Denkmalpflegerische Bewertung Historischer Bauten - Hueber
Denkmalpflegerische Bewertung Historischer Bauten - Hueber
Denkmalpflegerische Bewertung Historischer Bauten - Hueber
Hueber
Denkmalpflegerische Bewertung historischer Bauten
Jeder Sachverständige kennt die Methoden zur Liegenschaftsbewertung, die bei einem
Baudenkmal ihre Grenzen finden, da unterschiedliche Denkmalwerte, d. h. die Ergebnisse
der denkmalpflegerischen Wertanalyse z. B. den Verkehrswert des Objektes wesentlich
beeinflussen. In der Praxis stellt sich für jeden Eigentümer oder Investor bei einem
Baudenkmal die Frage, welcher wirtschaftlichen Nutzung er das jeweilige Objekt zuführen
kann und welche Veränderungen möglich sind, um diesen Nutzen zu erzielen.
Als Vollzugsorgan für das Denkmalschutzgesetz des Bundes ist das Bundesdenkmalamt
als zentrale Dienststelle in direkter Bundesverwaltung tätig. Es liegt in seinem Ermessen,
im Vollzug des Gesetzes Objekte unter Schutz zu stellen und Veränderungen in
Bescheiden zuzulassen. Das heißt, daß diese Bescheide von großer wirtschaftlicher
Relevanz sind und damit den Verkehrswert des Objektes wesentlich bestimmen. Oft
erscheinen diese Bescheide in ihrer wirtschaftlichen Konsequenz unzumutbar und
unverständlich, weil man mit falschen Vorstellungen an das Objekt heranging und ein
Konzept entwickelt hat, dem der Denkmalschutz nicht folgen kann. Die Diskussion des
Konzeptes mit den zuständigen Beamten ist in vielen Fällen für beide Seiten frustrierend,
wenn dem Antragsteller die Grundsätze des Denkmalschutzes und dessen Terminologie
fremd sind. Um dieser babylonischen Sprachverwirrung entgegenzuwirken und größere
Sicherheit zu schaffen, seien wesentliche Züge der Theorie des Denkmalschutzes und der
Denkmalpflege angerissen:
Vorrangige Aufgabe des staatlichen Denkmalschutzes ist es, die historische, künstlerische
und sonstige kulturelle Authentizität der Denkmalsubstanz möglichst unverfälscht und
vollständig den kommenden Generationen zu erhalten. Was dazu notwendig und geduldet
ist, definiert die internationale Charta von Venedig1:
1
Charta von Venedig, 1964. Internationale Charta über die Konservierung und Restaurierung von
Denkmälern und Ensembles (Denkmalbereiche).
Die vorliegende deutsche Übersetzung auf der Grundlage des französischen und englischen Originaltextes
und vorhandener deutscher Fassungen besorgten: Ernst BACHER (Präsident des ICOMOS
Nationalkomitees Österreich), Ludwig DEITERS (Präsident des ICOMOS Nationalkomitees Deutsche
Demokratische Republik), Michael PETZET (Präsident des ICOMOS Nationalkomitees Bundesrepublik
Deutschland) und Alfred WYSS (Vizepräsident des ICOMOS Nationalkomitees Schweiz). Chorin, am 14.
April 1989. ÖZKD 1/2 1989
Die Erhaltung von Denkmälern bedingt zunächst eine dauernde Pflege (Art. 4).
Die Erhaltung der Denkmäler wird immer begünstigt durch eine der Gesellschaft nützliche
Funktion. Ein solcher Gebrauch ist daher wünschenswert, darf aber Struktur und Gestalt
der Denkmäler nicht verändern. Nur innerhalb dieser Grenzen können durch die
Entwicklung gesellschaftlicher Ansprüche und durch Nutzungsänderungen bedingte
Eingriffe geplant und bewilligt werden. (Art. 5).
Zur Erhaltung eines Denkmales gehört die Bewahrung eines seinem Maßstab
entsprechenden Rahmens. Wenn die überlieferte Umgebung noch vorhanden ist, muß sie
erhalten werden und es verbietet sich jede neue Baumaßnahme, jede Zerstörung, jede
Umgestaltung, die das Zusammenwirken von Bauvolumen und Farbigkeit verändern
könnte (Art. 6).
Die Beiträge aller Epochen zu einem Denkmal müssen respektiert werden: Stilreinheit ist
kein Restaurierungsziel. Wenn ein Werk verschiedene sich überlagernde Zustände
aufweist, ist eine Aufdeckung verdeckter Zustände nur dann gerechtfertigt, wenn das zu
Entfernende von geringer Bedeutung ist, wenn der aufzudeckende Bestand von
hervorragendem historischen, wissenschaftlichen oder ästhetischen Wert ist und wenn sein
Erhaltungszustand die Maßnahme rechtfertigt. Das Urteil über den Wert der zur
Diskussion stehenden Zustände und die Entscheidung darüber, was beseitigt werden kann,
dürfen nicht allein von dem für das Projekt Verantwortlichen abhängen (Art. 11).
Die Restaurierung ist eine Maßnahme, die Ausnahmecharakter behalten sollte. Ihr Ziel ist
es, die ästhetischen und historischen Werte des Denkmals zu bewahren und zu erschließen.
Sie gründet sich auf die Respektierung des überlieferten Bestandes und auf authentische
Dokumente. Sie findet dort ihre Grenze, wo die Hypothese beginnt. Wenn es aus
ästhetischen oder technischen Gründen notwendig ist, etwas wiederherzustellen, von dem
man nicht weiß, wie es ausgesehen hat, wird sich das ergänzende Werk von der
bestehenden Komposition abheben und den Stempel unserer Zeit tragen. Zu einer
Restaurierung gehören vorbereitende und begleitende archäologische, kunst- und
geschichtswissenschafltiche Untersuchungen (Art. 9).
Hinzufügungen können nur geduldet werden, soweit sie alle interessanten Teile des
Dankmales, seinen überlieferten Rahmen, die Ausgewogenheit seiner Komposition und
sein Verhältnis zur Umgebung respektieren (Art. 13).
1
Abb.1: Baualterplan der Pfarrkirche von Bad Aussee/Stmk.
In einem Baualterplan ist für jeden Abschnitt des Gebäudes seine Entstehungszeit angegeben.
Damit ist umrissen, daß die meist in mehreren Phasen der Veränderung entstandene
Originalsubstanz möglichst vollständig zu erhalten und - soweit es möglich ist - in
traditionellen technischen Verfahren zu restaurieren ist. Alle für die Erhaltung
notwendigen Zubauten und Veränderungen sollen jedoch die Formensprache unserer Zeit
tragen, wobei die Maßstäblichkeit zu wahren ist.
Um feststellen zu können, was zu erhalten und entsprechend in Szene zu setzen ist und was
einer neuen Nutzung geopfert werden kann, ist es notwendig, das Objekt und seine
Entstehungsgeschichte zu kennen. Je besser man es kennt, desto sicherer wird die
Beurteilung sein, daher ist eine Bauanalyse für die Bewertung eine notwendige
Voraussetzung. Die denkmalpflegerische Bauanalyse schlägt sich in einem Baualterplan
für die Substanz und in der Folge in einer Analyse der Geschichte der Wandoberflächen
nieder.
Leider gibt es immer noch wenig Verständnis für die Sinnhaftigkeit dieser Vorarbeiten, die
durchgeführt werden sollten, bevor die Planung und der Bau beginnt. (Zur Bauanalyse
habe ich 1990 referiert. Es ist nachzulesen in: ÖGEB Seminarbericht, Erhaltung und
Erneuerung von Bauten, Bd. 3).
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Für jede technische Bewertung eines Bauwerkes ist die genaue Kenntnis der Substanz und
ihres Erhaltungszustandes notwendig. Genauso notwendig ist sie für die
denkmalpflegerische Wertanalyse. Je detaillierter die Kenntnis der Substanz des
Baudenkmales und seiner Geschichte ist, desto sicherer wird die denkmalpflegerische
Wertanalyse. Diese Analyse der Werte jedes Denkmals bestimmt die Wahl der Methode
und den Grad der geduldeten, bzw. notwendigen Intervention.
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Jedes hochwertige Denkmal beinhaltet mehrere oder all diese Werte in unterschiedlichem
Maße und unterschiedlicher Verteilung. Die Summe der in unterschiedlichem Maße
vertretenen Wertinhalte ergibt den Wert eines Denkmals.
Im Unterschied zu fast allen anderen Sprachen, die den Begriff für unser
Betrachtungsobjekt von "Monumentum" ableiten, verwendet die deutsche Sprache das
Wort "Denk - mal" (wie Erinnerungs-mal, Mahn-mal) und spricht damit jene Gruppe von
Denkmälern (Monumente) wörtlich an, deren Hauptinhalt der Erinnerungswert ist. Als
Erinnerungsmal an ein historisches Ereignis, welches das Geschichtsbewußtsein, das
Nationalbewußtsein etc. vertieft. Als solches bedarf es der Pflege, die seinem Programm
entspricht. Dem politischen Willen entsprechend kann es sogar durch die Art seiner Pflege
"entschärft", inhaltlich verändert und umfunktioniert werden, so daß es einem
manipulierten, politischen Wert erhält.
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Als künstlerische Schöpfung kann ein Bauwerk auch einen hohen Kunstwert haben. Ist
dieses Denkmal also auch ein Kunstwerk mit hohem künstlerischen Wert und hoher,
beeindruckender künstlerischer Wirkung - beides Unterbegriffe des Kunstwertes - so
wird die Pflegemaßnahme dies zu berücksichtigen haben und - wenn keine anderen
Wertinhalte dagegen sprechen - alles zu unternehmen haben, um die künstlerische Einheit
zu erhalten oder wiederherzustellen.
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Ist das Objekt aber schon sehr alt, so daß es selbst schon historischen Wert besitzt und als
Zeugnis einer vergangenen Epoche, als Schöpfung eines großen Meisters dokumentari-
schen Charakter hat, so verlangt seine dokumentarische Bedeutung, sein Urkundenwert
besondere Beachtung. Um diesen Wert des Denkmales als Urkunde nicht zu beein-
trächtigen, muß alles unterbleiben, was verfälschen könnte. Jede Veränderung, welche die
Restaurierung mit sich bringt, muß als spätere Zutat erkennbar sein. Keine Ergänzung darf
so durchgeführt werden, daß sie für einen Originalbestandteil gehalten werden kann.
Als eventueller Gegenstand der Forschung hat das Objekt wissenschaftlichen Wert, eine
Wertkategorie, die sich bei Berücksichtigung möglicher naturwissenschaftlicher Interessen
nicht nur auf die äußere Form, sondern auch auf die Materie selbst bezieht. Ein
zerbröckelnder antiker Kunststein, der, um in seiner Form erhalten zu bleiben, mit
Chemikalien getränkt wird, ist nicht mehr das Material, das er war. Vor seiner
Restaurierung muß daher bewertet werden, ob er als Material oder als Form größeren Wert
besitzt.
Je höher der Seltenheitswert eines Objektes ist, desto zurückhaltender muß es behandelt
werden, um das Wenige, das von seinesgleichen erhalten ist, möglichst unverfälscht zu
bewahren. Nicht nur die Konservierung, sondern auch jede Restaurierung hat die Erhaltung
und den Schutz des gewachsenen Originalbestandes zum obersten Ziel. Wir restaurieren,
um möglichst den gesamten Bestand eines Denkmales der Nachwelt zu erhalten und ihn
entsprechend zu präsentieren.
Auch wenn wir einen bescheidenen Altbau restaurieren, dessen Seltenheits- und
Urkundenwert gering ist, sollte unsere Maßnahme nicht in eine reine Renovierung
entarten. Man sollte immer den Alterswert respektieren. Ein wie neu dastehender,
jahrhundertealter Bau, scharfkantig, mit geometrisch ebenen Wänden, wirkt nicht nur
fremd, sondern hat auch den sinnlichen Reiz des Alters verloren, da ihm in seiner alten
Form eine Alterung fehlt. Um es mit den Worten Alois Riegl´s, dem Vater des modernen
Denkmalkultus, zu sagen: "Die Oberfläche eines Kunstwerkes ist wie die Haut eines
Menschen. Sie reagiert empfindlich auf jede Verletzung und auf den Prozeß des Alterns,
aber sie ist - mit ihren Falten und Narben - das Abbild des Charakters und das Bild der
Schicksale, die den Menschen geformt haben." Bewegliche Kunstwerke werden zur
Steigerung des Handelswertes oft künstlich patiniert! Der zur Exaktheit der Ausführung
trainierte Bauhandwerker hat begreiflicherweise wenig Verständnis dafür, eine
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angewitterte Oberfläche oder abgewitterte Kanten so zu belassen, wie sie der Zahn der Zeit
geformt hat. Er neigt dazu, gewissenhaft alle beschädigten Teile auszuwechseln oder zu
überarbeiten. In der Baudenkmalpflege an Nutzbauten, besteht heute fast ausnahmslos die
Tendenz, die "Haut" des Gebäudes rekonstruktiv neu herzustellen.
Abb. 5: Der Kampanile in Venedig Zur heraldischen Form, zum Wahrzeichen von Venedig
geworden, hat man den Turm nach dem Einsturz am Beginn des 20. Jh. als Rekonstruktion des
überlieferten Erscheinungsbildes zu recht in seiner alten äußeren Form wiederhergestellt.
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Um das Bauwerk nicht als Neubau in historischer Form erscheinen zu lassen und den
gegebenen Alterswert zu respektieren, sollten die Spuren des Alters berücksichtigt werden.
Unebenheiten im Putz, Farben, die langsam verwittern können, Dachdeckungen, die
übergangen werden und Dachstühle, die sich leicht verformt haben, sind Neuherstellungen
mit Ersatzmaterialien und unnötigen Begradigungen vorzuziehen. In jedem Fall ist vor
einer Neuherstellung zu überprüfen, ob nicht doch eine Reparatur des Bestandes möglich
wäre. Dies entspricht jedenfalls der ÖNORM, da die Norm Ausnahmen für die
Denkmalpflege vorsieht!
Wie für jedes Bauwerk gilt auch für jedes Denkmal, daß seine Erhaltung einer
andauernden Pflege bedarf. Daher ist auch zu beachten, daß es einen Gebrauchswert für
die Gesellschaft hat, die es erhalten muß (s. Charta von Venedig). Je besser es für die
Zukunft zu vermarkten ist, desto sicherer ist sein Bestand. Diesen, für die Zukunft zu
erhoffenden, Pflegemaßnahmen zuliebe, sind eben Adaptierungen zuzulassen, die nicht zu
substantiellen Verlusten führen dürfen.
Allen konservierenden und restaurierenden Maßnahmen hat, aus nun sicher verständlichen
Gründen, die Bewertung des Denkmals vorauszugehen. Sie ist immer objektbezogen und
kann selten von einer Person alleine durchgeführt werden, da unterschiedliche Blickwinkel
für jede Wertkategorie eine unterschiedliche Einschätzung ergeben könnte. Diese - immer
subjektive - Bewertung wird um so exakter, je weniger sie unter Einbeziehung von
Gedanken an die aus ihr zu resultierende Wahl der Maßnahmen und Methoden
vorgenommen wird. Besonderes Augenmerk ist dabei auf eine exakte, abgestufte
Rangordnung der Wertkategorien zu legen.
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Die gewissenhafte Analyse und Bewertung des Denkmals, sowie die detaillierte Ermittlung
der Schadensursachen sind Voraussetzung für die Wahl der Pflegemaßnahme. Eine
Konservierung ist im Zweifelsfall immer einer Restaurierung vorzuziehen, wenn dadurch
auch die Pflege des Denkmals für die Zukunft zu erwarten ist. Aus dieser Voraussetzung
ergibt sich für den Fachmann die Wahl der Methode und die Lösung der gestalterischen
und technischen Detailfragen.
Ein wesentlich wirksamer zweiter Faktor für die wirtschaftliche Bewertung ergibt sich in
der Praxis meist aus dem vorgefaßten Wunsch des Investors etc., die Nutzung des Objektes
betreffend.
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teure Übernutzung von ideellem Wert sein, welcher ihm zumindest die dadurch höher
werdenden Kosten rechtfertigt. Der Eigentümer mehrerer Liegenschaften und
Baudenkmäler sollte dem Bestand entsprechend disponieren und somit Substanz und
Kosten schonen.
6) Planung
8) Baudurchführung
Jeder Eigentümer eines Baudenkmals könnte oder sollte sich - unabhängig von
anstehenden Baumaßnahmen - durch eine Baubestandsanalyse ausreichende Kenntnis über
seine Denkmäler verschaffen, wodurch auch die ständige Nutzung und Wartung erleichtert
und effizienter wird.
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BEGRIFFE:
Ambiente: Das Umfeld eines Denkmals, das auf dessen Wirkung Einfluß hat, z. B.
Hochhäuser am Rande einer Altstadt.
Abb. 6: Ein Dorfplatz in Ungarn Das negative Zusammenspiel der alten Häuser mit
dem Plattenbau bringt die Bedeutung des Ambientes für das Erscheinungsbild
anschaulich zum Ausdruck. Besonders negativ wirkt sich die große Dimension und der
unterschiedliche Maßstab des Gebäudes im Hintergrund auf das Gesamtbild aus.
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