Marvin Böhme’s review published on Letterboxd:
Meine Damen und Herren! Heute lernen wir in unserer Vorlesung der Atomphysik mehr über die historischen Bezüge der Quantenmechanik und die Mündungen in die Kernphysik.
Lassen Sie mich eines klarstellen: Als Wissenschaftler seit vielen Jahren befinde ich mich in der Verantwortung Ihnen vorweg mitzuteilen, dass Wissen eine Waffe werden kann, wie Sie in den folgenden Momenten ergründen werden und jeder von Ihnen sich dessen bewusst sein muss, falls Sie in solchen Bereichen Ihre berufliche Tätigkeit ausüben, dass Verantwortung getragen werden muss.
"Oppenheimer" ist der neuste Brecher für den Sommer von Christopher Nolan, einer der profiliertesten Regisseure unserer Zeit. Seit "Memento" zog er einiges an Aufmerksamkeit auf sich, doch mit der "Dark Knight"-Trilogie wurde er für wohl jeden ein Begriff, der sich zumindest ein bisschen mit Film auskennt. Es folgten viele weitere Filme, wo man Nolan gar als größenwahnsinnig ansehen könnte, aber er steht wie nur wenige für die Magie des Kinos noch ein.
Mein Verhältnis zu Nolan:
Vorweg kann ich klarstellen, dass mein Verhältnis zu seinem Schaffen gut ist.
Nolan war für mich immer jemand, der eine Erzählung, sei sie Comic, Magie oder physikalische Wunder auf komplexe Weise spannend machte.
"The Dark Knight", "Batman Begins" sind immer ein Genuss gewesen, wo Nolan der Comicfigur einen realen Schliff gegeben hat, der auch zeitgenössische Traumata wie 9/11 miteinbezog. Wo ich ebenfalls ordentlich umgehauen wurde und immer noch der Überzeugung bin, dass das Nolans reibungslosester Film ist, ist "Memento". Sehr früh in seiner Karriere hatte er eine neue Formel für narrative Spannung geschaffen, wo die Handlung rückwärts erzählt wird. Klingt jetzt nicht so innovativ, aber wenn man den Film sieht, dann kann man heute noch staunen, dass das so flawless vonstatten geht. Neben "The Dark Knight" mein Lieblings-Nolan.
Ansonsten, ja... "Interstellar" super, auch wenn das Finale lange planscht, "Dunkirk" auch echt gut mit den unterschiedlichen Zeitebenen und Personen.
Nicht immer bin ich Fan seiner Werke, wie beispielsweise "The Prestige" (inflationäre Plot twists) oder "Inception" (Exposition the Movie), die ich eher als overrated und überkompliziert empfinde, wobei diese sich auch nicht wirklich ziehen.
Nolan hat bisher immer eine exzellente praktische Arbeit und Narrative geboten, die einen an den Sitz presst und man den nächsten Moment kaum abwarten kann. Dennoch gibt es Storys, die er sich aussucht, die nicht immer gut mit dem interagieren, was seinen Stil angeht.
Wenn ich seinen Stil in wenigen Worten zusammenfassen müsste, dann wäre folgende:
Ein physikalisch sehr oft realistisch ambitioniertes, rational fundiertes Grundgerüst, verpackt in einer kalkulierten, manchmal kühlen Bombastik und Epik, die nur des Kinos bieten kann.
Zum Film:
Es sind drei Stunden. Nolans längster Film somit. Dennoch kann man sagen, dass es nicht langweilig wird. Und das spricht oft für, aber auch gerne gegen den Film.
Nach den drei Stunden wird man wohl seine Ruhe brauchen, weil eine Vielzahl ein Dingen vermittelt werden und die Narrative einen eine ganze Menge abverlangt wird.
Nach einigen Stunden Ruhe habe ich wohl genug nachgedacht und den Entschluss gefasst, zu sagen: Ich bin insgesamt doch enttäuscht. Leider, muss ich hierzu betonen, weil es verbirgt sich Potenzial für einen sehr starken Film, der aber nicht im Einklang mit dem Stil der Erzählung Nolans ist.
Alleine der Titel "Oppenheimer" suggeriert schon etwas... Biographisches. Wenn man seinen Film den Namen einer wahren Persönlichkeit verleiht, dann wird schon eine Geschichte über diese Person erwartet, richtig?
Und ja, zu großen Teilen geht es auch um Robert J. Oppenheimer, einer der spannendsten Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts, wie ich finde. Aber irgendwie wirkt hier irgendwas... falsch, so leer, so kahl.
Gerade die erste Stunde räumt sich Szenen über den Werdegang Oppenheimers ein und da war ich schon sehr ernüchtert vom Film, da es mir so wenig gibt und ich darin investiert bin. Natürlich bekommt man Häppchen über die Quantenphysik, ein sehr interessantes Thema, was verhältnismäßig jung ist, vergleichend zu anderen Disziplinen der Physik. Und ich mochte immer Physik. Dann hat man noch Einschnitte seines privaten Lebens und die zünden dramaturgisch über den gesamten Film überhaupt nicht. Das ließ mich sowas von kalt. Auch wenn die Figur bekannt für seine eher introvertierte, undurchschaubare Persona besitzt, steckt mehr Tiefe in ihm als der Film mir gezeigt hat.
Das Schauspiel von allen Beteiligten rangiert von gut bis super. Vor allem Cillian Murphy ist sehr stark in seiner Porträtierung von Oppenheimer, dem er erschreckend ähnlich sieht. Der Cast ist bespickt mit Hochkarätern und das hat in den letzten Jahren einen Trend angenommen, so viele große Namen einzusetzen, um noch den letzten Dollar sich abzuholen für den Kassenschlager. Kann Segen und Fluch zugleich sein. Hier funktioniert es weitestgehend, obwohl Rami Malek und Gary Oldman gefühlt nur einen Drehtag haben.
Es werden auch symbolische Elemente verbaut, die teils sehr gut funktionieren, teils aber auch unnötig sind, damit es jeder Dödel versteht. Gelegentlich ist ein Problem von Nolan, dass er sich schlauer fühlt als das Publikum, was in "Inception" einen Höhepunkt annahm. Muss nicht unbedingt auf seine Person in real life sein, aber er wendet komplexe Themen an und nutzt eine ausufernde Exposition, was ich manchmal ermüdend betrachte.
Die erste Stunde ist nicht mein cup of tea.
Der Mittelpart ist mein liebster Part, wo es mehr um das Manhattan Projekt in Los Alamos sich dreht.
Daraus kam auch der beste Moment des Films hervor. Es ist der Moment der Testung, ob die Atombombe letztendlich funktioniert. Spoiler aus der Geschichte: Es klappt.
Und wie die Inszenierung abläuft, die Stille, die im lichterlohen Moment einkehrt und nur die Bilder und der Schnitt den Ton angeben... das kann schlichtweg nur ein gutes Gespür für Regie (Nolan) und Editing (Jennifer Lame) sein. Und dann gibt es einen ähnlichen Moment, wenige Minuten nach jenem, der einen real wirkende Albtraum Oppenheimers darstellt.
Dann kommt das letzte Drittel, was die Horrorvisionen Oppenheimers und seine Turbulenzen in der McCarthy-Ära aufgrund kommunistischer Sympathisierung einfängt oder einfangen will. Eher zweiteres trifft zu, weil bestimmte Sachen unklar waren. Vor allem einiges, was Strauss (Robert Downey Jr.) betrifft. Allgemein ist es eine wichtige Phase für Oppenheimer, aber auch hier gibt es Abstriche im Drehbuch, weil die Koordination nicht wirklich eingefangen wird.
Du hast 3 Stunden Laufzeit, Chris! Nimmt dir Zeit für einen konkreten Zeitabschnitt, anstatt mich da durchzupeitschen und durch die Gegend hüpfen zu lassen als wäre ich im Hort im Toberaum!
Insgesamt hätte "Oppenheimer" wahrscheinlich ein besseres Testament hinterlassen, wenn es eine Miniserie wäre. Es würde der Dramaturgie und den Zeitebenen viel mehr wohltun, denn diese Zeitsprünge (und diese Farbwechsel, die ich nicht checke) waren oft so willkürlich platziert, dass sie mehr verwirren als unterstützen. Es so schade, denn es stecken so viele wichtige Inhalte dahinter, denen man individuell mehr Zeit zum Atmen lassen könnte. Und wie vermeidet man zeitliche Verwirrung? Eine fokussierte Zeitspanne.