusern, Wasserwerken, …), Verkehrs- und Rettungswegen, Kom-
munikationswegen (zum Beispiel Telekommunikation, Internet, …), wässer I. Ordnung und die landeseigenen Stauanlagen, die Landestal-
Ver- und Entsorgungsleitungen (zum Beispiel Wasser, Strom, Abwas- sperrenverwaltung (LTV) für alle Gewässer I. Ordnung und für den im
ser, …), Ver- und Entsorgung (zum Beispiel Lebensmittel, Abfall, …), Freistaat Sachsen liegenden Teil der Elbe 47 Hochwasserschutzkonzep-
Gebäuden, Infrastrukturen und Gewerbe- und Industrieobjekten. Die te (HWSK) nach einer einheitlichen Aufgabenstellung auf Grundlage
oben genannte Schadensbilanz von 2002 mit über sechs Milliarden der neuesten Erkenntnisse des Hochwasserschutzes aufgestellt wor-
Euro Schaden für Sachsen verdeutlicht die Dimension dieser Aufga- den.
be, auf die hier nicht näher eingegangen werden kann. Beispielhaft
soll nur erwähnt werden, dass zur sinnvollen und schnellen Scha- Mittlerweile sind über 25 Hochwasserschutzkonzepte für Gewässer II.
densbeseitigung (circa 20.000 Schäden in Höhe von etwa 1,3 Milliar- Ordnung auch von Kommunen erarbeitet worden. Sie entsprechen den
den Euro) an den wasserwirtschaftlichen Infrastrukturen Nachhaltig- im alten Wasserhaushaltsgesetz geforderten Hochwasserschutzplänen.
keitsstrategien und Priorisierungsverfahren entwickelt und umge- Entsprechend dem oben erläuterten Hochwasserrisikomanagement be-
setzt werden mussten, die unter anderem in [3] nachzulesen sind. inhalten die Hochwasserschutzkonzepte alle entscheidenden Informa-
Normalerweise werden mit der Aufhebung des Katastrophenalarms tionen über die Hochwasserprävention, die auch anderen Planern und
die Aufgaben wieder von den Standardstrukturen übernommen. Da Akteuren im Raum, insbesondere den Raumplanungsstellen, verfügbar

66 Der Prüfingenieur | Mai 2013


HOCHWASSERSCHUTZ
gemacht worden sind. Damit decken die Hochwasserschutzkonzepte ei- derem 568 Gefahrenkarten für 540 Orte für die Szenarien HQ20, HQ50,
nen großen Teil der Inhalte der Hochwasserrisikomanagementpläne der HQ100, HQ200 oder HQ300 und EHQ**.
erst später in Kraft getretenen EG-HWRM-RL ab und beinhalten sehr
viele neu erarbeitete methodische Grundlagen [3].

Da es im Freistaat Sachsen noch keine Erfahrungen mit der Erstellung


5 Hochwasservorbeugung
von Hochwasserschutzkonzepten gab, wurden unter Zuhilfenahme Die Phase der Hochwasservorbeugung dient der Verminderung der
von Schweizer Experten für die fünf Fließgewässersysteme im Osterz- Vulnerabilität gegenüber Hochwasserereignissen. Die Handlungsfelder
gebirge die ersten Hochwasserschutzkonzepte erarbeitet. Das prinzi- in dieser Phase sind die Prävention mit angepasster Raumnutzung
pielle Vorgehen bei ihrer Erstellung lehnte sich an die Empfehlungen (zum Beispiel Ausweichen vor Gefahren, angepasste Bauweisen –
des schweizerischen Bundesamtes für Wasser und Geologie [5] an und auch als Bauvorsorge bezeichnet, …), raumplanerischen Maßnahmen
wurde im Zuge der Bearbeitung an die sächsischen Verhältnisse ange- (zum Beispiel Sicherung von Retentionsräumen – auch als Flächenvor-
passt. Die ersten fünf untersuchten Fließgewässersysteme waren: sorge bezeichnet, …), natürlichem Hochwasserschutz (zum Beispiel
Rückhalt in der Fläche, …), technischem Hochwasserschutz sowie
■ Ketzerbach, Triebisch, und Wilde Sau (397 qm Einzugsgebiet), Hochwassergefahren- und Hochwasserrisikokarten und die Hochwas-
■ Rote, Wilde und Vereinigte Weißeritz (385 qm Einzugsgebiet), servorsorge mit Risikovorsorge (zum Beispiel Versicherungen, Eigen-
■ Lockwitzbach (84 qm Einzugsgebiet), vorsorge, …), Verhaltensvorsorge (zum Beispiel Hochwasserschutz-
■ Müglitz (214 qm Einzugsgebiet) und übungen, …), Vorhaltung und Vorbereitung des Katastrophenschut-
■ Gottleuba, Seidewitz, Bahra, Bahre, Biela (355 qm Einzugsgebiet). zes, Informationsvorsorge (zum Beispiel Hochwassernachrichten-
dienst, …) und Hochwasserrisikomanagementplänen.
Im Zuge der Bearbeitung dieser fünf ersten Hochwasserschutzkonzep-
te ist die Methodik für die Erarbeitung aller weiteren Hochwasser- Diese Phase stellt auch den Handlungsschwerpunkt nach der Hoch-
schutzkonzepte im Freistaat Sachsen entwickelt worden. wasserrisikomanagementrichtlinie der EU dar [1].

Mit Hilfe einer straff organisierten Vorgehensweise war es möglich, in- Alle Aktivitäten des Freistaates Sachsen zur Hochwasservorbeugung
nerhalb von acht Monaten die ersten fünf Hochwasserschutzkonzepte zu beschreiben, würde den Rahmen dieses Beitrages sprengen. Des-
zu erstellen und eine an sächsische Verhältnisse angepasste Methodik halb sollen hier nur einige Beispiele benannt werden.
zu entwickeln. Die folgende Aufzählung soll zeigen, welche Ingenieur-
leistungen die Landestalsperrenverwaltung mit Ihren Auftragnehmern Vorangestellt werden soll noch, dass Sachsen seine umfangreichen
in kürzester Zeit realisiert hat: Vorleistungen, wie zum Beispiel die Hochwasserschutzkonzepte und
Gefahrenkarten, entsprechend Artikel 13 der EG-HWRM-RL bis zum
■ 15.11.2002: Vergabe der Laserscanvermessung (circa 300 Quadrat- 22.12.2010 zur Anerkennung eingereicht hatte.
meter Befliegung und Erstellung von digitalen Geländemodellen);
Fertigstellung: 09.01.2003, Entsprechend der EG-HWRM-RL war bis zum 22.12.2011 die vorläufi-
■ 10.12.2002: Vergabe der Pilot-Hochwasserschutzkonzepte, ge Bewertung des Hochwasserrisikos durchzuführen, was Sachsen
■ 20.12.2002: Vergabe der terrestrischen Vermessung (Vermessung fristgerecht für 3.200 Kilometer Gewässer I. Ordnung einschließlich
von ungefähr 3.500 Brücken- und Gewässerprofilen; durchschnitt- der Bundeswasserstraße Elbe und für 4.000 Kilometer Gewässer II.
lich 160 am Tag); Fertigstellung: 30.01.2003, Ordnung durchgeführt hat. Ein Kartenbeispiel vom Gebiet der Schwar-
■ 20.12.02: Vergabe der Neuberechnung aller Niederschlags-und Ab- zen Elster ist in Abb. 8 zu sehen. Im Rahmen des EU-Projektes ELLA
flussmodelle; Fertigstellung. 20.02.2003, sind zusätzlich noch Schadenspotentialkarten erarbeitet worden.
■ Verarbeitung aller Daten der Vermessung und neuer meteorologi-
scher Daten, Bis Dezember 2013 sind die Hochwassergefahren- und die Hochwasser-
■ laufende Abstimmung zwischen den Planern mit Straßenbauamt, risikokarten fertigzustellen. Wie oben schon ausgeführt, liegen die 568
Deutscher Bahn AG, Landratsamt sowie vierzehntägig mit der Lan- Gefahrenkarten für die Gewässer I. Ordnung und die Elbe (rund 3.200
destalsperrenverwaltung, Kilometer) bereits seit 2005 vor. Für die Gewässer II. Ordnung befinden
■ 31.03.2003: Vorlage des Berichts mit Grundlagen und Randbedin- sich die Karten in Erarbeitung. Die Hochwasserrisikokarten sind auf Ba-
gungen der Wiederbebaubarkeit im Untersuchungsgebiet bei HQT*, sis der Gefahrenkarten entsprechend der LAWA-Empfehlung [6] erstellt
■ 15.07.2003: Vorlage des Abschlussberichts der Hochwasserschutz- und werden demnächst veröffentlicht. Ein Kartenbeispiel ist in Abb. 9 zu
konzepte, sehen. Weitere Karten zum Thema Hochwasserrisikomanagement (fest-
■ 06.08.2003: Prüfung und Bestätigung der vorgelegten Hochwasser- gesetzte Überschwemmungsgebiete, überschwemmte Flächen bei hun-
schutzkonzepte durch das Sächsische Staatsministerium für Umwelt dertjährlichem Hochwasser, Atlas der Hochwassergefährdung, über-
und Landwirtschaft als wasserwirtschaftliche Rahmenplanung, schwemmte Flächen August 2002) sind interaktiv unter http://www.um-
■ August 2003: Beginn der Umsetzung der in den Konzepten aufge- welt.sachsen.de/umwelt/wasser/8838.htm verfügbar.
führten Maßnahmen (zum Beispiel Beauftragung von Machbar-
keitsstudien für zehn Standorte für Hochwasserrückhaltebecken). Laut EG-HWRM-RL sind bis Dezember 2015 die Hochwasserrisikoma-
In einem weiteren Jahr sind nach dieser Methodik für alle rund 3.000 nagementpläne zu erarbeiten. Die Bearbeitung in Sachsen ist schon
Kilometer Gewässer I. Ordnung alle 47 Hochwasserschutzkonzepte für weit fortgeschritten. Für die Gewässer I. Ordnung stehen mit den
Sachsen fertiggestellt worden. Diese Konzepte beinhalteten unter an- Hochwasserschutzkonzepten hervorragende Unterlagen zur Verfü-
gung, die bereits sehr große Teile der Pläne für das Hochwasserrisiko-
* HQT – Hochwasserabfluss mit Wiederkehrintervall von T Jahren management (HWRM-Pläne) darstellen. Im Rahmen der EU-Projekte
** EHQ – Hochwasserabfluss bei Extremhochwasser LABEL und FLOOD-WISE sind in Pilotgebieten die Gliederungen und

Der Prüfingenieur | Mai 2013 67


HOCHWASSERSCHUTZ

Abb. 8: Darstellung Gebiet mit potentiell signifikantem Hochwasserrisiko (LfULG)

Abb. 9: Hochwasserrisikokarte (LfULG)

68 Der Prüfingenieur | Mai 2013


HOCHWASSERSCHUTZ
bundesländerübergreifende HWRM-Pläne erarbeitet worden. Jetzt gilt
es, die in den Pilotgebieten validierte Methodik auf das gesamte Lan-
desgebiet anzuwenden.

Die Landestalsperrenverwaltung hat seit 2003 sogenannte Hochwas-


serschutzkonzeptmaßnahmen umgesetzt. Diese über 1.600 vorrangig
technischen Maßnahmenkomplexe im Sinne der HWRM-Pläne stellen
ein Investitionsvolumen von beinahe zwei Milliarden Euro dar. Ein be-
achtlicher Teil dieser Maßnahmen ist bereits realisiert worden und hat
bei den Hochwasserereignissen 2006 und 2010/2011 das Hochwasser-
risiko und damit die Schäden reduziert. Auch hat die Landestalsperren-
verwaltung Zustandsanalysen für 650 Kilometer Deiche zur anschlie-
ßend gezielten Ertüchtigung durchgeführt. Die Stauanlagen sind eben-
falls einer Analyse unterzogen worden. Auf Basis neuer Hochwasser- Abb. 10: Landeshochwasserzentrum Sachsen (LfULG)
gutachten für die LTV-Stauanlagen sind entweder die gewöhnlichen
Hochwasserrückhalteräume verändert oder durch bauliche Verände- den in allen Ebenen, Kommunen, Private…) direkt benachrichtigt und
rungen an den bestehenden Anlagen die Hochwasserschutzwirkungen müssen den Erhalt der Nachricht auch quittieren. Damit soll eine sofor-
der Anlagen oder die Hochwassersicherheit der Stauanlagen selbst tige Benachrichtigung über Hochwasser sichergestellt werden.
verbessert worden. Somit konnten die Hochwasserrückhalteräume an
den bestehenden Stauanlagen der Landestalsperrenverwaltung
schrittweise von 122,5 Millionen Kubikmeter auf 161,5 oder im Be-
darfsfall 167,0 Millionen Kubikmeter erhöht werden. Im Rahmen eines
6 Literatur
mittelfristigen Beckenbauprogrammes werden in Sachsen zu den be- [1] Europäische Union: Richtlinie 2007/60/EG des Europäischen Parla-
reits seit 2002 fertiggestellten noch einige weitere Hochwasserrück- ments und des Rates vom 23. Oktober 2007 über die Bewertung
haltebecken gebaut werden. und das Management von Hochwasserrisiken, (ABl. L 288 vom
06.11.2007, S. 27), 2007
Abschließend soll der ebenfalls wesentlich verbesserte Hochwasser- [2] LAWA Bund/Länderarbeitsgemeinschaft Wasser: „Empfehlung zur
nachrichtendienst von Sachsen noch erwähnt werden. Das Sächsische Aufstellung von Hochwasserrisikomanagementplänen“; Bund/
Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie betreibt eines Länderarbeitsgemeinschaft Wasser, Dresden 2010
der modernsten Landeshochwasserzentren in Deutschland. Die Struk- [3] Müller, U.: Hochwasserrisikomanagement – Theorie und Praxis,
tur ist in Abb. 10 dargestellt. Vieweg u. Teubner Verlag, Wiesbaden 2010
[4] Autorenkollektiv: „Ereignisanalyse – Hochwasser August 2002 in
Hier werden die Daten (Wasserstand, Niederschlag, Wetter…) aus ei- den Osterzgebirgsflüssen“; Freistaat Sachsen, Landesamt für Um-
genen oder von Dritten betriebenen Messnetzen verarbeitet und als welt und Geologie, Artikelnummer L II-1/26, Dresden 2004
Hochwasserstandsmeldungen oder Hochwasserwarnungen über alle [5] „Hochwasserschutz an Fließgewässern, Wegleitung 2001“;
denkbaren Informationskanäle verbreitet. Schweizerisches Bundesamt für Wasser und Geologie, Biel 2001
[6] LAWA Bund/Länderarbeitsgemeinschaft Wasser: „Empfehlung zur
Eine sächsische Besonderheit stellt die Hochwassereilbenachrichti- Aufstellung von Hochwassergefahrenkarten und Hochwasserrisi-
gung per SMS dar. Nach Überschreiten der Alarmstufe 1 (und auch der kokarten“; Bund/Länderarbeitsgemeinschaft Wasser, Dresden
Alarmstufe 3) werden die im System angemeldeten Empfänger (Behör- 2010

Der Prüfingenieur | Mai 2013 69


TRAGWERKSPLANUNG

Beispiel Automobilindustrie: Bauen im Umfeld der


Produktion und Standsicherheit im Betrieb
Unter Produktionaspekten realisierte Gebäude werden auf
Gebrauchstauglichkeit getrimmt und regelmäßig überprüft
Weil im Automobilbau nicht nur die Anforderungen an die Pla- 1 Einwirkungen und Einflüsse
nung, die Ausführung und an den Betrieb von Produktionsge-
bäuden, sondern auch die Ausmaße der benötigten Produkti- Die besonderen Herausforderungen beim Umgang mit Produktionsge-
onsflächen beachtlich sind, haben die Automobilhersteller in bäuden der Automobilindustrie sind weniger die extremen Anforde-
den vergangenen Jahren ihren Produktionsanforderungen je- rung an einen bestimmten Bereich, als das Zusammentreffen einer
weils individuell angepasste und optimierte Baukonstruktionen Vielzahl verschiedener Einflussfaktoren und deren Zusammenspiel
entwickelt. Sie werden im folgenden Beitrag am Beispiel der (Abb. 1).
Vorgehensweise bei der BMW AG beschrieben. BMW betreibt
weltweit mehr als 2400 Gebäude mit circa elf Millionen Qua-
dratmeter Bruttogrundfläche, wovon über sechzig Prozent der
Produktion zugeordnet werden können. Je nach Prozessschritt
sind die Produktionsgebäude verschiedenen Kategorien zuge-
ordnet. Deren spezifische Nutzungsanforderungen wirken sich
bauseitig besonders auf die Tragkonstruktion aus. Die BMW AG
hat deshalb Instrumente entwickelt, mit denen sie den Anforde-
rungen an die Erstellung und den Betrieb von Produktionsge-
bäuden gerecht werden kann. Sie sehen auch verbindliche
Schnittstellen zwischen den Einwirkungen aus der Nutzung und
der Interaktion der Sekundärkonstruktionen der Einrichtung
mit den Gebäudetragkonstruktionen vor, und sie beschreiben
den besonderen Regelungsbedarf, der sowohl für die Standsi- Abb. 1: Einflussfaktoren
cherheit im Bestand als auch in jenen Bereichen besteht, in de-
nen die genehmigungrechtlichen und normativen Vorgaben den Wie diese Faktoren aufeinandertreffen und zusammenwirken ist nicht
Industriebau nur bedingt abdecken. bei allen Gebäuden gleich, sondern hängt wesentlich von der Gebäu-
dekategorie ab. Deren Hauptvertreter:

■ Presswerk,
■ Karosseriebau,
■ Lackiererei,
■ mechanische Fertigung,
■ Montage.

sind dem Fertigungsprozess entsprechend geordnet.

Allen Gebäudekategorien gemein sind das Auftreten vieler oft unter-


schiedlicher Einzellasten und deren für den Hochbau meist unge-
wöhnliche Höhe. Typische Baukonstruktionen und ihre Einwirkungen
sind:

■ Bodenplatten und Geschossdecken mit Beanspruchungen aus Flur-


förderfahrzeugen und Werkzeugmaschinen, aufgeständerten Büh-
nen und Industrierobotern sowie
Dipl. Ing.Stefan Keck ■ Dachtragwerke, an denen Fördersysteme, Versorgungstraßen, Tech-
nik- und Förderebenen abgehängt sind.
studierte an der FH München Stahlbau, ergänzte bei der „Pla-
nungsgruppe Brachmann“ bis 1996 das erworbene Wissen um Hinzu kommen umfangreiche Bodeneinbauten wie Flucht- und Versor-
Theorie und Praxis in Stahlbetonbau und Bauen im Bestand; er gungstunnel, Gruben für Prüfstände, Maschinen oder Fördertechnik
wechselte dann zur BMW AG und verantwortet dort seit 2002 die (Abb. 2).
Tragwerksplanung; als Mitglied im Richtlinienausschuss ist er an
der Ausarbeitung der VDI-Richtlinie 6200 beteiligt. Die Bandbreite der Einzellasten reicht von der mehrstufigen Sauger-
balkenpresse mit einem Eigengewicht von 5.500 Tonnen, abgetragen

70 Der Prüfingenieur | Mai 2013


TRAGWERKSPLANUNG

Abb. 2: Herausforderungen

über zwölf Stützen, bis hinunter zu Aufstandslasten von weniger als ■ Beleuchtungsumfänge,
fünfzig Kilogramm bei Komponentenförderern auf leichten Förderebe- ■ Entwässerung,
nen. ■ Wasserver- und Entsorgung.

Neben der reinen Lastkomponente spielen Beschränkungen des Verfor- Im Regelfall kommt noch flächendeckend eine Sprinkleranlage hinzu.
mungs- und Schwingungsverhaltens der Tragwerke eine immer größe-
re Rolle. Durchbiegungsbeschränkungen gewährleisten vor allem in Die größten Lastanteile tragen die Starkstromversorgung mit ihren di-
der Fördertechnik einen störungsfreien Ablauf. cken Leitungsquerschnitten sowie in Bereichen der mechanischen Fer-
tigung die Kühl- und Schmiermittelrohre bei. Beide werden normaler-
Das Schwingungsproblem wird von zwei konträren Tendenzen ge- weise trassenförmig gebündelt, wobei Nutzlasten von 10 kN/m² keine
prägt: Während Werkzeugmaschinen und Roboter bei ihren Bewegun- Seltenheit sind.
gen zunehmend stärkere Beschleunigungen ausführen (Linearantrieb),
arbeiten genau dieselben Geräte mit immer höherer Präzision bei der Je schwieriger es ist, alle relevanten Einflüsse auf Produktionsgebäude
spanenden Bearbeitung beziehungsweise bei der Positionierung. Ge- bei der Erstellung entsprechend zu würdigen, umso problematischer
genseitige Beeinflussungen oder Einflüsse von dritter Seite, zum Bei- wird dies bei den regelmäßig anstehenden Änderungen an der Einrich-
spiel aus Staplerbetrieb, bleiben dabei nicht aus. tung und den gegebenenfalls damit verbundenen Modifizierungen am
Tragwerk.
Sowohl bei der Fördertechnik als bei vielen Fertigungsmaschinen ist
neben der direkten Aufstellung auf der Gebäudetragkonstruktion die Der von Einrichtungsseite gewünschten Flexibilität von Tragwerken
indirekte Ablastung über Sekundärkonstruktionen üblich. Diese Ein- steht meistens die Forderung nach Wirtschaftlichkeit bei der Erstellung
richtungen werden meist der Anlagentechnik zugeordnet und üblicher- im Weg. Die Vorgabe strikter Termine und die unter laufender Produk-
weise von den Anlagenherstellern geliefert. Sie unterliegen damit kei- tion durchgeführten Umbauten erfordern ein besonderes Augenmerk
ner bauaufsichtlichen Genehmigungspflicht oder Kontrolle. auf die Sicherstellung der Standsicherheit zu jedem Zeitpunkt.

Zum Betrieb der Werkzeugmaschinen, Förderanlagen, Handlings- und In den nachfolgenden Kapiteln wird exemplarisch an konkreten Bei-
Fertigungsrobotern ist deren Anschluss an ein umfangreiches Versor- spielen beschrieben, wie die BMW AG mit diesen Herausforderungen
gungsnetz erforderlich. Dazu gehören unter anderem: umgeht.

■ Stromanschlüsse,
■ Datenleitungen, 2 Einwirkungen aus Sekundär-
■ Be- und Entlüftungssysteme, konstruktionen
■ Kühlwasser-,
■ Druckluft- und Gasleitungen. Geprägt werden die meisten der Produktionsgebäude im Automobil-
bau durch umfangreiche aufgeständerte oder abgehängte Sekundär-
Ergänzt werden diese durch die übliche Technische Ausstattung (TA) konstruktionen, die nahezu alle in Stahlbauweise ausgeführt sind.
für den Betrieb des Gebäudes wie: Beispiele für Einbauten/Sekundärkonstruktionen sind:

Der Prüfingenieur | Mai 2013 71


TRAGWERKSPLANUNG

Abb. 3: Schemaschnitt Montagegebäude

■ Technikbühnen (Schaltschränke, Trafos), stellt ist der Sekundärstahlbau von Fördertechnikumfängen:


■ Instandhaltungsbühnen für Fördertechnik,
■ Haupttrassen für Versorgungstechnik, ■ Elektrohängebahnen (EHB), bei denen in der schweren Ausführung
■ Tragkonstruktionen für Hänge- oder Bodenfördertechnik, die Fahrzeuge in höhenverstellbaren Gestellen entlang der Produk-
■ Wartungsgänge für Versorgungs- oder Fördertechnik. tionslinie geführt werden,
■ Bandoberkonstruktion für Beleuchtung und Bereitstellung benötig-
2.1 Anhängelasten Montagegebäude ter Medien über Fertigungsstraßen, bei denen die Fahrzeuge auf
Abb. 3 zeigt einen Schemaschnitt durch ein Montagegebäude. Darge- Schubplatten bewegt werden,
■ leichtere Versorgungs-EHB zum Transport von Türen, Cockpits etc.
zum Einbauort sowie
■ Rückführstrecken für leere Gehänge und Schubplatten einschließ-
lich der Bühnenflächen für deren Instandhaltung (Abb. 4a, 4b).

Der Sekundärstahlbau wird fast ausnahmslos von den Fördertechnik-


herstellern geliefert, denen auch die Bemessung obliegt. Daraus ergibt
sich die Notwendigkeit von eindeutigen Schnittstellendefinitionen im
Vorfeld.

2.2 Realistische Lastvorgaben


Die Erfahrung zeigt, dass die Fördererhersteller bei den Lastannahmen

Abb. 4a: Instandhaltungsbühne für EHB Abb. 4b: Schaltschrankbühne, darunter Sekundärstahlbau für EHB

72 Der Prüfingenieur | Mai 2013


TRAGWERKSPLANUNG

Abb. 5: Reelle Lastkombinationen

regelmäßig stark auf der sicheren Seite liegen; und das nicht nur bei Einzellasten mußten nach Einbau der Einrichtungen noch Nachverstär-
der Festlegung von Nutzlasten auf Wartungsstegen und Instandhal- kungen im größeren Umfang vorgenommen werden.
tungsflächen, sondern auch bei der Zusammenstellung der Eigenlas-
ten. Hier hat sich die Einbindung des Statikers auf Bauherrnseite be- Das aktuelle Lastkonzept für Montagegebäude sieht Kombinationen
reits in der Angebotsphase der Fördertechnikvergabe bewährt. Auf aus Einzellastgruppen vor, deren ungünstigste (aber realistische!)
diese Weise konnte die Last für die schwere EHB (deutscher Lieferant) Überlagerung zur Bemessung herangezogen wird (Abb. 5). Auf die
beim Werksneubau in China von rund 130 kN auf 105 kN je 6m-Takt globale Lastabtragung bezogen entspricht dies einer Flächenlast von
reduziert werden. circa 2,5 kN/m². Diese Vorangehensweise hat sich beim letzten Neu-
bau in China bewährt. Dort wurden auch nur vierzig Prozent der Ne-
Zur Gewährleistung der Wirtschaftlichkeit bei der Erstellung von Pro- benbinder vollständig nach diesem Ansatz bemessen. Bei den anderen
duktionsgebäuden ist die Feststellung realistischer Lastannahmen erfolgte die Bemessung der Gurte für eine reduzierte Last. Bei Bedarf
der jeweiligen Einrichtungen nur der erste Schritt. Da in der Pla- kann die Tragfähigkeit der Gurte durch ein einfaches System auf den
nungsphase des Gebäudes so gut wie nie endgültige Einrichtungs- vollen Wert nachverstärkt werden.
pläne vorliegen, fällt der Entwicklung eines realitätsnahen Szenarios
möglicher Kombinationen von Einwirkungen aus der Einrichtungs- Sekundärkonstruktionen werden im Regelfall von den Herstellern
technik, und hier besonders der Fördertechnik, eine besondere Rolle mit der nötigen Sorgfalt entsprechend der technischen Baubestim-
zu. Verdeutlicht werden kann die Entwicklung in den letzten Jahre- mungen geplant und hergestellt. Die fehlende Prüfpflicht auf Stand-
zehnten am oben beschriebenen Schemaschnitt durch ein Montage- sicherheit sowie gängige Sonderkonstruktionen bei Bauelementen
gebäude. und Verbindungen (zum Beispiel kaltverformte Profile, Klemmverbin-
dungen) machen Vorsorgemaßnahmen allerdings sinnvoll. Dazu ge-
2.3 Entwicklung Lastkombinationen hören:
Beim Neubau der Montage im BMW-Werk Regensburg Mitte der acht-
ziger Jahre wurde zur Bemessung der Dachbinder eine Flächenlast von ■ Standardisierte Lastpläne für die Befestigungen am Tragwerk,
1,5 kN/m² auf einhundert Prozent der Hallenfläche angesetzt. Abge- ■ aussagekräftige Konstruktionspläne,
deckt war damit nur die Last einer schweren EHB je Hallenschiff. Im ■ freiwillige Prüfung von exponierten Bühnen (zum Beispiel über Ver-
Zuge des Produktionsaus- und -umbaus kamen weitere Lasten hinzu, kehrswegen, Arbeitsplätzen).
sodass bis heute von den rund 750 Nebenbindern mehr als 300 indivi-
duell nachverstärkt werden mußten.

Aus dieser Erfahrung heraus wurden für einen Werksneubau in Leipzip


3 Besonderer Regelungsbedarf
nach der Vorlage eines vorläufigen Einrichtungsplans Zonen verschie- Das Erfordernis eigener betriebsinterner Regelungen entspringt der
dener Flächenlasten (von 1,5 bis 5,5 kN/m²) zur Bemessung herange- Forderung nach Standsicherheit oder Wirtschaftlichkeit, oder auch
zogen. Bedingt durch Layoutänderungen und nicht berücksichtigte nach beidem gleichzeitig.

Der Prüfingenieur | Mai 2013 73


TRAGWERKSPLANUNG

Spalte 1 2 3 4 5
Zeile Kategorie Nutzung Beispiel qk QK
kN/m2 kN
Wartungsflächen Flächen auf abgehängten oder 1,5z 1,5y
aufgeständerten Bühnen, die nur zu
Wartungszwecken begangen werdenx
x Die Einhaltung ist durch Beschilderung und Zugangsbeschränkungen an den Bühnenaufgängen sicherzustellen.
y Berücksichtigt ist eine Person mit Werkzeugkoffer, Ersatzteilen o. dgl.
z Bei der Lastweiterleitung zur Gebäudekonstruktion darf dieser Wert für Bauteile die Wartungslasten aus einer Einfluss-
fläche von mind. 10 m2 erhalten, auf 0,5 kN/m2 abgemindert werden.
Abb. 6: Auszug aus Planungsrichtlinie: Wartungslasten

Abb. 7: Auszug aus Planungsrichtlinie: Befestigung TA mittels Setzbolzen

3.1 Transformation von Einrichtungslasten 3.2 Wartungslasten


Für Produktionsgebäude sind die in den technischen Baubestimmun- Wirtschaftlich sinnvoll ist die Regelung von Nutzlasten auf Sekundär-
gen geregelte Lasten generell nur bedingt anwendbar. Eine Transfor- konstruktionen der Anlagen- und Fördertechnik in lediglich zu War-
mation von Einrichtungslasten in berechnungstaugliche Lastannah- tungszwecken begangenen Bereichen. Dies sind üblicherweise mit Git-
men ist erforderlich. terrosten oder Blechprofilrosten belegte Bereiche um die jeweiligen
Geräte herum. Typisch sind solche Flächen bei:
Ähnlich wie bei der Fördertechnik sind auch von den wenigsten Anla-
gen- oder Maschinenherstellern auf Anhieb verläßliche und für eine ■ Schaltschrankbühnen,
Bemessung brauchbare Lastangaben zu erhalten. Häufig sind bei Ma- ■ Lüftungs-und Kühlgerätebühnen,
schinen mit beweglichen Komponenten nur die Extremwerte für jeden ■ Instandhaltungsbühnen,
Aufstellfuß vorhanden, ohne Auflistung von Einzelastfällen oder zuge- ■ Laufstegen an Sekundärkonstruktionen der Fördertechnik.
hörigen Lastwerten. Wenn denn überhaupt der Maschinentyp zum Be-
messungszeitpunkt schon bekannt ist. Für Flächen, bei denen durch geeignete Maßnahmen die planmäßige
Nutzung sichergestellt ist, hat die BMW AG einheitliche Ansätze für
An der Einschätzung, welche Flächen- und Einzellasten aus der Viel- Wartungslasten von qk = 1,5 kN/m² und Qk von 1,5 kN festgelegt
zahl der zum Beispiel auf einer Decke aufzustellenden Maschinen für (Abb. 6). Da selbst mit diesen bereits niedrigen Werten bei Beauf-
die Statik ausschlaggebend sein könnten, beteiligen sich auch die Nut- schlagung der meistens großen Wartungsflächen hohe Lasten an die
zervertreter. Hartnäckig halten sich Lastansätze aus den sechziger und Gebäudetragkonstruktion weitergeleitet werden müßten, wird eine
siebziger Jahren, als Einzellasten vielfach durch einen üppigen Zu- weitere Reduzierung im Zuge der Lastweiterleitung empfohlen.
schlag auf die Flächenlast berücksichtigt wurden.
3.3 Setzbolzen
Sinnvoller und auch sicherer ist es, die Festlegung der Lastannahmen Der Einsatz von Setzbolzen zur Befestigung von dünnwandigen Pro-
einem im Industriebau erfahrenen Tragwerksplaner zu überlassen. Be- filblechen (Dachtrapezblechen, Fassadenprofilen) ist üblich und
währt hat sich, die Einzellasten häufig vorkommender schwerer Gerä- durch Zulassungen geregelt. Über diese Einsatzbereiche hinaus wer-
te so anzusetzen wie bei der Berücksichtigung von Gabelstaplern: Als den Setzbolzen bei BMW auch zur Befestigung von Gitter- und
wandernde Gruppe von Einzellasten innerhalb einer globalen Flächen- Blechprofilrosten sowie für Installationen der TA verwendet. Diese
last. Anwendungen sind in einer weiteren internen Planungsrichtlinie ge-

74 Der Prüfingenieur | Mai 2013


TRAGWERKSPLANUNG
regelt, um unzulässige Querschnittsschwächungen zu vermeiden
(Abb. 7).

4 Wiederkehrende Bauwerksüber-
prüfung
4.1 Entwicklung
Die vielfältigen in den vorangehenden Kapiteln beschriebenen Einflüs-
se, Einwirkungen und Besonderheiten machen die Notwendigkeit ei-
ner Sicherstellung der Standsicherheit im Betrieb deutlich.

Bereits seit Jahrzehnten pflegt die BMW AG in München ein zentrales


Bauarchiv, in dem, inzwischen vollständig digitalisiert, genehmigungs-
rechtliche Unterlagen aufbewahrt werden. Damit stehen Bestandsunter-
lagen für Standsicherheitsuntersuchungen jederzeit zur Verfügung. Abb. 8: Intakte Notüberläufe bei Starkregenereignis

Erstmalig wurde 2002 im Montagekomplex Werk Dingolfing nach di-


versen Umbauten und Lasterhöhungen eine umfangreiche Bestands- 4.2 Umsetzung
aufnahme an Lasten und Tragkonstruktion durchgeführt. Nach und Die drei Säulen der wiederkehrenden Bauwerksüberprüfung nach [1]
nach wurde dies auf weitere Gebäude mit hoher Umbauhäufigkeit er- und [2] sind das Führen eines Bauwerks-/Objektbuches – in [2] als
weitert. Dabei wurde auch das Erfordernis der regelmäßigen Bau- „Bauwerksbuch Standsicherheit“ bezeichnet –, die regelmäßigen
werksüberprüfung anhand zahlreicher aufgedeckter Schäden deutlich. Bauwerksüberprüfungen und die Staffelung der Überprüfungen (Ei-
gentümer/Verfügungsberechtigter – fachkundige Person – besonders
Aus den gewonnen Erkenntnissen erfolgten auch Rückflüsse in die Pla- fachkundige Person).
nungsrichtlinien. Beispiel hierzu: Die Überarbeitung der Ausführung
von Notüberläufen für Flachdächer, die sich inzwischen in der Praxis Durch das vorhandene Bauarchiv war die Dokumentation der Be-
bewährt hat (Abb. 8). standsunterlagen bereits gewährleistet. Bei Neubauten wird inzwi-
schen mit dem Planungsauftrag die Erstellung des „Bauwerksbuch
Nach dem Erscheinen der „Hinweise ...“ der Obersten Baubehörde in Standsicherheit“ vergeben, sodass hier der Prozess der wiederkeh-
Bayern [1] wurde 2007 der Aufbau eines „Bauwerks-Controlling“ be- renden Überprüfung ohne Verzögerung starten kann. Aufwendiger
schlossen. gestaltet sich für den umfangreichen Gebäudebestand die hierzu er-

Abb. 9: Presswerk und Verwaltungsgebäude – gleiche Überprüfungsintervalle?

Der Prüfingenieur | Mai 2013 75


TRAGWERKSPLANUNG

Schadensfolgeklasse CC 2 Begehung Inspektion Eing. Überp.


Grundintervalle VDI 6200 2-3 Jahre 4-5 Jahre 12-15 Jahre
Basisreferenz Abgeleitet aus VDI 6200 4-5 Jahre 9-10 Jahre (22-23 J.)
3) 2)

Bonus 1 Bestandsdokumentation Vorhanden, wenn permanent ±0 +1 +2


Standsicherheit gepflegt

Bonus 2 Instandhaltung Im Rahmen einer planmäßigen +1 +1 +1


und strukturierten Gebäude-
wirtschaft

Bonus 3 Robustheit des Bauwerks Robustheitsklasse nach RC 3 ±0 +1 +2


VDI 6200
RC 4 ±0 +2 +4

Malus 1 Gebäude Geschosse >3 ±0 –1 –2


Max. Stützweite > 30 m ±0 –1 –2

Malus 2 Robustheit des Bauwerks Robustheitsklasse nach RC 1 –1 –2 –4


VDI 6200

Malus 3 Tragkonstruktion Materialart Holz –1 –2 –4


Materialabnormalitäten –1 –2 –4
Wartungsbauteile Fahrbahnübergänge, ±0 –1 –2
Gelenke, Lager
Eingeschränkte Zugänglichkeit, Verkleidete Tragkonstr. ±0 –1 –2
Überschaubarkeit Hohlkörperbauteile
Umfangreiche Einbauten
Komplexe Gebäudestruktur

Malus 4 Veränderungen Umbautätigkeit Häufig –1 –2 –2


Wechsel der Nutzung Häufig –1 –2 –2

Malus 5 Umgebungsbedingungen I Mäßige Feuchte Offene Hallen, Innenräume –1 –2 –4


Schwacher chem. Angriff mit hoher Luftfeuchtigkeit,
Extreme Temperaturen Kläranlagen, Güllebehälter,
Härtereien, Gießereien
Umgebungsbedingen II Wechselnd nass und trocken Freie Bewitterung, –2 –4 –6
Mäßiger bis starker chem. Meeresbauwerke,
Angriff Industrieabwasseranlagen

Malus 6 Nutzlasten, Dynamik I1) Hohe Nutzlasten –1 –2 –4


Kranbahn bis 80 to Nutzlast
Gabelstapler bis 1,5 to Traglast
Maschinenlasten mit nur
geringfügigem Dynamikanteil
Nutzlasten, Dynamik II1) Sehr hohe Nutzlasten –2 –4 –6
Kranbahn bis 80 to Nutzlast
Gabelstapler bis 1,5 to Traglast
Maschinenlasten mit
mittlerem bzw. hohem
Dynamikanteil
1) Außer Lasten auf nichttragenden Bodenplatten; 2) Bei mehr als 20 Jahren kann die eingehende Überprüfung entfallen; 3) Mindeswert 1 Jahr

Abb. 10: Einstufungsmatrix für Überprüfungsintervalle

76 Der Prüfingenieur | Mai 2013


TRAGWERKSPLANUNG
forderliche Erfassung des Ist-Zustandes von Einwirkungen und Trag- ein einfaches, unkritisches und schadenfreies Gebäude übergeleitet
werken. wurde. Von dieser aus werden die jeweiligen positiven oder negativen
Einflüsse auf die Intervalle durch Addition oder Subtraktion von ge-
4.3 Differenzierte Überprüfungsintervalle wichteten ganzen Jahreszahlen berücksichtigt. Je Block (Bonus oder
Die unbedingt erforderliche Priorisierung der Bestandsgebäude bei der Malus) wird nur der vom Betrag her höchste Wert berücksichtigt, die
Erfassung wird mit Unterstützung durch eine Differenzierung der Über- Summe der Auf- und Abschläge zur Basisreferenz ergibt dann die An-
prüfungsintervalle durchgeführt. haltswerte für die Einstufung.

In der VDI-Richtlinie 6200 werden die Überprüfungsintervalle lediglich In die Gewichtung der einzelnen Schadenspotentiale sind die Erfah-
nach der Schadensfolgeklasse bestimmt. Diese einfache Gliederung rungen aus zahlreichen Schadensfällen eingeflossen. Trotzdem kann
hat ihre Berechtigung aus der Konsequenz ihrer Ableitung aus [1], und soll die vorliegende Matrix nur ein Hilfsmittel für die sachkundige
schließt aber eine weitere Verfeinerung nicht aus. oder besonders sachkundige Person zur Festlegung realistischer Inter-
valle sein.
Eine Differenzierung der Intervalle bietet neben dem Systematisie-
rungseffekt noch die Vorteile der risikobezogenen Fokussierung und
Gewichtung (Abb. 9) sowie die Aussicht auf eine wirtschaftlichere Ab-
wicklung der Überprüfung.
5 Literatur
[1] Oberste Baubehörde im Bayerischen Staatsministerium des In-
Inspiriert von der Reduktionsmethode von Munter [3], mit der dieser nern: Hinweise für die Überprüfung der Standsicherheit von bauli-
eine Revolution in der Risikobetrachtung von Lawinenabgängen ein- chen Anlagen durch den Eigentümer/Verfügungsberechtigten (Fas-
leitete, entstand ein einfaches Bonus- und Malussystem. Im Gegensatz sung September 2006)
zu Munters Risikotheorie aufgrund fehlender statistischer Auswertun- [2] VDI 6200 (Februar 2010): Standsicherheit von Bauwerken – regel-
gen von Gebäudeschäden jedoch ohne stochastische Grundlagen mäßige Überprüfung, Beuth-Verlag, Berlin
(Abb. 10). Ausgangspunkt ist eine sog. Basisreferenz, bei der von den [3] Werner Munter: 3 x 3 Lawinen, Verlag Pohl & Schellhammer
Intervallen der VDI 6200 (CC2) für ein durchschnittliches Gebäude auf (1997)

Der Prüfingenieur | Mai 2013 77


HAFTUNG

Hoheitlich oder privat? Wo beginnt die rechtliche


Grenze der privaten bautechnischen Prüfungen?
Die Privatisierung erscheint dann unzulässig, wenn
bestimmte Schwächungstatbestände auftreten können
Die Bestrebungen mancher deutscher Länder, die bautechni- Die Bauaufsicht ist Aufgabe des Staates (siehe Paragraf 58 Musterbau-
sche Prüfung aus dem hoheitlichen Aufgabenbereich der Bau- ordnung). Wichtiges Ziel der Bauaufsicht ist, durch eine vorbeugende
behörden auszugliedern und privatrechtlich tätigen anerkann- Gefahrenabwehr die Risiken, die durch Bauwerke entstehen können,
ten Prüfsachverständigen zu überantworten, hat zu einer im- für die Allgemeinheit so weit wie möglich einzudämmen.
mer noch anhaltenden gründlichen Diskussion geführt, in der
fachliche, ordnungs- und sicherheitspolitische sowie berufspoli- Bei Bauwerken handelt es sich in der Regel um Unikate, die jedes für
tische Argumente, Meinungen und Kommentare ausgetauscht sich neue und individuelle Anforderungen an die Planung stellen. Ge-
worden sind. Auch das eine oder andere juristische Gutachten plant und gebaut wird unter Berücksichtigung eines in Normen vorge-
ist für diese Diskussion erarbeitet und veröffentlicht worden. sehenen Sicherheitsvorrats. Darin sind jedoch menschliche Fehler nicht
Mittlerweile kann man – einen guten Überblick vorausgesetzt – enthalten. Solche lassen sich nur durch präventive Kontrollmaßnah-
ein erstes Fazit ziehen, was der Autor des folgenden Beitrages* men vermeiden. Zentrales Element der Bauaufsicht ist die staatliche
unternommen hat. Er beleuchtet die Frage nach den rechtlichen baurechtliche und bautechnische Prüfung und Genehmigung, für die
Vorgaben, an denen die Privatisierung der bautechnischen Prü- letztlich die Baubehörde verantwortlich zeichnet.
fung zu messen sei und bewertet deren Zulässigkeit aus juristi-
schem Blickwinkel. Dabei gelangt er zu Ergebnissen, die der of- Seit den 1920-er Jahren wird die bautechnische Prüfung im Bereich
fiziellen Position mancher Berufsverbände der (Prüf-)Ingenieure der Standsicherheit in vielen Fällen von freiberuflich tätigen Prüfin-
entsprechen, insbesondere derjenigen, die die Bundesvereini- genieuren für Baustatik durchgeführt. Dabei war es lange Zeit ein-
gung der Prüfingenieure für Bautechnik (BVPI) eingenommen heitliche Rechtspraxis, dass die Prüfingenieure im Rahmen ihrer Tä-
hat und landes- wie bundespolitisch vertritt. tigkeit mit hoheitlichen Aufgaben betraut und somit als ausgeglie-
dertes Element des behördlichen Genehmigungsverfahrens tätig wa-
ren.
* Nachdruck aus: Deutsches Ingenieurblatt, Heft 12/2012, S. 62-63
© 2012 Fachverlag Schiele & Schön GmbH Prüfingenieure sind Beliehene. Ihre Aufgabe ist die Prüfung und Kon-
trolle der bautechnischen Unterlagen sowie die Überwachung der
Bauarbeiten im Hinblick auf die Standsicherheit (im Interesse der All-
gemeinheit). Gleichwohl profitiert vom Vieraugenprinzip der Sicher-
heitsprüfung auch der Bauherr – obgleich die bautechnische Prüfung
formal nicht zu seinem Schutz erfolgt. Seit geraumer Zeit gibt es auch
den Prüfingenieur für Brandschutz.

In verschiedenen Bundesländern gibt es momentan Bestrebungen, die


bautechnische Prüfung aus dem hoheitlich wahrgenommenen Aufga-
benbereich der Baubehörden auszugliedern und stattdessen den pri-
vatrechtlich tätigen anerkannten Prüfsachverständigen einzuführen.
Dies soll Anlass sein, in einem kurzen Abriss die Frage nach den recht-
lichen Vorgaben zu beleuchten, an denen derartige Privatisierungs-
maßnahmen zu messen sind und deren Zulässigkeit aus juristischem
Blickwinkel zu bewerten:

Vollständige Gestaltungsfreiheit besitzt der Gesetzgeber im Bereich


der vorbeugenden Gefahrenabwehr nicht. Das gilt umso mehr, als man
Dr. jur. Christoph Steiner sich hier im Umfeld der essentiellen Rechtsgüter „Leben“ und „kör-
perliche Unversehrtheit“ bewegt. Dem Staat obliegen insoweit umfas-
praktiziert seit 2004 als Rechtsanwalt und seit 2007 als Fachan- sende Schutzpflichten. Wenn auch ihre Herleitung im Einzelnen nicht
walt für das Bau- und Architektenrecht, verfügt über langjährige unumstritten ist, lässt sich unstreitig feststellen, dass effektiver und
Erfahrung mit dem Recht der bautechnischen Prüfung, hat diver- umfassender Schutz für Leib und Leben durch vorbeugende Gefahren-
se Publikationen über bau- und immobilienrechtliche und über abwehr vom Staat gewährleistet werden muss. Ferner ist gemäß Arti-
bauordnungsrechtliche Themen publiziert und ist als selbstständi- kel 33 Absatz 4 des Grundgesetzes die Ausübung hoheitsrechtlicher
ger Rechtsanwalt in der Kanzlei Rechtsanwälte Steeger in Berlin Befugnisse als ständige Aufgabe in der Regel solchen Personen zu
tätig übertragen, die in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treuever-
hältnis stehen.

78 Der Prüfingenieur | Mai 2013


HAFTUNG
Die nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts umfas- Prüfsachverständige kann also in gewissem Umfang während des
senden Schutzpflichten verlangen von Verwaltung und einschlägigen Projekts ausgetauscht werden. Auch hier entsteht ein potenzieller He-
Rechtsnormen, den erforderlichen Schutz gegen Risiken zu bieten, die bel für den Bauherrn, Druck auf den Prüfsachverständigen auszu-
die Allgemeinheit (hier durch Bauwerke) bedrohen. Ferner ist die Be- üben.
hörde nach dem Untersuchungsgrundsatz gemäß Paragraf 24 des Ver-
waltungsverfahrensgesetzes verpflichtet, den jeweiligen Sachverhalt Auch vermeintlich gesteigerte Haftungsrisiken, die mit der privatrecht-
von Amts wegen zu ermitteln, muss sich also selbst ein Bild von den lichen Beauftragung einhergehen sollen, müssen den Prüfsachverstän-
relevanten Umständen verschaffen. digen nicht zwingend bei einer kostenorientierten Entscheidung zulas-
ten kompromissloser Standsicherheit leiten.
Diese Grundsätze berücksichtigend gelangt man zu der Erkenntnis,
dass sich der Staat nicht derart aus wichtigen Bereichen der Gefahren- Wie jeder privatrechtlich beauftragte Planer könnte er den Auftragge-
abwehr zurücknehmen darf, indem er relevante Verwaltungsfunktio- ber auf mögliche technische Risiken hinweisen und im Falle dessen
nen vollständig an Private überträgt. Dies gilt gerade im Bereich des dennoch erteilter Zustimmung damit die Gefahr auf den Bauherrn ver-
Polizei- und Ordnungsrechts, welches Sicherheit als essentielle Grund- lagern. Denn für den Eintritt möglicher Schäden haftet der Ingenieur
lage eines geordneten Gemeinwesens zu gewährleisten hat. dem Bauherrn vertraglich nicht, wenn er sie vorher benannt und der
Auftraggeber der Planung dennoch zugestimmt hat.
Während der beliehene Prüfingenieur gewissermaßen in das behördli-
che Geschehen eingegliedert ist und hoheitliche Aufgaben wahr- Auch vermeintliche Vorteile der Privatisierung für die öffentliche Hand
nimmt, sodass das für das Verhältnis zwischen Staat und Bürger typi- im Haftungsbereich sind weniger zwingend als es scheint. Dies liegt
sche Subordinationsverhältnis besteht, begegnet der anerkannte Prüf- zum einen daran, dass bereits die im Rahmen der Tätigkeit von Prüfin-
sachverständige dem Bauherrn bestenfalls auf Augenhöhe. Mehr genieuren einschlägige Amtshaftung gemäß Paragraf 839 BGB in Ver-
noch: Es liegt nahe, dass mancher Auftraggeber Prüfsachverständige bindung mit Artikel 34 Grundgesetz nicht zuletzt aufgrund der Recht-
mit klassischen Dienstleistern verwechselt. Während hoheitlich tätige sprechung des Bundesverfassungsgerichts dem Staat nur begrenzt
Prüfingenieure weder formal noch tatsächlich dem Bauherrn Rechen- Haftungsrisiken auferlegt [1]. Zum anderen müsste eine höchstrichter-
schaft schulden, sondern stattdessen der Fachaufsicht der obersten liche Klärung, ob nicht auch die Tätigkeit der Prüfsachverständigen der
Bauaufsichtsbehörde unterliegen (Paragraf 2 Absatz 1 Musterbauprüf- Amtshaftung unterliegt, erst noch erfolgen.
verordnung) und ihnen die Autorität der Bauaufsicht zukommt, müs-
sen die Prüfsachverständigen ohne derartige Hoheitsmerkmale aus- Der Bundesgerichtshof hat in ähnlichem Zusammenhang an anderer
kommen. Sie sind in weiten Bereichen in den Kreis der bauausführen- Stelle nämlich nicht auf die Person des Handelnden abgestellt, son-
den und planenden Auftragnehmer und des Bauherrn eingegliedert. Es dern auf seine Funktion - das heißt: auf die Aufgabe, deren Wahrneh-
lässt sich daher kaum leugnen, dass bei Verzicht auf die hoheitliche mung die im konkreten Fall ausgeübte Tätigkeit dient. Auf dieser
Prüfung durch einen Prüfingenieur die folgenden sicherheitsrelevanten Grundlage hat das Gericht einen staatlich anerkannten luftfahrttechni-
Defizite möglich werden. schen Betrieb, organisiert als privatrechtlicher Verein und – wie Prüf-
sachverständige – nicht behördlich beauftragt, der Amtshaftung unter-
Oftmals lassen die Anforderungen der Standsicherheit Interpretations- stellt. Dessen im Besitz der erforderlichen Prüferlaubnis stehender Mit-
und Auslegungsspielräume. Dass nun aber Bauherren, gerade gewerb- arbeiter hatte ein kurz darauf abgestürztes Segelflugzeug fälschlich
liche, die Projekte nicht zum Eigengebrauch, sondern zu Investitions- für flugtauglich erklärt und eine entsprechende Bescheinigung ausge-
zwecken errichten lassen, ein gesteigertes Interesse an niedrigen Kos- stellt.
ten haben, liegt auf der Hand.
Es lassen sich insoweit durchaus Parallelen zur Tätigkeit des Prüfsach-
Der privatrechtlich beauftragte Prüfsachverständige ist insoweit Ein- verständigen ziehen; auch die von diesem zu erfüllende Aufgabe ist
flussnahmen und gegebenenfalls ausgeübtem Druck wesentlich stär- letztlich die hoheitliche der Gefahrenabwehr, der sein gesetzgeberisch
ker ausgesetzt als der hoheitliche Prüfingenieur. Dass zwischen Trag- vorgesehener Einsatz auch dienen soll.
werksplaner und Prüfer durchaus Konflikte hinsichtlich der Frage vor-
kommen, wie richtig und notwendigerweise zu planen und zu bauen Gemessen an dem Grundsatz, dass ein bestimmtes Mittel notwendig
ist, lässt sich belegen. Schließlich muss sich der Tragwerksplaner, an- einzusetzen ist, wenn sich kein anderes als gleichermaßen wirksam
ders als der Prüfer, auch um die Wirtschaftlichkeit der Planung küm- und geeignet erweist, erscheint eine Privatisierung der bautechni-
mern. schen Prüfung unzulässig, mit der die vorgenannten Schwächungstat-
bestände einhergehen. Auch die Senatsverwaltung für Stadtentwick-
Im Rahmen der Überwachungstätigkeit auf der Baustelle hat der pri- lung in Berlin hat noch vor nicht allzu langer Zeit in diesem Sinne für
vatrechtlich beauftragte Prüfsachverständige nicht die hoheitlich un- die Beibehaltung der hoheitlichen Prüfung durch Prüfingenieure plä-
termauerte Durchsetzungskraft, die dem Prüfingenieur zukommt. diert [2].
Selbst bei Gefahr in Verzug wird er in höherem Maß Beeinflussungs-
versuchen unterliegen.

Eine weitere Schwächung der Position des Prüfsachverständigen ge-


genüber der Rolle des beliehenen Prüfingenieurs folgt aus Paragraf
Literatur
13 Absatz 4 der Musterbauprüfverordnung: Danach darf sich der Bau- [1] Steiner, Christoph: „Entlastung nicht ausgeschlossen“, Deutsches
herr für die Bescheinigung der ordnungsgemäßen Bauausführung aus IngenieurBlatt 06/2011
wichtigem Grund eines anderen, als desjenigen Prüfsachverständigen [2] Wagner, Peter: „Der Prüfingenieur für Baustatik – Ein Auslaufmo-
bedienen, der den Standsicherheitsnachweis bescheinigt hat. Der dell?“, Bautechnik 2002, Seite 790

Der Prüfingenieur | Mai 2013 79


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Die meisten der in diesem Heft veröffentlichten Fachartikel


sind überarbeitete Fassungen der Vorträge, die bei den Arbeitstagungen
der Bundesvereinigung der Prüfingenieure für Bautechnik gehalten worden sind.

Der Inhalt der veröffentlichten Artikel stellt die Erkenntnisse und Meinungen
der Autoren und nicht die des Herausgebers dar.

„Der Prüfingenieur“ erscheint mit zwei Ausgaben pro Jahr.


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80 Der Prüfingenieur | November 2012


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