Verformungen in Betonbau
Verformungen in Betonbau
Verformungen in Betonbau
Verformungen
1 Grundlagen
1.1 Allgemeines
Wie aus der Statik bekannt ist, lässt sich die Durchbiegung eines Bauteils unter
Vernachlässigung der Schubverformungen durch Integration der Verkrümmungen κ(x) über
die gesamte Bauteillänge ermitteln.
l l
M ( x) 1 M
Allgemein: f 0 EI ( x) M ( x) dx 0 ( x) M ( x) dx mit r EI w
''
Das folgende Beispiel zeigt die Ermittlung der Verformung eines Einfeldträgers unter
Gleichstreckenlast in Feldmitte mit dem Prinzip der virtuellen Kräfte:
l 2 l 2 l 2
M ( x) 2 q l x q x2 x 5 q l4
f 2 M ( x) dx 2 ( x) M ( x) dx
EI 0 2
dx
0
EI ( x) 0
2 2 384 EI
Wie man unschwer erkennen kann ist diese einfache Vorgehensweise bei
Stahlbetonbauteilen nicht möglich, was hauptsächlich an folgenden Gegebenheiten liegt:
Die genaue Vorhersage von Verformungen und deren zeitliche Entwicklung erweist sich als
schwierig, da eine Vielzahl von Parametern in die Berechnung eingehen: Insbesondere der
beträchtliche Verformungszuwachs infolge Rissbildung, die maßgeblich von der streuenden
Betonzugfestigkeit abhängt, ist nur schwer vorherzusagen. Zusätzlich hat das
angenommene statische System (z. B. gelenkig statt teilweise eingespannt) Einfluss auf den
gerissenen Bereich, der durch die Rissschnittgrößen festgelegt wird.
Das folgende Bild zeigt den Zusammenhang zwischen der Last (hier Moment) und der
Verformung(Krümmung) eines Biegebalkens. Es wird deutlich, dass die Rissbildung und die
Mitwirkung des Betons zwischen den Rissen (tension stiffening) einen erheblichen Einfluss
auf die Biegesteifigkeit haben.
Aus den oben genannten Gründen ist es sinnvoll, die möglichen Grenzwerte der Verformung
zu ermitteln, um daraus evtl. Rückschlüsse auf die tatsächlich zu erwartende Verformung zu
erhalten:
Somit ergeben sich die folgenden Möglichkeiten zur Berechnung von Verformungen:
2) Vereinfachte Berechnung der Verformungen aus den oberen und unteren Grenzwerten
unter Berücksichtigung des gerissenen Bereichs über einen Rissbildungsfaktor.
Entsprechend der oben gezeigten Abbildung muss im Hinblick auf die Biegeverformung
eines Bauteils unterschieden werden zwischen:
• Durchbiegung w
Die Durchbiegung bzw. die Biegelinie entspricht der Differenz zwischen der
verformten Lage und der unverformten Ausgangslage.
• Durchhang f
Der Durchhang entspricht der Abweichung der verformten Lage von einer
Referenzlage, i. d.R. der geraden Verbindung zwischen den Auflagern.
Zum Nachweis von Verformungen stehen im EC 2 zwei alternative Wege zur Verfügung:
• Explizite Berechnung der Verformung und Vergleich mit Grenzwerten.
• Vereinfachter Nachweis durch Begrenzung der Biegeschlankheit.
Die zweite Alternative ist generell auf vorwiegend biegebeanspruchte, nicht vorgespannte
Bauteile beschränkt. Im NA erfolgt zudem – bedingt durch die weitgehend empirische
Ableitung der Biegeschlankheitsgrenzen– eine weitere Einschränkung auf Deckenplatten des
üblichen Hochbaus.
Die Norm legt folgende Grenzwerte fest, die allerdings nur Richtwerte für übliche Wohn-,
Büro und Industriebauten darstellen:
Die Nachweise sind für die quasi-ständige Belastung zu führen. Bei Kragträgern ist 2,5l
anzusetzen, also Durchhang f <= l/100.
Eine Überschreitung der genannten Grenzen ist nicht automatisch als Mangel zu sehen,
während deren Einhaltung nicht in allen Fällen die Gebrauchstauglichkeit garantiert. Im
Zweifelsfall sind mit dem Bauherrn davon abweichende Grenzwerte zu vereinbaren.
Im EC 2 werden Grenzen für die Schlankheit l/d angegeben, die auf einer genauen
Berechnung basieren. Die Ausdehnung des auf Gebrauchslastniveau gerissenen Bereichs
und der Einfluss des Bewehrungsgrades auf die Biegesteifigkeit im Zustand II werden durch
eine Unterscheidung zwischen gering- und hochbeanspruchten Bauteilen erfasst.
l 0 2
3
d ´ 12 0
Die Gleichungen (7.16a) und (7.16b) sind unter der Voraussetzung hergeleitet worden, dass
die Stahlspannung unter der entsprechenden Bemessungslast im GZG in einem gerissenen
Querschnitt in Feldmitte eines Balkens bzw. einer Platte oder am Einspannquerschnitt eines
Kragträgers 310 N/mm² beträgt (entspricht ungefähr fyk = 500 N/mm²). Werden andere
Spannungsniveaus verwendet, sind in der Regel die nach Gleichung (7.16) ermittelten Werte
mit 310 / σs zu multiplizieren. Im Allgemeinen befindet man sich mit der Annahme nach
Gleichung (7.17) auf der sicheren Seite:
Bei gegliederten Querschnitten, bei denen das Verhältnis von Gurtbreite zu Stegbreite den
Wert 3 übersteigt, sind in der Regel die Werte von l/d nach Gleichung (7.16) mit 0,8 zu
multiplizieren.
Bei Balken und Platten (außer Flachdecken) mit Stützweiten über 7 m, die leichte
Trennwände tragen, die durch übermäßige Durchbiegung beschädigt werden könnten, sind
in der Regel die Werte l/d nach Gleichung (7.16) mit dem Faktor 7/leff (leff in m) zu
multiplizieren.
Bei Flachdecken mit Stützweiten über 8,5 m, die leichte Trennwände tragen, die durch
übermäßige Durchbiegung beschädigt werden könnten, sind in der Regel die Werte l/d nach
Gleichung (7.16) mit dem Faktor 8,5/leff (leff in m) zu multiplizieren.
Die Funktion für die Betonspannung in dem oben abgebildeten Werkstoffgesetz ist in der
k 2
Norm festgelegt: c fc c c1 k 1,05 Ecm c1 f c
1 k 2
Die Mitwirkung des Betons auf Zug zwischen den Rissen (tension stiffening, siehe Heft 525
des DAfStb) darf vernachlässigt werden, wenn dies auf der sicheren Seite liegt.
Wie man am obigen Bild erkennen kann, wird der Übergang vom Erstriss (Mcr) zum
abgeschlossenen Rissbild (1,3Mcr) vereinfacht durch einen Steifigkeitssprung berücksichtigt.
Eine genauere Berücksichtigung ist nur sinnvoll bei numerischer Integration.
Dadurch kann die Verformung sehr einfach durch Koppeln über 2 Bereiche mit konstanter
Biegesteifigkeit ermittelt werden, für das oben dargestellte Beispiel wie folgt:
x , riss l/2
2 2
f max
EI I
0 M ( x) M ( x) dx EI II x,rissM ( x) M ( x) dx
f f I f II f I f II 1 f I
M cr
Linearer Momentenverlauf: 1
MF
M cr
Quadratischer Momentenverlauf: 1
MF
M x M x
l l
Bild: Anwendung des Prinzips der virtuellen Kräfte auf einen gerissenen Stahlbetonbalken
Die gebräuchlichste Vorgehensweise für die numerische Integration ist die Anwendung der
Simpson-Integration. Da diese auf ein Interpolationspolynom mit 3 Stützstellen aufbaut
(quadratische Approximation), muss der Integrationsbereich in eine gerade Anzahl von
Abschnitten unterteilt werden. Mit den n Stützstellen kann das oben genannte Integral
dann folgendermaßen numerisch gelöst werden:
x
f ( x 0 ) 4 f ( x1 ) 2 f ( x 2 ) 4 f ( x3 ) ...... 2 f ( x n 2 ) 4 f ( x n 1 ) f ( x n )
xn
x0
f ( x ) dx
3
Nicht ganz so genau (lineare Approximation), aber dafür mit beliebiger Anzahl von
Integrationsabschnitten, funktioniert die Trapezregel:
x
f ( x 0 ) 2 f ( x1 ) 2 f ( x 2 ) 2 f ( x3 ) ...... 2 f ( x n 2 ) 2 f ( x n 1 ) f ( x n )
xn
x0
f ( x ) dx
2
Schwinden
Als Schwinden wird vor allem die lastunabhängige Volumenverminderung des Betons
durch Austrocknung oder durch chemische Prozesse wie der Hydratation bezeichnet. Die
Schwinddehnung nähert sich bei konstanten Umgebungsbedingungen mit zunehmender Zeit
asymptotisch einem Endwert, dem Endschwindmaß cs , .
Kriechen
Die zeitabhängigen Effekte von Kriechen und Schwinden können vereinfacht getrennt
voneinander betrachtet werden. Hierbei wird angenommen, dass Kriechen und Schwinden
affin zueinander verlaufen.
Die rechnerische Ermittlung des Kriechbeiwertes φ und der Schwinddehung εcs sind in einem
separaten Dokument (kriechen+schwinden.pdf) dargestellt.
Die auftretenden Kriechdehnungen werden im GZG (lineares Kriechen) mit Hilfe der
Kriechzahl φ(t,t0) als Vielfaches der elastischen Kurzzeitdehnung εci,28 ermittelt:
c t0
cc t , t 0 ci , 28 t , t 0 mit ci , 28
Ec
Die Kriechzahl φ(t,t0) bezieht sich auf den Tangentenmodul Ec, der mit 1,05Ecm angenommen
werden darf.
Anstatt mit der Dehnung kann im GZG näherungsweise mit einem effektiven E-Modul Ec,eff
gerechnet werden, wodurch die Berücksichtigung von Kriechen erheblich vereinfacht wird:
Der Beiwert ρ ist der sog. Relaxationsbeiwert und erfasst einerseits den zeitlichen
Verlauf der Spannungen und andererseits die mit zunehmendem Betonalter verminderte
Kriechfähigkeit. ρ wird deshalb auch als Alterungsbeiwert bezeichnet. Im Allgemeinen liegt
er zwischen 0,5 und 1,0. Für stetig veränderliche Spannung kann er mit hinreichender
Genauigkeit als konstant mit ρ = 0,8 angesetzt werden. Bei geringem veränderlichem
Lastanteil wird ρ = 1,0 angenommen.
Wenn die Betondruckspannung im Alter t0 den Wert 0,45fck(t0) übersteigt, ist in der Regel die
Nichtlinearität des Kriechens zu berücksichtigen. Diese hohen Spannungen können durch
Vorspannung mit sofortigem Verbund entstehen, z. B. bei Fertigteilen im Bereich der
Spannglieder. In diesen Fällen darf die nichtlineare rechnerische Kriechzahl wie folgt
ermittelt werden:
Das folgende Bild zeigt die Veränderung der Dehnungen und Spannungen infolge Kriechen
am Beispiel eines Einfeldträgers in Feldmitte. Man kann erkennen, dass sich im Gegensatz
zum Zustand I im Zustand II die Druckzone prägnant vergrößert. Der Abfall der
Biegesteifigkeit ist deshalb und wegen des nur zum Teil ansetzbaren Betonquerschnitts im
Zustand II bei weitem nicht so groß wie im Zustand I.
Bild: Auswirkung des Kriechens auf die Dehnungen und Spannungen im Querschnitt
Im EC 2 werden für lineares Kriechen nur Endkriechzahlen für eine Belastungsdauer von 70
Jahren und 2 relative Luftfeuchtigkeiten (RH = 50 % und RH = 80 %) in Form von
Nomogrammen angegeben. Zur genaueren Rechnung (und zur Kontrolle) werden im Script
„Kriechen+Schwinden.pdf“ die Rechengrundlagen angegeben.
Mit es als Abstand zwischen den Schwerpunkten von Stahl und Verbundquerschnitt gilt:
N cs cs E s As M cs N cs es cs Es As es As As1 As 2
M E A e S
cs cs cs s s s cs s , eff s (vgl. EC2)
EI t Ec , eff I I
mit S s As es (Statisches Moment der Bewehrung)
Der Unterschied zwischen ungerissenem und gerissenem Querschnitt liegt nur darin, dass
beim gerissenen Querschnitt lediglich das Schwinden der Druckzone einen Beitrag zur
Verkrümmung des Querschnitts liefert. Für das Trägheitsmoment ist dann nur dasjenige des
gerissenen Querschnitts zu verwenden.
As1 A
Geometrische Bewehrungsgrade: s 2 s 2 l s1 s 2 As As1 As 2
s1
bd bd
1 d 2 d
Abstand zw. den Schwerpunkten: y II d 1 s 2
2 l
3 d 2
2
bd s2
4 12 s s1 1
2
Trägheitsmoment Zustand II: I II 3
12 s1 d
cs
Krümmung: cs ss
yII
cs
mit: ss
1 yII
2
1 As Es , eff 1 i
d b E c I II E c
cs 1
cs cs
1 1 y II
2
d b Ec 1 i
As Es , eff
d b Ec I II E c
Bild: Realität und Modellierung über die Betonzugfestigkeit (max. ca. 0,6 fctm)
Das folgende Bild zeigt die Auswirkungen der Mitberücksichtigung der Zugversteifung auf die
σ-ε-Linie des Stahls und die M-к-Linie durch Idealisierung des Zuggurtes als zentrisch
beanspruchter Zugstab mit der Querschnittfläche Ac,eff (vgl. Rissbreitenberechnung):
Analog zur σ-ε-Linie des Stahls kann die M-к-Linie in die 4 bekannten Bereiche unterteilt
werden: Zustand I, Erstrissbildung, abgeschlossenes Rissbild und Fließen der Bewehrung.
Da im Gebrauchszustand Fließen der Bewehrung ausgeschlossen ist, entfällt der 4. Teil und
wurde deshalb auch in der obigen M-к-Linie nicht mehr komplett dargestellt.
In den meisten Fällen liefert die Reduzierung der ermittelten Stahldehnung auf eine mittlere
Stahldehnung als Ersatz für den Ansatz der Zugversteifung gute Ergebnisse. Die im
Folgenden dargestellten modifizierten Spannungs-Dehnungs-Linien für Betonstahl sind dem
Heft 525 DAStb entnommen:
Bereich 1: Ungerissen
0 s sr sm s1
Bereich 2: Rissbildung
t s sr 1,3 sr s
sr s 1,3 sr sm s 2 sr 2 sr1
0,3 sr
Bereich 3:Abgeschlossenes Rissbild
1,3 sr s f y sm s 2 t sr 2 sr1
Bereich 4: Stahlfließen
f y s ft sm sy t sr 2 sr1 d 1 sr f y s 2 sy
Bild: Vereinfachter Ansatz der Zugversteifung bei wiederholter Be- und Entlastung
Bereich 1: Ungerissen
0 s t sr sm s1
Bereich 2: Gerissen
t sr s f y sm s 2 t sr 2 sr1
Bereich 3: Stahlfließen
f y s ft sm sy t sr 2 sr1 d 1 sr f y s 2 sy
sm mittlere Stahldehnung
s1 Stahldehnung im Zustand I
s2 Stahldehnung im Zustand II
sr1 Stahldehnung im Zustand I unter Rissschnittgrößen bei Erreichen von fctm
sr 2 Stahldehnung im Zustand II im Riss unter Rissschnittgrößen
t Beiwert zur Berücksichtigung des Einflusses der Belastungsdauer oder einer
wiederholten Belastung auf die mittlere Stahldehnung
= 0,4 für eine einzelne kurzzeitige Belastung
= 0,25 für eine andauernde Last oder für häufige Lastwechsel
s Spannung in der Zugbewehrung im gerissenen Querschnitt
sr Spannung in der Zugbewehrung im gerissenen Querschnitt, berechnet für eine
Einwirkungskombination, die zur Erstrissbildung führt.
d Beiwert zur Berücksichtigung der Duktilität der Bewehrung
= 0,8 für hochduktilen Stahl
= 0,6 für normalduktilen Stahl