Skript-Baustatik-4 Matrizenmethoden Der Stabstatik
Skript-Baustatik-4 Matrizenmethoden Der Stabstatik
Skript-Baustatik-4 Matrizenmethoden Der Stabstatik
Inhaltsverzeichnis
1 Einführung 1
1.1 Rechenverf. und -hilfsmittel in der Statik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1
1.2 Allgemeine Grundlagen und Zielsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6
1.3 Bearbeitungshinweise šbungsaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6
1.4 Allgemeine Annahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8
2 Stabwerke - System/Elementeinteil. 10
2.1 Aufbau und Tragwirkung der Stabwerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10
2.2 Koord. d. Knotenp. u. Verknüpfung d. Elemente . . . . . . . . . . . . . . . 13
5 Flexibilitätsmatrizen 52
5.1 Verformungsgrößen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53
5.2 Grundsätzliche Verformungsbeziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62
5.3 Verformungen statisch bestimmter Stabwerke . . . . . . . . . . . . . . . . . 63
5.4 Ermittlung der Biegelinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66
iii
iv INHALTSVERZEICHNIS
6 Das Weggrößenverfahren 69
6.1 Grundgleichung Weggrößenverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69
6.2 Die direkte Steifigkeitsmethode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79
6.3 Variante der direkten Steifigkeitsmethode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86
6.4 Das Drehwinkelverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88
6.5 Kondensation der Steifigkeitsmatrix . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96
6.6 Das Verfahren der Belastungsumordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98
8 Einflusslinien 127
8.1 Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128
8.2 Knotenverformungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132
8.3 Relativverformungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144
8.4 Schnittgrößen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148
8.5 Lagerreaktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154
8.6 Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161
A Elementkatalog 325
A.1 Ebenes Fachwerk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326
A.2 Ebenes Stabelement Typ-a . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327
A.3 Ebenes Stabelement Typ-b . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329
A.4 Ebenes Stabelement mit Momentengelenk . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331
A.5 Senkfeder in der Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333
A.6 Drehfeder in der Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334
A.7 Räumliches Fachwerkelement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335
A.8 Räumliches Stabelement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336
A.9 Trägerrostelement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339
B Lehrbuchverzeichnis 340
vi INHALTSVERZEICHNIS
Kapitel 1
Einführung
Im folgenden werden zunächst die Einflüsse aufgezeigt, welche die Statik der Tragwerke
entscheidend beeinflußt haben. Es folgt eine Darstellung der Grundlagen, auf die das
Buch aufbaut, zusammen mit einer Definition der Zielsetzungen. Die darauf folgenden
beiden Abschnitte dieses Kapitels behandeln die grundlegenden Annahmen und geben
Hinweise zur Bearbeitung von Übungsaufgaben, die am Schluss der Kapitel zwei bis zwölf
aufgeführt sind.
Die Statik war zu allen Zeiten auf Rechenhilfsmittel angewiesen; für die Umsetzung der
Erkenntnisse der Elastizitätstheorie in der Praxis mußten Verfahren“entwickelt werden,
”
die einfach und leicht verständlich sind und mit den üblichen Hilfsmitteln durchgeführt
werden können. Das übliche Hilfsmittel des Ingenieurs im letzten Jahrhundert war das
Zeichenbrett. Es erstaunt deshalb nicht, dass sich die Culmann’sche graphische Statik
(Culmann 1821 - 1881) so grosser Beliebtheit erfreute.
Das erste Lehrbuch der Statik wurde von dem französischen Ingenieur
C.L.M.H. Navier (1785 - 1836) [56] verfasst. Es ist eine Zusammenfassung des damaligen
Wissensgebietes “Baustatik”, ein “Resumée des Leçons Données à l’Ecole des Ponts et
Chaussées (1827)” eine Zusammenfassung der Vorlesungen also, die Navier am Polytech-
nikum für Brücken- und Strassenbau gehalten hat. Es war zu dieser Zeit bekannt, dass
man bei Stabwerken zwischen statisch unbestimmten und statisch bestimmten Systemen
unterscheiden mußte. Navier weist auch schon auf die Möglichkeit der Berechnung innerer
Kräfte über die Verschiebungen der Knotenpunkte eines Stabwerkes hin.
Die erste vollständige Darstellung der Berechnung statisch unbestimmter Fachwerke gibt
1
2 KAPITEL 1. EINFÜHRUNG
Clerk Maxwell [46] im Jahre 1864. Er beweist den nach ihm benannten Satz von der
Gegenseitigkeit der elastischen Verschiebungen (Maxwell’scher Satz). Die ersten Anwen-
dungen des Prinzips der virtuellen Verrückungen, wie es von Lagrange in seiner analy-
tischen Mechanik (Mécanique analytique) schon 1788 bewiesen wurde, findet man bei
O. Mohr [50]. Von H. Müller-Breslau wird in seinem 1886 erschienenen Lehrbuch: Die
”
neueren Methoden der Festigkeitslehre und Statik der Baukonstruktionen“ [53] erstmals
die vollständige Berechnung statisch unbestimmter Stabwerke dargestellt. Zu dieser Zeit
waren die Sätze von F. Menabrea ([48], 1858) und von A. Castigliano ([7], 1873, 1875)
über die Differentialquotienten der Formänderungsarbeit schon bekannt.
In den Jahren von 1880 bis etwa 1890 wurden auch die Grundlagen für die Lösung bausta-
tischer Aufgaben mit kinematischen Methoden gelegt. Erste Hinweise finden sich bei A.
Föppl [20] in seinem Lehrbuch Theorie des Fachwerkes“ (Leipzig 1880). In einer Abhand-
”
lung über Geschwindigkeitspläne und Beschleunigungspläne“ im Zivilingenieur (Band 33,
”
1887) wird die Theorie von O. Mohr vertieft. Im Jahre 1888 zeigt R. Land [38] in sei-
nem Beitrag Kinematische Theorie des statisch bestimmten Trägers“ die Ermittlung von
”
Einflusslinien mit kinematischen Methoden; eine zusammenfassende Darstellung gibt H.
Müller-Breslau [54] in seinen Lehrbüchern Die graphische Statik der Baukonstruktionen“
”
(Leipzig 1892). Die graphische“ Statik darf dabei nicht als rein zeichnerisches Verfahren
”
gesehen werden: In den statisch bestimmten Systemen, wie sie bei der Berechnung statisch
unbestimmter Systeme eingeführt werden müssen, werden Schnittgrößen und Verformun-
gen auf zeichnerischem Wege, auf der Grundlage der Kinematik, bestimmt. Die statisch
Unbestimmten werden mit einer Hilfsrechnung“ als Lösung eines linearen Gleichungssys-
”
tems berechnet.
Soweit es jedoch möglich war, vermied man die numerische Berechnung und gab den zeich-
nerischen Lösungen den Vorzug. Die reziproken Kräftepläne“ nach L. Cremona (1830 -
”
1903) waren für die Berechnung“ von Fachwerken ein unabdingbares Werkzeug. In kom-
”
plizierteren Fällen und bei räumlichen Fachwerken wurde auf das Ritter’sche Schnittver-
fahren ([70], 1863) zurückgegriffen.
1.1. RECHENVERF. UND -HILFSMITTEL IN DER STATIK 3
Eine Abkehr von den graphischen Verfahren zeigt sich in dem Lehrbuch von M. Grüning
[23]: Die Statik des ebenen Tragwerkes“. Grüning gibt in seinem Vorwort der Analysis“
” ”
den Vorzug: Der Analysis und der Rechnung gebe ich im allgemeinen den Vorzug vor den
”
graphischen Verfahren ... Auch führt nach meiner Erfahrung in statischen Untersuchungen
die Rechnung häufig schneller zum Ziele und ist leichter zu prüfen als die Zeichnung“
(Vorwort Grüning).
Die vermehrte Bedeutung der numerischen Lösungsverfahren zeigt sich auch in vielen
Arbeiten, die im ersten Viertel dieses Jahrhunderts entstanden und direkten Bezug zur
Lösung linearer Gleichungssysteme aufweisen. Es sind dies die Arbeiten von A. Hertwig
[27] über die Lösung linearer Gleichungssysteme mit unendlichen Reihen, von M. Grüning
[24] über hochgradig statisch unbestimmte Systeme, von F. Bleich / E. Melan [3] über
die Anwendung des Differenzenverfahrens, von A. Ostenfeld [58] über die Berechnung von
Stockwerkrahmen und von G. Worch [91] über die Anwendung des Reduktionssatzes.
Eine interessante Entwicklung zeigt sich in der Dissertation von V. Lewe [41], 1915): Das
Zahlenrechteck“ für die Darstellung und Lösung von Gleichungssystemen, wie man sie bei
”
der Berechnung durchlaufender Träger und mehrstieliger Rahmen erhält, wird entdeckt“.
”
Mit dem Zahlenrechteck wird die Matrix (J. J. Sylvester 1850) im Bauingenieurwesen
eingeführt. Auch die Determinantentheorie, die seit A. T. Vandermonde (1771) bekannt
war, gewinnt an Bedeutung bei der Lösung von Stabilitätsproblemen (R. von Mises [49]).
Die Rechenhilfsmittel zu dieser Zeit waren sehr bescheiden: Der Rechenschieber war seit
Patridge (1650) bekannt und wurde im letzten Jahrhundert zum “Kennzeichen” des Inge-
nieurs. Die Zeit der ersten Industrialisierung im vorigen Jahrhundert führte auch zu einer
ersten fabrikmässigen Herstellung von Rechenmaschinen, mit denen die vier Grundrech-
nungsarten ausgeführt werden konnten. Nach K. Steinbuch / W. Weber [78] waren jedoch
bis 1878 nur etwa 1500 Rechenmaschinen dieser serienmässigen Produktion verkauft. Es
erstaunt deshalb wenig, wenn man die Fussnote von H. Müller-Breslau in seinem 1886
erstmals erschienenen Lehrbuch der Statik liest: Die vielen Dezimalstellen sollen eine ge-
”
naue Nachprüfung der Rechnung ... ermöglichen. Verfasser benutzt die Rechenmaschine
Millionär, die gestattet, zwei 10-stellige Zahlen mit 10 Kurbeldrehungen zu multiplizie-
ren. Das Rechnen mit grossen Zahlen bereitet dann keine sonderliche Arbeit“ ([53], Seite
424). Was H.üüller-Breslau als keine sonderliche Arbeit“ qualifiziert, erscheint uns heu-
”
te undenkbar - trotzdem, die Rechenleistung in Ingenieurbüros war noch lange Zeit von
Rechenschieber und mechanischer Rechenmaschine abhängig: In einer Zeit, in der das
Prinzip des Rechenautomaten“ schon lange bekannt war (C. Babbage, 1823; vgl. auch
”
geschichtliche Entwicklung [78]), und als in den USA von 1939 bis 1944 die erste für
umfangreiche wissenschaftliche Rechnungen brauchbare Grossrechenanlage“ in Betrieb
”
genommen wurde (MARK I. Harvard University), standen dem Ingenieur noch bis 1961
meist nur der Rechenschieber oder eine mechanisch oder elektrisch betriebene Rechenma-
schine zur Verfügung. Mit der Einführung elektronischer Tischrechenmaschinen im Jahre
4 KAPITEL 1. EINFÜHRUNG
1961 wurden diese Hilfsmittel allmählich verdrängt und haben heute den programmier-
baren Taschenrechnern Platz gemacht.
Im Hinblick auf die kargen Hilfsmittel erscheint es verständlich, dass sich die Forschung in
der Baustatik lange Jahre auf die problemorientierte Formulierung und Lösung spezieller
Aufgaben konzentrierte.
Einen grösseren Einfluss auf die praktische Statik hatten zweifelsohne die Arbeiten von H.
Cross ([13], 1930) und von G. Kani ([33], 1949). Die gemeinsame Grundlage der Verfahren
von Cross und Kani ist die iterative Lösung der Elastizitätsgleichungen. Ein gemeinsames
Merkmal ist die Anschaulichkeit des Lösungsweges. Es werden Biegemomente auf Knoten
fortgeleitet“ oder verteilt“ und zwar anhand von skizzenhaften Darstellungen des stati-
” ”
schen Systemes. Die Vernachlässigungen werden so gewählt, dass die zugrundeliegenden
Iterationsverfahren genügend schnell konvergieren und damit die Berechnungen mit Re-
chenschiebern oder mit einfachen Rechenmaschinen durchgeführt werden können. Gerade
diese letzte Forderung wurde jedoch durch die Entwicklung neuer Bauweisen immer häufi-
ger verletzt. Als Rekord hinsichtlich der Anzahl der Unbekannten“ erwähnte G. Worch
”
[92] in seinem Beitrag im Betonkalender 1960 den Entwurf für die Kuppel des Münchner
Hauptbahnhofes. Hierbei handelte es sich um eine Rippenkuppel (Abbildung 1.1 (a)) mit
16 Bindern und 7 Ringen (112 Knotenpunkte). Durch Ausnutzung der Symmetrie konnte
die Anzahl der Unbekannten von 672 auf die Hälfte reduziert werden. Es erscheint uns
heute rätselhaft, wie man damals derartige Gleichungssysteme gelöst hat. Rekorde“ wie
”
dieser zeigen jedoch, dass in der Baustatik programmierbare Rechenmaschinen dringend
benötigt wurden. Die erste Generation der Computer setzte sich aber erst im Jahre 1953
durch: Zu dieser Zeit wurden weltweit nur etwa 15 Grossrechenanlagen gezählt; 1968 sind
es schon etwa 30000 und 1977 hat sich die Anzahl auf 300000 ([5], Seite 3) verzehnfacht.
Der Wert des neuen Hilfsmittels wurde sofort erkannt und zwar zusammen mit der Not-
wendigkeit einer Neuformulierung der Statik.
Eine erste umfassende Darstellung gibt J. H. Argyris ([1], 1957) mit seiner Arbeit Die
”
Matrizentheorie der Statik“. Die computerorientierten Berechnungsverfahren, die Metho-
”
de der Finiten Elemente“, zu deren Begründern Argyris zählt, sind heute aus der Statik
und Dynamik nicht mehr wegzudenken. In seinem Beitrag A Look into the Future - How
”
Computers will influence Engineering“ weisen J. H. Argyris und P. C. Patton ([2], 1967)
auf die neuen Möglichkeiten der Berechnungen hin, die sich durch den Einsatz von Com-
putern ergeben: Since these assumptions and linearizations date from an era in which
”
the tools of analysis were pencil and paper, we should be willing to leave them behind
and make less conservative assumptions more suited to our modern tool, the computer,
our burgeoning research colleague“.
Die Möglichkeiten, die sich durch den Computer bieten, werden von Ingenieuren genutzt
und zwar sowohl in der Praxis als auch in der Forschung. Programmsysteme wurden
1.1. RECHENVERF. UND -HILFSMITTEL IN DER STATIK 5
entwickelt, und der Rekord“ des Münchner Hauptbahnhofes könnte heute im Sekunden-
”
bereich der Central – Processing – Units (Rechnerkernzeit) gemessen werden. Nach einer
Darstellung von W. Wurmnest ([93], Abbildung 1.1 (b)) würde ein System mit 336 Frei-
heitsgraden etwa 190 CPU-Sekunden und einen Personalaufwand von etwa 20 Studenten
für die Datenvorbereitung und Auswertung erfordern. Auf einem PC mit 300 MHz Takt-
frequenz benötigt die Berechnung mit dem Programmsystem B&B 0,66 Sekunden, wovon
nur 0,11 Sekunden auf das Lösen des Gleichungssystems entfallen.
Abbildung 1.1: Rechenzeitbedarf und Personalaufwand bei der Lösung statischer Aufga-
ben mit Rechenanlagen
Eine Abschätzung des Zeitaufwandes bei einer Berechnung desselben Systems mit einer
elektrischen Rechenmaschine ist nur grob möglich. Für eine Iteration würde man unter
günstigen Annahmen etwa 50 bis 70 Stunden Arbeitszeit benötigen und die Anzahl der
erforderlichen Iterationen für jeden Lastfall wäre mit Sicherheit größer als 50.
6 KAPITEL 1. EINFÜHRUNG
Aus den bisherigen Ausführungen wird deutlich, dads die allgemeinen Grundlagen einer
Matrizentheorie der Statik“ sich inhaltlich nicht von der klassischen“ Statik unterschei-
” ”
den. Die Grundkenntnisse der Mechanik, wie sie üblicherweise in den Studiengängen der
Ingenieurwissenschaften vermittelt werden, sind deshalb auch für das Verständnis der Ma-
trizenmethoden unabdingbare Voraussetzungen; dasselbe gilt für die Grundkenntnisse der
Mathematik.
Kenntnisse der Programmierung tragen an einigen Stellen zum besseren Verständnis von
Flussdiagrammen bei und erleichtern die Bearbeitung der Übungsaufgaben wesentlich.
Die Zielsetzung der Matrizenmethoden ist eine systematische und problemorientierte For-
mulierung und Lösung baustatischer Aufgaben. Hierbei können viele spezielle Lösungsver-
fahren, die eine Abschätzung als Überprüfung der Richtigkeit umfangreicher Berechnun-
gen ermöglichen, nicht behandelt werden. Dies darf nicht zu dem Fehlschluss führen, dass
die Verfasser die Kenntnis dieser Verfahren für unnötig erachten. Überschlagsberechnun-
gen sind auch im Zeitalter der dritten Generation von Computern noch genauso wichtig
für die Dimensionierung von Tragwerken, wie sie es zu Zeiten des Rechenschiebers und
der Kurbelmaschine“ waren. Wir setzen jedoch voraus, dass der Leser diese Verfahren
”
aus den Einführungsveranstaltungen Baustatik“ kennt und bemühen uns, eine schwer-
”
punktmässige Verbindung mit den Matrizenmethoden herzustellen.
Durch die Ausführungen im vorhergehenden Abschnitt wird deutlich, dass die Matrizen-
”
theorie“ nicht nur viele Näherungsverfahren der Baustatik abgelöst hat, sondern zugleich
auch den Anfang bildet für die Methode der Finiten Elemente“. An vielen Stellen haben
”
wir deshalb die natürlichen Zusammenhänge herausgestellt, so dass beim Studium der
Methode der Finiten Elemente darauf zurückgegriffen werden kann.
Im Hinblick auf die praktische Anwendung haben wir den Stoffumfang so gewählt, dass
ein gründliches Verständnis für die heute üblichen Methoden der Baustatik vermittelt
wird.
Die Bearbeitung von Übungsaufgaben erscheint in der Baustatik unerläßlich zu sein; dies
gilt für die klassischen Lösungsmethoden und für die Matrizenmethoden gleichermaßen.
Während jedoch im erstgenannten Fall die heute allgemein verfügbaren Taschenrechner
ausreichen, ist für die Lösung von Aufgaben mit den Matrizenmethoden ein programmier-
barer Taschenrechner oder ein PC unbedingt erforderlich. Die Lösung von Problemen mit
einem PC setzt ein Benutzerprogramm voraus, das die gewünschten Matrizenoperationen
ausführt.
1.3. BEARBEITUNGSHINWEISE ŠBUNGSAUFGABEN 7
Die Übungsaufgaben in diesem Skriptum können deshalb nur dann auf sinnvolle Weise
gelöst werden, wenn ein solches Benutzerprogramm zur Verfügung steht. Benutzerpro-
gramme sind heute leicht erhältlich und einfach zu handhaben.
Die Verfasser empfehlen für die Bearbeitung das Programm SMIS (Symbolic Matrix
Interpretative System,[89]) oder die Weiterentwicklung MISS-SMIS [37].
Für Anwendungen mit größerem Umfang wird auf Programmsysteme mit erweitertem
Leistungsumfang verwiesen. Sie sind heute allgemein erhältlich ([31],[6]) und gehören
zur Grundausstattung von Ingenieurbüros, die baustatische Aufgaben lösen. Für diese
Programmsysteme ist ein sorgfältiges Studium der Benutzerhandbücher erforderlich, das
jedoch durch die Kenntnis der Matrizentheorie erheblich erleichtert wird.
8 KAPITEL 1. EINFÜHRUNG
Die traditionelle Darstellung der Baustatik beginnt mit einer Beschränkung auf die lineare
Statik deformierbarer Körper. Wir behalten diese Betrachtungsweise bei und setzen voraus,
dass die Verschiebungen aller Punkte eines Tragwerkes sowie die Relativverformungen
(Verzerrungen und Dehnungen) aller Punkte so klein sind, dass wir alle auf das Tragwerk
einwirkenden äusseren Kräfte und alle auf Teile des Tragwerkes einwirkenden inneren
Kräfte am unverformten Tragwerk ansetzen können ( kleine Verformungen“).
”
Diese Voraussetzung gilt bis zu Kapitel 12. Desweiteren gehen wir von den üblichen An-
nahmen der Balkentheorie aus, die wir hier zusammenfassend aufzählen:
(e) die Querschnittsachsen sind Hauptachsen und die Stabachse liegt im Schubmittel-
punkt des Querschnittes.
Die Annahmen (c) bis (e) beziehen sich nur auf die Einzelstäbe des Stabwerkes; eine
Erweiterung für Stäbe mit veränderlichem Querschnitt, für besondere Querschnittsformen
und auch für die Berücksichtigung von Verwölbungseinflüssen (Wölbkrafttorsion) ist unter
Berücksichtigung der relevanten Erweiterungen der Balkentheorie möglich [72].
In den Kapiteln 12 und 13 verlassen wir die lineare Statik und geben eine Einführung in
die Lösungsverfahren für Stabilitätsprobleme und geometrisch nichlineare Verformungs-
probleme von Stabwerken.
Die Beschränkung auf ebene Stabwerke in den Kapiteln 12 und 13 erfolgt deshalb, weil
eine Stabilitätsuntersuchung räumlicher Stabwerke ohne eine genauere Erfassung der
Verwölbung nur von geringer praktischer Bedeutung wäre. Die Lösungsverfahren sind je-
doch auch hier von allgemeiner Gültigkeit, und eine Erweiterung auf räumliche Stabwerke
bedürfte nur einer Ergänzung durch räumliche Stabelemente mit genauerer Beschreibung
des Torsionsverhaltens.
Bezüglich der äußeren auf das Tragwerk einwirkenden Kräfte gehen wir von der üblichen
Idealisierung aus, die unter dem Begriff quasi-statische Belastung“ zusammengefaßt wird:
”
Belastungsänderungen erfolgen so langsam, daß dadurch keine Trägheitskräfte entstehen.
1.4. ALLGEMEINE ANNAHMEN 9
Bewegliche Lasten, wie sie z.B. im Brückenbau auftreten, können - ggf. mit einem Las-
terhöhungsfaktor gemäß DIN 1055 multipliziert - wie quasi-statische Lasten betrachtet
werden.
Kapitel 2
Beispiele sind in Abbildung 2.1 dargestellt. In den folgenden Kapiteln wird nur die Be-
rechnung von Stabwerken behandelt.
Die Elemente eines Stabwerkes sind gerade oder gekrümmte Stäbe. Jeder Stab besitzt zwei
Stabenden, in welchen er mit anderen Stäben des Stabwerkes verknüpft werden kann. Die
Stabendpunkte der Stäbe werden als Knoten bezeichnet. Die meisten in der Praxis aus-
geführten Stabwerke können durch gerade Stäbe beschrieben werden. Aus diesem Grunde
erfolgt hier eine Beschränkung auf Stabwerke mit geraden Stäben. Die Berechnung von
10
2.1. AUFBAU UND TRAGWIRKUNG DER STABWERKE 11
Stabwerken, die nur in den Knoten durch Kräfte oder Momente belastbar sind, läßt sich
besonders einfach darstellen. Deshalb wird hier zunächst vorausgesetzt, dass das Stab-
werk nur durch solche Einzelwirkungen in den Knoten belastet ist. Diese Einschränkung
erfüllt die Erfordernisse der Praxis in vielen Fällen nicht; sie wird deshalb an späterer
Stelle (Kapitel 7) wieder aufgehoben. Stabwerke werden nach der Anordnung der Knoten,
nach der Art der Belastung und nach der konstruktiven Ausbildung der Knoten in eine
Vielzahl von Typen eingeteilt. Aufgrund der Anordnung der Knoten unterscheidet man
räumliche und ebene Stabwerke (Abbildung 2.1).
Bei ebenen Stabtragwerken wird davon ausgegangen, dass die Knoten in einer Ebene lie-
gen und die äusseren Kräfte in derselben Ebene wirken. Äussere Momente bewirken bei
ebenen Stabtragwerken eine Verdrehung in derselben Ebene, der Momentenvektor steht
jedoch senkrecht zu dieser Ebene. Stabtragwerke, deren Knotenpunkte in einer Ebene lie-
gen und die durch Kräfte senkrecht zu dieser Ebene belastet werden, bezeichnet man als
Trägerroste. In der Ebene des Trägerrostes können in jedem Knotenpunkt zusätzlich zwei
linear unabhängige Momentenvektoren als Belastung vorgegeben sein. Stabwerke mit frei
drehbaren Knoten (ideale Gelenke) bezeichnet man als Fachwerke und unterscheidet zwi-
12 KAPITEL 2. STABWERKE - SYSTEM/ELEMENTEINTEIL.
Für die Darstellung der konstruktiven Ausbildung von Gelenkknoten mit Kräftezwischen-
bedingungen verwendet man in der Ebene eine sinnvolle Symbolik (Abbildung 2.3).
Stabwerke müssen über einen oder mehrere Knotenpunkte mit dem als starr betrachteten
Baugrund verbunden werden. In diesen Lagerpunkten werden einzelne Verschiebungen
oder Verdrehungen vorgegeben, und in den Richtungen der vorgegebenen Verformungen
wirken Kräfte, die sogenannten Lagerreaktionen, auf den Baugrund. Für die Darstellung
der Lagerung in der Ebene wählt man eine sinnvolle Symbolik (Abbildung 2.1). Bei einer
Lagerung über elastische Federn werden die Federn als spezielle Elemente des Stabwerks
betrachtet. Man unterscheidet zwischen Dreh- und Senkfedern und bezeichnet sie als Fe-
derelemente.
Abbildung 2.4: Symbolische Darstellung von Lagern in der Ebene mit positiv wirkenden
Lagerreaktionen
2.2. KOORD. D. KNOTENP. U. VERKNÜPFUNG D. ELEMENTE 13
Das Stabelement in lokalen Koordinaten ist die Grundlage der systematischen Berech-
nung; es kann bausteinartig zu dem zu berechnenden Stabwerk zusammengefügt werden,
die Eigenschaften der Einzelelemente können katalogartig beschrieben werden (Anhang
A). Die einzelnen Elemente werden über Koordinatentransformationen zum Gesamtsys-
tem verknüpft.
In der üblichen praktischen Anwendung steht jedoch das Gesamtsystem mit seinen vor-
gegebenen Abmessungen und Werkstoffangaben am Anfang der Berechnung. Ausgehend
hiervon erfolgt als erster Schritt eine Einteilung in Elemente und Knoten. Die Elemente
und Knoten werden fortlaufend von 1 beginnend numeriert. Die Knotenpunkte werden
durch die Koordinaten in einem frei gewählten, globalen Koordinatensystem beschrie-
ben. In der Koordinatentafel ordnet man den Knotennummern in aufsteigender Folge
ihre Koordinaten x, y, z zu. Die Verknüpfungsdaten der Elemente werden in einer Ver-
knüpfungstafel (Inzidenztafel) aufgestellt: Den Elementnummern werden in aufsteigender
Folge die beiden Nummern der Knotenpunkte des betrachteten Elementes zugeordnet.
Der Knoten mit der kleineren Knotennummer wird als linker“ Knoten bezeichnet. Der
”
Koordinatenursprung des lokalen Koordinatensystems x, y, z wird in den linken Kno-
ten gelegt. Damit erhalten alle Elemente eine Orientierung von links (l) nach rechts (r).
In der Darstellung werden die Elementnummern durch Kreise von den Knotennummern
unterschieden.
14 KAPITEL 2. STABWERKE - SYSTEM/ELEMENTEINTEIL.
Beispiel 2.1
Für das in Abbildung 2.2 dargestellte ebene Stabtragwerk werden die Koordinatentafel
und die Verknüpfungstafel aufgestellt.
x z Knoten
Knoten Element
[m] [m] l r
1 0 11
1 1 2
2 0 7
2 2 3
3 0 3
3 3 4
4 10 0
4 4 5
5 15 1,5
5 5 6
6 20 3
6 6 7
7 20 7
7 7 8
8 15 7
8 7 9
9 20 11 Verknüpfungstafel
Koordinatentafel
Aufgaben:
2.1 Für das dargestellte Fachwerk ist eine Numerierung der Knoten und Elemente vorzu-
nehmen. Für das festgelegte globale Koordinatensystem sollen die Koordinatentafel
und die Verknüpfungstafel aufgestellt werden.
2.2 Für die dargestellten Stabtragwerke ist eine sinnvolle Numerierung der Knoten
und Elemente festzulegen. Koordinatentafel und Verknüpfungstafel sollen aufgestellt
werden.
Kapitel 3
Unter der Annahme, dass die Formänderungen eines Körpers bei einer vorhandenen Belas-
tung klein bleiben, können Schnittgrößen, Lasten und Lagerreaktionen am unverformten
Körper angesetzt werden (siehe Abschnitt 1.4, Allgemeine Angaben).
Definition 3.1 Schnittgrößen sind die inneren Kraftgrößen in einem Schnitt durch das
Tragwerk. Schnittgrößen sind die Resultierenden der Spannungen.
Die zur Definition innerer Kraftgrößen erforderlichen lokalen Bezugssysteme werden durch
Überstreichung gekennzeichnet.
Aus der Mechanik [39] sind die Differentialgleichungen des Balkens bekannt. Für ein räum-
liches Stabelement von der Länge dx gelten für verteilte Belastungen (Abbildung 3.1)
folgende Differentialgleichungen aus den Gleichgewichtsbetrachtungen.
16
3.1. DIE DIFFERENTIALGLEICHUNG 17
dN dQy dQz
= −n, = −qy , = −qz ,
dx dx dx
dMx dMy
= −mx , = Qz − my ,
dx dx
(3.1)
dMz
−Qy − mz ,
dx
d2 My dmy d2 Mz dmz
= −qz − und 2 = qy − .
dx2 dx dx dx
Alle Einwirkungen und Schnittgrößen sind als Funktion der in Stablängsrichtung verlau-
fenden Elementachse x gegeben.
Hierbei ist N die Normalkraft, Qy und Qz sind die Querkräfte, Mx ist das Drill- oder
Torsionsmoment und My und Mz sind die Biegemomente.
Durch Integration erhält man die Schnittgrößen als Funktionen der Bezugs-
achsenkoordinate x.
Im folgenden sollen nun die Schnittgrößen für verschiedene unbelastete Stabelemente mit
ihren Gleichgewichtsbeziehungen dargestellt werden.
18 KAPITEL 3. STABELEMENTE ALS STARRE KÖRPER
Die Schnittgrößen werden in den lokalen Koordinaten x, y und z der einzelnen Elemente
angegeben. Schnittgrößen wirken immer auf einer Bezugsachse, die Schwerachse, Haupt-
achse oder Schubmittelpunktachse ist. Für die Bemessung werden nicht die Schnittgrößen,
sondern Spannungen verwendet. Für den Verlauf der Spannungen werden weitere Annah-
men getroffen [39].
Die Schnittgrößen eines Trägerrostelementes (TYP 3) sind Qz (x), Mx (x) und My (x) (Ab-
bildung 3.4).
Die Schnittgröße eines räumlichen Fachwerkelementes (TYP 4) oder eines ebenen Fach-
werkelementes (TYP 5) ist N (x) (Abbildung 3.5).
3.2. SCHNITTGRÖSSEN UNBELASTETER ELEMENTE 19
Für ein räumliches Stabelement ohne Belastung erhält man durch Integration der Glei-
chungen (3.1) folgende Schnittgrößenfunktionen:
3.3 Stabendkräfte
Die Stabendkräfte werden im Vektor S für das Element iizusammengefasst. Die Anzahl
i
i
der linear unabhängigen Komponenten von S stimmt mit der Anzahl der Integrations-
konstanten in (3.2) überein. Die linear unabhängigen Stabendkräfte werden in dem Vektor
F i zusammengefasst.
Die Anzahl der Stabendkräfte und der linear unabhängigen Stabendkräfte ist für die
verschiedenen Elementtypen in Tabelle (3.1) zusammengestellt.
Gelenke können in den Knotenpunkten eines Tragwerkes oder innerhalb eines Elementes
angeordnet werden, wenn die x-Richtung des linken Elementabschnittes mit der des rech-
ten Elementabschnittes übereinstimmt. Bei Elementen mit Gelenken im Innern reduziert
sich die Anzahl der linear unabhängigen Stabendkräfte um die Anzahl der Gelenkbedin-
gungen. Die Anzahl der Stabendkräfte bleibt jedoch konstant.
T i ist die Kräftetransformationsmatrix des Elements ii. Im folgenden sind die Berech-
nungen der Elemente von T i am Beispiel eines ebenen Stabelementes gezeigt.
Beispiel 3.1
Ein ebenes Stabelement hat die drei Schnittgrößen N, Q und M . In (3.2) müssen deshalb
die Konstanten C1 , C3 und C5 bestimmt werden. Der Vektor der linear unabhängigen
i
Stabendkräfte F i besitzt drei, der Vektor der Stabendkräfte S sechs Komponenten. Ein
3.3. STABENDKRÄFTE 21
ebenes Stabelement kann auf unterschiedliche Art und Weise statisch bestimmt gelagert
werden.
Die Lagerung eines Elementes ist dann statisch bestimmt, wenn das Element unverschieb-
lich gelagert ist und die Schnittgrößen allein mit den Gleichgewichtsbedingungen ermittelt
werden können.
Eine Auswahl von Lagerungsarten mit den zugehörigen linear unabhängigen Stabend-
kräften F i ist in Abbildung 3.6 dargestellt.
Linkes und rechtes Stabende können vertauscht werden; daraus ergeben sich weitere
Möglichkeiten. Bei jeder Lagerung sind drei linear unabhängige Stabendkräfte und drei
Lagerreaktionen vorhanden.
Für eine statisch bestimmte Lagerung können unterschiedliche linear unabhängige Sta-
bendkräfte F i angegeben werden (Abbildung 3.6 und 3.7).
Die Bedingung hierbei ist, dass der Verlauf der Schnittgrößen über das Element iientspre-
chend (3.2) wiedergegeben wird. Für die in Abbildung 3.6 dargestellte Lagerung werden
beispielhaft die linear unabhängigen Stabendkräfte in Abbildung 3.7 angeben. Durch die
paarweise angreifenden Momente F2 und F3 ergibt sich ein antimetrischer bzw. symme-
trischer Momentenverlauf, so dass sowohl die konstante Querkraftverteilung als auch die
lineare Momentenverteilung genau wiedergegeben werden.
Für das in Abbildung 3.8 dargestellte ebene Stabelement wird im folgenden die Kräfte-
transformationsmatrix T i aufgestellt. Die Lagerreaktionen werden aus den Gleichgewichts-
bedingungen berechnet und bestimmen zusammen mit den linear unabhängigen Stab-
i
endkräften F i den Vektor der Stabendkräfte S .
22 KAPITEL 3. STABELEMENTE ALS STARRE KÖRPER
S1 −1 0 0
S2 0 −1/l −1/l
F1
S3 0 1 0
F2
S4 =
1 0 0 (3.4)
F3
S5
0
1/l 1/l
S6 0 0 1
i
S Ti Fi
3.4 Drehungsmatrizen
• das globale Koordinatensystem zur Beschreibung der Lage der Knotenpunkte und
Die Beschreibung des Gleichgewichtes in den Knoten kann nur in einem für alle im Kno-
ten anschließenden Elemente gemeinsamen, knotenzentrierten Koordinatensystem erfol-
gen. Im allgemeinen wird man hierfür das globale Koordinatensystem (x, z) wählen. In
Sonderfällen, wie z. B. bei speziellen Randknoten, kann jedoch die Einführung lokaler
Knotenkoordinatensysteme sinnvoll sein (Abbildung 3.9).
Die Drehungsmatrix LiD ist aus zwei Teilmatrizen aufgebaut, die in Diagonalform ange-
ordnet sind (Hyperdiagonalmatrix).
24 KAPITEL 3. STABELEMENTE ALS STARRE KÖRPER
Die Teilmatrizen Lil und Lir werden aus den Richtungswinkeln αij für die Drehung vom lo-
kalen Elementkoordinationsystem in den Knoten l respektive r berechnet; für den Knoten
l erhält man:
c11 c21 c31
i
Ll = c12 c22 c32 ; cij = cos(αij ) i, j = 1, 2, 3 (3.7)
c13 c23 c33
Die Winkel αij sind in Abbildung 3.10 dargestellt. Üblicherweise sind die Richtungswinkel
αij nicht bekannt. Sie müssen aus den Koordinaten der Stabelemente in einem globalen
Koordinatensystem berechnet werden.
Für die Berechnung der Richtungswinkel wird angenommen, dass die Lage der (x, z)-
Ebene des lokalen Koordinatensystems bekannt ist und zwar durch die Koordinaten von
drei Punkten (Abbildung 3.11):
Mit den Koordinaten der drei Punkte l, r und c lassen sich die Kosinusse in (3.7) berech-
nen.
p
li = (xr − xl )2 + (yr − yl )2 + (zr − zl )2
q = (xr − xc )(xr − xl ) + (yr − yc )(yr − yl ) + (zr − zc )(zr − zl )
u1 = q(xr − xl ) + li2 (xc − xr )
u2 = q(yr − yl ) + li2 (yc − yr )
u3 = q(zr − zl ) + li2 (zc − zr )
q
u = u21 + u22 + u23
c11 = (xr − xl )/li ; c31 = u1 /u; c21 = c13 c32 − c12 c33
c12 = (yr − yl )/li ; c32 = u2 /u; c22 = c11 c33 − c13 c31
c13 = (zr − zl )/li ; c33 = u3 /u; c23 = c12 c31 − c11 c32
26 KAPITEL 3. STABELEMENTE ALS STARRE KÖRPER
Für ein ebenes Stabelement erhält die Drehungsmatrix eine einfachere Form. Die Kräfte-
transformation erfolgt in der (x, z)-Ebene (Abbildung 3.12). Das Biegemoment als Vektor
senkrecht zu dieser Ebene ist drehungsinvariant. Es gilt mit
Lil 0 0 0
0 1 0 0
LiD = (3.8)
0
0 Lir 0
0 0 0 1
mit
cos αl − sin αl
Lil = (3.9)
sin αl cos αl
(Lir entsprechend)
Für alle Drehungsmatrizen gilt die wichtige Eigenschaft, dass die Transponierte gleich der
Inversen ist:
Die lokalen Elementgleichgewichtsbedingungen (3.3) können mit (3.5) auf die knotenzen-
trierten Koordinatensysteme transformiert werden; es gilt:
LiD T i F i = S i (3.11)
3.4. DREHUNGSMATRIZEN 27
ai = (LiD T i )T
(ai )T F i = S i . (3.12)
Für den Fall, dass die Knotenkoordinationssysteme in l und in r mit den globalen Koor-
dinaten gleichgerichtet sind, sind die Elementmatrizen in allgemeiner Form im Anhang A
angegeben.
Die Matrix (ai )T wird als Gleichgewichtsmatrix des Elementes in globalen Koordinaten
bezeichnet. Die Transponierte wird aus formalen Gründen eingeführt. Eine Zusammen-
fassung für die hier betrachteten Elemente ist im Anhang A angegeben.
28 KAPITEL 3. STABELEMENTE ALS STARRE KÖRPER
Aufgaben
1. Wählen Sie für ein ebenes Fachwerkelement und ein ebenes Stabelement mit Mo-
mentengelenk eine statisch bestimmte Lagerung und leiten Sie die Transformations-
matrizen T i , LiD und (ai )T her. Vergleichen Sie die Ergebnisse mit Anhang A.
2. Leiten Sie für das Stabelement mit Querkraftgelenk im Innern die Matrizen T i , LiD
und (ai )T her. Eine mögliche statisch bestimmte Lagerung ist angegeben.
Leiten Sie die Transformationsmatrizen für ein ebenes Kreiselement her. Als statisch
bestimmte Lagerung nehmen Sie eine Einspannung am linken Elementende an.
Kapitel 4
Durch die Festlegung auf die grundlegenden Elementtypen in Kapitel 3 ist der Weg zur
Darstellung der Gleichgewichtsbedingungen vorgezeichnet. Wir betrachten nur Stabwer-
ke, die aus diesen Elementen aufgebaut sind und treffen zunächst restriktive Verein-
barungen gezüglich der Lagerung.Das Prinzip der Berechnung lässt sich damit einfach
darstellen.Anschließend,und darauf aufbauend,werden die vielfältigen Möglichkeiten der
Lagerung und der Berücksichtigung von Gelenken aller Art behandelt.
4.1 Grundlagen
Eine wesentliche Grundlage ist das bei der Herleitung der Elementgleichgewichtsbezie-
hungen verwendete Schnittprinzip: Wir denken uns die einzelnen Elemente des Stabwerks
herausgeschnitten. Für die Wechselwirkung zwischen Element und Knoten gilt das Gegen-
wirkungsprinzip: actio = reactio; die Stabendkräfte in einem durch einen Schnitt freige-
legten Stabende sind den auf den Knoten wirkenden Kräften entgegengerichtet und dem
Betrage nach gleich groß (Abbildung 4.1)
29
30 KAPITEL 4. GLEICHGEWICHT VON STABWERKEN
(c) an allen Knoten, die man sich durch Knotenschnitte freigelegt denkt, Gleichgewicht
zwischen den Knotenlasten und den Knotenkräften herrscht.
Die Knotenkräfte im Knoten i sind die Summe der Stabendkräfte (reactio) aller am Knoten
i angeschlossenen Stabelemente.
Mit Bezug auf die Randbedingungen der Verschiebung bezeichnen wir ein Stabwerk als
Stabwerk mit unverschieblichen Lagern, wenn
(b) in den Lagern alle möglichen Verformungen der angeschlossenen Elemente Null sind.
Dies ist gleichbedeutend mit biegestarrer, unverschieblicher Lagerung für Stabtrag-
werke und Trägerroste und mit unverschieblicher Lagerung für Fachwerke. (Abbil-
dung 4.2)
Alle Knoten eines Stabwerkes können durch äußere Kräfte beansprucht werden
• die inneren Knoten durch die Belastung,
Definition 4.1 Lagerreaktionen sind positiv in Richtung der positiven Achsen des
globalen Koordinatensystems.
Lagerreaktionen sind damit unbekannte äußere Kräfte in den Randknoten. Sie werden
hier über Verschiebungen eingeführt.
Definition 4.2 In allen Punkten des Tragwerks,in denen die Verschiebungen vorgegeben
sind, sind die äußeren Kräfte unbekannt. In allen Punkten, in welchen die Verschiebungen
ungehindert sind, können äußere Kräfte, die Knotenlasten, vorgegeben werden. In Punk-
ten des Tragwerks, in denen die Verschiebungen vorgegeben sind, können sich die äußeren
Kräfte entsprechend den Gleichgewichtsbedingungen frei einstellen.
Definition 4.3 Die Dimensionszahl dk eines Knotens k ist die Anzahl der Linear un-
k
abhängigen Komponenten des Knotenkraftvektors Rk bzw. von R̃ , wenn es sich um
einen Randknoten handelt (Abbildung 4.3).
Bei einem ebenen (räumlichen) Stabtragwerk hat jeder Knoten die Dimensionszahl 3 (6).
Bei einem ebenen (räumlichen) Fachwerk hat jeder Knoten die Dimensionszahl 2 (3).
i
Analog wird die Dimensionszahl d0i eines Elementes als Anzahl der Komponenten von S
des Elementes
1 definiert (siehe Tafel 3.1).
Nach Satz 4.1 (c) muss an jedem Knoten Gleichgewicht zwischen den Knotenlasten und
den Knotenkräften herrschen.Dies ergibt für jeden Knoten k ein System von dk linearen
Gleichungen.
Als Beispiel sind diese Gleichungen für den Knoten eines ebenen Stabwerkes, in dem
Stabelemente und ein Fachwerkelement anschließen, in Bild 4.4 aufgenommen.
Gleichgewicht:
lineare Gleichungen in den Stabendkräften zur Verfügung. Wir zeigen nun einen
zweckmäßigen Weg zur Aufstellung dieser Gleichgewichtsbedingungen.
R1
innere Knoten
0
R2
R = (4.2)
..
.
Lager
R̃n0
q
X
0
mit m = d0i , der Dimension von S.
i=1
C 0 S = R0 (4.4)
C 0 ist eine (0, 1)-Matrix; wir bezeichnen sie als Verknüpfungs- oder Inzidenzmatrix des
Stabwerkes. Die systematische Besetzung von C 0 erfolgt ausgehend von der Verknüpfungs-
tafel (Kapitel2).
(Lager) Lagerreaktionen
n’
Der Elementnumerierung folgend wird der Vektor der linear unabhängigen Stabendkräfte
eingeführt:
F1
1
F F
2 2
F
3 ≡
F = F (4.5)
..
. .
..
q
F
Fm
Analog zu (3.9) gilt für das Gesamttragwerk mit diag{(ai )T } als Hyperdiagonalmatrix
(Anhang A1)
(a0 )T F = R0 . (4.9)
Zur näheren Erläuterung wird dieses Gleichungssystem für das in Abbildung 4.6 darge-
stellte Stabtragwerk aufgestellt.
4.3. DAS GLEICHGEWICHT BEI UNVERSCHIEBLICHEN LAGERN 35
Beispiel 4.1
1
S45
R35
1
↑
S55
Element→
1
2
3
4
5 S65
a0
R0 = C0 S
Elementkatalog stehen zwei ebene Stabelemente zur Auswahl. Wir wählen das Stabele-
ment Typ b und erhalten mit:
cos α = (xr − xl )/li und sin α = (zr − zl )/li
die folgenden Elementgleichgewichtsmatrizen.
− cos α sin α 0 Element li [m] cos α sin α
− sin α − cos α 0
1 6 0 1
i T
0 l −1
2 7,76 0,966 -0,258
(a ) =
cos α − sin α 0
3 7,76 0,966 0,258
sin α
cos α 0
4 15 1 0
0 0 1
5 6 0 1
0 1 0 −0, 966 −0, 258 0
−1 0 0 0, 258 −0, 966 0
0
6 −1
0 7, 76 −1
(a1 )T = (a5 )T =
............
(a2 )T =
.....................
0 −1 0 0, 966 0, 258 0
1 0 0 −0, 258 0, 966 0
0 0 1 0 0 1
−0, 966 0, 258 0 −1 0 0
−0, 258 −0, 966 0 0 −1 0
0 7, 76 −1
0 15 −1
3 T
4 T
(a ) =
.....................
(a ) =
............
0, 966 −0, 258 0 1 0 0
0, 258 0, 966 0 0 1 0
0 0 1 0 0 1
4.3. DAS GLEICHGEWICHT BEI UNVERSCHIEBLICHEN LAGERN 37
F11
F21
R11 0 1 0 −0, 966 −0, 258 0 −1 0 0
1 F31
R21
−1 0 0 0, 258 −0, 966 0 0 −1 0
F41
1
−1 −1 −1
R3 0 6 0 7, 76 0 15
F51
R12 −0, 966
0, 966 0, 258 0 0, 258 0
2 1
F6
R22 −0, 258 0, 966 0 −0, 258 −0, 966 0
2
F1
R32
0 0 1 0 7, 76 −1
2
F2
3
R1 0, 966 −0, 258 0 1 0 0 0 1 0
3
F32
3
R2 =
0, 258 0, 966 0 0 1 0 −1 0 0
F44
3
R3 0 0 1 0 0 1 0 6 −1
4
F5
R14
0 −1 0
4
4
F6
R24
1 0 0
5
F1
R34 0 0 1
F25
R15
0 −1 0
5
F35
R25
Knoten
1 0 0
5
F4
R35
0 0 1
5
↑
F5
F65
Element→
1
2
3
4
5
R0 = (a0 )T F
Für den Aufbau der Gleichgewichtsmatrix entsprechend Gleichung (4.8) ist es nicht er-
forderlich, die Multiplikation (4.7) durchzuführen. Auch (a0 )T kann wie C 0 direkt mit der
Verknüpfungstafel aufgebaut werden. Ein Element in der i-ten Zeile und j-ten Spalte
der Gleichgewichtsmatrix (a0 )T ist nur dann verschieden von Null, wenn Fj einen Beitrag
zum Gleichgewicht in Richtung von Ri0 leistet. In der Gleichgewichtsmatrix steht der Bei-
trag als Element der betreffenden Gleichgewichtsmatrix des Elementes. Bisher wurde der
Einfluß der Lagerung auf das Gleichgewicht nicht berücksichtigt. Zwischen den Lagerre-
k
aktionen R̃ und den Knotenlasten an inneren Knoten Rk besteht jedoch ein wesentlicher
k
Unterschied: Die Knotenlasten Rk sind bekannt, und die Lagerreaktionen R̃ sind un-
bekannt. Das bedeutet, dass die Gleichungen mit den Lagerreaktionen im Lastvektor R0
keine Bestimmungsgleichungen für F sind. Die Anzahl der Lagerreaktionen wird mit nr
bezeichnet.
Die letzten nr Zeilen von (a0 )T , die das Gleichgewicht der Lagerpunkte beschreiben,
können nicht zur Bestimmung der linear unabhängigen Stabendkräfte F verwendet wer-
den, da die Lagerreaktionen unbekannt sind. Das Gleichgewicht des Gesamtsystems ist
allein durch die Gleichgewichtsbedingungen der inneren Knoten bestimmt.
n = n0 − nr .
Für Tragwerke mit unverschieblichen Lagern ist die Matrix der ersten n Zeilen von (a0 )T
die Gleichgewichtsmatrix aT (Abbildung 4.7).
Eine andere Möglichkeit zur Berücksichtigung der Lagerreaktionen besteht darin, dass
man die unbekannten Stabendkräfte F mit den unbekannten Lagerreaktionen in einem
Vektor zusammenfasst. Dieser Weg wird in der Literatur ([66],[47]) verschiedentlich an-
gegeben. Da er jedoch eine größere Gleichgewichtsmatrix als der hier beschriebene Weg
38 KAPITEL 4. GLEICHGEWICHT VON STABWERKEN
Die Forderung, dass das Tragwerk nur unverschiebliche Lager hat, soll nun fallengelassen
werden: wir betrachten verschiebliche Lager.Die Lagerung muss aber statisch zulässig
sein, d.h., die Lagerung muss die Starrkörperverschiebungen ausschließen.Beispiele der
Ausführungsmöglichkeiten verschieblicher Lager sind in Bild 4.8 dargestellt.
Aus Bild 4.8 erkennt man, dass schon bei einfachsten Tragwerken eine Vielfalt von Lage-
rungsmöglichkeiten besteht.
Bei räumlichen Stabtragwerken fällt teilweise sogar die symbolische Darstellung
schwer.Man behilft sich in solchen Fällen durch Angabe der Verschiebungsrichtungen
oder der Randbedingungen der Kräfte.Die Randbedingungen der Kräfte sind durch die
konstruktive Gestaltung des Lagers gegeben. Zur Formulierung der Gleichgewichtsbedin-
4.4. VERSCHIEBLICHE LAGER 39
gungen in einem verschieblichen Lager l führen wir den Vektor der resultierenden Sta-
l
bendkräfte S̃ ein. Analog zur Gleichung (4.4) gilt für das Lager l:
l
C l S = S̃ . (4.10)
l
C l ist die zum Knoten l gehörige Verknüpfungstafel. Die Dimension p von S̃ wird ent-
sprechend Definition 4.2 festgelegt.
Ein verschieblicher Lager kann in Richtung der linear unabhängigne Verschiebungskom-
ponenten den Lastvektor Rl aufnehmen;es kann in diesen Richtungen keine Kräfte auf
den Baugrund übertragen, d.h., es gibt in den Verschiebungsrichtungen keine Lagerreak-
tionen.
Die Dimension q von Rl ist gleich der Anzahl der Verschiebungskomponenten am Lager
l. Sie hängt von der konstruktiven Ausbildung des Lagers ab.
Die Gleichgewichtsbedingungen können dann wie folgt in allgemeiner Form dargestellt
werden:
l
Ll S̃ = Rl . (4.11)
Beispiel 4.2
S̃1l = R1l ;
S̃3l = R2l ;
in Matrizenform:
l
S̃
1
l
1 0 0 R1
×
S̃2l =
(4.12)
0 0 1 R2l
S̃3l
4.5 Gelenke
Bisher wurde davon ausgegangen, dass die Stäbe eines Stabtragwerkes immer biegesteif
miteinander verbunden sind. In Kapitel 2 wurden jedoch auch Stabtragwerke mit Gelenken
eingeführt. Der Begriff eines Gelenkes kann nunmehr präzisiert werden:
Beispiele der Ausführungsmöglichkeit solcher Gelenkknoten sind in Bild (2.3) und in Bild
(13.14) dargestellt.
Die Möglichkeit zur Ausführung von Gelenkknoten sind prinzipiell die gleichen wie für
Lager.Auch die Aufstellung der Gleichgewichtsbedingungen in sochen Knoten verläuft im
Prinzip gleich.
g
Nach Definition 4.2 gibt es den zusätzlichen Lastvektor R̃
g
Die Dimension q von R̃ . ist gleich der Anzahl der zusätzlichen Freiheitsgrade der Ver-
schiebung am Gelenk g.
Damit ist
g T h i
R̃ = R̃1g R̃2g ... R̃qg . (4.14)
Lg ist eine [q x m’]-Matrix mit linear unabhängigen Zeilen.Die Anzahl der Stabendkräfte
des Tragwerkes ist m’. Wie bei verschieblichen Lagern muss Lg auch bei Gelenkknoten, den
Randbedingungen entsprechend, für den Einzelfall aufgestellt werden. Zur Erläuterung
sind zwei Beispiele aufgeführt(Bild 4.11).
42 KAPITEL 4. GLEICHGEWICHT VON STABWERKEN
S3i = R̃1g
oder S3j = R̃1g .
Beide Gleichungen kennzeichnen ein Momentengelenk in g. Im ersten Fall greift R̃1g im Stab
i an, im zweiten im Stab
.
j der praktischen Berechnung wird durch die Konstruktive
Ausbildung des Gelenkes der Angriffspunkt des Momentes festgelegt.
Die Gleichgewichtsbedingungen für den Knoten g sind mit denen des Beispiels (4.3) (a)
identisch.
Die Randbedingung entsprechend Gleichung (4.15) lautet abhängig von der konstruktiven
Ausbildung des Gelenkes entweder
Für alle Verbindungen der Elemente untereinander und der Elemente mit dem Baugrund
können somit die Gleichgewichtsbedingungen aufgestellt werden.
4.6. GLEICHGEWICHTSBEDINGUNGEN ALLGEMEINER STABWERKE 43
C r S = Rr . (4.18)
und stellen damit alle Randbedingungen der Stabendkräfte durch folgende Gleichgewichts-
bedingung dar:
(ar )T F = Rr . (4.21)
Die Gleichgewichtsbedingungen des Gesamttragwerkes erhält man nun, indem man die
letzten nr Gleichungen in (4.9) und in (4.4) durch die Gleichgewichtsbedingungen (4.21)
bzw. (4.18) ersetzt. Diese vollständigen Gleichgewichtsbedingungen für Stabwerke mit
verschieblichen Lagern und Gelenkknoten bezeichnen wir mit
aT F = R und (4.22)
C S = R, wobei (4.23)
n o
T
aT = C diag ai . (4.24)
Der Aufbau von aT aus den Teilmatrizen ist symbolisch in Bild (4.12) dargestellt. Da die
letzten nr Zeilen von (a0 )T ersetzt wurden, gilt der folgende Satz.
Satz 4.2 Die Gleichgewichtsmatrix aT eines Stabwerkes besitzt genau n linear unabhängi-
ge Zeilen und m ≥ n Spalten.
Für die praktische Berechnung wird die eingangs gestellte Forderung, dass die Randkno-
ten die Knoten mit den größten Knotennummern sind, fallengelassen. Außerdem ist es
nicht notwendig, die Randbedingungen in Gelenken als letzte Gleichungen in die Gelichge-
wichtsmatrix zu schreiben.In dem folgenden Beispiel soll der Aufbau der Gelichgewichts-
bedingungen für ein Stabtragwerk mit einem Gelenk und einem verschieblichen Lager
gezeigt werden.
44 KAPITEL 4. GLEICHGEWICHT VON STABWERKEN
Beispiel 4.4
0 −1 0 −1 0 0 −1 0 0
1
0 0
0 −1 0
0 −1 0
1 T
0 5 −1 2 T
0 5 −1 3 T
0 2 −1
(a ) = (a ) = (a ) =
0 1 0 1 0 0 1 0 0
−1 0 0
0 1 0
0 1 0
0 0 1 0 0 1 0 0 1
Mit Gleichung (4.11) ergibt sich in Richtung der linear unabhängigen Knotenverschiebun-
gen wie in Beispiel 4.2:
Mit Gleichung (4.15) ergibt sich in Richtung der zusätzlichen Knotenverschiebung wie in
Beispiel 4.3 (b), wenn das Gelnek aus konstruktiven Gründen zum Element
2 gehört
2 R12 0 1 0 −1 0 0 F11
R22 −1
0 0 0 −1 0
F21
2
R3 0 0 1 0 5 −1
F31
3
3
R1 1 0 0 −1 0 0
F12
R23 F22
0 1 0 0 −1 0
3 0 0 1 0 2 −1 F32
R3
=
Gelenk R̃13 0, 5 −0, 866 0 F13
4 R14 1 0 0 −0, 514 0, 857 0 F23
R24
0 1 0 −0, 857 −0, 514 0
F33
R34
0 0 1 0 5, 831 −1
F14
5 Lager R15
0, 275 −0, 961 0
F24
Knoten
5
R2 0 0 1 F34
↑
Element→
1
2
3
4
Mit dem in diesem Kapitel beschriebenen Verfahren können für alle Stabwerke die Gleich-
gewichtsbedingungen aufgestellt werden.Unter welchen Bedingungen die Stabendkräfte
damit bestimmt werden können, wollen wir im folgenden erläutern.
4.7. REDUNDANZ EINES STABWERKES 47
Aus der Mechanik [39] sind der Begriff der Redundanz (statischen Unbestimmtheit) und
Abzählkriterien zur Feststellung der Redundanz bekannt. Die Redundanz eines Tragwer-
kes ergibt sich direkt aus der Ordnung n × m der Gleichgewichtsmatrix aT (Abbildung
4.12). Es gilt:
Satz 4.3: Ein Tragwerk ist statisch bestimmt, wenn n = m und aT nicht singulär ist;
ein Tragwerk ist statisch unbestimmt, wenn n < m ist; ein Tragwerk ist kinematisch
verschieblich, wenn n > m ist.
Für n = m, d. h. wenn das Tragwerk statisch bestimmt ist, können wir das Gleichungs-
system aT F = R lösen. Die Stabendkräfte und damit die Schnittgrößen können allein mit
den Gleichgewichtsbedingungen berechnet werden.
In der Literatur findet man oft eine Unterscheidung in äußerliche und innerliche statische
Bestimmtheit. Ein Tragwerk ist äußerlich statisch bestimmt, wenn die Lagerreaktionen
alleine mit den 3 (6) Gleichgewichtsbedingungen der Ebene (des Raumes) berechnet wer-
den können. Der Begriff der inneren statischen Bestimmtheit eines statisch unbestimmten
Tragwerkes sagt aus, dass eine statisch unbestimmte Lagerung vorliegt. Oft findet man
auch den Begriff der Wertigkeit eines Lagers. Unter Wertigkeit eines Lagers versteht man
die Anzahl der durch das Lager behinderten Verschiebungen.
48 KAPITEL 4. GLEICHGEWICHT VON STABWERKEN
4.8 Schnittgrößen
Sind die linear unabhängigen Stabendkräfte F aus der Lösung des linearen Gleichungs-
i
systems (4.23) bekannt, können die Vektoren der Stabendkräfte S in lokalen Koordinaten
elementweise mit Gleichung (3.3) berechnet werden. Die Schnittgrößen ergeben sich aus
den Stabendkräften durch (vgl. Definition 3.3):
Definition 4.5 Die Schnittgrößen am rechten Stabende r sind die Stabendkräfte am rech-
ten Stabende; die Schnittgrößen am linken Stabende l sind die negativen Stabendkräfte
am linken Stabende.
Bei Fachwerken ist die Ermittlung der Schnittgrößen einfacher. Mit Gleichung (3.2) er-
gibt sich, dass die Normalkraft N in jedem Stab mit der linear unabhängigen Stabendkraft
identisch ist. Die Transformation nach Gleichung (3.3) ist somit überflüssig. Bei ebenen
Stabtragwerken stellt man die Schnittgrößen grafisch durch die sogenannten Zustandslini-
en dar. Da wir vorläufig nur unbelastete Elemente betrachten, sind die Normalkraft N und
die Querkraft Q in jedem Element konstant, und das Biegemoment M ist linear veränder-
lich. Einen Überblick über die erforderlichen Einzelschritte sind aus dem folgenden zu
entnehmen.
(8) Umkehr der Vorzeichen am linken Stabende, bei ebenen Stabtragwerken grafische
Darstellung der Schnittgrößen.
4.8. SCHNITTGRÖSSEN 49
An einem Beispiel (Bild 4.14) soll nun die Ermittlung der Zustandslinien eines einfachen
Rahmnes gezeigt werden.
Beispiel 4.5
Koordinatentafel Verknüpfungstafel
0 −1 0 −1 0 −1 0 0 0 1 0
1
0 0
0 −0, 5
0 −1 0
−1
0 0
0 4 −1 0 1 0 4 −1 0 4 −1
(al )T = (a2 )T = (a3 )T = (a4 )T =
0
1 0
1 0
1 0 0
0
−1 0
−1 0 0 0 0, 5 0 1 0 1 0 0
0 0 1 0 2 0 0 1 0 0 1
2 1 0 1 0 −1 0 F11
3 −1
0 0 0 −0, 5 0 0
F21
−2 0
0 1 0 1
F31
3 F12
0
1 0 −1 0 0
F22
6, 5
0 0 0, 5 0 −1 0 0
0 = 0 2 0 4 −1 F13
4 0
1 0 0 0 1 0
3
F2
3
3
0 0 0 1 0 −1 0 0
F3
2
0 0 1 0 4 −1
F14
5
0 0 0 0 0 −1 0 F24
Knoten
0 0 0 1 F34
↑
Element→
1
2
3
4
F T = [−6, 5 1 −9 | 0 7 | 0 −3 2 | − 6 0 0 ]. (4.29)
Kräftetransformationsmatrizen
−1 0 0 −1 0 −1 0 0 −1 0 0
0 −1 0
0 −0, 5
0 −1 0
0 −1 0
1
0 4 −1
2
0 1
3
0 4 −1
4
0 4 −1
T = T = T = T =
1 0 0
1 0
1 0 0
1 0 0
0 1 0
0 0, 5
0 1 0
0 1 0
0 0 1 0 2 0 0 1 0 0 1
Stabendkräfte
1 2 3 4
6, 5 S1 0 S1 0 S1 6 S1
1
2
3
4
−1
S2
−3, 5
S2
3
S2
0
S2
1 2 3 4
13
S3 7 S3 −14 S3 0 S3
1 2 3 4
S = = S = = S = = S = =
−6, 5 1 2 3 −6 4
S4
0
S4
0
S4
S4
1 2 3 4
1 S5 3, 5 S5 −3 S5 0 S5
1 2 3 4
−9 S6 14 S6 2 S6 0 S6
4.9 Aufgaben
(4.1) Man stelle für die in Aufgabe 2.1 und 2.2 dargestellten Systeme die Gleichgewichts-
matrix aT auf. Der Grad der statischen Unbestimmtheit ist jeweils anzugeben. Für
die statisch bestimmten Systeme sind die Schnittgrößen zu ermitteln.
(4.2) Man stelle für die abgebildeten Stabtragwerke die Gleichgewichtsmatrix auf. Bei
Aufgabe (a) verwendet man einmal Stabelement Typ-a und einmal Typ-b. Bei Auf-
gabe (b) ermittle man die Schnittgrößen.
(4.3) Für den abgebildeten Kragarm stelle man die Gleichgewichtsmatrix auf. Die Element
sollen einmal trägerrost- und einmal räumliche Stabelemente sein. Wie darf der
Kragarm belastet werden, damit man ihn wie ein Trägerrost berechnen kann?
Kapitel 5
Flexibilitätsmatrizen und
Verformungen statisch bestimmter
Stabwerke
Für die Berechnung der Verformungen eines Tragwerkes müssen die Materialeigenschaften
aller Elemente bekannt sein. Die Materialeigenschaften werden durch das Materialgesetz
beschrieben. Im folgenden wird ein linear-elastischer, homogener und isotroper Werkstoff
vorausgesetzt, für den das Hooke’sche Gesetz gilt:
σ = Eε , E > 0, (5.1)
d.h., in einem idealen, einachsigen Zugversuch sind die Spannungen σ proportional zu den
Dehnungen ε. Der Proportionalfaktor ist der Elastizitätsmodul E. Die Schubspannungen
τ sind mit G als Gleit- oder Schubmodul proportional zur Gleitung γ:
τ = G · γ. (5.2)
Desweiteren werden die grundlegenden Annahmen der Balkenbiegelehre und der Torsions-
theorie als bekannt vorausgesetzt (siehe z.B. [39]). Die Berechnung der Verformungsbe-
ziehungen erfolgt beispielhaft auf verschiedenen Wegen für zwei Stabelemente, und zwar
durch Anwendung des Prinzips der virtuellen Arbeit und durch Integration der Differen-
tialgleichungen der Balkentheorie. Die Ableitung für andere Elementtypen ist analog; die
Ergebnisse sind im Anhang A zusammengestellt.
52
5.1. VERFORMUNGSGRÖSSEN 53
Jeder Kraftgröße eines Stabelementes wird eine Verformungsgröße zugeordnet, so dass das
Skalarprodukt der Kraft- und Verformungsgrößen - die Arbeit - gebildet werden kann: Die
zu Kraftgrößenkomponenten korrespondierenden Komponenten der Verformungsgrößen
sind in demselben Knotenpunkt definiert und besitzen dieselbe Wirkungsrichtung. Dies
ist beispielhaft am Stabelement in Bild (5.1) skizziert. Die Verformungsgrößen werden wie
folgt bezeichnet:
vi = f iF i. (5.4)
Die Berechnung der Flexibilitätsmatrix wird im folgenden für das räumliche Stabelement
durchgeführt.
Die Stabendkräfte F i sind mit den Verformungen v i in Abbildung 5.2 dargestellt. Der
Kopfzeiger i für das Element iiist in Abbildung 5.4 und im folgenden Text zur Ver-
einfachung der Schreibweise weggelassen. Die Komponenten Fj des Kraftvektors sind die
Für virtuelle Kräfte Fbj = 1 erhält man gleich große Schnittgrößen; zur Unterscheidung
werden diese Schnittgrößen mit einem Dach ‘b’gekennzeichnet. Die Formänderungsenergie
des Stabelementes mit konstantem Querschnitt unter der Belastung Fj = 1 und Fbk = 1
ergibt sich zu (vgl. [39], 2. Bd., Seite 193 ff).
"
Rl N (x)N b (x) Qy (x)Q by (x) Qz (x)Q
bz (x)
fjk = + κy + κz +
0 EA GA GA
# (5.8)
Mx (x)Mcx (x) My (x)M cy (x) Mz (x)M cz (x)
+ + d x.
GIT EIy EIz
A die Querschnittsfläche,
IT der St. Venant’sche Drillwiderstand,
Iy das Flächenträgheitsmoment um die y-Achse,
Iz das Flächenträgheitsmoment um die z-Achse,
Hierbei ist
E der Elastizitätsmodul,
G der Gleitmodul,
κy der Korrekturfaktor zur Erfassung der Schubdeformationen in y-Richtung,
κz der Korrekturfaktor zur Erfassung der Schubdeformationen in z-Richtung.
Die Korrekturfaktoren κy zur Erfassung der Schubdeformationen sind für verschiedene
Querschnittsformen in der Tafel der Abbildung 5.3 zusammengestellt; κz ist entsprechend
festgelegt.
56 KAPITEL 5. FLEXIBILITÄTSMATRIZEN
Durch Einsetzen von (5.7) in (5.8) und Berechnung der Integrale erhält man:
f11 = l/(EA), f12 = f13 = f14 = f15 = f16 = 0,
f26 = l2 /(2EIz ),
f66 = l/(EIz ).
Damit sind die Elemente der Flexibilitätsmatrix bekannt:
v1 l/(EA) 0 0 0 0 0 F1
v2
κy l/(GA) + l3 /(3EIz ) 0 0 0 l2 /(2EIz )
F2
v3 κz l/(GA) + l3 /(3EIy ) 0 −l2 /(2EIy ) 0 F3
=
·
v4
symmetrisch l/(GIT ) 0 0
F4
v5
l/(EIy ) 0
F5
v6 l/(EIz ) F6
(5.9)
5.1. VERFORMUNGSGRÖSSEN 57
Die Symmetrie von f i ist aus der Vertauschbarkeit der Indizes j und k in (5.8) ersichtlich.
Es gilt (siehe auch (Abschnitt 8.2):
i i
fjk = fkj . (5.10)
i
In den Lehrbüchern der Baustatik werden die Elemente fjk üblicherweise als Verschie-
bungsgrößen (δik -Zahlen) bezeichnet [28].
Im allgemeinen ist bei schlanken Stäben
κy /(GA) l2 /(3EIz ) und κz /(GA) l2 /(3EIy ).
In diesen Fällen kann der Einfluß der Querkraft auf die Verformungen vernachlässigt wer-
den. In (5.9) wird dann κy = 0 oder/und κz = 0 gesetzt.
Der zweite Weg zur Berechnung der Komponenten der Flexibilitätsmatrix geht aus von
den Differentialgleichungen des Balkens für Biegung mit Querkraft und Normalkraft und
von der Differentialgleichung der St. Venant’schen Torsion.
Den Schnittgrößen werden in den Elementen die Verformungen als Funktionen der Sta-
bachse x zugeordnet. Zur Normalkraft N (x) korrespondiert die Längenänderung ux (x),
zu Qy (x) die Durchbiegung wy (x) in y-Richtung, zu Qz (x) die Durchbiegung wz (x) in
z-Richtung, zu Mx (x) die Verdrillung ϑx um die x-Achse, zu My (x) die Verdrehung ϕy (x)
um die y-Achse und zu Mz (x) die Verdrehung ϕz (x) um die z-Achse.
Die Durchbiegungen wy und wz werden als Summe der Einzeldurchbiegungen infolge von
Querkraft (wyQ , wzQ ) und Biegemoment (wyM , wzM ) dargestellt:
Für diese Verformungen sind die vollständigen Differentialgleichungen mit den Verein-
d(. . .) d2 (. . .)
barungen (. . .)0 = und (. . .)00 = für konstante Querschnitte im folgenden
dx dx2
angegeben:
Mit den Schnittgrößen infolge F1i , F2i , . . . , F6i aus Beispiel (5.1) ergibt sich durch Integra-
tion der Differentialgleichungen die in Beispiel (5.1) berechnete Flexibilitätsmatrix. Dies
wird im folgenden an einem Beispiel gezeigt:
Für das in Abbildung 5.4 dargestellte ebene Stabelement ist die Flexibilitätsmatrix für
κy =κz = 0 mit den Differentialgleichungen der Balkentheorie zu bestimmen.
N (x) = F1
2F2
My (x) = −F2 + F3 + x.
l
F1
u0x (x) =
EA
2F2
wz00 (x) = F2 − F3 − x /(EJy )
l
ux (x = 0) = 0,
wz (x = 0) = 0,
wz (x = l) = 0.
5.1. VERFORMUNGSGRÖSSEN 59
Durch Integration der Differentialgleichungen ergeben sich die Funktionen für die
Längenänderung und die Durchbiegung:
F1
ux (x) = x + c1 ,
EA
x2 x2 F 2 x3
wz (x) = F2 − F3 − /(EJy ) + c2 x + c3 ,
2 2 l 3
0 F2 2
wz (x) = F2 x − F3 x − x /(EJy ) + c2 .
l
c1 = 0,
l l
c2 = −F2 + F3 /(EJy ),
6 2
c3 = 0
bestimmen.
Wie aus Abbildung 5.7 zu erkennen ist, stellt v2 eine antimetrische und v3 eine symme-
trische Verformung dar. Die Verdrehungen an den Knoten ergeben sich somit zu
1
wz0 (x = 0) = (−v2 + v3 )
2
1
wz0 (x = l) = (−v2 − v3 )
2
F1 l
ux (x = l) = v1 =
EA
l l
wz0 (x= 0) = 1
2
+ v3 ) = −F2 + F3
(−v2 /(EJy ),
6 2
0 1 F2 l F3 l
wz (x = l) = 2 (−v2 − v3 ) = − − /(EJy ),
6 2
F1 l
v1 = ,
EA
F2 l
v2 = ,
3EJy
F3 l
v3 = .
EJy
l
f11 = , f12 = 0, f13 = 0,
EA
l
f22 = , f23 = 0,
3EJ
l
f33 = .
EJ
Das Prinzip der virtuellen Arbeiten gilt für ein Element des Tragwerkes; es gilt aber auch
für das gesamte Tragwerk. Für virtuelle innere Kräfte Fb und virtuelle äußere Kräfte R
b
erhält man:
T
bT r.
Fb v = R (5.13)
oder
T
Fb (v − a r) = 0. (5.15)
Fb 6= 0. (5.16)
v = a r. (5.17)
erkennt man, dass sich Kraft- und Verformungsgrößen auf spezielle Weise transformie-
ren. Dieses Transformationsverhalten bezeichnet man als kontragredient. Die Beziehung
(5.17) zwischen Knotenverformungen r und linear unabhängigen Elementverformungen v
bezeichnet man als kinematische Verträglichkeit.
Analog lassen sich mit dem Prinzip der virtuellen Arbeit die Transformationen von
u → v, u → u, u → v und r → u zeigen;
i
aus (3.3) : T iF i = S folgt v i = (T i )T ui ; (5.18)
i
(3.5) : LiD S = S i ... ui = (LiD )T ui ; (5.19)
(3.12) : (ai )T F i = S i ... v i = ai u i ; (5.20)
(4.23) : CS = R ... u = C T r. (5.21)
5.3. VERFORMUNGEN STATISCH BESTIMMTER STABWERKE 63
v = fF (5.22)
a r = f F. (5.24)
Für den in Abbildung 5.7 dargestellten Rahmen sollen die Verformungen der Knoten
berechnet werden.
Flächenträgheitsmoment
Iy = 3 · 10−4 m4
Querschnittsfläche
A = 0, 012 m2
Elastizitätsmodul
E = 2, 1 · 108 kN/m2
Die Schnittgrößen des Rahmens sind aus Beispiel 4.5 bekannt. Wir übernehmen die Gleich-
gewichtsmatrix aus diesem Beispiel:
0 1 0 −1 0
−1 0 0 0 −0, 5 0 0
0 0 1 0 1
1 0 −1 0 0
0 0 0, 5 0 −1 0 0
T
a = 0 2 0 4 −1
1 0 0 0 1 0
0 0 0 1 0 −1 0 0
0 0 1 0 4 −1
0 −1 0
0 0 0 0 0 1
Die Lösung des Gleichungssystems (5.24) a r = f F erfolgt mit Hilfe eines geeigneten
Programmes für Matrizen-Operationen. Die Knotenverformungen r ergeben sich zu:
148, 148 r2x
1, 032 r
2z
−69, 841 θ
2
148, 148 r
3x
200, 992 r
3z
−5
r = 18, 264 · 10 =
θ3 Dimension [rad, m].
148, 148 r4x
0, 952 r4z
69, 058 θ4
424, 378 r5x
69, 058 r5z
Die Verformungsfigur kann damit qualitativ gezeichnet werden; sie ist in Abbildung 5.8
dargestellt.
Benötigt man die Verformungen nicht nur in den Knotenpunkten des Tragwerkes, sondern
als Funktion der lokalen Koordinaten x, so ist die Biegelinie zu berechnen. Alle Elemente
sind zwischen den Knoten unbelastet; die Biegelinie eines Elementes ist deshalb eine
Funktion dritter Ordnung von x.
In Abbildung 5.9 ist die Biegelinie eines ebenen Stabelementes dargestellt. Der Einfluss
der Normalverformungen wird in der elementaren Balkenbiegelehre vernachlässigt.
Die Biegelinie für ein unbelastetes Stabelement ist mit der Vereinbarung wz (x) ≡ w(x):
w(x) = C1 x3 + C2 x2 + C3 x + C4 , (5.25)
C1 , . . . , C 4 = konstant.
vernachlässigt, sie gehen allein als Anfangs- und Endwerte der lokalen Koordinaten x ein.
Für andere Elemente lassen sich die Biegelinien analog ableiten:
Für das in Beispiel 4.5 und 5.3 berechnete Rahmentragwerk soll die Biegelinie im
Element 1i aus den Knotenverformungen berechnet werden: u2 = 0; u3 = 0; u5 =
1, 481 · 10−3 und u6 = −0, 698 · 10−3 .
Damit erhält man die Biegelinie: w1 (x) = (−0, 2656 x3 + 10, 32 x2 )10−5 [m].
Für die Elemente mit Gelenk im Innern gelten (5.26) bis (5.28) nicht. Die Biegelinie kann
jedoch mit der zusätzlichen Bedingung, daß das Moment im Gelenk Null ist, berechnet
werden.
68 KAPITEL 5. FLEXIBILITÄTSMATRIZEN
Aufgaben:
5.1 Berechnen Sie für ein Fachwerkelement und ein Stabelement mit Gelenk im Innern
die Flexibilitätsmatrizen nach einem der in Abschnitt 5.1 beschriebenen Verfahren
und vergleichen Sie mit den im Anhang A angegebenen Matrizen.
5.2 Berechnen Sie für ein Stabelement mit Querkraftgelenk im Innern die Element-
flexibilitätsmatrix (siehe Aufgabe 3.2).
5.3 Berechnen Sie für das dargestellte Rahmensystem die Knotenverformungen und
stellen Sie die Verformungsfigur qualitativ dar (siehe Aufgabe 4.2 (b)).
5.4 Stellen Sie für das Stabelement mit Momentengelenk im Innern die Funktion der
Biegelinie auf.
Das Weggrößenverfahren
Mit den Matrizengleichungen der vorangehenden Kapitel wird im folgenden eine eindeu-
tige, lineare Gleichung zur Berechnung der Knotenverformungen (Weggrößen) aus den
Knotenlasten abgeleitet. Diese Gleichung ist die Grundgleichung des Weggrößenverfah-
rens (Verschiebungsmethode); sie gilt für allgemeine Tragwerke. Das Verfahren wird als
Weggrößenverfahren bezeichnet, weil zuerst die unbekannten Weggrößen berechnet wer-
den. In einem zweiten Schritt folgt dann die Berechnung der unbekannten Kraftgrößen.
Die Ausgangsgleichung für die Darstellung des Weggrößenverfahrens ist die Bestimmungs-
gleichung für die Verformungen eines Elementes
i , (5.4): v i = f i F i .
F i = k ir v i ,
(6.1)
mit k ir = (f i )−1 .
F = k r v,
(6.2)
mit k r = diag{k ir }.
69
70 KAPITEL 6. DAS WEGGRÖSSENVERFAHREN
F ist der aus F i gebildete Vektor aller linear unabhängigen Stabendkräfte, v sind die
zugehörigen Elementverformungen und k r ist die aus k ir gebildete, symmetrische Diago-
nalmatrix der Elementsteifigkeiten. Die Gleichung (6.2) beschreibt das Elastizitätsgesetz
der Elemente des Tragwerkes, sie ist umkehrbar eindeutig (nichtsingulär). Die zweite we-
sentliche Gleichung ist die kinematische Verträglichkeit (5.7) von Knoten- und Element-
verformungen
v = a r.
F = k r a r. (6.3)
Diese Gleichung wird an späterer Stelle für die Berechnung der Stabendkräfte F aus
den Knotenverformungen r benötigt. Die linear unabhängigen Stabendkräfte müssen die
Gleichgewichtsbedingungen (4.23)
aT F = R
erfüllen. Die Grundgleichung des Weggrößenverfahrens erhält man durch Einsetzen von
Gleichung (6.3) in die Gleichgewichtsbedingungen:
aT k r a r = R (6.4)
aT k r a = K (6.5)
K r = R. (6.6)
aT k r a (6.7)
Damit kann die Grundgleichung des Weggrößenverfahrens mit dem Verfahren von Choles-
ky (Anhang A), das eine positiv definite Koeffizientenmatrix voraussetzt, gelöst werden.
Bei diesem Verfahren wird die Steifigkeitsmatrix K zunächst als Produkt einer unteren
und einer oberen Dreiecksmatrix dargestellt (Dreieckszerlegung). Dieser erste Schritt des
Cholesky-Verfahrens erfordert den größten Anteil an Rechenaufwand bei der Lösung des
Gleichungssystems. In einem zweiten Schritt wird die Lösung auf der Grundlage der Drei-
eckszerlegung mit relativ geringem Aufwand berechnet (Vorwärtseinsetzen/Rückwärt-
seinsetzen). Dies bedeutet aber, dass erst im zweiten Schritt des Lösungsverfahrens die
rechte Seite R benötigt wird. Das Verfahren ist damit besonders gut geeignet für Glei-
chungssysteme mit mehreren rechten Seiten, d.h. insbesondere auch für die Lösung der
Grundgleichung des Weggrößenverfahrens für mehrere Lastvektoren R (mehrere Lastfälle).
Da sich das Tragwerk in allen Größen linear verhält (siehe Abschnitt 3.1 und Kapitel 5),
gilt das Superpositionsprinzip:
Satz 6.1
In einem linearen Tragwerk sind alle Kraft- und Verformungsgrößen linear von der Belas-
tung abhängig. Die Summe der Schnittgrößen (Verformungen) infolge mehrerer einzelner
Lastfälle ist gleich den Schnittgrößen (Verformungen), die unter der Summe der Lastfälle
entstehen.
F = kr a r (6.8)
i
Den Vektor der vollständigen Stabendkräfte S erhält man damit aus (3.3) zu:
i
S = T iF i. (6.9)
Die Stabendkräfte sind die Grundlage der Spannungsnachweise für die Elemente: An ei-
nem unbelasteten Element stimmen sie am “rechten” Stabende mit den Schnittgrößen
überein, am “linken” Stabende sind die Stabendgrößen die negativen Schnittgrößen (De-
finition 4.8). Die Berechnung eines Stabtragwerkes nach dem Weggrößenverfahren ist da-
mit vollständig beschrieben. Einen Überblick über die erforderlichen Einzelschritte gibt
die folgende Zusammenfassung der Berechnung nach dem Weggrößenverfahren:
7. Berechnung von F = k r a r;
i
8. Berechnung der Stabendkräfte S = T i F i .
Für den ersten Lastfall R müssen alle Einzelschritte der Berechnung von (1) bis (8)
durchgeführt werden, für zusätzliche Lastfälle wird bei (5) begonnen. Die Elementmatrizen
(ai )T , k ir und T i sind für jedes Element im (Anhang A zusammengestellt. Für den Aufbau
der Matrizen für das gesamte Tragwerk verwenden wir SMIS [37].
6.1. GRUNDGLEICHUNG WEGGRÖSSENVERFAHREN 73
Aus dem Elementkatalog (Anhang A) wird das Stabelement Typ-a für die Elemente 1
bis 5 gewählt (Abbildung 6.2). Mit der Koordinaten- und Verknüpfungstafel können die
Elementgleichgewichtsmatrizen (ai )T aufgestellt werden.
Knoten
0 1 0 1
0 1 0
2
0 0,25 0,25 -1 0 0 -0,8 -0,12 -0,12
-1 0 0 0 -0,125 -0,125 0,6 -0,16 -0,16
3
0 0 1 0 1 0 0 1 0
T
a =
0 0,25 0,25 1 0 0 0,8 -0,12 -0,12
-1 0 0 0 0,125 0,125 0,6 0,16 0,16 4
0 0 1 0 0 1 0 1 0
0,8 0,12 0,12 -0,8 0,12 0,12
-0,6 0,16 0,16 -0,6 -0,16 -0,16
5
0 0 1 0 0 1
Elemente
1
2
3
4
5
6.1. GRUNDGLEICHUNG WEGGRÖSSENVERFAHREN 75
Lastvektor: RT = [ 0 | 0 | 2 2 1 | 0 0 0 | 1 2 0 ]
LOAD F1 = AT N1 = 11 N2 = 15
..
.
LOAD F1 = KR N1 = 15 N2 = 15
..
.
Es folgen zeilenweise die Elemente der Matrix k r .
TRANS F1 = AT F2 = A
Es wird a gebildet.
MULT F1 = KR F2 = A F3 = KA.
Es entsteht die Matrix KA = k r a.
MULT F1 = AT F2 = KA F3 = K.
Es entsteht die Matrix K = aT k r a.
LOAD F1 = R N1 = 11 N2 = 1.
..
.
Es folgen die Elemente des Lastvektors.
76 KAPITEL 6. DAS WEGGRÖSSENVERFAHREN
SOLVE F1 = K F2 = R
PRINT F1 = R
Das Gleichungssystem wird gelöst, und die Knotenverformungen r werden ausgegeben.
MULT F1 = KA F2 = R F3 = F
Mit der Multiplikation k r ar = F werden die linear unabhängigen Stabendkräfte berechnet.
Knotenverformungen r und Stabendkräfte F :
−1, 250 N1
−3, 243 θ1
0 −M11
−3, 189 θ2
6, 202 M13
9, 663 r3x
−2, 750 N2
0, 005 r
3z
−M
−0, 762 θ
0 22
3
5, 798 M
24
r = 10−3
9, 665 = r4x
0, 266 N3
0, 011 r4z
F = −2, 989 = −M33
−0, 870 θ4
−3, 124 M34
9, 672 r5x
−0, 581 N4
0, 023 r5z
−2, 212 −M43
0, 406 θ5
0, 123 M45
−2, 564 N5
−2, 674 −M54
Dimensionen [rad, m, kN, kNm]
−0, 123 M55
Beim Stabelement Typ-a ist der F -Vektor ausreichend, um die Momenten- und
Normalkraft-Zustandslinien zu zeichnen. Die Zustandslinien sind in Abbildung 6.3 ab-
gebildet.
Um die Querkräfte zu ermitteln, kann man die Transformation (3.3) auf Elementebene
durchführen. Mit der 5. Zeile aus Gleichung (3.3) und der T i -Matrix aus (Anhang A) kann
die Querkraft jedoch auch bestimmt werden:
i
Qi ≡ S 5 = (F2i + F3i )/li . (6.10)
6.1. GRUNDGLEICHUNG WEGGRÖSSENVERFAHREN 77
Q1 = 6, 202/4 = 1, 551 kN
Q2 = 5, 798/4 = 1, 450 kN
Q3 = (−2, 989 − 3, 124)/8 = −0, 764 kN
Q4 = (−2, 212 + 0, 123)/5 = −0, 418 kN
Q5 = (−2, 674 − 0, 123)/5 = −0, 559 kN
Gleichgewicht am Gesamttragwerk:
Auch das Knotengleichgewicht kann überprüft werden. In Abbildung 6.5 ist beispiels-
78 KAPITEL 6. DAS WEGGRÖSSENVERFAHREN
Für den Knoten 3 gilt: ΣX3 = 2 − 1, 551 + 0, 226 − 0, 465 − 0, 251 = −0, 001 ' 0 kN;
ΣZ3 = 2 − 1, 250 − 0, 764 + 0, 349 − 0, 334 = −0, 001 ' 0 kN;
ΣM3 = 1 − 6, 202 + 2, 989 + 2, 212 ' −0, 001 kNm.
Abbildung 6.6: Typische Besetzung der Gleichgewichts- und der reduzierten Steifigkeits-
matrix
Dieser Gedanke führt zu der direkten Steifigkeitsmethode, einem direkten Verfahren zur
Besetzung der Gesamtsteifigkeitsmatrix. Die Grundlagen des Verfahrens werden im fol-
genden dargestellt. Die Gleichgewichtsmatrix aT kann bekanntlich (Gleichung (4.23)) als
Produkt einer (0,1)-Matrix C mit einer Diagonalmatrix diag{(ai )T } dargestellt werden;
aT ergibt sich demnach als Blockmatrix (Abbildung 6.6):
aT = C diag {(ai )T }.
k r = diag(k ir ).
aT k r a = K
erhält man:
k i = (ai )T k ir ai . (6.13)
Die Berechnung der Elementsteifigkeitsmatrix k i wird für ein ebenes Stabelement darge-
stellt. Nach Gleichung (6.1) erhält man die reduzierte Elementsteifigkeitsmatrix. Es wird,
wie in Beispiel5.2, ein Stabelement Typ-a verwendet:
EA/l 0 0
i
k r = 0 4EIy /l 2EIy /l
0 2EIy /l 4EIy /l
CS =R (6.15)
erhält man:
S = k C T r. (6.16)
u = C T r, (6.17)
ergibt sich
S = k u,
oder auch
S i = k i ui . (6.18)
Mit Gleichung (3.5) werden die Stabendkräfte in globalen Koordinaten in die Stabend-
kräfte in lokalen Koordinaten transformiert:
i
S = (LiD )S i .
Zur Darstellung der darauf aufbauenden Rechenverfahren wird ein Tragwerk betrachtet,
das m Elemente und n Freiheitsgrade der Verformung besitzt, die fortlaufend von 1 be-
ginnend numeriert sind. Aufgrund von (6.14) und (6.17) gilt:
m
X
Kpq = k̃ijl (6.19)
l=1
mit k̃ijl = kijl wenn die Stabendkräfte Sil zum Gleichgewicht von Rp beitragen und wenn
die Stabendverformung ulj mit der Knotenverformung rq übereinstimmt.
82 KAPITEL 6. DAS WEGGRÖSSENVERFAHREN
Ansonsten ist k̃ijl = 0. Für die Zuordnung der Elemente wird die Inzidenztafel (Kapitel
2) benutzt.
Gleichung (6.19) ist im wesentlichen nur die Berechnung der Produktmatrix C T k C an-
hand der Inzidenztafel. Die Berechnung der Stabendkräfte erfolgt auf derselben Grundla-
ge. Es gilt (6.13):
X
Sil = kijl ulj . (6.20)
j
Bei der Berechnung werden für ulj die korrespondierenden Verformungsgrößen rq einge-
setzt, d.h. die Lösung der Grundgleichung des Weggrößenverfahrens. Auch hier erfolgt die
Berechnung über die Inzidenztafel und nicht durch Matrizenmultiplikation. Die Stabend-
l
kräfte S in lokalen Koordinaten erhält man aus
l
S = (LlD )T S l . (6.21)
6.2. DIE DIREKTE STEIFIGKEITSMETHODE 83
Der Rahmen von Beispiel 6.1 wird mit der direkten Steifigkeitsmethode berechnet. Der
Lastvektor ist der gleiche wie in Beispiel 6.1:
RT = [ 0 | 0 | 2 2 1 | 0 0 0 | 1 2 0 ].
Die Elemente kijl entsprechen den Elementen der Steifigkeitsmatrizen des (Anhang A.
2 2 2 2
k33 k34 k35 k36
1 3 1 3 1 3 3 3 3 4 4 4
k44 + k11 k45 + k12 k46 + k13 k14 k15 k16 k14 k15 k16
4 4 4
+k11 +k12 +k13
1 3 1 3 3 3 3 4 4 4
k55 + k22 k56 + k23 k24 k25 k26 k24 k25 k26
4 4
+k22 +k23
1 3 3 3 3 4 4 4
k66 + k33 k34 k35 k36 k34 k35 k36
4
+k33
K=
2 3 2 3 2 3 5 5 5
k44 + k44 k45 + k45 k46 + k46 k14 k15 k16
5 5 5
symmetrisch +k11 +k12 +k13
2 3 2 3 5 5 5
k55 + k55 k56 + k56 k24 k25 k26
5 5
k22 +k23
2 3 5 5 5
k66 + k66 k34 k35 k36
5
+k33
4 5 4 5 4 5
k44 + k44 k45 + k45 k46 + k46
4 5 4 5
k55 + k55 k56 + k56
4 5
k66 + k66
84 KAPITEL 6. DAS WEGGRÖSSENVERFAHREN
LOAD F1 = K N1 = 11 N2 = 11
..
.
Es folgen zeilenweise die Elemente der Matrix K.
LOAD F1 = R N1 = 11 N2 = 1
..
.
Es folgen die Elemente des Lastvektors R.
SOLVE F1 = K F2 = R
PRINT F1 = R.
Das Gleichungssystem wird gelöst und die Knotenverformungen werden ausgegeben; der
Verformungsvektor ist mit dem aus Beispiel 6.1 identisch. Mit Gleichung (5.21) u = C T r
können die Stabendverformungen in globalen Koordinaten berechnet werden und in die
Elementvektoren zerlegt werden:
0 0 9, 663
0
0
0, 005
−3, 243 −3, 189 −0, 762
u1 = 10−3 u = 10−3 u = 10−3
2 3
9, 663 9, 665 9, 665
0, 005 0, 011 0, 011
−0, 762 −0, 870 −0, 870
6.2. DIE DIREKTE STEIFIGKEITSMETHODE 85
9, 663 9, 665
0, 005 0, 011
−0, 762 −0, 870
u4 = 10−3 u = 10−3
5
Dimension [rad, m]
9, 672 9, 672
0, 023 0, 023
0, 406 0, 406
Die Stabendkräfte werden mit Gleichung (6.18) elementweise berechnet: Die Stabendver-
formungsvektoren ui , Elementsteifigkeitsmatrizen k i und Drehungsmatrizen LiD werden
i
eingelesen und die Stabendkräfte S berechnet. Die Eingabe für SMIS sieht für das Ele-
ment
i wie folgt aus:
START
LOAD F1 = UI N1 = 6 N2 = 1
..
.
LOAD F1 = LDIT N1 = 6 N2 = 6
..
.
LOAD F1 = KI N1 = 6 N2 = 6
..
.
MULT F1 = LDK F2 = UI F3 = SQ
i
Es wird der Vektor der Stabendkräfte S = (LiD )T k i ui gebildet.
PRINT F1 = SQ
86 KAPITEL 6. DAS WEGGRÖSSENVERFAHREN
In (Abschnitt 4.3) wurde die vollständige Gleichgewichtsbedingung für Stabwerke mit un-
verschieblichen Lagern aufgestellt. Die Knoten werden dabei so numeriert, dass die Rand-
knoten die größten Knotennummern erhalten. Im Gegensatz zu dem in (Abschnitt 6.2)
beschriebenen Verfahren werden bei der folgenden Variante alle Knoten als freie Knoten
ohne Berücksichtigung der Randbedingungen betrachtet, und die vollständige Gleichge-
wichtsbedingung wird nach Gleichung (4.9) aufgestellt. (a0 )T F = R0 . Der Lastvektor R0
enthält dabei auch die Lagerreaktionen R̃. Eine Gesamtsteifigkeitsmatrix ohne Berück-
sichtigung der Randbedingungen kann analog zu Gleichung (6.14) gebildet werden:
K 0 = C 0 k (C 0 )T . (6.22)
C = Iˆ C 0 . (6.23)
6.3. VARIANTE DER DIREKTEN STEIFIGKEITSMETHODE 87
Die Matrix Iˆ bewirkt ein “Streichen” der letzten nr Zeilen (Spalten) in C 0 ((C 0 )T ) bzw.
ˆ
ein Streichen der letzten nr Zeilen und Spalten von K 0 . Matrix I:
1 0 0 ... 0 0 0 ... 0
0 1 0 . . . 0 0 0 . . . 0
0 0 1 . . . 0 0 0 . . . 0
ˆ
I= .
n
.. ..
.
0 0 0 . . . 1 0 0 . . . 0
0 0 0 ... 0 1 0 ... 0
Man stellt zunächst die Gesamtsteifigkeitsmatrix K 0 nach Gleichung (6.22) auf und
streicht anschließend die den Randbedingungen entsprechenden Zeilen und Spalten, um K
zu erzeugen mit dem Vorteil, dass K 0 nicht für den Knotenfreiheitsgrad einzeln, sondern
blockweise (für jeden Knoten) aufgestellt werden kann. Die Elementsteifigkeitsmatrix eines
Elementes kiin globalen Koordinaten wird hierzu bei Stabwerken in vier Untermatrizen
entsprechend den Stabendknoten i und j unterteilt:
k k
k ii k ij
kk = (6.25)
k k
k ji k jj
Für ein Tragwerk mit n Knoten besteht die Matrix K 0 aus n × n quadratischen Unter-
matrizen K 0ij der Dimension dk (Definition 4.3). Bei ebenen Stabelementen ist jede der
Untermatrizen k kii , kijk , kji
k k
und kjj eine [3 × 3]-Matrix, bei räumlichen Stabelementen eine
[6 × 6]-Matrix, bei ebenen Fachwerkelementen eine [2 × 2]-Matrix und bei räumlichen
Fachwerkelementen eine [3 × 3]-Matrix. Aufgrund dieser Überlegungen gilt für ein Stab-
m k k
werk mit m Elementen: K 0ij = k̃ ij mit k̃ ij = k kij , wenn i und j Knoten des Elementes
P
k=1
kisind, ansonsten ist k kij = 0.
Nach dem Aufbau von K 0 wird K nach (6.24) durch Streichen der letzten nr Zeilen und
Spalten von K 0 erzeugt.
Für die praktische Berechnung kann die eingangs gestellte Forderung, dass die Randknoten
die Knoten mit den größten Knotennummern sind, fallengelassen werden.
Das erfordert einen Spaltentausch in der Matrix Î, so dass die den Randbedingungen
entsprechenden Spalten von Î Nullspalten sind. Weiterhin kann die Forderung, dass alle
Lager unverschiebliche Lager sind, fallengelassen werden. Dann sind nicht nur vollständige
Untermatrizen, sondern auch einzelne Zeilen und Spalten zu streichen.
88 KAPITEL 6. DAS WEGGRÖSSENVERFAHREN
Der Rahmen von Beispiel 6.1 und 6.2 wird mit der Variante der direkten Steifigkeitsme-
thode berechnet. Die Gesamtsteifigkeitsmatrix K 0 hat folgende Form (Abbildung 6.2):
k 111 k 113 1
2 2
k 22 k 24 2
K0 =
1 3 4 3 4
k 33 + k 33 + k 33 k 34 k 35
3
2 3 5 5
k 44 + k 44 + k 44 k 45
4
4 5
symmetrisch k 55 + k 55 5
↑
1i 2i 3i 4i 5i ← Knoten
Die einzelnen Elemente der Untermatrizen werden eingesetzt und komponentenweise auf-
addiert. Es ergibt sich die Gesamtsteifigkeitsmatrix ohne Berücksichtigung der Randbe-
dingungen (K 0 , siehe Seite 24).
Die Freiheitsgrade r1x , r1z , r2x und r2z sind durch die Lagerung behindert. Durch Strei-
chen der 1., 2., 4. und 5. Zeile und Spalte in K 0 wird K gebildet. Die Berechnung der
Knotenverformungen und der Stabendkräfte erfolgt wie in (Abschnitt 6.2).
In SMIS [37] stehen spezielle “Befehle” für den Aufbau der Steifigkeitsmatrix zur
Verfügung. Mit diesen Befehlen ist es nicht notwendig, die Gesamtsteifigkeitsmatrix K
als Ganzes einzulesen.
Das Drehwinkelverfahren ist ein Verfahren zur Berechnung von Stabtragwerken unter ge-
wissen Vernachlässigungen. Es ist Grundlage der in (Kapitel 11) beschriebenen iterativen
Verfahren.
Die Vernachlässigung der Normalkrafteinflüsse bedeutet, dass alle Stäbe ihre ursprüngli-
che Länge beibehalten. Elementverformungen sind nur die Stabenddrehwinkel v2 ≡ ϕl und
v3 ≡ ϕr des Stabelementes Typ-a (Abbildung 6.7). Die zugehörigen linear unabhängigen
Stabendkräfte sind die Momente F2 ≡ Ml und F3 ≡ Mr .
1 2 3 4 5 ← Knoten
r1x r1z θ1 r2x r2z θ2 r3x r3z θ3 r4x r4z θ4 r5x r5z θ5 ↓
0, 9375 0 −1, 875 0 0 0 −0, 9375 0 −1, 875 0 0 0 0 0 0 r1x
250 0 0 0 0 0 −250 0 0 0 0 0 0 0 r1z 1
5 0 0 0 1, 875 0 2, 5 0 0 0 0 0 0 θ1
r
0, 9375 0 −1, 875 0 0 0 0, 9375 0 −1, 875 0 0 0 2x
250 0 0 0 0 0 −250 0 0 0 0 r2z
2
5 0 0 0 1, 875 0 2, 5 0 0 0 θ2
254, 11 −95, 77 1, 155 −125 0 0 −128, 17 95, 77 −0, 72 r3x
i 3
k = 10 322, 42 −1, 429 0 −0, 117 −0, 469 95, 77 −72, 31 −0, 96 r3z l
3
11, 5 0 0, 469 1, 25 0, 72 0, 96 2 θ3
254, 11 95, 77 1, 155 −128, 17 −95, 77 −0, 72 r4x
322, 42 1, 429 −95, 77 −72, 31 0, 96 r4z
4
symmetrisch 11, 5 0, 72 −0, 96 2 θ4
256, 35 0 1, 44 r5x
144, 61 0 r5
5
z
8 θ5
KAPITEL 6. DAS WEGGRÖSSENVERFAHREN
6.4. DAS DREHWINKELVERFAHREN 91
Bei unverschieblichen Systemen hat der Vektor der Knotenverformungen r die Knoten-
drehwinkel θi als Komponenten. Für das Drehwinkelverfahren verwendet man norma-
lerweise nicht die Gleichgewichtsmatrix aT von Kapitel 4, sondern leitet sich aus der
kinematischen Verträglichkeit die Matrix a ab. Für unverschiebliche Systeme ist die Ma-
trix a immer eine (0, 1)-Matrix. In Gleichung (5.17) v = a r ist aij = 1, wenn der Sta-
benddrehwinkel vi mit dem Knotendrehwinkel rj übereinstimmt. Sonst ist aij = 0. Die
Verträglichkeitsmatrix hat die gleiche Form wie die Verknüpfungsmatrix C T . Die Gesamt-
steifigkeitsmatrix K kann somit nach der direkten Steifigkeitsmethode aufgestellt werden.
Bei verschieblichen Systemen hat der Vektor der Knotenverformungen r neben den Kno-
tendrehwinkeln θi auch linear unabhängige Knotenverschiebungen rx bzw. rz als Kompo-
nenten.
Unter der Voraussetzung kleiner Verformungen berechnet man den Stabdrehwinkel für
92 KAPITEL 6. DAS WEGGRÖSSENVERFAHREN
ψ ≈ ∆r/li . (6.26)
Für eine Verschiebung ∆r des linken Stabendes senkrecht zur Stabachse ist
ψ = −∆r/li . (6.27)
ϕl = ϕr = ψ. (6.28)
Für die Berechnung der Knotendrehwinkel und der Knotenverschiebungen gilt Gleichung
(6.4)
aT k r a r = R.
F = k r a r.
Das Drehwinkelverfahren ist damit eine Variante des in Abschnitt 6.1 hergeleiteten Weg-
größenverfahrens. Der Berechnungsgang unterscheidet sich nur in der Besetzung der Ver-
träglichkeitsmatrix a und der Steifigkeitsmatrix k r . Es folgt die
Es folgen die Berechnungsschritte (3) bis (7) des in Abschnitt 6.1 beschriebenen Weg-
größenverfahrens.
6.4. DAS DREHWINKELVERFAHREN 93
Der in Abbildung 6.2 dargestellte Rahmen ist für die angegebene Belastung verschieb-
lich. Die Knotenverdrehungen θi der Knoten 1 bis 5 und die horizontale Verschiebung rx
des Knotens 3, 4 oder 5 sind linear unabhängig. In Abbildung 6.10 sind die zu den ein-
zelnen Verformungsfreiheitsgraden gehörenden Verformungsfiguren dargestellt. Die Ver-
formungsfigur für einen Verformungsfreiheitsgrad erhält man durch Vorgabe einer dem
Freiheitsgrad entsprechenden Einheitsverformung. Die sich aus der Verformungsfigur er-
gebenden Stabenddrehwinkel ϕi werden von der Sekante, der Verbindungslinie der Knoten
im verformten System, zur Tangente gemessen (Abbildung 6.9).
Mit den in Abbildung 6.10 dargestellten Verformungsfiguren ergibt sich für die kinemati-
sche Verträglichkeit:
θ
ϕ11 1 0, 25 1
ϕ1
3
1 0, 25
θ2
ϕ2 1 0, 25
2
ϕ2 1 0, 25
4
ϕ3
θ3
3
1
=
ϕ3 1
4
θ4
ϕ4 1
3
4
ϕ5 1
θ
5 5
ϕ4 1
5
ϕ5 1
r3x
Um den Lastvektor aufstellen zu können, müssen alle Lasten in die Richtungen der linear
unabhängigen Knotenverformungen transformiert werden. Die Vertikallasten in den Kno-
ten 3 und 5 werden über die Normalkräfte in die Auflager geleitet. Die Horizontallast im
Knoten 5 muss zu der Horizontallast im Knoten 3 addiert werden, da beide Kräfte auf
dem gleichen Weg Arbeit leisten. Damit ergibt sich der Lastvektor:
Die Eingabe für SMIS entspricht der von Beispiel 6.1. Es wird jedoch anstelle der Gleich-
gewichtsmatrix aT die kinematische Verträglichkeitsmatrix a eingelesen. Als Lösung erhält
man die Knotenverdrehungen und die horizontale Verschiebung im Punkt 3:
−3, 243 θ1
−3, 187 θ
2
−0, 759 θ
3
r = 10−3 = Dimension [rad, m].
−0, 870 θ4
0, 407 θ5
9, 659 r3x
Mit der Multiplikation k r a r = F werden die Stabendmomente berechnet:
0 −M11
6, 208 M
13
0 −M22
5, 792 M
24
−2, 986 −M
33
F = = Dimension [kNm].
−3, 125 M34
−2, 222 −M43
0, 111 M45
−2, 667 −M54
−0, 111 M55
Mit diesen Stabendkräften kann die Momentenzustandslinie gezeichnet werden. Die Sta-
bendmomente stimmen bis auf eine Abweichung von 10,8 % bei M45 bzw. M55 mit denen
von Beispiel 6.1 überein. Die Darstellung des Drehwinkelverfahrens in der vorliegenden
Form ist den Matrizenmethoden der Statik angepasst. In der üblichen Darstellung wird die
direkte Aufstellung der Steifigkeitsmatrix und die Lösung der “Drehwinkelgleichungen”
als Drehwinkelverfahren bezeichnet.
96 KAPITEL 6. DAS WEGGRÖSSENVERFAHREN
Bei manchen Berechnungen enthält der Lastvektor nur wenige von Null verschiedene
Komponenten. In diesen Fällen kann die Steifigkeitsmatrix des Systems auf die belas-
teten Knoten “kondensiert”werden (vgl. Przemieniecki [66], Seite 147). Die Anzahl der
Unbekannten des Gleichungssystems wird dabei reduziert.
Das Verfahren erfordert für größere Systeme bei einer Programmierung einen erheblichen
Organisationsaufwand. Die Anzahl der Operationen wird dabei im allgemeinen nicht ge-
ringer. Bei der Berechnung von Hand sind große Gleichungssysteme problematisch. Da
bis zu [3 × 3]-Matrizen schnell und überschaubar invertiert werden können, empfiehlt sich
dieses Verfahren nur für Systeme mit bis zu 6 Freiheitsgraden.
Das Gleichungssystem (6.6) kann in diesen Fällen auf folgende Form gebracht werden:
K 11 K 12 r1 R1
= (6.30)
K 21 K 22 r2 0
K 11 r1 + K 12 r2 = R1 (6.31)
K 21 r1 + K 22 r2 = 0. (6.32)
K 22 r2 = −K 21 r1 bzw. r2 = −K −1
22 K 21 r 1 . (6.33)
(K 11 − K 12 K −1
22 K 21 ) r 1 = R1 . (6.34)
Definiert man
e 11 = K 11 − K 12 K −1 K 21 ,
K (6.35)
22
K
e 11 r1 = R1 . (6.36)
6.5. KONDENSATION DER STEIFIGKEITSMATRIX 97
Das Gleichungssystem (6.30) wird damit auf zwei kleinere Gleichungssysteme (6.36) und
(6.33) reduziert. Das erste Gleichungssystem (6.36) hat als Unbekannte nur die Kno-
tenverformungen in den Belastungsrichtungen. Mit diesen Knotenverformungen kann das
Gleichungssystem (6.33) gelöst werden; die Knotenverformungen in den lastfreien Rich-
tungen sind dabei die Unbekannten. Die kondensierte Steifigkeitsmatrix K e 11 ist durch
(6.35) bestimmt. An der Steifigkeitsmatrix des Beispiels 6.4 wollen wir das Verfahren
erläutern.
Beispiel 6.5:
In Beispiel 6.4 wurden a, k r und R für den Rahmen von Abbildung 6.2 bereits ermittelt.
Daraus ergeben sich die Steifigkeitsmatrix K = aT k r a und der Lastvektor R:
5 0 2, 5 0 0 1, 875 0
0 5 0 2, 5 0 1, 875 0
2, 5 0 11, 5 1, 25 2 1, 875 1
K = 103 · R=
0 2, 5 1, 25 11, 5 2 1, 875 0
0 0 2 2 8 0 0
1, 875 1, 875 1, 875 1, 875 0 1, 875 3
Durch Zeilen- und Spaltentausch der ersten und letzten Zeile bzw. Spalte ergibt sich
1, 875 1, 875 1, 875 1, 875 0 1, 875 r3x 3
1, 875 5 0 2, 5 0 0 θ2
0
1, 875 0 11, 5 1, 25 2 2, 5 θ 1
3
103 · =
1, 875 2, 5 1, 25 11, 5 2 0 θ4
0
0 0 2 2 8 0 θ5 0
1, 875 0 2, 5 0 0 5 θ1 0
Dies ergibt:
40 −10 0
10−3
K −1 = −10 57, 5 0
22
440
0 0 88
98 KAPITEL 6. DAS WEGGRÖSSENVERFAHREN
Bei der Berechnung von K e 11 nach (6.35) führt man zuerst das Matrizenprodukt K −1 K 21
22
aus, da es für die Berechnung von r2 nach Gleichung (6.33) nochmals benötigt wird. Nach
Gleichung (6.35) ist:
375 637, 5 356, 25
3
e 11 = K 11 − K 12 K −1 K 21 = 10
K 637, 5 1950 −75
22
440
356, 25 −75 4267, 5
−1
9, 6592
r1 = Ke = R1 = −3, 1870 · 10−3
11
−0, 7593
Ist ein Stabwerk in der Anordnung seiner Stäbe und Lagerbedingungen symmetrisch, dann
kann durch das Belastungsumordnungsverfahren eine Verkleinerung des Gleichungssys-
tems erreicht werden.
Bei einem symmetrischen Tragwerk kann jede beliebige Belastung in einem symmetrischen
und einen antimetrischen Lastfall aufgespalten werden (Abbildung 6.11).
Symmetrische Tragwerke haben die Eigenschaft, dass sie sich unter symmetrischer Belas-
tung symmetrisch und unter antimetrischer Belastung antimetrisch verformen (Abbildung
6.12). Dies folgt direkt aus der Linearität des Systems.
6.6. DAS VERFAHREN DER BELASTUNGSUMORDNUNG 99
Abbildung 6.11: Aufteilung einer beliebigen Belastung in einen symmetrischen und einen
antimetrischen Lastfall
Aus diesem Verformungsverhalten lassen sich Bedingungen für die inneren Kräfte in der
Symmetrieachse bei symmetrischer und antimetrischer Belastung herleiten. Diese Bedin-
gungen sind zusammengefasst in
Satz 6.2 Bei symmetrischer Belastung sind die Normalkräfte und Biegemomente symme-
trisch und die Querkräfte antimetrisch. Bei antimetrischer Belastung sind die Querkräfte
symmetrisch und die Normalkräfte und Biegemomente antimetrisch. Bei symmetrischer
Belastung sind in Schnittpunkten des Tragwerks mit der Symmetrieachse die Kräfte in
Richtung der Symmetrieachse Null. Bei antimetrischer Belastung sind in Schnittpunkten
des Tragwerks mit der Symmetrieachse die Kräfte senkrecht zur Symmetrieachse und die
Momente Null.
Aufgrund dieses Satzes können symmetrische Tragwerke jeweils für die symmetrische und
antimetrische Belastung in Teilstrukturen zerlegt werden. Für den Rahmen von Abbildung
6.11 sind diese Teilstrukturen in Abbildung 6.13 dargestellt.
100 KAPITEL 6. DAS WEGGRÖSSENVERFAHREN
Befindet sich in der Symmetrieachse eines Stabwerkes ein Stab (Abbildung 6.13), dann
gilt ebenfalls Satz 6.2. Die Teilung des Tragwerkes in Teilstrukturen ist in Abbildung 6.14
(b) und (c) dargestellt.
Für die Teilstrukturen unter symmetrischer und antimetrischer Belastung können die Kno-
tenverformungen, die Stabendkräfte und die Schnittgrößen nach dem Weggrößenverfahren
berechnet werden.
Abbildung 6.14: Teilung eines symmetrischen Stabtragwerkes mit Stab in der Symmetrie-
achse in Teilstrukturen
Nach der Berechnung werden die Schnittgrößen für den symmetrischen und den antime-
trischen Lastfall zum Gesamtsystem ergänzt.
Beim symmetrischen Lastfall werden die Knotenverformungen, die Normalkraft N (x) und
das Biegemoment M (x) symmetrisch und die Querkraft Q(x) antimetrisch ergänzt. Beim
antimetrischen Lastfall werden die Knotenverformungen, die Normalkraft N (x) und das
Biegemoment M (x) antimetrisch und die Querkraft Q(x) symmetrisch ergänzt.
Die Verformungen (Schnittgrößen) unter vollständiger Belastung sind die Summe der
Verformungen (Schnittgrößen) infolge symmetrischer und antimetrischer Belastung (Su-
perpositionsprinzip).
6.6. DAS VERFAHREN DER BELASTUNGSUMORDNUNG 101
Aufgaben:
1. Stellen Sie für die abgebildeten Stabwerke die Grundgleichung des Weggrößenver-
fahrens nach den drei in (Abschnitt 6.1 bis 6.3) beschriebenen Verfahren auf.
2. Stellen Sie für den ebenen Rahmen von Aufgabe 6.1 (a) die Grundgleichung des
Weggrößenverfahrens nach dem Drehwinkelverfahren (Abschnitt 6.4) auf und lösen
Sie das Gleichungssystem.
3. Stellen Sie für das abgebildete Stabtragwerk die Grundgleichung des Weggrößenver-
fahrens nach der direkten Steifigkeitsmethode auf und lösen Sie das Gleichungssys-
tem.
102 KAPITEL 6. DAS WEGGRÖSSENVERFAHREN
Kapitel 7
Die Belastung eines Stabwerkes tritt üblicherweise nicht - wie wir bisher vorausgesetzt
haben - in Form von Knotenlasten auf. Die typischen Lastfälle sind
• Temperaturbelastung, Vorspannung,
Im folgenden wird gezeigt, wie diese Lastfälle — die Regelfälle der Praxis — auf Kno-
tenlasten zurückgeführt werden können. Vom Standpunkt der Matrizenrechnung aus sind
die Lastfälle deshalb als Sonderfälle der Belastung zu betrachten.
103
104 KAPITEL 7. SONDERFÄLLE DER BELASTUNG
7.1 Ersatzknotenlasten
Belastete Stabelemente werden durch Lasten beansprucht, die zwischen den Knoten an-
greifen. An den beiden Knoten des Elementes sind Verformungs- und Kraftgrößsen defi-
niert. Für die Berechnung der Ersatzknotenlasten eines belasteten Stabelementes denkt
man sich alle Stabendverformungen zu Null gesetzt (homogene Randbedingungen der
Verformung). Dies ist beispielhaft in 7.1 dargestellt.
Die Stabendkräfte des belasteten Elementes mit homogenen Randbedingungen der Ver-
i
formung werden mit S R bezeichnet. Die Berechnung dieser Kräfte kann über die Lösung
der vollständigen Differentialgleichung der Balkentheorie erfolgen. Es können aber auch
andere aus der Baustatik ([28],[74],[79]) bekannte Verfahren benutzt werden. Die Stabend-
kräfte für die üblichen Lastfälle ebener Stabtragwerke sind in 7.2 zusammengestellt. Bei
der Verwendung anderer Tafelwerke sind die Vorzeichendefinitionen zu beachten.
7.1. ERSATZKNOTENLASTEN 105
Für das in Abbildung 7.2 dargestellte, mit einer konstanten Streckenlast belastete Ele-
i
ment, sind die Stabendkräfte S R aus den Differentialgleichungen der Balkentheorie zu
bestimmen.
EIwIV (x) = q
(7.1)
EAu00 (x) = 0.
Die Stabendkräfte erhält man durch Einsetzen in die Differentialgleichungen (vgl. Ab-
schnitt 5.1 und 3.1):
i
−S R1 = N (0) = EAu‘(0) = 0
i
−S R2 = Q(0) = EIw“‘(0) = q`/2
i
−S R3 = M (0) = EIw“(0) = q`2 /12
i
(7.5)
−S R4 = N (`) = EAu‘(0) = 0
i
−S R5 = Q(`) = Aw‘(0) = −q`/2
i
−S R6 = M (`) = Aw‘(0) = −q`2 /12.
106 KAPITEL 7. SONDERFÄLLE DER BELASTUNG
Damit ist
0
−q`/2
q`2 /12
i
SR =
(7.6)
0
−q`/2
2
q` /12
i
Die Stabendkräfte S R werden nun auf globale Koordinaten transformiert:
i
S iR = LiD S R . (7.7)
LiD ist die bekannte Drehungsmatrix (Abschnitt 3.4). Nach der Berechnung der Stabend-
kräfte S iR aller belasteten Stabelemente wird der Übervektor S R für das Gesamttragwerk
gebildet. Für unbelastete Elemente ist S iR = 0. Mit den Stabendkräften S R werden die
Ersatzknotenlasten wie folgt definiert:
Definition 7.1
Ersatzknotenlasten sind die statisch äquivalenten Knotenlasten des Gesamttragwerkes für
die Stabendkräfte S R . Die Stabendkräfte S R ergeben sich bei homogenen Randbedingun-
gen der Verformung aller Elemente.
Die Ersatzknotenlasten werden mit RR bezeichnet. Für das Gesamttragwerk muss gelten
(statisch äquivalent):
C S R + RR = 0 (7.8)
oder RR = −C S R .
C ist die Inzidenzmatrix (Abschnitt 4.6). Durch das Produkt C S R erhält man kompo-
nentenweise die Summe der auf einen Knoten des Stabwerkes einwirkenden Kräfte. Die
statisch äquivalenten Knotenlasten sind die negative Summe dieser Kräfte.
Die weitere Berechnung erfolgt nach dem Weggrößenverfahren. Wir nehmen an, dass
zusätzlich zu den Ersatzknotenlasten RR Knotenlasten R am Stabwerk angreifen. Die
Knotenverformungen r erhält man aus
K r = R + RR . (7.9)
7.1. ERSATZKNOTENLASTEN 107
Die Steifigkeitsmatrix K wird für das Stabtragwerk mit unbelasteten Elementen aufge-
stellt. Für die Stabendkräfte infolge Knotenlasten gilt (Kapitel 6):
F = k r a r, (7.10)
S = T F, (7.11)
und S = LD S. (7.12)
C S = R + RR . (7.13)
C(S + S R ) = R. (7.14)
Die Summe der Stabendkräfte (S) infolge der Knotenlasten und Ersatzknotenlasten und
der Stabendkräfte (S R ) ergeben die tatsächlichen Stabendkräfte:
S+ = S + SR. (7.15)
Für die Knotenverformungen r ist keine weitere Transformation erforderlich: in den Kno-
tenpunkten stimmen die Verformungen infolge Ersatzknotenlasten mit den tatsächlichen
überein. Die Schnittgrößsen und Verformungen als Funktion der lokalen Koordinate x der
belasteten Stabelemente müssen unter Beachtung der Randbedingungen und der Belas-
tung der Elemente berechnet werden. Man berechnet zunächst die Funktion infolge der
Knoten- und Ersatzknotenlasten und addiert dazu die Funktion infolge der Belastung im
Element bei homogenen Randbedingungen der Verformungen analog zu Gleichung (7.15).
In 7.3 wird dieser Berechnungsgang qualitativ für eine Verformungsfunktion w+ darge-
stellt.
Die Verformungen w+ (x) – die Biegelinie des Stabtragwerkes – erhält man als Summe
der Verformungsanteile infolge Knoten- und Ersatzknotenlasten (w(x)) und denen infolge
Belastung im Element bei homogenen Randbedingungen der Verformung (wR (x)):
Die einzelnen Schritte der Berechnung bei belasteten Stabelementen sind im folgenden
zusammengefasst. Zusammenfassung des Rechenganges:
5. Berechnung der Schnittgrößsen und Verformungen als Funktionen der lokalen Ko-
ordinate x.
Mit Ersatzknotenlasten kann auch der Lastfall Temperatur erfasst werden. Die Stabend-
kräfte werden auch hierfür am Element unter “Temperaturbelastung” mit homogenen
Randbedingungen der Verformung ermittelt. In Tabelle 7.2 sind die Stabendkräfte für die
übliche Temperaturbelastung aufgenommen. Im übrigen verläuft die Berechnung wie bei
einer äusseren Belastung der Elemente. Durch die Berechnung eines Stabtragwerkes mit
Ersatzknotenlasten können damit alle Lastfälle mit verteilter Belastung erfasst werden.
Dieser Rechengang wird im folgenden am Beispiel eines Rahmens für konstante Strecken-
last im Riegel gezeigt.
7.1. ERSATZKNOTENLASTEN 109
Der in 7.4 dargestellte Rahmen wird durch eine konstante Streckenlast von 5 kN/m be-
lastet. Gleichzeitig wird der Riegel aussen um 80◦ C und innen um 30◦ C erwärmt. Die
Ermittlung der Stabendkräfte S R am Element
2 nach 7.5 und 7.2 ergibt:
In Abbildung 7.6 sind die sich aus den Stabendkräften S mit den Gleichungen (7.7)
und (7.8) ergebenden Ersatzknotenlasten RR in ihren Wirkungsrichtungen am Tragwerk
aufgetragen.
rT = 10−3 [−4, 679 0, 313 − 20, 238 | 4, 679 0, 313 20, 238] .
Den Vektor der linear unabhängigen Stabendkräfte F erhält man mit (7.11) zu:
Die Stabendkräfte werden mit (7.15) und (7.16) berechnet, Dimension in [kN, kNm]:
37, 50 37, 50
21, 62 −21, 62
−70, 54 70, 54
1 3
S = S =
−37, 50 −37, 50
−21, 62 21, 62
−37, 56 37, 56
−373, 39 395, 01 21, 62
0 −37, 50 −37, 50
−10, 99 81, 53 70, 54
+2
S = + =
373, 39 −395, 01 −21, 62
0
−37, 50
−37, 50
−10, 99 −81, 53 −70, 54
Unter Beachtung der Vorzeichendefinition (4.5) lassen sich die Zustandslinien des Rah-
mens darstellen (Abbildung 7.7).
7.2 Vorverformungen
Die Berechnung eines Stabtragwerkes mit Vorverformungen ist eine zweite Möglichkeit zur
Berücksichtigung von Stabelementen mit verteilter Belastung, mit Temperaturbelastung
oder mit Passungenauigkeiten (Vorverformungen). Ausgangspunkt sind hierbei Vorverfor-
mungen der Stabelemente.
Definition 7.2
Vorverformungen sind Stabendverformungen eines statisch bestimmt gelagerten Stabele-
mentes, die nicht durch Stabendkräfte verursacht werden.
Mit dieser allgemein gehaltenen Definition ist es möglich, eine Vielzahl von Lastfällen zu
erfassen. Beispiele für solche Lastfälle sind in 7.2 für ein ebenes Stabelement zusammenge-
stellt. Durch die statisch bestimmte Lagerung ergeben sich Nullkomponenten der Stabend-
kräfte. Den Vektor der Stabendkräfte eines Elements
i einschliesslich der Nullkompo-
i
nenten bezeichnen wir mit S u . Durch die zu einem Element gehörende statisch bestimmte
Lagerung (7.8) wird ein Teil der Stabendverformungen (Starrkörperverschiebungen) zu
Null gesetzt. In Richtung der Nullkomponenten der Stabendkräfte treten infolge der Be-
lastung Stabendverformungen auf. Den Vektor der Stabendverformungen einschliesslich
der Nullkomponenten bezeichnen wir mit uiu .
Satz 7.1 In einem statisch bestimmten Tragwerk verursachen die Lastfälle Temperatur
und Passungenauigkeit keine Lagerreaktionen.
Im Element
i ergibt sich deshalb für die Lastfälle Temperatur und Passungenauigkeit
i i
S u 6= 0, (7.8). Bei allen anderen Lastfällen ist S u 6= 0. Für die folgende Ableitung des
i
Rechenganges mit Vorverformungen nehmen wir den allgemeinen Fall mit S u 6= 0 an und
i
betrachten den Lastfall Temperatur und Passungenauigkeiten mit S u = 0 als Sonderfall.
i
Zunächst werden uiu und S u am statisch bestimmt gelagerten, belasteten Stabelement
berechnet. Die Vorverformungen uiu können mit dem Arbeitssatz oder mit den Differen-
i
tialgleichungen der Balkentheorie berechnet werden. Die Stabendkräfte S u erhält man
aus den Gleichgewichtsbedingungen des statisch bestimmt gelagerten Elements. Für die
häufigsten Lastfälle sind die Ergebnisse in Tafeln zusammengestellt (7.2). Mit den bekann-
i
ten Drehungsmatrizen (3.4) werden uiu und S u auf globale Koordinaten transformiert:
1 Temperatur ∆t = t2 − t1 t1 +t2
∆tli2 i
αT li 2
− tauf −αT 2h
αT ∆tl
h 0 0 0
7.2. VORVERFORMUNGEN
Aufstelltemperatur tauf
2 Paßungenauigkeit
∆ 0 0 0 0 0
3 11q2 +4q1 3q2 +q1 li2
0 li4 120EIy
−li3 24EIy 0 0 (2q2 + q1 ) 6
4 P a2 b+2li
0 6EIy 0 0 −P Pa
5 0 0 0 −P 0 0
αT = Temperaturkoeffizient
h = Querschnittshöhe
115
116 KAPITEL 7. SONDERFÄLLE DER BELASTUNG
Durch Verbindung der einzelnen Elemente zum Gesamtsystem entstehen zusätzliche, elas-
tische Stabendverformungen u. Die Summe der elastischen und der Vorverformungen uu
muss die Verträglichkeitsbedingung in den Knotenpunkten erfüllen, die sich nach (5.21)
wie folgt darstellt:
u + uu = C T r. (7.20)
S = k u. (7.21)
R = C(S + S u ). (7.22)
u = C T r − uu
S = k(C T r − uu ). (7.23)
C k C T r = R − C S u + C k uu . (7.24)
K r = R + R u + C k uu . (7.25)
Durch Vergleich mit (7.9) erkennt man, dass der Vektor der Ersatzknotenlasten RR hier
aus zwei Anteilen besteht: den Ersatzknotenlasten Ru und dem Anteil der Vorverformun-
gen C k uu
R R = R u + C k uu . (7.26)
Die Stabendverformungen sind nach (7.20) die Summe der elastischen Stabendverformun-
gen und der Vorverformungen. Die elastischen Anteile der Stabendkräfte S erhält man
aus (7.23). Die Stabendkräfte des tatsächlichen Stabwerkes sind:
S + = S + S u. (7.27)
Die Rücktransformation auf lokale Koordinaten erfolgt wie üblich mit der Drehungsmatrix
LD :
+
S = LTD S + . (7.28)
7.2. VORVERFORMUNGEN 117
Für die in Beispiel 7.2 berechneten Rahmen unter Temperatur und konstanter Streckenlast
(7.4) sollen der Lastvektor infolge Vorverformungen und Ersatzknotenlasten aufgestellt
und die Stabendkräfte berechnet werden. Aus 7.2 ergibt sich für die Lastfälle konstante
Streckenlast und ungleichmässige Temperaturerhöhung folgender Vektor der Vorverfor-
mungen:
0 0 0
0
0
0
0 0 0
+ = Dimension
2 2
uu ≡ uu = 0, 0099
0
0, 0099
[rad, m]
0, 3375 7, 7665 8, 1040
−0, 0450 −0, 6904 −0, 7354
(Temperatur) (konst. Streckenlast)
Die Transformation auf globale Koordinaten nach (7.19) und die Verknüpfung zum Ge-
samttragwerk ergibt damit für den Lastvektor C k uu :
−395, 01
−37, 50
480, 95
C k uu = Dimension [kN, kNm]
395, 01
37, 50
81, 50
7.2. VORVERFORMUNGEN 119
Aus Tabelle 7.2 ergibt sich für den Lastfall konstante Streckenlast folgender Vektor der
Stabendkräfte:
0
−75, 0
562, 5
2
S 2u ≡ S u = Dimension [kN, kNm]
0
0
0
Mit S 2u werden die Ersatzknotenlasten Ru nach (7.24) und (7.25) berechnet und zu C k uu
addiert. Nach Gleichung (7.26) ergibt sich der in Beispiel 7.2 berechnete Ersatzknoten-
lastvektor RR :
−395, 01 0 −395, 01
−37, 5 75 37, 5
481, 0 −562, 5 −81, 5
RR = + = Dimension [kN, kNm]
395, 01 0 395, 01
37, 5 0 37, 5
81, 5 0 81, 5
Mit der Steifigkeitsmatrix von Beispiel 7.2 werden die Knotenverformungen r berechnet:
rT = 10−3 [−4, 679 0, 313 − 20, 238 | 4, 679 0, 313 20, 238].
Damit können die Stabendkräfte mit den Gleichungen (7.21) und (7.27) bestimmt werden
(Dimension [rad, m]).
−21, 62 21, 62 −37, 50 −37, 50
37, 50 37, 50 −21, 62 21, 62
−70, 54 70, 54 −70, 54 70, 54
1 3
S1 = S3 = S = S
21, 62 −21, 62 −37, 50 37, 50
−37, 50 −37, 50 21, 62 −21, 62
−37, 56 37, 56 −37, 56 37, 56
+2
S erhält man aus
+2
S ≡ S +2 = k 2 u2 + s2u :
21, 62 0 21, 62
37, 50 −75 −37, 50
−492, 94 562, 5 70, 56
+2
S = + =
−21, 62 0 −21, 62
−37, 50 0 −37, 50
−70, 51 0 −70, 51
7.3. ZWANGSVERFORMUNGEN DER LAGER 121
Bei der statischen Berechnung größerer Tragwerke ist häufig der Lastfall “Stützensen-
kung”, “Widerlagerverschiebung” oder “Widerlagerverdrehung” zu berücksichtigen. Mit
diesen Lastfällen soll der Einfluss einer vorgegebenen Knotenverformung (Zwangsverfor-
mung) auf das Tragwerk erfasst werden. Die Ursache solcher Zwangsverformung sind
üblicherweise Setzungen des Baugrundes. Die Zwangsverformungen können jedoch auch
als Verschiebungswege von Hubvorrichtungen vorgegeben sein (7.9).
Definition 7.3
Zwangsverformungen rz sind vorgegebene (bekannte) Verformungen des Tragwerkes.
Die Gesamtsteifigkeitsmatrix
K 11 K 12
K= (7.30)
K 21 K 22
(R+ )T = RT RTz
122 KAPITEL 7. SONDERFÄLLE DER BELASTUNG
und Knotenverformungen
(r+ )T = rT rTz .
Ohne Einschränkung der Allgemeinheit wird jedoch davon ausgegangen, dass im Vektor
der Knotenverformungen r+ die unbekannten Verformungskomponenten ri vor den be-
kannten Komponenten rzi angeordnet sind. Damit sind auch die Untermatrizen K ij nach
(7.30) in der Gesamtsteifigkeitsmatrix K festgelegt.
K 11 r + K 12 rz = R, (7.31)
K 21 r + K 22 rz = Rz . (7.32)
K 12 = K T21 . (7.33)
Aus (7.32) können die unbekannten Knotenverformungen bestimmt werden; man erhält:
K 11 r = R − K 12 rz (7.34)
oder r = K −1
11 (R − K 12 r z ). (7.35)
Üblicherweise wird jedoch die Lösung des Gleichungssystemes (7.35) der Inversion von K 11
und der nachfolgenden Bildung des Matrizenproduktes vorgezogen. Durch Einsetzen der
Lösung r in (7.32) erhält man die unbekannten äußeren Kraftgrößsen Rz als Lagerreaktion
in Richtung der vorgegebenen Zwangsverformungen. Die Berechnung der Stabendkräfte
erfolgt mit den Knotenverformungen
Für den in Abbildung 7.10 dargestellten einhüftigen Rahmen werden die Knotenverfor-
mungen für eine Stützensenkung des Knotens 3 um 0,5 m berechnet.
Die Steifigkeitsmatrix stellt man mit einem der in (Abschnitt 6.2 oder 6.3) beschriebenen
Verfahren auf.
6, 384 0 15, 12 0 0
2, 296 −6, 72 −1, 792 −6, 72
K = 106 84 6, 72 −16, 8
symmetrisch 1, 792 6, 72
33, 6
r2x r2z θ2 r3z = rz θ3
Durch Umordnung wird der Freiheitsgrad der Zwangsverschiebung der letzten Zeile und
Spalte von K zugeordnet. Die Einteilung entsprechend Gleichung (7.29) ergibt:
6, 384 0 15, 12 0 0
2, 296 −6, 72 −6, 72 −1, 792
84 −16, 8 6, 72
K = 106
symmetrisch 33, 6 6, 72
1, 792
r2x r2z θ2 r3z = rz θ3
Für den Lastvektor nach Gleichung (7.35) erhält man mit rz = 0, 5 m und R = 0:
0
0, 896
R − K 12 rz = 106 Dimension [kN, kNm]
−3, 360
−3, 360
124 KAPITEL 7. SONDERFÄLLE DER BELASTUNG
Die Berechnung nach dem Weggrößsenverfahren ist unabhängig von der Redundanz des
Tragwerkes. Vorausgesetzt wird nur, dass die Knotenverformungen linear unabhängig sind.
Mit Bezug auf die Berechnung mit Zwangsverformungen bedeutet dies, das das Tragwerk
unverschieblich sein mus. Es mus sich also eine nichtsinguläre Matrix K 11 ergeben (vgl.
(7.29)). Mit dem Weggrößsenverfahren können auch statisch bestimmte Tragwerke mit
Zwangsverformungen berechnet werden. Die Berechnung mit Zwangsverformungen in ei-
nem statisch bestimmten Tragwerk ist jedoch nicht sinnvoll, denn es gilt
Satz 7.2 In einem statisch bestimmten System entstehen durch Zwangsverformungen der
Auflager keine Schnittgrößen.
Ein statisch bestimmtes Tragwerk wird nämlich durch einen zusätzlichen Freiheitsgrad der
Verformung zu einer kinematischen Kette. Die Stabelemente einer kinematischen Kette
verhalten sich wie starre Körper und übertragen keine inneren Kräfte.
Dieser Zusammenhang ist in 7.11 an zwei Beispielen – einem Dreigelenkbogen und ei-
nem statisch bestimmten Durchlaufträger (Gerberträger nach A. Gerber 1832 - 1912) –
dargestellt.
Aufgaben:
7.1 Für ein Element mit einem Momentengelenk im Innern ist der Vek-
i
tor der Stabendkräfte S R nach dem in (Abschnitt 7.1 beschriebenen
Verfahren für eine konstante Streckenlast zu bestimmen.
7.2 Für den dargestellten Rahmen ist der Vektor der Ersatzknoten-
lasten aufzustellen. Die Schnittgrößsen sind zu ermitteln und gra-
phisch darzustellen.
7.3 Für ein Element mit Momentengelenk im Innern ist der Vektor der
i
Vorverformungen uiu und der Stabendkräfte S u nach dem in (Ab-
schnitt 7.2 beschriebenen Verfahren für eine konstante Streckenlast
zu bestimmen (siehe Aufgabe 7.1).
7.4 Der Rahmen von Aufgabe 7.2 ist über Vorverformungen zu berech-
nen.
7.5 Der Rahmen von Aufgabe 7.2 ist für eine zusätzliche Zwangsver-
drehung des Lagers 1 um 10◦ entgegen dem Uhrzeigersinn zu be-
rechnen.
Kapitel 8
Einflusslinien
Viele Tragwerke werden durch Lasten beansprucht, die in einem festgelegten Bereich zeit-
lich ihren Angriffspunkt ändern. Die Verteilung und der Wirkungssinn der Lasten bleiben
hierbei erhalten.
Bei einer Berechnung mit Einflusslinien lässt sich der Rechenaufwand reduzieren. Diese
Berechnungsverfahren sind Gegenstand der folgenden Abschnitte.
127
128 KAPITEL 8. EINFLUSSLINIEN
1. Zunächst ersetzt man die bewegliche Lastgruppe (Lastenzug) durch eine gleichge-
richtete Einheitskraftgrösse, durch eine “wandernde Einheitslast”. Der Einfluss die-
ser Einheitslast auf eine Kraft- oder Verformungsgrösse wird durch die Einflusslinie
ausgedrückt.
2. In einem zweiten Rechenschritt, dem Auswerten der Einflusslinie, wird der Einfluss
der beweglichen Lastgruppe unter Anwendung des Superpositionsprinzips mit Hilfe
der Einflusslinie berechnet.
Die einzelnen Begriffe bedürfen einer Präzisierung. Den Bereich, den die bewegliche Last-
gruppe überdeckt, bezeichnen wir als Belastungsbereich. Der Belastungsbereich wird
8.1. GRUNDLAGEN 129
durch eine Folge von Elementnummern beschrieben, die den Weg des Lastenzuges kenn-
zeichnen. Beispiele zur Beschreibung des Belastungsbereiches sind in Abbildung 8.1 dar-
gestellt. Die Belastung wurde bisher immer in globalen Koordinaten angegeben. Diese
Vereinbarung behalten wir auch für den Lastenzug bei.
Definition 8.1
Die Ordinaten des Lastenzuges sind den Achsen des globalen Koordinatensystems gleich-
gerichtet. Positive Lastordinaten in Richtung der positiven Achsen des globalen Koordi-
natensystems.
Definition 8.2
Die Einheitslast ist die positive Einheit der Lastordinate des Lastenzuges.
Beispiele für Einheitslasten sind in Abbildung 8.3 angegeben: Für einen Lastenzug aus
Einzelkräften oder aus verteilten Kräften ist die Einheitslast eine Kraft vom Betrag 1.
Für einen Lastenzug aus Einzelmomenten oder aus einer verteilten Momentenbelastung
ist die Einheitslast ein Moment vom Betrag 1.
130 KAPITEL 8. EINFLUSSLINIEN
Weg- und Kraftgrössen sind punktweise in dem gesamten Tragwerk definiert. In unserer
diskreten Betrachtungsweise sind die Kraftgrössen entweder Stabendkräfte oder Aufla-
gerreaktionen als Linearkombinationen von Stabendkräften. Die Weggrössen sind Kno-
tenverformungen oder Linearkombinationen derselben, so z.B. bei Relativverformungen.
Man spricht so z.B. von einer Einflusslinie für eine Knotenverformung ri infolge einer
”
Einheitskraft (oder eines Einheitsmomentes) im Bereich B des Stabwerkes“ oder von einer
Einflusslinie für eine Stabendkraft S̄ik am Element
k infolge einer Einheitskraft (oder
”
eines Einheitsmomentes) im Bereich B“.
Der Funktionswert einer Einflusslinie ist also eine Weg- oder Kraftgrösse des Tragwerkes;
die unabhängigen Variablen sind die Koordinaten des Angriffspunktes der Einheitslast
8.1. GRUNDLAGEN 131
Zusammenfassend gilt:
Definition 8.3
Die Einflusslinie für eine Weg- oder Kraftgrösse ist eine Funktion der Koordinaten des
Belastungsbereiches. Die Funktionswerte sind die Werte der Weg- oder Kraftgrösse, die
durch eine Einheitslast im Belastungsbereich auftreten. Zur deutlichen Unterscheidung
der Einflusslinien von Zustandsgrössen werden neue Bezeichnungen eingeführt:
Durch den Buchstaben g soll angedeutet werden, dass Einflusslinien eigentlich Kompo-
nenten der Green’schen Funktion sind [11]. Dieser Zusammenhang wird hier nicht vertieft.
Die Einflusslinie mit Beschränkung auf Teilbereiche
i des Belastungsbereiches wird mit
gi bezeichnet. Die Teilbereiche sind die Elemente des Belastungsbereiches.
Den funktionalen Charakter der Einflusslinie drücken wir durch Angabe der Variablen
aus:
Wir setzen
Es ist meist aus der Aufgabenstellung ersichtlich, für welche Weg- oder Kraftgrödse g
ermittelt wird; wo dies nicht der Fall ist und Verwechslungen möglich sind, ergänzen wir
die Bezeichnungsweise auf sinnvolle Weise, so z.B. durch
Der Ausgangspunkt für die Berechnung ist die Grundgleichung des Weggrössenverfahrens
(6.11):
Kr = R
K ist symmetrisch und invertierbar. Die Inverse K −1 der symmetrischen Matrix K ist
wieder symmetrisch:
r = δR (8.1)
mit δ = K −1 .
erhält man:
ri = δij .
rj = δji .
δij = δji ;
ri = rj (8.2)
Satz 8.1 Die Verformung ri eines elastischen Tragwerkes infolge einer Einheitslast
Rj = 1 ist gleich der Verformung rj infolge einer Einheitslast Ri = 1.
8.2. KNOTENVERFORMUNGEN 133
Die Gültigkeit dieses Satzes haben wir hier anhand der Symmetrie der Steifigkeitsmatrix
gezeigt. Der übliche Beweis des Satzes erfolgt mit dem Prinzip der virtuellen Arbeiten; er
wird hier als bekannt vorausgesetzt [39].
Selbstverständlich sind beide Betrachtungsweisen identisch, da auch die Grundgleichung
des Weggrössenverfahrens mit dem Prinzip der virtuellen Arbeiten aufgestellt wird. Ei-
nige einfache Beispiele zur Erläuterung des Satzes sind in Abbildung 8.2 skizziert. Eine
Einheitslast Rj = 1 (Abbildung 8.2(a)) erzeugt die Verschiebung ri ; dieselbe Verschiebung
ri = rj erhält man durch eine Einheitslast Ri = 1.
Im zweiten Beispiel (Abbildung 8.2(b)) wird gezeigt, dass die Gleichung auch für Verschie-
bungen und Verdrehungen gilt: Ein Einheitsmoment Rj = 1 erzeugt die Verschiebung ri ;
dieselbe Verschiebung ri = rj erhält man durch eine Einheitslast Ri = 1. Hierbei ist rj
eine Verdrehung und wird im Bogenmaß (rad) angegeben.
Am dritten Beispiel (Abbildung 8.2(c)) wird die Gültigkeit für einen Trägerrost gezeigt.
Der Satz von Maxwell gilt für alle linearen Tragwerke, so z.B. auch für Schalen und Konti-
nua mit linear-elastischem Werkstoff und kleinen Verformungen. Der Satz von Maxwell ist
Abbildung 8.4: Beispiele zur Erläuterung des Satzes von Maxwell (Satz 8.1)
die Grundlage für die Berechnung von Einflusslinien. Wir erläutern den Gedankengang,
134 KAPITEL 8. EINFLUSSLINIEN
der zur Berechnung von Einflusslinien mit Hilfe des Satzes von Maxwell führt, zunächst
an einem Beispiel (Abbildung 8.5).
Es wird der Einflusslinie für eine Weggrösse ri in einem Zweifeldträger gezeigt. Die Ein-
heitslast ist eine Einzelkraft. Der Belastungsbereich wird durch 8 Elemente beschrieben.
Die Verformungen für die einzelnen Laststellungen sind in Abbildung 8.5 qualitativ skiz-
ziert. Die Verformungswerte in Richtung von ri bezeichnen wir mit δ̄ki ; k ist der Belas-
tungspunkt.
Knoten
Element
l r
1 1 2
2 2 3
3 3 4
Inzidenztafel
4 4 5
5 5 6
6 6 7
7 7 8
8 8 9
Einflusslinie = Biegelinie
g1 (0) = δ̄17 (= δ̄71 )
g2 (0) = δ̄27
g3 (0) = δ̄37
g4 (0) = δ̄47
g5 (0) = δ̄57
g6 (0) = δ̄67
g7 (0) = δ̄77
g8 (0) = δ̄87
g9 (l) = δ̄97
Mit dem Satz von Maxwell erhält man die Verschiebung δ̄71 = 0 entweder als Verschiebung
im Punkt 7 infolge einer Last 1 im Punkt 1 oder als Verschiebung im Punkt 1 infolge einer
Last 1 im Punkt 7.
Der Wert g1 (0) der Einflusslinie im Punkt 1 ist also gleich δ̄71 und identisch mit dem Wert
der Biegelinie im Punkt 1 infolge einer Last 1 im Punkt 7.
Dieselbe Überlegung gilt für alle anderen Laststellungen; so erhält man z.B. δ̄78 entweder
als Verschiebung im Punkt 7 infolge einer Last 1 im Punkt 8 oder als Verschiebung im
Punkt 8 infolge einer Last 1 im Punkt 7.
Die Biegelinie des Trägers infolge einer Last 1 im Punkt 7 ist damit gleich der gesuchten
Einflusslinie.
In allgemeiner Form kann der Zusammenhang zwischen dem Satz von Maxwell und den
Einflusslinien für eine Weggrösse wie folgt ausgedrückt werden.
Satz 8.2 Die Einflusslinie für eine Weggrösse g(x, ri ) infolge einer wandernden
Einheitslast in x (variabel) ist identisch mit der dieser Einheitslast gleichgerich-
teten Verformung des Belastungsbereiches, die sich unter der ortsfesten Belastung,
(Rj = 0 für i 6= j) einstellt.
Damit ist die Berechnung von Einflusslinien für Weggrössen auf eine Verformungsebene
zurückgeführt. Zur näheren Erläuterung geben wir einige Beispiele (Abbildung 8.6) an.
Die Berechnung der Einflusslinien für Weggrössen ist eine Verformungsberechnung und
besteht damit bekanntlich (vgl. Biegelinie) aus zwei Teilen:
Im ersten Schritt werden die Knotenverformungen r des Tragwerkes berechnet,
im zweiten Schritt die Verformungen der Stabelemente als Funktion der Element-
koordinaten. Die Berechnung der Knotenverformungen r infolge der Belastung
Ri ={Ri = 1, Rj = 0 für j 6= i} erfordert eine Lösung des Gleichungssystems
K r = Ri (8.3)
136 KAPITEL 8. EINFLUSSLINIEN
Damit sind die Stützstellen der Einflusslinie bekannt: Es sind die zur wandernden Ein-
heitslast korrespondierenden
Knotenverformungen im Belastungsbereich.
Die Berechnung der Einflusslinien zwischen den Knotenpunkten der Stabelemente kann
über die Integration er Grundgleichungen der Balkentheorie erfolgen.
Die hierzu erforderlichen Randbedingungen der Verformungen sind die Knotenverformun-
gen oder auch die Komponenten uji (globale Koordinaten) der Stabendverformung, die
man aus
u = C Tr
erhält.
8.2. KNOTENVERFORMUNGEN 137
Für die Berechnung der Verformungen in den Elementen
i des Belastungsbereiches wer-
i
den aus u die Elementvektoren u ausgewählt.
Die Einflusslinie wird mit den Stabendverformungen in Richtung der wandernden Ein-
heitslast (in globalen Koordinaten) und mit den Verdrehungen analog zu der Berechnung
der Biegelinie (Abschnitt 5.4) ermittelt. Die Einflusslinie ist ein Polynom dritter Ordnung.
Für gleichgerichtete globale und lokale Koordinatensysteme:
3 2
gj (x̄, ri ) = C1 x̄ + C2 x̄ + C3 x̄ + C4 . (8.4)
gj (0, ri ) = uj2
gj (lj , ri ) = uj5
−gj0 (0, ri ) = uj3 (8.5)
−gj0 (lj , ri ) = uj6 .
Der Extremwert (Maximum oder Minimum) in einem Element kann über die Nullstellen
der ersten Ableitungen der Einflusslinie berechnet werden. Extremwerte für gj ergeben
sich entweder in
q
x̄1/2 = (−C2 ± C22 − 3C1 C3 )/(3C1 ), (8.7)
0 < x̄1 < lj , 0 < x̄2 < lj ,
oder in den Randpunkten des Elementes. Die Berechnung einer Einflusslinie für eine Kno-
tenverformung ri infolge einer wandernden Einheitslast ist im folgenden zusammenfassend
dargestellt:
(2) Festlegung des Lastvektors R für K r=R, (Ri = 1, Rj = 0 für j 6= i), Ri ist die zu
ri korrespondierende Kraftgrösse;
(5) Berechnung der Einflusslinie in Abhängigkeit der lokalen Koordinate x̄ in den einzel-
nen Stabelementen als Biegelinie unbelasteter Stabelemente mit Randverformungen.
Die Randverformungen sind Komponenten von u.
Für das in Abbildung 8.7 dargestellte Stabtragwerk ist die Einflusslinie für die Verdrehung
r6 des Knotens 6 zu ermitteln.
Die korrespondierende Knotenlast ist das Einheitsmoment im Knoten 6 (R6 = 1). Mit der
in Abbildung 8.7 angegebenen Numerierung werden die Koordinatentafeln und die Ver-
knüpfungstafel aufgestellt. Koordinatentafel Verknüpfungstafel
Gesamtsteifigkeitsmatrix
119,2 0 48 -100 0 0
202.4 12 0 -2.4 -12 0 0
240 0 12 40
202,4 0 12 -100 0 0
104,8 0 0 -2.4 -12 0
4
240 0 12 40
K = 10
202,4 0 12 -100 0 0
symmetrisch 104,8 0 0 -2,4 -12
240 0 12 40
119,2 0 48
202,4 -12
240
Lastvektor:
h i
RT = 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 .
Für die Ermittlung der Biegelinie nach Abschnitt 5.4 bleiben die Knotenverformungen in
x-Richtung unberücksichtigt. Der Lastbereich erstreckt sich über die Elemente
,
2
4 und
.
6
Im folgenden zeigen wir für zwei Lastenzüge die Auswertung der in Abbildung 8.6 darge-
stellten Einflusslinie.
Es ist die maximale Verdrehung r6 des Knotens 6 (Abbildung 8.7) für die Lastenzüge (a)
und (b) (Abbildung 8.9) im Element
2 gesucht.
Die Einflusslinie für r6 infolge einer wandernden Einheitskraft, die den Lastordinaten
dieser Lastenzüge gleichgerichtet ist, wird in Beispiel 8.2 berechnet. Wir übernehmen
diese Ergebnisse und zeigen im folgenden die Auswertung der Einflusslinie.
142 KAPITEL 8. EINFLUSSLINIEN
Für eine Kraft R in 0 < x0 < l2 , die der Einheitskraft gleichgerichtet ist, gilt:
r6 = R · g2 (x0 , r6 ).
x0 , x0 + 2, x0 + 4 sind die Angriffspunkte der Kräfte des Lastenzuges (a). Durch Einsetzen
in die Einflusslinie erhält man:
Gesucht ist das Maximum von r6 . Durch Nullsetzen der ersten Ableitung ergibt sich:
Es muss geprüft werden, ob für diesen Wert alle Lasten im Bereich des Elementes
2
stehen:
x0 + 4 = 3, 48 + 4 < 10[m].
Für den Lastenzug (b) ist die Berechnung aufwendiger. Zunächst ist der Lastenzug als
Funktion von x und x0 darzustellen (Abbildung 8.9). Der Wert einer Lastordinate η ist
η 1, 0
= , η = (x − x0 )/4.
x − x0 4
x0 +4
10−8
Z
r6 = (x − x0 )(C1 x3 + C2 x2 + C3 x + C4 )dx (8.10)
4 x0
8.2. KNOTENVERFORMUNGEN 143
nach Beispiel 8.2. Die Berechnung des Integrals führt auf ein Polynom 5. Ordnung. Gesucht
ist der Wert 0 < x0 < 6 m, bei dem das Maximum von r6 erreicht wird. Die obere Grenze
von x0 wird auf 6 m beschränkt, da nur in diesem Bereich der gesamte Lastenzug im
Element
2 steht.
Das Integral (8.10) wird für eine Reihe von Punkten x0i mit festem Abstand berechnet. Der
Maximalwert von r6 wird durch Intervallschachtelung ermittelt. Man erhält die Lösung:
x0 + 4 = 3, 59 + 4 < 10 [m].
Bei verschiedenen Tragwerken müssen zur Gewährleistung der Brauchbarkeit die gegen-
seitigen Verformungen gewisser Knotenpunkte eingeschränkt werden. Dies kann z.B. im
Gelenkpunkt einer Brücke (Abbildung 8.10) der Fall sein. Ursache der Einschränkung
ist in diesem Fall die konstruktive Ausbildung des Gelenkes: Bei der überschreitung der
maximal zulässigen Verformung würde das Gelenk zerstört oder die Gelenkwirkung auf-
gehoben. Die Berechnung muss deshalb den Nachweis erbringen, dass die gegenseitige
Verdrehung in jedem Lastfall kleiner ist als eine zulässige Verdrehung max. ϕ.
Gegenseitige Verformungen von Knotenpunkten oder gegenseitige Verdrehungen von
Stäben sind Relativverformungen.
Wir bezeichnen eine Relativverformung mit d. Sie lässt sich als Linearkombination der
Knotenverformungen darstellen:
d = α1 r1 + α2 r2 + · · · αn rn ,
oder d = αT r. (8.11)
Mit den Konstanten αi wird die Relativverformung beschrieben; diese Konstanten erge-
ben sich aus den Systemeigenschaften. Die Ermittlung der wird anhand von Beispielen
erläutert (s.u.). Wir nehmen zunächst an, die αi seien bekannt.
Aus der Linearität des Tragwerkes folgt unmittelbar
8.3. RELATIVVERFORMUNGEN 145
Satz 8.3 Die Einflusslinie eines Tragwerkes ist eine lineare Funktion in den Verfor-
mungsgrössen:
Damit ergibt sich g(x, d) durch Superposition der einzelnen Einflusslinien nach (8.11):
Satz 8.4 Die Knotenverformungen r für die Berechnung einer Einflusslinie g(x, d) mit
d = α1 r1 + α2 r2 + · · · + αn rn
K r = α ≡ R. (8.14)
Diese Aussage ist eine direkte Folgerung aus den Sätzen 8.2 und 8.3.
Die weitere Berechnung der Einflusslinie erfolgt wie in Abschnitt 8.2 über die Knotenver-
formungen (Elementverformungen). Wir erläutern durch einige Beispiele.
Gesucht ist der Lastvektor R für die Berechnung einer Einflusslinie für eine Stabdrehung
des Stabes
s (Abbildung 8.11). Die Lösung kann aus Abbildung 8.11 direkt abgelesen
werden; es ist
Ri = 1/h; Rj = −1/h
und Rk = 0 für alle übrigen Lastkomponenten.
Gesucht ist der Lastvektor R für die Berechnung einer Einflusslinie für die gegenseitige
Verdrehung in einem Gelenk (Abbildung 8.12).
Die Elemente werden getrennt betrachtet. Für eine Gelenkverschiebung r4 erhält man:
d0 = −d1 + d2 ≡ α4 r4 .
d = α4 r4 − r3 + r8 .
Damit ist
R4 = α4 ; R3 = −1; R8 = 1.
Schnittgrössen sind innere Kraftgrössen (vgl. Abschnitt 3.1); aufgrund des Gegenwir-
kungsprinzips (vgl. Abschnitt 4.1) treten in einem Schnitt durch einen Stab Schnittkräfte
auf. Einer Schnittgrösse ist deshalb eine Relativverformung d der Schnittufer zugeordnet
(Abbildung 8.13).
Wir bezeichnen hier die Schnittgrösse, deren Einflusslinie gesucht ist mit S(x0 ), die Ein-
heitslast mit P und die dazu korrespondierende Verformung mit v(x1 ) .
v̂(x) S T û
g(x) ≡ g(x, S) = − +
dˆ dˆ
Satz 8.5 Die Einflusslinie für eine Schnittgrösse g(x, S) infolge einer wandernden Ein-
heitslast in x (variabel) ist identisch mit der Summe aus der zur Einheitslast gleichge-
richteten Verformung des Belastungsbereiches und der negativen inneren Arbeit, die sich
unter einer zu S korrespondierenden Relativverformung d = −1 einstellen.
8.4. SCHNITTGRÖSSEN 149
Eine Relativverformung d = −1 kann nur dann vorgegeben werden, wenn ein zusätzlicher
Freiheitsgrad der Verformung eingeführt wird.
Durch einen zusätzlichen Freiheitsgrad verringert sich die Redundanz des Stabwerkes um
eins. Die Berechnung von Einflusslinien für Schnittgrössen auf der Grundlage von Satz
8.5 wird deshalb auch als
Berechnung von Einflusslinien am (n − 1)-fach statisch unbestimmten Tragwerk“ (n:
”
Redundanz) bezeichnet.
Eine wesentliche Anwendung des Satzes 8.5 ist die qualitative Ermittlung von Einflussli-
nien. Die Verformungen infolge einer Relativverformung d können gut abgeschätzt und als
Rechenkontrolle betrachtet werden. Beispiele für den qualitativen Verlauf von Einflussli-
nien sind in Abbildung 8.14 dargestellt.
Für die Berechnung von Einflusslinien mit dem Weggrössenverfahren ist die Anwendung
des Satzes 8.5 nur auf indirektem Wege sinnvoll. Dies erkennt man aus folgender Über-
legung: Einflusslinien werden üblicherweise zusammen mit Schnittgrössen berechnet. Für
die Berechnung der Schnittgrössen muss die
Abbildung 8.14: Beispiele zur qualitativen Ermittlung von Einflusslinien für Schnitt-
grössen
150 KAPITEL 8. EINFLUSSLINIEN
Wir gehen von einer Vorverformung ujEi = −1 aus (siehe Satz 8.5). Diese Vorverformung
kann man sich durch Stabendkräfte erzeugt denken, die ein Gleichgewichtssystem bilden.
Diese Stabendkräfte wirken als Reaktionen auf das Tragwerk und erzeugen elastische
Verformungen (Abbildung 8.15(a)). Die Summe aus den elastischen Stabendverformungen
und den Vorverformungen ergibt die Gesamtverformung. Der Winkel, den die beiden
Stäbe im Knoten k bilden, bleibt erhalten; damit ist die Beziehung zu der qualitativen
Ermittlung der Einflusslinie aufgrund von Satz 8.5 hergestellt.
Für die allgemeine Darstellung führen wir den Vektor der Vorverformungen uE ein,
mit uiEj = −1
und ulEk = 0 für k 6= j und l 6= i.
i
Satz 8.6 Die Einflusslinie für eine Stabendkraft g(x, S j ) infolge einer Einheitslast in x
(variabel) ist identisch mit der dieser Einheitslast gleichgerichteten Verformung des Be-
i
lastungsbereiches, die sich unter einer zu S j korrespondierenden Vorverformung uiEj = −1
einstellt.
Die Berechnung erfolgt wie in (Abschnitt 7.2). Zunächst wird uE auf globale Koordinaten
transformiert:
uE = LD uE .
uE + C T r = u (8.16)
8.4. SCHNITTGRÖSSEN 151
Die Stabendkräfte
S=ku (8.17)
CS=0 (8.18)
erfüllen. Durch Einsetzen von u aus (8.16) in (8.17) erhält man für (8.18):
K r = −C k uE (8.20)
Damit können die Stützstellen der Einflusslinie berechnet werden: Es sind die zur Ein-
heitslast korrespondierenden Knotenverformungen im Lastbereich.
Die Berechnung der Einflusslinie zwischen den Knotenpunkten der Stabelemente kann
über die Integration der Grundgleichungen der Balkentheorie erfolgen. Die erforderlichen
Randbedingungen der Vervormung (Integrationskonstante) sind Komponenten von
u = C T u + uE . (8.21)
Wie bei der Berechnung der Einflusslinie für Knotenverformungen (Abschnitt 8.2) be-
schränken wir uns auch hier auf spezielle Anwendungen.
152 KAPITEL 8. EINFLUSSLINIEN
Für das in Abbildung 8.15 dargestellte Stabtragwerk ist die Einflusslinie für das Mo-
4
ment S 6 infolge einer auf dem Riegel wandernden Einheitslast zu ermitteln. Die korre-
spondierende Stabendverformung ist die Einheitsverdrehung u4E6 = −1. Der Vektor der
Zwangsverformungen am Element ist
h i
(u4E )T ≡ (u4E )T = 0 0 0 0 0 −1 .
2 · 106 h i
(k 4 u4E )T = 0 0,6 -1 0 -0,6 -4 .
10
h i
(C k uE )T = 105 0 0 0 0 1,2 -4 0 -1,2 -8 0 0 0 .
Die Lösung des Gleichungssystems (8.20) ist der Vektor der Knotenverformungen r.
Die Rücktransformation nach Gleichung (8.21) ergibt die Stabendverformungen u.
8.4. SCHNITTGRÖSSEN 153
-92,313 -108,273 -113,243
6,034
-75,673
95,806
2
−3
3,674
4
−3
113,242 6
−3
322,426
u = 10 u = 10 u = 10
-108,273
-113,243
-82,240
-75,673
95,806
-16,101
113,242 -667,574 -31,694
Mit den Gleichungen (8.4) bis (8.6) kann die Einflusslinie elementweise berechnet werden:
Element
:
2
Element
:
4
g4 (x, S64 ) = 10−3 (5, 3006x3 − 39, 9646x2 − 113, 242x − 75, 673)
Element
:
6
g6 (x, S64 ) = 10−3 (−2, 6885x3 + 57, 959x2 − 322, 426x + 95, 806).
4
Abbildung 8.16: Einflusslinie für das Moment S 6
l
Ll S̃ = Rl . (8.22)
l
S̃ ist der Vektor der Stabendkräfte, die zum Knotengleichgewicht im Lager beitragen.
Komponentenweise gilt:
Da für Einflusslinien das Superpositionsgesetz gilt (Satz 8.3), könnte g(x, Ril ) auf einfache
Weise aus den Einflusslinien der Stabendkräfte S̃il berechnet werden:
Im allgemeinen wird dieser Weg zu umständlich sein, da zunächst die Einflusslinien für S̃il
berechnet werden müssen. Eine einfache Möglichkeit für die Berechnung der Einflusslinien
für Lagerreaktionen bietet sich mit
Satz 8.7 Die Einflusslinie für eine Lagerreaktion Ril infolge einer Einheitslast in x (va-
riabel) ist identisch mit der dieser Einheitslast gleichgerichteten Verformung des Belas-
tungsbereiches, die sich unter einer zu Ril korrespondierenden Zwangsverformung ril = −1
einstellt.
8.5. LAGERREAKTIONEN 155
Wie bei Satz 8.6 ist dies eine unmittelbare Folgerung aus dem Prinzip der virtuellen
Arbeiten.
Eine anschauliche Darstellung am Beispiel ist in Abbildung 8.17 gegeben.
Die Berechnung des Tragwerkes unter Zwangsverformungen ist in (Abschnitt 7.3) be-
schrieben. Das Ergebnis sind wieder Knoten- und Elementverformungen, mit denen die
Verformung des Belastungsbereiches ermittelt werden kann (vgl. Abschnitt 8.2).
156 KAPITEL 8. EINFLUSSLINIEN
Einen Sonderfall stellen äußerlich statisch bestimmte Tragwerke dar (Abbildung 8.18).
Durch eine Zwangsverformung ergibt sich eine kinematische Kette (Abschnitt 7.3). Daraus
folgt:
Die Einflusslinie für eine Lagerreaktion eines statisch bestimmt gelagerten oder eines
statisch bestimmten Tragwerkes ist bereichsweise eine lineare Funktion der Koordinaten
des Belastungsbereiches.
Bei einem statisch bestimmt gelagerten Tragwerk kann deshalb die Einflusslinie für eine
Lagerreaktion aus den Koordinaten der Knotenpunkte des Belastungsbereiches berechnet
werden.
Abbildung 8.18: Einflusslinien für Lagerreaktionen (a) bei statisch bestimmter Lagerung
und (b) bei statisch bestimmten Stabwerken
8.5. LAGERREAKTIONEN 157
Die Berechnung der Einflusslinie für die Auflagerkraft eines statisch unbestimmten Stab-
werkes wird im folgenden gezeigt.
Die Einflusslinie für die Auflagerkraft A des in Abbildung 8.19 dargestellten Fachwerks
ist für eine auf dem Obergurt wandernde Einheitslast zu berechnen. Die zu A korrespon-
dierende Zwangsverformung ist rz ≡ r1z = −1.
Mit der Koordinaten- und Verknüpfungstafel werden die Steifigkeitsmatrix K 11 und der
Lastvektor −K 12 rz aufgestellt.
158 KAPITEL 8. EINFLUSSLINIEN
Koordinatentafel verknüpfungstafel
Nach dem in (Abschnitt 7.3) beschriebenen Verfahren zur Berechnung von Stabwerken
bei Zwangsverformungen wird der Lastvektor für eine negative Einheitsverformung des
Knotens 1 in z-Richtung aufgestellt. Es ergibt sich:
h i
K 12 rz = EA 0 0 0 0 0 0, 3333 −0, 096 0, 072 0 0 0 0 0 0 .
Steifigkeitsmatrix:
0.756 0 0 0 −0, 128 −0, 0960 0 0 −0, 128 0, 0960 0 0 0 0
0, 4773 0 0 −0, 096 −0, 0720 0 −0, 3333 0, 096 −0, 0720 0 0 0 0
0, 756 0 0 0 0 0 −0, 128 −0, 0960 0 0 −0, 128 0, 0960
0, 4773 0 0 0 0 −0, 096 −0, 0720 0 −0, 3333 0, 096 −0, 0720
0, 378 0, 0960 −0, 250 0 0 0 0 0 0 0
0, 4053 0 0 0 0 0 0 0 0
8.5. LAGERREAKTIONEN
0, 756 0 −0, 250 0 0 0 0 0
K 11 = EA
symmetrisch 0, 4773 0 0 0 0 0 0
0, 756 0 −0, 250 0 0 0
0, 4773 0 0 0 0
0, 756 0 −0, 250 0
0, 4773 0 0
0, 378 −0, 960
0, 4053
159
160 KAPITEL 8. EINFLUSSLINIEN
Der Faktor EA kann gekürzt werden. Die Lösung des Gleichungssystems (7.35)
K 11 r = −K 12 rz (R = 0)
−0, 0336 r2x
−0, 4602 r2z
0, 0336 r4x
0, 0398
r4z
0, 3167
r6x
−0, 9871
r6z
0, 2937 r7x
r= = Dimension [m]
−0, 4722
r7z
0, 1875
r8x
−0, 0499
r8z
0, 0813
r9x
0, 0278
r9z
0, 0583 r10x
0, 0129 r10z
Die Einflusslinie für eine auf dem Obergurt wandernde Einheitslast ist die Verbindungs-
linie der vertikalen Verformungen der Knoten des Obergurtes. Die Einflusslinie ist in den
Elementen linear. Sie ist in Abbildung 8.20 dargestellt.
Abbildung 8.20: Einflusslinie der Auflagerkraft A für eine auf dem Obergurt wandernde
Einheitslast
8.6. AUFGABEN 161
8.6 Aufgaben
8.1 Berechnen Sie die Einflusslinien für eine wandernde Einheitskraft in einem Durch-
laufträger, wie er im folgenden dargestellt ist:
8.2 Die Einflusslinie nach Aufgabe 8.1 (c) ist für eine Lastgruppe L mit den Laststel-
lungen L1 in A und L1 in B auszuwerten.
Lastgruppe L:
8.3 Die Einflusslinie für einen räumlichen Rahmen (Siehe unten) infolge einer wandern-
den Einheitskraft im Bereich
1 -
2 -
3 -
4 ist zu berechnen für:
Querschnittswerte:Nahtlose Flußstahlrohre
nach DIN 1629
Außendurchmesser: 394mm
Innendurchmesser: 374mm
Die Einflusslinien sind in der Abwicklung
1 -
2 -
3 -
4 darzustellen. Die Knoten-
und Elementnummerierung kann geändert werden.
Abbildung 8.21:
162 KAPITEL 8. EINFLUSSLINIEN
4
8.4 Die Einflusslinie für das Moment S 6 , Beispiel 8.6, ist für eine 1m lange konstante
Streckenlast von 10KN/m, die sich von Knoten 5 aus über den Belastungsbereich
,
2
,
4
,
6 bewegt auszuwerten. 4
Wie groß ist das maximale Moment max S 6 ?
Kapitel 9
Das Kraftgrössenverfahren
Wir nehmen an, dass das Kraftgrössenverfahren in seinen Grundzügen bekannt ist
([28],[74],[79]). Die wesentlichen Schritte der Berechnung sind im folgenden zusammenge-
fasst:
(4) Berechnung der statisch Unbestimmten (Xk ) aus der Verträglichkeitsbedingung: Die
Summe der Relativverformungen infolge der statisch Unbestimmten und der Rela-
tivverformung infolge der äusseren Belastung muss Null sein, d.h.
163
164 KAPITEL 9. DAS KRAFTGRÖSSENVERFAHREN
Aus dieser zusammenfassenden Darstellung erkennt man die Hauptmerkmale des Kraft-
grössenverfahrens:
Wir behandeln hier keine Varianten des Kraftgrössenverfahrens, z.B. die “Berechnung
mit statisch unbestimmten Hauptsystemen” oder die Verfahren der “Gruppenlasten” und
des “elastischen Schwerpunktes”. Dies ist begründet durch die relativ geringe Bedeutung
des Kraftgrössenverfahrens im Vergleich mit dem Weggrössenverfahren: Mit Ausnahme
von Sonderfällen und speziellen Problemstellungen ([82],[83], [84],[42]) wird heute fast
ausschliesslich das Weggrössenverfahren angewendet.
165
Die Festlegung der statisch Unbestimmten nach statischen Gesichtspunkten kann wie folgt
beschrieben werden:
In einfach überschaubaren, ebenen Stabwerken bereitet dies keine Schwierigkeit. Für das
zweifach statisch unbestimmte Fachwerk (Abbildung 9.1) sind einige zulässige und un-
zulässige Hauptsysteme in Abbildung 9.2 dargestellt. Die Wahl der statisch Unbestimmten
ist bei einem Fachwerk gleichbedeutend mit dem “Schneiden” von Stäben. Bei biegesteifen
Stabwerken werden durch die Wahl der statisch Unbestimmten Gelenke eingeführt, die
eine Verdrehung oder Verschiebung der angrenzenden Stäbe ermöglichen. Dies entspricht
dem Nullsetzen linear unabhängiger Stabendkräfte in einzelnen Elementen (vgl. Kapitel
4). Die Anzahl der linear unabhängigen Stabendkräfte (Fi ), die zu Null gesetzt werden
müssen, ist gleich der Redundanz des Stabwerkes. Wir fassen dies zusammen in
Definition 9.1 Ein zulässiges Hauptsystem eines ρ-fach statisch unbestimmten Stabwer-
kes ist jedes unverschiebliche, statisch bestimmte Stabwerk, das man aus dem ursprüngli-
9.1. D. SCHNITTPRINZIP, LAST- U. EIGENSPANNUNGSZUST. 167
chen Stabwerk durch Nullsetzen von ρ Komponenten des Vektors der linear unabhängigen
Stabendkräfte F erhält.
Nach diesen allgemeinen Erläuterungen gehen wir nun zu einer Darstellung in Matrizen-
schreibweise über.
Ausgangspunkt ist die Gleichgewichtsbedingung des Stabwerkes (4.20):
aT F = R.
Die Gleichgewichtsmatrix besitzt bei einem Stabwerk mit n Freiheitsgraden der Ver-
formung genau linear unabhängige Zeilen. Jeder Spalte von aT ist eine Stabendkraft
Fk , k = 1, . . . , m, zugeordnet. Die statischen Transformationsmatrizen (ai )T , aus wel-
chen die Gleichgewichtsmatrix aT erzeugt wird, besitzen linear unabhängige Spalten. Auf
dieser Grundlage lässt sich zeigen, dass der folgende Satz gilt ([95], Seite 98, siehe auch
Anhang A).
F = B0 R + Bx X (9.1)
mit aT B 0 = I n , B 0 [m × n] mit Rang n, (9.2)
aT B x = 0, B x [m × ρ] mit Rang ρ, (9.3)
und X ρ×1 .
Durch ρ > 0 werden statisch bestimmte Tragwerke ausgeschlossen; die Berechnung sta-
tisch bestimmter Stabwerke ist in (Kapitel 4 und 5) dargestellt.
Wir bezeichnen
B 0 als die Matrix der Lastspannungszustände und
B x als die Matrix der Eigenspannungszustände. Diese Bezeichnungsweise ist aus der
Bezeichnung der inneren Kraftgrössen als “verallgemeinerte Spannungen” abgeleitet. Die
Elemente der Matrix B 0 sind die Komponenten von F infolge einer Einheitsbelastung in
Richtung der einzelnen Knotenverformungen. Die Spalten von B x sind Vektoren linear
unabhängiger Stabendkräfte, die nicht durch äussere Belastung verursacht werden (Eigen-
spannungen). Die Komponenten von X sind die statisch Unbestimmten.
Die Matrizen B 0 und B x können auf einfache Weise aus den Gleichgewichtsbedingungen
berechnet werden, wenn ein zulässiges Hauptsystem bekannt ist. Mit einem Hauptsystem
sind auch die Nullkomponenten von F festgelegt. Wir fassen die Indizes dieser Nullkom-
ponenten in der Indexmenge I mit ρ Elementen zusammen.
168 KAPITEL 9. DAS KRAFTGRÖSSENVERFAHREN
aT F = R
mit Fi = 0 für alle i ∈ I. (9.4)
ãT F = R̃ (9.5)
mit ãTm×m und R̃m×1 .
Die erweiterte Gleichgewichtsmatrix ãT und der erweiterte Lastvektor R̃ sind wie folgt
besetzt:
T
a R
ãT = , R̃ = . (9.6)
ˆ
I 0
Iˆ ist eine (0, 1)-Matrix mit ρ Zeilen und m Spalten, d. h. Iˆ ist zeilenweise aus Einheits-
vektoren aufgebaut. Damit ist die Wahl des zulässigen Hauptsystems nach statischen
Gesichtspunkten in Matrizenform ausgedrückt, und die Matrizen B 0 und B x können be-
rechnet werden.
Nach Definition (9.1) beschreibt (9.5) bei richtiger Wahl der statisch Unbestimmten ein
zulässiges Hauptsystem.
Daraus folgt: Die erweiterte Gleichgewichtsmatrix ãT ist nichtsingulär und es gilt
Satz 9.2 Die Matrizen der Last- und Eigenspannungszustände sind Teilmatrizen der In-
versen der erweiterten Gleichgewichtsmatrix:
Satz 9.3 Die ersten n Spalten der Inversen sind mit der Matrix B 0 , die folgenden ρ =
m − n Spalten mit der Matrix B x identisch.
B 11 = (aT0 )−1 ,
B 12 = −(aT0 )−1 aTx ,
T −1 T −1 T
(a0 ) −(a0 ) ax
und (AT )−1 = . (9.11)
0 Iρ
Die Matrix AT wurde aus ãT durch Spaltentausch erzeugt; durch den korrespondierenden
Zeilentausch in B 00 und B 0x erhält man B 0 und B x , den Lastspannungs- und Eigenspan-
nungszustand bezüglich ãT . Damit ist (9.7) bestätigt.
Die Matrizen B 0 und B x sind von wesentlicher Bedeutung für das Kraftgrössenverfahren.
Die Berechnung auf der Grundlage des Schnittprinzips wird deshalb ausführlich an einem
Beispiel dargestellt:
Beispiel 9.1
Zweifach statisch unbestimmtes Fachwerk (Abbildung 9.3). Für das Fachwerk sind die
Matrizen B 0 und B x zu berechnen und zwar für drei verschiedene, frei wählbare Haupt-
systeme. Die gewählten Hauptsysteme I, II und III sind in Abbildung 9.3 angegeben.
170 KAPITEL 9. DAS KRAFTGRÖSSENVERFAHREN
Die Wahl der statisch Unbestimmten ist in Abbildung 9.3 (b) dargestellt:
Jedes der Hauptsysteme ist zulässig, und es gibt – abgesehen von Spiegelungen um die
Symmetrieachse – keine anderen zulässigen Hauptsysteme. Die Wahl erfolgt nach sta-
tischen Gesichtspunkten, d.h. anhand der Skizzen wird ein unverschiebliches, statisch
bestimmtes Hauptsystem festgelegt.
Die i-te Zeile der Matrizengleichung ist die Gleichgewichtsbedingung in der i-ten Verschie-
bungsrichtung ri . Die erweiterten Gleichgewichtsmatrizen ãT erhält man durch Ergänzung
der Nebenbedingungen in dem gewählten Hauptsystem.
9.1. D. SCHNITTPRINZIP, LAST- U. EIGENSPANNUNGSZUST. 171
X1 ≡ F6 = 0, X2 ≡ F4 = 0.
Diese Gleichungen bilden die 5. und die 6. Zeile der erweiterten Gleichgewichtsmatrix ãT :
1 2 3 4 5 6 1 2 3 4 5 6
1 -1 0 -c 0 0 0 0 0 1 0 0 -c
2 0 -1 -c 0 0 0 1 -1 1 0 0 -c
√ √
3 1 0 0 c 0 0 - 2 0 - 2 0 0 1
ãT = , (ãT )−1 =
4 0 0 0 -c -1 0 0 0 0 0 0 1
5 0 0 0 0 0 1 0 0 0 -1 0 -c
6 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 1 0
B0 Bx
X1 ≡ F6 = 0, X2 ≡ F5 = 0.
1 2 3 4 5 6 1 2 3 4 5 6
1 -1 0 -c 0 0 0 0 0 1 1 0 1
2 0 -1 -c 0 0 0 1 -1 1 1 0 1
√ √ √ √
3 1 0 0 c 0 0 - 2 0 - 2 - 2 0 - 2
ãT = , (ãT )−1 = √ √
4 0 0 0 -c -1 0 0 0 0 - 2 0 - 2
5 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 1
6 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 1 0
B0 Bx
X1 ≡ F6 = 0, X2 ≡ F1 = 0.
1 2 3 4 5 6 1 2 3 4 5 6
1 -1 0 -c 0 0 0 0 0 0 0 0 1
2 0 -1 -c 0 0 0 1 -1 0 0 0 1
√ √
3 1 0 0 c 0 0 - 2 0 0 0 0 - 2
ãT = , (ãT )−1 = √ √
4 0 0 0 -c -1 0 0 0 2 0 0 - 2
5 0 0 0 c 0 1 0 0 -1 -1 0 1
6 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0
B0 Bx
B 0 und B x werden als Matrizen der Last- und Eigenspannungszustände bezeichnet. Wir
deuten die belasteten Stäbe anhand der Lösung B 0 und B x des Hauptsystems I durch die
grössere Strichstärke und die Punktierung in Abbildung 9.4 an.
Mit der Berechnung von B 0 und B x sind alle statisch zulässigen Stabendkräfte bekannt.
Dies lässt sich mit (9.1) zeigen: Jede Spalte von B 0 ist einer Lastkomponente von R
zugeordnet. Damit ist die i-te Spalte von B 0 der Vektor der linear unabhängigen Sta-
bendkräfte, den man für eine Einheitsbelastung Ri = 1 erhält.
Die Spalten der Matrix B x sind linear unabhängige Stabendkräfte, die mit sich selbst im
Gleichgewicht stehen. Als Vektoren betrachtet, stehen sie senkrecht auf den Zeilenvekto-
ren, welche die Gleichgewichtsmatrix bilden.
Aus den obigen Betrachtungen erkennt man, dass die Matrizen B 0 und B x nicht eindeutig
bestimmt sind. Jedes zulässige Hauptsystem ergibt andere Last- und Eigenspannungs-
zustände (vgl. mit Abbildung 9.4).
An späterer Stelle wird auf das Problem der systematischen Berechnung von B 0 und B x
zurückgekommen. Für die weitere Darstellung des Kraftgrössenverfahrens betrachten wir
B 0 und B x zunächst als bekannt.
Das Hauptsystem, dessen Schnittgrösse wir mit B 0 und B x vollständig, aber nicht ein-
deutig berechnen können, verformt sich unter der äusseren Belastung. Es entstehen Kno-
tenverformungen und Relativverformungen der Schnittufer. Diese Relativverformungen
sind mit dem Verformungszustand des ursprünglichen Tragwerks unverträglich. Durch
Formulierung von Verträglichkeitsbedingungen in den Schnittstellen erhält man zusätzli-
che Bedingungsgleichungen zur eindeutigen Festlegung der Schnittgrössen. Im folgenden
zeigen wir einen Weg zur Ableitung der Verträglichkeitsbedingung.
F̂ = B 0 R̂ + B x X̂. (9.12)
Für das Verständnis der folgenden Darstellung ist es wichtig, dass B 0 und B x nur die
Bedingungsgleichungen (9.2) und (9.3) erfüllen müssen: Die Berechnung von B 0 und B x
kann auf irgendeinem Wege erfolgen und muss nicht mit der Vorstellung eines zulässi-
gen Hauptsystems in Verbindung gebracht werden. Wichtig ist weiterhin, dass B x vollen
Spaltenrang besitzt, d.h. dass die Spalten linear unabhängig sind (Rang ρ).
T
F̂ T v = R̂ r
174 KAPITEL 9. DAS KRAFTGRÖSSENVERFAHREN
T T T
(X̂ B Tx + R̂ B T0 )v = R̂ r. (9.13)
Das Skalarprodukt
T
X̂ B Tx v
ist die Arbeit, die durch Kraftgrössen X̂ und korrespondierende Weggrössen B Tx v = δ ge-
leistet wird. Die Komponenten X̂ i sind nach dem Gegenwirkungsprinzip (Abschnitt 4.1)
gegengleich wirkende, betragsmässig gleich grosse Kraftgrössen in den Schnitten. Folg-
lich sind die korrespondierenden Weggrössen Relativverformungen. Damit kann die Ver-
träglichkeitsbedingung formuliert werden:
Satz 9.4 Die Relativverformung der Schnittufer ist einem jeden zulässigen Hauptsystem
mit kinematisch zulässigen Verformungen sind Null:
δ ≡ B Tx v = 0. (9.14)
T
X̂ B Tx v = 0. (9.15)
Dies kann auf einfache Weise mit der kinematischen Verträglichkeitsbedingung (5.17)
ar=v
B Tx a r = δ,
wegen B Tx a = aT B x ≡ 0
δ = 0.
9.2. VERTRÄGLICHKEITSBED. U. VERFORMUNGSBER. 175
v = f F.
(B Tx f B x ) X = − B Tx f B 0 R. (9.16)
Aufgrund der linearen Unabhängigkeit der Spalten von B x und der Invertierbarkeit von f
kann X eindeutig berechnet werden: Die Koeffizientenmatrix des linearen Gleichungssys-
tems (9.16) ist positiv definit. Nach (9.1) ergeben sich damit die Stabendkräfte im statisch
unbestimmten System.
r = B T0 f F . (9.17)
Damit ist die Berechnung nach dem Kraftgrössenverfahren auf der Grundlage des Schnitt-
prinzips vollständig beschrieben.
Durch eine nähere Betrachtung der Ableitung von (9.16) und (9.17) ergeben sich inter-
essante Folgerungen:
ri = (v̂ i )T F .
Aufgrund der Vertauschbarkeit des Skalarproduktes lässt sich zeigen, das Verformungs-
und Lastzustand vertauscht werden können:
T
ri = F̂ i v;
die Verformung ri kann also auch aus den virtuellen Stabendkräften F̂ i und den Stabend-
verformungen v im statisch unbestimmten System berechnet werden. Diese Folgerungen
176 KAPITEL 9. DAS KRAFTGRÖSSENVERFAHREN
Dieser Satz wird üblicherweise für die den Zustandsvektoren entsprechenden Zustands-
linien angegeben ([28], Seite 297). Satz 9.4 ist also eigentlich eine spezielle Form des
Reduktionssatzes für diskrete Tragwerke. Für die systematische Berechnung besitzt der
Reduktionssatz eine relativ geringe Bedeutung.
Bei der Anwendung des Kraftgrössenverfahrens in der üblichen Form bereitet die Berech-
nung von Formänderungsintegralen einen erheblichen Rechenaufwand.
Die Formänderungsintegrale ( δik -Zahlen) sind Integrale über Produktfunktionen von Zu-
standslinien. Sie ergeben die i-ten Verformungen infolge einer virtuellen Last R̂k = 1. Die
i-te Verformung infolge der äusseren Belastung wird mit δi0 bezeichnet.
Die Formänderungsintegrale treten in der vorliegenden Darstellung nur implizit auf: Die
Integration wird auf Elementebene (vgl. (5.8)) für die Ableitung der Flexibilitätsmatrizen
durchgeführt. Die Relativverformungen sind:
δ ≡ [δik ] = B Tx f B x
δ 0 ≡ [δi0 ] = B Tx f B 0 R. (9.18)
Diese Zusammenhänge sollen nur die Verbindung zu der bekannten Berechnung nach dem
Kraftgrössenverfahren andeuten. Wir werden sie im folgenden nicht weiter vertiefen.
Die Wahl der statisch Unbestimmten ist die grösste Schwierigkeit des Kraftgrössenver-
fahrens. Bei überschaubaren Systemen kann die Festlegung der statisch Unbestimmten
anhand einer Systemskizze erfolgen. Hiervon sind wir in den vorangehenden Abschnitten
ausgegangen.
Bei grösseren Systemen ist eine solche Vorgehensweise nicht möglich: Die zeichnerische
Darstellung ist zu umständlich und es bereitet Probleme, ein statisch bestimmtes Haupt-
system festzulegen. Bei einer systematischen Berechnung muss deshalb für die Wahl der
9.3. AUTOMATISCHE WAHL D. STATISCH UNBESTIMMTEN 177
statisch Unbestimmten ein Verfahren bereitgestellt werden, das von der digitalen Darstel-
lung des Systems ausgeht.
Im folgenden wird ein solches Verfahren angegeben. Zusammen mit der Wahl der statisch
Unbestimmten werden hierbei zugleich das Hauptsystem (B o ) und die Eigenspannungs-
zustände (B x ) berechnet. Die Ausgangsgleichung ist die Gleichgewichtsbedingung:
aT F = R,
aTn×m mit ρ = m − n > 0.
Wir erinnern an einige wesentliche Eigenschaften von aT , die aus der mechanischen Pro-
blemstellung bekannt sind:
aT besitzt linear unabhängige Zeilen und hat damit vollen Zeilenrang (Rang n),
es gibt Matrizen B 0 und B x derart, daß
aT B 0 = I n und
aT B x = 0n×ρ .
aT F = R (9.19)
mit einer rechteckigen Koeffizientenmatrix aTn×m (m > n) bezeichnet man als unterbe-
stimmte Gleichungssysteme1 . Diese Gleichungssysteme besitzen keine eindeutige Lösung.
Wir zeigen dies an einem einfachen Beispiel.
Beispiel 9.2:
2F1 + F2 + F3 = 1
2F2 + F3 = 0.
F3 = −2(2F1 − 1).
1
Im Gegensatz zu überbestimmten Gleichungssystemen mit m < n, wie sie z.B. in der Ausgleichsrech-
nung auftreten.
178 KAPITEL 9. DAS KRAFTGRÖSSENVERFAHREN
Damit kann die Lösung in parametrischer Form mit F1 als Parameter dargestellt werden:
F1 ≡ F1
F2 = 2F1 − 1
F3 = −4F1 + 2.
Damit haben wir ein unterbestimmtes Gleichungssystem gelöst. Die Lösung ist nicht ein-
deutig, wir hätten z.B. auch F3 als Parameter wählen können mit der Lösung:
F1 1/2 −1/4
F2 = 0 + −1/2 X1 für alle X1 ≡ F3 . (9.21)
F3 0 1
Beide Lösungen besitzen die geforderten Eigenschaften, wie man leicht durch Einsetzen
bestätigt.
Damit wurde für ein Gleichungssystem mit den Eigenschaften der Gleichgewichtsbedin-
gungen eine Lösung B 0 R und B x berechnet und zwar ohne Bezug zu einer skizzenhaften
Darstellung.
Die Lösung wurde mit dem Gauss’schen Algorithmus gefunden. Im (Anhang A) wird die-
ses Verfahren ausführlich beschrieben. Die einzelnen Schritte zur Bestimmung von B 0 und
B x werden im folgenden zusammengefasst dargestellt:
Ist das betragsgrösste Element kleiner als die Fehlerschranke ε , so hat man eine linear
abhängige Spalte gefunden und die zugehörige Stabendkraft wird als statisch Unbestimm-
te gewählt. Die Wahl einer statisch Unbestimmten erfolgt durch Ersetzen einer Nullzeile
durch eine Einheitszeile (der Spaltennummer entsprechende Zeile der Einheitsmatrix I m ).
9.3. AUTOMATISCHE WAHL D. STATISCH UNBESTIMMTEN 179
Im Verlauf der Zerlegung werden die ρ Nullzeilen durch Einheitszeilen ersetzt. Damit
werden genau ρ statisch Unbestimmte gewählt. Die Zeilenvertauschung merkt man sich
zunächst in einem Vertauschungsvektor. Aus diesem Vertauschungsvektor bildet man die
Permutationsmatrix V (Anhang Elementkatalog), die hier aus formalen Gründen ein-
geführt wird. Die Einheitszeilen, um die aT erweitert wird, werden in einer Matrix Iˆρ×m
zusammengefasst. Die Zerlegung ergibt:
T
a
âT ≡ L U = V T (9.22)
ˆ
I
T
U B x = Iˆ (9.23)
In
L U B0 = V T (9.24)
0
Mit den rechten Seiten von (9.23) und (9.24) werden B 0 und B x durch wiederholtes
Vorwärts-Rückwärtseinsetzen berechnet. Eine Vereinfachung ergibt sich für den Fall, dass
nicht B 0 sondern B 0 R für wenige Lastfälle berechnet werden muss. In diesem Fall wird
(9.24) zu:
R
L U B0 R = V T (9.25)
0
Für die üblichen in der Praxis auftretenden Problemstellungen erhält man mit diesem
Verfahren stabile Lösungen. Nur bei schwach linear abhängigen Zeilen der Gleichgewichts-
matrix können sich Fehler ergeben. Dies ist aber ein Zeichen dafür, dass im Tragwerk mit
kleinen Änderungen der inneren Kräfte relativ grosse Verformungen möglich sind (Abbil-
dung 9.5). Solche Tragwerke kommen einer kinematischen Kette nahe und können nicht
mit den Gleichgewichtsbedingungen am unverformten System berechnet werden.
180 KAPITEL 9. DAS KRAFTGRÖSSENVERFAHREN
aT F = R + R u (9.26)
a r = v + vu. (9.27)
Ru sind Ersatzknotenlasten wie sie in (Abschnitt 7.2) definiert wurden, v u sind linear
unabhängige Vorverformungen, die man aus den Vorverformungen ui (vgl. Abschnitt 7.2)
nach (5.21) berechnet:
v i = ai u i .
Die weitere Berechnung erfolgt nach dem in (Abschnitt 9.1 und ??) beschriebenen Ver-
fahren.
F = B 0 (R + Ru ) + B x X. (9.28)
9.4. ERSATZKNOTENLASTEN UND VORVERFORMUNGEN 181
v = f F.
v = f [B 0 (R + Ru ) + B x X] . (9.29)
a r = f [B 0 (R + Ru ) + B x X] + v u . (9.30)
Die Ableitung der Bestimmungsgleichungen für X und r erfolgt mit dem Prinzip der
virtuellen Arbeiten. Im wesentlichen ist dies gleichwertig mit einer Multiplikation der
Gleichung (9.30) mit B Tx von links:
B Tx a r = B Tx f [B 0 (R + Ru ) + B x X] + B Tx v u .
(B Tx f B x )X = −B Tx f B 0 (R + Ru ) − B Tx v u . (9.31)
Analog ergibt sich die Bestimmungsgleichung für r aus einer Multiplikation mit B T0 von
links:
r = B T0 f [B 0 (R + Ru ) + B x X] + B T0 v u . (9.32)
Die weitere Berechnung erfolgt nach dem in (Abschnitt 7.2) dargestellten Verfahren.
Eine wesentliche Vereinfachung ergibt sich bei der Berechnung der Stabkräfte für R+Ru =
0. Dies tritt z.B. in einem Stabwerk auf, das unter Temperaturbelastung, für Stützsenkung
oder Vorspannung zu berechnen ist. Gleichung (9.31) vereinfacht sich wie folgt:
(B Tx f B x )X = −B Tx v u (9.33)
F = B x X. (9.34)
Die Grundlagen zur Berechnung von Einflusslinien sind in (Kapitel 8) ausführlich darge-
stellt. Wir beschränken uns deshalb hier auf die wesentlichen Merkmale der Berechnung
nach dem Kraftgrössenverfahren.
Satz 9.6 Die Berechnung von Einflusslinien nach dem Kraftgrössenverfahren erfolgt auf
der Grundlage des Superpositionsprinzips durch Überlagerung der Einflusslinien des sta-
tisch bestimmten Hauptsystems und der Einflusslinien für die statisch Unbestimmten.
Dies ergibt sich unmittelbar aus Satz 8.5 in der Anwendung auf (9.1)
F = B0 R + Bx X
r = B T0 f (B 0 R + B x X).
(2) Wahl der statisch Unbestimmten und Berechnung von B 0 und B x durch Ergänzung
der Matrix aT durch Einheitszeilen zu ãT und Inversion von ãT .
Entweder durch
A = B Tx f B x und b = −B Tx f B 0 R.
A symmetrisch.
A X = b (Cholesky-Verfahren)
F = B0 R + Bx X
S = diag{(ai )T } F
S i = T i F i.
r = B T0 f F .
Die Berechnung nach dem Kraftgrössenverfahren wird anhand von zwei einfachen Bei-
spielen dargestellt. Im ersten Beispiel wird die Berechnung der statisch Unbestimmten
mit dem Gauss’schen Algorithmus schrittweise erläutert. Im zweiten Beispiel wird die
systematische Berechnung des Rahmens von Beispiel 6.2 mit dem Kraftgrössenverfahren
dargestellt.
Beispiel 9.2
Berechnung eines zweifach statisch unbestimmten Fachwerks (Abbildung 9.6) mit auto-
matischer Wahl der statisch Unbestimmten.
Gleichgewichtsmatrix:
←Element
1 2 3 4 5 6
0 −1 0 0 0 −c o
1
T
−1 0 0 0 0 −c
a =
0 o
1 0 0 c c
2
0 0 −1 0 −c 0 ↑
Knoten
9.7. BEISP. ZUR BERECHN. N. D. KRAFTGRÖSSENVERF. 185
âT = L U .
Das Fachwerk ist zweifach statisch unbestimmt, deshalb wird die Gleichgewichtsmatrix
aT um zwei Nullzeilen erweitert. Gleichzeitig legen wir, wie in (Anhang A) beschrieben,
einen Vertauschungsvektor an:
1
0 −1 0 0 0 −c
−1 0
2
0 0 −c
0
T 0
3 (Vertauschungs-
(â ) =
0 1 0 0 c c .
4 verktor)
0 0 −1 0 −c 0
5
0
6
1. Schritt:
1
Die Pivotregel âT 11 = max |(âT )0i1 | mit i = 1, . . . , 4 ergibt einen Zeilentausch von 1.
und 2. Zeile:
2
−1 0 0 0 0 −c
1
0 −1 0 0 0 −c
3
(âT )1 =
0 1 0 0 c c .
4
0 0 −1 0 −c 0
5
0
6
Die Zerlegung der ersten Spalte und der Restmatrix von (âT )1 ergibt keine Veränderung.
2. Schritt:
Die Anwendung der Pivotregel in der zweiten Spalte ergibt keinen Zeilentausch. Die Zer-
legung der zweiten Spalte und der Restmatrix von (âT )1 ergibt:
2
−1 0 0 0 0 −c
0 −1 0
1
0 0 −c
T 2
3
(â ) =
0 −1 0 0 c −c .
4
0 0 −1 0 −c 0
5
0
6
186 KAPITEL 9. DAS KRAFTGRÖSSENVERFAHREN
3. Schritt:
Die Pivotregel ergibt einen Zeilentausch von 3. und 4. Zeile. Die Zerlegung der dritten
Spalte und der Restmatrix von (âT )2 ergibt keine Veränderung.
2
−1 0 0 0 0 −c
0 −1 0 0 0 −c 1
4
(âT )3 =
0 0 −1 0 −c 0 .
3
0 −1 0 0 c −c
5
0
6
4. Schritt: Die Pivotregel ergibt kein Pivotelement grösser Null. Die fünfte Zeile von (âT )3
wird als vierte Zeile der [6x6]-Einheitsmatrix angenommen. Die 4. Zeile wird mit der 5.
Zeile vertauscht. Die Zerlegung der vierten Spalte und der Restmatrix von (âT )3 ergibt
keine Veränderung:
−1 0 0 0 0 −c 2
0
−1 0 −c
0
0 1
0 0 −1 0 −c 0 4
(âT )4 = .
1
5
0
−1 0 0 c −c
3
0 6
5. Schritt: Die Pivotregel ergibt keinen Zeilentausch. Die Zerlegung der Restmatrix von
(âT )4 ergibt keine Veränderung:
(âT )5 = (âT )4 .
9.7. BEISP. ZUR BERECHN. N. D. KRAFTGRÖSSENVERF. 187
6. Schritt:
Die Pivotregel ergibt kein Pivotelement grösser Null. Die sechste Zeile von (âT )5 wird als
sechste Zeile der [6x6]-Einheitsmatrix angenommen. Die Zerlegung ist damit beendet. Als
statisch Unbestimmte wurden F4 und F6 gewählt.
−1 0 0 0 0 −c 2
0
−1 0−c 0
0 1
T
0 0 −1 0 −c 0 4
â = .
1
5
0
−1 0 0 c −c
3
1 6
1 −1 0 0 0 0 −c
0 1
0
−1 0 0 −c
0
0 0 1 −1 0 −c 0
L= U =
1
1
0 −1 0 0 1 0 c −c
1 1
0 1 0 0 0 0
1 0 0 0 0 0
0 0 0 0 1 0 0 0 0 1 0 0
V = Iˆ =
0 0 1 0 0 0
0 0 0 0 0 1
0 0 0 1 0 0
0 0 0 0 0 1
Mit L, U und können B 0 und B x bestimmt werden. Die rechte Seite von Gleichung (9.23)
ergibt:
0 0
0 0
T
0 0
ˆ
I =
1 0
0 0
0 1
188 KAPITEL 9. DAS KRAFTGRÖSSENVERFAHREN
RT = [1 0 0 0] P
1 0 0
B Tx f B x = √ und B Tx f B 0 R = P.
0 1, 5 + 2 2 2c + 1
0 0
X= √ P ≡ P.
(2c + 1)/(6 + 2 2) 0, 789
Beispiel 9.4:
Der in den Beispielen 6.2 bis 6.4 mit verschiedenen Varianten des Weggrössenverfahrens
berechnete Rahmen (Abbildung 9.7 (a)) wird im folgenden nach dem Kraftgrössenver-
fahren berechnet. Aus dem Elementkatalog (Anhang A) wird das Stabelement Typ-a für
die Elemente
1 bis
5 gewählt. Die Besetzung der Gleichgewichtsmatrix wird in Beispiel
6.2 beschrieben. Es ergibt sich:
Knoten
↓
0 1 0
1
0 1 0 2
−1 −0, 8 −0.12
0 0, 25 0, 25 0 0 0, 12
−1
0 0 0 −0, 125 −0, 125 0, 6 −0, 16 −0, 16 3
0 0 1 0 1 0 0 1 0
aT =
0 0, 25 0, 25 1 0 0 0, 8 −0.12 −0,412
−1 0 0 0 0, 125 0, 125 0, 6 0, 16 0, 16
0 0 1 0 0 1 0 1 0
0, 8 0.12 0, 12 −0, 8 0.12 0, 12
5
−0, 6 0, 16 0, 16 −0, 6 −0, 16 −0, 16
0 0 1 0 0 1
Element→
1
2
3
4
5
190 KAPITEL 9. DAS KRAFTGRÖSSENVERFAHREN
Für die Lösung des Gleichungssystems verwenden wir SMIS [37]. Die Eingabe ist im
folgenden zusammengestellt:
LOAD F1 = AT N1 = 11 N2 = 15
.. Es folgen zeilenweise die Elemente der Gleichge-
.
wichtsmatrix aT .
9.7. BEISP. ZUR BERECHN. N. D. KRAFTGRÖSSENVERF. 191
LOAD F1 = KF N1 = 15 N2 = 15
..
.
Es folgen zeilenweise die Elemente der Flexibilitätsmatrix f .
LOAD F1 = R N1 = 11 N2 = 1
..
.
Es folgen die Elemente des Lastvektors R.
PSINV F1 = AT F2 = A F3 = B0 F4 = BX
PRINT F1 = A.
Die Matrix aT wird zerlegt: B 0 und B x werden berechnet. Die Nummern der zu den
statisch Unbestimmten gehörenden Komponenten von F werden ausgegeben2 :
A = [11 6 14 15] .
In Abbildung 9.7 (b) ist das zugehörige statisch bestimmte Hauptsystem dargestellt.
TRMULT F1 = BX F2 = KF F3 = BXTF
Das Matrizenprodukt B Tx f wird gebildet.
MULT F1 = BXTF F2 = BX F3 = BXTFBX
SCALE F1 = BXTFBX S1 = -1.0
Das Matrizenprodukt −B Tx f B x wird gebildet.
MULT F1 = B0 F2 = R F3 = BOR
MUTL F1 = BXTF F2 = BOR F3 = BXFBOR
Das Matrizenprodukt B Tx f B x R wird gebildet.
SOLVE F1 = BXTFBX F2 = BXFBOR
PRINT F1 = BXFBOR
Das Gleichungssystem −B Tx f B x X = B Tx f B 0 R wird gelöst, und die statisch Unbe-
stimmten X werden ausgegeben:
MULT F1 = BX F2 = BXFBOR F3 = F
ADD F1 = F F2 = BOR
PRINT F1 = F
Die linear unabhängigen Stabendkräfte werden berechnet (F = B x X + B 0 R ) und
2
Mit PSINV wird in SMIS die Halbinverse einer zeilenregulären Rechteckmatrix nach dem Verfahren
von Gauss-Jordan (Zeilenpivotsuche und Spaltentausch) berechnet.
192 KAPITEL 9. DAS KRAFTGRÖSSENVERFAHREN
ausgegeben:
−1, 250 N1
0 −M11
6, 202 M13
−2, 750 N2
0
−M22
5, 798
M24
0, 266
N3
F =
=
−2, 989 −M33
Dimension [kN, kNm]
−3, 124
M34
−0, 581
N4
−2, 212
−M43
0, 123
M45
−2, 564
N5
−2, 674 −M54
−0, 123 M55
9.7. BEISP. ZUR BERECHN. N. D. KRAFTGRÖSSENVERF. 193
MULT F1 = KF F2 = F F3 = V
TRMULT F1 = B0 F2 = V F3 = KR
PRINT F1 = KR
Die Elementverformungen v = f F und die Knotenverformungen r = B T0 f F werden
berechnet, und die Knotenverformungen werden ausgegeben:
−3, 243
−3, 189
9, 662
0, 005
−0, 762
−3
r = 10 9, 665
Dimension [Rad, m]
0, 011
−0.870
9, 672
0, 023
0, 406
Es ergeben sich die gleichen Stabendkräfte und Knotenverformungen wie in Beispiel 6.2.
Mit den Stabendkräften können die Zustandslinien ermittelt werden. Es wird an dieser
Stelle darauf verzichtet, die Zustandslinien darzustellen. In den Abbildungen 6.3 und 6.4
findet man die graphische Darstellung.
194 KAPITEL 9. DAS KRAFTGRÖSSENVERFAHREN
Aufgaben:
Alle Stäbe:
A = 30 · 102 mm2
I = 1940 · 104 mm4
Für die Berechnung sind die statisch Unbestimmten “von Hand zu wählen.
”
9.2 Für den Rahmen (Aufgabe 9.1) ist dieselbe Berechnung für ein Momentengelenk in
A durchzuführen.
9.3 Für das im folgenden dargestellte räumliche Stabsystem aus Fachwerkelementen sind
die Schnittgrössen zu berechnen. Hierbei ist das statisch bestimmte Hauptsystem
aus den Gleichgewichtsbedingungen zu berechnen.
Lasten: horizontal 2 kN
Ansicht
vertikal 10 kN
196 KAPITEL 9. DAS KRAFTGRÖSSENVERFAHREN
9.4 Wie gross sind die zusätzlichen inneren Kräfte, wenn in dem Fachwerkturm der
Abstand der Lager AB um 100 mm durch eine Zwangsverformung der Lager verkürzt
wird?
9.5 Wie groß muss in dem dargestellten Fachwerk die Stabkraft F4 gewählt werden,
wenn sich ∆l4 zu 0, 1l4 ergeben soll?
Querschnittswerte:
Alle Stäbe mit gleicher
Querschnittsfläche A
9.6 Wir groß muss in dem unterspannten Träger die Stabkraft F B gewählt werden,
damit sich eine Durchbiegung δ = 0, 1m einstellt?
Stabelemente:
I = 3 · 10−4 m4
A = 10−2 m2
Fachwerkelemente:
A = 0, 1 · 10−1 m2
Kapitel 10
Das Verfahren der Übertragungsmatrizen wurde für die Berechnung beliebig gelagerter
ebener oder räumlicher Durchlaufträger entwickelt [18]. Man bezeichnet dieses Verfahren
auch als Übertragungs- oder Reduktionsverfahren.
Eine wesentliche Voraussetzung ist, dass an keinem Knoten des Stabtragwerkes mehr als
zwei Elemente anschliessen (Abbildung 10.1).
Wir wollen uns im folgenden auf ebene Systeme beschränken. Eine weitergehende Dar-
stellung des Übertragungsverfahrens findet man bei Kersten [35].
Übertragungsmatrizen für gekrümmte und für gerade und gekrümmte, elastisch gebettete
Stabelemente findet man bei Petersen ([61], [62], [63]).
Bei jedem ebenen Stabelement können pro Elementende (Knoten) sechs Zustandsgrössen
definiert werden. Es sind dies die drei Kraftgrössen:
• Normalkraft (N ),
• Biegemoment (M ),
197
198 KAPITEL 10. DAS VERF. D. ÜBERTRAGUNGSMATRIZEN
• Stabendverdrehung ( φ ).
Durch die spezielle Form der Stabtragwerke kann stets ein Anfangs- und ein Endkno-
ten festgelegt werden. An einem solchen Anfangs- oder Endknoten sind stets drei der
Zustandsgrössen bekannt und drei unbekannt. Welche der Zustandsgrössen bekannt und
welche unbekannt sind, hängt von den Randbedingungen des Anfangs- bzw. des End-
knotens ab. In Abbildung 10.2 sind Beispiele für die Ausführung von Anfangsknoten
zusammengestellt; für Endknoten gelten analoge Beziehungen.
Betrachtet man ein einzelnes Element eines Stabwerkes, so können alle Zustandsgrössen
des rechten Knotens durch die Zustandsgrössen des linken Knotens (und umgekehrt) aus-
gedrückt werden; hierbei werden die Kraftgrössen mit den Gleichgewichtsbedingungen
und die Verformungsgrössen mit den kinematischen Verträglichkeitsbedingungen und den
Flexibilitätsbeziehungen ermittelt. Ebenso können an einem Knoten die Zustandsgrössen
rechts vom Knoten durch die Zustandsgrössen links vom Knoten ausgedrückt werden.
Benutzt man diese Eigenschaften, so kann man für einen beliebig belasteten Durchlauf-
träger ohne Gelenke und ohne starre Lager zwischen Anfangs- und Endknoten das Übert-
10.1. DER GRUNDGEDANKE DES ÜBERTRAGUNGSVERF. 199
Das zu lösende Gleichungssystem hat die Dimension [6 × 6] mit jeweils drei unbekannten
Zustandsgrössen des Anfangs- und Endknotens.
In einem zweiten Berechnungsgang werden die Zustandsgrössen der Elemente aus den
sechs bekannten Zustandsgrössen des Anfangsknotens wiederum sukzessive berechnet. Im
Gegensatz zum Weggrössen- und Kraftgrössenverfahren (6 und 9) ist die Dimension der
zu lösenden Gleichungssysteme von der Anzahl der Knoten und Elemente unabhängig.
Sind bei einem Durchlaufträger zwischen Anfangs- und Endknoten Gelenke oder starre
Lager angeordnet, so ergeben sich zusätzlich unbekannte Verformungs- bzw. Kraftgrössen
und zusätzliche Bestimmungsgleichungen infolge von Kraft- bzw. Verformungsbedingun-
gen (Abbildung 10.3). Die zusätzlichen unbekannten Zustandsgrössen werden im folgenden
als Sprunggrössen bezeichnet.
200 KAPITEL 10. DAS VERF. D. ÜBERTRAGUNGSMATRIZEN
l r
S i = Gi S i . (10.1)
10.2. ZUSTANDSVEKTOREN U. ÜBERTRAGUNGSMATRIZEN 201
G wird als Kraftübertragungsmatrix bezeichnet und ist wegen ihrer Eindeutigkeit regulär.
Die Stabendverformungen des linken Knotens werden ebenfalls zum rechten Knoten übert-
l r
ragen. Mit dem Prinzip der virtuellen Arbeiten gilt für virtuelle Kräfte S und S in
Richtung von uli und uri :
r l r
(Ŝ i )T uri + (Ŝ i )T uli = (Ŝ i )T uei . (10.2)
Dabei stellt die linke Seite der Gleichung die äussere und die rechte Seite die innere Arbeit
dar. Die inneren elastischen Verformungen werden mit uei bezeichnet; sie werden am linken
Knoten definiert. Setzt man für die virtuellen Kräfte Ŝir Gleichung (10.1) ein, so ergibt
sich
l l l
(Ŝ i )T GTi uri + (Ŝ i )T uli = (Ŝ i )T uei .
l
Für beliebige Ŝ i ist
l
uei = f i S i . (10.4)
Für die Übertragung vom linken zum rechten Knoten eines Elementes ergibt sich damit
aus (10.1), (10.3) und (10.4):
uri −(GTi )−1 (GTi )−1 fi uli
= (10.6)
r l
Si 0 Gi Si
202 KAPITEL 10. DAS VERF. D. ÜBERTRAGUNGSMATRIZEN
gilt allgemein
z Ti = Ũ i z li . (10.8)
z ri = Ũ i z li + z̃ 0i (10.9)
mit z̃ 0i als Zuwachs des Zustandsvektors infolge einer Belastung zwischen den Knoten des
Elementes; bei Streckenlasten erhält man z̃ 0i durch Integration:
0
ũi
z̃ 0i = 0 (10.10)
S̃ i
0
ũ0i ergibt den Zuwachs der Stabendverformungen des rechten Knotens und S̃ i den der
Stabendkräfte am rechten Knoten infolge der Belastung. Wir bezeichnen im folgenden z̃ 0i
als Lastvektor des Elementes.
Gleichung (10.9) macht es somit möglich, den Zustandsvektor vom linken Knoten des
Elementes
i zum rechten Knoten des Elementes unter Berücksichtigung von äusseren
Lasten zu übertragen.
Im nächsten Schritt werden die Zustandsgrössen vom rechten Knoten (Stabende) des
Elementes
i (z ri ) zum linken Knoten (Stabende) des Elementes
i+1 (z
l
i+1 ) übertragen.
z li+1 = U k z ri . (10.11)
Dabei ist U k die Übertragungsmatrix des Knotens k, die entsprechend der Ausbildung
des Knotens k besetzt ist. Für einen ungelagerten knick- und gelenkfreien Knoten hat U k
die Form
I 0
Uk = (10.12)
0 −I
10.2. ZUSTANDSVEKTOREN U. ÜBERTRAGUNGSMATRIZEN 203
Ist ein Knoten belastet, so denkt man sich die Belastung an einem Stabende eines Ele-
mentes angreifend. Mit berücksichtigt werden also auch Knotenlasten bei der Berechnung
des Lastvektors ẽ0i bzw. ẽ0i+1 .
Ist der Knoten k elastisch gelagert, so ist mit ck als Matrix der Federkonstanten
I 0
Uk = (10.14)
−ck −I
In Abbildung 10.5 wird diese Beziehung für Dreh- und Senkfedern verdeutlicht.
Für einen Knoten k ohne starre Lagerung und ohne Gelenk ergibt die Zusammenfassung
der Gleichungen (10.12) bis (10.14) für die Übertragungsmatrix
Lk 0
Uk = (10.15)
−ck −Lk
Bei starren Lagern und Gelenken ergeben sich zusätzliche unbekannte Kraft- bzw. Ver-
formungsgrössen z̃ k , nämlich Auflagergrössen und gegenseitige Verformungen (Abbildung
204 KAPITEL 10. DAS VERF. D. ÜBERTRAGUNGSMATRIZEN
z li+1 = U k z ri + z̃ k . (10.16)
Es gibt zwei Möglichkeiten, diese Sprunggrössen zu erfassen. Einmal kann man die me-
chanische Bedeutung der zugehörigen Kraft- bzw. Verformungsgrösse ändern und die fol-
gende Berechnung nicht mit der ursprünglichen Zustandsgrösse, sondern mit der Summe
aus Zustands- und Sprunggrösse durchführen. In diesem Fall bliebe die Grösse des zu
lösenden Gleichungssystems erhalten. In einem zweiten Berechnungsgang müssten die
Sprunggrössen ermittelt werden. Eine andere Möglichkeit ist, die mechanische Bedeutung
beizubehalten und den Vektor der unbekannten Zustandsgrössen um die Sprunggrösse zu
erweitern. Diese Methode führt zwar zu einer direkten Erweiterung der Dimension des
Problems, ist bei einer Systematisierung der Berechnung jedoch von Vorteil.
Bei der praktischen Berechnung macht man die Übertragung nicht für jedes Element
und jeden Knoten einzeln, sondern überträgt in einem Schritt vom linken Knoten des
Elementes
i zum linken Knoten des Elementes
i+1 . Die Übertragungen nach Gleichung
z li+1 = U k Ũ i z li + z̃ k + U k z̃ 0i .
Das Produkt der Matrizen U k nach Gleichung (10.15) und Ũ i nach Gleichung (10.7) fassen
wir zu einer neuen Übertragungsmatrix U i zusammen. Die Übertragung von z̃ 0i über den
Knoten k ergibt den neuen Lastvektor z 0i :
−Lk (GTi )−1 Lk (GTi )−1 fi
U k Ũ i ≡ U i = (10.17)
ck (GTi )−1 −ck (GTi )−1 f i + Lk f i )
und z 0i = U k z̃ 0i .
Somit ist
z li+1 = U i z li + z̃ k + z 0i . (10.18)
10.3. DAS VERFAHREN DER ÜBERTRAGUNG 205
Mit Gleichung (10.18) und der Übertragungsmatrix nach Gleichung (10.17) können nun,
wie in (Abschnitt10.1) beschrieben, die Zustandsvektoren in den einzelnen Elementen
in Abhängigkeit von den unbekannten Zustandsgrössen des Anfangsvektors sukzessive
berechnet werden.
Ausgehend vom Zustandsvektor z l1 ergeben sich bei einem Durchlaufträger mit n Elemen-
ten die Zustandsvektoren z 2 bis z ln zu:
z l2 = U 1 z l1 + z̃ 2 + z 01
z l3 = U 2 z l2 + z̃ 3 + z 02 ≡ U 2 U 1 z l1 + U 2 (z̃ 2 + z l1 ) + z̃ 3 + z 02
z l4 = U 3 z l3 + z̃ 4 + z 03
≡ U 3 U 2 U 1 z l1 + U 3 U 2 (z̃ 2 ) + U 3 (z̃ 3 + z 02 ) + z̃ 4 + z 03
..
.
z ln+1 = U n z ln + z̃ n+1 + z 0n (10.19)
1 n j
Y X Y
≡ U i z l1 + ( U i (z̃ j + z 0j−1 )) + z̃ n−1 + z 0n
i=n,−1 j=2 i=n,−1
Der Vektor der Zustandsgrössen des Endpunktes wird mit z ln+1 bezeichnet. Wenn am
Ende des Durchlaufträgers Lagerbedingungen vorhanden sind, können diese im Vektor der
Sprunggrössen z̃ n+1 erfasst werden. Das Ende des Durchlaufträgers ist dann ungelagert
und es gilt:
l
S n+1 = 0.
Eine andere Möglichkeit zur Erfassung der Lagerbedingungen am Ende des Durchlauf-
trägers ist, diese im Zustandsvektor z ln+1 als Unbekannte zu berücksichtigen.
Die Dimension des zu lösenden Gleichungssystems ist gleich der Summe aus Anzahl der
Sprunggrössen und der Dimension von z l1 (im ebenen Fall sechs).
Wie oben erwähnt, sind in einem zweiten Berechnungsgang die Zustandsgrössen in den
einzelnen Elementen durch wiederholte Matrizenmultiplikation zu berechnen.
Aufgaben, wie man sie mit dem Übertragungsverfahren löst, werden als Randwertproble-
me bezeichnet. Das Verfahren wurde ursprünglich für die Berechnung mit Tischrechen-
maschinen entwickelt. Es wird jedoch auch heute noch bei der Berechnung von Durch-
laufträgern in kleineren Rechenanlagen verwendet. Es ist möglich, andere Stabtragwerke
(Abbildung 10.6) mit dem Übertragungsverfahren zu berechnen [35]. In einem solchen
Fall müssen Teile des Tragwerks angefedert werden. Die Berechnung ist jedoch nicht mehr
206 KAPITEL 10. DAS VERF. D. ÜBERTRAGUNGSMATRIZEN
exakt. Ein Problem ist die im Vergleich zum Weggrössenverfahren relativ grosse nume-
rische Instabilität, die durch die wiederholte Multiplikation und die damit verbundenen
Rundungsfehler verursacht wird [95]. Das Übertragungsverfahren ist damit beschrieben.
Einen Überblick über die erforderlichen Einzelschritte gibt die folgende Zusammenfassung
der Berechnung nach dem Übertragungsverfahren
(6) Lösung des Gleichungssystems aus (10.19) und den Bedingungsgleichungen für die
Sprunggrössen;
(7) Wiederholung der Produkte von (5) und elementweise Berechnung der Zustands-
grössen.
10.4. ÜBERTRAGUNGSMATRIZEN U. ZUSTANDSVEKTOREN... 207
Für das ebene Stabelement sind die Zustandsgrössen des linken und rechten Stabendes in
Abbildung 10.4 dargestellt. Die Kraftübertragungsmatrix nach Gleichung (10.1) wird aus
den Gleichgewichtsbedingungen bestimmt.
−1 0 0
Gi = 0 −1 0 (10.20)
0 −l −1
Die Flexibilitätsmatrix wird analog zu der des ebenen Stabelementes Typ-b gebildet:
l 6Iy /A 0 0
fi = 0 2l2 3l (10.22)
6EIy
0 3l 6
Damit kann die Übertragungsmatrix U i für das ebene Stabelement entsprechend Glei-
chung (10.17) gebildet werden:
u1 u2 u3 S1 S2 S3
c −s sl −cl/(EA) −sl3 /(6EIy ) −sl2 /(2EIy ) u1
s c −cl −sl/(EA) cl3 /(6EIy ) cl2 /(2EIy ) u2
0 0 1 0 −l2 /(2EIy ) −l/(EIy ) u3
Ui =
−cu 0 0 c + cu l/(EA) −s 0 S1
0 −cw cw l s c − cw l3 /(6EIy ) −cw l2 (2EIy ) S 2
0 0 −cϕ 0 l + cϕ l2 /(2EIy ) 1 + cϕ l/(EIy ) S 3
(c = cos α, s = sin α)
(10.25)
Für den ebenen Durchlaufträger ohne Knicke vereinfacht sich unter Vernachlässigung der
Normalkraftverformungen die Übertragungsmatrix. In diesem Fall ist
und die zur Normalkraftverformung u1 und zur Normalkraft S 1 gehörigen Zeilen und
Spalten in U i können gestrichen werden.
In der Herleitung des Lastvektors z wird entsprechend Gleichung (10.9) zuerst der Last-
vektor z 0i berechnet, der den Einfluss der Belastung auf das rechte Stabende des Elementes
i berücksichtigt. Anschliessend berechnen wir den Lastvektor z 0i nach Gleichung (10.17).
10.4. ÜBERTRAGUNGSMATRIZEN U. ZUSTANDSVEKTOREN... 209
Für den Lastfall einer linear veränderlichen Streckenlast (Abbildung 10.7 (a)) ist der
Lastvektor
0 0
l4 (pr + 4pl )/(120EI ) a1
y
l3 (pr + 3pl )/(24EI ) a2
y
z̃ 0i = ≡ (10.27)
0
0
−(pr + pl )l/2
a3
−(pr + 2pl )l2 /6 a4
Mit den berechneten Hilfswerten a1 bis a4 wird z 0i mit U k nach Gleichung (10.15) berech-
net:
−a1 sin α
a1 cos α
a2
z 0i = (10.28)
a3 sin α
−cw a1 − a3 cos α
−cϕ a2 − a4
Für den ebenen Durchlaufträger ohne Knicke wird z 0i unter Vernachlässigung der Nor-
malkraftverformungen zu:
l4 (pr + 4pl )/(102EIy )
0
−l3 (pr + 3pl )/(24EIy )
zi = . (10.29)
−cw l4 (pr + 4pl )/(120EIy ) + (pr + pl )/2
cϕ l3 (pr + 3pl )/(24EIy ) + (2pl + pr )l2 /6
0 0
P b3 /(6EI ) a1
y
−P b2 /(2EI ) a2
y
z̃ 0i = ≡ (10.30)
0
0
−P
a3
−P b a4
Gleichung (10.28) ergibt den Lastvektor z 0i . Für den ebenen Durchlaufträger ohne Knicke
wird z 0i unter Vernachlässigung der Normalkraftverformungen zu:
P b3 /(6EIy )
0
−P b2 /(2EIy )
zi = . (10.31)
−cw P b3 /(6EIy ) + P
cϕ P b2 /(2EIy ) + P b
Dies sind die häufigsten Lastfälle. Die Lastvektoren für andere Lastfälle können mit den
Gleichgewichtsbedingungen und dem Prinzip der virtuellen Arbeiten berechnet werden.
An einem elastisch gelagerten und einem starr gelagerten Durchlaufträger wird nun das
Übertragungsverfahren erläutert.
Beispiel 10.1
Der in Abbildung 10.8 abgebildete elastisch gelagerte Durchlaufträger wird unter Ver-
nachlässigung von Normalkraftverformungen mit dem Übertragungsverfahren berechnet.
10.4. ÜBERTRAGUNGSMATRIZEN U. ZUSTANDSVEKTOREN... 211
Da weder Gelenke noch starre Lager im Tragwerk vorhanden sind, gibt es keine Sprung-
grössen.
Die Zustandsvektoren des Anfangs- und Endknotens sind entsprechend den Randbedin-
gungen:
u12 u42
u1 u4
3 3
z l1 = und z l4 = .
−20u1 0
2
−10u13 0
212 KAPITEL 10. DAS VERF. D. ÜBERTRAGUNGSMATRIZEN
Die Übertragungsmatrizen der Elemente
1 bis
3 und die Lastvektoren z 01 und z 03 werden
mit Hilfe der Gleichungen (10.26), (10.29) und (10.31) besetzt:
1 −1 0, 01 0, 03 1 −1 0, 0025 0, 0075
0 1 −0, 03 −0, 06 0 1 −0, 0075 −0, 0150
U1 = U =
1
−100 100 0 −3 0 0 1 0
0 0 1 1 0 0 1 1
1 −1 0, 0025 0, 0075 0, 005 0, 01
0 1 −0, 0075 −0, 0150 −0, 015 −0, 04
U3 = z 01 = z 03 = .
−50 50 0, 8750 −0, 3750
0 15, 50
0 −50 1, 3750 1, 7500 0, 500 10
Mit SMIS kann man die Matrizenprodukte und die Matrizensummen durchführen. Die
Eingabe ist im folgenden zusammengestellt:
LOAD F1 = U1 N1 = 4 N2 = 4
..
.
Es folgen zeilenweise die Elemente der Matrix U 1
LOAD F1 = U2 N1 = 4 N2 = 4
..
.
Es folgen zeilenweise die Elemente der Matrix U 2
LOAD F1 = U3 N1 = 4 N2 = 4
..
.
Es folgen zeilenweise die Elemente der Matrix U 3
LOAD F1 = Z10 N1 = 4 N2 = 1
..
.
PRINT F1 = U321
PRINT F1 = Z0
Mit der Übertragungsmatrix des Gesamtsystems U321 und dem Lastvektor Z0 des Ge-
samttragwerkes wird das zu lösende Gleichungssystem aufgestellt:
U 3 U 2 U 1 z l1 + U 3 U 2 z 01 + z 03 + z l4 oder
−1 −1 0, 1 0, 12 u12 0, 05 0, 01 u42
3 −2 −0, 06 0 u13 −0, 03 −0, 04
u43
+ + =
−50 150
−5 −9
−20u12
−2, 50 15, 5
0
1
−350 300 4 −5 −10u3 2 10 0
Mit den beiden letzten Zeilen des Gleichungssystems werden die unbekannten Anfangs-
verformungen bestimmt. Aus
ergibt sich:
Die Zustandsgrössen z l4 , d.h. die Zustandsgrössen rechts des Knotens 4 werden ausgege-
ben. Es ergibt sich zusammengefasst:
0, 0606 0, 1624 0, 2143
−0, 1054 −0, 0851 −0, 0255
z l2 = z l3 = z l4 =
−5, 2833 −5, 2833 0
1, 2896 −3, 9938 0
Dimension [kN, kNm, m]
In Abbildung 10.9 sind die Biegelinie und die Querkraft- und Momentenzustandslinie
graphisch dargestellt. Die Auflagerreaktionen am Knoten 4 werden entweder über das
äussere Gleichgewicht oder aus den Federbedingungen V4 = c4w u42 und M4 = c4ϕ u43 ermittelt.
Es ergibt sich V4 = −10, 7167 kN und M4 = 1, 2771 kNm. Bei der Querkraftlinie ist die
Einzellast im Knoten 1 zu berücksichtigen.
Wie schon erwähnt, ist das Übertragungsverfahren ursprünglich für die systematische
Berechnung mit Tischrechenmaschinen entwickelt worden. Falk [18] schlägt dazu ein spe-
zielles Verfahren für die Matrizenmultiplikation vor, das im A erläutert wird.
Das Beispiel wird mit den oben angegebenen Übertragungsmatrizen nach dem Falk’schen
Schema berechnet (siehe Seite 22). Als Ergebnis erhält man das folgende Gleichungssys-
tem:
Aus den Gleichungen (iv) und (v) können die unbekannten Anfangsverformungen u12 und
u13 berechnet werden:
Im zweiten Berechnungsgang benutzt man das Falk’sche Schema des ersten Berechnungs-
ganges, führt jedoch die nun möglichen Multiplikationen mit u12 und u13 durch. Es ergibt
sich z l1 bis z l4 (siehe Seite 22).
216 KAPITEL 10. DAS VERF. D. ÜBERTRAGUNGSMATRIZEN
10.4. ÜBERTRAGUNGSMATRIZEN U. ZUSTANDSVEKTOREN... 217
Beispiel 10.2:
Der in Abbildung 10.10 abgebildete Zweifeldträger wird nach dem Übertragungsverfah-
ren unter Vernachlässigung der Normalkraftverformungen berechnet. Der Einfluss von
Sprunggrössen (hier Auflagerreaktionen) wird speziell erläutert.
Zur Vereinfachung wird EIyc = 1 gesetzt. Damit werden EIyc -fach Verformungen berechnet.
Wir berücksichtigen das Auflager am Knoten 4 im Endvektor z l4 . Die Zustandsvektoren
des Anfangs- und Endknotens sind:
u12 0
u1 u4
2 3
z l1 = z l4 =
0 S4
2
0 0
Zu den unbekannten Zustandsgrössen u12 , u13 , u43 und S 42 kommen bei starr gelagerten
Durchlaufträgern die Lagerreaktionen im Innern als unbekannte Sprunggrössen hinzu,
hier die Lagerreaktionen A und B (Abbildung 10.10). Gleichzeitig gibt es für jede Lager-
reaktion eine zusätzliche Bestimmungsgleichung. Hier sind dies die Bedingungen
Die Zustandsvektoren der Sprunggrössen z̃ 2 und z̃ 3 sind entsprechend der Lagerung be-
setzt:
0 0
0 0
z̃ 2 = A z̃ 3 = B
1 1
0 0
218 KAPITEL 10. DAS VERF. D. ÜBERTRAGUNGSMATRIZEN
Mit SMIS können die erforderlichen Matrizenprodukte ausgeführt werden. Die Befehle
sind analog zu denen von Beispiel 10.1.
U 3 U 2 U 1 z l1 + U 3 U 2 z̃ 2 + U 3 z̃ 3 + U 3 U 2 z 01 + z 03 = z l4 .
Das Beispiel wird hier mit den oben angegebenen Übertragungsmatrizen nach dem
Falk’schen Schema berechnet (siehe Seite 26). Als Ergebnis erhält man das folgende Glei-
chungssystem:
Aufgaben:
10.1 Für die abgebildeten Durchlaufträger bestimme man die Zustandsgrössen nach dem
Übertragungsverfahren.
10.2 Man überlege sich anhand von (Kapitel 8) den Berechnungsgang für die Ermittlung
von Einflusslinien nach dem Übertragungsverfahren. Man berechne die Einflusslinie
für die Verdrehung und für das Moment am Knoten 2 bei Aufgabe 10.1 (a).
Kapitel 11
In der “Vor-PC-Zeit” hatten die iterativen Verfahren von Cross [13] und Kani [33] für
die Berechnung ebener Stabwerke grosse Bedeutung. Diese Verfahren lösen die Grund-
gleichung des Weggrössenverfahrens iterativ.
Es gibt eine Reihe von iterativen Verfahren zur Lösung linearer Gleichungssysteme. Eines
der bekanntesten ist das Verfahren von Gauss-Seidel ([95], Seite 338).
Die Steifigkeitsmatrix nach dem Drehwinkelverfahren (Abschnitt 6.4) hat bei unverschieb-
lichen Systemen diese Eigenschaften.
K r = R.
222
11.2. DAS VERFAHREN VON KANI 223
Die Steifigkeitsmatrix K n×n ist positiv definit, d.h. für die Hauptdiagonalelemente gilt:
Kii > 0.
Die Iterationsschritte kennzeichnen wir durch den Zeiger ν. Am Anfang der Iteration ist
ν = 0 und rν ein geschätzter Startvektor (z.B. der Nullvektor).
n
!
1 X
riν+1 = Ri − Kij r̃jν (11.1)
Kii j=1
ν+1
rj j<i
mit r̃jν = 0 für j=i .
rν
j>i
j
Das Iterationsende ist erreicht, wenn die Norm (Anhang A) des Differenzvektors zweier
aufeinanderfolgender Iterationsschritte kleiner ist als eine vorgegebene Fehlerschranke ε:
Man bezeichnet die Interation nach (11.1) als Einzelschrittverfahren da die einzelnen
neuberechneten Komponenten riν+1 (i = 1, 2, . . . , j) bei der Berechnung der folgenden
ν+1
Komponente rj+1 verwendet werden.
Das Verfahren von G. Kani [33] ist eines der bekanntesten Iterationsverfahren für die
Berechnung von Stabtragwerken mit überwiegender Biegebeanspruchung. Es wird auch
als Momentenausgleichsverfahren bezeichnet.
Wir beschränken uns im folgenden auf die Darstellung für ebene, unverschiebliche Stab-
tragwerke und verweisen bezüglich der Erweiterungen auf verschiebliche Stabtragwerke
auf die umfangreiche Literatur (z.B. Hirschfeld [28]).
Die Grundlage der iterativen Berechnung nach Kani ist das Gauss-Seidel’sche Iterati-
onsverfahren. Die Iteration wird in Form eines Momentenausgleichs an den Knoten des
Stabtragwerkes durchgeführt. Dieser Ausgleich erfolgt üblicherweise anhand einer Sys-
temskizze mit Eintragung der Momente.
224 KAPITEL 11. ITERATIVE VERFAHREN/LINEARE STATIK
Für die Ableitung des Iterationsverfahrens sind einige grundsätzliche Erklärungen erfor-
derlich: Entgegen der Vorzeichenfestlegung, wie sie bei dem Verfahren von Kani gebräuch-
lich ist, behalten wir hier die Vorzeichenregeln des Weggrössenverfahrens bei (Abbildung
11.1):
Die Stabelemente, aus welchen sich ein verschiebliches, ebenes Stabtragwerk zusammen-
setzt, sind in Abbildung 11.1 dargestellt. Es können nur Stabelemente ohne Gelenk an
den beiden Stabenden (a) oder solche mit einem Gelenk an einem der beiden Stabenden
(b) auftreten.
Für ein Element mit einem Gelenk im Knoten r, also mit dem Stabendmoment Mr = 0,
ergibt sich aus (11.3):
1 3EIy
ϕr = − ϕl , Ml = ϕl (11.4)
2 l
Damit sind die Elementsteifigkeiten der Stabelemente (a) und (b) bekannt.
Wir betrachten nun das Stabelement als Teil des Gesamttragwerkes und stellen die Ver-
träglichkeit von Element- und Knotenverdrehungen dar.
In Knotenpunkten, in welchen alle Stäbe gelenkig angeschlossen sind, kann keine Kno-
tenverdrehung auftreten. In Knotenpunkten mit starrer Einspannung ist der Knotendreh-
winkel Null.
11.2. DAS VERFAHREN VON KANI 225
In allen übrigen Knotenpunkten tritt ein Knotendrehwinkel auf: Er ist positiv im Uhrzei-
gergegensinn und wird mit θi bezeichnet, wobei i die Knotennummer ist (Abbildung 11.2).
Zwischen den Stabendverdrehungen und den Knotenverdrehungen besteht die folgende
Verträglichkeitsbedingung:
In einem Knoten mit biegesteif angeschlossenen Stäben sind die Stabenddrehwinkel der
biegesteif angeschlossenen Stäbe gleich dem Knotendrehwinkel.
Damit können die Steifigkeitsbeziehungen (11.3) und (11.4) durch die Knotenverdrehun-
gen ausgedrückt werden. Die Kennzeichnung eines Stabelementes erfolgt hier durch An-
gabe seiner Knotennummern. Wir weichen damit von der bisherigen Regelung, wonach
der obere Zeiger die Elementnummer darstellt, ab.
Der obere Zeiger bezeichnet den abliegenden Knoten (Abbildung 11.3). Die Steifigkeits-
koeffizienten ergeben sich nach (11.3) und (11.4). Man erhält für
biegesteifen Anschluss in i und j:
4EIy
kiij =
l
2EIy
kijj =
l
226 KAPITEL 11. ITERATIVE VERFAHREN/LINEARE STATIK
und für
biegesteifen Anschluss in i und Gelenk in j:
3EIy
kiij =
l
kijj = 0.
Wir fassen nun die Knotennummern aller Knoten mit mindestens zwei biegesteifen Stab-
anschlüssen und unbekanntem Knotendrehwinkel in der Indexmenge Iθ zusammen.
Iθ = (2, 3, 5)
Iθ = (2, 3, 4, 5).
Für jeden Knoten i ∈ Iθ bilden wir eine weitere Indexmenge Ii mit den abliegenden“
”
Knotennummern aller in i biegesteif angeschlossenen Stäbe.
Für den Knoten 2 in Abbildung 11.2, System (a) und (b) ist z.B.
I2 = (1, 3, 5);
11.2. DAS VERFAHREN VON KANI 227
I3 = (2, 4).
Am Knoten i kann das Gleichgewicht für die mit der Indexmenge Ii erfassten Stabelemente
aufgestellt werden.
Die Belastung wird als in den Knotenpunkten konzentriert angenommen. Eine verteilte
Belastung in einem Stab i−j wird (siehe Abschnitt 7.1) über die zugehörigen Stabendmo-
j i
mente MRi und MRj (Tabelle 7.2) für starre Endeinspannungen als Ersatzknotenmomente
erfasst. Mit Ersatzknotenmomenten können auch Temperaturbelastungen und Passunge-
nauigkeiten berücksichtigt werden.
X j
MRi = − MRi . (11.6)
j∈Ii
M i = Mi + MRi . (11.7)
Für einen Knoten i ∈ Iθ muss die Summe der inneren Momente (Stabendmomente) gleich
dem äusseren Moment sein (Gleichgewichtsbedingung):
X
Mij = M i . (11.8)
j∈Ii
228 KAPITEL 11. ITERATIVE VERFAHREN/LINEARE STATIK
X
kiij θi + kijj θj = M i
(11.9)
j∈Ii
für alle i ∈ Iθ .
(11.9) ist eine andere Art, die Grundgleichung des Weggrössenverfahrens darzustellen. Es
werden nur Knotendrehwinkel als Unbekannte betrachtet (r ≡ θ), und es wird nur die
Bildungsvorschrift für die Elemente einer Zeile der Gesamtsteifigkeitsmatrix angegeben.
Wir kommen nun zur Darstellung der iterativen Lösung von (11.9).
X
Kii = kiij . (11.10)
j∈Ii
Kii ist ein Element der Hauptdiagonale der Steifigkeitsmatrix. Es ist die Summe der
Steifigkeitskoeffizienten Kiij aller am Knoten i biegesteif angeschlossenen Stabelemente.
Man erhält damit:
X
Kii θi + kijj θj = M i . (11.11)
j∈Ii
Wir zeigen nun zunächst, wie dieses Gleichungssystem mit dem Verfahren von Gauss-
Seidel gelöst wird und kennzeichnen hierzu die Knotendrehwinkel durch Angabe des Ite-
rationsschrittes ν:
θiν ist der Knotendrehwinkel θi im ν-ten Iterationsschritt. Durch Vergleich mit der Ite-
rationsvorschrift des Gauss-Seidel-Verfahrens erkennt man, dass sich θiν+1 im (ν + 1)-ten
Iterationsschritt berechnen lässt aus:
!
1 X
θiν+1 = Mi − kijj θ̃jν . (11.12)
Kii j∈Ii
Hierbei ist
Bei dem Iterationsverfahren von Kani wird nicht über Knotendrehwinkel θi iteriert; es
werden Momentenanteile als Iterationsvariable eingeführt. Diese Momentenanteile werden
festgelegt durch:
j i
M ij = k ii θi , M ji = k jj θj . (11.13)
230 KAPITEL 11. ITERATIVE VERFAHREN/LINEARE STATIK
Hierbei sind:
2EIy
biegesteif in j
l
j
k ii = 1/2kiij = (11.14)
1, 5EIy Gelenk in j
l
2EI
y
biegesteif in j
i
k jj ≡ kijj = l
0 Gelenk in j
Mij = 2M ij + M ji . (11.15)
j
und multiplizieren (11.1) mit k ii /Kii . Man erhält:
j
!
j k X i
k ii θi = ii Mi − k jj θj .
2K ii j∈Ii
Für das Verfahren von Kani führt man üblicherweise einen Drehungsfaktor für die Ele-
mente ein:
j j
k k
Dij = − ii ≡ − Pii j . (11.16)
2K ii 2 k ii
j∈Ii
Damit erhält man die Interationsgleichung für das Verfahren von Kani:
!
ν+1 X
M ij = Dij −M i + M̃jiν (11.17)
j∈Ii
ν+1 ν+1
mit M̃jiν = M ji wenn M ji bekannt ist und sonst
ν
M̃jiν = M ji .
11.2. DAS VERFAHREN VON KANI 231
Die endgültigen Stabendmomente erhält man aus (11.15): Wenn ein Stab belastet ist, so
ergibt sich das endgültige Stabendmoment als Summe von dem Stabendmoment infolge
Knoten- und Ersatzknotenlasten und dem Stabendmoment infolge Belastung im Element
für homogene Randbedingungen der Verformungen:
j
Mij = 2M ij + M ji + MRi . (11.18)
Mit vertauschten Indizes gilt diese Gleichung bei Stabelementen ohne Gelenk auch für das
Moment Mji . Bei Elementen mit Gelenk am Knoten j ist Mji wegen des Gelenkes Null.
(a) Die Steifigkeit EIy wird durch ein Steifigkeitsverhältnis EIy /(EIyc ) ersetzt.
(b) Die Steifigkeit (EIyc ) wird als Einheit betrachtet und bei der Berechnung der Stei-
figkeiten nach (11.14) nicht berücksichtigt.
(c) Die Steifigkeiten werden in einer Tabelle für jedes Element dargestellt.
(d) Die Drehungsfaktoren werden ebenfalls in einer Tabelle für jedes Element an jedem
Knoten ermittelt. Nach (11.16) muss die Summe aller Drehungsfaktoren an einem
Knoten −0, 5 sein (Kontrolle).
(e) Man fertigt eine Ausgleichsskizze an, in der die Knoten durch Doppelkreise“ mit
”
Knotennummer, Knotenmoment und Drehungsfaktoren dargestellt werden (Abbil-
dung 11.6).
(f) Die Stabendmomente nach (11.18) werden in einer Tabelle elementweise ermittelt.
232 KAPITEL 11. ITERATIVE VERFAHREN/LINEARE STATIK
Die Berechnung eines ebenen unverschieblichen Stabtragwerkes nach dem Verfahren von
Kani ist damit vollständig beschrieben. Einen Überblick über die erforderlichen Einzel-
schritte gibt die folgende
(1) Berechnung der Ersatzknotenmomente für verteilte Belastung nach (Abschnitt 7.1)
und Bildung der Knotenmomente;
(5) Iteration - Momentenausgleich für alle Knoten nach (11.17) in einer gewählten Rei-
henfolge. Die Summe aus abliegenden Momentenanteilen und Knotenmoment des
betrachteten Knotens multipliziert mit den Drehungsfaktoren der einzelnen ange-
schlossenen Elemente ergibt neue Momentenanteile der betreffenden Elemente am
betrachteten Knoten;
(6) Iterationsende: die Änderung der Momentenanteile ist kleiner als eine Fehlerschranke
ε;
11.2. DAS VERFAHREN VON KANI 233
Im folgenden wird das Verfahren von Kani an zwei Beispielen erläutert (Abbildung 11.7
und 11.11).
EIyc = konst.
EA = ∞
Stiele: EIyc /4
unterer Riegel: EIyc
oberer Riegel: EIyc /2
Beispiel 11.1
Bei dem in Abbildung 11.7 dargestellten unverschieblichen Rahmen wird das Belastungs-
umordnungsverfahren angewendet (Abbildung 11.8 (a)). Nach (Abschnitt 7.1) werden die
Ersatzknotenlasten ermittelt (Abbildung 11.8 (b)). Die nur auf Normalkraft beanspruch-
ten Stäbe werden entfernt (Abbildung 11.8 (c)).
Für die Ersatzknotenmomente ergibt sich nach Tabelle 7.2 und (11.6):
Element
j i
Knoten l[m] Iy /Iyc k ii k jj
i j
1 2 3 0, 25 0, 1667 0, 1667
2 3 5 1 0, 4000 0, 4000
2 4 3 0, 25 0, 1667 0, 1667
4 5 5 0, 5 0, 2000 0, 2000
Knoten Element j j
Dij
P
k ii k ii
i i − j
2 2 − 1 0, 1667 −0, 1136 Kontrolle:
P j
2 − 3 0, 4000 0, 7333 −0, 2727 Di = −0, 5
j∈Ii
2 − 4 0, 1667 −0, 1136
4 4 − 2 0, 1667 −0, 2273
0,3667
4 − 5 0, 2000 −0, 2727
11.2. DAS VERFAHREN VON KANI 235
In Abbildung 11.9 ist die Ausgleichsskizze mit den Knotenummern, den negativen Kno-
tenmomenten und den Drehungsfaktoren dargestellt.
Es folgt eine Beschreibung des Momentenausgleichs anhand von Abbildung 11.9. Da die
Knoten 1, 3 und 5 Lagerpunkte sind, erfolgt ein Ausgleich der Momente nur zwischen den
Knoten 2 und 4.
236 KAPITEL 11. ITERATIVE VERFAHREN/LINEARE STATIK
1
M 24 = −0, 1136(2, 0833 + 0) = −0, 2367
Momentenausgleich am Knoten 4:
1
M 42 = −0, 2273(1, 0417 − 0, 2367) = −0, 1830
Momentenausgleich am Knoten 2:
2
M 24 = −0, 1136(2, 0833 − 0, 1830) = −0, 2159
2 3 3 4
In gleicher Weise berechnet man die Momentenanteile M 42 , M 24 , M 42 und M 24 und
trägt sie an den Stellen (4), (5), (6) und (7) ein. Im siebten Schritt (7) ist die Iteration
4 3
abgeschlossen, da M 24 gleich M 24 ist.
In einem achten Schritt (8) werden die nicht zu verteilenden Momentenanteile in den
Elementen 1 − 2, 2 − 3 und 4 − 5 berechnet:
Element
j
Knoten M ij M ji MRi i
MRj Mij Mji
i j
1 2 0 −0, 2153 0 0 −0, 2153 −0, 4306
2 3 −0, 5169 0 2, 0833 −2, 0833 1, 0495 −2, 6002
2 4 −0, 2153 −0, 1878 0 0 −0, 6184 −0, 5909
4 5 −0, 2254 0 1, 0417 −1, 0417 0, 5909 −1, 2671
Für die Darstellung der Zustandslinie müssen die Stabendmomente am linken Stabende
mit umgekehrten Vorzeichen aufgetragen werden. Abbildung 11.10 zeigt die Zustandslinie
des Momentes für das zum Gesamtsystem ergänzte Tragwerk.
Beispiel 11.2:
Für den in Abbildung 11.11 dargestellten unverschieblichen Rahmen wird die Momenten-
linie nach dem Verfahren von Kani ermittelt.
Für die Ersatzknotenmomente ergibt sich nach Tabelle 7.2 und (11.6):
MR4 3 = ql2 /12 = 5, 3333 kNm; MR3 4 = −MR4 3 ;
MR6 5 = P l/8 = 5, 0000 kNm; MR5 6 = −MR6 5 ;
Element
j i
Knoten l [m] Iy /Iyc k ii k jj
i j
1 3 3, 000 1 0, 6667 0, 6667
3 4 8, 000 1 0, 2500 0, 2500
2 4 3, 000 1 0, 6667 0, 6667
3 5 3, 000 1 0, 6667 0, 6667
3 6 8, 544 1 0, 1756 0
4 6 3, 000 1 0, 6667 0, 6667
5 6 8, 000 1 0, 2500 0, 2500
Knoten Element j j
Dij
P
k ii k ii
i i − j
3 3 − 1 0, 6667 −0, 1895
3 − 4 0, 2500 −0, 0711
1,7589
3 − 6 0, 1756 −0, 0499
3 − 5 0, 6667 −0, 1895 Kontrolle:
P j
4 4 − 2 0, 6667 −0, 2105 Di = −0, 5
j∈Ii
4 − 3 0, 2500 1, 5833 −0, 0789
4 − 6 0, 6667 −0, 2105
5 5 − 3 0, 6667 −0, 3636
0,9167
5 − 6 0, 2500 −0, 1364
6 6 − 4 0, 6667 −0, 3636
0,9167
6 − 5 0, 2500 −0, 1364
240 KAPITEL 11. ITERATIVE VERFAHREN/LINEARE STATIK
In Abbildung 11.2 ist die Ausgleichsskizze mit den Knotennummern, den negativen Kno-
tenmomenten und den Drehungsfaktoren dargestellt.
Da die Knoten 1 und 2 Lagerpunkte sind, erfolgt ein Momentenausgleich nur zwischen
den Knoten 3, 4, 5 und 6. Das Element 3 − 6 ist am Knoten 6 gelenkig angeschlossen,
deshalb erfolgt zwischen den Knoten 3 und 6 kein Momentenausgleich.
Der Beginn der Iteration erfolgt am Knoten mit dem betragsgrössten Knotenmoment.
Dem Ausgleich in Abbildung 11.2 liegt eine Knotenreihenfolge 5, 6, 4 und 3 zugrunde.
Element
j
Knoten M ij M ji MRi i
MRj Mij Mji
i j
1 3 0 −0, 538 0 0 −0, 538 −1, 076
3 4 −0, 202 0, 224 5, 333 −5, 333 5, 153 −5, 087
2 4 0 0, 597 0 0 0, 597 1, 194
3 5 −0, 538 −2, 718 0 0 −3, 794 −5, 974
3 6 −0, 142 0 0 0 −0, 284 0
4 6 0, 597 2, 699 0 0 3, 893 5, 995
5 6 −1, 020 1, 012 5, 000 −5, 000 3, 972 −3, 996
Für die Darstellung der Zustandslinie müssen die Stabendmomente am linken Stabende
mit umgekehrten Vorzeichen aufgetragen werden. In Abbildung 11.2 ist die Momenten-
Zustandslinie dargestellt.
Das Verfahren des Momentenausgleiches nach Kani und die Gauss-Seidel’sche Iterati-
on sind nur anwendbar für die Grundgleichung des Drehwinkelverfahrens, also bei Ver-
nachlässigung der Verformungseinflüsse der Normalkräfte. Das Verfahren der konjugierten
Gradienten [67] kann auch zur Lösung der Grundgleichung des Weggrössenverfahrens un-
ter Berücksichtigung der Normalkraftverformungen benutzt werden.
Wie leistungsfähig dieses Verfahren ist, wird an dem in Abbildung 11.3 dargestellten Rah-
men deutlich: Der Rahmen wurde unter Berücksichtigung der Normalkraftverformungen
mit dem Verfahren von Gauss-Seidel und mit dem Verfahren der konjugierten Gradienten
berechnet. Der Rahmen hat sechs Freiheitsgrade der Verschiebung und drei Freiheitsgrade
der Verdrehung.
Beim Verfahren der konjugierten Gradienten ist nach 8 Iterationsschritten die Lösung auf
10−8 genau. Bei der Gauss-Seidel’schen Iteration zeigte sich auch nach 100 Iterationen
keine Konvergenz.
Iy = 2, 5 · 10−4 m4
A = 0, 01m2
Das Verfahren der konjugierten Gradienten wird im folgenden anhand der Grundgleichung
des Weggrössenverfahrens (6.6) K r = R erklärt. Der Interationszähler ist ν . Die Ordnung
der Steifigkeitsmatrix K ist n × n. Es werden Richtungsvektoren pν und Restvektoren q ν
eingeführt.
Die Steifigkeitsmatrix ist positiv definit. Die Richtungsvektoren sollen bezüglich K kon-
jugiert sein, d.h. dass die Vektoren pTν K und pµ orthogonal sind (Anhang A):
Zu Beginn der Iteration wird ein beliebiger Vektor der Knotenverformungen r0 gewählt.
Man erhält damit den Richtungsvektor p0 und den Restvektor q 0 :
p0 ≡ q 0 = R − K r 0 . (11.21)
q Tν q ν
αν = (11.22)
pTν K pν
werden der neue Vektor der Knotenverformungen und der zugehörige Restvektor be-
stimmt:
rν+1 = rν + αν pν (11.23)
q ν+1 = q ν − αν K pν . (11.24)
q Tν+1 q ν+1
βν = (11.25)
q Tν q ν
Der Iterationsprozess wird mit den Gleichungen (11.22) bis (11.26) fortgesetzt, bis gilt:
Es kann gezeigt werden [67], dass nach höchstens n Iterationsschritten rl bis auf die
Rechengenauigkeit gleich r ist (n-Schrittverfahren).
Die Methode der konjugierten Gradienten ist als iteratives Verfahren für die Lösung spe-
zieller Probleme gut geeignet. Ralston und Wilf ([67], Seite 122-126) geben ein Programm
zur Lösung linearer Gleichungssysteme mit dem Verfahren der konjugierten Gradienten
an.
244 KAPITEL 11. ITERATIVE VERFAHREN/LINEARE STATIK
Beispiel 11.2
Für das System von Beispiel 11.1 (Abbildung 11.3) wird die Gesamtsteifigkeitsmatrix un-
ter Vernachlässigung der Normalkraftverformungen aufgestellt. Das sich ergebende [2 × 2]-
Gleichungssystem wird mit dem Verfahren der konjugierten Gradienten gelöst.
Es wird mit EIy -fachen Verformungen gerechnet. Aus Beispiel 11.1 werden die Elemente
der Steifigkeitsmatrix übernommen:
1 2 3 3 2
k22 + k22 + k22 k24 0, 3333 + 0, 8 + 0, 3333 0, 1667
K= =
3 3 4 4
k42 k44 + k44 0, 1667 0, 3333 + 0, 4
↑
Knoten
oder
1 44 5
K=
30 5 22
h i
T
Der Lastvektor ist: R = −2, 0833 −1, 0417 .
11.3. VERFAHREN DER KONJUGIERTEN GRADIENTEN 245
1. Iterationsschritt:
2. Iterationsschritt:
Lösung:
−1, 4335 0, 1017 −1, 2924
r2 = + 1, 3873 =
−0, 7163 −0, 2956 −1, 1269
246 KAPITEL 11. ITERATIVE VERFAHREN/LINEARE STATIK
Mit den Knotenverformungen werden nach (7.11) analog zu (7.15) die Stabendmomente
unter Beachtung der Ersatzknotenlasten errechnet:
M11 5 0 0 −0, 2154
M21
10 0
0
−0, 4308
M22
24 0
−2, 0833
1, 0494
M32 1 12 0 −1, 2924 2, 0833 −2, 6003
= + =
30 10 5
M23
−1, 1269
0
−0, 6186
M43
5 10
0
−0, 5910
M44
0 12
1, 0417
0, 5909
4
M5 0 6 −1, 0417 −1, 2671
Dimension [kNm]
Unterschiede zu den in Beispiel 11.1 nach dem Verfahren von Kani errechneten Momenten
treten nur in der vierten Stelle nach dem Komma auf.
AUFGABEN 247
Aufgaben:
11.1 Berechnen Sie die abgebildeten Systeme nach dem Verfahren von Kani.
(a)
(b)
248 KAPITEL 11. ITERATIVE VERFAHREN/LINEARE STATIK
(c)
11.2 (a) Berechnen Sie das System von Aufgabe 11.1 (b) mit dem Verfahren der kon-
jugierten Gradienten.
(b) Vergleichen Sie die Anzahl der Additionen und Multiplikationen von Aufgabe
10.1 (a) und Aufgabe 11.1 (b).
(c) Berechnen Sie das System von Aufgabe 11.1 (c) nach der direkten Steifigkeits-
methode mit SMIS und vergleichen Sie die Ergebnisse.
11.3 Berechnen Sie für die Systeme von Aufgabe 11.1 die Normalkräfte, Querkräfte und
Lagerreaktionen.
Kapitel 12
Eine der wichtigsten Annahmen aller vorangehenden Kapitel sind die kleinen Verformun-
gen (Abschnitt 1.4) des Tragwerkes. Die Gleichgewichtsbedingungen sind nur dann linear
in den Stabendkräften, wenn der Einfluss der Verformungen vernachlässigbar klein ist. Die
Gültigkeitsgrenzen dieser Annahme sind aus der Erfahrung bekannt und in den Normen
für die Berechnung von Tragwerken festgehalten.
Die Annahme kleiner Verformungen stellt in jedem Falle eine Vernachlässigung dar: Jede
Belastung verursacht in einem Tragwerk Verformungen. Die Gleichgewichtsbedingungen
wurden jedoch bisher immer für den Ausgangszustand formuliert, also für den unverform-
ten Zustand. Ein erster Schritt zur genaueren Berechnung ist deshalb die Untersuchung
benachbarter Verformungszustände.
Die Erfahrung zeigt, dass verschiedene Tragwerke bei einer Laststeigerung anfänglich ver-
nachlässigbar kleine Verformungen aufweisen; bei Erreichen einer bestimmten Belastung
treten nahezu unvermittelt grössere Verformungen auf. Dieses Verhalten hat in der Pra-
xis meist katastrophale Folgen; der Einsturz eines Tragwerkes erfolgt ohne Vorwarnung
durch sichtbare Verformungen. Wir werden deshalb im folgenden die benachbarten Ver-
formungszustände (Nachbarzustände) des unverformten Tragwerkes genauer untersuchen.
249
250 KAPITEL 12. ELASTISCHE STABILITÄT
Für die Problembeschreibung wählen wir zwei einfache Beispiele (Abbildung 12.1): Einen
Eulerstab (nach L. Euler, 1707–1783) und einen eingespannten Rahmen.
Wird eine gegebene Belastung langsam (quasi-statische Belastung) und mit einem Pro-
portionalitätsfaktor erhöht, dann zeigt das System (a) anfänglich keine und das System
(b) nur vernachlässigbar kleine elastische Verformungen. Bei Erreichen einer kritischen
Belastung, gekennzeichnet durch den Proportionalitätsfaktor λk , treten plötzlich grösse-
re Verformungen δ unter nahezu konstanter Belastung λk R auf. Diese Verformungen sind
bei ideal-geraden Elementen ohne Imperfektionen irgendwelcher Art nicht eindeutig: Es
können sich die Verformungen A oder B (Abbildung 12.1) einstellen. Für die Belastung
λk R ergibt sich ein Verzweigungspunkt im Verformungsdiagramm (Abbildung 12.1 (c)).
Die Systeme besitzen bei Erreichen der kritischen Belastung kein stabiles Verformungs-
verhalten.
Man bezeichnet solche Probleme deshalb als elastische Verzweigungsprobleme oder als
elastische Stabilitätsprobleme.
λk : Ideal-elastische Grenzlast
λe : (elastische) Proportionalitätsgrenze
— ideales Verformungsverhalten
--- elastisches Verformungsverhalten
Verhaltens (Proportionalitätsgrenze). Insgesamt gesehen ergibt sich damit ein sehr kom-
pliziertes Last-Verformungsverhalten, das wir nur näherungsweise in einer Berechnung
erfassen können.
Eine wesentliche Annahme, die wir im folgenden beibehalten werden, betrifft das elastische
Stoffgesetz: Auch bei grossen Verformungen wird vorausgesetzt, dass sich der Werkstoff
ideal-elastisch verhält.
252 KAPITEL 12. ELASTISCHE STABILITÄT
Für das hier behandelte Stabilitätsproblem gelten die folgenden zusätzlichen Ein-
schränkungen:
− Das Tragwerk besitzt keine Imperfektionen, d.h. die Stabachsen sind ideal-gerade
und ohne Vorverformungen. Im Ausgangszustand treten keine Eigenspannungs-
zustände auf.
− Die Belastung ist proportional zum Lastfaktorλ > 0; für jede Belastung R0 gilt:
R0 = λ R. (12.1)
F0 = λF. (12.2)
Mit diesen Annahmen beschränken wir uns auf die Untersuchung eines Nachbarzustandes
des unverformten Tragwerkes: Bis zum Erreichen von λk wird angenommen, dass die
Stabendkräfte linear von der Belastung abhängen (lineare Stabilitätstheorie).
Als Lösung des Stabilitätsproblemes erhält man deshalb nur den kritischen Lastparameter
λk , eine Aussage über das Verformungsverhalten nach Abbildung 12.2 ist nicht möglich.
12.1. PROBLEMBESCHREIBUNG UND ANNAHMEN 253
Bei Stabtragwerken können eine Reihe zusätzlicher Stabilitätsprobleme auftreten, die wir
hier ausschliessen müssen:
− Bei Erreichen der Stabilitätsgrenze können neben den Biegeverformungen auch Ver-
drehungen in der Querschnittsebene auftreten (Abbildung 12.4 (b)). Dieses Stabi-
litätsproblem bezeichnet man als Biegedrillknicken oder, wenn zusätzliche Querbe-
lastungen auftreten, als Kippen.
Durch die Steifigkeitsmatrix K wird das elastische Verhalten eines Tragwerkes beschrie-
ben; nach (6.6) ist
K r = R.
Die Steifigkeitsmatrix kann mit dem Prinzip der virtuellen Arbeiten aus den Gleichge-
wichtsbedingungen des unverformten Systems abgeleitet werden (Kapitel 6). Bei linearen
Stabilitätsproblemen sind die Gleichgewichtsbedingungen für einen benachbarten Verfor-
mungszustand aufzustellen. Die Grundgleichung des Weggrössenverfahrens für den Nach-
barzustand ist linear in r, die Steifigkeitsmatrix ergibt sich jedoch als nichtlineare Funktion
der Schnittgrössen (Stabendkräfte):
K (λ F )r = λR. (12.3)
Gesucht ist der Bereich 0 < λ < λk , in dem es eindeutige Lösungen r gibt. Ein Glei-
chungssystem besitzt jedoch nur dann eine eindeutige Lösung, wenn die Determinante
der Koeffizientenmatrix ungleich Null ist.
Diese Eigenschaft dient bei der Determinantenmethode“ zur Bestimmung der kritischen
”
Belastung: Man denkt sich die Belastung R0 = λR, beginnend bei λ = ε, für wachsendes
λ aufgebracht und bestimmt für jeden Lastparameter die Determinante von K(λF ). Die
kritische Belastung λk R ist dann erreicht, wenn die Determinante zu Null wird: Es gibt
keine eindeutige Lösung von (12.3). Wir fassen dies zusammen in dem folgenden
Satz 12.1 Der kritische Lastparameter λk ist der kleinste Parameter λ > 0 , für den
die Determinante der nichtlinearen Steifigkeitsmatrix K(λ F ) zu Null wird. λ F sind die
Stabenkräfte, die im Nachbarzustand mit der Belastung λR im Gleichgewicht sind.
Damit haben wir das Stabilitätsproblem für ein Stabtragwerk auf eine Steifigkeitsberech-
nung und auf die Bestimmung der ersten Nullstelle einer Determinante zurückgeführt.
Aufgrund der Annahme kleiner Verformungen bis zum Erreichen von λk kann die Ge-
samtsteifigkeitsmatrix mit der direkten Steifigkeitsmethode analog zu (6.14) aufgestellt
werden:
C k F C T = K(λ F ).
Schreibweise werden die Kennzeichnungen der lokalen Koordinaten und der Elementnum-
mer zunächst weggelassen. Man erhält die folgenden Gleichgewichtsbedingungen:
dV
−V + (V + dx) = 0, (i)
dx
dH
− H + (H + dx) = 0, (ii)
dx
dM dV dH
− M + (M + dx) − (V + dx)dx + (H + dx)dw = 0. (iii)
dx dx dx
dV
dx = 0, V = const.
dx
dH
dx = 0, H = const.
dx
dH
Damit ergibt sich (iii) zu: dx − V dx + Hdw = 0. (iv)
dx
256 KAPITEL 12. ELASTISCHE STABILITÄT
Durch Vergleich mit der Grundgleichung der Balkenbiegung unter Vernachlässigung der
Verformungsanteile infolge Querkraft (vgl. (5.12)) ist mit w ≡ wz , M ≡ My ,I ≡ Iy :
wII = −M/EI
d2
( )II = , EI = const.
dx2
Man erhält
d2 M d2 w
EIwIV = − ≡ H .
dx2 dx2
EIwIV − HwII = 0.
Bei kleinen Verformungen ist die Normalkraft N ungefähr gleich der Horizontalkraft H.
Wählt man das Stabelement Typ-a, so sind die mit dem Parameter λ versehenen, linear
unabhängigen Stabendkräfte (siehe Beispiel 3.1):
λF1 ≡ N
λF2 = −M (0) = EIwII (0)
λF3 = M (l) = −EIwII (l).
Es ist eine lineare, homogene Differentialgleichung vierter Ordnung mit konstanten Koef-
fizienten. Basislösungen der Form
findet man mit der charakteristischen Gleichung ([96], Seite 435) von (12.4). Hierbei sind
die Konstanten Ci und C̃i (i = 1, . . . , 4) Freiwerte, die aus den Randbedingungen be-
stimmt werden müssen.
Wir zeigen zunächst, wie sich die Konstanten C1 , . . . , C4 aus den Randbedingungen er-
geben. Die Randbedingungen sind Stabendverformungen oder Linearkombinationen der
Stabendverformungen (z.B. ψ , siehe Abbildung 12.6).
Stabenddrehwinkel: u3 , u6
Stabdrehwinkel: ψ
Durch Einsetzen in (12.6) und in die Ableitung wI ergibt sich das folgende Glei-
chungssystem zur Bestimmung von C1 , . . ., C4 (sin κl≡ sin(κl), cos κl≡cos(κl) und
l≡li ):
1 0 1 0 C1 0
0 1 0 κ C −u
2 3
= (12.9)
1 l cos κl sin κl C3 u5 − u2
0 1 −κ sin κl κ cos κl C4 −u6
12.2. DIE KNICKDETERMINANTE 259
C3 = −C1
(12.10)
Damit ist die Funktion der Durchbiegung bestimmt. Die Stabendkräfte S werden mit
den Gleichgewichtsbedingungen am verformten System in Abhängigkeit von λF1 aus den
Ableitungen der Funktion der Durchbiegung w berechnet.
S 1 = −λF1
S 2 = −λF1 ψ − λ(F2 + F3 )/li
S 3 = −λF2 ≡ −M (0) = EIwII (0)
S 4 = −λF1 (12.11)
S 5 = −λF1 ψ + λ(F2 + F3 )/li
S 6 = −λF3 ≡ M (li ) = EIwII (li )
sin κl − κl cos κl
φ1 = κEI,
2(1 − cos κl) − κl sin κl
κl − sin κl
φ2 = κEI,
2(1 − cos κl) − κl sin κl
(κ2 > 0, Druck) (12.12)
260 KAPITEL 12. ELASTISCHE STABILITÄT
erhält man:
Zusammen mit Gleichung (12.12) sind damit alle Stabendkräfte als Funktionen der Sta-
bendverformungen und der Normalkraft λF1 bekannt.
Die entsprechende Lösung von (12.7) für κ2 < 0 (Zug) berechnet man am zweckmässigsten
durch Transformation von φ1 und φ2 mit
r
|λF1 | √
κ=i , i= −1 (imaginäre Einheit)
EI
und cos(iκl) = cosh(κl)), (12.15)
sin(iκl) = i sinh(κl)).
Es ergibt sich:
sinh κl − κl cosh κl
φ̃1 = κEI, (12.16)
2(cosh κl − 1) − κl sinh κl
κl − sinh κl
φ̃2 = κEI.
2(cosh κl − 1) − κl sinh κl
Mit φ̃1 für φ1 und φ̃2 für φ2 gelten die Gleichungen (12.12), (12.14) und (12.15) auch für
Elemente mit positiver Normalkraft λF1 .
i i
S = k F ui . (12.17)
12.2. DIE KNICKDETERMINANTE 261
2 λF1
φ1 = 2
(φ1 + φ2 ) + ,
l l
φ2 = (φ1 + φ2 )/l
S1 EA/l 0 0 −EA/l 0 0 u1
S2
φ1 −φ2 0 −φ1 −φ2
u2
S3 φ1 0 φ2 φ2 u3
= (12.18)
S4
EA/l 0 0
u4
S5
symmetrisch φ1 φ2
u5
S6 φ1 u6
i
h iT
= kF u1 u2 u3 u4 u5 u6
(κ2 > 0, Druck)
Durch linksseitige Multiplikation von (12.19) mit der Drehungsmatrix LiD erhält man:
i i
LiD S ≡ S i = LiD k F ui . (12.19)
ui = (LiD )T ui .
S i = k iF ui
i
k iF = LiD k F (LiD )T . (12.20)
262 KAPITEL 12. ELASTISCHE STABILITÄT
c2 EA/l + s2 φ1 sc(EA/l − φ1 ) sφ2 −c2 EA/l − s2 φ1 −sc(EA/l − φ1 ) sφ2
Die Steifigkeitsmatrix k iF (λ F1i ) nach (12.21) besitzt denselben Aufbau wie die Steifigkeits-
matrix k i des ebenen Stabelementes (Anhang A); k iF (λ F1i ) kann jedoch für λ F1i = 0 nicht
aufgestellt werden: Man erhält für φ1 und φ2 unbestimmte Ausdrücke der Form (0/0).
Durch Anwendung der Regel von l’Hospital ergeben sich die Grenzwerte:
4EI
lim φ1 = (12.22)
λ F1 →0 l
2EI
und lim φ2 = .
λ F1 →0 l
K(λ F 1 )
aufgestellt werden. Hierzu ist im allgemeinen eine erste lineare Berechnung am unverform-
ten System erforderlich, mit der der Vektor der Normalkräfte
F T1 = F11 . . . F1n
bestimmt wird. Mit den bekannten Normalkräften können dann elementweise die Werte
κi festgelegt werden. Die Elementsteifigkeitsmatrizen k iF werden unter Berücksichtigung
des Vorzeichens der Normalkräfte besetzt. Die Gesamtsteifigkeitsmatrix K(λ F 1 ) stellt
man mit der direkten Steifigkeitsmethode auf.
12.3. KNICKPROBLEME/DETERMINANTENMETHODE 263
Den kritischen Lastparameter erhält man durch Lösung der folgenden Aufgabe:
Gesucht ist der kleinste Wert λ > 0 , für welchen die Determinante zu Null wird (vgl. Satz
12.1). Dies bereitet bei einer grösseren Anzahl n von Freiheitsgraden der Verschiebung
einen erheblichen numerischen Aufwand und zum Teil auch beträchtliche Schwierigkeiten.
Die Elemente der Matrix K sind transzendente Funktionen; für F 1 → 0 erhält man jedoch
einen positiven Wert der Determinante. Der Grenzübergang (12.23) führt zur linearen,
positiv definiten Steifigkeitsmatrix (det(K) > 0). Der Verlauf der Determinante kann
damit qualitativ dargestellt werden (Abbildung 12.7).
Es ist deshalb notwendig, in jedem Fall Abschätzungen der Form (Abbildung 12.7)
λ1 < λk < λ2
an den Anfang der Berechnung zu stellen. Derartige Abschätzungen können mit den Euler-
Fällen (Abbildung 12.8) gefunden werden. Es ist möglich, mit einer Sehnenapproximation
(Regula falsi, A − C in Abbildung 12.7)
λA − λC
λ = λA − det(K(λA )) (12.24)
det(K(λA )) − det(K(λC )
Näherungslösungen zu berechnen.
Wir zeigen zunächst zwei einfache, direkte Anwendungen der Determinantenmethode, die
den Zusammenhang mit den bekannten Lösungsverfahren herstellen.
Beispiel 12.1
Berechnung der Knicklast der Eulerstäbe nach der Determinantenmethode. Wir beginnen
mit dem Eulerstab 2. Zunächst werden die Freiheitsgrade der Knotenverformungen festge-
legt (Abbildung 12.9 (a)). Die Stablängsverformung r3 wird durch das Elastizitätsgesetz
beschrieben und gilt für alle λ < λk :
EA
r3 = λ F1 .
l
12.3. KNICKPROBLEME/DETERMINANTENMETHODE 265
Mit den Knotenverformungen r1 und r2 gilt für das Momentengleichgewicht rechts und
links:
φ21 − φ22 = 0
oder (φ1 − φ2 )(φ1 + φ2 ) = 0. (12.25)
κl = π, 3π 5π, . . . ;
κl = 2π, 4π, . . . .
266 KAPITEL 12. ELASTISCHE STABILITÄT
Der kleinste Wert von κl bestimmt mit (12.5) die kritische Last
(λk F1 = −λk R; R = 1):
EIπ 2
λk = (Eulerstab 2).
l2
Der erste Eulerstab besitzt dieselbe kritische Last wie ein Eulerstab 2 der Länge 2li
(Abbildung 12.9 (b)):
EIπ 2
λk = (Eulerstab 1).
4l2
φ1 = 0
oder tan κl = κl, (12.26)
EIπ 2
λk = 2, 04 (Eulerstab 3).
l2
κl = 2π und
4EIπ 2
λk = (Eulerstab 4).
l2
Beispiel 12.2
Berechnung der Knicklast eines federgelagerten Stabes (Abbildung 12.10 (a)). Das System
besteht aus drei Elementen:
− einem Stabelement mit der Querschnittsfläche A, der Länge l und dem Trägheits-
moment I,
2
S 1 = cϕ u21 ,
3
S 1 = cw u31 .
268 KAPITEL 12. ELASTISCHE STABILITÄT
Abbildung 12.11 gibt eine graphische Darstellung der Funktion det(K(λ)) für verschiedene
Federsteifigkeiten cw . Als Nullstellen von det(K(λ)) erhält man (l = 1, cϕ = 1,EI = 1):
λk cw
12, 1 10
18, 3 20
20, 8 30
λk ist die kritische Belastung (R = 1). Bemessungskurven für dasselbe Beispiel findet man
in [64].
Im folgenden wird eine linearisierte Knicklastberechnung dargestellt, die von einer linearen
Approximation des Nachbarzustandes auf Elementebene ausgeht. Diese Approximation
führt zu der geometrischen Steifigkeitsmatrix.
i i
S = k F (λ F1i )ui . (12.28)
i
Die Elementsteifigkeitsmatrix k F ist eine transzendente Funktion der Normalkräfte F1i .
Die Verteilung der Normalkräfte wird wie in (Abschnitt 12.3) als bekannt vorausgesetzt,
d.h. im Element
i ist F1i bis auf einen skalaren Faktor λ bestimmt. Damit können wir
annehmen, (12.28) sei in folgender Form dargestellt:
i i
S = k F (λ)ui . (12.29)
d
S = k F (λ0 )u + (λ − λ0 ) (k (λ0 ))u + Restglied. (12.30)
dλ F
i
k e = T i k ir (T i )T .
270 KAPITEL 12. ELASTISCHE STABILITÄT
EA/l 0 0 −EA/l 0 0
12EI/l3 −6EI/l2 0 −12EI/l3 −6EI/l2
i 4EI/l 0 6EI/l2 2EI/l
lim k F (λ0 ) ≡ k e =
EA/l 0 0
λ0 →0
symmetrisch 12EI/l3 6EI/l2
4EI/l
(12.31)
Auf globale Koordinaten transformiert ist k ie mit der in (Abschnitt 6.2) (vgl. (6.13)) und
(Anhang A) berechneten Elementsteifigkeitsmatrix k i identisch.
d
k F (λ0 )
dλ
berechnet werden.
i d
k g = λ lim k F (λ0 ) . (12.32)
λ→0 dλ
i
Die Berechnung der Grenzwerte der Ableitungen von k F (λ) erfordert einen erheblichen
Rechenaufwand. Im wesentlichen sind folgende Grenzwerte zu berechnen (vgl. (12.12),
(12.15)):
Für die Berechnung mit der Regel von l’Hospital sind die Ableitungen der Zählerfunktio-
nen (Z1 und Z2 ) und der gemeinsamen Nennerfunktion (N ) zu bilden; es ist:
1
− Z1 = (sin x − x cos x + x2 sin x)(2 − 2 cos x − x sin x)
F1 l
−x(sin x − x cos x)2 ,
1
− Z2 = (2x − sin x − x cos x)(2 − 2 cos x − x sin x)
F1 l
−(x2 − x sin x)(sin x − x cos x),
N = 2x(2 − 2 cos x − x sin x)2
mit x ≡ κl.
12.4. DIE GEOMETRISCHE STEIFIGKEITSMATRIX 271
Zähler- und Nennerfunktion sind bis zur i-ten Ableitung an der Stelle Null zu berechnen.
Für i = 9 ergibt sich erstmalig kein unbestimmter Ausdruck der Form (0/0).
d9 Z1
1
− = 2(128x2 cos x2 + x2 cos x − 128x2 sin x2
F1 l dx9
+ 1280x cos x sin x + 19x sin x − 256 cos x2
− 80 cos x + 256 sin x2 ),
d9 Z2
1
− = −x3 sin x + 24x2 cos x + 168x sin x + 512 cos x2
F1 l dx9
− 344 cos x − 512 sin x2 ,
d9 N
= 8(128x2 cos x sin x − 608x2 cos x2 − x2 cos x
dx9
+ 608x2 sin x2 − 2816x cos x sin x − 16x sin x
+ 576 cos x2 + 54 cos x − 576 sin x2 ).
Z1 2
lim = F1 l und
x→0 N 15
Z2 1
lim = − F1 l.
x→0 N 30
Die Ableitungen wurden mit einem Rechenprogramm (LISP) berechnet, das eine symbo-
lische Differentiation durchführt. Mit diesem Ergebnis kann die geometrische Steifigkeits-
matrix angegeben werden.
0 0 0 0 0 0
6/(5l) −1/10 0 −6/(5l) −1/10
i
2l/15 0 1/10 −l/30
k g = F1 (12.34)
0 0 0
symmetrisch 6/(5l) 1/10
2l/15
272 KAPITEL 12. ELASTISCHE STABILITÄT
Wie in (Abschnitt 12.2) (Gleichung (12.20)) transformieren wir auch die geometrische
Steifigkeitsmatrix auf globale Koordinaten. Dies ergibt:
36s2 −36sc 3sl −36s2 36sc 3sl
2 2
36c −3cl 36sc −36c −3cl
F1 4l2 −3sl 3cl −l2
k ig = (12.35)
30l
36s2 −36sc −3sl
2
symmetrisch 36c 3cl
2
4l
c ≡ cos α = (xr − xl )/li ,
s ≡ sin α = (zr − xl )/li .
k iF (λ) = k ie + λk ig (12.36)
und S i (λ) = k ie ui + λk ig ui .
Mit den bekannten Steifigkeitsbeziehungen (12.37) kann nun die Gesamtsteifigkeit des
Tragwerkes in einem benachbarten Verformungszustand berechnet werden.
Die Berechnung beider Matrizen, K e und K g erfolgt mit der aus (Kapitel 6) bekannten
direkten Steifigkeitsmethode.
(K e + λ K g ) r = λ R. (12.37)
Aus dem Prinzip der virtuellen Arbeiten folgt (vgl. auch Satz 12.1):
12.5. EIGENWERTPROBLEM/KNICKUNG 273
Satz 12.2 Ein Tragwerk ist dann instabil, wenn es eine virtuelle Verformung r̂ 6= 0 gibt,
für welche die Arbeit der äusseren Lasten verschwindet:
Wegen r̂ 6= 0 folgt
(K e + λ K g ) r = 0, (12.39)
Gleichungen der Form (12.39) beschreiben ein allgemeines Eigenwertproblem ([95], An-
hang A).
und n Vektoren
Satz 12.3 Der kleinste (positive) Eigenwert λ = λk der Grundgleichung der linearen
Stabilitätstheorie
(K e + λK g ) r = 0
Rk = λR (12.40)
des Tragwerkes.
Die Lösung des allgemeinen Eigenwertproblems ist mit dem wiederholten Lösen eines
linearen Gleichungssystems verbunden. Die Lösung eines speziellen Eigenwertproblems
(Anhang A) erfordert hingegen diesen Aufwand nicht. Im (Anhang A) wird die Trans-
formation des allgemeinen auf das spezielle Eigenwertproblem gezeigt. Wir stellen diese
Transformation hier zusammengefasst dar: In (12.39)
(K e + λK g ) r
274 KAPITEL 12. ELASTISCHE STABILITÄT
ist K e positiv definit. Mit dem Cholesky-Verfahren (Anhang A) zerlegen wir die Matrix
K e in L und LT und substituieren LT r durch r̃. Durch Inversion von L und Linksmulti-
plikation mit L−1 erhält man das spezielle Eigenwertproblem
Die Eigenwerte Λ und Eigenvektoren r von (12.39) erhält man aus den Eigenwerten Λ
und Eigenvektoren r̃ von (12.41) folgendermassen:
T
λ = −1/Λ und r = L−1 r̃. (12.43)
Wir erläutern nun den Zusammenhang zwischen der Lösung von (12.39) und der Deter-
minantenmethode: Die Eigenwerte λi stimmen mit den Nullstellen der Determinante
det(K e + λK g )
überein. Die Determinante ist ein Polynom n-ter Ordnung in λ, welches die Determinan-
te des nichtlinearen Problems (Abschnitt 12.2) approximiert. Wir zeigen das an einem
einfachen Beispiel, dem federgelagerten Stab (vgl. Beispiel 12.2).
Beispiel 12.3
Für den federgelagerten Stab nach Abbildung 12.10 wird die Determinante der Matrizen
K e + λK g aufgestellt und deren erste Nullstelle λmin = λk bestimmt.
EI = I, l = 1, cw = 10, cϕ = 1 und R = 1
6 1
22 − λ 6 − λ
det
5 10 = 0.
1 2
6− λ 5− λ
10 15
λk = 12, 7.
Im Vergleich zu der Lösung aus Beispiel 12.2 (λk = 12, 1) ergibt sich ein relativer Fehler
von ca. 5%.
Eine genauere Lösung erhält man durch Unterteilung des Stabelementes (Abbildung
12.12). Für diesen Fall erhält man die Knickbedingung in allgemeiner Form zu:
12EI 6λ 6EI λ
l3
+ cw − 5l l2
− 10
− 12EI
l3
+ 6λ
5l
− 6EI
l2
+ λ
10
6EI λ 4EI 2lλ 6EI λ 2EI lλ
l2
− 10 l
− cϕ − 15 l2
− 10 l
+ 30
det = 0.
− 12EI + 6λ 6EI
− λ 24EI
− 12λ
0
l3 5l l2 10 l3 5l
− 6EI λ 2EI lλ 8EI 4lλ
l3
+ 10 l
+ 30
0 l
− 15
Die Lösung wurde für alle in Abbildung 12.11 dargestellten Fälle als erste Nullstelle der
zugehörigen Polynome 4. Ordnung berechnet (Tabelle 12.1).
Bei grösseren Problemen (n > 3) wird man λk mit den bekannten Verfahren zur Lösung
von Eigenwertproblemen berechnen [88]. Da nur der kleinste Eigenwert von Interesse
ist, können spezielle Verfahren der Eigenwertberechnung angewendet werden. Wir be-
276 KAPITEL 12. ELASTISCHE STABILITÄT
schränken uns hier auf die Anwendung eines speziellen Verfahrens, des Iterationsverfah-
rens von R. von Mises (vgl. Anhang A).
Beispiel 12.4
Für den Einfeldrahmen (Abbildung 12.13) wird die Knicklast nach dem von Mises’schen
Iterationsverfahren berechnet. Die Berechnung erfolgt für verschiedene Stiellängen h, für
zwei Lastverhältnisse, R2 = R5 und R5 = 0, 5R2 , und für mehrere Steifigkeitsverhältnisse
Ir /Is . Es wird ein Vergleich mit den Näherungslösungen nach DIN 4114 (Blatt 1, Ausgabe
Juli 1952) durchgeführt.
Näherungsweise können für den Ausgangszustand die Druckkräfte in den Stielen den
äusseren Lasten R2 und R5 gleichgesetzt werden; die Normalkraft im Riegel ist Null.
Für die Iteration nach von Mises wird die Grundgleichung umgeformt:
(K g − ΛK e )r = 0
mit Λ = −1/λ
278 KAPITEL 12. ELASTISCHE STABILITÄT
Gesucht ist damit der grösste Eigenwert Λ , der den kleinsten Wert von λ bestimmt (K e
ist positiv definit). Die iterative Bestimmung von Λ erfolgt nach dem von Mises’schen
Iterationsverfahren, das im (Anhang A) detailliert dargestellt ist. Die Iterationsvorschrif-
ten sind einfach programmierbar. Für die Berechnung wurde ein Programm erstellt. Die
Ergebnisse der iterativen Berechnung mit verschiedenen Parametern sind in Abbildung
12.14 dargestellt.
Für einen relativen Fehler von ca. 0, 1% waren durchschnittlich vier Iterationsschritte
erforderlich. Die Konvergenzgeschwindigkeit hängt nur unwesentlich vom Startpunkt ab.
Das vorliegende Beispiel ist nach DIN 4114 (Blatt 1, Ausgabe Juli 1952) gewählt. Die
Ergebnisse werden mit der Lösung verglichen, die dort angegeben ist (siehe Tabelle 12.2).
l = 5, 0 m
R5 Höhe h Is Ir Eigenwert +) Näherung +) Rel.
R2 m 10−4 m4 10−4 m4 (Knicklast) DIN 4114 Fehler
5,0 0,5 0,5 14,850 14,770 0,54
.. ..
1,0 6,0 . . 10,760 10,680 0,74
7,0 8,155 8,093 0,76
8,0 6,399 6,345 0,84
1,0 9,0 5,157 5,109 0,93
10,0 4,245 4,204 0,97
5,0 19,800 19,700 0,51
0,5 6,0 14,340 14,250 0,63
7,0 10,870 10,790 0,74
8,0 8,529 8,460 0,81
1,0 9,0 6,873 6,813 0,87
10,0 0,5 0,5 5,658 5,605 0,94
5,0 0,1 0,1 2,971 2,955 0,54
.. ..
1,0 . 0,2 . 4,861 4,830 0,64
0,3 6,340 6,235 1,66
0,4 7,632 7,414 2,86
0,5 8,827 8,484 3,89
0,6 9,966 9,515 4,53
0,7 11,070 10,560 4,61
1,0 0,8 12,150 11,640 4,20
5,0 0,9 0,1 13,210 12,810 3,03
Die mit +) gekennzeichneten Spalten sind mit 10−4 zu multiplizieren.
Tabelle 12.2: Vergleich mit der Näherung nach DIN 4114 (Blatt 1, Ausgabe Juli 1952)
Die Übereinstimmung beider Näherungslösungen ist relativ gut. Eine genaue Aussage über
den tatsächlichen Fehler ist nicht möglich, da es sich bei den Verfahren um Näherungen
handelt.
280 KAPITEL 12. ELASTISCHE STABILITÄT
Für einen Stabilitätsnachweis genügt üblicherweise die Berechnung des kleinsten Eigen-
wertes von
(K e + λK g )r = 0.
Beim Iterationsverfahren nach von Mises wird zugleich der zugehörige Eigenvektor be-
rechnet.
Die Kenntnis des zu λk gehörigen Eigenvektors rk gibt ein qualitatives Bild vom benachbar-
ten Verformungszustand. Man erkennt dies aufgrund der Ableitung des Eigenwertproble-
mes (12.37): Die Komponenten von rk sind die Komponenten der Knotenverformung des
benachbarten Verformungszustandes (Abbildung 12.15). Die Komponenten von rk besit-
zen die dem Aufbau der Gesamtsteifigkeitsmatrizen zugrunde liegende Anordnung. Nach
Berechnung von rk kann damit die Verformung“ der einzelnen Stabelemente berechnet
”
werden. Diese Berechnung wird wie die Verformungsberechnung (Abschnitt 5.4) durch-
geführt. Die Grösse der Verformungen ist jedoch wie bei den Eulerstäben (Beispiel 12.1)
bis auf einen Faktor unbestimmt.
Damit ist die lineare Stabilitätsberechnung von Stabwerken bekannt. Es folgt eine Zusam-
menfassung der Berechnung der kritischen Belastung mit den zugehörigen Knickfiguren:
(2) Berechnung der Normalkräfte F1i in den einzelnen Elementen nach dem in (Kapitel
6) dargestellten Weggrössenverfahren;
12.6. DIE BEDEUTUNG DER EIGENVEKTOREN 281
(4) Transformation des allgemeinen auf das spezielle Eigenwertproblem nach Gleichung
(12.41) und (12.42);
(5) Lösung des speziellen Eigenwertproblems und Ermittlung der ge- wünschten Eigen-
werte und Eigenvektoren;
Beispiel 12.5
Für den Rahmen von Abbildung 12.16 wird die kritische Last berechnet. Die Steifigkeits-
matrix K e wird mit der in (Abschnitt 6.3) beschriebenen Variante der direkten Steifig-
keitsmethode aufgestellt:
4 5 6 7 8 9 ← Knoten
↓
k1 + k4 + k6 k4 k6 4
e44 e44 e44 e45 e47
k2 4 5 7
k5 k7 5
e55 + ke55 + ke55 + ke55
e56 e58
k3 5 8
e66 + ke66 + ke66 6 k8
e69
e
K =
k6 9
e77 + ke77 k9
e78 7
k7 k9 k10 k10
symmetrisch e88 + e88 + e888 e89
k8 10
e99 + ke99
9
282 KAPITEL 12. ELASTISCHE STABILITÄT
0, 667 0 −1 −0, 667 0 −1
29, 599 0 0 −29, 599 0
2 1 0 1
K ie = 35238
0, 667 0 1
symmetrisch 29, 599 0
2
Dimension[kN, m]
68, 509 0 0 −68, 509 0 0
0, 375 −0, 75 0 −0, 375 −0, 75
i
2 0 0, 75 1
K e = 5985
68, 509 0 0
symmetrisch 0, 375 0, 75
2
Dimension[kN, m]
RT = [0 2 0 | 0 4 0 | 0 2 0 | 0 1 0 | 0 2 0 | 0 1 0 | ] λ
können in einer linearen Berechnung nach Kapitel 6 die Knotenverformungen r und die
Normalkräfte F1i mit SMIS berechnet werden:
Nimmt man für die Normalkräfte die gerundeten Werte, so sind die Elemente
,
4
,
5
9 und
10 normalkraftfrei, und die geometrische Steifigkeitsmatrix wird nur von den
12.6. DIE BEDEUTUNG DER EIGENVEKTOREN 283
4 5 6 7 8 9 ← Knoten
↓
k 1g44 + k 6g44 0 0 k 6g47 0 0 4
g
k 2g55 + k 7g55 0 0 k 7g58 0 5
K =
k 3g66 + k 8g66 0 0 k 8g69
6
k 6g77 0 0
7
k 7g88 0
8
k 8g99 9
Für die Lösung des Eigenwertproblems verwenden wir SMIS [37]. In SMIS wird das Jakobi-
Verfahren [95] zur Berechnung der Eigenwerte und der Eigenvektoren benutzt. Es kann
nur das spezielle Eigenwertproblem gelöst werden. Die Eingabe ist im folgenden zusam-
mengestellt:
LOAD F1 = KE N1 = 18 N2 = 18
..
.
Es folgen zeilenweise die Elemente der elastischen Steifigkeitsmatrix K e .
LOAD F1 = KG N1 = 18 N2 = 18
..
.
Es folgen zeilenweise die Elemente der geometrischen Steifigkeitsmatrix K g .
CHOL1 F1 = KE F2 = LT
..
.
CHOL3 F1 = LT
MULT F1 = KG F2 = LT F3 = KGLT
TRMULT F1 = LT F2 = KGLT F3 = KS
LOAD F1 = I N1 = 1 N2 = 18
Es folgen 18 Einsen zur Erzeugung der Einheitsmatrix.
EIGEN F1 = KS F2 = I F3 = RS F4 = LAMS N1 = 2
Es werden die beiden grössten Eigenwerte Λ und die zugehörigen Eigenvektoren r̃ berech-
net.
INVEL F1 = LAMS SCALE F1 = LAMS S1 = -1
PRINT F1 = LAMS
Die beiden kleinsten Eigenwerte λ werden berechnet und ausgegeben:
TRANS F1 = RS F2 = RST
MULT F1 = LT F2 = RST F3 = R
PRINT F1 = R
12.6. DIE BEDEUTUNG DER EIGENVEKTOREN 285
Aufgaben:
12.1 Stellen Sie für die dargestellten Stabwerke die nichtlineare Knickdeterminante auf.
Berechnen Sie näherungsweise den kritischen Lastparameter.
12.2 Berechnen Sie für das dargestellte Stabwerk die kritische Belastung mit der geome-
trischen Steifigkeitsmatrix.
Stellen Sie das Ergebnis EIa -fach für l = 1 dar. Wie wird die Knicklast durch den
Fachwerkstab beeinflusst?
12.3 Stellen Sie den Rechengang für das Beispiel 12.4 in Form eines Flussdiagramms dar.
Kapitel 13
Der Stabilitätsberechnung von Stabwerken wurde lange Zeit eine grosse praktische Be-
deutung zugemessen. Insbesondere im Stahlbau wurden Tragwerke fast nur mit einer
Spannungsberechnung (kleine Verformungen) und einer zusätzlichen Stabilitätsberech-
nung nachgewiesen. Die Annahme, die einer Stabilitätsberechnung (Kapitel 12) zugrunde
liegen, werden jedoch in der Praxis nur in grober Näherung erfüllt:
− die Stabachsen sind nicht ideal gerade, die Stäbe besitzen Vorverformungen und
sonstige Imperfektionen.
Man ist deshalb in vielen Bereichen des konstruktiven Ingenieurbaus dazu übergegangen,
den Einfluss der Verformungen auf das Gleichgewicht der inneren Kräfte zu berücksichti-
gen.
Die Berechnungsmethoden, die wir in diesem Kapitel darstellen, können z.T. auch auf
nicht konservative Belastung übertragen werden. Dies erfordert jedoch zusätzliche über-
legungen, auf die wir hier nicht eingehen können [40]. Wir setzen damit für alle folgenden
Abschnitte konservative Belastung (Abbildung 12.3) voraus.
287
288 KAPITEL 13. NICHTLINEARE VERFORMUNGEN
Für das Verständnis der Annahmen, die den folgenden Abschnitten zugrundeliegen, ist es
erforderlich, das nichtlineare Verformungsverhalten eines Stabwerkes genauer zu betrach-
ten. Wir wählen hierzu ein Beispiel.
In Abbildung 13.1 ist ein leichter Hallenbinder mit einem typischen Lastfall skizziert.
Das System wurde mit einer Normbelastung in Stahl (St 37) bemessen; für eine λ-fache
Normbelastung ist das Verformungsverhalten skizziert.
Für den Werkstoff Stahl unterscheidet sich die Proportionalitätsgrenze von der Fliessgren-
ze um etwa 20%. Es ist deshalb damit zu rechnen, dass bei λ = 1, 71 bleibende (plastische)
Verformungen eintreten.
tor λp . Der Einfluss der einsetzenden plastischen Verformungen bei λ = 1, 71 wird durch
eine Abminderung der zulässigen Spannungen im Nachweis berücksichtigt.
Die Proportionalitätsgrenze besitzt also einen wesentlichen Einfluss auf das Verformungs-
verhalten: In einem realen Stabwerk liegt üblicherweise die Proportionalitätsgrenze (λe ,
vgl. Abbildung 12.2) in der Nähe des Lastfaktors für den wir die Bemessung nachweisen
(z.B. 1, 71 in Abbildung 13.1). Die ideelle Knicklast (λk ) muss immer grösser sein als
die Bemessungslast. Die ideelle Knicklast nähert sich der Bemessungslast mit wachsender
Schlankheit der Stäbe. Mit wachsender Schlankheit nehmen aber auch die Verformungen
überproportional zu, und die Berechnungsannahmen der Stabilitätstheorie werden damit
insgesamt in Frage gestellt. Mit Bezug zu Abbildung 13.1 lässt sich feststellen, dass die
nichtlineare Verformungsberechnung höchstens bis zum Erreichen der ideal-plastischen
Grenzlastkurve ip“ (Punkt A) sinnvoll ist. Der Bereich A − −B ist nur von theoretischer
”
Bedeutung.
Wir erkennen aus diesem Beispiel, dass jede Einteilung der Ursachen für nichtlineare
Verformungen an sich schon eine Idealisierung darstellt. Für eine vereinfachte Berechnung
unterscheidet man folgende Idealisierungen des nichtlinearen Tragwerksverhaltens:
− Geometrische Nichtlinearität zur Beschreibung aller Einflüsse, die sich aus einer
nichtlinearen Verträglichkeitsbedingung der Verformungen und Verzerrungen erge-
ben und die – wie wir schon bei der elastischen Stabilität gesehen haben – auch die
Gleichgewichtsbedingungen beeinflussen.
Eine Einführung in die Grundlagen würde den Rahmen dieser Darstellung sprengen; die
Rechenmethoden im plastischen Werkstoffbereich würden eine zusätzliche Vertiefung der
numerischen Mathematik erfordern. Aus diesen Gründen behalten wir auch im folgenden
die Annahme der unbeschränkten Gültigkeit des Hooke’schen Gesetzes bei.
Bei der Ableitung der nichtlinearen Steifigkeitsmatrix (Abschnitt 12.2) haben wir erstmals
die Annahme infinitesimaler Formänderungen verlassen: Die Annahmen der elementaren
Balkentheorie wurden dort indirekt verletzt und zwar durch die Formulierung der Gleich-
gewichtsbedingungen in einem Nachbarzustand“ mit endlichen Verformungen, jedoch
”
unter Beibehaltung der grundlegenden Differentialgleichungen des Balkenelementes mit
infinitesimalen Formänderungen.
Da wir Stabwerke mit endlichen Verformungen nur über Nachbarzu- stände durch Linea-
risierung berechnen können, müssen zunächst die oben genannten Vernachlässigungen bei
der Ableitung des ersten Nachbarzustandes näher untersucht werden. Hierfür müssen wir
die Formän- derungen, die zu dem Nachbarzustand führen, exakt beschreiben.
Die Dehnungen eines Stabes werden in der Balkentheorie als relative Längenänderung
definiert: Die Dehnung in einem Punkt P (x) auf einer zu (x2 , x3 ) parallelen Ebene in
Richtung der x1 -Achse ist:
∂w1
ε11 = ≡ w1,1 (13.2)
∂x1
w1 (x) ist die Komponente des Verschiebungsfeldes w in Richtung von x1 . Wir haben
hierbei von der Indexschreibweise Gebrauch gemacht: alle Indizes verweisen auf die In-
dizes der Koordinatenachsen (x1 ≡ x, x2 ≡ y, x3 ≡ z). Ein Komma kennzeichnet einen
13.2. GEOMETRISCH NICHTLINEARE BERECHNUNG 291
∂wi
wi, j = .
∂xj
Zusätzlich wird die Summenvereinbarung eingeführt: Zwei gleiche Indizes in einem Pro-
dukt werden als Summe über den Bereich (1, 2, 3) der Indizes aufgefasst, z.B. ist
3
X
aij bj ≡ aij bj = ai1 b1 + ai2 b2 + ai3 b3 .
j=1
Die Dehnungen nach (13.1) und (13.2) sind Grundlage der elementaren Balkentheorie und
gelten nur für kleine Formänderungen. Der benachbarte Verformungszustand wird durch
den nichtlinearen Verzerrungstensor beschrieben (Lagrange’scher Verzerrungstensor [80]):
Die linearen Anteile von (13.3) sind aus der linearen Elastizitätstheorie bekannt (vgl.
(13.2)); die Dehnungsanteile sind εij für i = j, die doppelten Verzerrungsanteile εij für
i 6= j sind die Gleitungen [39].
Zunächst erinnern wir jedoch an einige Grundlagen der Mechanik: Für einen elastischen
Körper unter statischer Belastung berechnet man die Verzerrungsenergie zu [80]:
Z Z εij
U= σij dεij dV. (13.5)
V 0
σij sind die Komponenten des Spannungstensors (i, j = 1, 2, 3) und V ist das Volumen
des Körpers. U ist gleich der mechanischen Arbeit WE , die durch die Belastung an den
Verformungen des Körpers geleistet wird.
Den Spannungen sind über das Elastizitätsgesetz eindeutig die Dehnungen zugeordnet.
Daraus folgt, dass die Verzerrungsenergie für elastische Körper allein in den Dehnungen
darstellbar ist.
Die Dehnungen sind ihrerseits aus der Verschiebungsfunktion w abgeleitet (13.3). Wenn
die Verschiebungsfunktion bis auf Freiwerte (Stützstellen) bekannt ist oder approximiert
werden kann, dann kann auch die Verzerrungsenergie als Funktion dieser Freiwerte dar-
gestellt werden.
Dieser Gedanke ist von zentraler Bedeutung, und wir erläutern ihn deshalb an einem
Beispiel.
Beispiel 13.1
w1 = ax2 + bx + c
(w2 = w3 = 0).
Es handelt sich um einachsige Dehnungen. Für die lineare Dehnung nach (13.2) erhält
man:
ε11 = 2ax + b.
σ11 = Eε11
13.2. GEOMETRISCH NICHTLINEARE BERECHNUNG 293
Dies ergibt:
Z
E
U= ε211 dV.
2 V
Für einen Stab mit konstantem Querschnitt A und der Länge l erhält man:
EA l
Z
U = (2ax + b)2 dx
2 0
= (4a2 l3 /3 + 2abl2 + b2 l)EA/2.
Damit ist U als Funktion der Freiwerte a, b und c gegeben. Diese Freiwerte sind Stütz-
stellen der Verschiebungsfunktion (Abbildung 13.4).
Für den in Abbildung 13.4 gezeigten Fall könnten die Freiwerte a, b und c in u1 , u2 und
u3 ausgedrückt werden, so ist z. B.
u1 ≡ w1 (0) ≡ c.
Mit diesen Bezeichnungen können wir einen wesentlichen Satz der Elastizitätstheorie for-
mulieren [8].
294 KAPITEL 13. NICHTLINEARE VERFORMUNGEN
Satz 13.1 (Erster Satz von Castigliano): Wenn die Verzerrungsenergie eines elastischen
Körpers als Funktion verallgemeinerter Verschiebungen ui dargestellt werden kann, dann
ist die erste partielle Ableitung der Verzerrungsenergie nach jeder verallgemeinerten Ver-
schiebung gleich der korrespondierenden verallgemeinerten Kraft (S i ) :
∂U
= S i. (13.6)
∂ui
Der zweite Satz von Castigliano gilt nur für ein elastisches Stoffgesetz:
∂U
= ui .
∂S i
Wir werden im folgenden nur vom ersten Satz von Castigliano Gebrauch machen. Damit
sind alle Grundlagen bekannt, die für die folgenden Ableitungen benötigt werden.
Wir betrachten ein ebenes Stabelement (Abbildung 13.5) in seiner unverformten Aus-
gangslage und in einem verformten Nachbarzustand.
Neben den üblichen Idealisierungen für ein Stabelement gehen wir von folgenden Annah-
men aus:
13.3. GEOMETRISCHE STEIFIGKEITSMATRIX DES EBENEN STABELEMENTES295
(2) Im benachbarten Verformungszustand gilt für die Krümmung (Abbildung 13.5 (b)):
dwz
1 dx d2 w z
=" = (13.7)
p 2 #3/2 dx2
dwz
1+
dx
Dies folgt im wesentlichen aus der weiterhin gültigen Annahme (2) von Abschnitt
?? (ebenes Fachwerkelement).
(3) Die Ableitungen ux,x der Verschiebungsfunktion nach x sind klein gegen 1, so dass
gilt:
2
dux
= 0.
dx
2 2
dux 1 dwz d wz
εxx = + −z (13.8)
dx 2 dx dx2
Dehnungsanteil Biegeanteil
Der Biegeanteil ist aus der elementaren Balkentheorie bekannt: Eine positive Krümmung
(Abbildung 13.5) (b)) bewirkt eine Dehnung (εxx > 0) für z < 0 und eine Stauchung
(εxx < 0) für z > 0. Die Dehnungen sind linear über den Querschnitt verteilt (Bernoulli-
Hypothese vom Ebenbleiben der Querschnitte,[39]) und man erhält den in (13.8) angege-
benen Biegeanteil.
Als Näherungsansätze für den Verschiebungszustand wählen wir die Lösungen der linearen
Theorie, wie man sie für ein unbelastetes Stabelement erhält.
ux = a0 + a1 x
und w z = b0 + b 1 x + b2 x 2 + b3 x 3 (13.9)
mit ai , bi = const.
Mit diesen Ansätzen kann die Verformung eines unbelasteten Stabelementes mit klei-
nen Verformungen exakt bestimmt werden, d.h. in einem unbelasteten Stabelement im
Gesamttragwerk sind die Verschiebungen in Richtung der Stabachse immer lineare und
senkrecht zur Stabachse immer kubische Funktionen der Koordinate x.
296 KAPITEL 13. NICHTLINEARE VERFORMUNGEN
Mit den in Abbildung 13.5 (a) angegebenen Stützstellen für die Konstanten in (13.9):
u1 ≡ ux (0) = a0 ,
u4 ≡ ux (l) = a0 + a1 l,
u2 ≡ wz (0) = b0 ,
u5 ≡ wz (l) = b0 + b1 l + b2 l2 + b3 l3 , (13.10)
dwz (0)
u3 ≡ − = −b1 ,
dx
dwz (l)
u6 ≡ − = −b1 − 2b2 l − 3b3 l2 .
dx
Es sind dies sechs Gleichungen für sechs Unbekannte. Das zugrunde liegende Randwert-
problem ist vollständig, und wir können nach den verallgemeinerten Verschiebungen (Sta-
bendverformungen) auflösen:
a0 = u 1 ,
u4 − u1
a1 = ,
l
b0 = u 2 ,
b1 = −u3 , (13.11)
b2 = 3(u5 − u2 )/l2 + (2u3 + u6 )/l,
b3 = 2(u2 − u5 )/l3 + (u3 + u6 )/l2 .
Die Ansätze (13.9) werden in Abhängigkeit von ui angegeben; zugleich können auch die
Dehnungen nach (13.8) von ui abhängig dargestellt werden. Wie im vorhergehenden Ab-
schnitt ist die Verzerrungsenergie
Z
E
U= ε2xx dV
2 V
zu berechnen.
Zl Z " 2 42
d2 w z
2
E dux dwz 2dux1 d wz
U = + −2 z + z
2 dx dx2
dx dx 4 dx2
x=0 A
2 2 2 #
d wz dwz dux dwz
− z+ dA dx (13.12)
dx2 dx dx dx
Wir haben vorausgesetzt, dass die x-Achse im Schwerpunkt des Stabquerschnittes liegt.
Daraus folgt:
Z
zdA = 0. (13.13)
A
13.3. GEOMETRISCHE STEIFIGKEITSMATRIX DES EBENEN STABELEMENTES297
Es ist dies die Definitionsgleichung des Schwerpunktes der Fläche A. Damit und mit
Vernachlässigung der dritten und höheren Potenzen von wz,x erhält man:
Zl 2 Zl 2 Zl 2
d2 wz
EA dux EIy EA dux dwz
U= dx + dx + dx. (13.14)
2 dx 2 dx2 2 dx dx
0 0 0
Die Integrale können mit (13.9) und (13.11) in ui dargestellt werden. Nach längerer
Rechnung ergibt sich:
l2
EA 2 3 3
U = u1 − 2u1 u2 + u4 + (u4 − u1 ) u22 + u23 + u25
2 2
2l l 5 15 5
2 2
l 2 l 6 l l l
+ u6 − u2 u3 − u2 u5 − u2 u6 + u3 u5 − u3 u6
15 10 5 10 10 30
l 2EI
y
+ u5 u6 + 3 3u22 + l2 u23 + 3u25 + l2 u26 − 3lu2 u3
10 l
2
− 6u2 u5 − 3lu2 u6 + 3lu3 u5 + l u3 u6 + 3lu5 u6 . (13.15)
EA
F1 = (u4 − u1 ) .
l
Damit berechnet man die Steifigkeitsbeziehung nach dem ersten Satz von Castigliano
(Satz 13.1) zu (ebenes Stabelement):
Al2 −Al2
S1 Iy 0 0 Iy 0 0 0 u1 0 0 0 0 0 0 u1
S2 12 −6l 0 −12 −6l u2 5l6 −1 0 −6 −1
u
10 5l 10 2
2l 1 −l
S
3
EIy
4l2 0 2
6l 2l u3
15 0 10 30 u3
= + F1
l3
Al2
S4 0 0 u4 0 0 0 u4
Iy
symmetrisch 6 1 u5
S5 symmetrisch 12 6l u5
5l 10
2l
S6 4l2 u6 15 u6
lineare geometrische
Steifigkeitsmatrix (13.16)
298 KAPITEL 13. NICHTLINEARE VERFORMUNGEN
An dieser Stelle ist ein Vergleich mit Gleichung (12.35) interessant: In Abschnitt 12.4 ha-
ben wir dieselbe geometrische Steifigkeitsmatrix durch eine Linearisierung der nichtlinea-
ren Verformungsbeziehungen des Stabelementes abgeleitet. Bei der Ableitung wurde dort
von den Gleichgewichtsbedingungen im Nachbarzustand ausgegangen, und die Gültigkeit
der Differentialgleichungen des Balkens
wurde vorausgesetzt.
In diesem Abschnitt wurde hingegen von großen Dehnungen und Verformungen ausgegan-
gen. Die Dehnungen wurden hier aus dem Lagrange’schen Verzerrungstensor abgeleitet,
die Verformungen wurden in übereinstimmung mit der Differentialgleichung des Balkens
gewählt.
Die geometrische Steifigkeitsmatrix wurde im ersten Fall durch einen Grenzübergang er-
halten, in der vorliegenden Ableitung haben wir den ersten Satz von Castigliano verwen-
det.
Die Ergebnisse beider Ableitungen sind identisch; es zeigt sich also, dass die Annahmen
und Vernachlässigungen in beiden Fällen die gleichen sind. Die Ableitung der geometri-
schen Steifigkeitsmatrizen aus der Verzerrungsenergie mit Hilfe des Satzes von Castigliano
ist zweifelsohne der einfachere Weg, dem heute allgemein der Vorzug gegeben wird. Wir ha-
ben jedoch hier den ersten Weg vollständig dargestellt, um die Identität beider Methoden
zu verdeutlichen, hauptsächlich aber auch, um die Stabilitätsberechnung in linearisierter
Form darstellen zu können.
13.4. DAS NEWTON’SCHE VERFAHREN 299
Bei der Lösung von Stabilitätsproblemen sind wir davon ausgegangen, dass die Knoten-
lasten lineare Funktionen des Proportionalitätsfaktors λ sind (Abschnitt 12.1); mit der
zusätzlichen Annahme, dass die Schnittgrössen bis zum Erreichen der kritischen Belastung
linear von den Verformungen abhängen (kleine Verformungen), ergab sich die Stabilitäts-
gleichung (12.3):
K(λ F ) r = λ R
Bei nichtlinearen Verformungen müssen wir diese Annahmen verlassen. Zur prinzipiellen
Darstellung des Lösungsweges nehmen wir an, die “Gleichgewichtsbedingungen” seien als
ein System n nichtlinearer Gleichungen in r̃T = [r | S] gegeben.
Die Existenz und Eindeutigkeit einer Lösung r̃ kann im allgemeinen nicht gezeigt werden;
mit intuitiven, ingenieurmässig begründeten Annahmen gelingt es jedoch, konvergente
Iterationsverfahren abzuleiten, die das mechanische Problem genügend genau erfassen.
Diese Iterationsverfahren werden aus dem Newton’schen Verfahren zur Lösung nichtlinea-
rer Gleichungssysteme abgeleitet. Wir betrachten die i-te Gleichung von (13.17):
gi (r̃) = Ri , i = 1, . . . , n. (13.18)
Für das Newton’sche Iterationsverfahren muss die Jakobi-Matrix [14] in einem Ausgangs-
zustand r̃ν berechnet werden. Die Jakobi-Matrix ist der Gradient von g:
∂g(r̃ν )
J ν ≡ J(r̃) = (13.19)
∂r̃
∂gi
mit Jij = , i, j = 1, 2, . . . , n.
∂r̃j
Bei der iterativen Berechnung von Tragwerken ist vorausgesetzt, dass der Ausgangszu-
stand r̃ν die Gleichgewichtsbedingung (13.17) für eine gegebene Belastung Rk erfüllt und
eindeutig ist.
Die Iteration nach (13.22) ist aufwendig: In jedem Schritt muss die Matrix J neu berech-
net und ein lineares Gleichungssystem (13.22) gelöst werden. Eine idealisierte qualitative
Darstellung des Iterationsverlaufes ist für ein System mit nur einem Freiheitsgrad in Ab-
bildung 13.6 (a) gegeben.
Im ersten Fall (Abbildung 13.6 (a)) wird bei jeder Iteration eine neue Tangentialappro-
ximation J berechnet. Im zweiten Fall hingegen wird die Tangentialapproximation von J
solange beibehalten, bis der Zuwachs von r̃ kleiner als eine vorgegebene Schranke εr wird.
Erst wenn diese Schranke erreicht ist, wird eine neue Tangentialmatrix (Jakobi-Matrix)
berechnet.
Im Fall (a) ist J in jedem Punkt (1−2−3 . . .) zu berechnen, das Gleichungssystem (13.22)
ist in jedem Punkt zu lösen.
Im Fall (b) muss in jedem Punkt (1 − 2 − 3 . . .) nur das Gleichungssystem (13.22) gelöst
werden, und es ergeben sich wesentlich mehr Punkte.
ergibt. In der Anwendung auf Tragwerke wird man immer den zweiten Fall wählen, da die
Berechnung von J −1 sehr aufwendig ist. Für grosse Werte von εr gehen ausserdem beide
Fälle ineinander über.
Numerische Schwierigkeiten treten dann auf, wenn det(J) sehr klein wird. Dies entspricht
im eindimensionalen Fall einer horizontalen Tangente (Abbildung 13.7 (a)). Das Glei-
chungssystem (13.22) besitzt hierfür keine eindeutige Lösung; die Verformungen r̃ neh-
men bei konstanter Belastung zu. Solche Fälle werden im allgemeinen schon durch die
Forderung ausgeschlossen, dass der Werkstoff im linear-elastischen Bereich bleiben muss
(Abbildung 13.1 (b)).
Einen Sonderfall stellen die Durchschlagprobleme (Abbildung 13.7 (b)) dar. Bei diesen
Problemen wird eine horizontale Tangente (Punkt
A erreicht, das Tragwerk ändert seine
Geometrie und erreicht wieder eine stabile Nachbarlage. Für die Berechnung dieser Pro-
bleme sind zusätzliche überlegungen erforderlich, auf die wir hier nicht eingehen können.
13.4. DAS NEWTON’SCHE VERFAHREN 301
Wir beschränken uns deshalb auf die Verformungsbereiche, für die eine eindeutige Zu-
ordnung von Last und Verformung existiert (Abbildung 13.7 (a): 0 bis
4 und (b): 0 bis
).
A
Die Anwendung der vollständigen Iteration nach (13.22) zeigen wir mit einem einfachen
Beispiel (Abbildung 13.8, siehe auch [45], Seite 158).
302 KAPITEL 13. NICHTLINEARE VERFORMUNGEN
Beispiel 13.2:
An einem Stab-Federsystem wird das Newton Verfahren mit einer genauen Lösung ver-
glichen (Abbildung 13.8). Das Gleichgewicht in Knoten A erhält man zu:
−S − F1 sin α + λR = 0. (i)
(a)
S = (Ek)r.
F1 = EA(l0 /l − 1).
M it l/l0 = cos α
1 tan α
cos α = √ , sin α = √
tan2 α + 1 tan2 α + 1
tan α = r/l
p r/l
−Ekr − EA (r/l)2 + 1 − 1 p +R=0
(r/l)2 + 1
p (ii)
EA ρ2 + 1 − 1
oder: R = Eklρ + p ρ mit ρ = r/l.
ρ2 + 1
Damit ist die genaue Lösung R(ρ) bekannt; sie ist in Abbildung 13.9 dargestellt. Zum
13.4. DAS NEWTON’SCHE VERFAHREN 303
Vergleich zeigen wir eine iterative Lösung nach (13.22). Hierzu gehen wir von den folgenden
Gleichungen aus:
ρ
g1 : Eklρ + p F1 = R,
ρ2 + 1 (iii)
p
g2 : EA ρ2 + 1 − 1 − F1 = 0.
∂g1
J11 ≡ = Ekl + (ρ2 + 1)−3/2 F1 ,
∂ρ
∂g1 ρ
J12 ≡ =p ,
∂F1 ρ2 + 1
∂g2 EAρ
J21 ≡ =p ,
∂ρ ρ2 + 1
∂g2
J22 ≡ = −1.
∂F1
Ausgehend von ρ = 0 und ∆R = 0, 2 kann man damit die Lösung auf iterativem Wege
nach (13.22) berechnen.
Die Ergebnisse der exakten und iterativen Lösung sind in Abbildung 13.9 gegenüberge-
stellt.
304 KAPITEL 13. NICHTLINEARE VERFORMUNGEN
In der Anwendung auf statisch unbestimmte Stabwerke sind die Gleichungen gi übli-
cherweise komplizierter als im vorliegenden Fall. Die Schnittgrössen (Stabendkräfte) sind
üblicherweise implizite Funktionen der Verformungen.
Im folgenden wird die Anwendung des Newton-Raphson Verfahrens bei der Berechnung
von Stabwerken gezeigt.
Wir betrachten ein Stabwerk mit vorgegebener Belastung Rm . Gesucht sind die Rm zu-
m
geordneten Knotenverformungen rm und die Stabendkräfte S . Wenn diese Vektoren be-
kannt sind, können die Zustandslinien (siehe Abschnitt 4.8) und die Verformungen (siehe
Abschnitt 5.4) mit den bekannten Verfahren berechnet werden. Auf die diesbezüglichen
Berechnungen werden wir hier, um Wiederholungen zu vermeiden, nicht eingehen; wir
beschränken uns auf die Berechnung von rm und S m . Das Superpositionsprinzip (Satz
6.1) verliert seine Gültigkeit im nichtlinearen Bereich:
Die Belastung muss ausgehend von einem unbelasteten Zustand eindeutig in Parameter-
form gegeben sein, so z.B. mit λ als Lastparameter der i-ten Lastkomponente als:
Ri = Ri (λ)
Ein Sonderfall einer solchen Parameterbelastung ist die proportionale Belastung, wie wir
sie bei der Behandlung von Stabilitätsproblemen vorausgesetzt haben. Wir bezeichnen
R(λ) als Belastungsgeschichte“ und identifizieren damit λ als Zeitfaktor einer quasi-
”
statischen Belastung (Abbildung 13.10).
R0 = 0 (unbelasteter Zustand),
R1 = R0 + ∆R1
..
.
Rk = Rk−1 + ∆Rk
..
.
Rm = Rm−1 + ∆Rm . (13.24)
Für die folgende Berechnung nehmen wir an, dass die Belastungsgeschichte durch Lastin-
kremente gegeben ist. Die Größe eines Lastinkrementes ist gegeben durch die Norm:
q
k∆Rk = ∆RT ∆R. (13.25)
13.5. SCHNITTGRÖSSEN UND VERFORMUNGSITERATION 305
Lastvektoren :
R1 (λ1 )
R1 =
R2 (λ1 )
Rk (λk )
Rk =
Rk (λk )
Wir setzen voraus, dass die Lastinkremente so klein gewählt werden, dass zwischen den
einzelnen Lastschritten Rk und Rk+1 eine eindeutige Zuordnung der Last R und der
Verformung r existiert. Diese Voraussetzung kann nur durch Vergleichsberechnungen mit
kleineren Schrittweiten und durch die ingenieurmässige Beurteilung einer Konstruktion
überprüft werden.
Mit diesen grundlegenden Festlegungen bezüglich der Belastung betrachten wir nun das
Problem der iterativen Berechnung.
S = k e u + k g (S 0 ) u
mit (13.22)
die Iterationsvorschrift für die Berechnung der Stabendkräfte. Für die Schnittgrößenite-
ration gilt:
ν+1 ν
S = k e , uν+1 + k g (S ) uν+1 . (13.26)
Die Iteration für die Knotenverformungen ergibt sich aus den Ableitungen der geometri-
schen Steifigkeitsmatrix. Gleichung (13.16) gilt für den unverformten Ausgangszustand.
306 KAPITEL 13. NICHTLINEARE VERFORMUNGEN
Für jeden Ausgangszustand mit den Verformungen rν ist auch die elastische Steifigkeits-
matrix k e abhängig von den Knotenverformungen.
Für ein Fachwerkelement mit Verformungen r berechnet man z.B. die Länge l0 im ver-
formten Ausgangszustand zu (vgl. Abbildung 13.11):
q
l = [(xj + r3 ) − (xk + r1 )]2 + [(zj + r4 ) − (zk + r2 )]2 .
0
Die Steifigkeitsmatrix k e (r) des verformten Ausgangszustandes ist mit l0 anstelle von l
(im unverformten Ausgangszustand) zu berechnen.
Da sich die Geometrie des Tragwerkes mit jeder änderung von S ändert, muss eine Iterati-
on über r durchgeführt werden. Wir kennzeichnen diese Iteration durch denselben Zeiger
ν:
C S ν+1 = Rk . (13.29)
Hierbei ist Rk die vorgegebene Laststufe, für welche die Iteration über ν durchgeführt
werden muss (k kennzeichnet also keine Iteration).
13.5. SCHNITTGRÖSSEN UND VERFORMUNGSITERATION 307
Durch Umformung der Gleichungen (13.27) bis (13.29) erhält man (vgl. Weggrössenver-
fahren, Kapitel 6):
e ν ν
K (r ) + K g (S ) rν+1 = Rk (13.30)
mit K e (rν ) = C K e (rν ) C T
ν ν
und K g (S ) = C K g (S ) C T . (13.31)
ν
S ν+1 = K e (rν ) + K g (S ) C T rν+1 .
(13.32)
Analog zu (13.23) betrachten wir eine Iteration in einer Laststufe als konvergent, wenn
die Fehlerschranke ε erreicht ist:
ν+1 ν
krν+1 − rν k kS −S k
+ ν < ε. (13.33)
rν S
Mit der zuletzt erreichten Verformung ist eine Näherung für die Knotenverformung der
Laststufe Rk bekannt:
rk = rν+1 . (13.34)
Mit den zuletzt erreichten Stabendkräften ist eine Näherung für die Stabendkräfte der
Laststufe Rk bekannt:
k ν+1
S =S . (13.35)
Die Matrix des Gleichungssystems (13.30) ist für eindeutige Gleichgewichtslagen positiv
definit:
ν
det K e (rν ) + K g (S ) > 0.
det (K e + K g ) ≤ 0, (13.36)
dann gibt es für die Laststufe Rk keine eindeutige Gleichgewichtslage: Die Berechnung
k−1
muss in diesem Fall ausgehend vom letzten Lastschritt (Rk−1 , rk−1 , S ) mit einem klei-
neren Lastinkrement (üblicherweise 1/2 ∆Rk ) wiederholt werden. Es ist also durchaus
möglich, dass die Endbelastung Rm der vorgegebenen Belastungsgeschichte nicht erreicht
308 KAPITEL 13. NICHTLINEARE VERFORMUNGEN
werden kann. Die letzte abgeschlossene Iteration ergibt in diesem Fall die (im Rahmen
der getroffenen Annahmen) zulässige Belastung. Damit ist die iterative Berechnung eines
nichtlinearen Stabwerkes vollständig beschrieben. In Abbildung 13.17 ist ein Ablaufdia-
gramm der Berechnung dargestellt.
Der numerische Aufwand für einen jeden Lastschritt ist im Vergleich zur linearen Berech-
nung sehr gross; üblicherweise werden für brauchbare Näherungen mindestens 10 − 20
Iterationen benötigt. Es erscheint deshalb besonders wichtig, nochmals an die Vorausset-
zungen und Annahmen der Berechnung zu erinnern. Eine qualitative Beurteilung anhand
der Ergebnisse ist zwar sinnvoll, aber äusserst unzuverlässig: Auch bei groben Fehlern
ergibt sich meist eine “glatte Kurve als Lastverformungsdiagramm.
”
Es ist deswegen notwendig, in jedem Rechenprogramm Kontrollberechnungen durch-
zuführen. Mit Bezug zum Ablaufdiagramm (Abbildung 13.17) sind die wichtigsten Kon-
trollen im folgenden zusammengestellt.
Zwischen den einzelnen Lastschritten wird geprüft, ob die Annahmen und Voraussetzun-
gen der Berechnung noch erfüllt sind. Als Beispiel erinnern wir an die Annahme, dass
Fachwerkstäbe nicht vor Erreichen der Endlast wie Eulerstäbe ausknicken oder unzulässi-
ge Verformungen auftreten. Es ist ausserdem sinnvoll, in jedem Belastungsschritt die
auftretenden Spannungen zu überprüfen.
Für zwei Beispiele werden im folgenden die Ergebnisse mit der vollständigen Iteration
dargestellt.
Beispiel 13.2
Ein einseitig eingespannter Stab (Abbildung 13.13) mit Normal- und Querbelastung wird
mit einer Unterteilung in 2, 4 und 8 Elemente berechnet.
In den Last-Verformungskurven sind die Ergebnisse aus Berechnungen mit linearen Ele-
menten (nur Verformungsiteration) und mit nichtlinearen Elementen (Verformungs- und
Schnittgrösseniteration) gegenübergestellt.
Bei einer Verwendung der linearen Steifigkeitsmatrix wird die Steifigkeit des Systems
überschätzt und somit die Last-Verformungskurve “von oben angenähert. Durch die
”
Gleichsetzung von Stabsehne l und Bogenlänge s wird bei Verwendung des nichtlinea-
ren Elementes die Steifigkeit unterschätzt, die Normalkraft als zu groß angenommen und
somit die Last-Verformungskurve von unten“ angenähert. Der Einfluss ist allerdings so
”
gering, dass er in der Zeichnung nicht mehr darstellbar ist.
Beide Einflüsse verschwinden, wenn die Elementeinteilung genügend klein gewählt wird.
13.5. SCHNITTGRÖSSEN UND VERFORMUNGSITERATION 309
Beispiel 13.3
Ein Fachwerk (Abbildung 13.14) wird für proportionale Belastung im geometrisch nicht-
linearen Bereich berechnet.
Die Iteration mit Ersatzknotenlasten ist im wesentlichen mit dem modifizierten Newton-
Raphson Verfahren (Abbildung 13.6 (b)) identisch:
Die Verformungsberechnung (vgl. Ablaufdiagramm, Abbildung 13.17) wird mit der elas-
tischen Steifigkeitsmatrix K e (rρ = rk ) solange fortgeführt, bis eine Fehlerschranke εS
der Stabendkräfte erreicht ist. Zusätzlich wird von der Annahme kleiner änderungen der
geometrischen Steifigkeit ausgegangen; es wird angenommen, dass gilt:
ν+1 ν
K g (S ) rν = K g (S ) rν . (13.37)
ν
K e rν+1 = Rk − K g (S ) rν . (13.38)
ν+1 ν
C T rν+1 .
S = ke + kg S (13.39)
εS > k∆Sk
muss die Iteration mit der Steifigkeitsmatrix K e (rρ+1 = rν+1 ) wiederholt werden, bis auch
die Fehlerschranke der Verformungen
erreicht ist. Die Iteration über ρ erfolgt für dieselbe Laststufe. Die Belastung wird erst
dann erhöht, wenn die Fehlerschranken erreicht sind.
Die änderungen in rρ bestimmen damit wesentlich die Effizienz der Iteration mit Ersatz-
knotenlasten.
Beispiel 13.4
Für einen eingespannten Einfeldrahmen mit der in Abbildung 13.16 gezeigten Elementein-
teilung wurde eine Vergleichsberechnung mit der Schnittgrösseniteration und der Iteration
über Ersatzknotenlasten durchgeführt. Die Belastung ist proportional zu einem Lastpa-
rameter λ .
In Abbildung 13.16 (c) ist die CPU-Zeit für jeden Lastschritt aufgetragen. Die Itera-
tion mit Neuaufbau und Inversion der Steifigkeitsmatrix in jedem Lastschritt benötigt
hierbei für einen Lastschritt nahezu die gleiche Rechenzeit; nur im Bereich grosser Verfor-
mungszuwächse (λ > 22, 5) ist hier eine geringfügige Zunahme zu verzeichnen. Die Zeit,
die für eine Iteration mit Ersatzknotenlasten benötigt wird, ist hingegen sehr stark von
der Grösse der Verformungszuwächse abhängig. Im Bereich grosser Verformungszuwächse
wird das Verfahren unwirtschaftlich. Im Bereich kleiner Verformungszuwächse (im Beispiel
λ < 20) kann die Iteration mit Ersatzknotenlasten auch weniger Zeit beanspruchen als die
vollständige Iteration. Vor allem bei Tragwerken mit vielen Elementen ist die Iteration
mit Ersatzknotenlasten wirtschaftlicher.
Beispiel 13.5
Für einen leichten Hallenbinder mit Kranbahn werden die Verformungen und Zustands-
linien ermittelt. Das Tragwerk ist mit seinen wesentlichen Abmessungen in Bild 13.17
dargestellt; die Bemessung ist einer ausgeführten Konstruktion entnommen. Die geome-
trisch nichtlineare Berechnung erfolgte über Ersatzknotenlasten. Der Hallenbinder ist für
3, 5-fach gesteigerte Lasten berechnet worden. Die Last wurde von 0,5 an in 0,5-er Schrit-
ten gesteigert. Der lineare Eigenwert des Systems ist 6,11.
In Abbildung 13.17 (c) ist die Momentenlinie für λ = 1 bei linearer und in Abbildung
13.17 (e) die für λ = 3, 5 bei geometrisch nichtlinearer Berechnung dargestellt. Abbildung
13.17 (d) zeigt die Last-Verformungskurve für die Referenzverformung r4x . Die Verfor-
mungsfigur für λ = 3, 5 ist in Abbildung 13.17 (f) dargestellt.
Die Vernachlässigungen, die bei der Berechnung möglich und sinnvoll sind, so z.B. die
Näherung für die Krümmung eines Biegebalkens, sind nicht direkt mit der Theorie zweiter
”
Ordnung“ verknüpft. Wesentlich ist die Berücksichtigung der elastischen Verformungen
in den Gleichgewichtsbedingungen.
Das Problem der Balkenbiegung auf der Grundlage der strengen Krüm- mungsbeziehung
wird von Love [44] ausführlich behandelt. Es wird seit Euler (1744) als Problem der
”
Elastica“ bezeichnet.
Für die praktische Anwendung genügt jedoch immer die Näherung, die man durch Gleich-
setzen der zweiten Ableitung der Biegelinie und der Krümmung erhält, also die elementare
Balkenbiegetheorie oder auch die technische Balkenbiegelehre, wie sie verschiedentlich be-
zeichnet wird.
Diese Annahme ist die Grundlage der Verformungsbeziehungen der Stabelemente, die
316 KAPITEL 13. NICHTLINEARE VERFORMUNGEN
wir in den vorangehenden Abschnitten dargestellt haben. Die iterative Berechnung eines
Stabwerkes mit der geometrischen Steifigkeitsmatrix ist deshalb ein Näherungsverfahren
für die Lösung von Problemen der Theorie zweiter Ordnung. Hierzu muss jedoch bemerkt
werden, dass es, mit Ausnahme der elementaren Fälle, keine strengen Lösungen nach der
Theorie zweiter Ordnung gibt; es sind immer Vernachlässigungen (z.B. Längsverformun-
gen) erforderlich, und es muss immer ein System nichtlinearer Gleichungen (transzendent)
gelöst werden. Dies ist ohne Iteration im allgemeinen nicht möglich.
Die Iteration mit der geometrischen Steifigkeitsmatrix ist insgesamt eine konsequente
Approximation. Mit kleineren Elementunterteilungen ist es sogar möglich, Probleme der
Elastica“ näherungsweise zu lösen.
”
Diese Genauigkeitsforderungen werden jedoch üblicherweise nicht gestellt. Eine sinnvolle
Lösung würde man zudem nur dann erhalten, wenn die geraden Stabelemente die Ver-
formung genügend genau approximieren, was wiederum zu einer grossen Anzahl von Ele-
menten führt.
Die Frage nach der geometrischen Approximation des Verformungszustandes sollte jedoch
auch bei den Näherungslösungen nach Abschnitt 13.5 und 13.7 beachtet werden.
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Anhang A
Elementkatalog
• Ebenes Fachwerkelement
• Ebenes Stabelement
i i
Für die genannten Elemente werden die Matrizen LiD , k̄ D, , k̄ , k i und m̄i dargestellt.
i i
S̄ = k̄ D · ūi (A.1)
S i = k iD · ui (A.2)
i T
k iD = LiD · k̄ D · LiD (A.3)
i i
S̄ = k̄ · ūi − w2 · m̄i · ūi (A.4)
S i = k i · ui − w2 · mi · ui (A.5)
i T
k i = LiD · k̄ · LiD (A.6)
T
mi = LiD · m̄i · LiD (A.7)
In den Matrizen wird für die Stablänge der Buchstabe l verwendet. Die Indizes l und
r bezeichnen das linke und rechte Stabende. Das linke Stabende ist der Ursprung des
lokalen Koordinatensystems.
325
326 ANHANG A. ELEMENTKATALOG
−1 c −s 0 0 −c
0 s c 0 0 −s
i i T
T = LD = (ai ) =
1
0
0 c −s
c
0 0 0 s c s
c2 cs −c2 −cs
2 2
s −cs −s
fi = l
k ir = k i = EA
EA
EA l l 2
sym. c cs
s2
s2 −sc −s2 sc
c2 sc −c2 c ≡ cos α = (xr − xl )/li
k ig = F1
l
sym. s2 −sc
s ≡ sin α = (zr − zl )/li
c2
A.2. EBENES STABELEMENT TYP-A 327
Elastische Steifigkeitsmatrix
2
6s 2 −6sc 3s −6s2 6sc 3s
2 + c1 c l2
+ c1 sc l2
− c1 c2 l2
− c1 sc
l l l
6c2 −3c 6sc −6c2 −3c
l2
+ c1 s 2 l l2
− c1 sc l2
− c1 s 2
l
−3s 3c
2 1
k i = 2EI y l l
l 6s2 −6sc
−3s
sym. l2
+ c1 c2 l2
+ c1 sc l
6c2
3c
l2
+ c1 s 2 l
2
mit c1 = A/2Iy
Geometrische Steifigkeitsmatrix
2 2
6s −6sc s −6s 6sc s
5l 5l 10 5l 5l 10
6c2 −c 6sc −6c2 −c
5l 10 5l 5l 10
2l −s c −l
i 15 10 10 30
k g = F1
6s2
−6sc −s
sym. 5l 5l 10
6c2
c
5l 10
2l
15
A.3. EBENES STABELEMENT TYP-B 329
Elastische Steifigkeitsmatrix
2
6s 2 −6sc 3s −6s2 6sc 3s
2 + c1 c l2
+ c1 sc l2
− c1 c2 l2
− c1 sc
l l l
6c2 −3c 6sc −6c2 −3c
l2
+ c1 s 2 l l2
− c1 sc l2
− c1 s 2
l
−3s 3c
2 1
k i = 2EI y l l
l 6s2 −6sc
−3s
sym. l2
+ c1 c2 l2
+ c1 sc l
6c2
3c
l2
+ c1 s 2 l
2
mit c1 = A/2Iy
Geometrische Steifigkeitsmatrix
2 2
6s −6sc s −6s 6sc s
5l 5l 10 5l 5l 10
6c2 −c 6sc −6c2 −c
5l 10 5l 5l 10
2l −s c −l
i 15 10 10 30
k g = F1
6s2
−6sc −s
sym. 5l 5l 10
6c2
c
5l 10
2l
15
A.4. EBENES STABELEMENT MIT MOMENTENGELENK 331
−1 0 c −s 0
0 −1/a
s
c 0 0
0 1 0 0 1
Ti = LiD =
1 0
c −s 0
0 1/a
0 s c 0
0 b/a 0 0 1
−c s/a
−s −c/a
i T
0 1 c ≡ cos α = (xr − xl ) /li
(a ) =
c −s/a s ≡ sin α = (z r − zl ) /li
s c/a
0 b/a
6Iy A
i l A
o 6EIy 0
f = 6EIy k ir = l
6Iy
b3 la2
0 2al 1 + a3 0 2(a3 +b3 )
l EA
0 0
für b = 0 ⇒ fi = EA k ir = l
l 3EJ
0 3EJ
0 l
332 ANHANG A. ELEMENTKATALOG
Die Steifigkeitsmatrix:
c1 c24 + c2 c2 −c1 c4 c5 + c2 sc c1 c4 −c1 c24 − c2 c2 c1 c4 c5 − c2 sc c1 c3 c4
2 2 2 2
c1 c5 + c2 s −c1 c5 c1 c4 c5 − c2 cs −c1 c5 − c2 s −c1 c3 c5
c 1 −c 1 c 4 c 1 c 5 c 1 c 3
k i = 2EI y
l
2 2
c 1 c 4 + c 2 c −c 1 c 4 c 5 + c 2 cs −c 1 c 3 c 4
2 2
sym. c1 c5 + c2 s c1 c3 c5
2
c1 c3
3la2
Mit: c1 = 2(a3 +b3 )
, c2 = A/(2Iy ), c3 = b/a, c4 = s/a, c5 = c/a.
Für b = 0 gilt:
c1 c24 + c2 c2 −c1 c4 c5 + c2 sc c1 c4 −c1 c24 − c2 c2 c1 c4 c5 − c2 sc
c1 c25 + c2 s2 −c1 c5 c1 c4 c5 − c2 cs −c1 c25 − c2 s2
k i = 2EI
y
l c1 −c1 c4 c1 c5
sym. c1 c24 + c2 c2 −c1 c4 c5 + c2 cs
c1 c25 + c2 s2
−1 c −s 0 0 −c
0 s c 0 0 −s
i i i T
T = LD = (a ) =
1
0
0 c −s
c
0 0 0 s c s
c2 cs −c2 −cs
i
h i s2 −cs −s2
f = 1
k ir = [cw ] i
k = cw
cw 2
sym. c cs
2
s
−1 1 0 T −1
Ti = LiD = (ai ) =
1 0 1 1
h i 1 −1
fi = 1
cϕ
k ir = [cϕ ] k i = cϕ
−1 1
−1 c11 c21 c31 0 0 0 −c11
0 c −c
12 c22 c32 0 0 0
12
0 c −c
13 c23 c33 0 0 0
T 13
Ti = LiD = (ai ) =
1
0
0 0 c11 c21 c31
c11
0
0
0 0 c12 c22 c32
c12
0 0 0 0 c13 c23 c33 c13
fi = l
k ir = EA
EA l
c211 c11 c12 c11 c13 −c211 −c11 c12 −c11 c13
c212 c12 c13 −c12 c11 −c212 −c12 c13
i
EA
c213 −c13 c11 −c13 c12 2
−c13
k = l mit: cij = cosαij
c211 c11 c12 c11 c13
sym c212 c12 c13
c213
−1 0 0 0 0 0
0 −1 0 0 0 0
0 0 −1 0 0 0
0 0 0 −1 0 0
0 0 l 0 −1 0
i
0 −l 0 0 0 −1
T =
1
1 0
1
1
0 1
1
A.8. RÄUMLICHES STABELEMENT 337
c c c
11 21 31
c12 c22 c32
c13 c23 c33
c11 c21 c31 0
c12 c22 c32
c13 c23 c33
LiD =
c11 c21 c31
c12 c22 c32
0 c13 c23 c33
c11 c21 c31
c12 c22 c32
c13 c23 c33
cij = cosαij
−c11 −c21 −c31
−c12 −c22 −c32 0
−c13 −c23 −c33
0 −lc31 lc21 −c11 −c21 −c31
0 −lc32 lc22 −c12 −c22 −c32
T
0 −lc33 lc23 −c13 −c23 −c33
(ai ) =
c11 c21 c31
c12 c22 c32 0
c13 c23 c33
c11 c21 c31
0 c12 c22 c32
c13 c23 c33
l
0 0 0 0 0
EA
l3 l2
3EIz
0 0 0 2EIz
l3 −l2
i
3EIy
0 2EIy
0
f =
l
GIT
0 0
l
sym EIy
0
l
EIz
338 ANHANG A. ELEMENTKATALOG
EA
l
0 0 0 0 0
12EIz −6EIz
0 0 0
l3 l2
k i = (ai )T k ir ai
12EIy 6EIy
l3
0 l2
0
Multiplikationen
k ir =
GIT
l
0 0
vom Rechner aus-
sym 4EIy
0
führen lassen!
l
4EIz
l
A.9 Trägerrostelement
−1 0 0 1
0 −1 0
c −s 0
l 0 −1 s c
Ti = LD i =
1 0 0
1
0 1 0
0 c −s
0 0 1 s c
−1 0 0
−ls −c s
l3 −l2
lc −s −c
3EIy
0 2EIy
T i
(ai ) = f = 0 l
0
GIT
1 0 0
−l2 l
0
2EIy EIy
0 c −s
0 s c
12EIy 6EIy
l3 0 l2 (xr −xl )
i GI
c = cosα = li
kr = 0 0
T
l (yr −yl )
s = sinα = li
6EIy 4EIy
l2
0 l
12c1 18c1 s 6c1 c −12c1 −6c1 s −6c1 c
l2 l l l2 l l
−18c1 s −10c1 s2
28c1 s2 + c2 c2 (8c1 − c2 )sc l l−c2 c2
(−10c1 + c2 )cs
−6c1 c
i
6c1 c2 + c2 s2 l
2
(−2c1 + c2 )sc −2c1 c + c2 s 2
k =
12c1 6c1 s 6c1 c
l2 l l
sym 4c1 s2 + c2 c2 (4c1 − c2 )sc
4c1 c2 + c2 s2
EIy GIT
c1 = l
c2 = l
Anhang B
Lehrbuchverzeichnis
1. Beaufait. F. W.: Basic Concepts of Structural Analysis 1977 New Jersey, Prentice-
Hall.
2. Borg. S. F .; Gennaro, J. J.; Modern Structural Analysis 1969 New York, van No-
strand Reinhold Company.
6. Hahn, H. G.: Methode der finiten Elemente in der Festigkeitslehre. 1975 Frankfurt
a. Main, Akademische Verlagsgesellschaft.
10. Martin, H. C; Carey, G. F.: Introduction to Finite Element Analysis. 1973 New
York, McGraw-Hill Book Company.
11. Meek, J. L.. : Matrix Structural Analysis. 1971 Tokyo, McGraw-Hill Kogakusha.
12. Norris, C. H.; Wilbur, J. B.: Utku, S.: Elementary Structural Analyis. 3rd Edition.
1976 Tokyo, McGraw-Hill , Kogakusha.
13. Pestel , E. C.; Leckie, F. A.: Matrix Method in Elastomechanics. 1963 New York,
McGraw-Hill Book Company.
340
341
15. Robinson. J, : Integrated Theory of Finite Element Methods. 1973 London, John
Wiley & Sons.
16. Sattler, K.: Lehrbuch der Statik (4 Bände). 1969 - 1974 Berlin, Springer-Verlag.
17. Szabo, J.; Roller, B.: Anwendung der Matrizenrechnung auf Stabwerke. 1978 Buda-
pest, Akademial Kiadö.
18. Tauchert, Th. R.: Energy Principles in Structural Mechanics, 1974 Tokyo, McGraw-
Hill Kogakusha.
20. Vanderbilt, M. D.: Matrix Structural Analysis. 1974 New York, Quantum Publishers.
21. Willems, N.; Lucas , W. M. : Structurat Analysis for Engineers. 1978 New York,
McGraw-Hill Book Company.