Koordinationschemie Von Weber 2. Auflage
Koordinationschemie Von Weber 2. Auflage
Koordinationschemie Von Weber 2. Auflage
Koordinations-
chemie
Grundlagen und aktuelle Trends
2. Auflage
Koordinationschemie
Birgit Weber
Koordinationschemie
Grundlagen und aktuelle Trends
2. Auflage
Birgit Weber
Anorganische Chemie IV
Universität Bayreuth
Bayreuth, Deutschland
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Zunächst einmal möchte ich mich bei allen Lesern der ersten Auflage dieses Buches
für das doch durchweg positive Feedback bedanken, das mich erreicht hat. Ohne
dieses Feedback wäre ich nicht so motiviert gewesen, an einer zweiten Auflage zu
arbeiten. Ein besonderer Dank gilt dabei all jenen Studierenden, die mich auf Fehler und
Unstimmigkeiten im Buch hingewiesen haben, die in dieser neuen Auflage ausgemerzt
wurden. Dafür danke ich ganz herzlich, in alphabetischer Reihenfolge: J. Breternitz,
S. Freund, F. Gruschwitz, J. Lipp, C. Memmel, A. Methfessl, N. Müller, J. Petry,
T. Rößler, O. Scharold, J. Simon, K. Soliga, H. von Wedel, P. Weiss.
Meinen Mitarbeitern, vor allem Hannah Kurz, Sophie Schönfeld und Andreas
Dürrmann, sowie Dana Dopheide danke ich dafür, dass sie für das ganze Skript als
Korrekturenleser zur Verfügung standen und klaglos akzeptiert haben, dass ich Zeit in
dieses Projekt gesteckt habe (und dafür andere Sachen liegen geblieben sind).
Für umfangreiche fachliche Hinweise, vor allem zu den neuen Abschnitten
Lumineszenz und Photokatalyse, bedanke ich mich bei Prof. Dr. Katja Heinze, Prof. Dr.
Roland Marschall, Prof. Dr. Peter Klüfers und Dr. Gerald Hörner.
Wie auch bei der ersten Auflage gilt mein ganz besonderer Dank meiner Familie,
meinem Ehemann Jan und meinen drei Kindern Carl, Emma und Lisa. Es gilt nach wie
vor: Ohne Euch wäre das Leben nicht halb so schön! Danke, dass es Euch gibt!
VII
Anmerkungen zur ersten Auflage
Dieses Lehrbuch basiert auf Vorlesungen zur Koordinationschemie, die an der Uni-
versität Bayreuth von mir gehalten werden. Die Zielstellung war es, ein grundlegendes
Lehrbuch mit einem einfachen und leicht verständlichen Einstieg in die Koordinations-
chemie zu verfassen. Es soll die Lücke füllen zwischen den Büchern zur Koordinations-
chemie für fortgeschrittene Studierende, und den kurzen, aber nicht so umfassenden
Einführungen in die Koordinationschemie aus Lehrbüchern zur allgemeinen und
anorganischen Chemie. Dieses Lehrbuch ist gedacht für Studierende der Chemie, aber
auch für Nebenfächler wie Lehramtsstudenten, Biologen, Biochemiker und alle anderen,
die ihr Wissen im Bereich Koordinationschemie erweitern wollen. Aus diesem Grund
ist das Buch so konzipiert, dass es aus sich heraus verständlich ist. In den drei letzten
Kapiteln werden kurze Einblicke in aktuelle Trends und Forschungsrichtungen gewährt.
IX
Anmerkungen zur zweiten Auflage
In der zweiten überarbeiteten Auflage dieses Lehrbuches wurden Fehler und Ungenauig-
keiten, die innerhalb der letzten sieben Jahre zusammengetragen wurden, ausgemerzt.
Zusätzlich wurde das Buch um zwei Abschnitte erweitert. Im neuen Kap. 11 werden die
Grundlagen zur Lumineszens bei Koordinationsverbindungen gelegt. Zusätzlich wurde
das Kapitel Katalyse um einen Abschnitt zur Photokatalyse erweitert. Beide neu dazu-
gekommenen Abschnitte behandeln sehr aktuelle Forschungsgebiete und richten sich
an bereits fortgeschrittene Studierende, sollten aber im Zusammenspiel mit den anderen
Kapiteln des Buches gut verständlich sein.
XI
Inhaltsverzeichnis
XIII
XIV Inhaltsverzeichnis
10 Magnetismus. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169
10.1 Einheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170
10.2 Magnetische Eigenschaften von Materie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171
10.2.1 Diamagnetismus. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173
10.2.2 Paramagnetismus. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175
10.3 Das magnetische Moment. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175
10.3.1 Ursprung des magnetischen Momentes. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175
10.3.2 Spin-Bahn- und j-j-Kopplung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176
10.4 Temperaturabhängigkeit des magnetischen Momentes. . . . . . . . . . . . . . 181
10.5 Kooperativer Magnetismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185
10.5.1 Austauschwechselwirkungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186
10.5.2 Magnetismus von Metallen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188
10.5.3 Orthogonale Orbitale. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192
10.5.4 Mikrostruktur von Ferromagneten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200
10.6 Spin-Crossover. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202
10.6.1 Theoretische Betrachtungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204
10.6.2 Druckabhängigkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207
10.6.3 Schalten mit Licht – der LIESST-Effekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207
10.6.4 Kooperative Wechselwirkungen und Hysterese. . . . . . . . . . . . . 210
10.7 Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212
11 Lumineszenz bei Komplexen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215
11.1 Grundlagen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215
11.2 Fluoreszenz am Beispiel eines Zink(II)-Komplexes. . . . . . . . . . . . . . . . 219
11.2.1 Voraussetzungen für Fluoreszenz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221
11.3 Phosphoreszenz von diamagnetischen Komplexen. . . . . . . . . . . . . . . . . 223
11.3.1 d6 [M(bipy)3]2+-Komplexe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223
11.3.2 3d10 Komplexe am Beispiel von Kupfer(I). . . . . . . . . . . . . . . . . 226
11.4 Phosphoreszenz von Metallzentrierten Übergängen. . . . . . . . . . . . . . . . 228
11.5 Lumineszenz durch Aggregation von Platin(II)-Komplexen. . . . . . . . . . 230
11.6 Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232
12 Bioanorganische Chemie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233
12.1 Biologisch relevante Eisenkomplexe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234
12.1.1 Modellverbindungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236
12.2 Sauerstofftransport am Beispiel Hämoglobin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238
12.2.1 Sauerstoffkomplexe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240
12.2.2 Bindungsverhältnisse im Hämoglobin. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241
12.2.3 Modellverbindungen für Hämoglobin und Myoglobin. . . . . . . 245
Inhaltsverzeichnis XVII
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283
Stichwortverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287
Was sind Komplexe?
1
1. Warum fällt bei Zugabe von NaOH zu einer Al3+ -Lösung zuerst ein Niederschlag aus,
der sich bei weiterer Zugabe wieder auflöst? (Bayer-Verfahren zur Aufreinigung von
Bauxit für die Aluminiumdarstellung.)
2. Warum löst sich AgCl bei Zugabe von NH3 auf? (Nachweis von Chloridionen.)
3. Warum ist wasserfreies CuSO4 farblos, eine wässrige Lösung hellblau, bei Cl− -Zugabe
hellgrün? Warum bildet sich bei Zugabe von NH3 ein Niederschlag, der sich bei weiterer
Zugabe von NH3 mit tiefblauer Farbe auflöst? (Abb. 1.1).
Wir sehen uns die Reaktionsgleichungen zu den bisher erwähnten Verfahren und Fragen
und die darin vorkommenden Komplexe an:
• Ni + 4 CO [Ni(CO)4 ]
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Springer Nature 2021
B. Weber, Koordinationschemie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-63819-4_1
2 1 Was sind Komplexe?
Abb. 1.1 Farben von Kupfersalzen und -komplexen. Von links nach rechts: [CuCl2 (H2 O)4 ], CuSO4
(wasserfrei), [Cu(H2 O)6 ]2+ , Cu(OH)2 und [Cu(H2 O)2 (NH3 )4 ]2+ . Die vielfältigen Farben von
Metallionen haben die Chemiker des 19. Jahrhunderts fasziniert
[Ni(CO)4 ] ist der Komplex. Die farblose, gut sublimierbare, neutrale Verbindung ermöglicht
eine selektive Abtrennung des Nickels von Nebenprodukten. Mit diesem nach seinem Ent-
decker Mond benannten Mondverfahren wird großtechnisch hochreines Nickel hergestellt.
[Al(OH)4 ]− ist der Komplex. Das farblose komplexe Anion bildet mit Na+ bzw. K+ (von der
zugegebenen Base NaOH bzw. KOH) ein gut in Wasser lösliches Salz. Auf diese Weise wird
Aluminiumhydroxid von dem nicht amphoteren Eisenhydroxid abgetrennt und zur Darstel-
lung von hochreinem Aluminiumoxid verwendet. Ein amphoteres Hydroxid kann sowohl
als Säure als auch als Base reagieren. Aluminiumhydroxid ist eine Base und kann protoniert
werden (z. B. Al(OH)3 + H+ Al(H2 O)(OH)+ 2 ), es kann aber auch als Säure mit Hydroxid-
Ionen reagieren, wie in der oben stehenden Gleichung gegeben. Eisen(III)hydroxid kann nur
als Base reagieren und ist deswegen nicht amphoter. Diesen Unterschied macht man sich
beim Bayer-Verfahren zur Darstellung von hochreinem Aluminumoxid zu Nutze.
[Ag(NH3 )2 ]+ ist der Komplex. Das farblose komplexe Kation bildet mit den in der Lösung
noch vorhandenen Chloridionen ein gut in Wasser lösliches Salz. Das gleiche Prinzip wird
bei der Cyanidlaugerei angewandt, wobei hier als Liganden Cyanidionen, CN− , zum Einsatz
kommen, die einen noch wesentlich stabileren Komplex ([Ag(CN)2 ]− , ein Anion) bilden.
Auf diese Weise lassen sich schwer lösliche Silbersalze (Halogenide, Silbersulfid Ag2 S),
aber auch elementares Silber (die Reaktionsbedingungen ermöglichen die Oxidation durch
1.1 Geschichte 3
Luftsauerstoff zu Ag+ ) sowie die anderen Edelmetalle und deren Verbindungen in Lösung
bringen und von dem Begleitmaterial abtrennen.
Komplexe sind [Cu(H2 O)6 ]2+ (hellblau), [CuCl2 (H2 O)4 ] (hellgrün) und
[Cu(H2 O)2 (NH3 )4 ]2+ (tiefblau). Das Tetraamminkupfer(II)-Ion ist die erste wissenschaft-
lich erwähnte Koordinationsverbindung [4].
1.1 Geschichte
Der Komplexbegriff lässt sich am besten anhand seiner historischen Entwicklung definieren
[5]. Komplexe sind schon seit über 400 Jahren bekannt [4]. Die vermutlich älteste, spä-
ter als Komplex beschriebene Verbindung, ist ein hellrotes Alizarin-Pigment, das bereits
von den antiken Persern und Ägyptern verwendet wurde. Es handelt sich dabei um einen
Calcium-Aluminium-Chelatkomplex mit Hydroxyantrachinon, der unter anderem auch im
Kationen-Trennungsgang als Aluminiumnachweis verwendet wird (Nachweis als Alizarin-
S-Farblack). Ein Chelatkomplex besitzt Liganden, die an mehreren Stellen an das Metall-
zentrum koordineren. Die erste wissenschaftlich erwähnte Koordinationsverbindung ist das
blaue Tetraamminkupfer(II)-Ion, das bei der Reaktion von Kupferionen mit Ammoniak ent-
steht. Die Verbindung wurde 1597 erstmals vom deutschen Chemiker, Arzt und Alchemisten
Andreas Libavius beschrieben, allerdings noch nicht als Komplex erkannt [4]. Das Berli-
ner Blau (oder auch Preußisch Blau bzw. Turnbulls Blau) wurde erstmals um 1706 von
dem Farbhersteller Diesbach in Berlin hergestellt. Das Pigment ersetzte den sehr teuren
Lapis lazuli und wurde in mehreren wissenschaftlichen Briefen erwähnt [6, 7]. Seit 1709
wurde es von Händlern unter dem Namen Berlinerisch Blau bzw. Preußisch Blau vertrie-
ben [4]. Erst Ende des 20. Jahrhunderts gelang der Nachweis, dass das auf einem anderen
Weg hergestellte Turnbulls Blau die gleiche Struktur wie das Berliner Blau besitzt [8, 9].
Einhundert Jahre später, 1798, entdeckte der französische Chemiker B. M. Tassaert, dass
ammoniakhaltige Lösungen von Cobaltchlorid sich an der Luft bräunlich verfärben [4]. Die
Isolierung des dabei entstehendenen orangen komplexen Kations gelang 1822 Gmelin als
[Co(NH3 )6 ]2 (C2 O4 )3 . Diese Verbindung gehört zu einer seit Mitte des 19. Jahrhunderts
intensiv untersuchten Verbindungsklasse, den Ammoniak-Addukten von Cobalt(III)-Salzen
der allgemeinen Zusammensetzung CoX3 · n NH3 , mit n = 3, 4, 5, 6. Bei diesen Verbindun-
gen konnten unterschiedliche (aber nicht alle!) Ammoniakgehalte realisiert werden, die die
Eigenschaften der Verbindungen signifikant beeinflusst haben. Die offensichtlichste Eigen-
4 1 Was sind Komplexe?
schaft war die Farbigkeit, was sich in der Namensgebung niedergeschlagen hat (luteo = gelb,
pupureo = rot, praseo = grün, violeo = violett).
Zu jener Zeit haben sich die Theorien zur Konstitution von Komplexverbindungen stark
an der Chemie des Kohlenstoffs orientiert, bei der von einer Übereinstimmung von Valenz
(= Wertigkeit) und Bindigkeit (= Koordinationszahl) ausgegangen wurde. Blomstrand schlug
1870 vor, die Ammoniakmoleküle in diesen Verbindungen wie die CH2 -Gruppen in Koh-
lenwasserstoffen zu Ketten zu verknüpfen. Inspiriert wurde diese Idee von der Struktur von
Diazoverbindungen, bei denen Kekulé eine Stickstoff-Stickstoff-Bindung postuliert hatte.
Diese sogenannte „Kettentheorie“ war einer der erfolgreichsten und am weitesten akzep-
tieren Ansätze zur Erklärung der Komplexchemie und wurde unter anderem von Jørgen-
sen weiterentwickelt. Seine sehr systematischen Arbeiten auf diesem Gebiet sollten die
Idee Blomstrands bestätigen und ausbauen. Nach diesem Ansatz ergab sich als Struktur für
Cobalt(III)-Komplexe mit unterschiedlichen NH3 -Gehalten ein Bild, bei dem die Bindig-
keit des Cobalts (3, bedingt durch die Oxidationsstufe) berücksichtigt und der Stickstoff als
formal fünfbindig formuliert wurde [4]. In Abb. 1.2 sind einige Beispiele dargestellt. Wir
erinnern uns daran, dass im vorletzten Jahrhundert ausgefeilte Techniken wie die Kristall-
strukturanalyse noch nicht zur Verfügung standen. Der Aufbau von Verbindungen konnte nur
von deren chemischer Reaktivität und den physikalischen Eigenschaften abgeleitet werden.
Die folgenden Beobachtungen wurden für das Luteosalz des Cobalts gemacht, aus denen
sich die Fragen ableiten lassen, die es in der Koordinationschemie zu lösen galt.
Wenn man durch eine wässrige Lösung von CoCl2 , NH4 Cl und NH3 Luftsauerstoff lei-
tet, entsteht die bereits erwähnte Verbindung der Zusammensetzung CoCl3 ·6 NH3 . Diese
NH3 Cl NH3 Cl
Co NH3 Cl Co Cl
Cl Cl
Co Cl Co Cl
NH3 NH3 NH3 NH3 Cl NH3 NH3 NH3 Cl
Abb. 1.2 Strukturen von Cobalt(III)-Komplexen nach Jørgensen basierend auf der „Kettentheorie“.
Jørgensen ging davon aus, dass das am Ammoniak gebundene Chlorid nur schwach gebunden ist
und das direkt am Cobalt gebundene Chlorid sehr fest. So konnte er einige, aber nicht alle, der
Eigenschaften der Cobalt(III)-Salze mit unterschiedlichem Ammoniakgehalt erklären
1.1 Geschichte 5
CoCl2
Leitfähigkeit AgNO3
Abb. 1.3 Physikalische und chemische Eigenschaften von CoCl3 ·6 NH3 , die den Chemikern zu
Beginn des 19. Jahrhunderts ein Rätsel waren
Verbindung war schon durch ihre Zusammensetzung für die Chemiker am Ende des vor-
letzten Jahrhunderts ein Problem. Es war ihnen unverständlich, durch welche Bedingungen
das NH3 , also ein neutrales Molekül, in einem Salz gebunden ist. Außerdem konnten sie
sich nicht erklären, warum das Cobalt schon mit Luftsauerstoff aus der zweiwertigen in
die dreiwertige Stufe oxidiert werden konnte – in jedem Lehrbuch für allgemeine und/oder
anorganische Chemie lässt sich nachlesen, dass die stabile Oxidationsstufe für Cobalt im
Wässrigen + 2 ist. Noch unverständlicher wurde diese Verbindung bei der Untersuchung
ihrer Eigenschaften und Reaktionen, die in Abb. 1.3 zusammengefasst sind.
• Obwohl die Verbindung aus zehn Teilchen besteht, dissoziiert sie beim Lösen in Wasser
nur in vier Teilchen.
• Bei der Messung der elektrischen Leitfähigkeit dieser Lösung stellt man fest, dass diese
dem erwarteten Wert von einem dreiwertigen Kation und drei einwertigen Anionen ent-
spricht.
• Völlig unerwartet ist das Verhalten gegen verdünnte Natronlauge, wo eine Fällung von
Cobalthydroxid und die Entwicklung von NH3 erwartet wurde, aber keine Reaktion
eintritt (sondern erst beim Erhitzen).
• Mit AgNO3 -Lösung werden die drei Cl− -Ionen als AgCl gefällt. Aus der Lösung wird
die Verbindung Co(NO3 )3 ·6 NH3 isoliert.
Wird bei der oben beschriebenen Reaktion die Menge an NH3 und NH4 Cl herabgesetzt,
erhält man die anderen bereits erwähnten Cobaltkomplexe mit einem niedrigeren NH3 -
Gehalt, nämlich CoCl3 ·5 NH3 , CoCl3 ·4 NH3 und CoCl3 ·3 NH3 . Verbindungen mit einem
geringeren Ammoniakgehalt konnten nicht isoliert werden, genauso wie Verbindungen mit
einem höheren Gehalt als sechs NH3 – unabhängig vom verwendeten Überschuss. Weiterhin
beeinflusst der Ammoniakgehalt deutlich die Eigenschaften der Komplexe, neben der bereits
erwähnten Farbigkeit z. B. die elektrische Leitfähigkeit der Lösungen. Diese ist in Abb. 1.4
dargestellt und nimmt mit abnehmendem NH3 -Gehalt bis zum Co(NO2 )3 ·3 NH3 hin ab,
6 1 Was sind Komplexe?
300
200
100
0
[Co(NH3)6]Cl3 [Co(NH3)4(NO2)2]Cl K[Co(NH3)2(NO2)4]
[Co(NH3)5(NO2)]Cl2 [Co(NH3)3(NO2)3]
das fast ein Nicht-Elektrolyt ist. Bei der Reaktion mit Silbernitrat sind die Eigenschaften
ebenfalls sehr verschieden. So kann bei CoCl3 ·4 NH3 nur eins der Chloridionen gefällt
werden, bei CoCl3 ·5 NH3 sind es zwei und bei CoCl3 ·6 NH3 alle drei. Der Gehalt an NH3 -
Molekülen bestimmt also, was für ein Elektrolyttyp vorliegt und wie viele der Ionen des
Elektrolyten fällbar sind, obwohl NH3 selbst kein Ion ist und eigentlich an einer ionischen
Bindung keinen Anteil haben kann.
Mit der Kettentheorie konnten einige der Fragen erklärt werden. Die Erklärung war,
dass die Reaktivität der über das Ammoniak gebundenen Chloridionen sich von denen
direkt an das Cobalt gebundenen unterscheidet. Die Bindung an das Metall sollte sehr fest
sein, während die Wechselwirkung zwischen Ammoniak und Chlor nur lose ist. Mit dieser
Annahme können die Eigenschaften von CoCl3 ·6 NH3 zufriedenstellend erklärt werden, sie
versagte aber bei der Verbindung CoCl3 ·3 NH3 – es war einfach nicht erklärbar, warum eine
wässrige Lösung dieser Verbindung nahezu keine Leitfähigkeit zeigte. Damit war es klar,
dass die Kettentheorie nur ein vorübergehender Erklärungsansatz sein konnte.
Die Synthese der Cobaltamminkomplexe ist nicht trivial und ein exaktes Einhalten der
Reaktionsvorschrift ist Voraussetzung für den Erfolg. Als Beispiel sind im Folgenden drei
Vorschriften für die in Abb. 1.5 abgebildeten Komplexe gegeben.
Abb. 1.5 Foto von drei Cobaltamminkomplexen. Von oben nach unten: Luteocobaltchlorid
[Co(NH3 )6 ]Cl3 , orange; Purpureocobaltchlorid [CoCl(NH3 )5 ]Cl2 , purpur; und Praseocobaltchlo-
rid trans-[CoCl2 (en)2 ]Cl, grün, mit en anstelle von NH3
Der Beginn der Koordinationschemie, wie wir sie heute kennen, ist eng mit dem Namen
Alfred Werner verbunden und seine 1893 veröffentlichte Koordinationstheorie [11] wurde
im Nachhinein von Kollegen als „eine geniale Frechheit“ bezeichnet [5], für die er 1913
den Nobelpreis für Chemie erhielt. Bemerkenswert ist, dass Werner seine Theorie zu einem
Zeitpunkt aufstellte, als er noch kein einziges Experiment selbst durchgeführt hatte. Der
Privatdozent am Eidgenössischen Polytechnikum in Zürich hatte sich bereits seit einiger
Zeit intensiv mit den offenen Fragen der anorganischen Chemie beschäftigt. Die Überlie-
ferung besagt, dass er eines Nachts jäh aus dem Schlaf gerissen wurde und die Lösung des
Problems vor Augen hatte. Sich mit starkem Kaffee gewaltsam wach haltend, schrieb er
bis zum darauffolgenden Nachmittag seine Gedanken in einem Aufsatz nieder, mit dem
die heutige Koordinationschemie begründet wurde. Er verbrachte sein wissenschaftliches
Lebenswerk damit, die Theorie auf eine sichere experimentelle Grundlage zu stellen. Der
große Durchbruch bei Werners Koordinationstheorie war die Aufgabe der Beschränkung
Oxidationszahl = Bindigkeit, indem er für Komplexe neben dieser „Hauptvalenz“ (= Oxi-
dationszahl) noch eine „Nebenvalenz“ einführte, die der Koordinationszahl (= Bindigkeit)
entspricht. Dies führt zu einer allgemeinen Definition von Koordinationsverbindungen:
Komplexe oder Koordinationsverbindungen sind Moleküle oder Ionen ZLn , in denen an ein
ungeladenes oder geladenes Zentralatom Z entsprechend seiner Koordinationszahl n mehrere
ungeladene oder geladene, ein- oder mehratomige Gruppen = Liganden L angelagert sind.
Diese Definition ist sehr allgemein. Eine Besonderheit der Komplexe ist, dass das Zentral-
teilchen mehr Liganden hat, als es nach seiner Ladung bzw. Stellung im Periodensystem zu
erwarten wäre. Dies ist in der folgenden Definition berücksichtigt.
Ein Komplex ist eine chemische Verbindung, in der ein Zentralteilchen an eine bestimmte Zahl
von Bindungspartnern gebunden ist und das Zentralteilchen mehr Bindungspartner bindet, als
dies nach seiner Ladung oder Stellung im Periodensystem zu erwarten wäre.
Auch diese Definition hat noch Schwächen. Sie würde z. B. dazu führen, dass NH4 + oder
H3 O+ per Definition ein Komplex wären, weil sie mehr Bindungspartner (H+ ) haben, als
aufgrund ihrer Ladung (N−3 bzw. O−2 ) zu erwarten wäre. Noch genauer wird es, wenn man
die Eigenschaften des Zentralatoms (eine Lewis-Säure) und der Liganden (Lewis-Base)
berücksichtigt (siehe Kap. 1.2). Verfeinert lautet die Definition dann:
1.2 Bindungsverhältnisse 9
Ein Komplex ist eine chemische Verbindung, in der ein Zentralteilchen, das eine Lewis-
Säure ist, an eine bestimmte Zahl von Bindungspartnern (Lewis-Basen) gebunden ist
und das Zentralteilchen mehr Bindungspartner bindet, als dies nach seiner Ladung
oder Stellung im Periodensystem zu erwarten wäre.
1.2 Bindungsverhältnisse
• Kovalente Bindungen liegen in vielen Molekülen und einigen Festkörpern vor. Einfache
Beispiele sind zweiatomige Moleküle wie H2 oder Cl2 . Beide Atome stellen eines der
Valenzelektronen für die Ausbildung eines gemeinsamen Elektronenpaars zur Verfügung.
Da beiden Atomen das gemeinsame Elektronenpaar voll zugeordnet wird, erreicht jedes
Edelgaskonfiguration. Die Bindung ist gerichtet. Cl + Cl → Cl–Cl (Abb. 1.6 oben).
• Ionische Bindungen (Ionenbindung) liegen in Salzen (z. B. NaCl) vor. Auch hier erreichen
beide Atome eine Edelgaskonfiguration. Im Gegensatz zur kovalenten Bindung liegt
ein hoher Elektronegativitätsunterschied zwischen beiden Reaktionspartnern vor (per
Definition gilt E N > 1.7). Deswegen gibt ein Reaktionspartner ein (oder mehrere)
Elektron(en) ab und der andere Partner nimmt es (sie) auf. Bei NaCl gibt das Natrium
(Elektronenkonfiguration [Ne] 3 s1 ) ein Elektron ab und es entsteht das Kation Na+
mit der Edelgaskonfiguration [Ne]. Das Chlor-Atom hat die Elektronenkonfiguration
[Ne] 3 s2 3p5 ; durch die Aufnahme von einem Elektron entsteht das Chlorid-Anion Cl−
mit der Edelgaskonfiguration von Argon. Zwischen dem Anion und dem Kation liegen
anziehende, elektrostatische Wechselwirkungen vor. Diese sind nicht gerichtet (Abb. 1.6
Mitte).
• Bei der koordinativen Bindung dient der Ligand als Elektronenpaar-Donor – er ist also
eine Lewis-Base. Damit haben wir schon die wichtigste Eigenschaft von Liganden festge-
stellt: Sie müssen über mindestens ein freies Elektronenpaar verfügen. Beim Zentralteil-
chen handelt es sich um eine Elektronenmangelverbindung, also eine Lewis-Säure. Die
koordinative Bindung lässt sich als Lewis-Säure-Base-Bindung beschreiben. Achtung!
Nicht jede Lewis-Säure-Base-Bindung ist eine koordinative Bindung (H3 C+ + |CH− 3
→ H3 C–CH3 ). Wir werden später feststellen, das auch bei dieser Bindung das Zen-
tralteilchen das Ziel hat, zur Edelgaskonfiguration zu kommen. Ähnlich wie bei einer
kovalenten Bindung liegt ein gemeinsames Elektronenpaar vor, das sich beide Reakti-
onspartner teilen, wodurch beide eine Edelgaskonfiguration erreichen. Alternativ lässt
10 1 Was sind Komplexe?
Cl . + Cl . Cl Cl
_
Na . + Cl . Na + Cl
+
_ _
Al3+ + 4 OH [Al(OH)4]
Abb. 1.6 Beispiel für die Ausbildung einer kovalenten Bindung (oben), einer Ionenbindung (Mitte)
und einer koordinativen Bindung (Lewis Säure-Base Addukt, unten). In allen Fällen erreichen die
beteiligten Reaktionspartner eine abgeschlossene Elektronenschale
1.3 Fragen
1. Definieren Sie den Begriff Komplex möglichst allgemein! Verwenden Sie hierbei bereits
bekannte Konzepte!
2. Nennen Sie typische Eigenschaften von Liganden!
3. Überlegen Sie, welche der folgenden Verbindungen als Komplexe aufgefasst werden
können! Wenden Sie dabei die unterschiedlichen Definitionen für einen Komplex an!
H2 O, H3 O+ , NH4 + , NH2 − , ICl, ICl3 , SF6 , SO4 2− , MnO4 − , BeCl4 2− , BeCl2 (OR2 )2
(R = organischer Rest).
4. Suchen Sie nach Strukturen biologisch wichtiger Übergangsmetall-Verbindungen (Kom-
plexe), die Sie jetzt schon annähernd verstehen können!
12 1 Was sind Komplexe?
5. Nennen Sie die Eigenschaften einer Lewis-Base und einer Lewis-Säure. Was versteht
man unter einem Lewis-Säure-Base-Addukt?
6. Vergleichen Sie die koordinative Bindung mit der ionischen und der kovalenten Bindung.
Was gibt es für Gemeinsamkeiten und Unterschiede?
7. Warum ist die stabilste Oxidationsstufe von Cobalt im wässrigen Medium +2?
Struktur und Nomenklatur
2
Von Anfang an hatte die Farbe von Koordinationsverbindungen die Forscher fasziniert und
die Farbenvielfalt hat sich in der Namensgebung der neuen Verbindungsklasse widerge-
spiegelt. Bei der heute bekannten Vielzahl von Komplexen reicht dieses Kriterium für die
Nomenklatur nicht mehr aus und neue Regeln sind notwendig, um die verschiedenen Kom-
plexe und deren Strukturen eindeutig zu beschreiben.
Die IUPAC (International Union of Pure and Applied Chemistry) gibt regelmäßig Richt-
linien für die Nomenklatur von Verbindungen heraus. 2005 wurden neue Empfehlungen
zur Nomenklatur von anorganischen Verbindungen herausgegeben, die auch die Koordi-
nationschemie betreffen. Im Falle von Komplexen gibt es Regeln für die Aufstellung der
Komplexformeln und Regeln für die systematische Benennung der Komplexe [12].
Ein Komplex besteht aus dem Zentralatom und einer bestimmten Anzahl von Liganden. Die
Beispiele aus der Einleitung haben bereits gezeigt, dass Komplexe anionisch, kationisch
oder neutral sein können. Diese vier Punkte müssen in der Komplexformel enthalten sein:
Zentralatom, Liganden, Anzahl und Ladung. Um Komplexe von anderen Verbindungen
unterscheiden zu können, wird die Koordinationseinheit in eckige Klammern geschrieben,
die Ladung wird, wenn vorhanden, als Exponent angegeben. In den Klammern kommt
das Zentralatom vor den Liganden. Letztere folgen in alphabetischer Reihenfolge, wobei
Abkürzungen (z. B. py für Pyridin oder en für Ethylendiamin) genauso behandelt werden
wie Formeln. Für eine bessere Übersicht werden Abkürzungen und mehratomige Liganden
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von 13
Springer Nature 2021
B. Weber, Koordinationschemie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-63819-4_2
14 2 Struktur und Nomenklatur
in runden Klammern angegeben. Wir sehen uns noch einmal die Beispiele aus der Einlei-
tung an:
[Al(OH)4 ]− ; [Ag(NH3 )2 ]+ ; [Cu(H2 O)6 ]2+ ; [CuCl2 (H2 O)4 ]; [Cu(H2 O)2 (NH3 )4 ]2+
Die Regeln wurden in allen Fällen eingehalten. Unter bestimmten Voraussetzungen kann
es vorkommen, dass zwei oder mehr Isomere für ein und dieselbe Koordinationseinheit
möglich sind. Ein klassisches Beispiel dafür ist der Cobalt(III)-chlorid-Komplex mit vier
Ammoniak-Liganden bzw. zwei Ethylendiamin (en)-Liganden, wo eine grüne (praseo) und
eine violette (violeo) Variante isoliert wurde. Die beiden Komplexe unterscheiden sich in der
Stellung der zwei am Cobalt gebundenen Chloridionen zueinander. Die stehen im ersten Fall
nebeneinander, das heißt sie sind cis-ständing, also cis-[CoCl2 (en)2 ]Cl, während sie sich bei
der violetten Verbindung gegenüber stehen, das nennt man trans, also trans-[CoCl2 (en)2 ]Cl.
Solche Strukturinformationen stehen vor der Komplexformel und werden kursiv gesetzt. Im
Folgenden sind die Regeln noch einmal zusammengefasst:
Die Nomenklatur betrifft den systematischen Namen der Komplexe, das heißt, wie wir
den Namen aussprechen bzw. ausschreiben. Da wird [Al(OH)4 ]− nicht wie in der Formel
ausgeschrieben – dieser Name würde Zuhörer bzw. Leser in die Irre führen. Der systemati-
sche Name ist Tetrahydroxidoaluminat(III) bzw. Tetrahydroxidoaluminat(1−). Wir sehen,
dass im Gegensatz zur Formel die Liganden vor dem Zentralatom angegeben werden und
deren Anzahl in griechischen Zahlen vorangestellt wird – das ist analog zur organischen
Chemie, wo die Anzahl der Substituenten genauso angegeben wird. Ein Beispiel wäre das
1,2-Dichlorethan.
Um nun bei komplizierteren Liganden nicht durcheinander zu kommen, werden diese in
Klammern angegeben und mit den Präfixen bis, tris, tetrakis, …versehen. Ein gutes Beispiel
sind die beiden Kupfer-Komplexe [Cu(H2 O)2 (NH3 )4 ]2+ und [Cu(H2 O)2 (CH3 NH2 )4 ]2+ .
Beim ersten Komplex sind Wasser (aqua) und Ammoniak (ammin) die Liganden und der
Name lautet Tetraammindiaquakupfer(II) – beides sind einfache Liganden und der Name ist
eindeutig. Beim zweiten Komplex wurde anstelle von Ammoniak Methylamin als Ligand
2.1 IUPAC-Nomenklatur von Koordinationsverbindungen 15
Tab. 2.1 Übersicht über die Namen häufig verwendeter anionischer und neutraler Liganden. Die alte
Formulierung entspricht den Regeln vor 2005, die noch in vielen Lehrbüchern zu finden ist, aber
nicht mehr verwendet werden sollte
Anionische Liganden Neutrale Liganden
Abkürzung Alt Neu Abkürzung
F− fluoro fluorido H2 O aqua
Cl− chloro chlorido NH3 ammin
OH− hydroxo hydroxido CO carbonyl
CN− cyano cyanido NO nitrosyl
NCO− cyanato
O2− oxo, oxido oxido
NH−
2 amido
H− hydrido
16 2 Struktur und Nomenklatur
häufig verwendeter anionischer und neutraler Liganden gegeben. In Tab. 2.2 ist die Benen-
nung der Metallatome in anionischen Komplexen zusammengefasst. Es sei kurz darauf
hingewiesen, dass vor der Neuauflage der Regeln zur IUPAC Nomenklatur von anorgani-
schen Verbindungen in 2005 einige Liganden anders benannt wurden, und diese Namen
noch in vielen Lehrbüchern sowie in der älteren Literatur zu finden sind. In Tab. 2.3 werden
die Nomenklaturregeln noch einmal durch einige weitere Beispiele verdeutlicht.
Zentralatom gebundenen Atome durch ihre kursiv gedruckten Symbole nach dem
Ligandennamen angezeigt, z. B. Dithiooxalat-Dianion (C2 S2 O2−
2 ) wird dithiooxalato-
S,S genannt, wenn das Zentralatom über die beiden S-Atome koordiniert ist.
Basierend auf Eigenschaften und Reaktivitäten gibt es keine klare Abgrenzung zwischen
Koordinationsverbindungen und metallorganischen Verbindungen. Im folgenden Kapitel
werden wir lernen, dass metallorganische Verbindungen – per Definition nach IUPAC –
eine Metall-Kohlenstoff-Bindung besitzen. Diese Definition spiegelt nicht immer die Eigen-
schaften der Verbindung wider. Klassische Beispiele sind das Hexacyanidoferrat(II)
und Hexacyanidoferrat(III), die komplexen Anionen vom sogenannten gelben und roten
Blutlaugensalz, [Fe(CN)6 ]4− und [Fe(CN)6 ]3− . Bei beiden Verbindungen koordiniert das
Cyanid-Anion über den Kohlenstoff an das Eisenzentrum – sie besitzen also eine Metall-
Kohlenstoff-Bindung. Die Eigenschaften und Bindungsverhältnisse lassen sich aber bes-
ser mit den Modellen für „Werner“-Komplexe erklären. Der in der Einleitung vorgestellte
Nickelcarbonyl-Komplex vom Mond-Verfahren zur Aufreinigung von Nickel, [Ni(CO)4 ],
das Tetracarbonylnickel(0), ist eine „klassische“ metallorganische Verbindung. Das Beispiel
zeigt, dass bei metallorganischen Verbindungen die selben Nomenklaturregeln wie bei den
Komplexen angewandt werden können und die IUPAC empfiehlt uns, dieses auch zu tun.
Konsequenterweise schreiben wir in diesem Buch die Formel in eckige Klammern. Es ist
jedoch bei metallorganischen Verbindungen durchaus üblich diese Klammern wegzulas-
sen, also Ni(CO)4 zu schreiben. Dies ist dann nicht im Einklang mit den IUPAC-Regeln.
18 2 Struktur und Nomenklatur
Die bei den Komplexen angewandte und laut IUPAC auch für metallorganische Verbindun-
gen empfohlene Nomenklatur wird als Additionsnomenklatur bezeichnet. Alternativ können
metallorganische Verbindungen aufgrund der Metall-Kohlenstoff-Bindung auch als Derivate
von organischen Verbindungen aufgefasst werden und eine Nomenklatur im Einklang mit
den Regeln der organischen Chemie ist möglich. Diese Substitutionsnomenklatur wird im
Folgenden nur an ein paar ausgewählten Beispielen der Vollständigkeit halber vorgeführt.
Nach der Additionsnomenklatur werden metallorganische Verbindungen als Koordi-
nationsverbindungen betrachtet, die durch Alkyl- oder Arylliganden stabilisiert werden.
Diese Nomenklatur wird v. a. bei den Übergangsmetallen angewandt, um die es uns in die-
sem Buch auch geht. Die Verbindung [Ti(C2 H5 )2 (CH3 )2 ] nennen wir Diethyldimethyltitan.
Die Komplexformel wird in eckige Klammern geschrieben und die Reihenfolge der Ligan-
dennamen ist alphabetisch. Kationen und Anionen werden in Analogie zu den Komplexen
durch die Ladung oder die Oxidationszahl des Zentralatoms klassifiziert. Anionen erhalten
die Endung -at. [Ti(C2 H5 )2 (CH3 )]+ ist Diethylmethyltitan(1+) oder -(IV) und [Fe(CO)4 ]2−
ist Tetracarbonylferrat(2−) oder -(−II). Bei metallorganischen Verbindungen ist es häufig
schwierig, die Oxidationsstufe des Metallzentrums genau zu bestimmen. In diesen Fällen
empfiehlt es sich, die Gesamtladung der metallorganischen Einheit anzugeben. Sie ist immer
eindeutig.
Bei der Substitutionsnomenklatur werden metallorganische Verbindungen als Metall-
organyle, also als Derivate binärer Hydride aufgefasst. Sie werden in Analogie zu den Alka-
nen mit der Endung -an bezeichnet. Diese Variante findet v. a. bei Hauptgruppenmetallen ihre
Anwendung. Da wir hier nicht mehr von einer Koordinationsverbindung ausgehen, wird die
Formel ohne eckige Klammern geschrieben. (C2 H5 )2 (CH3 )2 Sn ist Diethyldimethylstannan,
nach der Additionsnomenklatur wäre der Name Diethyldimethylzinn. Bei der Substitutions-
nomenklatur ist es auch möglich, metallorganische Verbindungen als organische Moleküle
aufzufassen, in denen Metalle und auch andere Elemente anstelle von Kohlenstoff substitu-
iert worden sind. In der Abb. 2.1 sehen wir so ein Beispiel, bei dem das Zirkonium als Teil
eines Fünfrings aufgefasst wird.
Im weiteren Verlauf wenden wir für alle metallorganischen Verbindungen mit Übergangs-
metallen konsequent die von der IUPAC empfohlene Additionsnomenklatur an. Wir fassen
die wichtigsten Punkte noch einmal zusammen:
• Sowohl beim Aufstellen der Formeln als auch beim Namen werden bei metallorganischen
Verbindungen die gleichen Regeln wie bei Koordinationsverbindungen angewandt. Das
nennt man die Additionsnomenklatur.
• Mehrfachbindungen werden bei der Bestimmung der Koordinationszahl nicht berück-
sichtigt.
• Wenn sich die Oxidationsstufe des Metallzentrums nicht eindeutig bestimmen lässt, wird
beim systematischen Namen bevorzugt die Ladung der gesamten Einheit angegeben.
Bei den bisher vorgestellten Liganden handelt es sich um Anionen (OH− ) oder neutrale
Verbindungen (NH3 ). Bei metallorganischen Verbindungen ist die genaue Zuordnung von
Oxidationsstufen für Metall und Ligand schwieriger und kann sich auch in Abhängigkeit
von verwendeten Liganden oder Metallzentrum umkehren. Ausschlaggebend dafür, wie die
Bindung betrachtet wird, sind die Elektronegativitätsunterschiede zwischen dem Metallzen-
trum und dem koordinierten Kohlenstoffatom. Entsprechend kann der Ligand neutral oder
als Anion am Metallzentrum koordinieren. In der IUPAC-Nomenklatur werden beide Vari-
anten unterschieden und im Folgenden werden beide kurz vorgestellt, um die Unterschiede
aufzuzeigen. Im alltäglichen Gebrauch hat sich, wegen der Schwierigkeiten die Oxidations-
stufen genau zu bestimmen, die neutrale Beschreibung durchgesetzt und diese wird auch im
weiteren Verlauf angewandt.
Werden die organischen Liganden als Anionen betrachtet, dann bekommen sie die
Endung -ido in Analogie zu den anorganischen Anionen. Die Bezeichnung ist auf den ersten
Blick vielleicht gewöhnungsbedürftig, dafür aber sehr systematisch. Wir vergleichen Chlor
und Methan: Cl ist das Chlor-(atom), Cl− nennen wir Chlorid und als Ligand in Komple-
xen sagen wir Chlorido. CH4 heißt Methan, das entsprechende Anion CH− 3 heißt Methanid
und der anionische Ligand in Komplexen wäre dann Methanido. Damit lautet der Name für
den Komplex [TiCl3 Me] Trichloridomethanidotitan(IV). Aufgrund des großen Elektrone-
gativitätsunterschiedes zwischen Titan (EN = 1.3) und einem sp3 -hybridisierten Kohlenstoff
(EN = 2.5) kann man bei dieser Verbindung davon ausgehen, dass die Methylgruppe als
Anion vorliegt und Titan die Oxidationsstufe +IV hat.
Ein anderer sehr häufig verwendeter anionischer Ligand für metallorganische Verbin-
dungen ist das Anion des Cyclopentadiens, C5 H− 5 , das Cyclopentadienid. Eine unter dem
Trivialnamen Ferrocen bereits sehr lange bekannte Verbindung mit diesem Liganden ist das
[Fe(C5 H5 )2 ], das Bis(cyclopentadienido)eisen(II). Wie schon erwähnt ist die Zuordnung der
Oxidationsstufen bei diesen Verbindungen häufig nicht eindeutig. In der Literatur werden
20 2 Struktur und Nomenklatur
Tab.2.4 Systematische Namen ausgewählter metallorganischer Liganden als anionische und neutrale
Liganden
Ligand Name Anion Name neutral Alternativer Name
CH3 - methanido methyl
CH3 -CH2 - ethanido ethyl
CH3 -CH2 -CH2 - propan-1-ido propyl
(CH3 )2 -CH- propan-2-ido propan-2-yl isopropyl
1-methylethyl
CH2 =CH-CH2 - prop-2-en-1-ido prop-2-en-1-yl allyl
C6 H5 - benzenido phenyl
C5 H5 - cyclopentadienido cyclopentadienyl
CH3 -C(O)- 1-oxoethan-1-ido ethanoyl acetyl
CH2 =CH- ethenido ethenyl vinyl
Tab. 2.5 Beispiele zur Veranschaulichung der Nomenklatur von metallorganischen Verbindungen
Komplexformel Systematischer Name
[OsEt(NH3 )5 ]Cl Pentaammin(ethyl)osmium(+1)-chlorid
Li[CuMe2 ] Lithiumdimethylcuprat(–1)
[Rh(py)(PPh3 )2 (C≡CPh)] (Phenylethinyl)(pyridin)bis(triphenylphosphan)rhodium(0)
bei den Ligandennamen i. d. R. die Bezeichnungen für neutrale Liganden verwendet. Sie
bekommen dann die kennzeichnende Endung -yl. Unsere zwei Beispiele heißen nun Trichlo-
ridomethyltitan(IV) und Bis(cyclopentadienyl)eisen(II). Alle bisherigen Beispiele wurden
mit dieser Variante der Nomenklatur benannt. Prinzipiell sind beide Möglichkeiten richtig
und IUPAC-konform, solange nichts gegen eine negative Ladung beim Liganden spricht. In
Tab. 2.4 sind für einige wenige Beispiele noch einmal die systematischen Namen als anio-
nischer und neutraler Ligand gegeben. In Tab. 2.5 werden die Nomenklaturregeln anhand
einiger weiterer Beispiele verdeutlicht.
schiedlicher Aussagekraft, die je nach Komplexität der Struktur angewandt werden können
und auch sollten. Solche Strukturangaben sind nicht nur für metallorganische Verbindungen
wichtig, auch bei vielen Koordinationsverbindungen, besonders wenn mehrere Metallzen-
tren in einem Komplex vorkommen, sind zusätzliche Informationen notwendig, um aus
den Namen die tatsächliche räumliche Struktur abzuleiten. In diesem Buch werden die μ-
Notation und die η-Notation eingeführt. Die für deutlich komplexere Systeme gut geeignete
κ-Notation wird kurz vorgestellt.
O O
OC Fe Fe Fe
C C CO
OC Co Co CO
Fe Fe Fe
Fe
OC CO
a b
Fe Fe Fe
O O Fe O O O O O O
Fe
Fe Fe Fe Fe Fe Fe
2 2 3 4
c
Th F
O N
-oxidodecathorium(IV) und der Summenformel [Th10 (μ-F16 )(μ3 -O4 )(μ4 -O4 )(NH3 )32 ]8+
(Abb. 2.3). Die Thoriumatome sind durch vier Sauerstoffatome μ4 -verbrückt. Dabei bil-
den sechs Thoriumatome mit den vier Sauerstoffatomen ein Adamantangerüst. Das gleiche
Strukturmotiv ist auch in der Diamantstruktur und den Phosphoroxid-Strukturen (P4 O6
und P4 O10 ) zu finden. Die vier übrigen Thoriumatome besetzen die jeweils vierte Position
über den Sauerstoffatomen (Abb. 2.3 ganz links). Immer drei Thoriumatome vom Adaman-
tangrundgerüst werden von weiteren vier Sauerstoffatomen μ3 -verbrückt und die äußeren
Thoriumatome werden mit dem Grundgerüst durch die μ2 -verbrückenden Fluoridionen
verbunden (Abb. 2.3 mitte). Die Koordinationssphäre um das Thorium wird nun durch 32
Ammoniakmoleküle abgesättigt. Dabei erreicht das Thorium die Koordinationszahlen 9 und
10, die selten sind, bei einem so großen Ion aber nicht unerwartet (Abb. 2.3 rechts).
2.3 Angaben zur Struktur 23
Ungesättigte Kohlenwasserstoffe als Liganden können über die π -Elektronen anstelle vom
freien Elektronenpaar an das Zentralatom koordinieren. Dabei sind verschiedene Modi mög-
lich, die mit der „hapto“-Nomenklatur unterschieden werden können. Als Beispiel betrach-
ten wir das 1-Ethenylcyclopenta-2,4-dien-1-yl. Das Metall kann über die π -Elektronen
am Ethen oder am Cyclopenta-2,4-dien-1-yl koordiniert werden. Bei der ersten Variante
wäre der Ligand das Cyclopenta-2,4-dien-1-yl-η2 -ethen und bei der anderen das Vinyl-η5 -
cyclopentadienyl. Beide Varianten sind in Abb. 2.4 gegeben.
Die Anzahl der am Metall koordinierten ungesättigten C-Atome wird durch die hochge-
stellte Zahl hinter dem griechischen Buchstaben η (Eta) angegeben. Gelesen wird ηn dann als
n-hapto also trihapto (n = 3), tetrahapto (n = 4) usw. Koordinieren beim Benzen alle C-Atome,
dann ist es als η6 -Benzen gebunden. Genauso ist ein über alle fünf C-Atome koordinier-
tes Cyclopentadienyl als η5 -cyclopentadienyl gebunden. Wird anstelle der π -Bindungen
eine σ -Bindung zu einem der C-Atome ausgebildet, bezeichnen wir den Liganden als σ -
cyclopentadienyl oder η1 -cyclopentadienyl. Sind an einer Bindung nicht alle ungesättig-
ten Zentren eines Liganden beteiligt oder lässt ein Ligand mehrere Bindungsvarianten zu,
so werden vor dem Zeichen η die entsprechenden Lokanten, also Zahlen, die das Atom
beschreiben, eingeführt. Mit einem Bindestrich lassen sich mehrere aufeinanderfolgende C-
Atome zusammenfassen. Wenn zwischendurch welche ausgelassen werden, wird dieses mit
einem Doppelpunkt zwischen den Lokanten verdeutlicht, wie bei den folgenden Beispielen
in Abb. 2.5 zu sehen.
Mit zunehmender Komplexität der Moleküle hat sich auch die κ-Notation bewährt:
mκ n Elementsymbol I wird dem Ligandennamen nachgestellt (mit m = Lokant, der in Mehr-
kernkomplexen die Metallzentren „zählt“; n = Lokant, der die Anzahl identischer Ligatora-
tome anzeigt; I = Lokant, der die Nummerierung des koordinierenden Atoms beinhaltet
Cr Co
Fe(CO)3 CHO
a b c
und kursiv geschriebenem Elementsymbol des Ligatoratomes). Dabei ist I von besonderer
Wichtigkeit. Bei der in Abb. 2.6 gezeigten Verbindung gibt es nur ein Metallzentrum, so dass
der Lokant m entfällt. Pro Liganden gibt es keine identischen Ligatoratome, so dass n auch
entfällt. Die κ-Notation beschränkt sich in diesen Fall darauf anzugeben, dass einer der zwei
Triphenylphosphan-Liganden nur über das P-Atom am Nickel koordiniert, während beim
zweiten Triphenylphosphan der Ligand zusätzlich über C1 von einem der drei Phenylringe
koordiniert.
Die Angaben zur Struktur können sowohl im Namen, als auch in der Formel der Verbin-
dung angegeben werden, wie in Abb. 2.7 am Beispiel des als Dimer auftretenden Alumini-
umtrichlorid gezeigt.
κP)nickel(II)
6 4
5
Liganden sind Moleküle oder Atome mit mindestens einem freien Elektronenpaar. Diese
Definition trifft auf ein sehr breites Spektrum von Verbindungen zu. Es bietet sich daher
an, eine zusätzliche Unterteilung der Liganden einzuführen. Hierbei hat sich das Konzept
der Zähnigkeit besonders bewährt. Damit wird die Anzahl der Donoratome in einem Ligan-
den beschrieben, die an ein Metallzentrum koordinieren können. Von den so erhaltenen
Ligandentypen lassen sich mehrzähnige Liganden noch in Kategorien wie offenkettig (z. B.
Diethylentriamin, dien), verzweigt offenkettig (z. B. edta) und cyclisch (z. B. Phtalocya-
nin) unterteilen. Einige der einzähnigen Liganden sind uns sicherlich schon während des
Studiums begegnet und wurden in der Einleitung bereits vorgestellt (Hydroxid, Cyanid,
Kohlenstoffmonoxid). Von den mehrzähnigen Liganden ist das Anion der Ethylendiaminte-
traessigsäure (edta) vielleicht bereits aus der quantitativen Maßanalyse (komplexometrische
Titration, Komplexometrie) sowie wegen seiner Bedeutung für die Schwermetallentgiftung
bekannt.
Einzähnige Liganden sind Ionen oder Moleküle, die zwar z. T. mehrere freie Elektro-
nenpaare besitzen, aber nur eine Bindung zu einem Metallzentrum ausbilden. Beispiele
sind Halogenid- und Pseudohalogenid-Anionen, Wasser, Ammoniak, aliphatische Alko-
hole, Amine. Sind mehrere freie Elektronenpaare vorhanden, können einzähnige Liganden
Mehrfachbindungen ausbilden oder für zwei Metallzentren als Brückenligand fungieren.
Dies wird dann mit der bereits vorgestellten μ-Notation gekennzeichnet.
Zweizähnige Liganden sind Ionen oder Moleküle, die mehrere freie Elektronenpaare
haben und bei denen zwei davon zu einer koordinativen Bindung an ein Metallzentrum
benutzt werden. Die in Abb. 2.8 gezeigten Beispiele sind zweizähnige Liganden, die auch
schon im Rahmen des Studiums vorgekommen sein können. Das wäre z. B. das Diace-
26 2 Struktur und Nomenklatur
H 3C
NH 2 N N O
H 2C
HC
H 2C
NH 2 N N O
H 3C
H
H 3C N O O O C
O O
O
OH
H 3C N O O O O
-
Carbonat Salicylaldehyd-Anion
tyldioximato, dass bei der quantitativen Bestimmung von Nickel eingesetzt wird. Der
Bis(diacetyldioximato)nickel(II)-Komplex zeichnet sich durch eine besondere Stabilität aus.
Das wird unter anderem durch zusätzliche stabilisierende Wasserstoffbrückenbindungen
zwischen den beiden koordinierenden Liganden erreicht. In Abb. 2.9 ist der Komplex sche-
matisch dargestellt. Voraussetzung für die hohe Stabilität ist die quadratisch planare Struk-
tur des Komplexes, die beim entsprechenden Cobalt-Komplex z. B. nicht beobachtet wird.
Die hohe Stabilität und geringe Löslichkeit des Bis(diacetyldioximato)nickel(II)-Komplexes
ermöglicht einen quantitativen Nachweis von Nickel neben Cobalt, etwas was mit edta,
einem sechszähnigen Liganden, nicht möglich ist. Warum gerade der Nickel(II)-Komplex
quadratisch planar ist, wird bei den Bindungsmodellen (Ligandenfeldtheorie) erklärt.
Die abgebildeten zweizähnigen Liganden fungieren als Chelatliganden. Der Begriff Che-
latligand kommt vom lateinischen chelae bzw. dem griechischen chele, die beide Krebs-
schere bedeuten.
H
O– O
N N
Ni2+
N N
O O–
H
H2C NH2
N N N
H2C
N
NH
R B N N
H2C
N N
N H2C NH2
Vierzähnige Liganden Bei den vierzähnigen Liganden spielen neben offenkettigen Ligan-
den wie Polyaminen oder Pyridin-Derivaten auch makrocyclische Liganden eine wichtige
Rolle. Eine Auswahl ist in Abb. 2.11 gegeben. Die meisten wurden hergestellt, um biologisch
relevante Makrocyclen wie das Protoporphyrin IX vom Hämoglobin (roter Blutfarbstoff und
relevant für den Sauerstofftransport in unserem Körper) zu modellieren. Viele biologisch
relevante katalytische Prozesse basieren auf Komplexen mit makrocyclischen Liganden.
28 2 Struktur und Nomenklatur
NH2
H2C N
H2C N
NH N N– N
N O–
H2C
N N
H2C
N – –
NH N O N N
H2C N
N
H2C
NH2
2,2':6',2'‘:6'‘,2'‘‘-
Triethylentetraamin Salen Phtalocyanin
NH2
H2C
N– N NH HN
H2C H2 H2
C C
N NH2
– NH HN H2C
N N
H2C
NH2
Porphyrin-Grundgerüst Cyclam
Abb. 2.11 Ausgewählte vierzähnige offenkettige, verzweigt offenkettige (tren) und makrocyclische
Liganden (Porphyrin, Phtalocyanin, cyclam)
Teilweise ist die Modellierung solcher Prozesse auch mit offenkettigen Liganden möglich,
dazu gehören Schiff’sche Basen wie der Salen-Ligand.
Fünfzähnige Liganden sind, ähnlich wie die Koordinationszahl, im Vergleich zu den bisher
besprochenen Beispielen selten. Viele Komplexe mit der Koordinationszahl fünf bestehen
aus einem vierzähnigen und einem einzähnigen Liganden. Ein Beispiel ist in Abb. 2.12
gegeben.
Ein klassisches Beispiel für einen sechszähnigen Liganden ist das Ethylendiamintetraa-
cetat (edta), ein nicht-selektiver Ligand, der stabile 1:1-Komplexe mit einer Vielzahl ein-
bis vierfach geladener Metallionen bildet. Die Komplexbildung ist stark pH-Wert-abhängig.
Als Ligand fungiert das tetra-Anion der Ethylendiamintetraessigsäure und die Konzentration
dieses Anions in Lösung ist stark von deren pH-Wert abhängig.
Viele in der Koordinationschemie verwendete Liganden sind zu kompliziert, um sie
in eindeutiger Weise mit ihrer Summenformel in eine Komplexformel aufzunehmen. Für
diese Liganden werden i. d. R. Abkürzungen verwendet, ähnlich denen, die in der organi-
schen Chemie für bestimmte strukturelle Gruppen verwendet werden. Für die Abkürzungen
2.4 Struktur von Komplexen 29
COO– O
n–
–
OOC
CH2 O O
N COO –
H2 H2
C C N COO – N O
–
OOC N C C M
H H2 H2 N COO – N O
Ethylendiamintriacetat O
COO– O
O
Ethylendiamin
tetraacetat (edta4–) edta-Komplex [M(edta)] n–
Abb. 2.12 Beispiel für einen fünfzähnigen Liganden (Anion der Ethylendiamintriessigsäure) und
einen sechszähnigen Liganden (Anion der Ethylendiamintetraessigsäure, edta4− ) sowie allgemeine
Struktur eines edta-Komplexes
sollten Kleinbuchstaben verwendet werden und sie sollten in den Komplexformeln in runden
Klammern stehen. In Tab. 2.6 ist eine Auswahl gegeben.
Eines der wichtigsten Strukturmerkmale eines Komplexes ist die Koordinationszahl (KZ),
d. h. die Zahl der an das Zentralatom gebundenen Liganden bzw. bei mehrzähnigen Ligan-
den die Anzahl der koordinierenden Donoratome. Die tatsächlichen Bindungsverhältnisse
zwischen Metall und Ligand spielen für die Bestimmung der Koordinationszahl keine
Rolle. Besonders bei metallorganischen Verbindungen können potentiell Mehrfachbindun-
gen zwischen Metall und Ligand auftreten. Bei der Bestimmung der Koordinationszahl
werden diese potentiellen π - und δ-Bindungen nicht berücksichtigt. [Ir(CO)Cl(PPh3 )2 ],
[RhI2 (Me)(PPh3 )2 ] und [W(CO)6 ] sind Beispiele für metallorganische Verbindungen mit
30 2 Struktur und Nomenklatur
den Koordinationszahlen 4, 5 und 6. Eng mit der Koordinationszahl verknüpft ist das Koor-
dinationspolyeder, d. h. die geometrische Figur, in der sich die Liganden um das Zentralion
anordnen. Im Folgenden werden die Koordinationszahlen 2 bis 6 und die jeweils zuzuord-
nenden Koordinationspolyeder besprochen.
Koordinationszahl 2 Die Koordinationszahl 2 (Abb. 2.13) ist recht selten und auf Zen-
tralionen wie Cu+ , Ag+ oder Au+ beschränkt. Der Koordinationspolyeder wird als linear
bezeichnet. Ein Beispiel wäre [Ag(NH3 )2 ]+ .
Koordinationszahl 3 Die Koordinationszahl 3 (Abb. 2.14) tritt selten auf, das entsprechende
Koordinationspolyeder ist trigonal planar. Beispiele sind [HgI3 ]− und [Pt(P(C6 H5 )3 )3 ].
Koordinationszahl 4 Die Koordinationszahl 4 (Abb. 2.15, links) tritt sehr häufig in Form von
quadratisch planaren und tetraedrischen Komplexen auf. Beispiele für tetraedrische Kom-
plexe sind [Zn(OH)4 ]2− oder [Cd(CN)4 ]2− ; sie treten häufig bei d 0 oder d 10 -Metallzentren
auf. Beispiele für quadratisch planare Komplexe sind [PtCl4 ]2− und [AuF4 ]− . Diese Koor-
dinationsgeometrie tritt häufig bei d 8 -Metallzentren auf. Einige Verbindungen, bei denen
nach Zusammensetzung die KZ 3 zu erwarten wäre, treten mit KZ 4 auf (Abb. 2.15, rechts).
Zwei Beispiele sind gasförmiges [(AlCl3 )2 ] und [(AuCl3 )2 ], bei denen durch Dimerisierung
die KZ 4 erreicht wird. Beim Aluminium ist die Koordinationsumgebung tetraedrisch und
beim Gold quadratisch planar, was wieder mit der d-Elektronenzahl erklärt werden kann.
Koordinationszahl 5 Die Koordinationszahl 5 tritt relativ selten in Form von trigonal bipy-
ramidalen und tetragonal pyramidalen Komplexen auf (Abb. 2.16). Die von den Liganden
oberhalb und unterhalb der Ebene in der trigonalen Bipyramide besetzten Positionen nennt
man axial, die Positionen der drei Liganden in der Ebene äquatorial. Beispiele für trigonal
bipyramidale Komplexe sind [SnCl5 ]− und [Fe(CO)5 ]; ein Beispiel für einen tetragonal
pyramidalen Komplex ist [VO(acac)2 ] mit acac = acetylacetonat. Die energetischen Unter-
schiede zwischen der trigonalen Bipyramide und der tetragonalen Pyramide sind gering und
beide können durch geringfügige Deformation ineinander überführt werden. Bei trigonal
bipyramidalen Komplexen sind die axiale und die äquatoriale Postition nicht äquivalent und
können durch Deformationsschwingungen ineinander überführt werden. Als Zwischenstufe
wird dabei eine tetragonal pyramidale Anordnung erhalten. Diesen Vorgang bezeichnet man
als Berry-Pseudorotation.
Koordinationszahl 6 Bei der Koordinationszahl 6 sind die Koordinationspolyeder Okta-
eder, trigonales Prisma, trigonales Antiprisma oder planares Sechseck denkbar (Abb. 2.17 a).
In zahlreichen Versuchen konnten A. Werner und seine Mitarbeiter nachweisen, dass nur das
Oktaeder auftritt. Das Oktaeder ist ein Spezialfall des trigonalen Antiprismas, bei dem alle
Kanten gleich lang sind (Abb. 2.17b). Allerdings ist das ideale Oktaeder selten und es treten
bei den meisten oktaedrischen Komplexen Abweichungen von der idealen Oktaedersymme-
F F
F F
L
F Mo F Mo F
F F
F F
F F
L F Mo F Mo F
L
M
L F F
L F F CO CO
OC I CO
Mn Mn
OC I CO
L CO CO
a b c
Abb. 2.17 a Bei der Koordinationszahl 6 sind die Koordinationspolyeder Oktaeder, trigonales
Prisma, trigonales Antiprisma oder planares Sechseck denkbar. b Alle Komplexe mit Koordinati-
onszahl 6 treten als Oktaeder auf. c Bei einigen Verbindungen der Zusammensetzung ML5 kann
durch Ausbildung größerer Aggregate die KZ 6 erreicht werden
32 2 Struktur und Nomenklatur
trie auf (häufig entlang der 4-zähligen Achse gestreckt oder gestaucht). Eine zunehmende
Entfernung der Liganden auf der z-Achse führt zur Erniedrigung der KZ von 6 auf 4 und der
quadratisch planaren Geometrie. Einige Verbindungen, bei denen nach Zusammensetzung
die KZ 5 zu erwarten wäre, treten mit der KZ 6 auf. Zwei Beispiele für ein solches Verhalten
sind das dimere [Mn2 I2 (CO)8 ] und das tetramere [(MoF5 )4 ] (Abb. 2.17c).
Höhere Koordinationszahlen Bei den höheren Koordinationszahlen treten immer mehrere
mögliche Koordinationspolyeder auf, die sich teilweise nur geringfügig voneinander unter-
scheiden. Generell sind höhere Koordinationszahlen selten und nur bei großen Zentralionen
anzutreffen. Beispiele dafür sind Komplexe der Lanthanoide und Actinoide, wie z. B. der
bereits erwähnte Thorium-Cluster (Abb. 2.3), bei dem die Koordinationszahlen 9 und 10
auftreten.
Als Isomerie bezeichnet man die Erscheinung, dass chemische Verbindungen mit gleicher
Zusammensetzung aber unterschiedlicher Anordnung der Atome existieren. Diese Erschei-
nung tritt auch in der Komplexchemie in verschiedenen Formen auf, von denen einige hier
kurz angesprochen werden. Bei den ersten Beispielen handelt es sich um Konstitutionsiso-
mere mit unterschiedlichen Verknüpfungsfolgen der Atome. Typische Beispiele dafür aus
der organischen Chemie wären n-Octan/iso-Octan oder ortho–/meta–/para–Nitrotoluol. Die
Isomere haben unterschiedliche chemische und physikalische Eigenschaften.
Ionisationsisomerie: Viele Anionen können im Komplex oder außerhalb des Komplexes
gebunden sein, so dass in der Lösung verschiedene Ionen mit häufig sehr unterschiedlichen
Eigenschaften vorliegen.
Hydratisomerie: Die Hydratisomerie ist eine spezielle Form der Ionisationsisomerie, wobei
H2 O gegen andere Liganden ausgetauscht wird. Ein bekanntes Beispiel ist CrCl3 ·6 H2 O, von
dem vier verschiedene Isomere bekannt sind. Eine wässrige Lösung von CrCl3 ·6 H2 O ist
zunächst dunkelgrün, beim Stehen wird sie langsam heller und ändert die Farbe über ein
helles blaugrün bis hin zum violett. Dabei treten die verschiedenen Isomere in der nach-
folgenden Reihenfolge auf, wobei die ersten zwei grün, das dritte blaugrün und das vierte
violett ist. Durch Erwärmen der Lösung lässt sich der Vorgang wieder umkehren.
[CrCl3 (H2 O)3 ]·3 H2 O [CrCl2 (H2 O)4 ]Cl·2 H2 O [CrCl(H2 O)5 ]Cl2 ·H2 O
[Cr(H2 O)6 ]Cl3
2.5 Isomerie bei Koordinationsverbindungen 33
Koordinationsisomerie: Wenn Kation und Anion komplexe Teilchen sind, können ver-
schiedene Isomere erhalten werden, indem das Zentralion oder die Liganden (teilweise)
ausgetauscht werden. Ein Beispiel wäre die Verbindung [Co(NH3 )6 ][Fe(CN)6 ]. Durch einen
(partiellen) Austausch der Liganden würden sich die Eigenschaften der Verbindung signifi-
kant ändern.
Salzisomerie: Die Bindung eines Liganden an das Zentralteilchen geht von einem der freien
Elektronenpaare eines Atoms aus. Wenn ein Ligand zwei oder mehr Atome mit freien
Elektronenpaaren besitzt, so kann die Bindung zum Zentralion von verschiedenen Atomen
ausgehen. Diese Fähigkeit eines Liganden, durch verschiedene Atome an ein Zentralion
zu koordinieren, führt zur Salzisomerie. Die entsprechenden Liganden bezeichnet man als
ambident (beidseitig zähnig). Im Tab. 2.7 sind die jeweils zwei möglichen Isomere für die
Liganden Thiocyanat, Nitrit und Cyanid gegeben. In der Regel werden die Donoratome
kursiv gedruckt nach dem Ligandennamen angegeben. Beim Nitrit und Cyanid werden
unterschiedliche Bezeichnungen für den Liganden verwendet.
2.5.1 Stereoisomerie
Bei Stereoisomeren ist die Verküpfungsfolge der Atome gleich und der Unterschied liegt
in der räumlichen Anordnung. Ein typisches Beispiel aus der organischen Chemie sind die
Fumarsäure und die Maleinsäure, das trans- und cis-Isomer der Butendisäure (oder auch
Ethylendicarbonsäure). Bei Komplexen unterscheiden sich Stereoisomere lediglich in der
räumlichen Anordnung ihrer Liganden. Die Isomere haben unterschiedliche chemische und
physikalische Eigenschaften.
cis-trans-Isomerie: Diese Isomerie tritt bei quadratisch planaren Komplexen der allgemei-
nen Formel [MA2 B2 ] und oktaedrischen Komplexen der allgemeinen Formel [MA2 B4 ] auf.
34 2 Struktur und Nomenklatur
A B
B M A A M A
B cis B trans
A A B A
B B A B
B B B B
M B M B M A M B
A B B A
cis trans fac mer
B A A A
Abb. 2.18 cis-trans-Isomerie bei quadratisch planaren und oktaedrischen Komplexen und fac-mer-
Isomerie bei oktaedrischen Komplexen
Im cis-Isomer stehen gleiche Liganden nebeneinander und im trans-Isomer stehen sie sich
gegenüber. In Abb. 2.18 sind beide Beispiele für einen oktaedrischen und einen quadratisch
planaren Komplex schematisch dargestellt.
fac-mer-Isomerie: Beobachtet man bei oktaedrischen Komplexen mit der Zusammenset-
zung [MA3 B3 ] oder oktaedrischen Komplexen mit zwei dreizähnigen Liganden. Die Vor-
silbe fac steht für facial (Fläche), das heißt, gleiche Liganden bilden eine Dreiecksfläche
des Oktaeders. Bei der Vorsilbe mer für meridional sind die drei gleichen Liganden jeweils
entlang zwei benachbarter Oktaederkanten angeordnet. Bei zwei dreizähnigen Liganden
kann durch Wahl des Liganden eine Kontrolle darüber erzielt werden, ob eine faciale oder
meridionale Koordination stattfindet. Zwei Beispiele dafür sind in Abb. 2.10 gegeben. In
Abb. 2.18 sind beide Varianten schematisch dargestellt.
2.5.2 Enantiomere
In der organischen Chemie sind Enantiomere Verbindungen mit einem asymmetrisch sub-
stituierten Kohlenstoffatom. Ein sp3 -hybridisiertes Kohlenstoffatom mit vier unterschied-
lichen Substituenten kann in zwei unterschiedlichen Isomeren auftreten, die sich wie Bild
und Spiegelbild zueinander verhalten, aber nicht ineinander überführbar sind. Diese Enan-
tiomere unterscheiden sich nicht in ihren chemischen/physikalischen Eigenschaften außer
im Vorzeichen des Drehwinkels von linear polarisiertem Licht. Bei Verbindungen mit zwei
optisch aktiven Zentren (z. B. Komplex und Gegenion oder Komplex und Ligand) werden
Enantiomere oder Diastereomere erhalten. Diastereomere verhalten sich zueinander nicht
mehr wie Bild und Spiegelbild und unterscheiden sich dann wieder in ihren chemischen und
physikalischen Eigenschaften. Diesen Umstand kann man zur Trennung von Enantiomeren
verwenden.
2.6 Fragen 35
Cl Cl
Co Co
Cl Cl Cr CO OC Cr
ON NO
PPh3 Ph3P
Abb. 2.19 Spiegelbild-Isomerie beim oktaedrischen Komplex cis-[CoCl2 (en)2 ]+ (en = Ethylendia-
min) und beim tetraedrischen Komplex [Cr(CO)(cp)(NO)(PPh3 )] (cp = cyclopentadienyl)
Spiegelbildisomerie tritt bei oktaedrischen Komplexen mit zwei zweizähnigen und zwei
einzähnigen Liganden oder drei zweizähnigen Liganden und bei tetraedrischen Komplexen
mit vier unterschiedlichen Liganden (Analogie zum Kohlenstoff) auf. Bei oktaedrischen
Komplexen wurde zur Unterscheidung der beiden Varianten die --Konvention (Kon-
vention der „windschiefen Geraden“) eingeführt. Im linken Teil der Abb. 2.19 ist links das
-Isomer (linkshändig helikal) und rechts das -Isomer (rechtshändig helikal) abgebildet.
2.6 Fragen
Der Unterschied zwischen einer metallorganischen Verbindung und einem Komplex (oder
auch Koordinationsverbindung) ist durch die IUPAC definiert [12, 15]. Sie sagt:
Diese Regel ist eindeutig, kann aber auch verwirrend sein. Von den in der Einleitung genann-
ten Verbindungen sind die Metallcarbonyle wie das Tetracarbonylnickel(0) des Mondver-
fahrens klassische metallorganische Verbindungen. Eine strikte Auslegung der IUPAC-
Definition führt aber auch dazu, dass klassische Komplexe wie das gelbe und rote Blutlau-
gensalz [Fe(CN)6 ]4−/3− wegen des über den Kohlenstoff koordinierenden Cyanid-Liganden
formal zu den metallorganischen Verbindungen gezählt werden.
Im sprachlichen Gebrauch wird häufig keine klare Unterscheidung getroffen und beide
Begriffe – Komplex und metallorganische Verbindung – werden teilweise synonym ver-
wendet. Das liegt an den Begriffen organometallic und metal organic aus dem englisch-
sprachigen Raum. Ersterer steht für metallorganische Verbindungen, also Verbindungen
mit einer Metall-Kohlenstoff-Bindung. Der Begriff metal organic bedeutet übersetzt orga-
nometallisch – ein Begriff, der für organische Verbindungen mit einem Metall, egal wie
gebunden, steht. Ein prominentes Beispiel dafür ist der Begriff MOF, der für metal organic
framework, auf deutsch metall-organische Gerüstverbindung, steht. Hier sind Verbindungen
gemeint, die aus Metall(-komplex)-Fragmenten und organischen Liganden aufgebaut sind,
also Komplexe.
Das zentrale Element einer metallorganischen Verbindung ist die Metall-Kohlenstoff-
Bindung. Diese kann mehr oder weniger polar sein. Es ist darauf zu achten, dass das
Metall das elektropositivere Element ist! Also Mδ+ − Cδ− . Die Polarität einer Bindung
hängt von den Elektronegativitätsunterschieden der Bindungspartner ab. In Abb. 3.1 ist das
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von 37
Springer Nature 2021
B. Weber, Koordinationschemie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-63819-4_3
38 3 Was sind metallorganische Verbindungen?
Li Be B C N O F Ne
0.97/1.0 1.47/1.5 2.01/2.0 2.50/2.5 3.07/3.0 3.50/3.7 4.10/4.3 4.8
Na Mg Al Si P S Cl Ar
1.01/0.9 1.23/1.2 1.47/1.5 1.74/1.8 2.06/2.1 2.44/2.5 2.83/3.0 3.2
K Ca Sc Ti V Cr Mn Fe Co Ni Cu Zn Ga Ge As Se Br Kr
0.91/0.8 1.04/1.0 1.20/1.3 1.32/1.5 1.45/1.6 1.56/1.6 1.60/1.5 1.64/1.8 1.70/1.8 1.75/1.8 1.75/1.9 1.66/1.6 1.82/1.6 2.02/1.8 2.20/2.0 2.48/2.4 2.74/2.8 2.9
Rb Sr Y Zr Nb Mo Tc Ru Rh Pd Ag Cd In Sn Sb Te I Xe
0.89/0.8 0.99/1.0 1.11/1.2 1.22/1.4 1.23/1.6 1.30/1.8 1.36/1.9 1.42/2.2 1.45/2.2 1.3/2.2 1.42/1.9 1.46/1.7 1.49/1.7 1.72/1.8 1.82/1.9 2.01/2.1 2.21/2.5 2.4
Cs Ba La Hf Ta W Re Os Ir Pt Au Hg Tl Pb Bi Po At Rn
0.86/0.7 0.97/0.9 1.08 1.23/1.3 1.33/1.5 1.40/1.7 1.46/1.9 1.52/2.2 1.55/2.2 1.42/2.2 1.42/2.4 1.44/1.9 1.44/1.8 1.55/1.9 1.67/1.9 1.76/2.0 1.96/2.2 2.1
Fr Ra Ac
0.86/0.7 0.97/0.9 1.00
Abb. 3.1 Periodensystem der Elemente mit Elektronegativitäten nach Allred-Rochow und nach Pau-
ling. Die Elektronegativitäten der Hybridorbitale wurden nach Mulliken berechnet
Periodensytem der Elemente mit den Elektronegativitäten nach den am weitesten verbreite-
ten Skalen – nach Allred-Rochow und nach Pauling – gegeben. Zusätzlich muss berücksich-
tigt werden, dass der Kohlenstoff je nach Liganden unterschiedlich hybridisiert ist. Die Elek-
tronegativität des Kohlenstoffs ist stark vom Hybridisierungsgrad abhängig. Grund dafür ist,
dass die s-Elektronen einer stärkeren Kernanziehung unterliegen als die p-Elektronen (bei
gleicher Hauptquantenzahl). Dadurch steigt die Elektronegativität (EN) des Kohlenstoffs mit
zunehmendem s-Charakter im Hybridorbital und ist, wie in Abb. 3.1 gegeben, für ein sp-
hybridisiertes Kohlenstoffatom am größten. Dieser Umstand erklärt übrigens, warum Alkane
so reaktionsträge sind. Die EN vom sp3 -hybridisierten Kohlenstoff (2.5) und von Wasserstoff
(2.2) sind sich sehr ähnlich und die C-H-Bindung ist sehr unpolar. In der organischen Che-
mie werden häufig Reagenzien wie Butyllithium (BuLi) oder ein Magnesiumalkylhalogenid
(Grignard-Reagenz) eingesetzt. Diese Hauptgruppen-metallorganischen Verbindungen wer-
den in diesem Buch nicht näher behandelt. Das Gleiche gilt für andere Verbindungen mit
einer Element-Kohlenstoffbindung zu einem Nicht- oder Halbmetall. Solche Verbindungen
werden elementorganische Verbindungen genannt und sind auch keine metallorganischen
Verbindungen im engeren Sinn.
3.1 Geschichte
Formal ist die erste metallorganische Verbindung das Berliner Blau, das im 17. Jahrhun-
dert von Farbhersteller Diesbach in Berlin hergestellt wurde. Der Komplex besitzt eine
Metall-Kohlenstoff-Bindung, wird aber, wie die Blutlaugensalze, nicht zu den klassischen
3.1 Geschichte 39
metallorganischen Verbindungen, sondern eher zu den Komplexen gezählt. Grund dafür ist,
dass das Cyanid als Pseudohalogenid in seiner Reaktivität mit den Halogeniden vergleichbar
ist. Der Beginn der metallorganischen Chemie wird mit dem Namen Zeise in Verbindung
gebracht. Das Zeisesche Salz Na[PtCl3 (C2 H4 )] wurde im Jahre 1827 hergestellt und ist der
erste Olefinkomplex. Zeise hatte die Reaktion von PtCl4 mit Ethanol untersucht [16]. Der
dabei erhaltene Komplex konnte später auch durch Erhitzen des Komplexes Na2 [PtCl4 ] in
Ethanol dargestellt werden. Bei der Reaktion wird das Ethanol dehydratisiert; es entsteht
Ethen, das einen der Chlorido-Liganden am Platin ersetzt, wodurch es zur Ausbildung einer
Metall-Kohlenstoff-Bindung kommt (Abb. 3.2) [15].
Die nächste Verbindung war das Diethylzink (Abb. 3.2) von Frankland im Jahr 1849,
eine Zufallsentdeckung – Ziel war die Herstellung des Ethylradikals – der eine Reihe von
Hauptgruppenmetallorganylen folgten. Von Frankland wurde der Begriff „organometallic“
geprägt. Es folgte 1890 das bereits erwähnte Tetracarbonylnickel(0), der erste homolep-
tische Metallcarbonylkomplex, der bis heute in der Nickelraffination in dem nach dem
Entdecker L. Mond benannten Mondverfahren eingesetzt wird. Eine Möglichkeit zur C-C-
Bindungsknüpfung entwickelte V. Grignard über die Synthese von Alkylmagnesiumhalo-
geniden durch Umsetzung von Alkylhalogeniden mit Magnesium – eine Entdeckung, für
die er 1912 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde. 1931 wurde von W. Hieber der erste
Hydridkomplex [Fe(CO)4 H2 ] hergestellt [17]. Bei der sogenannten Hieberschen Basenre-
aktion wird Pentacarbonyleisen(0) im Basischen umgesetzt. Im ersten Schritt entsteht dabei
das Ferrat [Fe(CO)4 ]2− , bei dem das Eisen die formale Oxidationsstufe –II hat. Das Anion
ist eine starke Base und lagert unter den Reaktionsbedingungen ein Proton an, wobei formal
die Oxidationsstufe am Eisen auf 0 erhöht wird und wir den Hydridkomplex [Fe(CO)4 H]−
erhalten. Nach Ansäuern erhält man den Komplex [Fe(CO)4 H2 ] [15].
Im weiteren Verlauf wurde eine Vielzahl von verschiedenen metallorganischen Verbin-
dungen hergestellt. Ein Highlight ist das Ferrocen, das 1951 von P. Pauson und S. A. Mil-
ler hergestellt wurde. Die Entdeckung der Sandwich-Struktur dieser Verbindung im Jahr
1953 unabhängig von E. O. Fischer und G. Wilkinson wurde 1973 mit dem Nobelpreis
gewürdigt (Abb. 3.2). Weitere Nobelpreise auf dem Gebiet der metallorganischen Chemie
wurden für technisch hochrelevante Verfahren wie die Darstellung von Polyolefinen aus
Ethylen und Propylen (K. Ziegler und G. Natta, Entdeckung 1955, Nobelpreis 1963) und
Cl Cl
Pt Fe
Zn
Cl
Abb. 3.2 Von links nach rechts: Struktur vom Zeiseschem Salz Na[PtCl3 (C2 H4 )], Diethylzink und
Ferrocen mit seiner Sandwich-Struktur
40 3 Was sind metallorganische Verbindungen?
die Hydroborierung (H. C. Brown, Entdeckung 1956, Nobelpreis 1979) vergeben. Es folgte
ein Nobelpreis für die Röntgenstrukturanalyse vom Coenzym B12 (D. Crowfoot Hodgkin,
Aufklärung 1961, Nobelpreis 1964). Die im Coenzym vorhandene Co-C-Bindung ist die
einzige bekannte Metall-Kohlenstoff-Bindung in einem biologisch relevanten System, die
unter physiologischen Bedingungen stabil ist. Die nach wie vor rege Forschung auf dem
Gebiet der metallorganischen Chemie (und der damit eng verbundenen Katalyse) spiegelt
sich in den Nobelpreisen von 2001 (K. B. Sharpless, W. S. Knowles und R. Noyori für Pionier-
arbeiten auf dem Gebiet der enantioselektiven Katalyse), 2005 (Y. Chauvin, R. H. Grubbs,
R. R. Schrock für ihre Arbeiten zur Olefinmetathese) und 2010 (R. F. Heck, E.-I. Negishi und
A. Suzuki für Palladium-katalysierte Kreuzkupplungen in der organischen Synthese) wider.
Die Edelgasregel war historisch nach der Wernerschen Theorie das nächste Modell, das
zum Verständnis der chemischen Bindung in Komplexen bzw. in metallorganischen Ver-
bindungen einen wesentlichen Beitrag geleistet hat. Die Edelgasregel (oder moderner: 18-
VE-Regel) basiert auf der Lewisschen Oktett-Regel, nach der die Hauptgruppenelemente
Elektronen aufnehmen oder abgeben, bis sie eine Außenschale von acht Elektronen, also
eine Edelgasschale, erreicht haben. Sidgwick erklärt die Komplexverbindungen ebenfalls
mit dem Prinzip der Edelgasregel. Die Bindung kommt danach dadurch zustande, dass jeder
Ligand sich ein Elektronenpaar mit dem Zentralion teilt und dadurch dessen Elektronen-
schale bis zur Edelgasschale auffüllt. Im Falle der metallorganischen Verbindungen ist die
18-VE-Regel eine ausgezeichnete Möglichkeit um schnell abzuschätzen, ob eine Verbindung
stabil ist. Was ein stabiler Komplex ist, wird ausführlich in Kap. 6 erklärt. Viele Eigenschaf-
ten und Reaktionen von metallorganischen Verbindungen lassen sich mit ihr erklären. Im
Folgenden werden wir die grundlegenden Aspekte näher betrachten.
Der Unterschied zwischen der Edelgasregel, bei der wir (zumindest für die Elemente der
ersten drei Perioden) 8 Valenzelektronen für eine abgeschlossene Schale benötigen, und der
18-VE-Regel ist die Anzahl der benötigten Valenzelektronen. Dieser Unterschied lässt sich
leicht mit der unterschiedlichen Elektronenkonfiguration der Metalle erklären. In der Tat ist
es so, dass es auch Komplexe mit einer 8-VE-Edelgasschale gibt. Ein Beispiel hierfür ist der
im Bayer-Verfahren zur Darstellung von hochreinem Aluminium vorkommende Komplex
[Al(OH)4 ]− , bei dem eine Edelgasschale mit 8 VE erreicht wird. Das Al3+ hat keine Valen-
zelektronen und jeder OH− -Ligand stellt zwei Elektronen vom freien Elektronenpaar zur
Verfügung. Damit bekommt das Aluminium 8 zusätzliche Valenzelektronen und erreicht so
die nächste Edelgasschale, die von Argon. Die Metallcarbonyle eignen sich hervorragend,
um die 18-VE-Regel einzuführen. Wir betrachten als Beispiel das Pentacarbonyleisen(0).
Die Verbindung entsteht aus Eisen und Kohlenstoffmonoxid in einer exothermen Reak-
tion. Bei der Beschreibung der Bindungsverhältnisse hatten wir bereits festgestellt, dass
der Ligand als Lewis-Base dem Metallzentrum (der Lewis-Säure) ein Elektronenpaar für
3.2 Die 18-Valenzelektronen (18-VE)-Regel 41
die Bindung zur Verfügung stellt. Die 18-VE-Regel geht nun davon aus, dass das Metal-
lion diese Elektronen nutzt, um die Edelgaskonfiguration zu erreichen. Dafür benötigt es
18 Valenzelektronen (8 kennen wir schon von den Hauptgruppen und 10 kommen von den
d-Orbitalen dazu). Das Eisen liegt in der Oxidationsstufe 0 vor, wir bestimmen aus der
Elektronenkonfiguration die Anzahl der Außenelektronen.
8 e−
Fe: [Ar] 3d6 4s2 =
5 |C ≡ O| 5 × 2 e−
=
Summe 18 e−
Bis zur 18 fehlen damit 10 Elektronen, die von den fünf CO-Liganden zur Verfügung gestellt
werden. Pentacarbonyleisen(0) ist demzufolge ein 18-VE-Komplex und stabil. Als weite-
res Beispiel betrachten wir das Tetracarbonylnickel(0), das wir vom Mond-Verfahren her
kennen.
10 e−
Ni: [Ar] 3d8 4 s2 =
4 |C ≡ O| 4 × 2 e−
=
Summe 18 e−
Bis zur 18 fehlen damit 8 Elektronen, die von den vier CO-Liganden zur Verfügung gestellt
werden. Auch diese Verbindung ist ein stabiler 18-VE-Komplex. Wenn wir vom Eisen aus
zwei Elemente weiter nach links gehen, kommen wir zum Chrom. Hier haben wir zwei d-
Elektronen weniger und um zu einem stabilen 18-Elektronenkomplex zu gelangen, brauchen
wir 6 Carbonylliganden, was in der Tat auch beobachtet wird. Zwischen Eisen und Chrom
steht Mangan, das einen Komplex mit fünf CO-Liganden pro Mangan bildet. Werden hier
die Elektronen gezählt (7 + 5 × 2 = 17) lautet die Vorhersage, dass dieser Komplex nicht
stabil sein kann, weil ihm ein Elektron zur abgeschlossenen Edelgasschale fehlt. Das ist in
der Tat der Fall, der Komplex dimerisiert unter Ausbildung einer Metall-Metall-Bindung.
Auf diese Weise teilen sich beide Metallzentren ein Elektronenpaar und jedes kommt jeweils
auf 18 Valenzelektronen.
Wir betrachten noch ein letztes Beispiel, nämlich das gelbe und rote Blutlaugensalz,
[Fe(CN)6 ]4− und [Fe(CN)6 ]3− , und fragen uns, welcher der beiden Komplexe stabiler ist.
(Der Name Blutlaugensalz rührt übrigens daher, dass die Komplexe erstmals durch das
Auslaugen von Blut mit Basen (Laugen) gewonnen wurden.) Wir zählen die Elektronen und
kommen zu dem Ergebnis:
Der Eisen(II)-Komplex (gelbes Blutlaugensalz) ist stabiler. In der Tat könnte man die Ver-
bindung essen, ohne sich eine Cyanid-Vergiftung zuzuziehen (bitte trotzdem nicht gleich
ausprobieren), während der Eisen(III)-Komplex ein gutes Oxidationsmittel und insgesamt
instabiler ist.
42 3 Was sind metallorganische Verbindungen?
Auf der Grundlage der 18-VE-Regel lässt sich die Existenz einer Vielzahl stabiler Orga-
nometallkomplexe voraussagen. Es ist nur ein notwendiges, jedoch kein hinreichendes Kri-
terium. Für f-Elementorganyle der Lanthanoide und Actinoide führt ein entsprechendes Vor-
gehen nicht zum Ziel. Bei der Behandlung von Bimetallkomplexen als 18-VE-Komplexe
mit einer Metall-Metall-Bindung ist zu beachten, dass eine so berechnete Metall-Metall-
Bindung nicht zwangsläufig bedeutet, dass auch wirklich eine Metall-Metall-Bindung vor-
liegt. Hier stößt die 18-VE-Regel schnell an ihre Grenzen.
Es gibt mehrere Möglichkeiten, die Elektronen zu zählen, die die Metallzentren und Ligan-
den zur Valenzschale eines Übergangsmetallkomplexes beitragen. Eine Möglichkeit ist die
Annahme, dass alle Metallatome und Liganden in der formalen Oxidationsstufe Null bzw.
ladungsneutral vorliegen. Die Gesamtelektronenzahl ergibt sich durch Addition der Valen-
zelektronen der Metallatome und der Elektronen, die die Liganden zu den M-L-Bindungen
beisteuern. Die dadurch erhaltene Elektronenzahl wird dann noch um die Komplexladung
korrigiert. So ist bspw. ein einfach gebundenes Cl-Atom ein Einelektronen-Donor, während
es als μ2 -Brückenligand als Dreielektronen-Donor fungiert, der – im Sinne der Valence-
Bond-Theorie – sein ungepaartes Elektron in eine kovalente Bindung und eines der freien
Elektronenpaare in eine dativ-kovalente (koordinative) Bindung einbringt.
Die zweite Variate berücksichtigt die formale Oxidationsstufe bzw. Ladung. Hier wird in
einem ersten Schritt jedem Liganden seine von der IUPAC festgelegte Ladung zugewiesen.
Dann wird die daraus resultierende Oxidationsstufe des Metalls bestimmt und anschlie-
ßend werden die Elektronenzahlen von Zentralmetall und Liganden addiert. Von den bisher
betrachteten Beispielen ist der Rechenweg bei den Metallcarbonylen der gleiche, weil Metall
und Ligand die formale Oxidationsstufe bzw. Ladung 0 besitzen. Bei den Eisenkomplexen
haben wir die von der IUPAC zugewiesene Ionenladung des Cyanid-Ions berücksichtigt.
Hätten wir das nicht getan, müssten wir Cyanid als neutralen Einelektronendonor betrach-
ten. Das Eisen hätte dann die Oxidationsstufe 0 und 8 Außenelektronen. Pro Cyanid wird ein
Elektron dazu gerechnet – wir kommen für beide Komplexe auf 8 + 6 = 14 Valenzelektronen
– und müssen in einem letzten Schritt noch die Ladung des Komplexes dazurechnen. Das
Ergebnis ist zum Schluss mit 17 VE und 18 VE für das rote (Eisen(III)-Komplex, dreifach
negativ geladen) und das gelbe (Eisen(II)-Komplex, vierfach negativ geladen) Blutlaugen-
salz das Gleiche wie bei der ionischen Zählweise. Auf den ersten Blick mag die ionische
Variante als sinnvoller erscheinen. Bei manchen Komplexen fällt die Zuordnung von Oxi-
dationsstufen und Ionenladungen von Liganden jedoch schwer, besonders wenn mehrere
Metallzentren involviert sind. Dann wird die erste Variante attraktiver. Letztendlich muss
jeder die Entscheidung für sich selbst treffen!
Bei der ionischen Zählweise gehen in die Rechnung geläufige Neutralmoleküle wie
Amine, Phosphane, Wasser, CO, Alkene, etc. als 2e-Donoren ein; mehrzähnige Liganden
3.2 Die 18-Valenzelektronen (18-VE)-Regel 43
werden sinngemäß behandelt. NO ist nach Definition von IUPAC ein neutraler 3e-Donor.
Da hier die Bestimmung der Ladung häufig sehr schwierig ist, sollte dieser Ligand immer so
behandelt werden. Anionen wie Hydrid, Halogenid, Chalkogenid, Amid, Phosphanid, Alkyl,
Alkylen, Alkyliden, etc. tragen 2 Elektronen je Zentralmetall bei. Es können aber auch mehr
sein. Maximal dürfen es so viele sein, wie sie freie Elektronenpaare in geeigneter räumli-
cher Ausrichtung aufweisen; π -Hinbindungen werden üblicherweise nicht mitgezählt. Ein
Oxido-Ligand ist daher 2e-Donor im terminalen Bindungsmodus, 4e-Donor als μ2 -Ligand
und 6e-Donor als μ3 -Ligand; der Hydrido-Ligand ist 2e-Donor in allen Bindungsmodi.
Ein η5 -Cyclopentadienyl-Ligand ist ein anionischer 6e-Donor, η6 -Benzen ist ein neutraler
6e-Donor. Diese ionische Zählweise spiegelt die tatsächlichen Bindungsverhältnisse besser
wider und ist eher im Einklang mit den Modellvorstellungen. Es ist zu berücksichtigen,
dass die formalen IUPAC-Oxidationsstufen nicht immer die tatsächlichen Oxidationsstu-
fen widerspiegeln. Das ist insbesondere bei sogenannten „non innocent ligands“ der Fall. In
Tab. 3.1 sind noch einmal wichtige Valenzelektronenzahlen übersichtlich zusammengefasst.
Zwei Rechenbeispiele Prinzipiell muss sich jeder selbst entscheiden, welche Zählweise
angewandt wird. In diesem Buch wird ausschließlich die ionische Zählweise verwendet, es
sei denn, es wird explizit darauf hingewiesen. Bei den folgenden Beispielen wird demons-
triert, dass mit beiden Varianten die selben Ergebnisse erhalten werden.
Tetracarbonyldiiodidoeisen(II), [Fe(CO)4 I2 ]
neutral: ionisch:
Eisen(0) 8 Eisen(2+) 6
4 CO 4 × 2 4 CO 4 × 2
2I(0) 2 × 1 2I(1−) 2 × 2
Summe 18 Summe 18
neutral: ionisch:
2 Mangan(0) 2 × 7 = 14 2 Mangan(1+) 2 × 6 = 12
6 CO 6 × 2 = 12 6 CO 6 × 2 = 12
3 μ2 Br(0) 3 × 3 = 9 3 μ2 Br(1−) 3 × 4 = 12
Ladung []−1 1
Summe 36 Summe 36
Es sei noch einmal darauf hingewiesen, dass wir bei dem Metallzentrum die Valenzelek-
tronenzahl bestimmen. Das entspricht meist der Anzahl der d-Elektronen, es kann jedoch
sein, dass auch, ausgehend von der Elektronenkonfiguration des Atoms, noch s-Elektronen
vorhanden sind, die dann mit berücksichtigt werden müssen. Dies ist z. B. bei Metallen in
der formalen Oxidationsstufe 0 der Fall. In Verbindungen werden alle Valenzelektronen
erst den d-Orbitalen zugeteilt, die in diesem Fall energetisch unter den s-Orbitalen liegen.
Das Eisen(0) in einer Verbindung ist damit kein 3d6 4 s2 -Element, wie man es für die Elek-
tronenkonfiguration des Atoms gewohnt ist, sondern ein 3d8 -Element. Bei allen in diesem
Abschnitt aufgeführten Komplexen gilt die 18-Valenzelektronenregel. Bei vielen anderen
Komplexen spielt sie keine Rolle.
Die Auflistung der historischen Höhepunkte der metallorganischen Chemie hat bereits
gezeigt, dass viele Errungenschaften eng mit katalytischen Verfahren verknüpft sind, die
bis heute in großtechnischen Prozessen weit verbreitet sind und eine enorme gesellschaft-
liche Relevanz haben. Alle diese katalytischen Prozesse lassen sich in wenige grundle-
gende Reaktionen unterteilen, die charakteristisch für die metallorganische Chemie sind.
Die Kenntnis dieser Grundreaktionen hilft beim Verständnis katalytischer Prozesse. Aus
diesem Grund werden die fünf wichtigsten Reaktionen im Folgenden vorgestellt. Es sei
schon einmal von vornherein darauf hingewiesen, dass es sich bei allen Reaktionen um
Gleichgewichtsreaktionen handelt. Die Grundreaktionen sind an einem charakteristischen
Wechsel der Valenzelektronenzahl (VE) des Metallions, der Koordinationszahl (KZ) und der
formalen Oxidationsstufe (OZ) des Metalles zu erkennen. In den folgenden Gleichungen
steht [M] für ein Komplexfragment, an dem die Reaktion stattfindet. Die erste Reaktion ist
eine ganz generelle Reaktion, die auch für Komplexe wichtig ist.
3.3 Die Elementarreaktionen in der metallorganischen Chemie 45
Bei der Koordination eines Liganden an ein Metall bzw. Komplexfragment (Abb. 3.3) erhöht
sich die Koordinationszahl (KZ) des Metalls um eins und die Valenzelektronenzahl (VE) um
zwei, da der neue Ligand zwei weitere Elektronen für das Metallzentrum zur Verfügung stellt.
Ein häufiger Reaktionstyp sind Ligandensubstitutionen. Diese bestehen aus der Abspaltung
und Anlagerung eines Liganden. Die Reihenfolge kann unterschiedlich oder synchronisiert,
innerhalb eines Elementarschritts sein. In Abb. 3.4 sind die drei möglichen Mechanismen
gegeben.
Bei Mechanismus a) ist der geschwindigkeitsbestimmende Schritt die Abspaltung eines
Liganden, die Koordination des neuen Liganden erfolgt schnell. Dieser Mechanismus wird
als dissoziativer Mechanismus bezeichnet. Bei Variante b) wird erst der neue Ligand LB
unter Erhöhung der Koordinationszahl am Metallzentrum gebunden und dann Ligand LA
abgespalten. Dieser Mechanismus, bei dem der geschwindigkeitsbestimmende Schritt die
Anlagerung des neuen Liganden ist, wird als assoziativer Mechanismus bezeichnet. Die
dritte Variante c) ist ein synchroner Mechanismus, bei dem die Anlagerung von LB und
Abspaltung von LA gleichzeitig erfolgen. Welcher Mechanismus stattfindet, hängt stark vom
Komplexfragment (Erhöhung der Koordinationszahl möglich oder nicht) ab. Quadratisch
planare Komplexe mit 16 Valenzelektronen bevorzugen häufig den assoziativen Mechanis-
mus, da hier die Koordinationszahl gut erhöht werden kann. Bei oktaedrischen Komplexen,
insbesondere mit 18 Valenzelektronen, findet eher der dissoziative Mechanismus statt.
Ligandaddition
VE: +2
[M] + L [M] L KZ: +1
OZ: 0
Ligandeliminierung
Abb. 3.3 Koordination und Abspaltung von einem Liganden an ein Komplexfragment
c LB
46 3 Was sind metallorganische Verbindungen?
Bei der oxidativen Addition einer Verbindung A-B an ein Metallzentrum (Abb. 3.5) erhöht
sich die Oxidationsstufe am Metallzentrum um zwei und die Koordinationszahl nimmt
ebenfalls um zwei zu. Demzufolge sind für diese Reaktion Metallzentren in niedrigen Oxi-
dationsstufen mit einer niedrigen Koordinationszahl geeignet. Sehr häufig sind sie bei d8 -
Komplexen (M = PdII , PtII , RhI , IrI ) und d10 -Komplexen (M = Pd0 , Pt0 , AuI ) anzutreffen.
Bei den dafür geeigneten Metallen muss sich die Oxidationsstufe um zwei erhöhen lassen.
Für die oxidative Addition geeignete Komplexe besitzen weniger als 18 Valenzelektronen
und haben freie Koordinationsstellen. Dabei erfolgt ein Wechsel von einer quadratisch-
planaren Koordinationsgeometrie (KZ 4) in eine oktaedrische (KZ 6) bzw. von einer linea-
ren/gewinkelten in eine quadratisch-planare. Typische Substrate A-B für die Additionsre-
aktion sind Substrate wie H2 , X2 (X = Cl, Br, I), HX und Halogenkohlenwasserstoffe RX
(R = Alkyl, Aryl, Vinyl, Alkinyl, …). Bei Kohlenwasserstoffen und Silanen können oxida-
tive Additionen zur Aktivierung von C-H- bzw. Si-H-Bindungen, ggf. auch zu C-C- bzw.
Si-Si-Bindungsaktivierung führen. Typische Produkte der reduktiven Eliminierung sind H2 ,
X2 , HX und RX. Sie entsprechen der Umkehrung der zuvor beschriebenen oxidativen Addi-
tionsreaktionen. Für die reduktive Eliminierung müssen die Substituenten cis zueinander
stehen. Die reduktive Eliminierung unter C-C-Bindungsbildung ist ein wichtiger Schritt bei
einer Vielzahl von katalytischen Reaktionen.
oxidative Addition
A A VE: +2
[M] + [M] KZ: +2
B B OZ: +2
reduktive Eliminierung
+ R Cl
L Cl
L Pd L Pd
– R Cl L R
VE: 14 VE: 16
KZ: 2 KZ: 4
OZ: 0 OZ: +2
+ R Cl
Cl
L Pd L Pd
– R Cl R
VE: 12 VE: 14
KZ: 1 KZ: 3
OZ: 0 OZ: +2
H
H CHR H CHR H CHR
CHR
[M] +
[M] CH2 [M] CH2 [M] CH2
CH2
Abb. 3.6 Mechanismus der β-H-Eliminierung sowie der Rückreaktion, der Olefininsertion. Der
cyclische Übergangszustand ist nicht planar
48 3 Was sind metallorganische Verbindungen?
Bei der oxidativen Kupplung werden zwei Alkene oder Alkine unter Ausbildung einer
C-C-Bindung gekoppelt (Abb. 3.7). Wie bei der oxidativen Addition erhöht sich bei dieser
Reaktion die formale Oxidationsstufe um zwei, allerdings ändert sich die Koordinationszahl
nicht. Die Reaktion ist relevant für Ethylenoligomerisierungen.
In einigen Fällen kann anstelle des β-ständigen Wasserstoffes ein α-ständiger Wasserstoff
eliminiert werden. Die entsprechende Reaktion ist die α-H-Eliminierung (Abb. 3.8). Bei
dieser Reaktion wird ein am Metallzentrum gebundenes Carben erzeugt, das z. B. bei der
Olefinmetathese zum Einsatz kommt. Die α-H-Eliminierung wird unter anderem dann beob-
achtet, wenn kein β-ständiger Wasserstoff vorhanden ist. Das Carben wird häufig nur als
Intermediat beobachtet, ist schwierig isolierbar und sehr reaktiv. Die Reaktion ist reversibel
und die Rückreaktion ist die Carbeninsertion.
oxidative Kupplung
VE: –2
[M] [M] KZ: 0
OZ: +2
reduktive Spaltung
Cl Cl
Pt Pt
Cl Cl
VE: 16 VE: 14
KZ: 4 KZ: 4
OZ: +2 OZ: +4
Cp Cp
Ti Ti
Cp Cp
VE: 16 VE: 14
KZ: 4 KZ: 4
OZ: +2 OZ: +4
H -H-Eliminierung
H VE: +2
[M] KZ: +1
[M] CH2 CH2 OZ: +2
Carbeninsertion
Cp T Cp
Ti Ti + CH4
Cp Cp
3.4 Fragen
1. Diskutieren Sie die Stabilität der in Auf. 1–4 im Kap. 2 genannten Komplexe mit Hilfe
der 18-Elektronen-Regel (Rechenweg)!
2. Welche der Komplexe aus Kap. 1 und 2 gehören nach IUPAC zu den metallorganischen
Verbindungen?
3. Welche Voraussetzungen muss ein Metallzentrum erfüllen, damit eine oxidative Addition/
reduktive Eliminierung stattfinden kann?
4. Nennen Sie die fünf Elementarreaktionen der metallorganischen Chemie.
Bindungsmodelle
4
Im Folgenden muss man immer im Hinterkopf behalten, dass ein Modell nur ein Modell
und nicht die Wirklichkeit ist. In einem Modell werden verschiedene Annahmen und Ver-
einfachungen verwendet, um zentrale Eigenschaften eines Systems zu erklären. Die Wirk-
lichkeit ist beliebig kompliziert! Wir werden jedes Modell im Hinblick auf das Erklärungs-
potential für die verschiedenen Eigenschaften der Komplexe beleuchten, seine Stärken und
seine Grenzen aufzeigen. Bereits erklärt wurde die 18-Valenzelektronen-(18 VE)-Regel,
mit der man Aussagen zur Koordinationszahl von metallorganischen Verbindungen tref-
fen kann. Im Folgenden werden die Valenz-Bindungs-Theorie (VB-Theorie, [engl.] valence
bond theory), die Ligandenfeld-(LF-) Theorie und die Molekülorbital-(MO-) Theorie in
der Reihenfolge ihrer historischen Entwicklung vorgestellt. Zu den Komplexeigenschaften
mit Erklärungsbedarf gehören die Koordinationszahl (KZ), die Koordinationsgeometrie, die
Stabilität von Komplexen, deren Farbigkeit und Magnetismus. Für die im Folgenden bespro-
chenen Modelle ist es notwendig, die Valenzelektronenkonfiguration der Metallzentren zu
kennen bzw. zu bestimmen. Aus diesem Grund beginnen wir mit einer Wiederholung der
wesentlichen Grundlagen zur Elektronenkonfiguration und den Termsymbolen, die wir für
ein Verständnis der weiteren Kapitel benötigen.
4.1.1 Quantenzahlen
Unsere Vorstellung für ein Atom ist, dass es aus einem positiv geladenen Atomkern auf-
gebaut ist, um den herum sich die negativ geladenen Elektronen bewegen. Die Gestalt,
Ausdehnung und Energie des Elektronaufenthaltsraums, den wir als Orbital bezeichnen,
wird durch die Quantenzahlen festgelegt. Die erste Quantenzahl ist die Hauptquantenzahl
n, die die Energie und räumliche Ausdehnung der Orbitale beschreibt. Mit zunehmender
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von 51
Springer Nature 2021
B. Weber, Koordinationschemie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-63819-4_4
52 4 Bindungsmodelle
Abb.4.1 Energieniveauschema
der durch Haupt- und 7p
6d 5f
Nebenquantenzahl definierten 7s 6p
Orbitale 5d 4f
6s 5p
4d
5s
Energie
4p
4s 3d
3p
3s
2p
2s
4.1 Elektronenkonfiguration und Termsymbole 53
z z z
y y y
x x x
py pz px
z z
y y
x x
dz² dx²-y²
z z z
y y y
x x x
Abb. 4.2 Darstellung der 1s-, 2p- und 3d-Orbitale. Eine Knotenebene entsteht beim Wechsel des
Vorzeichens zwischen den Orbitallappen. Wir sehen, dass das 1s-Orbital mit der Nebenquantenzahl
0 keine Knotenebene hat, die 2p-Orbitale mit der Nebenquantenzahl 1 eine Knotenebene haben und
die 3d-Orbitale mit der Nebenquantenzahl 2 zwei Knotenebenen haben [18]
einem Atom in mindestens einer Quantenzahl unterscheiden müssen. Keine zwei Elektronen
in einem Atom können in allen vier Quantenzahlen übereinstimmen. Dieser Umstand wird
durch die vierte Quantenzahl, die magnetische Spinquantenzahl ms gewährleistet. Diese
Quantenzahl beschreibt die Orientierung des Elektronenspins s und kann den Wert + 21 oder
− 21 einnehmen. Um das zu symbolisieren, wird das Elektron als Pfeil dargestellt, der nach
oben (↑, spin up) oder nach unten (↓, spin down) zeigt. Das Elektron gehört zu den Teilchen
mit halbzahligem Spin, die als Fermionen bezeichnet werden. Alle Fermionen gehorchen
dem Pauli’schen Ausschlussprinzip.
54 4 Bindungsmodelle
Die Elektronenkonfiguration eines Elementes gibt an, wie die Elektronen auf die ein-
zelnen Orbitale verteilt sind. Die Anzahl der Elektronen (und Protonen) ist durch die Ord-
nungszahl des Elementes, z. B. 11 Na oder 26 Fe, festgelegt. Mit diesen Elektronen werden
nun die Orbitale dem Energieniveauschema entsprechend aufgefüllt. Es ist dabei darauf zu
achten, dass ein s-Orbital zwei, die drei entarteten p-Orbitale sechs, die fünf d-Orbitale 10
und die sieben f-Orbitale 14 Elektronen aufnehmen können. Bei der Besetzung der d- und
f-Orbitale gibt es manchmal Abweichungen bei der Elektronenkonfiguration, die auf die
Regel zurückzuführen sind, dass voll- und halbbesetzte Schalen besonders stabil sind. Im
Folgenden sind als Beispiel die Elektronenkonfigurationen von Natrium, Eisen und Chrom
gegeben (wir beschränken uns auf Metalle). Wir sehen, dass beim Chrom das 4s-Orbital, das
laut Energieniveauschema zuerst mit zwei Elektronen aufgefüllt wird, nur einfach besetzt
ist. Dafür ist die 3d-Schale mit fünf Elektronen halbbesetzt und diese Elektronenkonfigura-
tion ist etwas stabiler (liegt energetisch etwas tiefer), als die Variante mit zwei Elektronen
im 4s-Orbital und vier Elektronen in den fünf 3d-Orbitalen.
Die Valenzelektronen sind die Elektronen in den äußersten Schalen nach der letzten abge-
schlossenen Edelgasschale. Abgeschlossene Schalen sind immer besonders stabil. Deswe-
gen sind die Edelgase, wie schon der Name sagt, sehr edel, also wenig reaktiv. Die Valenz-
elektronen werden leicht abgegeben und sind für die Bindungen wichtig. Alle Reaktionen,
egal ob sie zur Ausbildung von Salzen, Molekülverbindungen oder Komplexen führen, haben
das Ziel, für die beteiligten Atome eine abgeschlossene Edelgasschale zu erreichen (siehe
18-VE-Regel oder Bindungsverhältnisse). Die Regel, dass voll besetzte Schalen besonders
stabil sind, lässt sich abgeschwächt auch auf halbbesetzte Schalen übertragen. Das hilft bei
der Bestimmung wichtiger Oxidationsstufen für die Elemente – ein wichtiger Schritt, wenn
wir Komplexe betrachten. Hier wollen wir häufig wissen, wie viele d-Elektronen das Metall-
zentrum hat. Bei unseren Beispielen ist die wichtigste Oxidationsstufe für das Natrium +I,
bei der es Edelgaskonfiguration hat. Beim Eisen ist die wichtigste Oxidationsstufe (in der
es bei den natürlich vorkommenden Verbindungen weit verbreitet ist) +III.
An dieser Stelle ein wichtiger Exkurs zur Besetzung der 3d- und 4s-Orbitale, da es genau
hier zu Komplikationen kommen kann. Folgt man dem in Abb. 4.1 skizzierten Aufbauprin-
zip, welches noch auf N. Bohr zurück geht, findet man eine scheinbar bevorzugte Besetzung
von 4s vor 3d. Diese Abfolge hat keine theoretische Grundlage, sondern ist rein phänome-
nologisch begründet. Sie rührt aus Bohrs Analyse der Atomspektren her, die eindeutig so
genannte s-Zustände zeigt. Erzeugt man nun die chemisch relevanten und uns wohl vertrau-
ten Metallionen (z. B. die zweiwertigen Kationen M2+ ), so ist es wieder die Spektroskopie,
die nun eindeutig auf d-Zustände weist.
4.1 Elektronenkonfiguration und Termsymbole 55
Es existiert hier also ein scheinbarer Widerspruch, indem sich die Besetzung mit Elektro-
nen und die Abgabe von Elektronen beides bevorzugt in den s-Orbitalen abspielen. Zur
Klärung sei zunächst gesagt, dass Bohrs Aufbauprinzip zwar weitgehend richtig die finalen
Konfigurationen der Metallatome wiedergibt, aber keine Aussage über die Reihenfolge der
Besetzung zulässt. Dies sei am Beispiel des Scandiums gezeigt, für das man findet:
Orbitalenergien sind variabel und hängen bei gleichbleibender Kernladung von der Zahl der
vorhandenen Elektronen ab. Tatsächlich wird beim Übergang Sc(III) → Sc(II) tatsächlich
zunächst ein 3d-Orbital besetzt und erst danach zwei Elektronen in das 4s-Orbital. In vielen
Lehrbüchern findet man dazu die folgende (nicht ganz korrekte) Erklärung: Sobald das erste
Elektron das 3d-Niveau besetzt, „sinkt“ dieses ab und liegt im besetzten Zustand energetisch
unter dem vollen 4s-Niveau. Je mehr Elektronen in dem 3d-Niveau vorhanden sind, umso
größer wird die Energiedifferenz. So wird der experimentelle Befund, dass bei den Ionen
die 4s-Orbitale nicht besetzt sind, erklärt. Auch der Umstand, dass gerade bei den späten
3d-Elementen (wenn das 3d-Niveau schon relativ voll ist und der Abstand zum 4s-Niveau
groß) die Oxidationsstufe +II die wichtigste ist (Co, Ni, Cu, Zn), kann so anschaulich erklärt
werden. Beim Eisen(III)-Ion wird zusätzlich noch ein Elektron aus der 3d-Schale abgegeben.
Dadurch ist diese halb gefüllt und besonders stabil. Wichtige Oxidationsstufen beim Chrom
sind +III und +VI. Mit der Elektronenkonfiguration lässt sich nur die Oxidationsstufe +IV
(in Chromaten) gut erklären. Bei ihr wird wieder die Edelgaskonfiguration erreicht. Um die
Oxidationsstufe +III zu erklären, brauchen wir die Ligandenfeldtheorie.
4.1.2 Termsymbole
Es gibt Fälle, in denen die Elektronenkonfiguration alleine nicht aussagekräftig genug ist, um
beobachtete Phänomene zu erklären. Das liegt daran, dass es bei teilweise besetzten entarte-
ten Orbitalen verschiedene Möglichkeiten gibt, die Elektronen auf die Orbitale zu verteilen.
Die abgeschlossenen Schalen haben keinen Beitrag (1. Hundsche Regel). Wir betrachten
als Beispiel das Titan(III)-Ion. Es besitzt eine d1 -Elektronenkonfiguration. Das bedeutet,
das einzige Valenzelektron besetzt eines der d-Orbitale. Die Frage, die sich nun stellt, ist,
welches der Orbitale besetzt wird. Da wir fünf d-Orbitale haben, gibt es fünf mögliche Elek-
tronenkonfigurationen. Jeder dieser Zustände wird als Mikrozustand bezeichnet. Da die fünf
56 4 Bindungsmodelle
d-Orbitale alle die gleiche Energie haben, ist auch die Energie der fünf verschiedenen Mikro-
zustände gleich. Die Mikrozustände sind entartet. Mikrozustände gleicher Energie werden
in einem Term zusammengefasst, der durch ein Termsymbol charakterisiert wird. Um her-
auszufinden, welche Mikrozustände von einem Element zum Grundzustand und welche zu
angeregten Zuständen gehören, benötigen wir die Hundschen Regeln.
Hundsche Regeln
1. Der Grundzustand eines Systems ist derjenige Zustand, bei dem möglichst viele Elektro-
nen einen parallelen Spin besitzen. Oder: Entartete Orbitale werden so aufgefüllt, dass
sie zunächst einfach mit Elektronen gleichen Spins besetzt werden. Kurz zusammenge-
fasst bedeutet das für den Grundzustand, der Gesamtspin S des Systems soll maximal
sein.
2. Der Grundzustand eines Systems ist derjenige Zustand, bei dem der Gesamtbahndre-
himpuls L maximal ist. Das bedeutet, dass entartete Orbitale so aufgefüllt werden, dass
zunächst die mit einer hohen magnetischen Bahndrehimpulsquantenzahl besetzt werden.
3. Der Grundzustand eines Systems ist derjenige Zustand, bei dem bei weniger als halb-
gefüllter Schale der Gesamtdrehimpuls J minimal ist, bzw. bei mehr als halbgefüllter
Schale der Gesamtdrehimpuls J maximal ist.
Der Gesamtspin S sowie der Gesamtbahndrehimpuls L eines Systems lässt sich einfach
durch aufsummieren der Spinquantenzahlen bzw. magnetischen Bahndrehimpulsquanten-
zahlen der einzelnen Elektronen bestimmen. S = m s und L = m l . Der Drehimpuls
j beschreibt die Spin-Bahn Kopplung zwischen dem Eigendrehimpuls und dem Bahndreh-
impuls des Elektrons. Der Gesamtdrehimpuls J wird nun aus L und S berechnet. Er nimmt
alle Werte zwischen L + S und L – S an.
Als erstes Beispiel betrachten wir das Natriumatom im Grundzustand und angeregten
Zustand. Im Grundzustand ist ein ungepaartes Elektron im 3s-Orbital. Der Gesamtspin
S = s = 21 , der Gesamtbahndrehimpuls L = l = 0 und für den Gesamtdrehimpuls J gibt es
nur einen möglichen Zahlenwert, nämlich 21 . Für das Termsymbol berechnen wir aus dem
Gesamtspin S die Multiplizität M = 2. Nun haben wir alle Informationen und können das
Termsymbol aufschreiben. Es lautet 2 S 1 . Im ersten angeregten Zustand befindet sich das
2
Valenzelektron im nächst höheren Orbital, dem 3p-Orbital. Der Gesamtspin bzw. die Multi-
plizität ändern sich nicht. Da sich das ungepaarte Elektron nun in einem p-Orbital befindet,
kann es die Bahndrehimpulsquantenzahl 1, 0 oder –1 annehmen. Auch für diesen angeregten
Zustand können wir die 2. Hundsche Regel anwenden. Sie sagt uns, dass L maximal sein soll.
Für die Bestimmung des Termsymbols gehen wir deswegen davon aus, dass sich das Elektron
im Orbital mit l = 1 befindet. Damit ist der Gesamtbahndrehimpuls L = 1. Das bedeutet, dass
dieser Zustand 2L + 1 = 3-fach entartet ist. Das stimmt mit unseren bisherigen Annahmen
überein. Wir hatten gesagt, dass die drei p-Orbitale alle die gleiche Energie haben. Es sollte
also egal sein, in welchem der drei Orbitale das Elektron ist. Die drei möglichen Mikrozu-
stände haben in Abwesenheit eines externen Magnetfeldes die gleiche Energie und gehören
zum gleichen Termsymbol. Wird ein äußeres Magnetfeld angelegt, gilt die zweite Hundsche
Regel und der Zustand, bei dem L maximal ist, ist der Grundzustand. Die Gesamtdrehim-
pulsquantenzahl kann nun zwei mögliche Werte einnehmen: L + S = 23 und L − S = 21 . Die
dritte Hundsche Regel sagt uns, dass bei weniger als halbgefüllter Schale (das ist hier der
Fall) J im Grundzustand minimal ist. Auch sie lässt sich auf angeregte Zustände anwenden.
Das Termsymbol des ersten angeregten Zustands lautet 2 P 1 und energetisch etwas darüber
2
liegt der zweite angeregte Zustand 2 P 3 . Der energetische Unterschied zwischen den beiden
2
angeregten Zuständen ist nicht groß, weswegen beide Übergänge angeregt werden und wir
z. B. im Natrium-Emmisionsspektrum zwei Linien beobachten. An dieser Stelle sei darauf
hingewiesen, dass die Hundschen Regeln der Bestimmung des Grundzustandes dienen und
für angeregte Zustände nicht immer geeignet sind.
Als zweites Beispiel betrachten wir das Eisen(III)-Ion im Grundzustand. Die fünf Valenz-
elektronen sind auf die fünf d-Orbitale verteilt. Der Gesamtspin S = 5× 21 = 25 . Damit erhal-
ten wir als Multiplizität M = 6. Der Gesamtbahndrehimpuls L = 2 + 1 + 0 + −1 + −2 = 0.
Es gibt nur einen möglichen Gesamtdrehimpuls mit dem Wert J = 25 . Das Termsymbol lautet
6 S . Als letztes Beispiel betrachten wir ein Chrom(III)-Ion. Hier haben wir 3 d-Elektronen,
5
2
die auf die fünf Orbitale verteilt werden, und es gibt wieder mehrere Möglichkeiten, dies
zu realisieren. Bei der Bestimmung des Grundzustandes helfen uns wieder die Hundschen
Regeln; S und L sollten maximal sein. Wir erhalten als Werte S = 23 , M = 4 und L = 3. Der
Zustand ist siebenfach entartet hinsichtlich des Bahndrehimpuls, das heißt, es gibt sieben
Möglichkeiten, die drei Elektronen mit erhaltenem Spin auf die fünf Orbitale zu verteilen,
die alle die gleiche Energie haben. Der Gesamtdrehimpuls kann die Werte J = 29 , 27 , 25
und 23 annehmen. Da die 3d-Schale weniger als halb gefüllt ist, ist das Termsymbol für den
Grundzustand 4 F 3 .
2
58 4 Bindungsmodelle
Im Verlauf dieses Buches werden wir immer wieder auf die Terme und die dazu gehö-
renden Termsymbole zurückkommen.
Die Valenz-Bindungs-Theorie geht von den selben Annahmen wie die 18-VE-Regel aus: Die
Liganden stellen dem Metallion je zwei Elektronen zum Auffüllen der Elektronenschalen
zur Verfügung. Im Gegensatz zur 18-VE-Regel werden die Elektronen nicht einfach zusam-
mengezählt, sondern es werden die leeren Orbitale des Metallzentrums aufgefüllt. Vor dem
Auffüllen der Orbitale bildet man aus den s-, p- und d-Orbitalen die benötigte Anzahl von
Hybridorbitalen. Das Prinzip der Hybridisierung kennen wir bereits aus der Kohlenstoff-
chemie. Aus Orbitalen unterschiedlicher Energie werden „Mischorbitale“ gleicher Energie
erzeugt, die auch die gleiche räumliche Gestalt besitzen. Dieses Modell wird beim Koh-
lenstoff verwendet, um für Methan, CH4 , gleiche C-H-Bindungen zu konstruieren, obwohl
das Kohlenstoffatom die Valenzelektronenkonfiguration 2s2 2p2 besitzt. Es werden vier
sp3 -Hybridorbitale erzeugt, die für die vier Bindungen benötigt werden. Beim Kohlenstoff
wird dafür zunächst ein Elektron aus dem s-Orbital in das letzte leere p-Orbital angehoben,
bevor die Hybridorbitale gebildet werden. Die VB-Theorie zeigt Parallelen zur Organischen
Chemie und funktioniert dann, wenn die Bindungen vorwiegend kovalent sind. Bei Kom-
plexen wo die Bindungen überwiegend ionisch sind, ist sie nicht anwendbar. Bei ihr werden
nicht halbbesetzte Orbitale für die Erzeugung von Hybridorbitalen verwendet, sondern leere.
Bevor die benötigte Anzahl an Hybridorbitalen gebildet wird, können die Elektronen in den
3d-Orbitalen gepaart werden, um so leere Orbitale für die Hybridisierung zu erzeugen. Als
Alternative kann man auf die Spinpaarung verzichten und stattdessen auf einen Teil der
4d-Orbitale zurückgreifen. Es entstehen die sogenannten Durchdringungs- (Innensphären-,
[eng.] inner sphere, Spinpaarung) und Anlagerungs- (Außensphären-, [eng.] outer sphere,
keine Spinpaarung) Komplexe. Die jetzt geläufigeren Varianten zur Bezeichnung der beiden
verschiedenen Spinzustände sind low-spin und high-spin – diese Bezeichnungen kommen
von der Ligandenfeldtheorie. Über die Art der Hybridorbitale lassen sich in gewissem Maße
Aussagen zur Koordinationsgeometrie machen. Sechs d2 sp3 -Orbitale bilden ein Oktaeder
und vier sp3 -Orbitale genauso wie beim Kohlenstoff ein Tetraeder. Im Gegensatz dazu sind
vier dsp2 -Orbitale für eine quadratisch planare Koordinationsumgebung verantwortlich. Ein
großer Nachteil des VB-Modells ist, dass es keine Aussagen für die Farbigkeit der Komplexe
gibt und auch nicht erklärt, warum in manchen Fällen Spinpaarung eintritt und in anderen
nicht. Aus diesem Grund wird es heute kaum noch angewandt und ist auch in diesem Buch
nur der Vollständigkeit halber erwähnt. Als Beispiele werden im Folgenden die Elektro-
nenkonfigurationen für einen Eisen(III)-Komplex mit sechs Liganden (Abb. 4.3) und einen
Nickel(II)-Komplex mit vier Liganden (Abb. 4.4) in der bei diesem Modell verwendeten
Kästchenschreibweise vorgestellt. Bei gegebener Anzahl von Liganden und bekannter Oxi-
dationsstufe lassen sich Struktur und Magnetismus der Komplexe miteinander korrelieren.
4.2 Die Valenz-Bindungs-(VB-)Theorie 59
3d 4s 4p 4d
Fe0
Fe3+
Fe3+ HS
Fe3+ LS
Abb. 4.3 Von oben nach unten in der Kästchenschreibweise: Elektronenkonfiguration von
Eisen(0), Elektronenkonfiguration vom Eisen(III)-Ion, Elektronenkonfiguration eines Eisen(III)-
Außensphären-Komplexes mit sechs Liganden (sechs sp3 d2 -Hybridorbitale, Oktaeder) und Elek-
tronenkonfiguration eines Eisen(III)-Innensphären-Komplexes mit sechs Liganden (sechs d2 sp3 -
Hybridorbitale, Oktaeder). Hybridisierte Orbitale sind grau gekennzeichnet, weitere Erläuterung siehe
Text
3d 4s 4p 4d
Ni2+ HS
Ni2+ LS
Abb. 4.4 Von oben nach unten in der Kästchenschreibweise: Elektronenkonfiguration eines
Nickel(II)-Außensphären-Komplexes mit vier Liganden (vier sp3 -Hybridorbitale, Tetraeder) und
Elektronenkonfiguration eines Nickel(II)-Innensphären-Komplexes mit vier Liganden (vier dsp2 -
Hybridorbitale, quadratisch planar). Hybridisierte Orbitale sind grau gekennzeichnet, weitere Erläu-
terung siehe Text
für die acht Elektronen der Liganden und die Koordinationsumgebung ist, analog zum
Kohlenstoff, ein Tetraeder. Geht man von einem Innensphären-Komplex aus, dann werden
die Elektronen in den 3d-Orbitalen gepaart und es steht ein leeres 3d-Orbital zur Verfü-
gung. Dazu werden noch das 4s und zwei der 4p-Orbitale zur Ausbildung der vier dsp2 -
Hybridorbitale benötigt. Diese Kombination bewirkt eine quadratisch planare Koordinati-
onsumgebung für das Nickel. In der Tat sind Nickel(II)-Komplexe diamagnetisch, wenn sie
eine quadratisch-planare Koordinationsumgebung besitzen. Alle Elektronen sind gepaart.
Bei einer tetraedrischen oder oktaedrischen Koordinationsumgebung liegt ein paramagne-
tischer Komplex vor.
Im Vergleich zur 18-VE-Regel ist die VB-Theorie ein Fortschritt. Mit ihr lässt sich eine
Korrelation zwischen Struktur und Magnetismus herstellen. Sie gibt jedoch keine Erklä-
rung, warum in manchen Fällen ein Außensphären-Komplex und in anderen Fällen ein
Innensphären-Komplex ausgebildet wird. Bei der Erklärung der Farbigkeit von Koordina-
tionsverbindungen versagt sie. Die im historischen Ablauf folgende Ligandenfeldtheorie
behebt diese beiden Mängel und hat sich deswegen gegenüber der VB-Methode durchge-
setzt. Bei der VB-Methode ist der Fortschritt gegenüber der 18-VE-Regel so gering (wenn
man die Ligandenfeldtheorie dagegen hält), dass sie nur noch historische Bedeutung hat und
nicht mehr verwendet wird.
Die Einführung zur Ligandenfeldtheorie beginnen wir am besten damit, alles bisher Erlernte
über Bord zu werfen. Die Ligandenfeldtheorie ist eine Weiterentwicklung der Kristallfeld-
theorie für Übergangsmetallsalze. Bei diesem Modell werden ausschließlich elektrostatische
Wechselwirkungen betrachtet. Im Rahmen der Ligandenfeldtheorie wird diese Betrachtung
um weitere Parameter (z. B. der Racah-Parameter) ergänzt. Wir entfernen uns damit von
der Vorstellung des Lewis-Säure-Base-Adduktes und der Bereitstellung von Elektronen-
paaren von Seiten der Liganden und betrachten nur noch die elektrostatischen Wechselwir-
kungen zwischen den positiv geladenen Zentralatomen, den negativ geladenen Liganden und
den negativ geladenen Elektronen in den d-Orbitalen. Neutrale Liganden wie Wasser oder
Ammoniak werden als Dipolmoleküle betrachtet, die in Richtung zum Metallzentrum nega-
tiv polarisiert sind. Zur Vereinfachung nehmen wir an, dass die Liganden und das Zentrala-
tom als Punktladungen (negativ und positiv geladen) dargestellt werden. Diese Annahme
ist gleichzeitig eine Schwäche des Modells, denn es lässt sich dadurch nicht auf Verbindun-
gen wie z. B. Metallcarbonyle anwenden, bei denen sowohl das Metallzentrum wie auch
der Ligand ungeladen sind. Trotzdem werden wir feststellen, dass dieses Modell bestens
geeignet ist, um die weiter oben aufgeführten Eigenschaften der Komplexe (insbesondere
die Farbigkeit, Struktur und Magnetismus) zufriedenstellend zu erklären. Die Eigenschaften
der Metallcarbonyle, insbesondere deren Stabilität, lassen sich in vielen Fällen bereits mit
der 18-VE-Regel erklären.
4.3 Die Ligandenfeldtheorie 61
Da jeder Ligand einer Punktladung gleichgesetzt wird und somit ein elektrisches Feld
erzeugt, überlagern sich die Felder komplexgebundener Liganden und bilden ein gemein-
sames Ligandenfeld aus. Durch die Wechselwirkung des Zentralions mit dem Ligandenfeld
werden die äußeren Elektronenbahnen, also die (3)d-Elektronen, besonders stark beein-
flusst. Es sei jedoch darauf hingewiesen, dass zur Vereinfachung der Ligandenfeldtheorie
die Liganden zunächst als punktförmige Ladungen angenommen werden, was dazu führt,
dass elektronische Effekte in der Elektronenhülle der Liganden zunächst unberücksichtigt
bleiben. Die Liganden (negative Punktladungen) werden so um das Metallzentrum (posi-
tive Punktladung) angeordnet, dass sie möglichst weit voneinander entfernt sind. Damit
haben wir – bis auf die quadratisch planare Koordinationsgeometrie, zu der wir später
kommen, – schon einmal die meisten Koordinationsgeometrien vorgegeben. Die Anzahl
und Anordnung (Polyeder, Abstand) der Liganden ergibt das sogenannte Ligandenfeld. Der
Gleichgewichtsabstand zwischen Metallzentrum und Liganden beruht auf den anziehenden
(unterschiedliche Ladung) und abstoßenden (gleiche Ladung der negativ geladene Elektro-
nen in den d-Orbitalen und der Ligand-Punktladungen) Wechselwirkungen. Dieser Abstand
hängt vom Metallzentrum (Oxidationsstufe, Stellung im Periodensystem) und den Ligan-
den (Ladung bzw. Stärke) ab. Aufgrund der unterschiedlichen räumlichen Ausrichtung der
d-Orbitale sind die abstoßenden Wechselwirkungen zwischen den Liganden und den Elek-
tronen in den Orbitalen unterschiedlich groß. Um dies besser zu verstehen, sehen wir uns
noch einmal die Struktur der d-Orbitale in Abb. 4.2 genauer an.
Als erstes fällt uns auf, dass sich das dz 2 -Orbital in seiner Struktur von den anderen vier
Orbitalen unterscheidet. Die anderen vier Orbitale bestehen jeweils aus vier Orbitallappen,
zwei mit positivem und zwei mit negativem Vorzeichen, immer alternierend in einer Ebene
angeordnet, so dass jeweils zwei Knotenebenen erhalten werden. Der Orbitalname gibt
Auskunft über die Lage der Knotenebenen (und damit auch über die Lage der Orbitallappen).
Beim dxy -Orbital liegen die Knotenebenen in der xz- und der yz-Ebene und die Orbitallappen
liegen dazwischen in der xy-Ebene. Das gleiche Prinzip beobachten wir bei dxz - und dyz -
Orbital. Das dx 2 −y 2 -Orbital ist im Vergleich zum dxy -Orbital um 45◦ um die z-Achse gedreht.
Die Orbitallappen liegen nach wie vor in der xy-Ebene, hier jedoch genau auf der x- und
y-Achse und die Knotenebenen liegen dazwischen. Das dz 2 -Orbital scheint aus dem Rahmen
zu fallen. Es gibt zwar zwei Orbitallappen auf der z-Achse (in Analogie zum dx 2 −y 2 -Orbital),
die zwei Knotenebenen sind jedoch keine Ebenen sondern kegel- bzw. trichterförmig entlang
der z-Achse. Anstelle der anderen zwei Orbitallappen haben wir einen Ring in der xy-Ebene.
Die Ursache dafür ist, dass man in Analogie zum dx 2 −y 2 -Orbital noch zwei weitere Orbitale
formulieren könnte, die in Ihrer Gestalt dem ersten folgen, nämlich das dx 2 −z 2 - und das
d y 2 −z 2 -Orbital. Da wir aufgrund der Quantenzahlen jedoch nur fünf d-Orbitale benötigen,
wird für das letzte Orbital eine Linearkombination der beiden übrig gebliebenen Varianten
zu benutzt. Eine korrekte Bezeichnung dafür wäre d2z 2 −x 2 −y 2 -Orbital, was der Einfachheit
halber als dz 2 abgekürzt wird. In der Abb. 4.5 erkennen wir, dass sich die Gestalt nun schlüssig
erklärt.
62 4 Bindungsmodelle
x x x
Nachdem wir diese Fragestellung geklärt haben, können wir zu den abstoßenden Wechsel-
wirkungen zwischen den d-Orbitalen und den Liganden zurückkommen. Als erstes Beispiel
betrachten wir ein oktaedrisches Ligandenfeld. Die sechs Liganden nähern sich in unserer
Vorstellung entlang der drei Achsen des Koordinatensystems, wie in Abb. 4.6 gegeben. In
Abb. 4.7 ist die Energie der d-Orbitale in Abhängigkeit von der Umgebung gegeben. Für
das freie Ion sind die fünf Orbitale entartet. Wird das Ion in ein zunächst einmal kugel-
symmetrisches (sphärisches) Ligandenfeld gebracht, werden die 3d-Orbitale aufgrund der
abstoßenden Wechselwirkung zwischen den Elektronen in den d-Orbitalen und der negati-
ven Ladung des Ligandenfeldes angehoben. Dieses Energieniveau dient uns als Referenz
für alle weiteren Betrachtungen. In Abb. 4.6 sehen wir, dass der Abstand zwischen den
z z
y y
x x
dz² dx²-y²
z z z
y y y
x x x
dxy dyz dxz
Abb. 4.6 Wechselwirkung der d-Orbitale mit den sechs Liganden eines oktaedrischen Ligandenfel-
des
4.3 Die Ligandenfeldtheorie 63
E
eg {dx²-y² dz²
+ 6 Dq
3
5 O
O
10 Dq
2
5 O
– 4 Dq
0 t2g {dxy dxz dyz
1 2 3
Abb. 4.7 Energetische Lage und Aufspaltung der d-Orbitale im oktaedrischen Ligandenfeld
Orbitallappen der d-Orbitale und den Liganden bei festem Gleichgewichtsabstand unter-
schiedlich groß ist, was zu unterschiedlich starken abstoßenden Wechselwirkungen führt.
Im oktaedrischen Ligandenfeld ist bei den Orbitalen, deren Orbitallappen auf den Achsen
liegen, die Abstoßung besonders groß (dz 2 - und dx 2 −y 2 -Orbital). Diese Orbitale werden als
die eg -Orbitale bezeichnet. Bei den anderen drei Orbitalen (dxy -, dxz - und dyz -Orbital) ist die
Abstoßung erheblich kleiner. Diese Orbitale werden als t2g -Orbitale bezeichnet. Hier zeigen
die Orbitallappen zwischen die Achsen des Koordinatensystems und die Wechselwirkung
mit den negativen Punktladungen unserer Liganden ist schwächer. Das führt zu einer ener-
getischen Aufspaltung der Orbitale in für die Elektronen energetisch günstige (dxy -, dxz -
und dyz -Orbitale, hier sind die abstoßenden Wechselwirkungen für die Elektronen nicht so
groß) und energetisch ungünstige (dz 2 - und dx 2 −y 2 -) Orbitale. Diese energetische Aufspal-
tung der Orbitale im Ligandenfeld ist das zentrale Element der Ligandenfeldtheorie. Die Art
der Aufspaltung (welche Orbitale sind günstig und welche ungünstig) wird von der Koor-
dinationsgeometrie gesteuert. Die Stärke der Aufspaltung (Energiedifferenz zwischen den
64 4 Bindungsmodelle
d-Orbitalen) wird von den Liganden und dem Metallzentrum beeinflusst. Im oktaedrischen
Ligandenfeld wird die Aufspaltung als ΔO bzw. 10 Dq bezeichnet. Die zwei eg -Orbitale
werden um 6 Dq angehoben, während die drei t2g -Orbitale um jeweils –4 Dq abgesenkt
werden. Sind alle Orbitale gleich besetzt (einfach, doppelt oder leer), dann gibt es keinen
Energiegewinn für das System.
Wir fassen noch einmal den in Abb. 4.7 gegebenen Vorgang zusammen. Ein Zen-
tralion mit feldfreien und entarteten d-Orbitalen (Abb. 4.7 (1)) wird in ein sphärisches
(= kugelsymmetrisches) Ligandenfeld gebracht. Die Elektronen in den d-Orbitalen erfahren
vom Ligandenfeld eine abstoßende Kraft und die Energie aller Orbitale wird gegenüber dem
feldfreien Zustand um die Energie ε0 angehoben (Abb. 4.7 (2)). Wegen der Kugelsymmetrie
des Feldes tritt keine Aufspaltung ein, die Orbitale bleiben entartet. Bilden die Liganden
jedoch ein Feld, das in einem bestimmten Koordinationspolyeder erzeugt wird und des-
halb nicht mehr kugelsymmetrisch ist, erfahren die d-Orbitale je nach ihrer Orientierung
im Feld eine energetische Aufspaltung. Bei oktaedrisch gebauten Komplexen (Abb. 4.7 (3))
[ML6 ] nähern sich die Liganden entlang der drei Achsen des Koordinatensystems. Orbitale,
deren Orbitallappen ebenfalls auf den Achsen liegen und damit auf die Liganden zeigen
(dx 2 −y 2 , dz 2 ) erfahren dabei eine stärkere Abstoßung und werden energetisch angehoben,
wohingegen Orbitale, welche zwischen den Achsen (bzw. Liganden) liegen (dxy , dxz , dyz ),
energetisch abgesenkt werden. Die geometrischen Betrachtungen zeigen also: im oktaedri-
schen Ligandenfeld wird die Entartung der d-Orbitale teilweise aufgehoben, wobei das
dx 2 −y 2 - und dz 2 -Orbital energetisch angehoben (eg -Orbitale) und das dxy -, dxz - und dyz -
Orbital (t2g -Orbitale) energetisch abgesenkt wird. Die Größe der Aufspaltung der Orbitale
im oktaedrischen Ligandenfeld, bezeichnet mit ΔO oder auch 10 Dq, hängt von der Stärke
des Ligandenfelds ab und liegt in der Größenordnung von 7000 bis 40000 cm−1 . Das Ver-
hältnis von Anhebung und Absenkung ist jedoch unabhängig vom Ligandenfeld und ein
gemäß dem Schwerpunktsatz gewichteter Betrag, da ein Orbital nur um den Energiebetrag
abgesenkt (angehoben) werden kann, um den ein anderes angehoben (abgesenkt) wurde. Das
Verhältnis ist somit nach dem Schwerpunktsatz genau festgelegt. Das bedeutet also, aus-
gehend von den fünf d-Orbitalen, die energetische Anhebung der zwei eg -Orbitale beträgt
3 2
5 O oder 6 Dq, die Absenkung der drei t2g -Orbitale beträgt 5 O oder 4 Dq.
Durch die Aufspaltung der d-Orbitale im Ligandenfeld sowie dem Umstand, dass zunächst
die energetisch tiefer liegenden Orbitale besetzt werden, kommt es für einen Komplex zu
einem Energiegewinn im Vergleich zum gleichen System im sphärischen Ligandenfeld mit
entarteten d-Orbitalen. Der Energiegewinn ist für den jeweiligen Komplex charakteristisch
und hängt vom Zentralion, den Liganden und deren geometrischen Anordnung, also dem
4.3 Die Ligandenfeldtheorie 65
Ligandenfeld, ab. Zur quantitativen Beschreibung dieses Effektes hat man den Begriff Ligan-
denfeldstabilisierungsenergie, LFSE definiert:
Zum Beispiel wird bei einem d1 -Zentralion (= d1 -Spinsystem) in einem oktaedrischen Ligan-
denfeld das d-Elektron eines der energetisch tieferliegenden t2g -Orbitale besetzen. Die Kon-
figuration wird als (t2g )1 bezeichnet. Die Energie in einem solchen System gegenüber dem
nicht-aufgespaltenen Zustand entspricht –4 Dq – die Ligandenfeldstabilisierungsenergie
eines d1 -Systems. Bei einem d2 - bzw. d3 -System erhöht sich der Betrag auf –8 bzw. –12
Dq. Ab einer Anzahl von 4d-Elektronen gibt es zwei Varianten, wie sich die Elektronen auf
die d-Orbitale verteilen lassen. In Abb. 4.8 sind beide Varianten gegenübergestellt. Im high-
spin-Fall werden alle Orbitale einzeln besetzt und die LFSE entspricht 3(−4) + 6 = −6
Dq. Im low-spin-Fall werden alle vier Elektronen in t2g -Orbitale gesetzt und die LFSE ent-
spricht –16 Dq. Hier ist zu berücksichtigen, dass die Spinpaarungsenergie P aufgebracht
werden muss, die von der LFSE abgezogen wird. Die Spinpaarungsenergie ist die Energie,
die aufgebracht werden muss, wenn ein Orbital mit einem zweiten Elektron besetzt wird.
Eine einfache Vorstellung wäre, dass abstoßende Wechselwirkungen zwischen den beiden
Elektronen dafür verantwortlich sind. Die Frage, welche der zwei Möglichkeiten eintritt,
hängt von der Größe der Aufspaltung der d-Orbitale ab.
Die Größe der Aufspaltung (und damit die Farbigkeit und das Elektronenspektrum
der Komplexe, siehe Farbigkeit der Komplexe) hängt von der Art der Liganden und dem
O
10 Dq
– 4 Dq
t2g {dxy dxz dyz t2g {dxy dxz dyz
• Bei gleichen Liganden steigen die Dq-Werte mit der Oxidationsstufe des Zentralions.
• Bei gleichen Liganden nehmen die Dq-Werte beim Übergang von einer Übergangsme-
tallreihe zur anderen um 30 bis 40 % zu.
• Komplexe mit Zentralionen der gleichen Übergangsmetall-Reihe zeigen bei gleicher
Oxidationsstufe und bei gleichen Liganden ähnliche Dq-Werte.
Wenn man die Dq-Werte bei Komplexen des gleichen Zentralions mit verschiedenen Ligan-
den nach steigenden Werten sortiert, so erhält man folgende Spektrochemische Reihe:
I− < Br− < SCN− < Cl− < N3 − ≈ F− < OH− < O2− < H2 O < NCS− < NH3
≈ C5 H5 N (py) < NH2 CH2 CH2 NH2 (en) < bipy ≈ phen < N O2 − < H− < CN−
< PR3 < CO
Eine ähnliche Reihe wie für die Liganden existiert auch für die Metallionen. Ordnet man die
Komplexe [ZL6 ] mit gleichen Liganden nach steigenden Dq-Werten, so erhält man folgende
Spektrochemische Reihe der Metallionen:
Mn2+ < Ni2+ < Co2+ < V2+ < Fe3+ < Cr3+ < Co3+ < Ru2+ < Mn4+ < Mo3+
< Rh3+ < Ir3+ < Re4+ < Pt4+
Die Größe der Ligandenfeldaufspaltung 10 Dq hängt vom Metallion und von den Liganden
ab. Sie lässt sich aus dem Produkt von einem Faktor f L , der nur vom Liganden abhängig ist,
und einem Faktor gM , der nur vom Metallzentrum abhängig ist, abschätzen. In Tab. 4.1 sind
einige Werte zusammengefasst [3].
10Dq = g M × f L
Wir sehen, dass die Werte die Spektrochemische Reihe der Liganden und der Metallionen
widerspiegeln. Als Beispiel schätzen wir die Ligandenfeldaufspaltung für ein
Hexacyanidochromat(III)-Ion und ein Hexafluoridochromat(III)-Ion ab. Als Zahlenwerte
erhalten wir 17 × 1.7 × 1000 cm−1 = 28900 cm−1 für den Cyanido-Komplex und 17 × 0.9 ×
1000 cm−1 = 15300 cm−1 für den Fluorido-Komplex. Die spektroskopisch bestimmten Werte
für Δ lauten 26600 cm−1 und 15060 cm−1 . Wir sehen, dass für beide Komplexe der berech-
nete Wert ganz gut mit dem spektroskopisch bestimmten Wert übereinstimmt. Die Grenzen
dieser einfachen Abschätzung werden aufgezeigt, wenn wir das Hexacyanidoferrat(III)-
Ion vom roten Blutlaugensalz betrachten. Hier gibt es eine große Diskrepanz zwischen
dem berechneten (14 × 1.7 × 1000 cm−1 = 23800 cm−1 ) und dem experimentell bestimmten
(32200 cm−1 ) Wert. Das liegt daran, dass bei oktaedrischen Eisen(III)-Komplexen unter-
schiedliche Spinzustände möglich sind, die hier nicht berücksichtigt wurden.
4.3 Die Ligandenfeldtheorie 67
Tab.4.1 gM -Werte ausgewählter Metallionen und f L -Werte ausgewählter Liganden (für sechs Ligan-
den) [3]
M gM /1000 cm−1 L fL
Mn2+ 8.5 Br− 0.72
Ni2+ 8.9 SCN− 0.73
Co2+ 9.3 Cl− 0.80
Fe3+ 14.0 F− 0.90
Cr3+ 17.0 ox2− 0.99
Co3+ 19.0 H2 O 1.00
Ru2+ 20.0 py 1.23
Rh3+ 27.0 NH3 1.25
Ir3+ 32.0 en 1.28
bipy 1.33
CN− 1.70
Die energetische Aufspaltung der d-Orbitale ermöglicht es uns, die magnetischen Eigen-
schaften der Komplexe genauer zu erklären. Wir nehmen wieder einen Eisen(III)-Komplex
mit sechs Liganden. Ein high-spin-Komplex wird erhalten, wenn die Aufspaltung der d-
Orbitale im Ligandenfeld ΔO deutlich kleiner ist als die Spinpaarungsenergie P (die Energie,
die aufgebracht werden muss, wenn sich zwei Elektronen ein Orbital teilen müssen). Umge-
kehrt wird ein low-spin-Komplex erhalten, wenn ΔO deutlich größer ist als P. In diesem Fall
ist es energetisch günstiger, die Elektronen in den energetisch tiefer liegenden Orbitalen
zu paaren. Da die Spinpaarungsenergie P immer in derselben Größenordnung ist, hängt
der beobachtete Spinzustand v. a. von der Größe der Aufspaltung des Ligandenfeldes ab.
Diese wird, wie bereits erwähnt, von den Liganden und dem Metallzentrum beeinflusst. Ein
Eisen(III)-Komplex mit sechs Wassermolekülen als Liganden liegt im high-spin-Zustand
vor, während das gleiche Metallzentrum mit sechs Cyanid-Ionen ein low-spin-Komplex ist.
Das Hexaaquacobalt(II)-Ion ist ein high-spin-Komplex, während das Hexaaquacobalt(III)-
Ion ein low-spin-Komplex ist.
Quadratisch planares Ligandenfeld Bei der VB-Theorie wurde bereits erwähnt, dass
d8 -Komplexe häufig quadratisch planar und diamagnetisch sind. Beispiele hierfür sind
[Ni(CN)4 ]2− , [PtCl2 (NH3 )2 ] oder [AuCl4 ]− . Um diesen Sachverhalt zu erklären, müssen
wir uns die Aufspaltung der d-Orbitale im quadratisch planaren Ligandenfeld ansehen.
68 4 Bindungsmodelle
Dieses kann vom oktaedrischen Ligandenfeld abgeleitet werden, indem man davon ausgeht,
dass die Liganden in z-Richtung entfernt werden. Das führt zu einer Stabilisierung aller
Orbitale mit z-Anteil, während die anderen um den entsprechenden gewichteten Betrag
destabilisiert werden. Dadurch wird das dz 2 -Orbital im Vergleich zum oktaedrischen Feld
energetisch stark abgesenkt, die Orbitale, welche in der xy-Ebene liegen, also dx 2 −y 2 und
dxy , dafür angehoben. Die Orbitale dxz und dyz werden nur leicht abgesenkt. Der Schwer-
punktsatz muss wieder berücksichtigt werden. Wie in Abb. 4.9 zu sehen ist, führt dies zu
einer sehr ausgeprägten Destabilisierung des dx 2 −y 2 -Orbitals, während die anderen vier
Orbitale relativ eng beieinander liegen. Welche Reihenfolge die energetisch tiefer liegenden
Orbitale einnehmen, hängt stark von den Liganden ab. Sie entscheiden darüber, ob z. B. das
z
y
dx²-y²
x
E
x
eg {dx²-y² dz²
+ 6 Dq dxy
3 q
5 O
O
10 Dq
2
O
dz²
5
– 4 Dq
t2g {dxy dxz dyz
dxz dyz
quadratisch quadratisch
sphärisches oktaedrisches verzerrtes pyramidales planares
Ligandenfeld Ligandenfeld Oktaeder Ligandenfeld Ligandenfeld
Abb. 4.9 Aufspaltung der d-Orbitale im oktaedrischen und quadratisch planaren Ligandenfeld. Das
quadratisch planare Ligandenfeld geht aus dem oktaedrischen hervor, indem die beiden Liganden
entlang der z-Achse entfernt werden. Dadurch sinken die Orbitale mit z-Anteil energetisch ab und
die Orbitale in der x–y-Ebene werden energetisch angehoben. Beim verzerrten Oktaeder (gestreckt
entlang der z-Achse) und einem quadratisch pyramidalen Ligandenfeld (nur ein Ligand auf der z-
Achse wird entfernt) kann die Aufspaltung der d-Orbitale analog generiert werden. Die Aufspaltung
ist in diesen beiden Fällen nicht so groß wie bei der quadratisch planaren Koordinationsumgebung
4.3 Die Ligandenfeldtheorie 69
dz 2 -Orbital energetisch über oder unter dem dxy -Orbital liegt. Für die besondere Stabilität
von quadratisch planaren d8 -Systemen ist die genaue Reihenfolge der Orbitale nicht rele-
vant. Sie ist auf die ausgeprägte Destabilisierung des dx 2 −y 2 -Orbitals zurückzuführen, das
im low-spin-Fall (die Komplexe sind immer diamagnetisch) nicht besetzt wird. Die anderen
vier Orbitale sind alle voll besetzt und dies führt zu einer besonders hohen Ligandenfeld-
stabilisierungsenergie. Das erklärt die Tatsache, warum quadratisch planare d8 -Komplexe
immer diamagnetisch sind.
Das verzerrte Oktaeder ist der Übergang vom idealen Oktaeder zum quadratisch plana-
ren Ligandenfeld. Bei einem entlang der z-Achse gestreckten Oktaeder liegt die Aufspaltung
der d-Orbitale zwischen der im oktaedrischen und der im quadratisch planaren Liganden-
feld, wie in Abb. 4.9 gezeigt. Bei einem entlang der z-Achse gestauchten Oktaeder werden
die Orbitale mit z-Anteil angehoben und die Orbitale, welche in der xy-Ebene liegen, abge-
senkt. Das quadratisch pyramidale Ligandenfeld lässt sich durch das Entfernen von nur
einem Liganden entlang der z-Achse generieren. Wenn wir davon ausgehen, dass die Ligan-
den immer die gleichen sind, dann liegt die Aufspaltung der d-Orbitale zwischen der im
gestreckten Oktaeder und der für den quadratisch planaren Komplex (siehe Abb. 4.9).
Tetraedrisches und kubisches Ligandenfeld Im tetraedrischen Ligandenfeld nähern
sich die Liganden dem Metallzentrum genau zwischen den Achsen – der dem Oktaeder
entgegengesetzte Fall. Dementsprechend werden die Orbitale dxy , dxz und dyz energetisch
angehoben, während die Orbitale dx 2 −y 2 und dz 2 abgesenkt werden. Da weniger Ligan-
den an der Bildung des Ligandenfeldes beteiligt sind, gilt bei gleichen Liganden für die
Größenverhältnisse der Aufspaltung:
4
T = O
9
Wie in Abb. 4.10 gezeigt, lässt sich ein Würfel aus zwei Tetraedern zusammensetzen.
Dementsprechend nähern sich in einem würfelförmigen (kubischen) Ligandenfeld anstelle
der vier Liganden acht Liganden dem Metallzentrum zwischen den Achsen an. Die Auf-
spaltung der d-Orbitale folgt den gleichen Regeln, ist aber im Vergleich zum Tetraeder
bei gleichen Liganden doppelt so groß. In Abb. 4.11 sind noch einmal die verschiedenen
diskutierten Aufspaltungen zusammengefasst.
8
W = 2T = O
9
dx²-y²
E
eg {dx²-y² dz²
+ 6 Dq dxy
dxy dxz dyz
dxy dxz dyz
3 q
5 O
O
10 Dq
W T 2
O
dz²
5
– 4 Dq
dx²-y² dz²
dx²-y² dz² t2g {dxy dxz dyz
dxz dyz
quadratisch
kubisches tetraedrisches sphärisches oktaedrisches planares
Ligandenfeld Ligandenfeld Ligandenfeld Ligandenfeld Ligandenfeld
Abb. 4.11 Energetische Lage und Aufspaltung der d-Orbitale in Abhängigkeit vom Ligandenfeld
mit der Annahme, dass Liganden und Zentralatom gleich bleiben
Bei einigen Klassen von Komplexen, z. B. bei den Carbonylen und ihren Derivaten, bei
den Olefin-, N2 - oder Sandwich-Komplexen hat sich die Ligandenfeldtheorie als unge-
eignet erwiesen, um die Stabilität und beobachteten Eigenschaften der Komplexe zu deu-
ten. Hier hat sich die Molekülorbital-Theorie (kurz: MO-Theorie) sehr gut bewährt. Die
MO-Theorie besagt, dass Atomorbitale überlappen und dabei bindende und antibindende
Molekülorbitale ausbilden. Das bindende Molekülorbital ist energetisch günstiger als die
beiden Atomorbitale, während das antibindende Molekülorbital energetisch ungünstiger ist.
Ist jedes Atomorbital nur einfach besetzt, können beide Elektronen im energetisch günstigen
Molekülorbital untergebracht werden und es resultiert ein Energiegewinn für das System.
Voraussetzung für die Überlappung ist, dass die Atomorbitale eine geeignete Symmetrie
haben. Als Beispiel zum Einstieg ist das Molekülorbital-Schema (kurz: MO-Schema) für
das Wasserstoffmolekül in Abb. 4.12 gezeigt.
Liegt die Ladungsdichte des Molekülorbitals auf der Kernverbindungsachse, wie beim
Beispiel H2 , handelt es sich um eine σ -Bindung, liegt die Ladungsdichte oberhalb und
unterhalb der Kernverbindungsachse (das entspricht einer Knotenebene), handelt es sich um
4.4 Die Molekülorbital (MO)-Theorie 71
MO
eine π -Bindung. Diese kann auftreten, wenn p-Orbitale an der Bindungsbildung beteiligt
sind, wie in Abb. 4.13 am Beispiel des NO-Radikals gezeigt.
Dieses Konzept kann nun auf Koordinationsverbindungen übertragen werden. Wir gehen
nun davon aus, dass die Orbitale des Liganden mit den d-Orbitalen des Metallzentrums
wechselwirken. Hier ist es wieder wichtig, die Symmetrie der Orbitale zu berücksichtigen.
Generell wird zwischen σ -Komplexen und π -Komplexen unterschieden. Bei σ -Komplexen
liegen zwischen dem Metallzentrum und den Liganden ausschließlich σ -Bindungen vor,
während bei π -Komplexen zusätzlich noch π -Bindungen hinzukommen, die die Eigen-
schaften entscheidend beeinflussen können. Bevor wir das MO-Schema für einen σ - und
einen π -Komplex erstellen, betrachten wir die σ - und π -Wechselwirkungen zwischen Metall
und Ligand etwas genauer.
*
E *
2p
2p
2s
2s
Abb. 4.13 MO-Schema für das NO-Radikal (links) mit den dazu gehörenden Molekülorbitalen
(rechts). Das 1s-Niveau wurde aus Gründen der Übersichtlichkeit nicht abgebildet. Nicht maßstabs-
getreu!
72 4 Bindungsmodelle
Bisher haben wir die Bindung zwischen Metall und Ligand als elektrostatische Wechsel-
wirkung (Ligandenfeldtheorie) oder als ein Lewis-Säure-Base-Addukt betrachtet, bei der
das gemeinsame Elektronenpaar vom Liganden bereitgestellt wird. Überträgt man letzte-
ren Ansatz auf die Molekülorbitaltheorie, dann entspricht das einer σ -Donor-Akzeptor-
Bindung zwischen einem Elektronenpaar in einem nichtbindenden (Donor-)Orbital des
Liganden und einem Akzeptororbital (leer) des Zentralatoms. Eine reine Metall-Ligand-
σ -Bindung kommt jedoch selten vor und zusätzliche Ligand-Metall-π -Wechselwirkungen
können die Eigenschaften der Komplexe deutlich beeinflussen. Bei den Ligand-Metall-π -
Wechselwirkungen wird zwischen π -Donoren und π -Akzeptoren unterschieden. Ein gutes
σ - und π -Donorvermögen haben harte Alkoxido- und auch Amidoliganden, die gut geeig-
net sind, frühe Übergangsmetalle, die in hohen Oxidationsstufen vorliegen, zu stabilisieren.
Diese haben (fast) keine d-Elektronen und die leeren d-Orbitale können gut als Akzep-
tororbitale für die vollen Donor-Orbitale des Liganden fungieren. Hierbei handelt es sich
i. d. R. um voll besetzte p-Orbitale. Liegt die Metall-Ligand-Bindung entlang der z-Achse
des Koordinatensystems, so hat das pz -Orbital eine geeignete Symmetrie für die Ausbildung
einer σ -Bindung z. B. mit dem dz 2 -Orbital. Das px - und p y -Orbital am Liganden steht nun
zur Ausbildung von π -Bindungen zur Verfügung, wie in Abb. 4.14 gezeigt. Die entspre-
chenden Bindungspartner am Metallion wären das dxz - und das dyz -Orbital. Bei Alkoxido-
und Amidoliganden wird i. d. R. nur eine π -Bindung ausgebildet. Noch ausgeprägter sind
π -Donorbindungen zwischen Metall und Ligand bei Komplexen mit Imido- oder Oxido-
Liganden, in denen die Liganden neben der σ -Donorbindung noch bis zu zwei π -Bindungen
zum Zentralatom ausbilden können. Zusammengefasst merken wir uns: Voraussetzung für
ausgeprägte π -Donorwechselwirkungen sind leere d-Orbitale am Metallzentrum, die mit
den besetzten Orbitalen des Liganden wechselwirken. Das ist i. d. R. bei frühen Übergangs-
metallen in höheren Oxidationsstufen realisiert, die durch Halogenido-, Alkoxido- oder
Oxido-Liganden stabilisiert werden.
Eine zweite Variante von π -Wechselwirkungen liegt vor, wenn das Metallzentrum ein
elektronenreiches (meist spätes) Übergangsmetall in niedrigen Oxidationsstufen ist. Hier
können besetzte d-Orbitale des Metallzentrums als Donor zum Liganden fungieren. Vor-
aussetzung dafür ist, dass am Liganden leere Orbitale im geeigneten Energiebereich und
mit der richtigen Symmetrie für die Ausbildung einer π -Bindung vorliegen. In diesem Fall
spricht man von einer π -Rückbindung, das heißt der Ligand ist ein π -Akzeptor. Diese
Bindung wird häufig bei Metallcarbonylen beobachtet. Beim CO-Liganden sind energe-
tisch relativ tief liegende leere π ∗ -Orbitale vorhanden, die eine geeignete Symmetrie haben,
um mit vollen d-Orbitalen des Metallzentrums (dxz , dyz oder dxy ) zu überlappen. Obwohl
sich CO nur als schwache Lewis-Base verhält, bildet es dennoch äußerst stabile Komplexe
mit Übergangsmetallen in niedrigen Oxidationsstufen. Dieser Befund lässt sich nicht allein
auf die Eigenschaften der Metall-Ligand-σ -Bindung zurückführen. Vielmehr liegt hier ein
Beispiel für eine Metall-Ligand-Bindung vor, deren Stabilität wesentlich durch eine π -
Wechselwirkung bestimmt wird. In Abb. 4.15 sind die entsprechenden Wechselwirkungen
schematisch dargestellt.
Den größten Anteil an der Stärke der Metall-Ligand-Bindung hat die σ -Donor-
Wechselwirkung des energetisch am höchsten liegenden besetzten σ -Orbitals des Carbonyl-
Liganden mit Akzeptor-d-Orbital des Metallzentrums. Durch diese Bindung wird die nega-
tive Ladung am Metallzentrum erhöht. Diese wird wiederum durch die π -Rückbindung
teilweise an den Liganden zurückgegeben. Das geschieht durch die Überlappung eines
besetzten d-Orbitals geeigneter Symmetrie mit einem leeren π ∗ -Orbital des Kohlenmon-
oxids. Der „Rückfluss“ von Elektronendichte zum Liganden über die π -Bindung erhöht
dann seinerseits wieder das σ -Donorvermögen des Donor-Orbitals am Kohlenstoffatom.
Die σ -Donor- und π -Rückbindung beeinflussen sich gegenseitig im Sinne einer Stärkung
der Metall-Ligand-Bindung, weshalb man von einem σ -Donor-π -Akzeptor-Synergismus
spricht. Theoretisch ist auch beim Carbonyl-Liganden eine π -Donor-Bindung zwischen
den besetzten π -Orbitalen des CO und leeren d-Orbitalen am Metallzentrum möglich. Diese
L nM C O L nM C O
M C O M C O
M C O
Abb. 4.15 Vereinfachte Darstellung der Molekülorbitale der σ - und π -Bindungen einer Carbonyl-
Metall-Bindung und die dazu gehörenden mesomeren Grenzstrukturen. Die in der Mitte abgebildete
π -Donor-Wechselwirkung ist i. d. R. vernachlässigbar
74 4 Bindungsmodelle
spielt bei π -sauren Liganden wie CO (das sauer bezieht sich hier auf die Lewis-Acidität)
eine untergeordnete Rolle. Durch die π -Rückbindung erniedrigt sich die formale Bindungs-
ordnung der C-O-Bindung durch die (teilweise) Besetzung von antibindenden Orbitalen.
In Valenzstrichformeln kann man diesen Umstand durch eine mesomere Grenzstruktur mit
einer Doppelbindung zwischen Metall und Kohlenstoff und einer Doppelbindung zwischen
C und O, wie in Abb. 4.15 gezeigt, darstellen.
Die π -Rückbindung spielt auch eine große Rolle bei der Koordination von Olefinen an
Metallzentren, wie z. B. beim Zeiseschen Salz (Abschn. 3.1). In Abb. 4.16 sind die dabei
auftretenden σ - und π -Wechselwirkungen dargestellt. In diesem Fall ist das bindende π -
Orbital vom Ethen für die σ -Donor-Bindung verantwortlich.
Wir haben gesehen, dass bei Komplexen, genauso wie bei Molekülverbindungen σ - und
π -Bindungen ausgebildet werden können. Die MO-Theorie bei Komplexen ist analog zu
der bei Molekülverbindungen. Die Orbitale der Liganden und des Metalls überlappen unter
Ausbildung von bindenden und antibindenden Molekülorbitalen, wobei die bindenden ener-
getisch tiefer liegen und zuerst von den Elektronen besetzt werden. Das führt zu einem Ener-
giegewinn, der für die Stabilität des Komplexes verantwortlich ist. Je besser die Orbitale
überlappen, umso stärker ist die Aufspaltung der Molekülorbitale und umso größer wird der
Energiegewinn.
Aus Gründen der Einfachheit betrachten wir einen oktaedrischen 3d-Komplex. Jeder der
sechs Liganden stellt ein voll besetztes Orbital geeigneter Symmetrie zur Ausbildung einer
σ -Bindung zur Verfügung. Das kann ein s- oder p-Orbital geeigneter Symmetrie sein, aber
auch ein Molekülorbital. Die sechs σ -Ligandorbitale kombinieren zu sechs Ligandgruppen-
orbitalen geeigneter Symmetrie, um mit den Valenzorbitalen des Metallzentrums bindende
und antibindende Wechselwirkungen einzugehen. Im oktaedrischen Komplex liegen die Bin-
dungen vom Metall zu den sechs Liganden auf den Achsen des Koordinatensystems. Für
die Ausbildung einer σ -Bindung zum Liganden sind nicht alle Valenzorbitale des Metall-
4.4 Die Molekülorbital (MO)-Theorie 75
zentrums geeignet. Von den teilweise besetzten 3d-Orbitalen kommen nur das dz 2 - und das
dx 2 −y 2 -Orbital dafür in Frage, bei denen die Orbitallappen auf den Achsen liegen. Die ande-
ren drei d-Orbitale (dxz , dyz und dxy ) haben nicht die geeignete Symmetrie. Sie werden als
nicht bindend bezeichnet und liegen im Komplex unverändert mit der gleichen Energie vor,
wie in Abb. 4.17 zu sehen. Das leere 4s- und die drei leeren 4p-Orbitale besitzen ebenfalls
eine geeignete Symmetrie zum Ausbilden einer σ -Bindung. Es kommt zur Ausbildung von
sechs bindenden und sechs antibindenden Molekülorbitalen, wie in Abb. 4.17 gegeben. Von
Seiten der Liganden werden insgesamt zwölf Elektronen für das Molekülorbitalschema zur
Verfügung gestellt. Diese besetzen formal die sechs bindenden Molekülorbitale a1g , t1u und
eg . Auf der Seite des Metalls sind die 3d-Orbitale teilweise besetzt, die 4s- und 4p-Orbitale
sind leer. Diese Elektronen werden auf die drei nichtbindenden 3d-Orbitale und die zwei
antibindenden eg *-Orbitale, die aus den dz 2 - und dx 2 −y 2 -Orbitalen hervorgingen, verteilt.
Die energetische Aufspaltung entscheidet darüber, ob dabei die Hundsche Regel befolgt wird
und wir einen high-spin-Komplex erhalten, oder die Elektronen in den tiefer liegenden Orbi-
talen gepaart werden. Diese fünf Molekülorbitale entsprechen den t2g - und eg *-Orbitalen,
die wir bereits aus der Ligandenfeldtheorie kennen. Sie sind in der Tat nichtbindend bzw.
t1u*
leer
a1g* Übereinstimmung mit
Ligandenfeldtheorie
4p
4s
}
a1g }
Metallorbitale Molekülorbitale Ligandenorbitale
Abb.4.17 MO-Schema eines oktaedrischen σ -Komplexes. Die sechs Orbitale der Liganden sind voll
besetzt. Die zwölf Elektronen füllen im Komplex die sechs energieärmsten Orbitale (a1g , t1u und eg )
auf. Die Elektronen aus den d-Orbitalen des Metalls werden nun auf die t2g und eg∗ -Orbitale verteilt.
In Übereinstimmung mit der Ligandenfeldtheorie bestimmt die Aufspaltung zwischen den Orbitalen,
ob dabei die Hundsche Regel (kleine Aufspaltung ΔO , high-spin-Komplex) oder das Pauli-Prinzip
(große Aufspaltung ΔO , low-spin-Komplex) angewendet wird
76 4 Bindungsmodelle
antibindend. Hier überlappen beide Modelle, für die Verteilung der d-Elektronen wird das
gleiche Ergebnis erhalten. Die Molekülorbitaltheorie erklärt uns zusätzlich, warum die auch
mit der Ligandenfeldtheorie erhaltenen t2g -Orbitale nichtbindend und die eg -Orbitale anti-
bindend sind. Für die Bezeichnung der Orbitale werden keine Termsymbole verwendet, son-
dern ein Schema, das wir später bei den Spalt-Termen (siehe Tanabe-Sugano-Diagramme)
wiederfinden. Die Buchstaben a, e und t stehen für einfach, zweifach und dreifach entartete
Zustände. Das heißt, es liegen jeweils ein, zwei oder drei Orbitale mit gleicher Energie im
MO-Schema des Komplexes vor. Die Buchstaben g und u stehen für gerade und ungerade
und bezeichnen die Parität des Orbitals (das Verhalten des Orbitals bei Punktspiegelung,
siehe Auswahlregeln für elektronische Übergänge).
Bei Komplexen mit π -Bindungen beteiligen sich die bisher nichtbindenden t2g -Orbitale
an π -Bindungen mit dem Liganden. Dafür werden drei weitere Ligandorbitale benötigt,
die eine geeignete Symmetrie besitzen. Welche dafür in Frage kommen, haben wir bereits
diskutiert. Die drei d-Orbitale dxz , dyz und dxy des Metalls können mit p- oder π -Orbitalen
der Liganden geeigneter Symmetrie unter Ausbildung von Bindungen mit π -Symmetrie
überlappen. Im vollständigen MO-Schema werden die fünf 3d-Orbitale ähnlich wie bei den
σ -Komplexen in zwei eg -Orbitale (dz 2 und dx 2 −y 2 ) und drei t2g -Orbitale (dxz , dyz und dxy )
unterteilt. Bei den Ligandenorbitalen wird unterschieden, ob die π -Orbitale energetisch über
oder unter den σ -Orbitalen liegen. Im ersten Fall haben wir leere π -Akzeptor-Orbitale, die
für eine Rückbindung zur Verfügung stehen, während im zweiten Fall die Ligandorbitale
besetzt sind und es sich um π -Donor-Liganden handelt. In Abb. 4.18 ist der Einfluss der Lage
der Ligand p- bzw. π -Orbitale auf die Aufspaltung zwischen den t2g - und den eg -Orbitalen
gezeigt. Wir sehen, dass bei π -Donor-Liganden die Aufspaltung kleiner wird und bei π -
Akzeptor-Liganden die Aufspaltung ΔO größer als im System ohne π -Bindungen ist. Damit
können wir erklären, warum CO ein Starkfeldligand ist und Fluorid als Schwachfeldligand
am anderen Ende der spektrochemischen Reihe steht. Für beide Extremfälle sind erhebliche
Doppelbindungsbeiträge über π -Wechselwirkungen zu formulieren. Dabei ist es eben der
π -Akzeptor oder π -Donorcharakter, der die Richtung vorgibt. Ammoniak und Pyridine
gehören zu den Liganden ohne deutliche π -Effekte. Sie stehen in der spektrochemischen
Reihe in der Mitte.
4.5 Fragen 77
4s 4s 4s t2g*
e g* e g* eg*
O
O
3d 3d 3d O
t2g*
t2g t2g t2g
eg eg eg
t1u t1u t1u
Abb. 4.18 MO-Schema eines Komplexes mit Liganden ohne π -Effekte (mitte), mit π -
Donor-Liganden (π -Basen, links) und mit π -Akzeptor-Liganden (π -Säuren, rechts). Das π -
Bindungsverhalten hat einen deutlichen Einfluss auf die Aufspaltung ΔO des Ligandenfeldes. π -
Akzeptor-Liganden führen zu einer Erhöhung von ΔO , weswegen z. B. der Carbonyl-Ligand zu den
Starkfeldliganden in der spektrochemischen Reihe gehört
4.5 Fragen
1. Was ist ein Ligandenfeld, wer erzeugt es und auf wen wirkt es?
2. Berechnen Sie die LFSE für ein d1 - und d4 -System im oktaedrischen und tetraedrischen
Ligandenfeld.
3. FeCr2 O4 kristallisiert in der Spinell-Struktur, CoFe2 O4 in der inversen Spinell-Struktur.
Was sind die Unterschiede? Erklären Sie den Sachverhalt mit Hilfe der Ligandenfeld-
theorie (LFSE)!
4. Mit welchen der folgenden Liganden würden Sie bei einem Komplex der generellen
Zusammensetzung [FeII L6 ] einen high-spin- bzw. einen low-spin-Komplex erwarten?
H2 O, CN− , F− , SCN− , NH3 , bipy (= 2L).
5. Was erwarten Sie für die Komplexbildung, wenn Sie anstelle der 3d-Metalle 4d- oder
5d-Metalle einsetzen? Welche Effekte erwarten Sie für die Komplexbildung, wenn Sie
die formale Oxidationszahl des zentralen Metalls erhöhen?
78 4 Bindungsmodelle
6. Liegen bei folgenden Verbindungen zwischen dem Metallzentrum und den Liganden
π -Donorbindungen oder π -Akzeptorbindungen vor? [Pt(C≡CPh)Cl(PPh3 )2 ],
[WO(OC2 H5 )4 ], [Mo(NMe2 )5 ], [Re(CH3 )(CO)5 ]
7. Die M-CO Bindung bei Übergangsmetallen in niedrigen Oxidationsstufen zeichnet sich
häufig durch eine hohe Stabilität aus. Diskutieren Sie die Bindungsverhältnisse der
M-CO-Bindung und erklären Sie diesen Effekt!
Farbigkeit von Koordinationsverbindungen
5
Zu Werners Zeiten hatte die Faszination für Komplexe sicherlich viel mit deren Farbigkeit zu
tun. Und auch die schon vorher bekannten (wenn auch nicht als solche erkannten) Komplexe
wie das Berliner Blau bestachen v. a. (wie schon der Name sagt) durch ihre Farbigkeit. In
diesem Kapitel lernen wir, woher die Farbigkeit von Komplexen kommt und was wir von
den Farben über die Komplexe lernen können.
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Springer Nature 2021
B. Weber, Koordinationschemie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-63819-4_5
80 5 Farbigkeit von Koordinationsverbindungen
Abb. 5.1 Farben des optischen Spektrums mit Wellenlängenbereich [nm] sowie Komplementärfarbe
nach Absorption der Farbe im entsprechenden Wellenlängenbereich
eg eg
h = E
t2g t2g
Abb. 5.2 Elektronischer Übergang zwischen d-Orbitalen und Farbe des violetten Ti3+ -Ions
Titan(IV) im wässrigen Medium (zu einer Suspension von TiOSO4 in verd. H2 SO4 wird
Zinkpulver gegeben, Abb. 5.2).
Die Farbe des Titan(III)-Ions ist auf einen sogenannten d–d-Übergang eines Valenzelek-
trons vom energetisch tieferliegenden t2g -Niveau in das höherliegende eg -Niveau zurück-
zuführen. Aufgrund des Zusammenhangs h · ν = E hängt die Farbigkeit der Verbindung
von der Energiedifferenz zwischen den d-Orbitalen, d. h. von der Ligandenfeldaufspaltung
ΔO ab. In diesem einfachsten Fall bestimmt also O alleine über die Farbigkeit der Ver-
bindung. Diese wird, wie wir in Abschn. 4.3 gelernt hatten, stark von der Stellung von
Zentralion und Ligand in der spektrochemischen Reihe sowie von der Anzahl der Ligan-
den und der Koordinationsgeometrie bestimmt. Das zeigen die nächsten Beispiele. Das
erste Beispiel ist die Farbe von Chrom(III)- bzw. Chrom(II)-Ionen in Wasser, in Abb. 5.3
auf der linken Seite sind die Lösungen der beiden komplexen Kationen [Cr(H2 O)6 ]3+ und
[Cr(H2 O)6 ]2+ gezeigt. Beide Komplexe sind oktaedrisch aufgebaut und haben den gleichen
Liganden – Wasser. Der Unterschied ist die Oxidationsstufe des Zentralions, es handelt
sich um einen Chrom(II)-Komplex bzw. einen Chrom(III)-Komplex. Die unterschiedliche
5.1 Warum sind Komplexe farbig? 81
Abb. 5.3 Links: Farbe von [Cr(H2 O)6 ]3+ (links) und [Cr(H2 O)6 ]2+ (rechts). Mitte: Farbe
von Co(NO3 )2 in Wasser (links) und in Säure (rechts). Rechts Farbe von [FeCln (H2 O)6-n ]3-n ,
[Fe(H2 O)6-n (SCN)n ]3-n mit n =1–3 und [FeF6 ]3−
Stellung von Chrom in den Oxidationsstufen +2 und +3 in der spektrochemischen Reihe führt
zu unterschiedlichen Werten ΔO für die Aufspaltung der d-Orbitale im Ligandenfeld und
damit zu einer unterschiedlichen Farbe. Beim nächsten Beispiel bleibt das Metallzentrum
gleich. Eine wässrige Lösung von Co(NO3 )2 ist rosa, die Lösung in konzentrierter Salzsäure
aber blau (Abb. 5.3 Mitte). Laut spektrochemischer Reihe sind sowohl Wasser als auch das
Chlorid-Ion Schwachfeldliganden und ein derart ausgeprägter Farbunterschied wäre hier
nicht zu erwarten. Die Antwort auf diese Beobachtung ist die unterschiedliche Koordinati-
onszahl bei den beiden gebildeten Komplexen. Im Wasser entsteht der oktaedrische Komplex
[Co(H2 O)6 ]2+ , während in der konzentrierten Salzsäure das tetraedrische Anion [CoCl4 ]2−
entsteht. In Kap. 4 zur Ligandenfeldtheorie haben wir bereits besprochen, dass aufgrund der
geringeren Ligandenzahl (vier anstelle von sechs) die Aufspaltung im tetraedrischen Ligan-
denfeld bei gleichem Zentralion und gleichen (oder in diesem Fall vergleichbaren) Liganden
T = 49 O entspricht. Die deutlich kleinere Aufspaltung im Falle vom Tetrachloridoco-
balt(II) führt zur Absorption des längerwelligen (energieärmeren) orangen Lichtes und wir
sehen die blaue Komplementärfarbe. Beim Hexaaquacobalt(II) wird kürzerwelliges (ener-
giereicheres) grünes Licht absorbiert und wir sehen die Komplementärfarbe rot.
Die unterschiedliche Aufspaltung des Ligandenfeldes liefert eine Erklärung für die vie-
len unterschiedlichen Farben, die wir bei Komplexen beobachten. Die nächste Frage, die
wir uns stellen, ist, warum [FeF6 ]3− und [Fe(H2 O)6 ]3+ farblos sind. Die drei verschiedenen
Eisen(III)-Komplexe [FeCln (H2 O)6-n ]3-n , [Fe(H2 O)6-n (SCN)n ]3-n mit n =1–3 und [FeF6 ]3−
sind in Abb. 5.3 rechts gegeben. Alle Liganden haben eine ähnliche Stellung in der spek-
trochemischen Reihe (Schwachfeldliganden) und führen zur Ausbildung eines high-spin-
Komplexes. Um eine Antwort darauf zu finden, müssen wir uns mit den Auswahlregeln
für elektronische Übergänge beschäftigen. Diese Auswahlregeln erklären auch, warum die
Intensität der Farbe bei unterschiedlichen Komplexen verschieden ist.
82 5 Farbigkeit von Koordinationsverbindungen
Neben den gerade eingeführten d–d-Übergängen sind bei Komplexen noch zwei weitere
Übergänge möglich. Die Charge-Transfer- (CT)-Übergänge und Ligand-Ligand-Übergänge.
Bei letzteren spielt das Metallzentrum eine untergeordnete Rolle und die Farbigkeit des
Liganden wird betrachtet. Sie ist häufig auf π –π ∗ -Übergänge zurückzuführen und soll nicht
weiter betrachtet werden. Bei der Diskussion der Auswahlregeln im weiteren Verlauf kon-
zentrieren wir uns auf die elektronischen Übergänge, bei denen das Metallzentrum eine Rolle
spielt. Experimentell lässt sich anhand der Intensität des Übergangs (also der Intensität der
Farbe) abschätzen, welcher der Übergänge beobachtet wird. Der molare Extinktionskoeffi-
zient ε gibt an, wie viel Licht eine 1-molare Lösung mit 1 cm Dicke absorbiert. Je größer ε,
umso intensiver ist die Farbe. In Tab. 5.1 ist die Größe des molaren Extinktionskoeffizienten
in Abhängigkeit vom elektronischen Übergang gegeben [3].
Um die Unterschiede bei den verschiedenen Übergängen erklären zu können, müssen die
spektroskopischen Auswahlregeln berücksichtigt werden, welche die Bedingungen nennen,
ob eine Anregung durch die zur Verfügung stehende Strahlung physikalisch möglich (das
heißt erlaubt) ist. Hier sind zwei Regeln abzufragen: Das Spinverbot und das Laporte-Verbot:
Das Spinverbot besagt, dass sich die Multiplizität M des Systems beim elektronischen
Übergang nicht ändern darf. Da M = 2S + 1 ist, hängt diese vom Gesamtspin S ab. Die-
ser ändert sich dann nicht, wenn beim elektronischen Übergang der Spin des Elektrons
erhalten bleibt (Verbot der Spinumkehr bzw. Spinverbot). Die bereits erwähnten Beispiel-
komplexe [FeF6 ]3− und [Fe(H2 O)6 ]3+ sind beides Eisen(III)-Komplexe mit Schwachfeld-
liganden. Das Eisenzentrum liegt damit im high-spin Zustand vor und jedes der fünf d-
Elektronen besitzt eines der fünf d-Orbitale für sich alleine; die Besetzung der Orbitale folgt
der Hund’schen Regel (S ist maximal). Damit haben alle Elektronen den gleichen Spin.
Im Falle eines d–d-Überganges müsste nun ein Elektron aus einem der unteren d-Orbitale
in eines der höhergelegenen d-Orbitale überführt werden. Dafür müsste sich aufgrund des
Pauli-Prinzipes (in einem Atom können keine zwei Elektronen in allen vier Quantenzahlen
übereinstimmen) der Spin umkehren. Genau dieses untersagt uns jedoch das Spinverbot,
weswegen d–d-Übergänge in solchen Fällen verboten sind. Die Verbindung (bzw. der Kom-
plex) erscheint uns farblos. Tatsächlich finden sich in hochkonzentrierten Lösungen doch
d-d-Übergänge, die jedoch extrem schwach sind (ε << lmol−1 cm−1 ). Auch das Spinver-
bot gilt offensichtlich nicht absolut. Für unsere in Abb. 5.3 gegebenen Eisen(III)-Komplexe
bedeutet das, dass bei allen drei Beispielen keine d–d-Übergänge stattfinden. Trotzdem
1. Ändert sich beim elektronischen Übergang die Parität des Orbitals? Die Parität beschreibt
das Verhalten des Orbitals bei der Punktspiegelung. Wir müssen also überlegen, ob das
Orbital ein Inversionszentrum besitzt. Bleibt es bei der Punktspiegelung unverändert
und besitzt demzufolge ein Inversionszentrum, ist die Parität „gerade“, kurz g. Wie wir
unschwer in Abb. 5.4 erkennen können, ist das bei s- und d-Orbitalen der Fall. Wechseln
die Orbitallappen bei der Punktspiegelung das Vorzeichen und besitzen deswegen kein
Inversionszentrum, ist die Parität „ungerade“, kurz u. Dies ist bei p- und f-Orbitalen der
Fall. Eine Anregung durch Licht ist nur erlaubt, wenn sich die Parität ändert, wenn ein
Elektron also z. B. aus einem p- in ein d-Orbital angeregt wird. Kristallfeldübergänge,
bei denen Elektronen aus einem d- in ein d-Orbital angeregt werden, sind prinzipiell erst
einmal verboten. Wie wir an den bisher diskutierten Beispielen gesehen haben, kann
dieses Verbot jedoch nicht so strikt sein wie das Spinverbot - sonst hätten wir kaum
farbige Komplexe! Damit kommen wir zur zweiten Abfrage des Laporte-Verbots:
2. Ist der Komplex zentrosymmetrisch (inversionssymmetrisch; symmetrisch in Bezug auf
die Punktspiegelung)? Wenn nein, zum Beispiel in tetraedrischen und anderen nicht-
zentrosymmetrischen Komplexen, dann ist die Anregung erlaubt. Wenn ja, z. B. in okta-
edrischen und anderen zentrosymmetrischen Komplexen, so ist die Anregung verboten.
Dass oktaedrische Komplexe wie das [CoII (H2 O)6 ]2+ -Ion überhaupt eine Farbe zeigen,
beruht auf Vorgängen, die das Laporte-Verbot berühren. Unter den Schwingungen, wel-
che die Liganden relativ zum Zentralmetall ausführen, sind solche, welche die Zentro-
symmetrie kurzzeitig aufheben, so dass eine Elektronenanregung möglich wird, die dann
aber deutlich schwächer ist. Kovalente Bindungsanteile in Komplexen können ebenfalls
zur Abschwächung des Laporte-Verbotes führen.
L L
i i i L i L
M iM
L L L
L
L L
s(g) p(u) d(g)
Abb. 5.4 Inversionssymmetrie bei oktaedrischen und tetraedrischen Komplexen sowie bei s-, p- und
d-Orbitalen mit der daraus folgenden Parität. Gerade (g) und ungerade (u)
84 5 Farbigkeit von Koordinationsverbindungen
Zusammengefasst lässt sich sagen: Ist ein elektronischer Übergang Spin-Verboten, dann
findet er nur mit extrem geringer Wahrscheinlichkeit statt. Ein klassisches Beispiel für das
Spinverbot sind Eisen(III)-high-spin-Komplexe. Ist ein Übergang Laporte-Verboten, dann
führt das zu einer Abschwächung der Intensität der Farbe. Ein Übergang, der bei der Abfrage
nach der Änderung der Parität des Orbitales erlaubt ist, ist intensiv und hat einen großen
Extinktionskoeffizienten. Dies ist z. B. bei Charge-Transfer-Übergängen der Fall, die in
Komplexen häufig durch Anregung von Elektronen aus besetzten p-Orbitalen in leere oder
teilweise besetzte d-Orbitale stattfinden. Diese Charge-Transfer-Übergänge sind z. B. für
die Farbigkeit von den in Abb. 5.3 gegebenen Eisen(III)-Komplexen [FeCl(H2 O)5 ]2+ und
[Fe(H2 O)3 (SCN)3 ] verantwortlich. Bei beiden liegt das Eisen im high-spin Zustand vor.
Paritäts-Verbotene Übergänge haben generell eine geringere Intensität. Ist der Komplex
dann auch noch zentrosymmetrisch, was z. B. bei oktaedrischen Komplexen der Fall ist,
dann ist der Übergang besonders schwach. Das ist bei den in Abb. 5.3 gezeigten Cobalt-
komplexen sichtbar. Das Blau des tetraedrischen Tetrachloridocobaltats ist intensiver als
das Rosa des oktaedrischen Aqua-Komplexes. Dass überhaupt noch ein Übergang in einem
oktaedrischen Komplex stattfindet, liegt daran, dass ein Komplex kein starres Gebilde ist,
sondern die Metall-Ligand-Bindungen um einen Gleichgewichtsabstand herum schwingen.
Dadurch wird die Zentrosymmetrie kurzfristig aufgehoben und in diesem Zeitfenster ist der
elektronische Übergang möglich. Der Übergang findet statt, aber nicht so häufig wie bei
tetraedrischen Komplexen und ist deswegen schwächer.
5.3 Charge-Transfer-(CT-)Übergänge
Abb. 5.5 Links: Eisen(III)-sulfat, Eisen(III)-chlorid und Eisen(III)-bromid. Rechts wässrige Lösung
von Vanadat-, Chromat- und Permanganat-Ion
nide besitzt, dementsprechend ist die Ionisationsenergie gering. Das Iodid-Ion ist deswegen
eher bereit, sein Elektron bei einer Redox-Reaktion abzugeben. Das Eisen(III)-iodid zer-
fällt zu Eisen(II)-iodid und elementarem Iod. Der beobachtete Trend für die Intensität des
CT-Übergangs spiegelt den Gang der Elektronenaffinität für die Halogene im Periodensys-
tem wider. In der Reihe Fluorid < Chlorid < Bromid < Iodid fällt es immer leichter,
das Halogenid zu oxidieren. Der durch die CT-Anregung entstehende angeregte Zustand
hat eine immer niedrigere Energie, bis der Elektronenübergang direkt stattfindet. Der ange-
regte Zustand wird zum Grundzustand und Elektronen-Donor und -Akzeptor reagieren in
einer Redox-Reaktion vollständig unter Elektronenübertragung – also unter charge transfer.
Obwohl es sich hier um Festkörper handelt, ist der Vergleich zulässig. Beim Eisen(III)-
chlorid und Eisen(III)-bromid hat das Eisen die Koordinationszahl 6 und ist oktaedrisch von
sechs Halogenidionen umgeben – genauso wie beim Hexafluoridoferrat(III)-Ion.
Das gleiche Konzept lässt sich auf die Farben von Vanadat (VO3− 2−
4 ), Chromat (CrO4 )
−
und Permanganat (MnO4 ) übertragen. Bei den drei Ionen liegt das Metall in seiner der Grup-
pennummer entsprechenden höchst möglichen Oxidationsstufe vor. Es besitzt damit keine
d-Elektronen, die für einen d–d-Übergang verantwortlich sein könnten. Dementsprechend
ist das Vanadat-Ion farblos. Eine wässrige Lösung von Chromat- bzw. Permanganat-Ionen
ist jedoch gelb bzw. tief-violett, wie in Abb. 5.5 zu sehen. Der Grund dafür können nur
CT-Übergänge aus besetzen p-Orbitalen des O2− -Ions in die leeren d-Orbitale des Metall-
zentrums sein. In diesem Fall korreliert die Intensität der Farbe mit der Oxidationskraft
des Metallzentrums. Mangan in der Oxidationsstufe +7 ist ein wesentlich stärkeres Oxida-
tionsmittel als Chrom in der Oxidationsstufe +6, während beim Vanadium +5 die stabilste
Oxidationsstufe ist. Das Bestreben des Metallzentrums, Elektronen aufzunehmen, korreliert
mit der Intensität des Übergangs und der Lage der CT-Bande. So wird für die gelbe Farbe
vom Chromat-Ion kurzwelliges energiereiches blaues Licht absorbiert und für die violette
Farbe vom Permanganat-Ion deutlich längerwelliges (und damit energieärmeres) grünes
Licht. Geht man vom Permanganat aus im Periodensystem zu den höheren Homologen über
(den entsprechenden 4d- und 5d-Elementen), dann wissen wir aus Vorlesungen oder Lehr-
büchern zur Allgemeinen Chemie, dass sich beim Übergang zu den höheren Homologen die
86 5 Farbigkeit von Koordinationsverbindungen
Stabilität der maximal möglichen Oxidationsstufe erhöht (weil die Außenelektronen durch
mehr Elektronenschalen vom positiv geladenen Kern abgeschirmt sind und sich dadurch
leichter entfernen lassen). Dieser Trend spiegelt sich in der Farbigkeit der entsprechenden
Ionen wider. So ist das (radioaktive) TcO− −
4 gelblich, während das Perrhenat ReO4 farblos
ist. Für die Zentralionen der 4d und 5d Reihen wird für den CT-Übergang mehr Energie
benötigt und die CT-Banden wandern sukzessive in den UV-Bereich.
Bei d–d-Übergängen wechselt ein d-Elektron des Zentralions gemäß der Auswahlregeln von
einem tiefer liegenden in ein höher liegendes Energieniveau. Dabei sind wir bisher davon
ausgegangen, dass die Energie des eingestrahlten Lichtes der Energiedifferenz zwischen den
d-Orbitalen entspricht. Bei oktaedrischen Komplexen wäre das die Ligandenfeldaufspaltung
O , die damit bestimmt, welche Farbe die Komplexe haben. Anders herum könnte man dann
schlussfolgern, dass sich aus der Farbe des Komplexes O bestimmen lässt. Der Blick auf
die unterschiedlichen Farben von zweiwertigen 3d-Elementen im Wässrigen zeigt, dass dies
nicht ganz so einfach ist. Das Kupfer(II)-, Nickel(II)- und Cobalt(II)-Ion liegt im Wässrigen
als Hexaaqua-Komplex vor und die beobachteten Farben für die Ionen sind blau, grün und
rosa (siehe Abb. 5.6). Die zweiwertigen Ionen liegen in der spektrochemischen Reihe dicht
beieinander, haben die gleichen Liganden und die gleiche Koordinationsumgebung. Damit
würde man erwarten, dass O für die drei Komplexe in einem ähnlichen Bereich liegt,
was ein Widerspruch zu den unterschiedlichen Farben ist. Wenn man die UV-Vis-Spektren
der Lösungen betrachtet stellt man fest, dass eine unterschiedliche Anzahl von Banden
vorhanden ist. Die beobachtete Farbe entsteht aus der Summe der einzelnen Banden.
In der Tat ist eine Bestimmung von O mit Hilfe der UV-Vis-Spektren möglich, allerdings
nicht so einfach, wie es auf den ersten Blick erscheint. Die eben getätigte Annahme, dass
die Energiedifferenz E des elektronischen Übergangs direkt der Ligandenfeldaufspaltung
O entspricht, wird nur beim sogenannten Starkfeld-Ansatz (Näherung des starken Feldes)
realisiert. Hier gehen wir davon aus, dass die elektrostatische Wechselwirkung zwischen den
Abb.5.6 Wässrige Lösung eines Kupfer(II)-, Cobalt(II)- und Nickel(II)-Salzes. Die drei Ionen liegen
jeweils als Hexaaqua-Komplex vor
5.4 d–d-Übergänge und die Bestimmung von O 87
Elektronen in den d-Orbitalen vernachlässigbar ist. Das deckt sich nicht mit der Realität und
den beobachteten optischen Spektren. Das Starkfeld ist ein hypothetischer Bezugspunkt.
Als Beispiel für die Interpretation der Spektren und die Bestimmung von ΔO betrach-
ten wir eine Spin-Crossover-Verbindung. Dabei handelt es sich um einen oktaedrischen
Eisen(II)-Komplex, der bei tiefen Temperaturen im low-spin-(LS-)Zustand vorliegt und bei
höheren Temperaturen im high-spin-(HS-)Zustand. Alle weiteren Details zu diesem Phäno-
men sind im Abschnitt Magnetismus gegeben. Wichtig für das Verständnis der Farbigkeit ist,
dass sich der Metall-Ligand-Abstand beim Übergang vom LS- in den HS-Zustand verlängert,
weil im HS-Zustand die antibindenden eg -Orbitale besetzt sind. Dies führt entsprechend der
Formel
r 6
0
10 Dq(r ) = 10 Dq(r0 )
r
zu einer Änderung der Ligandenfeldaufspaltung ΔO und damit zu einem Farbwechsel beim
Spinübergang. Neben dem Parameter O , der in einem Komplex die Wechselwirkungen der
Metall-Elektronen mit den Ligandelektronen bilanziert, benötigen wir für die folgende Dis-
kussion noch einen zweiten Parameter, den Racah-Parameter B. Dieser bilanziert die Wech-
selwirkungen der Metallelektronen untereinander. Wir verlassen also den Starkfeld-Ansatz
und gehen zum sogenannten Schwachfeld-Ansatz (Näherung des schwachen Feldes) über,
bei dem die elektrostatischen Wechselwirkungen zwischen den d-Elektronen die dominante
Rolle spielen. B ist ein definierter Wert für das freie Atom bzw. Ion (B0 ), wird aber in Gegen-
wart von Liganden zum zweiten Parameter der Ligandenfeldtheorie, da B von der Art und
Zahl der Liganden abhängt, wobei immer gilt: B < B0 . Die Komplexierung verringert die
Wechselwirkung der Metallelektronen untereinander, wir befinden uns in einem fließenden
Übergang zwischen dem Schwachfeld- und dem Starkfeld-Ansatz. Bitte beachten Sie, dass
Sie den Starkfeld- und Schwachfeld-Ansatz nicht mit Starkfeld- und Schwachfeldliganden
gleichsetzen können.
Die Abhängigkeit der Farbigkeit von dem Metall-Ligand-Abstand und damit von O
sehen wir nicht nur beim Spin-Crossover. In Festkörpern können ähnliche Effekte beobach-
tet werden. Ein Beispiel ist die Farbe der Halogenide des Cobalts. Die (wasserfreien) Salze
CoF2 , CoCl2 und CoBr2 besitzen die Farben rosa, blau und grün. Die unterschiedlichen
Farben können, im Gegensatz zu den Halogeniden des Eisen(III)-Ions, nicht mit Charge-
Transfer-Übergängen im Sichtbaren erklärt werden. Dafür hat das Metallzentrum nicht die
richtige Oxidationsstufe. Abgesehen vom Fluorid gibt es die entsprechenden Cobalt(III)-
Salze aus den gleichen Gründen wie für das Eisen(III)-iodid nicht als stabile Verbindungen.
Auch die Reihe CuF2 , CuCl2 , CuBr2 und CuI2 zeigt die für die Halogenide des Eisen(III)-
Ions besprochenen Phänomene bis hin zum Zerfall des Iodides zu Iod und Kupfer(I)-iodid.
Das Cobalt(II)-Ion hat in allen Salzen die gleiche Koordinationsumgebung, die Koordi-
nationszahl ist 6, es befindet sich in den Oktaederlücken der dicht bzw. dichtest gepack-
ten Anionen. Wenn wir nun die unterschiedlichen Packungsmuster außer acht lassen, ist
der einzige Parameter, der sich kontinuierlich ändert, die Größe des Anions. Wir können
88 5 Farbigkeit von Koordinationsverbindungen
nun davon ausgehen, dass mit zunehmendem Ionenradius die Oktaederlücke größer wird.
Da unser Cobalt(II)-Ion immer die gleiche Größe hat, führt das zu einer Verlängerung des
Cobalt-Halogenid-Abstandes, den wir mit dem Metall-Ligand-Abstand gleichsetzten. Infol-
gedessen sollte bei den Cobalthalogeniden mit zunehmenden Ionenradius für das Anion die
Aufspaltung der d-Orbitale für das Cobalt (oktaedrisches Ligandenfeld) kleiner werden.
Betrachten wir die Komplementärfarben der Halogenide – grün für das Fluorid (wir sehen
rosa), orange für das Chlorid (wir sehen blau) und rot für das Bromid (wir sehen grün),
dann nimmt in der Tat die Wellenlänge der absorbierten Strahlung zu. Das absorbierte Licht
hat immer weniger Energie, die Aufspaltung der d-Orbitale wird immer kleiner. Der glei-
che Effekt ist für die rote Farbe vom Rubin – eine mit Chrom(III)-Ionen dotierte (1–8 %)
α-Al2 O2 -Struktur – verantwortlich. Der Ionenradius vom Chrom(III)-Ion ist mit 0.755 Å
größer als der vom Aluminium(III)-Ion mit 0,675 Å. Chrom(III)-Verbindungen sind häufig
grün, ein gutes Beispiel ist Cr2 O3 , das ebenfalls in der α-Al2 O2 -Struktur vorliegt. Beim
grünen Chrom(III)-oxid wird Licht im roten Wellenlängenbereich absorbiert. Im Rubin ist
aufgrund des kleineren Ionenradius vom Aluminium(III)-Ion der Metall-Ligand-Abstand
für das Chrom(III)-Ion kürzer und dementsprechend die energetische Aufspaltung der d-
Orbitale größer. Hier wird das Licht im kürzerwelligen grünen Bereich absorbiert und wir
sehen die dazu gehörende rote Komplementärfarbe.
Wir kommen zurück zu den Eisen(II)-Komplexen und betrachten die Absorptionsspek-
tren des Spin-Crossover-Komplexes [Fe(ptz)6 ](BF4 )2 bei 295 K (HS-Zustand) und 20 K
(LS-Zustand), die in Abb. 5.7 gegeben sind [19]. Im HS-Zustand ist der Komplex farblos.
Im UV-Vis-Spektrum wird eine Bande bei 820 nm (12195 cm−1 ) beobachtet. Der Übergang
ist im Prinzip mit dem d–d-Übergang des Titan(III)-Ions vergleichbar, mit dem Unterschied,
dass fünf weitere d-Elektronen vorhanden sind. Da der HS-Zustand vorliegt, sind die fünf
Elektronen gleichmäßig auf die fünf d-Orbitale verteilt und das sechste Elektron befindet
sich im Grundzustand in einem der drei t2g -Orbitale. Durch Lichtabsorption wird ein ange-
regter Zustand erreicht, bei dem eines der energetisch angehobenen eg -Orbitale besetzt wird.
Im LS-Zustand ist der Komplex aufgrund des bereits besprochenen Farbwechsels rot. Im
Absorptionsspektrum wird eine dazu gehörende Bande bei 514.5 nm (19436 cm−1 ) beobach-
tet. Allerdings ist direkt daneben eine zweite, ähnlich intensive Bande bei höherer Energie
(kürzere Wellenlänge bzw. größere Wellenzahl) zu sehen. Der Grund dafür ist die bereits
angekündigte Wechselwirkung der Metallelektronen untereinander, der Racah-Parameter B.
Um das zu verstehen, müssen wir uns die Elektronenkonfiguration des angeregten Zustan-
des genauer ansehen. Beim Eisen(II)-Komplex im LS-Zustand sind die sechs Elektronen in
den drei t2g -Orbitalen, die jeweils doppelt besetzt sind. Wird nun ein Elektron z. B. aus dem
dxy -Orbital angeregt, kann es im angeregten Zustand im dx 2 −y 2 -Orbital oder im dz 2 -Orbital
untergebracht sein. Auf dem ersten Blick scheint das egal zu sein. Das ist jedoch nicht der
Fall. Das dx 2 −y 2 -Orbital befindet sich genauso wie das dxy -Orbital in der x-y-Ebene, während
beim dz 2 -Orbital die Vorzugsrichtung entlang der z-Achse ist. Wird dieses besetzt, kommt es
zu einer erhöhten Abstoßung zwischen den Elektronen in den d-Orbitalen mit z-Anteil – der
so gebildete angeregte Zustand liegt energetisch höher als die Variante, bei der das dx 2 −y 2 -
5.4 d–d-Übergänge und die Bestimmung von O 89
40 40
293 K 20 K
1 1
30 30 A1 T1
[I/mol cm]
[I/mol cm]
5 5
T2 E
20 820.0 nm 20
514.5 nm
10 10
1 1
A1 T2
0 0
10000 20000 30000 10000 20000 30000
Wellenzahl ∼ [cm ] Wellenzahl ∼ [cm ]
-1 -1
Orbital besetzt wird und sich die Abstoßung zwischen den Elektronen der d-Orbitale nicht
signifikant ändert. Um trotzdem aus den Spektren die Ligandenfeldaufspaltungsenergie zu
bestimmen, benötigen wir die Tanabe-Sugano-Diagramme.
5.4.1 Tanabe-Sugano-Diagramme
Die bisher aufgeführten Beispiele haben gezeigt, dass die auf d–d-Übergängen beruhende
Farbe von Komplexen gemäß dem Zusammenhang h · ν = E von der Energiedifferenz
zwischen den d-Orbitalen, d. h. von der Ligandenfeldaufspaltung O abhängt. Aus den UV-
Vis-Spektren von Komplexen kann ν und damit E bestimmt werden. Das ist allerdings
nicht so einfach, wie es auf den ersten Blick aussieht, weil bei Komplexen mit mehr als einem
d-Elektron verschiedene elektronische Übergänge stattfinden, die zu mehreren Banden mit
unterschiedlichen ν führen. Um die Zuordnung zu ermöglichen, berechneten Tanabe und
Sugano in den 1950er Jahren die Abhängigkeit der Termenergien oktaedrischer Komplexe
von der Ligandenfeldstärke. Ihre Ergebnisse stellten sie in Diagrammen dar, in denen die
Ligandenfeldstärke und Termenergie in Einheiten des effektiven Racah-Parameters B gege-
ben ist. In diesen Tanabe-Sugano-Diagrammen mit ihrer Auftragung von E/B gegen /B
sind nicht die Termenergien selbst, sondern die Differenzen zur Energie des Grundzustandes
angegeben. Die Energie des Grundzustandes entspricht also immer der x-Achse!
Um die Diagramme zu verstehen, müssen wir uns zunächst mit dem bereits im Kap. 4
eingeführten Term-Begriff beschäftigen.
Terme und Spalt-Terme Die Elektronenkonfiguration beschreibt den elektronischen
Zustand eines Ions häufig nur unvollständig. Dies kommt daher, dass eine bestimmte Kon-
figuration zu mehreren atomaren Mikrozuständen führen kann, die sich in ihrer Energie
gleichen oder unterscheiden, je nachdem, ob die Elektronen-Elektronen-Abstoßung gleich
90 5 Farbigkeit von Koordinationsverbindungen
10000
Energie 5
E
[cm-1]
5 crit 1
5
T2 A1
D 0 X
oder unterschiedlich groß ist. Bei einer bestimmten Konfiguration können z. B. Orbitale mit
unterschiedlicher Bahndrehimpuls-Orientierung (charakterisiert durch eine unterschiedliche
magnetische Bahndrehimpulsquantenzahl ml ) besetzt werden. Zusätzlich sind auch unter-
schiedliche Spin-Orientierungen (charakterisiert durch die magnetische Spinquantenzahl
ms ) möglich. Eine Gruppe von Mikrozuständen mit den gleichen Werten für den Gesamt-
bahndrehimpuls L und Gesamtspin S, die zu einer bestimmten Konfiguration gehören,
bezeichnet man als Term. Zu einer gegebenen Gesamtbahndrehimpulsquantenzahl L gehö-
ren 2L +1 Zustände, die Werte zwischen –L und L annehmen. Im Tanabe-Sugano-Diagramm
in Abb. 5.8 ist ganz links bei 10 Dq = 0 der feldfreie Zustand eines d6 -Ions gegeben. Der
Grundzustand hat das Termsymbol 5 D. D steht für den Gesamtbahndrehimpuls L = 2, das
heißt, der Zustand ist fünffach bahnentartet. Die hochgestellte Zahl 5 steht für die Mul-
tiplizität 2S + 1, das heißt, der Gesamtspin des Systems ist 2 (oder 24 = vier ungepaarte
Elektronen). Die genauen Regeln für die Bestimmung der Termsymbole wurden bereits im
Abschn. 4 vorgestellt. In der Tat gibt es fünf Möglichkeiten, die sechs d-Elektronen auf die
fünf d-Orbitale unter diesen Vorgaben anzuordnen, wie in Abb. 5.9 links gegeben.
Wird das Ion in ein Ligandenfeld gebracht, spalten die Terme zusätzlich zu den Spalt-
Termen auf, deren Energie in Abhängigkeit von in den Tanabe-Sugano-Diagrammen
gegeben ist. Wenn wir beim Eisen(II)-Ion im oktaedrischen Ligandenfeld bleiben, dann
stellen wir fest, dass es für den HS-Zustand einmal drei und einmal zwei Mikrozustände
gleicher Energie gibt. Diese lassen sich zu Spalt-Termen zusammenfassen. Hier gibt das
Termsymbol den Entartungsgrad an. Terme des Typs T sind dreifach entartet, A bezeich-
net einen nicht entarteten Zustand und E einen zweifach entarteten Zustand. Oben links
wird wieder die Multiplizität angegeben, die sich nicht ändert. Durch die Aufspaltung der
5.4 d–d-Übergänge und die Bestimmung von O 91
x2–y2z2 xy xz yz
ml 2 0 –2 1 –1
L
.
x2–y2z2 xy xz yz .
ml 2 0 –2 1 –1 .
L –2
2
5
E –1 1
T2
0
–3
5
D –2 1
I
0
5
1 T2
1
–5 T1
–1
–3
1
–4 A1
Abb. 5.9 Mikrozustände des Eisen(II)-Ions im high-spin- (links) und low-spin- (rechts) Zustand
mit dazugehörendem Termsymbol und Spalttermen. Für den low-spin-Zustand sind nur die für die
folgende Diskussion relevanten Mikrozustände und Spalt-Terme gegeben
d-Orbitale im Ligandenfeld gehören die drei Mikrozustände, bei denen das sechste Elektron
in einem der energetisch günstigeren t2g -Orbitale untergebracht ist, zum Grundzustand 5 T2 .
Die anderen beiden Mikrozustände, bei denen das sechste Elektron in einem der beiden ener-
getisch höher liegenden eg -Orbitale untergebracht ist, gehören zu dem angeregten Zustand
5 E.
Beim Überschreiten einer kritischen Ligandenfeldstärke crit ist nicht mehr der 5 T2 -
Zustand der Grundzustand, sondern der 1 A1 -Zustand. Dieser Spalt-Term gehört zum feld-
freien Term 1 I. I entspricht einem Gesamtbahndrehimpuls von L = 6, das heißt, dieser Zustand
ist 13-fach entartet. Hier ist der aufmerksame Leser gefordert, die 13 Mikrozustände aufzu-
schreiben. Für die weitere Diskussion benötigen wir nur die in Abb. 5.9 rechts gegebenen
sieben, die sich aus dem 1 A1 -Grundzustand und den angeregten Zuständen 1 T1 und 1 T2
zusammensetzen.
In allen drei Fällen ist der Gesamtspin S = 0. Im feldfreien Zustand liegen diese Terme
energetisch über dem 5 D-Term, da hier die Spinpaarungsenergie aufgebracht werden muss.
Wie schon erwähnt, ist 1 A1 bei einer hohen Ligandenfeldaufspaltung der Grundzustand,
die beiden anderen Zustände sind angeregte Zustände, bei denen jeweils ein Elektron aus
einem t2g -Orbital in ein eg -Orbital angehoben wurde. 1 T2 liegt energetisch über 1 T1 , da es
hier zu der bereits diskutierten zusätzlichen Abstoßung zwischen den Elektronen räumlich
nahe liegender d-Orbitale kommt (z. B. xy und x 2 − y 2 ). Aus diesem Grund berücksichtigen
die Tanabe-Sugano Diagramme beide Parameter, die Ligandenfeldaufspaltung O und den
Racah-Parameter B.
92 5 Farbigkeit von Koordinationsverbindungen
Als abschließendes Beispiel betrachten wir die beiden Cobalt(III)-Komplexe trans- und cis-
[CoCl2 (en)2 ]Cl. In Abb. 5.10 ist das UV-Vis-Spektrum der beiden Komplexe und ein Bild der
beiden Lösungen gegeben. Das Cobalt(III)-Ion ist auch ein 3d6 -System und beide Isomere
liegen im low-spin-Zustand vor. Die Ähnlichkeit zum Eisen(II)-Komplex [Fe(ptz)6 ](BF4 )2
im low-spin-Zustand ist besonders für die cis-Form gut zu sehen (vgl. Abb. 5.10 und
Abb. 5.7). Die Farbe der beiden Komplexe ist sehr ähnlich und auch die UV-Vis-Spektren
ähneln sich sehr stark, was die Anzahl und Lage der Banden betrifft. Im Vergleich dazu sind
die Banden beim grünen trans-[CoCl2 (en)2 ]Cl deutlich hin zu größeren Wellenlängen ver-
schoben. Anscheinend bewirken die beiden trans-ständigen Chlorido-Liganden eine etwas
kleinere Aufspaltung O . Ein weiterer auffälliger Unterschied ist die Intensität der Banden.
Der cis-Komplex hat einen größeren Absorptionskoeffizienten als der entsprechende trans-
Komplex. Dieser Unterschied lässt sich mit der Symmetrie der beiden Isomere erklären.
Beim Übergang von trans zu cis wird das Inversionszentrum am Metallzentrum aufgeho-
ben. Obwohl es sich um einen oktaedrischen Komplex handelt, ist der Übergang zumindest
nach der 2. Abfrage Laporte-Erlaubt und hat dementsprechend einen höheren Extinktions-
koeffizienten als der trans-Komplex.
5.5 Fragen 93
trans-[CoCl2(en)2]Cl A A
cis-[CoCl2(en)2]Cl
i B i B
B B
M B M B
Absorption
A B
B A
cis trans
300 400 500 600 700 800
Abb. 5.10 UV-Vis-Spektrum und Foto einer wäßrigen Lösung des grünen Komplexes trans-
[CoCl2 (en)2 ]Cl. Wenn die Lösung für 5 min auf 70 ◦ C erwärmt wird, entsteht der rote Komplex
cis-[CoCl2 (en)2 ]Cl, der dann auch nach dem abkühlen bei Raumtemperatur stabil ist
5.5 Fragen
1. Warum ist [Fe(H2 O)6 ]3+ farblos und [Fe(H2 O)6 ]2+ blassgrün?
2. Warum unterscheiden sich die Farbe und Intensität von Co2+ in wässriger Lösung (rosa,
Hexaaquacobalt(II)) und in konzentrierter Salzsäure (blau, Tetrachloridocobaltat(II))?
3. Zur Maskierung von Fe3+ benutzt man Fluorid-Ionen. Was passiert?
4. Eine wässrige Lösung von Cu2+ ist blassblau, bei der Zugabe von NH3 wird sie tiefblau.
Erklären Sie die Beobachtung!
5. Bestimmen Sie das Termsymbol und die möglichen Spalt-Terme vom Grundzustand
eines d2 -Systems im oktaedrischen Ligandenfeld.
Stabilität von Koordinationsverbindungen
6
Bei der Beschreibung der Liganden und ihrer Komplexe ist schon mehrmals der Begriff
Stabilität gefallen, sodass wir uns in diesem Kapitel die Frage stellen:
Was bedeutet „ein Komplex ist stabil“?
Die unterschiedliche Stabilität von Komplexen machen wir uns an der Reaktion von
Eisen(III)-Ionen mit den Liganden Chlorid, Thiocyanat und Fluorid in Wasser klar. Dazu
wird eine Lösung von Eisen(III)-nitrat (es liegen die Kationen [Fe(H2 O)5 (OH)]2+ und
[Fe(H2 O)6 ]3+ vor, die Lösung ist gelblich) mit verd. Salpetersäure angesäuert, um den
farblosen aqua-Komplex [Fe(H2 O)6 ]3+ zu erhalten. Bei der Zugabe von Chlorid-Ionen
(konz. HCl) wird die Lösung gelb. Es findet ein Ligandenaustausch statt und die Katio-
nen [FeCln (H2 O)6-n ]3-n mit n = 1–3 entstehen (Abb. 6.1 links). Nun wird zu einem Teil der
Lösung etwas Ammoniumthiocyanat-Lösung gegeben. Die Lösung wird tiefrot. In der Mitte
von Abb. 6.1 ist eine stark verdünnte Lösung gezeigt, bei der die rote Farbe gut zu erkennen
ist. Bei der Zugabe der Thiocyanat-Ionen findet ein Ligandenaustausch statt, bei dem die
Chlorid-Ionen durch Thiocyanat ersetzt werden und die Komplexe [Fe(H2 O)6-n (SCN)n ]3-n
mit n = 1–3 entstehen. Zu dieser Lösung gibt man jetzt eine Spatelspitze Natriumfluorid und
nach kurzem Umrühren wird die Lösung wieder farblos (Abb. 6.1 rechts). Der entstandene
Hexafluoridoferrat(III)-Komplex ist sehr stabil und wird in der Analytik zum „Maskieren“
von Eisen(III)-Ionen eingesetzt.
Um die beschriebenen Farbumschläge zu verstehen, betrachten wir die einzelnen Reak-
tionsgleichungen zu den gerade beschriebenen Vorgängen. Bereits bei der ersten Gleichung
wird eine Frage aufgeworfen, die es zu beantworten gilt.
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Springer Nature 2021
B. Weber, Koordinationschemie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-63819-4_6
96 6 Stabilität von Koordinationsverbindungen
Sie bewirkt, das Al(OH)3 amphother ist und Fe(OH)3 nicht. Der pK S -Wert des gebundenen
Wassers hängt dabei nicht ausschließlich von der Lewis-Säure-Stärke ab. Ein Element ist
umso Lewis-saurer, je positiver geladen und kleiner (Radius) es ist. Dementsprechend ist
ein Element umso Lewis-basischer, je negativer und kleiner es ist. Die positive Ladung der
beiden Ionen ist gleich, sie sind beide dreiwertig. Der Ionenradius von Aluminium ist kleiner
als der von Eisen (für KZ 6: 0.675 Å vs. 0.785 Å), Aluminium ist die stärkere Lewis-Säure.
Wir kommen zurück zur Stabilität von Komplexen und betrachten die folgenden Reak-
tionsgleichungen. Dabei gehen wir davon aus, dass die Menge der eingesetzten Liganden
gleich ist.
Das Experiment hat gezeigt, dass bei den Eisen(III)-Komplexen die Stabilität in Wasser in
Abhängigkeit vom Liganden in der Reihenfolge H2 O < Cl− < SCN− < F− zunimmt.
Einen Zahlenwert für direkte Vergleiche liefert die Komplexbildungskonstante K B . Sie ist
der Quotient aus der Konzentration der Produkte und der Konzentration der Edukte. Die
allgemeine Formel (für einen oktaedrischen Komplex) lautet:
In Abb. 6.2 ist ein Beispiel für solch eine UV-Vis-Titration gegeben. Sie zeigt die Spektren für
die Titration eines Eisen(III)-Komplexes mit einem makrocyclischen vierzähnigen Liganden
und zwei einzähnigen Liganden. Die beiden einzähnigen Liganden können schrittweise
ausgetauscht werden. Auf der rechten Seite ist die Molekülstruktur solcher Komplexe zur
Veranschaulichung gegeben.
NO2
1,25 [FeL1(MeOH)2]+ Fe
758
[FeL1(NO2)2]
1,00
Na
716
NO2
0,75
Abs.
528
NO2
0,50
0,25
Fe
0,00 N Fe
500 600 700 800 O Na
Wellenlänge [nm] H 2O C H
Abb. 6.2 UV-Vis-Spektren für die Titration von [FeL1(MeOH)2 ]+ mit Nitrit. Es erfolgt ein suk-
zessiver Austausch von Methanol gegen Nitrit. Dabei entsteht zunächst der neutrale Komplex
[FeL1(MeOH)(NO2 )] und dann der Komplex [FeL1(NO2 )2 ]− . L1 ist ein makrocyclischer Ligand.
Auf der rechten Seite ist die Molekülstruktur eines analogen Komplexes mit zwei Nitrit (oben) und
einem Nitrit und einem Wasser (unten) als Liganden gegeben [20]
6.1 Was ist ein stabiler Komplex? 99
Tab. 6.1 Relative Härte einiger Ionen und Donor-Atome für die Abschätzung von Komplexstabili-
täten nach dem HSAB-Prinzip
Hart Mittel Weich
Kationen H+
Li+ , Be2+ , B3+ , C4+ , Fe2+ Ni2+ , Cu+ , Zn2+ ,
Ga3+ , Ge2+
Na+ , Mg2+ , Al3+ , Mn2+ Pd2+ , Ag+ , Cd2+ ,
Si4+ , In3+ , Sn2+
K+ , Ca2+ , Sc3+ , Pt2+ , Au+ , Hg2+ ,
Ti4+ , Tl3+ , Pb2+
(keine d-Elektronen) (wenig d-Elektronen) d8 /d10
Donoratome F, O N, Cl Br, H− , S, C, I, Se, P
Lewis-Säuren mit weichen Lewis-Basen. Bei der Kombination hart + hart dominieren elek-
trostatische Wechselwirkungen die Bindung. Die Bindung hat einen ausgeprägten ionischen
Charakter. Ein gutes Beispiel hierfür ist das schwer lösliche CaF2 . Bei der Kombination
weich + weich hat die Bindung mehr kovalenten Charakter, wie z. B. beim schwer lösli-
chen HgI2 . Die geringe Löslichkeit von Salzen steht für starke attraktive Wechselwirkun-
gen zwischen den Anionen und Kationen, also den Lewis-Basen und Lewis-Säuren. Die
gleichen Trends wie für die Komplexbildung werden beobachtet. Auch bevorzugte Koor-
dinationszahlen und Koordinationspolyeder von Komplexen lassen sich erklären. Das harte
Natrium-Ion bevorzugt die weit verbreitete Koordinationszahl 6 mit oktaedrischer Koordi-
nationsumgebung. Das weiche Kupfer(I)-Ion bildet bevorzugt Bindungen mit kovalenten
Bindungsanteilen aus. Aus diesem Grund ist die bevorzugte Koordinationszahl 4 mit einem
Tetraeder als Koordinationspolyeder. Dies kann damit erklärt werden, dass nur vier Orbi-
tale zur Ausbildung einer Bindung zur Verfügung stehen – ein leeres s- und die drei leeren
p-Orbitale.
Unser Versuch mit Eisen(III)-Ionen bestätigt die aufgeführten Trends: Das harte
Eisen(III)-Ion bildet mit den relativ weichen Chlorid-Liganden keine stabilen Komplexe,
sodass dieser sich leicht durch das etwas härtere Thiocyanat (N-Donor) verdrängen lässt.
Noch stabiler sind die Komplexe allerdings mit dem sehr harten Fluorid-Ion.
Ein gutes, im Praktikum zur qualitativen Analyse vorkommendes Beispiel für das
HSAB-Konzept, sind die Nachweisreaktionen für die Halogenid-Ionen. Hier kann die unter-
schiedliche Löslichkeit der Silberhalogenide über das HSAB-Prinzip erklärt werden. Das
Löslichkeitsprodukt sinkt von Silberfluorid (gut löslich) über Silberchlorid und Silberbromid
bis hin zum Silberiodid (immer schlechter löslich) und spiegelt die zunehmende Weichheit
der Halogenid-Anionen wieder (das Ag(I)-Ion ist sehr weich!). Das merkt man, wenn man
versucht die Niederschläge wieder aufzulösen, was im Falle des Chlorids mit verdünntem
und beim Bromid mit konzentriertem Ammoniak (unter Komplexbildung, siehe Kap. 1)
möglich ist. Für das Iodid muss man zu einem stärkeren Komplexbildner, dem Thiosulfat
(das auch als Fixiersalz in der Schwarz-Weiß-Fotografie bekannt ist), greifen.
6.2 Thermodynamische Stabilität und Inertheit von Komplexen 101
Wenn wir über die Stabilität von Komplexen sprechen, dann beziehen wir uns i. d. R. auf
ihre Beständigkeit gegenüber der Substitution von Liganden. Andere Alternativen, z. B. der
spontane Zerfall in die Elemente, werden nicht in Betracht gezogen. Ligandenaustausch-
reaktionen sind i. d. R. Gleichgewichtsreaktionen und eine wichtige Frage, die sich beim
Betrachten solcher Reaktionen stellt, ist, auf welcher Seite das Gleichgewicht liegt, oder
anders gesagt, ob die Reaktion abläuft oder nicht. Bisher haben wir diese Frage mathe-
matisch mit der Komplexbildungskonstante beschrieben und die Stabilität der Komplexe
mit dem HSAB-Prinzip grob verglichen. Um diese Frage im Detail zu beantworten, muss
man zwischen der thermodynamischen Stabilität und der Inertheit bzw. Beständigkeit von
Komplexen unterscheiden. Die Frage nach der thermodynamischen Stabilität gibt Auskunft
darüber, ob eine Reaktion in die gewünschte Richtung abläuft. Zur Beantwortung dieser
Frage können wir die Komplexbildungskonstante bestimmen oder das HSAB-Prinzip her-
anziehen. Die Frage nach der Inertheit sagt etwas über die Aktivierungsenthalpie aus, die
überwunden werden muss, damit die Reaktion überhaupt abläuft. Bei den bisher beschrie-
benen Beispielen wurde dieser Aspekt vernachlässigt. In Abb. 6.3 ist der Unterschied dar-
gestellt. Damit die Reaktion zwischen A und B (oder für die Rückreaktion zwischen C und
D) überhaupt stattfindet, muss eine Energiebarriere überwunden werden, die Aktivierungs-
energie bzw. Aktivierungsenthalpie E A bzw. ΔG ∗ . Die Höhe der Energiebarriere beeinflusst
die Reaktionsgeschwindigkeit, die temperaturabhängig ist. Dieser Zusammenhang ist in der
Arrhenius-Gleichung gegeben.
−E A
k = A×e RT
EA
G0
A+B C+D
Abb. 6.3 Reaktionsschema für die Reaktion von A + B zu C und D. Damit die Reaktion stattfinden
kann, muss die Aktivierungsenergie E A (oft auch als ΔG ∗ bezeichnet) überwunden werden. Die
Höhe dieser Energiebarriere beeinflusst die Reaktionsgeschwindigkeit. Ob das Gleichgewicht auf
der Seite der Produkte (C und D) oder der Edukte (A und B) liegt, hängt von der freien Energie ΔG 0
ab. Ist der Wert negativ, dann ist die Reaktion exergon und das Gleichgewicht liegt auf der Seite der
Produkte. Ist der Wert positiv, dann ist die Reaktion endergon und das Gleichgewicht liegt auf der
Seite der Edukte. Der häufig verwendete Begriff endotherm beschreibt eine Reaktion, die nur unter
Energiezufuhr abläuft
102 6 Stabilität von Koordinationsverbindungen
mehrere Tage, d. h. kinetisch ist der Komplex hinsichtlich der sauren Hydrolyse relativ stabil.
Der Grund dafür ist, dass es keinen günstigen Weg für diese Reaktion gibt. Substitutions-
reaktionen an Komplexen können nach einem S N 1- oder S N 2-Mechanismus ablaufen. Bei
Ersterem ist der geschwindigkeitsbestimmende Schritt die Abgabe eines Liganden, um so
eine freie Koordinationsstelle für einen neuen Liganden zu schaffen (dissoziativer Mecha-
nismus). Die zweite Variante ist, dass erst unter Erhöhung der Koordinationszahl ein wei-
terer Ligand angelagert wird (geschwindigkeitsbestimmend) und dann ein Ligand austritt,
um wieder zur ursprünglichen Koordinationszahl zu kommen (assoziativer Mechanismus).
Der Ligandenaustausch am Cobalt erfordert eine vorübergehende Änderung der Koordina-
tionszahl am Metallzentrum. Bei der ersten Variante wird die Koordinationszahl am Cobalt
vorübergehend auf fünf erniedrigt, beim zweiten vorübergehend auf sieben erhöht. Das
Cobalt(III)-Ion hat als d6 -Ion im low-spin-Zustand eine besonders hohe Ligandenfeldsta-
bilisierungsenergie, die dafür z. T. überwunden werden muss. Die Aktivierungsenergie ist
sehr hoch und die Reaktion nur sehr langsam.
Den Einfluss der Ligandenfeldstabilisierungsenergie auf die kinetische Stabilität der Kom-
plexe zeigt auch folgende Reihe. Cyanido-Komplexe sind thermodynamisch sehr stabil, sie
können jedoch eine unterschiedliche kinetische Stabilität besitzen. Ob die Komplexe kine-
tisch labil (schneller Ligandenaustausch mit anderen Cyanid-Liganden) oder kinetisch stabil
(sehr langsamer Ligandenaustausch) sind, lässt sich durch den Einbau von markiertem Cya-
nid (z. B. 14 C, radioaktiv, oder 13 C bzw. 15 N, für NMR-Experimente) nachweisen. So wurden
die Halbwertszeiten für den CN− -Austausch bei [Ni(CN)4 ]2− (30 s), [Mn(CN)6 ]3− (1 h) und
[Cr(CN)6 ]3− (24 d) bestimmt. Die sehr kurze Halbwertszeit vom Nickel-Komplex lässt sich
durch die Möglichkeit der Koordinationszahlerhöhung von 4 auf 5 erklären. Hier findet also
ein Additions-Eliminierungs-Mechanismus statt. Beim oktaedrischen Chrom(III)-Komplex,
ein d3 -Ion, ist die kinetische Stabilität wieder mit der hohen Ligandenfeldstabilisierungs-
energie zu erklären. Hier sind die energetisch tiefer liegenden t2g-Orbitale halb besetzt und
die Abweichung von der idealen Oktaeder-Geometrie führt zum Energieverlust. Der ent-
sprechende Mangan-Komplex hat als d4 -Ion bereits eine verzerrte Geometrie (siehe Jahn-
Teller-Effekt) und der Ligandenaustausch verläuft schneller. Die kinetische Stabilität kann
(muss aber nicht) Hinweise auf den Reaktionsmechanismus und die Aktivierungsenergie
liefern.
Komplexe mit mehrzähnigen Liganden (sogenannte Chelatliganden mit den daraus resultie-
renden Chelatkomplexen) sind stabiler als Komplexe mit vergleichbaren einzähnigen Ligan-
den. Dieses als Chelat-Effekt bezeichnete Phänomen soll im Folgenden näher betrachtet
werten.
104 6 Stabilität von Koordinationsverbindungen
Als Beispiel betrachten wir die Reaktion von Cd2+ mit dem einzähnigen Methylamin
bzw. dem zweizähnigen Ethylendiamin als Liganden. Die Komplexbildungskonstante für die
Reaktion (b) mit Ethylendiamin ist deutlich größer als für (a) mit den einzähnigen Liganden.
[Cd(H2 O)6 ]2+ + 4 NH2 Me [Cd(NH2 Me)4 (H2 O)2 ]2+ + 4 H2 O (a)
2+ 2+
[Cd(H2 O)6 ] + 2 en [Cd(en)2 (H2 O)2 ] + 4 H2 O (b)
K B (b) >> K B (a)
Die Stabilität von Chelatkomplexen kann sowohl über kinetische (Inertheit) wie auch
thermodynamische Aspekte erklärt werden. Für die kinetische Stabilität kann man sich vor-
stellen, dass bei Chelatliganden durch die Koordination des ersten Donoratoms am Metall-
zentrum das Zweite (und alle weiteren) in die räumliche Nähe des Metallzentrums kommen
und dadurch schneller koordinieren. Wenn wir bei dem in Abb. 6.3 gezeigten Schema blei-
ben, bedeutet es, dass die Aktivierungsenergie für die Koordination des zweiten Donoratoms
herabgesetzt wird. Diese Argumentation erschwert auch den Ligandenaustausch, weil beide
(bzw. alle) Bindungen zwischen Metallzentrum und Ligand gebrochen werden müssen,
bevor der Ligand abdissoziieren kann. Die Stabilität des Komplexes erhöht sich.
Für thermodynamisch stabile Komplexe gilt: die freie Energie ΔG 0 der Reaktion ist
negativ. Wenn man die Gibbs-Helmholtz-Gleichung
ΔG 0 = ΔH 0 − T ΔS 0
betrachtet, dann stellt man fest, dass für das Erreichen dieser Bedingung zwei Faktoren
eine Rolle spielen. Der Erste ist ΔH 0 < 0, das entspricht einer exothermen Komplexbil-
dungsreaktion, während bei der zweiten Variante: ΔS 0 > 0 eine Entropiezunahme bei der
Komplexbildung stattfindet. Die in der Beispielreaktion gegebenen Liganden Methylamin
und Ethylendiamin sind sich in Bezug auf ihre Stellung in der spektrochemischen Reihe
sehr ähnlich, sodass ΔH 0 in beiden Fällen zunächst einmal vergleichbar ist. Vergleicht man
die Reaktionsgleichungen (a) und (b), dann stellt man fest, dass bei (a) die Teilchenzahl auf
beiden Seiten des Gleichgewichtes gleich ist, während bei (b) die Teilchenzahl bei Komplex-
bildung mit einem Chelatliganden von 3 auf 5 erhöht wird. Dadurch erhöht sich die Entropie
(die Unordnung) des Systems, was mit einem (zusätzlichen) Energiegewinn verbunden ist
(ΔS 0 > 0). Aufgrund der Entropiezunahme sind Chelatkomplexe thermodynamisch stabiler
als analoge Komplexe mit einzähnigen Liganden.
In Abb. 6.4 sind die Komplexbildungskonstanten von Kupferkomplexen mit vier ein-
zähnigen (NH3 ), zwei zweizähnigen (en = 1,2-Diaminoethan), einem offenkettigen vier-
zähnigen (trien = Triethylentetraamin) und einem makrocyclischen vierzähnigen (taa =
Tetraaza[12]annulen) Liganden gegeben. Wir sehen, dass sich mit zunehmender Anzahl von
Donoratomen pro Liganden die Komplexbildungskonstante erhöht. Der gebildete Komplex
ist immer stabiler und unsere bisherige Argumentation wird bestätigt. Vergleicht man die
6.3 Der Chelat-Effekt 105
2+ 2+ 2+ 2+
H2O
H2N NH2 H2N NH HN NH
NH3
H3N Cu Cu Cu Cu
NH3
H3N
H2N NH2 H2N NH HN NH
H2O
2+ 2+ 2+ 2+
[Cu(NH3)4(H2O)2] [Cu(en)2] [Cu(trien)] [Cu(taa)]
13,0 19,6 20,1 23,3
KB KB KB KB
Abb. 6.4 Komplexbildungskonstanten für die Reaktion von [Cu(H2 O)6 ]2+ mit 4 NH3 , 2 en,
1 trien bzw. taa = Tetraaza[12]annulen. Aus Gründen der Übersichtlichkeit wurde nur für
[Cu(NH3 )4 (H2 O)2 ]2+ die ggf. noch koordinierten Wasserliganden mit eingezeichnet
Zunahme der Komplexbildungskonstanten, dann fällt auf, dass von Ammoniak (NH3 ) zu
Ethylendiamin (en) die Zunahme der Stabilität deutlich größer ist als beim zweiten Schritt
(en → trien). Das ist darauf zurückzuführen, dass bei dieser Reihung die Enthalpie nicht
außer acht gelassen werden kann. Durch die Alkylierung der Stickstoff-Liganden wird die
Basenstärke leicht erhöht, was sich in der Ligandenfeldaufspaltung widerspiegelt und die
Stabilität des Chelatkomplexes weiter erhöht. Ein weiterer Aspekt ist die Herabsetzung
der sterischen Ligand-Ligand-Wechselwirkung. Bei dem Komplex mit vier Ammoniak-
Liganden finden abstoßende Wechselwirkungen zwischen den Liganden statt. Durch das
Einführen einer kovalenten Verbrückung werden diese Wechselwirkungen, die die Kom-
plexstabilität erniedrigen, unterbunden. Dieser Effekt spielt auch bei den weiter oben bespro-
chenen Cadmiumkomplexen eine Rolle. Beides sind reine Enthalpie-Effekte, die ebenfalls
zur Stabilität von Chelatkomplexen beitragen.
Wenn wir die beiden Komplexe mit vierzähnigen Liganden vergleichen, [Cu(trien)]2+
und [Cu(taa)]2+ , dann stellen wir fest, dass für den makrocyclischen Liganden taa sich die
Komplexstabilität noch einmal zusätzlich erhöht. Die erhöhte Stabilität eines Komplexes
mit makrocyclischen Liganden gegenüber einem vergleichbaren Komplex mit offenketti-
gen Liganden wird als makrocyclischer Effekt bezeichnet. Hier spielt die eingangs erwähnte
Teilchenzahl keine Rolle und einen wichtigen Beitrag zur erhöhten Stabilität des Systems lie-
fern v. a. die Präorganisation des Liganden und die bereits diskutierten, bei makrocyclischen
Liganden fehlenden, abstoßenden Wechselwirkungen. Bei einem makrocyclischen Liganden
sind alle Donoratome bereits optimal für die Koordination des Metallzentrums angeordnet.
Ein offenkettiger Ligand hat in Lösung eher eine lineare Struktur, bei der die Donoratome
in verschiedene Richtungen zeigen können. Bei der Koordination an das Metallzentrum
muss sich der Ligand umorientieren, wofür Energie benötigt wird. Der freie offenkettige
Ligand besitzt in Lösung mehr Freiheitsgrade, z. B. bezüglich der Rotation um einzelne
106 6 Stabilität von Koordinationsverbindungen
2+
2+
H 2N NH2 H 2N H2 N NH2
Cu + 2 Cu + 2 en
H 2N
H 2N NH2 H 2N NH2
Abb. 6.5 Vergleich der Stabilität von 5-Ringen und 6-Ringen bei Kupferkomplexen. Bevorzugt sind
Fünfringe, die weitgehend spannungsfrei, planar oder leicht gewellt gebaut sind
Bindungen, als der bereits für die Komplexierung vororientierte makrocyclische Ligand.
Bei Komplexierung verringert sich die Anzahl der Freiheitsgrade für den offenkettigen
Liganden, die Entropie nimmt ab. Bei der Komplexierung des makrocyclischen Liganden
findet diese Entropieabnahme nicht statt und der Komplex ist stabiler. Wir sehen, dass die
Entropie eines Systems nicht nur von der Teilchenzahl, sondern auch von der „Unordnung“
eines Liganden abhängen kann.
Auch unterschiedliche Ringgrößen beeinflussen die Stabilität eines Chelatkomplexes,
wobei die bevorzugte Ringgröße von der Größe des Metallzentrums abhängt. Ein Bei-
spiel dafür ist in Abb. 6.5 gegeben, wo die Stabilität eines Kupferkomplexes mit zwei
Ethylendiamin- bzw. zwei Propylendiamin-Liganden verglichen wird. Im Falle vom Ethy-
lendiamin wird ein Chelatfünfring ausgebildet, während Propylendiamin zur Ausbildung
von Chelatsechsringen führt. Bei Kupferkomplexen sind Fünfringe bevorzugt, die dann
weitgehend spannungsfrei am Metallzentrum koordinieren.
Der Chelateffekt wird bei der komplexometrischen Titration mit H2 edta2− ausgenutzt.
H2 edta2− ist ein sechszähniger Ligand, der sehr stabile Komplexe mit einer Vielzahl von
Metallionen bildet. Aufgrund der vier Säuregruppen ist die Stabilität der Komplexe pH-
abhängig, am Metallzentrum koordiniert das vierfach-deprotonierte Anion edta4− . Seine pH-
abhängige Konzentration in Lösung ist durch die pK S -Werte gegeben: pK S = 1.99; 2.67; 6.16
und 10.26. In Abb. 6.6 ist die entsprechende Reaktionsgleichung gegeben. Diese pH-Wert-
Abhängigkeit wirkt sich auf die Komplexbildung aus. So bilden harte Kationen wie Fe3+ und
Al3+ schon in neutralen Lösungen stabile Komplexe, während bei weicheren Kationen für
die Ausbildung stabiler Komplexe höhere pH-Werte notwendig sind. Um diesen Unterschied
zu erklären, können wir wieder das HSAB-Prinzip verwenden. Mit vier Sauerstoff- und zwei
Stickstoffatomen als Donoratome ist edta4− eine harte Lewis-Base und bildet mit harten
Lewis-Säuren stabilere Komplexe.
6.3 Der Chelat-Effekt 107
m–
COO– O
O O O
HN+ COO– O
N O O
+ Mn+ M + 2 H+ N
N O O
+ COO– Fe
HN
O O
O
COO– O N
Abb.6.6 Komplexbildung eines Metallions mit H2 edta2− . Bei der Reaktion werden Protonen freige-
setzt. Aus der rechts abgebildeten Kristallstruktur eines Eisen(III)-edta-Komplexes wird ersichtlich,
dass das Eisenion die Koordinationszahl 7 hat und noch ein zusätzliches Wasser als Ligand fun-
giert [21]
Zur Komplexierung von einfach positiv geladenen Alkali-Kationen ist edta4− nicht geeig-
net. Hierfür wurden die Kronenether entwickelt, die im Kapitel Supramolekulare Chemie
näher betrachtet werden.
6.3.1 Chelattherapie
Der Einsatz von mehrzähnigen Liganden zur Entfernung von Metallionen aus dem Orga-
nismus ist die Grundlage der Chelat-Therapie bei Schwermetallvergiftungen oder Metal-
lionenanreicherung als Folge von Stoffwechselstörungen („Die Dosis macht das Gift.“).
So versucht man z. B. bei Bleivergiftungen den Verzehr großer Mengen an Butter als altes
Hausmittel durch die Applikation von Thiohydroxamat-haltigen Liganden zu ersetzen, wäh-
rend Quecksilbervergiftungen mit Dimercaptobernsteinsäure behandelt werden. Die ein-
gesetzten Chelat-Liganden sind immer auf das zu entfernende Metallion abgestimmt. So
bevorzugen Cd2+ und Cu2+ N,S-Liganden, während sich bei Arsen- und Quecksilberver-
giftungen Liganden mit ausschließlicher S-Koordination besser eignen. Diese Unterschiede
können wieder mit dem HSAB-Prinzip erklärt werden. Der Ionenradius nimmt von Cu2+
über Cd2+ nach Pb2+ zu und die Ionen sind immer weicher. Dementsprechend führt der
Einsatz von weichen Donoratomen beim Blei zu stabilen Komplexen, während die etwas
härteren Metallzentren auch härtere Donoratome (N anstelle von S) bevorzugen. Für Cd2+
und Pb2+ haben sich auch S-haltige Polychelatliganden bewährt. Da die gebildeten Kom-
plexe im physiologischen pH-Bereich stabil und mit dem Urin ausscheidbar sein müssen,
werden zusätzliche hydrophile Gruppen (–OH, –COOH) verwendet. Alle diese Liganden
haben nur eine geringe Selektivität und führen zu Nebenwirkungen, weswegen sie nur als
Notfallmaßnahme verwendet werden. In Abb. 6.7 sind ausgewählte Beispiele gegeben.
108 6 Stabilität von Koordinationsverbindungen
R CH3 HS SH HS NH2
Abb. 6.7 Liganden für die Chelat-Therapie bei Schwermetallvergiftungen. Links: Thiohydroxamat-
haltiger S,O-Ligand bei Bleivergiftungen, Mitte: S,S-Ligand Dimercaptobernsteinsäure, Rechts: N,S-
Ligand D-Penicillamin zur Therapie der Wilsonschen Krankheit
Die als Wilson’sche Krankheit bekannte Störung der Biosynthese des kupferbindenden
Serumproteins Coeruloplasmin führt zu einer toxischen Kupferanreicherung in den Geweben
der betroffenen Organe. Hier hat sich eine Chelat-Therapie mit D-Penicillamin bewährt.
Bei bestimmten Blutkrankheiten (z. B. Sichelzellenanämie) kommt es durch die regel-
mäßige Durchführung von Bluttransfusionen zu einer Anreicherung von Eisen im Körper,
die verschiedene Organe belastet und sogar zum Tod führen kann. Auch hier basieren die
Versuche, überschüssiges Eisen aus dem Körper zu entfernen, auf einer Chelat-Therapie.
Bis heute wird dazu das Siderophor Desferrioxamin B, ein lineares Peptid, verabreicht.
Als Siderophore bezeichnet man niedermolekulare Eisen-Transportmoleküle. Eisen ist ein
essentielles Element für nahezu alle Organismen. Während wir unseren Eisenbedarf über
die Nahrung decken können (orale Aufnahme), ist das für Pflanzen und Mikroorganismen
auf diesen Weg nicht möglich. Andere (gut lösliche) Ionen können einfach mit dem Was-
ser aufgenommen werden. Beim Eisen besteht das Problem, dass es in der am häufigsten
vorliegenden Oxidationsstufe + 3 extrem schwer löslich ist (Löslichkeitsprodukt Fe(OH)3 :
5.0×10−38 mol4 /l4 ). Gerade in kalkhaltigen (basischen) Böden stehen Pflanzen und Mikro-
organismen vor dem Problem, das Eisen für die Aufnahme aus dem Boden zu mobilisieren.
Dies erreichen sie über den Einsatz von Siderophoren, die extrem starke Komplexbild-
ner für Eisen(III) sind. Diese bilden mit dem Eisen unter den basischen Bedingungen im
Boden sehr stabile wasserlösliche Komplexe, die nun von der Pflanze (dann spricht man von
Phyto-Siderophoren) oder den Mikroorganismen aufgenommen werden können. In einem
nächsten Schritt muss das Eisen wieder freigesetzt werden, um für den Einbau z. B. in
Elektronentransferproteine oder katalytische Zentren zur Verfügung zu stehen. Das erreicht
die Pflanze bzw. der Mikroorganismus dadurch, dass im Gewebe ein niedrigerer pH-Wert
vorliegt als im umliegenden Boden. Dies führt zu einer (teilweisen) Protonierung des Side-
rophors, die mit einer Abnahme der Komplexstabilität einhergeht. Das Eisen steht nun für
weitere Komplexierungsreaktionen zur Verfügung. In Abb. 6.8 ist die Struktur des Sidero-
phors Desferrioxamin B gegeben.
6.3 Der Chelat-Effekt 109
NH
N
N O O
O O
O
N
Ein weiteres klinisches Einsatzgebiet von Chelatkomplexen mit steigender Bedeutung sind
Radiopharmaka, die v. a. zu diagnostischen Zwecken eingesetzt werden. Die dabei verwen-
deten radioaktiven Nuklide sind meist Gamma-Strahler relativ niedriger Energie, die sich
gut mit Szintillationszählern nachweisen lassen. Sie dienen zur Sichtbarmachung (Bilder-
zeugung; „Imaging“) von erkrankten Organen, in denen sich die radioaktiven Verbindungen
bevorzugt anreichern. Besonders häufig kommen dabei Technetium-Verbindungen zum Ein-
satz. Die Anreicherung der Komplexe in den Zielregionen erfolgt durch rezeptorspezifische
Moleküle. Aufgrund seiner radioaktiven Eigenschaften ist nur eine kurze Verweildauer für
das Technetium im Körper erwünscht. Dies wird über die Komplexierung mit Chelatliganden
erreicht. Die dabei entstandenen Komplexe müssen sehr stabil und gut wasserlöslich sein,
um gut wieder ausgeschieden zu werden. Beispiele für zugelassene Technetium-basierte
Radiotherapeutika sind in Abb. 6.9 gegeben.
Die Magnetresonanztomographie (MRT, kurz MR bzw. MRI für Magnetic Resonance
Imaging oder auch Kernspintomographie, kurz Kernspin) basiert auf den Prinzipien der
Kernspinresonanz (wie die NMR-Spektroskopie) und ist ein bildgebendes Verfahren, mit
dem Gewebe und Organe sichtbar gemacht werden können und Schnittbilder erzeugt wer-
den. Durch ein starkes externes Magnetfeld werden die Kernspins der Protonen (z. B. vom
Wasser im Körper oder vom Gewebe) in zwei Energieniveaus aufgespalten, zwischen denen
der Übergang angeregt wird. Der Kontrast in den Bildern beruht auf den unterschiedlichen
Relaxationszeiten der Protonen in den verschiedenen Gewebearten. Zusätzlich spielt auch
der unterschiedliche Gehalt an Protonen in den verschiedenen Geweben eine Rolle. Um
eine weitere Erhöhung des Kontrastes zu erreichen, werden Kontrastmittel zugegeben. Hier
110 6 Stabilität von Koordinationsverbindungen
1+
O
1–
O
O N O
N N O N O N PR3
Tc
Tc Tc PR3
N O
N N S N O
O OH
H COOH
Abb. 6.9 Beispiele für aktuell zugelassene Radiotherapeutika auf der Basis von Technetium
kommen unter anderem Gadolinium(III)-Chelatkomplexe zum Einsatz, die wegen der para-
magnetischen Eigenschaften des Gadoliniums zu einer Verkürzung der Relaxationszeit in
der Nähe der paramagnetischen Zentren führen. Aufgrund der toxischen Eigenschaften des
Gadolinium(III)-Ions muss es in sehr stabile Komplexe eingebunden werden, die im Körper
stabil sind und komplett wieder ausgeschieden werden. Ein Beispiel für einen zugelasse-
nen Gadolinium-Komplex ist in Abb. 6.10 gegeben. Die aktuelle Forschung beschäftigt sich
mit der Suche nach sogenannten „intelligenten“ Kontrastmitteln. Das könnten z. B. Spin-
Crossover-Systeme sein, die auf Unterschiede zwischen normalem Gewebe und Tumorge-
webe (z. B. im pH-Wert) mit einen Spinübergang reagieren und so zu Unterschieden im
Kontrast führen, die eine bessere Erkennung von Tumorgewebe gewährleisten. [22]
6.4 Der trans-Effekt 111
Bisher haben wir die Stabilität von Komplexen unter verschiedenen Aspekten beleuchtet.
Dabei haben wir immer den Komplex als Ganzes betrachtet und bei Ligandenaustauschreak-
tionen den Austausch aller Liganden diskutiert. Bei quadratisch-planaren heteroleptischen
Komplexen gibt es einen Effekt, der selektiv bestimmte Bindungen schwächt und so zu einer
bevorzugten (schnelleren) Substitution eines oder mehrerer Liganden führt. Als heterolep-
tische Komplexe bezeichnet man Komplexe, die mindestens zwei verschiedene Liganden
haben. Das Gegenstück dazu sind homoleptische Komplexe, bei denen alle Liganden gleich
sind. Dieser kinetische Effekt wird als trans-Effekt bezeichnet und ist in Abb. 6.11 sche-
matisch dargestellt.
Wenn im Komplex [MABX2 ] einer der Liganden X durch Y substituiert wird unter
Bildung des Komplexes [MABXY], so kann der Ligand Y in trans-Stellung zu A oder
B eintreten. Es hat sich gezeigt, dass die Liganden eine verschieden stark ausgeprägte
Fähigkeit haben, neu eintretende Substituenten in die trans-Position zu dirigieren.
Für die praktische Anwendung dieses Effektes in Substitutionsreaktionen muss die Stärke
des trans-Effekts der einzelnen Liganden bekannt sein. Im Folgenden ist die Reihung einiger
wichtiger Liganden gegeben:
Es gibt verschiedene Modelle zur Deutung des trans-Effektes. Den meisten gemein ist,
dass davon ausgegangen wird, dass in quadratisch-planaren Komplexen die beiden trans-
ständigen Liganden um ein gemeinsames p- bzw. d-Orbital des Metallzentrums konkurrie-
ren. Bei Liganden mit einer hohen Neigung zur Ausbildung von π -Bindungen (CO, NO,
L M T L M T
Abb. 6.12 Deutung des trans-Effekts. In quadratisch planaren Komplexen konkurrieren die beiden
trans-ständigen Liganden um ein gemeinsames Orbital am Metallzentrum. Ist die Bindung zu einem
Liganden besonders stark, wird die Bindung zum trans-ständigen Liganden geschwächt
C2 H4 ) wird durch die Ausbildung einer starken π -Bindung die Bindung des Zentralions zum
trans-ständigen Liganden für die Substitution aktiviert (Theorie von Chatt und Orgel). Das
bedeutet, dass die Bindung zum trans-ständigen Liganden geschwächt wird und dieser leich-
ter abgespalten wird. Die Reaktionsgeschwindigkeit für die Substitution des trans-ständigen
Liganden wird erhöht und diese Substitution findet deswegen bevorzugt statt. Diese Diskus-
sion bedeutet, dass die Ligandsubstitution über einen dissoziativen Mechanismus abläuft,
bei dem erst ein Ligand abgespalten wird, und dann der neue Ligand angelagert wird. Dieses
Modell versagt bei Liganden, die nicht zur Ausbildung von π -Bindungen befähigt sind, bei
denen aber trotzdem ein trans-Effekt beobachtet wird (z. B. NH3 ). Hier wird diskutiert, dass
die trans-ständigen Liganden in den Wettbewerb um ein p-Orbital treten. Das heißt, wenn ein
Ligand eine starke Bindung ausbildet, wird die zum trans-ständigen Liganden geschwächt
und dieser kann leichter – oder genauer gesagt schneller – abgespalten werden. In Abb. 6.12
ist die konkurrierende Wechselwirkung der beiden Liganden um das gemeinsame Orbital
am Metallzentrum noch einmal schematisch dargestellt. Unabhängig davon, ob es sich um
π - oder σ -Bindungen handelt, ist das Grundprinzip bei beiden Modellen das Gleiche. Die
starke Bindung zu einem Liganden entspricht einer großen Überlappung zwischen d- oder
p-Orbital des Metalls mit dem Ligandorbital. Dadurch ist die Elektronendichte des Orbitals
am Metall in Richtung des Liganden mit starkem trans-Effekt verschoben (größere Orbi-
tallappen = größere Aufenthaltswahrscheinlichkeit für das Elektron). Infolgedessen sind
die Orbitallappen auf der trans-Seite kleiner und können nur noch eine schwache Bindung
(geringe Überlappung der Orbitale) ausbilden, die leicht gelöst werden kann.
Die Wirksamkeit der Platinkomplexe beruht auf ihrer Bindung des {Pt(NH3 )2 }2+ -
Fragmentes an die Stickstoffatome der DNA-Nukleotidbasen, wobei die N7-Position des
Guanins besonders bevorzugt zu sein scheint, wie in Abb. 6.13 zu sehen. Die daraus folgende
Strukturänderung der DNA führt unter anderem zu einer Hemmung der DNA-Synthese an
einer einsträngigen Vorlage. In Tumorzellen sind die Reparaturmechanismen für die DNA
teilweise außer Kraft gesetzt, weshalb die Modifikation der DNA durch die Pt-Bindung nicht
mehr rückgängig gemacht wird. Dazu kommt, dass Tumorzellen eine höhere Wachstums-
rate haben. Aus diesem Grund ist bei Tumorzellen die zytostatische Wirkung höher als bei
normalen Zellen und die Verbindungen sind in der Krebstherapie erfolgreich.
Dem Chemiker stellt sich nun die Frage, wie er gezielt das cis-Isomer (oder ggf. auch
die trans-Verbindung) von Platin(II)-Komplexen herstellen kann. Dabei kommt ihm der
trans-Effekt zu Hilfe. Wenn man an [PtCl(NH3 )3 ]+ die dirigierende Wirkung von Cl− und
NH3 vergleicht, zeigt sich, dass das Cl− -Ion einen größeren trans-Effekt aufweist als das
NH3 -Molekül. Die Umsetzung dieses Komplexes mit Cl− ergibt trans-[PtCl2 (NH3 )2 ]. Geht
man dagegen von [PtCl3 (NH3 )]− aus und tauscht ein Chlorid gegen Ammoniak aus, erhält
man cis-[PtCl2 (NH3 )2 ]. Wir sehen: der trans-Effekt ist für die Synthese von cis- bzw. trans-
Komplexen von größter Bedeutung. In Abb. 6.14 sind die beiden Reaktionen noch einmal
dargestellt.
Da Ammoniak und Chlorid bei der Reihung zur Stärke des trans-Effekts dicht beieinander
stehen, geht man bei der großtechnischen Darstellung den Weg über das Iodid. Ausgehend
vom Tetrachloridoplatinat(II) wird das Tetraiodidoplatinat(II) durch Umsetzung mit einen
Überschuss an Kaliumiodid hergestellt. Bei der anschließenden Reaktion mit Ammoniak
erhält man das cis-Diammindiiodidoplatin(II). Als nächster Schritt wird zu der wässrigen
114 6 Stabilität von Koordinationsverbindungen
Cl NH3 Cl NH3
+ NH3
Pt –
Pt
– Cl
Cl Cl Cl NH3
Lösung Silbernitrat zugegeben, wobei das schwer lösliche Silberiodid ausfällt und das cis-
Diammindiaquaplatin(II)-ion in Lösung bleibt. Durch Zugabe von Kaliumchlorid fällt das
Produkt cis-Diammindichloridoplatin(II) aus.
6.5 Fragen
1. Warum bildet edta4− mit harten Kationen schon bei neutralen pH-Werten stabile Kom-
plexe, während für weiche Kationen höhere pH-Werte benötigt werden?
2. Bei der komplexometrischen Bestimmung von Eisen(III)-Ionen wird als Indikator Sul-
fosalicylsäure zugegeben und mit edta4− titriert. Der Farbumschlag verläuft von rot nach
farblos. Was passiert?
3. Warum funktioniert dieser Nachweis bei Eisen(II)-Ionen nicht quantitativ? Schätzen Sie
die thermodynamische und kinetische Stabilität der beteiligten Komplexe ab.
4. Was ist der Unterschied zwischen einem thermodynamisch stabilen Komplex und einem
kinetisch stabilen Komplex? Können beide Attribute in einem Komplex vereint sein?
5. Erklären Sie den Chelateffekt, der bei der Komplexierung mehrzähniger Liganden beob-
achtet wird! Wie und unter welchen Voraussetzungen kann man den Effekt analytisch
nutzen?
6. Schreiben sie die Reaktionsgleichungen für die Aufnahme von Eisen(III) aus dem Boden
mit der Hilfe eines Siderophors auf. Welche Gleichgewichte konkurrieren miteinander?
7. Cisplatin (cis-Diammindichloridoplatin(II)) ist ein wichtiges Medikament in der Krebs-
therapie. Wie kann man diesen Komplex gezielt herstellen und welchen Effekt nutzt man
dabei aus?
Redoxreaktionen bei Koordinationsverbindungen
7
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Springer Nature 2021
B. Weber, Koordinationschemie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-63819-4_7
116 7 Redoxreaktionen bei Koordinationsverbindungen
Warum sind Kupfer(II)-Komplexe mit sechs Liganden nicht ideal oktaedrisch? Abweichun-
gen von hochsymmetrischen Molekülgeometrien werden nicht nur in heteroleptischen Kom-
plexen (= Komplexe mit verschiedenen Liganden) beobachtet, sondern mitunter auch, wenn
alle Liganden eines Komplexes identisch sind. Einen solchen Komplex bezeichnet man als
homoleptischen Komplex. Das ist prinzipiell immer dann der Fall, wenn der elektronische
Grundzustand im Ligandenfeld entartet ist (es also mehrere Mikrozustände gibt, siehe Terme
und Spaltterme). Dann gilt Folgendes:
Jahn-Teller-Theorem
In jedem nichtlinearen Molekül, dessen elektronischer Grundzustand entartet ist, gibt
es eine Eigenschwingung, die die Entartung des Grundzustandes aufhebt. Der Grund-
zustand ist in einer durch diese Schwingung verzerrten Geometrie stabilisiert.
L
L
eg
L L
L M L M
L L
L L
x2-y2 z2
L
L
Abb. 7.3 Aufspaltung der eg -Orbitale eines d9 -Ions in Abhängigkeit von der Verzerrung (links
gestaucht, rechts gestreckt) des Oktaeders
Anhand der bisherigen Betrachtung lässt sich nichts über Art und Größe des Jahn-Teller-
Effekts aussagen. Generell beobachtet man, dass die Verzerrung aufgrund einer unvollstän-
dig gefüllten t2g -Schale geringer ist als die, die von e1g - und e3g -Konfigurationen herrühren.
Bei den meisten untersuchten verzerrten Oktaedern handelt es sich um gestreckte quadrati-
sche Bipyramiden.
Der Jahn-Teller-Effekt tritt nicht nur bei oktaedrischen Komplexen auf, sondern
lässt sich auf andere Systeme übertragen. Ein Beispiel für einen ausgeprägten Jahn-
Teller-Effekt bei Koordinationszahl vier sind quadratisch planare high-spin Eisen(II)-
Komplexe mit Diolato-Liganden. Wie wir bereits gelernt haben, wird eine qua-
dratisch planare Koordinationsumgebung vor allem bei d8 -Übergangsmetallkom-
plexen mit großer Ligandenfeldaufspaltung erwartet, während bei einer kleinen
Ligandenfeldaufspaltung und anderen d-Elektronenkonfigurationen eine tetraedrische
Koordinationsgeometrie typisch ist. Bei tetraedrischen d6 high-spin-Komplexen führt
jedoch in manchen Fällen die Planarisierung des Ligandenfeldes zu einer stabileren
Koordinationsumgebung, wie links gezeigt [95]. Auch die verzerrte Struktur vom
Cyclobutadien lässt sich über eine Jahn-Teller-artige Verzerrung erklären, die zu einer
Lokalisierung der Doppelbindungen führt. Das dazu gehörende Walsh-Diagramm ist
rechts gezeigt.
7.2 Redoxreaktionen bei Koordinationsverbindungen 119
E
dx²-y²
dxy
dx²-y² dz²
dxz dyz
dz²
Fe
Fe
Elektronentransfer bei chemischen Reaktionen (Nobelpreis für Chemie 1992), die im Fol-
genden noch ausführlich dargestellt wird.
Bei ungleichen Komplextypen (Gleichungen b und c) erlaubt die Produktverteilung mit-
unter Rückschlüsse auf den Reaktionsmechanismus. Dieser hängt stark von den Redoxpart-
nern und ihrer Reaktivität gegenüber Ligandsubstitutionen ab (kinetisch inert oder labil,
siehe Stabilität von Komplexen). Gleichung b) zeigt die Reduktion substitutionsinerter
Ammincobalt(III)-Komplexe durch den substitutionslabilen Hexaaquachrom(II)-Komplex
[Cr(H2 O)6 ]2+ . Da der Chlorido-Ligand im inerten Cr(III)-Produkt gefunden wurde, wird
angenommen, dass zum Zeitpunkt des Elektronentransfers dieser Ligand an beide Metallzen-
tren koordiniert sein muss und er beim Elektronentransfer als Brückenligand („leitende Ver-
bindung“) fungiert. Da sich die Reaktionspartner bei diesem Mechanismus gleichzeitig einen
Liganden in der inneren Koordinationssphäre teilen, wird er als Innensphären-Mechanismus
bezeichnet. Der Elektronentransfer zwischen verbrückten Metallzentren wurde von Henry
Taube untersucht, der dafür 1983 mit dem Nobelpreis für Chemie ausgezeichnet wurde.
Bei der Reaktion c) bleiben die Koordinationssphären der beteiligten Komplexe intakt. Der
Mechanismus ist mit dem in Gleichung a) gezeigten Selbst-Austausch-Prozessen vergleich-
bar und kann ebenfalls mit der Marcus-Theorie erklärt werden. Der Elektronentransfer findet
ohne Vermittlung eines gemeinsamen Brückenliganden statt, weshalb dieser Mechanismus
als Außensphären-Mechanismus bezeichnet wird.
2+ 3+ 3+ 2+ 2+ 3+ 3+ 2+
Ru Ru Ru Ru Fe Fe Fe Fe
Potentialenergie Potentialenergie
U U
U*i
U*i
r r
Kernkoordinaten Kernkoordinaten
Abb. 7.5 Schematische Darstellung des Einflusses der Änderung des M-L Abstandes (r ) auf die
Energie Ui∗ für den Elektronentransfer beim Selbstaustauschprozess. Dargestellt ist die Potential-
energie U in Abhängigkeit des Metall-Ligand-Abstandes für einen der beiden Reaktionspartner. Für
den zweiten Reaktionspartner existiert ein zweiter Satz solcher Potentialkurven. Die Elektronenüber-
tragung kann nur am Schnittpunkt der beiden Potentialkurven stattfinden, da bei einem vertikalen
Übergang ohne angleichen der Strukturen (λi ) deutlich mehr Energie benötigt wird
7.2 Redoxreaktionen bei Koordinationsverbindungen 123
Abhängigkeit von dem Metall-Ligand-Abstand (bezogen auf einen der beiden Reaktanden)
gegeben. Die Elektronenübertragung kann nur am Schnittpunkt der beiden Potentialkurven
stattfinden. Für die Angleichung der Strukturen muss die Energiedifferenz Ui∗ aufgebracht
werden. Für einen Elektronenübergang ausgehend vom Gleichgewichtsabstand des
Ausgangsstoffes muss ein vertikaler Übergang mit der Energie λi stattfinden, der nur unter
Absorption eines Photons möglich ist. Die dafür benötigte Energie (innere Reorganisations-
energie des Komplexes) entspricht der Energie des Produktes beim Gleichgewichtsabstand
des Eduktes und beträgt das Vierfache der Energie des Schnittpunktes der beiden Potential-
kurven.
In Abb. 7.6 ist der Elektronentransfer bei einem Selbstaustauschprozess zwischen zwei
Komplexen noch einmal schematisch veranschaulicht. Die beiden Ausgangsstoffe haben
unterschiedliche Metall-Ligand-Bindungslängen, genauso wie die Produkte. Bevor der Elek-
tronentransfer stattfinden kann, müssen sich die Strukturen der beiden Reaktanden anglei-
chen. Beim Übergangszustand sind die Metall-Ligand-Bindungslängen gleich und liegen
zwischen denen der oxidierten und der reduzierten Spezies. Dieser Übergangszustand ent-
spricht dem Schnittpunkt der Potentialtöpfe in Abb. 7.5. Nun wird der in Tab. 7.1 aufgezeigte
Zusammenhang zwischen der Geschwindigkeit des Elektronentransfers und der Änderung
des Metall-Ligand-Abstandes beim Elektronentransfer klar. Je kleiner r ist, umso kleiner
ist die Energie Ui∗ , die für das Erreichen der verzerrten Struktur aufgebracht werden muss.
In Abb. 7.5 ist dieser Zusammenhang an den Beispielen Eisen(II/III) und Ruthenium(II/III)
schematisch dargestellt. Beim Ruthenium ist r deutlich kleiner. Dadurch rücken die beiden
Potentialkurven näher zusammen und Ui∗ wird kleiner. Es wird weniger Energie benötigt,
um den verzerrten Übergangszustand zu erreichen.
L e– L
L L
L M L M*
L L
L L
L L
L L
L L
L L L L
M*
L L
M L
L M* L
L M L L
L L L L
L L
L L
Abb. 7.6 Schematische Darstellung des Elektronentransfers zwischen zwei Komplexen. Bevor der
Elektronentransfer stattfinden kann, müssen sich die Strukturen der beiden Reaktionspartner anglei-
chen
124 7 Redoxreaktionen bei Koordinationsverbindungen
Wie groß die Änderung des M-L-Abstandes ist, hängt von der Besetzung der d-Orbitale
und den Ionenradien im Allgemeinen ab. In der Regel sind große Änderungen der M-L-
Abstände eine Folge der Besetzung der antibindenden eg -Orbitale beim Reduktionsschritt.
Ein gutes Beispiel hierfür ist das Paar Co(III/II). Cobalt(III)-Komplexe liegen meist im
low-spin-Zustand vor, bei dem die drei nichtbindenden Orbitale voll besetzt sind (t2g 6 -
EA
0
G
7.2.2 Innensphären-Mechanismus
Der Innensphären-Mechanismus geht davon aus, dass für den Elektronentransfer ein mehr-
kerniger Komplex ausgebildet wird, wobei der Elektronentransfer über einen Brückenligan-
den realisiert wird, wie in Abb. 7.8 illustriert. Eine solche Situation ist unter anderem für
Elektronentransferketten in biologischen Systemen relevant.
Der Innensphären-Mechanismus stellt hohe Anforderungen an die Reaktanden. Dazu
gehört das Vorhandensein eines potentiellen Brückenliganden in einem der Komplexe, die
Substitution eines Liganden der labilen Komponente und die Ausbildung eines verbrücken-
den Vorläufer-Komplexes. Zum Mechanismus gehören demzufolge mehrere Einzelschritte,
was eine genaue theoretische Beschreibung erschwert. Auch die experimentelle Unterschei-
dung zwischen dem Innensphären- und Außensphären-Mechanismus ist nicht immer ein-
deutig.
Ein intramolekularer Elektronentransferschritt in mehrkernigen Komplexen verläuft
ebenfalls nach dem Innensphären-Mechanismus. Solche Elektronentransfer-Reaktionen las-
sen sich unter anderem photochemisch induzieren, wenn z. B. der Brückenligand zwei
Metallzentren in unterschiedlichen Oxidationsstufen verknüpft. Ein Beispiel hierfür ist die
intensiv blaue Farbe des Berliner Blau, die von einem solchen Intervalence Charge Trans-
fer(IT)-Übergang zwischen den Eisen(II)- und Eisen(III)-Zentren herrührt. Im Berliner Blau
126 7 Redoxreaktionen bei Koordinationsverbindungen
(4 Fe3+ + 3 [Fe(CN)6 ]4− → Fe4 [Fe(CN)6 ]3 ) liegt ein unendliches Fe(CN)6 -Gitter vor,
wobei die CN-Brückenliganden über den Kohlenstoff an die Eisen(II)-Zentren und über
Stickstoff an die Eisen(III)-Zentren koordiniert sind.
Wenn wir uns nun an unsere blauen Kupferproteine erinnern, dann stellen wir fest, dass
die Natur einiges richtig gemacht hat (bzw. das System durch die Evolution gut optimiert
wurde). Durch die Proteinumgebung ist der intermolekulare Abstand fixiert (Ausbildung
des Außensphärenkomplexes) und die Schwingungs-Barriere ist extrem niedrig, weil der
Komplex bereits in der durch die Proteinumgebung vorgegebenen verzerrten Struktur vor-
liegt (entatischer Zustand). Häufig haben solche Metalloproteine auch eine sehr hydrophobe
Umgebung, so dass auch die Solvatations-Barriere wegfällt. Einem sehr schnellen Elektro-
nentransfer steht damit nichts mehr im Wege.
R. F. Furchgott, L. J. Ignarro und F. Murad für „Discoveries about the biomedical functions
of nitric oxide“ der Nobelpreis für Medizin verliehen.
Die Zuordnung von Oxidationsstufen bei Komplexen mit redoxaktiven Liganden (sogenann-
ten non-innocent ligands) ist häufig uneindeutig und kann je nach verwendeter Methode
zu unterschiedlichen Ergebnissen führen. Aus diesem Grund wird die Enemark-Feltham-
Notation zur Klassifizierung von Metall-Nitrosylkomplexen immer noch angewandt. Bei
dieser Methode wird die {M(NO)x }n -Einheit als kovalente Einheit betrachtet und zur wei-
teren Unterteilung die Anzahl der Valenzelektronen des Metallzentrums (entspricht meist
der d-Elektonenzahl) zusammen mit der Anzahl der Elektronen in den π ∗ -Orbitalen des
NO-Liganden als Zahl n an die geschweifte Klammer geschrieben. Auf diese Weise müs-
sen die „richtigen“ Oxidationsstufen von Metallzentrum und Nitrosylligand nicht bestimmt
werden, sondern es kann eine beliebige Annahme gemacht werden. An dieser Stelle sei
auf das MO-Schema von Stickstoffmonoxid verwiesen, das in Abb. 4.13 gegeben ist. Will
man jedoch die Elektronen bei solchen Verbindungen zählen, um die Stabilität des Kom-
plexes gemäß der 18-Valenzelektronen-Regel abzuschätzen, kommt man um eine Zuord-
nung von Oxidationsstufen nicht mehr herum. Für diesen Fall gibt uns die IUPAC eine
Hilfestellung. Sie legt fest, dass NO als Ligand ein neutraler 3-Elektronen-Donor ist. Das
heißt, die formale Oxidationsstufe ist 0 und beim Elektronenzählen werden pro NO-Ligand
drei Elektronen gerechnet. Die so bestimmte formale Oxidationsstufe von Metallzentrum
und Ligand stimmt in den meisten Fällen nicht mit der spektroskopisch oder auch mit
Hilfe von Rechnungen bestimmten Oxidationsstufe überein. Bei den Nitrosylkomplexen
liefern spektroskopischen Daten wie der M-N-O-Bindungswinkel, der N-O-Abstand oder
die NO-Streckschwingungsfrequenz mögliche Hinweise. In den meisten Komplexen gehen
wir davon aus, dass das Stickstoffmonoxid entweder als NO+ (Nitrosyl-Kation, isoelektro-
nisch zu CO) oder als NO− (Nitrosyl-Anion, isoelektronisch zu O2 ) gebunden ist. In Abb. 7.9
ist für beide Varianten der theoretisch zu erwartende M-N-O-Winkel dargestellt, der sich
über die Hybridisierung des Stickstoff-Atoms erklären lässt. Im Nitrosyl-Kation liegt eine
Dreifachbindung zwischen dem Stickstoff und dem Sauerstoff vor. Der Stickstoff ist sp-
hybridisiert und koordiniert mit einem 180◦ -Winkel an das Metall (NO-Abstand 1.06 Å,
ν(NO) = 1950–1600 cm−1 ). Im Gegensatz dazu liegt beim Nitrosyl-Anion eine Zweifach-
bindung vor und der Stickstoff ist sp2 -hybridisiert, so dass ein Winkel von 120◦ erwartet
wird (NO-Abstand 1.20 Å, ν(NO) = 1720–1520 cm−1 ). Das NO-Radikal hat eine Streck-
schwinungsfrequenz von 1906.5 cm−1 und einen N-O-Abstand von 1.14 Å.
128 7 Redoxreaktionen bei Koordinationsverbindungen
180°
N N
120°
OH2
M M
Im weiteren Verlauf wird der gerade beschriebene Zusammenhang an drei Beispielen ver-
anschaulicht und vor allem auch kritisch hinterfragt. Beim ersten Komplex handelt es sich
um die sehr stabile Verbindung [Fe(CO)3 NO]− , mit einer linearen {FeNO}10 -Einheit und 18
Valenzelektronen. Es folgt die sehr labile {FeNO}7 -Verbindung [Fe(H2 O)5 NO]2+ , bei der
ebenfalls lange von einer linearen Fe-N-O-Anordnung ausgegangen wurde, bis 2019 die erste
Kristallstruktur dieses Komplexes berichtet wurde [96]. Das Ergebnis sehen Sie in Abb. 7.9,
der Fe-N-O-Winkel ist nicht linear. Gerade zu diesen 19-Valenzelektronen-Komplex gibt es
viele theoretische Betrachtungen, die zwischen der Formulierung Eisen(III)(HS)-NO− (S = 1),
antiferromagnetisch gekoppelt, und Eisen(I)-NO+ schwanken. Das letzte Beispiel ist das
Nitroprussiat [Fe(CN)5 NO]2− , eine {FeNO}6 -Verbindung mit 18 Valenzelektronen, deren
Stabilität zwischen den beiden vorhergehenden liegt.
Der tetraedrisch gebaute {FeNO}10 -Komplex [Fe(CO)3 NO]− entsteht bei der Umsetzung
von [Fe(CO)5 ] mit Nitrit in Gegenwart von Base (Ca(OH)2 ). Schon die Reaktionsbedingun-
gen zeigen, dass der entstehende Komplex sehr stabil ist (die wässrige Lösung wird zum
Sieden unter Rückfluss erhitzt). Der lineare Fe-N-O-Winkel (177◦ ) deutet darauf hin, dass
das Stickstoffmonoxid als NO+ an das Eisen bindet. Etwas widersprüchlich erscheint da
zunächst die relativ lange N-O-Bindung (1.23 Å) und der sehr kurze Fe-N-Abstand (1.63 Å).
Beide deuten auf eine feste Bindung hin, die auf eine ausgeprägte π -Rückbindung zurück-
zuführen ist. Diese kann ausgezeichnet mit der sehr niedrigen Oxidationsstufe des Eisens
(–2) erklärt werden.
Der {FeNO}7 -Komplex [Fe(H2 O)5 NO]2+ ist für die braune Farbe beim Nitratnachweis
(Ringprobe) verantwortlich.
4 Fe2+ + NO− +
3 + 4H + 3 H2 O → [Fe(H2 O)5 NO]
2+
+ 3 Fe3+
Diese Verbindung ist sehr labil und konnte erst 2019 als Feststoff isoliert werden. Der Fe-
N-O-Winkel ist mit 160◦ schon deutlich gewinkelt, aber noch weit von 120◦ entfernt. Der
instabile Charakter dieser Verbindung kann gut mit der 18-Valenzelektronenregel erklärt
werden. Rechnungen deuten darauf hin, dass es sich bei dieser Verbindung am ehesten
um einen Eisen(III)-Komplex mit koordiniertem NO− handelt. [26] Ebenfalls diskutiert
7.3 „Non-innocent Ligands“ am Beispiel NO 129
wird die Möglichkeit Eisen(II)-NO(Radikal), bei dem trotzdem ein linearer Fe-N-O-Winkel
möglich ist. Letztendlich hat eine sehr aktuelle Studie gezeigt, dass alle drei Möglichkeiten,
Eisen(III)-NO− , Eisen(II)-NO· und Eisen(I)-NO+ bei dieser kovalenten Einheit bindungs-
relevante Anteile besitzen und damit keine als falsch einzuordnen ist [96]. Auch die Ver-
wendung des M-N-O Winkels zur Zuordnung von Ladungen bzw. Oxidationsstufen führt
eher selten zu einem richtigen Ergebnis [97].
Beim Nitroprussiat [Fe(CN)5 NO]2− , einem oktaedrischen Komplex, ist im Vergleich
zum {FeNO}10 -Komplex der N-O-Abstand deutlich kürzer (1.13 Å) und der Fe-N-Abstand
deutlich länger (1.67 Å). Beide Komplexe sind 18-VE-Komplexe mit einem linear gebun-
denen NO+ (Fe-N-O-Winkel bei [Fe(CN)5 NO]2− 176◦ ). Die Unterschiede bei den Bin-
dungslängen sind auf eine schwächere π -Rückbindung beim Nitroprussiat zurückzuführen.
In dieser Verbindung liegt das Eisen in der formalen Oxidationsstufe + 2 vor und ihm ste-
hen damit weniger d-Elektronen für die π -Rückbindung zur Verfügung. Daraus resultiert
eine schwächere Anbindung vom NO+ ans Eisenzentrum. Dies wird z. B. beim Einsatz vom
Natriumnitroprussiat als Medikament (unter physiologischen Bedingungen wird das Biomo-
lekül NO abgespalten, das unter anderem für die Regulation des Blutdrucks verantwortlich
ist) ausgenutzt.
Die drei Beispiele zeigen uns, dass auch die spektroskopischen Daten nicht immer
eine zweifelsfreie oder sinnvolle Zuordnung der Oxidationsstufen ermöglichen. Um die-
sen Zusammenhang zu erklären, müssen wir auf die Molekülorbitaltheorie zurückgreifen,
alle anderen Modelle versagen. Zwischen Metall und Ligand wird eine stark kovalente
Mehrfachbindung ausgebildet. Die Elektronen sind in Molekülorbitalen über die Fe-NO
Einheit delokalisiert. Der Aufenthaltsort lässt sich dadurch nicht eindeutig festlegen und
es lassen sich auch keine formalen Oxidationszahlen (die Rechenhilfen sind) bestimmen.
In Abb. 7.10 ist ein Ausschnitt aus dem Molekülorbital-(MO)-Schema eines Eisennitrosyl-
komplexes gegeben. Im Ausgangskomplex ist das Eisen(II)-Ion von einem makrocyclischen
Chelatliganden quadratisch planar umgeben. Man beachte die starke Destabilisierung des
dx 2 −y 2 -Orbitals! Die drei d-Orbitale mit z-Komponente wechselwirken mit den zwei π ∗ -
Orbitalen des NO und es werden fünf Molekülorbitale gebildet, deren Struktur in Abb. 7.10
auf der rechten Seite gegeben sind. Die ebenfalls abgebildete Molekülstruktur zeigt, dass
bei diesem {FeNO}7 -Komplex eine gewinkelte Fe-NO-Einheit erhalten wird. Der Fe-N-O-
Winkel beträgt 140◦ , der N-O-Abstand 1.19 Å und der Fe-N-Abstand 1.73 Å. Diese Daten
entsprechen am ehesten einem Eisen(III)-Komplex, an den ein NO− gebunden ist. Bei der
Komplexbildung hat ein intramolekularer Elektronentransfer vom Eisen zum NO stattge-
funden.
130 7 Redoxreaktionen bei Koordinationsverbindungen
O
N
N
N
E Fe
N
N
dx²-y² dx²-y²
O
N
Fe O
dz², *y,z N
E
*x, dxz E Fe
B
dyz O
N B
dz² dyz, z², *y D Fe
dxz, dxy dxy
O
D
N
*y, dyz,z² C O Fe
dxz, *x A N
Fe
A
*y,z, *x
[Fe(L)] [Fe(L)NO] NO
Abb. 7.10 MO-Schema für die Bindung von NO an einen makrocyclischen Eisen(II)-Komplex.
Berücksichtigt wurden nur die d-Orbitale des Eisens und die π ∗ -Orbitale vom NO
7.4 Fragen
1. Zeichen Sie die energetische Aufspaltung der d-Orbitale für einen gestreckten und
gestauchten Oktaeder ausgehend vom idealen Oktaeder!
2. Diskutieren Sie, ob in [CoL6 ]2+ Komplexen als Koordinationspolyeder ein reguläres
Oktaeder vorliegen kann.
3. Für welche dn -Konfigurationen oktaedrischer Komplexe erwarten Sie eine Jahn-Teller-
Verzerrung? Unterscheiden Sie gegebenenfalls zwischen dem high-spin und dem low-
spin Fall.
7.4 Fragen 131
Bezeichnet man die molekulare Chemie als die Chemie der kovalenten Bindung, beschäftigt
sich die supramolekulare Chemie mit der Chemie jenseits des Moleküls. Sie bezieht sich
auf organisierte komplexe Einheiten, die durch zwischenmolekulare Kräfte (Wasserstoff-
brückenbindungen, van-der-Waals-Kräfte) zusammengehalten werden. Diese supramole-
kularen Einheiten werden als Übermoleküle bezeichnet. Der Begriff „Übermolekül“ wurde
bereits Mitte der dreißiger Jahre eingeführt, um höher organisierte Einheiten zu beschreiben,
die aus der Zusammenlagerung koordinativ gesättigter Spezies hervorgehen. Die supramo-
lekulare Chemie entfaltet sich v. a. in den Grenzbereichen, die sich mit physikalischen
und biologischen Phänomenen auf molekularer Ebene beschäftigten. Neue physikalische
Eigenschaften führen zu neuen Materialeigenschaften. Ein gutes Beispiel hierfür, das in der
Anwendung schon weit verbreitet ist, sind flüssigkristalline Systeme. Die in biologischen
Systemen häufig auftretenden Wirts-Gast-Beziehungen oder das Schlüssel-Schloss-Prinzip
sind ebenfalls Phänomene, die mit Hilfe der supramolekularen Chemie erklärt werden kön-
nen. Molekulare Maschinen (manchmal auch als Nanomaschinen bezeichnet) sind supramo-
lekulare Gebilde, die aus Makromolekülen zusammengesetzt sind und bestimmte Funktio-
nen bzw. Bewegungen ausführen können. Für das Design und die Synthese von molekularen
Maschinen wurden Jean-Pierre Sauvage, Sir J. Fraser Stoddart und Bernard L. Feringa 2016
mit dem Nobelpreis für Chemie ausgezeichnet.
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von 133
Springer Nature 2021
B. Weber, Koordinationschemie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-63819-4_8
134 8 Supramolekulare Koordinationschemie
Die ersten Forschungsprojekte, die zur Entwicklung der supramolekularen Chemie führten,
beschäftigten sich mit der Erkennung sphärischer Substrate und der Bildung von Kryp-
tanden. Für die dazu durchgeführten Arbeiten wurden Charles J. Pedersen (Entdeckung
der Kronenether), Donald J. Cram (molekulare Wirt-Gast-Beziehungen) und Jean-Marie
Lehn (Helicate, Kryptanden) 1987 mit dem Nobelpreis für Chemie ausgezeichnet [27–29].
Motiviert waren diese Projekte durch biochemische Fragestellungen (selektive Komplexie-
rung von Alkalimetall-Kationen) oder Fragestellungen wie die der Anionen-Aktivierung. In
Abb. 8.1 sind drei Kronenether und zwei makrobicyclische Kryptanden mit der jeweiligen
Bezeichnung abgebildet. Die Kronenether gehören zu den makrocyclischen Liganden des
Coronand-Typs. Bei der Benennung eines Kronenethers wird erst die Anzahl der Atome im
makrocyclischen Polyether angegeben und dann die Anzahl der Donoratome. Die einzigar-
tige Eigenschaft dieser Liganden ist die Möglichkeit, Alkalimetall-Ionen zu komplexieren,
die von anderen Liganden normalerweise nicht komplexiert werden. Besonders gute Eigen-
schaften als Komplexbildner werden erreicht, wenn die Sauerstoffatome immer durch zwei
Kohlenstoffatome voneinander getrennt sind. Dann werden mit dem Metallzentrum immer
Chelat-Fünfringe ausgebildet, von denen wir bereits wissen, dass sie besonders stabil sind.
Die Stabilität der entsprechenden Komplexe kann über den makrocyclischen Effekt und das
HSAB-Prinzip (der harte Sauerstoff dient als Donoratom für die ebenfalls harten Alkali- und
Erdalkalimetall-Kationen) erklärt werden. Wie in Abb. 8.1 zu sehen, haben die Kronenether
eine bestimmte Lochgröße. Damit wird der Hohlraum bezeichnet, der bei einem bestimmten
Kronenether für die Komplexierung eines Kations zur Verfügung steht. Die Größenordnung
O O
O O O O
O O
Li Na K
O O O O O O
O
O O O
O O O O O O O O
O O O O
[2.2.1] [2.2.2]
Abb. 8.1 Oben: Struktur von drei Kronenethern mit Illustration der unterschiedlichen Loch-Größe,
die für die Bindungsselektivität für die Kationen Li+ , Na+ und K+ verantwortlich ist. Unten: Struktur
von zwei makrobicyclischen Kryptanden. In der angegebenen Kurzbezeichnung werden die Donor-
stellen pro Brücke gezählt
8.1 Molekulare Erkennung 135
ist 1.2–1.5 Å für [12]Krone-4, 1.7–2.2 Å für [15]Krone-5 und 2.6–3.2 Å für [18]Krone-6.
Auch die Alkakimetall-Kationen haben unterschiedliche Größen mit 1.36 Å für Li+ , 1.94
Å für Na+ und 2.66 Å für K+ . In Abhängigkeit vom Größenverhältnis Loch:Kation kön-
nen selektiv 1:1 Komplexe mit dem jeweiligen Kation, wie in Abb. 8.1 gegeben, erhalten
werden. Dabei wird am besten das Kation komplexiert, das das Loch am besten ausfüllt.
Durch die Komplexierung des Kations mit dem Kronenether können sonst nur wasserlös-
liche Alkalimetallsalze in organischen Lösemitteln (z. B. Dichlormethan) gelöst werden.
Dadurch können die Anionen für nachfolgende Reaktionen aktiviert werden.
Eine weitere Erhöhung der Bindungsselektivität kann erreicht werden, wenn 3-
dimensionale Ligand-Käfige, die sogenannten Kryptanden, verwendet werden. Zwei Bei-
spiele dafür sind in Abb. 8.1 unten gegeben. Auch hier kann die Größe des Hohlraums
über die Länge der Brücken variiert werden. Die Kryptanden eignen sich ebenfalls gut für
die Komplexierung von Alkali- und Erdalkalimetall-Kationen. Im Vergleich zum makro-
cyclischen Liganden wird die Stabilität der entsprechenden Komplexe weiter erhöht. In
diesem Zusammenhang spricht man dann, in Anlehnung an den makrocyclischen Effekt,
vom Kryptanden-Effekt.
Die Weiterentwicklung dieser Arbeitsgebiete führte zu Fragen wie der gezielten Erken-
nung von anionischen Substraten, tetraedrischen Substraten, Ammonium-Ionen und ver-
wandten Substraten, sowie der Mehrfacherkennung (zwei- und mehrkernige Kryptanden,
lineare Substrate). Die Arbeiten zu den Coronanden und Kryptanden führten zu weiteren
Forschungsgebieten, von denen hier drei Beispiele gegeben sind.
die Systeme daher als programmierte molekulare und supramolekulare Systeme bezeich-
nen, die geordnete Einheiten nach einem definierten Plan erzeugen, der auf molekularer
Erkennung beruht. In diesem Zusammenhang kommen wir auf das wohl bekannteste Bei-
spiel zu sprechen – der Selbstorganisation von Metallkomplexen mit Doppelhelixstruktur,
den Helicaten. Bevor wir dies tun, beschäftigen wir uns noch einmal etwas ausführlicher mit
der Bindungsselektivität und der molekularen Erkennung. Die am Beispiel der Kronenether
bereits eingeführte molekulare Erkennung kann im Umkehrschluss auch dazu verwendet
werden, selektiv Bindungen auszubilden. Diese Idee wird bei der Templat-Synthese von
makrocyclischen Liganden ausgenützt.
Ein wichtiges Prinzip der supramolekularen Chemie ist die Bindungsselektivität, die mole-
kulare Erkennung. Diese Selektivität hat eine entscheidende Bedeutung bei Templatsynthe-
sen von makrocyclischen Liganden. Makrocyclische Liganden sind für den Koordinations-
chemiker von besonderem Interesse. Auf der einen Seite zeichnen sich die Komplexe durch
eine besondere Stabilität und, wie wir es bereits bei den Kronenethern gesehen haben, Bin-
dungsselektivität aus. Dazu kommt, dass in biologischen Systemen das aktive Zentrum von
Metalloenzymen häufig von einem makrocyclischen Liganden komplexiert wird. Um ein
besseres Verständnis dieser Enzyme zu erreichen, besteht das Interesse, Modellverbindungen
mit makrocyclischen Liganden herzustellen. Die Synthese von cyclischen organischen Ver-
bindungen ist nicht einfach, da eine Vielzahl von Nebenprodukten erhalten werden können.
Um eine gezielte Reaktionsführung zu erreichen, kann man den Templat-Effekt ausnutzen.
Das Templat ist in unserem Fall ein Metallion. Die im Metallion gespeicherte Information
führt zu einer Selektivität (einer bestimmten Reaktion), die in der (entstehenden) Ligand-
struktur gespeichert ist.
Ganz allgemein dient das Templat der Vororientierung der zu verknüpfenden Komponen-
ten, so dass die Bildung unerwünschter Nebenprodukte unterbunden wird. Eine andere
Alternative zur gezielten Synthese z. B. von makrocyclischen Verbindungen wäre eine hohe
Verdünnung der Komponenten, um auf diese Weise die Oligomerisierung oder Polymeri-
sation zu unterdrücken. Ein häufiges Problem bei der Templatsynthese ist die Entfernung
des Metallions zur Darstellung des freien Liganden. Der Schlüssel für eine erfolgreiche
Templatsynthese ist die Auswahl eines geeigneten Kations. Dafür müssen wir uns zunächst
8.1 Molekulare Erkennung 137
N N N N
H
N Ni2+ Ag+
O + O
N N
N N
H NH2 H2N
N H
H N N N
N
Abb. 8.2 Einfluss des Ionenradius des Templats auf die Größe des gebildeten Makrocyclus
fragen, was für eine molekulare Information in einem Kation gespeichert sein kann. Die
Eigenschaften von Kationen werden v. a. von ihrem Ionenradius und der Valenzelektro-
nenkonfiguration bestimmt. Daraus lassen sich die folgenden molekularen Informationen
ableiten.
• bevorzugte Koordinationszahl
• bevorzugte Koordinationsgeometrie (z. B. quadratisch planar bei Cu2+ und tetraedrisch
bei Cu+ )
• bevorzugte Donoratome (HSAB-Prinzip)
• Ionenradius (z. B. Kronenether)
Deswegen eignen sich Alkalimetallionen besonders für die Darstellung von Kronenethern,
während weiche Kationen bei Liganden mit N- und S-Donoratomen bevorzugt werden. Der
Ionenradius spielt eine wichtige Rolle bei der Bestimmung der Größe des Makrocyclus. Ein
Beispiel dafür ist in Abb. 8.2 gegeben. Für die Synthese von Käfigverbindungen spielen ähn-
liche Kriterien eine Rolle. Auch im Liganden kann eine molekulare Information gespeichert
sein. Ein gutes Beispiel dafür ist in Abb. 8.3 gegeben.
Damit können wir die bei den Kronenethern bereits veranschaulichte molekulare Erkennung
noch einmal neu definieren.
138 8 Supramolekulare Koordinationschemie
H
B
N N
N
N
N N
L N
N N
M M
L
L L
L
L
Abb. 8.3 Molekulare Information kann im Liganden (mer-Koordination für Terpyridin und fac-
Koordination für Trispyrazolylborat bei oktaedrischen Komplexen) und im Metallion (Koordinati-
onszahl, Koordinationsgeometrie, bevorzugte Donor-Atome) gespeichert sein
Template können in zwei verschiedene Kategorien eingeteilt werden, die kinetischen Tem-
plate und die Gleichgewichts- bzw. thermodynamischen Template. In Abb. 8.4 ist das
Grundprinzip eines thermodynamischen Templates dargestellt. Das thermodynamische bzw.
Gleichgewichtstemplat begünstigt die Bildung eines Produktes, das sich im Gleichgewicht
mit vielen weiteren Produkten befindet. Durch das Templat wird das gewünschte Produkt
dem Gleichgewicht entzogen. Gemäß dem Prinzip von le Chatelier wird der gewünschte
Makrocyclus in Abb. 8.4 nachgebildet und die Ausbeute wird erhöht.
Das in Abb. 8.5 gegebene kinetische Templat beeinflusst die Reaktionsreihenfolge, um
zum gewünschten Produkt zu kommen. Im Gegensatz zum Gleichgewichtstemplat, bei dem
alle Reaktanten in einem Topf umgesetzt werden, werden mehrere Schritte durchgeführt.
So wird sichergestellt, dass das gewünschte Endprodukt erhalten wird. Ein kritischer Schritt
bei der Templatsynthese ist häufig die anschließende Entfernung des Templates aus dem
gebildeten Makrocyclus, um den freien Liganden zu erhalten. In Abb. 8.6 ist exemplarisch
die Synthese eines makrocyclischen Liganden gezeigt. Als Templat dient das Kupfer(II)-
Ion, das eine quadratisch planare Koordinationsumgebung bevorzugt und deswegen für die
Synthese von planaren N4 -Makrocyclen gut geeignet ist. Im letzten Schritt wird das Kupfer
aus dem gebildeten Komplex entfernt. Dazu wird die geringe Löslichkeit von Kupfersulfid
ausgenutzt.
8.2 Helicate 139
B A
n+
M
n+ M
B A
B A
B
B A
A A B
B A A B
B A A B
B A +
B A
X X
B A n
A B
n
B
B A A B B A A n
n
Abb. 8.4 Grundprinzip eines Gleichgewichts- bzw. thermodynamischen Templats. Das gewünschte
Produkt (Makrocyclus) wird durch das Templat (Metallion) aus dem Gleichgewicht entzogen und
die Ausbeute wird so erhöht
8.2 Helicate
Das bei der Templatsynthese angewandte Konzept der molekularen Erkennung kann für
den Aufbau größerer und komplexerer Strukturen verwendet werden und führt damit zur
supramolekularen Koordinationschemie. Voraussetzung für den Aufbau supramolekularer
Strukturen ist, dass die Verbindungen zugleich kinetisch labil und thermodynamisch stabil
sind. Wie beim thermodynamischen Templat stehen mehrere mögliche Reaktionsprodukte
im Gleichgewicht. Hinreichend lange Reaktionszeiten führen dazu, dass das thermodyna-
misch stabilste Produkt das Hauptprodukt ist. Sind diese Randbedingungen erfüllt, kann
140 8 Supramolekulare Koordinationschemie
COOEt COOEt
N O H 2N N N
X Cu X Cu
+
N O H2N – 2 H2O N N
COOEt COOEt
COOEt COOEt
N N NH N
+H2S
X Cu X
N N – CuS NH N
COOEt COOEt
O + 2 Cu+
2 2
O
N
N
wegen der an diesen Beispielen sehr gut zur veranschaulichenden Grundideen der supramo-
lekularen Chemie Aufmerksamkeit. Bei ihnen handelt es sich um die ersten synthetischen
Verbindungen mit Helix-Struktur, die ein Modell für die Doppelhelix der DNA sind.
Für die Ausbildung von Helicaten muss die Brücke zwischen den 2,2 -Bipyridineinheiten
im Liganden sehr flexibel sein. Was passiert, wenn die Brücke verkürzt und dadurch starrer
wird, ist in Abb. 8.9 gezeigt. Bei diesem Beispiel wird als Metallzentrum das Eisen(II)-Ion
verwendet, das eine oktaedrische Koordinationsumgebung bevorzugt. Deswegen koordinie-
ren bei diesem Beispiel drei 2,2 -Bipyridin-Einheiten an das Eisen(II)-Ion. Als Produkte wer-
den sternförmige Gebilde erhalten, deren Größe von der Flexibilität des Liganden abhängt.
Je flexibler der Ligand ist, umso kleiner wird der mehrkernige Komplex. An dieser Stelle
bietet sich ein kurzer Kommentar zu den Reaktionsbedingungen an. Wie in Abb. 8.9 ange-
deutet, werden für die Koordinationschemie vergleichsweise hohe Reaktionstemperaturen
+ 7 Cu+
2 +2 +
N N
N
bzw.
N
N N
N N
Cl–
Abb. 8.9 Einfluss der Flexibilität des Liganden auf die gebildeten supramolekularen Aggregate [30]
benötigt, was zur Wahl des eingesetzten Lösemittels (Ethylenglycol = 1,2-Ethandiol, Siede-
punkt 197◦ C) führte. Hohe Temperaturen und eine sehr gute Löslichkeit der Ausgangsstoffe
und Zwischenprodukte sind notwendig, um sicherzustellen, dass die ebenfalls denkbaren
Nebenprodukte in Lösung bleiben und nicht dem Gleichgewicht entzogen werden.
Die gezeigten Beispiele (es gibt noch unzählige weitere) lassen sich in folgender Defini-
tion für die Selbstorganisation zusammenfassen.
Bei den bisher besprochenen Beispielen wurden immer diskrete supramolekulare Einhei-
ten erhalten. Der nächste Schritt, der Aufbau von eindimensionalen Polymeren bzw. 2–
3-dimensionalen Netzwerken, führt uns zu den MOFs. Im Jahr 2009 wurde eine IUPAC
Arbeitsgruppe gegründet, um Richtlinien für die Definition und Unterscheidung der Begriffe
MOF (= metal-organic f ramework, auf deutsch organometallische Gerüstverbindung) und
Koordinationspolymer (coordination polymer, CP) zu finden. Das Problem liegt in der inter-
disziplinären Ausrichtung dieses Arbeitsgebietes, das die Bereiche Anorganische Chemie,
Festkörperchemie und Koordinationschemie vereint. Dementsprechend gibt es Arbeitsgrup-
pen, die die Begriffe MOF und 3-dimensionales Koordinationspolymer als Synonyme ver-
wenden, während für andere MOFs poröse, kristalline Gerüstverbindungen sind, deren Kno-
tenpunkte aus mehreren Metallzentren bestehen. Die 2013 veröffentlichten IUPAC Empfeh-
lungen werden im Rahmen dieses Buches vorgestellt und angewandt [31].
Abb. 8.10 Übergang von einem monomeren Komplex (links) zum 1D-Koordinationspolymer
(rechts)
MOFs sind poröse Hybridmaterialien, die bei einer Reaktion zwischen organischen und
anorganischen Spezies unter Ausbildung einer dreidimensionalen Gerüststruktur entstehen.
Die meisten MOFs werden mit klassischen festkörperchemischen Methoden wie der Solvo-
thermalsynthese hergestellt. Dabei werden die Ausgangsstoffe in einem geeigneten Löse-
mittel bei hohen Temperaturen und Drücken umgesetzt. Unter diesen Bedingungen wird
unter anderem die Löslichkeit der einzelnen Komponenten verbessert und Nebenprodukte
werden vermieden.
Das Skelett der organometallischen Gerüstverbindungen enthält sowohl anorganische
(Knoten, SBU) als auch organische Einheiten (die „Linker“), die durch starke Bindungen,
i. d. R. sind das koordinative Bindungen, zusammengehalten werden. Konzeptionell gibt es
keinen Unterschied zwischen den klassischen anorganischen porösen Festkörpern und den
anorganisch/organischen Hybridverbindungen. In beiden Fällen werden die dreidimensio-
nalen Skelette durch die Zusammenlagerung von sogenannten „secondary building units“
(sekundäre Baueinheiten, SBU) erhalten. In Abb. 8.11 sind zwei Beispiele für die anorga-
nischen Knoten, die SBUs, gegeben. Dabei handelt es sich um mehrkernige Komplexe, bei
denen die Liganden (in den abgebildeten Beispielen Acetat und Wasser) durch verbrückende
Liganden ersetzt werden können. Die SBUs können geometrischen Körpern gleichgesetzt
werden. So bildet das basische Zinkacetat ein molekulares Oktaeder, während das Kupfera-
cetat ein molekulares Quadrat ist, wenn nur die Acetat-Liganden berücksichtigt werden. Der
zusätzliche Austausch der Wasserliganden führt ebenfalls zu einem molekularen Oktaeder.
Als Linker werden bei den MOFs verbrückende organische Liganden eingesetzt. Das führt
dazu, dass das Gerüst, im Gegensatz zu den rein anorganischen Zeolithen, nun vorrangig aus
kovalenten Bindungen aufgebaut ist. Um die gewünschte Porosität zu gewährleisten, müssen
starre Liganden mit Mehrfachbindungen eingesetzt werden. In Abb. 8.12 sind verschiedene
organische Linker dargestellt. Es handelt sich i. d. R. um starre Moleküle mit zwei bis
vier funktionellen Gruppen für die Netzwerkbildung. Über das organische Gerüst lässt sich
der Abstand zwischen den Knoten regulieren. In Abb. 8.12 ist nur ein kleiner Auszug von
den möglichen verbrückenden Liganden, die für die Synthese von MOFs eingesetzt werden
können, gegeben. Die Kombination mit verschiedenen SBUs liefert ein breites Spektrum
8.3 MOFs –Metal-Organic Frameworks 145
O O
O O Zn O
O O Zn O
OH2 O
O Cu
Cu O O
H2O O O O O
O O Zn O
Zn
OO
Abb. 8.11 Verschiedene secondary building units (SBUs). Auf der linken Seite ist das Kupferacetat,
ein dimerer Komplex mit der generellen Zusammensetzung [M2 (O2 CR)4 L2 ] abgebildet. Werden
nur die Acetat-Liganden als Anknüpfungspunkte für die organischen Linker berücksichtigt, erhält
man ein molekulares Quadrat, mit dem man zweidimensionale Schichten aufbauen kann. Das rechts
abgebildete basische Zinkacetat mit der generellen Zusammensetzung [M4 O(O2 CR)6 ] bildet ein
molekulares Oktaeder
an MOFs, bei denen die Eigenschaften (z. B. die Porengröße) systematisch variiert werden
können.
Auch bei der Namensgebung sind Parallelen zu den klassischen, rein anorganischen,
porösen Materialien erkennbar. Wie bei den Zeolithen werden neue Verbindungen durch
drei Buchstaben (i. d. R. der geographische Ursprung der neuen Verbindung) und einer
Nummer benannt. So steht z. B. MIL für Materialien des Instituts Lavoisier. Die allerersten
Vertreter wurden mit MOF und einer fortlaufenden Nummer bezeichnet.
Als erstes Beispiel betrachten wir MOF 5 mit der Zusammensetzung Zn4 O(BDC)3 . Bei
diesem MOF ist die SBU das in Abb. 8.11 gezeigte basische Zinkacetat, das ein molekula-
res Oktaeder bildet. Werden die Acetationen durch den verbrückenden Liganden (Linker)
Terephthalat ersetzt, erhalten wir eine poröse dreidimensionale Gerüststruktur, wie sie in
Abb. 8.13 abgebildet ist. MOF 5 wurde 1999 von Yaghi hergestellt und war das erste einfache
Koordinationsnetzwerk mit einer sehr hohen spezifischen Oberfläche (2900 m2 g−1 ). Nach
der Herstellung sind die Poren zunächst mit Lösemittel gefüllt, das relativ einfach zu entfer-
nen ist. In die dann freien Poren lassen sich 1.04 cm3 g−1 Stickstoff kondensieren, was mit
den Adsorptionskapazitäten von Aktivkohle vergleichbar ist. Bei diesem MOF lässt sich
die Porengröße sehr schön durch Variation des Linkers kontrollieren. Durch den Einsatz
von Naphthalindicarboxylat- bzw. Pyrendicarboxylatanionen (IRMOF-8 und 14) werden
die Poren systematisch vergrößert. Alle Beispiele haben das gleiche kubische Netzwerk,
weswegen diese MOFs als IRMOFs, „Isoreticular Metal-Organic Frameworks“, bezeichnet
werden [32, 33].
Als zweites Beispiel bauen wir uns ein MOF ausgehend von Kupferacetat. Zunächst erset-
zen wir die Acetationen durch trans-1,4-Cyclohexandicarboxylat. Dabei wird eine zweidi-
mensionale Schicht aus vernetzten Kupferzentren erhalten. In einem zweiten Schritt wird
das Wasser durch den Linker 4,4 -Bipyridin (bipy) ersetzt und wir kommen wieder zu einer
146 8 Supramolekulare Koordinationschemie
HO O
HO O N NH
O OH HO O N
HO O O OH N
O OH HN N
HO O
HO O O O O O
HO OH HO O
H
N
O O
N N
OH OH
BTC
N NH
N N O OH O OH
BTB TATB
N N
HN NH
N N N N
Abb. 8.12 Beispiele für verbrückende Liganden auf Carboxylat-Basis bzw. Heterocyclen-Basis. Die
Liganden können zwei, drei oder (hier nicht abgebildet) vier funktionelle Gruppen für die Ausbildung
eines Netzwerkes haben. Auch der Abstand zwischen den funktionellen Gruppen kann kontrolliert
werden. Als Beispiel dafür sind oben von links die Terephthalsäure (Benzendicarboxylsäure BDC),
die Cyclohexandicarbonsäure, die Naphthalindicarbonsäure und die Pyrendicarbonsäure gegeben.
Das gleiche ist bei den Liganden mit drei funktionellen Gruppen (Benzoltricarbonsäure bzw. Tri-
mesinsäure BTC und Benzoltribenzoat BTB) möglich. Die Liganden können durch das Einführen
von Heteroatomen (4,4 ,4 -s-triazine-2,4,6-triyltribenzoate TATB) weiter funktionalisiert werden,
um neue oder zusätzliche Eigenschaften zu erreichen
porösen 3D Gerüstverbindung. Im Gegensatz zu MOF 5 und den IRMOFs ist dieses Netz-
werk nicht mehr kubisch, sondern aus Quadern aufgebaut. Auch bei diesem Beispiel kann
durch den Einsatz verschiedener Dicarbonsäuren die Porengröße variiert werden. Anstelle
von 4,4 -Bipyridin können auch andere Bipyridine als Linker zum Einsatz kommen. Bei
dem in Abb. 8.14 gezeigten Beispiel werden in der Kristallstruktur sich gegenseitig durch-
dringende Netzwerke beobachtet. Dadurch wird die effektive Porengröße deutlich reduziert
– ein nicht unbedingt erwünschter Effekt [34].
8.3 MOFs –Metal-Organic Frameworks 147
Die ersten Vorteile von MOFs gegenüber Zeolithen sind schon bei der Synthese zu finden.
Während bei letzteren anorganische oder organische Template benötigt werden, um die
gewünschten Poren zu erreichen, die aufwendig zu entfernen sind, ist bei MOFs häufig
das Lösemittel gleichzeitig das Templat. Infolge dessen ist das Skelett der MOFs meistens
neutral und auch nach der Entfernung des Templates noch stabil. Durch das Zusammenspiel
von anorganischen und organischen Teilen können hydrophile und hydrophobe Bereiche
realisiert werden.
Weiterhin findet man bei MOFs eine wesentlich größere Variabilität. Die fängt bei den
möglichen Kationen für den Aufbau des Netzwerks an (nahezu alle zwei- bis vierwertigen
Metallionen) und steigert sich noch einmal deutlich bei den organischen Brückenliganden,
148 8 Supramolekulare Koordinationschemie
die noch zusätzlich funktionalisiert werden können. Ein wesentlicher Nachteil der MOFs
im Vergleich zu den rein anorganischen Zeolithen ist die deutlich geringere thermische
Stabilität und die geringere Stabilität gegenüber Säuren und Basen. Auch die Synthese der
MOFs ist nicht so einfach, wie sie einem auf dem Papier erscheint, da eine Vielzahl von
unerwünschten Nebenprodukten möglich sind.
Aus der Vielfältigkeit und Variabilität der MOFs heraus ergeben sich ebenso vielfältige
Anwendungsmöglichkeiten, von denen im Folgenden einige ausgewählte gegeben sind [35].
Alle Anwendungen beruhen auf der großen Oberfläche der MOFs, ihrer Porosität. Das hohe
Anwendungspotential der MOFs liegt in der Möglichkeit, die Form und Größe der Poren
selektiv maßzuschneidern. Hier zeigen die MOFs eine höhere Flexibilität als klassische
poröse Festkörper wie z. B. Zeolithe.
Gasspeicherung Sehr intensiv wird die Möglichkeit der Speicherung von Wasserstoff unter-
sucht. Hier zeigen mit MOFs gefüllte Gefäße ein deutlich höheres Aufnahmevermögen als
leere Gefäße, bei geringeren Drücken. Diese Beobachtung wird auf Adsorptions-Effekte
zurückgeführt. So zeigten Untersuchungen an MOF-5, dass 1.3 Gew.-% H2 bei 77 K (1 bar)
aufgenommen werden können [36]. Weiterführende Untersuchungen haben gezeigt, dass
möglichst viele kleine Poren (gerade groß genug für H2 ) und freie Koordinationsstellen am
Metall sich vorteilhaft auf die Wasserstoffspeicherung auswirken. Beides wurde im folgen-
den Beispiel (wieder ausgehend von Kupferacetat) realisiert. Ein 3D Netzwerk mit freien
Koordinationsstellen am Metall kann ausgehend von Kupferacetat erhalten werden, wenn
anstelle von linear verbrückenden Dicarboxylaten Tricarboxylate eingesetzt werden, wie
beim Beispiel in Abb. 8.15 gezeigt. Die vielen kleinen Poren werden durch zwei sich gegen-
seitig durchdringende Netzwerke realisiert und die freien Koordinationsstellen am Metall
entstehen, wenn das Wasser am Kupfer entfernt wird. Gassorptions-Experimente bestätigen
die sehr hohe Porosität der Verbindung. Bei der Wasserstoffspeicherung können unter Nor-
maldruck bei 77 K ca. 1.9 % Wasserstoff (10.6 mg/cm3 ) absorbiert werden, was (bis 2006)
einer der höchsten Werte ist, die für MOFs erhalten wurden [37].
Bei der heterogenen Katalyse werden unterschiedliche Herangehensweisen verwendet.
In einer klassischen Variante werden a) Metall-Nanopartikel auf den Oberflächen in den
Poren der MOFs abgelagert (Metall@MOF), dieser Ansatz ist bereits von den Zeolithen
her bekannt. Andere Alternativen sind b) die Linker-Moleküle als aktive Zentren, c) die
SBUs als aktive Zentren oder d) die Einführung von aktiven Zentren durch nachträgliche
Modifikationen.
150 8 Supramolekulare Koordinationschemie
Abb. 8.15 Aufbau eines MOF ausgehend von Kupferacetat mit freien/flexiblen Koordinationsstellen
am Metall: Cu3 (TATB)2 (H2 O)3 mit TATB = 4,4 ,4 -s-Triazine-2,4,6-triyltribenzoate. Durch den
dreizähnigen Liganden wird eine dreidimensionale Gerüstverbindung erhalten. Das in der Abbildung
am Kupfer gebundene Wasser lässt sich im Anschluss an die Synthese entfernen
8.4 Fragen 151
8.4 Fragen
1. Was versteht man unter molekularer Information und worin kann sie gespeichert sein?
2. Warum wird nicht Wasser sondern Methanol als Lösemittel für die Synthese der Helicate
verwendet?
3. Warum sind die Kupfer-Komplexe bei den Helicaten tetraedrisch und nicht quadratisch
planar?
4. Sind bei der Abb. 8.7 auch andere Produkte denkbar?
5. Warum entstehen in Abb. 8.8 keine gemischten Komplexe?
6. Was ist ein MOF? Warum kann der Name irreführend sein?
7. Welchen Vorteil haben MOFs gegenüber alternativen porösen Materialien? Was sind die
Nachteile?
Metall-Metall-Bindung
9
Im letzten Abschnitt haben wir eine ganze Reihe von mehrkernigen Komplexen betrachtet.
Allen gemein war, dass sie durch Brückenliganden verknüpft waren. In diesem Abschnitt
wenden wir uns Verbindungen zu, bei denen zwischen zwei oder mehreren Metallatomen
eine kovalente Bindung diskutiert wird. Bei der Einführung der 18-VE-Regel (Abschn. 3.2)
wurde bereits die Möglichkeit von Metall-Metall-Bindungen erwähnt. Die Formulierung
solcher Bindungen weicht stark von den Wernerschen Vorstellungen über die Molekülche-
mie von Übergangsmetallen ab und der Durchbruch gelang erst in den 1950er Jahren, als
durch Röntgenstrukturanalyse das Vorliegen von Metall-Metall-Bindungen eindeutig belegt
wurde.
Als Cluster, oder genauer gesagt Clusterkomplexe (da der Begriff Cluster in Chemie und
Physik auch eine andere Bedeutung tragen kann) werden, nach IUPAC, Komplexe mit drei
oder mehr Metallzentren mit Metall-Metall-Bindungen bezeichnet [12]. Umgangssprach-
lich sind die zweikernigen Systeme häufig mit eingeschlossen und auch in diesem Kapitel
werden im Folgenden zunächst zweikernige Systeme betrachtet. Clusterkomplexe lassen
sich in zwei Klassen einteilen: Das eine sind Halogenidokomplexe der d-elektronenarmen
Übergangsmetalle, zu denen auch analoge Oxido- und Thiooxido-Komplexe gezählt wer-
den. Die Kombination von d-elektronenarmen Metallzentren und π -Donorliganden führt zu
stabilen Systemen mit Metall-Metall-Bindung. Diese Verbindungen gehorchen häufig nicht
der 18-VE-Regel und lassen sich aufgrund ihres ionischen Aufbaus besser mit der Ligan-
denfeldtheorie beschreiben. Die zweite Verbindungsklasse sind mehrkernige Carbonylkom-
plexe von d-elektronenreichen Übergangsmetallen mit π -Akzeptor-Liganden. Bei diesen
meist kovalent aufgebauten Komplexen lässt sich die 18-Valenzelektronenregel anwenden,
um die Anzahl der Metall-Metall-Bindungen zu bestimmen. Jede Metall-Metall-Bindung
steuert ein Elektron pro Metallzentrum zur Elektronenbilanz bei.
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B. Weber, Koordinationschemie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-63819-4_9
154 9 Metall-Metall-Bindung
–
CO CO CO
OC CO OC CO
OC Mn Mn CO CO OC Os CO
OC CO OC CO
CO CO CO CO OC Os Os CO
Os
OC CO OC P CO
O O Os Os OC CO
OC CO Os
OC CO
C C CO CO
CO OC Os Os
CO
OC Co Co CO OC CO CO
OC CO CO CO
Bei mehrkernigen Komplexen wird eine Metallbindung am Ende des Namens angege-
ben. In runden Klammern werden die beiden Metallzentren zwischen denen eine Metall-
Metall-Bindung vorliegt mit einem Bindestrich verbunden angegeben. Als Beispiel benen-
nen wir den zweikernigen Cobaltcarbonyl-Komplex in Abb. 9.1. Er heißt Di-μ-carbonylbis
[tricarbonylcobalt(0)] (Co-Co). Der zweikernige Mangankomplex mit der Zusammenset-
zung [Mn2 (CO)10 ] ist das Decacarbonyldimangan (Mn-Mn) bzw. das Bis(pentacarbonyl-
mangan) (Mn-Mn).
9.2 Metall-Metall-Einfachbindung
Bei einigen Metallcarbonylen kann die Anzahl der Metall-Metall-Bindungen über die 18-
VE-Regel bestimmt werden. Dazu kann die von dieser Regel abgeleitete EAN-Regel (Effec-
tive Atomic Number Rule) verwendet werden. Diese kann als Erweiterung der 18-VE-Regel
für Cluster betrachtet werden. Wie bei der 18-VE-Regel, ist das System bestrebt, eine Edel-
gaskonfiguration zu erreichen. Die „fehlenden“ Valenzelektronen können durch das Aus-
bilden von Metall-Metall-Bindungen ergänzt werden, da jede Metall-Metall-Bindung ein
Elektron pro Metallzentrum der Elektronenbilanz beisteuert. Bei gegebener Komplexfor-
mel, mit der entsprechenden Gesamtvalenzelektronenzahl N und der Zahl der Metallzentren
n, lässt sich die Zahl der Metall-Metall-Bindungen x vorhersagen bzw. wie folgt berechnen:
18n − N
x=
2
9.2 Metall-Metall-Einfachbindung 155
Unser erstes Beispiel ist das Decacarbonyldimangan [Mn2 CO10 ]. Wenn wir davon ausge-
hen, dass zwei monomere Komplexe der Zusammensetzung [Mn(CO)5 ] ohne Metall-Metall-
Bindung vorliegen, dann kommen wir bei der Anzahl der Valenzelektronen auf 17; 7 vom
Mangan und 10 von den fünf Carbonylliganden. Als Monomer ist der Carbonyl-Komplex
nicht stabil. Wird nun eine Metall-Metall-Bindung ausgebildet, dann wird pro Mangan ein
weiteres Elektron der Elektronenbilanz beigesteuert und wir erhalten 18 Valenzelektronen
pro Metallzentrum bzw. 36 für den gesamten Komplex. Mit Metall-Metall-Bindung ist der
Komplex stabil. Wenn wir die EAN-Regel anwenden wollen, dann ist n = 2; N = 34 und
demzufolge x = 1. Der Komplex hat eine Mangan-Mangan-Bindung. Unser zweites Bei-
spiel ist der in Abb. 9.1 gegebene zweikernige Cobaltkomplex mit den zwei verbrückenden
Carbonylliganden. Wenn wir davon ausgehen, dass keine Metall-Metall-Bindung vorliegt,
dann erhalten wir wieder 17 Valenzelektronen pro Cobalt; 9 vom Cobalt, 6 von den drei
endständigen Carbonylliganden und zwei von den beiden μ2 -verbrückenden Carbonylligan-
den. Achtung! Der Carbonylligand kann immer maximal zwei Valenzelektronen beisteuern,
unabhängig von dem Verbrückungsmodus. Die beiden Cobaltatome müssen sich das freie
Elektronenpaar von den verbrückenden Carbonylliganden teilen! Durch die Ausbildung
einer Metall-Metall-Bindung wird die Edelgaskonfiguration erreicht. Bei der EAN-Regel
ist n = 2; N = 34 und demzufolge x = 1. Als weitere Beispiele sehen wir uns zwei etwas
größere Cluster an. Bei dem dreikernigen Komplex [Os3 (CO)12 ] ist n = 3, N = 48 und x = 3.
Die drei Metall-Metall-Bindungen können realisiert werden, wenn die drei Osmiumatome
ein Dreieck bilden. Bei dem Komplex [Os6 (CO)18 P]− können wir für das Elektronenzählen
davon ausgehen, dass das Osmium und die Carbonylliganden ungeladen sind und das dann
einfach negativ geladene Phosphor-Atom als Ligand über 6 Valenzelektronen verfügen kann.
Damit kommen wir zu n = 6, N = 90 und x = 9. Neun Metall-Metall-Bindungen zwischen
sechs Atomen lassen sich in einem Prisma, wie in Abb. 9.1 gezeigt, realisieren.
9.2.2 MO-Theorie
Der Decacarbonyldimangan-Komplex dient als Beispiel für einen einfachen Einstieg in die
Bindungsverhältnisse zwischen den Metallzentren. Wir starten wieder mit den monome-
ren Fragmenten ohne Metall-Metall-Bindung. Um das pentakoordinierte Komplexfragment
darzustellen, gehen wir von einem oktaedrischen Komplex aus, bei dem ein Ligand entlang
der z-Achse entfernt wurde. Wir kommen damit zu einer quadratisch pyramidalen Koor-
dinationsumgebung für das Mangan mit einer Aufspaltung der d-Orbitale wie in Abb. 9.2
gezeigt. Aus Gründen der Übersichtlichkeit beschränken wir uns auf die Betrachtung der
„Ligandenfeldorbitale“, bei der Einführung in die MO-Theorie haben wir gesehen, dass
diese Herangehensweise durchaus berechtigt und in diesem Falle auch ausreichend ist.
Jedes Mangan besitzt sieben d-Elektronen, die, ausgehend von einem low-spin-Zustand,
auf die fünf Orbitale verteilt werden. Das ungepaarte Elektron befindet sich bei dieser
Betrachtung im dz 2 -Orbital, das hervorragend zur Ausbildung einer σ -Bindung zwischen
156 9 Metall-Metall-Bindung
E CO CO
OC CO
OC Mn Mn CO
OC CO
CO CO
eg* *
3dz² 3dz²
t2g
Abb. 9.2 Bindungsverhältnisse im [Mn2 (CO)10 ]. Bei den beiden monomeren Fragmenten ist das
dz 2 -Orbital jeweils einfach besetzt. Die darunter liegenden t2 g -Orbitale sind alle voll besetzt und für
die Ausbildung einer Metall-Metall-Bindung nicht relevant. Das gleiche gilt für das leere dx 2 −y 2 -
Orbital. Das dz 2 -Orbital hat genau die richtige Symmetrie für die Ausbildung einer σ -Bindung
entlang der z-Achse. Es wird ein bindendes (σ ) und antibindendes (σ ∗ ) Molekülorbital gebildet
und das energetisch tieferliegende, bindende Molekülorbital wird mit den beiden Elektronen aus den
Atomorbitalen besetzt
den zwei Metallzentren geeignet ist. Das energetisch günstigere σ -Orbital wird unter Ener-
giegewinn von den zwei bis dahin ungepaarten Elektronen besetzt, während das σ ∗ -Orbital
leer bleibt. Diese sehr anschauliche Betrachtung erklärt, warum die Metall-Metall-Bindung
stabil ist (Energiegewinn) und warum der zweikernige Komplex diamagnetisch ist. Die Dis-
soziationsenergie für das Brechen der Metall-Metall-Bindung ist allerdings deutlich kleiner
als die von Ethan. Die Bindung ist deutlich schwächer.
Neben der Frage, ob es eine Metall-Metall-Bindung gibt, stellt sich noch die Frage
nach der formalen Metall-Metall-Bindungsordnung. Diese wird durch die d-Elektronenzahl
der Fragmente bestimmt und lässt sich – wie bei anderen zweiatomigen Molekülen – durch
das Zählen der Elektronen in den bindenden und antibindenden Molekülorbitalen bestim-
men. Ähnlich wie bei der Kohlenstoffchemie (Alkane, Alkene, Alkine) sind hier Einfach-,
Zweifach- und Dreifachbindungen möglich. Dass Metallzentren zur Ausbildung von π -
Bindungen in der Lage sind, haben wir bereits bei ihren Komplexen mit π -Donor- bzw.
π -Akzeptor-Liganden gesehen. Im Folgenden werden wir lernen, dass bei Metall-Metall-
Bindungen noch höhere Bindungsordnungen möglich sind.
9.3 Metall-Metall-Mehrfachbindungen
Um einen Zugang zu dieser Thematik zu finden, werden als erstes Beispiel die zwei Kom-
plexe [Cr2 (ac)4 (H2 O)2 ] und [Cu2 (ac)4 (H2 O)2 ] verglichen. Die Molekülstruktur der bei-
den Acetate ist in Abb. 9.3 schematisch dargestellt. Beide Komplexe liegen als Dimer vor,
9.3 Metall-Metall-Mehrfachbindungen 157
*
E
*
3dx²-y²
*
3dz²
3dxy
3dxz, yz
Abb. 9.4 Links: MO-Schema für die MM-Vierfachbindung im Chromacetat. Rechts: Struktur der
vier bindenden Molekülorbitale [18]
tet, dass die Liganden eine ekliptische Konformation annehmen und nicht die energetisch
günstigere gestaffelte. Dieses ist beim Chromacetat mit den verbrückenden Acetat-Liganden
nicht überraschend – dieselbe Konformation wird aber auch beim [Re2 Cl8 ]2− gefunden. Ein
Blick auf die in Abb. 9.4 dargestellte δ-Bindung macht klar, dass diese Bindung nur bei einer
ekliptischen Anordnung der Liganden gebildet werden kann. Das Einstrahlen von Licht in
den δ– δ ∗ -Übergang führt zu einem angeregten Zustand mit gestaffelter Konformation. Die-
ser Übergang ist für die rote Farbe der dimeren Chromverbindungen verantwortlich.
Die Beschreibung der Bindungsverhältnisse als (σ 2 ) (π 4 )(δ 2 )-Vierfachbindungen ist eine
einfache und sehr anschauliche Darstellung. Die Realität gibt sie jedoch nur bedingt wie-
der, da sie von der Annahme ausgeht, dass jedes der vier bindenden Molekülorbitale mit
zwei Elektronen doppelt besetzt ist. Eine Bindungsanalyse von [Re2 Cl8 ]2− mit CASSCF-
Methoden (complete active space self-consistent field) ergeben eine berechnete Re–Re-
Bindungsordnung von 3.2. Der Beitrag der δ-Bindung beträgt ungefähr 0.5. Ausschlag-
gebend dafür ist der partiell besetzte antibindende δ ∗ -Zustand. Nun ist es eine Frage der
Begriffsdefinition von „Bindung“ und „Bindungsordnung“. Die Bindung könnte als schwa-
che Vierfachbindung mit vier Orbitalen bindungsrelevanter Überlappung beschrieben wer-
den oder als Bindung mit vier Elektronenpaaren und der effektiven Bindungsordnung von
etwa 3. Die Bindungsordnung berechnen wir dabei wie gewohnt, indem wir die Elektronen
in den bindenden und antibindenden Molekülorbitalen zählen.
Chromverbindung von +2 auf +1 reduzieren. Das zusätzliche Elektron besetzt das bisher
leere dx 2 −y 2 -Orbital und auf diese Weise ist eine fünffache Überlappung der Metall-d-
Orbitale möglich. Eine solche Bindung könnte man auch als Zehnelektronen-Zweizentren-
Bindung bezeichnen. In Abb. 9.5a ist die Struktur der ersten Verbindung zu sehen, bei der
solche Bindungsverhältnisse diskutiert wurden [38]. Bei dieser Verbindung, wie auch bei den
folgenden, wurde ein sterisch sehr anspruchsvoller Ligand verwendet, um die Cr-Cr-Bindung
in [ArCrCrAr], mit Ar = monoanionischer aromatischer Ligand, abzuschirmen und so vor
Folgereaktionen zu schützen. Analog zu dem vorhergehenden Beispiel sind zwar fünf Elek-
tronenpaare an der Bindung beteiligt, die Bindungsordnung ist jedoch deutlich geringer als
5, da auch hier die höher gelegenen antibindenden Zustände teilweise besetzt sind. Dies
spiegelt sich im auffällig langen Cr-Cr-Abstand von 1.835 Å wieder, der länger ist als die
kürzesten Abstände, die bei Cr-Cr-Vierfachbindungen diskutiert werden. In diesem Bereich
sind also weitere Steigerungen denkbar. Auffällig ist noch die gewinkelte Anordnung der
Verbindung, die zum einen auf stabilisierende Metall-Aromat-Wechselwirkungen (dünne
Linie) zurückzuführen ist. Einen weiteren Grund für die trans-gewinkelte Struktur der Ver-
bindung sind laut DFT-Untersuchungen starke σ -Bindungen der 4s3dz 2 -Hybridorbitale [39].
Abb. 9.5 a Struktur der ersten stabilen dimeren Chromverbindung, bei der eine Fünffachbindung
diskutiert wurde [38]. b – d Struktur dimerer Chromverbindungen mit ultrakurzen Chrom-Chrom-
Fünffachbindungen (in Reihenfolge der Erscheinung) [40]
9.3 Metall-Metall-Mehrfachbindungen 161
Noch kürzere Cr-Cr-Bindungen wurden durch geschickte Wahl der verbrückenden Ligan-
den erreicht. Die kürzesten bisher beobachteten Cr-Cr-Abstände von 1.75 Å und 1.74
Å (beide 2008 gleichzeitig publiziert) wurden mit dreiatomig verbrückenden Liganden
erreicht. Die Cr-Cr-Abstände liegen zwischen denen, die für Chrom(II)-Komplexe mit Vier-
fachbindung diskutiert werden und den im Gasphasen-Molekül Cr2 beobachteten Abstand
von 1.68 Å, der auf eine theoretische Sechsfachbindung zurückzuführen ist (siehe unten).
Die sehr kurzen Cr-Cr-Bindungen sind auf die sterisch anspruchsvollen Liganden zurück-
zuführen. Die berechnete Bindungsordnung der Verbindung c in Abb. 9.5 ist 4.2, was einer
formalen Fünffachbindung entspricht. Dass der Wert deutlich kleiner als 5 ist, ist unter
anderem auf schwache δ-Bindungen zurückzuführen [40].
Verfolgt man den beim Chromacetat begonnenen Gedanken der Minimierung der Ligan-
denzahl zur Erhöhung der Oxidationsstufe und damit auch der Bindungsordnung weiter,
könnte man in einer theoretischen dimeren [Cr02 ]-Verbindung eine Sechsfachbindung reali-
sieren, bei der eine weitere σ -Bindung durch die Wechselwirkung zwischen den 4 s-Orbitalen
ausgebildet wird. Durch die Minimierung der Ligandenzahl und Reduktion der Oxidations-
stufe wird die Bindungsordnung kontinuierlich weiter erhöht. In der Tat kann das Cr2 -
Molekül in der Gasphase hergestellt und charakterisiert werden und der kürzeste dabei
bestimmte Abstand ist mit 1.68 Å noch einmal deutlich kürzer als bei den Verbindungen
mit Fünffachbindung. Allerdings bleibt die (4 sσ 2 )(3dσ 2 )(3dπ 4 )(3dδ 4 )-Sechsfachbindung
eher hypothetischer Natur. Rechnungen zeigen, dass bei kurzem Metall-Metall-Abstand
starke 3d-Wechselwirkungen vorliegen, während bei einem größeren Abstand die 4 s-
Wechselwirkung dominiert.
9.4 Clusterkomplexe
2–
a b Os
Os
Os Os
Os
Os Os
Os Os
Os Os
Os
Abb. 9.6 Struktur von [Os6 (CO)18 ] (a) und [Os6 (CO)18 ]2− (b). Aus Gründen der Übersichtlichkeit
werden nur die Os-Atome, die Os-Os-Bindungen und die Bindungen zu den Carbonylliganden gezeigt
Die Isolobal-Analogie wurde von Roald Hoffmann eingeführt, der 1981 dafür mit dem
Nobelpreis für Chemie ausgezeichnet wurde [41, 42]. Das Besondere an diesem Konzept
ist, dass es eine Brücke zwischen der organischen und der anorganischen Chemie schlägt.
Wir beginnen mit einer Definition:
9.4 Clusterkomplexe 163
Einen guten Einstieg zu diesem Konzept erhält man, wenn man bei Molekülfragmenten oder
Atomen die Anzahl der Elektronen betrachtet, die bis zum Erreichen der Edelgaskonfigu-
ration benötigt werden. Dieser Zusammenhang ist in Abb. 9.7 dargestellt. Das Chloratom,
CH3 -Radikal und [Mn(CO)5 ]-Fragment sind zueinander isolobal. Allen fehlt noch ein Elek-
tron für das Erreichen der Edelgaskonfiguration und die entsprechenden Grenzorbitale sind
ähnlich. Als Symbol für isolobal wird ein zweiköpfiger Pfeil mit einem halben Orbital darun-
ter verwendet. Durch die Ausbildung einer σ -Bindung zwischen zwei Molekülfragmenten
bzw. Atomen wird der Elektronenmangel behoben. Dabei können auch zwei verschiedene,
zueinander isolobale, Fragmente verknüpft werden. Alle in Abb. 9.7 gezeigten Beispiele
sind bekannte, stabile Verbindungen.
Dieses Prinzip lässt sich nun auf Atome bzw. Molekülfragmente übertragen, denen zwei
oder drei Elektronen zum Erreichen der Edelgaskonfiguration fehlen. Entsprechende Bei-
spiele sind in Abb. 9.8 gegeben.
CO
H
OC
Cl H C OC Mn
OC
H
CO
CO CO
H H
OC CO
Cl Cl H C C H OC Mn Mn CO
OC CO
H H
CO CO
CO
H H
OC
H C Cl OC Mn C H
OC
H H
CO
Abb. 9.7 Isolobalbeziehung zwischen dem Chloratom, dem Methylradikal und dem [Mn(CO)5 ]-
Fragment. Die Gemeinsamkeit bei diesen drei Beispielen ist, dass noch ein Elektron bis zum Erreichen
der Edelgaskonfiguration fehlt. Das Chloratom und das Methylradikal haben 7 Valenzelektronen,
beim [Mn(CO)5 ]-Fragment sind es 17. Als Symbol für isolobal wird ein zweiköpfiger Pfeil mit
einem halben Orbital darunter verwendet. Durch die Ausbildung einer Einfachbindung zwischen zwei
Fragmenten erreichen beide Fragmente die angestrebte Edelgaskonfiguration. Die dabei entstehenden
abgebildeten Verbindungen sind alle bekannt
164 9 Metall-Metall-Bindung
CO
H
OC
S C Os
OC
H
CO
CO
CO
H H OC CO
H H H OC CO CO CO
Os
C C H Fe H OC CO
C C
S C Os Os
H H C C OC
H H CO CO
H CO
H H CO
CO
CO
P H C OC Ir
CO
OC
OC CO
P Ir
OC CO CO
P OC Ir
P P Ir Ir CO
OC CO
CO CO
Abb. 9.8 Beispiele für Molekülfragmente bzw. Atome, die zueinander isolobal sind und denen zwei
bzw. drei Elektronen zum Erreichen der Edelgaskonfiguration fehlen. Die aus diesen Fragmenten
abgeleiteten abgebildeten Verbindungen sind alle bekannt
Dass sich Anzahl und Energie der Grenzorbitale bei den hier gezeigten Beispielen ähnlich
sind, lässt sich auch mit Hilfe der Molekülorbitalschema der entsprechenden Molekülfrag-
mente zeigen. Als Beispiel sind in Abb. 9.9 das MO-Schema von einem CH3 -Fragment und
einem ML5 -Fragment (wobei M ein Metall mit sieben Valenzelektronen ist) gegeben. Beide
verfügen über ein Grenzorbital (Orbital mit ungepaartem Elektron) und die Grenzorbitale
besitzen eine ähnliche Energie.
Bei den bisher betrachteten Molekülfragmenten handelte es sich immer um neutrale
Verbindungen. Bei den Beispielen in Abb. 9.8 haben wir bereits gesehen, dass Osmium
(8 Valenzelektronen) einfach gegen Eisen (ebenfalls 8 Valenzelektronen) ausgetauscht
werden kann. Das ganze Konzept lässt sich nun ganz leicht auch auf geladene Spezies
übertragen. Wir beginnen wieder mit dem [M(CO)5 ]-Fragment mit 17 Valenzelektro-
nen, das isolobal zu CH3 ist. Andere Komplexfragmente mit 17 Valenzelektronen und
fünf Liganden wären [Fe(CO)5 ]+ oder [Cr(CO)5 ]− . Beiden fehlt noch ein Valenzelek-
tron zur abgeschlossenen Edelgasschale und sie sind deswegen auch isolobal zum CH3 -
Radikal. Genauso kann die Ladung des organischen Fragmentes variiert werden. CH+ 3 ist ein
9.4 Clusterkomplexe 165
Energie
Grenzorbital
d2sp3
sp3
3d (t2g )
Abb. 9.9 MO-Schema von einem ML5 -Fragment (wobei M ein Metal mit sieben Valenzelektronen
ist) und einem CH3 -Fragment. Die energetisch unterhalb des Grenzorbitals liegenden Orbitale sind
jeweils voll mit Elektronen besetzt. Aus Gründen der Übersichtlichkeit wurde beim ML5 -Fragment
darauf verzichtet, die Elektronenpaare im MO-Schema einzuzeichnen. Bei dieser Betrachtung werden
nur σ -Bindungen berücksichtigt und es wird davon ausgegangen, dass beim Kohlenstoff (sp3 ) und
beim Metall (d2 sp3 ) Hybridorbitale ausgebildet werden
Die Wade Regeln für die Vorhersage von Strukturen von Polyboranen (Elektronenmangel-
verbindungen) wurden von K. Wade, R. E. Williams und R. W. Rudolph aufgestellt. Die
Strukturen gehen davon aus, dass die Boratome die Ecken von Polyedern besetzen, die nur
von Dreiecksflächen begrenzt sind. Dementsprechend kommen als Polyeder das Tetraeder
166 9 Metall-Metall-Bindung
(4 Boratome), die trigonale Bipyramide (5 Boratome), das Oktaeder (6 Boratome), die pen-
tagonale Bipyramide (7 Boratome) usw. vor. Die Borane der allgemeinen Zusammensetzung
Bn Hm lassen sich je nach Verhältnis von Bor zu Hydrid in verschiedene Typen einteilen,
von denen die ersten vier hier genannt sind.
• closo-Borane haben die allgemeine Zusammensetzung Bn Hn+2 . Bei diesen Boranen sind
alle Ecken des Polyeders mit Boratomen besetzt.
• nido-Borane haben die allgemeine Zusammensetzung Bn Hn+4 . Bei diesen Boranen sind
bis auf eine alle Ecken des Polyeders mit Boratomen besetzt.
• arachno-Borane haben die allgemeine Zusammensetzung Bn Hn+6 . Bei diesen Boranen
sind bis auf zwei alle Ecken des Polyeders mit Boratomen besetzt.
• hypho-Borane haben die allgemeine Zusammensetzung Bn Hn+8 . Bei diesen Boranen
sind bis auf drei alle Ecken des Polyeders mit Boratomen besetzt.
Diese Einteilung kann beliebig weiter fortgesetzt werden. An der Außenseite des Borge-
rüstes besitzt jedes Boratom ein endständiges H-Atom, das auch als „exo“- Wasserstoffa-
tom bezeichnet wird. Die anderen Wasserstoffatome bilden Dreizentren-Zweielektronen-
Bindungen aus. Bei diesen Bindungen überlappen drei Atomorbitale, von denen nur zwei
einfach besetzt sind und das Dritte leer ist, unter Ausbildung von drei Molekülorbitalen, bei
denen das energetisch am tiefsten liegende, bindende Molekülorbital von den zwei Elektro-
nen besetzt wird. In Abb. 9.10 ist ein closo-, ein nido- und ein arachno-Boran als Beispiel
gezeigt. Die Dreizentren-Zweielektronen-Bindung ist auf der rechten Seite am Beispiel von
B2 H6 veranschaulicht. Bei den Boranen entspricht das gebundene Wasserstoffatom einem
Hydrid. Das bedeutet, dass eine negative Ladung des Polyborates wie ein Wasserstoff gezählt
wird.
• Hat ein Cluster mit n Atomen 2n + 2 Skelettelektronen, dann nimmt er eine closo-Struktur
ein.
• Hat ein Cluster mit n Atomen 2n + 4 Skelettelektronen, dann nimmt er eine nido-Struktur
ein.
9.4 Clusterkomplexe 167
BH
HB BH H
H H
HB
B B
H H
B 2–
H
H B6H6
B2H6
• Hat ein Cluster mit n Atomen 2n + 6 Skelettelektronen, dann nimmt er eine arachno-
Struktur ein.
• Hat ein Cluster mit n Atomen 2n + 8 Skelettelektronen, dann nimmt er eine hypho-Struktur
ein.
Nun werden nur noch die Elektronenzählregeln benötigt. Es werden die Valenzelektronen
vom Metall (v) und die Valenzelektronen der Liganden (l, pro Ligand, bei H = 1, alle
Lewis-Basen = 2) gezählt. Bei Hauptgruppen-Verbindungen wie den Boranen wird von
der Summe aus v + l pro Fragment (bzw. pro Boratom) zwei abgezogen (Wade-Regeln), bei
den Nebengruppen-Verbindungen werden 12 abgezogen (Erweiterung der Wade-Regeln,
Wade-Mingos-Regeln). Es folgen einige Beispiele, um das Konzept zu veranschaulichen.
Die ersten Beispiele kommen von den Boranen. Diese sind aus BH-Fragmenten und
BH2 -Fragmenten aufgebaut. Bor hat drei Valenzelektronen, und Wasserstoff eins. Damit
ist für ein BH-Fragment v + l − 2 = 3 + 1 − 2 = 2. Für ein BH2 -Fragment erhalten wir
v + l − 2 = 3 + 2 − 2 = 3. Die Verbindung B6 H8 (bzw. B6 H2− 6 ) ist aus 4 BH-Fragmenten
und 2 BH2 -Fragmenten aufgebaut. Damit erhält man 4 · 2 + 2 · 3 = 14 Skelettelektronen.
Da wir 6 Boratome haben, sind das 2n + 2 Skelettelektronen und wir erwarten eine closo-
Gerüststruktur, wie sie auch in Abb. 9.10 zu sehen ist. Die Verbindung B5 H9 ist aus einem
BH-Fragment und 4 BH2 -Fragmenten aufgebaut. Damit erhält man 1 · 2 + 4 · 3 = 14
Skelettelektronen. Da wir 5 Boratome haben, sind das 2n + 4 Skelettelektronen und wir
168 9 Metall-Metall-Bindung
erwarten eine nido-Gerüststruktur. Das letzte Beispiel ist B4 H10 , das aus 2 BH2 -Fragmenten
und 2 BH3 -Fragmenten aufgebaut ist. Jedes BH3 -Fragment steuert 4 Skelettelektronen bei.
Damit erhalten wir in der Summe 14 Skelettelektronen, was bei 4 Boratomen einer arachno-
Struktur entspricht.
Die letzten beiden Beispiele sind die eingangs erwähnten Carbonyl-Clusterkomplexe.
Als erstes Beispiel betrachten wir den Clusterkomplex [Os6 (CO)18 ]2− , bei dem die EAN-
Regel komplett versagt hatte. Dieser Clusterkomplex ist aus 4 M(CO)3 -Fragmenten und
2 M(CO)− 3 -Fragmenten aufgebaut. Bei jeder dieser Einheiten liefert das Osmium 8 Valenz-
elektronen, die Carbonyl-Liganden liefern jeweils zwei Valenzelektronen und jede negative
Ladung zählt wie ein Valenzelektron. Um die Anzahl der Skelettelektronen zu bestimmen,
müssen von dieser Summe 12 abgezogen werden. Wir erhalten 8 + 3 · 2 − 12 = 2 für
die M(CO)3 -Fragmente und 3 für die M(CO)− 3 -Fragmente. Damit hat der Clusterkomplex
2−
[Os6 (CO)18 ] 14 Skelettelektronen, was der Formel 2n + 2 entspricht. Wir erhalten eine
closo-Struktur und bei n = 6 entspricht das einem Oktaeder. Dieses Ergebnis stimmt ausge-
zeichnet mit der experimentell bestimmten Struktur überein! Der zweite Clusterkomplex,
[Os6 (CO)18 ], ist aus 6 M(CO)3 -Fragmenten aufgebaut. Damit erhalten wir 12 Valenzelek-
tronen, was 2n entspricht. Die Wade–Mingos-Regeln versagen. Immer wenn das der Fall
ist, werden überdachte Polyeder beobachtet, deren Struktur mit der hier nicht weiter bespro-
chenen Überdachungsregel vorhergesagt werden kann.
9.5 Fragen
1. Versuchen Sie anhand der EAN-Regel für folgende Cluster die Anzahl der Metall-Metall-
Bindungen zu bestimmen. Kann die Regel auf alle Cluster angewandt werden? Wel-
chen Polyeder erwarten Sie für die Metallcluster? [Ru4 CO12 H2 ]2− , [Re4 H4 (CO)12 ],
[Ta6 (μCl)12 Cl6 ]4− , [Ir4 (CO)12 ], [Ni8 (PPh3 )6 (CO)8 ]2−
2. Diskutieren Sie die Bindungsverhältnisse in [Re2 (CO)10 ] und [Re2 Cl8 ]2− mit Hilfe der
EAN-Regel und der MO-Theorie!
3. Welche Voraussetzungen müssen vorliegen, damit eine Metall-Metall-Vierfach- bzw. -
Fünffachbindung realisiert werden kann? Diskutieren Sie die an der Bindung beteiligten
Molekülorbitale!
4. Wodurch unterscheidet sich eine σ -, π - und δ-Bindung?
5. Roald Hoffmann wurde 1981 für die Einführung der Isolobal-Analogie mit dem Nobel-
preis für Chemie ausgezeichnet. Welche der folgenden Molekülfragmente sind zueinan-
der isolobal? Begründen Sie Ihre Entscheidung! CH− +
3 , BH, CH3 , [Mn(CO)5 ], [Fe(CO)5 ],
[Ru(CO)3 ], [Ir(CO)3 ]
Magnetismus
10
Eine Besonderheit der Übergangsmetalle (d-Elemente), aber auch der Lanthanide und Acti-
nide (f-Elemente), im Vergleich zu den Hauptgruppenelementen ist die Möglichkeit, ver-
schiedene Oxidationsstufen zu realisieren. Viele dieser Verbindungen besitzen ungepaarte
Elektronen in den d- bzw. f-Orbitalen. Diese sind, insbesondere bei den d-Orbitalen, an
Bindungen beteiligt und werden durch Liganden beeinflusst. Das bedeutet, dass die Koordi-
nationsumgebung um das Metallzentrum sich auf dessen optische und magnetische Eigen-
schaften auswirkt. Anders herum erlauben somit die magnetischen Eigenschaften einer Ver-
bindung Rückschlüsse auf deren elektronische Struktur. Ein Beispiel hierfür aus der Koor-
dinationschemie sind Nickel(II)-Komplexe. Mit vier Starkfeld-Liganden wie Cyanid ist die
Komplexgeometrie quadratisch-planar und die Komplexe sind diamagnetisch. Im Gegensatz
dazu ist ein entsprechender Komplex mit vier Schwachfeld-Liganden wie dem Chlorid para-
magnetisch und die Koordinationsgeometrie ist tetraedrisch. Mit Hilfe der Ligandenfeld-
theorie können wir die unterschiedlichen magnetischen Eigenschaften der beiden Komplexe
erklären. Aufgrund des engen Zusammenhangs zwischen Komplexen und Magnetismus
widmet sich dieses Kapitel zunächst einigen generellen Aspekten des Phänomens Magne-
tismus, bevor Besonderheiten aus dem Bereich der Koordinationschemie näher betrachtet
werden. Ähnlich wie beim Abschnitt zur Farbigkeit von Koordinationsverbindungen lassen
sich Parallelen zur Festkörperchemie feststellen, die an geeigneter Stelle aufgezeigt werden.
Die magnetischen Eigenschaften von Verbindungen sind nicht nur für ein besseres Ver-
ständnis der elektronischen Struktur von Interesse, sie erlangen immer mehr Bedeutung als
Materialeigenschaft. Magnetische Materialien kommen in vielen Bereichen des täglichen
Lebens vor. Sie begegnen uns als Permanentmagnete (z. B. die „klassischen“ Magnete, hart-
magnetische Werkstoffe), in Speichermedien und Transformatorblechen (Weichmagnete)
oder als Schalter in der Hochfrequenztechnik (nichtleitende Oxide). Magnetische Mate-
rialien können Metalle (Fe, Co, Ni, Gd, …), Legierungen (SmCo5 , Heusler-Phasen wie
Co2 MnAl, Co2 CrAl, Co2 FeSi) oder Oxide (CrO2 , Fe3 O4 , ZnFe2 O4 ) sein. Sind die Materia-
lien aus Molekülen aufgebaut, wie z. B. bei Koordinationsverbindungen, spricht man auch
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von 169
Springer Nature 2021
B. Weber, Koordinationschemie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-63819-4_10
170 10 Magnetismus
von molekularen Magneten und dem molekularen Magnetismus. Der besondere Reiz dieser
Verbindungsklasse liegt in der Möglichkeit, Eigenschaften zu erreichen, die bei klassischen
Festkörpern nicht möglich sind, z. B. Transparenz oder Flexibilität. Im folgenden Abschnitt
werden wir uns damit beschäftigen, woher der Magnetismus kommt, welche Arten des
Magnetismus es gibt, wie man ihn bestimmen kann und – das ist für Materialien besonders
wichtig – wie man gezielt bestimmte magnetische Eigenschaften einstellen kann.
10.1 Einheiten
Ein Buchkapitel oder eine Vorlesung über Magnetismus kann nicht beginnen, ohne sich
kurz den Einheiten zuzuwenden. Die meisten Wissenschaftler, die auf dem Gebiet der
molekularen Magnete arbeiten, benutzen an Stelle des von der IUPAC empfohlenen SI
Einheitensystems das sogenannte CGS-emu System. Während das SI-System auf den vier
Grundgrößen Länge (m), Masse (kg), Zeit (s) und Stromstärke (A) beruht, verwendet das
Gaußsche CGS-System (oder auch CGS-emu-System, emu steht für electro-magnetic unit)
die drei mechanischen Größen Länge (cm), Masse (g) und Zeit (s). Umrechnungen zwi-
schen den beiden konkurrierenden Systemen sind im magnetochemischen Alltag häufig
notwendig. Dabei kommt erschwerend hinzu, dass neben 10er Potenzen häufig der Faktor
4π enthalten ist. In Tab. 10.2 sind die wichtigsten magnetischen Größen und deren Einheiten
mit Umrechnungsfaktor zusammengefasst. In Tab. 10.1 sind einige häufig verwendete phy-
sikalische Konstanten gegeben (beides entnommen aus „Practical Guide to Measurement
and Interpretation of Magnetic Properties (IUPAC Technical Report)“ [43] (Tab. 10.2).
IUPAC empfiehlt die Verwendung von Größen, deren Werte unabhängig vom verwende-
ten System sind. Dazu gehört die Zahl der effektiven Bohrschen Magnetonen μe f f . Obwohl
die Volumensuszeptibilität χ einheitenlos ist, wird sie durch den Faktor 4π umgerechnet.
Dasselbe gilt für die Magnetfeldstärke. Um Verwirrungen zu vermeiden, wird empfohlen,
Tab. 10.1 Physikalische Konstanten; entnommen aus „IUPAC Technical Report“ [43]
Symbol SI CGS-emu
h Plancksches 6.62607 × 10−34 J s 6.62607 × 10−27 erg s
Wirkumsquantum
kB Boltzmann Konstante 1.38066 × 10−23 J/K 1.38066 × 10−16 erg/K
μB Bohr-Magneton 9.27402 × 10−24 A m2 9.27402 × 10−21 G cm3
c0 Lichtgeschwindigkeit 2.99792458 × 108 m/s 2.99792458 × 1010 cm/s
im Vakuum
me Masse des Elektrons 9.10939 × 10−31 kg 9.10939 × 10−28 g
NA Avogadro Konstante 6.02214 × 1023 mol−1
e Elementarladung 1.60218 × 10−19 C
10.2 Magnetische Eigenschaften von Materie 171
Tab. 10.2 Definitionen, Einheiten [] und Umrechnungsfaktoren; entnommen aus „IUPAC Technical
Report“ [43]
Größe SI CGS-emu Faktor
μ0 Magnetische μ0 = 4 π × 10−7 1
Feldkonstante [Vs/Am]
B Magnetische B = μ0 (H + M) B=H (ir ) + 4π M [G] 10−4 T/G
Induktion [T = V s/m2 ]
H Magnetfeldstärke H [A/m] [Oe]a 103 Oe/4 π A/m
B0 „Magnetfeld“ B0 = μ0 H [T] [G]a 10−4 T/G
M Magnetisierung M [A/m] [G]a 103 (A/m)/G
μB Bohr-Magneton μ B = e /2 m e [A μ B = e /2 m e 10−3 A m2 /G cm3
m2 ] [G cm3 ]
χ Mag. Volumensus- M=χH M = χ (ir ) H (ir ) 4π
zeptibilität
χg Mag. Grammsuszep- χg = χ /ρ [m3 /kg] χg = χ (ir ) /ρ (ir ) 4 π /103
tibilität [cm3 /g] (m3 /kg)/(cm3 /g)
χm Mag. Molare χm = χ M/ ρ χm = χ (ir ) M/ ρ (ir ) 4 π /106 m3 /cm3
Suszeptibilität [m3 /mol] [cm3 /mol]
μe f f Bohrsche [3k B /μ0 N A [3k B /N A μ2B ]1/2
Magnetonenzahl μ2B ]1/2 [χ m T ]1/2 [χ m T ]1/2
a Die Verwendung von Gauss und Oersted erscheint im CGS-emu System etwas willkürlich. Da hier
die magnetische Feldkonstante μ0 = 1 ist, gilt 1 G = 1 Oe
B = μ0 · H
mit
M
χV =
H
Als Stoffgröße wird auch die magnetische Permeabilität einer Substanz μr angegeben. Sie
hängt mit den bisher genannten Größen wie folgt zusammen.
Binnen = μr · Baußen = μr · μ0 · H
mit
χV = μr − 1
Alle Methoden zur Suszeptibilitätsmessung beruhen auf der Bestimmung des Quotienten HB .
Anstelle der Volumensuszeptibilität wird i. d. R. die magnetische Suszeptibilität pro Gramm
(χg = χρV ) oder pro Mol (χ M = χg × M) verwendet. In den folgenden Betrachtungen
spielt v. a. die molare magnetische Suszeptibilität eine Rolle, die der Einfachheit halber mit
χ bezeichnet wird.
Es gibt zwei unterschiedliche Arten von magnetischem Verhalten, die nach dem Vorzei-
chen von M bzw. χ V unterschieden werden; den Diamagnetismus und den Paramagnetismus.
In Abb. 10.2 ist der Verlauf der Feldlinien für beide Varianten gegeben. Dazu kommen noch
eine Reihe von kooperativen magnetischen Phänomenen wie dem Ferromagnetismus, auf
10.2 Magnetische Eigenschaften von Materie 173
S S
die wir später zurückkommen. In Tab. 10.3 sind die Unterschiede der Volumensuszeptibili-
tät und der magnetischen Permeabilität in Abhängigkeit vom magnetischen Verhalten der
Materie zusammengefasst.
10.2.1 Diamagnetismus
χ = χP + χD
174 10 Magnetismus
Tab. 10.4 Diamagnetische Suszeptibilitäten und konstitutive Korrekturen (in 10−6 emu/mol; Pascal
Konstanten) entnommen aus [44]
Atome Konstitutive Korrekturen
H −2.9 As(III) −20.9 C=C 5.5 C=N 0.8
C −6.0 As(V) −43.0 C≡C 0.8 N=N 1.8
N(Ring) −4.6 F −6.3 C aromatisch −0.25 N=O 1.7
N(Offenkettig) −5.6 Cl −20.1 C=N 8.1 C–Cl 3.1
N(Imin) −2.1 Br −30.6
O(Ether, Alkohol) −4.6 I −44.6
O(Carbonyl) −1.7 S −15.0
P −26.3 Se −23.0
Kationen Anionen
Li+ −1.0 Ca2+ −10.4 O2− −12.0 CN− −13.0
Na+ −6.8 Sr2+ −19.0 S2− −30 NO−
2 −10.0
K+ −14.9 Ba2+ −26.5 F− −9.1 NO−
3 −18.9
Rb+ −22.5 Zn2+ −15.0 Cl− −23.4 NCS− −31.0
Cs+ −35.0 Cd2+ −24 Br− −34.6 CO2−
3 −28
NH+
4 −13.3 Hg2+ −40 I− −50.6 ClO−4 −32.0
Mg2+ −5.0 OH− −12.0 SO2−
4 −40.1
Liganden Übergangsmetalle
H2 O −13 Fe2+ −13 Fe3+ −10
NH3 −18 Ni2+ −10
CO −10 Cu2+ −11 Cu+ −12
CH3 COO− −30 Co2+ −12 Co3+ −10
C2 O2−
4 −25
C5 H−
5 −65
Acetylacetonato −52
Pyridin −49
Pyrazin −50
Bipyridin −105
Salen −182
Phenantrolin −128
10.3 Das magnetische Moment 175
Bei der Verwendung der Pascal-Konstanten werden die entsprechenden Werte pro Atom
aufsummiert und um die Besonderheiten bestimmter Bindungstypen (Doppelbindung, aro-
matisches Ringsystem) korrigiert.
10.2.2 Paramagnetismus
Paramagnetismus wird bei Verbindungen mit ungepaarten Elektronen beobachtet. Die Inten-
sität der Magnetisierung ist positiv und der Körper bewegt sich in einem inhomogenen
Magnetfeld zum höheren Feld hin („Anziehung“). Die paramagnetische Suszeptibilität ist
positiv und die Größenordnung liegt bei 100–100.000 × 10−6 emu/mol. Da der Effekt des
Paramagnetismus um einige Größenordnungen größer ist als der Diamagnetismus, ist die
Abschätzung des Letzteren durch die oben vorgestellten Möglichkeiten gegeben. Die Ursa-
che des Paramagnetismus liegt in der Wechselwirkung vom Spin- und/oder Bahnmoment
der ungepaarten Elektronen mit dem angelegten Magnetfeld. Die bei einem Paramagne-
ten vorhandenen ungepaarten Elektronen können mit einer bewegten Ladung gleichgesetzt
werden, die in Analogie zur Spule, ein Magnetfeld erzeugt. Das magnetische Moment der
ungepaarten Elektronen richtet sich parallel zum externen Magnetfeld aus, wodurch es zu
einer Erhöhung der Feldliniendichte kommt.
m=I·A
Bei einer Kreisbahn beträgt die Fläche A = π ·r 2 . Die Stromstärke gibt an, wie viel Ladung
pro Zeit fließt. Die Ladung des Elektrons ist –e und die Zeit für einen Umlauf beträgt 2πrv ,
wobei v die Geschwindigkeit und r der Radius ist. Um das magnetische Dipolmoment eines
Elektrons zu bestimmen, müssen wir alles in die Gleichung einsetzen und um die Masse
des Elektrons me erweitern. Das Ergebnis zeigt, dass das magnetische Dipolmoment eines
−e
Elektrons von seinem Drehimpuls l = m e · v · r und dem Faktor 2m e
, dem sogenannten
gyromagnetischen Verhältnis γ e des Elektrons, abhängt.
v e
μe = −e πr 2 = − m e r v = γe · l
2πr 2m e
Das magnetische Moment eines Elektrons hängt von seinem Drehimpuls ab. Dieser hängt
wiederum davon ab, in welchem Orbital sich das Elektron befindet. Letzteres wird durch
die Quantenzahlen beschrieben. Für das magnetische Moment (bzw. den Drehimpuls des
Elektrons) sind die magnetische Bahndrehimpulsquantenzahl und die magnetische Spin-
quantenzahl wichtig. In vielen Fällen reicht die Elektronenkonfiguration nicht aus, um eine
Aussage darüber zu treffen, in welchen Orbitalen sich die (ungepaarten) Elektronen befin-
den. Dafür benötigen wir Termsymbole, deren Bestimmung im Kapitel Bindungsmodelle
beschrieben wurde.
LS-Kopplung j-j-Kopplung
(Russel-Saunders)
L j2
J J
l2 l2
L
l1 j2
s2
j1 j1
S
S
s2 l1
s1
s1
Abb. 10.3 Schematische Darstellung von Spin- und Bahnmoment (oben) sowie der L-S-(Russel-
Saunders-) und j-j-Kopplung (unten)
μ
= g J · J (J + 1)
μB
mit
S(S + 1) + J (J + 1) − L(L + 1)
gJ = 1 +
2 J (J + 1)
verwendet. Dabei ist gJ der Landé-Faktor und μB das Bohr-Magneton, eine Konstante, die
sich aus folgenden Naturkonstanten zusammensetzt
eh
μB = = 9.274 · 10−24 Am2
4π m e
mit der Elementarladung e, dem Planckschen Wirkungsquantum h und der Masse des Elek-
trons me . Alternativ lässt sich auch die Curie-Konstante berechnen. Sie berechnet sich nach
μ0 N A μ0 N A 2
C= · μ2 = g J (J + 1)μ2B
3k B 3k B J
178 10 Magnetismus
mit der Boltzmankonstante k B , der Avogadrozahl N A und der Permeabilität des Vakuums
(magnetische Feldkonstante) μ0 .
Für schwere Elemente wie z. B. die Ionen der Lanthanoide ist die Spin-Bahn-Kopplung
stark. In diesem Fall tritt die j-j-Kopplung auf. Bei diesem Kopplungsschema wird für
jedes Elektron zunächst der Drehimpuls j nach j = m s + m l bestimmt und die Summe
aller Drehimpulse ergibt den Gesamtdrehimpuls J. Dieses Kopplungsschema hat in der
Praxis allerdings keine Bedeutung, da für den Grundzustand die Abweichung zur Russel-
Saunders-Kopplung nur gering ist. Da der Grundzustand ausschlaggebend für die magneti-
schen Eigenschaften einer Verbindung ist, kann das L-S-Kopplungsschema zur Vorhersage
des magnetischen Momentes für alle Elemente verwendet werden.
Im Folgenden vergleichen wir die theoretisch bestimmten Werte für das magnetische
Moment von 3d- und 4f-Elementen mit den experimentell bestimmten Werten μe f f . Diese
erhält man aus der molaren Suszeptibilität χ mit Hilfe der Formel
√
μe f f 3k B χT
= = 2.828 χ T
μB μ0 N A μ B
Bitte beachten Sie, dass bei dieser Gleichung für die Berechnung von μe f f vom CGS-emu-
System ausgegangen wurde. Im Sprachgebrauch wird das magnetische Moment häufig nur
als μ bzw. μe f f (ohne μ B ) angegeben.
In Abb. 10.4 sind die Zahlenwerte für S, L und J für die 3d- und 4f-Elemente in Abhän-
gigkeit von der d- bzw. f-Elektronenzahl gegeben. Für eine leere bzw. volle d- bzw. f-Schale
sind, wie zu erwarten, alle Beiträge zum magnetischen Moment Null. Bei halbbesetzter
Schale (n(d) = 5 bzw. n(f) = 7) ist der Beitrag des Bahnmomentes L = 0 und der Gesamt-
drehimpuls ist nur noch vom Gesamtspin S abhängig. Bei n(d) = 4 bzw. n(f) = 6 führt die
Kopplung von Spin- und Bahnmoment zu einer Auslöschung des Gesamtdrehimpulses J.
In Abb. 10.5 sind die aus dem Gesamtdrehimpuls berechneten magnetischen Momente
mit den effektiv gemessenen magnetischen Momenten der 3d- und 4f-Elemente verglichen.
Für die Lanthanoid-Ionen wird eine sehr gute Übereinstimmung zwischen den theoretisch
6 10
S S
L 8 L
J J
4
6
4
2
2
0 0
0 2 4 6 8 10 0 2 4 6 8 10 12 14
n(d) n(f)
Abb. 10.4 Werte für L, S und J im Grundzustand für 3d- und 4f-Ionen in Abhängigkeit von der d-
bzw. f-Elektronenzahl
10.3 Das magnetische Moment 179
8 12
S S
10
6
eff
8 eff
4 6
4
2
2
0 0
0 2 4 6 8 10 0 2 4 6 8 10 12 14
n(d) n(f)
Abb.10.5 Magnetische Momente der 3d-Ionen und der dreiwertigen Lanthanoid-Ionen in Abhängig-
keit von der d- bzw. f-Elektronenzahl. Verglichen werden die Messwerte μe f f mit den berechneten
„spin-only“-Werten μS , bei denen nur das Spinmoment berücksichtigt wird, und den berechneten
Werten μ für das gesamtmagnetische Moment
erwarteten und den gemessenen Werten gefunden. Die Formel zur Berechnung von μ hat
ihre Berechtigung, Experiment und Theorie stimmen gut überein. Sowohl das Spin- als auch
das Bahnmoment tragen zum gesamtmagnetischen Moment bei.
Für die 3d-Elemente wird ein anderes Verhalten beobachtet. Das experimentell bestimmte
effektive magnetische Moment μe f f stimmt mit den berechneten Werten für μ nur sehr
schlecht überein. Eine gute Übereinstimmung wird nur für n = 5 gefunden, hier sind die
fünf d-Orbitale alle einfach besetzt und der Beitrag des Bahnmomentes zum magnetischen
Moment ist 0. In der Tat stimmt μe f f wesentlich besser mit den Werten von μS überein. Das
sind die sogenannten „spin-only“-Werte des magnetischen Momentes. Diese Werte werden
erhalten, wenn man davon ausgeht, dass das Bahnmoment keinen Beitrag zum effektiven
magnetischen Moment leistet. Es berechnet sich nach der Formel
μS
= g · S · (S + 1) = n · (n + 2)
μB
Dabei ist g das gyromagnetische Verhältnis des Elektrons (beim freien Elektron ist
g = 2.0023), S der Gesamtspin und n die Anzahl ungepaarter Elektronen. In Tab. 10.5 sind
die berechneten Werte in Abhängigkeit von der Anzahl ungepaarter Elektronen gegeben.
Bevor wir uns der Fragestellung annehmen, warum bei den 3d-Elementen das Bahn-
moment für die Bestimmung des magnetischen Momentes nur eine untergeordnete Rolle
spielt, betrachten wir noch den Kosselschen Verschiebungssatz. Er besagt, dass Ionen mit ver-
schiedener Kernladung, aber gleicher Elektronenzahl, die gleichen magnetischen Momente
besitzen. Ein Umstand, den wir die ganze Zeit schon angewandt haben. In der Tab. 10.5
sehen wir, dass diese Annahme durchaus ihre Berechtigung hat.
Tab. 10.5 Vergleich des berechneten (μS ) und beobachteten (μe f f ) magnetischen Momentes in
Abhängigkeit von der d-Elektronenzahl für 3d-Elemente. EK = Elektronenkonfiguration
Ionen EK High-spin n μS μe f f
ScIII , TiIV , VV , CrVI , MnVII 3d0 0 0 0
ScII , TiIII , VIV , CrV , MnVI 3d1 ↑ 1 1.73 1.6–1.8
TiII , VIII , CrIV , MnV 3d2 ↑↑ 2 2.83 2.7–3.1
VII , CrIII , MnIV 3d3 ↑↑↑ 3 3.87 3.7–4.0
CrII , MnIII 3d4 ↑↑↑↑ 4 4.90 4.7–5.0
MnII , FeIII 3d5 ↑↑↑↑↑ 5 5.92 5.6–6.1
FeII , CoIII 3d6 ↑↓ ↑ ↑ ↑ ↑ 4 4.90 5.1–5.7
CoII , NiIII 3d7 ↑↓ ↑↓ ↑ ↑ ↑ 3 3.87 4.3–5.2
NiII , CuIII 3d8 ↑↓ ↑↓ ↑↓ ↑ ↑ 2 2.83 2.8–3.3
CuII 3d9 ↑↓ ↑↓ ↑↓ ↑↓ ↑ 1 1.73 1.7–2.2
CuI , ZnII 3d10 ↑↓ ↑↓ ↑↓ ↑↓ ↑↓ 0 0 0
chen Kopplung zwischen Spin- und Bahnmoment führt dazu, dass der Bahndrehimpuls
häufig ausgelöscht wird. Im Gegensatz dazu sind die f-Orbitale aufgrund ihrer Kernnähe in
einem wesentlich geringerem Umfang an Bindungen beteiligt und werden nur in geringem
Umfang (nur unwesentlich) energetisch aufgespalten. Um abschätzen zu können, ob für
einen bestimmten Komplex ein Beitrag des Bahnmomentes zum effektiven magnetischen
Moment zu erwarten ist oder nicht, kann folgende anschauliche Betrachtung verwendet
werden.
Damit ein Elektron in einem bestimmten Orbital ein Bahnmoment für eine bestimmte
Achse besitzt, muss es in der Lage sein, durch Rotation um diese Achse in ein identisches,
entartetes Orbital überführt zu werden, das noch eine freie Stelle für ein Elektron mit dem
entsprechenden Spin besitzt [45].
Im freien Ion kann z. B. das dxy Orbital durch eine Rotation um 45 Grad um die z-Achse
in das dx 2 −y 2 -Orbital überführt werden. Gleiches gilt für die Rotation von dxz um 90 Grad
entlang der z-Achse, wir erhalten das dyz -Orbital.
Befindet sich das Ion jedoch in einem oktaedrischen oder tetraedrischen Ligandenfeld,
werden die d-Orbitale in die t2g - und eg -Orbitale aufgespalten, die nun nicht mehr entar-
tet sind. Ein Teil des Bahnmomentbeitrages, z. B. entlang der z-Achse (für das Paar dxy
⇒ dx 2 −y 2 ), verschwindet. Da die entarteten eg -Orbitale nicht durch Rotation ineinander
überführbar sind, werden sie gelegentlich auch als „nicht magnetisches Dublett“ bezeich-
net. Bei den t2g -Orbitalen ist im Oktaeder für ein d1 - oder d2 -System noch ein Beitrag des
Drehmomentes möglich. Die Frage, ob eine vollständige Auslöschung des Bahnmomentes
erwartet wird, kann beantwortet werden, wenn die Koordinationsgeometrie und damit die
Aufspaltung der d-Orbitale bekannt ist. Dabei muss noch berücksichtigt werden, dass die
Auslöschung des Bahnmomentes auch von der Größe der Aufspaltung der Orbitale abhängt.
10.4 Temperaturabhängigkeit des magnetischen Momentes 181
Eine kleine Aufspaltung führt zu einer nicht vollständigen Auslöschung des Bahnmomen-
tes, was bei solchen Systemen als Störung behandelt werden kann. Der Bahnmomentbeitrag
kann bei einigen Komplexen zu deutlichen Abweichungen des effektiven magnetischen
Momentes vom „spin-only“-Wert führen.
Als Beispiel betrachten wir einen oktaedrischen Eisen(II)-Komplex im high-spin-
Zustand. Hier sind die beiden eg -Orbitale je einfach besetzt und es ist kein Bahnmomentbei-
trag beim magnetischen Moment zu erwarten. Die drei t2g -Orbitale sind mit vier Elekronen
besetzt. Das vierte Elektron (spin-down) kann sich nun im dxy -, dxz - oder dyz -Orbital aufhal-
ten. Die drei Orbitale sind jeweils durch Rotation ineinander überführbar (xy → xz: Rotation
um x-Achse, xz → yz: Rotation um z-Achse, xy → yz: Rotation um y-Achse). Hier ist ein
Bahnmomentbeitrag zum magnetischen Moment zu erwarten. In der Tat wird bei Suszepti-
bilitätsmessungen ein effektives magnetisches Moment im Bereich von 5.1–5.2 gemessen,
der spin-only Erwartungswert ist 4.9.
Die Temperaturabhängigkeit des magnetischen Momentes eines isolierten Atoms oder Ions
folgt dem Curie-Gesetz. Das Reziproke der magnetischen Suszeptibilität aufgetragen gegen
die Temperatur ergibt eine Gerade, die durch den Ursprung geht. Ideales Curie-Verhalten
zeigen nur wenige Verbindungen. Beispiele wären die Salze NH4 FeIII (SO4 )2 · 12 H2 O und
GdIII
2 (SO4 )3 · 8 H2 O. Bei beiden Ionen liegt eine halbbesetzte Schale vor (kein Bahnmoment)
und große Gegenionen sowie Kristallwasser sorgen dafür, dass die magnetischen Zentren
gut voneinander isoliert sind.
Bevor wir uns mit magnetisch konzentrierten Proben beschäftigen, sehen wir uns noch
eine Besonderheit bei den Lanthanoiden am Beispiel des Europium(III)-Ions an. In Abb. 10.6
ist die Magnetmessung für einen Europium(III)-Salz gezeigt. Das Europium(III)-Ion hat die
Elektronenkonfiguration [Xe] 4f 6 . Damit ist der Gesamtspin S = 3 und der Gesamtbahn-
drehimpuls kommt ebenfalls auf L = 3. Da die f-Orbitale weniger als halb gefüllt sind, ist
für den Grundzustand der Gesamtdrehimpuls J = 0. Das Europium(III)-Ion ist im Grund-
zustand diamagnetisch, obwohl es sechs ungepaarte Elektronen hat. In der Tat sehen Sie an
der Magnetmessung, dass bei sehr tiefen Temperaturen das magnetische Moment gegen Null
geht. Die nächsten angeregten Zustände haben einen Gesamtdrehimpuls von J = 0 und kön-
nen durch thermische Anregung leicht besetzt werden. Aus diesem Grund beobachtet man
bei Raumtemperatur ein endliches magnetisches Moment. Aus den temperaturabhängigen
Messungen kann die Energiedifferenz zwischen den einzelnen Termen bestimmt werden.
In magnetisch konzentrierten Proben können verschiedene magnetische Wechselwirkun-
gen zwischen den ungepaarten Elektronen beobachtet werden. Die drei wichtigsten Vertre-
ter dieser kollektiven Wechselwirkungen sind Ferromagnetismus, Antiferromagnetismus
und Ferrimagnetismus. Einige dieser Verbindungen gehorchen dem Curie-Weiss-Gesetz.
Im Gegensatz zum Curie-Gesetz, dass sich mathematisch herleiten lässt, beruht das Curie-
Weiss-Gesetz nur auf experimentellen Daten. Die Weiss-Konstante (Schnittpunkt mit der
182 10 Magnetismus
4 4
3 3
eff
2 2
1 1
0 0
0 50 100 150 200 250 300
T [K]
Curie-Gesetz Curie-Weiss-Gesetz
1
1
para
para
T T
Abb.
10.7 Graphische
Darstellung des Curie-Gesetzes (χ × T = C) und des Curie-Weiss-Gesetzes
1 = T −
χ C
x-Achse in Abb. 10.7) ist Null, wenn keine kooperativen Wechselwirkungen auftreten. Bei
antiferromagnetischen Wechselwirkungen ist sie häufig negativ ( < 0) und bei ferroma-
gnetischen Wechselwirkungen häufig positiv ( > 0).
Im Folgenden sind die Merkmale einiger wichtiger kollektiver Phänomene noch einmal
zusammengefasst. In Tab. 10.6 sind die dazu gehörenden Spinorientierungen gezeigt und in
Abb. 10.8 ist die Temperaturabhängigkeit von χ und dem Produkt aus χ T gegeben.
Tab. 10.6 Orientierung der Spins für verschiedene kollektive magnetische Phänomene
Spinorientierung Beispiele
Para-
mag. Para-
mag.
C N
Abb. 10.8 Temperaturabhängigkeit von χ und χ T für einen Paramagneten, Ferromagneten und
Antiferromagneten. Paramagnetismus: χ nimmt mit abnehmenden T zu, χ T = C. Ferromagnetis-
mus: unterhalb Curie-Temperatur T C drastische Zunahme von χ und χ T . Antiferromagnetismus:
unterhalb Nèel-Temperatur T N drastische Abnahme von χ und χ T
10.5.1 Austauschwechselwirkungen
J = E(S = 0) − E(S = 1)
Im weiteren Verlauf der Diskussion werden Orbitale mit einem ungepaarten Elektron als
„magnetische Orbitale“ bezeichnet. Damit überhaupt eine Wechselwirkung stattfinden kann,
10.5 Kooperativer Magnetismus 187
a gμBH
E
S=1
0
b
–J –gμBH
0
c S=0
Abb. 10.10 Schematische Darstellung der Wechselwirkung zwischen zwei Zentren mit S = 21 . Im
Fall a ist die Orientierung der Spins unabhängig voneinander. Bei b kommt es zu einer spontanen Par-
allelstellung der Spins, es tritt eine ferromagnetische Wechselwirkung auf. Bei c kommt es zu einer
spontanen Antiparallelstellung der Spins, es tritt eine antiferromagnetische Wechselwirkung auf.
Bei einem gekoppelten System können immer beide Möglichkeiten, b und c, auftreten. Der Unter-
schied besteht darin, welcher der beiden Zustände der Grundzustand ist. Auf der rechten Seite ist die
energetische Reihenfolge für ein System gegeben, bei dem antiferromagnetische Wechselwirkungen
auftreten
müssen die beiden Orbitale mit den ungepaarten Elektronen (die „magnetischen“ Orbitale)
nahe genug beieinander liegen. Ist der Abstand zu groß, findet keine Austauschwechsel-
wirkung statt und es wird Curie-Verhalten wie bei einem Paramagneten beobachtet. Dafür
betrachtet man die Überlappungsdichte ρ zwischen den beiden Orbitalen. Für das Auf-
treten von Wechselwirkungen sollte ρ = 0 sein. Die nächste Frage ist, ob eine Überlap-
pung zwischen den beiden magnetischen Orbitalen möglich ist. Das bedeutet, dass auch
bei großer räumlicher Nähe zwischen den beiden magnetischen Orbitalen nicht zwangsläu-
fig eine Überlappung auftreten muss. Ist das Überlappungsintegral S endlich, dann findet
eine Überlappung statt und es dominieren antiferromagnetische Wechselwirkungen. Man
kann sich das so vorstellen, dass, ähnlich wie bei einer Molekülbindung, bindende und anti-
bindende Wechselwirkungen möglich sind und es zu einer energetischen Aufspaltung der
Zustände kommt. Dies führt dazu, dass die Spinpaarung stattfindet. Ist eine Überlappung
der Orbitale trotz großer räumlicher Nähe nicht möglich, dann sind die Orbitale orthogo-
nal zueinander und das Überlappungsintegral S = 0. In diesem Fall haben beide Orbitale
eine ähnliche Energie und werden gemäß der Hundschen Regel besetzt. Wir beobachten
ferromagnetische Austauschwechselwirkungen. Generell sind ferromagnetische Wechsel-
wirkungen immer schwächer als antiferromagnetische Wechselwirkungen und wenn beide
gleichzeitig in einem System auftreten, dominieren i. d. R. die antiferromagnetischen Wech-
selwirkungen. Dafür betrachten wir die Austauschenergie E, die sich aus der potentiellen
Austauschenergie P und der kinetischen Austauschenergie K zusammensetzt.
E = P − K
188 10 Magnetismus
Die potentielle Austauschenergie steht für die parallele Orientierung der Elektronenspins.
Die Elektronen sind in unterschiedlichen Orbitalen, die gemäß der Hundschen Regel besetzt
werden. Die kinetische Austauschenergie steht für die antiparallele Orientierung der Spins.
Die Orbitale leisten einen substantiellen Beitrag zu einer Bindung, sie überlappen. Ist die
Austauschenergie (die mit der Kopplungskonstante J gleichgesetzt werden kann) positiv,
dominieren die ferromagnetischen Wechselwirkungen, ist sie negativ, dann dominieren die
antiferromagnetischen Wechselwirkungen.
Der Magnetismus von Metallen ist ein Beispiel für die direkte Wechselwirkung zwischen
magnetischen Orbitalen und liefert einen ersten Einblick in die Diskussion von magneti-
schen Wechselwirkungen. Um die magnetischen Eigenschaften von Metallen zu verstehen,
bietet es sich an, das Bändermodell zur Beschreibung der Bindungsverhältnisse in Metal-
len zu verwenden, das auch für die Erklärung der Leitfähigkeit (Leiter, Halbleiter, Isolator)
verwendet wird.
Das Bändermodell geht davon aus, dass die Atomorbitale der einzelnen Atome im Kris-
tallverband überlappen und es zur Ausbildung von Molekülorbitalen kommt. Je mehr Bin-
dungen zu benachbarten Atomen ausgebildet werden, umso mehr Molekülorbitale werden
ausgebildet, die energetisch immer dichter beieinander liegen. Wenn die Orbitale von genü-
gend Atomen überlappen, kommt es zur Ausbildung eines Energiebandes aus quasi lückenlos
aneinandergereihten Energieniveaus. Für den Einstieg gehen wir vom Lithium-Atom aus,
bei dem das Valenzelektron im 2 s-Orbital ist. Durch die Überlappung von n Atomorbita-
len kommt es zur Ausbildung von n Molekülorbitalen, von denen jedes mit maximal zwei
Elektronen besetzt werden kann. Da jedes Lithium-Atom ein Valenzelektron zur Besetzung
der Molekülorbitale beisteuert, ist das Energieband zur Hälfte mit Elektronen besetzt. Die
Leitfähigkeit von Metallen hängt von diesen teilweise besetzten Energiebändern ab. Die
unbesetzten Elektronenzustände des Energiebands lassen sich reversibel mit Elektronen
füllen, die an einem anderen Ort wieder abgegeben werden. Bei voll besetzten oder leeren
Energiebändern ist das nicht möglich. Um die magnetischen Eigenschaften von Metallen zu
erklären, müssen wir uns mit der Breite der Energiebänder beschäftigen. Diese hängt unter
anderem von der Größe der Metallkristalle ab. In Abb. 10.11 sehen wir auf der linken Seite,
dass mit zunehmender Anzahl von Atomen im Kristallverband die Bänder immer breiter
werden. Ein für den Magnetismus wesentlich relevanter Faktor ist die Frage, in welchem
Ausmaß die einzelnen Orbitale der Metallatome miteinander wechselwirken. Dies ist wie-
derum von der räumlichen Nähe (Abstand) und der Koordinationszahl abhängig. Eine große
Bandbreite steht (bei gleicher Anzahl n der Atome) für einen deutlich größeren energetischen
Abstand der einzelnen Molekülorbitale zueinander als eine kleine Bandbreite. Die Band-
breite des Energiebandes ist umso größer, je intensiver die Wechselwirkung zwischen den
Atomorbitalen ist. Dies kann mit dem Ausmaß der Überlappung der Atomorbitale gleich-
10.5 Kooperativer Magnetismus 189
AO
E 3 AO Energieband E
2 AO
α β α β
σ* leer Fermi-Energie
1 AO
Fermi-Energie
2μBB
σ
gepaarte Elektronen
Abb. 10.11 Bindungsverhältnisse in Metallen nach dem Bändermodell. Links: Durch die Überlap-
pung der Atomorbitale im Kristallverband kommt es zur Ausbildung von Energiebändern. Rechts: In
Gegenwart eines externen Magnetfeldes kommt es zu einer energetischen Aufspaltung zwischen den
Elektronen mit α- und β-Spin. Die Anzahl der Elektronen im Leitungsband mit einer Orientierung des
magnetischen Momentes (wir betrachten nur den Spin) parallel zum externen Magnetfeld nimmt auf
Kosten der Elektronen mit entgegengesetzt orientiertem magnetischen Moment zu. Diese Verteilung
ist von der Messtemperatur praktisch unabhängig. Es wird ein schwacher, temperaturunabhängiger
Paramagnetismus beobachtet
gesetzt werden. Die Fermi-Energie (gelegentlich auch als Fermi-Kante oder Fermi-Grenze
bezeichnet) gibt an, bis zu welcher Energie das Energieband besetzt ist. Liegt sie genau
bei der Hälfte, sind alle Spins gepaart (Besetzung gemäß dem Pauli-Ausschlussprinzip)
und das Metall ist diamagnetisch. Häufig (auch bei unserem Beispiel Lithium) wird trotz-
dem ein schwacher Paramagnetismus beobachtet, der annähernd temperaturunabhängig ist.
Dieser Paramagnetismus ist auf die Leitungselektronen zurückzuführen (die Atomrümpfe
sind aufgrund der abgeschlossenen Schalen diamagnetisch) und ist deutlich kleiner als der
temperaturabhängige Curie-Paramagnetismus von Teilchen mit ungepaarten Elektronen. In
Gegenwart eines externen Magnetfeldes verschieben sich die Energieniveaus von α- und
β-Spin relativ zueinander und eine ungleiche Verteilung wird erreicht. Die Orientierung des
magnetischen Momentes der Elektronen parallel zum externen Magnetfeld wird leicht bevor-
zugt. Dies ist auf der rechten Seite von Abb. 10.11 gezeigt. Beim Abschalten des externen
Magnetfeldes wird der Besetzungsunterschied wieder aufgehoben. Es sei auf den Unter-
schied zu dem klassischen Curie-Paramagnetismus hingewiesen. Bei Curie-Paramagneten
liegen immer ungepaarte Elektronen vor, die in Abwesenheit eines externen Magnetfeldes
willkürlich orientiert sind und erst in Gegenwart eines externen Magnetfeldes ausgerichtet
werden. Je stärker das externe Magnetfeld ist, umso besser werden die einzelnen Spins ori-
entiert. Das Ausmaß der Ausrichtung ist temperaturabhängig. Je höher die Temperatur ist,
umso größer ist die „Unordnung“ der einzelnen Spins. Das bedeutet, dass eine maximale
Parallelstellung der einzelnen Spins nur bei tiefen Temperaturen und hohen Magnetfeldern
erreicht wird.
190 10 Magnetismus
Die Metalle sind in Abwesenheit eines externen Magnetfeldes diamagnetisch, das heißt,
alle Spins sind gepaart. In Gegenwart eines externen Magnetfeldes kommt es zu einer unglei-
chen Besetzung von α- und β-Spin aus der ein magnetisches Moment resultiert. Im Gegen-
satz zum Curie-Paramagneten sind die einzelnen Spins nicht unabhängig voneinander, da
sie das gleiche Energieband besetzen. Aufgrund der ersten Hundschen Regel sind alle Spins
parallel zueinander ausgerichtet, unabhängig von der Umgebungstemperatur. Es wird ein
temperaturunabhängiger Paramagnetismus beobachtet. Das Ausmaß der Magnetisierung ist
nur vom externen Magnetfeld abhängig.
Als nächstes fragen wir uns, was passiert, wenn die Orbitale der Valenzelektronen weni-
ger gut überlappen. Einen ersten Hinweis darauf liefert die Bethe-Slater-Kurve. In ihr ist
die Austauschenergie (bzw. Kopplungskonstante) eines Metalls gegen den Quotienten a/r
aufgetragen (Abb. 10.12), wobei a der Atomabstand und r der Radius der d- bzw. f-Schale
ist. Das Verhältnis a/r ist sozusagen ein Maß für das Ausmaß der Überlappung der Atomor-
bitale. Wir sehen, dass mit zunehmenden Quotienten ferromagnetische Wechselwirkungen
auftreten, die jedoch wieder schwächer werden, wenn das Verhältnis sehr groß wird, also
die Orbitale nur noch sehr schlecht überlappen (wie beim Gadolinium).
Den Ferromagnetismus von Gadolinium kann man mit dem Modell des Magnetismus der
lokalisierten Elektronen erklären [46]. Dieses Modell geht davon aus, dass die f-Elektronen
des Gadoliniums nur unwesentlich an Bindungen beteiligt sind, da sie stark kontrahiert (sehr
kernnah) sind. Dementsprechend ist die Aufspaltung zwischen den bindenden und antibin-
denden Niveaus der entstehenden Molekülorbitale klein und die kleine Aufspaltung führt
zu einer kleinen Bandbreite E. Aufgrund der geringen Bandweite liegen die einzelnen
Energieniveaus sehr dicht beieinander und werden, gemäß der Hundschen Regel, zunächst
alle einfach mit parallelen Spin besetzt. Die Fermi-Kante liegt im oberen Bereich des Ener-
giebandes (Abb. 10.13). Das Konzept ist mit den high-spin- und low-spin-Zuständen bei
einigen Komplexen vergleichbar. Der Energieverlust, der aus der Besetzung des gesamten
Bandes mit Elektronen entsteht, ist geringer als der, der durch die Elektronenpaarung ent-
stünde. Wir erhalten einen Ferromagneten, bei dem auch in Abwesenheit eines externen
Magnetfeldes eine Magnetisierung beobachtet wird. In der Tat sind für die Leitfähigkeit des
Chrom
10.5 Kooperativer Magnetismus 191
Gadoliniums nicht die Energiebänder der f-Orbitale, sondern die durch Überlappung der
6 s-Orbitale entstehenden Energiebänder verantwortlich.
Liegen die Valenzelektronen in d-Orbitalen vor und ist dann auch noch der Abstand zwi-
schen den Metallzentren kürzer, dann ist die Bindung zwischen den Metallzentren deutlich
stärker und die Bandbreite nimmt zu. Wenn das der Fall ist, dann ist der Abstand zwischen
den einzelnen Energieniveaus größer und die Spinpaarung wird bevorzugt.
Der in der Bethe-Slater-Kurve dargestellte Zusammenhang ist auf den ersten Blick sehr
einleuchtend. Ausgehend von Gadolinium führt eine bessere Überlappung der Orbitale
zunächst zu stärkeren Austauschwechselwirkungen. Ist die Überlappung zu stark, werden
die Elektronen gemäß des Pauli-Prinzipes auf die Molekülorbitale verteilt. Allerdings muss
hinzugefügt werden, dass im Falle von Eisen (und auch bei Cobalt und Nickel) die Erklärung
nicht mehr ausreichend ist. Der Unterschied zwischen dem Quotienten a/r bei γ -Eisen und
α-Eisen ist zu klein, um die sehr ausgeprägten Unterschiede beim Magnetismus zu erklären.
Um den Ferromagnetismus von Eisen zu erklären, muss das Energieband zunächst einmal
in die α- und β-Spins unterteilt werden, wie bereits für das Lithium in Abb. 10.11 rechts
gezeigt. Diese Darstellung wird auch als spinaufgelöste Darstellung bezeichnet. Rechnun-
gen zeigen, dass für eine korrekte Beschreibung der elektronischen Struktur von α-Eisen, die
α- und β-Niveaus auch in Abwesenheit eines externen Magnetfeldes energetisch zueinander
verschoben und deswegen unterschiedlich besetzt sind. Es findet eine Spinpolarisation statt.
Daraus resultiert ein verbleibendes magnetisches Moment, das für den Ferromagnetismus
verantwortlich ist. Im nicht-magnetischen α-Eisen wären stark antibindende Fe-Fe-Zustände
besetzt, was einem Energieverlust für das gesamte System gleichzusetzen ist. Es gibt nun
zwei Möglichkeiten, diesen Zustand zu beheben. Die Erste wäre eine geometrische Ver-
zerrung des Gitters, wie sie z. B. in Komplexen beim Jahn-Teller-Effekt auftritt. Bei Jahn-
Teller-verzerrten Komplexen ist ein Energiegewinn für das System die Triebkraft. Beim
α-Eisen wissen wir, dass die Struktur nicht verzerrt ist. Der Energiegewinn wird über eine
Verzerrung der elektronischen Struktur erreicht, die elektronische Symmetrie wird durch
eine Aufhebung der Äquivalenz von α- und β-Spin erniedrigt [47].
192 10 Magnetismus
Die bei den Metallen diskutierten Gründe für das Auftreten von Ferromagnetismus las-
sen sich auf den ersten Blick nur schlecht auf Komplexe (oder anorganische Festkörper wie
Oxide oder Halogenide) übertragen. Bei Komplexen betrachten wir Orbitale und keine Ener-
giebänder. Der zweite signifikante Unterschied ist, dass bei Komplexen die Metallzentren
i. d. R. nicht direkt nebeneinander liegen, sondern durch Brückenatome voneinander getrennt
sind. Man unterscheidet auch zwischen magnetischen Isolatoren (Magnetismus wird über
Brückenatome vermittelt) und magnetischen Leitern, bei denen eine direkte Wechselwir-
kung zwischen den magnetischen Orbitalen stattfindet. Zwei Aspekte lassen sich von den
Metallen auf Komplexe übertragen. Eine gewisse räumliche Nähe der magnetischen Orbitale
(das können auch über den Liganden delokalisierte Orbitale sein) ist Voraussetzung dafür,
dass eine Wechselwirkung stattfinden kann. Je näher die magnetischen Orbitale beieinander
liegen, umso stärker ist die Wechselwirkung. Der zweite wichtige Punkt ist die Frage, ob
und in welchem Ausmaß die Orbitale überlappen. Am Beispiel Gadolinium (Magnetismus
der lokalisierten Elektronen) haben wir gesehen, dass ferromagnetische Wechselwirkungen
aufgrund einer schwachen Wechselwirkung zwischen den magnetischen Orbitalen entste-
hen. Die Bedeutung dieses Punktes für Komplexe lässt sich am besten am Konzept der
orthogonalen magnetischen Orbitale veranschaulichen.
Wir betrachten zwei magnetische Orbitale, die räumlich nahe genug beieinander liegen,
um miteinander wechselwirken zu können. Ein gutes Beispiel hierfür ist der in Abb. 10.14 auf
M T [cm3Kmol-1]
C
O6
1.0
O O5
N6 O2
O4
Cu1 V1
O1 0.9
N5 O3
O5
0.8
der linken Seite gegebene Komplex. Der hier verwendete Ligand wurde so ausgelegt, dass in
zwei voneinander unabhängigen Schritten zwei verschiedene Metallionen komplexiert wer-
den können. Aufgrund der sehr großen räumlichen Nähe der beiden Metallionen, können wir
zunächst einmal von einer direkten Wechselwirkung zwischen den Metallionen ausgehen
und den Einfluss der Brückenliganden (die beiden Sauerstoffatome O1 und O2) ignorie-
ren. Um in dem abgebildeten Komplex ferromagnetische Wechselwirkungen zu erhalten,
müssen die magnetischen Orbitale (d. h. die Orbitale mit den ungepaarten Elektronen) ortho-
gonal zueinander stehen. Der Begriff orthogonal bedeutet, dass aus Symmetriegründen keine
Überlappung zwischen den Orbitalen möglich ist, obwohl sie in räumlicher Nähe sind. In
Abb. 10.14 auf der rechten Seite sehen wir anhand der Magnetmessung, dass das beim
abgebildeten Kupfer(II)-Vanadium(IV)-Komplex anscheinend der Fall ist. Das Produkt aus
magnetischer Suszeptibilität (χ M ) und der Temperatur steigt mit abnehmender Temperatur
an, wie wir es für ferromagnetische Wechselwirkungen erwarten. Vom gleichen Ligan-
den lässt sich auch ein entsprechender zweikerniger Komplex mit zwei Kupfer(II)-Ionen
herstellen. Bei diesem nicht abgebildeten Komplex werden antiferromagnetische Wechsel-
wirkungen beobachtet, das Produkt aus χ M T nimmt mit abnehmender Temperatur ab [48].
Um das unterschiedliche magnetische Verhalten der beiden Komplexe zu verstehen, müs-
sen wir die magnetischen Orbitale bestimmen und deren relative Lage zueinander in Betracht
ziehen. Wir sehen in der in Abb. 10.14 abgebildeten Struktur des zweikernigen Komple-
xes, dass das Kupfer(II)-Ion eine annähernd quadratisch planare Koordinationsumgebung
besitzt. Aus der Elektronenkonfiguration bestimmen wir die Anzahl der Valenzelektronen,
das sind beim Kupfer(II)-Ion neun 3d-Elektronen. Anhand der Aufspaltung der d-Orbitale
in einem quadratisch planaren Ligandenfeld (siehe Abschn. 4.3.4) können wir nun bestim-
men, welches der fünf d-Orbitale nur mit einem Elektron besetzt ist und demzufolge unser
magnetisches Orbital ist (alle anderen sind doppelt besetzt). Das ungepaarte Elektron des
Kupfers ist im dx 2 −y 2 -Orbital lokalisiert. Das Vanadium(IV)-Ion besitzt nur ein Valenzelek-
tron, ebenfalls in der 3d-Schale. Die Koordinationsgeometrie ist in diesem Fall quadratisch
pyramidal, wobei berücksichtigt werden muss, dass der Oxido-Ligand (O5 in der Struk-
tur) wegen des Doppelbindungsanteils wesentlich stärker an das Vanadium gebunden ist
als die anderen vier Sauerstoffatome. Die Aufspaltung der d-Orbitale im Ligandenfeld ent-
spricht deswegen annähernd einem gestauchten Oktaeder und das energetisch am tiefsten
liegende Orbital ist das dxy -Orbital, in dem das eine ungepaarte Elektron untergebracht ist
[48]. In Abb. 10.15 ist die relative Orientierung der magnetischen Orbitale zueinander für
den Kupfer(II)-Vanadium(IV)-Komplex und den Kupfer(II)-Kupfer(II)-Komplex gegeben.
Beim Kupfer(II)-Vanadium(IV)-Komplex können die Orbitale aus Symmetriegründen
nicht überlappen. Es liegt eine strikte, symmetriebedingte Orthogonalität der beiden magne-
tischen Orbitale vor und die Wechselwirkung zwischen den beiden Metallzentren ist fer-
romagnetisch. Die beiden Orbitale liegen nahe genug beieinander, um sich gegenseitig zu
beeinflussen, und haben eine ähnliche Energie. Demzufolge werden sie gemäß der ers-
ten Hundschen Regel (Gesamtspin maximal) besetzt. Beim Kupfer(II)-Kupfer(II)-Komplex
ist eine Überlappung zwischen den beiden d-Orbitalen möglich und es werden antiferro-
194 10 Magnetismus
N O O S=0
Cu V J = 118 cm-1
S=1
N O O S=1
N O O
Cu Cu J = –650 cm-1
N O O
S=0
Abb. 10.15 Relative Orientierung der magnetischen Orbitale in einem zweikernigen Kupfer(II)-
Vanadium(IV)-Komplex und in dem analogen Kupfer(II)-Kupfer(II)-Komplex. Beim Kupfer(II)-
Vanadium(IV)-Komplex können die Orbitale aus Symmetriegründen nicht überlappen. Sie sind zuein-
ander orthogonal und es werden ferromagnetische Wechselwirkungen beobachtet. Beim Kupfer(II)-
Kupfer(II)-Komplex ist eine Überlappung zwischen den beiden d-Orbitalen möglich und es werden
antiferromagnetische Wechselwirkungen beobachtet. Angepasst nach Ref. [48]
Ni
Li
O
Abb. 10.16 Links: NaCl-Struktur am Beispiel NiO. Rechts: Schematische Darstellung der Schicht-
struktur von LiNiO2
magnetischen Wechselwirkungen dominieren. Das wird erreicht, wenn ein gemischtes Oxid
gebildet wird, wie es bei LiNiO2 der Fall ist. Bei diesem gemischten Oxid werden Schichten
aus Li(I)- und Ni(III)-Ionen ausgebildet, die sich so aneinander reihen, dass es keine 180◦
Winkel mehr gibt. Das Nickel(III)-Ion liegt dabei im S = 21 low-spin-Zustand vor. Das
Material ist nun ferromagnetisch. Eine solche Struktur ist schematisch auf der rechten Seite
von Abb. 10.16 gezeigt.
Superaustausch Bei den bisher besprochenen Beispielen findet eine direkte Wechselwir-
kung zwischen den magnetischen Orbitalen statt. Liegen die beiden spintragenden Zentren
weit auseinander, geht die Überlappungsdichte zwischen beiden Orbitalen gegen Null und
eine direkte Wechselwirkung ist nicht mehr möglich. Die magnetische Wechselwirkung ist
nun von den Orbitalen des Brückenliganden abhängig. Im Folgenden werden zwei verschie-
dene Mechanismen diskutiert: der Superaustausch und die Spinpolarisation. Der Grundge-
danke hinter beiden Mechanismen ist, dass die magnetischen Orbitale nicht „reine“ d- bzw.
f-Orbitale sind, sondern auch Ligand-basierte Komponenten besitzen.
Beim Superaustauschmechanismus [49] findet die Wechselwirkung über voll besetzte s-
oder p-Orbitale von intermediären diamagnetischen Brückenatomen statt. Die beiden Elek-
tronen in den voll besetzten s- bzw. p-Orbitalen sind aufgrund des Pauli-Prinzips antiparallel
ausgerichtet. Der Grundgedanke ist nun, dass sich zwischen benachbarten (bzw. überlappen-
den) Orbitalen die Elektronen, die direkt nebeneinander liegen, immer so ausrichten, dass
auch hier eine antiparallele Orientierung der Spins vorliegt. In Abb. 10.17 ist das Grundprin-
zip für zwei μ-oxido-verbrückte Metallzentren in Abhängigkeit von dem M-O-M-Winkel
gezeigt. Das ungepaarte Elektron ist jeweils in einem d-Orbital am Metallzentrum und vom
Brückenliganden Sauerstoff dient ein voll besetztes p-Orbital als Brückenorbital. In Abhän-
gigkeit vom M-O-M-Winkel treten antiferromagnetische (lineare Anordnung oder stumpfer
Winkel, die Orbitale können überlappen) oder ferromagnetische (90◦ Winkel, die Orbitale
sind orthogonal zueinander) Wechselwirkungen auf. Im Falle des 90◦ Winkels überlappen
die d-Orbitale der beiden Metallzentren jeweils mit einem p-Orbital vom Sauerstoff. Da es
sich bei den Orbitalen am Sauerstoff um zwei verschiedene p-Orbitale handelt, können diese
nicht überlappen. Sie sind orthogonal zueinander und es treten ferromagnetische Wechsel-
wirkungen auf. Welcher der beiden gezeigten Austauschmechanismen bei einer gewinkelten
196 10 Magnetismus
px
M O M M O py
M
M M
Anordnung auftritt, hängt nicht nur vom M-O-M-Winkel ab, sondern auch vom magneti-
schen Orbital. Bei dem bereits diskutierten Beispiel NiO/LiNiO2 sind die magnetischen
Orbitale vom Nickel(II)- bzw. Nickel(III)-Ion (oktaedrische Koordinationsumgebung, d8
bzw. d7 ) das dx 2 −y 2 -Orbital und/oder das dz 2 -Orbital. Bei beiden liegen die Orbitallappen
auf den Achsen der Metall-Ligand-Bindung. Bei einem 90◦ -Winkel ist nur die in Abb. 10.17
ganz rechts gezeigte Variante der Überlappung mit den Orbitalen des Sauerstoffs möglich.
Liegen die ungepaarten Elektronen in den dxz -, dyz - oder dxy -Orbitalen vor, dann wäre auch
die in der Mitte dargestellte Variante denkbar, welche dann wieder zu antiferromagnetischen
Wechselwirkungen führt.
Ein Beispiel für antiferromagnetische Wechselwirkungen aufgrund des Superaustausch-
mechanismus liefert das Kupferacetat. Der Komplex liegt als Dimer vor mit der genauen
Zusammensetzung [(Cu(ac)2 H2 O)2 ], bei der noch ein Wasser als zusätzlicher Ligand pro
Kupferion koordiniert ist. Die Struktur des zweikernigen Komplexes, das Ergebnis der
magnetischen Messungen und der Austauschmechanismus sind in Abb. 10.18 gegeben. Die
magnetischen Messungen zeigen deutlich, dass zwischen den beiden Kupferionen antiferro-
magnetische Wechselwirkungen vorliegen. Das χ M T -Produkt fällt bei tiefen Temperaturen
ab, unterhalb von 50 K ist die Verbindung diamagnetisch. Wie bei den bereits besprochenen
Kupfer(II)-Komplexen ist das magnetische Orbital wieder das dx 2 −y 2 -Orbital, das gut σ -
Bindungen mit den Orbitalen der verbrückenden Acetat-Liganden ausbilden kann. Wie in
Abb. 10.18 auf der rechten Seite gezeigt, führt der Superaustausch über die Acetat-Liganden
zu antiferromagnetischen Wechselwirkungen [44].
Spinpolarisation In einigen mehrkernigen Komplexen kann es vorkommen, dass die magne-
tischen Orbitale nicht mit dem σ -, sondern mit dem π -Orbitalen des Liganden überlappen.
In diesen Fällen können die magnetischen Eigenschaften mit dem Spinpolarisationsmecha-
nismus erklärt werden. Der Spinpolarisationsmechanismus wird von einem Molekülorbital-
modell abgeleitet, das von Longuet-Higgins [50] für aromatische Kohlenwasserstoffe vor-
10.5 Kooperativer Magnetismus 197
0.6 O 0.6
O O OH2
O Cu C
χM T [cm3Kmol-1]
O
0.4 Cu 0.4
H2O O O O
O
O
0.2 0.2
Cu Cu
dx²-y² dx²-y²
0 0
0 50 100 150 200 250 300
T [K]
Abb. 10.18 von Kupferacetat und Ergebnis der magnetischen Messung. Die antiferromagnetischen
Wechselwirkungen sind auf einen über die verbrückenden Acetat-Liganden vermittelten Superaus-
tausch zurückzuführen
geschlagen wurde. Ausgangspunkt war die Fragestellung, wann organische Diradikale stabil
sind und welche Relevanz Valenzstrichformeln für die Beantwortung dieser Fragestellung
haben. Rechnungen haben ergeben, dass ferromagnetische Wechselwirkungen zwischen
zwei Radikalen möglich sind, wenn sie über eine m-Phenylenbrücke verknüpft sind, da sich
die beiden ungepaarten Elektronen in einem Paar entarteter SOMOs (SOMO = single occu-
pied molecular orbital) gleicher Orthogonalität befinden. Wieder findet die erste Hundsche
Regel ihre Anwendung. Interessanterweise lässt sich, wie in Abb. 10.19 gezeigt, für die
meta-Verbrückung keine alternative Valenzstrichformel aufstellen, bei der der Diradikal-
charakter verloren geht. Ein Resultat dieses Verhaltens ist die alternierende Anordnung von
α- und β-Spins bei den verbrückenden Atomen, der sogenannten Spinpolarisation. Anders
gesagt, die Spindichten benachbarter Atome in einem π -konjugierten System bevorzugen
entgegengesetzte Vorzeichen. Wir haben sozusagen eine antiferromagnetische Wechselwir-
kung von Elektronen in nicht orthogonalen 2p-Orbitalen. Dieser Mechanismus eignet sich
sehr gut, um Vorhersagen über die Existenz von organischen Polyradikalen zu treffen, kann
aber auch auf Komplexe übertragen werden, wenn die Austauschwechselwirkungen über
das π -System eines planaren, sp2 -hybridisierten Liganden stattfinden.
Wir sehen uns zwei Beispiele für Komplexe an. In beiden Fällen wurden Liganden herge-
stellt, mit denen sich gezielt meta-verbrückte dreikernige Komplexe herstellen lassen. Von
dem in Abb. 10.20 gezeigten Liganden wurde ein dreikerniger Kupfer(II)-Komplex und ein
dreikerniger Vanadium(IV)-Komplex hergestellt. Beim Kupfer(II)-Komplex ist wieder das
dx 2 −y 2 -Orbital das magnetische Orbital. Der Ligand ist so ausgelegt, dass ein quadratisch
planares Ligandenfeld erhalten wird. Das dx 2 −y 2 -Orbital kann nur mit den σ -Bindungen des
Liganden überlappen. Unter diesen Voraussetzungen kommt als Austauschmechanismus nur
198 10 Magnetismus
Besetzungsgrenze
Abb. 10.19 Ausschnitt aus dem MO-Schema und Valenzstrichformeln von zwei organischen Dira-
dikalen. Für das auf der linken Seite abgebildete ortho-verbrückte Diradikal lässt sich eine alterna-
tive Valenzstrichformel aufstellen, bei der der Diradikalcharakter verloren geht. Der diamagnetische
Grundzustand ist im Einklang mit dem berechneten MO-Schema. Bei einem meta-verbrückten Diradi-
kal gibt es diese Möglichkeit nicht und das MO-Schema entspricht ebenfalls einem paramagnetischen
Grundzustand [50]
R
R
χM T [cm3Kmol-1]
1.50
O N M: V=O
1.25
M
O N 1.00
0.75
N 0 50 100 150 200 250 300
N M T [K]
O O
χM T [cm3Kmol-1]
O O R
R N M 1.25
R N
R 1.00 M: Cu
0.75
0 50 100 150 200 250 300
T [K]
3.3
eff
3.2
stärker ist und die Aufspaltung der d-Orbitale im Ligandenfeld diesmal der eines gestreckten
Oktaeders entspricht. Beide d-Orbitale können mit dem π -System des planaren Liganden
überlappen und die Spinpolarisation führt zu ferromagnetischen Wechselwirkungen, wie in
Abb. 10.20 gezeigt. Aufgrund der großen Distanz zwischen den Metallzentren sind die Wech-
selwirkungen deutlich schwächer als bei den bisher diskutierten Beispielen. In Abb. 10.21
sind die magnetischen Eigenschaften von einem sehr ähnlichen Kupfer(II)-Komplex gezeigt,
bei dem jedoch ferromagnetische Wechselwirkungen beobachtet werden. In Abhängigkeit
von der Struktur des Liganden gibt es unterschiedliche Möglichkeiten für die Übertragung
der Spinpolarisation auf das π -System des Liganden [51].
Doppelaustausch Der Doppelaustausch-Mechanismus [52] kann nur bei gemischtvalenten
Komplexen oder Festkörpern beobachtet werden. Ein Beispiel dafür wären z. B. gemischt-
valente Eisen(II/III)-Komplexe (oder Festkörper), bei denen die Koordinationsumgebung
der beiden Eisenzentren nahezu identisch ist. In diesem Fall können die Oxidationsstufen
den einzelnen Atomen nicht eindeutig zugeordnet werden, die zusätzlichen Elektronen sind
sozusagen über mehrere Metallionen delokalisiert. Dieses (thermisch aktivierte) Hopping
der Elektronen kann nur stattfinden, wenn sich der Spin des Elektrons dabei nicht ändert. Nur
dann befindet sich das springende Elektron gemäß der 1. Hundschen Regel in einem ener-
getisch günstigen Zustand. Daraus resultiert ein parallel ausgerichteter Spin für benachbarte
Metallionen, was einer ferromagnetischen Wechselwirkung entspricht. Dieser Mechanismus
geht immer mit einer hohen elektrischen Leitfähigkeit des Materials einher.
Ein gutes Beispiel für den Doppelaustausch sind Perowskite der Zusammensetzung
La1−x Pbx MnO3 . Ist x = 0, dann hat Mangan die Oxidationsstufe +3, und bei x = 1 ist
die Oxidationsstufe +4. Beide Randphasen ordnen antiferromagnetisch. Für 0,2 ≤ x ≤ 0,8
200 10 Magnetismus
T [cm Kmol ]
[cm mol ]
-1
16
1
Eisenzentren jeweils 90◦
60
zueinander verdreht sind mit
3
12
3
Ergebnis der Magnetmessung 40
8
1
M
M
4 20
0 0
T [K]
B
Bm
Remanenz
Baußen = 0 Baußen > 0
Neukurve
HC Koerzitivfeldstärke
Abb. 10.23 Schematische Darstellung der Weissschen Bezirke für einen nicht magnetisierten Fer-
romagneten (links) und einen mit Hilfe eines externen Magnetfeldes magnetisierten Ferromagneten
(mitte). Rechts ist die Magnetisierungskurve eines Ferromagneten dargestellt. Eingezeichnet sind die
Neukurve für die erste Magnetisierung des Materials und die Hysterese-Kurven für einen weichma-
gnetischen (gestrichelte Linie) und einen hartmagnetischen (durchgezogene Linie) Stoff
Magnetisierung aufweisen. Diese Domänen werden als Weisssche Bezirke bezeichnet und
besitzen eine Größe im Bereich von 1–100 μm. In Abb. 10.23 sind die Weissschen Bezirke
schematisch dargestellt. Bei einem nicht-magnetisierten Material ist die Ausrichtung des
magnetischen Momentes der einzelnen Domänen ungeordnet, so dass für das gesamte Mate-
rial keine Magnetisierung beobachtet wird (Abb. 10.23 links). Beim Anlegen eines exter-
nen Magnetfeldes wird das magnetische Moment in allen Domänen parallel zum externen
Magnetfeld ausgerichtet (Abb. 10.23 Mitte). Langreichweitige Wechselwirkungen (Dipol-
wechselwirkungen) sorgen nun dafür, dass nach dem Abschalten des externen Magnetfeldes
(H = 0) die Magnetisierung (bzw. magnetische Induktion) nicht verschwindet, sondern nur
bis zur Remanenz (Bm ) abnimmt. Die Magnetisierung verschwindet erst, wenn die Koer-
zitivfeldstärke (H C ) in Gegenrichtung angelegt wird. Hierbei unterscheiden wir zwischen
weichmagnetischen und hartmagnetischen Materialien. Die beiden Materialien unterschei-
den sich in der Koerzitivfeldstärke, die ein Maß für die Breite der Hysteresis ist. Bei weich-
magnetischen Materialien, die unter anderem in Transformatoren und Motoren eingesetzt
werden, ist die Koerzitivfeldstärke klein (HC < 10 A/cm). Es wird nur ein kleines exter-
nes Magnetfeld benötigt, um die Magnetisierung der Probe umzukehren. Hartmagnetische
Werkstoffe kennen wir z. B. in Form von Permanentmagneten. Hier wird eine große Koer-
zitivfeldstärke benötigt, um die Magnetisierung des Materials umzukehren.
In diesem Zusammenhang sei noch kurz auf das Phänomen Superparamagnetismus hin-
gewiesen. Diese Eigenschaft tritt bei sehr kleinen Partikeln von einem ferro- bzw. ferrima-
gnetischen Material auf, bei dem die Partikelgröße kleiner als die Domänengröße der Weiss-
schen Bezirke ist. Bei superparamagnetischen Materialien verschwindet die Hysterese der
Magnetisierung. Die Umkehr des externen Magnetfeldes führt dazu, dass sich der Partikel
einfach umdreht. Eine Hysterese kann beobachtet werden, wenn die Partikel in einer Matrix
so fixiert werden, dass die Bewegung nicht mehr möglich ist.
202 10 Magnetismus
10.6 Spin-Crossover
Bei 3d-Elementen kann neben den bereits erwähnten Phänomenen des kollektiven Magnetis-
mus noch ein weiteres Phänomen bei temperaturabhängigen Messungen der magnetischen
Suszeptibilität beobachtet werden – der als Spin-Crossover bezeichnete, thermisch indu-
zierte Spinübergang.
Der Spin-Crossover ist ein faszinierendes Beispiel für Bistabilität bei Koordinationsver-
bindungen. Am häufigsten wird dieses Phänomen bei oktaedrischen Komplexen beobachtet.
Bei einem Metallzentrum mit einer dn -Elektronenzahl von n = 4 – 7 sind zwei verschie-
dene Spinzustände denkbar. Als Einstieg betrachten wir Eisen(II)-Komplexe mit einer d6 -
Elektronenkonfiguration. Beim Hexaaqua-Komplex mit Wasser als Schwachfeldligand ist
die energetische Aufspaltung zwischen den t2g -Orbitalen und den eg -Orbitalen (ΔO ) deut-
lich kleiner als die Spinpaarungsenergie P, die aufgebracht werden muss, wenn ein Orbital
mit zwei Elektronen besetzt wird ( O
P). Die Elektronen werden gemäß der Hund-
schen Regel so auf die Orbitale verteilt, dass alle zunächst einfach besetzt werden. Es wird
ein high-spin-(HS)-Komplex erhalten, bei dem die maximal mögliche Anzahl ungepaar-
ter Elektronen vorliegt. Mit dem Starkfeldliganden Cyanid ist die Aufspaltung zwischen
den t2g -Orbitalen und den eg -Orbitalen deutlich größer als beim Aqua-Komplex und auch
deutlich größer als die Spinpaarungsenergie ( O P). Dementsprechend ist es energe-
tisch günstiger, dass zunächst nur die tiefer liegenden t2g -Orbitale besetzt werden. Es wird
ein low-spin-(LS)-Komplex erhalten, bei dem die minimale Anzahl ungepaarter Elektronen
vorliegt. Bei einigen Liganden kommt es vor, dass keine der beiden Bedingungen eindeutig
erfüllt wird ( O P). Dieser Zustand wird z. B. beim Eisenkomplex [Fe(ptz)6 ](BF4 )2 (ptz
= 1-Propyltetrazol) beobachtet. Bei solchen Verbindungen kann ein Spinübergang beobach-
tet werden, der durch eine Änderung externer Parameter (Temperatur, Druck, Einstrahlung
von Licht, …) ausgelöst wird und mit einer Änderung der physikalischen Eigenschaften
der Verbindung verbunden ist. Dieses Phänomen wird als Spin-Crossover (SCO) bezeichnet
(Abb. 10.24. [53, 54]).
Wenn man vom Phänomen des Spinübergangs spricht, muss man sich im Klaren darüber
sein, dass es zwei verschiedene Formen dieses Ereignisses gibt – den Spinübergang mit
und ohne Änderung der Koordinationszahl. Umgangssprachlich meint man i. d. R. Letzteres
und auch in diesem Abschnitt beschränken wir uns auf die Variante des Spin-Crossovers
unter Erhalt der Koordinationszahl. Der Vollständigkeit halber sei jedoch ein Beispiel für
eine Verbindungsklasse mit Spinübergang unter Änderung der Koordinationszahl genannt.
Es handelt sich um Nickel(II)-Komplexe [Ni(L)2 ] wobei L ein Ketoenolat ist (Abb. 10.25).
Sind die Substituenten R sperrig, liegt das Molekül wie in Abb. 10.25 links abgebildet bei
Raumtemperatur als Monomer vor. Die Verbindung ist rot und diamagnetisch (quadratisch
planares Ligandenfeld mit d8 -Konfiguration). Bei tieferen Temperaturen oder kleineren Sub-
stituenten R geht die Verbindung in eine nun grüne, trimere paramagnetische Modifikation
über, bei der sich die Koordinationszahl von vier auf sechs (oktaedrisch) erhöht.
10.6 Spin-Crossover 203
Abb. 10.24 Schematische Darstellung eines Spin-Crossovers für eine Verbindung mit d 6 -
Elektronenkonfiguration. Der Übergang zwischen dem LS-Zustand (maximale Anzahl gepaarter
Elektronen, links) in den HS-Zustand (maximale Anzahl ungepaarter Elektronen, rechts) kann durch
verschiedene äußere Parameter wie Änderung der Temperatur, Änderung des Drucks oder Einwir-
kung elektromagnetischer Strahlung ausgelöst werden. Die Koordinationszahl der Verbindung (in
diesem Fall 6) bleibt dabei konstant
R
R R R
R R R
O O
O O T
O O
Ni R O Ni O Ni O R
O O Ni
O O
O
O O R
R R
R R R
R
Abb. 10.25 Schematische Darstellung eines Spin-Crossovers unter Änderung der Koordinations-
zahl. In der monomeren Verbindung (links) liegt das d8 -Nickel(II)-Ion in einer quadratisch planaren
Koordinationsumgebung vor. Die Verbindung ist rot und diamagnetisch. Bei tieferen Temperaturen
oder kleinen Substituenten R wird eine trimere Modifikation gebildet. Die Koordinationszahl ändert
sich von vier auf sechs und die Verbindung ist nun paramagnetisch
Der Effekt des Spin-Crossovers unter Erhalt der Koordinationszahl wurde 1931 von
Cambi et al. an Eisen(III)tris(dithiocarbamaten) entdeckt (Abb. 10.26) [55]. Der erste
Eisen(II)-Komplex wurde 1964 synthetisiert und untersucht [56] und von da an begann
eine lebhafte Erforschung dieses Phänomens. Höhepunkte in der Spin-Crossover-Forschung
waren die Entdeckung des LIESST-Effektes (Schalten des Spinübergangs mit Licht, 1984
[57, 58]) sowie die Realisierung der Nanostrukturierung und Funktionalisierung dieser Ver-
bindungen, was insbesondere für potentielle Anwendungen von Interesse ist. Besonders
häufig ist das Phänomen Spin-Crossover bei Eisen(II/III)- und Cobalt(II)-Komplexen anzu-
treffen, aber auch von Nickel(II), Cobalt(III), Mangan(III) und Chrom(II) sind Verbindungen
mit thermischem Spinübergang bekannt [53, 54].
204 10 Magnetismus
S
R 3
Die Gleichung Δ P stellt die Voraussetzung für einen thermischen Spinübergang anschau-
lich dar, ist jedoch sehr ungenau. Das ist darauf zurückzuführen, dass die Ligandenfeldauf-
spaltung Δ (bzw. der Parameter 10 Dq) im LS-Zustand von der im HS-Zustand verschie-
den ist, und auch die Spinpaarungsenergie beider Zustände ist nicht zwingend äquivalent.
Das in der Gleichung verwendete Δ gehört weder zum HS noch zum LS Zustand, son-
dern stellt den Schnittpunkt der Potentialkurven des HS und LS Zustandes dar. Für eine
korrekte Betrachtung des Spin-Crossover Phänomens sollte diese Näherung daher vermie-
den werden. Auf molekularer Ebene entspricht der Spinübergang einem „intraionischen
Elektronentransfer“, das heißt die Elektronen bleiben in der unmittelbaren Umgebung des
Metallions. Da im HS-Zustand die stärker antibindenden eg -Orbitale höher besetzt sind
als im LS-Zustand, nehmen die mittleren Metall-Ligand Bindungslängen beim LS → HS
Übergang zu. Die Größenordnungen betragen 0.14–0.24 Å bei Eisen(II)-Verbindungen,
0.11–0.15 Å bei Eisen(III)-Verbindungen und 0.09–0.11 Å für Cobalt(II)-Verbindungen
[53]. Diese Zunahme der Bindungslängen ist die Ursache für die unterschiedliche Aufspal-
tung der d-Orbitale im Ligandenfeld. Die Abstandsabhängigkeit des Parameters 10 Dq ist
durch folgende Gleichung gegeben:
r 6
0
10 Dq(r ) = 10 Dq(r0 )
r
Um einen Spin-Crossover ligandenfeldtheoretisch korrekt zu betrachten, nimmt man die
Tanabe-Sugano-Diagramme zu Hilfe (siehe Abschn. 5.4). Bei Komplexen mit Schwach-
feldliganden ist der HS-5 T2 -Zustand der Grundzustand, während oberhalb einer kritischen
Ligandenfeldstärke crit der LS-1 A1 -Zustand der Grundzustand ist. Nun muss nur noch
die Abstandsabhängigkeit der d-Orbitalaufspaltung (10 Dq) berücksichtigt werden, um
die Änderung der Ligandenfeldstärke in Abhängigkeit vom Abstand abzuschätzen. Für
Spin-Crossover-Verbindungen gilt 10 Dq(HS) < crit < 10 Dq(LS). Der Termüber-
schneidungspunkt crit im Tanabe-Sugano-Diagramm ist dabei mit dem Kreuzungspunkt
der beiden Potentialtöpfe für den HS und den LS-Zustand gleichzusetzen. Dieses Bild
ermöglicht eine korrekte Formulierung zur Beschreibung der Voraussetzungen für einen
Spin-Crossover: E 0 (HL) ≈ k B T . Dabei entspricht E 0 (HL) der Differenz der Nullpunk-
tenergien der Potentialkurven des HS und LS Zustandes. Der Bereich von 10 Dq, in dem
Eisen(II)-Spin-Crossover-Komplexe zu erwarten sind, ist in Tab. 10.7 gegeben [53].
10.6 Spin-Crossover 205
Tab. 10.7 Größenordnung der Ligandenfeldaufspaltung 10 Dq bzw. ΔO für Eisen(II) HS-, LS- und
SCO-Komplexe
10 DqHS <11000 cm−1 HS-Komplex
10 DqHS ≈11500–12500 cm−1 und
10 DqLS ≈19000–21000 cm−1 Spin-Crossover-Komplex
10 DqLS >21500 cm−1 LS-Komplex
G = H − T S
Der Grundzustand in einem Spin-Crossover-System ist jeweils derjenige mit der niedrigs-
ten Freien Energie (G), die sich aus einem Entropie- (S) und einem Enthalpieanteil (H)
zusammensetzt. Das Δ bezieht sich jeweils auf den Unterschied zwischen dem HS- und
dem LS-Zustand. Wir definieren nun die kritische Temperatur (T C oder auch T 1 ), bei der
2
die gleiche Anzahl von Molekülen im HS- und im LS-Zustand vorliegt. Bei ihr gilt:
G = 0
und damit:
H
TC =
S
Die Entropieänderung setzt sich aus einem elektronischen- und einem Schwingungsanteil
zusammen. In einem perfekt oktaedrischen Eisen(II)-Komplex ist der LS-Zustand einfach
entartet, während beim HS-Zustand eine 15-fache Entartung (bezogen auf den Gesamtspin
und den Gesamtbahndrehimpuls, ((2S + 1) · (2L + 1)) vorliegt. Sel beträgt damit:
H S
Sel = N k B ln = 1.882 cm−1 K−1 = 22.5 JK−1 mol−1
L S
Metall-Ligand Abstand r
Enthalpie-Faktor und der LS-Zustand ist stabiler, während bei höheren Temperaturen die
Entropie dominiert.
Unter Anwendung von ein wenig Mathematik kann nun ein Ausdruck zur Beschreibung
der temperaturabhängigen Besetzung des HS-Zustandes hergeleitet werden. Dazu benötigen
wir noch einen weiteren Ausdruck zur Bestimmung der freien Energie:
G = −k B T ln(K )
K ist in diesem Fall die Gleichgewichtskonstante für das Gleichgewicht zwischen dem HS-
und dem LS-Zustand. Für sie kann folgender Ausdruck verwendet werden:
γH S γH S
K = =
γL S 1 − γH S
γ H S und γ L S stehen für den molaren Anteil von HS- bzw. LS-Molekülen. Der Wert geht
von 1 (alles HS bzw. LS) bis 0 (alles LS bzw. HS). Da nur zwei Spezies im Gleichgewicht
vorliegen, kann anstelle von γ L S auch (1 − γ H S ) verwendet werden. Nun setzen wir beide
Ausdrücke zusammen und erhalten:
γH S
H − T S = −k B T ln
1 − γH S
nischen (magnetischen) Anteil. Der größte Teil der verbleibenden 70 % verteilt sich (ca.
halbe − halbe) auf intramolekulare Streck- und Deformationsschwingungen. Änderungen
der intermolekularen Schwingungen bewirken nur einen relativ geringen Anteil [53].
10.6.2 Druckabhängigkeit
Aufgrund der Tatsache, dass die Komplexmoleküle im HS-Zustand größer sind als im LS-
Zustand, ist zu erwarten, dass bei Druckerhöhung der LS-Zustand stabilisiert wird. Dies
wird generell bei Druckexperimenten an Eisen(II)-Komplexen im festen Zustand beobachtet
(Verschiebung des Spinübergangs zu höheren Temperaturen) [59, 60]. Auch bei der Einbet-
tung von Komplexmolekülen in ein entsprechendes Wirtsgitter kann ein negativer Bilddruck
erzeugt werden. Bei Gittern mit größeren Ionen (z. B. Zn2+ ) wird der HS-Zustand stabili-
siert. Die Spinübergangskurve verschiebt sich mit zunehmender Verdünnung zu niedrige-
ren Temperaturen und wird gleichzeitig gradueller, da die kooperativen Wechselwirkungen
zwischen den einzelnen Spin-Crossover-Komplexmolekülen unterdrückt werden. Ähnliches
wurde bei Mn(II)- und Co(II)-Wirtsgittern beobachtet [59]. In Abb. 10.28 ist die Auswirkung
der Druckänderung auf die relative Lage des HS- und LS-Potentialtopfes dargestellt.
Metall-Ligand Abstand r
208 10 Magnetismus
(HS → LS) sind zwei Minima in der Potentialenergiekurve. Bei Spin-Crossover Systemen
ist diese Voraussetzung gegeben, wobei, wie bereits diskutiert, das LS-Minimum etwas nied-
riger als das HS-Minimum liegt. Dieses Phänomen wurde erstmals von Decurtins et al. an
[Fe(ptz)6 ](BF4 )2 entdeckt (1984, ptz = 1-Propyltetrazol) [57, 58]. Der Komplex ist im HS-
Zustand farblos und im LS-Zustand dunkelrot. Im Einkristall-Absorptionsspektrum werden
Banden bei 820 nm bzw. 514.5 nm beobachtet, die den 5 T2 →5 E bzw. den 1 A1 → 1 T1 Über-
gängen im Tanabe-Sugano-Diagramm zugeordnet werden können. Die Details dazu wurden
bereits im Abschn. 5.4 diskutiert. Anhand der relativen Intensität dieser Banden kann die
Übergangskurve für den thermischen Spinübergang dieses Komplexes verfolgt werden, die
gut mit der aus Suszeptibilitätsmessungen übereinstimmt. Bestrahlt man den Kristall unter-
halb einer Temperatur von 50 K (die Verbindung ist dann im LS-Zustand und rot) mit einer
Wellenlänge von 514.5 nm (1 A1 → 1 T1 -Bande), dann bleicht dieser innerhalb von kür-
zester Zeit aus und das für den HS-Zustand typische Absorptionsspektrum erscheint. Der
HS-Zustand ist metastabil mit nahezu unbegrenzter Lebensdauer und erst bei Temperaturen
deutlich über 50 K setzt eine Relaxation zurück in den LS-Zustand ein. Die Temperatur, bei
der die Rückkehr in den LS-Zustand stattfindet, bezeichnet man als T (LIESST)-Temperatur.
Bestrahlt man den farblosen Kristall im HS-Zustand nun bei 820 nm (5 T2 → 5 E-Bande),
erhält dieser nach kurzer Zeit seine rote Farbe zurück. Allerdings ist die Rückumwandlung
nicht vollständig (γ H S = 0.1).
In Abb. 10.29 ist der Mechanismus schematisch dargestellt. Der Mechanismus des
LIESST-Effektes wurde an der Verbindung [Fe(ptz)6 ](BF4 )2 im Detail aufgeklärt [61]. Bei
Bestrahlung des Komplexes im low-spin-Zustand mit grünem Licht (514.5 nm) erfolgt eine
Spin-erlaubte (S = 0) Anregung des Systems in den 1 T1 - oder 1 T2 -Zustand. Zwei auf-
einander folgende schnelle Intersystem-Crossing-Schritte (Spin-verboten, S = 0) über
den Zwischenzustand 3 T1 bewirken eine strahlungslose Relaxation in den HS-Zustand 5 T2
und den LS-Zustand 1 A1 . Bei andauernder Bestrahlung mit grünem Licht wird das Sys-
tem kontinuierlich vom LS-Zustand in den HS-Zustand überführt, bis der 1 A1 -Potentialtopf
geleert ist und keine Anregung mehr stattfinden kann. Eine Bestrahlung des nun vorliegen-
den HS-Zustands mit rotem Licht (820 nm) hat eine Spin-erlaubte (S = 0) Anregung in
den 5 E-Zustand zur Folge. Durch zwei schnelle Intersystem-Crossing-Schritte, wieder über
den Zwischenzustand 3 T1 , relaxiert das System wiederum in den low-spin-Zustand 1 A1 und
den HS-Zustand 5 T2 zurück. Kontinuierliche Bestrahlung mit rotem Licht führt zur weit-
gehenden Überführung des Komplexes in den LS-Zustand. Die direkte Relaxation 5 T2 →
1 A erfolgt bei niedrigen Temperaturen sehr langsam, weshalb die schnelleren Intersystem-
1
Crossing-Relaxationen bevorzugt sind. Der metastabile, lichtinduzierte HS-Zustand ist des-
halb bei tiefen Temperaturen sehr langlebig.
Seit der Entdeckung des Effektes konnte er bei vielen Eisen(II)-SCO-Komplexen nach-
gewiesen werden. Das gelang nicht nur bei konzentrierten Verbindungen, sondern auch bei
verdünnten Mischkristallen oder SCO-Komplexen eingebettet in Polymerfolien [53]. Die
Lebensdauer des metastabilen HS-Zustandes liegt bei tiefen Temperaturen zwischen 10
und 105 s. Bei der Relaxation machen sich im konzentrierten Festkörper starke kooperative
10.6 Spin-Crossover 209
Energie
E
1
T2
1
T1
schnell
3
T2
5
E
514.5 nm 3
T1
schnell 820 nm
5
T2
E0HL
1
A1 langsam!
rHL
Metall-Ligand Abstand r
Abb. 10.29 Relative Lage der Potentialtöpfe des 5 T2 HS- und 1 A1 LS-Zustands, sowie der angereg-
ten Zustände für einen Eisen(II)-Spin-Crossover-Komplex mit den für den LIESST-Effekt relevanten
Übergängen
Untersucht man einen Spinübergang in Lösung, wird immer ein gradueller Spin-Crossover
beobachtet, der einer Boltzmannverteilung folgt. Der entsprechende mathematische Aus-
druck für die Temperaturabhängigkeit wurde bereits hergeleitet. Im Festkörper können ver-
schiedene Arten des Spin-Crossover-Verhaltens beobachtet werden. Er kann vollständig
oder unvollständig sein, graduell oder abrupt, es können Stufen oder Hysteresen auftreten
(Abb. 10.30) [67]. Die Voraussetzung für das Auftreten von thermischen Hystereseschleifen
sind kooperative Wechselwirkungen zwischen den Spin-Crossover-Zentren. Eine Annahme
ist, dass die Information der Volumenänderung des einzelnen Moleküls beim Spinübergang
von einem Startpunkt aus im Kristall von einem Molekül zum nächsten weitergeleitet wird.
In diesem Zusammenhang spricht man von elastischen Wechselwirkungen zwischen den
Komplexmolekülen. Zur mathematischen Beschreibung dieser Wechselwirkungen wurden
verschiedene Modelle entwickelt. Erwähnt seien hier das Modell der elastischen Wech-
selwirkungen [67], das Modell des internen Druckes, das Ising-Modell oder das Domänen-
Modell. Alle führen zu ähnlichen, ineinander umwandelbaren, mathematischen Ausdrücken
[68]. Die Grundidee ist, dass, ausgehend vom HS-Zustand (Abb. 10.30, Punkt a), bei Tem-
peraturerniedrigung besagte Wechselwirkungen zunächst den Spinübergang an einzelnen
Metallzentren verhindern (Abb. 10.30, Punkt b, c), bis die Temperatur niedrig genug ist,
dass das System komplett in den LS-Zustand wechselt (Abb. 10.30, Punkt d). Das Gleiche
gilt für eine Temperaturerhöhung. Bei hinreichend starken Wechselwirkungen kann es so
10.6 Spin-Crossover 211
a b c
d e
Abb. 10.30 Oben: Beim Übergang von Lösungen zu Festkörpern können verschiedene zwischen-
molekulare Wechselwirkungen zu Änderungen im Spin-Crossover-Verhalten führen: links: stufen-
weiser Spinübergang, mitte: gradueller Spinübergang, rechts: Spinübergang mit Hysterese. Unten:
Schematische Darstellung des Konzeptes des regular solution Modells, das häufig zur Erklärung von
Hysteresen verwendet wird. Die „Federn“ illustrieren die zwischenmolekularen Wechselwirkungen,
weiß sind die Moleküle im LS-Zustand, schwarz im HS-Zustand und schraffiert steht für Moleküle,
die ihren Spinzustand aufgrund der zwischenmolekularen Wechselwirkungen dem System anpassen
zum Auftreten von thermischen Hystereseschleifen kommen. In Abb. 10.30 ist der Vorgang
schematisch skizziert.
Der präparativ arbeitende Chemiker hat nun zwei Faktoren, die er beeinflussen kann: i)
die Art der Wechselwirkungen und ii) die Dimension des Netzwerkes. Als mögliche Wech-
selwirkungen werden in der Literatur derzeit i) van-der-Waals-Wechselwirkungen (Kontakte
die kürzer sind als die Summe der van-der-Waals-Radien), ii) π -π -Wechselwirkungen, iii)
Wasserstoffbrückenbindungen und iv) sogenannte kovalente Vernetzungen diskutiert. Die
letzte Variante ist für den präparativen Chemiker besonders reizvoll, da sie die beste Kon-
trolle über die Dimension der Vernetzung ermöglicht. Systematische Untersuchungen an
einer Vielzahl von eindimensionalen Koordinationspolymeren deuten darauf hin, dass die
kovalenten Brücken bei diesen Verbindungen nur dann einen Beitrag zu den kooperati-
ven Wechselwirkungen leisten, wenn sie starr sind und in Kombination mit zusätzlichen
Wechselwirkungen zwischen den Polymersträngen auftreten [69, 70]. Dieser experimen-
telle Befund wurde auch durch Simulationen an solchen Verbindungen bestätigt [71]. Die
212 10 Magnetismus
3
χMT [cm3Kmol-1]
2
244 K
314 K
1
0
200 225 250 275 300 325 350
T [K]
Abb. 10.31 Ausschnitt aus der Molekülstruktur der Verbindung [FeLeq (HIm)2 ], Leq ist ein vierzäh-
niger Schiff-Base-Ligand, und Ergebnis der magnetischen Messung. Die Wasserstoffbrückenbindun-
gen sind als gestrichelte Linien dargestellt. Angepasst nach Ref. [72]
10.7 Fragen
Im Kapitel zur Farbigkeit von Komplexen haben wir uns damit beschäftigt, wie ein Kom-
plex vom elektronischen Grundzustand in einen elektronisch angeregten Zustand überführt
wird. Die verschiedenen Varianten von elektronischen Übergängen wurden besprochen und
die dazu gehörenden Auswahlregeln diskutiert. Dabei wurde nicht betrachtet, was mit dem
energiereichen angeregten Zustand passiert. Hier gibt es drei grundsätzliche Möglichkeiten:
i) er kann strahlungslos in den Grundzustand übergehen (Rekombination); ii) er kann die
Energie durch Emission von Strahlung wieder abgeben (Lumineszenz) oder iii) für Reaktio-
nen verwendet werden (Siehe Kap. 13/Photokatalyse). Die Grundlagen für die ersten beiden
Varianten sollen im folgenden Kapitel besprochen werden. Als weiterführende Literatur zu
diesem sehr aktuellen Forschungsgebiet seien folgende Review-Artikel und Bücher emp-
fohlen [75–79].
11.1 Grundlagen
Lumineszierende Materialien und die dabei involvierten angeregten Zustände sind hochin-
teressant und haben, gerade im Hinblick auf die Energiewende, ein hohes Anwendungspo-
tential. Langlebige angeregte Zustände sind wichtig für die Funktion von Farbstoffsolar-
zellen (Grätzel-Zelle; englisch dye-sensitized solar cell, kurz DSSC) bei der Umwandlung
von Lichtenergie in elektrische Energie. Umgekehrt, für die energieeffiziente Umwandlung
von elektrischer Energie (Strom) in Licht in organischen Leuchtdioden (OLED) bzw. phos-
phoreszierenden Leuchtdioden (PhoLED) werden lumineszierende Materialien gebraucht.
Ergänzende Information Die elektronische Version dieses Kapitels enthält Zusatzmaterial, auf das
über folgenden Link zugegriffen werden kann (https://doi.org/10.1007/978-3-662-63819-4_11).
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B. Weber, Koordinationschemie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-63819-4_11
216 11 Lumineszenz bei Komplexen
Weitere Anwendungsgebiete liegen zum Beispiel in der Bildgebung oder als Sensormate-
rialien.
Die Erzeugung des für die Lumineszenz essentiellen angeregten Zustandes kann nicht
nur durch Lichtabsorption geschehen (auch als Photolumineszenz bezeichnet), sondern auch
durch ein elektrisches Feld (in LEDs) oder eine chemische Reaktion (Chemilumineszenz,
z. B. Luminol zum Nachweis von Blut). Bei der letzten Variante werden chemische Reaktio-
nen in lebenden Organismen separat als Biolumineszenz bezeichnet (z. B. Glühwürmchen).
Wir betrachten im Folgenden nur die Photolumineszenz und beginnen mit den verschiedenen
elektronischen Übergängen in Komplexen, die wir für die Absorption schon kennengelernt
haben, und die umgekehrt bei der Emission genauso stattfinden können.
In Abb. 11.1 ist ein vereinfachtes allgemeines MO-Schema von einem oktaedrischen
Komplex gegeben, wie wir es bereits bei den Bindungsmodellen kennengelernt haben. Im
Allgemeinen können in Metallkomplexen vier unterschiedliche Typen von Übergängen dis-
kutiert werden, die sich, wie wir im Kapitel zur Farbigkeit feststellen konnten, in charakteris-
tischer Weise in ihrer Wahrscheinlichkeit und Energie unterscheiden. Die d-d-Übergänge,
die im Folgenden auch als metallzentrierte (MC für metal-centered) Übergänge bezeich-
net werden, sind bei inversionssymetrischen Komplexen nach Laporte symmetrieverboten
(Paritätsverbot). Durch Schwingungen mit u-Charakter kann das Inversionszentrum vorüber-
gehend aufgehoben werden und die Übergänge können doch stattfinden, aber mit geringer
Intensität. In diesem Zusammenhang spricht man auch von einer vibronischen Kopplung,
da elektronische und Schwingungsübergänge zusammenhängen und sich gegenseitig beein-
flussen. In Gegenwart von geeigneten Liganden sind zusätzlich noch ligandzentrierte (LC für
ligand-centered) Übergänge zwischen besetzten und leeren Ligandorbitalen möglich (z. B.
π − π ∗ ). Dazu kommen noch die Metal-to-Ligand und Ligand-to-Metal Charge-Transfer
Übergänge (MLCT und LMCT), sowie in einigen Fällen noch Ligand-to-Ligand Charge-
×
in schwarz eingetragen und die
Emission in grün. Für die
metallzentrierten
M
d-d-Übergänge wird in der
MLCT d-d
Regel keine Emission
beobachtet, da hier die
L
strahlungslose Relaxation in - *
den Grundzustand dominiert LMCT
(es gibt Ausnahmen, siehe
Chrom(III))
Metall Komplex Ligand
11.1 Grundlagen 217
Transfer (LL’CT) Übergänge. Theoretisch ist nun bei allen Übergängen der umgekehrte
Prozess, die spontane Rückkehr in den Grundzustand unter Emission von Licht, denkbar.
Diese Vorhersage tritt aus mehreren Gründen nicht ein. Vielmehr findet Lumineszenz (wenn
sie denn eintritt; die überwiegende Zahl an Komplexen emittiert nicht) im Allgemeinen nicht
aus dem initial angeregten Zustand statt, sondern aus dem niedrigsten angeregten Zustand.
D. h. vor der Emission kommt es noch zu Relaxationsprozessen struktureller und/oder elek-
tronischer Natur. Erst der niedrigste angeregte Zustand ist langlebig genug, um strahlende
und nichtstrahlende Prozesse in Konkurrenz treten zu lassen. Dieses Faktum ist als *Regel
von Kasha* aus der organischen Photochemie wohlbekannt. Es sei angemerkt, dass diese
Regel in der Komplexchemie mehr Ausnahmen zulässt als in der organischen Chemie.
In Konsequenz bedeutet diese Aussage, dass die Natur der Emission weitgehend von der
Natur der Anregung entkoppelt ist. Während wir alle oben beschriebenen Zustände in der
Anregung womöglich gezielt besetzen können, ist es letztlich nur der niedrigste angeregte
Zustand, der die Emission steuert. Eine weitere Verschärfung gilt dann, wenn der niedrigste
angeregte Zustand d-d-Charakter aufweist. Für die metallzentrierten d-d-Übergänge wird in
der Regel keine Emission beobachtet. Eine Ausnahme von dieser Regel betrachten wir am
Ende des Kapitels für das Chrom(III)-Ion.
Bei Betrachtungen zur Lumineszenz von Komplexen untersuchen wir nun, was das
Schicksal des angeregten Zustandes ist. Wie ist seine Entwicklung mit der Zeit, d. h. welche
Möglichkeiten und Wege gibt es wieder in den elektronischen Grundzustand zurückzu-
kommen? In Abb. 11.2 sind die verschiedenen Prozesse zusammengefasst [76, 78]. Bei
dem Kapitel zur Farbigkeit von Komplexen sind wir immer davon ausgegangen, dass die
Rückkehr in den elektronischen Grundzustand strahlungslos erfolgt, d. h. die Energie des
angeregten Zustandes wird durch Schwingungen (vibrational relaxation, vr) oder Kolli-
sion mit anderen Molekülen abgegeben. Lumineszenz ist der Überbegriff für Prozesse, bei
denen die Energie des elektronisch angeregten Zustandes durch Emission von Strahlung
abgegeben wird. Dabei wird zwischen dem spin-erlaubten Prozess der Fluoreszenz und
der unter Spinumkehr stattfindenden, und damit formal spin-verbotenen, Phosphoreszenz
unterschieden. Fluoreszenz wird häufig bei organischen Molekülen beobachtet, wobei der
Übergang zwischen einem S1 (oder Sn ) angeregten Zustand in den S0 Grundzustand stattfin-
det. S steht dabei für Singulett und bezieht sich auf die Spin-Multiplizität des Systems. Die
strahlungslose Relaxation zwischen zwei angeregten Zuständen unter Spinerhalt wird als
innere Umwandlung (internal conversion, IC) bezeichnet. Bei Metallkomplexen mit schwe-
ren Übergangsmetallen und ausgeprägter Spin-Bahn-Kopplung (siehe Magnetismus) kann
zusätzlich ein als intersystem crossing (ISC) bezeichneter (spinverbotener) Übergang, z. B.
von einem Singulett in einen Triplett-Zustand stattfinden. Wie in Abb. 11.2 angedeutet, liegen
Triplett-Zustände bei gleicher Elektronenkonfiguration aufgrund der größeren Austausch-
wechselwirkung immer energetisch unter den entsprechenden Singulett-Zuständen. Von hier
ist die spin-verbotene Emission von Strahlung aus einem angeregten Triplett-Zustand in den
Singulett Grundzustand möglich, die Phosphoreszenz. Da dieser Vorgang spinverboten ist,
sind die Lebensdauern des angeregten Zustandes bei Phosphoreszenz deutlich länger als bei
der Fluoreszenz. Die Phosphoreszenz wird, im Gegensatz zur Fluoreszenz, von Sauerstoff,
der ebenfalls einen Triplett-Grundzustand hat, gequencht.
Ausschlaggebend dafür welche Übergänge stattfinden, sind immer die Geschwindigkei-
ten der Prozesse bzw. Lebensdauern der einzelnen Zustände. Dazu betrachten wir als Nächs-
tes das in Abb. 11.2 gezeigte Jablonski-Diagramm, in dem alle beschriebenen Prozesse gege-
ben sind. Die dazu gehörenden Lebensdauern sind im Kasten Kinetik zusammengefasst. Bei
der Anregung wird ausgehend von einem elektronischen und Schwingungs-Grundzustand
(S0 ) ein Elektron in einem angeregten Zustand mit gleichem Spin (S1 bzw. S2 ) angehoben.
Bei diesem Übergang müssen wir nun das Franck-Condon-Prinzip [80] berücksichtigen, das
wir bei den Redoxreaktionen schon kennengelernt haben, bei der Farbigkeit von Komplexen
aber bisher außer Acht gelassen haben. Da ein Elektron viel leichter ist als ein Atomkern,
sind elektronische Übergänge und die Kernbewegung voneinander entkoppelt. Das bedeu-
tet, dass sich die Positionen der Atomkerne unseres Komplexes (bzw. Moleküls) während
des elektronischen Übergangs nicht ändern; man spricht deshalb auch von einem vertikalen
Übergang, weil wir uns auf der Reaktionskoordinate nicht bewegen. Die Anregung erfolgt
allerdings nicht nur in den Schwingungsgrundzustand des elektronisch angeregten Zustan-
des, sondern auch in angeregte Schwingungszustände. Im angeregten Zustand liegt nun in
der Regel eine andere Elektronendichteverteilung vor. Es könnten zum Beispiel bezüglich
bestimmter Bindungen antibindende Orbitale besetzt sein, was im Gleichgewicht zu einer
Verlängerung der Bindungen führt. Nach der sehr schnellen Anregung (10−15 s) erfolgt
deswegen eine Schwingungsrelaxation (vr), bei welcher der Komplex bzw. das Molekül die
Gleichgewichtsgeometrie des jeweiligen angeregten Zustandes annimmt. Dieser Prozess
wird auch als vibrational cooling (vc) bezeichnet.
Wenn mehrere angeregte Zustände existieren, liegen diese energetisch häufig dicht bei-
einander und internal conversion (IC, keine Spinumkehr) oder intersystem crossing (ISC,
11.2 Fluoreszenz am Beispiel eines Zink(II)-Komplexes 219
In Abb. 11.3 rechts sind das Absorptions- und Emissionsspektrum eines quadratisch pyrami-
dalen Zink(II)-Komplexes gegeben. Es fällt auf, dass sich Absorption und Emission wie Bild
und Spiegelbild verhalten. Dies hat seine Ursache darin, dass beim elektronischen Übergang
in beiden Fällen Schwingungsanregungen eine Rolle spielen. Diesem Umstand genügen
wir in einem erweiterten Jablonski-Diagramm (Abb. 11.3), welches die an An- und Abre-
gung beteiligte diagnostische Schwingungsmode als harmonischen Oszillator auffasst. Des
Weiteren fällt auf, dass Absorptions- und Emissionsspektrum auf der Energieskala gegen-
einander verschoben sind. Es ist generell so, dass die emittierten Quanten eine geringere
Energie (größere Wellenlänge) aufweisen als die absorbierten. Der Energieunterschied wird
als Stokes-Shift bezeichnet. Herkunft und Größe des Stokes-Shift lassen sich im Rahmen der
vibronischen Kopplung des Elektronenüberganges einfach deuten (siehe unten). Gewöhn-
lich unterscheiden sich die Elektronenverteilungen im elektronischen Grundzustand und im
elektronisch angeregten Zustand und damit die Potentialhyperflächen und die Lage ihrer
absoluten Minima. Die Anregung bewirkt die Besetzung (partiell) antibindender Zustände.
220 11 Lumineszenz bei Komplexen
E S1
‘
N
4 O O
3 EtOOC Zn COOEt
2
1 N N
0
Intensität NC CN
S0
Absorption Emission
4
3
2
1
0
Intensität
Abb. 11.3 Links: erweitertes Jablonski-Diagramm für ein fluoreszierendes Molekül, für die Dar-
stellung der Schwingungsniveaus und ihrer Eigenfunktionen wurde der harmonische Oszillator als
Näherung verwendet. Rechts: Struktur des Zinkkomplexes [Zn(L1)] mit normiertem Absorptions-
und Emissionsspektrum. Die Energieabstände zwischen den einzelnen Banden von Absorption und
Emission von ca. 1350 cm−1 entsprechen Gerüstdeformationsschwingungen des Liganden
Damit kommt es zur Lockerung einer oder mehrerer Bindungen. Dieser Lockerung trägt man
dadurch Rechnung, dass die Minima des angeregten Zustandes und des Grundzustandes auf
der Reaktionskoordinate r gegeneinander verschoben sind; der Regelfall einer Bindungs-
lockerung im angeregten Zustand bedeutet dann eine Verschiebung nach rechts, r(GZ) <
r(AZ). Die elektronische Anregung weist viele Parallelen zur Markus-Theorie für Elek-
tronentransferprozesse auf, es handelt sich dabei auch um einen elektronischen Übergang.
Das Zink(II)-Ion spielt bei den elektronischen Übergängen als formal nicht redox-aktives
diamagnetisches d10 Element eine untergeordnete Rolle. In 1. Näherung gehen wir davon
aus, dass es sich um ligandzentrierte Übergänge handelt. Um die unterschiedliche Lage und
Form der Banden für die Absorption und die dazu gehörende Emission zu verstehen, benö-
tigen wir das auf der linken Seite gegebene Energie-Diagramm. Zu jedem elektronischen
Zustand eines Komplexes bzw. Moleküls gehört eine Potentialhyperfläche, deren absolu-
tes Minimum der Gleichgewichtsgeometrie im Molekül entspricht. Die Gesamtenergie des
elektronischen Zustandes (hier der S0 - bzw. S1 -Zustand) ist eine Funktion der Elektronen-
verteilung (also der Elektronenkonfiguration bzw. genauer der einzelnen Mikrozustände)
11.2 Fluoreszenz am Beispiel eines Zink(II)-Komplexes 221
und der Kernabstände und wird durch die Kern-Elektronen-, Kern-Kern- und Elektronen-
Elektronen-Wechselwirkungen bestimmt. Die Potentialhyperfläche beschreibt die Energie-
änderung des Zustandes in Abhängigkeit von der Geometrieänderung. Zur besseren Dar-
stellung betrachtet man nicht den ganzen 3N-dimensionalen Raum, sondern wählt eine
sinnvolle Normalkoordinate mit den dazu gehörenden Schwingungszuständen aus. Diese
können durch ein harmonisches oder das Morse-Potential (anharmonisch) genähert werden.
In Abb. 11.3 links ist ein harmonisches Potential gegeben (Harmonischer Oszillator, gleiche
Abstände zwischen den einzelnen Schwingungsniveaus, Gleichgewichtsabstand ändert sich
nicht), während in Abb. 11.2 das Morse-Potential angenommen wurde (Abstände zwischen
den einzelnen Schwingungsniveaus nehmen mit zunehmender Energie ab). Da der Unter-
schied zwischen den beiden Modellen für die im Folgenden betrachteten ersten Schwin-
gungsniveaus vernachlässigbar ist, verwenden wir zunächst das einfachere Modell des har-
monischen Oszillators. Wir gehen davon aus, dass beim elektronischen Grundzustand nur
der Schwingungsgrundzustand (ν = 0) für die Anregung relevant ist (bei Raumtemperatur
ist das eine sinnvolle Annahme), während im angeregten Zustand mehrere Schwingungsni-
veaus berücksichtigt werden müssen. Die Intensität der einzelnen vibronischen Übergänge
(S0 , ν0 → S1 , νn mit n = 0, 1, 2, 3, …; kürzer: S(00) → S(1n)) ist proportional zum Quadrat
des Überlappungsintegrals zwischen den Schwingungseigenfunktionen der am Übergang
beteiligten Zustände. Ändert sich der Gleichgewichtsabstand der Atomkerne beim elek-
tronischen Übergang nicht (beide Potentialtöpfe liegen genau übereinander), dann ist der
Übergang zwischen den beiden Schwingungsgrundzuständen (S(00) → S(10)) am inten-
sivsten. Wenn sich, wie in Abb. 11.3 gezeigt, die Gleichgewichtsabstände deutlich ändern,
sind die intensivsten Übergänge mit dem größten Überlappungsintegral jene, die in höhere
Schwingungsniveaus führen (S(00) → S(1n)). Dies führt zu einer unsymmetrischen Ver-
breiterung der Absorptionsbande, bei der häufig die Schwingungsfeinstruktur aufgelöst ist.
Das ist bei dem hier gezeigten Beispiel der Fall. Bitte beachten Sie, dass die Anregung
aus allen möglichen Kernabständen des Schwingungsgrundzustandes stattfinden kann, der
Bereich ist in Abb. 11.3 blau hinterlegt.
Das Molekül im elektronisch angeregten Zustand kann nun über verschiedene Möglichkeiten
seine Energie wieder abgeben (also relaxieren). Der erste Schritt ist meist die Schwingungs-
relaxation. Sie umfasst intramolekulare strahlungslose Prozesse, also die Energiedissipa-
tion auf verschiedene Akzeptormoden im Molekül. Wird die Energie auch auf umgebende
Moleküle übertragen spricht man von einem intermolekularen Schwingungsenergietrans-
fer, und die Umgebung des angeregten Moleküls wird erwärmt. Für die Betrachtung der
intramolekularen Prozesse müssen wir zunächst festhalten, dass ein nicht lineares Mole-
kül (oder Komplex) aus N Atomen 3N − 6 Schwingungsfreiheitsgrade besitzt. In einem
dreiatomigen linearen Molekül wie CO2 sind 3N-5 Schwingungen erlaubt, es ist also mit
222 11 Lumineszenz bei Komplexen
drei sog. Normalschwingungen zu rechnen. In größeren Molekülen nimmt die Zahl der
erlaubten Schwingungen entsprechend schnell stark zu. Für das Beispiel des Zn-Komplexes
aus Abb. 11.3 mit 58 Atomen ergeben sich beispielsweise schon 168 Normalschwingun-
gen. Diese können aber nicht alle bei einem elektronischen Übergang angeregt werden.
Um das zu verstehen, betrachten wir noch einmal d-d-Übergänge in einem idealen okta-
edrischen Komplex. Im Kapitel zur Farbigkeit von Koordinationsverbindungen haben wir
gelernt, dass d-d-Übergänge bei zentrosymmetrischen Komplexen nach Laporte verboten
sind. Dass trotzdem Farbigkeit beobachtet wird liegt daran, dass die Zentrosymmetrie durch
Schwingungen aufgehoben werden kann. Diese Voraussetzung ist für Normalschwingungen
mit ungerader Parität der Schwingungsmode erfüllt. Es erfolgt dann eine gleichzeitige Anre-
gung des elektronischen Übergangs und der ungeraden Normalmode, man spricht dabei von
der vibronischen Kopplung. Bei solchen gekoppelten Übergängen hängt die Form der Ban-
den des Elektronenspektrums von der Kernbewegung im angeregten elektronischen Zustand
(Absorption) und im elektronischen Grundzustand (Emission) ab. Wenn sich also Grundzu-
stand und angeregter Zustand strukturell stark unterscheiden, findet zusätzliche eine Schwin-
gungsprogression statt, bei der auch in symmetriebedingt nicht-erlaubte Schwingungsnive-
aus angeregt wird. Diese überschüssige Schwingungsenergie wird während der Relaxation
auf andere, isoenergetische Schwingungszustände die nicht angeregt wurden, verteilt. Die
Zeit bis zur Relaxation in den Schwingungsgrundzustand beträgt ca. 10−10 −10−14 s. Diese
Schritte finden immer nach der elektronischen Anregung statt. Im angeregten Schwingung-
grundzustand (S(1n)) kommt es nun zu einer mechanistischen Verzweigung in miteinander
konkurrierende Prozesse, die strahlungslose Deaktivierung (nr ), die strahlende Deaktivie-
rung (Fluoreszenz) und den strahlungslosen Spinübergang (Intersystem Crossing). Die Effi-
zienz der Fluoreszenz φ(F) bemisst sich nach den jeweiligen Geschwindigkeitskonstanten
k:
k(F)
φ(F) =
k(F) + k(I SC) + k(nr )
Das nach Anregung und Relaxation beobachtete Emissionsspektrum ist immer zu größeren
Wellenlängen (kleineren Energien) hin verschoben, wie in Abb. 11.3 rechts gezeigt. Auch
bei der Fluoreszenz werden wieder mehrere Schwingungsniveaus, diesmal vom Grundzu-
stand, angeregt, wobei die Intensität wieder vom Quadrat des Überlappungsintegrals der
beteiligten Schwingungseigenfunktionen abhängt. Die Regeln für die Emission sind die
gleichen wie für die Absorption. Fluoreszenz ist immer dann bevorzugt, wenn strahlungs-
lose Kanäle ineffizient werden, d. h. in Abwesenheit von Schweratomen (k(F) k(ISC)) und
bei großer energetischer Separation von S(0) und S(1). Der letzte Punkt, k(nr) ist umgekehrt
proportional zu
E(S1) − E(S0)
, wird auch Energy-Gap-Law bezeichnet. Neben einer geringen Energiedifferenz zwischen
dem elektronischen Grundzustand und dem elektronisch angeregten Zustand kann auch
eine starke Verzerrung des elektronisch angeregten Zustandes ein Grund für eine effiziente
strahlungslose Relaxation sein (strong-coupling limit).
11.3 Phosphoreszenz von diamagnetischen Komplexen 223
Die Erfahrung lehrt, dass es meist planare, wenig flexible Moleküle sind, die effizient fluo-
reszieren. Warum ist das so? Dieser Befund lässt sich wieder befriedigend im Parabelbild der
vibronischen Kopplung aus Abb. 11.3 deuten. Im Falle starrer Moleküle bewirkt die Anre-
gung nur eine relativ geringe strukturelle Anpassung an den neuen elektronischen Zustand;
die beiden Parabeln sind nur wenig gegeneinander verschoben. Entsprechend gibt es aus
dem Schwingungsgrundzustand S(10) keine Kopplung an angeregte Schwingungsniveaus
von S(0); die Kurven schneiden einander erst bei hoch angeregten Schwingungszuständen
von S(1) (hot states). Anders ist die Lage, wenn die Potentialtöpfe stark horizontal ver-
schoben sind. Die Kurven von S(0) und S(1) schneiden sich nahe am Minimum von S(1), es
kommt zu einer aktivierungsfreien strahlungslosen Entvölkerung des angeregten Zustandes.
Als erstes Beispiel für Komplexe mit langlebigen MLCT-Zuständen, die für Phosphoreszenz
verantwortlich sind, betrachten wir das [Ru(bipy)3 ]2+ -Ion und vergleichen die Situation
mit dem leichteren Homologen [Fe(bipy)3 ]2+ , das weder Phosphoreszenz noch Fluores-
zenz zeigt. Low-spin d6 -Komplexe wie Ruthenium(II)-Komplexe mit verschiedenen (poly-)
Pyridin-Liganden und Iridium(III)-Komplexe haben langlebige angeregte Zustände mit CT-
Charakter. Die Kombination dieser beiden Faktoren (Langlebig + CT-Charakter) ist die
Voraussetzung für den Einsatz solcher Komplexe in Farbstoffsolarzellen, PhoLEDs und der
Photokatalyse [77–79]. Die Langlebigkeit rührt daher, dass der niedrigste angeregte Zustand
ein Triplett-Zustand ist, dessen Deaktivierung eine Spin-Umkehr fordert.
Phosphoreszenz ist, wie oben gesagt, ein strahlender Übergang zwischen Zuständen
unterschiedlicher Spin-Multiplizität. Da auch die Bildung des phosphoreszierenden Zustan-
des eine Spin-Umkehr fordert, fördern z. B. Schweratome über die Spin-Bahn-
Wechselwirkung sowohl die Bevölkerung als auch die Entvölkerung des emittierenden
Zustandes. Ganz analog zur Fluoreszenz besteht auch hier eine Abhängigkeit vom Ener-
gieabstand
E(T 1) − E(S0)
der beteiligten Zustände im Sinne des Energy-Gap-Laws.
Um die Grundlagen der Phosphoreszenz bei [Ru(bipy)3 ]2+ zu verstehen, betrachten wir
neben der Lage der Potentialhyperflächen die relevanten Mikrozustände, d. h. einzelne Elek-
tronenkonfigurationen die uns dabei helfen, das Grundprinzip der Phosphoreszens besser zu
illustrieren. In Abb. 11.4 sind die für die folgende Diskussion relevanten Potentialhyperflä-
chen und die Elektronenkonfigurationen einzelner Mikrozustände gegeben. Wir verzichten
bei den folgenden Beispielen auf die Darstellung der Schwingungsniveaus bei den Potenti-
alhyperflächen.
224 11 Lumineszenz bei Komplexen
E 1
3 3
1 1g
MLCT
eg*
* e g*
L
L *
t2g 3
MLCT 3 3
1g t2g
L
L
3 3
1g
eg* 1
* A1g
L
L *
e g*
t2g
EA t2g
L
EA
L
1
A1g
2+
e g* N
L *
N N
M
N N
t2g
N
d(M-L)
Abb. 11.4 Schematische Darstellung der Potentialhyperflächen eines [M(bipy)3 ]2+ Komplexes mit
M = Ru bzw. Fe und ausgewählten Mikrozuständen. Die Anregung der Komplexe erfolgt bei beiden
Metallen aus dem 1 A1g Grundzustand in einen 1 MLCT-Zustand, der durch schnelles ISC in einen
3 MLCT-Zustand übergeht. Aus diesen Zustand heraus erfolgt die Phosphoreszenz. In Konkurrenz
dazu erfolgt durch thermisch aktivierte IC ein Übergang in den 3 MC-Zustand, der einen Kreuzungs-
punkt mit der 1 A1g Energiepotentialfläche hat, über den eine schnelle thermische Relaxation erfolgt.
Die relative Lage der beiden Potentialhyperflächen (3 MLCT und 3 MC) zueinander hängt von der
energetischen Reihenfolge der eg * und π ∗ Orbitale ab und ist ausschlaggebend dafür, ob Phospho-
reszenz beobachtet wird oder nicht
[Ru(bipy)3 ]2+ ist ein diamagnetischer low-spin Komplex mit einem 1 A1g Grundzustand.
Durch Anregung mit Licht findet ein MLCT in einen 1 MLCT Zustand (damit bezeich-
nen wir den angeregten Zustand, das ungepaarte Elektron befindet sich im π *-Orbital des
Liganden und ein Elektronenloch am Metall, formal [Ru I I I (bipy·− (bipy)2 ]), gefolgt von
sehr schnellem ISC in den 3 MLCT-Zustand statt. Durch die Anregung ändern sich die
Ru-N-Längen kaum (siehe auch Reorganisationsenergie beim Elektronentransfer zwischen
[Ru(bipy)3 ]2+ und [Ru(bipy)3 ]3+ im Kapitel Redoxreaktionen, kaum Bindungslängenän-
derung). Dementsprechend sind die drei Potentialhyperflächen entlang der x-Achse, die
11.3 Phosphoreszenz von diamagnetischen Komplexen 225
dem M-L-Abstand entspricht, kaum gegeneinander verschoben. Die negative Ladung des in
den angeregten Zuständen formal gebildeten Bipyridin-Radikalanions ist zunächst über die
drei Liganden delokalisiert, lokalisiert sich aber anschließend auf einem der bipy-Liganden.
Im [Ru(bipy)3 ]2+ * ist der thermisch äquilibrierte 3 MLCT Zustand der niedrigste angeregte
Zustand. Er besitzt bei RT eine Lebensdauer im Mikrosekundenbereich. Neben dem Ligand-
zentrierten Triplett-Zustand gibt es auch einen Metall-zentrierten Triplett Zustand (3 MC), bei
dem das energetisch höher liegende ungepaarte Elektron nicht im π * Orbital des Liganden,
sondern im eg * Orbital des Metalls lokalisiert ist. In diesem Fall führt die Besetzung der σ -
antibindenden Orbitale zu einer deutlichen Verlängerung des Metall-Ligand-Abstands (vgl.
Redox-Reaktionen, MO-Schema von Komplexen). Das bedeutet, dass die Potentialhyperflä-
che hin zu längeren M-L Abständen verschoben ist, wie in Abb. 11.4 gezeigt. Zwischen den
Metall- und Ligand-zentrierten Triplett-Zuständen kann nun thermisch aktivierte IC stattfin-
den. Wie effizient dieser Vorgang ist, hängt von der relativen Lage dieser beiden Potential-
hyperflächen zueinander und damit von der energetischen Lage der eg *- und π *-Orbitale ab.
Für das 4d-Element Ruthenium führt die große Aufspaltung der d-Orbitale im oktaedrischen
Ligandenfeld dazu, dass die π *-Orbitale energetisch unter den eg *-Orbitalen liegen. Der
3 MLCT-Zustand ist deswegen energetisch günstiger als der 3 MC-Zustand und für die IC
wird eine relativ hohe Aktivierungsenergie benötigt. Im Falle des 3d-Elements Eisen ist die
Reihenfolge der Orbitale umgekehrt und damit liegt der 3 MC-Zustand energetisch unter dem
3 MLCT-Zustand. Das führt zu einer deutlich geringeren Aktivierungsenergie für die IC und
zu einer schnellen und effizienten Besetzung des 3 MC-Zustandes. Durch die Abstandsän-
derung und die damit einhergehende Verschiebung der 3 MC-Energiepotentialfläche entlang
der x-Achse entsteht ein Kreuzungspunkt mit der Potentialfläche des 1 A1g Grundzustandes.
Dieser Kreuzungspunkt, der einen weiteren Pfad für eine strahlungslose Relaxation eröffnet,
wird als minimum energy crossing point (MECP) bezeichnet. In der schematischen Darstel-
lung ist sehr gut erkennbar, dass die Lage des 3 MC (3 T1g ) Potentials großen Einfluss auf
die Aktivierungsenergie für die IC und den MECP Punkt mit dem Grundzustands-Potential
hat. Diese theoretische Betrachtung stimmt gut mit den experimentellen Fakten, der Emis-
sionsquantenausbeute (Verhältnis zwischen der Anzahl der emittierten und absorbierten
Photonen) überein. Für [Ru(bipy)3 ]2+ liegt die Emissionsquantenausbeute in Lösung bei
Raumtemperatur bei 0.095 (ohne Sauerstoff) bzw. 0.018 (mit Sauerstoff, die Phosphores-
zenz wird anteilig ausgelöscht). Da die thermisch aktivierte IC signifikant zur strahlungs-
losen Relaxation beiträgt, ist die Quantenausbeute und damit auch die Lebensdauer des
angeregten Triplett-Zustandes temperaturabhängig. Die Lebensdauer beträgt 5 μs bei 77 K
und 850 ns bei RT. Beim homologen Eisen(II)-Komplex [Fe(bipy)3 ]2+ ist die IC so schnell,
dass auch bei tiefen Temperaturen keine Phosphoreszenz beobachtet wird. Iridium(III) als
5d-Element mit hoher Oxidationsstufe hat eine sehr große Oktaederaufspaltung O und
dadurch eine sehr hohe Aktivierungsenergie für die IC. Hier ist dieser Relaxationspfad
deutlich benachteiligt und dadurch die Emissionsquantenausbeute noch einmal höher.
226 11 Lumineszenz bei Komplexen
Einer der Gründe für das Interesse an der 3d-Element Photochemie ist das generell deut-
lich größere und breitere Vorkommen der 3d-Elemente. So ist das 3d-Element Kupfer
deutlich besser verfügbar und kostengünstiger als 4d- und 5d-Elemente wie Ruthenium
und Iridium [75, 81]. Bei der Kombination eines elektronenreichen Metallzentrums wie
dem d10 Kupfer(I)-Ion mit elektronenarmen Liganden wie Pyridinen werden durch Anre-
gung mit Licht angeregte MLCT-Zustände besetzt. Genauso wie beim bereits besproche-
nen Rutheniumkomplex wird das Metall formal oxidiert und der entsprechende reduzierte
Radikalanionen-Ligand L·− (z. B. py·− oder phen·− ) gebildet. Ein Vorteil gegenüber dem
Rutheniumsystem ist, dass bei d10 -Elementen keine tiefliegenden metallzentrierten (MC)
Zustände vorliegen. Damit sind tetraedrische Kupfer(I)-Komplexe mit (Poly-)Pyridinen als
Liganden und MLCT-Zuständen geeigneter Energie ideal für die Beobachtung von langle-
bigen angeregten Zuständen, die unter Umständen Lumineszenz zeigen, wie wir es schon
beim d10 -Ion Zink kennengelernt haben. Der Unterschied Zn/Cu lässt sich am Charakter des
niedrigsten angeregten Zustandes festmachen. Im Falle von Zn sind nur geringe Metallbei-
träge festzustellen, während im Falle des Cu der MLCT Charakter dominiert. Auch wenn
bei Cu(I) keine direkte Relaxation über MC Zustände stattfinden kann, existiert ein effizi-
enter Relaxationspfad. Massive strukturelle Reorganisation spiegelt den Cu(II)-Charakter
des angeregten Zustandes und die Vorliebe von Cu(II) für die planare Umgebung wie-
der. Man bezeichnet diese strukturelle Relaxation als excited state flattening distortion.
Ihre Wirkung entfaltet diese Verzerrung über die horizontale Verschiebung der Potential-
kurve des angeregten Zustandes. Ursache dafür sind die sehr unterschiedlichen bevorzugten
Koordinationsgeometrien von Kupfer(I) und (II) bei Koordinationszahl 4, die schon einmal
bei den Redox-Reaktionen besprochen wurden. Während Kupfer(I) keine konfigurations-
bedingte Vorzugsgeometrie besitzt und in der Koordinationszahl 4 demnach tetraedrisch
koordiniert, liegt im elektronisch angeregten Zustand formal ein Kupfer(II)-Ion vor, das als
d9 -Ion Jahn-Teller-verzerrte Geometrien wie z. B. eine quadratisch planare Koordinations-
umgebung bevorzugt. Bei Komplexen mit einzähnigen oder zweizähnigen Liganden, die sich
frei bewegen können, tritt im angeregten Zustand das Flattening auf der Pikosekundenzeits-
kala ein, und zwar schon im 1 MLCT-Zustand, bevor der Übergang in den 3 MLCT-Zustand
stattfindet. Wie in Abb. 11.5 links gezeigt, begünstigen stark verzerrte angeregte Zustände
(1 MLCT*) die strahlungslose Relaxation durch eine deutliche Verschiebung der Potenti-
alhyperflächen entlang der Reaktionskoordinate, die diesmal den Winkel α zwischen den
Ebenen zweizähniger Liganden, 90+x, darstellt. Um eine effiziente Lumineszenz zu erhal-
ten, werden sogenannte nested states im angeregten Zustand benötigt, die nur geringfügig
gegenüber dem Grundzustand verzerrt sind. In Lösung kann diese Voraussetzung realisiert
werden, wenn Chelatliganden mit sterisch anspruchsvollen Substituenten verwendet wer-
den, welche die flattening distortion im angeregten Zustand verhindern. Eine Alternative ist
die Charakterisierung der Komplexe als Feststoff, da hier die Struktur durch die Packung
fixiert ist.
11.3 Phosphoreszenz von diamagnetischen Komplexen 227
E L *
1
MLCT‘ L *
t2
1
MLCT t2
3
e
MLCT e
L
1
MLCT* L
S0 1
ISC/bISC
MLCT 3
MLCT
L * -1
E
t2 Abs TADF P
e
L
90 90+x S0
R +
R N N
N N
N
Cu Cu Cu N
N N N
R N N N
Abb. 11.5 Links: Schematische Darstellung der Potentialhyperflächen eines [Cu(phen R2 )2 ]+ Kom-
plexes im Grundzustand und angeregten Zustand. Bei der Anregung entsteht formal ein Kupfer(II)-
Komplex, was zu einer Planarisierung der Struktur des angeregten Zustands (Zunahme des Diederwin-
kels α zwischen den beiden Phenanthrolin-Liganden) und damit zur strahlungslosen Deaktivierung
führt. Die entsprechenden Strukturen mit dem Winkel α sind unten gegeben. Rechts: Jablonski-
Diagramm von Komplex [CuI(PPh3 )2 (py)] mit dazu gehörenden Mikrozuständen. Bei Raumtempe-
ratur wird Fluoreszenz beobachtet, während bei tiefen Temperaturen die Phosphoreszenz dominiert.
Die unterschiedliche Farbe der Emission in Abhängigkeit von der Temperatur ist gezeigt
nun die spinerlaubte Fluoreszenz stattfinden, die viel schneller ist und damit bei höheren
Temperaturen dominiert. Es wird also eine Fluoreszenz beobachtet, deren Abklingdauer
der Lebensdauer des Triplett-Zustandes entspricht. Der gesamte Vorgang wird als thermally
activated delayed fluorescense (TADF) bezeichnet, bei der die Besetzung von 1 MLCT und
3 MLCT temperaturabhängig ist und einer Boltzmannverteilung folgt.
Bei den bisherigen Beispielen waren CT-Zustände (bei uns vor allem MLCT, es gibt aber
auch LMCT Beispiele mit d0 -Metallen) die Ursache für die Beobachtung von Lumineszenz,
während wir bei metallzentrierten Übergängen bisher davon ausgegangen waren, dass die
strahlungslose Relaxation dominiert. Die Ursache für das Fehlen von lumineszenten d-d-
Zuständen ist, dass MC-angeregte Zustände in den meisten Fällen zu einer deutlichen Geo-
metrieverzerrung führen. Normalerweise führt bei oktaedrischen Komplexen die Besetzung
der antibindenden eg *-Orbitale (d-d-Übergang) zu einer starken Verzerrung im angeregten
Zustand. Zustände mit geringer geometrischer Verzerrung (nested states) können dagegen
zur Emission von Licht führen. Es ist damit naheliegend, dass lumineszente MC-Zustände
dort zu suchen sein werden, wo sich trotz Anregung die Besetzung der eg *-Orbitale nicht
ändert. Angeregte Zustände ohne Veränderung der Besetzung der t2g - und eg *-Orbitale
kann man erhalten, wenn eines der Elektronen seinen Spin umkehrt. Die dabei erhaltenen
sogenannten spin-flip-Zustände sind in der Regel langlebige nested states, von denen aus
Phosphoreszenz beobachtet werden kann [75, 82].
Diese Voraussetzung wird bei einer d3 -Elektronenkonfiguration wie zum Beispiel beim
Chrom(III)-Ion im oktaedrischen Ligandenfeld erreicht. In Abb. 11.6 sind das zu einem d3 -
System gehörende vereinfachte Tanabe-Sugano-Diagramm und ein Jablonski-Diagramm
mit den für die Diskussion relevanten Zuständen gezeigt. Ausgehend vom Quartett 4 A2g
Grundzustand gibt es in einem ähnlichen Energiebereich Quartett (4 T2g ) und Dublett (2 Eg
und 2 T1g ) angeregte Zustände. Die Dublett-Zustände sind spin-flip-Zustände, bei denen
sich die Besetzung der t2g - und eg *-Orbitale nicht ändert, sondern nur der Spin eines Elek-
trons umkehrt. Die Energie dieser unverzerrten bzw. nur sehr schwach verzerrten Zustände
ist deswegen von der Ligandenfeldaufspaltung O nahezu unabhängig. Im Gegensatz
dazu hängt die Energie der angeregten Quartett-Zustände eindeutig von der Ligandenfeld-
aufspaltung O ab. Das führt dazu, dass bei einer hinreichend großen Aufspaltung des
Ligandenfeldes ( O 20 B) ISC vom angeregten Quartettzustand in den Doublett-
11.4 Phosphoreszenz von Metallzentrierten Übergängen 229
eg* E/B 3+
e g*
N N
4
T1g
E 50
t2g N N
4
T2g t2g N Cr N 4
N N T2g
2 40 N
ISC Eg N
2
T2g
30
2
T1g
Abs e g* 20 2
Eg
2
P G
10
4
A2g t2g
4
4
F A2g
1 2 3 /B
Zustand (angeregter Zustand mit niedrigster Energie) erfolgen kann. Wenn der energetische
Unterschied groß genug ist, dass kein bISC erfolgen kann (im Gegensatz zu den gerade
diskutierten Kupferkomplexen), dann wird eine scharfe Phosphoreszenz-Bande beobachtet.
Wir fangen mit einem Beispiel aus der Festkörperchemie an, wo dieses Prinzip realisiert
wurde. Beim Rubin (mit Cr(III) dotiertes Al2 O3 ) werden zwei scharfe Phosphoreszenz-
Banden bei 694.3 nm und 692.9 nm beobachtet, die sogenannten R1 - und R2 -Linien. Das
Chrom(III)-Ion hat hierbei eine nahezu ideal oktaedrische Koordinationsumgebung und die
Chrom-Sauerstoff-Abstände im Korund-Wirtsgitter sind viel kürzer, als es bei freien Cr(III)-
Komplexen mit O6 -Umgebung der Fall wäre. Die Komprimierung der Koordinationssphäre
ist direkte Konsequenz der sterischen Zwänge des Wirtsgitters. In anderen Worten: Was
nicht passt (r(Cr) > r(Al)!) wird passend gemacht. Damit sind die Regeln für die Realisie-
rung molekularer Analoga schon festgesetzt. Ein starkes Ligandenfeld kann z. B. durch
Cyanido-Liganden realisiert werden. Zusätzlich wird eine möglichst ideale Oktaedergeo-
metrie benötigt, die zum Einen zu einer größeren Aufspaltung O führt, und zusätzlich die
strahlungslose Relaxation unterdrückt, die wie immer durch Verzerrung unterstützt wird.
Auch dreizähnige Pyridin-basierte Liganden können zu guten Emissionseigenschaften füh-
ren, wenn durch Ligandendesign sichergestellt wird, dass eine ideale Oktaedergeometrie
(L-M-L-Winkel von 90◦ ) realisiert wird. Das kann dadurch realisiert werden, dass Chelat-
6-Ringe aufgespannt werden anstelle von Chelat-5-Ringen.
230 11 Lumineszenz bei Komplexen
Bei den Beispielen die wir bisher besprochen haben, beruhten die lumineszenten Eigenschaf-
ten auf den photophysikalischen Eigenschaften eines einzelnen Komplexes bzw. Moleküls.
Abschließend betrachten wir ein Beispiel, bei dem die Lumineszenz durch die Zusammen-
lagerung (Aggregation) von einzelnen Molekülen zu einem supramolekularen Aggregat
erzeugt oder deutlich beeinflusst wird. Dafür betrachten wir quadratisch planare Platin(II)-
Komplexe [83, 84]. In Abb. 11.7 ist die Lage der relevanten Orbitale für einen mononuklearen
LC MMLCT
HN
* L L
L L
O
d L d L
dz² dz² O
L L L L
z OMe
Abb. 11.7 Einfluss von metallophilen Wechselwirkungen bei quadratisch planaren Platin(II)-
Komplexen auf die relative Lage der Orbitale und damit die photophysikalischen Eigenschaften.
Als Beispiel ist die Struktur eines neutralen, quadratisch planaren Platinkomplexes gegeben, der
aufgrund seiner Struktur ein sehr vielfältiges Aggregationsverhalten zeigt [85]
11.5 Lumineszenz durch Aggregation von Platin(II)-Komplexen 231
und einen dimeren Komplex gezeigt. Voraussetzung für die gezeigten Energie-Schemata sind
quadratisch planare Platin(II)-Komplexe mit mehrzähnigen Starkfeldliganden, die gute π -
Akzeptoren sind. Die Starkfeldliganden bewirken eine Anhebung des dx 2 −y 2 -Orbitals und
damit der metallzentrierten Zustände und die π -Akzeptorliganden sorgen für niedriglie-
gende, emissive MLCT-Zustände. Bei den mononuklearen Verbindungen hat das höchste
besetzte Molekülorbital (HOMO) dπ -Charakter und das niedrigste unbesetzte Molekülorbi-
tal (LUMO) π *-Charakter. Beide Orbitale sind vorrangig ligandzentriert, und die zwischen
den beiden Orbitalen stattfindenden elektronischen Übergänge haben dementsprechend LC
Charakter. Das dz 2 -Orbital ist bei quadratisch planaren d8 Systemen voll besetzt und hat nur
wenig Wechselwirkung mit Liganden. Mit den gegebenen Rahmenbedingungen liegt es beim
mononuklearen Komplex unter dem HOMO, steht aber durchaus für MLCT-Übergänge zur
Verfügung. Die Reihenfolge der Orbitale (metallbasiert vs. ligandbasiert) ändert sich bei
Wechselwirkungen mit zusätzlichen Liganden, die in axialer Position am Platin koordinie-
ren oder durch zwischenmolekulare Wechselwirkungen mit benachbarten Platinkomplexen.
Insbesondere das Auftreten von Platin-Platin-Wechselwirkungen (metallophile Wechselwir-
kungen) führt zu einem neuen HOMO mit σ *-Charakter, das dem antibindenden Orbital
der metallophilen Wechselwirkungen zwischen den zwei dz 2 -Orbitalen entspricht, wie in
Abb. 11.7 gezeigt. Der Grund für die Aggregation der Monomere sind nicht die metallo-
philen Wechselwirkungen (da bindende und antibindende Orbitale voll besetzt sind, ist die
Bindungsordnung 0), sondern π -π -Wechselwirkungen zwischen den planaren Liganden und
zusätzlich noch dispersive Wechselwirkungen der Substituenten am Liganden. Zum Beispiel
können Alkylketten über Van-der-Waals-Wechselwirkungen die Aggregation beeinflussen.
Die neue energetische Reihenfolge bei den Orbitalen führt nun zum Auftreten von Metal-
Metal-to-Ligand Charge Transfer Übergängen (MMLCT, dσ *−π *). Die Besetzung der
zugrundeliegenden CT-Zustände benötigt weniger Energie als in den Monomeren, ist also
im Spektrum bathochrom verschoben (Rotverschiebung in den längerwelligen energieärme-
ren Bereich des Spektrums). Auch die Lumineszenz aus diesen Zuständen ist entsprechend
gegenüber der des Monomers bathochrom verschoben. Wie in Abb. 11.7 zu erkennen ist,
hängt die energetische Lage des dσ *-Orbitals und damit auch die Energie des MMLCT
stark von dem Pt-Pt-Abstand und damit der Stärke der dispersiven Wechselwirkungen ab.
Typischerweise treten die Wechselwirkungen bei Abständen auf, die kürzer als 3.5 Å sind.
Die Aggregation und damit die Lumineszenz sind durch die Umgebung, z. B. das Lösemit-
tel, beeinflussbar. Ein schönes Beispiel dafür ist der in Abb. 11.7 gezeigte Komplex aus der
Publikation [85], wo verschiedene Aggregate mit unterschiedlichen Emissionseigenschaf-
ten gebildet werden. In der Supporting Information kann man sich beim Verlag die Videos
dazu ansehen.
232 11 Lumineszenz bei Komplexen
11.6 Fragen
• Erklären Sie mit Hilfe eines Jablonski-Diagramms die folgenden Begriffe: Fluoreszenz,
Phosphoreszenz, internal conversion (IC), intersystem crossing (ISC), thermisch akti-
vierte verzögerte Fluoreszenz (TADF)!
• Was versteht man unter Schwingungsrelaxation? Inwieweit beeinflusst sie die Quanten-
ausbeute der Emission? Erklären Sie in diesem Zusammenhang den Begriff nested state
an einem selbstgewählten Beispiel.
Bioanorganische Chemie
12
In biologischen Systemen spielen Metalle eine essentielle Rolle. Die Metallzentren sind
in Proteinen (= Metalloproteine) entweder über Aminosäure-Seitengruppen direkt an das
Proteingerüst gebunden oder durch makrocyclische Liganden koordiniert. Je nach Funktion
der Metallzentren kann man Metalloproteine in fünf Grundtypen unterteilen.
• Strukturbildung: Metallionen, die an ein Protein gebunden sind, können die Tertiär- oder
Quaternärstruktur mitbestimmen und stabilisieren. Beispiele sind die Zinkfinger (Zn2+ )
oder durch Erdalkalimetallionen stabilisierte Proteine bei thermophilen Bakterien. Diese
existieren unter Bedingungen, bei denen normalerweise die Protein-Denaturierung statt-
finden würde.
• Speicherung von Metallionen: Ein beeindruckendes Beispiel ist hier das Ferritin, das
Speicherprotein für Eisen in höheren Organismen. Ein anorganischer Eisen(III)-oxid-
Kern ist von einer Proteinhülle umgeben.
• Elektronentransfer: An Proteingerüste oder Makrocyclen koordinierte Metallzentren
spielen bei den Elektronentransfer-Ketten der Atmung und Photosynthese eine wichtige
Rolle.
• Bindung von Sauerstoff: Hier sind die Metallzentren entweder direkt am Proteingerüst
gebunden oder in einer Porphyrineinheit lokalisiert.
• Katalyse: Diese Gruppe der Metalloproteine wird als Metalloenzyme bezeichnet und
kann je nach Reaktionstyp weiter unterteilt werden.
Die in der Natur vorkommenden Systeme wurden durch den hohen Evolutionsdruck opti-
miert. Das Verständnis der Funktionsweise von Metalloproteinen und deren Besonderhei-
ten hilft uns, vom Vorbild der Natur zu lernen, also biomimetische anorganische Chemie
zu betreiben. Im Rahmen dieses Buches werden zwei ausgewählte Beispiele im Detail
besprochen. Die Besonderheiten der Koordinationschemie werden hervorgehoben und die
Bedeutung von Modellverbindungen wird diskutiert. Als weiterführende Literatur werden
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von 233
Springer Nature 2021
B. Weber, Koordinationschemie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-63819-4_12
234 12 Bioanorganische Chemie
die Bücher „Bioanorganische Chemie“ von Kaim und Schwederski [86] sowie „Bioanorga-
nische Chemie: Metalloproteine, Methoden und Konzepte“ von Herres-Pawlis und Klüfers
[87] empfohlen.
Eisen ist ein essentielles Spurenelement für nahezu alle Organismen. Seine Verteilung im
Körper eines erwachsenen Menschen ist in Tab. 12.1 gegeben. Aus ihr wird die vielsei-
tige Rolle des Eisens und speziell der Häm-Gruppierung in der Biochemie des Menschen
offensichtlich. Da der Sauerstofftransport keine katalytische sondern eine „stöchiometri-
sche“ Funktion darstellt, entfallen ca. 65 % des im menschlichen Körper vorkommenden
Eisens auf das Transportprotein Hämoglobin, der Anteil an Myoglobin macht etwa 6 % aus.
Metall-Speicherproteine wie etwa Ferritin machen im Wesentlichen den Rest des körperei-
genen Eisens aus, die katalytisch wirksamen Enzyme liegen naturgemäß nur in geringer
Menge vor.
Tab. 12.1 Ausgewählte biologisch relevante Eisenkomplexe und deren Funktion im menschlichen
Körper. Die Mengenangaben beziehen sich auf die Verteilung im Körper eines erwachsenen Menschen
Protein Menge an Eisen % der Gesamtei- Häm (h) oder Funktion
(g) senmenge Nicht-Häm (nh)
Hämoglobin 2.60 65 h O2 -Transport im
Blut
Myoglobin 0.13 6 h O2 -Speicherung
im Muskel
Ferritin 0.52 13 nh Eisenspeicherung
in Zellen
Hämosiderin 0.48 12 nh Eisenspeicherung
in Zellen
Katalase 0.004 0.1 h Metabolismus von
H2 O2
Cytochrom c 0.004 0.1 h Elektronentransfer
Cytochrom <0.02 <0.5 h terminale
c-Oxidase Oxidation
Flavoprotein- gering gering h Einbau von
Oxygenasen molekularen
(P450) Sauerstoff
Eisen-Schwefel- ca. 0.04 ca. 1 nh Elektronentransfer
Proteine
12.1 Biologisch relevante Eisenkomplexe 235
Viele, jedoch nicht alle der redoxkatalytisch wirksamen Eisenenzyme enthalten genauso
wie Hämoglobin und Myoglobin die Häm-Gruppierung. Zu den Hämoproteinen gehören
Peroxidasen, Cytochrome, die Cytochrom-c-Oxidase und das P450-System. Die Aufstel-
lung zeigt, welch bestimmende Rolle offenbar die Proteinumgebung für die unterschiedli-
che Funktionalität eines Tetrapyrrol-Komplexes spielt. Häm-enthaltende Enzyme sind an
Elektronentransport und -akkumulation, an der kontrollierten Umsetzung sauerstoffhaltiger
Zwischenprodukte wie etwa O2 2− , NO2 − oder SO3 2− , sowie, zusammen mit anderen pros-
thetischen Gruppen, an komplexeren Redoxprozessen beteiligt. Eine prosthetische Gruppe
gehört zu den Cofaktoren. Als Cofaktor bezeichnet man Moleküle oder Molekülgruppen,
die für die Funktion eines bestimmten Enzyms unerlässlich sind. Unterschieden wird dabei
zwischen einer prosthetischen Gruppe, die kovalent an das Enzym gebunden ist, und einem
Coenzym, das nicht kovalent gebunden ist und nach der Reaktion wieder abdissoziieren
kann.
Welche Funktion von der Häm-Einheit eingenommen wird, hängt von den zusätzlichen
Liganden am Eisenzentrum und der Umgebung in der Proteintasche ab. Die Häm-Einheit
besteht aus einem Eisen als Zentralion, das von einem vierzähnigen makrocyclischen N4 2− -
Liganden umgeben ist, der ein durchkonjugiertes aromatisches System ist. Dieser in bio-
logischen Systemen häufig auftretende Ligand wird als Protoporphyrin IX bezeichnet. In
Abb. 12.1 sind als Beispiel die Häm-Einheiten vom Cytochrom c3, Cytochrom P450 und
vom Myoglobin gegeben. Bei dem für den Elektronentransfer verantwortlichen Cytochrom c
N (His)
(His) N
N (His)
S (Cys)
Abb. 12.1 Häm-Einheit im Cytochrom c3, Cytochrom P450 und Myoglobin. Die unterschiedli-
chen Funktionen (Elektronentransfer, Katalyse, Sauerstoffspeicherung) werden durch die zusätzli-
chen Liganden und die Proteinumgebung bestimmt
236 12 Bioanorganische Chemie
sind beide axiale Koordinationsstellen des Eisens durch einen Imidazol-Liganden (Histidin-
Seitenkette vom Protein) besetzt. Für den schnellen Elektronentransfer (siehe Kap. 7) ist
es notwendig, dass sich die Koordinationsumgebung des Eisens in den unterschiedlichen
Oxidationsstufen (+ 2 und + 3) möglichst nicht ändert. Dies wird durch den starren makrocy-
clischen Liganden und die Proteinumgebung gut realisiert. Das katalytisch aktive Cytochrom
P450 und das für die Sauerstoffspeicherung im Muskel verantwortliche Myoglobin verfü-
gen jeweils über eine freie Koordinationsstelle, an die der Sauerstoff koordinieren kann.
Die unterschiedliche Funktion wird durch die Proteinumgebung und den sechsten Liganden
(Stickstoff vom Histidin beim Myoglobin bzw. Sulfid vom Cystein beim Cytochrom P450)
bestimmt.
12.1.1 Modellverbindungen
Beim Hämoglobin und Myoglobin ist das Eisenzentrum im unbeladenen Zustand pentako-
ordiniert mit einem Imidazol (von der Aminosäure Histidin) als fünften Liganden und liegt
in der Oxidationsstufe + 2 vor. Bei der Reaktion mit Sauerstoff geht das System in einen
sechsfach koordinierten Zustand über. Ob das Eisenzentrum gleichzeitig auf die dreiwer-
tige Stufe oxidiert wird (unter Reduktion des koordinierten Sauerstoffs zum Hyperoxid),
wird teilweise noch kontrovers diskutiert und im Folgenden näher betrachtet. Um einen
besseren Einblick in die Bindungsverhältnisse zu bekommen, werden häufig Modellverbin-
dungen zu Hilfe genommen. In Abb. 12.2 sind die Häm-Einheit und potentielle Liganden
für Modellverbindungen dargestellt.
Der Vorteil von Modellverbindungen liegt in der deutlich besseren Zugänglichkeit und
häufig auch der einfacheren Charakterisierbarkeit. Man unterscheidet zwischen strukturel-
len und funktionellen Modellverbindungen. Wie der Name bereits andeutet, spiegeln die
strukturellen Modellverbindungen die Struktur (und spektroskopische Eigenschaften) der
Metalloproteine wider, während die funktionellen Modellverbindungen die Funktion (z. B.
katalytische Eigenschaft) wiedergeben. In Abb. 12.3 ist ein Beispiel für eine strukturelle
Modellverbindung gegeben. Wie im Häm ist das Eisenzentrum von einem vierzähnigen
makrocyclischen N4 2− -Liganden umgeben, der allerdings nicht ganz durchkonjugiert ist.
Bei diesem Komplex führt die Reaktion mit Sauerstoff (aus der Luft) jedoch nicht zu einer
reversiblen Bindung, sondern zu einer irreversiblen Oxidation des Metallzentrums in die
dreiwertige Stufe unter Ausbildung eines μ-oxido-Komplexes. Das gleiche Verhalten wird
bei synthetischen Porphyrinen (der Häm-Grundkörper mit anderen Substituenten) beobach-
tet, so dass man schlussfolgern kann, dass das umgebende Protein maßgeblich am reversiblen
12.1 Biologisch relevante Eisenkomplexe 237
HO
O N N
Fe
O N
N
HO
NH N
NH N N OH
N N
N HN N OH
N HN
Porphyrin Grundgerüst
Phtalocyanin H2salen
Abb. 12.2 Schematische Darstellung der Häm-Einheit (oben) und von verschiedenen Liganden für
Modellverbindungen (unten). Die Modellverbindungen können das natürliche Vorbild strukturell
nachahmen (Synthetische Porphyrine, Pthalocyanin-Liganden), es gibt aber auch Modellverbindun-
gen, die auf den ersten Blick ganz anders aussehen, aber die Funktion des natürlichen Vorbilds gut
wiedergeben
Charakter der Fe-O2 -Bindung beteiligt ist. In der Tat konnte bei sogenannten „picket fence“-
Porphyrinen, bei denen die Proteintasche durch sehr sperrige und räumlich anspruchsvolle
Substituenten simuliert wird, eine reversible Bindung von Sauerstoff realisiert werden. Die
erste funktionelle Modellverbindung für diese Reaktion war ein Cobaltsalen-Komplex.
238 12 Bioanorganische Chemie
Die Uratmosphäre unserer Erde bestand zu weniger als 1 Vol% aus Sauerstoff. Das
Aufkommen der Photosynthese führte zu einem kontinuierlichen Anstieg der Sauerstoff-
Konzentration in der Atmosphäre. Für die damals lebenden Organismen war das mit einer
Umweltkatastrophe gleichzusetzen. Sauerstoff ist das Element mit der zweithöchsten Elek-
tronegativität (nach Fluor) und ein sehr starkes Oxidationsmittel. Der stark oxidierende
Charakter und die bei diesen Reaktionen auftretenden hochreaktiven (zumeist radikalischen)
Zwischenstufen führten dazu, dass nur Organismen mit dafür geeigneten Schutzmechanis-
men die gravierenden Umweltveränderungen überlebten. Die weitere Evolution führte zu
neuartigen Organismen, die die Umkehrreaktion der Photosynthese, die kontrollierte kalte
Verbrennung, zur Energiegewinnung nutzten. Dafür mussten Möglichkeiten zur Aufnahme,
des Transports und der Speicherung von Sauerstoff entwickelt werden. Als Beispiel für das
reversible Binden von Sauerstoff, die Grundvoraussetzung für den Sauerstofftransport, wird
im folgenden das Hämoglobin besprochen. Diese Fragestellung ist nicht nur wegen ihrer
biologischen Notwendigkeit interessant. Energieaufwändige Verfahren zur Abtrennung von
Sauerstoff aus der Luft wie z. B. deren fraktionierte Destillation könnten durch schonendere
Prozesse ersetzt werden.
Um die folgende Diskussion besser führen zu können, müssen wir zunächst noch ein-
mal die molekularen Eigenschaften von Sauerstoff betrachten. Obwohl Sauerstoff ein sehr
starkes Oxidationsmittel ist und die entsprechenden Reaktionen exotherm sind, ist eine
hohe Aktivierungsenergie für das Ablaufen dieser Reaktionen notwendig. Der Grund dafür
ist der Triplett-Grundzustand des Sauerstoff-Moleküls, der in Abb. 12.4 anhand des MO-
Schemas dargestellt ist. Die beiden entarteten π ∗ -Orbitale werden gemäß der Hundschen
Regel einfach besetzt. Das führt zu einem paramagnetischen (S = 1) Grundzustand. Die
beiden angeregten Singulett-Zustände werden erreicht, wenn bei einem der beiden Elektro-
nen der Spin umgekehrt wird. Da es sich um angeregte Zustände handelt, verlieren hier die
Hundschen Regeln ihre Gültigkeit! Sie liegen 90 kJ/mol (1 ) bzw. 150 kJ/mol (1 Σ) über
dem Grundzustand. Aufgrund des Triplett-Grundzustandes sind Reaktionen mit anderen
12.2 Sauerstofftransport am Beispiel Hämoglobin 239
3 1 1 1 1 2
O2 O2 ( ) O2 ( ) O2• – 1
O22–
E
BO 2 1.5 1
Abb. 12.4 MO-Schema von Sauerstoff (3 O2 und 1 O2 ), dem Superoxidradikalanion (O·− 2 ) und Per-
oxid (O2−
2 ). Nur die für die weitere Diskussion relevanten Orbitale sind abgebildet. BO steht für
Bindungsordnung und BL für die Sauerstoff-Sauerstoff-Bindungslänge. Dazu ist noch die Streck-
schwingungsfrequenz angegeben
Der große griechische Buchstabe steht für die Projektion des Gesamtdrehimpul-
ses der Elektronen auf die Kernverbindungsachse, . Für = 0, 1, 2, ... werden die
Buchstaben , , , ... verwendet. Um zu bestimmen, benötigen wir den Bahn-
drehimpuls des jeweiligen Molekülorbitals entlang der Kernverbindungsachse, λ, und
müssen dann wieder alles aufsummieren. Der Bahndrehimpuls von einem σ -Orbital
ist 0, der von einem π -Orbital ist ±1. Für die Bestimmung des Termsymbols werden,
wie auch bei Atomen und Ionen, vollständig besetzte Orbitale nicht berücksichtigt.
Das bedeutet, dass beim Sauerstoff nur die Besetzung der beiden π ∗ -Orbitale von
Interesse ist, die einen Bahndrehimpuls von +1 und −1 haben. Sind beide π ∗ -Orbitale
jeweils mit einem Elektron besetzt, ist
= +1 + (−1) = 0
und das Termsymbol lautet 1 . Der gleiche Bahndrehimpuls wird übrigens auch beim
Triplett-Sauerstoff erhalten, der das Termsymbol 3 hat. Wenn beide Elektronen im
gleichen π ∗ -Orbital gepaart sind, ist = 2. Jeder Zustand mit > 0 ist zweifach entar-
tet, hier sind die Werte +2 und −2, und das Termsymbol lautet 1 . Auch bei Molekülen
trägt übrigens der Bahndrehimpuls zum magnetischen Moment der Verbindung bei
(siehe Kapitel Magnetismus), und der 1 Singulett-Sauerstoff ist dementsprechend
paramagnetisch, obwohl er keine ungepaarten Elektronen besitzt.
Beim Superoxid-Radikalanion ist ein π ∗ -Orbital doppelt und das andere einfach
besetzt. In diesem Fall ist = 1; auch dieser Zustand ist zweifach entartet mit
+1 bzw. −1. Das Termsymbol lautet hier 2 .
12.2.1 Sauerstoffkomplexe
Für die Bindung von molekularem Sauerstoff an ein Metallzentrum werden drei verschiedene
Koordinationsmodi beobachtet, die in Abb. 12.5 mit jeweils einem Beispiel gegeben sind.
Neben der η1 (end-on) und η2 (side-on) Koordination an ein Metallzentrum gibt es als dritte
Möglichkeit die verbrückende μ, η1 : η1 (verbrückend end-on) Option.
Für die Diskussion der Bindungsverhältnisse ist Sauerstoff ein σ -Donor-π -Akzeptor-
Ligand. Bei der η1 -Koordination wird die σ -Hinbindung zwischen einem besetzten Mole-
külorbital des Sauerstoffs (das kann ein σ - oder π -Orbital sein, ähnlich wie beim CO-
Liganden) und einem leeren d-Orbital ausgebildet. Für die π -Rückbindung überlappen ein
besetztes d-Orbital mit einem leeren bzw. halbbesetzten π ∗ -Orbital des Sauerstoffs. Eine
sehr starke π -Rückbindung kann mit einer intramolekularen Verschiebung von Elektronen
vom Metallzentrum zum Sauerstoff gleichgesetzt werden. Deswegen lassen sich die Oxi-
dationsstufen vom Sauerstoffmolekül und dem Metallzentrum im Komplex nicht immer
12.2 Sauerstofftransport am Beispiel Hämoglobin 241
CN CO NH3 NH3
1 2 1 1
(end on) (side on) :
Abb. 12.5 Beispiele für Komplexe mit molekularem Sauerstoff zur Illustration der verschiedenen
Bindungsmodi
In höheren Lebewesen wird der Transport und die Speicherung von Sauerstoff durch die
Häm-Proteine Hämoglobin (Transport) und Myoglobin (Speicherung) realisiert. Andere
Lebewesen (z. B. Weichtiere und Krebse) nutzen für diese Funktion zweikernige Eisen- bzw.
Kupferkomplexe, bei denen die Metallzentren direkt über Aminosäureseitengruppen an das
Proteingerüst koordiniert sind. Sowohl das Hämoglobin als auch das Myoglobin sind in der
Lage, den Sauerstoff reversibel zu binden. Diese Gemeinsamkeit spiegelt sich im Aufbau des
aktiven Zentrums wieder, der bei beiden Proteinen gleich ist. Ein wesentlicher Unterschied
zwischen den beiden Proteinen ist die Anzahl der Häm-Untereinheiten pro Protein. Beim
Hämoglobin sind es vier, während es beim Myoglobin nur eine ist. Die vier Untereinheiten
beim Hämoglobin sind wichtig für die kooperativen Effekte bei der Aufnahme (sobald ein
Sauerstoffmolekül gebunden ist, werden die weiteren schneller gebunden) und Abgabe von
Sauerstoff, die in diesem Buch nicht weiter betrachtet werden. Wir konzentrieren uns auf
die Bindungsverhältnisse zwischen dem Sauerstoff und dem Eisenzentrum und darauf, wie
eine Bindungsspaltung im Sauerstoffmolekül verhindert wird. Die Bindungsspaltung geht
mit einem schrittweisen Elektronentransfer zum Sauerstoff einher, sodass eine Betrachtung
der Oxidationsstufen vom Metallzentrum und Sauerstoff besonders interessant ist.
Einen ersten Einblick in die Bindungsverhältnisse zwischen Eisen und Sauerstoff lieferte
die Kristallstruktur von Hämoglobin. Die erste Röntgen-Einkristallstrukturanalyse wurde
Ende der 50er Jahre durchgeführt, erste Kristalle des roten Blutfarbstoffs wurden schon
deutlich eher, 1849, erhalten. 1962 wurden J. C. Kendrew und M. F. Perutz mit dem Nobel-
preis für Chemie für die Aufklärung der Kristallstruktur von Hämoglobin geehrt. In der
sauerstofffreien Desoxy-Form hat das zentrale Eisen(II)-Ion die Koordinationszahl fünf und
242 12 Bioanorganische Chemie
HO
O N N
Fe = Fe
O N
N
HO
Desoxy-Form Oxy-Form
His His
CH2 CH2
N N
Fe
g 20 pm
Fe Relativbewegun
N
C
N H2
C HN
H2
HN
His His
Abb. 12.6 Ausschnitt des aktiven Zentrums von Hämoglobin/Myoglobin in der Desoxy- und Oxy-
Form. In der unbeladenen Form hat das Eisenion die Koordinationszahl fünf und befindet sich etwas
unterhalb des Porphyrinrings. Bei der Koordination von Sauerstoff erhöht sich die Koordinationszahl
von fünf auf sechs und das Eisenion liegt nun in der Ebene des Porphyrinrings. Dadurch bewegt sich
das axiale Histidin um ca. 20 pm. Diese Relativbewegung ist wichtig für die kooperativen Effekte
beim Hämoglobin
12.2 Sauerstofftransport am Beispiel Hämoglobin 243
einer Histidin Seitenkette, das auch als axiales Histidin bezeichnet wird. In der unmittelbaren
Umgebung vom aktiven Zentrum befinden sich noch ein Histidin (das als distales Histidin
bezeichnet wird), eine Valin und eine Phenylalanin-Seitenkette. Die sechste Koordinations-
stelle ist frei und wird in der mit Sauerstoff beladenen Oxy-Form mit Sauerstoff als sechsten
Liganden besetzt. Der Sauerstoff koordiniert dabei end-on, gewinkelt an das Eisenion mit
einem Winkel von etwa 120◦ . Mit der Koordination des Sauerstoffs (S = 1) geht das Eisen
nun in einen low-spin-Zustand über und das ganze System ist nun diamagnetisch (S = 0).
Dabei lassen wir zunächst einmal die Frage nach den Oxidationsstufen von Sauerstoff und
Eisen außen vor. Durch den Übergang in den low-spin-Zustand nimmt der Durchmesser
des Eisenions ab und es passt nun gut in den Porphyrin-Makrocyclus, in den es nun, auch
bedingt durch den Koordinationszahlwechsel, „hineinrutscht“. Das Eisen hat nun die Koor-
dinationszahl sechs und liegt genau in der Mitte des Oktaeders. Durch diese Bewegung des
Eisens in Richtung des Porphyrinrings wird auch die Position des axialen Histidins verän-
dert. Diese Relativbewegung ist beim Hämoglobin für die kooperativen Effekte zwischen
den vier Häm-Untereinheiten verantwortlich.
Das distale Histidin bildet in der oxy-Form eine Wasserstoffbrückenbindung zu dem koor-
dinierten Sauerstoff aus. Diese Wasserstoffbrückenbindung und die Form der Proteintasche
erzwingen die gewinkelte Anordnung des Sauerstoffs. Bei der Diskussion der Bindungsver-
hälnisse in Sauerstoffkomplexen wurde bereits darauf eingegangen, dass es zwischen Metall-
zentrum und Ligand zur Ausbildung einer σ -Hin-π -Rückbindung kommt. Allerdings sind
die π ∗ -Orbitale beim Triplet-Sauerstoff beide halb besetzt und deswegen nicht besonders gut
zur Ausbildung von einer π -Rückbindung geeignet. Wesentlich geeigneter wären Liganden
mit keinem (CO) oder nur einem (NO) Elektron in den π ∗ -Orbitalen, die dann wesentlich
stabilere Komplexe ausbilden können. In der Tat ist die Komplexbildungskonstante für die
Koordination von CO an ein Protein-freies Häm ca. 25.000 mal so groß wie die Komplexbil-
dungskonstante für die Koordination von Sauerstoff. Unter diesen Bedingungen wäre schon
ein kleiner Anstieg des Kohlenstoffmonoxid-Gehalts in der Atmosphäre kritisch. Durch die
Proteinumgebung wird die Bindungsselektivität für Sauerstoff deutlich erhöht. Durch die
erzwungene gewinkelte Koordination wird die Ausbildung von π -Bindungen erschwert.
Hinzu kommt, dass beim Kohlenstoffmonoxid keine Wasserstoffbrückenbindung ausgebil-
det werden kann. Dadurch ist die Komplexbildungskonstante für CO nur noch 200 mal so
groß wie die für O2 . Aufgrund des wesentlich höheren Sauerstoffanteils in unserer Atmo-
sphäre (20,9 % vs. 50–200 ppb für das CO) funktioniert der Sauerstofftransport in unserem
Organismus. Eine zu hohe Konzentration an CO führt zu einer Vergiftung, die durch die
Gabe von mit Sauerstoff angereicherter Luft behandelt werden kann.
Die Frage nach einem möglichen Elektronentransfer zwischen Eisen und Sauerstoff bei
der Koordination vom Sauerstoff an das Häm-Zentrum hat Wissenschaftler lange beschäftigt
und es werden zwei alternative Formulierungen diskutiert.
244 12 Bioanorganische Chemie
• Die O–O-Streckschwingungsfrequenz ist mit ν(O–O) = 1100 cm−1 typisch für ein
Superoxidradikalanion.
• Im Mössbauer-Spektrum werden Parameter erhalten, die charakteristisch für Eisen(III)
im low-spin-Zustand sind.
• Die Reaktivität der oxy-Form ähnelt der von analogen Eisen(III)-Pseudohalogenid-
Komplexen. So lässt sich der Sauerstoff leicht gegen Chlorid-Ionen austauschen. Ein
ähnliches Verhalten wird bei entsprechenden Azid (N− 3 )-Komplexen beobachtet.
• Wird das Eisen im aktiven Zentrum gegen ein Cobalt ausgetauscht, dann hat der ent-
sprechende Cobalt(III)-Sauerstoff-Komplex ein Elektron mehr und ist paramagnetisch
(S = 21 ). Mit Hilfe von ESR-Spektroskopie konnte gezeigt werden, dass sich das unge-
paarte Elektron in diesem Komplex vorwiegend am Sauerstoff aufhält, was der Formu-
lierung Co(III) (S = 0), O2 ·− (S = 21 ) entspricht.
Diese Ergebnisse legen einen Elektronentransfer zwischen dem Eisen und dem Sauerstoff
bei der Ausbildung des Sauerstoffkomplexes nahe. Allerdings muss hier berücksichtigt
werden, dass z. B. das Cobalt und das Eisen als aktives Zentrum aufgrund der unterschied-
lichen Elektronenkonfigurationen nur bedingt direkt miteinander verglichen werden kön-
nen. So könnte es durchaus sein, dass beim Cobalt der Elektronentransfer stattfindet, beim
Eisen aber nicht. Die Schwierigkeit bei der Zuordnung der Oxidationsstufen liegt in dem
12.2 Sauerstofftransport am Beispiel Hämoglobin 245
Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass das nicht durch die Proteinumgebung geschützte
Häm irreversibel mit Sauerstoff unter Ausbildung eines μ-oxido-Komplexes reagiert. Ein
ähnliches Verhalten wird bei vielen strukturellen Modellverbindungen beobachtet, ein
Beispiel dafür ist in Abb. 12.3 gegeben. Diese Beobachtung führte zu der Frage, wel-
che Rolle die Proteinumgebung für die reversible Reaktion mit Sauerstoff übernimmt. In
Abb. 12.7 sind die Teilschritte für den irreversiblen Reaktionsverlauf gegeben. Die Reaktion
des Eisen(II)-Ausgangskomplexes mit Sauerstoff führt zur Ausbildung eines dimeren μ-
Peroxidoeisen(III)-Komplexes. Dieser ist nicht stabil und zerfällt unter Bindungsspaltung in
zwei Eisenoxido-Komplexe, bei denen das Eisen die formale Oxidationsstufe + 4 hat. Diese
hochreaktive Spezies, die auch als Zwischenstufe in katalytischen Zyklen, z. B. beim Cyto-
chrom P450, postuliert wird, reagiert sofort mit einem weiteren Eisen(II)-Ausgangskomplex
zum stabilen Endprodukt, dem μ-oxido-Eisen(III)-Komplex.
Der Reaktionsverlauf zeigt, dass für eine reversible Bindung von Sauerstoff die Aus-
bildung eines μ-Peroxidokomplexes und damit der Sauerstoff-Sauerstoff-Bindungsbruch
unterbunden werden muss. Dies kann mit Hilfe der Picket-Fence-Porphyrine (Deutsch:
FeIII O
O2
2 FeII O 2 FeIV
O Bindungs-
B spaltung
B
III
Fe +2 FeII
B B
-Peroxido B
FeIII
2 O
FeIII -Oxido
Abb. 12.7 Reaktion des nicht durch die Proteinumgebung geschützten Häm mit Sauerstoff. B steht
für eine Base (z. B. Imidazol oder Pyridin), die als fünfter Ligand fungiert
246 12 Bioanorganische Chemie
R
N N
Fe = FeII
R N N
O
HN O
R
R=
HN O O
Abb. 12.8 Beispiele für Picket-Fence (Gartenzaun)-Porphyrine. Alle Beispiele gehen vom Tetra-
phenylporphyrin (TPP) aus, bei dem R = H ist und das oft als Modellverbindung für das Häm
herangezogen wird. Durch die Einführung von sterisch anspruchsvollen Substituenten R in ortho-
Stellung vom Porphyrinring ist das Eisenzentrum zu einer Seite hin abgeschirmt. Wenn an der nicht
abgeschirmten Seite der fünfte Ligand (B in Abb. 12.7) koordiniert, dann koordiniert Sauerstoff in
einer abgeschirmten Tasche und eine Dimerisierung wird verhindert
12.3 Cobalamine – stabile metallorganische Verbindungen 247
side-on, wie in Abb. 12.5 in der Mitte gezeigt, gebunden ist. Beim Cobaltsalen findet die
Sauerstoffaufnahme bei Raumtemperatur statt. Das in der sauerstofffreien Form rote Pulver
wird schwarz und die Gewichtsänderung spricht für die Aufnahme von einem Sauerstoffmo-
lekül pro Cobaltatom. Bei Temperaturen oberhalb von 100 ◦ C wird der Sauerstoff wieder
abgegeben und der ursprüngliche Cobalt(II)-Komplex wird zurückgebildet. Der entspre-
chende Eisen(II)-Salenkomplex reagiert mit Sauerstoff irreversibel zum μ-oxido-Eisen(III)-
Komplex. Der Grund für die unterschiedliche Reaktivität von Eisen und Cobalt kann mit
deren Elektronenkonfiguration und den daraus resultierenden bevorzugten Oxidationsstufen
erklärt werden. Beim Eisen ist die bevorzugte Oxidationsstufe + 3, bei der die 3d-Schale halb
besetzt und die deswegen besonders stabil ist. Die Oxidationsstufe + 2 ist nur in Gegenwart
von Starkfeldliganden mit einer oktaedrischen Koordinationsumgebung bevorzugt (hohe
Ligandenfeldstabilisierungsenergie für ein d6 -System im low-spin-Zustand). Beim Cobalt
ist die Situation genau anders herum. Im wässrigen Medium liegt Cobalt i. d. R. in der
Oxidationsstufe + 2 vor, bei der nur die zwei 4 s-Elektronen entfernt wurden. Die Entfer-
nung eines weiteren Elektrons gelingt nur in Gegenwart von relativ starken Liganden unter
der Ausbildung von oktaedrischen Komplexen (gleiche Erklärung wie bei Eisen(II)). Diese
umgekehrte Reaktivität begünstigt im Falle vom Cobalt die reversible Bindung von Sauer-
stoff. Dass sich die Natur bei der Wahl des Metallzentrums für Eisen entschieden hat, wird
mit dessen deutlich besserer Bioverfügbarkeit zusammenhängen.
Cobalamine sind Metalloproteine, die das Spurenelement Cobalt als Zentralatom enthalten.
Für den Menschen wichtig sind die Vitamine B12 und das davon abgeleitete Coenzym B12 .
In Abb. 12.9 ist die allgemeine Struktur der Cobalamine gegeben. Sie unterscheiden sich in
dem axialen Liganden R. Bei den Vitaminen B12 ist R = CN, OH oder H2 O, man spricht dann
auch vom Cyanocobalamin (Vit B12 ), Hydroxycobalamin (Vit B12b ) bzw. Aquacobalamin
(Vit B12a ). Die biologisch aktiven Formen sind das Methylcobalamin (R = Me, MeB12 ) und
das 5 -Desoxyadenosylcobalamin (R = 5 -Desoxyadenosyl, das Coenzym B12 ). Bei beiden
Verbindungen liegt eine Cobalt-Kohlenstoff-Bindung vor. Es handelt sich um klassische
metallorganische Verbindungen, die unter physiologischen Bedingungen stabil sind.
Das Coenzym B12 ist ein Cofaktor. Das heißt, es ist für die Funktion bestimmter Enzyme
unerlässlich, nimmt aber nicht direkt an der Reaktion teil. Was das bedeutet, kann am Beispiel
des Coenzyms B12 gut illustriert werden. Seine Aufgabe ist die kontrollierte Bildung freier
Radikale. Diese Radikale werden dann vom Enzym für die zu katalysierende Reaktion,
z. B. für eine 1,2-Verschiebung, benötigt. Das Enzym ist verantwortlich für die Bindung des
Substrates (Substratspezifität), hier läuft die eigentliche Reaktion am aktiven Zentrum ab.
Das Coenzym ist an dieser Reaktion nicht direkt beteiligt. Ein Enzym ohne Coenzym nennt
man auch Apoenzym, während die funktionierende Einheit aus Apoenzym und Coenzym,
das Gesamtenzym, auch als Holoenzym bezeichnet wird.
248 12 Bioanorganische Chemie
O O
H2N
NH2
O
O
H2N
R
R N NH2
N
O +
Co = Co
H
H2N N N N
O
NH O NH2 HO HO
N
O O
O N
P N
– O HO N
O
N
O N
HO NH2
Abb. 12.9 Allgemeine Struktur der Cobalamine. Bei den biologisch inaktiven Formen ist R = CN,
OH oder H2 O, die Verbindungen kennen wir als Vitamine B12 . Bei den biologisch aktiven Formen
handelt es sich um metallorganische Verbindungen, mit R = Me bzw. 5 -Desoxyadenosyl. Die letztere
Variante ist das Coenzym B12 , das für die kontrollierte Bildung freier Radikale im menschlichen
Körper verantwortlich ist
Das Interesse für die Cobalamine ist nicht nur auf bioanorganische Fragen beschränkt.
Das Coenzym B12 bzw. Modellverbindungen davon werden teilweise in der organischen
Chemie für die Realisierung von 1,2-Verschiebungen verwendet. Ein sich neu erschließen-
des Arbeitsgebiet ist die Detektion von biologischem Cyanid [90]. Einige Arten von Maniok
(auch Cassava genannt, eine als stärkehaltiges Grundnahrungsmittel verwendete Pflanze)
enthalten cyanogene Glucoside wie das Linamarin (siehe Abb. 12.10). Diese cyanogenen
Glycoside können durch pflanzeneigene Enzyme (z. B. die Linamarase) hydrolysiert wer-
den. Eines der Produkte ist Acetoncyanhydrin, das weiter zu Aceton und Blausäure zerfällt.
Ähnliche endogene Cyanide befinden sich neben dem Maniok in Bambus und Lein, die
Grundnahrungsmittel für viele Menschen in Afrika, Südostasien und Lateinamerika sind.
Ein hoher Gehalt an biologischen Cyaniden führt langfristig zu chronischen Cyanidvergif-
tungen. Um biologisches Cyanid schnell zu detektieren, können Derivate von Cobalaminen
verwendet werden, bei denen ein Wassermolekül gegen Cyanid als axialer Ligand ausge-
tauscht wird. Die Reaktionsgleichung ist in Abb. 12.10 unten gegeben. Durch den Ligan-
denaustausch kommt es zu einem Farbwechsel, der mit bloßem Auge gut zu erkennen ist.
Dass der Ligandenaustausch mit einem Farbwechsel einhergeht, ist nicht unerwartet (Siehe
12.3 Cobalamine – stabile metallorganische Verbindungen 249
Kap. 5, Farbigkeit von Komplexen). Das Interessante an dieser Reaktion ist der Liganden-
austausch an sich, der sehr schnell ist. Im Abschn. 6.2 (Stabilität von Komplexen) haben
wir gelernt, dass oktaedrische Cobalt(III)-Komplexe eine sehr hohe kinetische Stabilität
besitzen und deswegen Ligandenaustauschreaktionen nur sehr langsam stattfinden.
Im Folgenden beschäftigen wir uns damit, wie die freien Radikale gebildet werden,
welche besondere Rolle das Cobalt hierbei spielt und was den schnellen Ligandenaustausch
bei Cobalaminen ermöglicht.
Die ersten funktionellen Modellverbindungen für die reversible Bindung von Sauerstoff
waren Cobalt(II)-Komplexe. In biologischen Systemen nehmen Eisen- und Kupferkomplexe
diese Funktion ein. Auf den ersten Blick ist das unerwartet. Aus komplexchemischer Sicht
sind Cobalt und dessen höhere Homologen Rhodium und Iridium wesentlich besser für
diese Funktion geeignet. Um die gleiche Funktion mit Eisen zu realisieren, müssen weitere
Rahmenbedingungen (siehe picket-fence-Porphyrine) berücksichtigt werden. Die Ursache
dafür ist die unterschiedliche Bioverfügbarkeit der einzelnen Elemente. In Tab. 12.2 ist die
Häufigkeit ausgewählter biologisch relevanter Elemente gegeben. Für die Bioverfügbarkeit
ist v. a. der Gehalt im Meerwasser interessant, da die Evolution hier begonnen hat. Bei einigen
Elementen hat sich die Bioverfügbarkeit im Laufe der Evolution geändert. Ein gutes Beispiel
hierfür ist das Eisen, das vor der Entstehung der Sauerstoffatmosphäre in zweiwertiger Form
vorlag und dann gut bioverfügbar (weil gut wasserlöslich) war. In der Oxidationsstufe + 3
führt das Auftreten schwer löslicher Oxide und Hydroxide zu einem deutlich geringeren
Eisengehalt im Meerwasser. Der Blick auf das Cobalt zeigt, dass es von den 3d-Elementen
die mit Abstand schlechteste Bioverfügbarkeit aufweist. Überhaupt ist Cobalt das seltenste
Element der 3d-Reihe. Dazu kommt, dass Cobalt im Körper nur eine einzige Funktion hat
– die des Coenzyms B12 . Das ist anders als beim Eisen, das im menschlichen Körper eine
250 12 Bioanorganische Chemie
Tab. 12.2 Häufigkeit ausgewählter biologisch relevanter Elemente. Die Elemente der 3d-Reihe sind
hervorgehoben. [86]
Vielzahl verschiedener Funktionen übernimmt (siehe Tab. 12.1). Dieser Umstand deutet
darauf hin, dass nur Cobalt, in Kombination mit dem Corrin-Liganden, für die Funktion im
Coenzym B12 geeignet ist.
12.3.2 Struktur
Die Entdeckung des Coenzyms B12 fand wesentlich später statt, als die des roten Blutfarb-
stoffes Hämoglobin, der bereits in der Mitte des 19. Jahrhunderts in kristalliner Form isoliert
wurde. Der Grund dafür sind die unterschiedlichen Konzentrationen, in denen die beiden
Komponenten im Blut vorliegen. Sie beträgt bei den Cobalaminen ca. 0,01 mg/l Blut, was
eine Anreicherung und Isolierung der Verbindung deutlich erschwerte. Dies gelang erst mit
dem Aufkommen chromatographischer Trennverfahren, und so konnte das Cyanocobalamin
erstmals 1948 rein dargestellt werden. Die Existenz einer „essentiellen Komponente“ wurde
bereits in den 1920er Jahren entdeckt. Damals wurden schwere Formen der Anämie durch
12.3 Cobalamine – stabile metallorganische Verbindungen 251
die Gabe von Leberextrakten behandelt. In diesen Extrakten wurde eine „essentielle Kom-
ponente“ nachgewiesen, die Cobalt-haltig ist und nur von Mikroorganismen synthetisiert
werden kann. Essentielle (organische) Verbindungen, die nicht vom Körper selbst hergestellt
werden können, werden als Vitamine bezeichnet. Aus diesem Grund wurde die essentielle
Komponente aus den Leberextrakten als Vitamin B12 bezeichnet. Im Jahr 1964 gelang Doro-
thy Crowfoot-Hodgkin die Kristallstrukturanalyse vom Vitamin B12 und später auch vom
Coenzym. Mit ca. 100 Nicht-Wasserstoffatomen war das zur damaligen Zeit eine herausra-
gende Leistung, die einen wichtigen Beitrag zum Verständnis der Cobalamine leistete und
für die Crowfoot-Hodgkin mit dem Nobelpreis für Chemie ausgezeichnet wurde.
In Abb. 12.9 ist die generelle Struktur der Cobalamine gezeigt, die sich lediglich im axia-
len Liganden R unterscheiden. Wie beim Häm befindet sich das Cobalt in der Mitte eines
makrocyclischen N4 -Liganden. Dabei handelt es sich jedoch um den Corrin-Liganden, der
sich von den Porphyrinen durch eine geringere Ringgröße (15 gliedrig anstelle von 16
gliedrig) und einer einfachen negativen Ladung (anstelle von zweifach negativ geladen)
unterscheidet. Cobalt-Porphyrin-Komplexe lassen sich zwar herstellen und sind auch stabil,
sie zeigen jedoch eine andere Reaktivität und eignen sich nicht als Cobalamin-Ersatz. In
fünfter Position hat das Cobalt einen weiteren axialen Liganden. Dabei handelt es sich um
einen über N(1)-koordinierten 5,6-Dimethylbenzimidazolring, der über eine längere Kette
mit dem Corrin-Makrocyclus verbunden ist. Der Corrin-Makrocyclus ist, im Gegensatz zum
Porphyrin-Makrocyclus nicht eben, sondern gefaltet in einer Butterfly- bzw. Sattelkonforma-
tion. Modellstudien zeigen, dass diese Verzerrung wichtig für die Reaktivität der Cobalamine
ist. Wie bei den Porphyrinen ist auch der Corrin-Ligand ein ausgeprochener Starkfeldligand
und es werden i. d. R. low-spin-Komplexe erhalten, die allerdings eine verzerrte Struktur
aufweisen. Dies beeinflusst die Aufspaltung der d-Orbitale des Cobalts und damit auch die
Reaktivität der Verbindung. So ist die verzerrte Struktur sicherlich einer der Gründe, warum
die Cobalamine zu einem vergleichsweise schnellen Ligandenaustausch befähigt sind.
12.3.3 Reaktivität
Im Coenzym B12 hat das Cobalt die Oxidationsstufe + 3 und die Koordinationszahl 6. Die
Ausgangssituation ist vergleichbar mit den Werner-Komplexen (Kap. 1). Der Starkfeldli-
gand und die hohe positive Ladung des Metallions führen zu einer starken Aufspaltung
der d-Orbitale im oktaedrischen Ligandenfeld. Die sechs d-Elektronen des Cobalt(III)-Ions
sind in tieferliegenden t2g -Orbitalen gepaart und der Komplex ist diamagnetisch. Die hohe
Stabilität oktaedrischer Cobalt(III)-Komplexe hängt mit der hohen Ligandenfeldstabilisie-
rungsenergie zusammen.
Die Reaktivität des Coenzym B12 geht mit einem Bruch der Cobalt-Kohlenstoff-Bindung
einher. Hier sind drei Varianten denkbar, die in Abb. 12.11 gegeben sind. Die Cobalt-
Kohlenstoff-Bindung kann homolytisch oder heterolytisch gespalten werden. Bei einer
homolytischen Bindungsspaltung wird den beiden Spaltprodukten je ein Elektron von dem
252 12 Bioanorganische Chemie
CH2R
III
Co
+
L •CH2R CH2R
–
III • II I
Co Co Co
N
N
dx²-y²
eg {dx²-y² dz²
dz²
dxy
dxy
dz²
Abb. 12.11 Im Ruhezustand ist das Coenzym B12 ein Cobalt(III)-Komplex mit einem oktaedrischen
Ligandenfeld, der im low-spin-Zustand vorliegt. Die Cobalt-Kohlenstoff-Bindung kann homolytisch
oder heterolytisch gespalten werden. Ersteres führt zur Ausbildung eines quadratisch pyramidalen
Cobalt(II)-Komplexes und einem Radikal, die Bindung wird in der Mitte gespalten (Mitte). Bei
der heterolytischen Bindungsspaltung verbleibt das gemeinsame Elektronenpaar bei einem der bei-
den Bindungspartner. Bei der links dargestellten Variante, wird formal ein Carbanion generiert, das
gemeinsame Elektronenpaar bleibt beim Kohlenstoff. Diese Reaktion entspricht einem Liganden-
austausch, wie er z. B. bei der Generierung vom Coenzym B12 aus dem Vitamin B12 stattfindet.
Bei der rechts gezeigten Variante bleibt das Bindungselektronenpaar beim Cobalt, es entsteht ein
Carbokation und ein Cobalt(I)-Komplex. Die unterschiedlichen Oxidationsstufen werden durch die
unterschiedlichen Koordinationsgeometrien stabilisiert. Dabei spielt die Position des 5. Liganden,
der auch als Steuerligand bezeichnet wird, eine wichtige Rolle
12.3 Cobalamine – stabile metallorganische Verbindungen 253
gemeinsamen Elektronenpaar zugeordnet. Beim Coenzym B12 führt das dazu, dass ein
Cobalt(II)-Komplex und ein organisches Radikal entstehen. Der Cobalt(II)-Komplex liegt
nun in einer quadratisch pyramidalen Koordinationsumgebung vor. Diese Koordinations-
umgebung ist für ein Cobalt(II)-Ion mit sieben d-Elektronen günstiger als die oktaedrische
Koordinationsumgebung, weil durch die Aufspaltung der eg -Orbitale das nun tiefer liegende
dz 2 -Orbital mit dem zusätzlichen Elektron besetzt werden kann und dadurch eine höhere
Ligandenfeldstabilisierungsenergie erhalten wird. Bei der heterolytischen Bindungsspaltung
wird das gemeinsame Elektronenpaar einem der beiden Bindungspartner zugeordnet. Die
hierbei auftretenden zwei Möglichkeiten sind links und rechts in Abb. 12.11 gezeigt. Bleibt
das gemeinsame Elektronenpaar am Substituenten R, dann entstehen formal ein Carbanion
und ein Cobalt(III)-Komplex. Diese Variante der heterolytischen Bindungsspaltung spielt
bei Ligandenaustauschreaktionen eine Rolle, bei denen die Oxidationsstufe des Metallzen-
trums und die Koordinationszahl erhalten bleiben. Ein Beispiel hierfür wäre die Bildung
vom Coenzym B12 aus dem Vitamin B12 .
Bei der in Abb. 12.11 rechts abgebildeten Variante bleibt das gemeinsame Elektronenpaar
am Cobalt und es werden ein Cobalt(I)-Komplex und ein Carbokation erhalten. Hervorzuhe-
ben ist, dass sich in diesem Fall der fünfte Ligand komplett vom Cobalt entfernt und dieses
nun in einer quadratisch planaren Koordinationsumgebung vorliegt. Diese ist besonders
günstig für das Cobalt(I)-Ion mit seinen acht d-Elektronen, da wieder eine hohe Ligan-
denfeldstabilisierungsenergie erhalten wird. Das in dieser Koordinationsgeometrie stark
antibindende dx 2 −y 2 -Orbital wird nicht besetzt, wodurch für das Gesamtsystem ein Ener-
giegewinn erzielt wird. Die Redoxpotentiale für die unterschiedlichen Schritte zeigen, dass
die Homolyse im physiologisch interessanten Bereich liegt. Dies ist die bevorzugt ablau-
fende Reaktion.
Die Redoxpotentiale der zwei Reduktionsschritte vom Cobalt(III) zu Cobalt(II) und
Cobalt(I) werden vom axialen Liganden beeinflusst. Die Erniedrigung der Oxidationsstufe
geht mit einer Verringerung der Koordinationszahl einher, bis der fünfte Ligand vollständig
abgespalten ist. Aus diesem Grund wird dieser Ligand auch als Steuerligand bezeichnet.
Der Schritt vom oktaedrischen Cobalt(III)-Komplex zum quadratisch planaren Cobalt(I)-
Komplex entspricht der aus der metallorganischen Chemie bekannten reduktiven Eliminie-
rung (die Umkehrreaktion ist die oxidative Addition).
Mit dem Corrin-Liganden ist die Cobalt(I)-Stufe auch unter physiologischen Bedingun-
gen stabil. Das ist bei den analogen Cobaltporphyrin-Komplexen nicht der Fall. Gründe
dafür könnten ein etwas schwächeres Ligandenfeld des Porphyrinliganden oder auch die
einfach negative Ladung des Corrin-Liganden sein.
Mutase-Aktivität
Es wurde eingangs schon erwähnt, dass die kontrollierte Erzeugung von Radikalen die
Funktion des Coenzyms B12 ist. Die hierbei erzeugten Radikale werden z. B. für Mutase-
Reaktionen benötigt. Die allgemeine Reaktionsgleichung hierfür ist in Abb. 12.12 gegeben.
254 12 Bioanorganische Chemie
CH2R
•
CoIII CoII + •CH2R
N
N
H-Abstraktion
X H + •CH2R X + CH3R
•
ggf. Rekombination
•
1,2-Verschiebung
X X
•
X + CH3R H X + •CH2R
Abb. 12.12 Mutase-Aktivität vom Coenzym B12 . Das Coenzym B12 stellt das für die
1,2-Verschiebung benötigte Radikal zur Verfügung
Wir sehen, dass das Cobalt nicht direkt an der Reaktion beteiligt ist, sondern nur das dafür
benötigte Radikal zur Verfügung stellt. Die Rolle des Enzyms besteht in der Substratbin-
dung. Diese löst eine Konformationsänderung aus, die zu einer Verminderung der Cobalt-
Kohlenstoff-Bindungsenergie führt und die reversible Homolyse der Cobalt-Kohlenstoff-
Bindung initiiert. Zusätzlich schirmt die Proteinumgebung des Enzyms das Radikal ab, um
unerwünschte Reaktionen zu vermeiden und ist für die Stereoselektivität der Reaktion ver-
antwortlich. Ein Beispiel ist die Glutamat-Mutase, die die Umwandlung von Glutaminsäure
in die β-Methylasparaginsäure katalysiert (Abb. 12.13 oben).
Die 1,2-Verschiebung von funktionellen Gruppen HX, bei denen es sich um OH- oder
NH2 -Gruppierungen handeln kann, ist wichtig für Dehydratasen und Desaminasen, die
ebenfalls Coenzym B12 -abhängig sind. Hier führt die 1,2-Verschiebung zu einem instabilen
Zwischenprodukt, bei dem unter Abspaltung von H2 X eine Doppelbindung ausgebildet
wird. Der allgemeine Mechanismus ist in Abb. 12.13 unten gezeigt.
12.3 Cobalamine – stabile metallorganische Verbindungen 255
Alkylierungsreaktion
In Mikroorganismen sind neben den bisher besprochenen Reaktionen Methylgruppen-
übertragende Reaktionen wichtig. Ein auch für uns relevantes Beispiel ist die Synthese der
essentiellen Aminosäure Methionin aus Homocystein, die z. B. von der Methionin-Synthase
in E. coli durchgeführt wird. Dabei fungiert das Methylcobalamin als Methylierungsmittel.
Als Methylgruppen-Quelle dient z. B. die 5-Methyltetrahydrofolsäure (5-Methyl-THFA).
Die entsprechende Reaktionsgleichung ist in Abb. 12.14 gegeben. Bei dieser Reaktion wird
eine elektrophile Methylgruppe übertragen, das heißt es entstehen ein Carbokation und die
entsprechende Cobalt(I)-Spezies (siehe Abb. 12.11). Je nach Substrat, auf das die Methyl-
Gruppe übertragen werden soll, können die Methylierungsreaktionen auch radikalisch oder
über die Ausbildung eines Carbanions ablaufen. Letzteres wird bei edlen Elementen wie
O– O–
O C MeB12 O C
H2 H2 H2 H2
CH C C S– + 5-Methyl-THFA + H+ CH C C S CH3 + THFA
+
+
NH3 NH3
Homocystein Methionin
CH3
+
CoIII
Hg 2+
+ CoIII (CH3)Hg +
+
N N
dem Quecksilber vermutet. Die Methylierung führt zur Bildung von Methylquecksilber
(MeHg+ ), einer besonders toxischen Form des Quecksilbers. Die hohe Toxizität lässt sich
mit dem sowohl lipophilen als auch hydrophilen Charakter des kleinen Moleküls erklären.
Er ermöglicht das Durchdringen der Blut-Hirn-Schranke oder auch der Placenta-Membran
und daduch eine nahezu ungehinderte Verteilung im Körper.
H
O O–
N N N O N O N N
2+ 2+
Co Co Co Co
N N N O N O N N
– O O
H
mus ist in Abb. 12.16 am Beispiel von Ringschlussreaktionen gegeben. Der erste Schritt
ist die Substitution eines Halogens X durch den supernukleophilen Cobalt-Komplex unter
Ausbildung einer Cobalt-Kohlenstoff-Bindung. Diese kann durch Bestrahlung oder Tempe-
raturerhöhung unter Ausbildung eines organischen Radikals und einer Cobalt(II)-Spezies
gespalten werden. Es folgt der Ringschluss. Das dabei entstehende Radikal kann abgefangen
werden oder mit dem noch vorhandenen Cobalt(II)-Komplex rekombinieren. Diese Variante
eröffnet die Möglichkeit weiterer Funktionalisierungsschritte.
12.4 Fragen
• Was ist der Unterschied zwischen einer strukturellen und einer funktionellen Modellver-
bindung?
• Was versteht man unter einer Hin- bzw. Rückbindung? Zeichnen Sie die relevanten Mole-
külorbitale eines entsprechenden Komplexes mit molekularem Sauerstoff in der end-on-
bzw. side-on-Koordination. Beschriften Sie beim Metallzentrum und beim Sauerstoff-
molekül, welche Orbitale überlappen!
• Was passiert bei einer Kohlenmonoxid-Vergiftung und warum hilft die Gabe von mit
Sauerstoff angereicherter Luft bei der Behandlung?
• Warum wird für die Stabilisierung der Cobalt(I)-Stufe ein quadratisch planares Ligan-
denfeld benötigt?
Katalyse
13
Im kurzen historischen Abriss zur Entwicklung der metallorganischen Chemie hat sich die
Bedeutung von Komplexen bzw. metallorganischen Verbindungen für die Katalyse bereits
widergespiegelt. Die Vielzahl von Nobelpreisen, die für katalytische Verfahren vergeben
wurden, unterstreichen das. Im Folgenden soll im ersten Abschnitt exemplarisch auf das
Beispiel der Polymerisationskatalyse und deren Entdeckung eingegangen werden. Als wei-
terführende Literatur zu diesem aktuellen Forschungsgebiet wird das Buch „Organometall-
chemie“ von Elschenbroich [15] empfohlen. Der zweite Abschnitt dieses Kapitels beschäf-
tigt sich mit der Photokatalyse, die gerade für die Bewältigung der Herausforderungen der
heutigen Zeit hoch relevant ist. Als weiterführende Literatur empfiehlt sich zum Beispiel
das Buch „Chemical Photokatalysis“ von König (Ed.) [92].
13.1 Katalysator
Bevor wir uns mit katalytischen Verfahren beschäftigen, soll zunächst der Begriff Katalysa-
tor erläutert werden. Die IUPAC sagt: Ein Katalysator ist eine Substanz, welche die Reakti-
onsgeschwindigkeit erhöht, ohne die allgemeine Standard-Gibbs-Energiedifferenz G 0 der
Reaktion zu verändern. Der Prozess wird als Katalyse bezeichnet. Das heißt, ein Katalysator
beschleunigt eine Reaktion, ohne dabei verbraucht zu werden. Er liegt nach der Reaktion
unverändert vor und tritt deswegen in der Reaktionsgleichung häufig nicht auf. Neben der
Reaktionsgeschwindigkeit beeinflusst der Katalysator oft auch den Reaktionsmechanismus,
i. d. R. indem er die Aktivierungsenergie E A für eine Reaktion herabsetzt. Er beeinflusst
aber nicht die Lage des Gleichgewichts. Dieser Zusammenhang ist im Energiediagramm in
Abb. 13.1 veranschaulicht.
Die in Abb. 13.1 aufgeführten Reaktionsgleichungen zeigen, dass sich intermediär ein
Produkt aus Katalysator und Edukt bildet, das dann unter Rückgewinnung des Katalysa-
tors wieder zerfällt. In diesem Zusammenhang sollen noch zwei weitere Begriffe definiert
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von 259
Springer Nature 2021
B. Weber, Koordinationschemie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-63819-4_13
260 13 Katalyse
EA
EA
0
G
Abb. 13.1 Schematische Darstellung des Einflusses eines Katalysators auf das Energieprofil einer
Reaktion (links) und den Reaktionsverlauf (rechts). Die gestrichelte Kurve mit Katalysator zeigt zwei
Maxima. Das ist ein Zeichen dafür, dass sich hier der Reaktionsmechanismus (siehe Gleichungen)
verändert hat und dadurch die Aktivierungsenergie abgesenkt wird
werden, die im Folgenden benötigt werden. Wenn man von katalytischen Verfahren spricht,
unterscheidet man zwischen der homogenen und der heterogenen Katalyse. Bei der homoge-
nen Katalyse liegen Katalysator und Edukte in einer Phase vor. Das wäre der Fall, wenn alles
z. B. im gleichen Lösemittel gelöst ist und alles in einer flüssigen Phase vorliegt. Auch eine
Gasphasenreaktion, bei der Edukte und Katalysator in der Gasphase vorliegen, ist eine homo-
gene Katalyse. Von einer heterogenen Katalyse spricht man, wenn Katalysator und Edukte
in unterschiedlichen Phasen vorliegen. Ein typisches Beispiel ist ein fester Katalysator, bei
dem die Edukte flüssig oder gasförmig sind und der Katalysator in dieser Flüssigkeit oder
Gasphase dispergiert ist. In diesem Fall findet die Reaktion auf der Oberfläche des festen
Katalysators statt.
Kettenwachstum
H H H H H
H2 C CH2
R C + H 2C CH2 R C C C R' C
H H H H H
Kettenabbruch – Disproportionierung
H H H H
H H
R' C + R' C R' C H + R' C
C C
H H H H H
H
H
R' C
Kettenübertragung C
H
R' R' R'
H
+ R C
H H 2C CH2
H
– R C H
H
Abb.13.2 Radikalische Polymerisierung von Ethen. Gezeigt ist das Kettenwachstum, die Dispropor-
tionierung als Beispiel für eine Abbruchreaktion und die Kettenübertragung, die für die Verzweigung
der entstehenden Polymere verantwortlich ist
„treffen“ – ein als Rekombination bezeichneter Prozess, oder wenn ein Wasserstoff von
einem Radikal auf ein zweites übertragen wird und man ein Alkan und ein Alken erhält.
Dieser Vorgang entspricht einer Disproportionierung. Eine weitere wichtige Reaktion ist
die Kettenübertragung. Bei ihr abstrahiert ein Radikal ein Wasserstoff aus der Mitte einer
Alkylkette. Es entsteht ein neues Radikal, an dem eine neue Kette heranwächst, die einer
Verzweigung entspricht.
und beobachtete eine Addition der Al–C-Bindung an die C = C-Doppelbindung vom Ethen,
also eine Insertion von Ethylen in die Metall-Kohlenstoff-Bindung. Auf diese Weise gelang
ihm die Synthese von Trialkylaluminium-Verbindungen, deren Alkylketten Molekularge-
wichte bis zu 3000 erreichen konnten (bis zu 100 Insertionen). Das Kettenwachstum lässt sich
nicht beliebig fortsetzten. Ab einer bestimmten Kettenlänge findet eine β-H-Eliminierung
statt. Die β-H-Eliminierung ist die Umkehrreaktion der Olefininsertion. Beide Reaktionen
stehen miteinander im Gleichgewicht (siehe Kap. 3, Elementarreaktionen der Metallorga-
nischen Chemie) und die Lage des Gleichgewichts lässt sich in einem gewissen Umfang
durch die Reaktionsbedingungen (z. B. dem Ethylendruck) beeinflussen. Das bei der β-H-
Eliminierung entstehende Olefin wird von dem im Überschuss vorhandenen Ethen verdrängt.
Dieser Schritt wird auch als Ziegler’sche Verdrängungsreaktion bezeichnet. In Abb. 13.3 sind
die miteinander im Gleichgewicht stehenden Reaktionen abgebildet. Wir erkennen, dass es
sich um eine durch Triethylaluminium katalysierte Ethylenoligomerisierung handelt. Für
eine Polymerisierung müssten über 1000 Insertionen ablaufen, das gelingt unter den hier
beschriebenen Reaktionsbedingungen nicht.
Die Ziegler’sche Aufbaureaktion zur Oligomerisierung von Ethen lässt sich wie die radi-
kalische Polymerisation in Kettenstart (Insertion von Ethen in die Al–H-Bindung ausgehend
von Ethylaluminiumhydrid), Kettenwachstum (die Aufbaureaktion) und Kettenabbruch (β-
H-Eliminierung) unterteilen. Bei der Verdrängungsreaktion wird der Katalysator regeneriert
und ein katalytischer Ablauf der Ethen-Oligomerisierung ist möglich. Dabei muss berück-
sichtigt werden, dass die Aufbaureaktion optimal bei Temperaturen um 100 ◦ C und hohen
H 3C
H CH2 H2 H2 H2
H 2C CH 2 H 2C CH 2 C H2
C C C
H Al H 2C Al H 3C Al C C CH 3
CH2 20 – 80°C 90 – 120°C H2 H2 n
H 3C CH2 H2C
H 3C H 3C CH3
320°C -H-
H2 H2 Eliminierung
H 2C C C + H 2C CH 2
C C CH3
H H2 H 3C
n
H2 H2 CH2
H 2C C +
C
C C CH3 H 2C Al
H H2
n H 3C H
Abb. 13.3 Ablauf der Zieglerschen Aufbaureaktion und Verdrängungsreaktion. Die unterschiedli-
chen Reaktionsbedingungen ermöglichen einen zweistufigen Prozess, bei dem beide Schritte von-
einander getrennt ablaufen. Bei mittleren Temperaturen finden beide Schritte parallel statt und eine
katalytische Oligomerisierung von Ethen ist möglich. Aus Gründen der Übersichtlichkeit wurde die
Aufbau-Reaktion und Verdrängungsreaktion nur für eine der Ethylgruppen des Aluminiums gezeigt.
Tatsächlich findet dieser Vorgang an allen drei Ketten statt
13.2 Darstellung von Polyethylen (PE) 263
Ethen-Drücken (100 bar) abläuft, während höhere Temperaturen (über 300 ◦ C) und ein
geringerer Ethen-Überschuss die β-H-Eliminierung und damit die Verdrängungsreaktion
deutlich begünstigen. Deswegen ist es möglich, die Oligomerisierung mit denen in Abb. 13.3
aufgeführten Reaktionsbedinungen als zweistufigen Prozess zu führen. Die Länge der dabei
erhaltenen Olefine lässt sich über das Verhältnis von Triethylaluminium zu Ethen kontrollie-
ren. Bei Temperaturen zwischen 180 ◦ C und 200 ◦ C ist ein katalytisches Verfahren möglich,
bei dem kürzere Olefine (C4 – C30 Kettenlänge) erhalten werden. Diese Variante wird als
großtechnisches Verfahren (Gulf -Prozess, 200 ◦ C, 250 bar) bis heute eingesetzt.
Mit den bisher beschriebenen Bedingungen können längerkettige Olefine hergestellt
werden. Eine weitere Errungenschaft Zieglers ist das Ziegler-Alkohol-Verfahren, das als
großtechnisches Verfahren als Alfol-Prozess bekannt ist. Bei diesem zweistufigen Verfah-
ren werden die bei der Aufbaureaktion entstehenden Trialkylaluminium-Verbindungen in
einem zweiten Schritt mit Sauerstoff zu Aluminiumalkoholaten oxidiert und anschließend
hydrolysiert (Abb. 13.4). Dabei entstehen synthetische Fettalkohole, bei denen Kettenlän-
gen zwischen 12 und 16 C-Atomen eingestellt werden. Diese Fettalkohole sind ideale Aus-
gangstoffe für die Darstellung biologisch abbaubarer Waschmittel. Damit hat das Verfahren
wesentlich dazu beigetragen, die Waschmittelbelastung in Flüssen und Seen zu reduzieren.
Nun können wir uns noch die Frage stellen, warum gerade das Aluminiumion für die
Ziegler’sche Aufbaureaktion geeignet ist. Die Aufbaureaktion entspricht einer Insertion von
Olefinen in eine Metall-Kohlenstoff-Bindung. Für diese Reaktion wird eine freie Koordina-
tionsstelle am Metallzentrum benötigt, an der das Olefin koordinieren kann. Zusätzlich wird
noch eine Metall-Kohlenstoff-Bindung benötigt. Diese beiden Voraussetzungen sind beim
Triethylaluminium erfüllt. Zum einem liegt eine Aluminium-Kohlenstoff-Bindung vor, zum
anderen ist noch eine freie Koordinationsstelle vorhanden, da das Aluminium(III)-Ion die
Koordinationszahl 4 anstrebt. Das Triethylaluminium ist eine Lewis-Säure, der ein Elektro-
nenpaar zum Erreichen der Edelgaskonfiguration (in diesem Fall 8 Valenzelektronen) fehlt.
So liegt z. B. das Trimethylaluminium bei Raumtemperatur in fester und gelöster Phase
(Kohlenwasserstoffe) dimer vor und dissoziiert erst in der Gasphase bei höheren Tempera-
turen.
H2 O2 H2 H2O H2 H2
H2 H2
C C Al C C 3 C C
Al C O HO C CH3
CH3 C CH3
H2 n 3 H2 n 3
H2 n
Abb. 13.4 Synthese von Fettalkoholen ausgehend von Trialkylaluminium-Verbindungen für die
Darstellung biologisch abbaubarer Waschmittel
264 13 Katalyse
Ausgangspunkt für die Entdeckung der Ziegler-Natta Katalysatoren für die Polymerisation
von Ethylen im Niederdruckverfahren waren Untersuchungen von Karl Ziegler zu der im
vorhergehenden Abschnitt vorgestellten Aufbaureaktion. Bei einer dieser Reaktionen wurde
anstelle von langkettigen Olefinen selektiv 1-Buten hergestellt. Bei nachfolgenden Unter-
suchungen stellte sich heraus, dass im Reaktionsgefäß Spuren einer Nickel-Verbindung
enthalten waren. Diese als Nickel-Effekt bekannte Beobachtung führte zur systematischen
Untersuchung zum Einfluss von Schwermetallen auf die Zieglersche Aufbaureaktion [93].
Dem Koordinationschemiker stellt sich nun die Frage, warum in Gegenwart von Nickel
bevorzugt kurzkettige Olefine erhalten werden, während Ziegel-Natta-Katalysatoren (mit
Titan) zur Ausbildung von Polymeren führen. Entscheidend ist hier die unterschiedliche
Valenzelektronenzahl des aktiven Übergangsmetall-Zentrums. In Gegenwart von Triethyla-
luminium wird das Nickel, unabhängig davon, in welcher Oxidationsstufe es vorliegt, zu
Nickel(0) reduziert, das eine d10 -Elektronenkonfiguration besitzt. Aufgrund der vielen d-
Elektronen ist Nickel(0) besonders zur Ausbildung von Komplexen mit Olefinen geeignet
(starke π -Rückbindung). Die hohe Stabilität von Nickel-Olefin-Komplexen begünstigt die
β-H-Eliminierung (verantwortlich für Abbruch von Kettenwachstum) und es werden nur
noch kurze Olefine erhalten. Man könnte von einer nickelkatalysierten Verdrängungsreak-
tion sprechen, die nun deutlich schneller abläuft. Das Nickel(0) fungiert dabei als Cokata-
lysator. Es sei darauf hingewiesen, das Nickel(0) an sich auch ein Katalysator ist, mit dem
z. B. Butadien zu Cyclooctadien und Cyclododecatrien cyclooligomerisiert werden kann.
Um die nickelkatalysierte Verdrängungsreaktion zu verstehen, muss man die Neigung der
Lewis-Säure Trialkylaluminium, in Gegenwart einer Lewis-Base (z. B. Nickel(0)) Lewis-
Säure-Base Addukte und Mehrzentrenbindungen auszubilden, berücksichtigen. Darauf
basierend wurde folgender Mechanismus für den „Nickel-Effekt“ vorgeschlagen (Abb. 13.5).
Die Triebkraft für die Reaktion ist die Bildung des im Vergleich zum Ethen energetisch güns-
tigeren Butens.
AlR3
1. Ni2+ NiR2 Ni0 + R–R
Abb.13.5 Deutung des „Nickel-Effekts“. Es kommt zur Ausbildung einer Mehrzentrenbindung zwi-
schen dem Tris(ethylen)nickel(0) und dem Trialkylaluminium. Dabei koordinieren die α-C-Atome
des Trialkylaluminiums an das Nickel. Aufgrund der räumlichen Nähe kann es nun zu einer Umord-
nung der Bindungen im Sinne einer elektrocyclischen Reaktion kommen
Die Entdeckung des Nickel-Effekts löste systematische Untersuchungen zum Einfluss von
Schwermetallen (das sind Metalle mit einer Dichte größer 5 g/cm3 ) auf die Aufbau- und
Verdrängungsreaktion aus. Bei Cobalt und Platin wurde ebenfalls eine Beschleunigung der
Verdrängungsreaktion beobachtet, während andere Metalle keinen Einfluss zeigten. Zirko-
nium war das erste Metall, für das eine Polymerisierung von Ethylen beobachtet wurde.
Weitere Untersuchungen mit Übergangsmetallen der 4., 5. und 6. Gruppe zeigten, dass mit
Titanverbindungen die wirksamsten Katalysatoren erhalten wurden. Mit einem aus Diethyla-
luminiumchlorid (Al(Et)2 Cl) und Titantetrachlorid (TiCl4 ) hergestellten Katalysator gelang
die Polymerisation von Ethylen bei Normaldruck und Raumtemperatur. Das dabei herge-
stellte Polyethylen unterscheidet sich wesentlich von dem mittels radikalischer Polymerisa-
tion erhaltenen. Das mit radikalischer Polymerisation hergestellte Hochdruckpolyethylen ist
aufgrund der Radikalübertragungsreaktionen zwischen den Polymerketten verzweigt. Man
erhält einen weichen Kunststoff mit einer vergleichsweise geringen Dichte, der sich z. B. für
die Darstellung von Plastiktüten eignet. Aus diesem Grund wird es auch als LD-Polyethylen
(LD = low-density = geringe Dichte) bezeichnet. Bei der Polymerisation mit den von Ziegler
und Mitarbeitern in Mühlheim entwickelten Mischkatalysatoren entstehen nahezu unver-
zweigte lineare Polymerketten. Das so hergestellte Polyethylen ist ein härterer, teilkristal-
liner Kunststoff mit höherer Dichte, aus dem Rohre und Behälter angefertigt werden kön-
nen. Dieser Kunststoff wird als HD-PE (HD = high density = hohe Dichte) bezeichnet. In
Abb. 13.6 ist der Unterschied zwischen den beiden Polymeren schematisch dargestellt. Für
266 13 Katalyse
Eine homogene Polymerisation von Ethylen gelingt mit Metallocenen als Katalysatoren. Die
Kombination von Dichloridobis(cyclopentadienyl)titan(IV) ([TiCl2 (cp)2 ]) und Triethylalu-
minium als Co-Katalysator ist ein homogenes Katalysatorsystem, allerdings mit geringer
Aktivität. Diese wird deutlich gesteigert, wenn anstelle von reinem Triethylaluminium bzw.
Trimethylaluminium MAO als Co-Katalysator eingesetzt wird. MAO steht für Methyla-
luminoxan. Diese Verbindung wird erhalten, wenn Trimethylaluminium mit Spuren von
Wasser versetzt wird. Dabei kommt es zur partiellen Hydrolyse der Aluminium-Kohlenstoff-
Bindung und es entstehen oligomere Strukturen, die linear, cyclisch oder käfigförmig sein
können. Nur wenige dieser Strukturen sind aktive Co-Katalysatoren, weswegen MAO im
großen Überschuss zugegeben werden muss. Seine Funktion ist es, den Katalysator zu
methylieren und in einem zweiten Schritt, aufgrund des Lewis-aciden Charakters des Alu-
miniums, ein Methylanion zu abstrahieren. Dabei entsteht, wie in Abb. 13.8 gezeigt, eine
kationische Spezies [Ti(cp)2 Me]+ , die als aktives Zentrum für den katalytischen Cyclus
diskutiert wird. Der endgültige Beweis, dass für den katalytischen Cyclus nur dieses Kation
benötigt wird, gelang durch die Isolierung des Salzes [Zr(cp)2 (Me)(THF)]+ BPh− 4 . Dieses
Kation mit dem nicht-koordinierenden Anion Tetraphenylborat ist auch ohne Aktivator ein
Polymerisationskatalysator.
Mit der Kenntnis des katalytisch aktiven Zentrums lässt sich nun der Katalysecyclus for-
mulieren, der für die heterogenen Ziegler-Natta-Katalysatoren und homogenen Metallocen-
Katalysatoren gleichermaßen gilt. Wie bei der Zieglerschen Aufbaureaktion findet eine sich
immer wieder wiederholende Insertion von Olefinen in die Metall-Kohlenstoff-Bindung
statt. Die Polymerkette wächst am Metallzentrum, weswegen man von einer koordinativen
Polymerisation spricht. Der Cyclus ist in Abb. 13.9 gegeben. In einem ersten Schritt (1 → 2)
koordiniert das Ethylen an die freie Koordinationsstelle am Katalysator. Es folgt die Insertion
des Olefins in die Metall-Kohlenstoff-Bindung (2 → 3). Diese Insertion erfolgt über einen
cyclischen Übergangszustand, bei dem zwischen dem Metallzentrum und einem Kohlen-
stoff des Ethylen eine Bindung ausgebildet wird. Gleichzeitig wird eine Bindung zwischen
Cl + 2 AlMe3 CH3
M M
Cl – 2 AlMe2Cl CH3
+ –
CH3 CH3
CH3 H3C
M + M +
Al Al
CH3 O O CH3 O O
MAO
M
R CH2 + H 2C CH2
CH2 R
1
CH2 + +
CH2
CH2
M M CH2
CH2
CH2
CH2 R
R
CH2
4 2
‡
CH2 + +
CH
+ H 2C CH2 2
CH2
CH
2
M M
CH2
R
3 Vierzentren-Übergangszustand
Abb. 13.9 Katalytischer Cyclus der Ethen-Polymerisation. Auf der rechten Seite ist der Vierzentren-
Übergangszustand gezeigt. Er bewirkt, dass die Polymerkette immer zwischen zwei Koordinations-
stellen am Metallzentrum wandert
dem zweiten Ethylen-Kohlenstoff und der Polymerkette ausgebildet. Dabei wird die Bin-
dung zwischen der Polymerkette und dem Metallzentrum gebrochen und eine neue freie
Koordinationsstelle entsteht. Die Polymerkette hat von 1 nach 3 die Seite gewechselt. Man
kann die Insertion des Olefins auch als eine syn-Addition der Metall-Kohlenstoff-Bindung
an die C-C-Doppelbindung vom Olefin beschreiben. Nun kann wieder ein Ethylen an die
freie Koordinationsstelle binden und nach Insertion des Olefins in die Metall-Kohlenstoff-
Bindung ist der Ausgangszustand wieder hergestellt.
13.2.4 Kettenabbruchreaktionen
In Analogie zu der Zieglerschen Aufbaureaktion finden auch bei der Polymerisation mit den
ZN-Katalysatoren Kettenabbruchreaktionen statt, allerdings erst nach einer deutlich höhe-
ren Anzahl von Insertionen. Eine mögliche Kettenabbruchreaktion ist – wie bei Zieglers
Aufbaureaktion – die β-H-Eliminierung. Bei dieser kann das β-H-Atom entweder auf das
Metall oder auf ein gerade an das Metall koordinierte Monomer übertragen werden. Bei
beiden Varianten erhält der gebildete Polymerstrang eine olefinische Endgruppe und der
Katalysator bleibt aktiv. Eine weitere Kettenabbruchreaktion ist die homolytische Spaltung
der Metall-Kohlenstoff-Bindung. Diese Variante führt zur Deaktivierung des Katalysators
und man erhält Polymerradikale, die im Verhältnis 1:1 olefinische und alkylische Endgrup-
13.3 Polypropylen 269
-H-Eliminierung
R
CH2
CH2 + + R
CH2 CH2
M CH2 M +
CH2 CH
CH2
CH3 CH2
R
CH2
CH2 + + R
CH2 CH2
M M +
H CH
CH2
Homolytische Spaltung
R
CH2
CH2 + + R R R
CH2 CH2 CH2 CH2
M M + 1/2 +
CH2 CH2 CH
CH2 CH3 CH2
pen liefern. Theoretisch ist auch eine α-H-Eliminierung denkbar. In Abb. 13.10 sind die
ersten beiden Varianten gezeigt.
Die Untersuchung von Metallocen-Katalysatoren für die Olefinpolymerisation hat dazu
beigetragen, geeignete Modelle für den Reaktionsmechanismus zu finden. Eine weitere
Besonderheit der Ziegler-Natta-Katalysatoren ist die Fähigkeit, Propen stereoselektiv zu
polymerisieren. Es wird nahezu ausschließlich isotaktisches Polypropylen erhalten. Dieses
Verhalten wird nur mit den ZN-Katalysatoren erhalten, nicht aber für die Metallocene. Damit
stellt sich die Frage, wie die Stereoselektivität erreicht wird.
13.3 Polypropylen
Mit dem Ziegler-Natta- und auch den Metallocen-Katalysatoren lässt sich nicht nur Ethy-
len polymerisieren, sondern es können auch längerkettige Olefine wie das Propen (auch
270 13 Katalyse
13.3.1 Regioselektivität
Im Gegensatz zu Ethen sind beim Propen die beiden C-Atome der Doppelbindung nicht
equivalent. Damit stellt sich bei einer Polymerisation die Frage, zwischen welchen Atomen
die neue Kohlenstoff-Kohlenstoff-Bindung geknüpft wird. Wird eine Verknüpfungsvariante
bevorzugt, dann spricht man von Regioselektivität. Von einer Kopf-Schwanz-Verknüpfung
spricht man, wenn die Bindung immer zwischen C1 und C2 (siehe Abb. 13.11) ausge-
bildet wird. Alternativ könnte eine immer alternierende Kopf-Kopf–Schwanz-Schwanz-
Verknüpfung (C1-C1–C2-C2, siehe Abb. 13.11) stattfinden. Beide Varianten sind regios-
elektiv. Ist die Verknüpfung willkürlich, wird keine Regioselektivität beobachtet.
Die Polymerisation mit Ziegler-Natta-Katalysatoren führt grundsätzlich zu einer regios-
elektiven 1-2-Verknüpfung (Kopf-Schwanz) vom Propen. Diesen Umstand kann man erklä-
ren, wenn man bedenkt, dass es sich um einen heterogenen Katalysator handelt und das die
Methylgruppe (C3) einen gewissen sterischen Anspruch hat. In Abb. 13.12 ist der Zusam-
menhang dargestellt. Dabei werden zwei Varianten unterschieden. Bei Variante (a) findet
ausschließlich eine [M]-C1-Bindungsknüpfung statt. Jedes weitere Propen-Molekül wird so
angelagert, dass die sterische Wechselwirkung zwischen der Methylgruppe und der Kata-
lysatoroberfläche möglichst gering ist. Bei Variante (b) erfolgt ausschließlich eine [M]-C2-
Bindungsknüpfung. Hier bewirkt der sterische Anspruch der Methylgruppe des direkt am
Metallzentrum koordinierten Kohlenstoffs, dass das nächste Propen sich mit der Methyl-
gruppe nach unten (zur Katalysatoroberfläche) anlagert, da sonst die sterische Abstoßung
zwischen den beiden Methlygruppen zu groß ist.
2 2 2 2 1 2
R‘ R‘
R R
1 1 1 2 1 2
13.3 Polypropylen 271
a P
H3C
Abb. 13.12 Schematische Darstellung des Mechanismus der regioselektiven Polymerisation von
Propen. Es findet entweder ausschließlich eine [M]-C1-Bindungsknüpfung (Variante a), oder eine
[M]-C2-Bindungsknüpfung (b) statt
13.3.2 Stereoselektivität
Propen ist prochiral. Das bedeutet, dass bei der Polymerisation von Propen ein chirales
Kohlenstoffatom entsteht. Ein chirales Kohlenstoffatom unterscheidet sich in allen vier
Substituenten. Für die in Abb. 13.13 abgebildeten Kohlenstoffketten trifft das immer auf
zwei Kohlenstoffatome zu, deren absolute Konfiguration mit (R) bzw. (S) nach der Cahn-
Ingold-Prelog-Konvention (kurz CIP) angegeben ist. Die absolute Konfiguration bestimmt
man, indem man die Substituenten nach ihrer Priorität ordnet. In unserem Fall korreliert die
Priorität mit der Anzahl der Kohlenstoffatome in der Kette des Substituenten. Das Molekül
wir nun so gedreht, dass der Substituent mit der niedrigsten Priorität (in unserem Fall der
Wasserstoff) nach hinten (unter die Bildebene) zeigt. Die restlichen Substituenten werden in
einer Kreisbewegung mit abnehmender Priorität verbunden. Wird diese Bewegung im Uhr-
zeigersinn durchgeführt, ist die absolute Konfiguration (R), entgegen dem Uhrzeigersinn
entspricht (S).
Bei Polypropen wird anstelle der absoluten Konfiguration die relative Konfiguration
angegeben. Diese basiert auf dem ersten chiralen Atom am linken Kettenende und ändert
sich nicht, solange das nächste chirale Atom die gleiche relative Konfiguration besitzt. Der
Unterschied lässt sich sehr gut am im Abb. 13.13 oben gezeigten isotaktischen Polypropen
veranschaulichen. Die absolute Konfiguration ist abhängig davon, auf welcher Seite des
Polymerstrangs das chirale Kohlenstoffatom ist. Die relative Konfiguration ist bei allen
chiralen Kohlenstoffatomen gleich, die Methylgruppe zeigt in der Fischer-Projektion immer
272 13 Katalyse
syndiotaktisch
CH3 H CH3 H CH3
(R) (S)
CH3 CH3 CH3 CH3 CH3
H CH3 H CH3 H
Abb. 13.13 Die regioselektive Polymerisation von Propen kann drei verschiedene Stereoisomere
liefern: isotaktisches, syndiotaktisches und ataktisches Polypropen. Die ataktische Polymerisation
verläuft ohne Stereoselektivität, während die beiden anderen Varianten stereoselektiv polymerisiert
werden. Die besten Materialeigenschaften besitzt isotaktisches Polypropen, das bei der Polymerisa-
tion mit Ziegler-Natta-Katalysatoren erhalten wird
nach oben. Damit lautet die relative Konfiguration der drei mittleren C-Atome basierend auf
dem ersten (linken) chiralen C-Atom S S S.
Die stereoselektive Polymerisation von Propen liefert ein isotaktisches oder syndio-
taktisches Polymer. Die erste Variante wird mit den Ziegler-Natta-Katalysatoren erhalten.
Die bisher vorgestellten Metallocen-Katalysatoren polymerisieren ohne Stereoselektivität.
Dabei wird ataktisches Polypropen erhalten, das bezogen auf die Materialeigenschaften am
wenigsten interessant ist.
Für die Stereoselektivität bei der Polymerisation von Propen ist es ausschlaggebend, ob
der Katalysator auf der Re-Seite oder der Si-Seite des Propens koordiniert. Der Zusam-
menhang ist in Abb. 13.14 gezeigt. Welche Seite Re bzw. Si ist, wird wieder mit der CIP-
Konvention bestimmt. Dabei muss darauf geachtet werden, dass die Doppelbindung die
höchste Priorität besitzt. Wie in Abb. 13.14 illustriert, führt der Angriff an der Re-Seite
zum S-Enantiomer, während der Angriff an der Si-Seite zum R-Enantiomer führt. Um iso-
taktisches Polypropen zu erhalten, muss das Propen immer mit der gleichen Seite an das
Übergangsmetall koordinieren, während für syndiotaktisches Polypropen die Seiten sich
alternierend abwechseln müssen.
H 3C H H CH3 H CH3
Re Si
CH2 CH2
P P
+ +
H H
[M] [M]
3
2 CH3 H 3C
P H H P
* (S) (R) *
[M] CH2 H 2C [M]
1
Abb. 13.14 Propen ist prochiral. In Abhängigkeit davon, ob der Angriff des Katalysators auf der
Re- bzw. Si-Seite erfolgt, hat das dabei entstehende chirale C-Atom S- bzw. R-Konfiguration. Bei der
Festlegung der Priorität nach der CIP-Konvention muss darauf geachtet werden, dass beim prochiralen
Propen die Doppelbindung und beim Produkt die Seitenkette mit Katalysator die höchste Priorität
hat
kommen der ansa-Metallocene. Ansa steht dabei für Henkel und bedeutet, dass die beiden
Cyclopentadienyl-Ringe über einen „Henkel“ miteinander verbunden sind. Drei Beispiele
für solche Präkatalysatoren sind in Abb. 13.15 gegeben. Je nach Substitutionsmuster an den
cp-Ringen kann die Stereoselektivität bei der Polymerisation von Propen eingestellt werden.
In Abb. 13.16 ist der Mechanismus für die Darstellung von isotaktischem und syndio-
taktischem Polypropen gegeben. Aufgrund der sterischen Abstoßung des Substituenten am
Cyclopentadienyl-Ring gibt es immer nur eine Variante, wie das eintretende Propen-Molekül
an den Katalysator koordinieren kann. Diese Erkenntnisse lassen sich nun auf die Ziegler-
X Zr X Zr X Zr
Zr Zr Zr
P P
Zr Zr Zr
P
isotaktisch
Zr Zr Zr
P P
P
syndiotaktisch
Abb. 13.16 Schematische Darstellung des Mechanismus der stereospezifischen Polymerisation von
Propen mit Metallocen-Katalysatoren
Natta-Katalysatoren übertragen und führen zu dem in Abb. 13.17 gegebenen Vorschlag für
die bevorzugte Koordination von Propen am aktiven Zentrum auf der Katalysatoroberfläche.
13.4 Photokatalyse
13.4.1 Grundlagen
Im Abschnitt zur Lumineszenz bei Komplexen haben wir bereits die mit Licht angeregten
elektronischen Zustände von Komplexen im Detail betrachtet. Neben der strahlungslosen
Deaktivierung oder der Emission von Licht gibt es eine dritte Möglichkeit, wozu dieser
Zustand genutzt werden kann: zur Realisierung von chemischen Reaktionen, die ohne Licht-
einstrahlung nicht stattfinden würden. Bevor wir uns dies im Detail ansehen, stellen wir uns
die Frage, was der Unterschied zwischen Photokatalyse und einer photochemischen Reak-
tion ist.
Bei einer photochemischen Reaktion ist Licht in Form von Photonen an der Reaktion
beteiligt. Die Photonen werden vor der Reaktion von einem der Reaktanten absorbiert, d. h.
während der Reaktion verbraucht. Dieser ursächliche Zusammenhang von Absorption und
Reaktion wurde schon von Grotthuss (1817) und ein weiteres Mal durch Draper (1842)
13.4 Photokatalyse 275
formuliert. Photonen selbst können also der Definition von Katalyse gemäß nicht kataly-
tisch wirken, da ein Katalysator nach der Reaktion wieder unverbraucht vorliegt. Das Licht
ist in diesem Fall kein Katalysator sondern ein Ausgangsstoff. Als Beispiel betrachten wir
folgende einfache Redox-Reaktion zwischen einem Akzeptormolekül A und einem Donor-
molekül D in Lösung:
A + D + hν → A* + D → A− + D+
In Abb. 13.18 sind die zur Reaktion gehörenden Energieschemata gezeigt. Die Aktivierungs-
energie für die Redoxreaktion zwischen A und B ist im Dunkeln sehr hoch, so dass unter
diesen Bedingungen die Reaktion nicht abläuft. Wenn A Licht der geeigneten Wellenlänge
absorbiert, erhalten wir den elektronisch angeregten Zustand A*. Hier wurde ein Elektron in
ein energiereicheres, häufig antibindendes, Molekülorbial (das LUMO) angeregt. Zusätzlich
verbleibt ein positives „Loch“ im bis dahin voll besetzten HOMO. Im elektronisch ange-
regten Zustand kann Verbindung A* das „energiereiche“ Elektron nun leichter abgeben und
wirkt dadurch als Reduktionsmittel. Gleichzeitig kann das „Loch“ ein Elektron aufnehmen.
A* kann also auch als Elektronenakzeptor, als Oxidationsmittel wirken. Beides widerspricht
sich nicht, A* ist im Vergleich zu A zugleich ein stärkeres Oxidations- und Reduktionsmittel.
In unserer Beispielreaktion fungiert A als Akzeptor und wird reduziert.
Wenn die Freie Enthalpie G 0 der Produkte A− und D+ nun höher liegt als die der Edukte A
und D, spricht man bei solchen Reaktionen auch von photochemischer Energiespeicherung
(siehe Abb. 13.18). Diese Bedingung ist zum Beispiel bei der Photosynthese erfüllt, wo die
0 0
E G G
A A*
LUMO starkes
RM h h
0
h G
0
starkes G
HOMO
OM – +
Kat – +
Abb. 13.18 Links: wenn ein Elektron mit Licht vom höchsten besetzten Molekülorbital (HOMO) ins
niedrigste unbesetzte Molekülorbital (LUMO) angeregt wird, dann hat dieser elektronisch angeregte
Zustand zugleich ein stärkeres Oxidationvermögen und Reduktionsvermögen. Mitte: Zwei mögliche
Energieprofile einer solchen photochemischen Reaktion. Ausgehend vom angeregten Zustand wird
ein anderer Reaktionsweg genommen als bei der thermischen Reaktion. Bei einigen photochemischen
Reaktionen ist die Energie der Produkte höher ist als die der Edukte (rote Kurve). Dann spricht man
auch von photochemischer Energiespeicherung, ein Beispiel hierfür ist die Photosynthese. Rechts:
Vergleich des Energieprofils einer katalysierten und einer photokatalysierten Reaktion
276 13 Katalyse
Produkte (Sauerstoff und Zucker) energiereicher sind als die Edukte (CO2 und H2 O). Ein
weiteres Beispiel wäre die Wasserspaltung zu Wasserstoff und Sauerstoff.
Der Begriff Photokatalyse wird in der Regel im Zusammenhang mit einem Photokataly-
sator verwendet. Dabei ist der Photokatalysator, PK, nicht Licht, sondern ein Stoffsystem,
das in Gegenwart von Licht den Zustand D-PK-A* mit induzierter Aktivität erzeugt. Kata-
lytisch aktiv ist somit der angeregte Zustand des Photokatalysators. Dies unterscheidet die
Photokatalyse grundsätzlich von thermischen Katalysatoren mit permanenter Aktivität. Die
Edukte absorbieren dabei normalerweise kein Licht:
hν
A + D −→ A− + D +
PK
Photokatalysatoren können Moleküle oder Komplexe sein, bei denen der angeregte Zustand
langlebig genug ist, um an Folgereaktionen teilzunehmen. In den meisten Fällen liegen
diese Photokatalysatoren gelöst mit den Ausgangsstoffen in der Reaktionsmischung vor, es
findet also eine homogene Katalyse statt. Als Photokatalysatoren können aber auch Halb-
leiter wie z. B. TiO2 , ZnO oder CdS für eine heterogene Photokatalyse eingesetzt werden.
In Abb. 13.19 sind beide Varianten vergleichend einander gegenübergestellt. Weitgehend
analog zu der Anregung eines Elektrons aus einem HOMO in ein LUMO bei molekularen
Systemen, wird im Halbleiter das Elektron aus dem Valenzband (VB) in das Leitungsband
(LB) angeregt. Auf diese Weise kommt es ebenfalls zu einer Elektron/Loch (bzw. Elek-
tron/Defektelektron) Paarbildung im elektronisch angeregten Zustand, und der Halbleiter
fungiert zugleich als gutes Oxidations- und Reduktionsmittel. Um für eine Umsetzung mit
gelösten und/oder adsorbierten Partnern zur Verfügung zu stehen, müssen die Elektronen
und die Defektelektronen zur Oberfläche des Halbleiters wandern, ein Vorgang der auch als
Exitonenwanderung bezeichnet wird. Es werden räumlich voneinander getrennte Ladun-
gen erzeugt. Bei den molekularen Systemen haben wir im Kapitel zur Lumineszenz schon
die Möglichkeit der strahlungslosen Deaktivierung für die Rückkehr des Systems in den
Grundzustand kennengelernt. Dieser Vorgang tritt immer als Alternative zur erwünschten
chemischen Folgereaktion auf. Bei Halbleitern tritt dieser Vorgang auch auf und wird als
Rekombination des Elektron/Loch-Paares bezeichnet. Diese Deaktivierung des elektronisch
angeregten Zustandes führt dazu, dass nicht jedes eingestrahlte Photon auch für eine che-
mische Reaktion verwendet wird. Die Effizienz einer photokatalytischen Reaktion kann
durch die photokatalytische Quantenausbeute bzw. die Quanteneffizienz/den Wirkungsgrad
angegeben werden.
Abschließend fragen wir uns noch, was der Unterschied zwischen einem Photokatalysator
und einem Photosensibilisator (PS) ist. Bei molekularen Systemen lässt sich diese Frage sehr
gut beantworten. Das in Abb. 13.19 auf der linken Seite gezeigte System ist ein Photokataly-
sator, der direkt an den Redoxschritten der chemischen Reaktion teilnimmt. Im angeregten
Zustand wird PK* zunächst vom Akzeptormolekül A zu PK+ oxidiert (alternativ kann PK*
vom Donor zu PK− reduziert werden), und dann in einem weiteren Schritt vom Donormo-
lekül D wieder zu PK reduziert. Durch die erneute Absorption eines Lichtquants wird der
13.4 Photokatalyse 277
+
PK A
D A
Reduktion
LB des Akzeptors
Oxidation Reduktion –
des des h A
D
Donors Akzeptors
Oxidation VB
+
PK PK* –
D A D
+ Halbleiter
h
Abb. 13.19 Links: Schematische Darstellung einer Redoxreaktion mit einem molekularen Photo-
katalysator (PK) in homogener Phase. Die Löschung vom angeregten Zustand PK* erfolgt unter
Elektronenabgabe an A. Der komplementäre Fall, die Löschung von PK* unter Elektronenaufnahme
von D, ist aber genauso möglich. Man nutzt beide Wege. Rechts: Schematische Darstellung eines
Halbleiter-Partikels als Photokatalysator für Redox-Reaktionen. Das Elektron und das Loch werden
hier als positive und negative Ladung dargestellt, die an die Partikeloberfläche wandert und dort für
Folgereaktionen zur Verfügung steht. Bei beiden Varianten führt nicht jedes absorbierte Photon zu
einer chemischen Folgereaktion. Der Grund dafür ist der als gestrichelte Linie eingezeichnete Pro-
zess, bei der das Molekül bzw. der Halbleiter wieder in den elektronischen Grundzustand zurück fällt,
ohne an einer Reaktion teilzunehmen. In beiden Fällen liegt der PK nach Reaktion unverändert vor
nächste Zyklus gestartet. Letztlich fungiert PK* als Redoxvermittler im Sinne eines Paares
von (Photo-)elektrolytischen Einelektronenprozessen. Bei einer photosensibilisierten Reak-
tion wird der Photosensibilisator PS durch Lichtanregung in den elektronisch angeregten
Zustand PS* überführt. Dieser angeregte Zustand kehrt wieder in den Grundzustand zurück,
wobei die Energie auf ein Antennenmolekül übertragen wird, das dann die Folgereaktionen
katalysiert. Ein schönes Beispiel hierfür aus der Natur ist der Lichtsammelkomplex bei der
Photosynthese, der das Sonnenlicht absorbiert und die Energie zum Reaktionszentrum der
Lichtreaktion der Photosynthese weiterleitet, wo dann die eigentliche Katalyse stattfindet.
Bei Halbleitern in der heterogenen Photokatalyse wird diese Diskussion Katalyse vs. Sen-
sibilisierung deutlich kontroverser geführt, da es schwierig ist zu zeigen, dass der Halbleiter
durch Oxidation oder Reduktion vorübergehend chemisch verändert wird. Man könnte auch
von einer durch Halbleiter sensibilisierten Photoreaktion sprechen. Noch komplexer wird
es, wenn nicht nur ein Halbleiter, sondern eine Kombination von Halbleiter und Edelmetall
(z. B. Gold-Partikel auf TiO2 ) als heterogener Katalysator zum Einsatz kommt. Im genannten
Beispiel könnte man davon ausgehen, dass TiO2 für die Absorption des Lichtes verantwort-
lich ist, während die eigentliche Katalyse am Gold-Partikel stattfindet. Damit wäre TiO2
der Photosensibilisator, oder auch der Absorber. Bei anderen Kompositmaterialien, zum
Beispiel der Kombination von zwei Halbleitern (TiO2 und CdS), wird die Zuordnung der
einzelnen Funktionen deutlich schwieriger. Im Rahmen dieses Buchkapitels bezeichnen wir
sowohl die molekularen Systeme, als auch die Halbleiter, die wie in Abb. 13.19 funktionie-
ren, als Photokatalysatoren. Bei Kompositmaterialien bezieht sich der Begriff häufig auf das
komplette Materialsystem.
278 13 Katalyse
Die Photosynthese ist das bekannteste Beispiel für eine von der Natur optimierte photoka-
talytische Reaktion. Wir betrachten im Folgenden nur die Lichtreaktion, die in den Chloro-
plasten aller grüner Pflanzen stattfindet. Der ganze Prozess ist stark vereinfacht schematisch
in Abb. 13.20 wiedergegeben. An der Lichtreaktion sind zwei Photosysteme beteiligt, die
nach der absorbierten Wellenlänge als P700 (Photosystem, PS I) und P680 (PS II) bezeichnet
werden. Im PS II findet die Wasseroxidation am sauerstofffreisetzenden Komplex (Oxygen
Evolving Complex, OEC) statt, während im PS I NADPH (NADP = Nicotinsäureamid-
Adenin-Dinukleotid-Phosphat, Hydrid-Ionen übertragendes Coenzym) gebildet wird. Die
beiden synchronisierten Anregungen müssen miteinander gekoppelt werden, weil für den
Redox-Prozess NADP+ zu NADPH ein Redoxpotential benötigt wird, das erst durch PS I
zur Verfügung gestellt werden kann. Die im Schema eingezeichneten Redoxmediatoren R
0
E
R3 NADPH
–
+
NADP
R3 +
ATP h
R2
R2
P700
h
R1 +
2
OEC
+ P680
R1 2
Abb. 13.20 Stark vereinfachtes Schema zum Mechanismus der Photosynthese. Die positiven Löcher
und die angeregten Elektronen der beiden Photosysteme (P680 und P700) werden über komplexe
Elektronentransferketten, hier abgekürzt als Redoxmediatoren Rn , zu den katalytisch aktiven Zentren
gebracht. Die vom P680 gebildeten Löcher werden zur Sauerstofferzeugung am Oxygen Evolving
Complex (OEC) verwendet. Die angeregten Elektronen vom P700 werden zur Speicherung von
Wasserstoff in Form von NADPH verwendet. Beim Übergang von PS II zu PS I wird zusätzlich noch
der Energieträger ATP gebildet
13.4 Photokatalyse 279
sind im biologischen System komplexe Elektronentransferketten, die über eine oder mehrere
Stufen eine schnelle Ladungstrennung ermöglichen. Beispiele für Komplexe, die in solchen
Elektronentransferketten zum Einsatz kommen, wurden im Kapitel zu Redoxreaktionen bei
Komplexen (blaue Kupferproteine) besprochen. Der Redoxmediator R2 ist das Bindeglied
zwischen den beiden Photosystemen. Bei der Kopplung wird etwas Energie freigesetzt, die
für die Synthese des biologischen Energieträgers ATP (Adenosintriphosphat) verwendet
wird. Die Produkte ATP und NADPH sind wichtige Ausgangsstoffe für die Dunkelreaktion,
bei der Kohlenstoffdioxid und Wasser unter Energieverbrauch (endergonisch) zu Kohlen-
hydraten umgesetzt werden, während der Sauerstoff als Nebenprodukt an die Umgebung
abgegeben wird.
Wir halten fest, dass die Photosynthese ein sehr komplexer Vorgang ist, bei dem viele
einzelne Schritte ineinander greifen, die genau aufeinander abgestimmt sind (räumliche Ori-
entierung, Redoxpotentiale). Trotzdem ist der Wirkungsgrad der Photosynthese mit 0,1-1 %
sehr niedrig, der größte Teil des adsorbierten Lichts wird nicht in chemische Energie umge-
wandelt. Die Natur löst dieses Problem durch die Masse an Blättern, welche die Pflanzen
bilden. Das funktioniert, weil bei allen Prozessen auf gut verfügbare Elemente, auch bei
den katalytisch aktiven Zentren, zurückgegriffen wird. Um möglichst viel Lichtenergie zu
absorbieren und einen breiten Wellenlängenbereich abzudecken, kommen zusätzlich Pho-
tosensibilisatoren (Chlorophylle, Carotinoide) in den Lichtsammelkomplexen zum Einsatz.
hν
2 H2 O −→ O2 + 4 H + + 4e−
Der ganze Vorgang wird durch gut verfügbare Elemente (Mangan und Kalzium) katalysiert.
Dementsprechend hoch ist das Interesse den ganzen Vorgang im Detail zu verstehen, um
die daraus gewonnenen Erkenntnisse auf künstliche Systeme zu übertragen. In Abb. 13.21
ist der katalytische Zyklus und die Struktur des Mn4 Ca-Clusters im OEC abgebildet.
Das PS II befindet sich in der Thylakoidmembran der Chloroplasten. Schon lange bevor
die Struktur des OEC aufgeklärt wurde, hat Kok 1970 ausgehend von einem Blitzlicht-
experiment ein Fünf-Zustände-Modell für die Wasseroxidation vorgeschlagen. Ausgehend
vom maximal reduzierten Zustand S0 wird in vier aufeinander folgenden 1e− /H+ -Schritten
der Cluster stufenweise oxidiert bis dann an dem am höchsten oxidierten Zustand S4 die
Sauerstofffreisetzung stattfindet. Eine sehr gut aufgeklärte Struktur vom OEC gibt es im S1 -
Zustand, der auch im Dunklen als Ruhezustand vorliegt und der Grundzustand des Systems
280 13 Katalyse
+
2
S0
III IV
Mn3 Mn – +
H2O h
S4 S1 Mn O
Mn2IIIMn2IV
O Ca
O Mn
– + h Mn O
h
O Mn
–
S2 e
S3
IV III IV
(Mn4 ) Mn Mn3
h
– + H2O
Abb. 13.21 Schematische Darstellung des katalytischen Zyklus im OEC und Struktur des Mn4 Ca-
Clusters im OEC, an dem die Sauerstoffentwicklung stattfindet. Die Zuordnung der Oxidationsstufen
bei S3 und S4 für die Magnan-Zentren ist noch nicht gesichert. Die angedeuteten weiteren Bindungen
werden durch Carboxylatgruppen von Aminosäuren, ein Histidin-Rest und durch Wasser/Hydroxido-
Liganden abgesättigt. Die zunehmend positiven Oxidationsstufen während des katalytischen Zykluses
werden durch die Deprotonierung von Liganden (zunehmende negative Ladung) stabilisiert. Die in
den Zyklus gemalten Anregungsschritte (hν) finden, wie in Abb. 13.20 gezeigt, nicht im Mangan-
cluster statt. Das katalytisch wirkende Agens ist hier ein Tyrosylradikal. Dieses wird durch Abfangen
des oxidierten Zustandes von PSII aus Tyrosinat erzeugt. Der Mediator R1 in Abb. 13.20 ist also ein
Tyrosylradikal
ist, siehe Abb. 13.21. Hier liegen zwei Mangan(III)- und zwei Mangan(IV)-Ionen jeweils in
einer oktaedrischen Koordinationsumgebung vor. Die beiden Oxidationsstufen lassen sich
aufgrund der starken Jahn-Teller-Verzerrung beim high-spin 3d4 -Ion Mn3+ (die vorrangige
Koordination von Schwachfeldliganden wie Carboxylat-Gruppen, Wasser und Hydroxid sta-
bilisiert den high-spin Zustand), im Vergleich zum nahezu nicht verzerrten 3d3 -Ion Mn4+ ,
gut zuordnen. Der Jahn-Teller-Effekt wurde bereits bei den blauen Kupferproteinen am
Beispiel vom 3d9 Kupfer(II)-Ion besprochen (Kap. 7), bei dem ein E-Zustand vorliegt. Das
Mangan(III)-Ion ist das zweite biologisch relevante Ion mit einer ausgeprägten Neigung
zur Jahn-Teller-Verzerrung, die wieder auf eine zweifache Entartung des Grundzustandes
zurückzuführen ist.
Die Strukturen der Zustände S0 und S2 sind auch noch weitgehend gesichert, die Struktur
und Oxidationsstufen von S3 werden noch in der Literatur diskutiert während die Struktur
von S4 , also dem am höchsten oxidierten Zustand wo die Sauerstoffentwicklung stattfindet,
noch nicht gesichert ist. Dementsprechend sind die Fragen wann (S3 und S4 oder nur S4 ),
wo (zwei Mn oder ein Mn und das Ca) und wie die beiden Wassermoleküle binden und wie
der Sauerstoff gebildet wird noch ungeklärt und Gegenstand der aktuellen Forschung.
13.4 Photokatalyse 281
Die photokatalytische Wasserspaltung ist quasi das künstliche Analogon zur Photosynthese
und die am meisten untersuchte Reaktion zur Speicherung solarer Energie in Brennstoff.
Wasserstoff als grüner Energieträger aus der Wasserspaltung ist eine hoch attraktive Basis-
chemikalie. Mit solarem Wasserstoff können Brennstoffzellen betrieben werden, er kann als
Ersatz für Wasserstoff aus fossilen Brennstoffen für eine Vielzahl großtechnischer chemi-
scher Umwandlungen (Ammoniak-Darstellung, Reduktion Eisenoxiden mit H2 als Alter-
native zum Hochofenprozess) verwendet werden. Damit ist das Ziel der Forschung zur
photokatalytischen Wasserspaltung nicht nur die Modellierung des PS II, sondern vor allem
die Entwicklung einer technisch wirksamen Katalyse für die Energiespeicherung. Wenn man
das komplexe Zusammenspiel von mehreren Komponenten bei der Photosynthese bedenkt,
ist es nicht überraschend, dass die photokatalytische Wasserspaltung auch nur mit gekop-
pelten Systemen funktioniert. Im Folgenden werden zwei Beispiele kurz vorgestellt.
Eines der ersten Beispiele für eine vollständige Wasserspaltung ist in Abb. 13.22 oben
gegeben. Der Photokatalysator ist [Ru(bipy)3 ]2+ , dessen Photochemie (und -physik) wir
schon ausführlich bei der Lumineszenz der Komplexe (Kap. 11) besprochen haben. Als
Redoxmediator für die schnelle Ladungstrennung, ähnlich zu den Elektronentransferketten
im biologischen System, dient Methylviologen, die chemische Formel ist in der Abbildung
gegeben. Für die Wasseroxidation wird Ruthenium(IV)oxid als Katalysator verwendet und
für die Wasserstoffentwicklung kommen kolloidal verteilte Platin-Nanopartikel zum Ein-
satz. Der Wirkungsgrad für die vollständige Wasserspaltung (Wasserphotolyse) liegt bei
dieser Reaktion bei 10−4 %, also noch einmal deutlich niedriger als bei der Photosynthese.
[98] Wenn ein Opfer-Donor (sacrificial Donor) wie z. B. Triethanolamin oder EDTA an die
Stelle des Wassers tritt und irreversibel oxidiert wird, erhöht sich die Effizenz auf 20 %
(Quantenausbeute, umgesetzte Moleküle pro absorbierte Lichtquanten) für die Wasserstoff-
entwicklung. [99] Eine für die praktische Anwendung sehr relevante hohe Zyklenzahl wurde
bei beiden Beispielen noch nicht erreicht. Sie setzt eine hohe chemische und photochemische
Stabilität aller beteiligten katalytischen Komponenten voraus.
In einem sehr aktuellen Beispiel werden Platin-Nanopartikel und molekulare Ruthenium-
Katalysatoren auf CdS Nanostäbchen angebracht. Auf diese Weise sind alle beteiligten Kom-
ponenten in räumlicher Nähe zueinander fixiert. Das CdS dient als Halbleiter als Absor-
ber von Licht im sichtbaren Bereich und bewirkt die primäre Ladungstrennung. Die Pt-
Nanopartikel an den Stäbchenenden katalysieren, analog zum vorhergehenden Beispiel, die
Wasserstoffentwicklung (Reduktion) mit einer Quanteneffizienz von bis zu 4,9 %. Die Sauer-
stoffentwicklung wird von einem molekularen Katalysator, dem Komplex [Ru(tpy)(bpy)Cl],
der über geeignete Ankergruppen auf den Flächen der Nanostäbchen fixiert wurde (siehe
Abb. 13.22 unten) katalysiert. Bei diesem Teilschritt ist die Quanteneffizienz mit bis zu
0,27 % deutlich niedriger, die Gründe hierfür haben wir beim OEC schon diskutiert. [100]
Das Beispiel zeigt, dass durch das gezielte Design von Kompositmaterialien die künstliche
Photosynthese mit durchaus vergleichbarer, oder sogar besserer Effizienz möglich ist.
282 13 Katalyse
+
2 PK MV 2
N
N 2+ N
Ru H3C N N CH3 Pt
N N
RuO2 N
PK PK*
+ –
2
h MV 2
S
Pt [RuL] + S
2
2
N
2 N N N
–
Cd [RuL] N
2
S Ru O
N
[RuL] Cl N
S
N N
Pt S
O
Abb. 13.22 Oben: Beispiel für eines der ersten Systeme für eine vollständige photokatalytische
Wasserspaltung, das aus mehreren einzelnen Komponenten besteht. Unten: Aktuelles Beispiel für
ein Komposit-Material bestehend aus CdS-Nanostäbchen, die mit Platin-Nanopartikeln und einen
Ruthenium-Komplex dekoriert wurden, mit dem die vollständige Wasserspaltung mit sichtbaren Licht
realisiert werden kann
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Stichwortverzeichnis
A Bindungsverhältnisse, 9, 10, 43
Addition, oxidative, 46 Biolumineszenz, 216
π -Akzeptor, 72, 73 Bioverfügbarkeit, 249, 250
Alfol-Prozess, 263 Blitzlichtexperiment, 279
Ampholyt, 10 Blutlaugensalz, 41
ansa-Metallocene, 273 Borane, 165
Antiferromagnetismus, 182, 185 Brønsted-Säure, 10, 96
Apoenzym, 247 Brückenligand, 21, 195
Aufbau-Reaktion, 261
Außensphären-Komplex, 58
C
Ausschlussprinzip. siehe Pauli-Prinzip
Carbeninsertion, 48
Auswahlregeln, 81, 82, 84
Carbonylkomplexe, 154, 166
Symetrie, 92
CGS-System, 170
Charge-Transfer-Übergang, 82, 84, 85, 216
B Chelat-Effekt, 103
Bahndrehimpulsquantenzahl. siehe Nebenquan- Chelatkomplex, 103
tenzahl Chelatligand, 26, 103
Bahnmoment, Auslöschung, 179, 180 Chelattherapie, 107
Bändermodell, 188 Chemie, supramolekulare, 133
Bayer-Verfahren, 2, 40, 96 Chemilumineszenz, 216
Berliner Blau, 3, 38 CIP-Konvention, 271
Berry-Pseudorotation, 31 cis-trans-Isomerie, 33
Bethe-Slater-Kurve, 190 Cisplatin, 112
Bindung Clusterkomplex, 153, 161, 165
δ-Bindung, 158, 159 Struktur, 162, 168
ionische, 9 Cobalamine, 247
koordinative, 9, 11 Methylierung, 255
kovalente, 9 Modellverbindungen, 256
Bindungsordnung, 159 Mutase-Aktivität, 253
Bindungsspaltung Radikalerzeugung, 253
heterolytische, 11, 251 Struktur, 251
homolytische, 11, 251 Cobaltamminkomplexe, 4–6
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B. Weber, Koordinationschemie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-63819-4
288 Stichwortverzeichnis
P R
Paramagnetismus, 172, 173, 175 Racah-Parameter, 87–89
Curie, 189 Radiotherapie, 109
temperaturunabhängig, 189 Reaktion, photochemische, 274
Parität, 83, 222 Redox-Kreuzreaktion, 124
Pascal-Konstanten, 174 Redoxreaktion, 119
Pauli-Prinzip, 52, 82 Außensphären-Mechanismus, 119, 120
Pearson-Prinzip. siehe HSAB-Prinzip Innensphären-Mechanismus, 119, 120, 125
Pentacarbonyleisen, 40 Schwingungs-Barriere, 121
Permanentmagnet, 169 Selbst-Austausch-Prozess, 119
Permeabilität. siehe Feldkonstante, magnetische Solvations-Barriere, 124
Phosphoreszenz, 218, 223 Regel von Kasha, 217
Ruthenium, 223, 224 Reihe, spektrochemische, 64, 66, 81
Chrom(III), 228 Rekombination, 215
Platin(II), 230 π -Rückbindung, 73, 74, 240
Photokatalysator, 276 Russel-Saunders-Kopplung. siehe Spin-Bahn-
Photokatalyse Kopplung
Halbleiter, 277
heterogen, 277
homogen, 276 S
Wasserspaltung, 281 Salzisomerie, 33
Photolumineszenz, 216 Sandwich-Struktur, 39
Photosensibilisator, 276 Sauerstoffkomplex, 240
Photosynthese, 275, 278 Sauerstofftransport, 238, 241
Lichtreaktion, 278 Säurestärke
Picket-Fence-Porphyrin, 246 Brønsted, 96
Polarisation, magnetische. siehe Magnetisierung Lewis, 97
Polyethylen, 265 Schwingungsprogression, 222
Polymerisation Schwingungsrelaxation, 218, 221
Hochdruckverfahren, 260 Selbstorganisation, 135, 142
Niederdruckverfahren, 265 Siderophor, 108
292 Stichwortverzeichnis
Spalt-Term, 89, 91 U
Spaltung, reduktive, 48 Übergang, elektronischer, 80, 216
Spektrum, optisches, 79 Intensität, 82
Spiegelbildisomere, 34 Übermolekül, 133, 135
Spin-Bahn-Kopplung, 176 Umwandlung, innere, 218
Spin-Crossover, 202
Absorptionsspektrum, 88
Druckabhängigkeit, 207 V
Valenz-Bindungs-Theorie, 51, 58, 60
Hysterese, 210–212
Valenzelektronen, 54
Koordinationszahl, 202, 203
18-Valenzelektronen-Regel, 40, 42
Ligandenfeldaufspaltung, 204
Valenzelektronenzahl, 42, 43
Potentialkurven, 204
Verbindung
Temperaturabhängigkeit, 205, 206
elementorganische, 38
Verbindung, 87 isoelektronische, 10
Spinpaarungsenergie, 65, 67 metallorganische, 17, 37
Spinquantenzahl, magnetische, 53, 176 organometallische, 37
Spinübergang. siehe Spin-Crossover Verdrängungsreaktion, 262
Spinverbot, 82, 83 Verschiebung, bathochrome, 231
Stereoisomer, 33 Vierfachbindung, 159
Stokes-Shift, 219 Violosalz, 8
Superparamagnetismus, 183, 201 Vitamin B12 , 247
Suszeptibilität, 172, 173
diamagnetische, 174
W
Wade-Mingos-Regeln, 166
Wade-Regeln, 165
T
Wechselwirkung, agostische, 47
Tanabe-Sugano-Diagramm, 89, 90, 228
Weichmagnet, 169
Template
Weiss-Konstante, 181
Effekt, 136
Weisssche Bezirke, 201
Gleichgewicht, 138
Werner Koordinationstheorie, 8
kinetisches, 138 Werner, Alfred, 8
Term, 56, 89 Wilsonsche Krankheit, 108
Termsymbol, 55–57, 90
Molekül, 239
Tetracarbonylnickel, 41 Z
Titration, komplexometrische, 106 Zeisesches Salz, 39
trans-Effekt, 111, 112 Ziegler-Natta-Katalysatoren, 266
Turnbulls Blau. siehe Berliner Blau Zähnigkeit, 25