Anorganische Strukturchemie - 6.auflage - U. Müller
Anorganische Strukturchemie - 6.auflage - U. Müller
Anorganische Strukturchemie - 6.auflage - U. Müller
Anorganische Strukturchemie
Ulrich Müller
Anorganische
Strukturchemie
6., aktualisierte Auflage
STUDIUM
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Dieses Buch wurde 1992 mit dem Literaturpreis des Fonds der Chemischen Industrie ausge-
zeichnet.
Zahlreiche Abbildungen wurden mit den Programmen ATOMS von E. Dowty und DIAMOND von K.
Brandenburg erstellt.
Die englische Übersetzung „Inorganic Structural Chemistry, 2nd ed.“ ist erschienen bei J. Wiley
& Sons, Chichester – New York – Brisbane – Toronto – Singapore, 2006
1. Auflage 1991
6., aktualisierte Auflage 2008
Alle Rechte vorbehalten
© Vieweg+Teubner |GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2008
Lektorat: Ulrich Sandten | Kerstin Hoffmann
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daher von jedermann benutzt werden dürften.
Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg
Druck und buchbinderische Verarbeitung: Strauss Offsetdruck, Mörlenbach
Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier.
Printed in Germany
ISBN 978-3-8348-0626-0
Vorwort
Angesichts des immer mehr anwachsenden Kenntnisstands auf allen naturwis-
senschaftlichen Gebieten erscheint es unumgänglich, die Wissensvermittlung
auf generelle Prinzipien und Gesetzmäßigkeiten zu konzentrieren und Einzel-
daten auf wichtige Beispiele zu beschränken. Ein Lehrbuch soll einen ange-
messenen, dem Studierenden zumutbaren Umfang haben, ohne wesentliche
Aspekte eines Fachgebiets zu vernachlässigen, es soll traditionelles Grundwis-
sen ebenso wie moderne Entwicklungen berücksichtigen. Diese Einführung
macht den Versuch, die Anorganische Strukturchemie in diesem Sinne dar-
zubieten. Dabei sind Kompromisse unvermeidbar, manche Teilgebiete werden
kürzer, andere vielleicht auch länger geraten sein, als es dem einen oder ande-
ren Fachkollegen angemessen erscheinen mag.
Chemiker denken überwiegend in anschaulichen Modellen, sie wollen
Strukturen und Bindungen sehen“. Die moderne Bindungstheorie hat sich ih-
”
ren Platz in der Chemie erobert, sie wird in Kapitel 10 gewürdigt; mit ihren
aufwendigen Rechnungen entspricht sie aber mehr der Denkweise des Physi-
kers. Für den Alltagsgebrauch des Chemikers sind einfache Modelle, so wie
sie in den Kapiteln 8, 9 und 13 behandelt werden, nützlicher: Der Bauer, der
”
zu Lebzeiten ernten will, kann nicht auf die ab-initio-Theorie des Wetters war-
ten. Chemiker, wie Bauern, glauben an Regeln, verstehen aber diese listig nach
Bedarf zu deuten“ (H.G. von Schnering [127]).
Das Buch richtet sich in erster Linie an fortgeschrittene Studenten der Che-
mie. Chemische Grundkenntnisse zum Atombau, zur chemischen Bindung und
zu strukturellen Aspekten werden vorausgesetzt. Teile des Textes gehen auf ei-
ne Vorlesung über Anorganische Kristallchemie von Prof. Dr. H. Bärnighau-
sen an der Universität Karlsruhe zurück. Ihm danke ich für die Genehmigung,
seine Vorlesung zu verwerten sowie für viele Anregungen. Für Diskussionen
und Anregungen danke ich auch den Herren Prof. Dr. D. Babel, Prof. Dr. K.
Dehnicke, Prof. Dr. C. Elschenbroich, Prof. Dr. D. Reinen und Prof. Dr. G.
Weiser. Herrn Prof. Dr. T. Fässler danke ich für die Überlassung von Bildern
zur Elektronen-Lokalisierungs-Funktion und für die Durchsicht des zugehöri-
gen Textabschnitts. Frau Prof. Dr. S. Schlecht danke ich für die Überlassung
von Bildern und für die Durchsicht des Kapitels über Nanostrukturen.
In der vorliegenden 6. Auflage wurde der Text der erst vor zwei Jahren er-
schienenen 5. Auflage weitgehend unverändert gelassen. In der 5. Auflage wa-
ren viele neue Erkenntnisse berücksichtigt worden, zum Beispiel neu entdeckte
4
7 Ionenverbindungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82
7.1 Radienquotienten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82
7.2 Ternäre Ionenverbindungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87
7.3 Verbindungen mit komplexen Ionen . . . . . . . . . . . . . . 88
7.4 Die Regeln von Pauling und Baur . . . . . . . . . . . . . . . 90
7.5 Übungsaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95
8 Molekülstrukturen I: Verbindungen der Hauptgruppenelemente 97
8.1 Valenzelektronenpaar-Abstoßung . . . . . . . . . . . . . . . . 98
8.2 Strukturen bei fünf Valenzelektronenpaaren . . . . . . . . . . 109
8.3 Übungsaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111
9 Molekülstrukturen II:
Verbindungen der Nebengruppenelemente . . . . . . . . . 112
9.1 Ligandenfeldtheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112
9.2 Koordinationspolyeder bei Nebengruppenelementen . . . . . . 122
9.3 Isomerie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124
9.4 Übungsaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127
10 Molekülorbital-Theorie und chemische Bindung in Festkörpern 128
10.1 Molekülorbitale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128
10.2 Hybridisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130
10.3 Die Elektronen-Lokalisierungs-Funktion . . . . . . . . . . . . 133
10.4 Bändertheorie. Die lineare Kette aus Wasserstoffatomen . . . . 134
10.5 Die Peierls-Verzerrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139
10.6 Kristall-Orbital-Überlappungspopulation (COOP) . . . . . . . 144
10.7 Bindungen in zwei und drei Dimensionen . . . . . . . . . . . 148
10.8 Bindung in Metallen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151
10.9 Übungsaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152
11 Die Elementstrukturen der Nichtmetalle . . . . . . . . . . . . . 153
11.1 Wasserstoff und Halogene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153
11.2 Chalkogene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155
11.3 Elemente der fünften Hauptgruppe . . . . . . . . . . . . . . . 160
11.4 Elemente der fünften und sechsten Hauptgruppe unter Druck . 164
11.5 Kohlenstoff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168
11.6 Bor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173
INHALTSVERZEICHNIS 7
1 Einleitung
Die Lehre vom räumlichen Aufbau chemischer Verbindungen nennen wir
Strukturchemie oder Stereochemie, wobei der letztere Terminus mehr im Zu-
sammenhang mit dem Aufbau von Molekülen verwendet wird. Die Struktur-
chemie befaßt sich mit der Ermittlung und Beschreibung der Anordnung, wel-
che die Atome einer Verbindung relativ zueinander im Raum einnehmen, mit
der Erklärung der Ursachen, die zu dieser Anordnung führen, und mit den Ei-
genschaften, die sich daraus ergeben. Dazu gehört auch die systematische Ord-
nung der aufgefundenen Strukturtypen und das Aufzeigen von Verwandtschaf-
ten unter ihnen.
Sowohl in theoretischer wie in praktischer Hinsicht ist die Strukturchemie
ein essentieller Bestandteil der modernen Chemie. Erst die Kenntnis über den
Aufbau der beteiligten Stoffe ermöglicht ein Verständnis für die Vorgänge
während einer chemischen Reaktion und gestattet es, gezielte Versuche zur
Synthese neuer Verbindungen zu machen. Nur mit Kenntnis ihrer Struktur las-
sen sich die chemischen und physikalischen Eigenschaften einer Substanz deu-
ten. Wie groß der Einfluß der Struktur auf die Eigenschaften eines Stoffes sein
kann, illustriert der Vergleich von Graphit und Diamant, die beide nur aus Koh-
lenstoff bestehen und sich trotzdem physikalisch und chemisch wesentlich von-
einander unterscheiden.
Die wichtigste experimentelle Aufgabe der Strukturchemie ist die Struk-
turaufklärung. Sie wird vor allem durch Röntgenbeugung an Einkristallen
durchgeführt, außerdem durch Röntgenbeugung an Kristallpulvern und durch
Neutronenbeugung an Einkristallen und Pulvern. Die Strukturaufklärung ist
der analytische Aspekt der Strukturchemie; sie führt in erster Linie zu stati-
schen Modellen. Die Ermittlung der räumlichen Lageveränderung von Atomen
während einer chemischen Reaktion ist experimentell viel schlechter zugäng-
lich. Dieser strukturchemische Aspekt wird in der Molekülchemie unter der
Bezeichnung Reaktionsmechanismen diskutiert. Die Topotaxie befaßt sich mit
chemischen Reaktionsabläufen in Festkörpern, bei denen zwischen der Orien-
tierung von Edukten und Produkten ein struktureller Zusammenhang besteht.
Solche strukturdynamischen Aspekte sind nicht Gegenstand dieses Buches,
ebensowenig wie die experimentellen Methoden, um Festkörper herzustellen,
um Kristalle zu züchten oder um Strukturen aufzuklären.
Kristalle zeichnen sich durch die regelmäßige, periodische Ordnung ihrer
Bestandteile aus. Wenn wir im folgenden dieser Ordnung viel Aufmerksam-
10 1 EINLEITUNG
keit widmen, so mag der falsche Eindruck entstehen, die Ordnung sei perfekt.
Tatsächlich weist ein realer Kristall viele Baufehler auf, und zwar um so mehr,
je höher die Temperatur ist. Atome können fehlen oder falsch plaziert sein, es
können Versetzungen und anderes mehr auftreten. Die Baufehler können er-
heblichen Einfluß auf die physikalischen Eigenschaften haben und deshalb für
technische Anwendungen bedeutsam sein.
11
Cl Cl
Cl Cl Cl
U U
Cl Cl Cl
a Cl Cl b
c d
gibt sich e.c.n. = 4,65. Das Verfahren hilft nicht weiter, wenn keine klare
Lücke erkennbar ist. Mathematisch eindeutig ist das Verfahren der Wirkungs-
bereiche (VORONOI-Polyeder, W IGNER -S EITZ-Zelle). Unter dem Wirkungs-
bereich versteht man das Polyeder, das aus den mittelsenkrechten Ebenen auf
alle Verbindungslinien vom Zentralatom zu den umgebenden Atomen gebildet
wird. Jedem umgebenden Atom ist so eine Ebene zugeordnet, deren Fläche als
Maß für die Gewichtung dient; der größten Fläche wird ein Beitrag von 1 zur
Koordinationszahl zugeordnet. Eine weitere Formel ist:
ECoN = ∑i exp[1 − (di /d1 )n ]
n = 5 oder 6
di = Abstand zum i-ten Atom
d1 = kürzester Abstand oder d1 = fiktiver Bezugsabstand
Mit ihr ergibt sich zum Beispiel für weißes Zinn ECoN = 6,5, für Antimon
ECoN = 4,7.
Auch die Bindungsbeziehung zwischen den benachbarten Atomen ist zu
bedenken. So beträgt zum Beispiel die Koordinationszahl eines Chloratoms
im CCl4 -Molekül 1, wenn man als nächstes Nachbaratom nur das kovalent
gebundene C-Atom gelten läßt, jedoch 4 (1 C + 3 Cl), wenn alle Atome in
”
Berührung“ gezählt werden. Bei Molekülverbindungen wird man geneigt sein,
nur kovalent gebundene Atome als koordinierte Atome zu zählen. Bei Ionen-
kristallen aus einatomigen Ionen werden üblicherweise nur die nächsten An-
ionen um ein Kation und die nächsten Kationen um ein Anion gezählt, auch
wenn Anionen mit Anionen oder Kationen mit Kationen in Kontakt sind. Nach
dieser Zählweise hat ein I− -Ion im LiI (NaCl-Typ) die Koordinationszahl 6;
sie beträgt dagegen 18, wenn man die 12 I− -Ionen mitzählt, mit denen es
ebenfalls in Kontakt ist. In Zweifelsfällen sollte man genau angeben, wie die
Koordinationsangabe gemeint ist.
Denkt man sich die Mittelpunkte der koordinierten Atome durch Linien
verbunden, so kommt man zum Koordinationspolyeder. Für jede Koordina-
tionszahl gibt es typische Koordinationspolyeder (Abb. 2.2). Manche der ver-
schiedenen Koordinationspolyeder für eine bestimmte Koordinationszahl un-
terscheiden sich nur wenig voneinander, auch wenn dies auf den ersten Blick
nicht immer ersichtlich ist; durch geringe Verrückungen der Atome kann ei-
nes in das andere überführt werden. Durch relativ kleine Bewegungen von vier
koordinierten Atomen kann zum Beispiel eine trigonale Bipyramide in eine
tetragonale Pyramide verwandelt werden (Abb. 8.2, S. 111).
2.1 Koordinationszahl und Koordinationspolyeder 15
2: lineare Anordnung
[2l]
Abb. 2.2: Die wichtigsten Koordinationspolyeder und ihre Symbole; zur Bedeutung der
Symbole siehe Seite 17
16 2 BESCHREIBUNG CHEMISCHER STRUKTUREN
c Sb2 F−
11 d W2 Cl3−
9
Abb. 2.3: Beispiele für die Verknüpfung von Polyedern. a Zwei eckenverknüpfte Te-
traeder. b Zwei kantenverknüpfte Tetraeder. c Zwei eckenverknüpfte Oktaeder. d Zwei
flächenverknüpfte Oktaeder. Zwei kantenverknüpfte Oktaeder siehe Abb. 2.1
Für kompliziertere Fälle gibt es eine erweiterte Schreibweise, bei der die
Koordination eines Atoms in der Art A[m,n;p] angegeben wird. Für m, n und p
sind die Polyedersymbole zu setzen, und zwar für die Polyeder, die von den
Atomen B, C. . . aufgespannt werden, in der Reihenfolge wie in der chemi-
schen Formel Aa Bb Cc . Das Symbol nach dem Semikolon bezieht sich auf die
Koordination des Atoms A mit A-Atomen. Beispiel Perowskit:
[4l,2l;8p]
Ca[,12co] Ti[,6o] O3 (vgl. Abb. 17.10, S. 295)
Ca ist nicht direkt von Ti umgeben, aber von 12 O-Atomen in einem Kubok-
taeder; Ti ist nicht direkt von Ca umgeben, aber von 6 O-Atomen in einem
Oktaeder; O ist planar (quadratisch) von vier Ca-, linear von 2 Ti- und prisma-
tisch von 8 O-Atomen umgeben.
Außer den in Abb. 2.2 aufgeführten Polyedersymbolen können nach Bedarf
weitere Symbole konstruiert werden. Die Buchstaben haben folgende Bedeu-
tung:
l collinear t tetraedrisch do dodekaedrisch
oder coplanar s quadratisch co kuboktaedrisch
n nicht collinear o oktaedrisch i ikosaedrisch
oder coplanar p prismatisch c überkappt
y pyramidal cb kubisch a anti-
by bipyramidal FK Frank-Kasper-Polyeder (Abb. 15.5)
Beispiele: [3n] = drei nicht mit dem Zentralatom koplanare Atome wie im
NH3 ; [12p] = hexagonales Prisma. Werden einsame Elektronenpaare als Po-
lyederecken mitgezählt, kann eine Bezeichnung folgender Art verwendet wer-
den: [ψ − 4t] (gleichbedeutend mit [3n]), [ψ − 6o] (gleichbedeutend mit [5y]),
[2ψ − 6o] (gleichbedeutend mit [4l]).
Sind die Koordinationspolyeder zu Ketten, Schichten oder einem Raumnetz
verknüpft, so kann dies durch das vorgestellte Symbol 1∞ , 2∞ bzw. 3∞ zum Aus-
druck gebracht werden. Beispiele:
3 Na[6] Cl[6] 3 Ti[o] O[3l] 2 C[3l] (Graphit)
∞ ∞ 2 ∞
➤
ter. Eine Elementar-
b
zelle ist hervorgeho- ➤
➤
ben a
der Atome nennen wir die Kristallstruktur. Denken wir uns die sich periodisch
wiederholenden Atome einer Sorte in drei Raumrichtungen zu einem dreidi-
mensionalen Gitter verbunden, so kommen wir zum Kristallgitter. Das Kri-
stallgitter repräsentiert eine dreidimensionale Anordnung von Punkten; alle
Punkte des Gitters sind völlig gleichartig und haben die gleiche Umgebung.
Man kann sich das Kristallgitter aufgebaut denken, indem ein kleines Par-
allelepiped∗ dreidimensional beliebig oft lückenlos aneinandergereiht wird
(Abb. 2.4). Das Parallelepiped nennen wir Elementarzelle.
Die Elementarzelle können wir uns durch drei Basisvektoren aufgespannt
denken, die wir mit a, b und c bezeichnen. Das Kristallgitter ist definiert als
die Gesamtheit der Linearkombinationen t = ua + vb + wc mit u, v, w beliebig
ganzzahlig positiv oder negativ. Das Kristallgitter ist also eine rein geometri-
sche Konstruktion, und die Begriffe ,Kristallgitter‘ und ,Kristallstruktur‘ soll-
ten nicht verwechselt werden. Jeder beliebige Vektor t ist ein Translationsvek-
tor. Durch Translation, d. h. durch parallele Verschiebung der Gesamtstruktur
um t, kommt die Struktur mit sich zur Deckung; der Kristall hat Translations-
symmetrie (näheres dazu in Abschn. 3.1). Die Längen a, b und c der Basisvek-
toren sowie die Winkel α , β und γ zwischen ihnen sind die Gitterparameter
(oder Gitterkonstanten; α zwischen b und c usw.). Es ist nicht von vornherein
eindeutig, wie die Elementarzelle für eine gegebene Kristallstruktur zu wählen
ist. Dies wird in Abb. 2.5 an einem zweidimensionalen Beispiel illustriert. Um
Einheitlichkeit bei der Beschreibung von Kristallstrukturen zu erzielen, hat
man sich in der Kristallographie auf bestimmte Konventionen zur Wahl der
Elementarzelle geeinigt:
∗ Parallelepiped = Raumkörper, der von sechs Flächen begrenzt wird, die paarweise parallel
zueinander sind.
20 2 BESCHREIBUNG CHEMISCHER STRUKTUREN
A X A X A X A X A X A X A X
A X A X A X A X A X A X
A X A X A X A X A X A X A X
A X A X A X A X A X A X
A X A X A X A X A X A X A X
A X A X A X A X A X A X
Abb. 2.5: Periodische, zweidimensionale Anordnung von A- und X-Atomen. Durch
wiederholtes Aneinanderreihen von irgendeiner der eingezeichneten Elementarzellen
kann das gesamte Muster erzeugt werden.
3. Die Basisvektoren sollen möglichst kurz sein. Das bedeutet zugleich: das
Zellvolumen soll möglichst klein sein, und die Winkel zwischen den Basis-
vektoren sollen möglichst nahe bei 90◦ liegen.
4. Soweit die Winkel zwischen den Basisvektoren von 90◦ abweichen, sollen
sie entweder alle größer oder alle kleiner als 90◦ sein (vorzugsweise > 90◦ ).
Eine Elementarzelle mit dem kleinst-
primitive Zelle zentrierte Zelle
möglichen Volumen nennt man eine pri- ? ?
mitive Zelle. Aus Gründen der Symme-
trie gemäß Regel 1 wählt man im Wi-
derspruch zu Regel 3 nicht immer eine
primitive Zelle, sondern eine zentrierte
Zelle, die zweifach, dreifach oder vier-
fach primitiv ist, deren Volumen also um den genannten Faktor größer ist. Die
in Betracht kommenden zentrierten Zellen sind in Abb. 2.6 gezeigt.
Außer den genannten Konventionen zur Zellenwahl gibt es noch weitere
Standardisierungsregeln, nach denen eine genormte Beschreibung von Kristall-
2.3 Atomkoordinaten 21
1 2 4 2 3
basis- flächen- innen-
primitiv zentriert zentriert zentriert rhomboedrisch
P C (od. A, B) F I R
Abb. 2.6: Zentrierte Elementarzellen und ihre Symbole. Die Zahlen geben an, wieviel-
fach primitiv die jeweilige Zelle ist.
strukturen erfolgen soll [38]. Deren Einhaltung soll die Erfassung des Daten-
materials einheitlicher und für Datenbanken geeignet machen. Allerdings wird
gegen diese Regeln häufig verstoßen, und zwar nicht nur aus Nachlässigkeit
oder Unkenntnis der Regeln, sondern häufig aus guten sachlichen Gründen,
zum Beispiel wenn Verwandtschaften verschiedener Strukturen verdeutlicht
werden sollen.
Die Angabe der Gitterparameter und der Lage aller in der Elementarzelle
enthaltenen Atome reicht dazu aus, alle wesentlichen Merkmale einer Kristall-
struktur zu charakterisieren. In einer Elementarzelle kann nur eine ganzzahlige
Menge von Atomen enthalten sein. Bei der Angabe des Zellinhalts bezieht man
sich auf die chemische Formel, d. h. man gibt an, wie viele Formeleinheiten“
”
in der Elementarzelle enthalten sind; diese Zahl wird meist mit Z bezeichnet.
Wie die Atome abzuzählen sind, zeigt Abb. 2.7.
2.3 Atomkoordinaten
Die Lage von jedem Atom in der Elementarzelle wird durch einen Satz von
Atomkoordinaten bezeichnet, d. h. durch drei Koordinaten x, y und z. Diese be-
ziehen sich auf ein Koordinatensystem, das von den drei Basisvektoren der
Elementarzelle festgelegt wird. Als Einheit auf jeder der Koordinatenachsen
dient die jeweilige Länge des zugehörigen Basisvektors. Die Werte x, y und z
für jedes in der Elementarzelle befindliche Atom liegen dadurch zwischen 0
und < 1. Es handelt sich nicht um ein kartesisches Koordinatensystem; die Ko-
ordinatenachsen können zueinander schiefwinklig und die Einheiten auf den
22 2 BESCHREIBUNG CHEMISCHER STRUKTUREN
Abb. 2.7: Abzählung des Inhalts einer Elementarzelle am Beispiel der flächenzentrier-
ten Elementarzelle von NaCl: 8 Cl− -Ionen in 8 Ecken, von denen jedes jeweils zu 8
angrenzenden Zellen gehört, ergibt 8/8 = 1; 6 Cl− -Ionen auf 6 Flächenmitten, die je zu
zwei angrenzenden Zellen gehören, ergibt 6/2 = 3. 12 Na+ -Ionen auf den Kantenmit-
ten, die je zu 4 Zellen gehören, ergibt 12/4 = 3; 1 Na+ -Ion in der Würfelmitte, das der
Zelle alleine angehört. Gesamtzählung: 4 Cl− - und 4 Na+ -Ionen oder vier Formelein-
heiten NaCl (Z = 4).
Achsen können unterschiedlich lang sein. Die Addition oder Subtraktion einer
ganzen Zahl zu einem Koordinatenwert führt zu einer gleichwertigen Atomla-
ge in einer anderen Elementarzelle. Das Koordinatentripel x = 1,27, y = 0,52
und z = −0,10 bezeichnet zum Beispiel ein Atom in einer Zelle, die der Ur-
sprungszelle benachbart ist, und zwar in Richtung +a und −c; dieses Atom ist
äquivalent zum Atom in x = 0,27, y = 0,52 und z = 0,90 in der Ursprungszelle.
Es ist üblich, immer nur die Atomkoordinaten für Atome in einer asymmetri-
schen Einheit anzugeben. Atome, die sich daraus durch Symmetrieoperationen
erzeugen“ lassen, werden nicht aufgeführt. Welche Symmetrieoperationen zu
”
berücksichtigen sind, folgt aus der Angabe der Raumgruppe (siehe Abschnitt
3.3). Sind Gitterparameter, Raumgruppe und Atomkoordinaten bekannt, so las-
sen sich daraus alle Strukturdetails entnehmen. Insbesondere können alle inter-
atomaren Abstände und Winkel berechnet werden.
Formel zur Berechnung des Abstandes d zwischen zwei Atomen aus den
Gitterparametern und den Atomkoordinaten:
d= (aΔ x)2 + (bΔ y)2 + (cΔ z)2 + 2bcΔ yΔ z cos α + 2acΔ xΔ z cos β + 2abΔ xΔ y cos γ
2.4 Isotypie 23
2.4 Isotypie
Die Kristallstrukturen von zwei Verbindungen sind isotyp, wenn sie das glei-
che Bauprinzip und die gleiche Symmetrie besitzen. Man kann sich die eine
aus der anderen entstanden denken, indem die Atome eines Elements durch
Atome eines anderen Elements ausgetauscht werden, unter Beibehaltung der
Positionen in der Kristallstruktur. Die Absolutwerte für die Gitterabmessungen
und die interatomaren Abstände dürfen sich unterscheiden, bei den Atomkoor-
dinaten sind geringe Variationen erlaubt. Die Winkel zwischen den kristallo-
graphischen Achsen und die relativen Gitterabmessungen (Achsenverhältnis-
se) müssen ähnlich sein. Bei zwei isotypen Strukturen gibt es eine Eins-zu-
eins-Beziehung aller Atomlagen bei übereinstimmenden geometrischen Gege-
benheiten. Sind zusätzlich die chemischen Bindungsverhältnisse ähnlich, dann
sind die Strukturen darüberhinaus auch kristallchemisch isotyp.
Zwei Strukturen sind homöotyp, wenn sie ähnlich sind, aber die vorstehen-
den Bedingungen für die Isotypie nicht erfüllen, weil ihre Symmetrie nicht
24 2 BESCHREIBUNG CHEMISCHER STRUKTUREN
2.5 Übungsaufgaben
2.1 Berechnen Sie effektive Koordinationszahlen (e.c.n.) mit der Formel auf Seite 13
für:
(a) Tellur, 4 × d1 = 283 pm, 2 × d2 = 349 pm, dg = 444 pm;
(b) Gallium, 1 × d1 = 247 pm, 2 × d2 = 270 pm, 2 × d3 = 274 pm, 2 × d4 = 279 pm,
dg = 398 pm;
(c) Wolfram, 8 × d1 = 274, 1 pm, 6 × d2 = 316, 5 pm, dg = 447, 6 pm.
2.2 Ergänzen Sie die folgenden Formeln durch Angaben zur Koordination der Atome:
(a) FeTiO3 , Fe und Ti oktaedrisch, O koordiniert durch 2 Fe und 2 Ti in nichtlinearer
Anordnung;
(b) CdCl2 , Cd oktaedrisch, Cl trigonal-nichtplanar;
(c) MoS2 , Mo trigonal-prismatisch, S trigonal-nichtplanar;
(d) Cu2 O, Cu linear, O tetraedrisch;
(e) PtS, Pt quadratisch, S tetraedrisch;
(f) MgCu2 , Mg F RANK -K ASPER-Polyeder mit K.Z. 16, Cu ikosaedrisch;
(g) Al2 Mg3 Si3 O12 , Al oktaedrisch, Mg dodekaedrisch, Si tetraedrisch;
(h) UCl3 , U dreifach überkappt trigonal-prismatisch, Cl trigonal-nichtplanar.
2.3 Geben Sie die Symbole zur Bezeichnung der Art der Zentrierung der Elementar-
zellen an für: CaC2 (Abb. 7.6, stark umrandete Zelle), K2 PtCl6 (Abb. 7.7), Cristobalit
(Abb. 12.9), AuCu3 (Abb. 15.1), K2 NiF4 (Abb. 16.4), Perowskit (Abb. 17.10).
2.4 Wie viele Formeleinheiten kommen auf die Elementarzellen von:
2.5 Übungsaufgaben 25
CsCl (Abb. 7.1), ZnS (Abb. 7.1), TiO2 (Rutil, Abb. 7.4), ThSi2 (Abb. 13.1), ReO3
(Abb. 16.5), α -ZnCl2 (Abb. 17.14)?
2.5 Wie lang ist die I–I Bindung in festem Iod? Gitterparameter: a = 714, b = 469, c
= 978 pm, α = β = γ = 90◦ . Atomkoordinaten: x = 0,0, y = 0,1543, z = 0,1174; Ein
symmetrisch äquivalentes Atom befindet sich in −x, −y, −z.
2.6 Berechnen Sie die Bindungslängen und den Bindungswinkel am mittleren Atom des
I−
3 -Ions in RbI3 . Gitterparameter: a = 1091, b = 1060, c = 665,5 pm, α = β = γ = 90 .
◦
3 Symmetrie
Das wesentlichste Merkmal für jeden Kristall ist seine Symmetrie. Diese dient
uns nicht nur zur Beschreibung der Struktur, sondern mit ihr hängen auch die
Eigenschaften des Feststoffes zusammen. So kann zum Beispiel der piezoelek-
trische Effekt bei Quarzkristallen nur auftreten, weil Quarz die geeignete Sym-
metrie dafür hat; dieser Effekt wird dazu genutzt, Quarz als Taktgeber für Uh-
ren und elektronische Geräte einzusetzen. Die Kenntnis der Kristallsymmetrie
spielt außerdem bei der Kristallstrukturanalyse eine zentrale Rolle.
Um die Symmetrie in straffer Form zu bezeichnen, verwendet man Symme-
triesymbole. Zwei Arten von Symbolen finden Verwendung: die Schoenflies-
Symbole und die Hermann-Mauguin-Symbole, auch Internationale Symbole
genannt. Die Schoenflies-Symbole sind die historisch älteren. Sie sind wei-
terhin sehr beliebt zur Bezeichnung der Symmetrie von Molekülen und in der
Spektroskopie. Weil sie sich jedoch weniger gut eignen, um die Symmetrie
von Kristallen zu beschreiben, finden sie in der Kristallographie kaum Verwen-
dung. Wir werden uns deshalb vor allem mit den Hermann-Mauguin-Symbolen
befassen. Daneben gibt es noch Bildsymbole, welche in Abbildungen verwen-
det werden.
O O
Hg Hg Hg Hg (unendlich lange Kette)
O O O
-
Translationsvektor
der Körper wieder in seine Ausgangslage. Jeder Körper verfügt über beliebig
viele Achsen mit N = 1, da jede beliebige Drehung um 360◦ den Körper in sei-
ne ursprüngliche Lage zurückbringt. Mit dem Symbol für die einzählige Dre-
hung bezeichnet man Objekte, die abgesehen von Translationssymmetrie keine
Symmetrie besitzen. Bei rotationssymmetrischen Objekten ist die Zähligkeit
N = ∞. Das Hermann-Mauguin-Symbol für eine N-zählige Drehung ist die
Zahl N; im Schoenflies-Symbol steht CN (vgl. Abb. 3.1):
Hermann- Schoen-
Mauguin- flies- Bildsymbol
Symbol Symbol
einzählige Drehachse 1 C1 keines
zweizählige Drehachse 2 C2 fi Achse senkrecht
zur Papierebene
➤
➤ Achse parallel
zur Papierebene
dreizählige Drehachse 3 C3 fl
vierzählige Drehachse 4 C4 ⁄
sechszählige Drehachse 6 C6 Ł
2 C2 3 C3
4 C4 6 C6
Abb. 3.1: Beispiele für Drehachsen. Links jeweils das Hermann-Mauguin-, rechts das
Schoenflies-Symbol.
= Punkt, chinesisch gesprochen diǎn, japanisch hoschi
3.1 Symmetrieoperationen und Symmetrieelemente 29
➤ Inversionspunkt
m σ
Abb. 3.2: Beispiele für ein Inversionszentrum und für eine Spiegelebene
Spiegelebene senkrecht
zur Papierebene Spiegelebene parallel zur Papierebene
4. Inversion. Spiegelung“ durch einen Punkt (Abb. 3.2). Dieser Punkt ist das
”
Symmetrieelement und wird Inversionspunkt, Inversionszentrum oder Symme-
triezentrum genannt.
Hermann-Mauguin-Symbol: 1 ( eins quer“). Schoenflies-Symbol: i.
”
Bildsymbol: ◦
5. Drehinversion. Das Symmetrieelement ist die Inversionsachse. Es handelt
sich um eine gekoppelte Symmetrieoperation, bei der zwei Lageveränderungen
auszuführen sind: man denke sich die Ausführung einer Rotation um 360/N
Grad, unmittelbar gefolgt von einer Inversion an einem Punkt, der auf der Ach-
se liegt (Abb. 3.3):
Hermann-
Mauguin- Bildsymbol
Symbol
1
identisch mit Inversionspunkt
2=m identisch mit Spiegelebene senkrecht zur Achse
3 `
4 ≤
5 2
6 $
30 3 SYMMETRIE
3 S6 4 S4 6 S3
Abb. 3.3: Beispiele für Inversionsachsen. Als Drehspiegelachsen aufgefaßt, haben sie
die Zähligkeiten, die mit den Schoenflies-Symbolen SN bezeichnet sind
21 31 32 41 42 43
! " #
c
➤
1
6c
➤
61 62 63 64 65
Abb. 3.4: Schraubenachsen und ihre Bildsymbole. Die Achsen 31 , 41 , 61 und 62 sind
Rechtsschrauben, 32 , 43 , 65 und 64 sind die entsprechenden Linksschrauben.
Translationsvektor
z
➤
····················
1
$
2 +z
➤
b c
a
➤
z z z 1
2 +z
· · · · · ·· ·· ·· ·· ··
$ $
1 +z
$
1 +z
$
z 2 2
z
b n e (= b und c)
➤
➤
z z z 1
2 +z
➤ · ➤· ➤· ➤· ➤· ➤
−z −z 1
$ 3
$
4 +z 4 +z
a n d
Abb. 3.5: Oben links: Perspektivische Darstellung einer Gleitspiegelebene. Übrige Bil-
der: Bezeichnung und Bildsymbole für senkrecht zu a bzw. c orientierte Gleitspiegel-
ebenen mit verschiedenen Gleitrichtungen. z = Höhe des Punkts in der Elementarzelle
1
2 c.Bei den Gleitspiegelebenen n und d erfolgt die Verschiebung in diagonaler
Richtung, und zwar um den Betrag 12 bzw. 14 des Translationsvektors in die-
ser Richtung. e steht für zwei ineinanderliegende Gleitspiegelebenen mit zwei
zueinander senkrechten Gleitrichtungen (Abb. 3.5).
%
&
2/m C2h
Abb. 3.6: Aus der Kombination einer zweizähligen Drehung mit einer Spiegelung an
einer Ebene senkrecht zur Drehachse resultiert eine Inversion
Hermann-Mauguin-Punktgruppensymbole
Im Punktgruppensymbol werden die vorhandenen Symmetrieelemente nach
bestimmten Regeln aufgezählt, so daß ihre gegenseitige Orientierung erkenn-
bar ist. Im vollständigen Hermann-Mauguin-Symbol werden alle Symmetrie-
elemente bis auf wenige Ausnahmen aufgezählt. Wegen ihrer strafferen Form
werden aber meistens nur die gekürzten Hermann-Mauguin-Symbole benutzt,
bei welchen Symmetrieachsen, die sich automatisch aus bereits genannten
Symmetrieelementen ergeben, ungenannt bleiben; vorhandene Symmetrieebe-
nen werden genannt. Es gelten folgende Regeln:
re Zähligkeit als die übrigen auszeichnet ( Hauptachse“) oder wenn nur eine
”
Symmetrieachse vorhanden ist, so wird sie als z-Achse gewählt.
2. Ein Inversionszentrum wird nur angegeben, wenn es das einzige vorhande-
ne Symmetrieelement ist. Das Symbol ist dann 1. In anderen Fällen erkennt
man die An- oder Abwesenheit eines Inversionszentrums folgendermaßen:
es ist dann und nur dann anwesend, wenn eine Inversionsachse mit unge-
rader Zähligkeit (N, N ungeradzahlig) oder wenn eine Drehachse mit gera-
der Zähligkeit und eine dazu senkrechte Spiegelebene (N/m, N geradzahlig)
vorhanden ist.
3. Ein Symmetrieelement, das mehrfach vorkommt, weil es von einer anderen
Symmetrieoperation vervielfacht wird, wird nur einmal genannt.
4. Eine Spiegelebene, die senkrecht zu einer Symmetrieachse orientiert ist,
wird durch einen Bruchstrich bezeichnet, zum Beipiel
2
oder 2/m ( zwei über m“) = Spiegelebene senkrecht zu einer zweizähli-
m ”
gen Drehachse. Spiegelebenen senkrecht zu ungeradzahligen Drehachsen
werden allerdings nicht in der Form 3/m bezeichnet, sondern als Inversions-
achsen mit der doppelten Zähligkeit, zum Beispiel 6. 3/m und 6 bezeichnen
identische Sachverhalte.
5. Die gegenseitige Orientierung verschiedener Symmetrieelemente ist aus der
Reihenfolge ersichtlich, in der sie genannt werden, unter Bezug auf das
Koordinatensystem. Wenn die Symmetrieachsen höchster Zähligkeit zwei-
zählige Achsen sind, gilt die Reihenfolge x–y–z, d. h. es wird zuerst ange-
geben, welches Symmetrieelement in Richtung x ausgerichtet ist usw. Die
Bezugsrichtung ( Blickrichtung“) für eine Spiegelebene ist dabei die Rich-
”
tung senkrecht zur Ebene.
Wenn eine höherzählige Achse vorhanden ist, wird sie zuerst genannt; da
diese vereinbarungsgemäß in der z-Achse liegt, gilt eine andere Reihen-
folge, nämlich z–x–d. Das in Richtung x ausgerichtete Symmetrieelement
kommt auch noch in weiteren Richtungen vor, weil es durch die höherzähli-
ge Achse vervielfacht wird; die Richtung zwischen der x-Richtung und der
nächsten zu ihr symmetrieäquivalenten Richtung ist die mit d bezeichnete.
Siehe Beispiele in Abb. 3.7.
6. Kubische Punktgruppen haben vier dreizählige Achsen (3 oder 3), die un-
tereinander Winkel von 109,47◦ bilden. Sie entsprechen den Richtungen der
3.2 Die Punktgruppen 35
z z z
➤
x
➤ ➤ y
fi fi
➤
fi d
➤
fi x
fi
➤
x
d
fi
➤
mm2 C2v 4/m 2/m 2/m D4h 3 2/m D3d
➤
➤
➤
➤
➤
➤
x y z z x d z x
Abb. 3.7: Beispiele für drei Punktgruppen. Die Buchstaben unter den Hermann-
Mauguin-Symbolen geben an, auf welche Richtungen sich die Symmetrieelemente be-
ziehen
m 3 m Oh m 3 m Oh 4 3 m Td m3 Th
Oktaeder Würfel Tetraeder Oktaeder ohne
vierzählige Achsen
Abb. 3.8 und 3.9 geben eine Übersicht über die Punktgruppensymbole,
illustriert an geometrischen Figuren. Neben den kurzen Hermann-Mauguin-
Symbolen sind dort auch die Schoenflies-Symbole angegeben. Vollständige
Hermann-Mauguin-Symbole zu einigen Punktgruppen sind:
kurz vollständig kurz vollständig
m m m 2/m 2/m 2/m 3 m 3 2/m
4/m m m 4/m 2/m 2/m m 3 m 4/m 3 2/m
6/m m m 6/m 2/m 2/m m3 2/m 3
Schoenflies-Punktgruppensymbole
Das Bezugskoordinatensystem wird mit vertikaler Hauptachse (z-Achse) an-
genommen. Schoenflies-Symbole sind sehr kompakt, sie bezeichnen nur ein
Minimum der vorhandenen Symmetrieelemente, und zwar auf folgende Art
(die entsprechenden Hermann-Mauguin-Symbole sind in eckigen Klammern
angegeben):
Ci = ein Inversionszentrum ist einziges Symmetrieelement [ 1 ].
Cs = eine Spiegelebene ist einziges Symmetrieelement [ m ].
CN = eine N-zählige Drehachse ist einziges Symmetrieelement [ N ].
CNi (N ungerade) = es ist eine N-zählige Drehachse und ein Inversionszentrum
vorhanden [ N ]. Identisch mit SM mit M = 2 · N.
DN = senkrecht zu einer N-zähligen Drehachse sind N zweizählige Drehachsen
vorhanden [ N 2 wenn N ungerade; N 2 2 wenn N gerade].
CNh = es ist eine N-zählige (vertikale) Drehachse und eine horizontale Spiegel-
ebene vorhanden [ N/m ].
CNv = eine N-zählige (vertikale) Drehachse befindet sich in der Schnittlinie von
N vertikalen Spiegelebenen [ N m wenn N ungerade; N m m wenn N gerade].
C∞v = Symmetrie eines Kegels [ ∞ m ].
DNh = es ist eine N-zählige (vertikale) Drehachse vorhanden, N horizontale
zweizählige Achsen, N vertikale Spiegelebenen und eine horizontale Spiegel-
ebene [ N 2/m wenn N ungerade; N/m 2/m 2/m, kurz N/m m m, wenn N gerade].
D∞h = Symmetrie eines Zylinders [ ∞/m 2/m, kurz ∞/m m oder ∞ m ].
DNd = die N-zählige vertikale Drehachse enthält eine 2N-zählige Drehspiegel-
achse, N horizontale zweizählige Achsen liegen winkelhalbierend zwischen N
vertikalen Spiegelebenen [ M 2 m mit M = 2·N ]. SMv hat dieselbe Bedeutung
wie DNd und kann stattdessen verwendet werden, ist aber nicht mehr gebräuch-
lich.
3.2 Die Punktgruppen 37
Pyramiden ohne
Spiegelebenen fi fl ⁄ Ł
2 C2 3 C3 4 C4 6 C6
Pyramiden mit
Spiegelebenen fi fl ⁄ Ł
Prismen und
planare Objekte ffi $ ( <
ohne vertikale
Spiegelebenen
2/m C2h 6 = 3/m C3h 4/m C4h 6/m C6h
Objekte mit
zweizähligen fi fl ⁄ Ł
Achsen ohne
Spiegelebenen
222 D2 32 D3 422 D4 622 D6
Prismen,
planare Objekte, ffi $ ( <
Bipyramiden
mit Spiegelebenen 4 6
m m m D2h 6 2 m D3h m m D4h m m D6h
m m
Objekte mit
Inversionsachsen ` ≤ $
m (= 2) Cs 3 S6 =C3i 4 S4 6 C3h
` ≤ 2
9 14 9 14
k ł
1
➤ 4
➤
b
a
ffl ffl ffl
➤
. . . . . . . .
Kurzsymbol: Pnma k ł
vollständiges Symbol: P 21/n 21/m 21/a
ffl . . . . ffl . . . . ffl
➤
➤
Bedeutung: primitives
k ł
Gitter 21 -Achse
∆ 14 ∆ 41
➤
in Richtung c, Gleitspiegelebene
zweizählige Schraubenachse senkrecht zu c mit Gleitrichtung a
in Richtung a, Gleitspiegel-
ebene senkrecht zu a mit 21 -Achse in Richtung b, Höhe in der
diagonaler Gleitrichtung Spiegelebene senkrecht zu b Elementarzelle
1 1 1 1 1 1 1 1 1
Kurzsymbol: I 4/m c m ➤
1
X4 49; 4& X4 49; 4& X4 4; 4&
U #.........U #.........U # 1
4
➤
b
4 m(
1
‡ ... ð.. (.. ¹˚14
4Š
1
... . ¼4
➤
..
a
k ... Ò ... Ò ..... ł
➤
➤
➤
1X &1
Bedeutung: innen- 4
U . ......... . ......... . # 41
zentriertes
4 mð
1
‡ .... ( .. ð ˚
.. ¹ 14
4Š
1
.. . ¼4
Gitter k .... Ò .... Ò ..... ł
1X &1
4
U . ......... . ......... . # 41
zweizählige
4 m(
1
1 ‡ ¹
ð (˚ 4
vierzählige Drehachse in Drehachse 4Š ∆
1
Ÿ 1¼ Š1 ‡1∆Ÿ ¹1¼ Š1 ‡1∆Ÿ ¹ ¼ 41
Richtung c, Spiegelebene in Richtung 4 4 4 4 4 4 4
Kurzsymbol: P 21/c 1
➤
P 1 21/c 1
➤
vollständiges Symbol a 4
ffl ffl ffl
➤
➤
➤
c
➤
➤
Bedeutung: primitives
Gitter ffl ffl ffl
keine Symmetrieelemente
in Richtung a und c 21 -Achse in Richtung b, Gleitspiegelebene
senkrecht zu b mit Gleitrichtung c
fi fi
fi fi
Sb
fi fi
fi fi fi
fi
Ti fi fi Zn
fi fifi
fi fi fi
fi fi Sb
TiO2 fi fi
fi fi
P 42/m 21/n 2/m (kurz P 42/m n m) ZnSb2 O6
Abb. 3.11: Elementarzellen der Rutil- und der Trirutilstruktur. Die Lage der zweizähli-
gen Drehachsen ist eingezeichnet
tet jedoch keine Schwierigkeiten, weil die Angabe einer Raumgruppe immer
nur zur Bezeichnung der Symmetrie einer speziellen Struktur dient, und dazu
gehört immer ein Translationengitter mit festliegenden Maßen.
3.4 Punktlagen
Befindet sich ein Atom auf einem Symmetriezentrum, auf einer Drehachse
oder auf einer Spiegelebene, so nimmt es eine spezielle Punktlage ein. Wird
die betreffende Symmetrieoperation ausgeführt, so wird das Atom auf sich
selbst abgebildet. Jeder andere Ort ist eine allgemeine Punktlage. Einer spe-
ziellen Punktlage kommt eine definierte Punktlagensymmetrie zu (englisch: si-
te symmetry), die höher ist als 1. Die Punktlagensymmetrie einer allgemeinen
Punktlage ist immer 1.
In Kristallen findet man häufig Moleküle oder Ionen auf speziellen Punktla-
gen. Dabei gilt: die Punktlagensymmetrie kann nicht höher sein als die Sym-
metrie des freien Moleküls oder Ions. Ein oktaedrisches Ion wie SbCl− 6 kann
sich zum Beispiel auf einer Punktlage der Symmetrie 4 befinden, wenn sich
sein Sb-Atom und zwei trans-ständige Cl-Atome auf der vierzähligen Achse
befinden; ein Wassermolekül kann dagegen nicht auf einer vierzähligen Achse
untergebracht werden.
Die Punktlagen in Kristallen werden auch Wyckoff-Lagen genannt. Sie sind
für jeden Raumgruppentyp in International Tables for Crystallography, Band
A, in folgender Art tabelliert (Beispiel Raumgruppentyp Nr. 87, I 4/m):
Multiplizität, Koordinaten
Wyckoff-Buchstabe,
Punktlagensymmetrie (0, 0, 0) + ( 12 , 12 , 12 )+
16 i 1 (1) x, y, z (2) x,
¯ y,
¯z (3) y,
¯ x, z (4) y, x,
¯z
(5) x,
¯ y,
¯ z¯ (6) x, y, z¯ (7) y, x,
¯ z¯ (8) y,
¯ x, z¯
8h m x, y, 0 x,
¯ y,
¯0 y,
¯ x, 0 y, x,
¯0
8g 2 0, 12 , z 2 , 0, z
1
0, 12 , z¯ 2 , 0, z̄
1
4, 4, 4 4, 4, 4 4, 4, 4 4, 4, 4
1 1 1 3 3 1 3 1 1 1 3 1
8 f 1
4e 4 0, 0, z 0, 0, z̄
4d 4 0, 12 , 14 2 , 0, 4
1 1
4c 2/m 0, 12 , 0 1 , 0, 0
2
2b 4/m 0, 0, 12
2a 4/m 0, 0, 0
42 3 SYMMETRIE
Wie in der Kristallographie üblich, werden dabei minus-Zeichen über die Sym-
bole gesetzt; x¯ bedeutet also −x. Die Koordinatentripel bedeuten: Zum Punkt
mit den Koordinaten x, y, z sind folgende Punkte symmetrieäquivalent:
−x, −y, z; −y, x, z; y, −x, z usw., außerdem alle Punkte mit +( 12 , 12 , 12 ), also
2 + x, 2 + y, 2 + z; 2 − x, 2 − y, 2 + z; 2 − y, 2 + x, 2 + z usw.
1 1 1 1 1 1 1 1 1
Die Koordinatentripel sind nichts anderes als eine Kurzschreibweise für Abbil-
dungsvorschriften gemäß Gleichung (3.1).
Das Wyckoff-Symbol ist eine Kurzbezeichnung; es besteht aus einer Ziffer
mit folgendem Buchstaben, zum Beispiel 8 f . Die Ziffer 8 zeigt die Multipli-
zität an; das ist die Zahl der symmetrieäquivalenten Punkte in der Elementar-
zelle. Das f ist eine alphabetische Bezeichnung (a, b, c, . . . ) gemäß der Rei-
henfolge der Aufzählung der Punktlagen; a steht immer für die höchstsymme-
trische Punktlage.
Ein (kristallographisches Punkt-) Orbit ist die Menge aller zu einem Punkt
symmetrieäquivalenten Punkte. Das Orbit kann durch das Koordinatentripel
eines beliebigen seiner Punkte bezeichnet werden. Wenn die Koordinaten ei-
nes Punktes durch die Symmetrie fixiert sind, zum Beispiel 0, 12 , 14 , dann ist
das Orbit mit der Punktlage identisch. Wenn es dagegen eine oder mehrere
freie Variablen gibt, zum Beispiel z in 0, 12 , z, dann umfaßt die Punktlage un-
endlich viele Orbits. Die Punkte 0, 12 , 0,2478 und 0, 12 , 0,3629 bezeichnen
zum Beispiel zwei verschiedene Orbits, die beide derselben Punktlage 8g der
Raumgruppe I 4/m angehören. Zu jedem dieser Punkte gehört ein Orbit aus un-
endlich vielen Punkten (man lasse sich nicht durch die Einzahlform der Wörter
,Punktlage‘, ,Wyckoff position‘ oder ,Orbit‘ irritieren).
2. Inkommensurable Kompositkristalle;
3. Quasikristalle.
Eine der ältesten bekannten Strukturen dieser Art ist die von γ -Na2 CO3 . Bei
hohen Temperaturen kristallisiert Natriumcarbonat hexagonal (α -Na2 CO3 ). Es
enthält Carbonationen, die senkrecht zur hexagonalen c-Achse ausgerichtet
sind. Beim abkühlen unter 481 ◦ C neigt sich die c-Achse etwas gegen die
ab-Ebene, wobei die hexagonale Symmetrie verloren geht; die Symmetrie
ist jetzt monoklin (β -Na2 CO3 , Raumgruppe C 2/m). Bei Temperaturen zwi-
schen −103 ◦ C und 332 ◦ C tritt γ -Na2 CO3 auf, das im Mittel immer noch wie
β -Na2 CO3 aufgebaut ist; die Atome sind jedoch nicht mehr in gerader Li-
nie längs c angeordnet, sondern folgen einer Sinuswelle. Das Symbol für die
Superraumgruppe ist in diesem Fall C 2/m(q1 0q3 )0s, wobei q1 und q3 die Kehr-
werte der Wellenlänge der Modulationswelle als Vielfache der Gitterparameter
a und c sind; die Werte sind druck- und temperaturabhängig. Unterhalb von
−103 ◦ C wird die Modulationswelle kommensurabel mit einer Wellenlänge
von 6a + 3c, und die Struktur kann wieder mit einer dreidimensionalen Raum-
gruppe und entsprechend vergrößerter Elementarzelle beschrieben werden.
Bei der Röntgenbeugung geben sich modulierte Strukturen durch das Auf-
treten von Satellitenreflexen zu erkennen. Zwischen den intensiven Haupt-
reflexen, aus denen sich die Struktur der Approximante ableiten läßt, treten
schwächere Reflexe auf, die nicht in das regelmäßige Muster der Hauptreflexe
passen.
Inkommensurable Kompositkristalle kann man als zwei ineinandergestellte
periodische Strukturen auffassen, deren Periodizität jedoch nicht zusammen-
paßt. Ein Beispiel bietet die Verbindung (LaS)1,14 TaS2 . Sie besteht aus ab-
wechselnd gestapelten Schichten der Zusammensetzung LaS und TaS2 , wobei
in der Stapelrichtung periodische Ordnung herrscht. Parallel zu den Schich-
ten paßt die Translationsperiode der Schichten in einer Richtung zusammen,
in der anderen Richtung betragen die Translationsvektoren jedoch 581 pm in
der LaS-Schicht und 329 pm in der TaS2 -Schicht (Abb. 3.12). Aus dem Zah-
lenverhältnis 581/329 = 1, 766 ergibt sich die chemische Zusammensetzung:
(LaS)2/1,766 TaS2 (die Zahl der La-Atome in einem Schichtstück der Länge 581
pm ist doppelt so groß wie die der Ta-Atome auf 329 pm).
Quasikristalle zeichnen sich durch das Auftreten von nichtkristallographi-
schen Symmetrieoperationen aus. Am häufigsten sind axiale Quasikristalle, bei
denen eine zehnzählige Drehachse vorkommt. Außerdem gibt es solche mit ei-
ner fünf-, acht- oder zwölfzähligen Drehachse sowie Quasikristalle mit ikosa-
edrischer Symmetrie. Axiale Quasikristalle sind in Achsenrichtung periodisch
geordnet und können mit fünfdimensionalen Superraumgruppen beschrieben
46 3 SYMMETRIE
➤ a(TaS2 ) = 329 pm
Ta
S
S
La
➤ a(LaS) = 581 pm
Abb. 3.12: (LaS)1,14 TaS2 : Schichten der Zusammensetzung LaS und TaS2 sind ab-
wechselnd in Blickrichtung gestapelt; rechts ist je nur eine der Schichten gezeigt
Abb. 3.13: P ENROSE-Pflasterung mit fünfzähliger Symmetrie aus zwei Sorten von rau-
tenförmigen Pflastersteinen
➤
gen ein, so daß die Lagen der C-Atome der lichkeit:
Methylgruppen zwar übereinstimmen, aber x
➤
. . . ABABABABCBCBCBABABABABABABABCBCBCBCB. . .
3.8 Übungsaufgaben 49
Bei metallischem Cobalt tritt diese Erscheinung auf, ebenso bei Schichtsili-
caten und bei Halogeniden mit Schichtenstruktur wie CdI2 oder BiI3 . Bei der
Röntgenbeugung gibt sich die Stapelfehlordnung durch das Auftreten von dif-
fusen Streifen zu erkennen (durchgehende Linien im Beugungsdiagramm).
Wenn die Stapelfehler nur selten vorkommen (z. B. im Mittel nur alle 105
Schichten), dann ergibt sich ein polysynthetischer Zwillingskristall (Abb. 18.4,
S. 324). Zwischen Stapelfehlordnung und polysynthetischen Zwillingen gibt es
fließende Übergänge, je nach Häufigkeit der Stapelfehler.
Bei der Stapelfehlordnung ist die fehlende periodische Ordnung auf eine
Dimension beschränkt, es liegt eine eindimensionale Fehlordnung vor. Wenn
nur wenige verschiedene Schichtlagen vorkommen und man diese alle in ei-
ne Schicht projiziert, so ergibt sich eine gemittelte Struktur. Deren Symmetrie
kann mit einer Raumgruppe beschrieben werden, allerdings nur mit partiell be-
setzten Atomlagen. Die tatsächliche Symmetrie ist nur auf die Symmetrie der
einzelnen Schicht beschränkt. Die Schicht ist ein dreidimensionales Objekt, sie
hat aber nur in zwei Dimensionen Translationssymmetrie. Ihre Symmetrie wird
durch eine Schichtgruppe erfaßt; es gibt 80 Schichtgruppentypen.
Stäbchenförmige polymere Moleküle, die im Kristall statistisch gegenseitig
parallel verschoben sind, ergeben eine zweidimensionale Fehlordnung. Trans-
lationssymmetrie gibt es dann nur noch in der Molekülrichtung, aber nicht quer
dazu. Die Symmetriegruppe eines dreidimensionalen Objekts mit eindimensio-
naler Translationssymmetrie ist eine Balkengruppe. Schichtgruppen und Bal-
kengruppen sind subperiodische Gruppen. Sie sind im einzelnen in Internatio-
nal Tables for Crystallography, Band E, tabelliert [54].
Strukturen mit Fehlordnung werden auch Ordnungs-Unordnungs- oder OD-
Strukturen genannt (OD = order-disorder).
Wenn es in einem Festkörper gar keine Translationssymmetrie oder aperi-
odische Ordnung gibt, dann ist er amorph. Gläser sind amorphe Stoffe, die sich
wie hochviskose Flüssigkeiten verhalten; mit steigender Temperatur nimmt die
Viskosität ab, d. h. sie erweichen allmählich.
3.8 Übungsaufgaben
3.1 Geben Sie die Hermann-Mauguin-Symbole für die folgenden Moleküle oder Ionen
an: H2 O, HCCl3 , BF3 (planar-dreieckig), XeF4 (planar-quadratisch), ClSF5 , SF6 , cis-
SbF4 Cl− 3−
2 , trans-N2 F2 , B(OH)3 (planar), Co(NO2 )6 .
50 3 SYMMETRIE
3.2 Bilder der folgenden Moleküle oder Ionen finden sich auf S. 196 bis 198 und 216.
Geben Sie ihre Hermann-Mauguin-Symbole an.
Si6− 2− 6− 4− 6− 3− 3− 4− 2+
4 , As4 S4 , P4 S3 , Sn5 , As4 , As4 , P6 , As7 , P11 , Sn9 , Bi8 .
3.3 Welche Hermann-Mauguin-Symbole gehören zu den verknüpften Polyedergruppen,
die in Abb. 16.1 (S. 244) abgebildet sind?
3.4 Welche Symmetrieelemente sind in der HgO-Kette (S. 27) vorhanden? Wird ihre
Symmetrie durch eine Punkt-, Balken-, Schicht- oder Raumgruppe erfaßt?
3.5 Stellen Sie fest, welche Symmetrieelemente in den Strukturen folgender Verbin-
dungen vorhanden sind. Leiten Sie die Hermann-Mauguin-Symbole der zugehörigen
Raumgruppen her (es ist zweckmäßig, wenn Sie International Tables for Crystallogra-
phy, Bd. A, zu Hilfe nehmen).
Wolframbronzen Mx WO3 (Abb. 16.6, S. 252); CaC2 (Abb. 7.6, stark umrandete Zelle,
S. 89); CaB6 (Abb. 13.14, S. 215).
3.6 Nennen Sie die Kristallklassen und -systeme zu folgenden Raumgruppen:
(a) P 21/b 21/c 21/a; (b) I 41/a m d; (c) R 3 2/m; (d) C 2/c; (e) P 63/m; (f) P 63 2 2; (g)
P 21 21 21 ; (h) F d d 2; (i) F m 3 m.
3.7 Rutil (TiO2 , Abb. 3.11) kristallisiert in der Raumgruppe P 42/m n m (Nr. 136 in Inter-
national Tables for Crystallography, Bd. A). Die Atomkoordinaten sind: Ti, 0, 0, 0; O,
0,303, 0,303, 0. Welche Punktlagen besetzen die Atome? Welche Punktlagensymmetrie
haben die Atome? Wieviel Atome befinden sich in einer Elementarzelle?
3.8 Welche Punktgruppe hat die P ENROSE-Pflasterung (Abb. 3.13), wenn sie aus einer
Schicht von Pflastersteinen besteht? Welche ist die Punktgruppe, wenn zwei Schichten
aufeinandergestapelt sind, wobei die Mittelpunkte genau übereinanderliegen und die
zweite Schicht um 180◦ gegen die erste verdreht ist?
51
4 Polymorphie, Phasenumwandlungen
4.1 Thermodynamische Stabilität
Wenn die freie Reaktionsenthalpie Δ G für die Umwandlung der Struktur ei-
ner Verbindung in eine beliebige andere Struktur positiv ist, so ist die Struktur
thermodynamisch stabil. Weil Δ G von der Temperatur T , der Umwandlungs-
enthalpie Δ H und der Umwandlungsentropie Δ S abhängt und Δ H und Δ S ih-
rerseits druck- und temperaturabhängig sind, kann eine Struktur nur innerhalb
eines bestimmten Druck- und Temperaturbereichs stabil sein. Durch Variation
von Druck und/oder Temperatur wird Δ G irgendwann bezüglich einer anderen
Struktur negativ, es kommt zur Phasenumwandlung. Dies kann eine Phasen-
umwandlung von einer festen in eine andere feste Modifikation sein, oder es
kann eine Umwandlung in einen anderen Aggregatzustand sein.
Aufgrund der thermodynamischen Beziehungen
Δ G = Δ H − T Δ S und Δ H = Δ U + pΔ V (4.1)
kann man folgende Regeln zur Temperatur- und Druckabhängigkeit für ther-
modynamisch stabile Strukturen angeben:
1. Je höher die Temperatur T ist, desto mehr werden Strukturen mit geringe-
rer Ordnung begünstigt, weil deren Bildung mit einer positiven Umwand-
lungsentropie Δ S verbunden ist und der Wert von Δ G dann in erster Linie
vom Glied T Δ S abhängt. Zum Beispiel kennt man bei Hexahalogeniden wie
MoF6 im festen Zustand zwei Modifikationen, eine mit definiert orientierten
Molekülen und eine, bei der die Moleküle um ihren Schwerpunkt im Kristall
rotieren. Da bei der letzteren Modifikation die Ordnung geringer ist, ist sie
diejenige, die bei der höheren Temperatur thermodynamisch stabil ist. Noch
geringer ist die Ordnung im flüssigen Zustand, und am geringsten ist sie im
Gas. Temperaturerhöhung führt daher zum Schmelzen und schließlich zum
Verdampfen der Substanz.
4.3 Polymorphie
Bei Molekülen kennen wir die Erscheinung der Isomerie, worunter wir das
Auftreten von unterschiedlich aufgebauten Molekülen bei gleicher Gesamt-
zusammensetzung verstehen. Die entsprechende Erscheinung bei kristallinen
Stoffen wird Polymorphie genannt. Die zugehörigen verschiedenen Strukturen
sind die Modifikationen oder polymorphen Formen. Die Modifikationen unter-
scheiden sich nicht nur in ihrem räumlichen Aufbau, sondern auch in ihren
physikalischen und chemischen Eigenschaften. Die strukturellen Unterschiede
können von kleinen Variationen in der Orientierung von Molekülen oder Ionen
bis zu einem völlig anderen Bauprinzip reichen. Die verschiedenen Modifika-
tionen einer Verbindung werden häufig mit griechischen Kleinbuchstaben α ,
4.3 Polymorphie 53
erst. Weil die Oberflächenenergie empfindlich von der Adsorption von Fremd-
partikeln abhängt, können Fremdstoffe die Reihenfolge der Kristallisation der
polymorphen Formen beeinflussen.
4.4 Phasenumwandlungen
Definition: Eine Phasenumwandlung ist ein Vorgang, bei dem sich irgend-
eine Eigenschaft eines Stoffes diskontinuierlich (sprunghaft) ändert.
Eigenschaften, die sich sprunghaft ändern, können zum Beispiel sein: Volu-
men, spezifische Wärme, Elastizität, Kompressibilität, Viskosität, Farbe, elek-
trische Leitfähigkeit, Magnetismus, Löslichkeit, Symmetrie. Phasenumwand-
lungen sind in der Regel mit einer Strukturänderung verbunden. Bei Phasen-
umwandlungen im festen Zustand tritt also meistens ein Wechsel von einer zu
einer anderen Modifikation auf.
Ist eine Modifikation bei jeder Temperatur und jedem Druck thermodyna-
misch instabil, dann verläuft ihre Umwandlung in eine andere Modifikation
irreversibel; man nennt das eine monotrope Phasenumwandlung. Enantiotrope
Phasenumwandlungen sind reversibel. Die nachfolgenden Betrachtungen gel-
ten für enantiotrope Phasenumwandlungen, die durch Änderung der Tempera-
tur oder des Druckes in Gang gesetzt werden. Der Umwandlungspunkt ist die
Temperatur oder der Druck, an dem Gleichgewicht herrscht, Δ G = 0.
Für reversible Prozesse sind die ersten Ableitungen der freien Enthalpie G =
U + pV − T S nach der Temperatur und dem Druck:
∂G ∂G
= −S und =V
∂T ∂p
Wenn eine dieser Größen eine sprunghafte Änderung erfährt, d. h. wenn Δ S = 0
oder Δ V = 0, spricht man nach E HRENFEST von einer Phasenumwand-
lung erster Ordnung. Dabei wird Energie als Umwandlungsenthalpie (latente
Wärme) Δ H = T Δ S mit der Umgebung ausgetauscht.
Phasenumwandlungen erster Ordnung zeigen die Erscheinung der Hyste-
rese, d. h. der Ablauf der Umwandlung hinkt der verursachenden Tempera-
tur- oder Druckänderung hinterher. Beim Erreichen des Umwandlungspunktes
passiert gar nichts; unter Gleichgewichtsbedingungen findet die Umwandlung
nicht statt. Erst nachdem der Umwandlungspunkt überschritten ist, also unter
Ungleichgewichtsbedingungen, kommt die Umwandlung eventuell in Gang.
Dazu ist die Bildung von Keimen notwendig, die dann auf Kosten der al-
ten Phase wachsen. Wie schnell die Umwandlung stattfindet, hängt von der
4.4 Phasenumwandlungen 55
➤
➤
➤ b
➤
a
η
6
0,020
➤
➤
0,015 orthorhombisch tetragonal
0,010
K − T 0,45
η = 0, 0217( 490
490 K )
0,005
0 -
100 200 300 400 TC 500 T /K
Abb. 4.2: Verlauf des Ordnungsparameters η = (b −a)/(b +a) bei der Phasenumwand-
lung von CaCl2 in Abhängigkeit der Temperatur
Dabei ist A eine Konstante und β ist der kritische Exponent, der einen Wert
von 0,3 bis 0,5 annimmt. Werte um β = 0, 5 werden beobachtet, wenn eine
langreichweitige Wechselwirkung zwischen den Teilchen besteht; bei kurzer
Reichweite (z. B. bei magnetischen Wechselwirkungen) liegt er bei β ≈ 0, 33.
Wie der typische parabolische Kurvenverlauf in Abb. 4.2 zeigt, ändert sich der
Ordnungsparameter besonders stark in der Nähe der kritischen Temperatur.
Bei temperaturgetriebenen Phasenumwandlungen zweiter Ordnung hat die
Hochtemperaturphase in der Regel die höhere Symmetrie. Bei druckgetriebe-
nen Phasenumwandlungen gibt es keine entsprechende Regel.
4.5 Phasendiagramme
Für Phasen, die sich miteinander im Gleichgewicht befinden, gilt das G IBBS-
sche Phasengesetz:
F +P =C+2
Dabei ist F die Anzahl der Freiheitsgrade, d. h. der frei wählbaren Zustands-
größen wie Druck und Temperatur, P ist die Anzahl der Phasen und C ist die
Anzahl der Komponenten. Als Komponenten sind voneinander unabhängige,
reine Stoffe (Elemente oder Verbindungen) zu verstehen, aus denen die übrigen
im System eventuell auftretenden Verbindungen entstehen können. Beispiele:
58 4 POLYMORPHIE, PHASENUMWANDLUNGEN
T/
➤
◦C
100
flüssig VII
III X
0
➤
V VI
VIII
II
−100 Ih
IX
−200
XI
➤ log p
getragen sind. Abb. 4.3 zeigt das Phasendiagramm für Wasser, in dem die Exi-
stenzbereiche für flüssiges Wasser und zehn verschiedene Eis-Modifikationen
zu erkennen sind, die mit römischen Zahlen bezeichnet werden. Innerhalb der
einzelnen Felder ist jeweils nur die dort bezeichnete Phase stabil, Druck und
Temperatur können aber unabhängig voneinander variiert werden (2 Freiheits-
grade). Entlang der Grenzlinien koexistieren jeweils zwei Phasen, wobei ent-
weder der Druck oder die Temperatur variierbar ist, die andere dieser Zustands-
größen jedoch den Wert haben muß, den das Diagramm anzeigt (ein Freiheits-
grad). An Tripelpunkten gibt es keinen Freiheitsgrad, Druck und Temperatur
liegen fest, aber drei Phasen existieren gleichzeitig.
In Phasendiagrammen für Systeme aus zwei Komponenten wird die Zusam-
mensetzung gegen eine der Zustandsvariablen Druck oder Temperatur aufge-
tragen, während die andere Zustandsvariable einen konstanten Wert hat. Am
häufigsten sind Auftragungen der Zusammensetzung gegen die Temperatur bei
Atmosphärendruck. Solche Phasendiagramme unterscheiden sich je nachdem,
ob die Komponenten miteinander feste Lösungen bilden oder nicht oder ob sie
miteinander Verbindungen bilden.
Abb. 4.4 zeigt das Phasendiagramm für das System Antimon/Bismut, die
miteinander Mischkristalle (feste Lösungen) bilden. Antimon und Bismut kri-
stallisieren isotyp, und die Atomlagen können in beliebigem Mengenverhältnis
von Sb- oder Bi-Atomen eingenommen werden. Im oberen Teil des Diagramms
liegt der Existenzbereich der flüssigen Phase, d. h. einer flüssigen Lösung aus
T /◦ C T /◦ C
600 6 Liquiduskurve 60 6
A
? -
400 B 20
Soliduskurve
200 –20
0 –60
0 0,2 0,4 0,6 0,8 1,0 0 0,2 0,4 0,6 0,8 1,0
Bi Stoffmengenanteil Sb Sb Cs Stoffmengenanteil K K
Antimon und Bismut. Im unteren Teil liegt der Existenzbereich der Mischkri-
stalle. Im Bereich dazwischen existieren Flüssigkeit und Feststoff nebenein-
ander. Er wird nach oben von der Liquiduskurve, nach unten von der Solidus-
kurve begrenzt. Bei gegebener Temperatur haben Flüssigkeit und Feststoff, die
miteinander im Gleichgewicht stehen, unterschiedliche Zusammensetzung; sie
läßt sich im Diagramm jeweils am Schnittpunkt ablesen, den die Horizontale
für die fragliche Temperatur mit der Solidus- bzw. Liquiduskurve bildet. Beim
Abkühlen einer Sb/Bi-Schmelze mit der Zusammensetzung und Temperatur
gemäß Punkt A in Abb. 4.4 beginnt die Kristallisation von Mischkristallen der
Zusammensetzung B, wenn die durch den horizontalen Pfeil markierte Tempe-
ratur erreicht ist. Die Mischkristalle enthalten mehr Antimon als die Schmelze.
Das Phasendiagramm Kalium/Cäsium ist ein Beispiel für ein System mit
Mischkristallbildung und einem Temperaturminimum (Abb. 4.4). Die rechte
und die linke Hälfte des Diagramms entsprechen jeweils dem Diagramm Anti-
mon/Bismut. Das Minimum ist ein ausgezeichneter Punkt, bei dem die Zusam-
mensetzung von Schmelze und Feststoff übereinstimmen. Der ausgezeichnete
Punkt kann auch in einem Temperaturmaximum liegen.
Begrenzte Mischkristallbildung tritt dann auf, wenn die beiden Komponen-
ten unterschiedliche Strukturen haben, wie zum Beispiel Indium und Cadmi-
um. Mischkristalle aus viel Indium und wenig Cadmium haben die Struktur
des Indiums, solche aus wenig Indium und viel Cadmium diejenige des Cad-
miums. Bei mittleren Zusammensetzungen gibt es eine Mischungslücke, d. h.
keine einheitlichen Mischkristalle, sondern ein Gemisch von indiumreichen
und cadmiumreichen Mischkristallen. Die gleiche Situation kann auch auftre-
ten, wenn beide Reinsubstanzen die gleiche Struktur haben, Mischkristalle aber
nicht mit beliebiger Zusammensetzung möglich sind. Kupfer und Silber bieten
ein Beispiel, das zugehörige Phasendiagramm ist in Abb. 4.5 gezeigt.
Das Phasendiagramm für Aluminium/Silicium (Abb. 4.5) ist ein typisches
Beispiel für ein System aus zwei Komponenten, die weder feste Lösungen (von
sehr geringen Konzentrationen abgesehen) noch eine Verbindung miteinander
bilden, aber in flüssiger Form mischbar sind. Besonderes Merkmal ist das spit-
ze Minimum im Diagramm, der eutektische Punkt. Er markiert den Schmelz-
punkt des Eutektikums, eines Substanzgemisches, das bei niedrigerer Tempe-
ratur schmilzt als die reinen Komponenten und als jedes anders zusammenge-
setzte Gemisch. Die eutektische Gerade ist die Horizontale, auf welcher der
eutektische Punkt liegt. Das Gebiet unter ihr markiert den Bereich, in dem die
Komponenten beide in fester Form, also in zwei Phasen, vorliegen.
4.5 Phasendiagramme 61
T /◦ C T /◦ C
➤
+Schmelze Si-Kristalle
➤
+ Schmelze
800 Cu
➤
in 600 ➤
Ag I II
➤
eutektischer Punkt
(f.) Mischkristalle Ag in Cu Al+
600 I + II (fest) 200 Eut. Si + Eutektikum
0 0,2 0,4 0,6 0,8 1,0 0 0,2 0,4 0,6 0,8 1,0
Ag Stoffmengenanteil Cu Cu Al Stoffmengenanteil Si Si
Abb. 4.5: Phasendiagramme für die Systeme Silber/Kupfer (Mischkristallbildung mit
Mischungslücke) und Aluminium/Silicium (Bildung eines Eutektikums)
Der Punkt A in Abb. 4.5 kennzeichnet ein flüssiges Gemisch aus Aluminium
und Silicium mit einem Stoffmengenanteil von 40 % Si und einer Temperatur
von 1200 ◦ C. Abkühlung der Flüssigkeit entspricht einer Abwärtsbewegung im
Diagramm (gestrichelte Linie). Beim Erreichen der Liquiduskurve beginnt rei-
nes Silicium zu kristallisieren. Die Zusammensetzung der Flüssigkeit ändert
sich, ihr Anteil an Aluminium nimmt zu; das entspricht einer Wanderung nach
links im Diagramm. Dort liegt die Temperatur für das Auskristallisieren von
Silicium niedriger. In dem Maße, wie sich Silicium ausscheidet, nimmt die
Kristallisationstemperatur für weiteres Silicium immer mehr ab, und zwar so
lange, bis der eutektische Punkt erreicht ist, bei dem Aluminium und Silicium
beide erstarren. Die Erstarrungstemperatur des Siliciums ändert sich fortlau-
fend; man spricht von einem inkongruenten Erstarren.
Komplizierter werden die Verhältnisse, wenn die beiden Komponenten Ver-
bindungen miteinander bilden. In Abb. 4.6 ist das Phasendiagramm eines Sy-
stems gezeigt, bei dem die beiden Komponenten, Magnesium und Calcium, ei-
ne Verbindung miteinander bilden, CaMg2 . In der Mitte des Diagramms, ent-
sprechend der Zusammensetzung CaMg2 , taucht ein Maximum auf, das den
Schmelzpunkt der Verbindung CaMg2 markiert. Links davon kommt ein Eu-
tektikum vor, gebildet aus den beiden Komponenten Mg und CaMg2 . Rechts
finden wir ein zweites Eutektikum aus Ca und CaMg2 . Sowohl die linke als
auch die rechte Hälfte des Phasendiagramms von Abb. 4.6 entsprechen jeweils
dem Phasendiagramm eines einfachen eutektischen Systems wie in Abb. 4.5.
62 4 POLYMORPHIE, PHASENUMWANDLUNGEN
T /◦ C T /◦ C
900 6 0 6
Mg2 Ca H2 O·HF
➤
➤
H2 O·2HF
700 –40
➤
H2 O·4HF
500 –80 –72 –78
➤
hocht.
–103
tieft.
300 –120
0 0,2 0,4 0,6 0,8 1,0 0 0,2 0,4 0,6 0,8 1,0
Mg Stoffmengenanteil Ca Ca H2 O Stoffmengenanteil HF HF
Abb. 4.6: Phasendiagramme für die Systeme Calcium/Magnesium und H2 O/HF: Bil-
dung einer bzw. dreier Verbindungen
Noch komplizierter ist das Phasendiagramm für das System H2 O/HF, bei
dem die Bildung der drei Verbindungen, H2 O·HF, H2 O·2 HF und H2 O·4 HF
beobachtet wird. In diesen Verbindungen sind Teilchen H3 O+ , HF und F− über
Wasserstoffbrücken miteinander verknüpft. Für zwei der Verbindungen finden
wir Maxima im Phasendiagramm (Abb. 4.6), ähnlich wie für die Verbindung
CaMg2 . Es gibt aber kein Maximum bei der Zusammensetzung H2 O·2 HF
und auch kein Eutektikum zwischen H2 O·2 HF und H2 O·HF; wir erkennen
nur einen Knick im peritektischen Punkt in der Liquiduskurve. Das erwar-
tete Maximum ist verdeckt“ (punktierte Linie). Die Horizontale durch den
”
Knickpunkt nennt man peritektische Gerade. Während die Feststoffe der Zu-
sammensetzung H2 O·HF und H2 O·4 HF kongruent schmelzen, d. h. je eine de-
finierte, sich nicht ändernde Schmelztemperatur haben (den Maxima im Dia-
gramm entsprechend), schmilzt der Feststoff der Zusammensetzung H2 O·2 HF
inkongruent; er zerfällt bei −78 ◦ C zu einer HF-reicheren Flüssigkeit und fe-
stem H2 O·HF. Die Verbindung H2 O·2 HF wandelt sich bei −103 ◦ C von ei-
ner Hochtemperatur-“ in eine Tieftemperaturmodifikation um; dies kommt im
”
Diagramm durch die horizontale Gerade bei dieser Temperatur zum Ausdruck.
Phasendiagramme geben wertvolle Information darüber, welche Verbindun-
gen in einem Stoffsystem entstehen können. Diese Verbindungen können dann
gezielt hergestellt und untersucht werden. Zur experimentellen Ermittlung ei-
nes Phasendiagramms bedient man sich vor allem der folgenden Methoden. Bei
4.6 Übungsaufgaben 63
4.6 Übungsaufgaben
4.1 Die Dichten einiger SiO2 -Modifikationen sind: α -Quarz 2,65 g cm−3 , β -Quarz 2,53
g cm−3 , β -Tridymit 2,27 g cm−3 , β -Cristobalit 2,33 g cm−3 , SiO2 -Glas 2,20 g cm−3 .
Sollte es möglich sein, durch Anwendung von Druck β -Cristobalit in eine der anderen
Modifikationen umzuwandeln?
4.2 Quarzglas bildet sich, wenn geschmolzenes SiO2 schnell abgekühlt wird. Es kristal-
lisiert langsam. Wird die Kristallisationsgeschwindigkeit bei Zimmertemperatur oder
bei 1000 ◦ C größer sein?
4.3 BeF2 hat wie Quarz eine polymere Struktur, bei der F-Atome tetraedrisch koor-
dinierte Be-Atome verknüpfen; BF3 ist monomer. Welches der beiden wird eher dazu
neigen, ein Glas zu bilden, wenn es aus der flüssigen Phase abgekühlt wird?
4.4 Ist die Umwandlung α -KNO3 → β -KNO3 (vgl. S. 53) ein Phasenübergang erster
oder zweiter Ordnung?
4.5 CaO wandelt sich bei einem Druck von 65 GPa vom NaCl- zum CsCl-Typ um.
(Bilder in Abb. 7.1, S. 83). Welcher Art ist die Umwandlung?
4.6 Schmilzt Eis bei −10 ◦ C wenn darauf Druck ausgeübt wird? Wenn ja, gefriert es
dann wieder, wenn der Druck weiter erhöht wird? Welche Modifikation müßte sich
dann bilden?
4.7 Kann man Wasser bei +40 ◦ C zum gefrieren bringen? Wenn ja, welche Eis-
Modifikation sollte sich dann bilden?
4.8 Was geschieht wenn eine Lösung von HF und Wasser, die einen Stoffmengenanteil
von 40 % HF enthält, von 0 ◦ C auf −100 ◦ C abgekühlt wird?
4.9 Wie aus Abb. 12.11 hervorgeht, wandelt sich β -Quarz beim Aufheizen bei 870 ◦ C
in β -Tridymit und dann bei 1470 ◦ C in β -Cristobalit um. Sollte es möglich sein, eine
direkte Umwandlung β -Quarz β -Cristobalit zu erreichen, wenn die Temperatur bei
hohem Druck variiert wird?
64
einerseits von den festen interatomaren Bindungen und andererseits von der
gegenseitigen Abstoßung der Valenzelektronen und vom Platzbedarf der ge-
bundenen Atome abhängt.∗ Beim Verknüpfen von Atomen zu größeren Bau-
einheiten kann die Nahordnung zu einem über größere Entfernungen geordne-
ten Verband führen, so ähnlich, wie sich die Nahordnung um einen Ziegelstein
zu einer Fernordnung in einem Mauerwerk fortsetzt.
In einem niedermolekularen Molekül oder Molekülion wird eine begrenzte
Anzahl von Atomen durch kovalente Bindungen zusammengehalten. Die kova-
lenten Kräfte im Inneren des Moleküls sind erheblich stärker als alle nach au-
ßen wirkenden Kräfte. Bei der Betrachtung von Molekülstrukturen begeht man
deshalb nur einen geringen Fehler, wenn man so tut, als käme das Molekül al-
leine vor und hätte keine Umgebung. Nach aller Erfahrung und im Einklang
mit Untersuchungen von K ITAIGORODSKY und mit Kraftfeldberechnungen
hat das Zusammenpacken von Molekülen zu einem Kristallverband nur einen
sehr geringen Einfluß auf die Bindungslängen und -winkel im Molekül; nur
Konformationswinkel werden in bestimmten Fällen stärker beeinflußt. Viele
Eigenschaften einer molekularen Verbindung können von der Molekülstruktur
her erklärt werden.
Dies gilt nicht ohne weiteres für makromolekulare Stoffe, bei denen ein
Molekül aus einer fast unbegrenzten Anzahl von Atomen besteht. Die Wech-
selwirkungen mit umgebenden Molekülen können in diesem Fall nicht mehr
vernachlässigt werden. Bei einer Substanz, die aus fadenförmigen Makromo-
lekülen besteht, ist es für die physikalischen Eigenschaften zum Beispiel nicht
gleichgültig, ob die Moleküle zu einem kristallinen Verband geordnet sind oder
ob sie ohne Ordnung miteinander verknäuelt sind.
Bei kristallinen makromolekularen Substanzen unterscheiden wir je nach
der Art des Verbandes der kovalent miteinander verknüpften Atome zwischen
Kettenstrukturen, Schichtenstrukturen und Raumnetzstrukturen. Die Ketten
oder Schichten können elektrisch ungeladene Moleküle sein, zwischen denen
nur VAN - DER -WAALS-Kräfte herrschen, oder sie können Polyanionen oder
∗ Die häufig der kovalenten Bindung zugeschriebene Eigenschaft, gerichtet zu sein, ist nicht als
die Ursache für die sich ergebenden Strukturen anzusehen. Das Bild der von vornherein ausge-
richteten Bindungen rührt von Modellbetrachtungen her, bei denen die Hybridisierung von Ato-
morbitalen als mathematisches Hilfsmittel benutzt wurde. Die Umrechnung der Atomorbitale auf
Hybridorbitale wurde vorab vorgenommen, obwohl sie erst nachträglich durch die Linearkombina-
tion mit den Orbitalen der Bindungspartner einen Sinn erhält. Dadurch wurde zuweilen der falsche
Eindruck erweckt, die Hybridisierung sei ein echter Prozeß, welcher vor der Bindungsbildung ab-
laufe und die Stereochemie festlege.
66 5 CHEMISCHE BINDUNG UND GITTERENERGIE
Bei Verbindungen, die sich nicht eindeutig einer der genannten Stoffklas-
sen zuordnen lassen, hat die Angabe einer Gitterenergie nur dann einen Sinn,
wenn die Art der Bausteine definiert wird. Soll man bei SiO2 einen Aufbau aus
Si- und O-Atomen oder aus Si4+ - und O2− -Ionen zugrundelegen? Sofern in
der Literatur für polare Verbindungen wie SiO2 Angaben zur Gitterenergie ge-
macht werden, bezieht man sich in der Regel auf einen Aufbau aus Ionen. Beim
Umgang mit Werten, die unter dieser Annahme berechnet wurden, ist größte
Zurückhaltung geboten, da die nicht berücksichtigten kovalenten Bindungsan-
teile von erheblicher Bedeutung sind. Selbst bei einem Aufbau aus Ionen sind
5.2 Die Gitterenergie 67
die Verhältnisse nicht immer klar: soll man Na2 SO4 aus Na+ - und SO2−
4 - oder
aus Na+ -, S6+ - und O2− -Ionen aufbauen?
Die Nullpunktsenergie ergibt sich aus der Quantentheorie, nach der die Ato-
me auch beim absoluten Nullpunkt noch Schwingungen ausführen. Für einen
D EBYEschen Festkörper (das ist ein homogener Körper aus N gleichen Teil-
chen) beträgt die Nullpunktsenergie
E0 = N 98 hνmax
wobei νmax die Frequenz des höchsten besetzten Schwingungszustands im Kri-
stall ist. Bei Molekülen mit einer sehr geringen Masse und bei solchen, die
über Wasserstoffbrücken zusammengehalten werden, hat die Nullpunktsener-
gie einen erheblichen Beitrag. Bei H2 und He macht sie sogar den überwie-
genden Anteil der Gitterenergie aus; bei H2 O beträgt ihr Anteil ca. 30 %, bei
68 5 CHEMISCHE BINDUNG UND GITTERENERGIE
N2 , O2 und CO sind es etwa 10 %. Bei größeren Molekülen ist der Anteil der
Nullpunktsenergie nur noch sehr gering.
Die Dispersionskraft zwischen zwei Atomen führt zur Dispersionsenergie
ED , die näherungsweise proportional zu r−6 ist, wenn r der Abstand zwischen
den Atomen ist:
C
ED = −
r6
Die Dispersionsenergie zwischen zwei Molekülen ist näherungsweise gleich
der Summe der Beiträge von den Atomen des einen Moleküls zu denen des
anderen Moleküls.
Für die Abstoßungsenergie EA zwischen zwei Atomen, die sich zu nahe
kommen, wird meistens eine Exponentialfunktion angesetzt:
EA = B exp(−α r)
Eine andere, ebenso geeignete Näherungsformel ist:
EA = B
r−n
mit n = 5 bis n = 12 (B ORNscher Abstoßungsexponent).
Bei Molekülen mit geringer Polarität, zum Beispiel bei Kohlenwasserstof-
fen, ist der elektrostatische Beitrag gering. Moleküle mit stark polaren Bindun-
gen wirken als Dipole oder Multipole, die sich gegenseitig beeinflussen. Zum
Beispiel sind Metallhalogenidmoleküle wie WF6 oder WCl6 Multipole, bei de-
nen die Halogenatome eine negative Partialladung −q tragen und auf das Me-
tallatom eine positive Ladung +6q kommt; der zwischen null und eins liegende
Betrag der Partialladung q ist allerdings nicht sicher bekannt. Obwohl sich die
Kraftwirkung eines Multipols nur auf nahe gelegene Moleküle nennenswert
auswirkt, kann sie erheblich zur Gitterenergie beitragen. Die elektrostatische
oder Coulomb-Energie EC zwischen zwei Atomen, die die Ladung qi und q j
tragen, ist:
2
1 qi q j e
EC = (5.1)
4πε0 r
qi , q j in Einheiten der Elementarladung e = 1, 6022 · 10−19 C, ε0 = elektrische Feldkon-
stante = 8,854·10−12 C2 J−1 m−1 .
Insgesamt läßt sich die Gitterenergie E somit wie folgt näherungsweise be-
rechnen:
E = NA ∑(ED + EA + EC + E0 )
qi q j e2 9
= NA ∑ −Ci j ri−6
j + Bi j exp(−αi j ri j ) + 4πε r + hνmax (5.2)
i, j 0 ij 8
5.2 Die Gitterenergie 69
Durch die Wahl der Vorzeichen ergibt sich ein negativer Zahlenwert für die Git-
terenergie, entsprechend der Definition als freiwerdende Energie bei der Bil-
dung des Kristalls. Mit dem Index i werden die Atome eines Moleküls durch-
gezählt, mit dem Index j werden sämtliche Atome aller übrigen Moleküle im
Kristall gezählt. Es wird so die Wechselwirkungsenergie von einem Molekül zu
allen anderen Molekülen berechnet. Durch Multiplikation mit der AVOGADRO-
Zahl NA ergibt sich dann die Gitterenergie pro Mol. ri j ist der Abstand zwi-
schen den Atomen i und j, qi und q j sind ihre Partialladungen in Einheiten
der Elementarladung und Bi j , αi j und Ci j sind experimentell zu bestimmende
Parameter, die dahingehend optimiert werden, daß sie die gemessene Subli-
mationsenthalpie bei 300 K richtig wiedergeben. Da der Beitrag der einzelnen
Glieder in Gleichung (5.2) immer geringer wird, je größer ri j ist, genügt es,
alle Atome bis zu einer Obergrenze für ri j zu berücksichtigen. Die Summation
läßt sich dann mit einem Rechner relativ schnell durchführen.
Werte für die Partialladungen der Atome können aus quantenchemi-
schen Rechnungen, aus den molekularen Dipolmomenten oder aus Rotations-
Schwingungsspektren abgeleitet werden, sie sind aber häufig nicht oder nur
unzureichend bekannt. Wenn der Anteil der Coulomb-Energie deshalb nicht
sicher berechnet werden kann, ist eine zuverlässige Berechnung der Gitter-
energie nicht möglich.
Parameter Bi j , αi j und Ci j für leichtere Atome findet man zum Beispiel
bei [71]. Einige sich damit ergebende Potentialfunktionen sind in Abb. 5.1
gezeigt. Die Minima der Kurven geben den interatomaren Gleichgewichts-
abstand an, der sich zwischen zwei einzelnen Atomen einstellt. Im Kristall
resultieren kleinere interatomare Abstände, weil ein Molekül mehrere Ato-
me enthält und somit mehrere Atom-Atom-Anziehungskräfte zwischen zwei
Molekülen herrschen und weil weitere Moleküle in der Umgebung ebenfalls
anziehende Kräfte ausüben. Die anziehenden Kräfte zusammen werden VAN -
DER -WAALS -Kräfte genannt.
Allgemein ist die Gitterenergie eines Molekülkristalls um so größer, je
größer die Moleküle, je schwerer ihre Atome und je stärker polar ihre Bin-
dungen sind. Typische Werte sind: Argon 7,7 kJ/mol; Krypton 11,1 kJ/mol;
organische Verbindungen 50 bis 150 kJ/mol.
(ED + EA ) / kJ mol−1
C· · ·C
2 6
1 O· · ·O
400 500
0 - r /pm
100 200
–1 Cl· · ·Cl
Die Berechnung der Gitterenergie kann nach Gleichung (5.2) erfolgen, in-
dem für die Ladungen q die Werte der Ionenladungen eingesetzt werden. Die
Ionenkristalle aus einatomigen Ionen wie Na+ oder Cl− haben einen einfa-
chen und symmetrischen Aufbau, den man sich für die Summation gemäß
Gleichung (5.2) zunutze machen kann. Dies sei am Beispiel der NaCl-Struktur
erläutert. Bezeichnen wir den kürzesten Abstand Na+ —Cl− im Kristall mit R,
so können wir alle Ionenabstände als Vielfache von R angeben. Welche Viel-
5.2 Die Gitterenergie 71
1. −6, weil das Na+ -Ion von 6 Cl− -Ionen mit Ladung −1 im Abstand r = R
in erster Sphäre umgeben ist.
√
2. +12/ √ 2, weil das Na+ -Ion von 12 Na+ -Ionen mit Ladung +1 im Ab-
stand R 2 in zweiter Sphäre umgeben ist.
√ √
3. −8/ 3, weil sich in dritter Sphäre 8 Cl− -Ionen im Abstand R 3 befin-
den.
Bei Ausdehnung der Reihe in der Klammer auf unendlich viele Glieder
summiert sie sich auf den Zahlenwert −A = −1, 74756. Wir können also kurz
schreiben:
e2
EC = − A (5.4)
4πε0 R
Die Größe A wird M ADELUNG-Konstante genannt. Wie der Vergleich von
Gleichung (5.1) mit Gleichung (5.4) zeigt, wird beim Zusammenfügen der Io-
nen zur Kristallstruktur mehr Energie freigesetzt als bei der Bildung einzelner
Ionenpaare (bei gleichen interionischen Abständen r = R; tatsächlich ist im
einzelnen Ionenpaar r < R, der Energiegewinn entspricht also nicht ganz dem
Faktor A).
Für höher geladene Ionen können wir dieselbe Konstante A verwenden, so-
fern der Strukturtyp derselbe ist:
e2
EC = −|q1 ||q2 | A
4πε0 R
|q1 | und |q2 | sind dabei die Absolutwerte der Ionenladungen in Einheiten der
Elementarladung. Die M ADELUNG-Konstante ist von den Ionenladungen und
den Gitterabmessungen unabhängig, sie gilt aber nur für einen bestimmten
Strukturtyp. Tabelle 5.1 führt einige Werte für einfachere Strukturtypen auf.
72 5 CHEMISCHE BINDUNG UND GITTERENERGIE
5.3 Übungsaufgaben
5.1 Leiten Sie die ersten vier Terme der Reihe zur Berechnung der M ADELUNG-
Konstante für CsCl ab (Abb. 7.1).
5.2 Berechnen Sie den Coulomb-Anteil der Gitterenergie für:
(a) CsCl, R = 356 pm;
(b) CaF2 , R = 236 pm;
(c) BaO (NaCl-Typ), R = 276 pm.
73
Größe. Erfahrungsgemäß kann man für viele Zwecke Atome tatsächlich so be-
handeln, als wären sie mehr oder weniger starre Kugeln.
Weil die Anziehungskräfte zwischen den Atomen je nach der Art der Bin-
dung verschieden sind, muß man einem Atom je nach Bindung unterschiedli-
che Werte für den Kugelradius zuordnen. Nach aller Erfahrung hat der Radius
der Atome eines Elements einen einigermaßen konstanten Wert für ein und
dieselbe Bindungsart. Man unterscheidet den VAN - DER -WAALS-Radius, den
Radius in Metallen, mehrere Ionenradien je nach Ionenladung sowie je einen
Kovalenzradius für Einfach-, Doppel- und Dreifachbindung. Die Werte variie-
ren dann noch in Abhängigkeit der Koordinationszahl; je größer sie ist, desto
größer ist der Radius.
6.1 Van-der-Waals-Radien
In einer kristallinen Verbindung, die aus Molekülen aufgebaut ist, sind die
Moleküle im allgemeinen so dicht gepackt, wie es ohne Unterschreitung der
VAN - DER -WAALS -Radien möglich ist. Die kürzesten üblicherweise beobach-
teten Abstände zwischen Atomen des gleichen Elements aus benachbarten Mo-
lekülen dienen zur Berechnung des VAN - DER -WAALS-Radius für das betref-
fende Element. Einige Werte sind in Tabelle 6.1 zusammengestellt. Bei ei-
ner genaueren Betrachtung erweisen sich kovalent gebundene Atome als nicht
exakt kugelförmig. So ist ein Halogenatom, das an ein C-Atom gebunden ist,
etwas abgeplattet, d. h. sein VAN - DER -WAALS-Radius ist in der Richtung der
Verlängerung der C–Halogen-Bindung etwas kleiner als senkrecht zur Bindung
(vgl. Tab 6.1). Ist, wie in Metallhalogeniden, die kovalente Bindung polarer, so
ist die Abweichung von der Kugelform geringer. Einen Einfluß kann auch von
den Bindungsverhältnisse herrühren; Kohlenstoffatome haben zum Beispiel in
Acetylenen einen etwas größeren Radius als sonst.
Unterschreitungen der tabellierten VAN - DER -WAALS-Radien treten auf,
wenn es zwischen den Molekülen besondere anziehende Kräfte gibt. Bei sol-
vatisierten Ionen können die Abstände zwischen Ion und Atomen des Lösungs-
mittelmoleküls zum Beispiel nicht mit Hilfe der VAN - DER -WAALS-Radien be-
rechnet werden.
Tabelle 6.2: Atomradien in Metallen /pm. Alle Zahlen beziehen sich auf die Koordina-
tionszahl 12, ausgenommen bei den Alkalimetallen (K.Z. 8), Ga (K.Z. 1+6), Sn (K.Z.
4+2), Pa (K.Z. 10), U und den Transuranen
Li Be
152 112
Na Mg Al
186 160 143
K Ca Sc Ti V Cr Mn Fe Co Ni Cu Zn Ga
230 197 162 146 134 128 137 126 125 125 128 134 135
Rb Sr Y Zr Nb Mo Tc Ru Rh Pd Ag Cd In Sn
247 215 180 160 146 139 135 134 134 137 144 151 167 154
Cs Ba La Hf Ta W Re Os Ir Pt Au Hg Tl Pb
267 222 187 158 146 139 137 135 136 139 144 151 171 175
Ce Pr Nd Pm Sm Eu Gd Tb Dy Ho Er Tm Yb Lu
182 182 182 181 180 204 179 178 177 176 175 174 193 174
Th Pa U Np Pu Am Cm Bk Cf Es Fm Md No Lr
180 161 156 155 159 173 174 170 169
6.3 Kovalenzradien
Kovalenzradien werden aus den beobachteten Abständen zwischen aneinan-
dergebundenen Atomen des gleichen Elements ermittelt. So beträgt der C–C-
Abstand im Diamant und in Alkanen 154 pm; die Hälfte davon, 77 pm, ist
dann der Kovalenzradius für eine Einfachbindung an einem C-Atom der Ko-
ordinationszahl 4 (sp3 -C-Atom). Analog berechnet man Kovalenzradien für Cl
(100 pm) aus dem Abstand im Cl2 -Molekül, für O (73 pm) aus dem O–O-
Abstand im H2 O2 und für Si (118 pm) aus dem Abstand im elementaren Sili-
cium. Addiert man die Kovalenzradien für C und Cl, so erhält man 77 + 100 =
177 pm; dieser Wert stimmt recht gut mit den gemessenen Abständen in
C–Cl-Verbindungen überein. Addiert man die Kovalenzradien für Si und O,
118 + 73 = 191 pm, so stimmt der erhaltene Wert jedoch nur sehr schlecht
mit den beobachteten Abständen im SiO2 überein (158 bis 162 pm). Gene-
rell muß man feststellen: je stärker polar eine Bindung ist, desto mehr weicht
ihre Länge nach niedrigeren Werten von der Summe der Kovalenzradien ab.
Um dem Rechnung zu tragen, kann man nach S HOMAKER und S TEVENSON
6.4 Ionenradien 77
6.4 Ionenradien
In Ionenverbindungen entspricht der kürzeste Abstand Kation-Anion der Sum-
me der Ionenradien. Dieser Abstand kann experimentell bestimmt werden.
Werte für die Radien selbst sind jedoch nicht so leicht zugänglich. Aus sehr
sorgfältig durchgeführten Röntgenbeugungsexperimenten kann man die Elek-
tronendichte im Kristall berechnen; die Stelle mit dem Minimalwert für die
Elektronendichte entlang der Verbindungslinie Kation-Anion kann als der
Berührungspunkt“ der Ionen aufgefaßt werden. Wie am Beispiel des Natri-
”
umfluorids in Abb. 6.1 gezeigt, ist eine gewisse Abweichung der Ionen von der
Kugelgestalt, d. h. eine Polarisation der Elektronenhülle, erkennbar. Das ist ein
Indiz für gewisse kovalente Bindungsanteile, also für einen partiellen Rück-
”
fluß“ von Elektronendichte vom Anion zum Kation. Das Minimum der Elek-
tronendichte muß deshalb nicht notwendigerweise der ideale Begrenzungsort
zwischen Kation und Anion sein.
78 6 DIE EFFEKTIVE GRÖSSE VON ATOMEN
ρ · 106 ρ · 106
e pm3 6 6
e pm3
0,3 30 3
0,5
1 ➤
0,5 2
12 5
5 20 20 2
20
Na+ F− ➤
10 1
0 0
0 100 200 pm
r(Na+ ) r(F− )
Die bislang verwendeten Werte für Ionenradien basieren auf der willkürli-
chen Festlegung des Radius für ein bestimmtes Ion. Damit kann man dann
einen in sich konsistenten Satz von Radien für andere Ionen ableiten. In der
Literatur gibt es unterschiedliche Tabellen, die von einem jeweils anderen
Basiswert für einen Ionenradius abgeleitet wurden (Ionenradien nach G OLD -
SCHMIDT, PAULING , A HRENS , S HANNON ). Die Werte nach S HANNON beru-
hen auf einer kritischen Auswertung interatomarer Abstände und basieren auf
dem Wert 140 pm für das O2− -Ion bei sechsfacher Koordination. Sie sind in
Tabelle 6.3 und 6.4 aufgeführt.
Die Ionenradien lassen sich auch dann verwenden, wenn erhebliche kova-
lente Bindungsanteile vorhanden sind. Je höher geladen ein Kation ist, desto
stärker polarisierend wirkt es auf ein benachbartes Anion, d. h. um so mehr
bildet sich eine kovalente Bindung aus. Rein rechnerisch kann man für das
Anion trotzdem einen konstanten Radius annehmen und dem Kation einen Ra-
dius zuweisen, mit dem sich der beobachtete Atomabstand richtig ergibt. Die
Angabe eines Wertes wie r(Nb5+ ) = 64 pm soll also nicht die Existenz eines
Nb5+ -Ions mit diesem Radius zum Ausdruck bringen, sondern bedeutet, daß
in Niob(V)-Verbindungen die Bindungslänge zwischen einem Nb-Atom und
einem elektronegativen Atom X als Summe von r(Nb5+ ) plus dem Anionen-
6.4 Ionenradien 79
radius von X berechnet werden kann. Völlig unabhängig von der Natur von X
sind die Werte allerdings nicht; so lassen sich die Werte von Tab. 6.4 nicht oh-
ne weiteres auf Schwefelverbindungen anwenden; hierfür wurde ein Satz von
Ionenradien mit etwas abweichenden Werten abgeleitet [80]. Man kann auch
umgekehrt von beobachteten Bindungslängen auf den Oxidationszustand der
beteiligten Atome schließen.
Bei weichen (leicht polarisierbaren) Ionen hängt der Ionenradius vom Ge-
genion ab. So beträgt der Ionenradius für das H− -Ion 130 pm im MgH2 , 137
pm im LiH, 146 pm im NaH und 152 pm im KH.
Die in den Tabellen 6.3 und 6.4 aufgeführten Ionenradien gelten in den mei-
sten Fällen für Ionen mit der Koordinationszahl 6. Für andere Koordinations-
zahlen weichen die Werte etwas ab. Für jede Einheit, um welche die Koordina-
tionszahl zu- oder abnimmt, nimmt der Ionenradius um 1,5 bis 2 % ab bzw. zu.
Bei Koordinationszahl 4 sind die Werte ca. 4 % kleiner, bei Koordinationszahl
8 ca. 3 % größer als bei Koordinationszahl 6. Ursache ist die gegenseitige Ab-
stoßung der koordinierten Ionen, die sich um so stärker auswirkt, je mehr davon
vorhanden sind. Auch die Größe der koordinierten Ionen spielt eine Rolle; ein
80 6 DIE EFFEKTIVE GRÖSSE VON ATOMEN
Ce Pr Nd Pm Sm Eu Gd Tb Dy Ho Er Tm Yb Lu
+2 117 107 103 102
+3 101 99 98 97 96 95 94 92 91 90 89 88 87 86
+4 87 85 76
Th Pa U Np Pu Am Cm Bk Cf Es Fm Md No Lr
+3 104 103 101 100 98 97 96 95
+4 94 90 89 87 86 85 85 83 82
+5 78 76 75 74
+6 73 72 71
6.5 Übungsaufgaben 81
Kation, das von sechs kleinen Anionen umgeben ist, erscheint etwas kleiner als
dasselbe Kation, umgeben von sechs großen Anionen, weil sich die Anionen
in letzterem Fall etwas stärker gegenseitig abstoßen. Hierfür wurde von PAU -
LING eine Korrekturfunktion abgeleitet [83]. Sind kovalente Bindungsanteile
vorhanden, dann hängen die Ionenradien in stärkerem Maße von der Koordi-
nationszahl ab. Beim Wechsel der Koordinationszahl von 6 nach 8 nimmt der
Ionenradius zum Beispiel bei Lanthanoidionen um ca. 13 % zu, bei Ti4+ und
Pb4+ sind es ca. 21 %. Verringert sich die Koordinationszahl bei Nebengrup-
penelementen von 6 nach 4, so verringert sich der Ionenradius um 20 bis 35 %.
6.5 Übungsaufgaben
6.1 In den folgenden tetraedrischen Molekülen betragen die Bindungslängen:
SiF4 155 pm; SiCl4 202 pm; SiI4 243 pm.
Berechnen Sie die Halogen–Halogen-Abstände und vergleichen Sie sie mit den VAN -
DER -WAALS-Abständen. Welchen Schluß ziehen Sie daraus?
6.2 Berechnen Sie aus Ionenradien Erwartungswerte für die Bindungslängen in:
Moleküle WF6 , WCl6 , PCl− − − 2−
6 , PBr6 , SbF6 , MnO4 ;
Feststoffe (Metallatome mit K.Z. 6) TiO2 , ReO3 , EuO, CdCl2 .
82
7 Ionenverbindungen
7.1 Radienquotienten
In einer energetisch günstigen Packung von Kationen und Anionen befinden
sich nur Anionen als nächste Nachbarn um ein Kation und umgekehrt. Da-
durch überwiegen die Anziehungskräfte zwischen entgegengesetzt geladenen
Ionen gegenüber den Abstoßungskräften zwischen gleichgeladenen Ionen. Die
Packung vieler Ionen zu einem Kristall setzt einen um den Faktor A größeren
Energiebetrag frei als die Annäherung von nur zwei entgegengesetzt geladenen
Ionen zu einem Ionenpaar (bei gleichem interionischem Abstand R). A ist die
in Abschnitt 5.2 (S. 69) erläuterte M ADELUNG-Konstante, die für einen ge-
gebenen Kristallstrukturtyp einen definierten Zahlenwert hat. Man könnte nun
denken, derjenige Strukturtyp, der für die jeweilige chemische Zusammenset-
zung die größte M ADELUNG-Konstante hat, müßte immer bevorzugt sein. Dies
ist jedoch keineswegs der Fall.
Die Stabilität eines bestimmten Strukturtyps hängt wesentlich von der re-
lativen Größe der Kationen und Anionen ab. Trotz größerer M ADELUNG-
Konstante kann ein Strukturtyp weniger begünstigt sein, wenn sich Kationen
und Anionen in einem anderen Strukturtyp näher kommen können, denn in die
Gitterenergie gehen auch die Ionenabstände ein (vgl. Gleichung 5.4, S. 71).
Die relative Ionengröße wird durch das Verhältnis Kationenradius rM zu An-
ionenradius rX , dem Radienquotienten rM /rX , quantifiziert. In der folgenden
Betrachtung werden die Ionen wie starre Kugeln mit definiertem Radius be-
handelt.
Für Verbindungen der Zusammensetzung MX (M = Kation, X = Anion)
hat der CsCl-Typ die größte M ADELUNG-Konstante. Bei diesem Strukturtyp
steht das Cs+ -Ion mit acht Cl− -Ionen in Kontakt, die es würfelförmig umge-
ben (Abb. 7.1). Die Cl− -Ionen berühren einander nicht. Mit einem kleinerem
Kation als Cs+ rücken die Cl− -Ionen zusammen, und wenn der Radienquoti-
ent rM /rX = 0, 732 beträgt, berühren sich die Cl− -Ionen. Ist rM /rX < 0, 732, so
bleiben die Cl− -Ionen in Kontakt, aber Kation und Anion berühren sich nicht
mehr. Jetzt wird ein Strukturtyp günstiger, dessen M ADELUNG-Konstante zwar
kleiner ist, bei dem sich Kationen und Anionen aber wieder berühren. Dies
wird durch die kleinere Koordinationszahl 6 der Ionen erreicht, die im NaCl-
Typ verwirklicht ist (Abb. 7.1). Wird der Radienquotient noch kleiner, so soll-
te der Zinkblende- (Sphalerit-) oder der Wurtzit-Typ auftreten, bei denen die
7.1 Radienquotienten 83
1a 2
2
√
6 ➤
➤
a 3
a Fläche der
6
➤
? Elementarzelle 1
2a
➤
2rX ?
√
➤
rX 3
➤ √ √
4 a = 2 rX
1 1 1
➤
2 rX 6 2
➤
➤
1a
6
➤
➤
2 ?
➤
= rX
- -
-
√ √ √ √
1
2a 2 = rX 2 2 a = rX
1
2 1
4a 2 = rX
CsCl-Typ NaCl-Typ Zinkblende-Typ
√ √ √
rM + rX = r√X 3 rM + rX = r√X 2 rM + rX = rX√· 12 6
rM /rX = 3 − 1 rM /rX = 2 − 1 rM /rX = 12 6 − 1
= 0, 732 = 0, 414 = 0, 225
Ionen nur noch die Koordinationszahl 4 haben (Abb. 7.1; Zinkblende und Wurt-
zit sind zwei Modifikationen von ZnS). Die geometrischen Überlegungen, die
zu den folgenden Zahlenwerten führen, sind in Abb. 7.2 erläutert:
Koordinationszahl
rM /rX und -polyeder Strukturtyp
> 0, 732 8 Würfel CsCl
0,414 bis 0,732 6 Oktaeder NaCl
< 0, 414 4 Tetraeder Zinkblende
Die beschriebene, rein geometrische Überlegung vereinfacht die Verhältnis-
se zu sehr, denn die ausschlaggebende Größe ist die Gitterenergie, deren Be-
rechnung etwas komplizierter ist. Berücksichtigt man nur den elektrostatischen
Anteil der Gitterenergie, so ist die maßgebliche Größe nach Gleichung (5.4)
A/R (A = M ADELUNG-Konstante, R = kürzester Abstand Kation-Anion). Für
Chloride ist in Abb. 7.3 gezeigt, wie der elektrostatische Anteil der Gitter-
energie vom Radienverhältnis abhängt. Der Schnittpunkt der Kurven läßt den
Wechsel vom NaCl-Typ zum Zinkblende-Typ bei rM /rX ≈ 0, 3 anstelle von
rM /rX = 0, 414 erwarten. Der Übergang vom NaCl- zum CsCl-Typ ist bei
rM /rX ≈ 0, 71 zu erwarten. Die Kurven wurden unter Annahme von harten
Cl− -Ionen berechnet (rCl− = 181 pm). Berücksichtigt man noch die Zunahme
des Ionenradius mit der Koordinationszahl, so ergibt sich für den CsCl-Typ
die in Abb. 7.3 punktierte Kurve. Danach sollte der CsCl-Typ überhaupt nicht
auftreten, da die punktierte Linie immer unterhalb der Linie für den NaCl-Typ
verläuft. Daß er mit schweren Ionen trotzdem vorkommt, ist auf den etwas
höheren Beitrag der Dispersionsenergie beim CsCl-Typ zurückzuführen. Ta-
belle 7.1 gibt eine Übersicht über die tatsächlich beobachteten Strukturtypen
bei den Alkalihalogeniden.
EC /kJ mol−1
–1000
6
Zinkblende-Typ
NaCl-Typ
–800
CsCl-Typ
................................................
Abb. 7.3: Der elektrostatische Anteil der Gitterenergie für Chloride im CsCl-, NaCl-
und Zinkblende-Typ in Abhängigkeit des Radienquotienten
Bei einem Radienquotienten von 0,95 bis 1,00 könnten 12 Anionen um ein
Kation angeordnet werden. Im Gegensatz zu den drei bisher betrachteten Struk-
turtypen läßt die Koordinationszahl 12 aber geometrisch keine Anordnung zu,
bei der Kationen nur von Anionen und gleichzeitig Anionen nur von Kationen
umgeben sind. Bei Ionenverbindungen kommt sie deshalb nicht vor. Wenn,
wie bei RbF und CsF, rM /rX größer als 1 ist, kehren sich die Verhältnisse um:
dann sind die Kationen größer als die Anionen und die Berührung der Katio-
nen bestimmt die Grenzradienquotienten; es gelten die gleichen Zahlen und
Strukturtypen, aber der Kehrwert ist zu verwenden, also rX /rM .
Der Zinkblende-Typ ist bei echten“ Ionenverbindungen nicht bekannt, weil
”
es kein Paar von Ionen mit dem entsprechenden Radienquotienten gibt. Er tritt
aber bei Verbindungen mit erheblichen kovalenten Bindungsanteilen auf, und
zwar auch dann, wenn die relativen Größen der Atome diesen Strukturtyp nach
den vorstehenden Überlegungen überhaupt nicht erwarten lassen. Beispiele
sind CuCl, AgI, ZnS, SiC und GaAs. Dieser Strukturtyp wird in Kapitel 12
eingehender behandelt.
Bei den bis jetzt betrachteten Strukturtypen für Verbindungen MX haben
Kation und Anion die gleiche Koordinationszahl. Bei Verbindungen MX2 muß
die Koordinationszahl der Kationen doppelt so groß sein wie die der Anionen.
86 7 IONENVERBINDUNGEN
Ca Ti
O
Vertauscht man Kationen und Anionen auf ihren Plätzen, so ergeben sich
beim CsCl-, NaCl- und Zinkblende-Typ die gleichen Strukturen. Beim CaF2 -
Typ ist mit dem Vertauschen der Plätze auch ein Vertauschen der Koordina-
tionszahlen verbunden, die Anionen haben dann die Koordinationszahl 8 und
die Kationen 4. Dieser, zuweilen als Antifluorit“-Typ bezeichnete Strukturtyp
”
kommt bei den Alkalioxiden (Li2 O, ... , Rb2 O) vor.
Die bis jetzt besprochenen Strukturtypen eignen sich wegen ihrer elektrosta-
tisch günstigen Verteilung von Kationen und Anionen für Ionenverbindungen
aus kugelförmigen Ionen. Ihr Vorkommen ist aber keineswegs auf Ionenverbin-
dungen beschränkt. Die Mehrzahl ihrer Vertreter findet man bei Verbindungen
mit erheblichen kovalenten Bindungsanteilen und bei intermetallischen Ver-
bindungen.
7.2 Ternäre Ionenverbindungen 87
quotient rF− /rCl− = 0, 73. Eine F− -Schicht enthält doppelt so viele Ionen wie
Cl Cl
F F
R L
Abb. 7.5: Der PbFCl-Typ (Stereobild).
Anleitung zum Betrachten des Stereobilds: Das linke Bild ist mit dem rechten, das rech-
te mit dem linken Auge zu betrachten. Es erfordert etwas Übung, die Augen dafür über
Kreuz auszurichten. Als Hilfe halte man eine Fingerspitze auf halbem Weg zwischen
Augen und Bild und richte die Augen auf die Fingerspitze aus. Der Finger wird zum
Papier oder vom Papier weg bewegt bis die Teilbilder in der Mitte zu einem Bild ver-
schmelzen. Dann muß man das Bild scharf stellen ohne die Augen zu verdrehen.
88 7 IONENVERBINDUNGEN
eine Cl− -Schicht. Je vier F− - und Cl− -Ionen spannen ein Antiprisma mit zwei
verschieden großen quadratischen Deckflächen auf, in dem sich ein Pb2+ -Ion
befindet. Unter der Hälfte der Quadrate der F− -Schicht befinden sich Pb2+ -
Ionen; eine gleich große Anzahl von Pb2+ -Ionen befindet sich über der ande-
ren Hälfte der Quadrate, die ihrerseits die Basisflächen für weitere Antiprismen
bilden, die durch eine weitere Schicht von Cl− -Ionen abgeschlossen werden.
Insgesamt ist dadurch die Anzahl der Pb2+ -Ionen genauso groß wie die der
F− -Ionen; Die Anzahl der Cl− -Ionen ist ebenso groß, weil auf eine F− -Schicht
zwei Cl− -Schichten kommen. Die beschriebenen Schichten bilden ein Schicht-
paket, das auf beiden Seiten von Cl− -Ionen begrenzt wird. Im Kristall sind
diese Schichtpakete so gestapelt, daß sich die Cl− -Ionen auf Lücke legen. Da-
durch wird die Koordinationssphäre eines Pb2+ -Ions durch ein fünftes Cl− -Ion
ergänzt (in Abb. 7.5 gestrichelt).
Vom PbFCl-Typ sind zahlreiche Vertreter bekannt. Außer Fluoridchloriden
zählen auch Oxidhalogenide MOX (M = Bi, Lanthanoide, Actinoide; X = Cl,
Br, I), Hydridhalogenide wie CaHCl und viele Verbindungen mit metallischen
Eigenschaften wie ZrSiS oder NbSiAs dazu.
Weitere ternäre Verbindungen, für deren Stabilität die relative Größe der
Ionen von Bedeutung ist, sind die Perowskite und die Spinelle, auf die in den
Abschnitten 17.4 und 17.6 eingegangen wird.
R L
Abb. 7.6: Die Strukturen von CaC2 und NaN3 (Stereobilder). Bei CaC2 dick umrandet:
tetragonal-innenzentrierte Elementarzelle. Gestrichelte Linie bei NaN3 : Richtung der
Dehnung der NaCl-Zelle
Die Struktur von Calcit (Kalkspat, CaCO3 ) leitet sich von der NaCl-Struktur
ab, indem die Cl− -Ionen durch CO2−3 -Ionen ersetzt werden. Diese sind senk-
recht zu einer der Raumdiagonalen der Elementarzelle ausgerichtet und erfor-
dern eine Aufweitung des Gitters senkrecht zu dieser Diagonalen (Abb. 7.7).
Der Calcit-Typ wird auch bei Boraten (z.B. AlBO3 ) und Nitraten (NaNO3 ) an-
getroffen. Eine andere Betrachtungsweise zu dieser Struktur wird auf S. 250
behandelt.
Ersetzt man im CaF2 -Typ die Ca2+ -Ionen durch PtCl2− −
6 -Ionen und die F -
+
Ionen durch K -Ionen, so kommt man zum K2 PtCl6 -Typ (Abb. 7.7), der von
zahlreichen Hexahalogeno-Salzen realisiert wird. Bei diesem Strukturtyp steht
90 7 IONENVERBINDUNGEN
Abb. 7.7: Die Strukturen von CaCO3 (Calcit) und K2 PtCl6 . Der gezeigte Strukturaus-
schnitt beim Calcit stellt nicht die Elementarzelle dar (erkennbar an der verschiedenen
Orientierung der CO2−3 -Gruppen auf gegenüberliegenden Kanten)
ni
si = (7.1)
ki
als die elektrostatische Bindungsstärke dieses i-ten Kations. Für einen stabilen
Ionenkristall gilt dann:
Die Ladung z j des j-ten Anions ist exakt oder annähernd gleich der negativen
Summe der elektrostatischen Bindungsstärken si der a Kationen, die es umge-
ben:
a a
n
z j ≈ −p j = − ∑ si = − ∑ i (7.2)
i=1 1 ki
Beispiel 7.2
Das Kation M4+ einer Verbindung MX4 möge ebenfalls Koordinationszahl 6
haben, seine elektrostatische Bindungsstärke ist s = 4/6 = 23 . Für ein Anion
X− mit Koordinationszahl a = 2 ergibt sich ∑ si = 23 + 23 = 43 ; für eines mit
a = 1 ist ∑ si = 23 . Andere Werte für a ergeben Werte p j , die noch mehr vom
Sollwert z = −1 abweichen. Die günstigste Struktur wird Anionen mit a = 2
und mit a = 1 haben, und zwar im Verhältnis 1:1, so daß sich im Mittel der
richtige Wert für z ergibt.
Ionen Na+ , N5+ , Y3+ , B3+ und O2− rechnet. Bei den zahlreichen Silicaten er-
geben sich keine oder nur geringe Abweichungen, wenn man mit Metallionen,
Si4+ - und O2− -Ionen rechnet.
Die elektrostatische Valenzregel hat sich als nützliches Hilfsmittel erwiesen,
um die Teilchen O2− , OH− und OH2 zu identifizieren. Weil die Lage von H-
Atomen bei der Strukturbestimmung mittels Röntgenbeugung oft nicht sicher
ermittelt werden kann, sind O2− , OH− und OH2 zunächst nicht zuverlässig un-
terscheidbar. Ihre Ladung muß aber zur Summe p j der elektrostatischen Bin-
dungsstärken der umgebenden Kationen passen.
Beispiel 7.3
Kaolinit, Al2 Si2 O5 (OH)4 oder Al2 O3 ·2SiO2 ·2H2 O“, ist ein Schichtsilicat
”
mit oktaedrisch koordinierten Al- und tetraedrisch koordinierten Si-Atomen;
die zugehörigen elektrostatischen Bindungsstärken sind:
s(Al3+ ) = 3
6 = 0, 5 s(Si4+ ) = 4
4 = 1, 0
Die Atome einer Schicht liegen in Ebenen mit der Abfolge O(1)–Al–O(2)–
Si–O(3) (vgl. Abb. 16.21e, S. 267). Die Teilchen O(2), über welche die Ok-
taeder mit den Tetraedern verknüpft sind, haben Koordinationszahl 3 (2 × Al,
1 × Si), die anderen O-Teilchen haben Koordinationszahl 2. Die Summen der
elektrostatischen Bindungsstärken errechnen sich zu:
O(1): p1 = 2 · s(Al3+ ) = 2 · 0, 5 = 1
O(2): p2 = 2 · s(Al3+ ) + 1 · s(Si4+ ) = 2 · 0, 5 + 1 = 2
O(3): p3 = 2 · s(Si4+ ) = 2 · 1 = 2
Demnach müssen sich OH− -Ionen auf den O(1)-Positionen und O2− -Ionen
auf den übrigen Positionen befinden.
drei und im Anatas vier gemeinsame Kanten. Wie sich die Art der Polyeder-
verknüpfung auf die Stabilität der Struktur auswirkt, besagt die Regel:
Gemeinsame Kanten und, in noch stärkerem Maße, gemeinsame Flächen von
Polyedern vermindern die Stabilität eines Ionenkristalls. Dies gilt um so mehr,
je höher die Ladung und je kleiner die Koordinationszahl des Kations ist.
Die Abnahme der Stabilität beruht auf der elektrostatischen Abstoßung zwi-
schen den Kationen. Die Polyedermitten kommen sich bei Polyedern mit ge-
meinsamer Fläche am nächsten, bei nur einer gemeinsamen Ecke sind sie rela-
tiv weit voneinander entfernt (vgl. Abb. 2.3, S. 16, und Tab. 16.1, S. 243).
Der Regel entsprechend sind die stabilsten Modifikationen des TiO2 der Ru-
til und bei hohem Druck die dem α -PbO2 -Typ entsprechende Modifikation.
Zahlreiche Verbindungen kristallisieren im Rutil-Typ, einige im α -PbO2 -Typ,
während für die Brookit- und die Anatas-Struktur kaum Vertreter bekannt sind.
Abweichungen von der Regel sind dann zu beobachten, wenn die Polarität
gering ist, d. h. wenn kovalente Bindungen vorherrschen. So wird die Regel von
Fluoriden und von Oxiden (einschließlich der Silicate) meist erfüllt, während
sie für Chloride, Bromide, Iodide und Sulfide von geringem Nutzen ist. In Me-
talltrifluoriden wie FeF3 findet man zum Beispiel eckenverknüpfte Oktaeder,
während bei den anderen Trihalogeniden meist kantenverknüpfte Oktaeder auf-
treten.
In manchen Fällen findet man auch eine der Regel genau entgegengesetz-
te Tendenz, nämlich Bevorzugung in der Reihenfolge Flächenverknüpfung >
Kantenverknüpfung > Eckenverknüpfung, und zwar dann, wenn es vorteil-
haft ist, daß sich die Atome in den Polyedermitten nahe kommen. Dieser Fall
tritt insbesondere bei Übergangsmetallverbindungen auf, wenn das Metall-
atom noch über d-Elektronen verfügt und Metall-Metall-Bindungen ausge-
bildet werden. So findet man bei den Trichloriden, -bromiden und -iodiden
von Titan und Zirconium Stränge aus flächenverknüpften Oktaedern, wobei
die Metallatome paarweise zwischen je zwei benachbarten Oktaedern M–M-
Bindungen bilden (vgl. Abb. 16.10, S, 257).
den Polyedern der anderen Kationen. Beispiele sind die Olivine, M2 SiO4 (M
= Mg2+ , Fe2+ ) und die Granate, M3 M
2 [SiO4 ]3 (M = Mg2+ , Ca2+ , Fe2+ ; M
=
Al3+ , Y3+ , Cr3+ , Fe3+ ).
Man erwartet kürzere Abstände für O(1); die gefundenen Werte sind:
d(Zr–O(1)) = 207 pm und d(Zr–O(2)) = 221 pm
Die Mittelwerte betragen d(ZrO) = 215 pm und p = 2, 0. Mit b = 21 pm
können die tatsächlichen Abstände nach Gleichung (7.3) berechnet werden.
In Tabelle 7.2 sind Zahlenwerte für d(MX) und b aufgeführt, die aus um-
fangreichem Datenmaterial abgeleitet wurden. Mit ihnen können die tatsächli-
chen Bindungslängen in Oxiden in der Regel auf ±2 pm genau berechnet wer-
den.
7.5 Übungsaufgaben 95
Tabelle 7.2: Mittelwerte d(MO) und Parameter b zur Berechnung von Bindungslängen
in Oxiden gemäß Gleichung (7.3) [84]
Ox.- d(MO) b Ox.- d(MO) b
Bindung Zahl K.Z. /pm /pm Bindung Zahl K.Z. /pm /pm
Li–O +1 4 198 33 Si–O +4 4 162 9
Na–O +1 6 244 24 P–O +5 4 154 13
Na–O +1 8 251 31 S–O +6 4 147 13
K–O +1 8 285 11
Mg–O +2 6 209 12 Ti–O +4 6 197 20
Ca–O +2 8 250 33 V–O +5 4 172 16
B–O +3 3 137 11 Cr–O +3 6 200 16
B–O +3 4 148 13 Fe–O +2 6 214 30
Al–O +3 4 175 9 Fe–O +3 6 201 22
Al–O +3 6 191 24 Zn–O +2 4 196 18
7.5 Übungsaufgaben
7.1 Verwenden Sie Ionenradienverhältnisse (Tabellen 6.3 und 6.4) um zu entscheiden,
ob der CaF2 oder der Rutil-Typ eher wahrscheinlich ist für: NiF2 , CdF2 , GeO2 , K2 S.
7.2 Im Granat, Mg3 Al2 Si3 O12 , ist ein O2− -Ion von 2 Mg2+ -, 1 Al3+ - und 1 Si4+ -
Teilchen umgeben. Es gibt Kationenlagen mit den Koordinationszahlen 4, 6 und 8. Ver-
wenden Sie die zweite PAULING-Regel um zu entscheiden, welche Kationen auf welche
Plätze kommen.
7.3 Yttrium-Eisen-Granat ( YIG“ = yttrium iron garnet), Y3 Fe5 O12 , hat die gleiche
”
Struktur wie Granat. Welche sind die geeigneten Plätze für die Y3+ und Fe3+ Ionen?
Verwenden Sie Ionenradien als zusätzliches Kriterium wenn die elektrostatische Va-
lenzregel nicht ausreicht.
7.4 In Crednerit, Cu[2l] Mn[6o] Ot2 , ist jedes Sauerstoffatom von 1 Cu- und 3 Mn-Atomen
umgeben. Kann man mit der elektrostatischen Valenzregel entscheiden, ob die Oxida-
tionszustände Cu+ und Mn3+ oder Cu2+ und Mn2+ sind?
7.5 Silbercyanat, AgNCO, besteht aus endlosen Ketten von alternierenden Ag+ - und
NCO− -Ionen. Ag+ hat K.Z. 2 und nur eines der endständigen Atome einer Cyanat-
gruppe ist Teil des Kettengerüsts indem es an 2 Ag+ -Ionen koordiniert ist. Entscheiden
Sie mit Hilfe der zweiten PAULING-Regel, welches der Cyanatatome (N oder O) koor-
diniert ist. (Zerlegen Sie das NCO− -Ion in N3− , C4+ und O2− ).
7.6 In Rb2 V3 O8 haben die Rb+ -Ionen Koordinationszahl 10; es gibt zwei Sorten von
Vanadiumionen, V4+ mit K.Z. 5 und V5+ mit K.Z. 4, sowie vier Sorten von O2− -Ionen.
96 7 IONENVERBINDUNGEN
Die gegenseitige Koordination dieser Teilchen ist in der Tabelle angegeben, wobei sich
die erste Zahl jeweils auf die Anzahl der O2− -Ionen pro Kation, die zweite auf die
Anzahl der Kationen pro O2− -Ion bezieht (die Summen der ersten Zahlen pro Zeile
und der zweiten Zahlen pro Spalte ergeben die Koordinationszahlen):
O(1) O(2) O(3) O(4) K.Z.
Rb+ 2; 4 4; 2 1; 2 3; 3 10
V4+ 1; 1 4; 1 – – 5
V5+ – 2; 1 1; 2 1; 1 4
K.Z. 5 4 4 4
Berechnen Sie die elektrostatischen Bindungsstärken der Kationen und ermitteln Sie,
wie gut die elektrostatische Valenzregel erfüllt ist. Berechnen Sie Erwartungswerte für
die einzelnen V–O-Bindungslängen mit den Daten aus Tabelle 7.2 und den Werten
d(V4+ O) = 189 pm und b(V4+ O) = 36 pm.
97
Moleküle und Molekülionen bestehen aus Atomen, die durch kovalente Bin-
dungen zusammengehalten werden. Abgesehen von wenigen Ausnahmen
kommen Moleküle und Molekülionen nur dann vor, wenn an ihrem Aufbau
Wasserstoff oder Elemente der vierten bis siebten Hauptgruppe des Perioden-
systems beteiligt sind (die Ausnahmen betreffen Moleküle wie Li2 in der Gas-
phase). Die genannten Elemente sind bestrebt, die Elektronenkonfiguration des
ihnen im Periodensystem folgenden Edelgases zu erreichen. Mit jeder kova-
lenten Bindung, die eines ihrer Atome eingeht, gewinnt es ein Elektron. Es gilt
die 8 − N-Regel: Eine edelgasähnliche Elektronenkonfiguration wird erreicht,
wenn das Atom an 8 − N kovalenten Bindungen beteiligt ist; N = Hauptgrup-
pennummer = 4 bis 7 (ausgenommen Wasserstoff).
Meistens enthält ein Molekül Atome mit unterschiedlichen Elektronegati-
vitäten, und die elektronegativeren Atome haben die kleineren Koordinations-
zahlen (zur Koordinationssphäre eines Atoms zählen wir dabei nur die kova-
lent gebundenen Atome). Für die elektronegativeren Atome ist die 8 − N-Regel
meistens erfüllt; in vielen Fällen sind sie terminale Atome“, d. h. sie haben die
”
Koordinationszahl 1. Bei Elementen aus der zweiten Periode des Periodensy-
stems wird die Koordinationszahl 4 in Molekülen nur selten überschritten (in
Festkörpern kommen größere Koordinationszahlen dagegen häufig vor). Bei
Elementen höherer Perioden findet man auch in Molekülen öfters Koordinati-
onszahlen über 4, wobei die 8 − N-Regel verletzt wird.
Die Struktur eines Moleküls wird von den kovalenten Bindungskräften zwi-
schen seinen Atomen beherrscht. Diese legen zunächst einmal die Konstitution
des Moleküls fest: das ist die Abfolge, in welcher die Atome miteinander ver-
knüpft sind. Die Konstitution läßt sich auf einfache Weise durch eine Valenz-
strichformel zum Ausdruck bringen. Bei gegebener Konstitution ordnen sich
die Atome im Raume nach bestimmten Prinzipien an; vor allem sind zu nen-
nen: nicht direkt miteinander verknüpfte Atome dürfen einander nicht zu nahe
kommen (Abstoßung sich durchdringender Elektronenhüllen); die Valenzelek-
tronenpaare an einem Atom halten den größtmöglichen Abstand voneinander.
98 8 MOLEKÜLSTRUKTUREN I: HAUPTGRUPPENELEMENTE
8.1 Valenzelektronenpaar-Abstoßung
Die Strukturen zahlreicher Moleküle kann man qualitativ gut mit der
Valenzelektronenpaar-Abstoßungstheorie von G ILLESPIE und N YHOLM ver-
stehen und voraussagen (valence shell electron pair repulsion theory = VSEPR-
Theorie). Sie ist vor allem auf Verbindungen der Hauptgruppenelemente an-
wendbar. Die Besonderheiten bei Nebengruppenelementen werden in Kapitel
9 behandelt; Nebengruppenelemente mit Elektronenkonfiguration d 0 , d 5 -high-
spin und d10 können in der Regel wie Hauptgruppenelemente behandelt wer-
den, wobei die d-Elektronen nicht berücksichtigt werden. Um die Theorie an-
zuwenden, zeichnet man zunächst eine Valenzstrichformel (Lewis-Formel) mit
der richtigen Konstitution, einschließlich aller einsamen Elektronenpaare. Aus
ihr ist ersichtlich, wie viele Valenzelektronenpaare an einem Atom zu berück-
sichtigen sind. Jedes Elektronenpaar wird als eine Einheit (Orbital) betrachtet.
Die Elektronenpaare stehen unter der anziehenden Wirkung des betreffenden
Atomkerns, stoßen sich aber untereinander ab. Für die Abstoßungsenergie zwi-
schen zwei Elektronenpaaren kann eine Funktion proportional zu 1/rn ange-
setzt werden, wobei r der Abstand zwischen den Ladungsschwerpunkten der
Elektronenpaare ist und n einen Wert zwischen 5 und 12 hat. Ein Wert n = 1
entspräche einer rein elektrostatischen Abstoßung. Tatsächlich ist der Beitrag
der PAULI-Abstoßung zwischen Elektronen gleichen Spins von größerer Be-
deutung (vgl. S. 73), und mit n = 6 erhält man gute Übereinstimmung mit
experimentellen Werten.
Es wird nun überlegt, wie sich die Elektronenpaare räumlich anordnen
müssen, damit die Abstoßungsenergie zwischen ihnen einen Minimalwert an-
nimmt. Wenn an einem Atom der Ladungsschwerpunkt von jedem der Elektro-
nenpaare gleich weit vom Atomkern entfernt ist, so können wir jedes Orbital
durch einen Punkt auf einer Kugeloberfläche symbolisieren. Die Überlegung
läuft dann darauf hinaus, festzustellen, wie die Punkte auf einer Kugelober-
fläche zu verteilen sind, damit die Summe ∑(1/rin ) über alle Abstände ri zwi-
schen den Punkten ein Minimum annimmt. Als Ergebnis erhalten wir für jede
Anzahl von Punkten ein definiertes Polyeder (Abb. 8.1). Nur für 2, 3, 4, 6,
8, 9 und 12 Punkte ist das sich ergebende Polyeder unabhängig vom Wert n
des Exponenten. Für fünf Punkte ist die trigonale Bipyramide nur geringfügig
günstiger als die quadratische Pyramide. Modellmäßig kann man die gegensei-
tige Anordnung von Orbitalen um einen gemeinsamen Mittelpunkt mit Hilfe
von eng zusammengebundenen Luftballons zeigen; mit dem Druck in den Bal-
lons wird der Wert von n simuliert.
8.1 Valenzelektronenpaar-Abstoßung 99
2 3 4
lineare Anordnung Dreieck Tetraeder
5 = 2+3 5 = 1+4 6
trigonale Bipyramide quadratische Pyramide Oktaeder
8 9 = 6+3 12
quadratisches dreifach überkapptes Ikosaeder
Antiprisma trigonales Prisma
Abb. 8.1: Mögliche Anordnungen von Punkten auf einer Kugeloberfläche mit minima-
ler Abstoßungsenergie. Wenn die Punkte nicht alle gleichwertig sind, ist die Anzahl
jeweils gleichwertiger Punkte in den Summen angegeben.
wertig. Verschieden werden die Punkte in jedem Fall dann, wenn ihre zugehöri-
gen Orbitale Bindungen zu Atomen verschiedener Elemente vermitteln oder
wenn einige von ihnen für einsame Elektronenpaare stehen. In diesen Fällen
befinden sich die Ladungsschwerpunkte der Elektronenpaare unterschiedlich
weit weg vom Atommittelpunkt. Je näher sich der Ladungsschwerpunkt am
Atomkern befindet, desto kürzer sind auch die Entfernungen zu den Schwer-
punkten der anderen Elektronenpaare und desto stärker werden diese abge-
stoßen. Im Modell der zusammengebundenen Luftballons entspricht ein nahe
am Atomkern befindliches Elektronenpaar einem dickeren Luftballon. Dies hat
wichtige Konsequenzen für die Molekülstruktur. Folgende Faktoren sind zu
berücksichtigen:
1. Ein einsames Elektronenpaar steht unter dem direkten Einfluß von nur ei-
nem Atomkern, sein Ladungsschwerpunkt ist daher bedeutend näher am Kern
als der von bindenden Elektronenpaaren. Einsame Elektronenpaare sind in be-
sonderem Maße sterisch wirksam, und zwar auf folgende Weise:
Ist statt eines einsamen Elektronenpaars nur ein ungepaartes Elektron vorhan-
den, so ist dessen Wirkung weniger stark, zum Beispiel:
+ · –
O=N=O N N
O O O O
180◦ 134 ◦ 115 ◦
größe Hand in Hand und wirken sich gleichartig aus. So ist die Zunahme der
folgenden Bindungswinkel auf beide Effekte zurückzuführen:
HCF3 HCCl3 HCBr3 HCI3
Hal–C–Hal 108, 8◦ < 110, 4◦ < 110, 8◦ < 113, 0◦
PF3 PCl3 PBr3 PI3
Hal–P–Hal 97, 8◦ < 100, 1◦ < 101, 0◦ < 102, 1◦
Wenn sich Elektronegativität und Größe der Ligandenatome entgegenge-
setzt auswirken, kann man keine sichere Voraussage mehr machen:
F2 O H2 O Einfluß der
103, 2◦ < 104, 5◦ Elektronegativität überwiegt
Cl2 O H2 O Einfluß der
110, 8◦ > 104, 5◦ Ligandengröße überwiegt
Zuweilen kompensiert sich die gegenläufige Wirkung beider Effekte gerade.
Die sterische Wirkung von Chloratomen und Methylgruppen ist zum Beispiel
oft die gleiche (das C-Atom der Methylgruppe ist kleiner, aber weniger elek-
tronegativ als ein Chloratom):
Cl2 O Me2 O PCl3 PMe3
110, 8◦ 111◦ 100, 1◦ 99, 1◦
4. Eine vorgegebene Verzerrung liegt dann vor, wenn bestimmte Bindungs-
winkel aus geometrischen Gründen von den Idealwerten des betreffenden Poly-
eders abweichen. In diesem Fall passen sich die übrigen Winkel an. Erzwunge-
ne Winkelabweichungen ergeben sich vor allem bei kleinen Ringen. Beispiel:
Cl 167,9◦ Cl
Cl Cl 230 Cl
➤
➤
➤
➤
101,2◦ Nb 78,6◦ Nb
225
➤
➤
➤
Cl Cl 256 Cl
Cl Cl
Bei den verbrückenden Chloratomen (2 einsame Elektronenpaare) sollte der
Bindungswinkel kleiner als 109,5◦ aber größer als 90◦ sein. Der Winkel am
Metallatom im Vierring wird deshalb auf einen Wert unter 90◦ gezwungen; er
stellt sich auf 78,6◦ ein. Die äußeren, equatorialen Cl-Atome rücken nach, so
daß sich der Winkel zwischen ihnen von 90◦ auf 101,2◦ aufweitet. Wegen die-
ser Verzerrung sollten die axialen Cl-Atome leicht nach außen geneigt sein;
104 8 MOLEKÜLSTRUKTUREN I: HAUPTGRUPPENELEMENTE
weil aber die Nb–Cl-Bindungen im Ring länger sind und ihre Ladungsschwer-
punkte somit weiter entfernt von den Mittelpunkten der Niobatome liegen, wir-
ken sie weniger abstoßend, die axialen Cl-Atome neigen sich etwas nach innen.
Die verlängerten Nb–Cl-Abstände im Ring sind eine Konsequenz der höheren
Koordinationszahl (2 statt 1) an den Brücken-Cl-Atomen (vgl. Ziffer 6, S. 105).
5. Mehrfachbindungen können als Ringstrukturen mit gebogenen Bin-
dungen aufgefaßt werden; es treten die im vorigen Absatz behandelten
Verzerrungen auf. Zum Beispiel ist im Ethylen jedes C-Atom von vier
Elektronenpaaren in tetraedrischer Anordnung umgeben, zwei Paare ver-
mitteln die Doppelbindung zwischen den C-Atomen auf zwei gebogenen
Bindungen. Die Spannung in den gebogenen Bindungen bedingt einen
verkleinerten Winkel zwischen ihnen, die
···
H ···
➤
C–H-Bindungen rücken nach, und der HCH- H
C C 116, 8◦
Bindungswinkel ist deshalb größer als H H ······
➤
109,5◦ .
Einfacher ist es, die gebogenen Bindungen von Doppel- oder Dreifachbin-
dungen so zu behandeln, als würden sie zusammen ein einzelnes Orbital bilden,
das mit vier bzw. sechs Elektronen besetzt ist. Die Abstoßungskraft dieses Or-
bitals ist seiner hohen Ladung entsprechend groß. Die Struktur des Ethylens
kann man so mit dreieckig umgebenen C-Atomen erfassen, wobei die Winkel
jedoch von 120◦ abweichen. Der H–C–H-Winkel wird unter 120◦ liegen.
Moleküle wie OPCl3 oder O2 SCl2 wurden früher (und werden häufig noch)
mit Doppelbindungen formuliert, unter Oktettaufweitung am P- oder S-Atom.
Dazu müßten d-Orbitale an diesen Atomen in Anspruch genommen werden,
was nach neueren quantenchemischen Berechnungen jedoch nicht zutrifft. Die
Formeln mit Formalladungen kommen der Wahrheit näher, und wenn dem
elektronegativeren Atom eine negative Formalladung zugewiesen werden muß,
entspricht das auch qualitativ der tatsächlichen Ladungsverteilung.
O O O O
⊕ 2⊕
P Cl P Cl S Cl S Cl
Cl Cl O O
Cl Cl Cl Cl
Zur Abschätzung der Bindungswinkel ist es ohne Belang, welche Formulie-
rung man wählt. Sowohl die Doppelbindung wie auch die negative Überschuß-
ladung wirken gleichermaßen abstoßend auf die übrigen Bindungen. Man er-
wartet also ein tetraedrisches OPCl3 -Molekül, jedoch mit aufgeweiteten OPCl-
8.1 Valenzelektronenpaar-Abstoßung 105
A Z A X A X A :
X Z X
X (planar) X X X
Winkeln. Bei O2 SCl2 wird der OSO-Winkel am größten sein. In Tabelle 8.2
sind einige Beispiele zusammengestellt, bei denen auch wieder der Einfluß von
Elektronegativität und Ligandengröße erkennbar ist.
6. Bindungslängen werden ebenso wie Bindungswinkel beeinflußt. Je mehr
Elektronenpaare vorhanden sind, desto mehr stoßen sie sich gegenseitig ab,
desto länger werden die Bindungen. Die Zunahme der Abstände bei Zunahme
der Koordinationszahl haben wir bereits bei der Diskussion der Ionenradien
vermerkt (S. 79). Beispiel:
Abstand Sn–Cl: SnCl4 228 pm Cl4 Sn(OPCl3 )2 233 pm
Die Polarität der Bindungen wirkt sich auf deren Länge allerdings bedeu-
tend stärker aus. Je negativer geladen ein Teilchen ist, desto stärker machen
sich die Abstoßungskräfte bemerkbar. Beispiele:
Abstand Sn–Cl: Cl4 Sn(OPCl3 )2 233 pm SnCl2−
6 244 pm
P–O /pm P–F /pm O–P–O /◦ F–P–F /◦
POF3 144 152 – 101,3
PO2 F−
2 147 157 122 97
PO3 F2− 151 159 114 –
PO3−
4 155 – 109,5 –
2 2⊕ 2 2
[ Cl3 Fe= O =Fe Cl3 ←→ Cl3 Fe O FeCl3 ]2−
108 8 MOLEKÜLSTRUKTUREN I: HAUPTGRUPPENELEMENTE
Einschränkungen
Durch Betrachtung der gegenseitigen Valenzelektronenpaar-Abstoßung kommt
man in der Regel zu zutreffenden qualitativen Aussagen über Molekülstruktu-
ren. Trotz des einfachen Konzepts ist die Theorie wohlfundiert und mit der
komplizierteren und weniger anschaulichen MO-Theorie vereinbar (Kapitel
10). Die Ergebnisse stehen denen aufwendiger Rechnungen nicht nach. Es gibt
aber Fälle, bei denen das Modell versagt. Zu diesen gehören die Ionen SbBr3−6 ,
SeBr2−
6 , TeCl 2−
6 , die unverzerrt oktaedrisch sind, obwohl am Zentralatom noch
ein einsames Elektronenpaar vorhanden ist. Man sagt, dieses sei stereoche-
”
misch nicht wirksam“, was allerdings nicht ganz zutreffend ist, da sein Einfluß
in verlängerten Bindungen zum Vorschein kommt. Die Erscheinung tritt nur
bei höheren Koordinationszahlen (≥ 6) auf, wenn das Zentralatom ein Schwer-
atom ist und wenn die Liganden der dritten oder einer höheren Periode des
Periodensystems angehören, d. h. wenn die Liganden leicht polarisierbar sind.
Der abnehmende Einfluß des einsamen Elektronenpaars zeigt sich auch beim
Vergleich der Festkörperstrukturen von AsI3 , SbI3 und BiI3 . AsI3 bildet pyra-
midale Moleküle (Bindungswinkel 100,2◦ ), die aber im Festkörper assoziiert
sind, indem drei Iodatome benachbarter Moleküle dem Arsenatom koordiniert
sind. Es liegt eine verzerrt oktaedrische Koordination vor, mit drei intramoleku-
laren As–I-Abständen von 259 pm und drei intermolekularen von 347 pm. Im
BiI3 ist die Koordination oktaedrisch mit sechs gleich langen Bi–I-Abständen
(307 pm). SbI3 nimmt eine Zwischenstellung ein (3× 287, 3× 332 pm).
Die Theorie liefert auch keine Erklärung für den trans-Einfluß“, der zwi-
”
schen Liganden zu beobachten ist, die sich auf gerader Linie auf zwei entge-
gengesetzten Seiten des Zentralatoms befinden, insbesondere bei trans-ständi-
gen Liganden an einem Oktaeder. Je stärker der eine Ligand an das Zentralatom
8.2 Strukturen bei fünf Valenzelektronenpaaren 109
gebunden ist, erkennbar an einer kurzen Bindungslänge, desto länger ist die
Bindung zum trans-ständigen Liganden. Vor allem Mehrfachbindungen zei-
gen eine starke Wirkung in diesem Sinne. Dies äußert sich auch in der Reak-
tivität, der schwach gebundene Ligand ist leicht substituierbar. Dagegen be-
wirken einsame Elektronenpaare bei trans-ständigen Liganden im allgemeinen
keine Bindungsverlängerung, im Gegenteil, diese Bindungen sind meist etwas
kürzer (Abstände in pm):
2− 2−
O N
197 ➤
95◦ 161 ➤
96◦ ..
➤
➤
Cl Nb Cl Cl Os Cl F I F
➤
➤
➤
Cl Cl Cl Cl F 175 F
255 261
240 236 187 F
Cl Cl
Abweichungen gibt es auch bei Verbindungen von Übergangsmetallen trotz
Elektronenkonfiguration d 0 , wenn die Elektronegativität der Liganden gering
ist. W(CH3 )6 hat zum Beispiel nicht die erwartete oktaedrische Struktur, son-
dern ist trigonal-prismatisch.
In einem Punkt ist die Theorie nicht besser (und nicht schlechter) als an-
dere Theorien zur Molekularstruktur: es können nur Voraussagen gemacht
werden, wenn bereits bekannt ist, welche und wie viele Atome miteinander
verbunden sind. Es kann zum Beispiel nicht erklärt werden, warum bei den
folgenden Pentahalogeniden im festen Zustand so unterschiedliche Moleküle
bzw. Ionen gefunden werden: SbCl5 monomer, (NbCl5 )2 dimer, (PaCl5 )∞ po-
− −
lymer, PCl+ + − +
4 PCl6 ionisch, PBr4 Br ionisch; PCl2 F3 monomer, AsCl4 AsF6
+ −
(= AsCl2 F3 ) ionisch, SbCl4 [F4 ClSb–F–SbClF4 ] (= SbCl2 F3 ) ionisch.
den axialen Liganden größer (anders gesagt: in axialer Richtung ist der Kova-
lenzradius größer). Vgl. Tab. 8.3.
Die Molekülparameter von CH3 PF4 und (CH3 )2 PF3 illustrieren den Ein-
fluß der geringeren Elektronegativität der Methylgruppen und der verstärkten
abstoßenden Wirkung der P–C-Bindungselektronenpaare:
F F F
158 161 164
F F H3 C
120◦ ➤
P
153 116◦ ➤
P 124◦ ➤
P
155
➤ F ➤ CH3 ➤ F
➤
➤
F F H3 C
➤
➤
→ →
➤
➤
➤
➤
➤
Abb. 8.2: Wechsel der Ligandenpositionen zwischen trigonaler Bipyramide und tetra-
gonaler Pyramide
8.3 Übungsaufgaben
8.1 Welche Strukturen sind für die folgenden Moleküle nach der VSEPR-Theorie zu
erwarten?
− −
BeCl2 (g), BF3 , PF3 , BrF3 , TeCl+ + + +
3 , XeF3 , GeBr4 , AsCl4 , SbF4 , ICl4 , BrF4 , SbCl5 ,
− − − − 2− − −
SnCl5 , TeF5 , ClSF5 , O3 , Cl3 , S3 , O2 ClF3 , O2 ClF2 , OClF4 , O3 BrF, O3 XeF2 .
8.2 Die folgenden dimeren Spezies sind über jeweils zwei Chloratome assoziiert. Wel-
che Strukturen haben sie?
Be2 Cl4 , Al2 Br6 , I2 Cl6 , As2 Cl2−
8 , Ta2 I10 .
8.3 Welche Struktur ist für H2 C=SF4 zu erwarten?
8.4 Ordnen Sie die folgenden Moleküle in der Reihe zunehmender Bindungswinkel.
(a) OF2 , SF2 , SCl2 , S− 2−
3 , S3 ;
(b) Winkel H–N–H in H3 CNH2 , [(H3 C)2 NH2 ]+ ;
(c) Winkel Fax –P–Fax in PCl2 F3 , PCl3 F2 .
8.5 Im Al2 Cl6 -Molekül sind zwei verbrückende Chloratome vorhanden. Geben Sie die
Reihenfolge zunehmender Bindungslängen und Bindungswinkel an und schätzen Sie
die Größe der Winkel ab.
8.6 Welche der folgenden Spezies sollte die längeren Bindungen haben?
SnCl− − − 2−
3 oder SnCl5 ; PF5 oder PF6 ; SnCl6 oder SbCl6 .
−
8.7 Welche der folgenden Spezies wird am ehesten nicht die VSEPR-Regeln befolgen?
−
SbF2− 2− 2−
5 , BiBr5 , TeI6 , ClF5 , IF7 , IF8 .
112
Oktaedrische Koordination
Hat ein Atom sechs Liganden, so bewirkt die gegenseitige Abstoßung der
sechs bindenden Elektronenpaare eine oktaedrische Koordination. Die Posi-
tionen der Liganden können wir uns auf den Achsen des Koordinatensystems
vorstellen. Sind nichtbindende Elektronen vorhanden, so werden sie die Or-
bitale dxy , dyz und dxz bevorzugen, denn der Aufenthaltsbereich der anderen
beiden d-Orbitale ist besonders nahe an den bindenden Elektronenpaaren. Die
drei energetisch bevorzugten Orbitale werden als t2g -Orbitale bezeichnet (das
ist ein Symbol zur Bezeichnung der Orbitalsymmetrie; das t steht für tripel
(= dreifach) entartet); die anderen beiden sind eg -Orbitale (e = entartet). Vgl.
Diagramm auf der nächsten Seite.
Der Energieunterschied zwischen der Besetzung eines t2g - und eines eg -
Orbitals ist der Ligandenfeldparameter, er wird mit ΔO bezeichnet. Der Be-
114 9 MOLEKÜLSTRUKTUREN II: NEBENGRUPPENELEMENTE
trag von ΔO hängt davon ab, wie stark die d- E 6 dz2 dx2 −y2
Elektronen von den Bindungselektronenpaaren eg
beeinflußt werden. Verglichen zu einem Über- 6
ΔO
gangsmetallatom sind die daran gebundenen Li-
gandenatome in aller Regel erheblich elektrone- ? t2g
dxy dxz dyz
gativer. Die Ladungsschwerpunkte der binden-
den Elektronenpaare liegen ihnen näher, und
zwar um so mehr, je höher die Elektronegativität ist. Man kann deshalb mit zu-
nehmender Elektronegativität der Ligandenatome eine abnehmende Beeinflus-
sung der d-Elektronen und damit eine Abnahme für ΔO erwarten. Abnehmende
ΔO -Werte ergeben sich auch bei zunehmender Größe der Ligandenatome; die
bindenden Elektronenpaare verteilen sich dann auf einen größeren Raum, so
daß sich ihre abstoßende Wirkung auf ein t2g - und ein eg -Orbital nicht mehr so
stark unterscheidet. Beim Auftreten von Mehrfachbindungen zwischen Metall-
atom und Ligand, zum Beispiel bei Metallcarbonylen, ist die Elektronendichte
der Bindungen und damit ihre Wirkung besonders groß.
Da ΔO eine spektroskopisch direkt meßbare Größe ist, kennt man den Ein-
fluß unterschiedlicher Liganden recht gut. Bei Anregung eines Elektrons vom
t2g - auf das eg -Niveau durch Lichteinstrahlung ist ΔO = hν . Ordnet man ver-
schiedene Liganden nach zunehmendem ΔO , so erhält man die spektrochemi-
sche Serie:
Sind zwei oder drei nichtbindende Elektronen vorhanden, so werden sie un-
gepaart zwei bzw. drei der t2g -Orbitale einnehmen (H UNDsche Regel). Dies ist
günstiger als die Paarung von Elektronen in einem Orbital, denn zur Paarung
ist die elektrostatische Abstoßung zwischen den beiden Elektronen zu über-
winden. Die Energie, die aufzuwenden ist, um ein zweites Elektron auf ein be-
reits besetztes Orbital zu bringen, nennen wir die Elektronenpaarungsenergie
P. Sind vier nichtbindende Elektronen vorhanden, so gibt es zwei Alternati-
ven für die Unterbringung des vierten Elektrons. Ist P > ΔO , so wird es ein
eg -Orbital einnehmen und alle vier Elektronen werden zueinander parallelen
Spin haben: wir sprechen von einem High-Spin-Komplex. Ist P < ΔO , so ist
es günstiger, einen Low-Spin-Komplex zu bilden, bei dem die eg -Orbitale frei
bleiben und zwei Elektronen gepaart sind:
9.1 Ligandenfeldtheorie 115
E 6 high-spin low-spin
eg
6
eg ΔO
ΔO 6 6
? ??
6 6 6t2g 6 6 6t2g
6
6 ? ?
6
6 6 6 ? 6
6 ? 6
? ? 6
6 ? 6
?
d 4 high-spin d9 d 7 low-spin
Beispiele Cr(II), Mn(III) Cu(II) Ni(III)
Tetraedrische Koordination
Die vier Liganden an einem tetraedrisch koordinierten Atom können wir
uns auf vier der acht Ecken eines Würfels vorstellen. Die Orbitale dxy , dyz
und dxz (t2 -Orbitale), die auf die Würfelkanten ausgerichtet sind, sind
den bindenden Elektronenpaaren näher als die Orbitale dx2 −y2 und dz2 (e-
Orbitale). Dementsprechend erfahren die t2 -Orbitale eine größere Absto-
ßung und liegen energetisch höher als die e-Orbitale; die Abfolge ist um-
gekehrt als bei oktaedrischer Koordination. Die Energiedifferenz bezeichnen
wir mit ΔT . Da keines der d-Orbitale auf die
Würfelecken ausgerichtet ist, ist ΔT < ΔO (bei E 6 d dxz dyz
xy
t2
gleichen Liganden, gleichem Zentralatom und 6
gleichen Bindungslängen), und zwar ΔT ≈ 49 ΔO . ΔT
ΔT ist immer kleiner als die Spinpaarungsener- ? e
gie, tetraedrische Komplexe sind immer High- dz2 dx2 −y2
Spin-Komplexe.
Bei ungleichmäßiger Besetzung der t2 -Orbitale kommt es zu JAHN -
T ELLER-Verzerrungen. Bei Konfiguration d 4 ist eines der t2 -Orbitale unbe-
setzt; bei d 9 ist eines einfach, die übrigen sind doppelt besetzt. Die Ligan-
den werden dadurch ungleichmäßig abgestoßen, es entsteht ein etwas flachge-
drücktes Tetraeder (Abb. 9.2). Typische Bindungswinkel sind zum Beispiel im
◦ ◦
CuCl2−4 -Ion 2 × 116 und 4 × 106 .
Bei den Konfigurationen d 3 und d 8 hat ein t2 -Orbital ein Elektron mehr als
die übrigen; in diesem Fall ist ein elongiertes Tetraeder zu erwarten, die Defor-
mation fällt jedoch geringer aus als bei d 4 und bei d 9 , weil die deformierende
Abstoßungskraft nur von einem Elektron (statt von zwei) ausgeht (Abb. 9.2).
Da die Deformationskraft gering ist und die Erfordernisse zur Packung im Kri-
stall mitunter entgegengesetzte Deformationen verursachen, stehen die Befun-
9.1 Ligandenfeldtheorie 117
➤
➤
➤
➤
➤
➤
➤
➤
d4 d9 d3 d8
6 6 ?6
6 ?6 6 ? 6 6
6
oder oder
6 6 6?6? 6 6 6?6
?
Abb. 9.2: JAHN -T ELLER-Verzerrung bei tetraedrischen Komplexen. Die Pfeile deuten
an, wie die Liganden von den nichtbindenden d-Elektronen abgedrängt werden. Die
Kugeln auf den Würfelkanten symbolisieren die Ladungsschwerpunkte der t2 -Orbitale;
grau bedeutet Besetzung mit einem Elektron mehr als weiß
Quadratische Koordination
Entfernt man von einem oktaedrischen Komplex die beiden Liganden auf der z-
Achse, so bilden die verbleibenden Liganden ein Quadrat. Die Abstoßung zwi-
schen den Bindungselektronen auf der z-Achse entfällt sowohl für die dz2 - wie
für die dxz - und dyz -Elektronen. Nur noch ein Orbital, nämlich dx2 −y2 erfährt
eine starke Abstoßung und ist energetisch ungünstig (Abb. 9.3). Bei Elektro-
nenkonfiguration d 8 , zum Beispiel bei Ni(II) und insbesondere bei Pd(II), Pt(II)
und Au(III), wird die quadratische Koordination bevorzugt, vor allem mit Li-
ganden, die eine starke Aufspaltung der Energieniveaus bewirken. Sowohl ein
oktaedrischer Komplex (zwei Elektronen in eg -Orbitalen) als auch ein tetra-
edrischer Komplex (vier Elektronen in t2 -Orbitalen) ist in diesem Fall energe-
tisch benachteiligt.
118 9 MOLEKÜLSTRUKTUREN II: NEBENGRUPPENELEMENTE
Abb. 9.3: Diagramm der relativen Energien von Elektronen in d-Orbitalen bei ver-
schiedenen geometrischen Anordnungen. Die Schwerpunkte“ (jeweilige Mittelwerte
”
der Energieniveaus) für alle Termfolgen wurden auf die Höhe der punktierten Linie
gelegt
Ligandenfeld-Stabilisierungsenergie
Wenn sich Liganden einem Zentralatom oder -ion nähern, kommen folgende
energetischen Beiträge zum tragen:
Die Überlegungen der Ligandenfeldtheorie richten sich vor allem auf den letzt-
genannten Beitrag. Für diesen ist die geometrische Verteilung der Liganden un-
erheblich, solange die Elektronen des Zentralatoms kugelsymmetrisch verteilt
sind, die Abstoßungsenergie ist dann immer die gleiche. Kugelsymmetrisch
sind halb- und vollbesetzte Unterschalen eines Atoms, das sind die Elektro-
nenkonfigurationen d 5 -high-spin und d 10 (und natürlich auch d 0 ). Für andere
d-Elektronenkonfigurationen gilt dies nicht.
Um verschiedene Strukturmöglichkeiten bei Verbindungen von Nebengrup-
penelementen zu vergleichen und um abzuschätzen, welche energetisch bevor-
9.1 Ligandenfeldtheorie 119
E
6
+
+
Tet +
raed
er +
Ok
tae +
de high sp
r in
lo + Okta
w eder
sp Te
i n tra
+ ede
r
+
+
+
d0 d1 d2 d3 d4 d5 d6 d7 d8 d9 d 10
Ca2+ Ti2+ V2+ Cr 2+ Mn 2+ Fe2+ Co2+ Ni2+ Cu2+ Zn2+
Sc3+ Ti3+ V3+ Cr3+ Mn 3+ Fe3+ Co3+ Ni3+ Cu3+ Ga3+
hi
MI2
gh
low
sp
in
2600 70
sp
in
hig
2400 60 M3+ hs
pin
low spin
2200 50
Ca Sc Ti V Cr Mn Fe Co Ni Cu Zn M2+ : Ca Ti V CrMnFe Co Ni Cu Zn
0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 M3+ : Sc Ti V CrMnFe Co Ni Cu Ga
Zahl der d-Elektronen 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
Zahl der d-Elektronen
Abb. 9.5: Gitterenergie der Dihaloge- Abb. 9.6: Radien der Ionen von Ele-
nide von Elementen der ersten Über- menten der ersten Übergangsmetallpe-
gangsmetallperiode riode in oktaedrischer Umgebung
beim Cobalt Oktaeder und Tetraeder und bei Zink und Kupfer(I) Tetraeder.
Kupfer(II) (d 9 ) bildet JAHN -T ELLER-verzerrte Oktaeder und Tetraeder. Je
höher die Oxidationszahl (= kleinerer Ionenradius) und je größer die Ligan-
den, desto mehr werden Tetraeder bevorzugt. Bei Vanadium(V), Chrom(VI)
und Mangan(VII) kennt man fast nur die tetraedrische Koordination (eine Aus-
nahme ist VF5 ). Bei Low-Spin-Komplexen des Nickel(II) (d 8 ) kommt neben
der oktaedrischen auch die quadratische Koordination vor.
Bei den größeren 4d- und 5d-Elementen kommen Tetraeder nur bei sehr ho-
hen Oxidationszahlen vor, zum Beispiel im ReO− 4 oder OsO4 , sowie bei Silber,
Cadmium und Quecksilber. Oktaeder sind sehr häufig, und auch höhere Koor-
dinationszahlen, vor allem 7, 8 und 9, sind nicht ungewöhnlich, wie zum Bei-
spiel beim ZrO2 (K.Z. 7), Mo(CN)4− 8 oder LaCl3 (K.Z. 9). Besondere Bedin-
gungen gelten bei der Elektronenkonfiguration d 8 , nämlich bei Pd(II), Pt(II),
Ag(III) und Au(III), die fast immer quadratisch koordiniert sind. Bei Pd(0),
Pt(0), Ag(I), Au(I) und Hg(II) (d 10 ) kommt sehr häufig die lineare Koordinati-
on (K.Z. 2) vor.
Tabelle 9.2 gibt eine Übersicht über die wichtigsten Koordinationspolyeder
mit zugehörigen Beispielen.
9.3 Isomerie
Zwei Verbindungen sind isomer, wenn sie bei gleicher Zusammensetzung ver-
schiedene Molekülstrukturen haben. Isomere unterscheiden sich in ihren phy-
sikalischen und chemischen Eigenschaften.
Konstitutionsisomere unterscheiden sich darin, welche Atome miteinander
verknüpft sind, die Konstitution ihrer Moleküle ist verschieden. Beispiele:
As As As
F F S S
S S S
S S S S S S
As S As As
F F As
As
Vor allem bei Komplexverbindungen der Übergangsmetalle kennt man meh-
rere Arten von Konstitutionsisomeren, nämlich:
Bindungsisomere, die sich darin unterscheiden, über welches Atom ein Li-
gand an ein Zentralatom gebunden ist, zum Beispiel:
9.3 Isomerie 125
d c
f
cis trans
Abb. 9.7: Diastereomere bei quadratischer und oktaedrischer Koordination mit zwei
verschiedenen Liganden. Rechts oben: Kennzeichnung der Ligandenpositionen an ei-
nem oktaedrischen Komplex
Abb. 9.8: Beispiele für einige chirale Komplexe mit oktaedrischer Koordination
9.4 Übungsaufgaben
9.1 Geben Sie an, bei welchen der folgenden oktaedrischen High-Spin-Komplexe eine
JAHN –T ELLER-Verzerrung zu erwarten ist.
TiF2− 2+ 2+ 3+ 3−
6 , MoF6 , [Cr(OH2 )6 ] , [Mn(OH2 )6 ] , [Mn(OH2 )6 ] , FeCl6 , [Ni(NH3 )6 ] ,
2+
[Cu(NH3 )6 ] .
2+
9.2 Geben Sie an, bei welchen der folgenden tetraedrischen Komplexe eine JAHN –
T ELLER-Verzerrung zu erwarten ist und welcher Art die Verzerrung ist.
CrCl− 2− − 2− 2− 2− 3−
4 , MnBr4 , FeCl4 , FeCl4 , NiBr4 , CuBr4 , Cu(CN)4 , Zn(NH3 )4 .
2+
9.3 Entscheiden Sie, ob die folgenden Komplexe tetraedrisch oder quadratisch sind.
Co(CO)− 2+ 2−
4 , Ni(PF3 )4 , PtCl2 (NH3 )2 , Pt(NH3 )4 , Cu(OH)4 , Au2 Cl6 (dimer über Chlo-
robrücken).
9.4 Welche sind die Punktgruppen der Komplexe in Abb. 9.8 und warum sind sie chiral?
∗ In
der organischen Stereochemie wird häufig der Begriff Chiralitätszentrum“ oder Asym-
” ”
mertiezentrum“ verwendet, womit meistens ein asymmetrisch substituiertes C-Atom gemeint ist.
Diese Begriffe sind ein Widerspruch in sich selbst: ein chirales Objekt hat per Definition kein Zen-
trum (in der Symmetrielehre gibt es nur eine Art von Zentrum, nämlich das Inversionszentrum).
128
+ + + −
χ1 χ2 χ1 χ2
bindend antibindend
ψ1 = c1 χ1 + c2 χ2 (10.1)
ψ2 = c2 χ1 − c1 χ2 (10.2) ψ1
Die Gleichung (10.3) ist erfüllt, wenn c21 ≈ 1 und c22 ≈ 0; in diesem Fall hält
sich das Elektron im wesentlichen nur am Atom 1 auf und die Überlappungspo-
pulation ist annähernd Null. Dies ist die Situation einer geringen elektronischen
Wechselwirkung, entweder weil die betreffenden Orbitale zu weit voneinander
entfernt sind oder weil sie sich energetisch sehr unterscheiden. In diesem Fall
ist das Elektron am Atom 1 lokalisiert und trägt nicht zur Bindung bei.
Für ψ1 ist die Überlappungspopulation 2c1 c2 S12 positiv, das Elektron ist bin-
dend; für ψ2 ist sie negativ, das Elektron ist antibindend. Generell bedeutet das:
Wellenfunktionen, die sich additiv mit gleichem Vorzeichen überlappen, erge-
ben bindende Wechselwirkungen; Überlappung mit entgegengesetztem Vorzei-
chen sind antibindend. Die Summe über die Werte 2c1 c2 S12 aller besetzten Or-
bitale des Moleküls, die M ULLIKEN-Überlappungspopulation, sagt etwas über
die Bindungsstärke oder Bindungsordnung (B.O.) aus:
B.O. = 12 [(Zahl der bindenden Elektronen) − (Zahl der antibindenden Elektronen)]
10.2 Hybridisierung
Um die vier Bindungen im Methanmolekül zu berechnen, werden die vier 1s-
Funktionen der vier Wasserstoffatome sowie die Funktionen 2s, 2px , 2py und
2pz des Kohlenstoffatoms zu acht Wellenfunktionen kombiniert, von denen
vier bindend und vier antibindend sind. Die vier bindenden sind:
10.2 Hybridisierung 131
− +
+
− + − +
p p + −
σ∗ nicht-
bindend
d s
+ + + − − + +
− − − + + − −
p π p p π∗ p d π p
Elektronenpaar (χ1 ) einen höheren s-Anteil hat und zu dessen Bindungen die
p-Orbitale mehr beitragen als bei sp3 -Hybridisierung. Die zugehörigen Bin-
dungswinkel liegen zwischen 90◦ und 109,5◦ , nämlich bei 96,5◦ .
Zur Beurteilung, welche Werte die Koeffizienten αi , βi , γi und δi haben
müssen, damit die Bindungsenergie maximal wird und sich die richtige Mo-
lekülstruktur ergibt, sind die gegenseitigen Wechselwirkungen der beteilig-
ten Elektronen zu berücksichtigen. Der damit verbundene Rechenaufwand ist
groß. Qualitativ lassen sich die Wechselwirkungen jedoch gut abschätzen: das
ist genau das, was die Valenzelektronenpaar-Abstoßungstheorie leistet.
c ist eine positive Konstante, die willkürlich so gewählt wird, daß sich für ein
homogenes Elektronengas ELF = 0, 5 ergibt.
Die Eigenschaften der so definierten Funktion sind:
• ELF ist ein Funktion der Ortskoordinaten x, y, z.
• ELF nimmt Werte zwischen 0 und 1 an.
• Im Aufenthaltsbereich eines Elektronenpaars, also dort wo die Wahr-
scheinlichkeit gering ist, ein zweites Elektronenpaar anzutreffen, nimmt
ELF hohe Werte an. Niedrige ELF-Werte trennen die Bereiche verschie-
dener Elektronenpaare.
• Die Symmetrie von ELF entspricht derjenigen des Moleküls oder Kri-
stalls.
Die ELF kann man mit Bildern veranschaulichen. Beliebt sind Schnit-
te durch ein Molekül mit farblicher Darstellung, weiß für hohe ELF-Werte,
dann über gelb–rot–violett–blau–dunkelblau zu niedrigen Werten; durch die
Farbpunktdichte kann man zugleich die Elektronendichte zeigen. Im Schwarz-
weißdruck kann man Höhenlinien statt der Farben verwenden. Eine weitere
Möglichkeit bieten perspektivische Bilder mit Isoflächen, also Flächen mit
konstantem ELF-Wert. In Abb. 10.2 sind Isoflächen mit ELF = 0, 8 für eini-
ge Moleküle gezeigt; der Wert ELF = 0, 8 ist erfahrungsgemäß gut geeignet,
um die Verteilung von Elektronenpaaren im Raum erkennen zu lassen.
Abb. 10.2 zeigt einerseits die Isoflächen um die Fluoratome, andererseits
sind die einsamen Elektronenpaare an den Zentralatomen gut erkennbar. Der
Platzbedarf eines einsamen Elektronenpaars ist größer als der für die vier Elek-
tronenpaare um eines der elektronegativeren Fluoratome. Die drei einsamen
Elektronenpaare am Chloratom von ClF− 2 ergeben zusammen einen rotations-
symmetrischen Torus.
P
F F F F
F Cl F
F
F
F F F
F
S Cl F Cl
F
F F F
Abb. 10.2: Isoflächen mit ELF = 0,8 für einige Moleküle mit einsamen Elektronenpaa-
ren (Bilder von T. Fässler, Technische Universität München)
➤
➤
➤
k
= 0 An = A0 cos 2π
0
λ =∞ 2N
➤
➤
A0 A1 A2 A3 1n
k
= 1 An = A0 cos 2π
➤
A5 A6 2N
➤
a A7 A8
➤
1
2λ =Na
➤
➤
➤
➤
➤
A0 A1 A7 A8 2n
k
= 2 A3 A5
An = A0 cos 2π
A4 2N
➤
λ = Na
➤
➤
A0 A5 A6 3n
k
= 3
➤
An = A0 cos 2π
➤
A2 A3 A8 2N
➤
λ = 23 N a
➤
➤
➤
➤
Nn
k
= N An = A0 cos 2π
2N
➤
➤
➤
λ = N2 N a
2 1 k
allgemein: λk
= Na =
k
λk
2Na
Abb. 10.3: Schwingungen einer Kette aus N + 1 durch Federn miteinander verbundener
Kugeln
Man macht sich dadurch von der Zahl N unabhängig, da die Grenzwerte für k
nun bei 0 und π /a liegen. Im Gegensatz zu k
sind die Werte k nicht ganzzahlig.
Für die Elektronen der Kette aus Wasserstoffatomen ergibt sich die k-te Wel-
lenfunktion in ähnlicher Weise. Jedes Atom liefert einen Beitrag χn cos nka,
d. h. an die Stelle von A0 tritt die 1s-Funktion χn des n-ten Atoms der Kette.
Alle Atome haben die gleiche Funktion χ , bezogen auf das lokale Koordina-
tensystem des Atoms, mit dem Index n wird die Lage des Atoms in der Kette
berücksichtigt. Die k-te Wellenfunktion setzt sich aus Beiträgen aller Atome
zusammen:
N
ψk = ∑ χn cos nka (10.4)
n=0
k = π /a : ψπ /a = χ0 − χ1 + χ2 − χ3 + . . .
k=0: ψ0 = χ0 + χ1 + χ2 + χ3 + . . .
0 k - π /a 0 DOS -
Abb. 10.4: Energieniveaus in einem Band, Bandstruktur und Zustandsdichte (DOS)
zen E(0) und E(π /a).∗ Der Bereich innerhalb dieser Grenzen wird Energie-
band oder kurz Band genannt. Die Energieniveaus liegen nicht äquidistant im
Band. Abb. 10.4 gibt links eine Skizze des Bands wieder, bei dem die einge-
zeichneten Linien den Energieniveaus entsprechen; statt 106 sind allerdings nur
38 Linien eingetragen. Im mittleren Bild ist die Bandstruktur, d. h. die Energie
als Funktion von k gezeigt; die kontinuierlich erscheinende Kurve besteht in
Wirklichkeit aus zahlreichen dicht beieinanderliegenden Punkten. Der flachere
Verlauf an den Kurvenenden zeigt eine dichtere Abfolge der Energieniveaus
an den Bandgrenzen an. Die Dichte der Abfolge, die Zustandsdichte (DOS
= density of states) ist im rechten Bild gezeigt; DOS·dE = Anzahl der Nive-
aus zwischen E und E+dE. Die Energieniveaus im unteren Teil des Bandes
gehören zu bindenden, im oberen Teil zu antibindenden Zuständen.
Die Bandbreite oder Banddispersion ist die Energiedifferenz zwischen dem
höchsten und dem niedrigsten Energieniveau im Band. Je stärker die Wechsel-
wirkung zwischen den Atomen, d. h. je größer die Überlappung der Atomor-
bitale ist, desto größer ist die Bandbreite. Ein kleinerer interatomarer Abstand
a bedingt eine größere Bandbreite. So errechnet sich die Bandbreite in der H-
Atomkette zu 4,4 eV, wenn benachbarte Atome 200 pm voneinander entfernt
sind, und zu 39 eV, wenn sie auf 100 pm zusammenrücken.
Da nach dem PAULI-Prinzip je zwei Elektronen die gleiche Wellenfunk-
tion annehmen können, nehmen die N Elektronen der N Wasserstoffatome die
Zustände in der unteren Hälfte des Bandes wahr, das Band ist halbbesetzt. Das
höchste besetzte Energieniveau (= HOMO = highest occupied molecular or-
∗ Bei einem Atomabstand von 100 pm und einer Kettenlänge von 0,1 mm lassen sich 106 Atome
unterbringen
10.5 Die Peierls-Verzerrung 139
bital) ist die Fermi-Grenze. Immer wenn die F ERMI-Grenze innerhalb eines
Bandes liegt, hat man es mit einem metallischen elektrischen Leiter zu tun.
Es ist nur ein minimaler Energieaufwand notwendig, um ein Elektron von ei-
nem besetzten Orbital unterhalb der F ERMI-Grenze auf ein unbesetztes Orbital
darüber anzuregen; der leichte Wechsel auf andere Orbitale ist gleichbedeutend
mit einer hohen Beweglichkeit der Elektronen. Wegen der Anregung durch
die thermische Energie befindet sich sogar immer ein Bruchteil der Elektro-
nen oberhalb der F ERMI-Grenze.
Die Kurve für den Energieverlauf als Funktion von k in Abb. 10.4 hat eine
positive Steigung. Dies ist nicht immer so. Reiht man p-Orbitale zu einer Kette
zusammen, so ist die Situation genau umgekehrt. Die Wellenfunktion ψ0 =
∑ χn ist dann antibindend, während ψπ /a bindend ist (Abb. 10.5). Auch hier gilt,
daß mit einem Elektron pro Atom das Band halbbesetzt ist, also die bindenden
Zustände besetzt und die antibindenden unbesetzt sind.
Verschiedene Bänder können sich überschneiden, d. h. die untere Grenze
eines Bandes kann bei niedrigerer Energie liegen als die obere Grenze eines
anderen Bandes. Dies gilt vor allem für breite Bänder.
ψ0 = χ0 + χ1 + χ2 + χ3 + . . .
− + − + − + − + -
6
E
ψπ /a = χ0 − χ1 + χ2 − χ3 + . . .
− + + − − + + − -
0 k - π /a
Abb. 10.5: Bandstruktur für eine Kette von aufeinander ausgerichteten p-Orbitalen
?
H H H H H H
Die sehr nützliche Intuition des Chemikers hilft allerdings nicht weiter, wenn
danach gefragt ist, wie sich Wasserstoff bei einem Druck von 500 Gigapascal
verhält. Vermutlich ist er dann metallisch.
Betrachten wir noch einmal die Kette aus Wasserstoffatomen, die wir uns
dieses Mal aber durch Aneinanderreihen von H2 -Molekülen entstanden den-
ken. Wir gehen also von einer Kette aus, in der zwischen den H-Atomen ein
Elektronenpaar abwechselnd vorhanden ist und fehlt. Trotzdem wollen wir
zunächst noch äquidistante H-Atome annehmen. Die Orbitale der H2 -Moleküle
treten miteinander in Wechselwirkung und ergeben ein Band. Da die Transla-
tionsperiode, d. h. die Gitterkonstante in der Kette jetzt auf den Wert 2a ver-
doppelt ist, laufen die k-Werte nur noch von k = 0 bis k = π /(2a). Dafür haben
wir zwei Zweige in der Kurve für die Bandenergie (Abb. 10.6). Der eine Zweig
beginnt bei k = 0 und hat eine positive Steigung, er geht vom bindenden Mo-
lekülorbital des H2 aus. Der zweite Zweig beginnt bei k = 0 mit der höheren
Energie des antibindenden H2 -Orbitals und hat eine negative Steigung. Beide
Kurvenzweige treffen sich bei k = π /(2a).
Im Ergebnis muß sich für die H-Atomkette die gleiche Bandstruktur erge-
ben, unabhängig davon, ob man von den Wellenfunktionen von N H-Atomen
oder von N/2 H2 -Molekülen ausgegangen ist. Tatsächlich stimmt die Kurve
von Abb. 10.4 mit der Kurve in Abb. 10.6 überein. Der scheinbare Unterschied
hat mit der Verdoppelung der Gitterkonstanten von a auf a
= 2a zu tun. Wie
aus Gleichung (10.4) hervorgeht, ergibt sich für k = 0 dieselbe Wellenfunktion
ψk wie für k = 2π /a, für k = π /a dieselbe wie für k = 3π /a usw. Während in
Abb. 10.4 die Kurve stetig von k = 0 bis k = π /a ansteigt, ist sie in Abb. 10.6
nur bis k = π /(2a) = π /a
geführt, dann steigt sie von rechts nach links weiter
an. Von der einen Kurve kommt man zur anderen durch Falten des Diagramms,
so wie es im unteren Teil von Abb. 10.6 gezeigt ist. Das Falten kann fortgesetzt
werden: bei Verdreifachung der Elementarzelle ist zweimal zu falten usw.
Bis jetzt hatten wir äquidistante H-Atome angenommen. Lassen wir nun die
H-Atome paarweise aufeinander zurücken, so verändert sich die Bandstruktur.
10.5 Die Peierls-Verzerrung 141
- - -
- - -
6
E - - -
- - -
-
2a
0 k - π /(2a)
6 =⇒ =⇒ =⇒
E
0 π /(2a) π /a 0 π /a
k - a
= 2a
Abb. 10.6: Oben: Bandstruktur für eine Kette von äquidistanten H-Atomen, entstanden
aus H2 -Molekülen. Unten: Erzeugung des Diagramms durch Falten des Diagramms von
Abb. 10.4
Die entsprechenden Bewegungen der Atome sind in Abb. 10.6 durch Pfeile
markiert. Bei k = 0 hat dies keine Konsequenzen; am unteren (bzw. oberen)
Ende des Bandes gibt es einen Energiegewinn (bzw. Verlust) für die Atome,
die einander näherrücken; er wird durch den Energieverlust (bzw. Gewinn) der
auseinanderrückenden Atome kompensiert. Dagegen gibt es in der Mitte des
Bandes, wo die H-Atomkette ihre F ERMI-Grenze hat, erhebliche Veränderun-
gen. Der obere Kurvenzweig rückt nach oben, der untere nach unten. Als Er-
gebnis kommt es zur Öffnung einer Lücke ( gap“), das Band spaltet sich auf
”
(Abb. 10.7). Für das halbbesetzte Band bringt das einen Energiegewinn. Es ist
somit energetisch günstiger, wenn in der Kette die H-Atome abwechselnd kur-
ze und lange Abstände voneinander haben. Die Kette ist nicht mehr elektrisch
leitend, da ein Elektron die Energielücke überwinden muß, um von einem auf
ein anderes Orbital zu springen.
142 10 MO-THEORIE UND CHEMISCHE BINDUNG IN FESTKÖRPERN
antibindend
6 Fermi-
grenze
E
bindend
0 k - π /(2a) 0 k - π /a
Abb. 10.7: Bandstruktur für eine Kette aus H-Atomen, links mit äquidistanten Atomen,
rechts nach P EIERLS-Verzerrung zu H2 -Molekülen. Die Striche in den Rechtecken sym-
bolisieren mit Elektronen besetzte Zustände
=⇒
Polyacetylen ist elektrisch nicht leitend. Durch Dotierung, bei der entweder
Elektronen in das obere Band eingefügt werden oder Elektronen aus dem un-
teren Band entfernt werden, wird es ein guter Leiter.
Welche Struktur ein Festkörper annimmt, wird in wesentlichem Maße von
der P EIERLS-Verzerrung mitbestimmt. Dahinter steckt die Tendenz, Bindun-
gen zu maximieren, also die gleiche Tendenz, die H-Atome oder sonstige Ra-
10.5 Die Peierls-Verzerrung 143
?1,2 ? ? 1,3 ?
···· H ····· H ····· H ····· H ····· H ····· H ····· H ····· H ····
k = π /a
antibindend bindend
➤
1,2 1,3
Fermi-
6 ➤ Niveau
E k = π /(2a)
0 DOS - − 0 + − 0 +
COOP-Beiträge Gesamt-COOP
k=0
Abb. 10.8: Zustandsdichte (DOS) und Kristall-Überlappungspopulation (COOP) für
eine Kette von äquidistanten H-Atomen
10.6 Kristall-Orbital-Überlappungspopulation (COOP) 145
Trägt man das F ERMI-Niveau ein, so läßt sich erkennen, wie stark die bin-
denden Wechselwirkungen gegenüber den antibindenden überwiegen: sie ent-
sprechen den von der Kurve unterhalb des F ERMI-Niveaus eingeschlossenen
Flächen rechts respektive links.
Auch in komplizierteren Fällen ist es möglich, sich qualitativ einen Über-
blick zu verschaffen. Wir wählen dazu das von R. H OFFMANN untersuchte
Beispiel von planaren PtX2− 4 -Einheiten, die eine Kette mit Pt–Pt-Kontakten
bilden; diesen Aufbau haben K2 Pt(CN)4 sowie seine partiell oxidierten Deri-
vate wie K2 Pt(CN)4 Cl0,3 ∗ :
X X X X
X X X X
Pt Pt Pt Pt
X X X X
X X X X
Im folgenden betrachten wir nur die Pt–Pt-Wechselwirkungen in der Ket-
te. In Abb. 10.9 ist oben die Orientierung der maßgeblichen Atomorbitale
bei k = 0 und k = π /a gezeigt. Außer den d-Orbitalen ist auch noch ein p-
Orbital berücksichtigt. Links unten ist die Energieniveauabfolge der Orbita-
le des monomeren, quadratischen Komplexes eingezeichnet (vgl. Abb. 9.3,
S. 118). Rechts daneben ist angedeutet, wie die Energieniveaus sich zu Bändern
auffächern, wenn sich die PtX2− 4 -Ionen zu einer Kette zusammenlagern. Die
Bänder sind um so breiter, je stärker die Orbitale miteinander in Wechselwir-
kung treten. Die Orbitalbildchen lassen die Unterschiede erkennen: die Orbi-
tale dz2 und pz sind aufeinander zugerichtet, sie ergeben die breitesten Bänder;
schwächer ist die Wechselwirkung der Orbitale dxz und dyz und bei dxy und
dx2 −y2 ist sie nur noch gering (die etwas größere Bandbreite für dx2 −y2 als für
dxy hat mit der Aufblähung von dx2 −y2 durch seine Wechselwirkung mit den
Liganden zu tun). Das Bild in der Mitte zeigt die Bandstruktur, das rechts die
Zustandsdichte.
Das DOS-Diagramm ergibt sich durch die Überlagerung der Zustands-
dichten der einzelnen Bänder (Abb. 10.10). Das dxy -Band ist schmal, seine
Zustände sind dicht gedrängt, und deshalb ist seine Zustandsdichte groß. Beim
breiten dz2 -Band verteilen sich die Zustände auf ein größeres Energieintervall,
die Zustandsdichte ist geringer. Für jedes Band kann sein COOP-Beitrag ab-
∗ In den oxidierten Spezies stehen die Liganden entlang der Kette auf Lücke zueinander, was
geschätzt werden. Dabei ist vor allem die bindende Wirkung (Überlappungs-
population) zu berücksichtigen, aber auch die Zustandsdichte. Beim dz2 -Band
ist zwar die Zustandsdichte geringer, aber die bindende Wechselwirkung groß,
es trägt erheblich zur COOP bei. Beim dxy -Band ist es umgekehrt. Allge-
mein tragen breite Bänder stärker zur Kristall-Überlappungspopulation bei.
10.6 Kristall-Orbital-Überlappungspopulation (COOP) 147
E
6
p pz
z
dx2 −y2
dx2 −y2
dz2 dz2
dxz
dyz d dxy
xy
dxz , dyz
Gesamt-DOS
DOS-Beiträge
E
6
pz
dx2 −y2
Fermi-
Grenze
− + − + − + − +
Gesamt-COOP
COOP-Beiträge
Die Addition der COOP-Beiträge der einzelnen Bänder ergibt das Diagramm
für die Gesamt-COOP in Abb. 10.10 unten rechts; dort ist auch das F ER -
2−
MI-Niveau eingetragen. Da im PtX4 -Ion alle d-Orbitale außer dx2 −y2 besetzt
sind, sind auch die entsprechenden Bänder voll besetzt, bindende und antibin-
dende Wechselwirkungen kompensieren sich. Durch Oxidation werden anti-
148 10 MO-THEORIE UND CHEMISCHE BINDUNG IN FESTKÖRPERN
k
6z
X
L
X
Γ ➤
Abb. 10.11: Erste Brillouin-Zone für ky
X M
ein kubisch-primitives Kristallgitter. Die
➤
Punkte X befinden sich jeweils bei k = kx
π /a
Ursprung des k-Koordinatensystems beträgt π /s, wenn s der Abstand der Ato-
me ist. Die erste B RILLOUIN-Zone für ein kubisch-primitives Kristallgitter ist
in Abb. 10.11 gezeigt. Dort ist auch die übliche Bezeichnung für gewisse Punk-
te der B RILLOUIN-Zone eingetragen. Die B RILLOUIN-Zone kann man sich in
viele kleine Zellen unterteilt denken, jeweils eine für jeden Elektronenzustand.
Ein Eindruck, wie s-Orbitale in einem quadratischen Netz miteinander in
Wechselwirkung treten, wird durch die Bilder in Abb. 10.12 vermittelt. Je nach
Kombination der k-Werte, d. h. für verschiedene Punkte in der B RILLOUIN-
Zone, ergeben sich verschiedene Arten von Wechselwirkungen. Zwischen be-
nachbarten Atomen gibt es bei Γ nur bindende, bei M nur antibindende Wech-
selwirkungen, die zu Γ gehörende Wellenfunktion wird also energetisch am
günstigsten und die zu M gehörende am ungünstigsten sein. Bei X steht jedes
Atom mit zwei Nachbaratomen in bindender und mit zwei in antibindender
Beziehung, das Energieniveau liegt zwischen dem von Γ und M. Es ist kaum
möglich, für alle Zellen in der B RILLOUIN-Zone die Energieniveaus zu veran-
schaulichen, man kann aber Diagramme zeichnen, die den Gang der Energie-
werte entlang bestimmter Richtungen der B RILLOUIN-Zone zeigen. Dies ist in
Abb. 10.12 für drei Richtungen gezeigt (Γ → X, X → M und M → Γ ).
Für die pz -Orbitale, die senkrecht zum quadratischen Netz ausgerichtet sind,
gilt das gleiche wie für die s-Orbitale, nur sind die Wechselwirkungen etwas
geringer, und die Bandbreite ist dementsprechend schmaler. Etwas komplizier-
ter sind die Verhältnisse bei den px - und py -Orbitalen, weil gleichzeitig σ - und
π -Wechselwirkungen zwischen benachbarten Atomen zu berücksichtigen sind
(Abb. 10.12). So sind bei Γ die px -Orbitale σ -antibindend, aber π -bindend. Bei
X unterscheiden sich px und py besonders stark, das eine ist σ - und π -bindend,
das andere σ - und π -antibindend.
150 10 MO-THEORIE UND CHEMISCHE BINDUNG IN FESTKÖRPERN
Γ X X
M
kx =0, ky =0 kx =π /a, ky =0 kx =0, ky =π /a kx =π /a, ky =π /a
px
σ ∗, π σ, π σ ∗, π ∗ σ, π∗
py
y σ ∗, π σ∗, π∗ σ, π σ, π∗
6
-x
py
pz
?
E 6
p
x
sj
Γ X M Γ
Abb. 10.12: Kombination von s-Orbitalen und p-Orbitalen (oben) in einem quadrati-
schen Netz sowie die resultierende Bandstruktur (unten)
10.8 Bindung in Metallen 151
E6
Fermi-Niveau
bei Anzahl e−
4p p-Band 14 Ge
4s p
12 Zn
s-Band s
10 Ni
3d d-Band d 6 Cr
DOS - − 0 + − 0 +
COOP-Anteile COOP-Summe
Abb. 10.13: Schematische Skizze für die Zustandsdichte und die Kristall-Überlap-
pungspopulation für Metalle
152 10 MO-THEORIE UND CHEMISCHE BINDUNG IN FESTKÖRPERN
hinzu, die F ERMI-Grenze steigt an; rechts im Bild ist die F ERMI-Grenze für ei-
nige Elektronenzahlen markiert. Wie zu erkennen, werden zunächst bindende
Zustände besetzt, und dementsprechend steigt die Bindungsstärke in den Me-
tallen vom Kalium bis zum Chrom an. Für das siebte bis zehnte Valenzelektron
jedes Atoms stehen nur antibindende Zustände zur Verfügung, die Bindungs-
kräfte nehmen vom Chrom bis zum Nickel wieder ab. Die nächsten Elektro-
nen (Cu, Zn) sind schwach bindend. Mit mehr als 14 Valenzelektronen wird
die Überlappungspopulation für eine metallische Struktur insgesamt negativ;
Strukturen mit kleineren Koordinationszahlen werden günstiger.
Das entworfenen Bild ist zwar recht grob, gibt aber die Tendenzen richtig
wieder, wie man zum Beispiel an den Schmelzpunkten der Metalle erkennen
kann (Werte in ◦ C):
K Ca Sc Ti V Cr Mn Fe Co Ni Cu Zn
63 839 1539 1667 1915 1900 1244 1535 1495 1455 1083 420
In Wirklichkeit gibt es feinere Unterschiede; die Energieniveaus verschie-
ben sich von Element zu Element etwas, verschiedene Strukturtypen haben ver-
schiedene Bandstrukturen, die je nach Valenzelektronenkonzentration günsti-
ger oder weniger günstig sein können. Im COOP-Diagramm in Abb. 10.13
wurden auch nicht die s-p-, s-d- und p-d-Wechselwirkungen berücksichtigt,
die nicht zu vernachlässigen sind. Die genauere Rechnung zeigt ab dem elften
Valenzelektron nur noch antibindende Beiträge.
10.9 Übungsaufgaben
10.1 Welche Änderungen sind in der Bandstruktur und im DOS-Diagramm (Abb. 10.4)
zu erwarten, wenn die Kette aus H-Atomen komprimiert wird?
10.2 Wie hätte die Bandstruktur einer Kette aus Kopf-an-Kopf ausgerichteten p-
Orbitalen (Abb. 10.5) nach P EIERLS-Verzerrung auszusehen?
10.3 Welche Änderungen sind in der Bandstruktur des quadratischen Netzes (Abb.
10.12) zu erwarten, wenn es in Richtung x komprimiert wird?
153
I· · ·I-Abstände /pm
450 6
I V II III IV
inkomm.
2×
350 4× 8×
1× 8×
2× 12×
300 2×
I–I 2× 4×
1×
250 -
10 20 30 40 50 60 p /GPa
V
24,6 GPa
Abb. 11.1: Die Struktur von Iod bei vier verschiedenen Drücken. Die ausgezogene,
flächenzentrierte Elementarzelle im 30-GPa-Bild entspricht derjenigen der kubisch-
dichtesten Kugelpackung. Bei 24,6 GPa sind vier Elementarzellen der flächenzentrier-
ten Approximantenstruktur gezeigt; die Struktur ist inkommensurabel moduliert, die
Atomlagen folgen einer Sinuswelle, deren Wellenlänge 3, 89 × c beträgt. Die Amplitu-
de der Welle ist zweifach übertrieben gezeichnet. Links unten: Abhängigkeit der zwölf
interatomaren Kontaktabstände vom Druck
11.2 Chalkogene 155
11.2 Chalkogene
Sauerstoff besteht auch im festen Zustand aus O2 -Molekülen. Sie sind von
24 K bis 43,6 K so wie im α -F2 gepackt; unter Druck (5,5 GPa) wird diese
Packung auch bei Zimmertemperatur beobachtet. Unterhalb von 24 K sind die
Moleküle gegen die hexagonale Schicht leicht verkippt. Von 43,6 K bis zum
156 11 DIE ELEMENTSTRUKTUREN DER NICHTMETALLE
Schmelzpunkt (54,8 K) rotieren die Moleküle wie im β -F2 . Unter Druck wird
Sauerstoff bei ca. 100 GPa metallisch, besteht dann aber noch aus Molekülen.
Kein Element zeigt eine so große Strukturvielfalt wie Schwefel. Kristall-
strukturen sind von folgenden Formen bekannt: S6 , S7 (vier Modifikatio-
nen), S8 (drei Modifikationen), S10 , S6 ·S10 , S11 , S12 , S13 , S14 , S15 , S18 (zwei
Formen), S20 , S∞ (Abb. 11.2). Viele davon können durch chromatographi-
sche Trennung aus Lösungen isoliert werden, die durch Extraktion von ab-
geschreckten Schwefelschmelzen erhalten wurden; außerdem können sie ge-
zielt präparativ-chemisch hergestellt werden. Durch Abschrecken von Schwe-
felschmelzen entstehen auch polymere Formen. Alle genannten Schwefelfor-
men bestehen aus Ringen oder Ketten von S-Atomen; jedes Schwefelatom ist
im Einklang mit der 8 − N-Regel mit zwei anderen Schwefelatomen verbun-
den. Die S–S-Bindungslängen liegen meist bei 206 pm, zeigen aber eine ge-
wisse Streubreite von ±10 pm. Die S–S–S-Bindungswinkel liegen zwischen
101 und 110◦ und die Diederwinkel∗ zwischen 74 und 100◦ . Für eine Folge
von fünf Atomen ergeben sich dadurch zwei Anordnungsmöglichkeiten:
cisoid transoid
In den kleineren Ringen S6 , S7 und S8 kommt nur die cisoide Anordnung
vor, wobei sich die Diederwinkel anpassen müssen (74,5◦ bei S6 , 98◦ bei S8 ).
S6 hat Sesselkonformation, beim S8 spricht man von einer Kronenform (Abb.
11.2). S7 kann man sich aus S8 entstanden denken, dem ein S-Atom wegge-
nommen wurde. Größere Ringe erfordern das Vorliegen von cisoiden und tran-
soiden Gruppen, um möglichst spannungsfrei zu sein. Im S12 wechseln sich ci-
soide und transoide Gruppen ab. Wenn nur transoide Gruppen vorhanden sind,
so resultieren Spiralketten, wobei es vom Diederwinkel abhängt, nach wie vie-
len Windungen sich wieder ein Atom auf genau der gleichen Seite der Spirale
befindet. In einer Form von polymerem Schwefel ist dies nach zehn Atomen in
drei Windungen der Fall (Schraubenachse 103 ; vgl. Abschnitt 3.1).
In der bei Normalbedingungen stabilen Modifikation des Schwefels, dem
orthorhombischen α -Schwefel, sind S8 -Ringe zu Säulen gestapelt. Aufeinan-
∗ Diederwinkel (auf deutsch keinesfalls Dihedralwinkel“) = Winkel zwischen zwei Ebenen.
”
Bei einer Kette von vier Atomen ist der Winkel zwischen den Ebenen gemeint, die durch die
Atome 1,2,3 und 2,3,4 aufgespannt werden.
11.2 Chalkogene 157
S6 S7 S8 S9
S10 S11
S12
S14
S13
α -S18
β -S18 S20
P 31 2 1
Abb. 11.4: Struktur des α -Selens. Links: Seitenansicht einer Spirale mit 31 2-
Schraubensymmetrie; rechts: Blick entlang der Spiralen; die Elementarzelle sowie die
Koordination um ein Atom sind eingezeichnet
As As
S S
S As S
As
faserig
S
As As
S S
S As S
As
H ITTORF
Abb. 11.5: Oben: Sich wiederholende Baueinheit in einem Strang aus P8 -Käfigen und
P4 -Ringen in 1∞ P12 .
Mitte: Paarweise verknüpfte Röhren mit fünfeckigem Querschnitt im faserigen roten
Phosphor, bestehend aus P8 - und P9 -Käfigen, die über P2 -Hanteln verbunden sind.
Unten: Aufbau des H ITTORFschen Phosphors aus ebensolchen Röhren, die quer zu-
einander zu Rosten verknüpft sind; die in der Mitte gezeigte Röhre gehört zu einem
anderen Rost als die übrigen Röhren.
Rechts: die den P8 - und P9 -Käfigen entsprechenden Molekülstrukturen von As4 S4 und
As4 S5
162 11 DIE ELEMENTSTRUKTUREN DER NICHTMETALLE
Abb. 11.6: Die Struktur des schwarzen Phosphors. Links: Ausschnitt aus einer Schicht;
zwei Sesselringe mit relativer Anordnung wie im cis-Decalin sind hervorgehoben.
Rechts: Aufsicht auf eine Schicht, welche die Zickzacklinien erkennen läßt; die Lage
der nächsten Schicht ist angedeutet
lösung herausgelöst wird. Die Moleküle bestehen aus P8 -Käfigen, die über P4 -
Quadrate miteinander verknüpft sind (Abb. 11.5 oben). Ganz ähnlich läßt sich
eine weitere Variante aus (CuI)3 P12 erhalten, deren Stränge aus P10 -Käfigen
und P2 -Hanteln aufgebaut sind.
Schwarzer Phosphor entsteht nur unter besonderen Bedingungen (hoher
Druck, Kristallisation aus flüssigem Bismut oder längeres Erhitzen in Anwe-
senheit von Hg), trotzdem handelt es sich um die bei Normalbedingungen ther-
modynamisch stabile Modifikation. Er ist aus Schichten aufgebaut, die aus
verknüpften Sechserringen in der Sesselkonformation bestehen. Je zwei Ringe
sind so miteinander verknüpft wie die Ringe im cis-Decalin (Abb. 11.6). Die
Schicht kann auch als ein System von miteinander verbundenen Zickzackli-
nien aufgefaßt werden, die sich in zwei verschiedenen Ebenen befinden. Jedes
P-Atom ist innerhalb der Schicht an drei andere P-Atome in Abständen von
222 und 224 pm gebunden. Die Atomabstände zwischen den Schichten (2 ×
359 pm; 1 × 380 pm) entsprechen etwa dem VAN - DER -WAALS-Abstand. Be-
stimmte Strukturmerkmale des schwarzen Phosphors finden sich bei den Poly-
phosphiden wieder (vgl. Abb. 13.2, S. 197).
Vom Arsen wurden Modifikationen beschrieben, die dem weißen und dem
schwarzen Phosphor entsprechen. Stabil ist aber nur das graue (metallische,
rhomboedrische) α -Arsen. Es besteht aus Schichten von Sechserringen in der
Sesselkonformation, die in der Art wie im trans-Decalin zu Schichten mitein-
ander verknüpft sind (Abb. 11.7). In der Schicht befinden sich die Arsenato-
me abwechselnd in einer unteren und einer oberen Ebene. Die Schichten sind
11.3 Elemente der fünften Hauptgruppe 163
Abb. 11.7: Ausschnitt aus einer Schicht im grauen Arsen sowie die Lage von zwei
Ringen der nächsten Schicht. Zwei Ringe mit relativer Anordnung wie im trans-Decalin
sind hervorgehoben
versetzt zueinander gestapelt, wobei sich über und unter der Mitte eines Sech-
serringes je ein As-Atom aus einer Nachbarschicht befindet. Dadurch kommt
jedes Arsenatom zu drei weiteren Nachbaratomen, zusätzlich zu den drei Ato-
men, an die es innerhalb der Schicht gebunden ist; es hat eine verzerrt oktaedri-
sche (3+3)-Koordination. Die As–As-Bindungen innerhalb der Schicht sind
252 pm lang, die Abstände zwischen Nachbaratomen verschiedener Schichten
betragen 312 pm und sind damit erheblich kürzer als der VAN - DER -WAALS-
Abstand (370 pm).
Die Strukturen von Antimon und Bismut entsprechen derjenigen des grau-
en Arsens. Je schwerer die Atome, desto ähnlicher werden die Abstände zwi-
schen benachbarten Atomen innerhalb der Schicht und zwischen den Schich-
ten, d. h. das Koordinationspolyeder weicht immer weniger vom idealen Ok-
taeder ab. Unter Druck gleichen sich die Abstände noch mehr an (s. nächster
Abschnitt).
Wenn die Strukturen von P, As, Sb und Bi als Schichtenstrukturen und die
von Se und Te als Kettenstrukturen beschrieben werden, so wird den bin-
denden Wechselwirkungen zwischen den Schichten bzw. Ketten eine zu ge-
ringe Bedeutung beigemessen. Je schwerer die Atome, desto mehr gewinnen
diese Wechselwirkungen an Bedeutung (Tab. 11.1). Bei Sb und Bi sind die
Atomabstände zwischen den Schichten zum Beispiel nur 15 % größer als in-
nerhalb der Schichten; die Abweichung von der Struktur des α -Poloniums ist
ziemlich gering. Außerdem zeigen As, Sb und Bi metallische Leitfähigkeit. Die
164 11 DIE ELEMENTSTRUKTUREN DER NICHTMETALLE
As As
R L
Se Se
R L
Abb. 11.8: Durch Dehnung bestimmter Abstände in der α -Po-Struktur kommt man zur
Schichten- bzw. Kettenstruktur der Elemente der fünften und sechsten Hauptgruppe
(Stereobilder)
Abstand von 297 pm hat, ist schon länger bekannt; die Struktur (jetzt Te-IV
genannt) entspricht der des β -Poloniums. Bevor sie erreicht wird, treten aller-
dings bei 4 GPa und 7 GPa zwei weitere Modifikationen auf (Te-II und Te-III),
die aus dem Rahmen fallen. Te-II enthält parallel angeordnete, lineare Stränge,
die gegenseitig so versetzt sind, daß jedes Te-Atom neben zwei Nachbaratomen
im Strang (310 pm) zusätzlich zwei nahe (286 – 299 pm) und vier entferntere
Nachbaratome (331 – 364 pm) hat; diese Struktur kommt auch beim Selen-III
vor. Te-III hat eine inkommensurabel modulierte Struktur, bei der jedes Tellur-
166 11 DIE ELEMENTSTRUKTUREN DER NICHTMETALLE
As α -As cP BiIII cI
Sb α -As Bi-III cI
Bi α -As Bi-III cI
Bi-II
Se-II Te-II
Se α -Se TeIII β -Po cI
Te α -Se β -Po cI
Te-II Te-III
Abb. 11.9: Stabilitätsbereiche der Strukturtypen von Elementen der 5. und 6. Haupt-
gruppe in Abhängigkeit des Druckes bei Zimmertemperatur. cP = kubisch-primitiv (α -
Po); hP = hexagonal-primitiv; cI = kubisch-innenzentrierte Kugelpackung
atom sechs nähere Nachbaratome in Abständen von 297 bis 316 pm und sechs
fernere in Abständen von 368 bis 392 pm hat; diese Abstände variieren etwas
von Atom zu Atom (Abb. 11.10); isotyp dazu ist Se-IV. Bei 27 GPa wandelt
sich Tellur Schließlich in eine kubisch-innenzentrierte, also typisch metallische
Struktur um (Te-V). Schwefel bildet mindestens fünf Hochdruckmodifikatio-
nen; eine davon (> 80 GPa) hat die β -Polonium-Struktur.
Unter Druck wandelt sich schwarzer Phosphor zunächst in eine Modifika-
tion um, die dem grauen Arsen entspricht, die bei noch höherem Druck in die
α -Polonium-Struktur übergeht. Dann folgt eine hexagonal-primitive Struktur,
c
➤
➤ b
die man auch beim Silicium unter Druck antrifft (S. 181), die aber sonst kaum
je vorkommt. Oberhalb von 262 GPa ist Phosphor kubisch-innenzentriert; diese
Modifikation wir unter 22 K supraleitend.
Arsen nimmt bei 25 GPa ebenfalls die α -Polonium-Struktur an und ist bei
höchsten Drücken kubisch-innenzentriert. Zwischen diesen beiden Modifika-
tionen tritt die recht ungewöhnliche Bi-III-Struktur auf.
Diese Bismut-III-Struktur kommt auch bei Antimon von 10 bis 28 GPa und
bei Bismut von 2,8 bis 8 GPa vor. Bei noch höheren Drücken nehmen Antimon
und Bismut die für Metalle typische kubisch-innenzentrierte Kugelpackung an.
Die eigenartige Struktur von Bi-III ist die eines inkommensurablen Komposit-
kristalls. Sie kann als zwei ineinandergestellte Teilstrukturen beschrieben wer-
den, die metrisch nicht miteinander kompatibel sind (Abb. 11.11). Die Teil-
struktur 1 besteht aus quadratischen Antiprismen, die in Richtung c miteinan-
der flächenverknüpft sind und die in a- und b-Richtung über tetraedrische Bau-
einheiten verbunden sind. Die Teilstruktur 2 bildet lineare Stränge von Atomen,
die längs c mitten durch die quadratischen Antiprismen verlaufen. Als Aus-
gleich für die wechselnden Abstände zwischen den Atomen der Stränge und
der umgebenden Antiprismen sind beide Teilstrukturen zusätzlich inkommen-
surabel moduliert. Die Atome der Stränge sind längs c ausgelenkt, diejenigen
der Antiprismen senkrecht dazu.
Generell kann man folgende Tendenzen feststellen: Je größer die Ordnungs-
zahl, desto geringer ist der Druck, bei dem eine typisch metallische Struktur er-
➤
Teilstruktur 1 Teilstruktur 2
Raumgruppe I 4/m c m Raumgruppe I 4/m m m
a = b = 851,8 pm a = b = 851,8 pm
c1 = 416,4 pm c2 = 318,0 pm
➤ b
c1 /c2 = 1, 309
➤
11.5 Kohlenstoff
Graphit ist die bei Normalbedingungen stabile Modifikation des Kohlenstoffs.
Er hat einen Aufbau aus planaren Schichten (Abb. 11.12). Innerhalb der
Schicht ist jedes C-Atom kovalent mit drei anderen C-Atomen verbunden. Zu
dem über die ganze Schicht delokalisierten π -Bindungssystem trägt jedes C-
Atom mit einem p-Orbital und einem Elektron bei. Es handelt sich um nichts
anderes als ein halbbesetztes Band; es liegt ein metallischer Zustand mit zwei-
dimensionaler elektrischer Leitfähigkeit vor. Zwischen den Schichten bestehen
nur die schwächeren VAN - DER -WAALSschen Anziehungskräfte. Die Bindun-
gen in der Schicht sind 142 pm lang und der Abstand zwischen den Schichten
beträgt 335 pm. Dementsprechend besteht die hohe elektrische Leitfähigkeit
nur parallel und nicht senkrecht zu den Schichten. Die Schichten sind ver-
setzt zueinander gestapelt; die Hälfte der Atome der einen Schicht befindet
sich genau über Atomen der vorausgehenden Schicht, die andere Hälfte über
den Ringmitten (Abb. 11.12). Dabei sind insgesamt drei Schichtlagen möglich,
A, B und C. Die Stapelfolge im normalen (hexagonalen) Graphit ist ABAB . . . ,
häufig tritt aber eine mehr oder weniger statistische Schichtenfolge auf, in der
R L
Abb. 11.12: Struktur des Graphits (Stereobild)
11.5 Kohlenstoff 169
neben der (überwiegenden) Abfolge ABAB . . . auch Bereiche mit der Abfolge
ABC vorkommen. Man spricht hier von einer eindimensionalen Fehlordnung,
d. h. innerhalb der Schichten sind die Atome geordnet, aber senkrecht dazu
fehlt die periodische Ordnung.
Mit Alkalimetallen bildet Graphit Einlagerungsverbindungen (Intercala-
tionsverbindungen). Sie haben Zusammensetzungen wie LiC6 , LiC12 , LiC18
oder KC8 , KC24 , KC36 , KC48 . Je nach Metallgehalt sind sie goldglänzend bis
schwarz. Sie haben eine bessere elektrische Leitfähigkeit als Graphit. Die Al-
kaliionen sind zwischen die Schichten des Graphits eingelagert, und zwar beim
KC8 zwischen jedes Paar von C-Schichten, beim KC24 zwischen jedes zweite
Paar usw. (Abb. 11.13). Die Metallatome geben ihre Elektronen an das Valenz-
band des Graphits ab. Die Möglichkeit, Li+ -Ionen reversibel in variabler Men-
ge elektrochemisch in Graphit einlagern zu können, macht man sich bei Elek-
KC8 KC24
Abb. 11.13: Links: Anordnung der K+ -Ionen relativ zu einer benachbarten Graphit-
schicht im KC8 ; im KC24 enthält eine K+ -Ionenschicht nur 23 so viele Ionen indem je-
des K+ -Ionen-Sechseck in seiner Mitte leer ist. Rechts: Stapelfolge von Graphitschich-
ten und K+ -Ionen im KC8 und KC24
170 11 DIE ELEMENTSTRUKTUREN DER NICHTMETALLE
L
R
Abb. 11.14: Oben: Struktur des C60 -Moleküls (Stereobild). Unten: Packung von C60 -
Molekülen und K+ -Ionen in K3 C60
(Tetraeder- und Oktaederlücken in der dichtesten Packung von C60 -Kugeln), ist
die Zusammensetzung K3 C60 . Diese Verbindung hat metallische Eigenschaf-
ten und wird supraleitend, wenn sie auf unter 18 K gekühlt wird. Es kann auch
noch mehr Kalium eingelagert werden; im K6 C60 haben die C60 -Moleküle eine
kubisch-innenzentrierte Packung.
Kohlenstoff-Nanoröhren kann man im Lichtbogen oder durch Laserver-
dampfung aus Graphit herstellen. Solche Röhren sind miteinander verknäuelt.
Durch katalysierte Pyrolyse von gasförmigen Kohlenwasserstoffen bei 700 bis
172 11 DIE ELEMENTSTRUKTUREN DER NICHTMETALLE
Abb. 11.15: Strukturen von zwei Sorten von einwandigen Kohlenstoff-Nanoröhren. Die
linke ist metallisch leitend, die rechte halbleitend
Die Strukturen von Diamant, Silicium, Germanium und Zinn werden in Ka-
pitel 12 behandelt.
11.6 Bor 173
11.6 Bor
Wie in seinem chemischen Verhalten fällt Bor auch bezüglich seiner Strukturen
aus dem Rahmen der übrigen Elemente. Sechzehn Bormodifikationen sind be-
schrieben, die meisten davon jedoch nur unzureichend charakterisiert worden.
Bei vielen für Bor gehaltenen Proben könnte es sich tatsächlich um borreiche
Boride gehandelt haben (von denen man viele kennt, zum Beispiel YB66 ). Als
gesichert kann die Struktur des rhomboedrischen α -B12 gelten (die Indexzahl
bezeichnet die Anzahl der Atome pro Elementarzelle). Von drei weiteren For-
men, dem tetragonalen α -B50 , rhomboedrischen β -B105 und rhomboedrischen
B∼320 sind die Kristallstrukturen bekannt, doch handelt es sich vermutlich um
borreiche Boride. α -B50 sollte als B48 X2 formuliert werden. Es besteht aus
B12 -Ikosaedern, die über tetraedrisch koordinierte X Atome verbunden sind.
Diese Atome sind vermutlich C- oder N-Atome (B, C und N können bei der
Röntgenbeugung kaum unterschieden werden).
Die beherrschende Baueinheit in allen beschriebenen Bormodifikationen ist
das B12 -Ikosaeder, das auch im anionischen closo-Boran B12 H2−
12 realisiert ist.
Die zwölf Atome des Ikosaeders werden durch Mehrzentrenbindungen zusam-
mengehalten, wobei nach der MO-Theorie 13 bindende Orbitale angenommen
werden, die 26 Elektronen aufnehmen; es verbleiben 10 Valenzelektronen. Im
B12 H2−
12 -Ion sind zusätzlich noch 14 Elektronen vorhanden (12 von den H-
Atomen, 2 aus der Ionenladung), das ergibt 24 Elektronen oder 12 Elektronen-
paare, mit denen normale kovalente B–H-Bindungen geknüpft werden. Diese
weisen radial vom Ikosaeder weg. Im elementaren Bor sind die B12 -Ikosaeder
über ebensolche radiale Bindungen miteinander verbunden, weil aber für 12
solcher Bindungen nur 10 Valenzelektronen zur Verfügung stehen, können
nicht alle dieser Bindungen normale Einfachbindungen sein.
Im α -B12 sind die Ikosaeder wie in einer kubisch-dichtesten Kugelpackung
angeordnet (Abb. 11.16). In einer Schicht von Ikosaedern ist jedes Ikosaeder
von sechs anderen Ikosaedern umgeben, mit denen es über Zwei-Elektronen-
drei-Zentren-Bindungen verbunden ist; jedes der beteiligten Boratome trägt
dazu im Mittel 23 Elektronen bei, pro Ikosaeder sind das 23 · 6 = 4 Elektro-
nen. Jedes Ikosaeder ist noch von sechs weiteren Ikosaedern aus den beiden
benachbarten Schichten umgeben, mit denen es über normale B–B-Bindungen
verknüpft ist; dazu werden 6 Elektronen pro Ikosaeder benötigt. Für die Inter-
Ikosaeder-Bindungen ergeben sich zusammen genau die 10 oben erwähnten
Elektronen.
174 11 DIE ELEMENTSTRUKTUREN DER NICHTMETALLE
Abb. 11.16: Die Struktur des rhomboedrischen α -B12 . Die Ikosaeder im gezeigten
Schichtausschnitt sind über 2e3c-Bindungen miteinander verbunden. Ein Ikosaeder der
folgenden Schicht ist gezeigt
175
12 Diamantartige Strukturen
12.1 Kubischer und hexagonaler Diamant
Diamant, Silicium, Germanium und das unterhalb von 13 ◦ C stabile (graue)
α -Zinn sind isotyp. Diamant besteht aus einem Netzwerk von vierbindi-
gen Kohlenstoffatomen. Denkt man sich in einer Schicht des grauen Ar-
sens (vgl. Abb. 11.7) alle As-Atome durch C-Atome ersetzt, so kann jedes
dieser Atome noch eine Bindung eingehen, die senkrecht zur Schicht ori-
entiert ist. Von einem der Sesselringe der Schicht aus betrachtet, nehmen
die Bindungen innerhalb der Schicht equatoriale Positionen ein; die noch
freien Valenzen gehören zu axialen Positionen,
die von einem Atom zum nächsten abwech- F F F F
selnd über und unter die Schicht weisen. Im FF FF FF FF
Graphitfluorid (CF)x ist in jeder axialen Posi- FFF FFF FFF FF
tion ein Fluoratom gebunden. Im Diamant die- F F F F
nen die axialen Bindungen zur Verknüpfung F F F F
der Schichten miteinander (Abb. 12.1). Dabei Graphitfluorid
entstehen neue Sechserringe, die Sessel- oder
Bootkonformation haben können, je nachdem, wie die verknüpften Schichten
relativ zueinander orientiert sind. Wenn die Schichten in Projektion versetzt
zueinander angeordnet sind, dann sind alle neuen Ringe Sesselringe; diese An-
ordnung ist diejenige des normalen, kubischen Diamanten. Im hexagonalen
Diamanten liegen die Schichten in Projektion übereinander, die neuen Ringe
haben Bootkonformation. Hexagonaler Diamant kommt als Mineral Lonsda-
leit sehr selten vor; in der Natur wurde er in Meteoriten gefunden.
Die Elementarzelle des kubischen Diamanten zeigt eine flächenzentrierte
Packung von C-Atomen. Außer den vier C-Atomen in den Ecken und Flächen-
mitten befinden sich weitere Atome in den Mitten von vier der acht Oktanten
der Elementarzelle. Da jeder Oktant ein Würfel ist, bei dem vier der acht Ecken
mit C-Atomen besetzt sind, ergibt sich eine exakt tetraedrische Anordnung für
das Atom in der Mitte des Oktanten. Das gilt auch für alle anderen Atome, sie
sind alle symmetrieäquivalent; in der Mitte von jeder C–C-Bindung befindet
sich ein Symmetriezentrum. Wie in Alkanen sind die C–C-Bindungen 154 pm
lang, und die Bindungswinkel betragen 109,47◦ .
176 12 DIAMANTARTIGE STRUKTUREN
Abb. 12.1: Struktur des kubischen (jeweils links) und hexagonalen (rechts) Diamanten.
Oben: Aufbau aus Schichten wie im α -As.; Mitte: dieselben Schichten in Projektion
senkrecht zu den Schichten; Unten: Elementarzellen; wenn die hell und dunkel gezeich-
neten Atome verschieden sind, liegen die Strukturen von Zinkblende bzw. Wurtzit vor
des einen Elements nur mit Atomen des anderen Elements verbunden sind, sind
binäre Verbindungen nur mit der Zusammensetzung 1:1 möglich. Für die vier
Bindungen pro Atom werden im Mittel vier Elektronen pro Atom benötigt;
diese Bedingung wird erreicht, wenn die Summe der Valenzelektronen vier
mal größer als die Anzahl der Atome ist. Mögliche Elementkombinationen und
Beispiele sind in Tab. 12.1 aufgeführt.
Für die Bindungslängen gilt die G RIMM -S OMMERFELD-Regel: Wenn die
Summe der Ordnungszahlen gleich ist, sind die interatomaren Abstände gleich.
Beispiele:
MX Z(M)+Z(X) d(M–X)
GeGe 32 + 32 = 64 245,0 pm
GaAs 31 + 33 = 64 244,8 pm
ZnSe 30 + 34 = 64 244,7 pm
CuBr 29 + 35 = 64 246,0 pm
Die in Abb. 12.2 gezeigten Ausschnitte aus den Strukturen von Zinkblen-
de und Wurtzit entsprechen der mittleren Bildreihe von Abb. 12.1 (Projektion
senkrecht zu den arsenartigen Schichten). In Blickrichtung befindet sich hinter
jedem Schwefelatom ein daran gebundenes Zinkatom. Die Zinkatome inner-
halb einer arsenartigen Schicht liegen in einer Ebene und bilden ein hexagona-
les Muster (in Abb. 12.2 punktiert); das gleiche gilt für die darüberliegenden
Schwefelatome. Die Lage des Musters ist mit A bezeichnet. Im Wurtzit folgen
Atome mit einem hexagonalen Muster, das gegenüber dem ersten versetzt ist;
die Atome in dieser Lage B befinden sich über den Mitten der einen Hälfte von
punktierten Dreiecken. Atome über den Mitten der übrigen Dreiecke (Lage C)
kommen im Wurtzit nicht vor, wohl aber in der Zinkblende. Bezeichnen wir
Ebenen mit den Lagen der Zn-Atome mit A, B und C und die entsprechenden
Ebenen der S-Atome mit α , β und γ , dann gelten die Stapelfolgen:
Zinkblende: Aα Bβ Cγ . . . Wurtzit: Aα Bβ . . .
178 12 DIAMANTARTIGE STRUKTUREN
A
A
B B
Abb. 12.2: Lage der Zn- und der S-Atome in Zinkblende (links) und Wurtzit
Außer diesen Stapelfolgen sind auch noch andere möglich, zum Beispiel
Aα Bβ AαCγ . . . oder statistische Abfolgen ohne periodische Ordnung. Beim
Siliciumcarbid kennt man über 70 verschiedene Stapelvarianten, die zusam-
mengefaßt als α -SiC bezeichnet werden. Strukturen, die man in dieser Art als
Stapelvarianten auffassen kann, nennt man Polytypen.
Mehrere der binären diamantartigen Verbindungen sind von technischer Be-
deutung wegen ihrer physikalischen Eigenschaften. Dazu zählen Siliciumcar-
bid und kubisches Bornitrid (erhältlich aus graphitartigem BN unter Druck bei
1800 ◦ C), weil sie fast so hart sind wie Diamant; sie dienen als Schleifmit-
tel. Aus SiC werden auch Heizelemente für Hochtemperaturöfen hergestellt,
da es als Halbleiter bei hohen Temperaturen eine ausreichende elektrische
Leitfähigkeit bei hoher Korrosionsresistenz und geringer thermischer Ausdeh-
nung besitzt. CdS (gelb) und CdSe (rot) sind gute Farbpigmente, ZnS findet
Verwendung als Leuchtstoff in Braunschen Röhren. Die III-V-Verbindungen
sind Halbleiter, deren Eigenschaften sich durch geeignete Zusammensetzung
und Dotierung beeinflussen lassen; insbesondere auf der Basis von GaAs wer-
den Leuchtdioden hergestellt.
Sn: 377 pm ➤
b Sn: 318 pm
➤
➤ a Si: 259 pm
Abb. 12.3: Struktur des weißen Zinns (β -Sn; genauso Si-II). Die gezeichnete Zelle
entspricht einer Elementarzelle von Diamant (α -Sn; Si-I), die in Richtung c stark kom-
primiert wurde. Rechts: Koordination um ein Sn-Atom mit Bindungslängen; vgl. Atom
im gestrichelten Oktanten
unter Druck die Struktur des β -Sn an. Die Umwandlung ist mit einer erhebli-
chen Zunahme der Dichte verbunden (bei Sn +21%). Die β -Sn-Struktur ent-
steht aus der α -Sn-Struktur durch eine drastische Stauchung in Richtung längs
einer der Kanten der Elementarzelle (Abb. 12.3). Dadurch kommen in der Stau-
chungsrichtung zwei zuvor weiter entfernte Atome in die Nachbarschaft ei-
nes Atoms; zusammen mit den vier schon im α -Sn vorhandenen Nachbarato-
men ergibt das eine Erhöhung der Koordinationszahl auf 6. Aus dem regulären
Koordinationstetraeder des α -Sn wird ein abgeplattetes Tetraeder mit Sn–Sn-
Abständen von 302 pm; die über und unter dem abgeplatteten Tetraeder befind-
lichen Atome sind 318 pm weit weg. Die genannten Abstände sind größer als
im α -Sn (281 pm). Obwohl β -Sn unter Druck aus α -Sn entsteht und eine höhe-
re Dichte hat, ist die Umwandlung mit einer Vergrößerung der interatomaren
Abstände verbunden.
Allgemein gelten folgende Regeln für druckinduzierte Phasentransforma-
tionen:
Druck-Koordinations-Regel nach A. N EUHAUS: bei steigendem Druck tritt
eine Erhöhung der Koordinationszahlen ein.
Druck-Abstands-Paradoxon“ nach W. K LEBER: Wenn sich gemäß der vor-
”
stehenden Regel die Koordinationszahlen erhöhen, so vergrößern sich die in-
teratomaren Abstände.
Weitere Beispiele im Sinne der genannten Regeln: Einige Verbindungen mit
Zinkblende-Struktur wie AlSb, GaSb wandeln sich unter Druck in Modifikatio-
nen um, die dem β -Sn entsprechen. Andere wie InAs, CdS, CdSe nehmen unter
180 12 DIAMANTARTIGE STRUKTUREN
Sn β -Sn cI
- log p/GPa
0,1 GPa 1 GPa 10 GPa 100 GPa
304 275
304 255
➤
∼ 14 ; 3
4
1
2
c
➤
1 ➤ b
Abb. 12.6: Hexagonal-primitive Packung von Si-V; die Elementarzelle ist hervorgeho-
ben. Si-VI; es sind nur Atomkontakte innerhalb der Schichten parallel zur b-c-Ebene
eingezeichnet; Zahlen: x-Koordinaten
R L
Abb. 12.7: Die metastabile kubische Struktur von Si-III und Ge-IV (Stereobild)
Dieselben Modifikationen wie bei Silicium treten auch bei Germanium un-
ter ähnlichen Bedingungen auf (Abb. 12.4). Zinn zeigt diese Vielfalt dage-
gen nicht; aus β -Zinn entsteht bei 45 GPa eine kubisch-innenzentrierte Ku-
gelpackung. Blei bildet bereits bei Atmosphärendruck eine kubisch-dichteste
Kugelpackungen.
12.4 Polynäre diamantartige Verbindungen 183
1
0 a 2
b a 0 Atomlage
1 3 Strukturtyp X a b c d
4 X 4 X
CuFeS2 ∗ S Fe Cu Fe Cu
1 1
2 c 0 d c 2 Cu3 SbS4 † S Sb Cu Cu Cu
Cu2 FeSnS4 ‡ S Fe Sn Cu Cu
3 1
4 X 4 X
CdGa2 S4 S Cd Ga Ga 2
1
0 b 2 a b 0 β -Cu2 HgI4 I Hg 2 Cu Cu
1 3 2 = unbesetzte Atomlage
4 X 4 X ∗ Chalkopyrit (Kupferkies)
† Famatinit
1 1
2 d 0 c d 2 ‡ Stannit
3 1
4 X 4 X
Die Zahlen neben den Kreisen bezeichnen die
1 Höhe in Blickrichtung
0 a 2 b a 0
und ungeordneter Verteilung der Leerstellen bekannt. γ -Ga2 S3 hat zum Bei-
spiel Zinkblende-Struktur, wobei nur 23 der Metallagen statistisch von Ga-
Atomen eingenommen werden.
8 4 0
7 3
5 1
6 2
5 1
7 3
4 0 4
3 7
1 5
Si 2 6
1 5
O 3 7
0 4 8
Abb. 12.9: Elementarzelle von β -Cristobalit. Links: Momentaufnahme; Die Zahlen ge-
ben die Höhe der Atome als Vielfache von 18 in Blickrichtung an. Rechts: mit Ellipsoi-
den der thermischen Schwingung bei 300 ◦ C (50 % Aufenthaltswahrscheinlichkeit)
12.5 Aufgeweitete Diamantstrukturen. SiO2 -Strukturen 185
0 0
3 3
1 1
2 2
R L
Abb. 12.10: Die Struktur von α -Quarz, Raumgruppe P 32 2 1. Es sind nur die SiO4 -
Tetraeder gezeigt. Zahlen bezeichnen die Höhe der Si-Atome in den Tetraedermitten als
Vielfache von 13 der Höhe der Elementarzelle. Die Symbole für 32 -Schraubenachsen
deuten die Achsen der Spiralketten an. Die leichte Verkippung der Tetraeder relativ zur
Blickrichtung (c-Achse) verschwindet im β -Quarz (Stereobild)
an dieser Stelle, obwohl sie sich nicht von einer der Formen des Diamanten
ableiten läßt. Auch Quarz besteht aus einem Netzwerk von eckenverknüpften
SiO4 -Tetraedern, jedoch mit kleineren Hohlräumen als im Cristobalit oder Tri-
dymit (erkennbar an den Dichten: Quarz 2,66, Cristobalit 2,32, Tridymit 2,26
g cm−3 ). Wie in Abb. 12.10 gezeigt, bilden die Tetraeder Spiralen, die in einem
Kristall entweder alle rechts- oder alle linkshändig gewunden sind, weshalb
man zwischen Rechts- und Linksquarz unterscheidet. Rechts- und Linksquarz
können auch in gesetzmäßiger Weise zu Zwillingskristallen miteinander ver-
wachsen sein ( Brasilianer Zwillinge“). Wegen ihrer Händigkeit sind Quarz-
”
kristalle optisch aktiv; auch die piezoelektrischen Eigenschaften (Abschnitt
19.2) hängen damit zusammen. Quarzkristalle werden industriell durch Hy-
drothermalsynthese hergestellt. Dazu befindet sich Quarzpulver im Ende ei-
ner geschlossenen Ampulle bei 400 ◦ C, am gegenüberliegenden Ende befinden
sich Impfkristalle bei 380 ◦ C. Die Ampulle ist mit einer alkalischen wäßrigen
Lösung gefüllt, die durch einen Druck von 100 bis 200 MPa überkritisch flüssig
gehalten wird. Das Quarzpulver geht langsam als Silicat in Lösung während die
Impfkristalle wachsen.
12.5 Aufgeweitete Diamantstrukturen. SiO2 -Strukturen 187
T /◦ C
6
3000
Schmelze
2500
2000
β -Quarz
β -Cristobalit
➤
1500
β -Tridymit
➤
500
α -Quarz
0 -
0 2 4 6 8 10 12 14 p/GPa
Abb. 12.11: Phasendiagramm für SiO2 . Bei Drücken über 35 MPa kommen außerdem
Modifikationen im α -PbO2 - und CaCl2 -Typ vor
Abb. 12.11 zeigt das Phasendiagramm für SiO2 . Die Umwandlung zwischen
α - und β -Quarz erfolgt rasch, da sie nur ein leichtes Verdrehen der SiO4 -
Tetraeder bei gleichbleibendem Verknüpfungsmuster erfordert (Seite 325,
Stammbaum 18.5). Die anderen Umwandlungen erfordern dagegen eine Re-
konstruktion der Struktur unter Lösen und Neuknüpfen von Si–O-Bindungen;
sie verlaufen langsam und ermöglichen die Existenz der metastabilen Modi-
fikationen. Coesit und Stishovit sind nur unter Druck stabil, aber bei Zim-
mertemperatur und Normaldruck metastabil. Auch Coesit besteht aus einem
Raumnetz von eckenverknüpften SiO4 -Tetraedern. Stishovit hat dagegen Rutil-
Struktur, d. h. Siliciumatome mit Koordinationszahl 6 (S. 258 und 289). Weite-
re metastabile Formen sind Quarzglas (unterkühlte Schmelze), Moganit, Keatit
und faserförmiges SiO2 mit SiS2 -Struktur (S. 275).
Weitere Verbindungen, bei denen die Strukturtypen des SiO2 vorkommen,
sind H2 O und BeF2 . Eis kristallisiert normalerweise hexagonal im Tridymit-
Typ (Eis Ih ), wobei die Sauerstoffatome die Si-Lagen des Tridymits einneh-
men, während sich die Wasserstoffatome zwischen je zwei Sauerstoffatomen
befinden. Ein H-Atom ist jeweils etwas auf eines der O-Atome zugerückt, d. h.
188 12 DIAMANTARTIGE STRUKTUREN
Cu Cu
O O
R L
Abb. 12.12: Die Struktur von Cu2 O (Cuprit). Es sind acht Elementarzellen gezeigt; mit
nur einem der beiden Netzwerke entsprechen sie einer Elementarzelle des Cristobalits.
Das helle Netzwerk hat keine direkten Bindungen zum dunklen Netzwerk (Stereobild)
12.6 Übungsaufgaben
12.1 Die Bindungslänge in β -SiC beträgt 188 pm. Für welche der folgenden Verbin-
dungen sind längere, kürzere oder gleich lange Bindungen zu erwarten?
BeO, BeS, BN, BP, AlN, AlP.
12.2 Stishovit ist eine Hochdruckmodifikation von SiO2 mit Rutilstruktur. Sollten darin
die Si–O-Bindungen länger oder kürzer als in Quarz sein?
12.3 AgCl hat NaCl-Struktur, AgI hat Zinkblende-Struktur. Könnte es Bedingungen
geben, unter denen beide Verbindungen die gleiche Struktur haben?
12.4 Welche Koordinationszahl haben die Iodatome in β -Cu2 HgI4 ?
12.5 Wenn gut kristallisiertes Hg2 C hergestellt werden könnte, welche Struktur sollte
es dann haben?
190
VEK(X) = 8
strukturen wie bei Phosphor und Arsen auf, sondern noch allerlei andere Ver-
knüpfungsmuster (Abb. 13.1), um Platz für die Kationen zu schaffen. CaSi2
hat Schichten (Si− )∞ wie im Arsen; zwischen den Schichten befinden sich die
Ca2+ -Ionen. SrSi2 hat dagegen eine Netzwerkstruktur, in der Spiralketten mit
vierzähliger Schraubensymmetrie miteinander verknüpft sind; jedes Si-Atom
ist dreibindig. Sowohl CaSi2 wie auch SrSi2 wandeln sich bei hohem Druck in
den α -ThSi2 -Typ um, mit einem nochmals anderen Netzwerk aus dreibindigen
Si-Atomen. Anders als zu erwarten, sind die Si-Atome nicht pyramidal, son-
dern im SrSi2 fast und im α -ThSi2 -Typ exakt planar umgeben. Die Si-Atome
im α -ThSi2 -Typ befinden sich in den Mitten von trigonalen Prismen, die von
den Kationen aufgespannt werden.
Si
Si
Ca Th
CaSi2 α -ThSi2
ó 12 ó1 ó 12 ó1
+ +
≈ 1
4 ≈ 14
+ + + +
≈ 34 ≈ 34
SrSi2 SrSi2
R L
Abb. 13.1: Ausschnitte aus den Strukturen einiger Polysilicide mit dreibindigen Si-
Atomen. Im Stereobild für SrSi2 ist die Lage der 43 -Schraubenachsen der kubischen
Raumgruppe P 43 3 2 eingetragen
Bei unverzweigten Ketten mit definierter Länge, zum Beispiel bei Polysulfi-
den S2−n , ist 6 < VEK(X) < 7, sofern keine Mehrfachbindungen vorkommen.
Wenn Mehrfachbindungen auftreten, kann VEK(X) < 6 sein, zum Beispiel
beim Azid-Ion N=N=N − , VEK(N) = 5,33.
Ba3 Si4 : VEK(X) = 11 2 , b(XX) = 2 . Ein Mittelwert
5 2 2 6–
1 Si Si
von 2 2 kovalenten Bindungen pro Si-Atom wird er-
Si
reicht, wenn die Hälfte der Si-Atome an zwei, die an-
dere Hälfte an drei kovalenten Bindungen beteiligt ist. Si
Dies entspricht der tatsächlichen Struktur.
Die Anzahl der negativen Ladungen des Anions läßt sich auch folgenderma-
ßen abzählen: Jedes Atom der N-ten Hauptgruppe, das an genau 8 − N kova-
lenten Bindungen beteiligt ist, erhält die Formalladung Null; für jede Bindung,
die es weniger als 8 − N hat, erhält es eine negative Formalladung. Einem vier-
bindigen Siliciumatom wird also die Formalladung 0, einem dreibindigem 1
und einem zweibindigen 2 zugesprochen. Die Summe aller Formalladungen
ergibt die Ionenladung.
Mitunter treten recht komplizierte Strukturen As As
in der Anionenteilstruktur auf. So kennt man etwa
S S
50 verschiedene binäre Polyphosphide nur von den
Alkali- und Erdalkalimetallen, die zum Teil auch S As S
noch in verschiedenen Modifikationen auftreten, da-
zu kommen über 120 binäre Polyphosphide anderer As
Metalle. Abb. 13.2 vermittelt einen Eindruck von der
Strukturvielfalt. Neben einfachen Ketten und Ringen P
S S
kommen Käfige vor, die zum Beispiel den Strukturen
S
von Sulfiden wie As4 S4 oder P4 S3 entsprechen; jedes
P-Atom, das an die Stelle eines S-Atoms tritt, ist als P P
P
P zu rechnen. Schichtenstrukturen können als Aus-
schnitte der Struktur des schwarzen Phosphors oder des Arsens angesehen wer-
den. Wieder andere Strukturen entsprechen Bruchstücken aus der Struktur des
faserigen roten Phosphors. Nicht minder kompliziert ist die Vielfalt bei Polyar-
seniden, -antimoniden und -siliciden. Zusätzlich können mehrere verschiedene
Sorten von Anionen gleichzeitig vorkommen. Zum Beispiel hat Ca2 As3 einen
Aufbau Ca8 [As4 ][As8 ] mit unverzweigten kettenförmigen As6− 4 - und As8 -
10−
Ionen.
Daß die Atome, denen eine negative Formalladung zugeschrieben wird,
tatsächlich negativ geladen sind, erkennt man an der Gesamtstruktur: diese
13.2 Polyanionische Verbindungen, Zintl-Phasen 197
P4−
2
in Sr2 P2
P6−
6 in In2 P6
As4− (P4−
4 6 )∞ in BaP3 , Au2 P3
in CoAs3
As6−
4
in Sr3 As4
(P2−
8 )∞ in BaP8
(P−
15 )∞ in KP15
As3−
7 in Cs3 As7
(X2−
3 )∞
P3−
11 in Na3 P11 in CaP3 , SrAs3
R L
Abb. 13.3: Ausschnitt aus der Struktur von NaP5 (Stereobild)
Atome sind diejenigen, die an die Kationen koordiniert sind. In NaP5 kommen
zum Beispiel vier neutrale P-Atome auf ein P . Die neutralen Atome bilden
Bänder aus verknüpften Sesselringen, die über einzelne P -Atome verbunden
sind (Abb. 13.3). Nur diese P -Atome stehen im nahen Kontakt zu den Na+ -
Ionen.
Binäre polyanionische Verbindungen lassen sich vielfach direkt aus den Ele-
menten synthetisieren. Aus den Feststoffen können käfigförmige Anionen mit-
unter unzerstört herausgelöst werden, wenn ein Komplexligand für das Kation
angeboten wird. Zum Beispiel können die Na+ -Ionen des Na2 Sn5 in Kryp-
tandenmoleküle eingefangen werden, → [NaKrypt+ ]2 Sn2− 5 . Kryptanden wie
N(C2 H4 OC2 H4 OC2 H4 )3 N schließen das Alkaliion in ihrem Inneren ein.
Während bei einigen der Käfig-Anionen die Bindungsverhältnisse im
Sinne der vorstehenden Ausführungen klar sind, scheinen sie bei ande-
ren nicht anwendbar zu sein. So entspricht die Ionenladung von As3− 7
oder P3−
11 genau der Anzahl der zweibindigen P - bzw. As -Atome
(Abb. 13.2). Bei Sn2− 5 erscheint dies nicht so klar. Die 22 Valenzelektro-
2−
nen im Sn5 -Ion könnte man wie in der nebenstehenden Formel im Ein-
klang mit der Oktett-Regel genau unterbringen. Berechnungen mit der Elektro-
nen-Lokalisierungsfunktion zeigen aber die Anwesenheit
Sn
von einsamen Elektronenpaaren auch an den equatorialen
Atomen, womit für die Bindungen nur noch sechs Elek- Sn Sn
tronenpaare bleiben. Das entspricht der Zahl, die man, Sn
wie bei Boranen, nach den WADE-Regeln erwarten würde
(n + 1 Mehrzentrenbindungen im closo-Cluster mit n = 5 Sn
Ecken, vgl. S. 214). Auf die Bindungsverhältnisse in solchen
Cluster-Verbindungen gehen wir in Abschnitt 13.4 ein. Sn2−
5
13.2 Polyanionische Verbindungen, Zintl-Phasen 199
Zintl-Phasen
Viele der vorstehend erwähnten Verbindungen sind Vertreter der Zintl-
Phasen. Darunter versteht man Verbindungen mit einer elektropositiven, katio-
nischen Komponente (Alkalimetall, Erdalkalimetall, Lanthanoid) und einer an-
ionischen Komponente aus Hauptgruppenelementen mit mäßig großer Elektro-
negativität. Die anionische Teilstruktur erfüllt das einfache Konzept der norma-
len Valenzverbindungen; trotzdem sind die Verbindungen aber nicht salzartig,
sondern haben metallische Eigenschaften, insbesondere metallischen Glanz.
Vollwertige“ Metalle sind sie allerdings meist nicht, denn statt metallisch duk-
”
til zu sein, sind viele von ihnen spröde. Soweit die elektrischen Eigenschaften
untersucht wurden, fand man vielfach Halbleitereigenschaften. Hier zeigt sich
eine Analogie zu den halbmetallischen Elementen: in den Strukturen von Ger-
manium, α -Zinn, Arsen, Antimon, Bismut, Selen und Tellur erkennt man die
(8 − N)-Regel; obwohl diese Elemente somit als ,normale Valenzverbindun-
gen‘ angesprochen werden können, zeigen sie metallischen Glanz, sie sind je-
doch spröde und elektrische Halbleiter oder mäßig gute metallische Leiter.
Klassisches Beispiel einer Z INTL-Phase ist die Verbindung NaTl, die
als Na+ Tl− aufgefaßt werden kann und bei der die Thalliumatome eine
Diamant-Struktur haben (Abb. 13.4). Im NaTl sind die Tl–Tl-Bindungen
bedeutend kürzer als die Kontaktabstände im metallischen Thallium (324
statt 343 pm, allerdings bei kleinerer Koordinationszahl). Trotz gleicher
Na
B
Tl
Mg
F d 3m P 6/m m m
Abb. 13.4: Links: Elementarzelle von NaTl. Die eingezeichneten Bindungen der
Thallium-Teilstruktur entsprechen den C–C-Bindungen im Diamanten. Rechts: Aus-
schnitt aus der Struktur von SrGa2 und MgB2 (AlB2 -Typ)
200 13 POLYANIONISCHE U. POLYKATIONISCHE VERBINDUNGEN
Ketten wie im (SiO2− 3 )∞ können auch monomere Ionen vorkommen, die dem
Carbonat-Ion entsprechen, zum Beispiel SiP5− 3 -Ionen im Na3 K2 SiP3 . Die Ver-
bindung Ca14 AlSb11 = [Ca2+ ]14 [Sb3− ]4 [Sb7−
3 ][AlSb4 ] enthält dreierlei An-
9−
SiAs8−
4 in Ba4 SiAs4 Al2 Sb12− in
6 (SiP2−
2 )∞ in K2 SiP2
Ba6 Al2 Sb6
(AlAs6−
3 )∞ in Ca3 AlAs3 Sn2 P12−
6 in Ba6 Sn2 P6
−
ionen, nämlich Einzelionen Sb3− , Ionen Sb7− 3 , die isoster zum I3 sind, und
9− 12−
tetraedrische AlSb4 -Ionen. Ba6 Sn2 P6 enthält Sn2 P6 -Teilchen mit Sn–Sn-
Bindung, ihre Struktur entspricht der von Ethan. Auch komplizierte Ketten-
strukturen und dreidimensionale Netzwerke sind bekannt und erinnern an die
Vielfalt der Strukturen bei den Silicaten; die Variationsmöglichkeiten sind aber
weit größer als bei den Silicaten, weil der anionische Teil nicht nur auf die
Verknüpfung von SiO4 -Tetraedern beschränkt ist.
Das fast primitiv anmutende Oktett-Prinzip, das sich mit großem Erfolg
auf die halbmetallischen Z INTL-Phasen anwenden läßt, kann theoretisch un-
termauert werden. Das Ausweichen von einem metallischen Zustand mit de-
lokalisierten Elektronen auf stärker lokalisierte Elektronen in der anionischen
Teilstruktur ist als P EIERLS-Verzerrung aufzufassen (vgl. Abschnitt 10.5).
I I
I I I I
285
I−
302 I
3 I I
I
342
I I I
342 300
I I
278
I 283 I I 286 I I
I I
I I I
I I
I I
I2−
8 in Cs2 I8 (I− + −
5 )∞ in PyridinH I5
Abb. 13.6: Strukturen einiger Polyiodide. Die I2 -Baueinheiten sind fett gedruckt.
Bindungslängen in pm. Vergleichswerte: Molekül I—I 268 pm, VAN - DER -WAALS-
Abstand I· · ·I 396 pm
202 13 POLYANIONISCHE U. POLYKATIONISCHE VERBINDUNGEN
➤
zwischen allen drei Atomen, die jedoch
➤
relativ schwach ist, weil sie drei Atome nichtbindend
zusammenhalten muß. Die beiden Elek- ψ1 = χ0 − χ1 + χ2
tronenpaare entsprechen den beiden Bin-
➤
➤
dungsstrichen in der Valenzstrichformel bindend
(Abb. 13.6). Die Valenzstrichformel läßt
nicht erkennen, daß die Bindungen schwächer sind als normale Einfachbin-
dungen (Bindungsordnung 12 ), aber sie ergibt mit den G ILLESPIE -N YHOLM-
Regeln die richtige (lineare) Struktur.
Die Anwendbarkeit der G ILLESPIE -N YHOLM-Regeln gilt meistens auch für
andere polyanionische Verbindungen mit hypervalenten Atomen. Als Beispiele
sind in Abb. 13.7 die Strukturen einiger Polytelluride gezeigt. Das Te6−5 -Ion ist
quadratisch wie das BrF− 4 -Ion.
••
•
•• •• •• •• •
•• 2 ••
• • • •• •
• • • •
2 •• ••
•• • •
• •• • • ••
•
•
2 • •
•• •
• •• •
• •
•• •• • •• ••
• •
• • • • •• •
• • • • •• ••
•
•
••
Te6−
5 in Ga2 Te5 (Te2−
5 )∞ in Cs2 Te5 (Te−
4 )∞ in CsTe4
Abb. 13.7: Strukturen einiger Polytelluride. Einsame Elektronenpaare sind als Doppel-
punkte angedeutet. Vom Te2−5 kennt man auch einfache Kettenstrukturen wie im S5
2−
13.2 Polyanionische Verbindungen, Zintl-Phasen 203
interpretieren: quer durch einen S8 -Ring wird eine Bindung geknüpft, womit
zwei der Atome dreibindig werden und je eine positive Formalladung erhal-
ten (Abb. 13.8). Die neue Bindung ist allerdings auffällig lang (289 pm), doch
ist das Auftreten von abnorm langen S–S-Bindungen auch bei einigen anderen
Schwefelverbindungen bekannt. Von Te2+ 8 kennt man mehrere Varianten, bei
denen man ebenfalls dreibindige Te⊕ und ungeladene Te-Atome ausmachen
kann. Im Sinne der (8 − N)-Regel ist auch die Struktur des Ions Te3 S2+3 zu ver-
stehen. Te2+
6 kann man als trigonal-prismatische Struktur beschreiben, bei der
eine Prismenkante stark aufgeweitet ist; diese Kante wäre nach der (8 − N)-
368
338
204 268
211 271
203
289 336
279 245
201 274
S2+
8 Te3 S2+
3 Te2+
6
Te2+
8 in Te8 [WCl6 ]2 Te2+
8 (polymer) in Te8 [Bi4 Cl14 ]
Abb. 13.8: Strukturen einiger Polykationen. Atomabstände in pm. Im Te8 [WCl6 ]2 gibt
es kurze Kontakte zu benachbarten Te2+
8 -Ionen
13.4 Clusterverbindungen 205
Regel keine Bindung. Trotzdem muß hier noch eine schwache bindende Wech-
selwirkung vorhanden sein, anderenfalls wäre die Struktur nicht so. Außerdem
ist in jeder der zwei Dreiecksflächen eine Bindung auf 336 pm aufgeweitet und
ist als halbe Bindung anzusehen, womit vier Telluratome formal auf je eine hal-
be positive Ladung kämen. Die (8 − N)-Regel ist also etwas zu einfach, was ja
auch für die Struktur des elementaren Tellurs gilt. Beim trigonal-bipyramidalen
Bi3+ 2+
5 -Ion, das isoelektronisch zum Sn5 -Ion ist, könnte man noch eine Valenz-
strichformel wie auf Seite 198 formulieren (ohne einsame Elektronenpaare an
den equatorialen Atomen), beim quadratisch-antiprismatischen Bi2+ 8 -Ion ge-
lingt das jedoch nicht mehr. Hier kommt man nicht ohne Mehrzentrenbindun-
gen aus, wie bei der Beschreibung der Bindungsverhältnisse in Clusterverbin-
dungen. Viele Clusterverbindungen können im weiteren Sinn zu den polyka-
tionischen Verbindungen gerechnet werden; sie werden wegen ihrer Vielfalt im
nächsten Abschnitt gesondert behandelt.
13.4 Clusterverbindungen
Wenn sich Atome über kovalente Bindungen miteinander verbinden, so dient
dies zum Ausgleich für die Elektronen, die zum Erreichen der Elektronenkon-
figuration des im Periodensystems folgenden Edelgases fehlen. Durch das ge-
meinsame Elektronenpaar zwischen zwei Atomen gewinnt jedes der beteilig-
ten Atome ein Elektron in seiner Valenzschale. Da zwei Elektronen die beiden
Zentren“ ∗ verbinden, spricht man von einer Zwei-Elektronen-zwei-Zentren-
”
oder kurz 2e2c-Bindung. Wenn für ein Element nicht genügend Partneratome
eines anderen Elements verfügbar sind, um zur Elektronenbilanz beizutragen,
so verbinden sich Atome des gleichen Elements miteinander, so wie dies bei
den polyanionischen Verbindungen oder bei den zahllosen organischen Ver-
bindungen der Fall ist. Bei den meisten polyanionischen Verbindungen ste-
hen genügend Elektronen zur Verfügung, um den Elektronenbedarf der Atome
über 2e2c-Bindungen abzudecken. Dementsprechend ist die erweiterte (8−N)-
Regel bei polyanionischen Verbindungen weitgehend erfüllt.
Für elektropositivere Elemente, die von vornherein über eine geringere Zahl
von Valenzelektronen verfügen, und die außerdem noch Elektronen an einen
elektronegativeren Partner abgeben mußten, ist die Zahl der verfügbaren Elek-
tronen dagegen knapp bemessen. Auf zwei Wegen können sie zu mehr Elek-
∗ In jüngerer Zeit ist es in der Chemie unsinniger Brauch geworden, von Zentren“ zu sprechen,
”
wenn Atome gemeint sind. Siehe Bemerkungen auf Seite 357.
206 13 POLYANIONISCHE U. POLYKATIONISCHE VERBINDUNGEN
Der Aufenthaltsort von Elektronen, die mehr als drei Atome verbinden, läßt
sich nicht mehr so einfach beschreiben. Die einfachen, anschaulichen Modelle
müssen hier der theoretischen Behandlung durch die Molekülorbital-Theorie
weichen. Für Clusterverbindungen können mit ihrer Hilfe jedoch bestimm-
te Elektronen-Abzählregeln abgeleitet werden, die, mit Einschränkungen, ei-
ne Beziehung zwischen Struktur und Anzahl der Elektronen herstellen. Ei-
ne Brücke zwischen Molekülorbital-Theorie und Anschaulichkeit bietet die
Elektronen-Lokalisierungsfunktion (S. 133).
Geschlossene, einschalige, konvexe Cluster werden closo-Cluster genannt;
ihre Atome bilden ein Polyeder. Wenn das Polyeder nur dreieckige Flächen
hat, nennt man es auch Deltaeder. Je nach der Zahl der verfügbaren Elektronen
können wir vier Bindungsmuster für closo-Cluster unterscheiden:
1. Elektronenpräzise Cluster mit einem Elektronenpaar pro Polyederkante;
2. Cluster mit je einer 2e3c-Bindung pro dreieckiger Fläche;
13.4 Clusterverbindungen 207
Elektronenpräzise Cluster
Außer dem Molekül P4 und polyanionischen Clustern wie Si4− 3−
4 oder As7 ,
gehören organische Käfigmoleküle zu den elektronenpräzisen Clustern, zum
Beispiel Tetraedran (C4 R4 ), Cuban (C8 H8 ), Dodecaedran (C20 H20 ).
Es gibt auch bei den elektronenreicheren Nebengruppenelementen (ab der
sechsten Nebengruppe) zahlreiche Cluster mit Elektronenzahlen, die genau ein
Elektronenpaar pro Polyederkante ergeben. Jedes Clusteratom erhält außerdem
Elektronen von koordinierten Liganden, wobei die Tendenz besteht, auf 18
Elektronen pro Atom zu kommen. Zum Abzählen der Elektronen ist es am
einfachsten, von ungeladenen Metallatomen und ungeladenen Liganden aus-
zugehen. Liganden wie NH3 , PR3 , CO stellen zwei Elektronen zur Verfügung.
Nicht verbrückende Halogenatome, H-Atome und Reste wie SiR3 stellen ein
Elektron zur Verfügung (bei Halogenatomen läuft dies auf das gleiche hinaus,
wie einen Hal− -Liganden anzunehmen, der zwei Elektronen zur Verfügung
stellt, zuvor aber ein Elektron von einem Metallatom erhalten hat). Ein μ2 -
verbrückendes Halogenatom stellt drei Elektronen zur Verfügung (eines wie
zuvor plus eines seiner einsamen Elektronenpaare); bei einem μ3 -verbrücken-
den Halogenatom sind es fünf Elektronen. In Tab. 13.2 ist für einige Liganden
aufgezählt, mit wie vielen Elektronen sie zu berücksichtigen sind.
Zählt man die von den Liganden stammenden Elektronen und die Valenz-
elektronen der n Metallatome des Mn -Clusters zur Gesamtelektronenzahl g zu-
sammen, dann errechnet sich die Anzahl der M–M-Bindungen (Polyederkan-
ten) zu:
Hauptgruppenelement-Cluster: b = 2 (8n − g)
1
(13.9)
Nebengruppenelement-Cluster: b = 2 (18n − g)
1
(13.10)
Tabelle 13.2: Anzahl der Elektronen, die von Liganden in Komplexen zur Verfügung
gestellt werden, wenn die Metallatome als Neutralatome gezählt werden.
μ1 = terminaler Ligand, μ2 = zweifach, μ3 = dreifach verbrückender Ligand; int = ein-
gelagertes (interstitielles) Atom im Inneren des Clusters
Ligand Elektronen Ligand Elektronen
H μ1 1 NR3 μ1 2
H μ2 1 NCR μ1 2
H μ3 1 NO μ1 3
CO μ1 2 PR3 μ1 2
CO μ2 2 OR μ1 1
CS μ1 2 OR μ2 3
CR2 μ1 2 OR2 μ1 2
η 2 -C2 R4 μ1 2 O, S, Se, Te μ1 0
η 2 -C2 R2 μ1 2 O, S, Se, Te μ2 2
η 5 -C5 R5 μ1 5 O, S, Se, Te μ3 4
η 6 -C6 R6 μ1 6 O, S int 6
C int 4 F, Cl, Br, I μ1 1
SiR3 μ1 2 F, Cl, Br, I μ2 3
N, P int 5 Cl, Br, I μ3 5
Da ein M-Atom pro M–M-Bindung ein Elektron gewinnt, kann man auch so
rechnen: für die Gesamtzahl g der Valenzelektronen des Clusters muß gelten:
b = 12 (18 · 6 − 84) = 12
Der letztgenannte Cluster, [Mo6 Cl14 ]2− , kommt auch im MoCl2 vor. In ihm
befindet sich ein Mo6 -Oktaeder in einem Cl8 -Würfel; jedes der acht Cl-Atome
des Würfels befindet sich über einer Oktaederfläche und ist an drei Molyb-
dänatome koordiniert (Abb. 13.9). Diese Einheit ist als [Mo6 Cl8 ]4+ zu for-
mulieren; in ihr fehlen jedem Mo-Atom noch zwei Elektronen, um auf 18 zu
210 13 POLYANIONISCHE U. POLYKATIONISCHE VERBINDUNGEN
kommen. Sie werden von den sechs Cl− zur Verfügung gestellt, die an die
Oktaederecken gebunden sind. Im MoCl2 ist dies auch so, aber pro Cluster
sind nur vier Cl− vorhanden, von denen jedoch zwei verbrückend wirken und
gleichzeitig an zwei Cluster koordiniert sind, entsprechend der Schreibweise
[Mo6 Cl8 ]Cl2/1 Cl4/2 (Abb. 13.9).
Abb. 13.9: Oben: Zwei Darstellungen des [Mo6 Cl8 ]4+ -Clusters und die Struktur des
[Mo6 Cl14 ]2− -Ions. Unten: Verknüpfung von Mo6 Cl8 -Clustern über Chloratome zu ei-
ner Schicht im Mo6 Cl12
13.4 Clusterverbindungen 211
Pb Pb
R L
Abb. 13.10: Assoziation der Mo6 S8 -Cluster in der C HEVREL-Phase PbMo6 S8 (Stereo-
bild)
Ganz ähnlich ist die Situation in den C HEVREL-Phasen. Bei diesen handelt
es sich um ternäre Molybdänchalkogenide Ax [Mo6 X8 ] (A = Metall, X = S,
Se), die wegen ihrer physikalischen Eigenschaften, insbesondere als Supralei-
ter, viel Aufmerksamkeit gefunden haben. Die Urphase“ ist das PbMo6 S8 , bei
”
dem Mo6 S8 -Cluster assoziiert sind, so daß Schwefelatome benachbarter Clu-
ster die noch freien Koordinationsstellen des Clusters einnehmen (Abb. 13.10).
Die elektrischen Eigenschaften der C HEVREL-Phasen hängen von der Anzahl
der Valenzelektronen ab. Mit 24 Elektronen pro Cluster (je ein Elektronen-
paar pro Kante des Mo6 -Oktaeders) ist das Valenzband vollständig gefüllt,
die Verbindungen sind Halbleiter, wie zum Beispiel das (Mo4 Ru2 )Se8 (bei
dem im Cluster zwei der Molybdänatome durch Rutheniumatome substituiert
sind). Im PbMo6 S8 sind nur 22 Elektronen pro Cluster vorhanden, die Elek-
”
tronenlöcher“ ermöglichen eine größere elektrische Leitfähigkeit; es wird un-
terhalb von 14 K supraleitend. Durch den Einbau von Atomen anderer Ele-
mente in den Cluster und durch die Wahl des als Elektronendonor wirkenden
Elements A läßt sich die Zahl der Elektronen im Cluster innerhalb gewisser
Grenzen (19 bis 24 Gerüstelektronen) variieren. Bei den kleineren Elektronen-
zahlen spiegeln sich die geschwächten Bindungen in trigonal gedehnten Okta-
edern wider.
Werden einem elektronenpräzisen Cluster Elektronen hinzugefügt, so ist
gemäß Gleichung (13.9) bzw. (13.10) der Bruch von Bindungen zu erwarten:
212 13 POLYANIONISCHE U. POLYKATIONISCHE VERBINDUNGEN
4−
Abb. 13.11: Struktur des Nb6 Cl2+
12 -Clusters und des Nb6 Cl18 -Ions
6 Nb 6 · 5 = 30
12 μ2 -Cl 12 · 3 = 36
6 μ1 -Cl 6·1 = 6
Ladung 4
76
Von diesen 76 Elektronen entfallen 12 auf die Bindungen zu den μ1 -Cl-
Atomen. Für jedes Cl-Atom über einer Oktaederkante werden vier Elektronen
benötigt, zusammen 4 · 12 = 48. Es bleiben 76 − 12 − 48 = 16 Elektronen für
das Nb6 -Gerüst, genau ein Elektronenpaar pro Oktaederfläche.
Aus der Sicht eines Nb-Atoms sind die Verhältnisse wie im Mo6 Cl2− 14 -Ion:
Das Metallatom ist von fünf Cl-Atomen umgeben und ist an vier Metall-
Metall-Bindungen im Cluster beteiligt. Die MCl5 -Einheit ist jedoch gegenüber
dem Oktaeder verdreht: aus Cl-Atomen über den Oktaederflächen beim Mo-
lybdän werden Cl-Atome über den Kanten beim Niob, die Bindungselektro-
nen wechseln von den Kanten auf die Flächen. In beiden Fällen kommt ein
Metallatom auf 18 Valenzelektronen. Im Nb6 Cl14 sind Nb6 Cl2+ 12 -Cluster über
Chloratome miteinander assoziiert, ähnlich wie beim Mo6 Cl12 .
So wie die Mo6 X8 -Einheiten in den C HEVREL-Phasen einen gewissen Man-
gel an Elektronen (z. B. 20 statt 24 Gerüstelektronen) dulden, sind auch Cluster
mit M6 X12 -Einheiten mit weniger als 16 Gerüstelektronen möglich. Im Zr6 I12
sind es zum Beispiel nur 12 Gerüstelektronen, im Sc7 Cl12 = Sc3+ [Sc6 Cl12 ]3−
sogar nur neun.
Wade-Cluster
Von K. WADE wurden Regeln hergeleitet, die für Cluster einen Zusammen-
214 13 POLYANIONISCHE U. POLYKATIONISCHE VERBINDUNGEN
➤
6
➤
t2g
➤
➤
➤
t1u
➤
➤
a1g t2g t1u a1g
sechs radiale sp vier tangentiale p zwei sp und vier p
Abb. 13.12: Kombination der Atomorbitale, die bindende Molekülorbitale in einem ok-
taedrischen Cluster wie B6 H2−
6 ergeben. Zu jedem der Orbitale t2g und t1u gibt es noch
zwei weitere, gleichartige Orbitale mit Orientierungen in Richtung längs der übrigen
zwei Oktaederachsen. Rechts: Energieabfolge der sieben bindenden Molekülorbitale
hang zwischen der Zahl der Valenzelektronen und der Struktur erkennen las-
sen. Diese Regeln sind zunächst für die Borane hergeleitet worden. Zur Be-
rechnung der Wellenfunktionen eines n-atomigen closo-Clusters werden die
Koordinatensysteme aller n Atome mit ihren z-Achsen radial zur Mitte des Po-
lyeders ausgerichtet. Um den Anteil der s-Orbitale besser zu übersehen, kom-
biniert man sie mit den pz -Orbitalen zu sp-Hybridorbitalen. Von den beiden
sp-Orbitalen eines Atoms ist eines in das Innere des Clusters, das andere radial
nach außen gerichtet. Mit dem letzteren werden Bindungen zu anderen, außen-
stehenden Atomen geknüpft (z. B. mit den H-Atomen des B6 H2− 6 -Ions). Die n
in das Innere gerichteten sp-Orbitale ergeben ein bindendes und n − 1 nicht-
bindende oder antibindende Orbitale. Die Orbitale px und py jedes Atoms sind
tangential zum Cluster orientiert und kombinieren sich zu n bindenden und n
antibindenden Orbitalen (Abb. 13.12). Insgesamt ergeben sich n + 1 binden-
de Orbitale für das Cluster-Gerüst. Daraus folgt die WADE-Regel: Ein stabi-
ler closo-Cluster benötigt 2n + 2 Gerüstelektronen. Das sind weniger Elektro-
nen, als für Cluster, die elektronenpräzis sind oder die mit 2e3c-Bindungen be-
schrieben werden können, ausgenommen ein Polyeder: ein tetraedrischer Clu-
ster mit 2e3c-Bindungen auf seinen vier Flächen benötigt nur 8 Elektronen,
während er nach der WADE-Regel 10 Elektronen haben müßte; für Tetraeder
gilt die WADE-Regel nicht. Tatsächlich kennt man closo-Borane der Zusam-
mensetzung Bn H2− n nur für n ≥ 5. Bei der trigonalen Bipyramide ergibt sich
kein Unterschied, ob man 2e3c-Bindungen auf den sechs Flächen annimmt
oder n + 1 = 6 Elektronenpaare nach der WADE-Regel.
13.4 Clusterverbindungen 215
Cl
B
As
Sn2− 3+
5 , Bi5 Sn4− 5+
9 , Bi9 Bi2+
8 As2 B4 Cl4
closo nido arachno closo
WADE hat noch einige weitere Regeln für offene Cluster formuliert, die als
Deltaeder mit fehlenden Ecken interpretiert werden:
nido-Cluster: eine fehlende Polyederecke, n + 2 bindende Gerüstorbitale;
arachno-Cluster: zwei fehlende Ecken, n + 3 bindende Gerüstorbitale;
hypho-Cluster: drei fehlende Ecken, n + 4 bindende Gerüstorbitale.
Die WADE-Regeln lassen sich auch auf ligandenfreie Cluster-Verbindungen
von Hauptgruppenelementen anwenden. Postuliert man an jedem der n Ato-
me ein nach außen weisendes einsames Elektronenpaar, dann bleiben für
das Polyedergerüst g − 2n Elektronen (g = Gesamtzahl der Valenzelektronen;
Abb. 13.15). Die Rechnung geht auch auf, wenn teilweise Liganden (anstelle
von einsamen Elektronenpaaren) vorhanden sind und teilweise ligandenfreie
Atome mit einsamen Elektronenpaaren. Beispiele:
n g g − 2n Clusterart
Sn2−
5 , Bi3+
5 5 22 12 = 2n + 2 closo
8−
Tl6 6 26 14 = 2n + 2 closo
Sn4−
9 , Bi5+
9 9 40 22 = 2n + 4 nido
2+
Bi8 8 38 22 = 2n + 6 arachno
As2 B4 Cl4 6 26 14 = 2n + 2 closo
hat nicht die NaTl-Struktur, da die K+ -Ionen zu groß für die Hohlräume im
diamantartigen Tl− Gerüst sind. Es ist eine Clusterverbindungen K6 Tl6 mit
verzerrt oktaedrischen Tl6− 6−
6 -Ionen. Ein Tl6 -Ion könnte man als elektronen-
präzisen oktaedrischen Cluster formulieren, mit 24 Gerüstelektronen und vier
2e2c-Bindungen pro Oktaederecke. Die Thalliumatome hätten dann keine ein-
samen Elektronenpaare, auf der Außenseite des Oktaeders wäre kaum mehr
Valenzelektronendichte, und es gäbe keinen Grund für die Verzerrung des Ok-
taeders. Als closo-Cluster mit je einem einsamen Elektronenpaar pro Tl-Atom
müßte er nach der WADE-Regel zwei Elektronen mehr haben. Nimmt man Bin-
dungsverhältnisse wie im B6 H2− 6 -Ion an (Abb. 13.12), besetzt man aber die
t2g -Orbitale nur mit vier statt sechs Elektronen, so kann man die beobachtete
Oktaederstauchung als JAHN -T ELLER-Verzerrung verstehen. Solche Cluster,
die weniger Elektronen haben, als nach den WADE-Regeln zu erwarten, kennt
man von Gallium, Indium und Thallium. Sie werden hypoelektronische Cluster
genannt; ihre Gerüstelektronenzahlen sind oft 2n oder 2n − 4.
B8 Cl8 hat ein dodekaedrisches B8 -closo-Gerüst
mit 2n = 16 Elektronen; da stimmt weder die
WADE-Regel, noch läßt es sich als elektronenpräzi- B F
ser Cluster noch als einer mir 2e3c-Bindungen deu-
ten. B4 (BF2 )6 hat ein tetraedrisches B4 -Gerüst mit
je einem radial gebundenen BF2 -Liganden, zusätz-
lich sind aber noch zwei weitere BF2 -Gruppen an
zwei Tetraderkanten gebunden. In solchen Fällen
versagen die einfachen Elektronenabzählregeln.
Auf WADE geht auch die Anwendung seiner Regeln auf Übergangsmetall-
cluster zurück; die Weiterentwicklung von D. M. P. M INGOS dient vorwiegend
zur Erfassung der Bindungsverhältnisse in Metallcarbonyl- und -phosphan-
Clustern, also in organometallischen Verbindungen, deren Behandlung den
Rahmen dieses Buches sprengen würde (WADE -M INGOS-Regeln).
Kondensierte Cluster
Eine andere Möglichkeit, den Elektronenmangel zu überwinden, besteht
darin, Cluster der bisher geschilderten Art zu größeren Verbänden zusam-
menzuschließen. Bei den bekannten kondensierten Clustern überwiegen die-
jenigen aus miteinander verknüpften M6 -Oktaedern. Verknüpft man M6 X8 -
oder M6 X12 -Einheiten miteinander, indem man Metallatome miteinander ver-
”
schmilzt“, dann müssen auch X-Atome miteinander verschmolzen“ werden.
”
Abb. 13.17 zeigt eine Möglichkeiten zur Kondensation von M6 X8 -Clustern
über trans-ständige Oktaederecken. Die sich ergebende Zusammensetzung ist
M5 X4 . Die parallel gebündelten Stränge ermöglichen die Koordination von X-
Atomen eines Stranges an die Oktaederspitzen von vier benachbarten Strängen,
ähnlich wie bei den C HEVREL -Phasen. Verbindungen mit dieser Struktur sind
mit M = Ti, V, Nb, Ta, Mo und X = S, Se, Te, As, Sb bekannt, zum Beispiel
Ti5 Te4 . Sie haben 12 (Ti5 Te4 ) bis 18 (Mo5 As4 ) Gerüstelektronen pro Oktaeder.
Die Verknüpfung von M6 X8 -Clustern über gegenüberliegende Oktaeder-
kanten ergibt Ketten der Zusammensetzung M2 M4/2 X8/2 = M4 X4 . Man kennt
sie bei Lanthanoidhalogeniden wie Gd2 Cl3 , bei denen sich noch zusätzliche
Halogenatome zwischen den Ketten befinden (Abb. 13.18). In die Cluster
können Atome eingelagert sein. Zum Beispiel hat Sc4 BCl6 Ketten wie Gd2 Cl3 ,
wobei in jedes Oktaeder ein Boratom eingelagert ist.
Die Clusterkondensation kann noch weiter getrieben werden: die Stränge
von kantenverknüpften Metallatom-Oktaedern können zu Doppelsträngen zu-
sammengefügt werden und schließlich zu Schichten aus zusammenhängenden
Oktaedern (Abb. 13.18). Jede Schicht besteht aus zwei Lagen von Metall-
atomen, die so angeordnet sind, wie zwei aufeinanderfolgende Lagen von Ato-
men in einer dichtesten Kugelpackung. Es handelt sich um einen Ausschnitt
aus einer Metallstruktur. Zwischen den Metallschichten befinden sich die X-
Atome als Isolierschichten“. Substanzen wie ZrCl, die diese Struktur haben,
”
haben metallische Eigenschaften in zwei Dimensionen.
13.5 Übungsaufgaben
13.1 Entscheiden Sie mit Hilfe der erweiterten 8−N-Regel, ob die folgenden Verbin-
dungen polyanionisch, polykationisch oder einfach ionisch sind.
(a) Be2 C; (b) Mg2 C3 ; (c) ThC2 ; (d) Li2 Si; (e) In4 Se3 ; (f) KSb; (g) Nb3 Cl8 ; (h) TiS2 .
13.2 Welche der folgenden Verbindungen sollten Z INTL-Phasen sein?
(a) Y5 Si3 ; (b) CaSi; (c) CaO; (d) K3 As7 ; (e) NbF4 ; (f) LaNi5 .
13.3 Zeichnen Sie Valenzstrichformeln für die folgenden Z INTL-Anionen.
(a) Al2 Te6− 5− − 4−
6 ; (b) [SnSb3 ]∞ ; (c) [SnSb ]∞ ; (d) [Si ]∞ ; (e) P2 .
2−
13.4 Geben Sie an, welcher der folgenden Cluster elektronenpräzis ist, 2e3c-Bindungen
haben könnte oder die WADE-Regel für closo-Cluster erfüllt.
(a) B10 C2 H12 (Ikosaeder); (b) Re6 (μ3 -S)4 (μ3 -Cl)4 μ1 -Cl6 (Oktaeder);
(c) Pt4 (μ3 -H)4 (μ1 -H)4 (PR3 )4 (Tetraeder); (d) Rh6 (CO)16 (Oktaeder).
222
14 Kugelpackungen. Metallstrukturen
Metalle werden durch Mehrzentrenbindungen zusammengehalten, an denen
sämtliche Atome eines Kristalls beteiligt sind. Die Valenzelektronen sind über
den ganzen Kristall delokalisiert; näheres dazu wird in Kapitel 10 ausgeführt.
Die anziehenden Kräfte wirken weitgehend gleichmäßig auf alle Atome, es
gibt keine lokal vorherrschenden Kräfte, die wie bei einem Molekül eine be-
stimmte Anordnung um ein Atom verursachen. Wie sich die Atome in ei-
nem metallischen Kristall anordnen, hängt in erster Linie davon ab, wie eine
möglichst dichte Packung geometrisch erreicht werden kann. In zweiter Li-
nie haben die Elektronenkonfiguration und die Valenzelektronenkonzentration
doch einen Einfluß; von ihnen hängen die feineren Unterschiede ab, welche
von mehreren in Betracht kommenden Packungsvarianten tatsächlich auftritt.
Im Prinzip können Bandstrukturberechnungen die feineren Unterschiede er-
klären.
Faßt man die Atome als harte Kugeln auf, so läßt sich die Packungsdichte
durch die Raumerfüllung RE der Kugeln ausdrücken. Sie beträgt:
4π
RE =
3V ∑ Zi ri3 (14.1)
i
A A A A
C C C
B B
B B B B
A A A A A A
➤
C C
C C C C
➤
B B B
➤
A A A A
Abb. 14.1: Anordnung von Kugeln in einer hexagonalen Schicht und die relative Lage
der Schichtlagen A, B und C
Der Abstand von einer Lücke zur übernächsten Lücke ist genauso groß wie
der Abstand von Kugelmitte zu Kugelmitte. Die Lage der Kugelmittelpunkte
sei wie in Abb. 14.1 mit A bezeichnet, die Lage der Lücken mit B und C. Eine
möglichst dichte Stapelung der Schichten wird erreicht, wenn auf die Schicht
der Lage A eine Schicht folgt, deren Kugeln sich entweder über den Lücken B
oder über den Lücken C befinden. Generell gilt: in einem dichtesten Stapel von
hexagonalen Schichten gibt es drei mögliche Schichtlagen; auf eine Schicht
kann immer nur eine Schicht mit einer anderen Schichtlage folgen (auf A kann
nicht A folgen usw.).
Obwohl die Anzahl möglicher Stapelfolgen beliebig groß ist, finden wir in
der Natur überwiegend nur die beiden folgenden:
224 14 KUGELPACKUNGEN. METALLSTRUKTUREN
kubisch-dichteste hexagonal-dichteste
Kugelpackung Kugelpackung
Stapelfolge . . . ABCABC. . . . . . ABABAB. . .
H ÄGG-Symbol . . . ++++++. . . . . . +–+–+– . . .
Ž DANOV-Symbol ∞ 11
JAGODZINSKI-Symbol c h
Die kubisch-dichteste Kugelpackung wird auch Kupfer-Typ genannt, die
hexagonal-dichteste ist der Magnesium-Typ.∗ Die Anordnung der Kugeln in
der kubisch-dichtesten Kugelpackung ist kubisch flächenzentriert (Abb. 14.2);
die Stapelrichtung der hexagonalen Schichten verläuft in Richtung der Raum-
diagonalen des Würfels. Die Koordinationszahl einer Kugel beträgt für bei-
de Kugelpackungen 12. Das Koordinationspolyeder in der kubisch-dichtesten
Packung ist ein Kuboktaeder; das ist ein Würfel mit abgeschnitten Ecken oder,
was auf dasselbe hinausläuft, ein Oktaeder mit abgeschnitten Ecken (Abb. 2.2,
S. 15). Verdreht man zwei gegenüberliegende Dreiecksflächen eines Kubokta-
eders um 30◦ gegeneinander, dann erhält man das Koordinationspolyeder der
hexagonal-dichtesten Kugelpackung, ein Antikuboktaeder.
Kompliziertere Stapelfolgen treten wesentlich seltener auf. Einige kommen
bei den Lanthanoiden vor:
Stapelfolge JAGODZINSKI Ž DANOV
La, Pr, Nd, Pm . . . ABAC . . . hc 22
Sm . . . ABACACBCB . . . hhc 21
Die hc-Packung wird doppelt-hexagonal-dichteste Kugelpackung genannt.
Gadolinium bis Thulium sowie Lutetium bilden hexagonal-dichteste Kugel-
packungen. Je mehr f -Elektronen vorhanden sind, desto größer ist also der An-
teil an h-Schichten. Die Elektronenkonfiguration steuert, welche Art Packung
wahrgenommen wird, und zwar nimmt der Einfluß der 4 f -Schale mit zuneh-
mender Ordnungszahl ab. Die weiter innen liegende 4 f -Schale wird nämlich
mit zunehmender Kernladung stärker zusammengezogen als die 5d- und die
6s-Schale, d. h. die Lanthanoidenkontraktion wirkt sich auf das Innere der Ato-
me mehr aus als auf die Atomradien. Der Einfluß der f -Elektronen im ge-
nannten Sinne äußert sich auch im Verhalten der Lanthanoide unter Druck. Bei
Kompression werden die äußeren Schalen mehr gequetscht als die inneren, die
∗ Englische Bezeichnungen: cubic closest-packing (c.c.p.) oder face-centered cubic (f.c.c.) und
B
A
b
➤
1 A
4
3
a 4 B
➤
c
➤
➤ ➤b
a
√
P 63/m m c c/a = 23 6 = 1, 633 F m3m
Punktlage 2d 23 , 13 , 14 4a 0, 0, 0
Abb. 14.2: Elementarzellen der hexagonal- (links) und der kubisch-dichtesten Kugel-
packung. Obere Reihe: Projektion in Stapelrichtung; Atome mit gleichem Grauton bil-
den jeweils eine hexagonale Schicht wie in Abb. 14.1. Die Atome sind kleiner gezeich-
net, als es ihrer effektiven Größe entspricht.
Kugelpackung bildet; Cer nimmt allerdings bei tiefen Temperaturen die Stapel-
folge hc an.
Je mehr hexagonale Schichten in dem sich periodisch wiederholenden
Schichtenpaket enthalten sind, desto größer wird die Anzahl der denkbaren
Stapelvarianten:
I m3m
2a 0, 0, 0
Tabelle 14.1: Zahl der bis 2008 bekannten Elementstrukturen im festen Zustand bei
verschiedenen Bedingungen
Dichteste Kugelpackungen nehmen auch die festen Edelgase bei tiefer Tempera-
tur an: Ne. . .Xe c; Helium wird nur unter Druck fest (je nach Druck c, h oder i)
Li Be
i h
Na Mg Al
i h c
K Ca Sc Ti V Cr Mn Fe Co Ni Cu Zn Ga
i c h h i i i h c c h
Rb Sr Y Zr Nb Mo Tc Ru Rh Pd Ag Cd In Sn
i c h h i i h h c c c h c
Cs Ba La Hf Ta W Re Os Ir Pt Au Hg Tl Pb
i i hc h i i h h c c c c h c
Fr Ra Ac Rf Db Sg Bh Hs Mt Ds Rg
i c
Ce Pr Nd Pm Sm Eu Gd Tb Dy Ho Er Tm Yb Lu
c hc hc hc hhc i h h h h h h c h
Th Pa U Np Pu Am Cm Bk Cf Es Fm Md No Lr
c i hc hc c, hc h, hc
Na i c Rb-IV
Li-IV oP8
K i c RbIV ?
Mg h i
Ca c i cP ? ?
Sr c i Sn Sn Bi-III
Ba i h Bi-III h
14.4 Übungsaufgaben
14.1 Geben Sie das JAGONDZINSKI- und das Ž DANOV-Symbol für die dichtesten Ku-
gelpackungen mit den folgenden Stapelfolgen an:
(a) ABABC; (b) ABABACAC.
14.2 Geben Sie die Stapelfolgen (mit A, B und C) für die dichtesten Kugelpackungen
mit den folgenden JAGONDZINSKI- bzw. Ž DANOV-Symbolen an:
(a) hcc; (b) cchh; (c) 221.
231
Cu Cu
Au Au
Abb. 15.1: Die Strukturen der geordneten Legierungen AuCu und AuCu3 . Bei höheren
Temperaturen gehen sie in ungeordnete Legierungen über, bei denen alle Atomlagen
statistisch von den Cu- und Au-Atomen eingenommen werden
0,50
0,25 -
100 200 300 400 500 T /◦ C
Abb. 15.2: Abhängigkeit der spezifischen Wärme C p von der Temperatur für AuCu3
(Λ -Typ-Umwandlung)
Bei Zusammensetzungen MXn mit n < 3 kann sie weder für die M- noch für
die X-Atome erfüllt werden, jedes Atom muß in jedem Fall einige Nachbarato-
me der gleichen Sorte haben. Erst ab der Zusammensetzung MX3 (n ≥ 3) sind
Packungen möglich, bei denen jedes M-Atom nur von X-Atomen umgeben ist;
die X-Atome müssen aber weitere X-Atome als Nachbarn haben.
In den meisten Fällen ist die Zusammensetzung der Verbindung in jeder
einzelnen hexagonalen Schicht der Kugelpackung erfüllt. Die schematische
Erfassung und Ordnung des umfangreichen Datenmaterials ist dadurch recht
einfach: man braucht nur eine Skizze der Atomanordnung in einer Schicht und
eine Angabe zur Stapelfolge der Schichten (Ž DANOV- oder JAGODZINSKI-
Symbol). Zu den wichtigsten Strukturtypen dieser Art zählen die folgenden:
1. MX3 -Strukturen mit hexagonaler Anordnung der M-Atome in einer Schicht
(M-Atome im Bild dunkel; Lage der M-Atome in der folgenden Sc hicht durch
schwarz ausgefüllte Kreise markiert)
diese Verbindungsklasse: von weit über 200 Verbindungen mit dieser Struktur
sind nur etwa 12 salzartig (z. B. CsI, TlBr), bei höherer Temperatur oder höhe-
rem Druck kommen noch weitere 15 dazu (z. B. NaCl, KCl bei höherem Druck;
TlCN bei höherer Temperatur mit rotierenden CN− -Ionen). Über 200 Vertreter
sind intermetallische Verbindungen, zum Beispiel MgAg, Ca Hg, AlFe, CuZn.
Überstrukturen des CsCl-Typs ergeben sich, wenn die Elementarzelle der
CsCl-Struktur vervielfacht wird und die Atomlagen von vers chiedenerlei Ato-
men eingenommen werden. Verdoppelt man die Kanten der Eleme ntarzelle in
allen drei Richtungen, so kommt man zu einer Zelle, die aus acht Teilwürfeln
aufgebaut ist, in deren Mitte sich je ein Atom befindet (Abb. 1 5.3). Die 16
Atome in der Zelle können wir in vier Gruppen zu je vier Atomen aufteilen,
die jeweils eine flächenzentrierte Anordnung haben. Je nachdem, wie wir die
Atome verschiedener Elemente auf diese vier Gruppen auftei len, kommen wir
zu verschiedenen Strukturtypen, die in Abb. 15.3 zusammeng estellt sind. Da-
bei sind auch Möglichkeiten berücksichtigt, bei denen bestimmte Atomlagen
unbesetzt bleiben (in der Tabelle mit dem S CHOTTKY-Symbol 2 gekennzeich-
net). In diesem Fall verringert sich die Packungsdichte; solange die Lagen a
und b von verschiedenen Atomen als die Lagen c und d eingenommen wer-
den, hat aber jedes Atom weiterhin nur Atome einer anderen Sorte als nächste
Nachbarn. Die zugehörigen Strukturtypen sind dementsprechend für Ionenver-
bindungen geeignet, unter Einschluß von Z INTL-Phasen mit einfachen Anio-
”
nen“ wie As3− , Sb3− oder Ge4− .
Daß die aufgeführten Strukturtypen von rein ionischen bis zu rein metalli-
schen Verbindungen wahrgenommen werden, zeigt die folgend e Reihe:
a b a b a b
d c c d
b a b a b a
c d d c
a b a b a b
6 6 6 6 6 6 6 6 6 6
1 1 1 3 1 3 1
Höhe: 0 4 0 4 0 2 4 2 4 2
Abb. 15.3: Überstruktur des CsCl-Typs mit verachtfachter Elementarzelle. Links untere
Hälfte, rechts obere Hälfte der Zelle in Projektion auf die Papierebene. a, b, c und d
bezeichnen vier verschiedene Atomlagen, die wie folgt bese tzt sein k önnen:
Raum-
a b c d Strukturtyp gruppe Beispiele
Al Fe Fe Fe Fe3 Al (Li 3 Bi) F m 3 m Fe3 Si, Mg 3 Ce, Li 3 Au, Sr 3 In
Al Mn Cu Cu MnCu 2 Al F m 3 m LiNi 2 Sn, TiCo 2 Si
(Heusler-Legierung)
Tl Na Tl Na NaTl (Zintl-Phase) F d 3m LiAl, LiZn
Ag Li Sb Li Li 2 AgSb (Zintl-Phase) F 43m Li 2 AuBi, Na 2 CdPb
Sn Mg Pt Li LiMgSnPt F 43m LiMgAuSn
As 2 Mg Ag MgAgAs F 43m LiAlSi, NiZnSb, BAlBe, SiCN
(Halb-Heusler-Legierung)
Ca 2 F F CaF2 (Fluorit) F m 3 m BaCl2 , ThO 2 , TiH 2 ,
Li 2 O, Be 2 C, Mg 2 Sn
Zn 2 S 2 Zinkblende F 4 3 m SiC, AlP, GaAs, CuCl
C 2 C 2 Diamant F d 3 m Si, α -Sn
Na Cl 2 2 NaCl F m 3 m LiH, AgF, MgO, TiC
15.4 Hume-Rothery-Phasen
H UME -ROTHERY -Phasen (messingartige Phasen) sind Legierungen, deren
Strukturen den verschiedenen Formen von Messing (Cu– Zn-Le gierungen) ent-
sprechen. Sie sind klassische Beispiele f ür den strukturbestimmenden Ein-
fluß der Valenzelektronenkonzentration (VEK) bei Metallen . VEK = (Anzahl
Valenzelektronen) /(Anzahl Atome). Tabelle 15.1 gibt einen Überblick.
238 15 KUGELPACKUNGEN BEI VERBINDUNGEN
Zusammen- Struktur-
setzung VEK typ Beispiele
α Cu1−x Znx , 1 bis 1,38 Cu
x = 0 bis 0,38
β CuZn 1,50 = 21/14 W AgZn, Cu3 Al, Cu5 Sn
γ Cu5 Zn8 1,62 = 21/13 Cu5 Zn8 Ag5 Zn8 , Cu9 Al4 , Na31 Pb8
ε CuZn3 1,75 = 21/12 Mg AgZn3 , Cu3 Sn, Ag5 Al3
η Cux Zn1−x , 1,98 bis 2 Mg
x = 0 bis 0,02
α -Messing ist eine feste Lösung von Zink in Kupfer mit der Struktur des
Kupfers; die Atome sind statistisch auf die Lagen der kubisch-dichtesten Ku-
gelpackung verteilt. Auch in β -Messing, das durch Abschrecken der Schmel-
ze erhalten wird, liegt eine statistische Atomverteilung vor, die Packung
ist kubisch-innenzentriert. Die Zusammensetzung ist nicht exakt CuZn; sta-
bil ist diese Phase nur, wenn der Anteil der Zinkatome 45 bis 48 % be-
trägt. Auch die γ -Phase hat eine gewisse Phasenbreite, die von Cu5 Zn6,9 bis
Cu5 Zn9,7 reicht. Die Struktur von γ -Messing läßt sich als Überstruktur der
kubisch-innenzentrierten Packung beschreiben, mit verdreifachten Gitterkon-
stanten und einer Elementarzelle, die somit ein 33 = 27 mal größeres Vo-
lumen hat. Anstelle von 2·27 = 54 enthält die Zelle jedoch nur 52 Atome;
es sind zwei Leerstellen vorhanden. Die Verteilung der Leerstellen ist geord-
net; es gibt vier Lagen für die Metallatome im Verhältnis 3 : 2 : 2 : 6, aber sie
können zu einem gewissen Grad fehlgeordnet sein. Bei Cu5 Zn8 ist die Vertei-
lung 3Cu : 2Cu : 2Zn : 6Zn. Eine Messingprobe, deren Zusammensetzung nicht
innerhalb der angegebenen Grenzen liegt, besteht aus einem Gemisch der bei-
den angrenzenden Phasen.
Wie die Beispiele in Tab. 15.1 zeigen, können Legierungen mit recht unter-
schiedlicher Zusammensetzung die gleichen Strukturen annehmen. Maßgeb-
lich ist jeweils die Valenzelektronenkonzentration, die sich folgendermaßen
errechnet:
AgZn 1+2
2 = 3
2 = 21
14 Ag5 Zn8 13 = 13
5+16 21
AgZn3 1+6
4 = 4 = 12
7 21
Cu3 Al 3+3
4 = 6
4 = 21
14 Cu9 Al4 13 = 13
9+12 21
Cu3 Sn 3+4
4 = 4 = 12
7 21
Cu5 Sn 5+4
6 = 9
6 = 21
14 Na31 Pb8 39 = 13
31+32 21
Ag5 Al3 5+9
8 = 8 = 12
14 21
15.5 Laves-Phasen 239
15.5 Laves-Phasen
Unter Laves-Phasen versteht man bestimmte nach F RITZ L AVES benannte Le-
gierungen der Zusammensetzung MM
2 , bei denen die M-Atome größer als die
M
-Atome sind. Der klassische Vertreter ist MgCu2 , dessen Struktur in Abb.
15.4 gezeigt ist. Im Sinne von Abb. 15.3 kann sie als Überstruktur des CsCl-
Typs aufgefaßt werden, bei der die Lagen a, b, c und d folgendermaßen besetzt
sind:
a: Mg b: Cu4 c: Mg d: (Cu4 )
Auf der Lage b ist also nicht ein Atom, sondern ein Tetraeder von vier Cu-
Atomen untergebracht; bei dieser Anordnung ergibt sich auch um die Lage d
ein gleichartiges Cu-Tetraeder. Die Magnesiumatome haben für sich alleine die
gleiche Anordnung wie im Diamant-Typ.
Neben dieser kubischen Laves-Phase gibt es im MgZn2 -Typ eine Variante
mit Magnesiumatomen in der Anordnung des hexagonalen Diamanten, außer-
dem gibt es noch weitere Stapelvarianten.
Die Kupferatome des MgCu2 -Typs sind miteinander zu einem Netzwerk
von eckenverknüpften Tetraedern verbunden (vgl. Abb. 15.4), so daß jedes
Cu-Atom mit sechs weiteren Cu-Atomen verbunden ist. Nimmt man eine
Elektronenverteilung gemäß der Formulierung Mg2+ (Cu− )2 an, so kommt
auf die Kupferatome eine Valenzelektronenkonzentration von VEK(Cu) =
2 (1 · 2 + 2 · 11) = 12. Nach Gleichung (13.7) (S. 192), für Übergangsmetalle
1
Mg
6
√
3a 6 Cu 6a d(Mg–Cu) = 18 a 11
8 5
? 8a
1 6
4a
? ? ?
√ -
a 2
Abb. 15.4: Struktur der Laves-Phase MgCu2 . Links: Mg-Teilstruktur. Rechts: Cu-
Teilstruktur aus eckenverknüpften Tetraedern. Die Zahlen geben die Höhe in der Ele-
mentarzelle als Vielfache von 18 an. Unten: Schnitt diagonal durch die Zelle in der Rich-
tung, die oben durch Pfeile markiert ist und mit Atomradien für einander berührende
Atome (kleinerer Maßtab als oben)
bekannt, von denen die meisten nicht die Z INTLsche Valenzregel erfüllen (z. B.
CaAl2 , YCo2 , LiPt2 ).
Die Raumerfüllung im MgCu2 -Typ kann mit Hilfe von Gleichung (14.1)
(S. 222) berechnet werden, wobei die geometrischen Gegebenheiten aus dem
unteren Bild von Abb. 15.4 folgen:
√
Die vier Cu-Kugeln
√ reihen sich längs der Diagonalen der Länge a 2, somit ist
r(Cu)= 18 2 a;
entlang der Raumdiagonalen
√ der Elementarzelle
√ befinden sich zwei Mg-
Kugeln im Abstand 14 3 a, somit ist r(Mg)= 18 3 a.
15.5 Laves-Phasen 241
Cu
Mg
15.6 Übungsaufgaben
15.1 Nehmen Sie Tabelle 14.2 zu Hilfe, um zu entscheiden, ob die folgenden Paare von
Metallen wahrscheinlich ungeordnete Legierungen miteinander bilden.
(a) Mg/Ca; (b) Ca/Sr; (c) Sr/Ba; (d) La/Ac; (e) Ti/Mn; (f) Ru/Os; (g) Pr/Nd; (h) Eu/Gd.
15.2 Zeichnen Sie einen Ausschnitt von jedem der auf S. 234 gezeigten Strukturtypen
in Projektion auf eine Ebene, die in vertikaler Richtung der Abbildung senkrecht zur
Papierebene verläuft.
15.3 Welche Strukturtypen ergeben sich, wenn die Atomlagen von Abb. 15.3 in folgen-
der Art besetzt werden (A, B, C und D stehen für chemische Elemente):
(a) a A, b A, c , d B; (b) a A, b B, c C, d ; (c) a A, b A, c C, d D?
15.4 Wie kann es sein, daß sowohl Ag5 Zn8 wie auch Cu9 Al4 die γ -Messingstruktur
haben, obwohl ihre Zusammensetzungen verschieden sind?
15.5 Kann man ein Ikosaeder als F RANK –K ASPER-Polyeder ansehen?
243
16 Verknüpfte Polyeder
Mit Hilfe von Koordinationspolyedern kann die unmittelbare Umgebung ein-
zelner Atome gut erfaßt werden, zumindest dann, wenn die Polyeder exakt oder
näherungsweise ein gewisses Minimum an Symmetrie aufweisen. Die wich-
tigsten dieser Polyeder sind in Abb. 2.2 (S. 15) gezeigt. Größere Bauverbände
lassen sich als Verbund von Polyedern auffassen. Zwei Polyeder lassen sich
miteinander über eine gemeinsame Ecke, eine gemeinsame Kante oder eine ge-
meinsame Fläche verknüpfen, sie haben dann ein, zwei oder drei (oder mehr)
gemeinsame Brückenatome (Abb. 2.3, S. 16).
Je nach Polyeder und Art der Verknüpfung ergeben sich an den Brücken-
atomen Bindungswinkel, die einen definierten Wert haben oder innerhalb be-
stimmter Grenzen liegen. Bei flächenverknüpften Polyedern ist der Bindungs-
winkel geometrisch festgelegt. Bei eckenverknüpften und in manchen Fällen
bei kantenverknüpften Polyedern kann der Bindungswinkel durch gegenseiti-
ges Verdrehen der Polyeder innerhalb gewisser Grenzen variieren (Abb. 16.1; s.
auch Abb. 16.18, S. 264). In Tabelle 16.1 sind die Werte für die Bindungswin-
kel angegeben. Die Zahlen gelten für unverzerrte Tetraeder und Oktaeder und
unter der Annahme, daß die Atome in den Ecken verschiedener Polyeder ein-
ander nicht näher kommen dürfen als innerhalb eines Polyeders. Verzerrungen
treten häufig auf und ermöglichen eine gewisse zusätzliche Variationsbreite
für die Bindungswinkel der Brückenatome. Außer der Verzerrung durch un-
terschiedliche Längen von Polyederkanten kann die Verzerrung auch durch ein
Herausrücken des Zentralatoms aus der Polyedermitte zustande kommen, unter
Änderung von Bindungswinkeln am Zentralatom und an den Brückenatomen;
Tabelle 16.1: Bindungswinkel für die Brückenatome und Abstände zwischen den Zen-
tralatomen M von verknüpften Tetraedern und Oktaedern (ohne Berücksichtigung von
eventuellen Verzerrungen). Die Abstände sind als Vielfache der Polyederkantenlänge
angegeben
Verknüpfung über
Ecken Kanten Flächen
Tetraeder Bindungswinkel 102,1◦ bis 180◦ 66,0◦ bis 70,5◦ 38,9◦
M–M-Abstand 0,95 bis 1,22 0,66 bis 0,71 0,41
Oktaeder Bindungswinkel 131,8◦ bis 180◦ 90◦ 70,5◦
M–M-Abstand 1,29 bis 1,41 1,00 0,82
244 16 VERKNÜPFTE POLYEDER
180◦
70,5◦
180◦
66,0◦
131,8◦
Abb. 16.1: Grenzen für die gegenseitige Verdrehung von kantenverknüpften Tetra-
edern und von eckenverknüpften Oktaedern und die sich ergebenden Bindungswinkel
an den Brückenatomen. Als Mindestabstand zwischen Eckpunkten verschiedener Poly-
eder (gestrichelt) wurde die Kantenlänge im Polyeder angenommen
die Polyederkanten und -flächen können dabei (müssen aber nicht) unverändert
bleiben.
Verzerrungen der Koordinationspolyeder können vielfach im Sinne der Re-
geln von G ILLESPIE -N YHOLM und durch Betrachtung der elektrostatischen
Kräfte gedeutet werden. So ist zum Beispiel in den beiden kantenverknüpften
Tetraedern im (FeCl3 )2 -Molekül ein gegenseitiges Abrücken der Fe-Atome er-
kennbar, da ihnen eine positive Partialladung zukommt. Die Fe–Cl-Bindungen
zu den verbrückenden Atomen sind dadurch länger als die übrigen Fe–Cl-
Bindungen. Die Cl-Atome passen sich der Verzerrung durch eine leichte De-
formation der Tetraeder an (Abb. 16.2). Wenn die verbrückenden Atome eine
höhere negative Partialladung als die terminalen Atome haben, so wirken sie
dieser Art von Verzerrung entgegen, da sie eine stärkere Anziehung auf die
Zentralatome ausüben, die dann weniger aus den Polyedermitten herausrücken.
16 VERKNÜPFTE POLYEDER 245
Cl S Cl Cl Cl Cl
Fe2 S2 Cl2−
4
Fe2 Cl6
Abb. 16.2: Zwei nur wenig verzerrte, kantenverknüpfte Tetraeder im Fe2 S2 Cl2− 4 -Ion
und zwei stärker verzerrte Tetraeder im Fe2 Cl6 -Molekül. Die Verzerrung beruht in er-
ster Linie auf einer elektrostatischen Abstoßung zwischen den Fe-Atomen. Abstände in
pm
Das zum (FeCl3 )2 isostere (FeSCl2 )2−2 bietet ein Beispiel (Abb. 16.2; um die
elektrostatischen Kräfte zu vergleichen, kann man vereinfachend einen Aufbau
aus Ionen Fe3+ , Cl− und S2− annehmen).
Welche Art von Polyederverknüpfung realisiert wird, hängt von verschiede-
nen Faktoren ab. Zu nennen sind:
1. Die chemische Zusammensetzung; sie setzt einen engen Rahmen, da sich
nur ganz bestimmte Polyederverknüpfungen mit ihr vereinbaren lassen.
2. Die Natur der Brückenatome; sie streben bestimmte Bindungswinkel an und
tolerieren nur Bindungswinkel in einem bestimmten Bereich. Bei verbrücken-
den Schwefel-, Selen-, Chlor-, Brom- und Iodatomen (mit zwei einsamen Elek-
tronenpaaren) sind Winkel um 100◦ günstig. Dieser Winkel kann bei eckenver-
knüpften Tetraedern und bei kantenverknüpften Oktaedern auftreten; es sind je-
doch auch Beispiele mit kleineren Winkeln zwischen kantenverknüpften Tetra-
edern oder flächenverknüpften Oktaedern bekannt. Verbrückende Sauerstoff-
und Fluoratome lassen Winkel bis 180◦ zu, häufig werden Winkel um 130◦ bis
150◦ beobachtet.
3. Je polarer die Bindungen sind, desto ungünstiger werden Kanten- und in
noch stärkerem Maße Flächenverknüpfung, bedingt durch die zunehmende
gegenseitige elektrostatische Abstoßung der Zentralatome (dritte PAULING-
Regel, S. 92). Zentralatomen in hohen Oxidationszuständen begünstigen des-
halb die Verknüpfung über Ecken. Sind zweierlei Zentralatome vorhanden, so
vermeiden diejenigen mit der höheren Oxidationszahl die Verknüpfung ihrer
Polyeder miteinander (vierte PAULING-Regel).
246 16 VERKNÜPFTE POLYEDER
Abb. 16.3: Einige Möglichkeiten zur Verknüpfung von Oktaedern über Ecken zu MX5 -
Ketten oder -Ringen
248 16 VERKNÜPFTE POLYEDER
K F
Abb. 16.4: MX4 -Schicht aus eckenverknüpften Oktaedern und die Packung solcher
Schichten im K2 NiF4 -Typ. Läßt man die K+ -Ionen weg und rückt die Schichten aufein-
ander, so daß die Oktaederspitzen einer Schicht zwischen je vier Spitzen der nächsten
Schicht kommen, so kommt man zur Packung im SnF4
der Unter- und Oberseite der [MX4 ]2n− -Schicht mit An+ -Ionen besetzt sind.
Bei der Stapelung der so aufgebauten Schichten kommen die An+ -Ionen der
nächsten Schicht genau über die X-Atome zu liegen. Jedes An+ -Ion hat dann
die Koordinationszahl 9 (4 der verbrückenden X-Atome der Schicht, die vier
umgebenden Oktaederspitzen sowie das X-Atom der nächsten Schicht); das
Koordinationspolyeder ist ein quadratisches Antiprisma mit aufgesetzter Pyra-
mide.
Stapelt man MX4 -Schichten Oktaederspitze auf Oktaederspitze übereinan-
der und verschmilzt die Oktaederspitzen miteinander, dann resultiert das Netz-
250 16 VERKNÜPFTE POLYEDER
werk der ReO3 -Struktur mit Verknüpfung in drei Dimensionen (Abb. 16.5).
In ihr ist jedes Oktaeder über alle sechs Ecken mit jeweils sechs anderen Ok-
taedern verknüpft; die Bindungswinkel an den Brückenatomen betragen 180◦ .
Die Mittelpunkte von acht Oktaedern spannen die kubische Elementarzelle auf.
In der Mitte der Elementarzelle befindet sich ein relativ großer Hohlraum. Die-
ser Hohlraum kann mit einem Kation besetzt sein, es handelt sich dann um den
Perowskit-Typ (Perowskit = CaTiO3 ), der bei einer Vielzahl von Verbindun-
gen der Zusammensetzung AMF3 und AMO3 vorkommt und der wegen seiner
Bedeutung gesondert behandelt wird (Abschnitt 17.4, S. 295).
Eine bessere Raumerfüllung als im ReO3 -Typ kann erreicht werden, wenn
die Oktaeder um die Richtung einer der Raumdiagonalen der Elementarzelle
verdreht werden (Abb. 16.5). Dabei verschwindet der große Hohlraum in der
ReO3 -Zelle, die Oktaeder rücken näher aufeinander zu und die Bindungswin-
kel an den Brückenatomen verkleinern sich von 180◦ bis auf 132◦ . Wenn dieser
Wert erreicht ist, liegt der RhF3 -Typ vor, in dem die F-Atome eine hexagonal-
dichteste Kugelpackung bilden. Etliche Trifluoride kristallisieren mit Struk-
turen, die zwischen den beiden Extremen liegen, mit Bindungswinkeln von
ca. 150◦ an den F-Atomen: GaF3 , TiF3 , VF3 , CrF3 , FeF3 , CoF3 u.a. Einige
wie ScF3 sind nahe am ReO3 -Typ, andere wie MoF3 näher an der hexagonal-
dichtesten Struktur. Die Oktaeder können noch weiter zu einer überdichten“
”
Kugelpackung verdreht sein, wobei Gruppen von je drei zusammengequetsch-
ten Atomen vorhanden sind. Dies entspricht der Struktur des Calcits (CaCO3 );
im Mittelpunkt zwischen drei zusammengequetschten O-Atomen befindet sich
das C-Atom des Carbonat-Ions.
Die beschriebene Verdrehung der Oktaeder
Beobachtete Oktaeder-
kann tatsächlich ausgeführt werden. Bei At-
drehwinkel für FeF3
mosphärendruck (p = 10−4 GPa) sind im FeF3
p/GPa a/pm c/pm Winkel/◦
die Oktaeder um 17, 0◦ im Vergleich zu ReO3 −4
10 521 1332 17,0
verdreht. Wie in der nebenstehenden Tabel-
1, 5 504 1341 21,7
le aufgeführt, verdrehen sie sich unter Druck
4, 0 485 1348 26,4
fast bis auf 30◦ , was dem idealen RhF3 -Typ 6, 4 476 1348 28,2
entspricht. Zugleich verringert sich der Gitter- 9, 0 470 1349 29,8
parameter a, während sich c kaum verändert.
Wenn im VF3 -Typ die Metallatomlagen in den Oktaedern abwechselnd von
Atomen zweier verschiedener Metalle besetzt sind, liegt der LiSbF6 -Typ vor,
der bei vielen Verbindungen AMF6 vorkommt (z. B. ZnSnF6 ). Abwechselnd
zweierlei Atomsorten in der RhF3 -Packung treten bei PdF3 auf (auch PtF3 ),
16.1 Eckenverknüpfte Oktaeder 251
Re
ReO3
O Pm3m
➤
➤
➤
➤
` `
➤
➤
`
=⇒
`
➤
➤
` `
➤ ➤
ReO3
=⇒ VF3 , FeF3
➤
➤
➤
=⇒
➤
gemäß der Formulierung PdII PdIV F6 oder Pd2+ [PdF6 ]2− , wie an den Pd–F-
Abständen von 217 pm (PdII ) und 190 pm (PdIV ) zu erkennen ist.
WO3 tritt in einer größeren Anzahl von Modifikationen auf, die verzerrte
Varianten des ReO3 -Typs sind. Darüberhinaus gibt es noch eine Form, die sich
durch Entwässern von WO3 · 13 H2 O erhalten läßt und deren Gerüst in Abb. 16.6
(links) gezeigt ist. Auch hier sind alle Oktaeder miteinander eckenverknüpft,
die W–O–W-Winkel betragen 150◦ . Diese Struktur ist wegen der in ihr vorhan-
denen Kanäle bemerkenswert. Die Kanäle lassen sich kontinuierlich mit Alka-
liionen besetzen, wobei die Zusammensetzung Ax WO3 von x = 0 bis x = 0, 33
gehen kann (A = K, Rb, Cs). Man nennt diese Verbindungen hexagonale Wolf-
rambronzen. Kubische Wolframbronzen haben die ReO3 -Struktur mit partiel-
ler Besetzung des Hohlraums mit Li+ oder Na+ , d. h. sie sind Zwischenstufen
zwischen dem ReO3 -Typ und dem Perowskit-Typ. Tetragonale Wolframbron-
zen haben Ähnlichkeit zu den hexagonalen Bronzen, haben aber engere (vier-
und fünfseitige) Kanäle, die Na+ oder K+ aufnehmen können (Abb. 16.6).
Wolframbronzen sind metallische Leiter, haben metallischen Glanz und Far-
ben, die je nach Zusammensetzung von goldgelb bis schwarz reichen. Sie sind
chemisch sehr widerstandsfähig und dienen als Pigmente in Bronzefarben“.
”
Abb. 16.7: Einige Konfigurationen für Ketten aus kantenverknüpften Oktaedern der
Zusammensetzung MX4
254 16 VERKNÜPFTE POLYEDER
Abb. 16.8: Über Kanten zu Schichten verbundene Oktaeder im BiI3 - und AlCl3 -Typ
16.2 Kantenverknüpfte Oktaeder 255
Abb. 16.9: Über Kanten zu Schichten verbundene Oktaeder im CdI2 - und CdCl2 -Typ
Bei den Hydroxiden wie Mg(OH)2 (Brucit) und Ca(OH)2 weicht die
Packung der O-Atome insofern von der idealen hexagonal-dichtesten Packung
ab, als die Schichten etwas platt gedrückt sind, so daß die Bindungswinkel M–
O–M in der Schicht größer als die 90◦ sind, die bei unverzerrten Oktaedern zu
erwarten wären (bei Ca(OH)2 z. B. 98,5◦ ).
Abb. 16.10:
Zwei flächenverknüpfte Oktaeder in Io-
nen [M2 X9 ]3− und ein Strang von
flächenverknüpften Oktaedern im ZrI3
Abb. 16.11:
Verknüpfung von Oktaedern im NbOCl3 Cl
mit abwechselnd kurzen und langen Nb–
O-Bindungen
258 16 VERKNÜPFTE POLYEDER
Rutil α -PbO2
➤c
➤ b
Abb. 16.12: Längs c verlaufende Stränge von kantenverknüpften Oktaedern sind im
Rutil und α -PbO2 über Ecken miteinander vernetzt
Li Zr
größere Aggregate in stärker sauren Lösungen. Wenn ein Teil der Molybdän-
atome zu Mo(IV) reduziert wird, können Riesenräder“ enstehen, zum Beispiel
”
in H48 Mo176 O536 ; das Molekül bildet einen Reif mit einem inneren Durchmes-
ser von 2,3 nm.
Abb. 16.15: Verknüpfung von Oktaedern im Korund (α -Al2 O3 ) und Ilmenit (FeTiO3 ;
Fe-Oktaeder hell, Ti-Oktaeder dunkel). Links: Aufsicht auf zwei verknüpfte Schichten
(nur im mittleren Teil sind beide gezeichnet). Rechts: Seitenansicht auf Ausschnitte von
drei Schichten mit flächenverknüpften Oktaedern
262 16 VERKNÜPFTE POLYEDER
Ni
As
Mo
Eine Kette von eckenverknüpften Tetraedern ergibt sich, wenn zu jedem Te-
traeder zwei terminale und zwei verbrückende Atome gehören, die Zusammen-
setzung ist MX2/1 X2/2 oder MX3 . Die Kette kann zu einem Ring geschlossen
sein wie im [SO3 ]3 , [PO−3 ]3 , [SiO3 ]3 oder [SiO3 ]6 . Endlose Ketten haben
2− 2−
Si3 O6−
9
im Benitoit,
BaTi[Si3 O9 ] Si6 O12−
18 im Beryll,
Be3 Al2 [Si6 O18 ]
(SiO2−
3 )∞ -Kette
im Enstatit,
(SiO2−
3 )∞ im Wollastonit, CaSiO3
MgSiO3
Abb. 16.19: Einige Formen von Ringen und Ketten aus eckenverknüpften Tetraedern
in Silicaten. Für die zwei Ketten ist gezeigt, wie sich ihre Konformation der Größe
der Kationenoktaeder anpaßt (der Oktaederstrang ist jeweils ein Ausschnitt aus einer
Schicht)
terschiedlicher Abfolge nach der einen oder anderen Seite der Schicht weisen
können, ergibt sich eine sehr große Vielfalt von strukturellen Varianten; außer-
dem können die Schichten wellblechartig gefaltet sein (Abb. 16.20).
In der Natur kommen Schichtsilicate häufig vor, wobei vor allem die Ton-
mineralien (Prototyp: Kaolinit), Talk und die Glimmer (Prototyp: Muskovit) zu
nennen sind. Bei diesen Mineralien sind die terminalen O-Atome einer Silicat-
schicht mit Kationen verbunden, die oktaedrisch koordiniert sind; es handelt
sich vorwiegend um Mg2+ , Ca2+ , Al3+ oder Fe2+ . Die Oktaeder sind mit-
einander über Kanten zu Schichten von der Art wie im Mg(OH)2 (= CdI2 )
oder Al(OH)3 (= BiI3 ) verknüpft. Die Zahl der terminalen O-Atome der Si-
licatschicht reicht nicht für alle O-Atome der Oktaederschicht aus, die übri-
266 16 VERKNÜPFTE POLYEDER
a b c
d e
Chrysotil
Oktaederschicht
➤
Antigorit
Chrysotil-Röhren
Abb. 16.23:
Ausschnitt aus einer
Schicht im HgI2
272 16 VERKNÜPFTE POLYEDER
Si
O
CH3
Me8 Si8 O12
β -Käfig
Faujasit Zeolith A
Abb. 16.24: Struktur von Me8 Si8 O12 und schematische Darstellung einiger Si-O-
Polyeder. Verknüpfung dieser Polyeder zu den Gerüsten zweier Zeolithe
Das Verknüpfungsmuster für zwei Zeolithe ist in Abb. 16.24 gezeigt. Bei
ihnen ist der β -Käfig“ eines der Bauelemente; das ist ein gestutztes Oktaeder,
”
ein 24-eckiges, 14-flächiges Polyeder. Im synthetischen Zeolith A (Linde A)
bilden die β -Käfige ein kubisch-primitives Gitter, sie sind über Würfel verbun-
den. β -Käfige, die so verteilt sind, wie die Atome im Diamant, und die über
hexagonale Prismen verbunden sind, treten im Faujasit (Zeolith X) auf.
16.7 Eckenverknüpfte Tetraeder. Silicate 273
Der Anteil der Aluminiumatome im Gerüst ist variabel. Auf jedes von ihnen
kommt eine negative Ladung. Insgesamt ist das Gerüst somit ein Polyanion, die
Kationen befinden sich in seinen Hohlräumen. Dies gilt im Prinzip auch für
andere Aluminosilicate, im Unterschied zu diesen ist das Gerüst der Zeolithe
jedoch wesentlich offener. Darauf beruht die charakteristische Eigenschaft der
Zeolithe, als Kationenaustauscher zu wirken und sehr leicht Wasser aufneh-
men und wieder abgeben zu können. Ein Zeolith, der durch Erhitzen im Vaku-
um entwässert wurde, ist sehr hygroskopisch und eignet sich, um Wasser aus
Lösungsmitteln oder Gasen zu entfernen. Außer Wasser können auch andere
Moleküle aufgenommen werden, wobei die Größe und Gestalt der Moleküle
relativ zur Größe und Gestalt der Hohlräume des Zeoliths maßgeblich dafür
ist, wie leicht dies geschieht und wie fest die Gastmoleküle vom der Wirts-
struktur festgehalten werden. Die verschiedenen Zeolithe unterscheiden sich
bezüglich ihrer Hohlräume und Kanäle in weiten Grenzen; sie können für die
Aufnahme bestimmter Moleküle maßgeschneidert“ werden. Man nutzt dies
”
zur selektiven Stofftrennung und spricht deshalb auch von Molekularsieben.
Zum Beispiel können unverzweigte von verzweigten Alkanen bei der Erdölraf-
fination getrennt werden. Selbst die Trennung von O2 und N2 ist möglich. In
den Kanälen können auch verschiedene Moleküle anwesend sein, die durch die
Gestalt der Kanäle in eine bestimmte Orientierung zueinander gezwungen wer-
den. Hierauf beruht die Wirkung der Zeolithe als selektive Katalysatoren. Der
Zeolith ZSM-5 dient zum Beispiel zur katalytischen Hydrierung von Methanol
zu Alkanen.
Strukturell verwandt mit den Zeolithen sind der farblose Sodalith,
Na4 Cl[Al3 Si3 O12 ], und die farbigen Ultramarine (Abb. 16.25). Sie haben
Aluminosilicat-Gerüste, in deren Hohlräumen sich Kationen, aber keine Was-
sermoleküle befinden. Ihre Besonderheit liegt in der zusätzlichen Anwesen-
Abb. 16.25:
Sodalith- und Ultramarin-Gerüst
274 16 VERKNÜPFTE POLYEDER
− −
heit von Anionen in den Hohlräumen, zum Beispiel Cl− , SO2− 4 , S2 , S3 .
Die beiden letztgenannten sind farbige Radikalionen (grün bzw. blau), die für
brillante Farben sorgen. Am bekanntesten ist das blaue Mineral Lapislazuli,
Na4 Sx [Al3 Si3 O12 ], das auch synthetisch als Farbpigment hergestellt wird.
Gerüstsilicate werden auch Tectosilicate genannt, ihr gemeinsames Kenn-
zeichen ist die dreidimensionale Eckenverknüpfung der Tetraeder über alle vier
Ecken. Sie werden noch weiter unterschieden in:
1. Pyknolite, in denen relativ kleine Hohlräume des Gerüsts mit Kationen
ausgefüllt sind; Beispiel: Feldspäte M+ [AlSi3 O− 2+ 2−
8 ] und M [Al2 Si2 O8 ] wie
K[AlSi3 O8 ] (Kalifeldspat, Sanidin), Ca[Al2 Si2 O8 ] (Anorthit) oder Plagioklas,
Ca1−x Nax [Al2−x Si2+x O8 ]. Feldspäte, insbesondere Plagioklas, sind mit Ab-
stand die häufigsten Mineralien in der Erdkruste.
2. Clathrasile, in denen polyedrische Hohlräume vorhanden sind, deren Fen-
ster jedoch zu klein sind, um andere Moleküle hindurchzulassen, so daß in
den Hohlräumen eingeschlossene Ionen oder Fremdmoleküle nicht entweichen
können; Beispiele: Ultramarine, Melanophlogit (SiO2 )46 ·8 (N2 , CO2 , CH4 ).
3. Zeolithe, deren Hohlräume durch weite Fenster oder Tunnel miteinander
verbunden sind, durch die Fremdmoleküle oder -ionen diffundieren können.
Die zwischen SiO2 und H2 O bestehende strukturelle Verwandtschaft (vgl.
Abschnitt 12.5) zeigt sich auch bei den Clathraten (Einschlußverbindungen),
zu denen die mit Fremdmolekülen belegten Clathrasile gehören. Wasser bil-
det analoge Clathrat-Hydrate, in denen Fremdmoleküle von einem Gerüst von
H2 O-Molekülen umschlossen sind. Wie im Eis ist jedes O-Atom von vier
H-Atomen umgeben. Die Strukturen sind nur in Anwesenheit der Fremdmo-
leküle stabil, ohne sie wäre das hohle Gerüst zu weiträumig und würde zu-
sammenbrechen. Am bekanntesten sind die Gashydrate, in denen Teilchen wie
Ar, CH4 , H2 S oder Cl2 eingeschlossen sind; sie bestehen aus einem Gerüst,
in dem auf 46 H2 O-Moleküle zwei dodekaedrische und sechs größere tetra-
kaidekaedrische (14-Flächner) Hohlräume kommen (Abb. 16.26; die gleiche
Struktur hat der oben erwähnte Melanophlogit). Wenn alle Hohlräume gefüllt
sind, ist die Zusammensetzung (H2 O)46 X8 oder X·5 34 H2 O; wenn, wie beim
Cl2 -Hydrat, nur die größeren Hohlräume gefüllt sind, ist sie (H2 O)46 (Cl2 )2
oder Cl2 ·7 23 H2 O. Mit größeren Fremdmolekülen entstehen andere Gerüste mit
noch größeren Hohlräumen; Beispiele: (CH3 )3 CNH2 ·9 34 H2 O, HPF6 ·6H2 O,
CHCl3 ·17 H2 O. Clathrate wie C3 H8 ·17 H2 O, das einen Schmelzpunkt von
8,5 ◦ C hat, können bei kaltem Wetter aus feuchtem Erdgas auskristallisieren
und Erdgasleitungen verstopfen. (H2 O)46 (CH4 )8 ist stabil bei Drücken, wie sie
16.8 Kantenverknüpfte Tetraeder 275
R L
Abb. 16.26: Ausschnitt aus dem Strukturgerüst in Gashydraten vom Typ I. Jeder Eck-
punkt steht für ein O-Atom, entlang jeder Kante befindet sich ein H-Atom (Stereobild)
unter 600 m Tiefe im Ozean herrschen. Es kommt dort in Mengen vor, welche
die Erdgasvorkommen übertreffen; die Förderung lohnt sich aber nicht, weil
der dafür notwendige Energieaufwand die Verbrennungswärme des enthalte-
nen Methans übersteigt. Sehr eigenartig ist auch das Auftreten der Clathrat-
Struktur bei den Verbindungen Na8 Si46 , K8 Si46 , K8 Ge46 , K8 Sn46 , in denen die
Si-Atome die Lagen der Wassermoleküle einnehmen und somit alle vierbin-
dig und valenzmäßig abgesättigt sind. Die Alkaliionen befinden sich in den
Hohlräumen, ihre Elektronen bilden ein metallisches Elektronengas.
Abb. 16.27:
Tetraederverknüpfung im SiS2
276 16 VERKNÜPFTE POLYEDER
Wenn Tetraeder über jeweils vier Kanten miteinander verknüpft sind, ergibt
sich die Zusammensetzung MX4/4 oder MX. Eine Verknüpfung dieser Art zu
Schichten entspricht der Struktur der roten Modifikation von PbO, wobei sich
die O-Atome in den Tetraedermitten und die Pb-Atome in den Tetraederecken
befinden (Abb. 16.28). Diese recht eigenartige Struktur läßt die sterische Wir-
kung des einsamen Elektronenpaars am Pb(II)-Atom erkennen; zählt man das
Elektronenpaar mit, so ist das Koordinationspolyeder um das Bleiatom eine
quadratische Pyramide. Die Schicht kann auch als Schachbrettmuster beschrie-
ben werden, das von den O-Atomen aufgespannt wird; die Pb-Atome befinden
sich über den schwarzen und unter den weißen Feldern des Schachbretts.
Als ein Netzwerk von dreidimensional kantenverknüpften FCa4 -Tetraedern
kann die CaF2 -Struktur aufgefaßt werden (vgl. Abb. 17.3b).
Pb O
16.9 Übungsaufgaben
16.1 Verknüpfen Sie W4 O8− 16 Ionen (Abb. 16.14) zu einer Säule, die aus Paaren von
kantenverknüpften Oktaedern besteht, die abwechselnd quer zueinander liegen. Welche
ist die Zusammensetzung der Säule?
16.2 Verknüpfen Sie Paare von flächenverknüpften Koordinationsoktaedern über ge-
meinsame Ecken zu einer Kette, wobei jedes Oktaeder an einer gemeinsamen Ecke be-
teiligt ist, die nicht zur gemeinsamen Fläche gehört. Welche ist die Zusammensetzung?
16.3 Welche Zusammensetzung hat eine Säule aus quadratischen Antiprismen, die über
gemeinsame Quadratflächen verknüpft sind?
16.4 Welche der folgenden Verbindungen könnte Säulen aus flächenverknüpften Okta-
edern wie in ZrI3 bilden?
InF3 , InCl3 , MoF3 , MoI3 , TaS2−
3
16.5 Greifen Sie aus MgCu2 (Abb. 15.4) das Netzwerk aus eckenverknüpften Cu-
Tetraedern heraus und fügen Sie in die Mitte jedes Tetraeders ein zusätzliches Atom
ein. Welcher Strukturtyp ergibt sich?
277
Oktaederlücke
B
B
B
AA ➤
Tetra- 3 ➤ b
eder- 4
1
lücke 4
a b a
➤
c
➤
3 3
1 4 5 4
B 4 4
1111
A 2222 11
B
➤ b
A
c d
Abb. 17.1: a Relative Lage zweier hexagonaler Schichten in einer dichtesten Kugel-
packung. b Dieselben Schichten mit kleiner gezeichneten Kugeln; zwei kantenver-
knüpfte Oktaeder und die Elementarzelle für die hexagonal-dichteste Kugelpackung
sind eingezeichnet. c Seitenansicht auf eine hexagonal-dichteste Kugelpackung; zwei
flächenverknüpfte Oktaeder sind eingezeichnet. d Zwei eckenverknüpfte Oktaeder in
einer hexagonal-dichtesten Kugelpackung. Zahlen: z-Koordinaten der Kugeln bzw. Ok-
taedermitten
stellung gemäß Abb. 17.1b, die denselben Ausschnitt der Kugelpackung zeigt,
jedoch mit kleiner gezeichneten Kugeln. Man sieht zwar nicht mehr, wo die in
Wahrheit größeren Kugeln einander berühren, dafür erkennt man um so bes-
ser, wo sich die Oktaederlücken der Kugelpackung befinden: es sind die jetzt
groß erscheinenden Löcher, die von jeweils sechs Kugeln umgeben sind. Die
Kanten zweier Oktaeder sind in Abb. 17.1b eingezeichnet; diese beiden Ok-
taeder haben eine gemeinsame Kante. Abb. 17.1c stellt eine Seitenansicht auf
die hexagonal-dichteste Kugelpackung dar (Blick auf die Schmalseiten der he-
xagonalen Schichten); die beiden eingezeichneten Oktaeder sind miteinander
flächenverknüpft. In Abb. 17.1d sind zwei Oktaeder eingezeichnet, die in ver-
schiedenen Höhen nebeneinanderliegen und die eine gemeinsame Ecke haben.
17.1 Die Lücken in dichtesten Kugelpackungen 279
Wie aus Abb. 17.1 hervorgeht, entstehen bei der Besetzung von benach-
barten Oktaederlücken in einer hexagonal-dichtesten Kugelpackung folgende
Oktaederverknüpfungen:
Flächenverknüpfung, wenn die Oktaeder in Richtung c übereinanderliegen;
Kantenverknüpfung, wenn sie in der a-b-Ebene nebeneinanderliegen;
Eckenverknüpfung, wenn sie auf verschiedenen Höhen nebeneinanderliegen.
Die Bindungswinkel an den verbrückenden Atomen in den gemeinsamen
Oktaederecken sind geometrisch festgelegt (Winkel M–X–M; M jeweils in der
Oktaedermitte):
70,5◦ bei Flächenverknüpfung;
90,0◦ bei Kantenverknüpfung;
131,8◦ bei Eckenverknüpfung.
Die Anzahl der Oktaederlücken in der Elementarzelle ist aus Abb. 17.1c
ersichtlich: in Richtung c liegen zwei verschieden orientierte Oktaeder über-
einander, dann wiederholt sich das Muster. Auf eine Elementarzelle kommen
zwei Oktaederlücken. Abb. 17.1b zeigt uns die Anwesenheit von zwei Kugeln
in der Elementarzelle, je eine der Schichtlage A und B. Die Anzahl der Kugeln
und der Oktaederlücken in der Elementarzelle stimmt also überein: Auf eine
Kugel kommt genau eine Oktaederlücke.
Die Größe der Oktaederlücken ergibt sich aus der Konstruktion von Abb. 7.2
(S. 83). Dort wurden einander berührende Anionen angenommen, genauso wie
bei den Kugeln einer Kugelpackung. In die Lücke zwischen sechs oktaedrisch
angeordneten Kugeln mit Radius 1 paßt eine Kugel mit Radius 0,414.
Abb. 17.1 läßt auch noch folgendes erkennen. Parallel zur a-b-Ebene liegen
die Oktaedermitten in Ebenen, die sich auf halben Weg zwischen den Kugel-
schichten befinden. Die Lage der Oktaedermitten entspricht der Lage C, die in
der Stapelfolge ABAB . . . der Kugeln nicht vorkommt. Zur Bezeichnung von
Oktaederlücken in dieser Lage werden wir in den folgenden Abschnitten ein
γ verwenden. Analog werden wir α und β verwenden, um Oktaederlücken zu
bezeichnen, die den Lagen A bzw. B entsprechen.
➤
B
A
➤ b
B
a
➤ b
➤
A
a b
Abb. 17.2: Tetraeder in einer hexagonal-dichtesten Kugelpackung: a Blick auf die he-
xagonalen Schichten; b Blick parallel zu den hexagonalen Schichten (Stapelrichtung
nach oben)
der trigonalen Bipyramide ist identisch mit der Lücke zwischen drei Atomen in
der hexagonalen Schicht; die axialen Atome der Bipyramide sind 41 % weiter
als die equatorialen von der Mitte entfernt. Zählt man nur die drei equatorialen
Atome, so kann man die Lücke als Dreieckslücke auffassen; zählt man die axia-
len Atome mit, so ist es eine trigonal-bipyramidale Lücke. Die Tetraederlücken
befinden sich jeweils über und unter dieser Lücke. Innerhalb eines Schichten-
paares AB ist ein Tetraeder, dessen Spitze nach oben weist, mit drei Tetraedern,
deren Spitzen nach unten weisen, kantenverknüpft.
Die Bindungswinkel M–X–M an den Brückenatomen zwischen zwei be-
setzten Tetraedern betragen:
56,7◦ bei Flächenverknüpfung;
70,5◦ bei Kantenverknüpfung;
109,5◦ bei Eckenverknüpfung.
Wie in Abb. 17.2b erkennbar, befindet sich über und unter jeder Kugel je
eine Tetraederlücke: Auf eine Kugel kommen zwei Tetraederlücken.
Entsprechend der Berechnung in Abb. 7.2 (S. 83) paßt in eine aus vier Ku-
geln mit Radius 1 gebildete Tetraederlücke eine Kugel mit Radius 0,225.
a b
Abb. 17.3: Flächenzentrierte Elementarzelle der kubisch-dichtesten Kugelpackung.
a Mit Oktaederlücken (kleine Kugeln), b mit Tetraederlücken
den drei Richtungen parallel zu den Zellenkanten sind die Oktaeder miteinan-
der eckenverknüpft. In den Richtungen diagonal zu den Seiten der Elementar-
zelle sind sie kantenverknüpft. Flächenverknüpfte Oktaeder kommen nicht vor.
Denkt man sich die Elementarzelle in acht Oktanten (Achtelswürfel) un-
terteilt, so kann man in der Mitte von jedem Oktanten eine Tetraederlücke
erkennen (Abb. 17.3b). Die Tetraeder in zwei Fläche an Fläche aneinander-
grenzenden Oktanten sind miteinander kantenverknüpft. Eckenverknüpft sind
Tetraeder, deren Oktanten nur eine gemeinsame Kante oder eine gemeinsame
Ecke haben. Flächenverknüpfte Tetraeder sind nicht vorhanden.
Auf eine Elementarzelle kommen vier Kugeln, vier Oktaederlücken und
acht Tetraederlücken. Die Zahlenrelationen sind damit die gleichen wie bei der
hexagonal-dichtesten Kugelpackung: Auf eine Kugel kommen eine Oktaeder-
und zwei Tetraederlücken. Das gilt auch für alle anderen Stapelvarianten von
dichtesten Kugelpackungen. Ebenso stimmt die Größe der Lücken bei allen
dichtesten Kugelpackungen überein.
Die Bindungswinkel M–X–M an den Brückenatomen zwischen zwei mit
Atomen M besetzten Polyedern sind:
kantenverknüpfte Oktaeder 90,0◦ eckenverknüpfte Tetraeder in
Oktanten mit gemeinsamer Kante 109,5◦
eckenverknüpfte Oktaeder 180,0◦
eckenverknüpfte Tetraeder in
kantenverknüpfte Tetraeder 70,5◦ Oktanten mit gemeinsamer Ecke 180,0◦
Die hexagonalen Schichten mit Stapelfolge ABCABC . . . liegen senkrecht
zu den Raumdiagonalen der Elementarzelle. Ein Paar solcher Schichten, zum
282 17 KUGELPACKUNGEN MIT BESETZTEN LÜCKEN
Beispiel AB, ist relativ zueinander genauso angeordnet wie in Abb. 17.1b.
Schicht C folgt dann in der Lage genau über den Oktaederlücken zwischen A
und B. Das Muster der kantenverknüpften Oktaeder innerhalb eines Schich-
tenpaares ist unabhängig davon, welche Schichtlagen folgen. Während die
Abfolge der Lagen der Oktaedermitten in Stapelrichtung in der hexagonal-
dichtesten Kugelpackung γγ . . . ist, ist sie in der kubisch-dichtesten Kugel-
packung γαβ γαβ . . . (Abb. 17.4).
B A
γ β
A C
γ α
B B
γ γ
A A
Abb. 17.4: Relative Anordnung der Oktaeder in der hexagonal- und in der kubisch-
dichtesten Kugelpackung in Stapelrichtung der hexagonalen Schichten
17.2 Einlagerungsverbindungen
Die Einlagerung von Atomen in die Lücken einer Kugelpackung ist nicht ein-
fach eine Vorstellung; bei einigen Elementen läßt sie sich tatsächlich konti-
nuierlich durchführen. In dieser Hinsicht ist die Aufnahme von Wasserstoff
durch bestimmte Metalle unter Bildung von Metallhydriden am bekanntesten.
Während der Wasserstoffaufnahme ändern sich die Eigenschaften deutlich,
und meistens kommt es dabei zu Phasenumwandlungen, d. h. die Packung der
Metallatome im letztlich erhaltenen Hydrid ist meistens nicht die gleiche wie
die des reinen Metalls. In der Regel handelt es sich aber nach wie vor um
eine der für Metalle typischen Packungen. Man spricht deshalb von Einlage-
rungshydriden. Der Wasserstoffgehalt ist variabel und hängt von Druck und
Temperatur ab; es handelt sich also um nichtstöchiometrische Verbindungen.
Einlagerungshydride kennt man von den Nebengruppenelementen (ein-
schließlich Lanthanoide und Actinoide). Auch Magnesiumhydrid kann man
dazu zählen, da es unter Druck Wasserstoff bis zur Zusammensetzung MgH2
aufzunehmen vermag, den es beim Erwärmen wieder abgibt. Die Grenzzusam-
mensetzungen sind MH3 bei den meisten Lanthanoiden und Actinoiden, sonst
MH2 oder weniger. In einigen Fällen sind die Verbindungen in bestimmten Zu-
sammensetzungsbereichen instabil (stabil sind z. B. nur kubisches HoH1,95 bis
HoH2,24 und hexagonales HoH2,64 bis HoH3,00 ).
Die für die Zusammensetzung MH2 typische Struktur ist eine kubisch-
dichteste Kugelpackung von Metallatomen, bei der alle Tetraederlücken mit
H-Atomen besetzt wurden; dies ist nichts anderes als der CaF2 -Typ. Bei den
wasserstoffreicheren Lanthanoidhydriden (MH2 bis MH3 ) werden zusätzlich
die Oktaederlücken besetzt (Li3 Bi-Typ für LaH3 bis NdH3 , vgl. Abb. 15.3,
S. 237).
Die Einlagerungshydride der Übergangsmetalle unterscheiden sich von den
salzartigen Hydriden der Alkali- und Erdalkalimetalle MH bzw. MH2 , erkenn-
bar an ihren Dichten. Während die letzteren eine höhere Dichte als die Metalle
haben, sind in den Übergangsmetallhydriden die Metallgitter aufgeweitet. Sie
zeigen außerdem metallischen Glanz und sind Halbleiter. Die Alkalihydride
haben NaCl-Struktur, MgH2 hat Rutilstruktur.
Die Packungsdichte der H-Atome ist in allen wasserstoffreichen Metallhy-
driden sehr hoch. Im MgH2 ist sie zum Beispiel 55 % höher als in flüssigem
Wasserstoff. Jahrelange Versuche, Magnesium als Wasserstoffspeicher einzu-
setzen, sind bis jetzt nicht erfolgreich gewesen. Die Legierung LaNi5 kann
284 17 KUGELPACKUNGEN MIT BESETZTEN LÜCKEN
ebenfalls relativ leicht Wasserstoff aufnehmen und wieder abgeben; sie findet
Verwendung als Elektrodenmaterial in Metallhydrid-Batterien.
Zu den Einlagerungsverbindungen zählt man insbesondere die Carbide und
Nitride der Elemente Ti, Zr, Hf, V, Nb, Ta, Cr, Mo, W, Th und U. Ihre Zusam-
mensetzung entspricht in vielen Fällen ungefähr der Formel M2 X oder MX.
Es handelt sich in der Regel um nichtstöchiometrische Verbindungen mit einer
Zusammensetzung, die innerhalb gewisser Grenzen variieren kann. Dies, sowie
weitgehend übereinstimmende Strukturen und Eigenschaften bei gleicher Zu-
sammensetzung zeigen uns den beherrschenden Einfluß der kristallchemischen
Gegebenheiten bei dieser Verbindungsklasse.
Die Nitride können durch Erhitzen der Metallpulver in N2 - oder NH3 -
Atmosphäre auf über 1100 ◦ C hergestellt werden, die Carbide enstehen beim
Erhitzen von Gemischen aus Metallpulver und Kohlenstoff auf Temperaturen
um 2200 ◦ C. Auch im Rahmen der chemischen Transportreaktion nach VAN
A RKEL - DE B OER sind sie zugänglich, wenn die Metallabscheidung in einer
Atmosphäre aus N2 bzw. eines Kohlenwasserstoffs stattfindet. Ihre bemerkens-
werten Eigenschaften sind:
Große Härte mit Werten von 8 bis 10 auf der M OHS-Skala; sie reicht also in
einigen Fällen (z. B. bei W2 C) an die Härte von Diamant.
Extrem hohe Schmelzpunkte, zum Beispiel (Werte in ◦ C):
Ti 1660 TiC 3140 TiN 2950 VC 2650
Zr 1850 ZrC 3530 ZrN 2980 NbC 2600
Hf 2230 HfC 3890 HfN 3300 TaC 3880
Vergleichswerte: Schmelzpunkt von W 3420 ◦ C (höchstschmelzendes Metall),
Sublimationspunkt von Graphit ca. 3350 ◦ C.
Metallische elektrische Leitfähigkeit, in manchen Fällen auch Supraleitfähig-
keit bei tiefen Temperaturen (z. B. NbC, Sprungtemperatur 10,1 K).
Hohe chemische Widerstandsfähigkeit, ausgenommen gegen Oxidationsmit-
tel wie Luftsauerstoff bei Temperaturen über 1000 ◦ C oder heiße konzentrierte
Salpetersäure.
Die Einlagerung von C oder N in das Metall ist also mit einer Zunahme der
Festigkeit verbunden unter Erhalt von metallischen Eigenschaften.
Die Strukturen können als Metallatompackungen aufgefaßt werden, in deren
Lücken die Nichtmetallatome eingelagert sind. In der Regel sind die Metall-
atompackungen nicht die gleichen wie diejenigen der entsprechenden reinen
Metalle. Folgende Strukturtypen treten auf:
17.3 Strukturtypen mit besetzten Oktaederlücken 285
Verbindungen MX
Strukturtyp Stapelfolge Raumgruppe Beispiele
NaCl Aγ BαCβ F m3m LiH, KF, AgCl, MgO, PbS, TiC
NiAs Aγ Bγ P 63/m m c CrH, TiS, CoS, CoSb, AuSn
286 17 KUGELPACKUNGEN MIT BESETZTEN LÜCKEN
Bei beiden Strukturtypen sind alle Oktaederlücken der kubisch- bzw. hexa-
gonal-dichtesten Kugelpackung besetzt. Die Koordinationszahl ist 6 für alle
beteiligten Atome. Beim NaCl-Typ haben alle Atome eine oktaedrische Koor-
dination, und es ist gleichgültig, ob man die Struktur als eine Kugelpackung
von Na+ -Ionen mit eingelagerten Cl− -Ionen oder umgekehrt ansieht. Anders
verhält es sich beim NiAs-Typ; hier entspricht nur die Anordnung der As-
Atome der Kugelpackung, während die Nickelatome in den Oktaederlücken
(γ -Lagen) genau übereinander gestapelt sind (Abb. 17.5). Nur die Nickelatome
sind oktaedrisch koordiniert, die sechs Nickelatome um ein Arsenatom bilden
Ni
c
➤
As
➤ b
3 Ni
4
As
1
4
➤ b
➤
a
NiAs
NiAs P 63/m m c
➤
a
P Ni
P Mn
0,32
➤ b
➤
0,19
–0,18
MnP Pmcn NiP Pbca
Abb. 17.5: Die NiAs-Struktur und verzerrte Varianten. Die Bilder für MnP und NiP
zeigen denselben Ausschnitt wie das Bild für NiAs links oben; gestrichelt: pseudohexa-
gonale Zellen, die der NiAs-Elementarzelle entsprechen. Zahlenwerte: z-Koordinaten
(in Blickrichtung)
17.3 Strukturtypen mit besetzten Oktaederlücken 287
ein trigonales Prisma. Man kann die Struktur auch als ein hexagonal-primitives
Gerüst von Ni-Atomen auffassen; darin kommen nur trigonale Prismen als Po-
lyeder vor, und zwar doppelt so viele wie Ni-Atome. Die Hälfte dieser Prismen
ist mit As-Atomen besetzt (vgl. auch Abb. 16.16, S. 262).
Wie die obengenannten Beispiele erkennen lassen, wird der NaCl-Typ vor-
zugsweise bei salzartigen Verbindungen, einigen Oxiden und Sulfiden und bei
den im vorigen Abschnitt besprochenen Einlagerungsverbindungen angetrof-
fen. Der NaCl-Typ ist aus elektrostatischen Gründen günstig für stark pola-
re Verbindungen, da jedes Atom nur Atome des anderen Elements in seiner
Nähe hat. Sulfide, Selenide, Telluride sowie Phosphide, Arsenide und An-
timonide mit NaCl-Struktur findet man mit Erdalkalimetallen und mit Ele-
menten der dritten Nebengruppe (MgS, CaS, . . . , MgSe, . . . , BaTe; ScS, YS,
LnS, LnSe, LnTe; LnP, LnAs, LnSb mit Ln = Lanthanoid). Mit anderen Ne-
bengruppenelementen bevorzugen sie dagegen den NiAs-Typ und dessen un-
ten genannten Varianten. Das ist elektrostatisch ungünstig, da sich die Ni-
Atome in miteinander flächenverknüpften Oktaedern befinden und sich so-
mit recht nahe kommen (Ni–Ni-Abstand 252 pm, nur weniger länger als der
Ni–As-Abstand von 243 pm). Dies suggeriert die Anwesenheit von bindenden
Metall-Metall-Wechselwirkungen, zumal dieser Strukturtyp nur auftritt, wenn
die Metallatome noch über d-Elektronen verfügen. Für die Metall-Metall-
Wechselwirkungen sprechen auch folgende Befunde: metallischer Glanz und
elektrische Leitfähigkeit, variable Zusammensetzung sowie die Abhängigkeit
der Gitterparameter von der Elektronenkonfiguration, zum Beispiel:
Verhältnis c/a der hexagonalen Elementarzelle
TiSe VSe CrSe Fe1−x Se CoSe NiSe
1,68 1,67 1,64 1,64 1,46 1,46
Bei den elektronenreicheren Arseniden und Antimoniden sind die c/a-
Verhältnisse noch kleiner (z. B. 1,39 für NiAs); da das ideale c/a-Verhältnis
für die hexagonal-dichteste Kugelpackung 1,633 beträgt, zeigt sich eine erheb-
liche Schrumpfung in Richtung c, d. h. in der Richtung, in der die Metallatome
einander am nächsten sind.
MnP zeigt eine verzerrte NiAs-Struktur, bei der die Metallatome auch in der
a-b-Ebene zusammenrücken und Zickzacklinien bilden, so daß jedes Metall-
atom vier nahegelegene Metallatome um sich hat (Abb. 17.5). Zugleich rücken
die P-Atome zu Zickzackketten zusammen, die im Sinne der Z INTL-Phasen als
(P− )∞ -Ketten aufgefaßt werden können. Eine noch weitergehende Verzerrung
tritt beim NiP auf, wo P2 -Paare auftreten (P4−
2 ). Die genannten Verzerrungen
288 17 KUGELPACKUNGEN MIT BESETZTEN LÜCKEN
Verbindungen MX2
Die Hälfte der Oktaederlücken ist besetzt. Für die Verteilung auf die Zwischen-
schichten gibt es mehrere Möglichkeiten:
1. Die Zwischenschichten sind abwechselnd voll besetzt und unbesetzt. In den
besetzten Schichten liegen lauter kantenverknüpfte Oktaeder vor (Abb. 16.9,
S. 255).
Strukturtyp Stapelfolge Raumgruppe Beispiele
CdCl2 Aγ BCβ ABαC R 3 m MgCl2 , FeCl2 , Cs2 O
CdI2 Aγ B P3m1 MgBr2 , PbI2 , SnS2 , Ag2 F,
Mg(OH)2 , Cd(OH)2
Es gibt auch noch weitere Polytypen, d. h. solche mit anderen Stapelfolgen
für die Halogenatome. Besonders beim CdI2 selbst sind inzwischen sehr viele
dieser Polytypen bekannt, weshalb die Bezeichnung CdI2 -Typ heute als etwas
unglücklich angesehen wird und auch vom Mg(OH)2 - (Brucit-) oder Cd(OH)2 -
Typ gesprochen wird. Die H-Atome der Hydroxide sind in die Tetraederlücken
zwischen den Schichten ausgerichtet, sie sind nicht an H-Brücken beteiligt.
Botallackit, Cu2 (OH)3 Cl, ist wie CdI2 aufgebaut, wobei jede zweite Schicht
der Kugelpackung zur Hälfte aus Cl-Atomen und OH-Gruppen besteht (eine
zweite Modifikation der gleichen Zusammensetzung ist der Atacamit, s. u.).
So wie es vom NiAs-Typ verzerrte Varianten mit Metall-Metall-Bindungen
gibt, kennt man auch solche Varianten des CdI2 -Typs. Im ZrI2 ist zum Bei-
17.3 Strukturtypen mit besetzten Oktaederlücken 289
spiel die CdI2 -Struktur so verzerrt, daß die Zr-Atome Zickzackketten bilden.
Jedes Zr-Atom ist also an zwei Zr–Zr-Bindungen beteiligt, was mit der d 2 -
Konfiguration des zweiwertigen Zirconiums im Einklang steht.
2. Die Zwischenschichten sind abwechselnd zu 23 und 13 besetzt.
Strukturtyp Stapelfolge Raumgruppe Beispiele
ε -Fe2 N
➤ B -
A -
B -
A -
CaCl2 CaCl2
➤ b
➤
Rutil Markasit
Abb. 17.6: Links oben: CaCl2 -Struktur, Blick senkrecht zu den hexagonalen Schichten.
Rechts oben und unten: Blick entlang der Ketten kantenverknüpfter Oktaeder im CaCl2 ,
Rutil und Markasit; beim CaCl2 sind die hexagonalen Schichten mit A und B bezeichnet.
Dicke Striche: S–S-Bindungen im Markasit
Abb. 17.8:
Doppelstränge von kantenver-
knüpften Oktaedern im Diaspor,
α -AlO(OH)
Verbindungen MX3
Ein Drittel der Oktaederlücken ist besetzt. Auch hier gibt es mehrere Möglich-
keiten für die Verteilung auf die Zwischenschichten:
1. Jede dritte Zwischenschicht ist voll besetzt, die übrigen sind unbesetzt. In
den besetzten Schichten liegen wieder lauter kantenverknüpfte Oktaeder wie
im CdI2 vor. Dieser Aufbau tritt im Cr2 AlC auf, die Schichtenfolge ist:
ACr γ BCr AAl BCr γ ACr BCr
Wie zu erkennen, sind die Kohlenstoffatome nur in Oktaeder aus einer Atom-
sorte, und zwar in derjenigen des Übergangsmetalls, eingelagert.
2. Jede zweite Zwischenschicht ist zu zwei dritteln besetzt.
Strukturtyp Stapelfolge Raumgruppe Beispiele
AlCl3 Aγ2/3 BCβ2/3 ABα2/3C C 2/m YCl3 , HT-CrCl3
BiI3 Aγ2/3 B R3 FeCl3 , TT-CrCl3
Bei beiden Strukturtypen ist die Gestalt der Schichten aus kantenverknüpf-
ten Oktaedern die gleiche (Abb. 16.8). Bei den schichtartigen Trihalogeniden
ist eine Fehlordnung der Packung der Halogenatome weit verbreitet, d. h. die
Stapelfolge der hexagonalen Schichten ist nicht streng AB oder ABC, sondern
es treten häufige Stapelfehler auf. Dies gilt auch für AlCl3 und BiI3 selbst, wo-
bei die Häufigkeit der Stapelfehler von den Wachstumsbedingungen des einzel-
17.3 Strukturtypen mit besetzten Oktaederlücken 293
Verbindungen M2 X3
Zwei Drittel der Oktaederlücken sind besetzt. Die möglichen Strukturtypen
sind gewissermaßen Inverse“ zu den MX3 -Strukturen, denn in diesen sind 23
”
der Oktaederlücken unbesetzt. Wenn also die bei einem MX3 -Typ besetzten
Lücken frei gelassen werden und die freien besetzt werden, kommt man zu ei-
ner M2 X3 -Struktur. Die Art der Verknüpfung der besetzten Oktaeder ist dann
allerdings anders. So entspricht die Anordnung der freien Oktaederlücken des
RhF3 -Typs derjenigen der besetzten Lücken im Korund, Al2 O3 . Dessen besetz-
te Oktaeder sind sowohl über Kanten wie über Flächen miteinander verbunden
(Abb. 16.15, S. 261). Die Schichtenabfolge ist:
Aγ
Bγ
Aγ2/3 Bγ2/3
Abb. 17.9: Einige Beispiele für Packungen von Verbindungen MX4 , MX5 und MX6
17.4 Perowskite 295
17.4 Perowskite
Im Perowskit-Typ (CaTiO3 ; Abb. 17.10) bilden die Ca- und O-Teilchen zu-
sammen eine kubisch-dichteste Kugelpackung, mit einer Verteilung wie in der
geordneten Legierung AuCu3 (Abb. 15.1, S. 233). Die Kugelpackung besteht
aus hexagonalen Schichten gemäß des Bildes auf Seite 234. Als Bestandteil
der Kugelpackung hat ein Ca2+ -Ion die Koordinationszahl 12. Die Titanato-
me besetzen ein viertel der Oktaederlücken, und zwar nur diejenigen, die aus-
schließlich von O-Atomen aufgespannt werden.
Wenn an Stelle des Ca2+ -Ions ein Hohlraum vorhanden ist, bleibt das Gerüst
des ReO3 -Typs übrig (Abb. 16.5, S. 251). Die Analogie ReO3 – CaTiO3 ist
nicht einfach ein Formalismus, denn die Besetzung der Ca-Lagen mit varia-
blen Mengen von Metallionen läßt sich tatsächlich realisieren, und zwar bei
den kubischen Wolframbronzen, AxWO3 (A = Alkalimetall, x = 0, 3 bis 0,93).
Bei ihnen hängt die Farbe und der Oxidationszustand des Wolframs vom Wert
x ab. Sie haben metallischen Glanz; mit x ≈ 1 sind sie goldgelb, mit x ≈ 0, 6
rot und mit x ≈ 0, 3 tiefviolett.
Im normalen, kubischen Perowskit haben die hexagonalen CaO3 -Schichten
die Stapelfolge ABC . . . oder c . . . und es kommen nur eckenverknüpfte Okta-
O Ti
Ca
Pm3m
Ca 1b 12 , 12 , 12
Ti 1a 0, 0, 0
O 3d 0, 0, 12
eder vor. Zur Strukturfamilie der Perowskite gehören noch zahlreiche weitere
Stapelvarianten, mit c- und h-Schichten in verschiedenen Abfolgen. An einer
h-Schicht treten flächenverknüpfte Oktaeder auf. In einer Abfolge wie chhc ist
eine Gruppe von drei an den h-Schichten flächenverknüpften Oktaedern vor-
handen, die an den c-Schichten mit anderen Oktaedern eckenverknüpft sind.
Wie groß die Gruppen von flächenverknüpften Oktaedern sind, hängt von der
Natur der Metallatome in den Oktaedern und vor allem von den Ionenradien-
verhältnissen ab. Abb. 17.11 zeigt einige Vertreter.
Die ideale, kubische Perowskit-Struktur wird relativ selten angetroffen;
selbst im Mineral Perowskit, CaTiO3 , liegt eine leichte Verzerrung vor. Unver-
zerrt ist SrTiO3 . Wie in Abb. 16.5 (S. 251) gezeigt, kommt man bei Verdrehung
der Oktaeder des ReO3 -Typs zu einer dichteren Packung, bis beim RhF3 -Typ
eine hexagonal-dichteste Packung der Anionen erreicht ist. Bei dieser Verdre-
hung wird der Hohlraum des ReO3 -Typs immer kleiner und wird schließlich
im RhF3 -Typ zu einer Oktaederlücke der Kugelpackung. Wenn diese Okta-
ederlücke besetzt ist, so hat man den Ilmenit-Typ (FeTiO3 ). Durch geeignete
Verdrehung der Oktaeder kann eine Anpassung an die Größe des A-Ions im
Perowskit erfolgen. Unterschiedliche Verkippungen der Oktaeder ermöglichen
außerdem eine Variation von Koordinationszahl und Koordinationspolyeder.
Verzerrte Perowskite haben eine geringere Symmetrie, die für die elektrischen
und magnetischen Eigenschaften dieser Verbindungen von Bedeutung ist. We-
gen dieser Eigenschaften sind Perowskite von großer technischer Bedeutung,
insbesondere das ferroelektrische BaTiO3 . Näheres hierzu wird in Kapitel 19
ausgeführt.
Der Toleranzfaktor t für Perowskite AMX3 ist eine Zahl, um das Ausmaß
der Verzerrung abschätzen zu können. Seine Berechnung erfolgt mit Hilfe der
Ionenradien, d. h. es wird ein Aufbau aus Ionen zugrundegelegt:
r(A) + r(X)
t=√
2[r(M) + r(X)]
Für die ideale kubische Struktur ergibt sich geometrisch ein Wert von
t = 1. Tatsächlich wird diese Struktur beobachtet, wenn 0, 89 < t < 1. Ver-
zerrte Perowskite treten auf, wenn 0, 8 < t < 0, 89. Werte unter 0,8 führen zum
Ilmenit-Typ (Abb. 16.15, S. 261). Bei den hexagonalen Stapelvarianten wie in
Abb. 17.11 ist in der Regel t > 1. Da Perowskite keine reinen Ionenverbin-
dungen sind und das Ergebnis auch davon abhängt, welche Werte man für die
Ionenradien einsetzt, ist der Toleranzfaktor nur eine grobe Richtzahl.
17.4 Perowskite 297
c c c
c h h
c c h
c h c
CaTiO3 c h
h
BaMnO3
c
c
c
BaRuO3
c
h
h c
h
c
h
c h
c
h h
c
h h h
c h
c
CsNiCl3
Cs2 NaCrF6 hexagonales BaTiO3 BaNiO3
Abb. 17.11: Verknüpfung der Oktaeder bei einigen Vertretern aus der Strukturfamilie
der Perowskite mit verschiedenen Stapelfolgen
Atomlage
Strukturtyp Beispiel
Perowskit SrTiO3 Sr O Ti Ti
Elpasolith K2 NaAlF6 K F Na Al
Kryolith (NH4 )3 AlF6 NH+4 F NH+4 Al
K2 PtCl6 K Cl Pt
CaF2 F Ca
Abb. 17.12: Überstrukturen des Perowskit-Typs. Nur in einem Oktanten sind alle Ato-
me eingezeichnet, die Atome auf den Kanten und in den Mitten aller Oktanten sind
gleich
Y Y
Ba Ba
Ba Ba
Cu Cu
Y Y
R L
Abb. 17.13: Struktur von YBa2 Cu3 O7 . Zur Perowskit-Struktur kommt man, wenn O-
Atome zwischen die Stränge der Y-Atome und zwischen den CuO4 -Quadraten ein-
gefügt werden. In jeder Richtung sind zwei Elementarzellen gezeigt (Stereobild)
rer Strukturtyp ergibt sich dagegen, wenn alle Tetraederlücken der kubisch-
dichtesten Kugelpackung besetzt werden: der CaF2 -Typ (F− -Ionen in den Te-
traederlücken), der auch beim Li2 O auftritt (Li+ in den Tetraederlücken).
Entfernt man aus dem CaF2 -Typ die Hälfte der Atome aus den Tetra-
ederlücken, so ergibt sich die Zusammensetzung MX. Je nachdem, welche vier
Oktanten der Elementarzelle frei gelassen werden, kommt man zu verschie-
denen Strukturtypen: dem Zinkblende-Typ mit einem Raumnetz von ecken-
verknüpften Tetraedern, dem PbO-Typ mit Schichten von kantenverknüpften
Tetraedern und dem PtS-Typ (Abb. 17.14). Im PbO und PtS bilden die Me-
tallatome die Kugelpackung. Beim PbO sind nur die Tetraeder in Höhe z = 14
mit O-Atomen besetzt, die in z = 34 sind frei; die O-Atome ergeben zusammen
mit den Pb-Atomen in z ≈ 0 und z ≈ 12 eine Schicht, in der jedes Pb-Atom
quadratisch-pyramidal koordiniert ist (vgl. Abb. 16.28, S. 276). Die Vertei-
lung der S-Atome im PtS ergibt eine planare Koordination am Pt-Atom. Die
Packung ist ein Kompromiß zwischen den Erfordernissen einer tetraedrischen
Koordination am Schwefel und einer quadratischen am Platin. Mit einem Wert
von c/a = 1, 00 läge eine ideale Kugelpackung mit Tetraderwinkeln am S vor,
aber mit rechteckiger Koordination am Pt; mit c/a = 1, 41 wären Bindungs-
winkel von 90◦ am Pt aber auch am S erreicht, tatsächlich ist c/a = 1, 24.
HgI2 und α -ZnCl2 bieten je ein Beispiel für eine kubisch-dichteste Packung
von Halogenatomen, in der 14 der Tetraederlücken besetzt ist. Die Tetra-
ederlücken sind eckenverknüpft, jede Tetraederecke gehört jeweils zwei Tetra-
edern an, mit Bindungswinkeln um 109,5◦ an den Brückenatomen. Die HgI2 -
Struktur entspricht einer PbO-Struktur, aus der die Hälfte der O-Atome entfernt
wurde und Kationen mit Anionen vertauscht wurden (Abb. 17.14). Es liegen
Schichten vor, alle Hg-Atome einer Schicht befinden sich in der gleichen Höhe
(vgl. auch Abb. 16.23, S. 271).
Entfernt man die Hälfte der Atome aus der Zinkblende, so wie im rechten
Teil von Abb. 17.14 gezeigt, so kommt man zur α -ZnCl2 -Struktur. In ihr liegt
ein Raumnetz aus eckenverknüpften Tetraedern vor, wobei die Zinkatome Spi-
ralen in Richtung c bilden. Die c-Achse ist verdoppelt. Verdreht man die Tetra-
eder gegenseitig, so weitet sich das Gitter auf, und die Bindungswinkel an den
Brückenatomen werden größer; das Ergebnis ist die Cristobalit-Struktur (Abb.
17.15). Die in Abb. 12.9 (S. 184) gezeigte, flächenzentrierte Elementarzelle ist
doppelt so groß wie die innenzentrierte Zelle in Abb. 17.15; die Achsen a und
b der flächenzentrierten Zelle verlaufen diagonal zu denen der innenzentrierten
Zelle.
17.5 Besetzung von Tetraederlücken 301
Cacb t
2 F4
➤
➤
➤
➤
Abb. 17.14: Verwandtschaft zwischen den Strukturen von CaF2 , PbO, PtS, ZnS, HgI2 ,
SiS2 und ZnCl2 . In der obersten Reihe sind alle Tetraederlücken (= Mitten der Oktan-
ten des Würfels) besetzt. Jeder Pfeil symbolisiert einen Schritt, bei dem die Anzahl der
besetzten Tetraederlücken halbiert wird, wobei die Elementarzellen in der unteren Rei-
he verdoppelt sind. Metallatome hell, Nichtmetallatome dunkel schattiert. Die in den
Formeln erstgenannten Atome bilden die kubisch-dichteste Kugelpackung
302 17 KUGELPACKUNGEN MIT BESETZTEN LÜCKEN
Cristobalit
➤
➤ ➤
➤
➤
-b
a ?
Abb. 17.15: Durch Verdrehung der Tetraeder kommt man von der α -ZnCl2 - zur
Cristobalit-Struktur
Im SiS2 liegt eine weitere Variante zur Besetzung von 14 der Tetraederlücken
in einer kubisch-dichtesten Kugelpackung von S-Atomen vor. Es sind Ketten
von kantenverknüpften Tetraedern vorhanden (Abb. 17.14).
Die Struktur des Wurtzits entspricht einer hexagonal-dichtesten Packung
von S-Atomen, in der die Hälfte der Tetraederlücken mit Zn-Atomen besetzt
ist. Neben der hexagonalen und der kubischen Kugelpackung der beiden ZnS-
Typen können auch beliebige andere Stapelvarianten von dichtesten Kugel-
packungen mit besetzten Tetraederlücken auftreten. Polytypen dieser Art sind
zum Beispiel vom SiC bekannt.
Tetraedrische Moleküle wie SnCl4 , SnBr4 , SnI4 , TiBr4 kristallisieren meist
mit einer kubisch-, in manchen Fällen auch mit einer hexagonal-dichtesten
Packung von Halogenatomen, in der 18 der Tetraederlücken besetzt ist. Vor al-
lem bei leichteren Molekülen wie CCl4 treten auch Modifikationen auf, bei de-
nen die Moleküle im Kristall rotieren; diese im zeitlichen Mittel kugelförmigen
Moleküle bilden eine kubisch-innenzentrierte Packung.
Während AlCl3 und FeCl3 nur in Lösung und in der Gasphase dimere Mo-
leküle bilden (zwei kantenverknüpfte Tetraeder), aber im festen Zustand eine
Schichtenstruktur mit oktaedrisch koordinierten Metallatomen aufweisen, sind
Al2 Br6 , Al2 I6 und die Galliumtrihalogenide auch im festen Zustand dimer. Die
Halogenatome bilden eine hexagonal-dichteste Kugelpackung, in der 16 der Te-
traederlücken besetzt ist. Auch sonstige Moleküle, die aus verknüpften Tetra-
edern aufgebaut sind, packen sich oft nach dem Prinzip der dichtesten Kugel-
packung mit besetzten Tetraederlücken, zum Beispiel Cl2 O7 oder Re2 O7 .
17.6 Spinelle 303
17.6 Spinelle
Kugelpackungen, in denen sowohl Tetraeder- wie auch Oktaederlücken besetzt
sind, treten meist dann auf, wenn Atome verschiedener Elemente vorhanden
sind, von denen die einen eine oktaedrische, die anderen eine tetraedrische Ko-
ordination mit den Atomen der Kugelpackung eingehen. Häufig sind solche
Kombinationen bei den Strukturen der Silicate (vgl. Abschnitt 16.7). Ein wei-
terer wichtiger Strukturtyp dieser Art ist der Spinell-Typ. Spinell ist die Verbin-
dung MgAl2 O4 , und allgemein haben Spinelle die Zusammensetzung AM2 X4 .
Es handelt sich überwiegend um Oxide, außerdem gibt es Sulfide, Selenide,
Halogenide und Pseudohalogenide dieses Typs.
Im folgenden wollen wir zunächst einmal einen Aufbau aus Ionen an-
nehmen. Im Spinell bilden die Sauerstoffionen eine kubisch-dichteste Ku-
gelpackung. 23 der Metallionen besetzen Oktaederlücken, der Rest Tetra-
ederlücken. In einem normalen“ Spinell befinden sich die A-Ionen in den
”
Tetraeder-, die M-Ionen in den Oktaederlücken, was wir mit den Indices T und
O zum Ausdruck bringen, zum Beispiel MgT [Al2 ]O O4 . Da die Tetraederlücken
kleiner als die Oktaederlücken sind, sollten die A-Ionen kleiner als die M-
Ionen sein. Auffälligerweise wird diese Bedingung in vielen Spinellen nicht
erfüllt, und genauso auffällig ist das Auftreten der inversen“ Spinelle, bei de-
”
nen die M-Ionen je zur Hälfte Tetraeder- und Oktaederplätze und die A-Ionen
Oktaederplätze einnehmen. Tabelle 17.3 gibt eine Übersicht, in der auch eine
Einteilung nach den Oxidationszahlen der Metallionen erfolgt.
Zwischen normalen und inversen Spinellen gibt es auch beliebige Zwischen-
stufen, die man durch den Inversionsgrad λ kennzeichnen kann:
λ = 0: normaler Spinell; λ = 0, 5: inverser Spinell
Die Verteilung der Kationen auf Tetraeder- und Oktaederplätze wird dann
folgendermaßen zum Ausdruck gebracht: (Mg1−2λ Fe2λ )T [Mg2λ Fe2(1−λ ) ]O O4 .
Der Wert von λ ist temperaturabhängig. Zum Beispiel ist MgFe2 O4 bei Raum-
temperatur mit λ = 0, 45 weitgehend invers.
Die Schwierigkeiten, die Kationenverteilung und das Auftreten von inversen
Spinellen auf der Basis von Ionenradien zu verstehen, zeigt uns, wie unzurei-
chend die Betrachtung nur aufgrund von Ionenradien ist. Etwas aussagekräfti-
ger sind Werte für den elektrostatischen Anteil der Gitterenergie, wobei die be-
rechnete M ADELUNG-Konstante als Richtwert dienen kann. Für einen II,III-
Spinell mit einer unverzerrten Kugelpackung ist die M ADELUNG-Konstante
des normalen Spinells 1,6 % kleiner als die des inversen, d. h. die inverse
Verteilung ist danach etwas günstiger. Die Verhältnisse kehren sich aber um,
wenn kleine Verzerrungen der Kugelpackung berücksichtigt werden, die bei
den meisten Spinellen beobachtet werden (Aufweitung der Tetraederlücken).
Tatsächlich sind Spinelle keine reinen Ionenverbindungen, und es reicht nicht
aus, nur elektrostatische Wechselwirkungen zu beachten. Bei Übergangsme-
tallverbindungen kommen die Aspekte der Ligandenfeldtheorie hinzu, was am
Beispiel der Spinelle Mn3 O4 , Fe3 O4 und Co3 O4 erläutert werden möge. Die
relativen Ligandenfeld-Stabilisierungsenergien betragen, als Vielfache von ΔO
ausgedrückt (vgl. Tab. 9.1, S. 120):
Mn2+
O 0 Fe2+
O
2
5 = 0, 4 Co2+
O
4
5 = 0, 8
Mn2+
T 0 Fe2+
T
3
5 · 4
9 = 0, 27 Co2+
T
6
5 · 49 = 0, 53
Mn3+
O
3
5 = 0, 6 Fe3+
O 0 Co3+
O
2
5 = 0, 4
Mn3+
T
2
5 · 49 = 0, 18 Fe3+
T 0 Co3+
T
3
5 · 49 = 0, 27
Dabei wurde für tetraedrische Ligandenfelder ΔT = 49 ΔO gesetzt. Mn3 O4 ist ein
normaler Spinell, MnIIT [MnIII2 ]O O4 . Bei Übergang zum inversen Spinell müßte
III
die Hälfte der Mn -Atome aus der Oktaeder- in die Tetraederumgebung wech-
seln, was für diese Atome eine verringerte Ligandenfeld-Stabilisierung bedeu-
ten würde (Tab. 17.4); für die MnII -Atome wäre der Wechsel ohne Bedeutung.
T [Fe Fe ]O O4 . Für die Fe -Atome würde
Fe3 O4 ist ein inverser Spinell, FeIII II III III
der Platzwechsel nichts bringen; für die FeII -Atome wäre der Wechsel dagegen
nachteilig (0,4 ΔO → 0, 27 ΔO ).
2 ]O O4 , ist
Im Falle des Co3 O4 , welcher ein normaler Spinell ist, CoIIT [CoIII
die Situation anders, weil oktaedrisch koordiniertes CoIII fast nie in High-
Spin-Komplexen vorkommt (bei seiner d 6 -Konfiguration hat die Ligandenfeld-
Stabilisierungsenergie ihr Maximum im Low-Spin-Zustand). Wenn Co3+ O einen
17.6 Spinelle 305
MnII 0 0
MnIII 2×0,6 = 1,2 0,18 + 0,6 = 0,78
1,2 ΔO 0,78 ΔO
T [Fe2 ]O O4
FeII T [Fe Fe ]O O4
III FeIII II III
T [Co2 ]O O4
CoII T [Co Co ]O O4
III CoIII II III
O Al O Al
R L
Abb. 17.16: Die Spinellstruktur (eine Elementarzelle). Die Mg2+ -Ionen befinden sich
in den Mitten der Tetraeder (Stereobild)
F d 3 m; Mg 8a 0, 0, 0; Al 16d 58 , 58 , 58 ; O 32e 0, 387, 0, 387, 0, 387
Die Koordination eines O2− -Ions ist: innerhalb des Al4 O4 -Würfels an drei
Al3+ -Ionen, außerdem an ein Mg2+ -Ion. Damit erfüllt es die elektrostatische
Valenzregel (zweite PAULING-Regel, vgl. S. 90); die Summe der elektrostati-
schen Bindungsstärken der Kationen ergibt genau die Ladung für ein O2− :
z(O) = −( 3 · 36 + 1 · 24 ) = −2
3 Al3+ 1 Mg2+
Auch bei inversen Spinellen ist die PAULING-Regel erfüllt. Der in der
PAULING-Regel geforderte lokale Ladungsausgleich zwischen Kationen und
Anionen bedingt die Auswahl der besetzten Oktaeder- und Tetraederlücken der
Kugelpackung.
Der oben erwähnte Einfluß des Ligandenfelds auf die Metallatome ist er-
kennbar, wenn Metallatome mit JAHN -T ELLER-Verzerrung im Spinell vorhan-
den sind. Das genannte Mn3 O4 ist ein Beispiel, seine Oktaederlücken sind ge-
dehnt, die Struktur ist nicht mehr kubisch, sondern tetragonal. Weitere Bei-
spiele mit tetragonaler Verzerrung sind die normalen Spinelle NiCr2 O4 und
CuCr2 O4 (Ni bzw. Cu in Tetraederlücken); in ersterem sind die Tetraeder ge-
dehnt, in letzterem gestaucht.
Olivin (Mg,Fe)2 SiO4 ist das häufigste Mineral des oberen Erdmantels. Bei
ihm bilden die Sauerstoffatome eine hexagonal-dichteste Kugelpackung. Ein
17.7 Übungsaufgaben 307
Achtel der Tetraederlücken ist mit Si-Atomen besetzt. Die Hälfte der Okta-
ederlücken ist mit Mg- und Fe-Atomen in statistischer Verteilung besetzt. Die
Magnesiumatome nehmen also die andere Sorte von Lücken ein als im Spi-
nell. Damit hängt die ca. 6 % geringere Dichte des Olivins zusammen. Unter
Druck wandelt sich Olivin in einen Spinell um. Diese Umwandlung findet in
410 km Tiefe dort statt, wo sich der Erdmantel in einer Subduktionszone unter
eine Kontinentalplatte schiebt. Dabei bilden sich zunächst Linsen“ aus Spinell
”
mit Grenzflächen zum noch nicht umgewandelten Olivin. An den Grenzflächen
können Olivin und Spinell aneinandergleiten. Die Linsen stellen deshalb eine
Schwächezone dar, die sich so ähnlich verhält wie eine Zone mit Rissen (man
nennt sie auch Antirisse“ weil die Dichte in ihnen größer ist als im umgeben-
”
den Material). Solche Zonen sind die Herde für tiefliegende Erdbeben.
17.7 Übungsaufgaben
17.1 Nehmen Sie an, die in Abb. 17.2(a) gezeigte Verknüpfung der Tetraeder werde zu
einer Schicht fortgesetzt. Welche Zusammensetzung ergibt sich?
17.2 Warum sind die in Abb. 16.10 gezeigten MX3 -Stränge nur mit einer hexagonal-
dichtesten Packung von X-Atomen vereinbar?
17.3 Welche Strukturtypen sind für TiN, FeP, FeSb, CoS und CoSb zu erwarten?
17.4 Warum kommen bei CdI2 und bei BiI3 viel häufiger Stapelfehler vor als bei CaBr2
oder RhF3 ?
17.5 Welcher Bruchteil der Tetraederlücken ist in festem Cl2 O7 besetzt?
17.6 Welcher der folgenden Spinelle sollte aufgrund der Ligandenfeld-Stabilisierungs-
energie normal oder invers sein:
MgV2 O4 , VMg2 O4 , NiGa2 O4 , ZnCr2 S4 , NiFe2 O4 ?
308
Pmm2 fi fi fi P4 fi ⁄ fi
fi fi fi ⁄ fi ⁄
➤ b
t2 t2
➤
a
fi fi fi fi fi fi
➤
➤
P2 fi fi fi P2 fi fi fi
fi fi fi fi fi fi
Abb. 18.1: Beispiele für translationengleiche Untergruppen: Links: Fortfall von Spie-
gelebenen; Rechts: Verringerung der Zähligkeit von Drehachsen von 4 auf 2. Die Kreise
◦ bzw. • bezeichnen jeweils symmetrieäquivalente Positionen
➤
a
fi fi fi fi fi
Cmm2 fi fi fi Pmm2 fi fi fi
fi fi fi fi fi
fi fi fi
k2
k2
2a, b, c
fi fi fi
➤
fi fi fi
➤
Pmm2 fi fi fi Pma2
fi fi fi
fi fi fi
Abb. 18.2: Beispiele für klassengleiche Untergruppen: Links: Fortfall einer Zentrie-
rung, zugleich Verlust von Gleitspiegelebenen und zweizähligen Achsen. Rechts: Ver-
größerung der Elementarzelle, zugleich Abbau der Spiegelebenen senkrecht zu b zu
Gleitspiegelebenen. Die Punkte ◦ bzw. • bezeichnen jeweils symmetrieäquivalente
Positionen
es für Atome einer Sorte eine energetisch günstigste Umgebung, die von al-
len Atomen dieser Sorte angestrebt wird. Gleiche Atome sind im Sinne der
Quantenmechanik ununterscheidbare Teilchen. Die Ununterscheidbarkeit von
Atomen im Kristall ist aber nur dann gewährleistet, wenn sie symmetrieäqui-
valent sind, denn nur dann ist ihre Umgebung gleich.
Am Beispiel der dichtesten Kugelpackungen wird das deutlich: nur in
der kubisch- und in der hexagonal-dichtesten Kugelpackung sind alle Ato-
me jeweils symmetrieäquivalent. In anderen Stapelvarianten von dichtesten
Kugelpackungen sind mehrere nichtäquivalente Atomlagen vorhanden; diese
Packungen kommen relativ selten vor.
Nicht immer lassen die gegebenen Bedingungen für alle Atome äquivalente
Lagen zu. Nehmen wir als Beispiel folgende Bedingungen: Zusammensetzung
MX5 , kovalente M–X-Bindungen, alle X-Atome an M-Atome gebunden. In
diesem Fall können alle X-Atome nur dann äquivalent sein, wenn jeweils fünf
davon ein regelmäßiges Fünfeck um ein M-Atom bilden; wenn die Bindungs-
verhältnisse dies nicht zulassen, so muß es wenigstens zwei nichtäquivalen-
te X-Atomlagen geben. Nach dem Symmetrieprinzip wird die Anzahl dieser
nichtäquivalenten Lagen möglichst klein sein.
Diamant–Zinkblende
Die Gruppe-Untergruppe-Beziehung für den Symmetrieabbau von Diamant
zu Zinkblende ist in Stammbaum 18.1 gezeigt. Dort finden sich auch eini-
ge erläuternde Kommentare zur Terminologie. In beiden Strukturen haben
die Atome identische Koordinaten und Punktlagensymmetrien. Die Diamant-
Elementarzelle enthält acht symmetrieäquivalente C-Atome in der Punktlage
8a. Bei der Symmetrieerniedrigung spaltet sich die Punktlage in die vonein-
ander unabhängigen Lagen 4a und 4c auf, die in der Zinkblende von Zink-
und Schwefelatomen eingenommen werden. Die Raumgruppen sind transla-
tionengleich, die Maße der Elementarzellen entsprechen einander. Der Index
des Symmetrieabbaus ist 2; es fällt genau die Hälfte aller Symmetrieoperatio-
nen fort, darunter alle Inversionszentren, die sich im Diamanten in den Mitten
der C–C-Bindungen befinden.
18.3 Verwandtschaften durch Gruppe-Untergruppe-Beziehungen 315
Element
↓
C: 8a ← Wyckoff-Symbol
F 41/d 3 2/m 4 3 m ← Punktlagensymmetrie
Aristotyp Diamant 0 ←x
0 ←y
0 ←z
translationen- −→ t2
gleiche Unter-
gruppe vom
➤
➤
➤
Index 2 S: 4a Zn: 4c
F 4 3 m 43m 43m
1
Hettotyp Zinkblende 0 4
1
0 4
0 1
4
_N 7 -..14....?
1 4
K . .. 1 1
bN : ..41i .... Ò. . . .. 4-≥˝ 41
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4
Ni: 2a As: 2c 1
4
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P 63/m 2/m 2/c 3m 6m2 4l ?
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t3 1 ◊ 1 4 :
a, a+2b, c x − 12 y, 12 y, z
7
4 4
0; 1
1 .. 3
. 2
1 ➤ 1
4
: 4 .. 4 7 :
➤
➤
m ffl
Ò Ò fflÒ. ˚ 14
4
1
. .
➤
4a 4c 4
.. .. ..
4k . Ò. Ò. .. ł 14
1 . ..
C 2/m 2/c 21/m 2/m m2m . .
4m Ò fflÒ. Ò. ˚ 14
1
0 0 .
. . . . ..
4k . Ò. Ò. .. ł 14
0 0,333
1 . ..
. .
4m ffl Ò Ò fflÒ ˚ 14
k2 0 1 1
4
– 41 , – 41 , 0 ◊ › ◊ › ◊
x+ 14 , y+ 14 , z ➤ 1
4 7 7 7 1
4k
ł4
➤
➤
1
Mn:4c P:4c .. .. ➤ b
➤
ffl. ffl. ffl a
➤
P 21/m 21/c 21/n m m .. ..
4k
ł 14
1
1 1 .. ..
MnP 4
0,214 0,581
4
ffl. ffl. ffl
. .
4k
ł 14
1
0,013 0,207
0,01 ffl ffl ffl
› Mn 0,51
› 0,21 0,71 ›
P
Stammbaum 18.2: Die Beziehung zwischen NiAs und MnP. Zahlen in den Bildern:
z-Koordinaten
Im ersten Schritt geht die hexagonale Symmetrie verloren, wozu eine leich-
te Verzerrung des Gitters ausreichen würde. Um den Konventionen zu entspre-
chen, müssen wir für die orthorhombische Untergruppe eine C-zentrierte Zelle
verwenden. Wegen der Zentrierung ist die Zelle translationengleich, obwohl sie
doppelt so groß ist. Die zugehörige Zellentransformation ist in der Mitte des
Gruppe-Untergruppe Pfeils vermerkt. Beim zweiten Schritt wird die Zentrie-
rung aufgehoben, womit die Hälfte der Translationen verlorengeht; es handelt
sich also um eine klassengleiche Reduktion vom Index 2.
Den Bildern in Stammbaum 18.2 kann man ersehen, welche Symmetrie-
elemente bei den beiden Schritten des Symmetrieabbaus verlorengehen. Im
18.3 Verwandtschaften durch Gruppe-Untergruppe-Beziehungen 317
zweiten Schritt entfällt unter anderem die Hälfte der Inversionszentren. Die
entfallenden Inversionszentren der Raumgruppe C 2/m 2/c 21/m (kurz C m c m)
sind diejenigen der Punktlagen 4a (0,0,0) und 4b ( 12 ,0,0), während diejeni-
gen in der Punktlage 8d ( 14 , 14 ,0) erhalten bleiben. Da auch in der Untergruppe
P 21/m 21/c 21/n (kurz P m c n) der Ursprung in einem Inversionszentrum liegen
soll, ist eine Ursprungsverschiebung um − 14 , − 14 , 0 erforderlich. Diese ist im
Gruppe-Untergruppe-Pfeil vermerkt. Diese Verschiebung bedingt eine Addi-
tion von 14 , 14 , 0 bei den Koordinaten. Die notwendigen Koordinatenumrech-
nungen sind zwischen den Kästchen mit den Koordinatenwerten angegeben.
Nach Addition von 14 , 14 , 0 zu den in Stammbaum 18.2 genannten Koordina-
ten für die Raumgruppe C m c m kommen wir zu Idealwerten einer unverzerrten
Struktur in P m c n. Wegen der fehlenden Verzerrung wäre die Symmetrie aber
immer noch C m c m. Erst durch die Verrückung der Atome von den Idealwerten
kommen wir zur Raumgruppe P m c n. Die Abweichungen betreffen vor allem
die y-Koordinate des Mn-Atoms (0,214 statt 14 ) und die z-Koordinate des P-
Atoms (0,207 statt 14 ). Das sind recht kleine Abweichungen, so daß man MnP
mit gutem Grund als Verzerrungsvariante des NiAs-Typs bezeichnen kann.
Die oben aufgezeigte Beziehung zwischen Diamant und Zinkblende ist ei-
ne formale Betrachtung. Die Substitution von Kohlenstoffatomen gegen Zink-
und Schwefelatome ist nicht tatsächlich ausführbar. Die Verzerrung der NiAs-
Struktur gemäß Stammbaum 18.2 läßt sich hingegen tatsächlich ausführen.
Dies geschieht bei Phasenumwandlungen (Abschnitt 18.4). Bei MnAs findet
diese Phasenumwandlung zum Beispiel bei 125 ◦ C statt (NiAs-Typ oberhalb
von 125 ◦ C, Phasenumwandlung zweiter Ordnung; MnAs wandelt sich bei
45 ◦ C nochmals um, s. S. 346).
πb
= −a + b
① 3 ② ③ ˚b
4
1
4
③
hexagonal c
= c
•a rhomboedrisch c
= 3c
Ÿ a
= 2a + b
Abb. 18.3: Ausschnitt aus der hexagonal-dichtesten Kugelpackung. Grau unterlegt: Ele-
mentarzelle, Raumgruppe P 63/m 2/m 2/c. Große Zelle: Basisfläche der verdreifachten
Zelle mit c
= c für hexagonale und c
= 3c für rhomboedrische Untergruppen (mit
hexagonaler Achsenaufstellung). Die angegebenen z-Koordinaten der Kugeln beziehen
sich auf c
= c. Die mit ①, ② und ③ markierten schwarzen Punkte bezeichnen sechs
Oktaederlücken in z = 0 und z = 12 (bei c
= c) bzw. z = 0 und z = 16 (bei c
= 3c)
Als Aristotyp kann man entweder die Kugelpackung selbst ansehen, bei der
sich aus den anfangs symmetrieäquivalenten Lücken nichtäquivalente Lagen
ergeben, wenn Atome eingefügt werden, oder man kann vom NiAs-Typ aus-
gehen. Bei diesem sind alle Oktaederlücken (Punktlage 2a) besetzt, die Raum-
gruppe ist die gleiche wie die der Kugelpackung, die Untergruppen ergeben
sich durch Herausnahme oder Substitution von Ni-Atomen.
Die einzige maximale Untergruppe von P 63/m 2/m 2/c, der Raumgruppe der
hexagonal-dichtesten Kugelpackung, bei der es zu einer Aufspaltung der Lage
2a in zwei unabhängige Lagen kommt, ist P 3 2/m 1. Ist die eine Lage davon
besetzt, die andere nicht, ist das der CdI2 -Typ.
In Abb. 18.3 ist gezeigt, wie man die Elementarzelle der hexagonal-
dichtesten Kugelpackung verdreifachen kann. Bleibt der Basisvektor c (in
Blickrichtung) unverändert, so ist die neue Zelle hexagonal oder trigonal. Wird
c verdreifacht, verbunden mir einer Zentrierung in 23 , 13 , 13 und 13 , 23 , 23 , dann ist
die neue Zelle rhomboedrisch. Die Zelle selbst ist dann zwar verneunfacht, we-
gen der Zentrierung ist die primitive Zelle aber ebenfalls nur verdreifacht. In
18.3 Verwandtschaften durch Gruppe-Untergruppe-Beziehungen 319
beiden Fällen enthält die primitive Zelle sechs Kugeln (X-Atome) und sechs
Oktaederlücken. Werden zwei der Oktaederlücken besetzt und vier frei gelas-
sen, ergibt sich die Zusammensetzung M2 X6 oder MX3 .
Stammbaum 18.3 zeigt, wie sich die Strukturen einiger Verbindungen MX3
und M2 X3 mit den genannten, verdreifachten Zellen von der hexagonal-
dichtesten Kugelpackung ableiten lassen.
Anstelle von numerischen Angaben zu den Punktlagen sind bei den Raum-
gruppen zwei oder sechs Kästchen gezeigt, die für die Oktaederlücken in der
Elementarzelle stehen. Das Bildchen links oben gibt an, auf welche Koordina-
ten sich die zugehörigen Oktaederlücken beziehen (vgl. Abb. 18.3). Die Punkt-
lagen der Oktaedermitten sind durch die Wyckoff-Buchstaben bezeichnet; glei-
che Buchstaben bedeuten symmetrieäquivalente Oktaeder. Der Symmetrieab-
bau von oben nach unten läßt sich an der Zunahme der Menge verschiedener
Buchstaben erkennen.
Im rechten Zweig des Stammbaums sind rhomboedrische Untergruppen
aufgeführt. Beim klassengleichen Abbau P 3 1 2/c —k3→ R 3 2/c erfolgt die
Verdreifachung der Elementarzelle. Aus den zwei Oktaederlücken der Punkt-
lage 2b von P 3 1 2/c ergeben sich sechs Oktaederlücken der Punktlagen 2b und
4c von R 3 2/c. Wird die Punktlage 2b besetzt und 4c frei gelassen, so ist das
der RhF3 -Typ. Wird umgekehrt 4c besetzt und 2b frei gelassen, entspricht das
dem Korund (α -Al2 O3 ). Beim nächsten Schritt R 3 2/c —t2→ R 3 spalten sich
die Punktlagen weiter auf. Je nachdem, welche davon besetzt werden, ergeben
sich die Strukturtypen BiI3 , Ilmenit (FeTiO3 ), WCl6 und LiSbF6 .
Im linken Zweig sind drei Strukturtypen der Zusammensetzung MX3 ge-
nannt. Das hexagonale TiI3 hat Stränge aus flächenverknüpften, besetzten
Oktaedern in Richtung c (übereinanderliegende graue Kästchen; vgl. auch
Abb. 16.10, S. 257). Bei OAg3 sind die Oktaeder schichtenweise kantenver-
knüpft wie im BiI3 -Typ (nebeneinanderliegende graue Kästchen; vgl. auch
Abb. 16.8, S. 254). Bei NNi3 sind die besetzten Oktaeder eckenverknüpft.
In der unteren Reihe des linken Zweigs tauchen drei MX3 -Strukturen auf,
deren Besetzungsmuster genauso ist wie bei TiI3 , OAg3 und NNi3 . Die Sym-
metrie ist jedoch noch weiter abgebaut, weil in allen drei Fällen die Atome aus
den Oktaedermitten herausgerückt sind, was durch die Punkte • angedeutet
ist. Beim RuBr3 sind die Ru-Atome paarweise aufeinander zugerückt (Ru–
Ru-Bindungen). Bei PI3 haben die P-Atome einsame Elektronenpaare. Die
P-Atome sind jeweils in Richtung +c auf eine Oktaederfläche zugerückt, womit
sich drei kurze P–I-Bindungen und drei lange P· · · I-Kontakte ergeben. Ähnlich
320 18 SYMMETRIE ALS ORDNUNGSPRINZIP
➤
a
t2
➤
➤
➤
x = 0 13 32
➤
y= 0 2 1 k3 2a+b
➤
3 3 2a+b, –a+b, c
① ② ③
➤
P 3 1 2/c
(vgl. Abb. 18.3) a(RuBr3 )
b
b
➤
➤
➤
P 3 1 2/m P 63 2 2 R 3 2/c
∗
➤
t2 t2 t2
k2
➤
➤
➤
4,−4,0
1 1
P3 P 63 R3
➤
• g g
➤
WCl6 : W auf a
• g g
d1 b2 LiSbF6 : Li auf a,
➤
Ca: 2a Cl: 4 f
P 42/m 21/n 2/m mmm m2m a = b = 637, 9 pm
0 0,303 c = 419, 3 pm
CaCl2 , > 490 K
0 0,303 bei 520 K
(Rutil-Typ)
0 0
t2
➤
➤
Ca: 2a Cl: 4g
P 21/n 21/n 2/m 2/m m a = 625, 9 pm
0 0,275 b = 644, 4 pm
CaCl2 , < 490 K
0 0,325 c = 417, 0 pm
(CaCl2 -Typ) bei 290 K
0 0
fi fi fi
a b c
spiegelbildlich zum anderen angeordnet ist (Abb. 18.4). Es können auch zahl-
reiche einander abwechselnde Domänen vorhanden sein, die sich manchmal
durch ein gestreiftes Aussehen der Kristalle zu erkennen geben (polysynthe-
tischer Zwilling). Das eine Zwillingsindividuum wird in das andere durch
irgendeine Symmetrieoperation überführt, beim Schwalbenschwanz-Zwilling
zum Beispiel durch eine Spiegelung. Bei den Dauphiné-Zwillingen“ beim
”
Quarz sind es zweizählige Drehungen (Abb. 18.4). Auch drei- oder vierzählige
Achsen sind als Symmetrieelemente (Zwillingselemente) zwischen den Indivi-
duen möglich, die Kristalle sind dann Drillinge oder Vierlinge. Das Zwillings-
element ist nicht ein Symmetrieelement der Raumgruppe der Struktur, es muß
aber mit den strukturellen Gegebenheiten vereinbar sein.
Mit der Bildung von Zwillingen muß man rechnen, wenn eine Phasenum-
wandlung von einer höher- zu einer niedrigersymmetrischen Raumgruppe statt-
findet und dabei eine translationengleiche Gruppe-Untergruppe-Beziehung
vorkommt. Handelt es sich um eine translationengleiche Untergruppe vom In-
dex 2, so entstehen Zwillinge, bei Index 3 Drillinge und bei Index 4 Vierlin-
ge (höhere Indices gibt es bei translationengleichen maximalen Untergruppen
nicht). Wenn in mehreren Schritten des Symmetrieabbaus zwei translationen-
gleiche Untergruppen vom Index 2 vorkommen, können Zwillinge von Zwil-
lingen entstehen. Bei temperaturinduzierten Phasenumwandlungen hat in aller
Regel die Hochtemperaturmodifikation die höhere Symmetrie.
Die Dauphiné-Zwillinge des Quarzes entstehen, wenn sich Quarz bei 573 ◦ C
von seiner Hochtemperaturform (β - oder Hochquarz) in die Tieftemperatur-
form (α - oder Tiefquarz) umwandelt. Die Raumgruppe von Tiefquarz ist eine
18.4 Symmetriebeziehungen bei Phasenumwandlungen 325
1
N : 1
0
6 3
∏1
Si: 3d O: 6i b > 6
fi
1
P 62 2 2 222 2 3
1
Hochquarz 2 0,416 l > fi ˛
0 0,208
1 2 fi
€
fi
2 3
1
6
>Æ
t2 t2 ”1 fi 1
3
0, 0, 13 0, 0, 13 x, y, z– 13 3
> 1 ²
➤ ◊ 6
➤
Si: 3b O: 6c Si: 3b O: 6c
➤
P 32 2 1 2 1 P 32 2 1 2 1
Tiefquarz 0,470 0,405 Tiefquarz 0,530 0,405
Zwilling 1 0 0,263 Zwilling 2 0 0,142
1 0,287 1 0,380
6 6
1
6 : 1
6
:
∏1 ∏1 ➤ b
b 3 b 3
➤
a
€1 €1
3 Æ 3 Æ
1
6 ◊ 1
6 ◊
Stammbaum 18.5: Gruppe-Untergruppe-Beziehung und Zwillingsbildung bei der Pha-
senumwandlung β -Quarz → α -Quarz (Dauphiné-Zwillinge)
18.5 Übungsaufgaben
18.1 Zu den Lösungen der folgenden Aufgaben kann man schnell gelangen, wenn man
Bilder von Symmetrieachsen in der Art wie in Abb. 3.4, S. 31, zu Hilfe nimmt.
(a) Eine Raumgruppe (z. B. P 3) möge dreizählige Drehachsen parallel zu c haben. Wel-
che Art von Schraubenachsen können übrigbleiben, wenn c verdreifacht wird?
(b) Die Raumgruppe P 31 hat dreizählige Schraubenachsen parallel zu c. Welche
Schraubenachsen bleiben in der maximalen Untergruppe bei verdoppeltem c?
(c) Eine Raumgruppe (z. B. P 21 ) möge zweizählige Schraubenachsen parallel zu b ha-
ben. Kann diese Raumgruppe klassengleiche oder isomorphe, maximale Untergruppen
haben, bei denen b verdoppelt oder verdreifacht ist?
18.2 Ermitteln Sie, ob die folgenden Gruppe-Untergruppe-Beziehungen translationen-
gleich, klassengleich oder isomorph sind. Wenn die Elementarzelle der Untergruppe
vergrößert ist, ist dies im Pfeil angegeben.
18.5 Übungsaufgaben 327
⇑ ⇑ ⇑ ⇑
=⇒ + − + − + − + −
−→
− + − + ⇐= − + − +
⇓ ⇓ ⇓ ⇓
Abb. 19.1: Scherkräfte auf einen Ionenkristall (links) führen zur Spaltung (rechts)
Ionenkristalle haben mäßige bis mittlere Härte, wobei solche mit höher gela-
denen Ionen härter sind (z. B. NaCl Härte 2, CaF2 Härte 4). Quarz mit seinem
Netzwerk von polaren kovalenten Bindungen ist härter (Härte 7). Die Ober-
flächen von Stoffen mit Härte unter 7 werden im Alltag matt, weil sie von
Quarzteilchen im Staub allmählich verkratzt werden. Der unterschiedlich star-
ke Zusammenhalt aufgrund von kovalenten Bindungen und durch Ionenanzie-
hung wird beim Verhalten der Glimmer deutlich. Glimmer bestehen aus anioni-
schen Schichten, die durch kovalente Bindungen zusammengehalten werden.
Zwischen den Schichten befinden sich Kationen. Glimmer lassen sich leicht
parallel zu den Schichten spalten, wobei Platten mit Flächen von mehreren
Quadratdecimetern und einer Dicke von weniger als 0,01 mm möglich sind.
Ionenkristalle lassen sich in definierten Richtungen spalten. Abb. 19.1 zeigt,
warum es bei einer äußeren Krafteinwirkung zur Spaltung kommt: Wird durch
Scherkräfte ein Teil eines Kristalls gegen den anderen verschoben, so kommen
Ionen gleicher Ladung nebeneinander zu liegen und stoßen sich ab. Die Ver-
schiebung erfolgt am leichtesten entlang von Ebenen, an denen es die geringste
Anzahl von Kation-Anion-Kontakten gibt. Im Kochsalz hat zum Beispiel ein
Na+ -Ion einen Cl− -Nachbarn, wenn man in Richtung parallel zu einer Ele-
mentarzellenkante blickt, zwei Nachbarn in Richtung diagonal dazu und drei
in Richtung der Raumdiagonalen. Ein NaCl-Kristall spaltet sich am leichtesten
senkrecht zur Zellenkante.
Metalle verhalten sich anders, weil die Metallatome in ein Elektronengas
eingebettet sind. Die anziehenden Bindungskräfte bleiben auch erhalten, wenn
es zu einer gegenseitigen Verschiebung von Kristallteilen kommt. Metalle sind
deshalb ohne Bruch verformbar.
Keramische Werkstoffe sind überwiegend Oxide (MgO, Al2 O3 , Silicate,
ZrO2 ), zum Teil auch Nitride (BN, AlN, Si3 N4 ) oder Carbide (B4 C, SiC, WC).
330 19 PHYSIKALISCHE EIGENSCHAFTEN VON FESTKÖRPERN
Wegen der kurzen Reichweite der chemischen Bindungskräfte führt ein einge-
tretener Bruch zu einer drastischen Verringerung der Festigkeit des Materials.
Am Ende eines Haarrisses sind die mechanischen Kräfte am größten, dort reißt
das Material weiter ein. In der sich daraus ergebenden Sprödigkeit liegt einer
der größten Nachteile von keramischen Werkstoffen. Ein Material, bei dem
dieses Problem weitgehend gelöst ist, ist Zirconiumdioxid. ZrO2 bildet mehre-
re Modifikationen: bei Temperaturen über 2370 ◦ C hat es die kubische CaF2 -
Struktur (Zr-Atome mit K.Z. 8), zwischen 1170 und 2370 ◦ C liegt eine leicht
verzerrte, tetragonale CaF2 -Struktur vor (Zr-Koordination 4 + 4) und unterhalb
von 1170 ◦ C ist Baddeleyit die stabile Form; das ist eine stärker verzerrte Va-
riante des CaF2 -Typs, bei der ein Zr-Atom nur noch die Koordinationszahl 7
hat. Durch Zusatz von wenigen Prozent Y2 O3 kann die tetragonale Form auch
bei Raumtemperatur stabilisiert werden. Die Baddeleyit-Struktur beansprucht
ein um 7 % größeres Volumen als die tetragonale Modifikation, und deshalb ist
reines ZrO2 ungeeignet für Hochtemperaturkeramik; es springt, wenn es über
den Umwandlungspunkt bei 1170 ◦ C erhitzt wird. Gerade den Volumeneffekt
macht man sich aber zunutze, um die Sprödigkeit zu verringern, womit ZrO2
zu einem keramischen Hochleistungsmaterial wird. Solches Material besteht
aus partiell stabilisiertem“ tetragonalem ZrO2 , d. h. es wird durch Zusätze in
”
dieser Modifikation metastabil gehalten. Tritt an einem Haarriß eine starke me-
chanische Beanspruchung auf, dann wandelt sich das ZrO2 an dieser Stelle in
die Baddeleyit-Form um, und durch die Volumenzunahme heilt der Riß aus.
– –
–
–
+ – –+
– +
+
+ + +
Abb. 19.2: Zur Deutung des piezoelektrischen Effektes: Durch äußeren Druck verur-
sachte Deformation eines Koordinationstetraeders und die resultierende Verschiebung
der Ladungsschwerpunkte
Ferroelektrizität
Bei manchen kristallinen Substanzen stimmen die Schwerpunkte der positi-
ven und der negativen Ladungen von vornherein nicht überein, d. h. es sind
permanente Dipole vorhanden. Bezüglich der elektrischen Eigenschaften sind
folgende Fälle zu unterscheiden.
Eine paraelektrische Substanz ist makroskopisch nicht polarisiert, weil die
Dipole statistisch orientiert sind und die Dipole sich in ihrer Wirkung kompen-
sieren. Sie lassen sich aber durch ein äußeres elektrisches Feld mehr oder we-
niger ausrichten (Orientierungspolarisation). Der Ausrichtung wirkt die Tem-
peraturbewegung entgegen, d. h. je höher die Temperatur, desto geringer ist die
Polarisation.
Ein Elektret ist ein Kristall, dessen Dipole dauerhaft alle in eine Richtung
ausgerichtet sind. Der Kristall ist damit ein makroskopischer Dipol.
In einer ferroelektrischen Substanz sind die Dipole ebenfalls gleichmäßig
ausgerichtet, sie können aber durch ein von außen angelegtes elektrisches Feld
umgepolt werden. Ein vorher unbehandelter ( jungfräulicher“) Kristall besteht
”
häufig aus Domänen, und die gleiche Ausrichtung der Dipole ist innerhalb ei-
ner Domäne erfüllt. Von Domäne zu Domäne unterscheidet sie sich. Insgesamt
können sich die Dipolmomente der einzelnen Domänen in einer Probe kom-
pensieren. Wirkt ein äußeres elektrisches Feld auf die Probe, dann wachsen die
Domänen, deren Polarisation der Richtung des elektrischen Feldes entspricht,
auf Kosten der übrigen Domänen; die Gesamtpolarisation des Kristalls nimmt
zu (Kurve j in Abb. 19.3). Schließlich ist im ganzen Kristall nur noch eine
große Domäne vorhanden, und die Polarisation vergrößert sich mit zunehmen-
P
6
➤
➤
➤
➤
➤
➤
➤
➤
Ps s
Pr
➤
-
−Ek Ek E Abb. 19.3: Hysteresekurve eines
ferroelektrischen Kristalls. j =
Neukurve (jungfräuliche Kurve),
Pr = remanente Polarisation, Ps =
➤
➤ spontane Polarisation, Ek = Koer-
➤
➤
➤
➤
➤
zitivfeld
19.2 Piezo- und ferroelektrische Eigenschaften 333
dem elektrischen Feld nur noch wenig (Kurve s; die weitere Zunahme ist durch
die normale dielektrische Polarisation bedingt, die bei allen Substanzen durch
Polarisation der Elektronen auftritt). Verschwindet das äußere elektrische Feld,
dann bleibt eine remanente Polarisation Pr , d. h. der Kristall ist ein makrosko-
pischer Dipol. Um die remanente Polarisation zu beseitigen, muß ein entgegen-
gesetztes elektrisches Feld mit der Feldstärke Ek angelegt werden, das Koer-
zitivfeld. Der Wert Ps , die spontane Polarisation, entspricht der Polarisation
innerhalb einer Domäne.
Oberhalb einer definierten Temperatur, der C URIE-Temperatur, wird eine
ferroelektrische Substanz paraelektrisch, weil die thermische Schwingung der
Ausrichtung der Dipole entgegenwirkt. Das bei der ferroelektrischen Polarisa-
tion auftretende koordinierte Ausrichten der Dipole ist ein kooperatives Phäno-
men. Das beschriebene Verhalten ist demjenigen von ferromagnetischen Sub-
stanzen analog, daher die Bezeichnung ferroelektrisch; der Effekt hat nichts
mit Eisen zu tun (er wird auch Seignettesalz- oder Rochellesalzelektrizität ge-
nannt).
Die durch das elektrische Feld induzierte Polarisation ist erheblich größer
als bei nicht-ferroelektrischen Substanzen, und demzufolge sind die Dielektri-
zitätskonstanten erheblich größer. Vor allem BaTiO3 wird wegen dieser Eigen-
c
➤
➤ b
➤
➤
➤
➤
➤
➤
O O
Ba
W
Ti
Cl
Abb. 19.5: Struktur von ferroelektrischem BaTiO3 und Pb(Ti,Zr)O3 sowie der analoge
Aufbau im Elektret WOCl4
19.2 Piezo- und ferroelektrische Eigenschaften 335
Hauptquantezahl n = 1, 2, 3, . . .
Bahndrehimpulsquantenzahl (Nebenquantenzahl) l = 0, 1, 2, . . . , n − 1
Magnet-(Bahndrehimpuls-)Quantenzahl ml = −l, . . . , 0, · · · + l
Magnet-Spinquantenzahl ms = − 12 , + 12
Die Elektronen in einem Atom beeinflussen sich gegenseitig, ihre Spins und
ihre Bahndrehimpulse sind miteinander gekoppelt. Zwei gepaarte Elektronen
sind solche, die in allen ihren Quantenzahlen übereinstimmen, außer in der
Magnet-Spinquantenzahl. In solch einem Elektronenpaar kompensieren sich
die magnetischen Momente der beiden Elektronen. Ungepaarte Elektronen in
verschiedenen Orbitalen tendieren dazu, sich parallel auszurichten und ein ent-
sprechend stärkeres Magnetfeld zu erzeugen (H UNDsche Regel); sie haben die
gleiche Magnet-Spinquantenzahl und unterscheiden sich in irgendeiner ande-
ren Quantenzahl.
Substanzen, in denen nur gepaarte Elektronen vorkommen, sind diamagne-
tisch. Bringt man sie in ein äußeres Magnetfeld ein, so werden in den Mo-
lekülorbitalen elektrische Ströme induziert, deren Magnetfelder dem äußeren
Magnetfeld entgegengesetzt sind (L ENZsche Regel). Die Substanz wird da-
durch vom Magnetfeld abgestoßen; die zugehörigen Kräfte sind nur gering,
aber stets vorhanden.
In einer paramagnetischen Substanz sind ungepaarte Elektronen vorhanden.
Sehr häufig kann man die ungepaarten Elektronen bestimmten Atomen oder
Ionen zuordnen. Wirkt ein äußeres Magnetfeld auf eine paramagnetische Sub-
stanz ein, so richten sich die magnetischen Momente der Elektronen in die
Richtung dieses Feldes aus, die Probe wird magnetisiert, und eine Kraft zieht
die Substanz in das Feld. Durch Messung dieser Kraft kann die Magnetisierung
quantitativ ermittelt werden. Die thermische Bewegung wirkt der Ausrichtung
entgegen; je höher die Temperatur, desto geringer fällt die Magnetisierung der
Probe aus.
Als Maß für die Magnetisierung M dient das zusätzliche, durch die Ausrich-
tung erzeugte Magnetfeld. Es ist, abgesehen von sehr starken Magnetfeldern,
proportional zum äußeren Magnetfeld H:
M = χH
einheit abhängig. Eine davon unabhängige, stoffbezogene Größe ist die molare
magnetische Suszeptibilität χm :
χm = χ Vm = χg M
Dabei ist Vm das molare Volumen, M die Molmasse und χg = χ /ρ die üblicher-
weise erfaßte Massensuszeptibilität (ρ = Dichte).
Mit Hilfe der Suszeptibilität kann man die Stoffe bezüglich ihrer magneti-
schen Eigenschaften folgendermaßen einteilen:
χm < 0 diamagnetisch
χm > 0 paramagnetisch
χm 0 ferromagnetisch
Paramagnetismus
Die Temperaturabhängigkeit der molaren Suszeptibilität einer paramagneti-
schen Substanz folgt (bei nicht zu starkem Magnetfeld) dem C URIE -W EISS-
Gesetz:
C
χm = (19.3)
T −Θ
T = absolute Temperatur, C = C URIE-Konstante, Θ = W EISS-Konstante.
Der Graph bei Auftragung des Kehrwerts der gemessenen Suszeptibilität 1/χm
gegen T ist eine Gerade mit der Steigung 1/C, welche die Abszisse bei T = Θ
schneidet (Abb. 19.6). Für Θ = 0 vereinfacht sich die Beziehung zum klassi-
schen C URIE-Gesetz χm = C/T . Werte Θ = 0 werden im allgemeinen dann ge-
funden, wenn bei tieferen Temperaturen kooperative Effekte auftreten (Ferro-,
Ferri- oder Antiferromagnetismus). Die Gerade muß dann von höheren zu
tieferen Temperaturen extrapoliert werden (gestrichelte Linien in Abb. 19.6).
Für die weitere Diskussion beschränken wir uns auf den Fall einer Substanz,
in der nur eine Sorte von paramagnetischen Atomen (Atome mit ungepaarten
Elektronen) vorhanden ist. Mit dem atomaren magnetischen (Dipol-)Moment
μa wird erfaßt, wie stark magnetisch ein Atom ist. Je größer das atomare ma-
gnetische Moment, desto größer ist die Suszeptibilität; der quantitative Zusam-
menhang ist über die C URIE-Konstante gegeben:
NA2 μa2
C = μ0 (19.4)
3R
μ0 = magnetische Feldkonstante (Vakuumpermeabilität) = 4π · 10−7 VsA−1 m−1 ; NA =
AVOGADRO-Konstante, R = Gaskonstante
19.3 Magnetische Eigenschaften 339
TN TC
−1 /(mol m−3 ) < <
χm iT T
6 be b ei
s ch s ch
neti n eti
mag ag h
m sc
erro fe rri ti
tif ne
an m ag <
TC
ara i T
np be
rei ch
e tis
gn
ma
ro
fer
- T /K
Θ Θ 0 TN TC TC Θ
Das experimentell bestimmte magnetische Moment μeff für eine Probe, als
Vielfaches von μB ausgedrückt, erhält man durch Auflösung von Gleichung
(19.4) nach μa und Division durch μB :
μa 1 3R χm (T − Θ )
μeff = = χm (T − Θ ) = 800 (19.5)
μB μB μ0 NA2 mol−1 m3 K
Die Kopplung der Spins der Elektronen in einem Atom wird rechnerisch
durch Addition ihrer Magnet-Spinquantenzahlen erfaßt. Da sie sich in gepaar-
ten Elektronen jeweils auf Null addiert, genügt es, die ungepaarten Elektronen
zu betrachten. Die Spins von n ungepaarten Elektronen addieren sich im Sinne
der H UNDschen Regel zu einer Gesamtspinquantenzahl S = 12 n. Das magneti-
sche Moment dieser n Elektronen ist nicht die skalare Summe der einzelnen
magnetischen Momente der Elektronen; die Drehimpulse müssen vektoriell
addiert werden, unter Beachtung der speziellen Richtungen, die sie nach der
Quantentheorie haben können. Die Addition der Drehimpulsvektoren ergibt
einen Gesamtdrehimpulsvektor mit dem Betrag:
h
|S| = S(S + 1)
2π
Dazu gehört ein atomares magnetisches Moment von
μa = 2μB S(S + 1) (19.6)
340 19 PHYSIKALISCHE EIGENSCHAFTEN VON FESTKÖRPERN
Cr2+ : d 4 l = 2; L = +2 + 1 + 0 − 1 = 2; S = 4 × 12 = 2
➤
➤
➤
Cu2+ : d 9 l = 2; L = +2 + 2 + 1 + 1 + 0 + 0 − 1 − 1 − 2 = 2; S = 1
➤
➤
➤
➤
➤
➤
➤
Schließlich treten die aus dem Spin und dem Bahndrehimpuls resultieren-
den magnetischen Momente in Wechselwirkung (Spin-Bahn-Kopplung) und
ergeben einen Gesamtdrehimpuls, der mit der Gesamtdrehimpuls-Quantenzahl
J erfaßt wird (RUSSEL -S AUNDERS-Kopplung):
J = L − S wenn die Unterschale weniger als halbbesetzt ist, sonst J = L + S.
Das zugehörige atomare magnetische Moment beträgt:
μa = g μB J(J + 1) (19.7)
M
R6 ➤
S
weich hart
-
Abb. 19.7: Hystereseschleifen für −K K H
ein magnetisch hartes“ und ein
”
magnetisch weiches“ ferromagne-
”
tisches Material. S = Sättigungs-
magnetisierung, R = Remanenz, K ➤
= Koerzitivkraft
Domänen. Wenn die Spins aller Teilchen der Probe ausgerichtet sind, ist die
Sättigungsmagnetisierung erreicht. Um diesen Zustand zu erreichen, benötigt
man ein Magnetfeld mit einer Mindestfeldstärke, die vom Material abhängt.
Die Verhältnisse werden mit der Hysteresekurve verdeutlicht, die der Hyste-
resekurve von ferroelektrischen Stoffen entspricht (Abb. 19.7). Ausgehend von
einer unbehandelten Probe, wird mit zunehmendem Magnetfeld eine zuneh-
mende Magnetisierung bewirkt bis die Sättigung erreicht ist. Nach Abschalten
des Magnetfeldes fällt die Magnetisierung zwar ab, es verbleibt aber eine rema-
nente Magnetisierung R. Durch Umkehr des Magnetfeldes kommt es zu einer
Umkehr der Spinorientierung. Das dafür mindestens benötigte Magnetfeld hat
die Koerzitiv-Feldstärke oder Koerzitivkraft K. Je nach Anwendung benötigt
man magnetische Materialien mit unterschiedlicher magnetischer Härte“. Ein
”
Permanentmagnet in einem Gleichstrom-Elektromotor soll zum Beispiel eine
hohe Koerzitivkraft aufweisen, damit er seine Magnetisierung nicht verliert.
Kleine Koerzitivkräfte werden dort benötigt, wo häufige und schnelle Umma-
gnetisierungen erfolgen, zum Beispiel in Schreibköpfen von Festplatten.
Oberhalb einer kritischen Temperatur TC , der C URIE-Temperatur, wird ein
ferromagnetischer Stoff paramagnetisch, weil die thermische Bewegung die
Ausrichtung der magnetischen Momente verhindert. Die magnetische Suszep-
tibilität folgt dann dem C URIE -W EISS-Gesetz mit einem positiven Wert für die
W EISS-Konstante, Θ > 0 (Abb. 19.6).
Die Kopplung zwischen den magnetischen Momenten verschiedener Teil-
chen kann auch zu Spins mit entgegengesetzter Ausrichtung führen, die Sub-
stanz ist dann antiferromagnetisch (Abb. 19.8). Bei sehr tiefen Temperaturen
ist dann insgesamt ein magnetisches Moment von Null gegeben. Nimmt die
19.3 Magnetische Eigenschaften 343
↑ ↑
↑ ↑
↑ ↑ Fe
↑ ↑
↑ ↓ ↑ ↓
↑
↑
↓ ↑ ↑
↑ ↑ ↑ ↑
↑ ↑
↓
↑ ↑
↑ ↓ ↑
Fe,Ni
➤
➤
Ferromagnetismus
➤
Antiferromagnetismus MnF2 , FeF2 (Rutil-Typ)
➤➤
Ferrimagnetismus Fe3 O4 , NiFe2 O4 (inverse Spinelle)
➤
➤
➤
➤
Y3 Fe5 O12 (Granat)
➤
➤
Die Ordnung, die sich zwischen den Spins der Atome in der Elementarzelle
einstellt, kann mit Hilfe der Neutronenbeugung experimentell bestimmt wer-
den. Weil ein Neutron selbst einen Spin und ein magnetisches Moment hat,
wird es von einem Atom je nach Orientierung des magnetischen Moments ver-
schieden stark gebeugt.
Tabelle 19.3 gibt eine Übersicht über die verschiedenen Arten der Spin-
Kopplung.
Wovon hängt es ab, wie die Spins miteinander gekoppelt sind? Parallel-
stellung tritt stets ein, wenn sich die betreffenden Atome gegenseitig direkt
beeinflussen. Dies ist in reinen Metallen wie Eisen oder Nickel der Fall, aber
auch beim EuO (NaCl-Typ). Antiparallelstellung tritt meistens ein, wenn zwi-
schen zwei paramagnetischen Teilchen eine indirekte Wechselwirkung über
die Elektronen eines zwischen ihnen liegenden, selbst nicht paramagnetischen
Teilchens vermittelt wird; dieser Mechanismus wird Superaustausch genannt.
Das trifft für die technisch wichtigen Spinelle und Granate zu.
Im NiFe2 O4 , einem inversen Spinell Fe3+ T [Ni Fe ]O O4 , sind die Spins
2+ 3+
auf den Oktaederplätzen untereinander parallel, ebenso die auf den Tetraeder-
plätzen (Abb. 19.8). Die Wechselwirkung zwischen den beiden Platzsorten er-
folgt durch Superaustausch über die O-Atome. Ein Fe3+ -Ion (d 5 , high-spin)
hat fünf, ein Ni2+ -Ion (d 8 ) zwei ungepaarte Elektronen. Die parallel gekoppel-
ten Teilchen auf zwei Oktaederplätzen haben zusammen einen Spin von S = 72 ,
dem steht S = 52 eines Fe3+ -Teilchens auf einem Tetraederplatz entgegen. Es
verbleibt also ein Gesamtspin von S = 1, der zwei ungepaarten Elektronen pro
Formeleinheit entspricht.
Granat ist ein Orthosilicat, Al2 Mg3 (SiO4 )3 , mit einer komplizierten kubi-
schen Struktur. Die Struktur bleibt erhalten, wenn alle Metallatome dreiwertig
sind, im Sinne einer Substitution folgender Art:
19.3 Magnetische Eigenschaften 345
Oktaederplatz (K.Z. 6)
Dodekaederplatz (K.Z. 8) Tetraederplatz (K.Z. 4)
➤
➤
➤
Mg3 Al2 Si3 O12
➤
➤
Y3 FeIII III
2 Fe3 O12
➤
➤
Gd Si,Ge
247 pm 363 pm
247 pm 363 pm
Si Ge
Si Ge
Gd Gd
Gd5 Si4 Gd5 Ge4
Abb. 19.9: Links oben: Aufsicht auf eine Schicht aus Würfeln und trigonalen Doppel-
prismen in Gd5 (Si,Ge)4 , über der sich (Si,Ge)2 -Hanteln befinden; das graue Quadrat
gehört zur nächsten Schicht und zeigt an, wie die Schichten zueinander versetzt gesta-
pelt sind. Übrige Bilder: Seitenansichten parallel zu den Schichten
349
20 Nanostrukturen
Unter nanostrukturierten und nanokristallinen Materialien versteht man Sub-
stanzen aus Partikeln oder mit Strukturmerkmalen (wie Poren), die 2 bis 1000
Nanometer groß sind. Da der Durchmesser eines Atoms in der Größenordnung
von 0,25 nm liegt, geht es also um Längen, die 8 bis 4000 Atomlagen entspre-
chen. Substanzen aus Teilchen in dieser Größe verhalten sich anders als diesel-
ben Substanzen in größeren Aggregaten. Bei einem Kristall der Größe 1×1×1
mm3 befindet sich ein Anteil von ca. 10−6 der Atome an der Oberfläche; ist der
Kristall nur 100 × 100 × 100 nm3 groß, sind es ca. 1 % der Atome. Die Ober-
fläche ist die massivste aller Störungen im periodischen Aufbau eines Kristalls.
Oberflächenatome sind anders gebunden und unterscheiden sich elektronisch
von inneren Atomen. Die Materialeigenschaften einer nanostrukturierten Probe
werden in starkem Maße von den Oberflächenatomen mitbestimmt. Es kommt
zu geänderten mechanischen, elektrischen, magnetischen, optischen und che-
mischen Eigenschaften, die von der Teilchengröße und -form abhängen. Bei
noch kleineren Maßen kommen außerdem noch quantenmechanische Effek-
te hinzu. Ist die Leuchtfarbe eines Halbleiters bei einem Teilchendurchmesser
von 8 nm rot, wird sie bei 2,5 nm grün. Will man bestimmte Eigenschaften er-
zielen, müssen die Teilchen eine einheitliche Größe, Gestalt und Ausrichtung
haben.
Die Terminologie geht etwas durcheinander. Die Vorsilbe nano“ kam in den
”
1990er Jahren in Gebrauch. Die bis dahin übliche Bezeichnung mesoskopische
Strukturen wird nach wie vor verwendet. Nach einer IUPAC-Norm von 1985
gelten für poröse Materialien folgende Bezeichnungen: mikroporös, < 2 nm
Porendurchmesser; mesoporös, 2–50 nm; makroporös, > 50 nm.
Nanostrukturierte Materialien sind nichts neues. Die Chrysotil-Fasern
gehören dazu (Abb. 16.22), ebenso Knochen, Zähne und Muschelschalen.
Letztere sind Verbundmaterialien (Kompositmaterialien), die aus Proteinen
und eingebetteten harten, nanokristallinen anorganischen Substanzen wie Apa-
tit bestehen. Wie bei den ihnen nachgeahmten Verbundwerkstoffen kommt die
besondere Festigkeit erst durch den Verbund der Komponenten zustande.
Chemiker gehen schon lange mit Teilchen in der Größe von Nanometern
um. Neuartig ist, daß man jetzt beginnt, die Herstellung von nanostrukturier-
ten Substanzen mit einheitlicher Partikelgröße und in geordneten Mustern zu
beherrschen. Damit eröffnet sich die Möglichkeit, Materialien mit ganz be-
stimmten und reproduzierbaren, von der Teilchengröße abhängigen Eigen-
350 20 NANOSTRUKTUREN
➤ =⇒ ➤ =⇒
Abb. 20.1: Schnell wachsende Flächen eines Kristallkeims verschwinden beim Kristall-
wachstum
20 NANOSTRUKTUREN 351
➤
Tiegel
Ofen
eutektische
Schmelze
➤
unterkühlte Schmelze
➤
NiAl-Einkristall mit
eingebetteten Re-Drähten
Zugrichtung
➤
Polymereinbettung
Re
Säure ➤
➤
➤
➤
anod. Oxidation
NiAl − ReO− 4
Abb. 20.2: Oben: B RIDGMAN-Verfahren zur Herstellung von großen Einkristallen. Aus
einer eutektischen Schmelze kann man einen Einkristall mit eingelagerten Drähten er-
halten. Unten: Mögliche Bearbeitungsschritte
352 20 NANOSTRUKTUREN
keit gibt es eine dünne Zone mit unterkühlter Schmelze. Handelt es sich um
ein eutektisches Gemisch, findet die Separation der Phasen durch Diffusion in
waagerechter Richtung in der unterkühlten Schmelze statt. In der Zugrichtung
bilden sich durchgehende Einkristalle. Hat die eine Komponente einen klei-
nen Volumenanteil, so erstarrt sie in Form von parallelen, einheitlich dicken
Nanodrähten, die in der anderen Phase eingebettet sind. Zum Beispiel können
Rheniumdrähte in einer einkristallinen Matrix von NiAl aus einer eutektischen
Schmelze von NiAl/Re hergestellt werden. Das Ergebnis läßt sich durch den
Temperaturgradienten und die Zuggeschwindigkeit beeinflussen. Die Drähte
lassen sich freilegen, indem die NiAl-Matrix ganz oder teilweise mit Säure
weggeätzt wird. Ein Nanofilter aus NiAl erhält man durch elektrochemische
Oxidation, bei der das Rhenium als Perrhenat herausgelöst wird.
Die anodische Oxidation von Aluminiumblech wird schon lange genutzt,
um Aluminium mit einer festhaftenden Oxidschicht vor Korrosion zu schützen.
Verwendet man saure Elektrolyte (meist Schwefel- oder Phosphorsäure), die
das abgeschiedene Aluminiumoxid wieder auflösen können, so entstehen
poröse Oxidschichten. Zu Beginn der Elektrolyse entsteht zunächst eine kom-
pakte Oxidschicht (Abb. 20.3). Zugleich nimmt die Stromstärke ab, bedingt
durch den elektrischen Widerstand des Oxids. Es folgt ein Prozeß, bei dem
das Oxid durch die Säure wieder aufgelöst wird, die Stromstärke wieder zu-
nimmt und dann gleichbleibt, während die elektrochemische Oxidation wei-
ter stattfindet. Dabei bilden sich die Poren. Dort wo das elektrische Feld an
der Krümmung im Ende einer Pore den stärksten Gradienten hat, verläuft der
Wiederauflösungsprozeß am schnellsten. Im Porenende gibt es deshalb kein
Wachstum der Oxidschicht; stattdessen wachsen die Wände zwischen den Po-
ren, die immer höher werden. Je nach angelegter Spannung und verwendeter
H+
Elektrolyt
➤
=⇒ =⇒
Al-Anode
5 μm
Säure ergibt sich eine bestimmte Krümmung im Porenende, so daß die Poren
schließlich alle denselben Durchmesser haben und völlig regelmäßig angeord-
net sind. Es werden Porendurchmesser von 25 bis 400 nm und Porentiefen bis
0,1 mm erzielt. Die Porenwände haben etwa die Zusammensetzung AlOOH,
sie enthalten noch Elektrolyt-Anionen, und sie sind amorph.
Das poröse Aluminiumoxid kann als Schablone ( Templat“) zur Herstel-
”
lung von Nanodrähten und Nanoröhren genutzt werden. Metalle können zum
Beispiel an den Porenwänden mit folgenden Verfahren abgeschieden werden:
Abscheidung aus der Gasphase, elektrochemisch oder mit chemischen Reduk-
tionsmitteln aus Lösung oder durch Thermolyse von Substanzen, mit denen
die Poren zuvor gefüllt wurden. Bei Porendurchmessern bis 25 nm erhält man
Drähte, bei größeren Durchmessern Röhren mit Wandstärken bis hinunter zu
3 nm. Elektrochemisch lassen sich zum Beispiel Nanodrähte und -röhren aus
Nickel, Cobalt, Kupfer oder Silber herstellen. Die Aluminiumoxidschablone
kann zum Schluß mit einer Base weggelöst werden.
Man kann auch Reaktionen mit der Porenwand nutzen. Sind die Alumi-
niumoxid-Porenwände zum Beispiel mit Sn(SePh)4 benetzt, so reagieren sie
mit diesem bei 650 ◦ C, und man erhält Nanodrähte aus SnO2 . Macht man das-
selbe in einer mesoporösen Schablone aus Silicium, so wirkt das Silicium als
Reduktionsmittel. Es entstehen, je nach Temperatur, Nanoröhren aus SnSe oder
aus Zinn (Abb. 20.4).
Zur Templatsynthese eigen sich auch Tenside, Cyclodextrine oder Pro-
teine als Schablonenmaterial. Die Moleküle von Tensiden bestehen aus ei-
ner langen hydrophoben Alkylkette und einer hydrophilen Endgruppe (–SO− 3,
–CO− 2 , –NR +
3 ). In wäßriger Lösung assoziieren sie zu Mizellen, wenn die Kon-
354 20 NANOSTRUKTUREN
• Nanopartikel aus TiO2 in Sonnencreme haften besser auf der Haut und
wandern nicht in Hautfalten ab; sie sorgen für einen besseren Sonnen-
schutz.
Fehlerquadratesumme
gige Molekülschicht); es bedarf keines Wortes, daß sich die Moleküle zusam-
mengelagert ( organisiert“) haben und daß dies von selbst geschehen ist. Die
”
Schicht ist übrigens auch nicht monomolekular“.
”
Korrekter Umgang mit Maßeinheiten
Wissenschaft ist ohne ein exaktes, weltweit verbindliches und einheitliches Sy-
stem von Maßeinheiten unmöglich. Maßeinheiten werden international über
das Bureau International des Poids et Mesures in Sèvres und die International
Organization for Standardization in Genf abgestimmt und in nationale Geset-
ze übernommen. Das SI-Einheitensystem ist international verbindlich (auch
in den USA). Die gültigen Normen kann man bei den gesetzlich zuständigen
Behörden einsehen:
Deutschland: Physikalisch-Technische Bundesanstalt, www.ptb.de
Österreich: Nationales Metrologie Institut, www.bev.gv.at
Schweiz: Bundesamt für Metrologie und Akkreditierung, www.metas.ch
USA: National Institute of Standards and Technology, www.physics.nist.gov
/Pubs/SP811/
International: Bureau International des Poids et Mesures, www.bip.fr
Eine Maßangabe in der Art d = 235 pm“ bedeutet: die Länge d beträgt
”
235 mal 1 Picometer. Das ist rechnerisch eine Multiplikation des Zahlenwertes
mit der Maßeinheit. In Tabellen und Diagrammen verzichtet man im allge-
meinen auf die Wiederholung der Maßeinheit bei jedem Zahlenwert. Die Wer-
te sind dann durch die Maßeinheit dividiert worden. Deshalb schreibt man in
den Tabellenkopf oder an die Diagrammachse: d/pm oder pm d
oder d pm−1 .
Die noch häufig anzutreffende Schreibweise d [pm] ist nach den SI-Normen
nicht korrekt. Eckige Klammern haben im SI-System eine eigene Bedeutung,
nämlich: [d] = pm“ bedeutet, die gewählte Maßeinheit für d ist Picometer“.
” ”
Die Verwendung von Nicht-SI-Einheiten sollte man vermeiden. Für diese
Einheiten gibt es oft keine maßgeblichen Festlegungen, und historisch bedingt
ist mit derselben Bezeichnung manchmal verschiedenerlei Maß gemeint. So
ist es in der theoretischen Chemie immer noch gebräuchlich, Energiewerte in
Kilocalorien anzugeben. Für die Umrechnung auf die SI-Einheit Joule gibt es
aber mehrere unverbindliche Größen, u. a.: 1 cal = 4,1868 J (,internationale
Calorie‘) oder 1 cal = 4,184 J (,thermochemische Calorie‘). Welche gilt?
Einige nicht-SI-Einheiten sind ausdrücklich erlaubt. Bei kristallographi-
schen Angaben betrifft das: 1 Å = 10−10 m = 100 pm und 1◦ = π /180 rad
(ebener Winkel). Erlaubt ist auch der Liter (Abkürzung L oder l).
360 21 SPRACHLICHE UND ANDERE VERIRRUNGEN
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LITERATUR 373
4.1 β -Cristobalit könnte sich in α - und 6.2 WF6 193, WCl6 241, PCl− −
6 219, PBr6
− 2−
β -Quarz umwandeln. 234, SbF6 193, MnO4 166 pm; TiO2
4.2 Bei 1000 ◦ C verläuft die Rekristallisa- 201, ReO3 195, EuO 257, CdCl2 276 pm.
tion schneller.
4.3 BeF2 . 7.1 NiF2 und CdF2 Rutil; GeO2 kei-
4.4 Erste Ordnung (Hysterese beobach- ne (GeO2 ist tatsächlich polymorph und
tet). nimmt den Rutil- und den Quarztyp an);
4.5 Bei der Umwandlung vom NaCl- K2 S anti-CaF2 .
zum CsCl-Typ erhöht sich die Koordi- 7.2 Mg2+ K.Z. 8, Al3+ K.Z. 6, Si4+ K.Z.
nationszahl der Atome von 6 auf 8; es 4 (Bei Austausch der Koordinationszahlen
handelt sich also um eine rekonstruktive von Mg2+ und Si4+ wäre die PAULING-
Phasenumwandlung, die nur nach der Regel ebenfalls erfüllt, aber K.Z. 8 ist
ersten Ordnung verlaufen kann. recht unwahrscheinlich für Si4+ ).
4.6 Bei −10 ◦ C wird Eis bei ca. 100 MPa 7.3 Da alle Kationen die gleiche Ladung
schmelzen und bei ca. 450 MPa wieder (+3) haben, hilft die elektrostatische Va-
gefrieren, wobei sich Modifikation V lenzregel nicht weiter. Die größeren Y3+ -
bildet. Dieses wird sich bei ca. 600 MPa Ionen werden die Lagen mit K.Z. 8 bevor-
in Eis VI umwandeln, dann bei ca. 1,9 zugen.
GPa in Eis VIII und bei ca. 18 GPa in Eis 7.4 Nein.
VII. 7.5 N ist an Ag koordiniert.
4.7 Bei 40 ◦ C wird Wasser bei ca. 1,2 7.6 s(Rb+ ) = 10
1 ; s(V4+ ) = 4 s(V5+ ) = 5 ;
5 4
GPa unter Bildung von Modifikation VI p1 = 1, 20; p2 = 2, 25; p3 = 2, 70; p4 =
gefrieren; diese wandelt sich dann bei ca. 1, 55;
2 GPa in Eis VII um. p̄(V4+ ) = 2,04; p̄(V5+ ) = 2,19; zu er-
4.8 H2 O·HF wird kristallisieren, dann wartende Bindungslängen: V4+ –O(1) 159
wird zusätzlich H2 O bei −72 ◦ C gefrieren. pm, V4+ –O(2) 197 pm, V5+ –O(2) 173
4.9 β -Quarz wird sich bei ca. 0,5 GPa pm, V5+ –O(3) 180 pm, V5+ –O(4) 162
direkt in β -Cristobalit umwandeln. pm.
√ √ √
5.1 − 81 + 6 2 3 + 12√ 3 − 24
√ 3
. 8.1 Linear: BeCl2 , Cl− 3 ; gewinkelt:
O−
2 2 10 2−
(Radikal), S ; trigonal-planar:
5.2 (a) 687 kJ mol−1 ; (b) 2965 kJ mol−1 ; 3 3
BF3 ; trigonal-pyramidal PF3 , TeCl+ 3 ; T-
(c) 3517 kJ mol−1 .
förmig: BrF3 , XeF+ 3 ; tetraedrisch: GeBr 4,
−
AsCl+ 4 , O 3 BrF; quadratisch-planar: ICl 4;
6.1 F· · ·F in SiF4 253 pm, Van-der-Waals- trigonal-bipyramidal mit einer fehlenden
Abstand 294 pm; Cl· · ·Cl in SiCl4 330 pm, equatorialen Ecke: SbF− +
4 , BrF4 , O2 ClF2
−
Cl Cl Cl
10.1 Das Band wird breiter und die DOS
Cl 2−
wird geringer.
Cl Cl Cl 10.2 Es wird wie der rechte Teil von Abb.
As As 10.7 aussehen.
Cl Cl Cl
10.3 Das s-, das py - und das pz -Band
Cl
rückt zu niedrigeren Energiewerten bei Γ
Ta2 I10 wie Nb2 Cl10 (vgl. S. 103). und X
, und zu höheren Werten bei X und
8.3 Trigonale Bipyramide, CH2 Gruppe M; das px -Band rückt zu höheren Werten
in equatorialer Position senkrecht zur bei Γ und X
, und zu niedrigeren Werten
Äquatorebene. Leiten Sie die Struktur bei X und M.
von einem Oktaeder mit gebogenen
S=C-Bindungen ab. 12.1 Kürzer: BeO, BN; gleich: BeS, BP,
−
8.4 (a) SF2 < SCl2 < S2− 3 < S3 ≈ OF2 ; AlN; länger: AlP.
(b) H3 CNH2 < [(H3 C)2 NH2 ] ;+
12.2 Längere Bindungen (höhere Koordi-
(c) PCl2 F3 < PCl3 F2 (=180◦ ). nationszahl).
8.5 Bindungslängen Al–Cl(terminal) < 12.3 Unter Druck könnte AgI die NaCl-
Al–Cl(Brücke); Winkel Cl(Brücke)–Al– Struktur annehmen (dies ist tatsächlich
Cl(Brücke) ≈ 95◦ der Fall).
< Cl(Brücke)–Al–Cl(terminal) ≈ 110◦ 12.4 3.
< Cl(terminal)–Al–Cl(terminal) ≈ 120◦ . 12.5 Hg2 C sollte die Cu2 O-Struktur
8.6 SnCl− − 2−
3 ; PF6 ; SnCl6 . haben.
2− 2−
8.7 BiBr5 und TeI6 .
13.1 (a) Einfach ionisch;
9.1 [Cr(OH2 )6 ]2+ , [Mn(OH2 )6 ]3+ , (b) polyanionisch; (c) polyanionisch; (d)
[Cu(NH3 )6 ] .
2+ polyanionisch; (e) polykationisch; (f) po-
9.2 CrCl− 2−
4 und NiBr4 , gedehnte Te- lyanionisch; (g) polykationisch; (h) ein-
2− fach ionisch.
traeder; CuBr4 , gestauchtes Tetraeder;
FeCl2−
4 könnte schwach verzerrt sein. 13.2 (a), (b), (d).
LÖSUNGEN ZU DEN ÜBUNGSAUFGABEN 377
13.3 (a)
Te Te Te TiAl3
Al Al
Te
Te Te
(b) 2 2 2 2
Sb Sb Sb Sb
Sn Sn
TiCu3
Sb Sb Sb
18.1 (a) 31 und 32 . (b) 32 . (c) Bei Verdop- 18.5 Ti:1a Ba:1b O: 3d
pelung können 21 -Achsen nicht erhalten P 4/m 3 2/m m3m m3m 4/mmm
bleiben; bei Vervielfachung um eine un- 1
BaTiO3 kub. 0 2 0
gerade Zahl bleiben 21 -Achsen hingegen 1
0 2 0
möglich; klassengleiche Untergruppen bei
1 1
Verdreifachung sind also möglich. 0 2 2
18.2 (a) klassengleich; (b) translationen-
gleich; (c) klassengleich; (d) isomorph; t3
(e) translationengleich; (f) translationen-
gleich; (g) translationengleich.
➤
18.3
➤
Au,Cu:4a 1a 1d 1b 2f
F 4/m 3 2/m m3m P4/m2/m2/m 4/mmm 4/mmm 4/mmm mmm
0 1 1
AuCu3 , Cu-Typ 0 2 0 2
0 1
0 2 0 0
0 1 1
t2 0 2 2 0
k2
➤
➤
➤
➤
➤
➤
➤
Sachverzeichnis
Abbildung (mathematisch) 26 Äquivalente Punkte 42
Abgeleitete Struktur 313 Arachno-Cluster 216
Abstand, interatomarer 11, 22, 73ff., 94, Aristotyp 313, 315
105f., 108ff., 177, 244 Arrhenius-Gleichung 52
Abstoßende Kräfte 67ff., 73, 82, 98ff., 114, 118 Arsen 162f., 167
Abstoßung zwischen Valenzelektronenpaaren Arsenide 196f., 286ff., 346
98ff., 118 Asbest 269f.
Abstoßungsenergie 68ff., 98, 118 Asymmetriezentrum 127
Abzählregeln für Elektronen 206ff. Asymmetrisch substituiertes C-Atom 126
Abzählung des Zellinhaltes 21f. Asymmetrische Einheit 22
Achsenverhältnis 23, 43 Atacamit 289
Acht-minus-N-Regel 97, 153, 191 Atomabstand 11, 22, 73ff., 94, 105f., 108ff.,
verallgemeinerte 190ff. 177, 244
Ag3 O-Typ 319f. Atomgröße 74ff., 101, 231f.
Aktivierungsenergie 52 Atomkoordinaten 21f., 41f., 360
AlB2 -Typ 199f. Atomradien 74f.
AlCl3 -Typ 254, 292 Metalle 75, 231f.
Alkalihalogenide 82ff. AuCd-Typ 234
Alkalimetalle 229f. AuCu-Typ 232ff.
Alkalioxide 86 AuCu3 -Typ 233f.
Alkalisuboxide 219 Aufenthaltswahrscheinlichkeit, Atom 11
Allgemeine Punktlage 41 Elektron 129
α -Al2 O3 -Typ (Korund) 261, 239, 319f. Axiale Position 100, 109f.
Aluminosilicate 185, 188, 264, 268f., 271ff. Azide 88f.
Amorph 49
Amphibole 270 Baddeleyit 25, 330
Anatas 92 Bahnmagnetismus 340f.
Anorthit 274 Balkengruppe 49
Antibindende Molekülorbitale 129ff., 137ff., Band (Energie-) 138ff.
142, 144 Bandbreite, Banddispersion 138, 143
Antiferromagnetismus 339, 342ff. Bändertheorie 134ff.
Antifluorit-Typ 86 Bandlücke 141
Antigorit 269f. Bandstruktur 138ff.,
Antikuboktaeder 15, 224 Barium 229f.
Antimon 163, 167 Bärnighausen-Stammbaum 313ff.
Antimonide 196f., 203, 287 Basisstruktur 313
Antiprisma, quadratisches 15, 99 Basisvektoren 19f., 27, 38, 43
Antisymmetrie-Raumgruppen 343 Basiszentriert 21, 27
Antityp 24 Baufehler 10
Anziehende Kräfte 67f., 73, 82, 129ff. Baur-Regeln 94
Aperiodische Kristalle 44 Benitoit 265
Apikale Position 110 Berry-Rotation 110f.
Approximante 44 Beryll 265
380 SACHVERZEICHNIS
Beschreibung von Kristallstrukturen 18ff. Calcit (Kalkspat, CaCO3 ) 89f., 91, 250f.
Beta-Käfig 272 Calcium 229f.
Bezugsrichtung für Symmetrieelemente 34 Carbide 284f., 329
BiI3 -Typ 254, 292, 319f. Carborane 215
Bildsymbole, Symmetrieelemente 26, 28ff. Carnegieit 185
Bindende Molekülorbitale 129ff., 137ff., 142, CaSi2 -Typ 194f.
144 Cäsium 228ff.
Bindung, kovalente 64f., 73, 97, 129ff., CdCl2 -Typ 72, 255, 289
190ff., 207ff. CdI2 -Typ 72, 255, 289, 318
metallische 151f., 222 Chalkogene 155ff.
Bindungsisomere 124f. Chalkopyrit 183
Bindungslänge, Berechnung 22, 78, 94 Chelatkomplexe 127
kovalente Bindungen 65, 76, 105f., Chevrel-Phasen 211
108ff., 177 Chiralität 126f.
polare Bindungen 76ff., 81, 94, 105f., 244f. Chiralitätszentrum 127
Bindungsordnung 130 Chlor 153
Bindungsstärke, elektrostatische 91f. Chloride 82ff., 93, 122, 253ff., 275, 288f.,
Bindungswinkel 23, 65, 100ff., 107ff. 292ff., 302, 319f.
bei verknüpften Polyedern 103, 243ff., Chrysotil 268ff.
248, 263, 279ff. Cis-Konfiguration 125
Bipyramide, trigonale 15, 98f., 109f., 123 Cis-trans-Isomere 125f.
Bismut 163, 167 Cisoide Konformation 156
Bismut-Cluster 216, 219 Clathrasile 274
Blickrichtung bei Symmetrieelementen 34 Clathrate 274f.
Bloch-Funktion 137 Cluster 206, 208
Bohrsches Magneton 336 arachno 216
Bor 173f. closo 206, 214, 216
Borane 214f. Elektronenzahl 208, 215
Borate 89 endoedrische 219
Boride 215 hypho 216
Bornitrid 178, 329 hypoelektronische 217
Bornscher Abstoßungsexponent 68 kondensierte 220f.
Botallackit 288 mit 2e3c-Bindungen 212f.
Brasilianer Zwilling (Quarz) 186 mit eingelagerten Atomen 217f., 356
Bridgman-Verfahren 351 nido 216
Brillouin-Zone 148f. Wade 213ff.
Brom 153 Coesit 187
Brookit 92 COOP 144
Brucit 256, 288 Coulomb-Energie 68ff., 84
Brückenatom 16, 106ff., 243ff., 263, 279ff. Cristobalit 184f., 300
Buckminsterfulleren 170 Crystal orbital overlap population 144
CsCl-Typ 72, 82ff., 235
CaB6 -Typ 215 Überstrukturen 236
CaC2 -Typ 88 Cuprit (Cu2 O) 188f.
CaCl2 -Typ 55f., 289, 321f. Curie-Gesetz 338
CaF2 -Typ (Fluorit) 72, 86, 236f., 276, 300f. Curie-Konstante 338
SACHVERZEICHNIS 381