Kaltriss Feinkornbaustahl PDF
Kaltriss Feinkornbaustahl PDF
Kaltriss Feinkornbaustahl PDF
Peter Zimmer
BAM-Dissertationsreihe • Band 29
Berlin 2007
Die vorliegende Arbeit entstand an der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung
(BAM).
Impressum
Zur Bewertung der Kaltrisssicherheit
von Schweißverbindungen
aus hochfesten Feinkornbaustählen
2007
Herausgeber:
Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM)
Unter den Eichen 87
12205 Berlin
Telefon: +49 30 8104-0
Telefax: +49 30 8112029
E-Mail: [email protected]
Internet: www.bam.de
Dissertation
von:
aus
Berlin
Tag der
mündlichen Prüfung: 10. Juli 2007
Hamburg 2007
Vorwort
Die vorliegende Arbeit entstand während meiner Tätigkeit als wissenschaftlicher Angestell-
ter in der Fachgruppe V.5 “Sicherheit in der Fügetechnik” im Rahmen des Doktorandenpro-
gramms der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM) in Berlin. Zusätzlich
wurde die Anfertigung der Dissertation durch ein von der Deutschen Forschungsgemein-
schaft geördertes Forschungsvorhaben ermöglicht.
Mein besonderer Dank gilt Herrn Prof. Dr.-Ing. H. Hoffmeister von der Helmut-Schmidt-
Universität - Universität der Bundeswehr Hamburg - für sein Interesse an meiner Disserta-
tion und die Bereitschaft der Übernahme des Hauptgutachtens.
Für die Übernahme der Zweitgutachten möchte ich mich bei Herrn Prof. Dr.-Ing. H. Herold
von der Otto von Guericke Universität Magdeburg sowie bei meinem Fachgruppenleiter
Herrn Prof. Dr.-Ing. T. Böllinghaus bedanken.
Darüber hinaus danke ich meinem Projektgruppenleiter, Herrn Dr.-Ing. T. Kannengießer, für
die tatkräftige Unterstützung sowie die vielen hilfreichen Anregungen bei der Fertigstellung
dieser Arbeit.
Mein Dank gilt weiterhin allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Fachgruppe V.5 „Si-
cherheit in der Fügetechnik“ für die Unterstützung bei der Vorbereitung, Durchführung und
Auswertung der experimentellen Untersuchungen. Besonders hervorheben möchte ich an
dieser Stelle Frau Breu, Herrn Peter Friedersdorf, Herrn Andreas Hannemann, Herrn
Thomas Michael, Herrn Michael Richter und Herrn Klaus Scheideck, ohne welche die
Durchführung der vielfältigen Versuche nicht möglich gewesen wäre.
Besonders danke ich meinen Kolleginnen Karen Stelling und Pornwasa Wongpanya sowie
den Kollegen Dr.-Ing. Mathias Neuhaus, Dr.-Ing. Dirk M. Seeger, Dr.-Ing. Ekkarut Viyanit
und Dr.-Ing. Martin Wolf für die konstruktive Zusammenarbeit und für die ständige
Bereitschaft, mir mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Weiterhin gilt mein herzlicher Dank
allen Praktikanten und Diplomanden, die durch ihre tatkräftige Unterstützung zum Ergebnis
dieser Arbeit maßgeblich beigetragen haben, insbesondere Frau Mercedes Enpinosa-
Sanches, Herrn Marco Fiedler, Herrn Daniel Brackrock und Herrn Thomas Mente.
Den Firmen Dillinger Hütte, Böhler Thyssen Welding und Messer-Grießheim danke ich für
die Bereitstellung der Grund- und Zusatzwerkstoffe.
Nicht zuletzt danke ich meiner Familie, hauptsächlich meiner Frau Claudia und meinem
Sohn Robert, ohne deren Verständnis, Unterstützung und Hilfe diese Arbeit nicht denkbar
gewesen wäre.
Die im Rahmen dieser Arbeit an den hochfesten Feinkornbaustählen S690Q und S1100QL
ermittelten wasserstoffabhängigen mechanischen Kennwerte weisen auf ein erheblich
größeres Kaltrissrisiko dieser hochfesten Varianten gegenüber Feinkornbaustählen mit
niedrigerer Festigkeit hin. Aus den Ergebnissen umfangreicher Zugversuche mit wasser-
stoffbeladenen Proben konnte abgeleitet werden, dass sich als Parameter zur Beschrei-
bung der Kaltrissempfindlichkeit im Gegensatz zu Festigkeitswerten die wahre Bruchdeh-
nung am besten eignet, da sie für alle untersuchten Gefügezustände die Effekte des
Wasserstoffs über den gesamten Wasserstoffkonzentrationsbereich am signifikantesten
reflektiert. Dieser Parameter ist als Risskriterium nutzbar und wird in Form mathematischer
Gleichungen für zwei repräsentative Werkstoff/Zusatzwerkstoffkombinationen der Festig-
keitsklassen S690 und S1100 zur Verfügung gestellt.
Die Übertragbarkeit des identifizierten Parameters auf Laborproben wird nachgewiesen und
erscheint auf reale Bauteile möglich, wenn die lokale Dehnung an rissgefährdeten Berei-
chen der entsprechenden Konstruktion bestimmt werden kann. Auf Grundlage der bereits
für die Evaluation der wasserstoffunterstützten Spannungsrisskorrosion erfolgreich einge-
setzten Time-Strain-Fracture Diagramme wird diese Vorgehensweise anhand der Werk-
stoff/Zusatzwerkstoffkobination S1100QL/UnionX96 unter Anwendung des IRC-Tests
gezeigt und führte vorerst zu qualitativen Aussagen bezüglich des Kaltrissrisikos in Abhän-
gigkeit vom Einspanngrad. Die lokale Dehnung im Schweißgut wird dabei mittels numeri-
scher Simulation bestimmt und den experimentell bestimmten kritischen Dehnungswerten
gegenübergestellt.
Abstract
Whereas the application of weldable high-strength low-alloyed fine-grained structural steels
with yield strengths exceeding 690 MPa offers economic advantages in many sectors of the
steels processing industry, welding fabrication presents a major challenge with increasing
strength grade of these materials, since their favourable properties obtained by deliberate
heat treatment during production are adversely affected by further thermal and
thermomechanical cycles during welding. Hydrogen entry during welding involves an
increasing risk of hydrogen-assisted cold cracking. This type of cracking, which has long
been regarded as controllable based on the experience with low-strength fine-grained
structural steels, assumes greater importance in recent years as current damage cases
attest. Particularly the fact that the existing codes devoted to welding fabrication do not
cover the strength range of the applied fine-grained structural steels with yield strengths
exceeding 690 MPa constitutes a safety-relevant problem against this background.
The transferability of the identified parameter to laboratory specimens has been proved. Its
transferability to real components seems possible if the local strain in crack-prone areas of
the respective structure can be determined. Based on the time-strain-fracture diagrams
which have already been successfully used for the evaluation of hydrogen-assisted stress
corrosion cracking, this procedure is demonstrated using the material/filler material
combination S1100QL/UnionX96 in the IRC-Tests. The local weld metal strain is
determined by numerical simulation and compared with the critical strain values obtained
from the experiments. The results allow first qualitative statements to be made regarding
the risk of cold cracking depending on the restraint intensity.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung 15
2 Kenntnisstand 19
2.1 Hochfeste Feinkornbaustähle 19
2.1.1 Entwicklung, Herstellung und Eigenschaften 19
2.1.2 Schweißtechnische Verarbeitung hochfester Feinkornbaustähle 23
2.2 Wasserstoffunterstützte Kaltrissbildung in hochfesten Feinkornbaustählen 26
2.2.1 Grundlagen und Erscheinungsbild 26
2.2.2 Wasserstofftransport 27
2.2.3 Wirkung des Wasserstoffs auf die mechanischen Eigenschaften
metallischer Werkstoffe 30
2.2.3.1 Schweißgeeignete hochfeste Feinkornbaustähle 31
2.2.3.2 Weitere metallische Werkstoffe 32
2.3 Übersicht und Bewertung von Kaltrissprüfverfahren 35
2.3.1 Fremdbeanspruchte Kaltrissprüfverfahren 36
2.3.1.1 Implant-Test 36
2.3.1.2 Weitere fremdbeanspruchte Kaltrissprüfverfahren 37
2.3.1.2.1 TRC-Test (Tensile Restraint Cracking Test) 37
2.3.1.2.2 LTP-Test 38
2.3.1.2.3 Augmented- Strain Cracking Test 39
2.3.2 Selbstbeanspruchende Kaltrissprüfverfahren 40
2.3.2.1 TEKKEN-Test, U-Groove Weld Cracking Test, Lehigh-Test 40
2.3.2.2 CTS-Test 43
2.3.2.3 IRC-Test 45
2.3.2.4 Weitere selbstbeanspruchende Kaltrissprüfverfahren 46
2.3.2.4.1 Rigid Restraint Cracking-Test (RRC) 46
2.3.2.4.2 Cruciform-Versuch 46
2.3.2.4.3 WIC (Welding Institute of Canada)-Test 47
2.3.2.4.4 RGW-Test 48
2.3.2.4.5 GBOP-Test (Gapped Bead-On-Plate) 49
2.3.2.4.6 Bead Bend Test 49
2.3.2.4.7 Batelle Underbead Cracking Test 52
2.3.2.4.8 Circular Patch Test 52
2.3.2.4.9 Schnadt Fisco Test 53
2.3.2.4.10 Slot Weld Test 54
2.3.2.4.11 Butt-Weld (WI) Cracking Test 55
2.3.3 Vergleich und Aussagefähigkeit der einzelnen Prüfverfahren 55
2.3.4 Das Konzept des Einspanngrades 62
2.3.5 Übersicht und Bewertung von Konzepten zur Berechnung der
Vorwärmtemperatur für das kaltrisssichere Schweißen von hochfesten
Feinkornbaustählen 68
2.4 Zielstellung 75
3 Versuchsaufbau und numerischer Ansatz 77
3.1 Untersuchte Werkstoffe 77
3.2 Bestimmung der mechanischen Eigenschaften der Schweißnahtgefüge in
Abhängigkeit von der Wasserstoffkonzentration mittels Zugversuch 78
3.2.1 Herstellung schweißsimulierter Gefüge 78
3.2.2 Elektrolytische Wasserstoffbeladung der Zugproben 80
3.2.3 Durchführung der Zugversuche 81
3.3 Kaltrisstests 82
3.3.1 Implant-Tests 82
3.3.2 TEKKEN-Test 83
3.3.3 CTS-Test 84
3.3.4 IRC-Test 85
3.4 Bestimmung der Wasserstoffkonzentration 86
3.4.1 Quecksilbermethode nach ISO 3690 87
3.4.2 Trägergasheißextraktion 91
3.4.3 Vergleich und Bewertung verschiedener Analysemöglichkeiten 93
3.5 Numerische Simulationen von Schmelzschweißprozessen 95
3.5.1 Grundlagen zur numerischen Berechnung schweißbedingter
Temperaturfelder, Spannungen und Dehnungen 98
4 Ergebnisse und Diskussion 105
4.1 Festigkeit und Duktilität in Abhängigkeit von der Wasserstoffkonzentration 105
4.1.1 Glatte Zugproben 105
4.1.1.1 Werkstoff/Zusatzwerkstoffkombination S690Q/NiMoCr 105
4.1.1.2 Werkstoff/Zusatzwerkstoffkombination S1100QL/UnionX96 113
4.1.2 Kerbzugproben 120
4.1.2.1 Werkstoff/Zusatzwerkstoffkombination S690Q/NiMoCr 120
4.1.2.2 Werkstoff/Zusatzwerkstoffkombination S1100QL/UnionX96 125
4.2 Kaltrisstests nach ISO 17642 130
4.2.1 S690Q/Union NiMoCr 130
4.2.2 S1100QL/Union X96 133
4.2.3 Vergleich und Bewertung der Ergebnisse der durchgeführten Kaltrisstests
nach ISO 17642 mit den Ergebnissen der Zugversuche 136
4.2.4 IRC-Versuche 141
4.2.5 Temperaturfeld- und Strukturberechnungen an IRC- Proben mittels
numerischer Simulation 143
4.2.6 Kaltrissabschätzung geschweißter Komponenten mittels Time-Strain-
Fracture (TSF) Diagrammen 145
5 Schlussfolgerungen 150
6 Literatur 152
Abkürzungen und Formelzeichen 162
Bildverzeichnis 164
Tabellenverzeichnis 168
_______________________________________________________________1 Einleitung
1 Einleitung
In vielen Bereichen der stahlverarbeitenden Industrie, wie z. B. im modernen Stahl-, Nutz-
fahrzeug- und Anlagenbau, ist das Interesse an niedriglegierten hochfesten schweißgeeig-
neten Feinkornbaustählen in den letzten Jahren ständig gestiegen. Als Grund dafür lässt
sich einerseits das enorme Einsparpotential bezüglich der eingesetzten Legierungsele-
mente gegenüber höher legierten Stählen gleicher Festigkeit anführen. Andererseits lassen
sich, resultierend aus dem günstigen Verhältnis von Eigengewicht und Tragfähigkeit der
hochfesten Feinkornbaustähle, Konstruktionen verwirklichen, deren ökonomisch sinnvolle
Umsetzung ohne diese Werkstoffe nicht möglich wäre.
Als aktuelle Beispiele für den Einsatz dieser Werkstoffe lassen sich die Konstruktion des
Forumdaches des Berliner Sony-Centers und die Herstellung mobiler Hubkräne anführen.
Am Fußpunkt der in Bild 1 sichtbaren Luftstütze der Dachkonstruktion des Sony-Centers
befindet sich der Seilverankerungsknoten, an dem die so genannten Luftstützenseile
angreifen und so ein Vorspannen der Konstruktion ermöglichen. Der Seilverankerungs-
knoten weist ein Gewicht von 18 t auf und besteht aus den Werkstoffen S355J2G3 und
S690QL1, welche mit Blechdicken von bis zu 180 mm eingesetzt wurden. Damit wurde
speziell für den S690QL1 bezüglich seiner schweißtechnischen Verarbeitung die in der
allgemeinen bauaufsichtlichen Zulassung des Deutschen Instituts für Bautechnik veran-
kerte zulässige Blechdicke überschritten, so dass eine Genehmigung im Einzellfall auf
Grundlage der Prüfung bauteilähnlicher Probekörper nötig war.
Bild 1: Forumdach des Sony-Centers mit Bild 2: Mobilkran mit Komponenten aus
Komponenten aus hochfesten Feinkornbau- hochfesten Feinkornbaustählen
stählen
Bei der Produktion von Mobilkränen (Bild 2) werden heute hochfeste Feinkornbaustähle mit
Streckgrenzen von bis zu 960 MPa eingesetzt. In Hinblick auf eine weitere Gewichtsreduk-
tion wird der Einsatz von Stählen mit bis zu 1100 MPa angestrebt, allerdings nur für unge-
schweißte Konstruktionselemente wie zum Beispiel die Abspannungen des Auslegers.
Prinzipiell sind die Stähle auch dieser für Feinkornbaustähle höchsten Festigkeitsklasse gut
schweißbar. Doch erfordert die außerordentlich hohe Festigkeit von den Zusatzwerkstoff-
Herstellern die Entwicklung neuer Schweißgüter, um die notwendigen Festigkeits- und
15
1 Einleitung_______________________________________________________________
Die aufgeführten Beispiele zeigen, dass die schweißtechnische Verarbeitung der hochfes-
ten Feinkornbaustähle vor allem ab Streckgrenzen von mehr als 690 MPa eine große
Herausforderung darstellt, da die bei der Herstellung durch eine gezielte Wärmebehand-
lung eingestellten günstigen Eigenschaften durch weitere thermische bzw. thermomechani-
sche Zyklen beim Schweißen nachteilig beeinflusst werden. So kann sich in Abhängigkeit
von den Schweißparametern in der Wärmeeinflusszone ein grobkörniges Gefüge mit hoher
Härte einstellen. Als Konsequenz ergibt sich beim Schweißen dieser Werkstoffe zwar eine
ausreichende Festigkeit der Verbindung, die Zähigkeit fällt jedoch gegenüber dem Grund-
werkstoff mit zunehmender Streckgrenze ab. Eine nachträgliche thermomechanische
Behandlung solcher Verbindungen, wie sie im Zuge des komplexen Walzprozesses des
Grundwerkstoffes zu einer ausreichenden Zähigkeit führen, ist dann nicht mehr möglich.
Aufgrund der niedrigeren Zähigkeit der Schweißverbindung, insbesondere im Schweißgut,
ist besondere Vorsicht hinsichtlich der Vermeidung eines Wasserstoffeintrages während
des Schweißens geboten, um eine wasserstoffunterstützte Kaltrissbildung auszuschließen.
Diese, lange Zeit aufgrund der Erfahrungen an niederfesten Feinkornbaustählen als be-
herrschbar angesehene Art der Rissbildung, gewann daher in den letzten Jahren zuneh-
mend an Bedeutung. Besonders hervorzuheben ist außerdem, dass die vorhandenen
Regelwerke zur schweißtechnischen Fertigung den Festigkeitsbereich der heute schon
eingesetzten Feinkornbaustähle mit Streckgrenzen von bis zu 1200 MPa nicht abdecken.
Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass es immer wieder zu katastrophalen Schadensfäl-
len kommt, da der Vermeidung der wasserstoffunterstützten Kaltrissbildung während der
Fertigung und der anschließenden Inbetriebnahme nicht genügend Beachtung geschenkt
wird.
Ein Beispiel für das Versagen von hochfesten Feinkornbaustählen ist der folgenschwere
Zwischenfall vom 12. Dezember 2000 im Wasserkraftwerk Cleuson-Dixence (Schweiz), als
beim Bruch eines Druckrohres aus hochfestem Stahl in 1234 m Höhe ü. NN Teile des
umgebenden Felsmassivs mit weggerissen wurden. Die Gewalt des austretenden Wassers
zerstörte mehrere Berghütten und Scheunen und verwüstete etwa hundert Hektar Wälder,
Weiden und Obstgärten. Drei Personen kamen durch die Folgen des Unglücks ums Leben.
Bild 3 und Bild 4 zeigen das Höhenprofil der betroffenen Druckrohrleitung sowie eine
Aufnahme der Unfallzone. Der Schaden trat an Fallrohren auf, die ohne Beschichtung im
Fels verlegt wurden und mit zunehmender Tiefe entsprechend der höheren Belastung eine
höhere Festigkeit und Wandstärke aufwiesen. Obwohl im Vorfeld Implant- und Kerbschlag-
versuche mit zufriedenstellenden Ergebnissen durchgeführt wurden, traten an UP-Schwei-
ßungen dennoch Kaltrisse auf. Diese konnten auch nach Reparaturschweißungen nicht
vermieden werden.
Als Gründe für das Versagen wurden die hohe Härte und eine unzureichende Zähigkeit im
Schweißgut, verbunden mit einem unbekannten Wasserstoffgehalt, der wahrscheinlich über
2 ml/100g lag, identifiziert. Möglich wäre neben der daraus resultierenden wasserstoffunter-
stützten Kaltrissbildung auch eine überlagerte wasserstoffunterstützte Spannungsrisskorro-
sion. Die Ursache für den erhöhten Wasserstoffgehalt ist zum einen in der kathodischen
Wasserstoffaufnahme zu sehen, die durch ein Absinken des pH-Wertes und des elektro-
16 BAM-Dissertationsreihe
_______________________________________________________________1 Einleitung
Dieses Beispiel zeigt nicht nur, dass der Vermeidung einer wasserstoffunterstützten Kalt-
rissbildung in modernen Feinkornbaustählen vor dem Hintergrund steigender Festigkeiten
17
1 Einleitung_______________________________________________________________
und abnehmender Zähigkeiten mehr Beachtung geschenkt werden muss. Denn gleichzeitig
wird mit steigender Festigkeitsklasse der Grund- und Zusatzwerkstoffe eine Verlagerung
der Rissbildung von der Wärmeeinflusszone in das Schweißgut beobachtet. Als Grund
dafür kann einerseits die Diskrepanz in der Entwicklung der Schweißzusatzwerkstoffe und
der Grundwerkstoffe und andererseits das sich mit steigender Festigkeit bezüglich der
Schweißparameter verkleinernde Arbeitsfenster angesehen werden. Es besteht also die
dringende Notwendigkeit der Überarbeitung der Fertigungsspezifikationen. Dadurch wird
sichergestellt, dass dem Anwender Verarbeitungshinweise auf fundierter wissenschaftlicher
Grundlage zur Verfügung stehen, die hinsichtlich der schweißtechnischen Verarbeitung
dieser Werkstoffe und der sich daraus ergebenden Konsequenzen für die Eigenschaften
der wärmebeeinflussten Zone einen sicheren Betrieb der Anlagen ermöglichen.
18 BAM-Dissertationsreihe
____________________________________________________________2 Kenntnisstand
2 Kenntnisstand
2.1 Hochfeste Feinkornbaustähle
Hochfeste Feinkornbaustähle leisten heute einen entscheidenden Beitrag zur Verringerung
der Bauteilgewichte zum Beispiel bei Nutzfahrzeugen, Schiffen und Stahlbauten. Gegen-
über konventionellen Stahlsorten ermöglichen diese Werkstoffe eine Dezimierung der
Blechdicke und damit des Eigengewichtes bei gleichbleibender Tragfähigkeit der Konstruk-
tion. Dadurch ergibt sich die Möglichkeit, Sicherheit und Leichtbau kostengünstig miteinan-
der zu verbinden. Hohe Ansprüche in unterschiedlichen Anwendungsfeldern erfordern
jedoch Werkstoffe, die ein dem jeweiligen Anwendungsfall angepasstes
Eigenschaftsspektrum aufweisen. Deshalb kommt der Weiterentwicklung dieser Werkstoffe
hin zu höherer Festigkeit und Zähigkeit bei gleichzeitig guter Verarbeitbarkeit besondere
Bedeutung zu.
2.1.1 Entwicklung, Herstellung und Eigenschaften
Die nach DIN EN 10027 Teil 1 mit „S“ gekennzeichneten Stähle werden im allgemeinen
Stahlbau eingesetzt und ab einer Streckgrenze von >355 MPa als hochfeste Feinkornbau-
stähle bezeichnet. Die nicht eindeutig definierte Bezeichnung „Hochfester Stahl“ ist seit den
1920er Jahren mit der Einführung der Stahlgüte St52 im deutschen Stahlbrückenbau
üblich. Die Stahlgüte St52 entspricht den heutigen Stählen S355 mit einer Streckgrenze
von 360 MPa [1]. Mit der Weiterentwicklung dieser Stähle hin zu höheren Streckgrenzen in
Verbindung mit einem feinkörnigen Gefüge wurden in Abhängigkeit von der jeweiligen
Mindeststreckgrenze die Bezeichnungen „höherfeste“ bzw. „höchstfeste“ Feinkornbaustähle
geprägt. Da der wichtigste Aspekt für die Verwendung dieser Stähle neben den Festigkeits-
und Zähigkeitseigenschaften die Schweißeignung ist, hat sich im einschlägigen Normen-
und Regelwerk daneben der Begriff „Schweißgeeignete Feinkornbaustähle“ durchgesetzt
[2]-[10].
19
2 Kenntnisstand____________________________________________________________
Stähle mit Streckgrenzen von über 460 MPa bis 1100 MPa werden heute überwiegend
durch Vergüten hergestellt (Route A+C in Bild 5). Dieses umfasst nach dem Walzen zwei
getrennte Verfahrensstufen. Im ersten Schritt, dem Härten, entsteht durch schnelles
Abkühlen (40-50 K/s) von der Austenitisierungstemperatur von ca. 920°C ein an Kohlenstoff
übersättigtes Umwandlungsgefüge aus Martensit und Bainit. Dieses Gefüge besitzt sehr
gute Festigkeitseigenschaften, die aufgrund einer Mischkristallverfestigung durch
Kohlenstoff hervorgerufen werden. Im zweiten Schritt, dem Anlassen, werden fein verteilte
Carbide bei einer Temperatur von ca. 680°C ausgeschieden. Das Anlassgefüge besteht
aus niedrig gekohltem Martensit und feinkörnigem Bainit und besitzt eine extrem
feinkörnige Substruktur mit feindispersen Ausscheidungen. Durch eine abgestimmte
Prozesssteuerung bezüglich des Zeit-Temperatur-Regimes in Verbindung mit der
entsprechenden chemischen Zusammensetzung lässt sich eine für den jeweiligen
Anwendungsfall abgestimmte Kombination von Festigkeit und Zähigkeit einstellen [11],[13]-
[16]. Um eine Gefügeausbildung mit den geforderten Festigkeits- und
Zähigkeitseigenschaften auch im Blechkern zu erreichen, ist in Abhängigkeit von der
Blechdicke der Einsatz der Legierungselemente Mangan, Molybdän, Chrom und Nickel
sowie der Mikrolegierungselemente Vanadin, Bor und Titan erforderlich. Hierbei kommt den
Elementen eine besondere Bedeutung zu, die die kritische Abkühlgeschwindigkeit
herabsetzen, um die gewünschte Umwandlung in Martensit und Bainit bei technisch
realisierbaren Abkühlgeschwindigkeiten zu erreichen. Dazu zählen vor allem die
Legierungselemente Nickel, Molybdän und Chrom sowie die Mikrolegierungselemente
20 BAM-Dissertationsreihe
____________________________________________________________2 Kenntnisstand
Vanadin und Bor. Durch sehr geringe Mengen Bor kann der Beginn der Ferritumwandlung
um mehrere Größenordnungen verschoben werden. Da insbesondere eine Steigerung der
Durchhärtbarkeit nur durch im Stahl gelöstes Bor erreicht wird, muss eine Abbindung des
Bors durch Stickstoff vermieden werden. Die Abbindung des Stickstoffs in borlegierten
Stählen wird durch Titan vorgenommen, welches in einem überstöchiometrischen
Verhältnis zu Stickstoff vorliegen muss. Beim Anlassen führen geringe Gehalte der
Mikrolegierungselemente Vanadin, Titan und Kupfer zu einer weiteren Härtesteigerung
durch eine Ausscheidungshärtung. Zusätzlich gute Zähigkeitseigenschaften werden durch
ein möglichst feinkörniges Gefüge erreicht, welches durch die Senkung der
Umwandlungstemperatur mit Hilfe von Legierungselementen eingestellt wird. Eine Senkung
der Umwandlungstemperatur bewirken vor allem die Elemente Mangan und Nickel
[11],[13],[15],[17]-[19]. Die vergüteten Stähle sind bis zur Streckgrenzenklasse 960 MPa in
DIN EN 10137-2 [8] genormt und werden je nach Wärmebehandlung in verschiedene
Zähigkeitsgütegruppen von 30J nachgewiesener Kerbschlagarbeit bei -20°C, -40°C bzw.
-60°C unterteilt.
Die Herstellung thermomechanisch gewalzter Bleche erfolgt in drei Phasen (Route D oder
E in Bild 5). In Phase 1, der Vorwalzphase wird die aus dem Stoßofen kommende Bramme
auf eine von der Dicke des herzustellenden Bleches abhängige Zwischendicke gewalzt.
Das Ergebnis dieser Verformung und anschließender Rekristallisation ist ein aus der
ehemaligen Gussstruktur entstehendes feines und gleichmäßig ausgebildetes Austenitkorn.
In der sogenannten Pendelphase wird der Walzvorgang unterbrochen, da das Blech bis auf
den für das Fertigwalzen vorgesehenen Temperaturbereich abgekühlt wird. Im Laufe des
Abkühlprozesses der Zwischenbramme scheiden sich Carbonitride der Mikrolegierungs-
elemente aus. Die ab einer vom Verformungsgrad abhängigen Temperatur einsetzende
Rekristallisation wird sowohl durch gelöstes Niob als auch durch die ausgeschiedenen
Carbonitride behindert.
21
2 Kenntnisstand____________________________________________________________
1200
wasservergütet
1000
Mindeststreckgrenze [MPa]
800
600
400
0
1940 1960 1980 2000
Jahr
22 BAM-Dissertationsreihe
____________________________________________________________2 Kenntnisstand
formung wird das Austenitkorn feiner, da eine Rekristallisation in der Endwalzphase nicht
mehr stattfindet. Außerdem bilden sich in Abhängigkeit von der Endwalztemperatur und
dem Verformungsgrad weitere Ausscheidungen bei gleichzeitiger Erhöhung der
Versetzungsdichte. Da die Umwandlung des stark verformten und durch
Versetzungsbänder gekennzeichneten Austenits nicht nur von den Korngrenzen, sondern
auch von Subkorngrenzen im Korninneren ausgeht, ergibt ein sehr feines ferritisches
Gefüge mit feinlamellarem Perlit. Wird nach der TM-Umformung beschleunigt mit Wasser
(15-20 K/s) bis auf Kühlendtemperatur abgekühlt, bildet sich aus dem Austenits neben
voreutektoidem, polygonalem Ferrit durch Umklappvorgänge auch acicularer Ferrit, d.h.
Bainit (Route F in Bild 5). Somit wird neben der Festigkeitserhöhung durch Kornfeinung
auch ein Streckgrenzenanstieg durch Umwandlungshärtung erreicht. Durch nachfolgendes
Anlassen kann, insbesondere bei Grobblech, noch eine Ausscheidungshärtung erzielt
werden.
23
2 Kenntnisstand____________________________________________________________
Abkühlzeit t8,5
Prinzipiell ist mit steigender Streckgrenze der Werkstoffe auf eine strikte Einhaltung der die
∆t8/5 –Zeit beeinflussenden Schweißparameter Vorwärmtemperatur und Wärmeeinbringung
zu achten, da sich das aus den Schweißparametern ergebende Arbeitsfenster verkleinert.
Bild 8 zeigt das Schweiß-Arbeitsfeld am Beispiel eines S960Q.
24 BAM-Dissertationsreihe
____________________________________________________________2 Kenntnisstand
geforderte Festigkeit und Zähigkeit nicht erreicht. Wird hingegen ∆t8/5 min (5 sec in Bild 8)
unterschritten, ist aufgrund des sich einstellenden hohen Martensit- und Bainitgehalts mit
einer unzulässigen Aufhärtung in der WEZ zu rechnen. Der linke Bereich des Arbeitsfens-
ters wird durch den von den jeweiligen Schweißbedingungen abhängenden eingetragenen
diffusiblen Wasserstoffgehalt begrenzt. Hierbei ist zu beachten, dass bei steigenden Was-
serstoffgehalten eine ausreichende Effusion des Wasserstoffs durch entsprechendes
Vorwärmen gewährleistet wird, um kaltrissfreie Schweißverbindungen zu gewährleisten.
Die rechte Seite des Arbeitsfensters ist in der Praxis durch zu hohe und damit unwirtschaft-
liche Vorwärmtemperaturen begrenzt. Es existiert außerdem eine untere Grenze für das
Wärmeeinbringen, bei deren Unterschreitung Bindefehler infolge einer unzureichenden
Aufschmelzung des Grundwerkstoffes auftreten.
25
2 Kenntnisstand____________________________________________________________
ken behandelt wird, treten immer wieder Schadensfälle auf, die auf diese Ursache zurück-
zuführen sind.
26 BAM-Dissertationsreihe
____________________________________________________________2 Kenntnisstand
∆G
[wt. − %]
−
(1) HD = k ⋅ pH 2 mit k = e R⋅T
Da dies für Schweißprozesse eine grobe Vereinfachung darstellt, erfolgt die quantitative
Erfassung der aufgenommenen Wasserstoffkonzentration oftmals experimentell für den
jeweiligen Anwendungsfall. Die so gewonnenen Ergebnisse zeigen einen höheren Gehalt
an Wasserstoff als nach dem Sievert`schen Gesetz berechnet. Einflussfaktoren auf die sich
einstellende Wasserstoffkonzentration sind neben dem Schweißverfahren und den Umge-
bungsbedingungen insbesondere der Elektroden- bzw. Drahttyp, die Schutzgaszusammen-
setzung, die Schweißparameter und die geometrischen Verhältnisse an der Schweißnaht.
Bild 10 zeigt eigene diesbezügliche Untersuchungen am Stahl S690Q in Kombination mit
dem artgleichen Zusatzwerkstoff Union NiMoCr. Der Wasserstoff wurde einem handelsübli-
chen MAG-Schutzgas (18% CO2 / Rest Argon) zugesetzt. Die Bestimmung der Wasser-
27
2 Kenntnisstand____________________________________________________________
Wasserstoffgehalt im aufgeschmolzenen
7,0
6,0
Schweißgut [ml/100g]
5,0
4,0
3,0
2,0
1,0
0,0
0,0% 0,5% 1,0% 1,5% 2,0% 2,5%
Wasserstoffkonzentration im Schutzgas [%]
Die Ergebnisse stimmen sowohl in ihrer Größenordnung als auch in ihrem Verlauf mit
denen von Gedeon und Eager [39] überein, die den Stahl ASTM A36 in Verbindung mit
verschiedenen artgleichen Drahtelektroden für ihre Untersuchungen verwendeten. Dabei
wird offensichtlich, dass auch bei wasserstofffreiem Schutzgas und wasserstofffreien
Elektroden mit einer Grundkonzentration von 1ml/100g aufgeschmolzenem Werkstoff
gerechnet werden muss. Der dafür notwendige Wasserstoff wird durch die umgebende
Atmosphäre eingebracht.
Die Diffusion des Wasserstoffs innerhalb des Metalls stellt den bedeutendsten Transport-
abschnitt dar, da durch diesen Prozess die im Metall vorhandene schädigende Menge
Wasserstoff beeinflusst wird. Wasserstoff als kleinstes Atom wird im Eisen auf tetraedi-
schen und bei höheren Temperaturen auf oktaedrischen Zwischengitterplätzen atomar
gelöst und bildet somit interstitielle Mischkristalle. Verschiedenen Autoren [40],[41] zufolge
ist auch eine Abgabe des Elektrons an die Elektronenhülle des Metalls möglich, so dass
28 BAM-Dissertationsreihe
____________________________________________________________2 Kenntnisstand
der Wasserstoff als Ion vorliegt. Grundlage für einen als Drucktheorie (2.2.3.1) bezeichne-
ten Schädigungsmechanismus bildet die Möglichkeit der Rekombination des Wasserstoffs
innerhalb des Metalls, in dessen Folge der nun als Molekül vorliegende Wasserstoff erheb-
lichen Druck auf die ihn umgebende Matrix ausüben kann. Im Gegensatz zu den hier
hauptsächlich betrachteten Stahlwerkstoffen können beispielsweise Titan- und Magnesi-
umlegierungen heterogene Metall-Wasserstoff-Verbindungen, sogenannte Metallhydride,
bilden.
Die durch die Fickschen Gesetze mathematisch beschriebene Diffusion erfolgt durch eine
Relativbewegung der entsprechenden Teilchen. Nach dem 1. Fickschen Gesetz ist die Zahl
der Atome dn, die in der Zeit dt durch eine senkrecht zum Diffusionsstrom stehende Fläche
A diffundiert, proportional zum örtlichen Konzentrationsgefälle dc/dx. Für räumlich statio-
näre, isotrope und isotherme Diffusion gilt:
1 dn dc
(2) ⋅ = −D ⋅
A dt dx
E
−
(3) D = D0 ⋅ e k ⋅T
E
−
k ⋅T
Dabei ist D0 eine stoffabhängige Größe. Der Boltzmannfaktor e erfasst die Wahrschein-
lichkeit für ein Teilchen, bei Überschreitung einer Aktivierungsenergie E einen Platzwechsel
nach einem bestimmten Mechanismus auszuführen. T ist die absolute Temperatur und k ist
die Boltzmannkonstante. Der Betrag für E hängt vom Platzwechselmechanismus ab. Bei
Einlagerungsmischkristallen, wie sie von Eisen mit Wasserstoff gebildet werden, ist die
Zwischengitterplatz-Diffusion der wahrscheinlichste Platzwechselmechanismus. Da das
Verhältnis der Atomradien der eingelagerten Elemente zur Matrix sehr klein ist, können die
Platzwechsel ohne stärkere Verzerrung des Gitters und bei niedriger Aktivierungsenergie
stattfinden.
Die Gleichung (2) gilt allerdings nur für den Fall, dass der Konzentrationsgradient dc/dx
während des Diffusionsvorganges konstant bleibt, d.h. für den stationären Fall. Das 2.
Ficksche Gesetz beschreibt den instationären Zustand, d.h. die Konzentration variiert als
Funktion von Ort und Zeit als Folge des Konzentrationsausgleiches. Es gilt:
∂c ∂ ⎛ ∂c ⎞
(4) = ⎜D ⎟
∂t ∂x ⎝ ∂x ⎠
29
2 Kenntnisstand____________________________________________________________
Für solche Fälle, bei denen der Diffusionskoeffizient als nahezu unabhängig von der
Konzentration betrachtet werden kann, vereinfacht sich die Gleichung zu:
∂c ∂ 2c
(5) =D 2
∂t ∂x
30 BAM-Dissertationsreihe
____________________________________________________________2 Kenntnisstand
Die Drucktheorie [44]-[46]bietet sich als Erklärung für die Rissbildung in hohlraumbehafte-
ten Bauteilen an. Demnach rekombiniert der atomar gelöste Wasserstoff an inneren Ober-
flächen, z.B. Poren, zu molekularem Wasserstoff. Da dieser nicht mehr diffusionsfähig ist,
bleibt er am Ort seiner Entstehung unter hohem Druck zurück. Durch den Betrieb verur-
sachte Lastspannungen überlagern sich den dabei entstehenden Spannungen und setzen
die Trennfestigkeit des Werkstoffes herab. Eine reversible Wasserstoffversprödung kann
mit der Drucktheorie jedoch nicht erklärt werden, weshalb sie einen wichtigen Beitrag zur
Entwicklung der Adsorptionstheorie leistete. Grundidee dieses von Petch [47] entwickel-
31
2 Kenntnisstand____________________________________________________________
ten Modells ist, dass durch die Adsorption atomaren Wasserstoffs die Oberflächenenergie
an der Rissspitze herabgesetzt wird. Da in rein elastischen Werkstoffen Energie zur Bildung
neuer Oberflächen aufgewendet werden muss, wird durch die Reduzierung der Oberflä-
chenenergie die für den Rissfortschritt erforderliche Spannung erniedrigt. Engel und Spei-
del [48] nehmen an, dass sich ein Riss dann instabil ausbreitet, wenn die bei seinem
Wachstum freiwerdende elastische Spannungsenergie gleich oder größer wird als die
Zunahme der Oberflächenenergie der sich bildenden Risswände.
Von Troiano [49] wurde ein Dekohäsionsmodell entwickelt, da sowohl Druck- als auch
Adhäsionstheorie nicht zur Erklärung experimenteller Ergebnisse zur Wasserstoffversprö-
dung ausreichten. Dieses Konzept basiert auf einer elektronischen Wechselwirkung der
Wasserstoffatome mit den Eisenatomen. Angenommen wird, das die im Gitter gelösten
Wasserstoffatome ihr Elektron an die 3d-Bahnen der Eisenatome abgeben und somit als
Ion im Gitter vorliegen. Die an den entsprechenden Stellen steigende Elektronenkonzentra-
tion führt zur Erhöhung der abstoßenden Kräfte der Atomkerne und damit zu einer Erniedri-
gung der Kohäsionskräfte der Eisenatome. Oriani [50] entwickelte auf Grundlage des
Dekohäsionsmodells die Dekohäsionstheorie, welche grundsätzlich eine mechanistische
Beschreibung des wasserstoffunterstützten Risswachstums in hochfesten Stählen darstellt.
Diese Einschränkung wird deshalb getroffen, da nach Oriani und Josephic [51] ein Riss in
einer wasserstoffbeaufschlagten Umgebung nur so lange weiterwachsen kann, wie eine
kritische Wasserstoffkonzentration cHK erhalten bleibt. Dies ist nur dann der Fall, wenn die
Geometrie der Rissspitze erhalten bleibt, d.h. der Riss wächst nur linear elastisch und
erfährt keine Abstumpfung durch plastische Verformung, was lediglich für einen atomar
scharfen Riss in krz-Metallen möglich ist. Doch selbst bei Stählen mit einer sehr hohen
Festigkeit von 900-1820 MPa wurde von [52] eine wasserstoffinduzierte, plastische Zone
an der Rissspitze beobachtet.
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die beschriebenen Theorien zwar in der
Lage sind, Teilaspekte der wasserstoffunterstützten Änderung der mechanischen Eigen-
schaften, speziell im Bereich der irreversiblen Wasserstoffaufnahme, zu erklären. Unter
Berücksichtigung verschiedener Randbedingungen können sie jedoch keine umfassende
Lösung bieten. In diesem Zusammenhang sei auf weiterführende Literatur verwiesen, die
ein Modell beschreibt, welches die häufig in Experimenten gefundene Doppelwirkung, d.h.
Softening und Hardening, von im Eisengitter gelösten Wasserstoffatomen im reversiblen
Bereich der Wasserstoffaufnahme beschreibt [53].
2.2.3.2 Weitere metallische Werkstoffe
Austenitische Stähle
Daraus ergeben sich einerseits sehr lange Einwirkzeiten, um eine risskritische Wasserstoff-
konzentration zu erreichen. Andererseits besitzen austenitische Werkstoffe prinzipiell eine
höhere Verformungsfähigkeit als ferritische Werkstoffe.
32 BAM-Dissertationsreihe
____________________________________________________________2 Kenntnisstand
Die Notwendigkeit der Kenntnis der Aspekte der Wasserstoffschädigung der kfz-Werkstoffe
beruht auf der Tatsache, dass seit einiger Zeit in der Literatur die Spannungsrisskorrosion
von austenitischen Stählen mit dem Einwirken von Wasserstoff in Verbindung gebracht wird
[54]. Aber auch die mechanischen Eigenschaften der austenitischen Werkstoffe werden
durch im Gitter gelösten Wasserstoff negativ beeinflusst.
So wurde z.B. von Luppo, Hasarabedian, und Ovejero-Garcia [55] der Einfluss von δ-Ferrit
auf die durch Wasserstoff verursachte Schädigung des austenitischen Gefüges von
Schweißnähten untersucht. Dazu wurden Proben des Stahles AISI 304 (entspricht
X 5 CrNi 1810) mit WIG-Schweißnähten aus verschiedenen austenitischen
Zusatzwerkstoffen versehen, welche einen unterschiedlich hohen δ-Ferrit-Anteil im
Schweißgut erzeugen. Nach katodischer Beladung wurde durch Zugversuche der Grad der
Herabsetzung der mechanischen Eigenschaften durch Wasserstoff untersucht. Es wurde
festgestellt, dass die Austenit/Ferrit Grenzflächen Wasserstofffallen darstellen, und dass mit
steigendem Ferritanteil die Schädigung durch Wasserstoff zunimmt.
Außerdem wird die durch Wasserstoff hervorgerufene Schädigung von der Verteilung des
Ferrits im Gefüge beeinflusst. Liegt dieser als beständige Phase vor, wird sie durch die
Wasserstoffdiffusion in dieser Phase kontrolliert. Liegt der Ferrit als unbeständige Phase
vor, nimmt der Grad der Schädigung mit sinkender Stapelfehlerenergie zu.
Das Verhalten von austenitischen Stählen in Druckwasserstoff wird in [56] und [57]
beschrieben. Im Gegensatz zu kathodisch bereitgestelltem Wasserstoff, welcher die Re-
sistenz der Körner gegen Rissbildung beeinflusst, ruft Druckwasserstoff einen interkristalli-
nen Rissverlauf hervor, da in diesem Fall die Beständigkeit der Korngrenzen herabgesetzt
wird [56].
In [57] wurde von Kussmaul, Deimel, Sattler, und Fischer der Stahl X 10 CrNiTi 18 9
bezüglich des Einflusses von Druckwasserstoff untersucht. Als Ergebnis von Zugversuchen
zeigte sich, dass dieser Stahl fast genauso stark durch Wasserstoff geschädigt wird wie der
ferritische Stahl StE 480.7 TM. Der Einfluss von Wasserstoff verstärkt sich mit zunehmen-
dem Druck und sinkender Beanspruchungsgeschwindigkeit. Bei 100°C ist ein Einfluss von
Wasserstoff auf die Verformungskennwerte des Zugversuches, die Risswiderstandskurven
sowie die zyklischen Risswachstumsraten nicht mehr nachweisbar.
33
2 Kenntnisstand____________________________________________________________
fluss, wird jedoch nicht von Wasserstoff beeinflusst. Das gleiche Ergebnis wurde bei
bruchmechanischen Untersuchungen für die Risswiderstandskurve gefunden. Nur die
Risswachstumsrate bei Raumtemperatur war leicht erhöht. Auch die mechanischen Werk-
stoffkennwerte der verschiedenen Gefügebereiche einer artgleichen Schweißnaht dieser
Legierung zeigten keinen Einfluss auf eine Prüfung unter Druckwasserstoff.
Für Werkstoffe der Klasse 1XXX (reines Aluminium) wird als Ergebnis einer kathodischen
Beladung mit Wasserstoff eine Erhöhung der Streckgrenze und der Zugfestigkeit und eine
Abnahme der Bruchdehnung angegeben [60],[61]. Unter Wasserstoffbeladung geprüfte
Zugproben zeigten ein duktiles Bruchbild und im Gegensatz zu Al-Legierungen keine
interkristallinen Brüche und Sekundärrisse. Die Beladung führt zu einer aufgehärteten
Randschicht, deren Härte mit der Beladungsdauer und einer Erhöhung der Stromdichte
zunimmt. Der Härteanstieg ist auf eine Erhöhung der Versetzungsdichte zurückzuführen.
Legierungen der Klasse 5XXX [61],[62] erhalten ihre Festigkeit durch eine Ausscheidungs-
härtung bzw. Kaltumformung. Sie besitzen eine gute Korrosionsbeständigkeit und sind gut
schweißbar. Durch den Wärmeeintrag beim Schweißen ist ein durch anschließende Kalt-
umformung wiederherstellbarer Verlust der Festigkeitseigenschaften in der Wärmeeinfluss-
zone zu beobachten. Die Spannungsrisskorrosion dieser Werkstoffe steht in Beziehung zu
entlang der Korngrenzen angelagerten Ausscheidungen der β-Phase (Al2Mg3). Ist diese
Phase beständig, besteht eine erhöhte Empfindlichkeit für interkristalline Spannungsrisskor-
rosion durch Wasserstoffversprödung. Andere vorgeschlagene Mechanismen beschreiben,
dass die Spannungsrisskorrosion durch die Passivschicht an der Rissspitze kontrolliert
wird.
Die Festigkeits- und Schweißeigenschaften der 6XXX Legierungen entsprechen denen der
Klasse 5XXX. Auch bei diesen Werkstoffen lässt sich der Verlust von Festigkeitseigen-
schaften als Folge des Wärmeeintrags beim Schweißen wieder ausgleichen. Dies ge-
schieht entweder durch eine Wärmebehandlung oder eine erneute Ausscheidungshärtung
[62].
Magnesium-Legierungen
Hauptlegierungselemente für Magnesium sind Aluminium, Silizium, Zink und Mangan. Bei
Aufnahme atomaren Wasserstoffs können Hydride der Form MgH2 gebildet werden, die
wahrscheinlich die mechanischen Eigenschaften beeinflussen. In Mg-Al-Zn-Mn-Legierun-
gen können unter Normalbedingungen je nach Legierungsgehalt bis zu 0,7 At.-% Wasser-
stoff gelöst sein. Dabei nehmen mit steigendem Wasserstoffgehalt Zugfestigkeit, 0,2%-
Dehngrenze und Bruchdehnung ab [63],[64]. In ternären Systemen ist der Einfluss des
gelösten Wasserstoffs auf die mechanischen Eigenschaften unterschiedlich. Während die
Festigkeits- und Zähigkeitswerte im System Mg-Al-H mit steigendem Wasserstoffgehalt
abnehmen, nehmen sie im System Mg-Zn-H zu. Im System Mg-Mn-H ist mit steigendem
Wasserstoffgehalt keine Änderung der Festigkeitswerte festzustellen [63],[65]-[67].
34 BAM-Dissertationsreihe
____________________________________________________________2 Kenntnisstand
MPa und die Einschnürung von 18,5% auf 18,3%. Die Zugfestigkeit erhöhte sich hingegen
um 2,8 MPa. Für die Legierung 2 wurde bei einer Verdreifachung des Wasserstoffgehaltes
eine Erhöhung von Streckgrenze und Zugfestigkeit um 8,2 MPa bzw. 9,6 MPa gefunden.
Auch die Einschnürung stieg von 17,0% auf 17,2%. Man kann davon ausgehen, dass die
bestimmten Unterschiede im Bereich der Messgenauigkeit liegen.
Sauerwald [65] hingegen stellte an einer Mg-Legierung mit 8,5% Aluminium fest, dass der
gelöste Wasserstoffs ab einem Gehalt von 19 ml/100g durchaus einen großen Einfluss auf
die mechanischen Eigenschaften und insbesondere auf die Einschnürung hat. Diese sank
bei einem Wasserstoffgehalt von 21,8 ml/100g von 10% auf 1,5%. Die Zugfestigkeit sank
um 50%. Da die Wasserstoffbestimmung am flüssigen Metall erfolgte, kann über den
Wasserstoffgehalt der bei Raumtemperatur geprüften Gussstücke keine Aussage gemacht
werden. Mit steigendem Wasserstoffgehalt in der Schmelze ist auch eine Kornvergröberung
festgestellt worden, so dass der Schluss nahe liegt, dass die beobachtete Versprödung
durch eine wasserstoffinduzierte Kornvergröberung bedingt ist.
Stampella et al. untersuchten in [68] den Einfluss von im Metallgitter gelöstem Wasserstoff
auf die mechanischen Eigenschaften von reinem (99,5%) und hochreinem (99,95%) Mag-
nesium. Die Proben wurden elektrolytisch mit Wasserstoff beladen und dann slow-strain-
rate Tests unterzogen. Es zeigte sich anhand von Spannungs-Dehnungs-Kurven und
fraktografischen Untersuchungen, dass Wasserstoffaufnahme und –versprödung nur unter
anodischer Polarisation der Proben und damit verbundener Pittingbildung möglich ist. Bei
kathodischer Polarisation der Proben wird die Passivschicht nicht durchbrochen, und somit
ist keine Wasserstoffaufnahme möglich.
Die Ergebnisse von Stampella et al. [68] konnten durch eigene Untersuchungen [69] an
einer Mg-Al-Sr-Legierung bestätigt werden. Wasserstoffaufnahme fand weder aus der
Gasphase bei erhöhtem Druck und erhöhter Temperatur noch unter kathodischer Polarisa-
tion statt. Lediglich unter den Bedingungen freier Korrosion und anodischer Polarisation war
eine Wasserstoffaufnahme in Verbindung mit Pittingbildung zu beobachten. Prinzipiell
wurde trotz einer relativ hohen Streuung der Versuchsergebnisse eine geringfügige Ab-
nahme von 0,2%-Dehngrenze und Zugfestigkeit festgestellt. Aufgrund der hexagonalen
Gitterstruktur und der daraus resultierenden geringen Anzahl von 6 Gleitsystemen ergeben
sich selbst bei wasserstofffreiem Gitter sehr niedrige Dehnungskennwerte. Deshalb lässt
sich im Gegensatz zu den wasserstoffempfindlichen Stählen die Einschnürung nicht als
Maß für die Versprödungswirkung heranziehen.
35
2 Kenntnisstand____________________________________________________________
Je nach Höhe der Vorwärmtemperatur wird die Probe nach Abkühlung auf eine bestimmte
Temperatur für mindestens 16 Stunden einer statischen Zugbelastung ausgesetzt, und die
Zeit bis zum Bruch der Probe registriert. Ist das Versagenskriterium nicht der Bruch, son-
dern der Anriss der Probe, werden sämtliche nicht gebrochenen Proben metallographisch
auf Anrisse untersucht. Die zu variierenden Versuchsparameter sind der Wasserstoffgehalt
des Schweißgutes, der zeitliche Temperaturverlauf im Schweißgut und in der Wärmeein-
flusszone und die mechanische Beanspruchung der Probe. Die Ergebnisse werden in der
Regel in Diagrammen als kritische Spannungen in Abhängigkeit von den Schweißparame-
tern, wie diffusibler Wasserstoffgehalt und Vorwärmtemperatur, dargestellt. Unter „kritischer
Spannung“, auch bezeichnet als „kritische Implantspannung“, versteht man hierbei die
Spannung, bei der, bezogen auf den Querschnitt im Kerbgrund, kein Bruch oder Anriss
mehr auftritt [70]-[74].
36 BAM-Dissertationsreihe
____________________________________________________________2 Kenntnisstand
a) b)
200
Temperaturmessstelle
Schweißrichtung
150
20
A A
60
d Schnitt A-A
60
300
Einschweißplatte
Prüfkraft, F
60 Implantprobe
37
2 Kenntnisstand____________________________________________________________
kurz nach dem Ende des Schweißvorgangs mit Hilfe einer geeigneten Vorrichtung gezielt
erzeugt werden. Damit versucht man beim TRC-Test der Auffassung gerecht zu werden,
dass beim RRC-Test örtliche Spannungen ihr Maximum viel früher erreichen als die in der
Prüfanordnung gemessenen globalen Spannungen [73]-[76].
a)
60° 60°
400
15
2
60°
79.5
83.5
60°
Zugzylinder
Zuganker
1.6
170
10
8 Kugelgelenke
Fester Lager
6
b) 1.
35
c)
A) B)
35
Bild 12: a) zeitlicher Verlauf der Zugspannungen beim TRC- und RRC-Test [76]
b) Probenform BAM [76]
c) Probenform TU Braunschweig [76]
2.3.1.2.2 LTP-Test
Der in der damaligen UdSSR in den fünfziger Jahren entwickelte und dort weit verbreitete
LTP-Test (LTP = Anfangsbuchstaben der russischen Bezeichnung für „Laboratorium für
technologische Festigkeit“) ist ein weiterer fremdbeanspruchter Kaltrisstest. Er wird zur
Untersuchung von Schweißgut und Wärmeeinflusszone von Kehlnähten und Auftrags-
schweißungen unter konstanter Biegebeanspruchung eingesetzt [76]-[80]. Bild 13 zeigt
38 BAM-Dissertationsreihe
____________________________________________________________2 Kenntnisstand
neben der Probenform zur Prüfung von Kehlnähten das Belastungsschema der Prüfma-
schine und ein Beispiel zur Darstellung der Versuchsergebnisse.
Belastung
a)
Bruch
konstante Last
b)
konstante Last, P
c)
unmittelbar nach dem Schweißen
39
2 Kenntnisstand____________________________________________________________
Versuchsaufbaues und hohen Prüfaufwandes ist der Test eher zur Grundlagenforschung
geeignet, z.B. um grundlegende Informationen zu Rissausgangspunkt und Rissfortschritt,
sowie zur Wasserstoffeffusion zu erhalten.
Draufsicht
Probe für Bestimmung
des diffusiblen
Wasserstoffgehaltes
zu testende Probe
Elektrode
31
Sc Proben 42
hw
eiß k Radius 20”
ric toc
htu ubs
ng a
hr
Sc
unter Beanspruchung
zu untersuchende
Flächen
Im Laufe der Entwicklung dieser Art von Kaltrissprüfverfahren haben sich 3 Varianten
herausgebildet, die sich hauptsächlich durch die verwendete Nahtform sowie die Möglich-
keit der Einflussnahme auf die Höhe der sich einstellenden mechanischen Spannungen
unterscheiden. Einer der am häufigsten angewendeten selbstbeanspruchenden Kaltriss-
tests ist der von Suzuki et. al. entwickelte TEKKEN-Test. Er erhielt seinen Namen nach den
Anfangssilben der japanischen Bezeichnung für „Japanisches Eisenbahn-Forschungsinsti-
tut“. Nach Standardisierung in Japan und Vereinfachung der Probengeometrie wurde das
Verfahren auch in Deutschland genormt und liegt seit 2004 auch als ISO vor
[70],[72],[73],[85],[86]. Beim TEKKEN-Test in seiner heutigen Form werden zwei aus dem
zu untersuchenden Werkstoff bestehende Probenbleche gleicher Dicke mit zwei Anker-
nähten so verbunden, dass ein ca. 80 mm langer Schlitz entsteht. Diese Fuge mit Y-Naht-
40 BAM-Dissertationsreihe
____________________________________________________________2 Kenntnisstand
t/2
t>10
Ankernaht
B A 2+0.2
150
B A Schnitt B-B
t/2
t>10
vorgesehene Prüfnaht
2+0.2
2-3 80 2-3
Blechdicke > 10 mm
41
2 Kenntnisstand____________________________________________________________
Prüfnaht
t
R
t/2
A
W
O g
200
a) einseitige U-Naht
W
A g
60 80 60
6
6
t
R
t/2
6
R
20°
b) zweiseitige U-Naht
Schweißen der Prüfnaht t: Dicke der Platte
g: Wurzelspalt
W: Lochdurchmesser
ca. 2 ca. 2
Der ebenfalls selbstbeanspruchende Lehigh-Test wurde in den 40iger Jahren des vergan-
genen Jahrhunderts an der gleichnamigen Universität in den USA entwickelt. Im Unter-
schied zu den vorher beschriebenen Prüfverfahren lässt sich die Steifigkeit und damit die
Höhe der sich einstellenden mechanischen Spannungen nicht nur über die Blechdicke,
sondern auch über die Änderung der Tiefe einer Reihe von Sägeschnitten einstellen. In der
Literatur sind eine große Anzahl vorgeschlagener Varianten des Lehigh-Tests dokumen-
tiert. Bild 17 zeigt die in der Bundesanstalt für Materialforschung und –prüfung verwendete
Probenform. Aufgrund der Geometrie lassen sich bei verschiedenen Probenserien ver-
schiedene Steifigkeiten einstellen. Diese werden umso niedriger, je tiefer die Sägeschnitte
und je kleiner das Maß X ist. Der kritische Wert des sogenannten Verspannungsgrades für
die Kaltrissbildung lässt sich durch die Länge 2X kennzeichnen, die gerade noch ausreicht,
um Kaltrisse zu erzeugen [76].
42 BAM-Dissertationsreihe
____________________________________________________________2 Kenntnisstand
300
Schnitt A-A
X
A
1
2
20°
13
A 6
X 125 87.5
Sägeschnitte
2.3.2.2 CTS-Test
Der CTS-Test (Controlled Thermal Severity-Test) ist eines der ältesten Prüfverfahren zur
Untersuchung der wasserstoffbeeinflussten Rissbildung und wurde 1940 in England entwi-
ckelt. Er diente in seiner ursprünglichen Form zur Ableitung eines sogenannten Schweiß-
barkeitsindex`, der zur Sicherstellung kaltrissfreier Schweißungen auf Bauteile übertragen
wurde. Die Selbstbeanspruchung der Probe geht von zwei Test-Kehlnähten aus, die unter
definierten Bedingungen geschweißt werden. Da die Abkühlgeschwindigkeit zwischen
400°C und 200°C als Einflussfaktor auf die Rissbildung berücksichtigt werden sollte, legte
man die zwei Testnähte so, dass einmal ein bithermaler (nach zwei Seiten gerichteter) und
einmal ein trithermaler (nach drei Seiten gerichteter) Wärmeabfluss auftritt. Zur Beschrei-
bung der Wärmeableitbedingungen wurden „Thermal-Severity“-Nummern (TSN) eingeführt,
die sich nach einer einfachen Berechnungsformel aus der Probendicke und dem jeweiligen
Wärmeabfluss ergeben. Verändert man in einer Testserie die Probendicke, lässt sich eine
kritische TSN bestimmen, bei der bei den gewählten Schweißparametern keine Risse mehr
auftreten. Der kritischen TSN, die eine gerade noch zulässige Abkühlgeschwindigkeit bei
300°C beschreibt, wird dann ein Schweißbarkeitsindex zugeordnet. Um die Testergebnisse
zur Festlegung von Schweißparametern zu nutzen, werden auch an den Bauteilnähten
TSN bestimmt. Ist eine solche TSN kleiner als die kritische TSN im CTS-Test, kühlt die
Naht im Bauteil langsamer ab und bleibt somit rissfrei. Ist sie jedoch größer, kühlt die
43
2 Kenntnisstand____________________________________________________________
Bauteilnaht schneller ab und muss zur Sicherstellung der Rissfreiheit vorgewärmt werden
[73],[76],[88],[89].
Die heute übliche Variante des CTS-Tests [70] wurde anfänglich als „modifizierter CTS-
Test“ bezeichnet. Bild 18 zeigt die nunmehr völlig symmetrische Probe. Dadurch ist die
Wärmeableitung immer dreiseitig, und beide Testnähte unterliegen identischen Schrumpf-
behinderungen. Zur Erhöhung der Prüfschärfe wird zwischen Grund- und Deckplatte eine
Nut eingebracht, die, ähnlich wie beim Implant- und TEKKEN-Versuch, einen mehrachsigen
Spannungszustand nach Schweißende bewirkt. Ein weiterer wesentlicher Unterschied
besteht in der unmittelbar nach dem Schweißen einer Test-Kehlnaht durchzuführenden
Kühlung der Probe in fließendem Wasser. Dazu wird die Probe mit der gegenüberliegenden
Seite bis zu einer Tiefe von 60 mm eingetaucht und bis zur völligen Abkühlung im Wasser-
bad belassen. Nach Auslagerung von mindestens 48 h wird die zweite Test-Kehlnaht
geschweißt, in gleicher Weise abgekühlt und ebenfalls 48 h ausgelagert. Danach erfolgt die
metallografische Untersuchung, indem jede Testnaht in vier gleich große Prüfstücke zerlegt
wird, deren Stirnflächen auf Risse kontrolliert werden. Im Schweißgut darf die Gesamtlänge
der Wurzelrisse 5% der Nahtdicke nicht überschreiten. Ebenso darf die Gesamtlänge von
WEZ-Rissen nicht 5% der Schenkellänge der Kehlnaht überschreiten. Zur Charakterisie-
rung der Gefügeaufhärtung wird eine Vickershärteprüfung in der WEZ und im Schweißgut
vorgenommen.
a) 75
10
Prüfnaht
obere Platte
1.6
t
Grundplatte M12
Ankernähte Nut
b)
C)
19
100
75
19
75 50 75 t
Sägeschnitte
250
44 BAM-Dissertationsreihe
____________________________________________________________2 Kenntnisstand
2.3.2.3 IRC-Test
Der Vorteil des als Variante des RRC-Tests (Rigid Restraint Cracking-Test , Abschnitt
2.3.2.4.1) an der Universität der Bundeswehr in Hamburg entwickelten IRC-Tests (Instru-
mented Restraint Cracking Test) ist die Möglichkeit der direkten Übertragung realer
Schweißvorgänge auf Laborproben mittels eines relativ einfachen Versuchsaufbaus. Dazu
wird die zu untersuchende Probe mit Hilfe einer geeigneten Spannvorrichtung in einem
sehr steifen Rahmen fixiert und unter definierten Bedingungen ein- oder mehrlagig ge-
schweißt (Bild 19). Realisiert werden können verschiedene Blechdicken, Nahtgeometrien
und Arten von Schweißstößen.
a) c)
Z
Y
270 X 600 900
Schweißnaht Temp.
Temperatur (°C)
500
Spannung(MPa)
σFy + σMx
204
520
400 600
100
300
σFy
σMx
200 300
IRC-Probe
Spannbacken (Stumpfnaht) 100
0 0
1 10 100 1000 10000
b) Zeit (s)
σFy: Schrumpfreaktionsspannung
Y infolge der Kraft in y-Richtung
Z
X σMx: Schrumpfreaktionsspannung
100
450
585
110
60
900
1000
Die verschiedenen Steifigkeiten von realen Konstruktionen können durch Variation der
Blechdicke und der Einspannlänge der Probe simuliert werden. Die Applikation von Dehn-
messstreifen innerhalb der Probenaufnahme ermöglicht eine Aufzeichnung der Schrumpf-
reaktionskraft und der Schrumpfreaktionsmomente während des Schweißens und während
des Abkühlens der Probe. Aus diesen Werten lässt sich die für das Auftreten von Kaltrissen
verantwortliche Spannung in Nahtquerrichtung berechnen. Als Vergleichsmaßstab für die
Kaltrissanfälligkeit unterschiedlicher Schweißverbindungen lässt sich die Zeit bis zum
Eintreten eines möglichen Risses und die prozentuale Rissquerschnittsfläche heranziehen.
Eine weitere Einsatzmöglichkeit dieses Tests ist die Quantifizierung der Schrumpfspannun-
gen in Abhängigkeit von den Schweißparametern, der Schweißnahtgeometrie und der
Werkstoff/Zusatzwerkstoffkombination [72],[90],[91].
45
2 Kenntnisstand____________________________________________________________
Stromquelle Oszillograph
Steuereinheit Messverstärker
Mobiles Querhaupt
Fixes Querhaupt
Wegaufnehmer
Antriebsmotoren Probe
Länge
Starrer Rahmen
Kraftmessdose
2.3.2.4.2 Cruciform-Versuch
Die ersten Versuche auf Grundlage dieses Prüfverfahrens wurden 1947 in den USA durch-
geführt. Der Test erlangte internationale Verbreitung nach seiner Weiterentwicklung bezüg-
lich Blechdicke, Zwischenlagentemperatur und Schweißnahtfolge. Bild 21 zeigt die heute
verwendete Probenform. Dabei hängen Probenlänge, -breite und –höhe sowie die
Prüfnahtlänge von der Blechdicke und vom Schweißverfahren ab. Geprüft wird die Kaltriss-
empfindlichkeit von Schweißgut und Wärmeeinflusszone von Kehlnähten. Dazu wird, wie in
der Skizze ersichtlich, ein Kreuzstoß zuerst geheftet, um dann vier Kehlnähte in vorge-
46 BAM-Dissertationsreihe
____________________________________________________________2 Kenntnisstand
schriebener Reihenfolge herzustellen. Zwischen den einzelnen Nähten ist die Probe auf
Raumtemperatur abkühlen zu lassen. Mit zunehmender Nahtzahl steigt die durch die
Schrumpfbehinderung induzierte Spannung an. Im Vordergrund steht dabei die Winkel-
schrumpfung. Die höchste Rissanfälligkeit zeigt stets die Naht 3. Dieses Phänomen wird
einerseits durch die hohe thermische Ausdehnung beim Schweißen der vierten Naht in
Verbindung mit der zu diesem Zeitpunkt vorliegenden hohen Steifigkeit erklärt. Andererseits
ist eine ungünstige Wasserstoffverteilung durch Diffusion oder unterschiedliche Abkühlzei-
ten in der WEZ der einzelnen Nähte als Erklärung denkbar [72],[75],[76],[93].
a) b)
Heftschweißung
H
Prüfnaht
1 2
t
4 3
Lp
L B
C)
Blechdicke Proben- Proben- Proben- Prüfnaht- Schweiß-
(t) länge breite höhe länge prozess
(L) (B) (H) (Lp)
150 150 75 50 E, MAG,
10 bis 15 MIG, WIG
300 300 150 150 UP
16 bis 50 300 300 150 150 alle
47
2 Kenntnisstand____________________________________________________________
50
A)
1
2 25
0
15
0
3 32
B)
t >10
tw
tc
75 1: Absatz 1
2: Unterblech
3: Unterblechversteifung tw: Nahtdicke
4: Prüfnaht tc: Risstiefe
2.3.2.4.4 RGW-Test
Der Name RGW-Test leitet sich aus den Anfangsbuchstaben des Wirtschaftsverbundes
„Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe“ der ehemaligen so genannten Ostblockstaaten ab,
in denen er hauptsächlich verbreitet war. Er bietet die Möglichkeit, unterschiedliche Ein-
spannlängen und damit verschiedene Steifigkeiten von Schweißverbindungen zu realisie-
ren. Dazu werden rechtwinklige Probenelementpaare in eine Einspannplatte eingesetzt und
fixiert (Bild 23). Jedes Probenpaar besteht aus den eigentlichen Probenblechen und den
angeschweißten Stegblechen, welche nach dem Schweißen einer einlagigen Zugraupe die
Querschrumpfung der Schweißverbindung behindern. Nach einer mindestens 16stündiger
Auslagerungszeit erfolgt eine Sichtprüfung. Sind keine Risse sichtbar, erfolgt eine oxidie-
rende Glühung der Probe bei 350°C für 2 Stunden. Nach dem darauf folgenden Brechen
der Probe sind eventuell vorhandene Kaltrisse aufgrund der Anlauffarben gut von der
Restbruchfläche zu unterscheiden. Ermittelt werden die Schweißparameter Wasserstoffge-
halt im Schweißgut, Streckenenergie und Vorwärmtemperatur, bei denen kaltrissfrei ge-
schweißt werden kann [72],[96],[97].
48 BAM-Dissertationsreihe
____________________________________________________________2 Kenntnisstand
t/2
t
3
2: Befestigungsspindel
20
3: Kraterblech
4: Einspannplatte
h/2
h>100
5: Probenelement
>16 Le
Prüfanordnung kurz mittel lang
b) 3 4 5
Gesamtlänge 310 360 510
Einspannlänge 100 150 300
100
A A
Lg
Dazu werden zwei stabile Grundplatten, von denen eine einen definierten Spalt aufweist,
durch eine Klemmvorrichtung fixiert. Danach wird der Spalt mit der Prüfraupe überschweißt.
Die sich während der Abkühlung aufbauende Längsspannung kann im Zusammenhang mit
der Spannungskonzentration am Spalt Querrisse im Schweißgut induzieren. Nach
24stündiger Auslagerungszeit erfolgt ein oxidierendes Glühen und nachfolgendes Brechen
der Probe. Sind Kaltrisse aufgetreten, heben sie sich aufgrund der Anlauffarben gut von der
Restbruchfläche ab [73],[75],[98]-[100].
2.3.2.4.6 Bead Bend Test
Der Bead Bend Test wurde zur Bewertung der Kaltrissempfindlichkeit geschweißter Bau-
teile von Mitarbeitern der Böhler Welding Austria GmbH entwickelt. Bewertet wird die
Empfindlichkeit von Schweißgütern in Mehrlagenschweißungen (Bild 25). Ursprünglich
handelte es sich um ein Prüfverfahren, welches ausschließlich zur Prüfung von Orbitalnäh-
ten eingesetzt wurde. In seiner heutigen Form werden beim Bead Bend Test unterschiedli-
che Schrumpfbehinderungen durch die Probendicke und die Art der Fixierung der Proben-
bleche realisiert. So ist es z.B. möglich, die Ankernähte durch Klemmen zu ersetzen, die
eine Querschrumpfung zulassen, eine Winkelschrumpfung jedoch nicht.
49
2 Kenntnisstand____________________________________________________________
a) A
bearbeitet
0.75
Prüfnaht
125
Klemme Klemme
gefräste Aussparung
bearbeitet
A
100 100
b)
Schnitt A-A
50
37.5 50 37.5
50 BAM-Dissertationsreihe
____________________________________________________________2 Kenntnisstand
Probenlage
1 2 3 4
1: Probeblech (API 5 LX 70)
(auf Grundplatte geschweißt)
2: Schweißnaht
3: Probe
0
4: Grundplatte
30
Probe
d
250 Schweißgut
4·d
Biegevorrichtung
Prüffläche Grundwerkstoff
F
X
R90
Y
Prüffläche
Nach dem Polieren der Prüffläche wird die gesamte Probe für 16 h bei 250°C wasserstoff-
frei geglüht, damit beim anschließenden Biegen eine Aktivierung von eventuell getraptem
Wasserstoff ausgeschlossen wird. So wird eine Überlagerung der Versuchsergebnisse mit
dem sogenannten Fischaugenphänomen ausgeschlossen. Durch das wie in Bild 25 darge-
stellte Biegen der Probe werden die eventuell vorhandenen Mikrorisse aufgeweitet, so dass
sie selbst mit bloßem Auge gut sichtbar sind. Vorteil des Testverfahrens ist die relativ große
Inspektionsfläche der Probe. Dadurch erhält man selbst bei nur einer Probe je Parameter-
satz umfangreiche Informationen über die Kaltrissempfindlichkeit des untersuchten
Schweißgutes. Als Ergebnis können beispielsweise minimale Zwischenlagentemperaturen
in Abhängigkeit von Blechdicke und Festigkeit des Zusatzwerkstoffes bestimmt werden.
Durch die Möglichkeit der Variation der Steifigkeit erhofft man sich eine gute Übertragbar-
keit auf reale Schweißverbindungen, besonders auf Feldschweißungen im Rohrleitungsbau
[101].
51
2 Kenntnisstand____________________________________________________________
Walzrichtung L
2 1/4 ”
A A l 1 ''
2”
Schnitt A-A
Schweißraupe
Unternaht-Riss, % l / L x100
3”
L = Länge der Schweißnaht
l = Länge des Unternahtrisses
52 BAM-Dissertationsreihe
____________________________________________________________2 Kenntnisstand
in der WEZ oder im Schweißgut führen kann. Die Höhe der sich einstellenden Spannungen
kann über die Wahl verschiedener Kreisdurchmesser variiert werden. Zum Nachweis von
Rissen werden magnetische, röntgenografische und metallografische Verfahren genutzt.
Der Test wird hauptsächlich zur Abnahmeprüfung verwendet, bei der die Schweißbarkeit
einer bestimmten Werkstoff / Zusatzwerkstoffkombination demonstriert wird.
20° 1/2”
Quad. 1
Quad. 2
24”
d d
L 1”
Quad. 3
12” 12”
A Schnitt A - A
Probenbleche Spannschrauben
7"
Spannplatte
14"
53
2 Kenntnisstand____________________________________________________________
Der Schnadt Fisco Test wurde in den 70iger Jahren zur Beurteilung der Schweißbarkeit von
Orbitalnähten von Rohrleitungen entwickelt [108]. Wie im Bild 28 beschrieben, werden zwei
Bleche in einer Spannvorrichtung derart fixiert, dass durch den entstehenden Stumpfstoß
eine Orbitalnaht abgebildet wird. Eine einlagige Testnaht wird ohne Vorwärmung mit bis auf
die Schweißgeschwindigkeit konstanten Schweißparametern abgeschweißt. Bei einer
kritischen, den Wärmeeintrag erhöhenden Schweißgeschwindigkeit oder einer kritischen
Abkühlgeschwindigkeit tritt Kaltrissbildung auf. Der Test kann direkt zur Bewertung von
Feldschweißungen angewendet werden, indem entweder die maximale Schweißnahtlänge
per Elektrode zur Verhinderung von Wurzelrissen oder ein Ranking für Stähle oder Elektro-
den bezüglich ihrer Kaltrissempfindlichkeit ermittelt wird.
2.3.2.4.10 Slot Weld Test
Der Slot-Weld Test wurde an der Lehigh-Universität unter Federführung des American
Petroleum Institute entwickelt, um mit Hilfe eines einfachen Tests die Schweißbarkeit von
Rohrleitungsstählen unter Feldbedingungen abschätzen zu können [109]-[111]. Die Proben
können dabei aus Blechen oder Rohrmaterial hergestellt werden. Bestimmt wird die mini-
male Vorwärmtemperatur oder andere Schweißparameter zur Vermeidung von Rissen. Wie
im Bild 29 dargestellt, sind die Proben im Unterschied zum TEKKEN- und U-Naht Test
lediglich mit einem durchgehenden 90 mm langen und ca. 2,4 mm breiten Schlitz versehen,
welcher einen I-Stoß darstellt. Dieser kann maschinell hergestellt oder durch Ankernähte
erzeugt werden. Die Prüfnaht wird über den Schlitz geschweißt und startet bzw. endet
25 mm außerhalb des Schlitzes. Danach wird die Probe wärmebehandelt bzw. spannungs-
arm geglüht, um die Oberflächenrisse nach dem Brechen der Probe sichtbar zu machen
bzw. weitere Rissbildung und weiteren Rissfortschritt zu verhindern. Die Wärmebehandlung
erfolgt entweder 5 min nach dem Schweißen, was einer typischen Zeit bis zur Schweißung
der Gegenlage entspricht, oder 24-48 Stunden nach der Schweißung, um eine verzögerte
Rissbildung zu ermöglichen. Die Probe wird bis in den Schlitz aufgesägt und dann gebro-
chen. Es erfolgt die visuelle Auswertung und prozentuale Angabe der Rissfläche.
0.094
s
ch
he
8 inches 8 inches
1 inch = 25.4 mm
54 BAM-Dissertationsreihe
____________________________________________________________2 Kenntnisstand
Klemmschiene
Probenhälfte
Spannplatte
Schweißbadsicherung
aus Kupfer
55
2 Kenntnisstand____________________________________________________________
56 BAM-Dissertationsreihe
Slot-Weld Test WIC Test Butt-Weld Cracking Test Schnadt-Fisco Test Bead-Bend Test
Versuchs- Kaltrissneigung von Orbital- Kaltrissneigung von Orbi- Kaltrissneigung von Kaltrissneigung von Kaltrissneigung von
ziel nähten (Feldnahtschweißung, talnähten (Feldnahtschwei- Orbitalnähten (Feldnaht- Orbitalnähten (Feld- Schweißgütern in mehr-
WEZ-SG-Kombination) ßung, WEZ-SG-Kombi- schweißung, WEZ-SG- nahtschweißung, WEZ- lagig geschweißten Or-
nation) Kombination) SG-Kombination) bitalnähten
Werkstoffe Rohrleitungsstähle und zuge- höherfester un- und höherfester un- und höherfester un- und höherfester un- und
hörige Zusatzwerkstoffe niedriglegierter Rohrstahl in niedriglegierter Rohrstahl niedriglegierter Rohr- niedriglegierter Rohrstahl
Verbindung mit geeigneter in Verbindung mit geeig- stahl in Verbindung mit in Verbindung mit geeig-
Fallnahtelektrode neter Elektrode geeigneter Elektrode neter Elektrode
Rissarten Kaltrisse im Schweißgut Kaltrisse in WEZ und Kaltrisse in WEZ und Kaltrisse in WEZ und Kaltrisse im Schweißgut
Schweißgut Schweißgut Schweißgut
Ursachen Eigenspannungen durch Eigenspannungen durch Eigenspannungen durch Eigenspannungen Eigenspannungen durch
der me- Schrumpfbehinderung, Um- Schrumpfbehinderung, Schrumpfbehinderung, durch Schrumpfbehin- Schrumpfbehinderung,
chanischen wandlungseigenspannungen, Umwandlungseigenspan- Umwandlungseigen- derung, Umwand- Umwandlungseigen-
Spannun- mehachsige Spannungen am nungen spannungen lungseigenspannungen spannungen
gen überschweißten Kerb
Risser- Aufsägen der probe bis zum Sichtprüfung, metallografi- Sichtprüfung, metallogra- Sichtprüfung, metal- Biegung einer in Naht-
mittlung Schlitz und Brechen, visuelle sche Schliffe fische Schliffe lografische Schliffe mitte entnommenen
Auswertung Probe zur Aufweitung
vorhandener Risse
Einfluss- Schweißprozess, Vorwär- Blechdicke, Vorwärmung, Blechdicke, Vorwärmung, Blechdicke, Schweiß- Zwischenlagentempera-
faktoren mung Fallnaht Verzug in transversaler geschwindigkeit turen, Blechdicke, Ein-
Richtung möglich, hohe spannung
Abkühlgeschwindigkeiten
Ergebnisse kritische Vorwärmtemperatur, kritische Vorwärmtempe- kritische Vorwärmtempe- kritische Schweiß- oder kritische Zwischenla-
Streckenenergie ratur, Streckenenergie, ratur, Streckenenergie, Abkühlgeschwindigkeit gentemperaturen in
Wasserstoffgehalt für kalt- Wasserstoffgehalt für für kaltrisssicheres Abhängigkeit von Blech-
risssicheres Schweißen kaltrisssicheres Schwei- Schweißen dicke und Zusatzwerk-
ßen stoff
Übertrag- nicht direkt möglich, Abschät- Schrumpfbehinderung in Schrumpfbehinderung in Schrumpfbehinderung Übertragbarkeit auf Feld-
barkeit zung der Schweißbarkeit gewissen Grenzen variier- transversaler Richtung über Blechdicke vari- schweißungen durch
bezüglich verzögerter Rissbil- bar, bauteilähnliche Proben über Blechdicke variier- ierbar, bauteilähnliche Variation der Steifigkeit
Tabelle 2: Kaltrissprüfverfahren zum Test speziell von Rohrleitungsnähten mit selbstbean-
57
Proben
2 Kenntnisstand____________________________________________________________
Ziel der Versuche ist entweder die Einteilung der Werkstoffe bezüglich ihrer
Kaltrissempfindlichkeit oder die Bestimmung von Schweißparametern, Vor- und Nach-
wärmtemperaturen bei denen keine Rissbildung auftritt. Als Ergebnis der Bemühungen, den
jeweiligen Anwendungsfall möglichst real aber auch kostengünstig abzubilden, liegen die in
den Abschnitten 2.3.1 und 2.3.2 beschriebenen Kaltrissprüfverfahren vor. Die Einteilung
bzw. der Vergleich der einzelnen Kaltrissprüfverfahren ist nach mehreren Gesichtspunkten
möglich. Einerseits kann man nach der Art der Belastung (selbst- oder fremdbeansprucht)
unterteilen, andererseits ist eine Abgrenzung gegeneinander aber auch über geometrische
Parameter (Probenform, Nahtform), die Möglichkeit der Variation der Versuchsbedingungen
oder den Anwendungsfall möglich. In Tabelle 1 sind zunächst alle fremdbeanspruchten
Verfahren erfasst. Diese unterscheiden sich grundsätzlich sowohl durch die verwendete
Probenform als auch durch den jeweiligen Anwendungsfall. Während TRC- und LTP-Test in
Größe und Form bauteilähnliche Proben verwenden und somit einem entsprechenden
Anwendungsfall zuzuordnen sind, werden Implant- und Augmented-Strain Test aufgrund
werkstoffsparender Kleinproben und damit der Möglichkeit, umfangreiche
Versuchsprogramme zu realisieren, vornehmlich zur Klassifizierung von Grundwerkstoffen
und Schweißgütern eingesetzt. Der Augmented-Strain Test bietet darüber hinaus als
einziges Verfahren die Möglichkeit, Rissinitiierung und -ausbreitung in Abhängigkeit von
den zu untersuchenden Einflussgrößen wie z.B. Wasserstoffgehalt und Bean-
spruchungshöhe direkt zu beobachten (2.3.1.2.3), weshalb dieser Test vornehmlich in
Forschung und Entwicklung angewendet wird. Nachteil aller fremdbeanspruchten Prüfver-
fahren ist der hohe gerätetechnische Aufwand zur Realisierung einer definierten Beanspru-
chung.
Tabelle 2 enthält fünf Kaltrissprüfverfahren, die speziell zur Untersuchung der Kaltrissnei-
gung von Orbitalnähten bei Feldnahtschweißungen entwickelt wurden. Dabei sind WIC-,
Butt-Weld-Cracking- und Schnadt-Fisco Test bezüglich Versuchsaufbau und –durchführung
als nahezu identisch anzusehen, weshalb sich die unter gleichen Bedingungen gewonne-
nen Ergebnisse dieser Prüfverfahren nicht unterscheiden dürften. Unterschiede bestehen in
der Möglichkeit, die für eine Orbitalnaht typische Behinderung der Winkelschrumpfung in
gewissen Grenzen zu variieren bzw. eine Längsschrumpfung zuzulassen oder nicht.
Während beim Butt-Weld Test eine Längsschrumpfung uneingeschränkt möglich ist, kann
sie beim WIC-Test über die Länge der Ankernähte variiert werden. Außerdem wird die
Prüfnaht in der kritischen Fallnahtposition geschweißt, um den ungünstigsten Bereich der
Schweißnaht zu simulieren. Der Schnadt-Fisco Test bildet aufgrund der beschränkten
Variation der Einspannmöglichkeit die Verhältnisse beim Orbitalnahtschweißen am unge-
nauesten ab. Eine Variation der Steifigkeit ist dennoch über die Blechdicke oder über die
Position der Klemmschrauben möglich.
Relativ unaufwändig und daher kostengünstig ist der Slot-Weld Test. Die Probenform
entspricht jedoch nicht den Verhältnissen beim Orbitalnahtschweißen, weshalb die Über-
tragbarkeit der Versuchsergebnisse auf Bauteile fraglich erscheint. Deshalb wird dieser
Test lediglich zur Abschätzung der Schweißbarkeit von Rohrleitungsstählen verwendet.
Während die genannten Prüfverfahren die für die Kaltrissbildung kritische Wurzellage
simulieren, wurde der Bead-Bend-Test zur Untersuchung mehrlagiger Orbitalnähte entwi-
ckelt. Die Variation der Einspannung reicht von kompletter Schrumpfbehinderung in alle
Richtungen bis hin zur Möglichkeit einer freien Längsschrumpfung, wenn statt der Anker-
58 BAM-Dissertationsreihe
____________________________________________________________2 Kenntnisstand
nähte Klemmen wie beim Butt-Weld Test verwendet werden. Nach dem Schweißen wird die
gesamte Naht mittig aufgetrennt, poliert und über ein entsprechendes Werkzeug gebogen,
um eventuell entstandene Risse sichtbar zu machen. Vorteil dieses aufwändigen Verfah-
rens ist die im Gegensatz zu anderen Auswertmethoden große Inspektionsfläche, die eine
komplette Rissverteilung über die gesamte Schweißnaht selbst mit nur einer Probe je
Parametersatz liefert.
59
2 Kenntnisstand____________________________________________________________
weise Erhöhung oder Erniedrigung der Einspannlänge ermöglicht. In Kombination mit der
Variation der Blechdicke oder der Nahtform sind jedoch auch mit diesen Verfahren eine
Vielzahl unterschiedlicher Konfigurationen möglich.
60 BAM-Dissertationsreihe
____________________________________________________________2 Kenntnisstand
Der IRC-Test stellt eine Weiterentwicklung des auf dem Konzept des Einspanngrades
(Abschnitt 2.3.4) basierenden RRC-Tests dar, indem zum einen die an realen Bauteilen
ermittelten Einspanngrade auf die Versuchsanordnung übertragen werden und zum ande-
ren über ein im Messrahmen befindliches System von Dehnungsaufnehmern neben den
auftretenden Reaktionsspannungen auch die Reaktionsmomente bestimmt werden können.
Nachteile sind eine im Gegensatz zum RRC-Test gewisse Nachgiebigkeit des
Messrahmens sowie die die Bauteilübertragbarkeit erschwerenden geringen Proben-
abmessungen.
In Tabelle 4 sind selbstbeanspruchende Kaltrissprüfverfahren zusammengestellt, deren
Einspannbedingungen und damit die Höhe der sich einstellenden mechanischen Spannun-
gen ausschließlich durch die Probenform bestimmt werden. Eine Erhöhung der
Schrumpfbehinderung lässt sich nur durch eine Erhöhung der Blechdicke bzw. beim Lehigh
Test durch eine Variation der Entlastungssägeschnitte erreichen. Alle Tests nutzen
bauteilähnliche Proben, die mit einlagigen Prüfnähten (Kehl- oder Stumpfnaht) versehen
werden. Während die Übertragbarkeit der Versuchsergebnisse auf Bauteile beim TEKKEN-
und Cruciform Test nur bedingt möglich ist, versuchte man beim CTS-Test in seiner
ursprünglichen Form die kritische Wärmeableitung mit Hilfe einer sogenannten TS-Nummer
(Thermal Severity), die sich im wesentlichen aus der Dicke und der Anzahl der zu
verschweißenden Bleche ergibt, auf Bauteile zu übertragen.
Der Circular Patch Test ist auf den konkreten Anwendungsfall einer Reparaturschweißung
zugeschnitten. Wie für alle anderen Prüfverfahren dieser Gruppe können keine Aussagen
über die Höhe der sich in der Probe einstellenden Spannungen gemacht werden. Eine
Übertragbarkeit der Ergebnisse auf Bauteile erscheint für den Fall möglich, wenn der
Durchmesser des herausgetrennten und wiedereingeschweißten Flickens klein im Verhält-
nis zur Grundplatte ist.
61
2 Kenntnisstand____________________________________________________________
Immer wieder ist versucht worden, die Ergebnisse von Kaltrissprüfverfahren zueinander ins
Verhältnis zu setzen. Besonders geeignet erscheinen dafür jene Verfahren, die mit den
gleichen Probenformen und Schweißdaten arbeiten. So wurden in [115] gute Übereinstim-
mungen zwischen den kritischen Schwellspannungen für die Rissbildung in TRC- und RRC-
Tests gefunden. Im Bereich der Zeitfestigkeit wurden jedoch aufgrund der unterschiedli-
chen Belastung Unterschiede festgestellt. Da bei gleicher Endspannung im TRC-Test die
Belastung sofort aufgebracht wird, reißen diese Proben im Bereich der Zeitfestigkeit eher,
während beim selbstbeanspruchenden RRC-Test der Riss nach der Rissinitiierung sogar
gestoppt werden kann.
In [115] und [116] wurden die Ergebnisse von Implant-Tests mit denen von TRC- und RRC-
Tests für einen niedriglegierten Manganstahl verglichen. Gute Übereinstimmung zwischen
den kritischen Rissbildungsspannungen wurde für den Fall gefunden, wenn im Implant-Test
solche Kerben verwendet werden, die den Verhältnissen der durch den Schweißprozess
entstandenen Kerben beim TRC- und RRC-Test entsprechen. Als geeignet erwiesen sich
Kerbradien von 0,1 mm. Dieser Kerbradius ist heute Bestandteil der ISO 17642. Eigene
Messungen am Wurzelkerb von CTS- und TEKKEN-Proben bestätigten einen sich nach
dem Schweißprozess einstellenden mittleren Kerbradius von 0,1 mm.
Bei Vergleichen zwischen Implant- und CTS-Test wurde festgestellt, dass die Beanspru-
chung der Prüfnaht beim CTS-Test von der Spaltbreite abhängt und außerdem mit steigen-
der Abkühlzeit, d.h. steigender Streckenenergie, zunimmt [73]. Dieses Verhalten wurde für
RRC-Proben nicht gefunden, da der Einspanngrad unabhängig von der Streckenenergie
ist.
2.3.4 Das Konzept des Einspanngrades
Die während und nach dem Schweißen immer auftretenden Dehnungs- und
Schrumpfungsbewegungen des Bauteils werden durch lokale und globale Einflussfaktoren
unterschiedlich stark behindert. Lokale Einflussgrößen sind beispielsweise die Steifigkeit
der unmittelbaren Schweißnahtumgebung sowie die Steifigkeit vorangegangener
Schweißlagen und Heftnähte. Als globaler Einflussfaktor wird hingegen die Steifigkeit der
gesamten die Schweißnaht umgebenden Konstruktion angesehen. Dazu zählt sowohl die
62 BAM-Dissertationsreihe
____________________________________________________________2 Kenntnisstand
Blechkonfiguration (Blechdicke, Einspannlänge) als auch die Steifigkeit der die Einspan-
nung realisierenden Konstruktion. Kannengießer [36] führte deshalb die Begriffe „lokale
Schrumpfbehinderung“ und „globale Schrumpfbehinderung“ ein, die wie folgt definiert sind:
N f N´ Sy2 f M´
M
∗ SyB2 SyW2 ∗
Sy1 K Φ1 Φ2
D´ C´ f2 B´
SyB1 SyW1 K´
D C f1 B
Platte Naht
Θ1 Θ2
∆S ∆S ∆S ∆S
O Sy A O´ Sy A´
Sy Sy
Η
a
bs bs
f1 f1 f2 f2
Η
a
L1 L2
63
2 Kenntnisstand____________________________________________________________
Die Betrachtung des Einspanngrades in Nahtquerrichtung RFy besitzt die größte Bedeu-
tung, obwohl während des Schweißens und Abkühlens Schrumpfungen in allen drei Koor-
dinatenrichtungen auftreten. Deshalb sind die Einspanngrade in Nahtlängs- und Blechdi-
ckenrichtung bisher aufgrund der geringen praktischen Relevanz nicht untersucht worden.
Die nach Gleichung (6) definierte Kraft fy wird in den Schrumpfkraftdiagrammen in Bild 31
jeweils auf der Ordinate aufgetragen.
Fy
(6) fy =
lw
Bild 31 zeigt das Verhalten einer Schweißverbindung mit niedrigem Einspanngrad (Index 1)
und einer Schweißverbindung mit hohem Einspanngrad (Index 2), welcher aus einer
kürzeren Einspannung resultiert. Auf der Abszisse ist für beide Fälle der Wert der freien
Schrumpfung Sy aufgetragen. Diese ergibt sich beim Schweißen der Bleche mit der Länge
L1 (Linie OA) und L2 (Linie O´A´) wenn keine seitliche Einspannung vorliegt. Schweißt man
die Bleche mit denselben Einspannlängen L1 bzw. L2 unter Einspannung, ergibt sich eine
Reaktionskraft f1 bzw. f2, welche zu einer Schrumpfung des Zusatzwerkstoffes SyW (Linie
BC) bzw. (Linie B´C´) und des Grundwerkstoffes SyB (Linie CD) bzw. (Linie C´D´) führt. Die
Summe der beiden Einzelschrumpfungen ist zu jedem Zeitpunkt gleich dem sich bei freier
Schrumpfung ergebenden Wert Sy (Gleichung (7)).
(7) S y = S yB + S yW
Erstmals wurde der Einspanngrad in [120] von Satoh als ein auf die Nahtlänge bezogenes
Maß für die Schrumpfbehinderung definiert. Quer zur Naht ergibt er sich aus dem Quotien-
ten aus der auf die Nahtlänge bezogenen Reaktionskraft fy und der sich daraus ergebenden
Verformung des Grundwerkstoffes SyB (Gleichung (8)). Aufgrund der trigonometrischen
Beziehung ist der Einspanngrad gemäß Gleichung (8) auch durch die Steigung der
Hook´schen Gerade und damit des E-Moduls des Grundwerkstoffes zu beschreiben.
64 BAM-Dissertationsreihe
____________________________________________________________2 Kenntnisstand
fy
(8) R Fy = tan Θ =
S yB
EH
(9) R Fy =
L
Durch Parallelverschiebung der freien Schrumpfung Sy (Linie OA) lassen sich im Fall der
geringen Einspannung (Index 1), (Bild 31) die Dehnungen des Grund- und des
Zusatzwerkstoffes SyB1 bzw. SyW1, sowie die aus der Schrumpfung unter Einspannung
resultierende Reaktionskraft f1 ermitteln. Für diesen Fall wird die Streckgrenze K des
Zusatzwerkstoffes nicht überschritten.
Mit einer Reduzierung der Einspannlänge auf L2 ergibt sich nach Gleichung (9) ein höherer
Einspanngrad, d.h. die Hook´sche Gerade des Grundwerkstoffes weist eine größere
Steigung auf, während die freie Schrumpfung Sy ihren Wert jedoch beibehält [121]. Aus der
Verschiebung der freien Schrumpfung Sy (Linie O´A´) ergeben sich wiederum die Dehnun-
gen des Grund- und Zusatzwerkstoffes SyB2 bzw. SyW2. Da sich durch die Steigerung des
Einspanngrades eine erhöhte Reaktionskraft f2 ergibt, wird die Streckgrenze des Schweiß-
gutes überschritten. Es kommt zur plastischen Verformung des Schweißgutes, wodurch das
Risiko eines Schweißnahtversagens stark erhöht wird.
Als experimentelle Grundlage zu diesem Ansatz wurden von Satoh et al. [120] der RRC-
Test entwickelt, dessen relativ komplexer Aufbau in Abschnitt 2.3.2.4.1 beschrieben wurde.
In den in diesem Zusammenhang durchgeführten Arbeiten wurde unter Einsatz dieses
Kaltrissprüfverfahrens das Versagen von Proben unterschiedlicher Abmessungen auf den
jeweils vorliegenden Einspanngrad zurückgeführt. Dadurch konnten für drei Stahlsorten bei
konstanten Schweißbedingungen kritische Einspanngrade bestimmt werden, bei deren
Überschreiten ein Nahtversagen auftritt. Bedingt durch die für diesen Test benötigte auf-
wändige Anlagentechnik ist die Möglichkeit der freien Auswahl der Probengeometrie jedoch
stark eingeschränkt. Die Untersuchung komplexer Bauteile oder Bauteilgruppen ist nicht
möglich.
In der darauffolgenden Zeit entwickelten Satoh et al. [92],[123] auf der Grundlage
vergleichender Untersuchungen mit Implant-, RRC- und TRC-Tests ein Anwendungskon-
zept zum kaltrisssicheren Schweißen für die Praxis, welches es ermöglicht, Beziehungen
zwischen realen Schweißkonstruktionen und den an Laborproben ermittelten Versuchser-
65
2 Kenntnisstand____________________________________________________________
Der Einfluss des Einspanngrades auf die sich nach dem Schweißen in einem Bauteil
einstellenden Reaktionskräfte und -spannungen wurde in der Vergangenheit von zahlrei-
chen Autoren untersucht [120],[124],[125]. Als Ergebnis liegen analytische Berechnungsfor-
meln für die sich ergebenden Reaktionsspannungen vor, die in ihrer Anwendung jedoch
einer Vielzahl von Einschränkungen unterliegen und, wie auch von Kannengießer [36] an
Mehrlagenschweißungen untersucht, nicht universell einsetzbar sind.
Fy
(10) R Fy = für symmetrische Stumpfnähte
l w ⋅ 2 ∆y
Fy
(11) R Fy = für asymmetrische Nahtformen
l w ⋅ (∆y1 + ∆y 2 )
lW lW
Fy Fy Fy Fy
H H1 H2
∆y ∆y ∆y1 ∆y2
Bild 32: Definition des Einspanngrades für den symmetrischen (a) und den asymmetri-
schen Fall (b) nach Böllinghaus [127]
66 BAM-Dissertationsreihe
____________________________________________________________2 Kenntnisstand
Mit der von Böllinghaus vorgestellten Definition des Einspanngrades ist dessen numerische
Berechnung, insbesondere in Hinblick auf die heute verfügbare Rechenleistung von han-
delsüblichen PC-Systemen in Verbindung mit entsprechenden Softwarelösungen, in jeder
Hinsicht möglich. Da bezüglich Nahtgeometrie und Ausmaß sowie Komplexität des Bauteils
keine Einschränkung besteht, ist der Einspanngrad beliebiger Schweißkonfigurationen
bestimmbar.
Strukturkonfiguration
Blechkonfiguration
Nahtkonfiguration
R1 R2 R3
Bild 33: Unterteilung des Gesamteinspanngrades in Naht-, Blech- und Strukturkonfigura-
tion [128]
Die lokale Schrumpfbehinderung der Schweißnaht wird durch die Steifigkeit der Nahtflan-
ken R1 verursacht und durch den Anteil der Nahtkonfiguration RFy1 beschrieben. Die zweite
Komponente, die Blechkonfiguration RFy2, wird von den Abmaßen der Probe, wie
Blechdicke und freie Blechlänge bestimmt und entspricht der Steifigkeit R2.
Der dritte Anteil der Strukturkonfiguration RFy3 stellt den Einfluss der Steifigkeit der
umgebenden Konstruktion R3 auf die Schrumpfbehinderung der Naht dar. Der Gesamt-Ein-
spanngrad RFy,ges setzt sich somit aus einer Reihenschaltung der einzelnen Komponenten
nach Gleichung (12) zusammen.
67
2 Kenntnisstand____________________________________________________________
1 1 1 1
(12) = + +
R Fy,ges R Fy1 R Fy2 R Fy3
Von Neuhaus [129] wurden auf diese Weise umfangreiche numerische Berechnungen zum
Einfluss der einzelnen Einspanngradkomponenten durchgeführt und mit Experimenten an
Klein- und Großproben verifiziert. Bei der Durchführung der Schweißversuche wurde der
Anteil RFy3 am Gesamt-Einspanngrad experimentell bestimmt und in der numerischen
Berechnung der sich nach dem Schweißen einstellenden Spannungsverteilung als äußere
Einspannung berücksichtigt. Unter dieser Voraussetzung wurden sehr genaue Überein-
stimmungen zwischen den Berechnungen und Experimenten erzielt.
2.3.5 Übersicht und Bewertung von Konzepten zur Berechnung der Vor-
wärmtemperatur für das kaltrisssichere Schweißen von hochfesten
Feinkornbaustählen
Die mathematische Aufbereitung der Ergebnisse verschiedener Kaltrissprüfverfahren führte
in der Vergangenheit immer wieder zur Herleitung von Berechnungskonzepten für die
erforderliche Vorwärmtemperatur im Schweißgut bzw. in der Wärmeeinflusszone. In der
Literatur sind im Wesentlichen 5 Konzepte dokumentiert. Sie basieren auf Ergebnissen
unterschiedlicher Kaltrissprüfverfahren (z.B. Bead-on-plate-Test, TEKKEN-Test, Mehrla-
genschweißungen) und wurden auch nach verschiedenen Ansätzen ausgewertet. Der
Gültigkeitsbereich der einzelnen Berechnungsvorschriften unterscheidet sich ebenfalls
deutlich. Obwohl auch verschiedene Werkstoffe verwendet wurden, erscheint es sinnvoll,
diese Konzepte miteinander zu vergleichen, da in allen Berechnungsvorschriften der
diffusible Wasserstoffgehalt im Schweißgut sowie implizit die Festigkeitswerte des
Schweißgutes bzw. der Wärmeeinflusszone berücksichtigt werden. Eine Möglichkeit des
Vergleiches von verschiedenen Berechnungskonzepten wurde von Florian [130]
vorgeschlagen. Die Prozedur wird im Folgenden vorgestellt.
¾ Thyssen-Konzept [131]:
0,35
(13) TP = 700(CET + 0,03) + 160 tanh(d/35) + 62HIIW + (53(CET + 0,03) – 30,4) · Q – 330
mit:
d = Blechdicke in mm
Q = Wärmeeinbringen in kJ/mm
68 BAM-Dissertationsreihe
____________________________________________________________2 Kenntnisstand
¾ Okuda-Konzept [132]:
mit:
¾ Nippon-Steel-Konzept [133]:
(15) TP = 120 + 120 log (HJIS/3,5) + 5,0 · (hW – 20) + 0,815 · (Rm – 846)
mit:
für: 15<hW<30…40 mm
(16) TP = 120 + 120 log (HJIS/3,5) + 5,0 · (hW – 20) -0,05 · (hW -30)2 + 0,815 · (Rm – 846)
für: 30<hW<50 mm
für: 50<hW mm
¾ Hart-Konzept [134]:
mit:
69
2 Kenntnisstand____________________________________________________________
¾ Chakravarti-Konzept [135]:
mit
Die jeweiligen Gültigkeitsgrenzen der einzelnen Konzepte können der Tabelle 6 entnom-
men werden.
Berechnungskonzept Nr.
1 2 3 4 5
Q [kJ/mm] 0,5-4,0 - - - -
70 BAM-Dissertationsreihe
____________________________________________________________2 Kenntnisstand
In Bild 34 ist der Einfluss des diffusiblen Wasserstoffgehaltes (HIIW nach ISO 3690 oder
entsprechend umgerechnet) auf die Vorwärmtemperatur unter Berücksichtigung der jeweili-
gen Grenzen der Konzepte dargestellt.
250
200
Vorwärmtemperatur [°C]
150
100
50
0
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15
-50
Thyssen Okuda
-100
Nippon Hart
Chakravarti
-150
diffusibler Wasserstoffgehalt [ml/100g]
71
2 Kenntnisstand____________________________________________________________
Bis auf das Okuda-Konzept wird der Gehalt an diffusiblem Wasserstoff ab etwa 6 ml/100g
von allen anderen Konzepten gleich bewertet, was aus dem nahezu identischen Anstieg
der Ausgleichsgeraden hervorgeht. Der Unterschied besteht lediglich aus einer Parallelver-
schiebung der jeweiligen Ausgleichsgeraden um einen konstanten Anteil.
Bestimmt man diesen Anteil und addiert ihn so zur entsprechenden Geradengleichung,
dass sich für einen Wasserstoffgehalt von 8 ml/100g der Wert 0 ergibt, erhält man die in
Bild 35 dargestellten Zusammenhänge. Bis auf das Okuda-Konzept, welches nur zwischen
Wasserstoffgehalten von 1 bis 5,1 ml/100g Gültigkeit besitzt, ergibt sich für Wasserstoffge-
halte zwischen 6 und 14 ml/100g eine Abweichung der Vorwärmtemperatur von lediglich
10°C. Zu beachten ist außerdem, dass das Hart-Konzept nur zwischen Wasserstoffgehal-
ten von 5 bis 10 ml/100g herangezogen werden kann.
Für den Bereich unterhalb eines Wasserstoffgehaltes von 6 ml/100g ergibt sich für den
wasserstoffabhängigen Term der in diesem Bereich gültigen Konzepte ein stark differen-
zierter Verlauf. Während dem Chakravarti-Konzept ein linearer Ansatz zugrunde liegt und
es deshalb den Erfahrungswerten für eine überproportionale Abnahme der Kaltrissneigung
für niedrige Wasserstoffgehalte nicht gerecht wird, folgen Okuda- und Nippon-Konzept
jeweils einem logarithmischen und das Thyssen-Konzept einem exponentiellen Ansatz. Für
Okuda- und Nippon-Konzept ergibt sich allerdings eine sehr starke Abnahme des Wasser-
stoffeinflusses. Im Hinblick auf die zunehmende Empfindlichkeit gerade der hochfesten
Feinkornbaustähle gegenüber im Metallgitter gelöstem Wasserstoff ist demnach dem
Thyssen-Konzept bezüglich des Wasserstoff-Terms der Berechnungsgleichung ein beson-
ders hohes Maß an Praxisrelevanz zuzuschreiben.
40
20
Vorwärmtemperatur [°C]
0
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15
-20
-40
Bild 35: Einfluss des diffusiblen Wasserstoffgehaltes auf die Vorwärmtemperatur (auf 0 °C
normiert für auf 8 ml/100g konstante Anteile unberücksichtigt)
72 BAM-Dissertationsreihe
____________________________________________________________2 Kenntnisstand
Um den Einfluss der Zugfestigkeit auf die Vorwärmtemperatur zu vergleichen, ist aufgrund
der verschiedenen Eingangsgrößen im Festigkeitsterm (Tabelle 7) der Berechnungskon-
zepte eine gesonderte Berechnung für das Okuda- und Nippon-Konzept notwendig. Nach
Düren [136] ergibt sich die Härte des Schweißgutes unter Berücksichtigung der chemischen
Zusammensetzung und der t8/5-Zeit zu:
(21) HV = 2019[C(1-0,5logt8/5)+0,3(Si/11+Mn/8+Cu/9+Cr/5+Ni/17+Mo/6+V/3)]+66(1-0,8logt8/5)
und der Zusammenhang zwischen Härte und Zugfestigkeit nach [137] zu:
(22) Rm = 2,47 HV + 80
Unter Verwendung dieser Gleichungen ist es möglich, für diese Konzepte die Zugfestigkeit
aus chemischer Zusammensetzung und t8/5-Zeit zu berechnen und so eine Vergleichbarkeit
der Festigkeitsterme der unterschiedlichen Konzepte herzustellen. Trägt man den Einfluss
des Festigkeitsterms über den für diese Arbeit relevanten Werkstoffen auf, erhält man die in
Bild 36 dargestellten Zusammenhänge. Die berechneten Werte ergaben sich unter der
Annahme einer t8/5-Zeit von 8 sec und den in Tabelle 9 aufgeführten chemischen Analysen.
Zusätzlich wurde der Werkstoff S460 als Vergleich mit in die Darstellung aufgenommen.
1200 1200
Thyssen
Nippon
800 800 Hart
Chakravarti
600 600
400 400
200 200
0 0
0 1 / S690Q
S460 2 / S1100QL
3 4 0 1
Union 2
Union 3
Werkstoff Werkstoff
NiMoCr X96
Bild 36: Einfluss der Grundwerkstoff- und Schweißgutzusammensetzung und damit der
Festigkeit der WEZ und des Schweißgutes auf die Vorwärmtemperatur
73
2 Kenntnisstand____________________________________________________________
Da die sich ergebende Tendenz bei allen Konzepten identisch ist, wird eine Änderung der
chemischen Zusammensetzung von allen Konzepten grundsätzlich gleich bewertet. Bemer-
kenswert ist, dass beim Okuda- und Nippon-Konzept ein bis zu fünfmal größerer Einfluss
der chemischen Zusammensetzung zu verzeichnen ist. Grund dafür dürfte sein, dass diese
Konzepte für das Mehrlagenschweißen entwickelt wurden. Dies deckt sich auch mit der
Tatsache, dass diese Konzepte den Einfluss des Wasserstoffes im unteren Gültigkeitsbe-
reich als eher klein einstufen, da durch das wiederholte Erwärmen des Schweißnahtberei-
ches eine höhere Wasserstoffeffusion zu erwarten ist als bei einlagigen Schweißverbindun-
gen.
Tabelle 8 zeigt die nach den 5 Konzepten berechneten Vorwärmtemperaturen für die in
dieser Arbeit relevanten Grund- und Zusatzwerkstoffe. Da das Okuda-Konzept nur bis zu
einem Gehalt an diffusiblen Wasserstoff von 5,1 ml/100g und das Hart-Konzept ab einem
Gehalt von 5,0 ml/100g Gültigkeit besitzt, wurde dieser Wert für die Berechnung mit
5 ml/100g angenommen. Außerdem liegen den Berechnungen eine Blechdicke von 20 mm,
ein Wärmeeinbringen von 1 kJ/mm, eine t8/5-Zeit von 8 sec sowie experimentell ermittelte
Zugfestigkeiten zugrunde.
Lag ein Werkstoff mit einem oder mehreren Eingangsdaten außerhalb der Gültigkeitsberei-
che, so steht die errechnete Vorwärmtemperatur in Klammern, gefolgt von dem außerhalb
des jeweiligen Gültigkeitsbereiches liegenden Parameter.
Konzept
Durch die Ergebnisse wird deutlich, dass die einzelnen Verfahren zur Ermittlung der Vor-
wärmtemperatur in keiner Weise konsistent sind. Die Ursachen dafür liegen in den unter-
schiedlichen Rahmenbedingungen und Probenformen, mit denen Kaltrissversuche durch-
geführt werden und den sich hinter den Berechnungskonzepten verbergenden Sicherheits-
philosophien. Außerdem ist eine Berechnung nach den Konzepten aufgrund der einge-
schränkten Gültigkeitsbereiche nicht für alle Werkstoffe möglich. Dies gilt insbesondere für
den S1100QL, für den aufgrund seiner hohen Festigkeitswerte bzw. seiner chemischen
Zusammensetzung eine Berechnung der Vorwärmtemperatur mit keinem der Konzepte
möglich ist. Dadurch wird offensichtlich, dass ein tragfähiges und in weiten Grenzen gülti-
74 BAM-Dissertationsreihe
____________________________________________________________2 Kenntnisstand
ges Konzept zur Vermeidung der wasserstoffunterstützten Rissbildung bisher nicht existiert.
Es scheint außerdem fraglich, ob mit der bisherigen mehr empirischen Herangehensweise
ein solches Konzept überhaupt herzuleiten ist. Vielmehr sollte versucht werden, mit einem
solchen Konzept den wahren Verhältnissen beim Schweißen hochfester Stähle gerecht zu
werden. Insbesondere ist dabei der Degradation der mechanischen Eigenschaften durch im
Metallgitter gelösten Wasserstoff Rechnung zu tragen. Erweist sich beispielsweise ein
experimentell bestimmter mechanischer Parameter als geeignet, die Sensibilität eines
Schweißnahtgefüges über einen breiten Wasserstoffkonzentrationsbereich eindeutig zu
beschreiben, wäre ein Kaltrisskonzept auf der Grundlage eines kritischen mechanischen
Kennwertes denkbar.
2.4 Zielstellung
In den letzten Jahren auftretende Schadensfälle haben gezeigt, dass hinsichtlich der
Vermeidung einer wasserstoffunterstützten Kaltrissbildung in den Schweißverbindungen
der in vielen industriellen Bereichen zunehmend eingesetzten hochfesten Feinkornbau-
stähle mit Streckgrenzen von bis zu 1100 MPa während der Fertigung und der anschlie-
ßenden Inbetriebnahme daraus gefertigter Bauteile und Anlagen nicht genügend Beach-
tung geschenkt wird. Ein Grund hierfür liegt darin, dass die zur Vermeidung einer wasser-
stoffunterstützten Kaltrissbildung angewendeten technologischen Prüfverfahren häufig nicht
die reale Situation beim Schweißen reflektieren. Vorrangiges Ziel der Kaltrisstests ist es
zwar, Grenzwerte für Vorwärmtemperaturen, Kohlenstoffäquivalente, den Wärmeeintrag
und den diffusiblen Wasserstoff für ein kaltrisssicheres Schweißen festzulegen. Die be-
grenzten Probenabmessungen, vom realen Bauteil abweichende Nahtformen und insbe-
sondere nicht quantifizierte Einspannbedingungen lassen jedoch kaum eine
Übertragbarkeit der Ergebnisse auf reale Schweißkonstruktionen zu. Der notwendige
Transfer auf unterschiedliche Bauteile lässt sich vielmehr durch eine mehr übergreifende
Betrachtungsweise der wasserstoffunterstützten Kaltrissbildung anhand ihrer lokalen
Einflussgrößen Mikrostruktur, Wasserstoffkonzentration und mechanischen Beanspruchung
erreichen (Bild 37).
Mikrostruktur
Aus diesen Gründen war das erste Ziel der vorliegenden Arbeit, zunächst die Herabsetzung
der mechanischen Eigenschaften der einzelnen Gefügebereiche verschiedener Schweiß-
nahtgefüge hochfester Feinkornbaustähle grundsätzlich zu klären und früheren Betrachtun-
gen zur Kaltrissbildung in niederfesten Varianten gegenüberzustellen. Hierzu wurden im
75
2 Kenntnisstand____________________________________________________________
Daraus ableitend war es das zweite Ziel, einen möglichst einfachen verfahrens- und geo-
metrieunabhängigen Parameter zu identifizieren, anhand dessen eine quantitative Be-
schreibung der Kaltriss-Sicherheit von realen Schweißkonstruktionen möglich ist. Zur
Verifikation dieses Parameters sind anschließend vergleichende Untersuchungen mit
Implant-, TEKKEN und CTS-Tests durchzuführen gewesen.
Aufgrund der jüngsten Schäden mit hochfesten Feinkornbaustählen stellte es sich als
besonders wichtig heraus, mittels des gefundenen Parameters die Risskriterien für die
verschiedenen Schweißnahtgefüge hochfester Feinkornbaustähle bereitzustellen, und zwar
in Form gerade noch ertragbarer lokaler mechanischer Beanspruchungen in Abhängigkeit
der in der jeweiligen Mikrostruktur lokal vorliegenden Wasserstoffkonzentration.
76 BAM-Dissertationsreihe
______________________________________3 Versuchsaufbau und numerischer Ansatz
Ti [%] 0.004
mechanische Kennwerte
A [%] 20 17 15 14
Z [%] 77 68 69 51
77
3 Versuchsaufbau und numerischer Ansatz______________________________________
Makroschliff einer
Zugprobe,
TEKKEN-Probe
Prüfdurchmesser 3 mm
Bild 38: Beispiel der Zugproben, in deren Prüfbereich das jeweilige Gefüge der einzelnen
Schweißnahtbereiche eingestellt wurde
78 BAM-Dissertationsreihe
______________________________________3 Versuchsaufbau und numerischer Ansatz
U = 31,4 V
I = 280 A
V = 0,5 m/min
Q = 1,05 kJ/mm
1200 Schweißgut
1000 Grobkornzone
Temperatur [°C]
800 Thermoelement
600
400
200
0
15 25 35 45 55 65 75
Zeit [s]
1200
Schweißgut
1000
Temperatur [°C]
Feinkornzone
800
Thermoelement
600
400
200
0
35 45 55 65 75 85 95
Zeit [s]
79
3 Versuchsaufbau und numerischer Ansatz______________________________________
Thermoelement
Einspannung
Probe
Kühlwasser
Druckluft
80 BAM-Dissertationsreihe
______________________________________3 Versuchsaufbau und numerischer Ansatz
81
3 Versuchsaufbau und numerischer Ansatz______________________________________
3.3 Kaltrisstests
Die Probenherstellung und Durchführung der Implant-, TEKKEN- und CTS-Versuche
erfolgte nach ISO 17642 [70], die Durchführung der IRC-Versuche nach DVS-Richtlinie
1006 [72].
82 BAM-Dissertationsreihe
______________________________________3 Versuchsaufbau und numerischer Ansatz
die Implant-Proben des Stahles S1100QL im Schweißgut (Abschnitt 4.2.2). Bild 43 zeigt die
in der BAM verwendete Implant-Versuchsanlage.
Implantprobe
Einschweißplatte
Kraftmessdose
Testnähte
Belastungseinrichtung
3.3.2 TEKKEN-Test
Die TEKKEN-Proben (Blechdicke 18 mm) wurden unter Einhaltung der Schweißparameter
in Tabelle 10 geschweißt. Um den Einfluss einer Vorwärmung zu untersuchen, wurden
einige TEKKEN-Versuche mit dem Stahl S1100QL stichprobenartig bei einer Vorwärmtem-
peratur von 80 °C durchgeführt.
Thermoelemente Ankernaht
Prüfnaht
83
3 Versuchsaufbau und numerischer Ansatz______________________________________
Der Tabelle 18 ist zu entnehmen, dass mit einer solchen Vorwärmung erreicht werden
kann, dass bei einer vergleichsweise geringen Wasserstoffkonzentration von 0,5 Nml/100g
im Schweißgut keine Kaltrissbildung auftritt. Nach 48 Stunden wurden die Proben einer
visuellen Kontrolle unterzogen. Konnte auf diese Weise kein Riss festgestellt werden,
wurde der Schweißnahtbereich zur Anfertigung metallografischer Schliffe herausgetrennt.
Bild 44 zeigt eine 18 mm dicke TEKKEN-Probe in geschweißtem Zustand. Die Thermoele-
mente dienten für den Fall einer Vorwärmung zur Kontrolle einer homogenen Wärmever-
teilung.
In Ergänzung zu den Erfordernissen der Norm wurde im Rahmen dieser Arbeit zusätzlich
der Zeitpunkt der Rissentstehung durch die Applikation geeigneter Extensometer im
TEKKEN-Versuch ermittelt. Diese bestanden aus einem an einer Seite offenem Kasten-
Profil, dessen elastischer Schenkel mit einem handelsüblichen Dehnmessstreifen versehen
war. Vor dem Schweißen wurden jeweils zwei Extensometer über dem Wurzelspalt an der
Unterseite der TEKKEN-Proben befestigt (Bild 45). Da ein Rissfortschritt mit einer
Relativbewegung der Spaltflanken einhergeht, konnte aus einer sprunghaften Änderung
des Messsignals auf den Risszeitpunkt geschlossen werden. In den Implant- und IRC-
Versuchen hingegen wurde der Zeitpunkt der Risseinleitung mit dem ersten signifikanten
Kraftabfall gleichgesetzt.
Wurzelspalt
elastischer Schenkel
3.3.3 CTS-Test
Die Durchführung der CTS-Versuche erfolgte ebenfalls mit den in Abschnitt 3.3 angegebe-
nen Parametern und ohne Vorwärmung. Dadurch konnte bezüglich des Wärmeeinbringens
eine Vergleichbarkeit mit den anderen Kaltrisstests gewährleistet werden. Die 10 mm
dicken Probenbleche wurden nach dem Schweißen der ersten Prüfnaht innerhalb einer
Minute in das durch die Norm vorgeschriebene Wasserbad eingebracht und bis auf Raum-
temperatur abgekühlt. Nach einer Lagerung von 48 h erfolgte das Schweißen der zweiten
Prüfnaht, wiederum gefolgt von beschleunigtem Abkühlen im Wasserbad und anschließen-
der 48stündiger Lagerung. Die Prüfnähte wurden einer visuellen Prüfung unterzogen.
Zusätzlich wurden je Prüfnaht drei metallografische Schliffe angefertigt, um eventuelle
84 BAM-Dissertationsreihe
______________________________________3 Versuchsaufbau und numerischer Ansatz
Anrisse zu detektieren. Bild 46 zeigt den Versuchsaufbau zu den CTS-Tests. Das Thermo-
element diente zur Kontrolle der Abkühlung.
Thermoelement
Testnaht
3.3.4 IRC-Test
Bild 47 zeigt den verwendeten Versuchsaufbau zum IRC-Test. Durch die Verwendung von
Distanzringen konnten die Einspannlängen 300 mm, 205 mm und 110 mm realisiert wer-
den. Die wie in Abschnitt 2.3.2.3 beschriebene aufwendige Instrumentierung wurde genutzt,
um die während und nach dem Schweißprozess registrierten Messdaten wie Temperatur-
verteilung, Dehnungswerte und Reaktionskräfte den entsprechenden Ergebnissen einer
numerischen Simulation (FEM-Analyse) gegenüberzustellen (Abschnitt 4.2.6). Zu diesem
Zweck wurden in Vorversuchen Temperaturfelder während und nach dem Schweißen
aufgenommen, die zum Abgleich der thermalen Analyse dienten, welche wiederum Grund-
lage der Strukturberechnung ist. Zur Kontrolle der berechneten Dehnungen wurde ein
Dehnmessstreifen in 20 mm Entfernung zum Wurzelspalt appliziert. Weitere Vorversuche
ergaben, dass Kaltrisse nur mit dem Stahl S1100QL bei einer Einspannlänge von 110 mm
und einem entsprechenden Anteil von Wasserstoff im Schutzgas innerhalb der gewählten
Schweißparameter erzeugt werden konnten. Für größere Einspannlängen beim S1100QL
und sämtliche Einspannlängen beim S690Q blieben die Proben rissfrei. Die 20 mm dicken
Proben verblieben entweder bis zum Riss in der Einspannung oder wurden nach dem
Erreichen einer konstanten Reaktionskraft ausgespannt. Für diesen Fall betrug die Prüfzeit
48 Stunden. Mittels metallografischer Schliffe wurden sämtliche Prüfnähte auf eventuelle
Anrisse untersucht.
85
3 Versuchsaufbau und numerischer Ansatz______________________________________
Spannklauen
Rahmen
Distanzringe
Rahmen Brenner
Spannklaue
Ansicht von unten
Probe
Thermoelement
Dehnmessstreifen
Schweißbadsicherung
Im Gegensatz dazu arbeitet z.B. die Nukleare Reaktionsanalyse mit derartig hohen
Energiepotentialen, dass der diffusible Wasserstoff vor der Messung mobilisiert wird und als
Gefügebestandteil nicht mehr nachgewiesen werden kann. Grundsätzlich werden zum
Nachweis von Wasserstoff in Festkörpern verschiedene chemische und physikalische
Prinzipien angewendet. In den nächsten beiden Abschnitten werden die für diese Arbeit
relevanten Analyseverfahren vorgestellt.
86 BAM-Dissertationsreihe
______________________________________3 Versuchsaufbau und numerischer Ansatz
Prinzipdarstellung
140
Probensatz
45 30 45
25 50 10
15
Kupferfolie
50
Kupferblock
M 12 Schraube
50
A A-A
Brenner
Kupferfolie
Probensatz Prüfraupe
Kupferblock
Bild 48: Prinzipdarstellung und Durchführung der Schweißung zur ISO 3690 [38]
Mit der ISO 3690 wurde eine internationale Norm etabliert, die es ermöglicht, auf dieser
Grundlage die Ergebnisse verschiedener Laboratorien zu vergleichen. Die Norm unter-
scheidet Lichtbogenhandschweißen, Unterpulver-Schweißen und MSG-Schweißen mit Füll-
87
3 Versuchsaufbau und numerischer Ansatz______________________________________
oder Massivdrahtelektroden mit und ohne Gasschutz, für die jeweils gesonderte Spezifika-
tionen bezüglich Probenabmaße und Durchführung des Schweißprozesses gelten.
Das Prinzip der Probennahme sowie die Maße der Probenstücke für den für diese Arbeit
relevanten MSG-Schweißprozess sind in Bild 48 dargestellt. In eine Einspannvorrichtung
aus Kupfer wird ein aus Anlauf- und Auslaufstück sowie der eigentlichen Schweißprobe
bestehender Probensatz mittels einer schnell zu bedienenden Spanneinheit so positioniert,
dass beim Schweißen guter Kontakt der senkrecht zueinander stehenden Oberflächen
benachbarter Teilstücke gewährleistet ist. Dies wird am ehesten erreicht, wenn jeder
Probensatz bei der Herstellung in einem Arbeitsgang geschliffen wird. Um die durch das
Kupfer bedingte hohe Wärmeableitung auch bei höherem Wärmeeinbringen sicherzustel-
len, bzw. einen höheren Probendurchsatz zu erreichen, wird bei Streckenenergien über
2 kJ/mm eine Wasserkühlung der Spannbacken eingesetzt.
Für das Auffangen des Wasserstoffes gilt in der Norm die so genannte Quecksilbermethode
als Referenzverfahren. Wird ein anderes Verfahren verwendet, ist eine Kalibrierung gegen
das Referenzverfahren durchzuführen.
Abweichend von der in der ISO 3690 aufgeführten Bürette in Y-Form wurde ein in der
Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung entwickeltes U-Rohr mit einem zusätzli-
chen Auffangbehälter für das Quecksilber verwendet. Der in Bild 49 dargestellte
Versuchsaufbau hat gegenüber dem Y-Rohr den Vorteil, dass die Apparatur zur Befüllung
nicht bewegt werden muss und somit fest eingebaut werden kann. Hinsichtlich der gesund-
heitsschädigenden Wirkung von Quecksilber wird dadurch dem Arbeitsschutz Rechnung
getragen, jedoch stellen die zwei zusätzlichen Ventile A und B eine die Messung negativ
beeinflussende Fehlerquelle dar. Deshalb wurde die Anlage turnusmäßig auf eventuelle
Undichtigkeiten geprüft.
Zur Durchführung der Wasserstoffanalyse wird in mehreren Arbeitsschritten mit Hilfe einer
Vakuumpumpe und durch die Bedienung der Ventile A, B und C (Bild 49) ein Vakuum in
der Bürette erzeugt, welches durch das Quecksilber, das zu diesem Zweck vom Auffang-
behälter in das U-Rohr geleitet wird, von der Atmosphäre getrennt ist. Das zu prüfende
Mittelstück des Schweißgutprobensatzes wird dem Kühlmedium entnommen, auf Raum-
temperatur erwärmt, getrocknet und nach Entfernen des Schliffes in das U-Rohr einge-
bracht. Nach dem Wiederaufsetzen des Schliffes wird es mittels eines Magneten durch das
Quecksilber auf die Kapillarseite des U-Rohres gezogen und fixiert. Der diffusible Wasser-
stoff tritt aus der Probe aus, rekombiniert zu molekularem Wasserstoff und sammelt sich in
der Kapillare an. Wird nach ca. 14 Tagen an zwei aufeinander folgenden Tagen keine
Zunahme des in der Kapillare gesammelten Wasserstoffes beobachtet, wird das Volumen
des diffusiblen Wasserstoffes nach folgender Gleichung berechnet:
88 BAM-Dissertationsreihe
______________________________________3 Versuchsaufbau und numerischer Ansatz
( P − H ) × (πr 2 × C )
(23) V=
760( 273 + T ) × 1000
mit:
druck [ml]
P: Luftdruck [mm Hg]
U-Rohres [mm]
B
C
Auffangbehälter
Bürette
A
(U-Rohr)
abnehmbarer
Schliff
89
3 Versuchsaufbau und numerischer Ansatz______________________________________
100
(24) HD =V ×
m2 − m1
mit:
[ml/100g]
druck [ml]
Weil davon auszugehen ist, dass infolge des Wasserstoffeintrages über den Lichtbogen
und die Schweißbadbewegung eine homogene Verteilung des Wasserstoffs im Schweißgut
vorliegt, wurde die ermittelte Wasserstoffkonzentration jedoch auf das aufgeschmolzene
Schweißgut bezogen. Dies ist insbesondere in Hinblick auf die Bestimmung eines wasser-
stoffabhängigen Kennwertes bezüglich der Degradation der mechanischen Eigenschaften
von Bedeutung, da nur so ein Vergleich mit den durchgesättigten Zugproben möglich ist.
Aaufgetragen
(25) HF = HD ×
Aaufgeschmolzen
mit:
Schweißgut [ml/100g]
Schweißgut [ml/100g]
Um die notwendigen Messzeiten zu verringern, kann das Verfahren auch bei höheren
Temperaturen angewendet werden. Bei Temperaturen über 45°C ist das Quecksilberver-
fahren jedoch mit erheblichen Gesundheitsgefahren verbunden.
90 BAM-Dissertationsreihe
______________________________________3 Versuchsaufbau und numerischer Ansatz
Quadrupol- Spülgas
Massenspektrometer
(Restgaskontrolle)
N2
Temperatur-
regelung
Extraktionsrohr / Probenhalter
W LD (Quarzglas)
Gasfluss-
regelung
W LD-
WLD- Daten-
Versorgung
Versorgung verarbeitung
91
3 Versuchsaufbau und numerischer Ansatz______________________________________
Die Analyse des Messgases erfolgte mittels eines Wärmeleitfähigkeitsdetektors (WLD). Das
Messprinzip dieser auch als Gaschromatographie bezeichneten Methode beruht auf dem
Vergleich der Wärmeleitfähigkeit eines Referenzgases mit der des zu untersuchenden
Gases mit Hilfe einer Wheatstone-Brücke. Die besten Ergebnisse werden erzielt, wenn die
Differenz der Wärmeleitfähigkeit von Trägergas und zu detektierendem Gas möglichst groß
ist. In Vorbereitung der Messungen war sicherzustellen, dass die Wärmeleitfähigkeit bzw.
deren Änderung nur durch das Trägergas und den zu detektierenden Wasserstoff bestimmt
wird, da das Messsignal einen späteren Rückschluss auf weitere Komponenten nicht mehr
zulässt. Das Ausgangssignal des WLD beschreibt die Effusionskurve des Wasserstoffes,
deren Integralwert proportional zum ausgetretenen Wasserstoffvolumen ist. Zur Auswer-
tung der Integralwerte wurde die Anlage vor jeder Messung kalibriert. Da ein Referenzmate-
rial für Wasserstoff aufgrund seiner hohen Diffusibilität nicht verfügbar ist, erfolgte dies
durch das Einbringen definierter Wasserstoffvolumina mittels gasdichter Mikroliterspritzen.
Die für bekannte Volumina bestimmten Integralwerte ergaben über den Kalibrierbereich
eine lineare Abhängigkeit. Über die Bestimmung der zugehörigen Geradengleichung ist
eine Zuordnung beliebiger Integralwerte zu entsprechenden Wasserstoffvolumen möglich.
Durch die Ofenbauart war es jedoch nicht realisierbar, die Kalibriervolumen direkt in den
Probenraum einzuspritzen.
50
Kalibrierungsgeraden bei 850°C
Messsignal Kalibrierung
800 40
Integralwert WLZ [Vs]
600
400
WLD-Signal [mV]
30
R2=0,9993
200 R2 = 0,9993
0 (Bestimmtheitsnaß)
(Bestimmtheitsmaß)
20 Integralwert vor [Vs]
-200 Integralwert hinter [Vs]
-400 Integralwert (Mittelwert) [Vs]
10 Linear (Integralwert vor [Vs])
-600
Linear (Integralwert hinter [Vs])
-800 v h v h v h Linear (Integralwert (Mittelwert) [Vs])
0
0 200 400 600 800 1000 0 20 40 60 80 100 120 140 160
Zeit [sec] eingespritztes Wasserstoffvolumen [µl ND]
92 BAM-Dissertationsreihe
______________________________________3 Versuchsaufbau und numerischer Ansatz
Aus Gründen der Fehlerminimierung wurden deshalb zwei Kalibrierstellen eingerichtet, die
sich vor und hinter dem eigentlichen Probenraum befinden. Die sich für die beiden
Kalibrierstellen ergebenden Geraden wurden zu einer Gesamtkalibrierungsgeraden
gemittelt. Bild 51 zeigt exemplarisch das Signal des Wärmeleitfähigkeitsdetektors einer
Kalibriermessung sowie die auf dessen Grundlage ermittelte Kalibriergerade.
Die Probenvorbereitung entsprach der für die Quecksilbermethode. Die Proben wurden
dem Stickstoffbad entnommen, in Alkohol auf Raumtemperatur gebracht, mit Äther gespült
und im Stickstoffstrom getrocknet. Somit wurde sichergestellt, dass sämtliche an der Probe
haftenden Verunreinigungen beseitigt wurden. Mit dem Einsatz der Trägergasheißextrak-
tions-Anlage konnte die Messzeit auf ca. 20 min je Probe verkürzt werden. Eine Gegen-
überstellung der Messergebnisse mit denen der Quecksilbermethode zeigte, dass die im
Rahmen dieser Arbeit durchzuführenden Wasserstoffbestimmungen an hochfesten Fein-
kornbaustählen in Einklang mit der ISO 3690 mit der Trägergasheißextraktion durchgeführt
werden konnten (3.4.3). Bild 52 zeigt die an der BAM entwickelte Trägergasheißextraktions-
Anlage.
Grundsätzlich ist hierbei zu klären bzw. sicherzustellen, dass die mit der Trägergasheißex-
traktion bei erhöhten Temperaturen und mit verschiedenen kommerziellen und nichtkom-
93
3 Versuchsaufbau und numerischer Ansatz______________________________________
Um die für diese Arbeit notwendige hohe Anzahl von Wasserstoffbestimmungen in einem
vertretbaren Zeitrahmen durchführen zu können, wurden eigene Vergleichsmessungen
zwischen den beiden Verfahren durchgeführt, wofür dem entsprechenden MAG-Schutzgas
(M21) Wasserstoff in verschiedenen Anteilen zugesetzt wurde. Die für die Messungen
benötigten Proben wurden nach ISO 3690, jedoch mit zwei Mittelstücken hergestellt und
mit der vorgeschriebenen Prüfraupe versehen. Somit standen für die beiden Prüfverfahren
pro Schweißung je eine Probe mit identischem Wasserstoffgehalt zur Verfügung. Die
Entgasung der Proben erfolgte bei der Quecksilbermethode bei Raumtemperatur innerhalb
von 7 Tagen und bei der Trägergasheißextraktion bei 850°C innerhalb von 15 Minuten. Die
Ergebnisse in Tabelle 11 fügen sich gut in die in [141] beschriebenen Resultate ein und
zeigen, dass unter den gegebenen Bedingungen mit beiden Verfahren annähernd gleiche
Wasserstoffgehalte bestimmt werden können. Die auf Grundlage der Trägergasheißextrak-
tion bestimmten Wasserstoffgehalte liegen maximal 1ml/100g aufgeschmolzenem Werk-
stoff höher als die mit der Quecksilbermethode bestimmten. Dies ist ein Hinweis darauf,
dass die untersuchten Werkstoff/Zusatzwerkstoffkombinationen Wasserstoff nur in geringen
Mengen durch Trapping binden. Aus diesem Grund wurde die Trägergasheißextraktion für
die im Rahmen dieser Arbeit durchzuführenden Wasserstoffbestimmungen bevorzugt
eingesetzt.
94 BAM-Dissertationsreihe
______________________________________3 Versuchsaufbau und numerischer Ansatz
95
3 Versuchsaufbau und numerischer Ansatz______________________________________
Werkstoff
Schweißeignung
Bauteil
Schweißbarkeit
K
Sch onstr ng keit Temperaturfeld Ge
we u
ißs ktio n
tigu
Fe r öglic
h
ng fü
ich
e rh w eiß m nu e Um ge
eit h m
är wa
Sc
an
um
p
sw
es
wa
nd
ng
rm
lun
ndl
u
Wä
rm
g sw
ung
Verfo Schweißsimulation
ärme
Spannungen
Gefügezustand
Verformungen
Umw lung
d ur c h and nnung
Spa
Umwan g
dlungsspannun
Bild 53: Entkopplung der sich gegenseitig beeinflussenden Vorgänge beim Schmelzschwei-
ßen nach Radaj [142] und Karlsson [143] unter Berücksichtigung der Schweißbarkeit nach
DIN 8528
Bei der mathematischen Beschreibung der Wärmewirkungen des Schweißens stellt die
durch die Feldgleichung
∂T λ ⎛ ∂ 2T ∂ 2T ∂ 2T ⎞
(26) = ⎜ + + ⎟ mit
∂t cρ ⎜⎝ ∂x 2 ∂y 2 ∂z 2 ⎟⎠
λ
a= 2
= Temperaturleitzahl in [mm /s]
cρ
96 BAM-Dissertationsreihe
______________________________________3 Versuchsaufbau und numerischer Ansatz
Aufgrund der oft nicht ausreichenden Genauigkeit der Berechnungsergebnisse des analyti-
schen Ansatzes, verursacht durch starke Vereinfachungen bezüglich Wärmequelle und
Bauteilgeometrie bzw. der Vernachlässigung des nichtlinearen Materialverhaltens über den
beim Schweißen relevanten Temperaturbereich, hat sich in den letzten Jahren zur exakten
Ermittlung der zeit- und ortsabhängigen Wärmeverteilung in komplexen Bauteilen die nu-
merische Berechnung mit der Methode der Finiten Elemente (FEM) durchgesetzt.
Ausgehend von einer der Gleichung (26) entsprechenden Integralgleichung entsteht durch
die Unterteilung eines Feldes in einfache Elemente ein System nichtlinearer, gewöhnlicher
Differentialgleichungen erster Ordnung. Für die unbekannten Temperaturen an den so
genannten Knotenpunkten, die in der Regel den Eckpunkten der Elemente entsprechen,
lässt sich folgende Wärmestromgleichung aufstellen:
Die Lösung des Gleichungssystems mit Hilfe von Zeitschrittverfahren führt zur Bestimmung
des transienten Temperaturfeldes. Zum Einsatz kommt dabei im allgemeinen kommerzielle
Software wie z.B. ANSYS [157], SYSWELD [158], ABAQUS [159] oder MARC [160], mit
deren Hilfe numerische Temperaturfeldberechnungen als Grundlage für die nachfolgende
Strukturberechnung relativ einfach durchführbar sind.
Die Berechnung des durch das Schweißen bedingten Spannungszustandes wird heute
aufgrund der Komplexität fast ausschließlich mit der numerischen Berechnungsmethode
der Finiten Elemente durchgeführt, da analytische Ansätze oft nur einer überschlägigen
97
3 Versuchsaufbau und numerischer Ansatz______________________________________
EαT
(28) ρcT& + q fl i ,i = qvol − ε&el h ii + ξσ d ij ε&vp ij [163]
1 − 2ν
98 BAM-Dissertationsreihe
______________________________________3 Versuchsaufbau und numerischer Ansatz
erforderlichen Daten für den Stahl S1100QL wurden den entsprechenden Streubändern
aus den Veröffentlichungen von Richter [164],[165] entnommen. Teilweise mussten feh-
lende Werte durch Extrapolation ergänzt werden. Die Diagramme in Bild 54 bis Bild 59
zeigen die verwendeten Materialkennwerte, deren Verlauf ihre Temperaturabhängigkeit
deutlich macht. So wird in Bild 55 beispielsweise durch den Enthalpiesprung bei ca. 900°C
die auftretende Gefügeumwandlung berücksichtigt. Der drastische Anstieg der Enthalpie
zwischen 1400°C und 1600°C stellt den Einfluss der latenten Wärme beim Phasenüber-
gang fest-flüssig dar.
Die stark von den Legierungselementen beeinflusste Dichte von Stählen kann sich zwi-
schen Raumtemperatur und Erreichen des schmelzflüssigen Zustandes um maximal ±13%
ändern [164]. Gefügeumwandlungen können sich durch Unstetigkeiten im Verlauf bemerk-
bar machen. Bild 57 zeigt die mit ansteigender Temperatur abnehmende Dichte, deren
Verlauf für den Einsatz in numerischen Berechnungen durch einen linearen Ansatz ange-
nähert werden kann.
12
Wärmeübergangskoeffizient
4 4,0E+09
0,0E+00
0
0 400 800 1200 1600
0 400 800 1200 1600
40,0 8000
Wärmeleitfähigkeit [W/m*K]
7800
35,0
Dichte [kg/m3]
7600
30,0
7400
25,0 7200
20,0 7000
0 400 800 1200 1600 0 400 800 1200 1600
Bild 56: temperaturabhängige Wärmeleitfä- Bild 57: temperaturabhängige Dichte für den
higkeit für den Stahl S1100QL Stahl S1100QL
Bild 58 zeigt den Verlauf des Wärmeausdehnungskoeffizienten, der nach dem Durchlaufen
eines Maximums bedingt durch die Volumenkontraktion während der α-γ-Umwandlung bis
zu deren Abschluss bei ca. 800°C abfällt. Danach ist für das nun vorliegende kfz-Gitter
einer steilerer Anstieg als für das bei unter 600°C vorliegende krz-Gitter festzustellen.
99
3 Versuchsaufbau und numerischer Ansatz______________________________________
E-Modul [N/m2]
koeffizient [1/K]
1,5E-05
1,4E-05 1,5E+11
1,3E-05 1,0E+11
1,2E-05
1,1E-05 5,0E+10
G r u nd w e r k s t o f f
1,0E-05 0,0E+00
0 400 800 1200 1600 20 220 420 620 820
Temperatur [°C] Temperatur [°C]
2,0E+09 2,0E+09
wahre Spannung [N/m2]
5,0E+08 5,0E+08
700°C 700°C
0,0E+00 0,0E+00
0 0,05 0,1 0,15 0,2 0 0,05 0,1 0,15 0,2
2,0E+09 2,0E+09
wahre Spannung [N/m2]
20°C
1,5E+09 1,5E+09
20°C
300°C
1,0E+09 1,0E+09 300°C
500°C
500°C
5,0E+08 5,0E+08
700°C
700°C
0,0E+00 0,0E+00
0 0,05 0,1 0,15 0,2 0 0,05 0,1 0,15 0,2
100 BAM-Dissertationsreihe
______________________________________3 Versuchsaufbau und numerischer Ansatz
Zuordnung der Gefügebereiche erfolgte nach der von Radaj [166] vorgeschlagenen Me-
thode zur Kalibrierung von FE-Modellen, bei der die Größe und Anordnung der Fein- und
Grobkornzone realen Schliffbildern entnommen und auf die dreidimensionalen Modelle zur
Strukturberechnung übertragen wird. Außerdem konnte hierbei, wie auch bei der gesamten
Modellerstellung zur numerischen Berechnung an IRC-Proben, auf umfangreiche Ergeb-
nisse von Neuhaus [129] zurückgegriffen werden.
Die Erzeugung der FE-Modelle erfolgte auf Grundlage von Macro-Files mit Hilfe der Para-
metersprache APDL (ANSYS Programmable Design Language). Diese Vorgehensweise
bietet gegenüber der Modellerstellung und nachfolgender Berechnung mit Hilfe der Benut-
zeroberfläche des FE-Programms den Vorteil einer hohen Flexibilität bei der Durchführung
von Variationen bestimmter geometrischer oder schweißtechnischer Parameter. Tempera-
turfeld- und Strukturberechnungen wurden jeweils mit identischen Modellen unter Berück-
sichtigung der für die unterschiedlichen Berechnungen benötigten Knotenfreiheitsgrade
durchgeführt. Wie in Bild 64 dargestellt, besitzt der für die Temperaturfeldberechnungen
benutzte Elementtyp SOLID70 einen Freiheitsgrad für die Temperatur, während der für die
Strukturberechnung benutzte Elementtyp SOLID45 3 Freiheitsgrade für die Knotenver-
schiebungen in die drei Koordinatenrichtungen aufweist. Beiden Elementtypen liegt eine
lineare Ansatzfunktion sowie innerhalb des Elementes homogenes und isotropes Material-
verhalten zugrunde.
101
3 Versuchsaufbau und numerischer Ansatz______________________________________
4
P
5 O SOLID70
6
1 Freiheitsgrad: Temperatur T
3
M N
2 L
K SOLID45
Z
3 Freiheitsgrade: Knotenverschie-
1 bungen ux, uy, uz
X Y
I J
Bild 64: für die numerischen Berechnungen verwendete Elementtypen nach [157]
Um eine vertretbare Rechenzeit bei gleichzeitig hoher Qualität der Ergebnisse zu gewähr-
leisten, erfolgte die Vernetzung der Modelle adaptiv. Dies bedeutet, dass die Vernetzung im
Bereich der Schweißnaht und der angrenzenden WEZ deutlich feiner ausfällt als in
schweißnahtfernen Bereichen, in denen keine hohen Temperatur- und Spannungsgradien-
ten zu erwarten sind. Bild 65 verdeutlicht diese Vorgehensweise anhand der untersuchten
IRC-Proben, bei der ein Großteil der Elemente in der Schweißnaht und der WEZ angeord-
net sind.
H
Schweißgut
B
L = 55 mm
B = 100 mm
H = 20 mm
L
Anzahl der Elemente: feinkörnige WEZ Grundwerkstoff
14990 grobkörnige WEZ
Bild 65: adaptive Vernetzung des FE-Modells und Berücksichtigung der verschiedenen
Gefügezonen am Beispiel einer IRC-Probe
102 BAM-Dissertationsreihe
______________________________________3 Versuchsaufbau und numerischer Ansatz
Allgemein kann der Ablauf der durchgeführten FE-Berechnungen wie folgt beschrieben
und, wie in Bild 66 dargestellt, in die drei Hauptarbeitsschritte Preprocessor, Solution und
Postprocessor strukturiert werden.
Solution
Aufbringen Berechnung Steifigkeit der
Fixierung des Modells
der Lasten umgebenden
Einspanngrad der Umgebung Statisch
Kraft Konstruktion
Transient
Wärmequelle Linear
Temperatur Nichtlinear Schweißparameter
Postprocessor
Auswertung der Berechnungsergebnisse
Thermische Berechnung Mechanische Berechnung
Temperaturverlauf Reaktionskraft
Bauteilverzug
Abkühlzeit (t8/5, t3/1)
Eigenspannungen
Mit Hilfe des Preprocessors wurde ein geometrisches Modell des zu berechnenden Bauteils
erstellt. Bei der sogenannten Top-down-Methode, besteht neben der programminternen
Erzeugung der Modelle die Möglichkeit, Volumenmodelle aus externen CAD-Programmen
zu importieren und anschließend der Reihe nach in Flächen, Linien und Knoten zu unter-
teilen, bis ein vernetztes, berechenbares FE-Modell zur Verfügung steht. Die in dieser
103
3 Versuchsaufbau und numerischer Ansatz______________________________________
Arbeit verwendeten Modelle wurden jedoch aufgrund ihrer relativ einfachen Geometrie mit
der umgekehrt arbeitenden Bottom-up-Methode erzeugt. Dabei werden Volumenmodelle
nach der Definition von Knoten, Linien und Flächen durch Extrusion erzeugt und
anschließend vernetzt.
Mit Hilfe des Postprocessors wurden im Anschluss an die Berechnung die in Form von
Ergebnis-Files vorliegenden Lösungen ausgelesen und ausgewertet. Dabei können mittels
des allgemeinen Postprocessors (general postprocessor) die Ergebnisse des gesamten
Modells oder ausgewählter Modellregionen für einen bestimmten Zeitpunkt ausgewertet
werden. Unter Verwendung des „Zeit-Bilanz“-Postprocessors (time history postprocessor)
kann die Auswertung der Ergebnisse an spezifischen Punkten des Modells in Abhängigkeit
von der Zeit erfolgen.
104 BAM-Dissertationsreihe
_________________________________________________4 Ergebnisse und Diskussion
a) wasserstofffrei b) 1ml/100g
c) 2 ml/100g d) 4 ml/100g
Bild 67: Bruchflächen des Stahles S690Q bei verschiedenen Wasserstoffgehalten
Verglichen mit dem wasserstofffreien Gefüge (Bild 67a) werden die das Erscheinungsbild
des Zähbruches ausmachenden Grübchen dichter und flacher (Bild 67b). Bei einer Wasser-
stoffkonzentration von 2ml/100g (Bild 67c) ist ein Umschlagen des Bruchmodus zu
transkristallinem Sprödbruch zu beobachten, der an Ausgeprägtheit zu höheren Wasser-
105
4 Ergebnisse und Diskussion_________________________________________________
stoffkonzentrationen von 4ml/100g (Bild 67d) hin zunimmt. Dies zeigt deutlich, dass
Wasserstoff eine erhebliche Versprödung des Grundwerkstoffgefüges des S690Q hervor-
ruft, was zu einem sprödbruchartigen Versagen führen kann. Die Änderungen im Bruch-
modus weisen auf eine Degradation der mechanischen Eigenschaften hin, die deshalb
bezüglich wasserstoffabhängiger Spannungs- und Dehnungswerte bewertet werden kön-
nen.
In Bild 68 bis Bild 71 sind in Abhängigkeit von der Wasserstoffkonzentration die an glatten
Zugproben ermittelten technischen Festigkeitskennwerte des Stahles S690Q im Grund-
werkstoff, in der schweißsimulierten Grobkorn- sowie Feinkornzone und des Schweißgutes
Union NiMoCr zusammengefasst. Im Vergleich der Diagramme ist zu erkennen, dass im
Grundwerkstoff Wasserstoff mit bis zu 3 Nml/100g in geringeren Konzentrationen aufge-
nommen wird, als in den WEZ-Gefügen und im Schweißgut, das bis zu 6 Nml/100g lösen
kann. Hier unterscheidet sich der Stahl S690Q von anderen Werkstoffen, wie beispiels-
weise von den supermartensitischen Stählen [168], in denen eine geringere Wasserstofflös-
lichkeit in der Wärmeeinflusszone und im Schweißgut gegenüber dem Grundwerkstoff
festgestellt wurde. Dennoch lässt sich dieses unterschiedliche Lösungsvermögen durchaus
erklären. Die durch eine deutlich schnellere Abkühlung von einer Temperatur über Ac3 aus
entstandenen grob- und feinkörnigen Gefüge der Wärmeeinflusszone weichen erheblich in
ihrer Ausbildung von der des Grundwerkstoffes ab. Sie lassen sich lichtmikroskopisch nicht
besonders hoch auflösen und bestehen je nach Abkühlgeschwindigkeit im wesentlichen
aus Bainit bzw. Martensit. Verantwortlich für ein erhöhtes Wasserstofflösungsvermögen
gegenüber dem Grundwerkstoff dürften vor allem Wasserstofffallen, wie z.B. eine größere
Anzahl von Versetzungen und andere Gitterfehler, sein. Auch die Bildung von Restaustenit,
welcher das Lösungsvermögen von Wasserstoff in z.B. supermartensitischen Stählen
erheblich erhöht, ist als mögliche Ursache einer höheren Wasserstofflöslichkeit denkbar, da
ein Anlassen der Gefüge der WEZ und des Schweißgutes bei der Probenherstellung nicht
erfolgte.
Für alle Gefügezustände des Stahles S690Q ist bei geringen Wasserstoffgehalten zunächst
eine, wenn auch geringe, Zunahme der 0,2 % Dehngrenze mit der Wasserstoffkonzentra-
tion zu verzeichnen. Dies wurde bereits in ähnlichen früheren Untersuchungen mit dem
Stahl S355 festgestellt und gibt einen Hinweis darauf, dass sich Wasserstoff in den Ver-
setzungen angelagert hat. Nach Dieter [169] ist diese Festigkeitszunahme auf ein Blockie-
ren der Versetzungsbewegung durch interstitielle Atome zurückzuführen.
Auch an anderer Stelle wird die sich auf ein Ansteigen der Festigkeitswerte auswirkende
Verfestigung (hardening) mit der Wechselwirkung zwischen Wasserstoff und Versetzungen
erklärt [170]. Im angelieferten Stahl sowie im Schweißgut, nicht aber für die
schweißsimulierten WEZ-Gefüge, wurde zudem ein leichter Anstieg der Zugfestigkeit
verzeichnet. Festzuhalten bleibt an dieser Stelle, dass Wasserstoff die Versetzungsaktivität
sowohl hemmen als auch unterstützen kann [171], und damit solche Phänomene durchaus
erklärbar sind.
Prinzipiell ist für alle Gefüge bei höheren Wasserstoffkonzentrationen eine Abnahme der
Zugfestigkeit zu beobachten. Insbesondere existiert für jedes Gefüge, außer für den Liefer-
zustand, eine bestimmte Wasserstoffkonzentration, bei der die Zugfestigkeit unter die 0,2%
Dehngrenze sinkt (Schnittpunkt der Ausgleichsgeraden bzw. des Streubandes für die 0,2%
106 BAM-Dissertationsreihe
_________________________________________________4 Ergebnisse und Diskussion
Dehngrenze mit dem Streuband für die Zugfestigkeit). Dies bedeutet, dass diese Gefüge
praktisch keine Duktilität mehr besitzen.
Rp 0,2 bzw. Rm [MPa]
Wasserstoffkonzentration [ml/100g]
Bild 68: Zugfestigkeit und 0,2%-Dehngrenze in Abhängigkeit von der Wasserstoffkonzen-
tration,S690Q, Lieferzustand
Rp 0,2 bzw. Rm [MPa]
Wasserstoffkonzentration [ml/100g]
Bild 69: Zugfestigkeit und 0,2%-Dehngrenze in Abhängigkeit von der Wasserstoffkonzen-
tration, S690Q, schweißsimulierte Feinkornzone
107
4 Ergebnisse und Diskussion_________________________________________________
Wasserstoffkonzentration [ml/100g]
Bild 70: Zugfestigkeit und 0,2%-Dehngrenze in Abhängigkeit von der Wasserstoffkonzen-
tration, S690Q, schweißsimulierte Grobkornzone
Rp 0,2 bzw. Rm [MPa]
Wasserstoffkonzentration [ml/100g]
Bild 71: Zugfestigkeit und 0,2%-Dehngrenze in Abhängigkeit von der Wasserstoffkonzen-
tration, Schweißgut Union NiMoCr
In der Praxis ist deshalb zu beachten, dass das für die Auslegung schweißtechnischer
Konstruktionen maßgebliche Streckgrenzenverhältnis ab einer bestimmten
Wasserstoffkonzentration in den Schweißnahtgefügen dieses Stahles den Wert 1 annimmt.
108 BAM-Dissertationsreihe
_________________________________________________4 Ergebnisse und Diskussion
Die sicherheitsrelevante Brisanz dieser Tatsache ergibt sich insbesondere daraus, dass
bereits ab Wasserstoffkonzentrationen um 2 Nml/100g die Zugfestigkeit auf das Niveau der
Streckgrenze des jeweiligen Gefüges absinken kann.
Anhand dieser Ergebnisse zeichnet sich bereits ab, dass Wasserstoff sich weniger auf die
Festigkeit an sich, sondern maßgeblich auf die Duktilität von Feinkornbaustählen und ihren
Schweißnahtgefügen auswirkt. Diese Wirkung des Wasserstoffs ist in dem schematisierten
technischen Spannungs-Dehnungs-Schaubild im Bild 72 dargestellt. Anhand der Abbildung
wird deutlich, dass beispielsweise bei einem Absinken der Festigkeit um ca. 20% die
Dehnung um ca. 80% vermindert werden kann.
0 ml
20 %
0,2 ml
1 ml 0,5 ml
Spannung [MPa]
2 ml
3 ml
80 %
Dehnung [%]
In Anbetracht des Ziels dieser Arbeit wurde sich daher besonders auf die Ermittlung was-
serstoffabhängiger Dehnungswerte konzentriert. Im Hinblick auf die Übertragbarkeit eines
werkstoff- bzw. gefügespezifischen Kennwertes zur Beschreibung der Degradation durch
Wasserstoff auf Bauteile und Konstruktionen ist es notwendig, einen von der Probenform
und -größe unabhängigen Parameter zu definieren. Aus diesem Grund wurden vor allem
die wahren Dehnungswerte betrachtet. Es stellte sich heraus, dass nahezu alle wahren
Dehnungskennwerte bereits bei relativ geringer Wasserstoffkonzentration von ca.
1 Nml/100g für alle Gefüge stark abnehmen und danach ein nahezu konstantes Verhalten
zeigen. Besonders deutlich zeigt sich dies anhand der wahren Bruchdehnung, deren Werte
für den Werkstoff S690Q in Bild 73 bis Bild 76 zusammengefasst sind und die, wie es
oberhalb der Zugfestigkeit aufgrund der Einschnürung erforderlich ist, mit folgender Formel
berechnet wurde:
109
4 Ergebnisse und Diskussion_________________________________________________
mit
A0= Ausgangsquerschnitt
Ab= Bruchquerschnitt)
crack
wahre Bruchdehnung
no crack
Wasserstoffkonzentration [ml/100g]
Bild 73: Wahre Bruchdehnung in Abhängigkeit von der Wasserstoffkonzentration, S690Q,
Lieferzustand
110 BAM-Dissertationsreihe
_________________________________________________4 Ergebnisse und Diskussion
wahre Bruchdehnung
crack
no
cr
ac
k
Wasserstoffkonzentration [ml/100g]
Bild 74: Wahre Bruchdehnung in Abhängigkeit von der Wasserstoffkonzentration, S690Q,
schweißsimulierte Feinkornzone
wahre Bruchdehnung
crack
no
cra
ck
Wasserstoffkonzentration [ml/100g]
Bild 75: Wahre Bruchdehnung in Abhängigkeit von der Wasserstoffkonzentration, S690Q,
schweißsimulierte Grobkornzone
111
4 Ergebnisse und Diskussion_________________________________________________
wahre Bruchdehnung
crack
no
cr
a ck
Wasserstoffkonzentration [ml/100g]
Bild 76: Wahre Bruchdehnung in Abhängigkeit von der Wasserstoffkonzentration, S690Q,
Schweißgut Union NiMoCr
Mit der mathematischen Erfassung der jeweils oberen und unteren Hüllkurve ergibt sich
außerdem die Möglichkeit, die Ergebnisse direkt in numerische Simulationen als flankieren-
des Element zur Lebensdauerabschätzung geschweißter Bauteile einfließen zu lassen.
Die Verläufe der oberen und unteren Hüllkurven wurden deshalb durch Exponentialfunktio-
nen erster und zweiter Ordnung ausgedrückt und sind in Tabelle 12 zusammengefasst.
Tabelle 12: kritische Werte der wahren Bruchdehnung in Abhängigkeit von der Wasser-
stoffkonzentration für die Schweißnahtgefüge S690Q/Union NiMoCr
HD
Lieferzustand obere Kurve − (30)
ε w = 0,4016 ⋅ e 1, 0961
+ 1,1389
HD
untere Kurve − (31)
ε w = 1,1354 ⋅ e 1,1598
+ 0,3243
HD
Schweißsimulierte obere Kurve − (32)
ε w = 1,1483 ⋅ e 0 , 5018
+ 0,1395
Feinkornzone
HD
untere Kurve − (33)
ε w = 1,1487 ⋅ e 0 , 333
+ 0,0576
HD
Schweißsimulierte obere Kurve − (34)
ε w = 0,9857 ⋅ e 0 , 8907
+ 0,0951
Grobkornzone
HD HD
untere Kurve − − (35)
ε w = 0,5024 ⋅ e 0 ,1189
+ 0,5680 ⋅ e 0 , 8164
+ 0,0346
HD
Schweißgut Union obere Kurve − (36)
ε w = 0,9758 ⋅ e 1, 0208
+ 0,2290
NiMoCr
HD
untere Kurve − (37)
ε w = 1,0217 ⋅ e 0 , 6921
+ 0,0874
112 BAM-Dissertationsreihe
_________________________________________________4 Ergebnisse und Diskussion
a) wasserstofffrei b) 1ml/100g
c) 2 ml/100g d) 4 ml/100g
Bild 77: Bruchflächen des Stahles S1100QL bei verschiedenen Wasserstoffgehalten
113
4 Ergebnisse und Diskussion_________________________________________________
Der Grundwerkstoff S1100QL löst mehr Wasserstoff als der Stahl S690Q im Lieferzustand.
Gründe hierfür könnten neben einer erhöhten Versetzungsdichte die das Austenitgebiet
erweiternden Legierungselemente C und Ni sein, die diesem Stahl in höheren Konzentra-
tionen zugesetzt sind als dem S690Q. Somit ist davon auszugehen, dass die Mf-Tempe-
ratur zu niedrigeren Werten verschoben wird, so dass bei Raumtemperatur Restaustenit
vorliegt. Dieser Restaustenit wurde bereits in supermartensitischen Stählen als der
wesentliche Gefügebestandteil identifiziert, der die Wasserstofflöslichkeit erhöht [168].
In Anbetracht der Zielstellung dieser Arbeit wurde jedoch auf weitere Untersuchungen zu
den Ursachen unterschiedlichen Lösungsvermögens der Gefüge verzichtet, zumal im
Gegensatz zum Grundwerkstoff die Gefüge der schweißsimulierten WEZ und des
Schweißgutes eine ähnliche Wasserstofflöslichkeit wie die des Stahles S690Q aufwiesen.
Wie zuvor schon für den Stahl S690Q wurden in Abhängigkeit von der Wasserstoffkon-
zentration anhand der mechanisch-technologischen Festigkeitskennwerte wiederum
hardening Effekte beobachtet (Bild 78 bis Bild 81). Im Gegensatz zu den untersuchten
Schweißnahtgefügen des Stahles S690Q ist zu beachten, dass das Festigkeitsniveau des
Schweißgutes Union X96 unter dem des Grundwerkstoffes liegt, da es sich um einen
Schweißzusatzwerkstoff für Feinkornbaustähle mit einer Mindeststreckgrenze von lediglich
960 MPa handelt.
Im Vergleich von Bild 68 bis Bild 71 mit Bild 78 bis Bild 81 ist festzustellen, dass diejenige
Wasserstoffkonzentration, ab der die Zugfestigkeit auf das Niveau der Streckgrenze des
Grundwerkstoffes ohne Wasserstoffbeladung abgesunken ist, für alle Gefüge des Stahles
S1100QL gegenüber dem Werkstoff S690Q wesentlich geringere Werte annimmt. Sogar im
Lieferzustand nehmen ab dieser Wasserstoffkonzentration Zugfestigkeit und 0,2 % Dehn-
grenze denselben Wert an.
Rp 0,2 bzw. Rm [MPa]
Wasserstoffkonzentration [ml/100g]
Bild 78: Zugfestigkeit und 0,2%-Dehngrenze in Abhängigkeit von der Wasserstoffkonzen-
tration, S1100QL, Lieferzustand
114 BAM-Dissertationsreihe
_________________________________________________4 Ergebnisse und Diskussion
Wasserstoffkonzentration [ml/100g]
Bild 79: Zugfestigkeit und 0,2%-Dehngrenze in Abhängigkeit von der Wasserstoffkonzen-
tration, S1100QL, schweißsimulierte Feinkornzone
Rp 0,2 bzw.Rm [MPa]
Wasserstoffkonzentration [ml/100g]
Bild 80: Zugfestigkeit und 0,2%-Dehngrenze in Abhängigkeit von der Wasserstoffkonzen-
tration, S1100QL, schweißsimulierte Grobkornzone
115
4 Ergebnisse und Diskussion_________________________________________________
Wasserstoffkonzentration [ml/100g]
Bild 81: Zugfestigkeit und 0,2%-Dehngrenze in Abhängigkeit von der Wasserstoffkonzen-
tration, Schweißgut Union X96
kritische Wasserstoffkonzentration [ml/100g]
Grundwerkstoff
Wärmeeinflusszone
Schweißgut
Bild 82: kritische Wasserstoffkonzentration, bei der die Zugfestigkeit unter die Werte für die
Dehngrenze sinkt, in Abhängigkeit vom Gefüge für die hochfesten Feinkornbaustähle
S355, S690Q und S1100QL
116 BAM-Dissertationsreihe
_________________________________________________4 Ergebnisse und Diskussion
Daran zeigt sich nicht nur sehr deutlich, dass mit der Erhöhung der Festigkeitsklasse der
Grundwerkstoffe die kritische Wasserstoffkonzentration, bei der Zugfestigkeit und Dehn-
grenze zusammenfallen, sinkt, sondern dass hiervon mit zunehmender Festigkeit der
Grundwerkstoffe sämtliche Gefügearten einer Schweißnaht betroffen sind. So existiert ein
solcher Grenzwert für den S355 nur für die Gefüge der WEZ, während beim S690Q WEZ
und Schweißgut und beim S1100QL Grundwerkstoff, WEZ und Schweißgut betroffen sind.
Aus dem Diagramm wird außerdem mit unmissverständlicher Deutlichkeit klar, dass die
Duktilitätsreserven, wie sie trotz erheblicher Wasserstoffkonzentrationen in den Schweiß-
nahtgefügen des Stahles S355 immer noch bestehen, beim Schweißen der hochfesten
Varianten und insbesondere des Stahles S1100QL praktisch nicht mehr vorliegen.
Dies zeigt sich auch anhand der Werte für die wahre Bruchdehnung, die ebenfalls bei
relativ geringen Wasserstoffkonzentrationen von ca. 1 Nml/100g für alle Gefüge stark
abnehmen und die darüber hinaus ein konstant niedriges Niveau annehmen. Insgesamt
weisen alle untersuchten Gefüge der Werkstoff/Zusatzwerkstoffkombination
S1100QL/Union X96 auch bei wasserstofffreiem Metallgitter ein geringeres Dehnungsver-
mögen auf als die des S690Q. Der unbeeinflusste Grundwerkstoff (Bild 83) sowie die
beiden schweißsimulierten WEZ-Gefüge (Bild 84 und Bild 85) verlieren im Gegensatz zum
S690Q fast das gesamte Dehnungsvermögen.
wahre Bruchdehnung
crack
no
cra
ck
Wasserstoffkonzentration [ml/100g]
Bild 83: Wahre Bruchdehnung in Abhängigkeit von der Wasserstoffkonzentration,
S1100QL, Lieferzustand
117
4 Ergebnisse und Diskussion_________________________________________________
wahre Bruchdehnung
crack
no
cr
ac
k
Wasserstoffkonzentration [ml/100g]
Bild 84: Wahre Bruchdehnung in Abhängigkeit von der Wasserstoffkonzentration,
S1100QL, schweißsimulierte Feinkornzone
wahre Bruchdehnung
crack
no
cr
ac
k
Wasserstoffkonzentration [ml/100g]
Bild 85: Wahre Bruchdehnung in Abhängigkeit von der Wasserstoffkonzentration,
S1100QL, schweißsimulierte Grobkornzone
118 BAM-Dissertationsreihe
_________________________________________________4 Ergebnisse und Diskussion
wahre Bruchdehnung
crack
no crack
Wasserstoffkonzentration [ml/100g]
Bild 86: Wahre Bruchdehnung in Abhängigkeit von der Wasserstoffkonzentration,
Schweißgut Union X96
Trotz seiner geringeren Festigkeit reagiert das Schweißgut sogar noch sensibler auf Was-
serstoffkonzentrationen unterhalb von 1 Nml/100g mit einer sprunghaften Abnahme der
Dehnungskennwerte (Bild 86). Dies kann als Hinweis darauf gewertet werden, dass die
Abnahme des Verformungsvermögens hochfester Feinkornbaustähle nicht nur mit der
Festigkeitsklasse an sich, sondern auch mit der Wärmebehandlung bzw. den Abkühlungs-
bedingungen zusammenhängt.
Tabelle 13: kritische Werte der wahren Bruchdehnung in Abhängigkeit von der Wasser-
stoffkonzentration für die Schweißnahtgefüge S1100QL/Union X96
HD
Lieferzustand obere Kurve − (38)
ε w = 1,1545 ⋅ e 1, 2659
+ 0,0564
HD HD
untere Kurve − − (39)
ε w = 0,8062 ⋅ e 0 , 7967
+ 0,3390 ⋅ e 0 , 8324
+ 0,0329
HD
Schweißsimulierte obere Kurve − (40)
ε w = 0,996 ⋅ e 1, 058
+ 0,0714
Feinkornzone
HD HD
untere Kurve − − (41)
ε w = 0,467 ⋅ e 0 , 8697
+ 0,585 ⋅ e 0 , 873
+ 0,023
HD
Schweißsimulierte obere Kurve − (42)
ε w = 0,9135 ⋅ e 1, 312
+ 0,1147
Grobkornzone
HD HD
untere Kurve − − (43)
ε w = 0,7464 ⋅ e 1,15
+ 0,2456 ⋅ e 1,147
+ 0,0134
Schweißgut Union obere Kurve −
HD
(44)
ε w = 0,593 ⋅ e 0 , 3307
+ 0,13
X96
HD HD
untere Kurve − − (45)
ε w = 0,614 ⋅ e 0 , 2296
+ 0,093 ⋅ e 3, 639
119
4 Ergebnisse und Diskussion_________________________________________________
Wie für den Stahl S690Q anhand von Bild 73 bis Bild 76 wurden auch für den Stahl
S1100QL aus den Diagrammen in Bild 83 bis Bild 86 die Hüllkurven für die ermittelten
wasserstoffabhängigen Werte der wahren Bruchdehnung anhand von Gleichungen erfasst,
welche wiederum den Grenzbereich für Rissfreiheit des jeweiligen Gefüges in Abhängigkeit
vom Wasserstoffgehalt darstellen (Tabelle 13).
Zusammenfassend kann für den Stahl S1100QL festgestellt werden, dass die untersuchten
Schweißnahtgefüge zwar empfindlicher bezüglich der Festigkeitswerte auf im Metallgitter
gelösten Wasserstoff reagieren als die des S690Q. Wie zuvor wird aber deutlich, dass
Dehnungskennwerte, insbesondere in Form der wahren Bruchdehnung, eindeutigere und
quantifizierbarere Aussagen zur Wasserstoffdegradation von Gefügen hochfester Fein-
kornbaustähle liefern.
4.1.2 Kerbzugproben
4.1.2.1 Werkstoff/Zusatzwerkstoffkombination S690Q/NiMoCr
Da an realen Schweißverbindungen neben dem Einfluss des Wasserstoffes auch stets mit
festigkeitsbeeinflussenden Kerbwirkungen zu rechnen ist, wurden für die Werk-
stoff/Zusatzwerkstoffkombination S690Q/NiMoCr entsprechende Kerbzugversuche durch-
geführt. Um die an den realen Schweißverbindungen der durchgeführten Kaltrissversuche
auftretenden Kerbwirkungen nachzubilden, wurden entsprechende Kerbformzahlen in
kaltrisskritischen Nahtbereichen von 2,91 bis 3,45 im TEKKEN- und CTS-Versuch ermittelt
und auf gekerbte Zugproben übertragen. Aus den Implant-Tests konnten die Kerbformzah-
len direkt auf die Zugproben übertragen werden. Wenngleich die Kerbtiefe bei den mehr
technologischen Prüfverfahren TEKKEN und CTS-Versuch nicht exakt ermittelt werden
kann, liegt jedoch der in diesen Tests gemessene Kerbradius mit Werten zwischen 0,07
mm und 0,12 mm im Bereich der Kerbe der Implantprobe von 0,1 mm. Es ergaben sich bei
gleichem Kerbradius von 0,1 mm die Kerbtiefen 0,10 mm, 0,15 mm und 0,25 mm. Die
Herstellung der Zugproben mit den entsprechenden Gefügen, die Wasserstoffbeladung und
die Durchführung der Zugversuche erfolgte unter den gleichen Bedingungen wie für die
glatten Zugproben. Der entsprechende Kerb wurde als Ringkerb jeweils in der Mitte des
Prüfbereiches eingebracht und auf mechanische Unebenheiten kontrolliert, um undefinierte
Spannungszustände im Kerbgrund auszuschließen.
Die mit Hilfe der Kerbzugproben bestimmten wasserstoffabhängigen Werte für die Kerb-
zugfestigkeit der verschiedenen Schweißnahtgefüge sind in Bild 87 bis Bild 90 in Form von
Ausgleichsgeraden der Zug- bzw. Kerbzugfestigkeit, abhängig von der Kerbtiefe und der
Wasserstoffkonzentration, dargestellt.
120 BAM-Dissertationsreihe
_________________________________________________4 Ergebnisse und Diskussion
Kerbschärfe
Kerbtiefe
Kerb 0,25
Kerb
Kern 0,15
Kerb 0,10
ohne Kerb
Wasserstoffkonzentration [ml/100g]
Bild 87: Zugfestigkeit bzw. Kerbzugfestigkeit in Abhängigkeit von der Wasserstoffkonzen-
tration, S690Q, Grundwerkstoff im Lieferzustand
Zugfestigkeit bzw. Kerbzugfestigkeit[MPa]
Kerb 0,25
Kerb 0,15
Kern
Kerb 0,10
Kerbschärfe
Kerbtiefe
ohne Kerb
Wasserstoffkonzentration [ml/100g]
Bild 88: Zugfestigkeit bzw. Kerbzugfestigkeit in Abhängigkeit von der Wasserstoffkonzen-
tration, S690Q, schweißsimulierte Feinkornzone
121
4 Ergebnisse und Diskussion_________________________________________________
Kerbschärfe
Kerb 0,10
Kerb 0,15
Kern
Wasserstoffkonzentration [ml/100g]
Bild 89: Zugfestigkeit bzw. Kerbzugfestigkeit in Abhängigkeit von der Wasserstoffkonzen-
tration, S690Q, schweißsimulierte Grobkornzone
Zugfestigkeit bzw. Kerbzugfestigkeit[MPa]
Kerbschärfe
Kerbtiefe
Kerb 0,25
Kern
Kerb 0,15
Kerb 0,10
ohne Kerb
Wasserstoffkonzentration [ml/100g]
Bild 90: Zugfestigkeit bzw. Kerbzugfestigkeit in Abhängigkeit von der Wasserstoffkonzen-
tration, Schweißgut Union NiMoCr
Dies bedeutet, dass der Einfluss der konstruktiven Kerbe den des Wasserstoffes in diesen
Gefügen überlagert. Daraus lässt sich ableiten, dass sich die Herabsetzung der mechani-
schen Eigenschaften infolge zunehmender Wasserstoffkonzentration in diesen Gefügen
anhand glatter Proben besser nachweisen lässt als unter Verwendung gekerbter Proben.
122 BAM-Dissertationsreihe
_________________________________________________4 Ergebnisse und Diskussion
Kerbtiefe [mm]
Bild 91: Zug- bzw. Kerbzugfestigkeit in Abhängigkeit von der Kerbtiefe und der
Wasserstoffkonzentration, S690Q/Union NiMoCr, Wasserstoffkonzentration 0 Nml/100g
Zugfestigkeit bzw. Kerbzugfestigkeit[MPa]
Kerbtiefe [mm]
Bild 92: Zug- bzw. Kerbzugfestigkeit in Abhängigkeit von der Kerbtiefe und der
Wasserstoffkonzentration, S690Q/Union NiMoCr, Wasserstoffkonzentration 1 Nml/100g
123
4 Ergebnisse und Diskussion_________________________________________________
untergeordnet zu sein. Als Ursache dafür kann die Relation von Korngröße zu Kerbgröße
angenommen werden.
Zugfestigkeit bzw. Kerbzugfestigkeit[MPa]
Kerbtiefe [mm]
Bild 93: Zug- bzw. Kerbzugfestigkeit in Abhängigkeit von der Kerbtiefe und der
Wasserstoffkonzentration, S690Q/Union NiMoCr, Wasserstoffkonzentration 3 Nml/100g
Zugfestigkeit bzw. Kerbzugfestigkeit[MPa]
Kerbtiefe [mm]
Bild 94: Zug- bzw. Kerbzugfestigkeit in Abhängigkeit von der Kerbtiefe und der
Wasserstoffkonzentration, S690Q/Union NiMoCr, Wasserstoffkonzentration 5 Nml/100g
Bild 91 bis Bild 94 zeigen ausgehend von der Zugfestigkeit (Kerbtiefe 0,00 mm) die Ände-
rung der Kerbzugfestigkeit in Abhängigkeit von der Kerbtiefe für verschieden hohe Wasser-
124 BAM-Dissertationsreihe
_________________________________________________4 Ergebnisse und Diskussion
Kerbtiefe
Kerb 0,25
Kerbschärfe
Kerb 0,10
Kern 0,15
ohne Kerb
Wasserstoffkonzentration [ml/100g]
Bild 95: Zugfestigkeit bzw. Kerbzugfestigkeit in Abhängigkeit von der Wasserstoffkon-
zentration, S1100QL, Grundwerkstoff im Lieferzustand
125
4 Ergebnisse und Diskussion_________________________________________________
Kerb 0,25
Kerbtiefe
Kerb 0,15
Kern Kerbschärfe
Kerb 0,10
ohne Kerb
Wasserstoffkonzentration [ml/100g]
Bild 96: Zugfestigkeit bzw. Kerbzugfestigkeit in Abhängigkeit von der Wasserstoffkonzentra-
tion, S1100QL, schweißsimulierte Feinkornzone
Zugfestigkeit bzw. Kerbzugfestigkeit[MPa]
Kerbtiefe
Kerb 0,25
Kerbschärfe
Kern
Kerb 0,15 Kerb 0,10
ohne Kerb
Wasserstoffkonzentration [ml/100g]
Bild 97: Zugfestigkeit bzw. Kerbzugfestigkeit in Abhängigkeit von der Wasserstoffkonzentra-
tion, S1100QL, schweißsimulierte Grobkornzone
126 BAM-Dissertationsreihe
_________________________________________________4 Ergebnisse und Diskussion
Kerbtiefe
Kerb 0,25
Kerb 0,10
Kerb
Kern 0,15
Kerbschärfe
ohne Kerb
Wasserstoffkonzentration [ml/100g]
Bild 98: Zugfestigkeit bzw. Kerbzugfestigkeit in Abhängigkeit von der Wasserstoffkonzentra-
tion, Schweißgut Union X96
Wie zuvor für die Schweißnahtgefüge des Werkstoffes S690Q nimmt die Kerbzugfestigkeit
mit wachsender Kerbtiefe aufgrund der Verformungsverfestigung auch in den wasser-
stofffreien Gefügen des Stahles S1100QL zu. Hierbei ist jedoch im Gegensatz zum Werk-
stoff S690Q das Spannungsniveau für die wasserstofffreien Gefüge des Grundwerkstoffes
und der schweißsimulierten Feinkorn- und Grobkornzone nahezu gleich. Lediglich das
Gefüge der Schweißgutproben besitzt aus bekannten Gründen eine um ca. 22% niedrigere
Festigkeit.
127
4 Ergebnisse und Diskussion_________________________________________________
In jedem Fall aber zeigt sich erneut, dass die Wirkung der Kerbe auf die mechanischen
Eigenschaften die eigentlichen Effekte des Wasserstoffs auf die mechanischen Eigen-
schaften der Schweißnahtgefüge überlagert bzw. diese verdeckt.
Zugfestigkeit bzw. Kerbzugfestigkeit[MPa]
Kerbtiefe [mm]
Bild 99: Zug- bzw. Kerbzugfestigkeit in Abhängigkeit von der Kerbtiefe und der
Wasserstoffkonzentration, S1100QL/Union X96, Wasserstoffkonzentration 0 Nml/100g
Zugfestigkeit bzw. Kerbzugfestigkeit[MPa]
Kerbtiefe [mm]
Bild 100: Zug- bzw. Kerbzugfestigkeit in Abhängigkeit von der Kerbtiefe und der
Wasserstoffkonzentration, S1100QL/Union X96, Wasserstoffkonzentration 1 Nml/100g
128 BAM-Dissertationsreihe
_________________________________________________4 Ergebnisse und Diskussion
Kerbtiefe [mm]
Bild 101: Zug- bzw. Kerbzugfestigkeit in Abhängigkeit von der Kerbtiefe und der
Wasserstoffkonzentration, S1100QL/Union X96, Wasserstoffkonzentration 3 Nml/100g
Zugfestigkeit bzw. Kerbzugfestigkeit[MPa]
Kerbtiefe [mm]
Bild 102: Zug- bzw. Kerbzugfestigkeit in Abhängigkeit von der Kerbtiefe und der
Wasserstoffkonzentration, S1100QL/Union X96, Wasserstoffkonzentration 5 Nml/100g
Um dies weiter zu verdeutlichen, wurde in Bild 99 bis Bild 102 für die untersuchten
Gefügezustände ausgehend von der glatten Probe (Kerbtiefe 0,00 mm) die Kerbzugfestig-
keit in Abhängigkeit von der Kerbtiefe für verschieden hohe Wasserstoffkonzentrationen
129
4 Ergebnisse und Diskussion_________________________________________________
dargestellt. Es zeigt sich sehr deutlich, dass eine lineare Zunahme der Kerbzugfestigkeit mit
der Kerbtiefe nur in den wasserstofffreien Gefügen gegeben ist. Sobald sich Wasserstoff im
Gefüge befindet, ist eine nicht quantifizierbare Entfestigung, die sich mit zunehmenden
Wasserstoffkonzentrationen in einer deutlichen Abnahme der Kerbzugfestigkeit äußert,
festzustellen.
Wie den Tabellen zu entnehmen ist, wurden dem Schutzgas verschieden hohe Volumen-
anteile an Wasserstoff zugesetzt, um die in das Schweißgut eingebrachte Wasserstoffkon-
zentration in den verschiedenen Gefügebereichen so zu variieren, dass sie den Wasser-
stoffkonzentrationen der elektrolytisch beladenen Zugproben entsprach. Die nach dem
Schweißen nach ISO 3690 ermittelte Wasserstoffkonzentration kann ebenfalls den Ergeb-
nistabellen entnommen werden. Sie kann jedoch allenfalls als Richtwert betrachtet werden,
da durch diese Art der Konzentrationsbestimmung nur ein integraler Wert über den aufge-
schmolzenen Werkstoffbereich bestimmt wird. Der in die WEZ und den Grundwerkstoff
diffundierende Volumenanteil an Wasserstoff wird zwar messtechnisch erfasst, bleibt aber
bei der rechnerischen Normierung auf 100 g aufgeschmolzenen Werkstoff unberücksichtigt.
Zwar erfolgte die Rissinitiierung und –ausbreitung bei den Implant- und TEKKEN-Proben
fast ausschließlich in der grobkörnigen Wärmeeinflusszone, jedoch in unmittelbarer Nähe
der Schmelzlinie (Bild 103, Bild 104).
In erster Näherung wird daher angenommen, dass während der Zeit bis zum Risseintritt
Wasserstoff nur in unwesentlichen Anteilen entwichen ist, und dass die nach ISO 3690
bestimmte versagensrelevante Wasserstoffkonzentration im aufgeschmolzenen Schweiß-
gut gleichermaßen für Schweißgut und WEZ gilt. Die exakte Bestimmung der Wasserstoff-
konzentration in den einzelnen Gefügebreichen muss jedoch numerischen Simulationen
vorbehalten bleiben [172], da eine experimentelle, nach Gefügebereichen differenzierte
Wasserstoffanalyse, nicht möglich ist.
130 BAM-Dissertationsreihe
_________________________________________________4 Ergebnisse und Diskussion
131
4 Ergebnisse und Diskussion_________________________________________________
Schweißgut
Anriss
Kerbgrund
Grundwerkstoff
Bild 103: Querschliff Implantprobe A42 mit Bild 104: Rissverlauf in der WEZ einer
Rissbildung in der grobkörnigen WEZ, TEKKEN – Probe, Werkstoff:
Werkstoff: S690Q/Union NiMoCr S690Q/Union NiMoCr
Bei einem Wasserstoffanteil von 0% im Schutzgas versagten weder die Implant- noch die
TEKKEN-Proben. Für die Implant-Proben reichte selbst eine Spannung in Höhe von 1,1 ×
Streckgrenze nicht aus, um einen Riss zu erzeugen. Die sich in den TEKKEN-Proben
einstellende mechanische Spannung ist aufgrund der Spezifik dieses Versuches (Selbstbe-
anspruchung) nicht messbar, es kann aber von Spannungen im Bereich der Streckgrenze
ausgegangen werden. Der Einfluss der eingestellten Implantspannung auf die Standzeit der
Implant-Proben wird bei einem Wasserstoffanteil von 0,5% im Schutzgas sichtbar. Zwar
sind die Ergebnisse von einer für Implant-Versuche typischen hohen Streuung ge-
132 BAM-Dissertationsreihe
_________________________________________________4 Ergebnisse und Diskussion
kennzeichnet, doch ist erwartungsgemäß ein Absinken der Standzeit bei Erhöhung der
Implantspannung zu verzeichnen. Die gleiche Aussage kann für Wasserstoffgehalte im
Schutzgas von 1% bzw. 2% getroffen werden. Außerdem sinkt bei erhöhten Wasserstoff-
gehalten die bei gleicher Standzeit ertragbare Implantspannung. Bei den TEKKEN-Proben
verursachte die Erhöhung des Wasserstoffanteils im Schutzgas erwartungsgemäß eine
Verringerung der Standzeit.
133
4 Ergebnisse und Diskussion_________________________________________________
Die nach dem Schweißen nach ISO 3690 ermittelte Wasserstoffkonzentration kann aus den
in Abschnitt 4.2.1 beschriebenen Gründen wiederum nur als Richtwert betrachtet werden.
Aufgrund seiner niedrigeren Festigkeit erfolgte die Rissinitiierung und –ausbreitung sowie
bei den Implant- als auch bei den TEKKEN-Proben der Werkstoff/Zu-
satzwerkstoffkombination S1100QL/Union X96 im Unterschied zu S690Q/NiMoCr im
Schweißgut (Bild 105, Bild 106). Insofern stimmt die nach ISO 3690 bestimmte
Wasserstoffkonzentration mit der tatsächlichen Wasserstoffkonzentration im Bereich der
Rissbildung besser überein als für die Werkstoff/Zusatzwerkstoffkombination
S690Q/NiMoCr, da der Bereich der Rissbildung und der aufgeschmolzene Werkstoffbereich
identisch sind.
Anriss im Schweißgut
Schweißgut
Kaltriss
Restbruchfläche
grobkörnige WEZ
feinkörnige WEZ
Grundwerkstoff
Bild 105: Bruchfläche Implantprobe B28, Bild 106: Rissverlauf im Schweißgut einer
Werkstoff: S1100QL/Union X96 TEKKEN – Probe, Werkstoff:
S1100QL/Union X96
134 BAM-Dissertationsreihe
_________________________________________________4 Ergebnisse und Diskussion
135
4 Ergebnisse und Diskussion_________________________________________________
136 BAM-Dissertationsreihe
_________________________________________________4 Ergebnisse und Diskussion
auch bei der Herstellung der Zugproben mit schweißsimulierten Gefügen der WEZ (Bild 42)
und mit Schweißgutgefügen sichergestellt.
Weiterhin können für die primäre Vergleichbarkeit zwischen den Zugversuchen und den
Kaltrisstests fraktografische Untersuchungen herangezogen werden. Mittels begleitender
REM-Untersuchungen wurde festgestellt, dass sich mit zunehmender Wasserstoffkon-
zentration das Bruchbild in den Zugversuchen in vergleichbarer Weise auch in den Kalt-
risstests veränderte. Prinzipiell konnte mit zunehmender Wasserstoffkonzentration ein
Übergang vom duktilen Wabenbruch in einen transkristallinen Quasi-Spaltbruch beobachtet
werden. Dabei entsprachen die Wasserstoffkonzentrationen, bei denen qualitativ ein Quasi-
Spaltbruch in den Kaltrisstests nachgewiesen werden konnte, grundsätzlich denen, bei
denen diese Bruchform auch in den Zugversuchen auftrat. Exemplarisch sind hierzu einige
REM-Aufnahmen (Bild 107 bis Bild 110) zusammengestellt worden.
Bild 107: „Fischauge“ auf der Bruchfläche Bild 108: „Fischauge“ auf der Bruchfläche
einer Implant-Probe, Werkstoff: S690Q einer wasserstoffbeladenen Zugprobe,
Werkstoff: S690Q
137
4 Ergebnisse und Diskussion_________________________________________________
Grundsätzlich ist eine Vergleichbarkeit der Ergebnisse aus Zugversuchen und Kaltrisstests
auf der Basis technologischer Festigkeitskennwerte, wie zum Beispiel Zugfestigkeit und
0,2% Dehngrenze, kaum zu erreichen. Hierzu müsste die während der Abkühlung auftre-
tende Spannung in den vorliegenden Kaltrisstests numerisch berechnet werden. Ein
Vergleich mit den technologischen Festigkeitskennwerten aus den Zugversuchen bereitet
aber schon deshalb Schwierigkeiten, weil einer solchen nicht-linearen numerischen Be-
rechnung in aller Regel auch die wahren Spannungs-Dehnungs-Diagramme zugrunde
liegen müssten [173].
Aus diesen Gründen ist ein Vergleich zwischen den Zugversuchen und den Kaltrisstests
auf der Basis von Festigkeitskennwerten nur anhand entsprechend gekerbter Proben
möglich. Die Korrelation zwischen den Kerbzugproben und den Kaltrisstests wurde bereits
in Abschnitt 4.1.2 beschrieben. Die Vergleichbarkeit der entsprechenden Spannungswerte
zwischen den Zugproben und den Implant-Proben war verhältnismäßig einfach anhand des
jeweils dokumentierten Kraftverlaufes zu realisieren. Die Bestimmung der Spannungswerte
ist aber an TEKKEN-Proben nicht ohne numerische Simulationen möglich, weil ihr Wert in
Abhängigkeit von Nahtgeometrie, Ort und Schweißparametern variiert. Unter der
Berücksichtigung der Tatsache, dass ab einer bestimmten Wasserstoffkonzentration die
Zugfestigkeit auf das Niveau der Streckgrenze in allen untersuchten Schweißnahtgefügen
abfällt, ist es jedoch für eine Abschätzung der Rissbildung zulässig, als minimalen Wert für
die ertragbare mechanische Spannung die Streckgrenze des jeweils versagenden Gefüges
anzunehmen.
Spannung [MPa]
Wasserstoffkonzentration [ml/100g]
Bild 111: Ertragbare Spannung abhängig von der Wasserstoffkonzentration für die grobkör-
nige WEZ des Stahles S 690Q
138 BAM-Dissertationsreihe
_________________________________________________4 Ergebnisse und Diskussion
Für den Vergleich zwischen den Kerbzugversuchen und den Kaltrisstests sind nun in den
Diagrammen von Bild 111 und Bild 112 die ertragbaren Spannungen der Gefüge, in denen
primär die Kaltrissbildung auftrat (grobkörnige WEZ des Stahles S690Q und Schweißgut
des Stahles S1100QL), über der Wasserstoffkonzentration dargestellt.
In Bild 111 ergibt sich für die kritische Implant-Spannung, also der Spannung, bei der die
Implant-Proben bei der entsprechenden Wasserstoffkonzentration versagten (Tabelle 14),
für den Werkstoff S690Q eine lineare Abhängigkeit von der Wasserstoffkonzentration im
aufgeschmolzenen Schweißgut. Die für die TEKKEN-Versuche zugrundegelegten Werte,
ab denen eine Rissbildung auftritt, liegen etwa in demselben Bereich.
Die kritische Implant-Spannung fällt zunächst linear bis auf ca. 250 MPa ab. Ab diesem
Grenzwert ist die kritische Implantspannung unabhängig vom Wasserstoffgehalt. Die
Ausgleichsgerade der Ergebnisse der Kerbzugversuche an Proben mit dem entsprechen-
dem wasserstoffbeladenem Gefüge (schweißsimulierte grobkörnige WEZ, S690Q) und
vergleichbarem geometrischem Kerb (Radius=0,1 mm, Tiefe=0,25 mm) weist die gleiche
Steigung auf wie die Ausgleichsgerade der kritischen Implant-Spannung. Dies bedeutet
jedoch nur, dass der wasserstoffabhängige Festigkeitsabfall der grobkörnigen WEZ im
Implant-Versuch in etwa dem des schweißsimulierten Gefüges in den Zugversuchen
entspricht.
Spannung [MPa]
Wasserstoffkonzentration [ml/100g]
Bild 112: Ertragbare Spannung abhängig von der Wasserstoffkonzentration für das
Schweißgut des Stahles S 1100 QL
139
4 Ergebnisse und Diskussion_________________________________________________
Aus dem Diagramm in Bild 111 ist zu erkennen, dass die Ausgleichsgerade für die wasser-
stoffabhängige Änderung der Kerbzugfestigkeit um etwa 600 MPa parallel bei höheren
Werten verläuft. Daran zeigt sich offensichtlich, dass die Kerbzugfestigkeit bei gleicher
Kerbgeometrie und für ein vergleichbares schweißsimuliertes Gefüge kein geeigneter
Parameter ist, um die Kerbzugversuche mit den Kaltrisstests zu vergleichen.
Es lässt sich also festhalten, dass sich die Kerbzugfestigkeit nicht als mechanischer Para-
meter eignet, um in Abhängigkeit der vorliegenden Wasserstoffkonzentration die Resistenz
eines bestimmten Gefüges gegen wasserstoffunterstützte Kaltrissbildung quantitativ zu
beschreiben. Mit der Ermittlung wasserstoffabhängiger Festigkeitswerte gekerbter Zugpro-
ben mit schweißsimulierten Gefügen lässt sich allenfalls eine qualitative Aussage bezüglich
der Beschreibung der Kaltrissneigung der untersuchten Schweißnahtgefüge hochfester
Feinkronbaustähle erreichen.
140 BAM-Dissertationsreihe
_________________________________________________4 Ergebnisse und Diskussion
Diese Ergebnisse zeigen, dass sich die in den TEKKEN-Versuchen mit dem Stahl S690Q
auftretenden Kaltrisse anhand eines Vergleiches der lokalen Dehnung mit der kritischen
wasserstoffabhängigen wahren Bruchdehnung, die mittels wasserstoffbeladener Zugproben
ermittelt wurde, nachweisen lassen. Die Eignung der wahren Bruchdehnung als Parameter
zur quantitativen Erfassung der wasserstoffunterstützten Kaltrissbildung kann damit zumin-
dest als teilweise verifiziert angesehen werden. Da sich die wahre Bruchdehnung in Ab-
hängigkeit von der Wasserstoffkonzentration bereits in ähnlicher Weise als geeigneter
Parameter herausgestellt hat, um die wasserstoffunterstützte Spannungsrisskorrosion
beispielsweise von supermartensitischen Stählen quantitativ zu erfassen und auch nume-
risch zu simulieren [174], ist davon auszugehen, dass sich die hier beschriebene
Vorgehensweise auch auf Feinkornbaustähle anderer Festigkeitsklassen sowie auf andere
Kaltrisstests bis hin zu realen geschweißten Konstruktionen übertragen lässt. Aus diesem
Grund wurden weitere Kaltrissversuche mit der Werkstoff/Zusatzwerkstoffkombination
S1100QL/Union X96 durchgeführt und deren Ergebnisse mit numerischen Simulationen
verglichen.
4.2.4 IRC-Versuche
Als geeigneter Kaltrisstest wurde der in Abschnitt 2.3.2.3 beschriebene IRC-Test ausge-
wählt, da er die Möglichkeit bietet, die sich während und nach dem Schweißen aufbauen-
den Reaktionskräfte, -momente und -spannungen zu messen bzw. zu berechnen. In
Verbindung mit der Aufnahme von Temperaturfeldern und der Applizierung von geeigneten
Dehnmessstreifen ergibt sich die Möglichkeit, die Ergebnisse der numerischen Berechnun-
gen anhand der im Experiment gemessenen Größen zu überprüfen. Gegebenenfalls kann
dann über die vielfältigen Möglichkeiten der modernen FEM-Software eine Kalibrierung der
numerischen Modelle erfolgen.
141
4 Ergebnisse und Diskussion_________________________________________________
stoffgehaltes im Schutzgas auf 1% nahm die Standzeit rapide ab, wobei die Probe 652 mit
einer Standzeit von 25300 s als Ausreißer zu werten ist.
Die Standzeit wurde durch die Auswertung des Kraftsignals bestimmt, indem sie mit der
Zeit für den durch das Risswachstum verursachten signifikanten Kraftabfall gleichgesetzt
wurde. Bild 113 verdeutlicht diese Vorgehensweise, die auch bei der Bestimmung der
Standzeit für die Implant-Proben verwendet wurde.
120
P ro be 651 P ro be 653 P ro be 654 P ro be 657
kein Riss
100
Anriss
Reaktionskraft [MPa]
80
60
Riss
40 Durchriss bei ca. 60000 s
20
Riss
0
0 10000 Zeit [s] 20000 30000 40000
142 BAM-Dissertationsreihe
_________________________________________________4 Ergebnisse und Diskussion
Gleichzeitig wird anhand der Abbildung die Streuung der Versuchsergebnisse deutlich, die
trotz Einhaltung identischer Schweißparameter auftrat. Grund dafür kann z.B. die minimal
unterschiedliche Ausrichtung der IRC-Proben im IRC-Rahmen sein, die zu einer Verände-
rung der geometrischen Einflussfaktoren und damit zu unterschiedlich hohen Reaktions-
kräften führt. Dies gilt natürlich auch für die autretenden Reaktionsmomente und Dehnun-
gen.
4.2.5 Temperaturfeld- und Strukturberechnungen an IRC- Proben mittels
numerischer Simulation
Wie im Abschnitt 3.5 beschrieben, erfolgte als erster Teil die numerische Berechnung des
sich beim Schweißen einer IRC-Probe ergebenden Temperaturfeldes. Dazu wurden neben
dem sämtliche geometrische und materialspezifische Daten enthaltenden Modell (Bild 65)
mit Hilfe der zur Verfügung stehenden Funktionen der FE-Software alle erforderlichen
Randbedingungen definiert. Das der realen Schweißgeschwindigkeit entsprechende
Fortschreiten der Wärmequelle und das Einbringen des Zusatzwerkstoffes wurde durch die
Definition eines sich bewegenden Koordinatensystems in Verbindung mit einer zeitabhän-
gigen Wiederbelebung (Abschnitt 3.5.1) der zuvor „gelöschten“ Elemente in der Schweiß-
naht realisiert. Da die Ergebnisse der Temperaturfeldberechnung die Grundlage für die
nachfolgende Strukturberechnung sind, muss sichergestellt werden, dass sie denen einer
realen Temperaturfeldmessung entsprechen. Aus diesem Grund wurden Thermoelemente
so auf IRC-Proben appliziert, dass sie sich genau an entsprechenden Knoten des Modells
befanden. Damit war die Vergleichbarkeit von Messung und Simulation gewährleistet. Um
eine möglichst gute Übereinstimmung der Ergebnisse zu erzielen, wurden insbesonders die
Vernetzung und damit die Elementgröße sowie deren Verteilung variiert. Bild 114 zeigt am
Beispiel der Thermoelemente 2 und 4 die durch diese Maßnahme zufriedenstellende
Übereinstimmung von Simulation und Messung.
1600
Unterseite T 2 experimentell
1400 2 1 einer IRC-Probe
T 2 numerisch
1200 T 4 experimentell
3 T4 numerisch
1000 4 Thermoelemente
Temperatur [°C]
5
800
6
600
400
200
0
0 50 100 150 200 250 300
Zeit [s]
Bild 114: Vergleich der gemessenen und der berechneten Temperatur an einer IRC-Probe,
Werkstoff: S1100QL/Union X96
143
4 Ergebnisse und Diskussion_________________________________________________
Nach dem Abgleich der thermalen Analyse wurden deren Ergebnisse als Grundlage für die
Strukturanalyse verwendet. Nach deren Auswertung wurde die mit Hilfe des im IRC-Rah-
men integrierten Messsystems bestimmte Reaktionskraft mit der numerisch berechneten
Reaktionskraft verglichen. In Bild 115 ist das Ergebnis der berechneten Reaktionskraft Fy in
Nahtquerrichtung den real gemessenen Reaktionskräften gegenübergestellt.
140
P ro be 651 P ro be 653 P ro be 654 P ro be 657 Simulatio n
120
kein Riss
kein Riss
100
Reaktionskraft [MPa]
Anriss
80
60
20 Riss
Riss
0
0 10000 Zeit [s] 20000 30000 40000
Dabei wurde, entsprechend den jeweils zugrunde gelegten Messwerten, eine Abweichung
von 15 – 30 % festgestellt. Generell lag die berechnete Reaktionskraft höher als diejenige,
die in den IRC-Versuchen bestimmt wurde. Die bei der Berechnung berücksichtigte
Steifigkeit des verwendeten IRC-Rahmens wurde von Neuhaus [129] sowohl experimentell
als auch numerisch bestimmt. Der sich daraus ergebende Einspanngrad betrug
22,77 kN/mm·mm.
144 BAM-Dissertationsreihe
_________________________________________________4 Ergebnisse und Diskussion
verifiziert werden können, da der thermischen Belastbarkeit der dazu notwendigen Senso-
ren Grenzen gesetzt sind. In Hinblick auf die Ermittlung risskritischer Dehnungswerte an
IRC-Proben bedeutet dies, den rissgefährdeten Bereich zu lokalisieren und die durch die
numerische Berechnung bereitgestellten Daten für diesen Bereich auszuwerten.
0,0020
Simulatio n IRC-P ro be 657
Bruch
0,0015
0,0010
Thermoelement
0,0005
Dehnmessstreifen
Schweißbadsicherung
0,0000
0 500 1000 Zeit [s] 1500 2000 2500
Bild 116: Vergleich der gemessenen und berechneten Dehnung an einer IRC-Probe im
Abstand von 19 mm zum Wurzelspalt, Werkstoff: S1100QL/Union X96
145
4 Ergebnisse und Diskussion_________________________________________________
Diese Vorgehensweise, die sich für die Untersuchung der Bedingungen bei der Span-
nungsrisskorrosion anbietet, wurde im Rahmen dieser Arbeit erstmals in ähnlicher Weise
für die Bedingungen der Kaltrissbildung anhand von IRC-Versuchen angewendet. Im
Gegensatz zu den Versuchsbedingungen in [175] (slow-strain-rate Tests bei gleichzeitiger
elektrolytischer Wasserstoffbeladung) tritt jedoch beim Schweißen zumindest im Schweiß-
gut eine sofortige Wasserstoffaufnahme mit der damit verbundenen Degradation der
mechanischen Eigenschaften auf. Außerdem kann die Dehnrate nur über die Abkühlge-
schwindigkeit beeinflusst werden. Bei den durchgeführten IRC-Versuchen wurde lediglich
der Einspanngrad durch Veränderung der Einspannlänge und damit die Höhe der auftre-
tenden lokalen und globalen Spannungen und –dehnungen variiert. Durch den Vergleich
experimentell bestimmter wasserstoff- und gefügeabhängiger kritischer Dehnungswerte mit
an risskritischen Stellen numerisch bestimmten lokalen Dehnungen lässt sich auf diese
Weise das Kaltrissrisiko einer geschweißen IRC-Probe abschätzen.
12370 (Dehnmessstreifen)
146 BAM-Dissertationsreihe
_________________________________________________4 Ergebnisse und Diskussion
Bei der Durchführung der IRC-Versuche, sowie auch der Implant- und TEKKEN-Versuche
mit dieser Werkstoff/Zusatzwerkstoffkombination wurde festgestellt, dass die wasserstoff-
unterstützte Rissbildung stets im Schweißgut aufgrund der werkstoffbedingten geringeren
Festigkeit erfolgte. Da an der Nahtunterseite Druckspannungen und an der Nahtoberseite
Zugspannungen vorherrschen, wurde als rissgefährdeter Bereich der IRC-Proben die
Nahtoberseite identifiziert. Da die sich den globalen Reaktionsspannungen überlagernden
lokalen schrumpfbedingten Eigenspannungen in Nahtquer- und Nahtlängsrichtung ihr
Maximum in der Mitte der Schweißnaht erreichen, wurden die entsprechenden Knoten in
Bild 117 auf der Nahtoberfläche für die Gegenüberstellung experimenteller und berechneter
Dehnungswerte ausgewählt. Der auf der Nahtunterseite bezeichnete Knoten Nr. 12370
markiert den Ort der Vergleichsmessung mittels Dehnmessstreifen.
Unter Verwendung des time-history-postprocessors wurden für den Fall der bei den IRC-
Versuchen verwendeten Einspannlänge von 110 mm die zeitabhängigen Dehnungswerte
für die entsprechenden Knoten ausgelesen und in das Diagramm in Bild 118 eingetragen.
Um einen Vergleich mit den an glatten Zugproben gewonnenen Werten für die wahre
kritische Bruchdehnung zu ermöglichen, wurden hierfür die Werte für die Vergleichsdeh-
nung nach v. Mises genutzt. Diese Vorgehensweise wurde deshalb gewählt, weil bei der
Bestimmung der wahren Bruchdehnung nach Gleichung (29) auch sämtliche Dehnungsan-
teile in die Querschnittsänderung der Zugproben eingehen. Trägt man nun die experimen-
tell bestimmten bzw. nach Gleichung (45) berechneten wasserstoffabhängigen kritischen
Werte für die wahre Bruchdehnung des Schweißgutes gegen die für das rissgefährdete
Schweißgut berechneten Werte auf, wird deutlich, dass für eine Einspannlänge von
110 mm der kritische Dehnungswert ab einem Wasserstoffgehalt von 5ml/100g von den im
rissgefährdeten Bereich befindlichen Knoten überschritten wird. Diese Wasserstoffkon-
zentration wird im Schweißgut bei einem Wasserstoffgehalt von 1% im Schutzgas erreicht.
Der Knoten 12370 liegt außerhalb des rissgefährdeten Bereiches und erfährt in Überein-
stimmung mit den Experimenten eine nur äußerst geringe Dehnung im elastischen Bereich.
Unter Beachtung der Ergebnisse der IRC-Versuche in Tabelle 21 kann die numerische
Berechnung für diesen Fall als ausreichend verifiziert angesehen werden, denn bei allen
Proben (651, 652, 657) mit diesem Wasserstoffgehalt im Schweißgut trat Rissbildung auf.
147
4 Ergebnisse und Diskussion_________________________________________________
0,10
Kno ten 1145
0,04
0,00
1 10 100 1000 10000
Zeit [s]
0,10
Kno ten 1145
0,04
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1 10 100 1000 10000
Zeit [s]
Dies bedeutet, dass für den vorliegenden Fall einer „weicheren Konstruktion“ bei gleichem
Wasserstoffgehalt keine Kaltrissgefahr vorliegt. Eine experimentelle Verifizierung mit
entsprechend konfigurierten IRC-Versuchen muss aber zukünftigen Forschungsarbeiten
148 BAM-Dissertationsreihe
_________________________________________________4 Ergebnisse und Diskussion
vorbehalten bleiben. Es konnte jedoch zumindest ansatzweise gezeigt werden, dass eine
Abschätzung des Kaltrissrisikos auf Grundlage experimentell bestimmter
Dehnungskennwerte in Verbindung mit entsprechenden numerischen Simulationen möglich
ist. Diese Vorgehensweise kann zukünftig dazu beitragen, die Sicherheit geschweißter
Bauteile und Konstruktionen gegen wasserstoffunterstützte Kaltrissbildung zu erhöhen.
Insbesondere ist diese Abschätzung anzuraten, wenn aufgrund der Komplexität eines
Bauteils oder einer Konstruktion die Anwendung der in ihrer Geometrie sehr einfachen
Kaltrissprüfverfahren als nicht ausreichend erscheint.
149
5 Schlussfolgerungen_______________________________________________________
5 Schlussfolgerungen
Aus dem Kenntnisstand und dem Ergebnisteil der Arbeit lassen sich zusammenfassend
folgende Schlussfolgerungen ziehen:
1. Die im Abschnitt 2.3 beschriebenen Kaltrisstests bieten die Möglichkeit, die untersuch-
ten Werkstoffe oder Werkstoff/Zusatzwerkstoffkombination in Abhängigkeit geometri-
scher oder schweißtechnischer Parameter bezüglich ihrer Kaltrissempfindlichkeit ei-
nerseits zu klassifizieren. Andererseits lassen sich quantitative Aussagen bezüglich der
untersuchten Parameter ableiten. Ein universell einsetzbarer Kaltrisstest existiert nicht.
Die Verwendung eines bestimmten Kaltrissprüfverfahrens sollte vom jeweiligen An-
wendungsfall abhängig gemacht werden. Die Bewertung und Gegenüberstellung aller
dokumentierten Kaltrissprüfverfahren in Tabelle 1 bis Tabelle 5 kann diesbezüglich als
Entscheidungshilfe herangezogen werden.
2. Die Verwendung unterschiedlich scharf gekerbter Zugproben hat gezeigt, dass sich die
aus der Kerbwirkung resultierenden Effekte gegenüber dem reinen Einfluss des Was-
serstoffs auf die mechanischen Eigenschaften der untersuchten Gefüge der Stähle
S690Q, S1100QL und der zugehörigen Schweißgüter nicht exakt trennen lassen.
Umgekehrt wird sich Wasserstoff auf die Effekte der Kerbwirkung, zum Beispiel durch
Anlagerung und Transport entlang der Versetzungen, auswirken. Aus diesem Grund
erscheint der Einsatz von gekerbten oder auch bruchmechanischen Proben zur
Beschreibung des Wasserstoffeinflusses auf ein bestimmtes Gefüge als nicht zielfüh-
rend. Die bisherigen Untersuchungen in der Literatur weisen zudem darauf hin, dass
die Bauteilübertragbarkeit solcher Untersuchungen an gekerbten oder
bruchmechanischen Proben erschwert ist, wenn sich die Kerb- oder Rissgeometrie im
Realfall nicht exakt ermitteln lässt.
3. In Hinblick auf eine möglichst weitreichende Bauteilübertragbarkeit ist es angeraten,
einen rein mechanischen Kennwert zur Beschreibung des Wasserstoffeinflusses auf
ein bestimmtes Gefüge heranzuziehen. Aus den Ergebnissen umfangreicher Zugver-
suche mit wasserstoffbeladenen Proben konnte abgeleitet werden, dass sich im Ge-
gensatz zu Festigkeitswerten hierfür die wahre Bruchdehnung als Parameter am
besten eignet, da sie für alle untersuchten Gefügezustände in hochfesten Feinkorn-
baustählen die Effekte des Wasserstoffs über den gesamten Wasserstoffkonzentra-
tionsbereich am signifikantesten reflektiert.
150 BAM-Dissertationsreihe
_______________________________________________________5 Schlussfolgerungen
5. Die im Rahmen dieser Arbeit ermittelten Dehnungswerte, aber auch die ermittelten
technischen Festigkeitskennwerte, weisen auf ein erheblich größeres Kaltrissrisiko die-
ser hochfesten Varianten gegenüber Feinkornbaustählen mit niedrigerer Festigkeit hin.
Auf eine zukünftig stärkere Berücksichtigung dieses Verhaltens in den einschlägigen
Regelwerken, wie z.B. dem SEW088, die bis zu diesem Zeitpunkt nur für Feinkornbau-
stähle mit Streckgrenzen bis 690 MPa gültig sind, muss durch weitere grundlegende
Untersuchungen sowie durch die Sensibilisierung von Herstellern und Anwendern be-
züglich der erhöhten Anforderungen beim Einsatz dieser Werkstoffe hingewirkt werden.
6. Ähnlich wie bei anderen Stählen verursacht Wasserstoff im Metallgitter eher eine
Abnahme der Duktilität als der Festigkeit. Der Grenzwert der Wasserstoffkonzentration
für einen nahezu kompletten Duktilitätsverlust, gekennzeichnet durch den Zusammen-
fall von Zugfestigkeit und 0,2% Dehngrenze, verlagert sich mit steigender Festigkeit
der untersuchten Werkstoffe zu signifikant geringeren Werten. Dies bedeutet, dass die
Empfehlungen und Regelwerke für die schweißtechnische Verarbeitung von Feinkon-
baustählen niedrigerer Festigkeitsklassen nicht ohne weiteres auf Werkstoffe mit höhe-
ren Festigkeiten von bis zu 1100 MPa übertragen werden können. Es bedeutet jedoch
nicht, dass die höhere Wasserstoffempfindlichkeit der hochfesten Feinkornbaustähle
mit Streckgrenzen von bis zu 1100 MPa den Einsatz dieser innovativen Werkstoffe
speziell für geschweißte Konstruktionen beschränkt. Vielmehr muss dieser Was-
serstoffempfindlichkeit während Fertigung und Betrieb entsprechender Bauteile und
Komponenten bezüglich einer wasserstoffunterstützten Rissbildung durch entspre-
chende Maßnahmen Rechnung getragen werden.
151
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159
6 Literatur________________________________________________________________
160 BAM-Dissertationsreihe
________________________________________________________________6 Literatur
161
Abkürzungen und Formelzeichen______________________________________________
a mm2/s Temperaturleitzahl
A [%] Bruchdehnung
D cm2s-1 Diffusionskoeffizient
d mm Blechdicke
2
E N/m E-Modul
Fy N, kN Reaktionskraft
HD %, Nml/100g Wasserstoffkonzentration
HV HV Vickershärte
I A Stromstärke
k J/K Boltzmannkonstante
Q kJ/mm Wärmeeinbringung
R J mol-1K-1 Gaskonstante
Rm MPa Zugfestigkeit
TP °C Vorwärmtemperatur
t s Zeit
U V Spannung
162 BAM-Dissertationsreihe
______________________________________________Abkürzungen und Formelzeichen
V m/min Schweißgeschwindigkeit
V ml Volumen
Z [%] Einschnürung
163
Bildverzeichnis_____________________________________________________________
Bildverzeichnis
Bild 1: Forumdach des Sony-Centers mit Komponenten aus hochfesten
Feinkornbaustählen………………………………………………………………… 15
Bild 2: Mobilkran mit Komponenten aus hochfesten Feinkornbaustählen……………. 15
Bild 3: Höhenprofil des betroffenen Rohrleitungsabschnitts…………………………… 17
Bild 4: Schadensfall an einer Druckrohrleitung des Wasserkraftwerkes Cleuson-
Dixence (Werkstoff: S690)…………………………………………………………. 17
Bild 5: Verfahrenswege zur Herstellung hochfester Stähle nach [1]………………….. 22
Bild 6: Entwicklung der Mindeststreckgrenze für hochfeste Feinkornbaustähle [26]... 22
Bild 7: Einflussgrößen auf die mech. Eigenschaften von Schweißverbindungen [26] 24
Bild 8 Schweiß-Arbeitsfeld am Beispiel eines S960Q nach [1]……………………….. 25
Bild 9: REM-Aufnahme der Kaltriss-Bruchfläche einer TEKKEN-Probe (Werkstoff
S690Q)………………………………………………………………………………. 26
Bild 10: Wasserstoffgehalt im aufgeschmolzenen Schweißgut nach ISO 3690 in
Abhängigkeit von der Wasserstoffkonzentration im Schutzgas……………….. 28
Bild 11: schematische Darstellung des Implant-Tests……………………………………. 37
Bild 12: zeitlicher Verlauf der Zugspannungen beim TRC- und RRC-Test [76]……….. 38
Bild 13: LTP-Test [77]………………………………………………………………………... 39
Bild 14: Augmented-Strain Cracking Test [84]……………………………………………. 40
Bild 15: TEKKEN-Test nach ISO 17642-2 [70]……………………………………………. 41
Bild 16: U-Naht-Prüfung nach ISO 17642-2 [70]………………………………………….. 42
Bild 17: Probenform für den Lehigh-Test (BAM Berlin)…………………………………... 43
Bild 18 CTS-Test nach [70]…………………………………………………………………. 44
Bild 19: Prinzipdarstellung und Ergebnisdiagramm des IRC-Tests [72]……………….. 45
Bild 20: Prinzipdarstellung des Rigid Restraint Cracking-Tests [92]……………………. 46
Bild 21: Prinzipdarstellung des Cruciform-Versuchs [72]………………………………… 47
Bild 22: Prinzipdarstellung des WIC-Tests [72]…………………………………………… 48
Bild 23: schematische Darstellung des RGW-Tests [72]………………………………… 49
Bild 24: schematische Darstellung des GBOP-Tests [100]……………………………… 50
Bild 25: schematischer Aufbau des Bead Bend Tests [101]…………………………….. 51
Bild 26: Batelle Underbead Cracking Test [103]………………………………………….. 52
Bild 27: Circular Patch Test [107]…………………………………………………………... 53
Bild 28: Schnad Fisco Test [108]…………………………………………………………… 53
Bild 29: Slot-Weld Test [111]………………………………………………………………... 54
Bild 30: Butt-Weld (WI) Cracking Test [114]………………………………………………. 55
Bild 31: Definition des Einspanngrades nach Satoh [120]……………………………….. 63
Bild 32: Definition des Einspanngrades für den symmetrischen und den
asymmetrischen Fall nach Böllinghaus [127]……………………………………. 66
Bild 33: Unterteilung des Gesamteinspanngrades in Naht-, Blech- und
Strukturkonfiguration [128]………………………………………………………… 67
Bild 34: Einfluss des diffusiblen Wasserstoffgehaltes auf die Vorwärmtemperatur…… 71
Bild 35: Einfluss des diffusiblen Wasserstoffgehaltes auf die Vorwärmtemperatur…… 72
Bild 36: Einfluss der Grundwerkstoff- und Schweißgutzusammensetzung und damit
der Festigkeit der WEZ und des Schweißgutes auf die Vorwärmtemperatur... 73
Bild 37: Einflussgrößen der Kaltrissbildung beim Schweißen…………………………… 75
Bild 38: Beispiel der Zugproben, in deren Prüfbereich das jeweilige Gefüge der
einzelnen Schweißnahtbereiche eingestellt wurde……………………………… 78
164 BAM-Dissertationsreihe
_____________________________________________________________Bildverzeichnis
165
Bildverzeichnis_____________________________________________________________
166 BAM-Dissertationsreihe
_____________________________________________________________Bildverzeichnis
167
Tabellenverzeichnis_________________________________________________________
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Kaltrissprüfverfahren mit fremdbeanspruchten Proben................................. 56
Tabelle 2: Kaltrissprüfverfahren zum Test speziell von Rohrleitungsnähten mit
selbstbeanspruchenden Proben................................................................... 57
Tabelle 3: Kaltrissprüfverfahren mit selbstbeanspruchenden Proben und über die
Messanordnung variierbarer Schrumpfbehinderung…………………………. 59
Tabelle 4: Kaltrissprüfverfahren mit selbstbeanspruchenden Proben ohne zusätzliche
Einspannung……………………………………………………………………… 60
Tabelle 5: Kaltrissprüfverfahren mit selbstbeanspruchenden Proben mit
unveränderlicher Geometrie…………………………………………………….. 61
Tabelle 6: Gültigkeitsbereiche für die Gleichungen der jeweiligen
Berechnungskonzepte…………………………………………………………… 70
Tabelle 7: Gleichungsbestandteile der einzelnen Berechnungskonzepte……………… 71
Tabelle 8: berechnete Vorwärmtemperaturen [°C] für hochfeste Feinkornbaustähle
und deren Schweißgüter………………………………………………………… 74
Tabelle 9: chemische Zusammensetzung und mechanische Kennwerte der
untersuchten Grundwerkstoffe und Schweißzusatzwerkstoffe……………… 77
Tabelle 10: Schweißparameter zur Durchführung der Kaltrissversuche………………… 82
Tabelle 11: Vergleichsmessungen zur Wasserstoffbestimmung zwischen
Quecksilbermethode und Trägergasheißextraktion………………………….. 95
Tabelle 12: kritische Werte der wahren Bruchdehnung in Abhängigkeit von der
Wasserstoffkonzentration für die Schweißnahtgefüge S690Q/Union
NiMoCr……………………………………………………………………………. 112
Tabelle 13: kritische Werte der wahren Bruchdehnung in Abhängigkeit von der
Wasserstoffkonzentration für die Schweißnahtgefüge S1100QL/Union X96 119
Tabelle 14: Ergebnisse der Implant-Tests Werkstoff S690Q/Union NiMoCr……………. 131
Tabelle 15: Ergebnisse TEKKEN-Tests Werkstoff S690Q/Union NiMoCr………………. 133
Tabelle 16: Ergebnisse CTS-Tests Werkstoff S690Q/Union NiMoCr……………………. 133
Tabelle 17: Ergebnisse der Implant-Tests Werkstoff S1100QL/Union X96……………... 135
Tabelle 18: Ergebnisse TEKKEN-Tests Werkstoff S1100QL/Union X96………………... 136
Tabelle 19: Ergebnisse CTS-Tests Werkstoff S1100QL/Union X96……………………... 136
Tabelle 20: Vergleich wasserstoffabhängiger kritischer Dehnungswerte mit der
berechneten lokalen Dehnung………………………………………………….. 141
Tabelle 21: Ergebnisse IRC-Versuche Werkstoff S1100QL/Union X96…………………. 142
168 BAM-Dissertationsreihe
Lebenslauf
Persönliche Daten:
Berufliche Tätigkeiten:
Hochschulbildung
Berufsausbildung:
Schulbildung:
169