3492 Mensigner Hacker
3492 Mensigner Hacker
3492 Mensigner Hacker
Die erste stählerne Eisenbahnbrücke in Deutschland wurde im Jahr 1838 errichtet. Viele
historische Stahklbrücken aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts sind heute noch in
Betrieb, werden als wichtiges Kulturgut wahrgenommen und zunehmend auch unter
Denkmalschutz gestellt. Im Spannungsfeld zwischen sicherem Betrieb und Denkmalschutz
kommt der Bestimmung der Restnutzungsdauer eine immer größere Bedeutung zu. Die hier
vorgestellte Beurteilung der 23 Brücken der Fichtelgebirgsbahn in Nordbayern mit ihren 50
Überbauten zeigt beispielhaft die aus diesem Spannungsfeld resultierenden Fragestellungen
und mögliche Konzepte zur Beantwortung dieser Fragen auf. Die Bahnstrecke durch das
Pegnitztal wurde 1877 zuerst als einspurige Strecke in Betrieb genommen. 1899 wurde ein
zweites Gleis eröffnet und 1930 wurden die Überbauten des ersten Gleises durch
tragfähigere ersetzt. Obwohl bereits seit 1980 die Elektrifizierung der Strecke diskutiert
wurde, dauerte es bis 2006, bis der Beschluß gefaßt wurde, die Brücken bis 2016 durch
neue zu ersetzen. Gründe dafür waren der teilweise schlechte Erhaltungszustand, hohe
Unterhaltskosten, die in vielen Fälle zu geringe Durchfahrtshöhe und in manchen Fällen
auch der Lärm. Außerdem wurde die Sprödbruchanfälligkeit der verwendeten Stähle als
141
problematisch angesehen. Während des Planungsprozesses wurden die Brücken im Jahr
2011 unter Denkmalschutz gestellt. Seit 2012 engagiert sich auch eine Bürgerinitiative für
den Erhalt der Brücken. Dies steht im Gegensatz zur Haltung einiger Gemeindevertreter, so
daß die Brücken zu einem Thema der Lokalpolitik geworden sind.
Vor diesem Hintergrund wurden u.a. alle Überbauten von 1899 neu begutachtet [6]. Dazu
wurde der Zustand jedes einzelnen Überbaus detailliert dokumentiert und bewertet. Die
Restnutzungsdauer der Überbauten sowie die Betriebszeitintervalle zwischen zwei
Inspektionen wurden auf Basis der Ril 805 [1] bestimmt. Zur Bestimmung der
Restnutzungsdauer wurde dabei unter Verwendung von Wöhlerlinien auf das
Nennspannungskonzept zurückgegriffen und die Gültigkeit der Minerregel vorausgesetzt.
Der Nachweis der Betriebszeitintervalle stellt dagegen eine Anwendung der elastischen
Bruchmechanik dar. Neben der Größe des zeitlichen Abstandes zweier Inspektionen liefert
er implizit auch Informationen zur Schadenstoleranz und Sprödbruchanfälligkeit eines
Bauteils. Beide Nachweise reagieren sehr empfindlich auf die Eingangsgröße „schadens-
äquivalente Schwingbreite“. Im Fall des Nennspannungskonzepts besteht eine
doppellogarithmische Abhängigkeit der ertragbaren Lastwechsel von dieser Schwingbreite.
Um aussagekräftige Ergebnisse zu erhalten, ist es daher erforderlich, die
schadensäquivalente Schwingbreite möglichst genau zu bestimmen. Dazu müssen
Kenntnisse über den Verkehr der Vergangenheit und der Zukunft vorliegen, die
Verkehrslasten müssen im Rahmen der statischen Berechnung möglichst genau in die am
untersuchten Detail auftretenden Nennspannungen übertragen werden. Zudem ist es
142
notwendig ein Schädigungsgesetz (z.B. Wöhlerlinie) und eine Schadens-
akkumulationshypothese (z.B. Minerregel) zu verwenden, die die am betrachteten Detail
auftretenden Schädigungen möglichst gut beschreiben. Falls dies gelingt, muss man sich
aber immer noch darüber im Klaren sein, dass die verwendeten Methoden an sich große
Streuungen aufweisen und dass die ermittelte Restnutzungsdauer häufig nur einen kleinen
Teil der Gesamtlebensdauer darstellt, wodurch sich Ungenauigkeiten noch viel stärker
auswirken, als das bei einem reinen Ermüdungsnachweis einer Neukonstruktion der Fall
wäre.
Über die Verkehrsbeanspruchung der Brücken in der Vergangenheit liegen, wie in fast allen
vergleichbaren Fällen auch, keine detaillierten Kenntnisse vor. Für den Nachweis der
Restnutzungsdauer ist dabei nicht nur die Kenntnisse der Jahrestonnage des Verkehrs
sondern auch die Verkehrszusammensetzung relevant. Es wird daher auf die der Ril 805 [1]
zugrundliegenden Standardverkehrszusammensetzung zurückgegriffen [7].
Die Verwendung dieser Verkehrszusammensetzung weist offensichtlich Ungenauigkeiten
auf, die sich jedoch nicht quantifizieren lassen. So ist z.B. bekannt, dass während des
zweiten Weltkriegs in einem nennenswerten Maß schweres Material auf der Strecke
transportiert wurde. Die Entscheidung, diese Verkehrszusammensetzung trotzdem für die
Nachweise zu verwenden ist daher eine pragmatische, die jedoch die Unschärfe bei der
Bestimmung von Restnutzungsdauer und Betriebszeitintervall erhöht. Auf Basis von
Angaben der DB Netz AG wurde die jährliche Verkehrsbelastung der Vergangenheit und
der Zukunft auf 6.3x106 Jahrestonnen festgelegt.
Für die Berechnung der Schnittgrößen wurden die Überbauten jeweils als räumliches
Stabwerksmodell abgebildet. Die Stäbe wurden entgegen der üblichen Annahmen für
Fachwerke nicht gelenkig sondern biegesteif in den Knotenpunkten angeschlossen. Die
vorliegenden Knotenpunktkonstruktionen des Bauwerks lassen eher den Schluß zu, dass es
sich um eingespannte Stäbe handelt. Daraus ergeben sich durch die Bauwerksverformungen
Nebenspannungen, die bei den Nachweisen berücksichtigt wurden. Die dynamische
143
Bauwerksreaktion wurde auf Basis des DIN Fachberichts 101 [8] ermittelt. Da diese, sowie
die Wahl des statischen Modells, ebenfalls die Restnutzungsdauer stark beeinflussen,
wurden an einem der Bauwerke Messungen durchgeführt [9], um die getroffenen
Annahmen zu verifizieren. Dabei konnte eine sehr gute Übereinstimmung zwischen Modell
und Wirklichkeit nachgewiesen werden. Zudem zeigte sich, dass die dynamischen Beiwerte
gegenüber den Angaben in [8] etwas reduziert werden können. Zu beachten ist weiter, dass
an Stellen mit Diskontinuitäten, wie z.B. Verlaschungen, Querschnittssprüngen und
Nietlöchern, eine Übereinstimmung nicht zu erreichen ist.
In Tabelle 1 wird beispielhaft für eine Diagonale und den Untergurt der Brücke ein
Vergleich zwischen Messung und statischer Berechnung widergegeben. Wie dort
ersichtlich ist, treten größere Abweichungen erwartungsgemäß in der Nähe von
Knotenblechen auf. Die statischen Modelle können daher nur sinnvoll an Stellen geringer
Diskontinuität kalibriert werden.
144
5 Validierung des verwendeten Schädigungsgesetzes
Aufgrund der Ergebnisse von Materialuntersuchungen konnte der bei den Pegnitzbrücken
verwendete Stahl als „Flußeisen vor 1900“ eingestuft werden. Für diese Stähle empfiehlt
die Ril 805 [1] die Anwendung der oberlastabhängigen Wöhlerlinien für Kerbfall W III der
früheren DS 804 [10]. Dieser Kerbfall entspricht im Fall von min/max = 0 dem Kerbfall
100. Gerade in der neueren Literatur und in neueren technischen Regelwerken [3, 2, 11, 12]
finden sich jedoch teilweise wesentlich konservativere Annahmen, bis hin zu Kerbfall 71.
Vergleicht man die einzelnen Arbeiten, stellt man fest, dass es bisher offensichtlich keinen
breiten Konsens gibt, welche Kriterien als entscheidend für die Zuordnung zu einem
Kerbfall angesehen werden. Die Entscheidung, welche Wöhlerlinie verwendet wird, ist für
das Ergebnis der Restnutzungsdauerberechnung absolut entscheidend: bei Verwendung von
Kerbfall 71 kann davon ausgegangen werden, das bei der überwiegenden Zahl der
historischen Stahlbrücken auf Hauptstrecken der DB heute keine Restnutzungsdauer mehr
gegeben wäre. Dies steht im Widerspruch zum häufig relativ guten Zustand dieser Brücken.
145
Es ist daher notwendig, Wöhlerlinien projektspezifisch zuzuordnen. Taras und Greiner
haben in [4] die international verfügbaren Versuchsergebnisse zusammengestellt und auf
deren Basis vom Konstruktionsdetail abhängige Wöhlerlinien entwickelt [3]. Aufgrund der
geringen Eigenspannungen sind diese Wöhlerlinien oberlastabhängig. In der SIA 269 [2]
wurden die Detailkategorien übernommen, der Einfluß der Oberlast aber ignoriert. Auch
die ONR 24008 [13] und die deutsche Nachrechnungrichtlinie [11] basieren im weitesten
Sinne auf dieser Arbeit. In der Nachrechnungsrichtlinie wird aber der Fokus auf den
Nietvorgang und die Stahlgüte des Niets gelegt. Aufgrund der von der Stahlgüte
abhängigen Temperatur bei der sich das austenitische Gefüge des Niets in ein ferritisches
umwandelt, treten bei Nieten mit Stahlgüte St34 größere Vorspannkräfte auf als bei Nieten
höherer Stahlgüten. Im Fall der Nieten aus St34 geschieht die Umwandlung vor dem
Schrumpfprozess und beeinflußt die Vorspannung nicht. Im Fall von Nieten aus St44 oder
St52 findet die Umwandlung jedoch bei tieferen Temperaturen statt und kompensiert
teilweise die Schrumpfung. Es können daher nur kleine Vorspannungen erzeugt werden.
Vorspannkräfte wirken sich aufgrund der durch sie erzeugten Reibung günstig auf das
Ermüdungsverhalten der Konstruktionen auf.
Von großem Einfluß auf das Ermüdungsverhalten ist auch die Herstellung des Nietlochs.
Während im englischsprachigen Raum Löcher oft gestanzt wurden, wurden in Deutschland
die Löcher in der Regel gebohrt und aufgerieben. Aufgrund der beim Stanzen auftretenden
starken plastischen Verformung und der Mikrorissbildung ist das Ermüdungsverhalten
gestanzter Löcher wesentlich ungünstiger als das gebohrter. Im betrachteten Fall kann von
gebohrten und aufgeriebenen Löchern ausgegangen werden [14]. Es ist insbesondere
festzuhalten, dass der ungünstige Kerbfall 71 auf einer Auswertung beruht, in die sowohl
Versuchskörper mit gestanzten Löchern als auch Versuche mit Vorschädigung einflossen.
Er ist daher für viele „reale“ Fälle als nicht geeignet anzusehen. Im Rahmen der
Untersuchung der Brücken der Fichtelgebirgsbahn, wurde daher eine eigene Auswertung
von Versuchen mit ähnlichen Merkmalen nach EN 1990, Anhang D [15] durchgeführt.
Dabei wurden nur Versuche mit gebohrten Löchern, Nieten aus St34 (hydraulisch genietet)
und stark schubbeanspruchten Nieten betrachtet. Die Auswertung der Versuche von Graf
1935 [16] und Klöppel 1938 [4] ließen eine Einstufung in Kerbfall 109 zu. Aufgrund von
Alterung könnte dieser Kerbfall zu günstig gewählt sein, so dass letztendlich auch unter
Berücksichtigung der Mittelspannungs-abhängigkeit den Berechnungen der
146
Restnutzungsdauer Kerbfall 95 zugrunde gelegt wurde. Dies entspricht auch den
Empfehlungen der Ril 805 [1], die damit bestätigt werden konnten.
Im Rahmen der Begutachtung der Brücken wurden zudem die Methoden zur Bestimmung
der Restnutzungsdauer nach [1], [2], [3], [5] an einer Brücke vergleichend
gegenübergestellt (siehe Tabelle 3 und Tabelle 4). Es zeigt sich, dass die Bestimmung der
Restnutzungsdauer nach Ril 805 die optimistischsten Ergebnisse liefert. Die Methode nach
Bucak weist einen interessanten Ansatz auf: der Verkehr der Vergangenheit, eine ohnehin
meist unbekannte Größe, wird pauschal durch eine Reduktion der zulässigen
Schadenssumme auf Werte 0,5 bis 0,7 begrenzt und es wird eine Wöhlerlinie (Kerbfall 85)
verwendet, die auf Versuchen an „vorgeschädigten“ Probeköpern, als Probekörpern, die
alten Brücken entnommen wurden, beruht.
147
verursachten Änderungen gering. Bei den beiden anderen Methoden führte bereits diese
kleine Änderung zu einer völligen Umkehrung des Ergebnisses (vgl. Tabelle 4, unten).
7 Zusammenfassung
Für die Beurteilung historischer Stahlbrücken ist die Bestimmung ihrer Restnutzungsdauer
eine Notwendigkeit. Die vorhandenen Informationen, aber auch die Unschärfen der
verwendeten Methoden führen jedoch dazu, dass die ermittelten Restnutzungsdauern nur
einen sehr groben Anhaltspunkt zur Beurteilung des Zustandes einer historischen Brücke
geben können. Das bedeutet, dass es einerseits nötig ist, die Unschärfe der Prognose der
Restnutzungsdauer projektspezifisch soweit wie möglich einzugrenzen, und es andererseits
notwendig ist, weitere Überlegungen zu Schadenstoleranz und Inspektionsintervallen
anzustellen.
LITERATUR
148
[12] JRC-ECCS:
Assessment of Existing Steel Structures: Recommendations for Estimation of
Remaining Fatigue Life; Aachen; 2008
[13] ONR 24008:
Bewertung der Tragfähigkeit bestehender Eisenbahn- und Straßenbrücken; FNA 014
Brückenbau – Allgemeines; 2006
[14] Mertens, Georg:
Der deutsche Brückenbau im XIX. Jahrhundert. VDI-Verlag Düsseldorf, 1984
[15] EN 1990:2002 Eurocode:
Grundlagen der Tragwerksplanung; Oktober 2002
[16] Graf, Otto:
Versuche im Stahlbau, Ausgabe B, Heft 5, Dauerversuche mit Nietverbindungen;
Verlag von Julius Springer; Berlin; 1935
149
150