SBB SchweizerBahnbruecken PDF
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wurde nur mit Bruchversuchen ermittelt. Die theoreti- Verbunds zwischen Bewehrungen und Beton sei unter Die Überführung
Romanshorn Aach von
sche Basis zu diesen Tragwerken hat später Karl Wil- den Erschütterungen des Eisenbahnbetriebs fragwür-
1907, ein dreifeldriger
helm Ritter an der ETH Zürich erarbeitet. Die Formeln, dig. Für Strassenbrücken hingegen setzte sich die Be-
Plattenbalken-Durch-
die Ritter 1899 vorschlug, sind heute noch Bestandteil tonbauweise im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts laufträger von Robert
der Norm für die Bemessung von Betonträgern. durch. 1908 erreichte die Gmündertobelbrücke bei Maillart.
Edouard Elskes liess als Brückeningenieur und späterer Stein (AR) bereits eine Spannweite von 79 m.
Bei der Tieflegung der
Oberingenieur der Jura-Simplon-Bahn (JS) ab 1895 Überführungen über die Bahn wurden nun meistens in
linksufrigen Seebahn
fünfzehn Brückentafeln in Eisenbeton zwischen 2,5 und Beton gebaut, an dem, im Gegensatz zu eisernen Über-
1927 in Zürich entstand
5 m Spannweite ausführen, darunter die Passage inféri- führungen, keine Korrosion durch die Rauchgase der ein Ensemble von
eur du Creux-du-Mas in Rolle (! 23) auf der Linie Lau- Dampflokomotiven auftrat. Beispiele für frühe betonier- sorgfältig gestalteten
sanne – Genf. Diese zweite Bahnbrücke aus Eisenbeton te Überführungen sind die dreifeldrigen Plattenbalken- Überführungen aus Beton
für die Querstrassen, hier
mit 4,08 m lichter Weite führte 1897 ebenfalls Samuel Durchlaufträger in Romanshorn Aach von 1907 von
die Badenerstrasse.
de Molin nach dem Hennebique-Patent aus, aber als Robert Maillart und in Mörschwil von 1910 (2010 er-
Platte mit Rippen. Sie ist damit der älteste Träger aus setzt) mit Spannweiten von etwa 13 m.
bewehrtem Beton. Die Brücke wurde 1996 nach 99 Eigentliche Bahnbrücken in bewehrtem Beton entstan-
Jahren ersetzt. Ihre Träger gehören zu den ältesten er- den vorwiegend für Spezialbahnen oder Nebengleise.
haltenen Zeugen des Einsatzes von Beton im Bahnbau, Ein von Robert Maillart konzipierter durchlaufender
sie werden heute in Renens aufbewahrt. Rahmen nach dem System Hennebique, Froté & Wes-
Noch wurde aber die Bauweise des bewehrten Betons termann mit Spannweiten von 12 m führte die Seilbahn
für Bahnbrücken skeptisch betrachtet. So erklärte Lud- Rigiblick in Zürich über die Hadlaubstrasse. 1906 über-
wig von Tetmajer in einem Gutachten zu Maillarts Ent- spannte die Rhonebrücke in Chippis des Ingenieurs
wurf eines 70 m weit gespannten Bogens für die Hinter- Brandenberger von Froté & Westermann und Emil
rheinbrücke Thusis von 1900, die Dauerhaftigkeit des Mörsch für ein Anschlussgleis der Aluminiumindustrie
Überführung in Gunters-
hausen von 1912 auf
der Strecke Winterthur –
St. Gallen.
28
Architektonisch durchge- den Fluss mit einem 60 m weiten Bogen mit daran brücke» genannt. Das grossmassstäbliche Schlüsselbau-
bildetes Grossbauwerk:
aufgehängter Fahrbahn. werk der Neukonzeption der östlichen Bahnhofeinfahrt
der Aareübergang in Bern
wurde architektonisch sorgfältig durchgebildet. Um ein
von 1941. Unter dem
ununterbrochenen Brüs- Typisierte Brücken des frühen 20. Jahrhunderts monotones Erscheinungsbild zu vermeiden, setzte man
tungsband läuft die Rei- In den Jahren 1912 und 1913 bauten die SBB typisierte in einem niedrigen Abschnitt des Lehnenviadukts eine
hung der Seitenöffnungen Betonüberführungen in grösserer Zahl. Zwischen Win- Stützmauer vor die Viaduktöffnungen. Bemerkenswert
vom Lehnenviadukt
terthur und St. Gallen entstanden unter Ingenieur Paul ist das ununterbrochen durchlaufende Gesimsband, das
kontinuierlich weiter über
Rühl im Zuge des Doppelspurausbaus mehrere Platten- den Verkehrsfluss symbolisiert. Dieses heute als selbst-
den grossen Bogen.
balken-Durchlaufträger, deren differenzierte und sorg- verständlich empfundene Gestaltungsprinzip war neu.
1927 von Adolf Bühler fältige Gestaltung auch heute noch beeindruckt. Bis dahin hatten Ornamente eher die konstruktiven
aus einer Eisenbrücke in Ergänzt wurde diese Serie von 1924 bis 1926 durch eine Merkmale einer Brücke betont, wie etwa beim Lang-
eine Betonbrücke um-
Anzahl Bogenbrücken mit aufgeständerter Fahrbahn. wieser Viadukt, wo Brüstungsaufsätze über der Fahr-
gebaut: Der Grandfey-
Diese eleganten Brücken bildeten ein Ensemble, das bis bahn die Position der Pfeiler markieren. Modern ist an
Viadukt bei Freiburg
gehört zu den eindrück- heute in Fragmenten erhalten geblieben ist. dieser Brücke auch, dass die Seitenöffnungen scheinbar
lichsten Bauwerken in Ein weiteres Ensemble bilden die Überführungen des kontinuierlich vom Terrain auf den grossen Bogen
der Schweiz. 1927 eröffneten Seebahneinschnitts zwischen Zürich durchlaufen. Die Pfeiler über den Kämpfern sind nicht
HB und Zürich-Wiedikon, bei dem für die vier Gleise mehr wie früher durch stärkere Abmessungen hervor-
überspannenden Brücken einbetonierte Walzprofile gehoben, wodurch die Verbundenheit von Haupt-
verwendet wurden. Die kürzer gespannte Überführung und Seitenöffnungen unterstrichen wird.
der Bederstrasse im Bahnhof Zürich-Enge ist dagegen
ein Plattenbalken in bewehrtem Beton. Ähnlich kon-
struiert ist die Überführung der Zweierstrasse beim
Bahnhof Wiedikon in Zürich.
32 Vorbemerkung zur Auswahl nicht erhaltenswürdig wäre und nicht sorgfältig unter-
Bei der Vorbereitung zu dieser Publikation stellte sich sucht werden müsste. Die Brücken in diesem Buch sol-
die schwierige Aufgabe, aus den vielen Tausend Bahn- len vielmehr exemplarisch auf die vielen möglichen
brücken in der Schweiz eine Auswahl zu treffen. Die Gründe hinweisen, die Bahnbrücken zu wertvollen Kul-
Autorin und die Autoren haben sich gemeinsam mit der turgütern machen.
SBB-Fachstelle für Denkmalpflege auf rund hundert Im Folgenden werden 21 Brücken ausführlich beschrie-
Brücken geeinigt. Dabei haben sie darauf geachtet, alle ben und mit Plänen und historischen Fotos präsentiert;
wichtigen Baumaterialien (Stein, Stahl, Beton) und Kon- Georg Aerni hat sie für dieses Buch neu fotografiert.
struktionsarten (Fachwerk, Bogen, Balken usw.) und Der anschliessende Katalog enthält 81 weitere Brücken,
alle Phasen des Bahnbaus zu berücksichtigen. Ausser- die mit Kurztexten und Aufnahmen aus verschiedenen
dem sollten alle Landesteile vertreten sein. Quellen vorgestellt werden. Die Brücken sind ungefähr
Die Gründe für die Aufnahme einer Brücke liegen in ih- in der Reihenfolge ihrer Lage von West nach Ost ge-
rer Beispielhaftigkeit für eine bestimmte Bauart oder ordnet und in der Karte auf dem Vorsatzpapier einge-
Epoche oder aber in ihrer einmaligen Besonderheit. zeichnet.
Ausschlaggebend waren die technikhistorische Bedeu-
tung (erste Anwendung oder letzter Vertreter einer Angaben in den Tabellen
Bauweise) und die denkmalpflegerische Relevanz (im Eine Tabelle liefert zu jedem Objekt nähere Angaben.
Originalzustand erhalten oder vorbildlich instand ge- Immer aufgeführt sind die Standortgemeinde (oder der
stellt). Besonders schöne Brücken wurden ausgewählt, Ortsteil mit der Gemeinde in Klammer), die Bahnlinie
sei es in einem allgemeinen Sinn (Proportionen, Bezug (Anfangs- und Endpunkt) und die Bauherrschaft (auf-
zur Umgebung) oder aus ingenieurtechnischer Sicht traggebende Bahgesellschaft). Unter Baujahr / Umbau-
(Effizienz, Kräftefluss) sowie einige weniger schöne, an ten ist das Jahr der Fertigstellung der bestehenden
denen sich jedoch eine lehrreiche Umbaugeschichte Brücke sowie von Vorgängerbauten aufgeführt, sofern
ablesen lässt. Rekorde, wie die höchste, längste oder Teile davon erhalten sind, dazu das Abschlussjahr wich-
älteste Brücke, waren weniger wichtig. Gar keine Rolle tiger Umbauten. Sofern bekannt, wird angegeben, wel-
spielten der Bekanntheitsgrad, die verkehrstechnische cher Ingenieur oder welches Ingenieurbüro die Brücke
Bedeutung und der gegenwärtige Schutzstatus. Manch- entworfen und welches Unternehmen sie gebaut hat.
mal entschied schlicht die Archivlage gegen eine Auf- Doch sind diese Angaben oft unvollständig; vertiefte
nahme, denn nicht jede Bahnbrücke ist gut doku- Archivrecherchen dazu waren im Rahmen dieser Publi-
mentiert. kation nicht möglich. Abmessungen (Gesamtlänge,
Die so getroffene Auswahl ist keinesfalls als Inventar zu Stützweite und Trägerhöhe bei Balkenbrücken bzw.
verstehen. Unter den Bahnbrücken, die in diesem Buch lichte Weite und Pfeilhöhe bei Bogenbrücken) sind
nicht berücksichtigt wurden, gibt es viele, die genauso meist nur auf Dezimeter genau angegeben und mit Vor-
wertvoll sind wie die dargestellten. Wird eine Brücke sicht zu geniessen, denn aus Akten und Plänen gehen
hier nicht erwähnt, heisst das also keineswegs, dass sie die tatsächlich gebauten Abmessungen oft nicht ein-
33
deutig hervor. Bewusst nicht erwähnt ist, ob eine Brü- werden dort archiviert und erschlossen. Viele Doku- Brückenbauer bei der
cke unter Denkmalschutz steht oder nicht; diese Anga- mente sind aber nach wie vor in Gebrauch und befinden Arbeit: Ersatzneubau der
Limmatbrücke auf der
be würde rasch veralten, da immer mehr Kantone sich auf den entsprechenden Abteilungen. Pläne und
Wipkingerlinie in Zürich
Brücken unter Schutz stellen. Fotos von Brücken vor allem aus dem 19. Jahrhundert
1898. Neben den Gitter-
finden sich auch im Eidgenössischen Archiv für Denk- trägern mit 16-fachem
Archivsituation malpflege, im Verkehrshaus der Schweiz und im Archiv Strebenzug von 1856
Wer das reibungslose Funktionieren der Bahnen in der der ETH-Bibliothek in Zürich. Die SBB-Fachstelle für werden auf einem Holz-
gerüst die neuen Fach-
Schweiz kennt, wird vermuten, dass sie über vollständi- Denkmalpflege sammelt, erschliesst und sichert seit
werkträger mit doppeltem
ge und übersichtliche Archive verfügen, in denen sämt- einigen Jahren systematisch Pläne, Fotos und Akten
Strebenzug montiert, die
liche Bauwerke fein säuberlich dokumentiert sind. Dem von Gebäuden und Ingenieurbauten für die Langzeit- später eingeschoben
ist jedoch nicht so. Zwar sind viele Unterlagen vorhan- archivierung. Das wird die Forschung künftig erleich- wurden und bis heute in
den, doch sind sie oft auf verschiedene Abteilungen tern, ist aber angesichts der riesigen Zahl von Objekten Betrieb sind.
verstreut, die mit Bau, Unterhalt, Betrieb oder Denk- eine langfristige Aufgabe. Bei der Suche nach Plänen
malpflege beschäftigt sind. Bei der SBB bestehen, histo- und historischen Fotos waren die Autorin und die Auto-
risch bedingt, geografisch getrennte Bauabteilungen ren deshalb auf die hier erwähnten Archive und die
und damit auch verschiedene Archive. Unterlagen, die Unterstützung der im Dank genannten Personen ange-
von historischem Wert sind und für den Unterhalt der wiesen.
Bauten nicht mehr gebraucht werden, gehen an SBB
Historic, die Stiftung für Historisches Erbe der SBB, und
114
auf einem gemauerten Viadukt mit sechs Rundbogen
von je 7,5 m lichter Weite. Die Pfeiler aus präzis behau-
enen, glatten Quadern sind mit Kämpfergesimsen und
Ochsenaugen verziert. Leicht auskragende Abdeck-
platten, die von ornamentierten Konsolsteinen gestützt
werden, begrenzen seitlich den Schottertrog. Zwei Öff-
nungen des Viadukts überspannen je eine Spur der
Kantonsstrasse Koblenz – Zurzach, eine dritte die paral-
lel dazu verlaufende Dorfstrasse; zwei weitere Bogen
werden gewerblich genutzt.
1991 wurde die Brücke erstmals umfassend, aber ohne 12 Rheinbrücke Koblenz 115
Gerettet
Für den Erhalt wertvoller Bahnbrücken gibt es verschiedene Strategien. Im Vorder- befährt. Trägt eine Brücke keine Züge mehr, kann sie vielleicht dem Auto-, Velo-
grund stehen für Besitzer und Denkmalpflege solche, bei denen eine Brücke wei- oder Fussverkehr dienen, falls die Gemeinde den Unterhalt übernimmt, wie der
terhin dem Bahnverkehr dient. Im Idealfall genügt eine genauere Abklärung ihrer Lettenviadukt (! 57), die älteste Göschenenreussbrücke (! 76) oder die ge-
Tragkraftreserven. Oder es reichen lokale Verstärkungen, die das Gesamtbild schraubte Kriegsbrücke von Fritz Stüssi in Erstfeld. Verschieben ist allerdings nur
möglichst wenig beeinträchtigen, wie etwa in Eglisau (! 13). Einige historische bei Stahlbrücken (Abb. S. 2) möglich. Ganz kostbare Exemplare wie die Frenke-
Brücken sind in oder unter neuen Konstruktionen erhalten geblieben – gerettet brücke (! 39) oder der älteste Vollwandträger der Schweiz (! 41) dürfen als
zwar, aber unsichtbar – wie die Schäflibachbrücke der «Spanisch-Brötli-Bahn» reines Denkmal stehen bleiben. Muss eine wertvolle Brücke abgebrochen werden,
(! 59). Etliche Stahlbrücken, die den wachsenden Verkehr nicht mehr trugen, wie gibt es die Möglichkeit, sie einzulagern, bis sich eine neue Verwendung findet,
etwa die Schächenbachbrücke (! 99), konnten auf Strecken umplatziert werden, wie bei einem Träger aus Schattdorf (! 99), oder sie als Museumsstück zu
die weniger oder von leichteren Zügen befahren werden. Die Rheinbrücke Hemis- konservieren wie die zweitälteste Betonbahnbrücke der Welt (! 23). (Siehe auch
hofen (! 67) übernahm eine Stiftung, die die Strecke mit historischen Zügen S. 218–220.)
41 Unterführung Eptinger- Über der Eptingerstrasse
in Läufelfingen liegt der
strasse historische Vollwandträger
(rechts) neben der noch
genutzten Brücke aus Stahl
Ort Läufelfingen BL und Beton.
Linie Sissach – Läufelfingen – Olten
Baujahr 1856
Umbauten 1948, 2006
Bauherrschaft Schweizerische Centralbahn, SBB
Entwurf Karl von Etzel
Ausführung Baumgärtner & Silber
Gesamtlänge 10,9 m
Der vermutlich älteste erhaltene Vollwandträger der Schweiz gehört zur Überführung der alten Hauensteinlinie
Trägerhöhe 0,8 m
über die Eptingerstrasse in Läufelfingen. Er stammt von 1856. Die aus Blechen und Profileisen zusammengenieteten
Stützweite 9,1 m 187
Vollwandträger sind durch gusseiserne Querverbindungen und Diagonalstreben aus gewalzten Stahlbändern
versteift. Daneben lag ein zweiter Träger gleicher Bauart. Er wurde 1948 durch eine stärkere Konstruktion aus
Siehe Kasten S. 186
einbetonierten I-Trägern aus Stahl ersetzt. Diese trägt nun das Gleis der seit 1938 nur noch einspurigen Linie. Der
Literatur: Die obere Hauensteinlinie, S. 132. Vollwandträger dient nur noch als Denkmal. 2006 wurden beide Brücken renoviert.
190 Die östlichste von drei Bahnbrücken in Interlaken ist ein genietetes Stahlfachwerk, das sich auffällig weit und hoch
über den Ausfluss der Aare aus dem Brienzersee spannt. Die Brücke hat zwei kürzere Seitenöffnungen und eine
grosse Mittelöffnung. Der Halbparabelträger mit einfachem Strebenzug und offener Stahlfahrbahn ist über 90 m
lang und bis heute der weitest gespannte Stahlträger auf dem SBB-Netz. Der Überbau liegt über der Fahrbahn,
damit eine möglichst grosse Öffnung für die Kursschiffe frei bleibt. Bei den 25 m langen Seitenöffnungen liegt das
Gleis oben auf den Fachwerken.
Baujahr 1891
Bauherrschaft Brienz Rothorn Bahn
Entwurf Alexander Linder
Ausführung Theodor Bertschinger
Gesamtlänge 21,5 m
Trägerhöhe 2,2 m
Stützweite 21,1 m
Seit 1882 fahren Dampfzüge auf das Brienzer Rothorn, von 1914 bis 1931 lag die Strecke allerdings still. Heute ist
sie mit der Dampfbahn Furka-Bergstrecke die einzige planmässig verkehrende Dampfzahnradbahn der Schweiz. Die
genietete Stahlfachwerkbrücke mit Kreuzverband stammt von 1891. Da die Nutzlasten seit Betriebsbeginn nur
unwesentlich zugenommen haben, musste sie nie verstärkt werden. So blieb ihr filigraner und schlichter Charakter
erhalten, und die konstruktiven Details wie die mit 4570 Nieten konstruierten Fachwerkknoten oder die Anschlüsse
der Geländer bleiben deutlich erkennbar.
! 68
Die Passerelle Hofmatt zwischen Stein und Münchwilen über das Gleis der Linie von Stein nach Koblenz ist als 191
Stahlfachwerk-Bogenbrücke mit Betonplatte konstruiert. Die Betonplatte wurde mit einem Blech verkleidet und ist
darum von der Seite nicht sichtbar. Die über 120 Jahre alte genietete Stahlkonstruktion wirkt filigran und leicht,
vergleichbar der noch etwas älteren Überführung Girhalden in Illnau-Effretikon. Der eiserne Fachwerkbogen, der
das Gleis überquert, besteht hier aus zwei Bogenbindern; deren Ausfachung ist ein einfacher Strebenzug mit
vertikalen Pfosten. Der Untergurt ist parabolisch gekrümmt, nicht kreisförmig wie bei der Überführung Girhalden.
52 Reussbrücke Mellingen
Ort Mellingen und Wohlenschwil AG
Linie Killwangen-Spreitenbach – Aarau
Baujahr 1877
Umbauten 1932, 1973
Bauherrschaft Schweizerische Nationalbahn, SBB
Entwurf 1877 Ing. Probst, Röthlisberger;
1973 Basler & Hofmann, Zürich
Ausführung 1877 Ott & Cie, Bern;
1973 Zschokke Wartmann AG, Brugg
Gesamtlänge 193 m
Trägerhöhe 5m
Stützweiten 50,6 m, 60 m, 50,7 m, 28,6 m
! 93
206
Die beiden langen Müllheimer Brücken von 1902 und 1904 sind identisch: Parallelgurtige, genietete Kreuzstreben-
fachwerke mit offener Fahrbahn auf der Ebene des Untergurts führen als eingleisige Durchlaufträger über vier
Felder über die Thur und ihr breites Vorland. Die ältere Brücke ersetzte eine verschalte und mit einem Blechdach
gedeckte Holzbrücke von 1855, deren Pfeiler bis heute stehen. Diese 5,5 m hohe Holzkonstruktion war kühn an-
gesichts der Belastung durch Dampflokomotiven. Sie war Vorbild für die Rheinbrücke bei Bad Ragaz, die bis 1927
in Betrieb blieb. Die Stahlfachwerke übernehmen gewisse formale Merkmale vom Holzstrebenwerk ihrer Vorgän-
gerin. Sie stehen auf gelenkigen Punktlagern, diese auf langgestreckten gemauerten Flusspfeilern.
! 65 Der dreifeldrige Durchlaufträger auf 21 m hohen Pfeilern aus Mauerwerk ist als parallelgurtiges Fachwerk mit
genieteten Pfosten und Streben im Kreuzverband konstruiert. Die Fahrbahn liegt auf der Ebene des Obergurts. Die
Brücke zeigt offensichtliche und weniger deutliche Verstärkungen: Sekundärpfosten verbinden die Knoten der
Diagonalen mit dem Obergurt und tragen seit 1934 als Verstärkung eingebaute Fahrbahnquerträger. In das be-
stehende Fachwerk integriert und deshalb weniger auffallend sind die Profilverstärkungen an den Zug- und Druck-
streben aus demselben Jahr.
Baujahr 1905
Umbauten 1950, 2012
Bauherrschaft Bodensee-Toggenburg-Bahn,
Schweizerische Südostbahn
Entwurf Robert Moser
Ausführung Rudolf Weber
Gesamtlänge 296 m
Lichte Weiten 5 x 15 m, 5 x 25 m, 4 x 15 m Auf dem mächtigen eingleisigen Steinviadukt mit 14 Halbkreisgewölben überqueren die Südostbahn-Züge hoch
über den Häusern und Fabriken das Herisauer Glattal. Die Bogen an den Brückenenden sind 15 m weit, die fünf
! 33, 47 mittleren sind mit 25 m deutlich breiter. Zwei mit seitlichen Vorlagen verstärkte Gruppenpfeiler trennen diese
zentrale Partie formal von den äusseren Abschnitten, die dadurch wie Vorlandbrücken wirken. Diese Einteilung und
Literatur: Oswald, S. 47f., 60, 108, 229. die Bogenmasse sind gleich wie beim Weissenbachviadukt zwischen Schachen und Degersheim auf derselben
Strecke. Das Gleis liegt in einem abgedichteten Schottertrog aus Stahlbeton, der 2012 anstelle einer Betonplatte aus
den 1950er-Jahren eingesetzt und mit den alten Konsol- und Abdecksteinen verkleidet wurde.
85 Viadukt Goldach Der von Karl von Etzel ent-
worfene Mauerwerkviadukt
westlich des Bahnhofs
Ort Goldach SG Goldach gehört zu den
Linie Rorschach – St. Gallen ältesten Schweizer Bahn-
brücken.
Baujahr 1856
Umbauten 1927, 1989
Bauherrschaft Sankt Gallisch-Appenzellische
Eisenbahn, SBB
Entwurf Karl von Etzel
Gesamtlänge 77,1 m
Pfeilhöhe 7m
Lichte Weiten 5 x 13,5 m Das Bauwerk mit fünf Halbkreisgewölben entstand 1856 nach Plänen Karl von Etzels. Es gleicht dem Rümlinger
Viadukt, den auch von Etzel entworfen hat und für dessen Bau das Goldacher Lehrgerüst verwendet wurde. Wie
dort sind die Bauteile in klassizistischer Manier durch Gesimse und unterschiedliche Bearbeitung der Steine 207
! 40 sowie Kasten auf dieser Seite
voneinander abgesetzt, jedoch fehlen hier verzierende Ochsenaugen und Konsolsteine. Dafür ist das originale
Geländer noch vorhanden. 1989 wurde ein Schottertrog aus vorgespanntem Beton eingebaut und schadhaftes
Mauerwerk ausgebessert – leider mit Kalksandsteinziegeln und nicht mit Plattensandsteinen im originalen Zuschnitt.
Verwandte Bogen
Manche Steinbrücken unterscheiden sich zwar in der verwendeten Steinsorte, der Karl von Etzel (1812–1865). Der deutsche Ingenieur plante in den 1850er-Jahren
Oberflächenbearbeitung und der Verzierung, doch haben ihre Bogen die gleichen Linienführungen und Brücken für verschiedene Schweizer Bahngesellschaften.
Abmessungen. Das gilt beispielsweise für die Viadukte in Goldach (! 85) und Obwohl diese beiden Brücken geografisch weit auseinanderliegen, bilden sie aus
Rümlingen (! 40). Der schlicht gestaltete Goldachviadukt aus hellem Sandstein technikhistorischer Sicht ein Ensemble – ein Beispiel für die vielen, auf den ersten
und der reich ornamentierte Rümlinger Viadukt aus gelbem Jurakalk sind zwei- Blick unsichtbaren Querbezüge in der Schweizer Brückenlandschaft. Lehrgerüste
eiige Zwillinge – die Form und die Grösse ihrer Bogen sind identisch. Die Erklärung wurden oft mehrfach verwendet. So kam etwa dasjenige vom Schmittner tobel-
liegt darin, dass das hölzerne Lehrgerüst, auf dem die Gewölbe des Goldach- viadukt auch beim benachbarten Landwasserviadukt (! 97) zum Einsatz. Am
viadukts gemauert wurden, nach Vollendung des Baus 1856 nicht zerstört, Bogenansatz an den Pfeilern sind die Stahlkonsolen noch gut zu sehen, auf denen
sondern vom Bodensee in den Basler Jura transportiert und noch im selben Jahr das Lehrgerüst stand.
zum Bau des Rümlinger Viadukts eingesetzt wurde. Entworfen hat beide Bauten
Ing. Broggi Der Sitterviadukt der SBB führt mit sechs Betonbogen
Gesamtlänge 193,5 m 56 m hoch über das Sittertobel. Das Bauwerk von
Pfeilhöhe 17,9 m 1924/25 ersetzt eine Eisenkonstruktion, die Karl von
Lichte Weiten 5 x 34 m, 17 m Etzel 1856 mit Gaspard Dollfus, Friedrich Wilhelm Hart-
mann, Reinhard Lorenz und Ferdinand Adolf Naeff-
Custer für die Sankt Gallisch-Appenzellische Eisenbahn
! 14, 52 sowie S. 18f. und Kasten S. 200
erstellt hatte. Deren kühne Konstruktion mit einem über
vier Felder durchlaufenden Gitterträger war weltweit
Literatur: Conzett/Linsi, S. 30f.; Marti/Monsch/Laffranchi, S. 96f.
der erste Viadukt mit Pfeilern aus Gusseisen. Der Er-
satzneubau neben der alten Brücke wurde notwendig,
als die Strecke auf Doppelspur ausgebaut und elektri-
fiziert wurde. Die Gewölbe der heutigen Brücke bestehen aus Stampfbeton, die Bogenstirnen sind mit Natursteinen
verkleidet und die Seitenwände gemauert. Die Bogen weichen von der klassischen Halbkreisform ab und sind
überhöht. Das hat statische Gründe und ist eine Folge dessen, dass in die Gewölbe materialsparende Hohlräume
eingebaut wurden. Der Viadukt ist ein hervorragendes Beispiel für den Heimatstil im Ingenieurbau.
gross und Steigungen nur im Promillebereich möglich sie relativ leicht sind und vergleichsweise einfach trans-
sind, ist für das Verschieben eines Bahntrassees viel portiert werden können. Grössere Stahlbrücken müssen
Platz und baulicher Aufwand nötig. Für eine so gerette- dafür in einzelne Bauteile zerlegt und wieder zusammen-
te Brücke muss ausserdem eine neue Verwendung ge- gesetzt werden, wobei sich die traditionellen Nieten als
funden werden. Die Kosten für ihren Unterhalt fallen Verbindungsmittel nicht mehr verwenden lassen.
weiterhin an – die Standortgemeinde oder der Kanton Es kann die Forderung erwachsen, eine alte Brücke
müssten sie übernehmen. Wenn eine Brücke nicht un- möglichst wahrheitsgetreu nachzubauen, damit das Er-
terhalten wird, sieht sie bald verwahrlost aus. Die Erhal- scheinungsbild erhalten bleibt. Eine Kopie einer histori-
tung einer alten Eisenkonstruktion als rein museales schen Brücke soll jedoch nur in Erwägung gezogen
Objekt ist nur selten befriedigend. werden, wenn der Situationswert sehr hoch ist. Denn
220 Die Zweckentfremdung einer Bahnbrücke für andere Nachbildungen einer Konstruktion aus einer früheren
Aufgaben ist zwar nur bedingt mit den Grundsätzen der Zeit sind in der Regel teuer, auch wenn moderne Kons-
Denkmalpflege vereinbar, doch ist eine «Museums- truktionsmethoden zum Einsatz kommen. Zudem ist ein
brücke» sinnvoll, wenn sie neu genutzt wird. Nachbau in einer heute überholten Konstruktionsweise
Der Lettenviadukt in Zürich (! 57) ist dafür ein gutes gewissermassen eine Fälschung, ein Vortäuschen von
Beispiel. Er dient heute als Fuss- und Veloverbindung und vermeintlicher Authentizität, in diesem Sinn unehrlich
seine Bogen als Läden und Restaurants – ein guter Kom- und deshalb in der Regel abzulehnen. Bisher hat sich
promiss, der es erlaubt, eine einzigartige Sammlung von noch jede Generation das Recht genommen, mit den
mehreren Arten von Stahlbrückenkonstruktionen zu er- aktuellen Baumethoden zeitgenössische Bauwerke zu
halten. schaffen.
Brücken sind schliesslich nur dann wirkliche Zeugen der
Eine «Museumsbrücke» sinnvoll, Ingenieurbaukunst, wenn sie den wahren Zeitgeist wi-
wenn sie neu genutzt wird. derspiegeln, das heisst, mit den jeweils neusten Metho-
den, Materialien und Gestaltungsprinzipien entworfen
Gar nicht mehr genutzte Brücken sollten im Sinn der und konstruiert werden.
Nachhaltigkeit rückgebaut werden, wobei vielleicht ein
Teil als Spur oder Zeuge am Standort zurückgelassen
werden kann. Wird eine Brücke von grossem kulturel-
lem Wert abgebrochen, muss vorher eine Bauuntersu-
chung erfolgen, um das Objekt für die Forschung zu
dokumentieren. Technikgeschichtlich oder künstlerisch
besonders wertvolle Teile können in einer Museums-
sammlung erhalten werden.
Bahnbrücken müssen vor allem eines: Eisenbahnzüge sicher tragen und dabei selber wirtschaftlich tragbar 221
sein – notfalls auch auf Kosten von denkmalpflegerischen Wünschen. Doch steht dieser funktionale Anspruch in
vielen Fällen gar nicht im Widerspruch zum Denkmalschutz. Und die neue SIA-Normenreihe 269 über die Er-
haltung von Tragwerken hilft, die Diskrepanz weiter zu entschärfen: Manch eine Brücke, die früher abgebrochen
worden wäre, erweist sich bei der Überprüfung mit der neuen Methode als ausreichend tragfähig, um noch
lange in Betrieb bleiben zu können.
Auf dem SBB-Netz gibt es rund 6000 Bahnbrücken. den Zielkonflikt zwischen dem Bau der Strecken und
Dazu kommen rund 3500 von der Bahn befahrene ihrem Betrieb: Bau und Unterhalt der Anlagen sollen
Durchlässe mit Spannweiten von weniger als zwei Me- den rollenden Verkehr so wenig wie möglich stören,
tern, die bei der SBB nicht als Brücken bezeichnet wer- doch sollen die Anlagen sorgfältig gebaut werden, da-
den, und rund 2000 Überführungen von Strassen, We- mit sie möglichst lange störungsfrei funktionieren. Un-
gen und Leitungen über die Bahn, für deren Unterhalt gestört Bauen steht also gegen ungestört Fahren.
ebenfalls die SBB verantwortlich ist. Aus Sicht des Baus wäre es wirtschaftlicher, die Lebens-
Die Brückenbauer der SBB stehen im Spannungsfeld zwi- dauer der Bauten mit regelmässigen Eingriffen zu ver-
schen den Anforderungen des Verkehrs, der Entwicklung längern, aus Sicht des Betriebs wäre es angenehmer,
der Technik, der Wirtschaftlichkeit und des Denkmal- wenn möglichst lange keine störenden baulichen Inter-
schutzes. Sie sollen die vom Bund erhaltenen Mittel ventionen stattfänden.
möglichst sinnvoll in die Bauwerke investieren, ihre Brü-
cken sollen einfach, robust, unterhaltsarm und langlebig Aus Sicht des Baus wäre es wirtschaftlicher, die Lebensdauer
sein und sich auf wenige und standardisierte Brücken- der Bauten mit regelmässigen Eingriffen zu verlängern, aus Sicht
typen beschränken. Doch gehört auch der Einsatz von des Betriebs wäre es angenehmer, wenn möglichst lange keine
fortschrittlichen Bauweisen, modernsten Baustoffen und störenden baulichen Interventionen stattfänden.
neuen Brückentypen zu ihrem Pflichtenheft. Und da die
SBB dem eidgenössischen Natur- und Heimatschutzge- Damit Verfügbarkeit und Sicherheit aller Anlagen des
setz untersteht, haben sie auch kulturelle und denkmal- Fahrwegs weiterhin gewährleistet werden können, hat
pflegerische Aufgaben: Die Bahnbrücken sollen schöne die SBB Strategien zu deren Bewirtschaftung entwickelt.
Bauten sein, und historische Brücken müssen erhalten Eine Reihe von Massnahmen soll die Wirtschaftlichkeit
und gepflegt werden. In der Praxis sind diese Anforde- der Infrastrukturanlagen ständig verbessern. Dazu ge-
rungen nicht immer leicht unter einen Hut zu bringen. hören stärker mechanisierte Bauverfahren, möglichst
einfache Zugänglichkeit, unterhaltsarme Bauweisen,
Bauen im Taktfahrplan das Verlängern der Lebensdauer, eine hohe Anfangs-
Kein Bahnnetz in Europa ist stärker belastet als das der qualität neuer Bauten und möglichst gut auf die lokalen
SBB, es gehört zu den am dichtesten befahrenen der Verhältnisse und den Zustand der Anlagen abgestimm-
Welt, und der Verkehr wächst weiter. Das verschärft te Unterhaltsmassnahmen.
Autorin und Autoren
234 Georg Aerni, zunächst Architekt ETH; wandte sich 1994 der Fotografie
zu. Sein künstlerisches Werk bewegt sich an der Schnittstelle von
Architektur und Natur, Stadt und Landschaft. 2011 erschien die
Monografie «Sites & Signs» bei Scheidegger & Spiess.