IBA-Studie Urbane Lebenswelten

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IBA Berlin 2020

Studie
Urbane Lebenswelten
Strategien zur Entwicklung groer Siedlungen

URBANE LEBENSWELTEN
STRATEGIEN ZUR ENTWICKLUNG
GROSSER SIEDLUNGEN

Dr. Andrea Benze


Dr. Julia Gill
Dr. Saskia Hebert
subsolar* architektur & stadtforschung
Studie und Projektrecherche fr die IBA Berlin 2020
im Auftrag der Senatsverwaltung fr Stadtentwicklung und Umwelt

Urbane Lebenswelten
Benze, Gill, Hebert

Studie zur IBA 2020 Berlin


2013

impRESSUm
Urbane Lebenswelten.

Strategien zur Entwicklung groer Siedlungen

Studie und Projektrecherche fr die IBA Berlin 2020


im Auftrag der Senatsverwaltung fr Stadtentwicklung.
Berlin im Februar 2013
Verfasserinnen
Dr. Andrea Benze
Dr. Julia Gill
Dr. Saskia Hebert
subsolar* architektur und stadtforschung
Pfarrstr. 139
10317 Berlin
Ansprechpartnerin
Dr. Saskia Hebert
[email protected]
mitarbeit
Diana Bico
Bastian Gerner
Layout
Susanne Stahl

Dr. Andrea Benze


ist Architektin und Stadtforscherin. Gemeinsam mit Anuschka
Kutz leitet sie offsea - office for socially engaged architecture,
London/Berlin. Offsea arbeiten an der Schnittstelle zwischen
Architektur, Gesellschaftskritik, Stadt und Forschung. Mit
Urban Portraits untersuchen sie persnliche Alltagsorte und
biografische Ortsbindungen bei lteren Menschen (Pilotstudie
im Rahmen des Stipendiums auf der Akademie Schloss So
litude 2012). Andrea Benze lehrt an der TU Berlin und zuvor
an der University of Brighton und der Hochschule Johanneum,
Graz.
www.offseaworks.com
Dr. Julia Gill
ist freiberufliche Architektin und Wissenschaftlerin in Berlin. Sie
promovierte bei Karin Wilhelm und Thomas Sieverts ber Indi
vidualisierung und Standard im kommerziellen Eigenheimbau
und forscht berwiegend im Bereich randstdtischer Phno
mene. Sie ist Mitglied im Netzwerk Architekturwissenschaft und
lehrt Entwerfen und Architekturtheorie an verschiedenen deut
schen Hochschulen, darunter an der TU Braunschweig und an
der UdK Berlin.
www.juliagill.de
Dr. Saskia Hebert
ist Architektin und gemeinsam mit Matthias Lohmann Ge
schftsfhrerin von subsolar* architektur und stadtforschung
in Berlin. Ihr Forschungsschwerpunkt ist die ambivalente Re
lation zwischen gelebten und gebauten stdtischen Rumen.
Diese steht auch im Fokus des von ihr gegrndeten lived/
space/lab an der UdK Berlin, das derzeit im Auftrag des Be
zirks Lichtenberg ein experimentelles Beteiligungsverfahren im
Sanierungsgebiet Frankfurter Allee Nord durchfhrt.
www.subsolar.net & www.lived-space-lab.org

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iNHALT
0 EiNLEiTUNG

1 SpEZiFiSCHE AUSGANGSLAGE UND THEORETiSCHER KONTEXT


1.1 BERLIN UND SEINE GROSSEN SIEDLUNGEN
1.2 URBANE STRUKTUREN: MISCHUNG, DICHTE UND IDENTITT
1.3 STADT ALS WOHNRAUM: LOKALE POTENZIALE UND TOPODIVERSITT

7
7
10
11

2 STRATEGiEN EiNER DiFFERENZiERTEN STADTENTWiCKLUNG


2.1 BAULICHE STRATEGIEN
Handlungsfeld 1: weniger = mehr
Handlungsfeld 2: anders = besser
Handlungsfeld 3: mehr = mehr
Handlungsfeld 4: mehr = anders
2.2 GESELLSCHAFTLICH-KULTURELLE STRATEGIEN
Handlungsfeld 1: Soziale Mischung
Handlungsfeld 2: Partizipative Verfahren und Beteiligungsprozesse
Handlungsfeld 3: Bildung
Handlungsfeld 4: Knstlerische und temporre Interventionen
2.3 KONOMISCHE STRATEGIEN
2.4 DIVERSE STRATEGIEN FR EINE DIFFERENZIERTE STADT

14
14

3 FALLBEiSpiELE: pROJEKTSTECKBRiEFE
3.1 AUSWAHL DER FALLBEISPIELE
3.2 AUFBAU DER PROJEKTSTECKBRIEFE
P01_WIMBY! HOOGVLIET (21)

P02_X WOHNUNGEN (27)

P03_FREEHOUSE ROTTERDAM (33)

P04_OLEANDERWEG (39)

P05_SCHORFHEIDEVIERTEL (45)

P06_CAMPUS EFEUWEG (51)

P07_HAUS DER JUGEND KIRCHDORF (57)

P08_TREEHOUSES (63)

P09_TOUR BOIS-LE-PRETRE (69)

P10_SARGFABRIK (75)

P11_TRNROSEN TOWER (81)



P12_STADT:WERK:LEHEN (87)

P13_MEHR ALS WOHNEN (93)

PROJEKTBERSICHT: STRATEGIEN (99)


20
20
20

16

17
18

4 FAZiT
4.1 RESUMEE DER UNTERSUCHUNG
4.2 EMPFEHLUNGEN FR EINE IBA BERLIN 2020
4.3 FAZIT

101
101
102
103

ANHANG
LITERATURVERZEICHNIS (105)

QUELLEN PROJEKTSTECKBRIEFE (106)

BILDQUELLEN PROJEKTSTECKBRIEFE (107)

105

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0 EINLEITUNG
Internationale Bauausstellungen sind Experimentierfelder einer
praktischen Reflexion ber regionale Themen mit internationaler Bedeutung. Sie ermglichen es, das aktuelle Verhltnis
von Stadt und Gesellschaft, von Vergangenheit und Zukunft,
von gebauten und gelebten Rumen nicht nur zu analysieren,
sondern ein Stck weit auch zu verndern eine Chance, die
in jngster Zeit an immer mehr Orten in immer krzerem zeitlichem Abstand genutzt wird.1
Die Stadt Berlin hat mit Internationalen Bauausstellungen bereits Erfahrung. Die Interbau im Hansaviertel war 1957 weitaus
mehr als eine Leistungsschau der anerkannten Architekturprominenz: Sie war ein politisches Statement im geteilten Berlin,
und sie war der bewohnbare Musterkatalog einer modernen,
aufgerumten Welt, die in erheblichem Kontrast zum kriegszerstrten Rest der Stadt stand. Die IBA 1987 leitete dreiig Jahre
spter vor allem mit dem Ansatz der kritischen Rekonstruktion
die Abwendung vom Paradigma der Funktionstrennung (und
der damit verbundenen Tabula-rasa-Mentalitt) ein. Beide
Ausstellungen fanden noch im geteilten Berlin statt, dessen
Bewohner es stets verstanden, ihr eigenes Leben in den zahlreich vorhandenen Nischen individuell einzurichten.
Die Situation heute, noch einmal dreiig Jahre spter, ist wieder eine ganz andere: Als Hauptstadt mittlerweile selbstverstndlich anerkannt, macht Berlin in Zeiten der Wirtschaftskrise
eine (im positiven wie im negativen Sinne) rasante, aufholende
Entwicklung im Bereich der Immobilienwirtschaft durch. Grundstckspreise und Mieten steigen kontinuierlich, whrend immer
mehr Menschen in die Stadt ziehen. Das passt zum weltweiten
Trend der Urbanisierung: 2010 lebten erstmals mehr als 50%
der Menschen in Stdten, 2050 werden es voraussichtlich 75%
sein. Auch Berlin wchst, und das wirft die Frage auf, ob es die
dafr erforderlichen Qualitten einer Ankunftsstadt (Saunders,
2011) hat, nmlich Offenheit fr kulturelle Diversitt und eine
bauliche Form, die eine Teilhabe Einzelner am ffentlichen und
politischen Leben gewhrleistet.
Mit fortschreitender Urbanisierung und im Zeichen von Klimaund demografischem Wandel steht auch das Wohnen erneut
im Fokus des allgemeinen Interesses und die Frage, welche
urbanen Lebenswelten wir haben und brauchen. Wie schon
1957 und 1987 ist das Wohnen damit Medium und Ziel eines
Prozesses, dessen Ergebnisse am Ende nicht nur kurzzeitig
ausgestellt, sondern langfristig angeeignet werden sollen und
das nicht nur im eigentumsrechtlichen Sinn. Eine rein (stdte-)
bauliche Herangehensweise kann es hier nicht geben: Gesellschaftliche Probleme lassen sich nicht mit architektonischen
Formen lsen, und die Komplexitt langfristiger, nicht linear
verlaufender Entwicklungen macht lernende Prozesse erforderlich. Die zunehmende Individualisierung einer vergleichsweise
wohlhabenden Stadtbrgerschaft und der allmhliche Rckzug
der ffentlichen Hand aus der Steuerung stdtischer Entwicklungsprozesse werfen Fragen auf, schaffen aber auch neue
Formate der Verstndigung und neue Grenzen.

Die Leitfrage, der diese Studie nachgeht, ist die, ob sich urbane Lebenswelten mit den stdtebaulichen und architektonischen Mitteln von Mischung und (Nach-)Verdichtung gezielt erzeugen lassen. Diese Frage impliziert zum Einen das (positive)
Leitbild einer gemischten Stadt, die offen fr verschiedene
Formen und Formate des Zusammenlebens ist, zum Anderen
aber auch eine Kritik an all jenen Gegenden, die vor diesem
Hintergrund nicht urban genug erscheinen, wie zum Beispiel
die heterogenen, peripher anmutenden Gebieten der Drauenstadt und die monofunktionalen Wohnsiedlungen der Moderne.
Doch welche Definitionen des Urbanen, welche Konzepte
des Stdtischen und welche Wnsche an knftige Lebenswelten liegen dieser Kritik zu Grunde? Besteht die Stadt
nicht seit jeher aus ganz unterschiedlichen Bereichen, die
jeweils ganz verschiedene Arten von Gemeinschaft, sozialer
Interaktion und baulicher Form besitzen? Welche Qualitten
besitzen diese unterschiedlichen Rume, und wie kann man
diese erfassen und entwickeln?
Diese Studie prsentiert verschiedene Strategien zur Transformation und / oder Herstellung urbaner Lebenswelten,
wobei ein Schwerpunkt auf Siedlungen und Siedlungs-Bausteinen liegt. Anhand von dreizehn Fallbeispielen aus dem
In- und Ausland und ihrem jeweiligen zeitlichen, rumlichen
und gesellschaftlichen Kontext knnen einzelne Handlungsfelder dieser Strategien differenziert dargestellt und spezifische Werkzeuge und Methoden exemplarisch benannt
werden. Anschlieend werden diese Beispiele ausgewertet
und im Hinblick auf ihre Vergleichbarkeit mit der Berliner
Situation und eine bertragbarkeit im Rahmen der IBA 2020
diskutiert.

1
Nach der zweiten Berliner IBA fanden (und finden) bis heute statt:
IBA Emscher Park (1989 bis 1999) und IBA Frst-Pckler-Land (2000 bis
2010) zur identittsstiftenden Nachnutzung von Industriefolgelandschaften,
IBA Sachsen-Anhalt 2010 (2003 bis 2010) zur schrumpfenden Stadt, IBA
Hamburg (2006-2013) zur Vernderung der kognitiven Stadtkarte, IBA Basel
(2010 bis 2020) zur grenzberschreitenden Entwicklung einer Region, IBA
Heidelberg (2012 bis 2022) zum Thema Wissen und IBA Parkstad (2012 bis
2020) in den Niederlanden.

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1 SpEZiFiSCHE AUSGANGSLAGE UND


THEORETiSCHER KONTEXT
In diesem ersten Kapitel der Recherche werden zunchst eini
ge Begriffe erlutert, die fr das Forschungslayout dieser Stu
die entscheidend sind. Nach einer kurzen Beschreibung des
lokalen baulich-rumlichen Kontexts und einer typologischen
Charakterisierung der groen Siedlung werden im zweiten Ab
schnitt die Begriffe Mischung, Dichte (oder Nachverdichtung)
und urbane Strukturen diskutiert. Der dritte und letzte Abschnitt
dieses Kapitels dient der Justierung der Instrumente und
Blickwinkel: Hier wird errtert, welche Perspektiven auf den
bewohnten, stdtischen Lebensraum existieren und inwiefern
das fr die Frage nach Erfolg und Misserfolg verschiedener
Manahmen und Projekte eine Rolle spielt.
1.1

BERLiN UND SEiNE GROSSEN SiEDLUNGEN

Die aus verschiedenen drflichen Kernen zusammengewach


sene, polyzentrische Stadt Berlin2 ist bis heute mageblich
durch ihre ausgedehnten, noch aus der Grnderzeit des 19.
und 20. Jahrhunderts stammenden Mietshausgebiete charak
terisiert. Diese bieten einen differenzierten, flexibel nutzbaren
und relativ preisgnstigen Wohnungsbestand, der, anders als
in anderen europischen Stdten, grtenteils aus Mietwoh
nungen besteht.3
Ein Groteil dieses Gebudebestands befindet sich innerhalb
des S-Bahn-Rings, der heute als Grenze der Inneren Stadt gilt.
Anders als andere Stdte ist Berlin auch in zentralen Lagen
eine Wohnstadt geblieben, in der einige zentral gelegenen Be
zirke trotz steigender Pro-Kopf-Wohnflche4 eine auerordent
lich hohe Einwohnerdichte aufweisen.5 Doch obwohl die Miets
hausbebauung der Grnderzeit sehr homogen erscheint, gibt
es noch zahlreiche andere Typologien des Wohnens auch in
der Inneren Stadt.6
Gegenstand der vorliegenden Untersuchung sind vor allem
Siedlungen, also groe, zusammenhngende, homogen ge
plante und gebaute Wohngebiete, die heute zwar selbstver
stndliche Teile von Stdten sind, sich jedoch nicht unbedingt
vollstndig in deren morphologische und typologische Struktur
einfgen. Das fhrte immer wieder zu Kritik und zu der For
derung, die failed cities7 der Moderne abzureien und an
ihrer Stelle die historische Stadt (wieder) zu errichten.8
Jane Jacobs, die mit ihrem 1963 erschienenen Buch ber Tod
und Leben amerikanischer Stdte eine der prominentesten
Kritikerinnen von modernen Tabula-rasa-Reibrettplanungen
wurde (Jacobs, 1963), rief jedoch selbst zu einer differenzier
ten Betrachtung dieser Siedlungsstrukturen auf: Das grte
Hindernis bei der Sanierung von Siedlungen, schreibt sie, ist
die grundstzliche Einstellung, dass es Siedlungen sind, d.h.
von der normalen Stadt losgelste und getrennte Gebiete. ...
Das Ziel sollte vielmehr sein, die Siedlung, diesen Flicken auf
der Stadt, ins Gewebe der Stadt zurckzubringen und damit
gleichzeitig das Gewebe selbst zu krftigen (Jacobs 1963, S.

199). Sie schlgt vor, nicht die bauliche Form der Siedlungen
zu verndern, sondern ihre stdtische Mannigfaltigkeit zu fr
dern, so dass sich ihre Grenzen auflsen und sie in die Lage
versetzen, ihre Bewohner in freier Entscheidung festzuhalten
(Jacobs 1963, S. 200).
Doch wie kommt es zu diesem Appell? Warum hebt sich die ty
pologische und die funktionale Struktur der (groen) Siedlung
eigentlich so deutlich von benachbarten Arealen grnderzeitli
cher Stadtquartiere ab? Eine Antwort auf diese Fragen gibt ein
Blick in die Geschichte des Stdtebaus.
Die meisten Siedlungsprojekte des frhen 20. Jahrhunderts
wurden aus einer kritischen Haltung gegenber der dichten,
eng bebauten Stadt entwickelt, die in der Folge einer zum Teil
ungefedert ablaufenden Industrialisierung sehr schwierige

2
Dieser heterogenen und polyzentrischen Struktur entspricht in
der Stadtentwicklung ein spezifisches Monitoring-Modell, die Lebensweltlich
orientierten Rume (LOR), die 2006 gemeinsam zwischen den planenden
Fachverwaltungen des Senats, den Bezirken und dem Amt fr Statistik
Berlin-Brandenburg auf der Grundlage der von der Jugendhilfe bereits defi
nierten Sozialrume einheitlich abgestimmt wurden. Siehe auch http://www.
stadtentwicklung.berlin.de/planen/basisdaten_stadtentwicklung/lor/ (Zugriff
am 27.11.2012).

3
Rund 86 Prozent, das entspricht 1,63 Millionen Wohnungen, sind

Mietwohnungen (Senatsverwaltung fr Stadtentwicklung, 2011, S. 2)


4
Die durchschnittliche Wohnflche pro Einwohner liegt in Berlin
2011 mit 38,8 m2 im bundesweiten Vergleich eher im Mittelfeld: 2001 betrug
die durchschnittliche Wohnflche pro Kopf bereits 42,8 m2 (1991 waren es
noch 34,9 m2). (Quelle: Senatsverwaltung fr Stadtentwicklung, 2011, S. 2
sowie Jones Lang Lasalle, 2011, S. 15)
5
Eine Gegenberstellung der bezirksweise ausgewiesenen Ein
wohnerzahlen der amtlichen Statistik von 2007 und der Gre der Bezirke
ergibt eine Bevlkerungsdichte von ca. 13.700 EW/km2 im reinen Innen
stadtbezirk Friedrichshain-Kreuzberg, gefolgt von ca. 8.700 EW/km2 in Mitte,
wozu auch der dicht bevlkerte Stadtteil Wedding zhlt. In der Statistik
folgen dann Neuklln (ca. 7.100 EW/km 2), Tempelhof-Schneberg (ca.
6.300 EW/km2), Charlottenburg-Wilmersdorf und Lichtenberg (beide mit ca.
5.000 EW/km2).
6
Tatschlich betrgt der Anteil der Wohnungen in Bauten der
Grnderzeit (bis 1918) nur 27 Prozent. Die meisten Wohnungen in Berlin
(58 Prozent) wurden zwischen 1945 und 1990 errichtet (Senatsverwaltung
fr Stadtentwicklung, 2011, S. 2), einige davon auch in unmittelbarer Nhe
des historischen Zentrums (Beispiel: die Zeilenbauten des Zweiten Bauab
schnitts der Karl-Marx-Allee oder die Ersatzneubauten nrdlich der
Bernauer Strae im Wedding).
7
Fr das Scheitern der Stdte der Moderne wird hufig das Bei
spiel der 1972 aufgegebenen modernen Wohnsiedlung in Pruitt Igoe,
Missouri angefhrt. Die ca. 2.800 Wohnungen umfassende Bebauung aus
den fnfziger Jahren war massiven Segregations- und Vandalismuserschei
nungen ausgesetzt und wurde nicht einmal zwanzig Jahre nach ihrer Errich
tung gesprengt.
8
Ein Beispiel fr eine solche Herangehensweise in prominenter
Lage ist die Planung fr die Neubebauung des Rmerareals in Frankfurt
am Main: Das ehemalige Altstadtquartier zwischen Dom und Rmer soll
nach dem Abriss des Technischen Rathauses neu bebaut werden. Im
Sinne von Stadtreparatur soll ein durch altstadttypische Dichte geprg
tes, kleinteilig strukturiertes Quartier entstehen. ... Es ist eine lebendige
Nutzungsmischung angestrebt, die zur Belebung des Standorts beitrgt
(Quelle: http://www.stadtplanungsamt-frankfurt.de/dom_roemer_areal_5208.
html?psid=xgyxzssivt, Zugriff am 25.11.2012).

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Lebensbedingungen und mangelnde hygienische Zustnde


produziert hatte. Man diagnostizierte einen Zusammenhang
zwischen baulicher Form und gesellschaftlicher Problematik
und ging davon aus, dass man letztere durch erstere beeinflus
sen knne und msse.
Auch die frhe Gartenstadtbewegung entstand aus einer ab
lehnenden Haltung gegenber der komplexen, chaotischen
und nur schwer zu kontrollierenden Grostadt, die zu jener Zeit
vor allem Ankunftsstadt (Saunders, s.o.) fr zigtausende ehe
malige Landarbeiter war.
Mit Ebenezer Howards Studie Garden Cities of Tomorrow
(Howard, 1902) wurde ein stdtebauliches Modell populr, das
sich zum Ziel gesetzt hatte, die Vorteile von Stadt und Land zu
vereinen: Die Land-Stadt sollte als Netzwerk zwischen ber
schaubaren Subzentren organisiert und mit der Umgebung
verflochten sein, so dass sich Grund und Boden, Ackerflche
und Wohnbereiche optimal verzahnen.
Howards Vorschlag vereinte ltere Idealstadt-berlegungen
mit kologischen und konomischen Aspekten. Doch die ange
strebte Teilhabe der Landstadt-Bevlkerung an einem besse
ren Leben erstreckte sich nicht auf die public domain als Sek
tor des Politischen: Hier blieb das um ein Zentrum gruppierte,
geometrische Modell des stdtischen Zusammenlebens klar
hierarchisch.
Vor allem der Reformwohnungsbau der Weimarer Republik
entwickelt diesen Ansatz entscheidend weiter. In Berlin ent
standen groe, homogene Wohnsiedlungen gleich an meh
reren Stellen und wurden nach und nach auerordentlich
erfolgreich in das Gewebe der Stadt (Jacobs, s.o.) integriert.
Sechs von ihnen zhlen seit 2008 zum UNESCO-Welterbe.9
Innerhalb krzester Zeit wurden auf diese Weise beachtliche
Kontingente von Wohnungen bescheidener Gre bereitge
stellt, die durch ihre Einbettung in einen flieenden Grnraum
und zum Teil ergnzt durch eigene Hausgrten deutlich besse
re Lebensbedingungen fr Bewohner und Bewohnerinnen mit
geringem Einkommen boten als die bervlkerten Grnderzeitquartiere. Die neuen Wohn- und Bauformen schienen den neu
en politischen Verhltnissen und dem vernderten Machtgef
ge im Land zu entsprechen: Der Baustil der Moderne setzte zu
einem programmatischen und typologischen Siegeszug ber
die grnderzeitliche Mietshausbebauung an, deren Schmuck
elemente die hinter den Fassaden herrschenden, rmlichen
Verhltnisse nicht mehr kaschierten konnten.
Mit dem Erfolg der Siedlungen der Zwischenkriegszeit wuchs
das Renommee ihrer Erbauer, die oft keine akademische Aus
bildung besaen, sondern vor allem aus der Erfahrung einer
langjhrigen Praxis heraus agierten.10 Doch die Bestrebungen,
Fragen der Bevlkerungsentwicklung, des Stdtebaus und der
Wohnfrage wissenschaftlich fundiert zu untersuchen, fhrte
bald darauf zu einer Differenzierung der Betrachtungsweisen
und zu einer Trennung der Betrachtungsbereiche. Eines der
wichtigsten (und heute noch in der BauNVO verankerten) Ziele
einer wissenschaftlich fundierten Planung war die Entflechtung
der einstmals kleinrumig stark durchmischten Funktionen
der Stadt. Diese Forderung wurde unter anderem auch in der
Charta von Athen verankert, dem Ergebnispapier des Vierten
Internationalen Kongresses Moderner Architektur (CIAM) von

1933. Diese besa vor und nach dem Zweiten Weltkrieg gro
en Einfluss auf den internationalen Stdtebau.
Howards Land-Stadt-Modell ging im Paradigma der funktions
getrennten, aufgelockerten Stadt auf, die zum neuen Leitbild
der Stadtplanung wurde und unmittelbar nach dem Ende des
Zweiten Weltkriegs berall dort implantiert wurde, wo dieser
ausreichend groe Lcken gerissen hatte.
Doch die neue Typologie, das erkannte man bald, hatte gra
vierende Nachteile: Vor allem die in herkmmlicher Bauweise
schnell und unter Zeitdruck errichteten Zeilenbauten der 50er
Jahre betonten die Zerstrungen zum Teil mehr, als sie zu ka
schieren.
Die parallele Entwicklung einer autogerechten Verkehrsinfra
struktur trug zustzlich dazu bei, dass verbliebene, stdtische
Zusammenhnge zerfielen und rumliche Identitt verloren
ging zumal die aufgelockerte Stadt aufgrund ihrer vergleichs
weise geringe Dichte das eigentliche Problem, die Wohnungs
not der Nachkriegszeit, nicht in ausreichendem Ma lindern
konnte.11
Fr die verbleibenden Reserveflchen der groen Stdte
wurden daher Ende der fnfziger Jahre bis dahin geltende
Dichte-Obergrenzen auer Kraft gesetzt. Das bereits mehrfach
modifizierte Gartenstadtmodell mutierte nun zur baulich-rum
lichen Groform: In Ost und West entstanden Grosiedlungen,
zumeist in industrieller Bauweise.12 Walter Gropius, der bereits
in den 20er Jahren dafr pldiert hatte, das Grohaus als
Stadtbaustein zu nutzen und auf diese Weise mehr qualifi
zierten Freiraum erhalten zu knnen, gab schlielich einer
Siedlung seinen Namen, die fr diese Haltung als beispielhaft
gelten kann: die Berliner Gropiusstadt.
Fr die neuen, groen Siedlungen gab es keine Erfahrungen,
auf die man htte zurckgreifen knnen (Irion, Sieverts, 1991,
Vorwort). Gleichzeitig machte die fortschreitende Spezialisie
rung der planenden Berufe zum ersten Mal Kooperationen
ber die Grenzen der eigenen Disziplin hinweg mglich und
ntig. Es war zum Beispiel der Soziologe Edgar Salin, der auf
dem deutschen Stdtetag zu den dort anwesenden Architekten
und Stadtplanerinnen ber Urbanitt referierte (Salin, 1960;

9
Das sind die Gartenstadt Falkenberg in Treptow (191315,
Bruno Taut), die Hufeisensiedlung Britz in Neuklln (192530; Bruno
Taut und Martin Wagner), die Wohnstadt Carl Legien in Prenzlauer Berg
(192830, Bruno Taut und Franz Hillinger), die Siedlung Schillerpark im
Wedding (192430, Bruno Taut und Franz Hoffmann), die Weie Stadt in
Reinickendorf (192931, Bruno Ahrends, Wilhelm Bning und Otto Rudolf
Salvisberg) und die Grosiedlung Siemensstadt in Charlottenburg und
Spandau (192934, Otto Bartning, Fred Forbat, Walter Gropius, Hugo
Hring, Paul Rudolf Henning und Hans Scharoun).
10
Dies galt auch fr die Erbauer der heutigen Welterbesiedlungen:
Taut, Salvisberg und Hoffmann besuchten zunchst nur damals durchaus
blich eine Bauschule. Gropius und Bartning brachen ihr Studium an der
Technischen Universitt vor dem Diplom ab.
11
Diese Entwicklung und die im Vergleich zu heute relativ schnell
getroffenen Abrissentscheidungen in Bezug auf bestehende Gebude fhrte
dazu, dass vor allem die Bauttigkeit der Nachkriegszeit hufig als Zweite
Zerstrung der Stdte bezeichnet wurde.
12
Auch dies war bereits ein Traum der innovativen Zwanziger
Jahre, der damals jedoch aufgrund technischer Schwierigkeiten noch
nicht umgesetzt werden konnte. Zum industriellen Bauen heute siehe
auch die parallel zu dieser Studie entstandene IBA-Recherche Serieller
Wohnungsbau Standardisierung und Vielfalt (Benze, Gill, Hebert, 2013).

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Benze, Gill, Hebert

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2013

siehe auch Kapitel 1.2, S. 10 ff.) und auf diese Weise anregte,
sich nicht nur ber die Errichtung, sondern auch ber den Ge
brauch gebauter Umwelt Gedanken zu machen.13
Die groen Siedlungen waren von Beginn an ein Experiment,
gleichermaen Utopien und pragmatisch-wirtschaftliche Lsun
gen, die mit neuen, wissenschaftlichen Planungsmethoden aus
einer Interpolation der alten Feldversuche mit der aufgelocker
ten Stadt hervorgehen sollten. Man war sich zu Beginn sehr
sicher, dass diese neue Form der Stadt besser sei als die alte,
fr deren Erhalt man folglich nicht mehr kmpfte. Allerdings
wich diese Sicherheit im Westen Deutschlands schon nach
relativ kurzer Zeit einem massiven Zweifel, an dessen Entste
hung die lkrise von 1973 gleichermaen ihren Anteil hatte
wie die sozialen Probleme, die in den neuen Siedlungen auf
traten und ihre paradigmatische uerung 1978 in Christiane
Felscherinows Bericht Wir Kinder vom Bahnhof Zoo fanden.14
Im Osten Deutschlands wurde der industrialisierte Wohnungs
bau bis 1989 fortgesetzt: Mangels Alternative und dank des im
Vergleich zu den unsanierten Altbaugebieten hheren Wohn
komforts waren die Trabantenstdte und Siedlungen des Kom
plexwohnungsbaus sogar lange Zeit relativ beliebt. Erst mit der
Wiedervereinigung 1990 und den anschlieenden gesellschaft
lichen und wirtschaftlichen Vernderungen setzten auch hier
Abwanderungs- und Segregationsprozesse ein, die nach einer
bergangszeit in den 90er Jahren schlielich massive Rck
baumanahmen erforderlich machten.
So waren die Growohnsiedlungen bereits kurz nach ihrer Fer
tigstellung Geschichte: Neue Stdte dieser Grenordnung,
schreiben Irion und Sieverts 198415, werden in absehbarer
Zukunft nicht mehr gegrndet werden. So gesehen sind sie
einer abgeschlossenen Phase der zentraleuropischen Ent
wicklung zuzurechnen und als in sich geschlossene Gebilde
damit trotz ihres geringen Alters sie sind noch nicht einmal
finanziell abgeschrieben zu einem Thema der modernen
Stadtgeschichte geworden (Irion, Sieverts 1991, S. 9).
Den Grund dafr sehen Irion und Sieverts unter anderem in
den sozialen Problemen und einer mangelnden Adaptions
fhigkeit der Siedlungen: Die weniger erfolgreichen Neuen
Stdte, insbesondere diejenigen der zweiten Generation aus
den sechziger Jahren, die geprgt sind von industrialisierter
Vorfertigung und hoher Dichte, leiden zum Teil jetzt schon,
nach ein bis zwei Jahrzehnten, unter schweren sozialen, ko
nomischen und technischen Problemen, die ihnen bisweilen
den Ruf von Slums eingetragen haben, die dringend der Stadt
erneuerung bedrfen (Irion & Sieverts 1991, S. 9). Ihre Prob
lemdiagnose geht ber die Standardkritik der Unwirtlichkeit
(Mitscherlich, 1965) hinaus: Sie konstatieren, dass die Eigen
schaft des 'Fertigen', das konzeptionell kaum Entwicklungen
zulsst, als schweres Hindernis bei der Anpasung an gewan
delte Bedingungen gelten msse (Irion, Sieverts 1991, S. 10).
Parallel zur Problematisierung (und zur fortschreitenden Stig
matisierung) des eben noch gefeierten neuen Wohnmodells,
fand in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts die Rehabilitie
rung der einstmals verachteten Mietskasernenstruktur statt.
Die nicht mehr von industriellen Emissionen, berbelegung
und allgemeiner Armut gezeichneten Grnderzeitquartiere er

freuen sich seit Ende der 80er Jahre in ganz Berlin zunehmen
der Beliebtheit. Dieser bis heute ungebrochene Trend einer
Renaissance der Innenstdte (Huermann, Siebel 1987, S.
11 ff.), der einer marktwirksamen Abstimmung mit den Fen
gleichkommt, wirft die Frage auf, ob die urbanen Strukturen
dieser funktionsgemischten, dicht bebauten innerstdtischen
Quartiere in der einen oder anderen Weise auch auf die derzeit
weniger beliebten Grosiedlungen der Moderne bertragen
werden knnen nicht zuletzt, um den Druck der anhaltenden
Gentrifizierung auf die Gebiete der Inneren Stadt und ihre Be
wohner und Bewohnerinnen zu verringern.
Zugleich stellt sich die Frage, wie Fehler der Vergangenheit
vermieden werden knnen, wenn wieder neuer Wohnraum be
ntigt wird: Wenn also, wie es in Berlin zuletzt in den Schlag
zeilen zu lesen war, der Ruf nach der neuen Grosiedlung
tatschlich wieder zu hren ist.16 Denn die Wohnungsfrage,
das hat auch der kurze berblick bis hierher gezeigt, ist immer
auch eine politische Frage und zwar generell eine mit relativ
hoher Sprengkraft. Die Frage nach neuen Siedlungen oder gar
ganzen Stdten ist dabei beleibe kein lokales Problem, im Ge
genteil: Weltweit berziehen Neue Stdte den Erdball; sie sind
ganz klar das Modell der Zukunft.17
Etwa ein Fnftel aller Berliner und Berlinerinnen leben in Gro
siedlungen (etwa 700.000 Menschen in ca. 350.000 Wohnun

13
Wie unmittelbar wirksam das war, lsst sich an der von Gerhard
Boeddinghaus herausgegebenen Dokumentation zweier Fachtagungen
erkennen, die 1963 und 1964 in Gelsenkirchen unter dem Titel Gesellschaft
durch Dichte stattfanden ein Slogan, der zunchst provokativ gemeint
war, sich jedoch als uerst eingngig erwies und mglicherweise zu der
(stark vereinfachenden) Forderung nach Urbanitt durch Dichte gefhrt hat
(Boeddinghaus, 1995).
14
Christiane Felscherinow verffentlichte mit Hilfe zweier STERNAutoren unter dem berhmt gewordenen Pseudonym Christiane F. einen
Bericht ber ihr Leben als minderjhrige Prostituierte und Drogenabhngige
im West-Berlin der frhen 70er Jahre. Das Buch beginnt mit einer
Schilderung der von ihr als anonym und kinderfeindlich empfundenen
Gropiusstadt, wo sie aufwuchs und gab damit scheinbar jenen Recht,
die der modernen Architektur der Siedlung eine negative Wirkung auf die
sozialen Verhltnisse zuschreiben wollten.

15
Ihre Studie ber die Neuen Stdte ist Ergebnis eines DFG-

gefrderten Forschungsprojektes, das vor allem Ilse Irion in den Jahren 1981
bis 1984 durchfhrte. Die zugehrige Publikation ihrer vergleichenden Studie
neuer Stdte in vier Lndern erschien allerdings erst 1991.
16
So zum Beispiel in der Berliner MORGENPOST vom 11.11.2012
(http://www.morgenpost.de/berlin-aktuell/article110910620/Berlin-braucht
dringend-mehr-neue-Wohnungen.html) und in der WELT vom 12.11.2012
(http://www.welt.de/print/welt_kompakt/berlin/article110911250/Wir
brauchen-Grosssiedlungen.html. Etwa zeitgleich, auf dem Landesparteitag
der niederschsichen SPD, sprach der sozialdemokratische Kanzlerkandidat
Peer Steinbrck ber die Wiederbelebung des sozialen Wohnungsbaus
(http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/steigende-wohnkosten-mieterbundwarnt-vor-mittlerer-katastrophe-1.1520124). (Zugriff am 26.11.12)
17
Vor allem dieser internationale Fokus ist es, der INTI, das
International New Towns Institute in Almere (Holland) interessiert.
Grndungsmitglied und Vorstand ist Crimson-Partnerin Michelle Provoost,
die sich gemeinsam mit Wouter Vanstiphout schon vor Jahren mit der
Revitalisierung einer (niederlndischen) New Town beschftigt hatte (siehe
auch das Fallbesipiel WIMBY! HOOGVLIET). Seine Mission beschreibt das
Institut folgendermaen: INTI is a research and knowledge institute which
focuses on the history and regeneration of Western New Towns, with a
commitment to improving the planning of present day New Towns worldwide.
The research takes a wide angle approach, employing social sciences.
Crimson / INTI waren mit der New-Town-Studie The Banality of The Good
auch bei der Architekturbiennale 2012 vertreten.

Urbane Lebenswelten
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2013

10

gen).18 Whrend die Fachwelt ber Grnde fr das Scheitern


dieser Siedlungen nachdenkt, (siehe oben, S. 7 und Funote
7) sind sie fr ihre Bewohner und Bewohnerinnen alltgliche
Realitt und damit lngst auch eine ganz spezifische Form
von Heimat (Bielka, Beck, 2012; sowie Abschnitt 1.3, S. 11 ff.).
Stark wachsende Stdte wie Mnchen und Hamburg oder Me
tropolen mit Gentrifizierungsdruck wie Berlin beginnen daher,
ihre Grosiedlungen nicht mehr nur als Problemzonen, son
dern zugleich auch als rumliche Ressource, als Chance fr
eine qualittvolle Entwicklung zu betrachten.

genau zu wissen, was urbane Strukturen ausmacht: erkenn


bare Orte mit je eigener Atmosphre, offen und zugnglich fr
jeden, kleinteilig und vielfltig in ihrer Nutzung und tags wie
nachts belebt. Urbane Strukturen ermglichen die Interaktion
Einzelner mit der Menge und Begegnungen zwischen Einhei
mischen und Fremden, sie prsentieren die Stadt als Bhne,
auf der sich das reale Leben ereignet. Urbane Strukturen
schaffen Rume, die Identitt besitzen oder stiften, sei es im
Alltag oder in der Wiederkehr kollektiver Rituale, und sie er
mglichen jedem Anwesenden die Teilhabe und eine positive
Bindung an diese gefhlte Realitt.

1.2
URBANE STRUKTUREN: miSCHUNG, DiCHTE UND
iDENTiTT

Wenn man sich auf diese populrwissenschaftliche Beschrei


bung des Urbanen als Lebensgefhl, als Interaktions- und Be
gegnungsqualitt einlsst, dann wird deutlich, dass die Wahr
nehmung und Performanz urbaner Strukturen nicht zuletzt
eine Frage der (eigenen) Prsenz und der individuellen Wahr
nehmung ist. Die prchtigsten Fassaden und die breitesten
Straen wrden uns kaum urban erscheinen, wenn sie men
schenleer und still wren; hingegen knnen dicht bevlkerte,
chaotisch und eng bebaute Kasbah-Strukturen urban wirken,
obwohl ihre bauliche Dichte gering sein mag. Urbane Struktu
ren, so scheint es, mssen vor allem eine gewisse Dichte von
Menschen aufweisen oder aushalten. Erst in der anonymen
Begegnung und im unwahrscheinlichen Zufall, in der Kunst
der Improvisation (Dell, 2011) liegen die Chancen des Urba
nen, der eigenen Biographie eine berraschende Wendung
zu geben und damit die berschreitung vermeintlich vorge
zeichneter Lebensplne zu ermglichen.

In diesem Abschnitt wird kurz darauf eingegangen, wie die fr


diese Untersuchung relevanten Begriffe im gegebenen Kontext
produktiv interpretiert werden knnen auch wenn (oder gera
de weil) es sich hier nicht um klare wissenschaftliche Termini
handelt, sondern um gesellschaftlich geprgte Gebrauchswr
ter mit unscharfer inhaltlicher Referenz.
Bereits der Begriff Urbanitt ist nicht klar definiert. Edgar
Salin, der ihn 1960 in den deutschen Stadtplanungsdiskurs
einbrachte (Salin, 1960), definierte Urbanitt soziologisch als
Verhaltensweise und vermied es gezielt, Analogien oder gar
Abhngigkeiten zwischen diesem Verhalten und gebauten
Orten zu benennen. Fr ihn waren Habitus und Habitat, Ge
wohnheiten und Wohnumgebungen, zwei vllig verschiedene
Bereiche, zwischen denen keinerlei kausale Zusammenhnge
existieren. Lebensweisen und Mentalitten, schreibt der
Stadttheoretiker Angelus Eisinger mit einer hnlichen Zielrich
tung, knnen nicht einfach als Resultanten bestimmter bau
licher Konfigurationen verstanden werden, sondern verhalten
sich dazu kontingent (Eisinger 2004). Damit weisen beide auf
die Unmglichkeit hin, soziales Verhalten (oder soziale Ver
hltnisse) durch bauliche Strukturen zu prgen und erteilen
damit nicht nur den Kritikern, sondern auch den Befrwortern
des modernen Stdtebaus eine wichtige Lektion.
Auch Walter Siebel, der bereits zu Beginn der Renaissance
der Stdte (Huermann, Siebel, 1987) danach fragte, was
Urbanitt heute sein knne, warnt davor, den Begriff als Ziel
vorstellung in den stdtebaulichen Diskus einzubringen. Fr
ihn liegt die spezifische Qualitt des Stdtischen gerade nicht
darin, dass eine bestimmte (zum Beispiel als urban empfunde
ne) Lebensweise sich homogen ber das gesamte Stadtgebiet
ausbreitet, sondern im Gegenteil: Die positiven Momente ei
ner stdtischen Lebenskultur, schreibt er, gehen immer dann
verloren, wenn eine Seite ihrer Ambivalenz verabsolutiert wird,
wenn die Dialektik von Heimat und Anonymitt, von Aneignung
und Entlastung negiert oder aufgehoben wird in einseitigen Re
zepten einer stdtischen Lebensform. Stadtkultur heit vor al
lem, Ambivalenzen zu ermglichen und Widersprche, wo sie
nicht aufgehoben werden knnen, doch bewut auszuhalten"
(Huermann, Siebel, 1987, S. 245).
Urbanitt als soziologischer Begriff erscheint demnach
grundstzlich ungeeignet, um stadtrumliche Qualitten zu
fordern oder gar zu planen. Dennoch glauben viele Architekten
und Stadtplanerinnen, Politiker und Stadtbenutzerinnen intuitiv

Eisinger verweist jedoch auch fr diesen performativen Urba


nittsbegriff auf die Grenzen, die diesbezglich fr die Planung
und Entwicklung von Stdten existieren. Er mahnt, Urba
nitt nicht einfach mit einer bestimmten Dichte urbaner Inter
aktionen gleichzusetzen. Dichte und Durchmischung erhhen
zwar die Intensitt und Hufigkeit von Kontakten, knnen aber
einzig die Wahrscheinlichkeit fr bestimmte Verhaltensweisen
erhhen, programmieren aber lassen sich diese nicht. (Eisin
ger, 2004).
Auch Siebel und Huermann sehen die Rolle der Planung
nicht darin, bestimmte Arten von Urbanitt an bestimmten
Orten erzeugen zu wollen, sondern appellieren an die Bereit
schaft zum Experiment inklusive der Verpflichtung, daraus zu
lernen. "Nicht, ob die Planung das wirklich Richtige tut, sagen
sie, sondern ob sie es gegebenenfalls auch wieder rckgngig
machen knnte, nicht der Grad der Gewiheit, sondern ... der
Grad der Revidierbarkeit bestimmt die Rationalitt von Politik.
Solchen Irrtumsvorbehalt und ironischen Mglichkeitssinn zu
strken, ist Aufgabe der Kritik an unseren Stdten und ihrer
Kultur. ... Und dieses Versprechen auf eine offene Zukunft ist
der Kern dessen, was Stadtkultur und stdtisches Leben aus
macht." (Huermann, Siebel 1987, S. 250)

18
Quelle: Dokumentation einer Ausstellung des Kompetenzzentrum
Grosiedlung e.V., die am 05. November 2008 im Rathaus von Paris statt
fand. (Kompetenzzentrum Grosiedlung e.V., 2008) Das Kompetenzzentrum
ist ein eingetragener Verein, der 2001 gegrndet wurde, um die Erfahrungen
Berlins bei der nachhaltigen Erneuerung der groen Wohngebiete zu bn
deln und an interessierte Partner in Deutschland und Europa weiterzugeben
(http://www.gross-siedlungen.de/de/20_Startseite.htm).

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2013

Die planenden Berufe sollten daher, fordert Eisinger, Stadt neu


denken: Wenn wir unter Urbanitt mehr als einen Sammelbe
griff fr stdtische Lebensweisen verstehen, wenn wir diesen
Begriff also mit bestimmten normativen Eigenschaften wie
Offenheit, Toleranz, Innovationsfhigkeit und Wandelbarkeit
ausstatten, stellt sich die Frage, auf welche Weise eine solche
Mentalitt berhaupt entstehen kann. Wie die Erfahrungen
des 20. Jahrhunderts zeigen, sind Architektur und Stdtebau
mit einer derartigen Aufgabe schlicht berfordert. Folgerichtig
nhert sich die aktuelle urbanistische Diskussion deshalb der
Stadt nicht mehr als dem Objekt der Architektur, sondern ver
steht sie als den Kontext, mit welchem Architektur interagiert,
auf welchen Architektur ihre Konzepte bezieht, dem sie neue
Potentiale zu verleihen versucht. (Eisinger 2004)
Um diesen Kontext zu verstehen, gengt es nicht, Quotienten
zu bilden: Das Errechnen von baulicher Dichte, Einwohner
dichte oder Begegnungswahrscheinlichkeit befrdert nicht die
Urbanitt einer Struktur, sondern bestenfalls ihre finanzielle
Kalkulierbarkeit. Auch das Kriterium der Mischung ist in diesem
Zusammenhang unscharf: Die programmatische Mischung
als Angebot unterschiedlicher Rume fr verschiedene Ttig
keiten , kann zwar dazu beitragen, eine Diversitt der Nutzun
gen (mit) zu erzeugen, doch sind auch das sieht man heute
an den Bauten der Grnderzeit hufig viel eher gesetzliche
und gesellschaftliche Normen dafr verantwortlich, dass Plt
ze nur als Pltze und Wohnungen nur als Wohnungen genutzt
werden knnen. Letztlich sind es die am Reibrett geplanten
Siedlungen selbst, die belegen, dass die genaue funktionale
Zuordnung von Einrichtungen des tglichen Bedarfs (Schulen,
Supermrkte, Arztpraxen) keine geheimen Orte brig lsst
und auch keine zuflligen Begegnungen generiert, sondern
dass genau diese mageschneiderten Rume heute jene sind,
die sich gegenber einer mglichen Umnutzung als besonders
widerstndig erweisen.
Schon allein deshalb kann man Urbanitt an Orten, die diese
nicht besitzen, nicht einfach nachrsten;19 zumal man allen
falls ahnen, aber nicht wissen kann, was die gesellschaftlichen
Wnsche in abermals dreiig Jahren sein werden: Es zeichnet
sich ab, dass die Definition des Urbanen sich vor dem Hin
tergrund des Klimawandels, fortschreitender Verstdterung
und schwindender Ressourcen erneut verndern wird und
knftig, wie es die Soziologen beschreiben, keinen Lebensstil,
sondern eine existentielle Rahmenbedingung bezeichnet. Es
ist absehbar, dass vor allem Mobilittskonzepte an diese ver
nderten Bedingungen angepasst werden mssen, und dass
die Verlagerung zahlreicher Aktivitten in virtuelle Rume zwar
nicht, wie einst befrchtet, zu einer Marginalisierung, wohl aber
zu einem vernderten Gebrauch stdtischer Strukturen fhren
kann. Die historisch gewachsene, kompakte Stadt wird dabei
ebenso einer Revision bestehender Werte und Vorstellung
unterzogen werden mssen wie die verdichteten Gartenstdte
oder die suburbanen, zwischenstdtische Randgebiete.
Urbane Strukturen als bauliche Rahmenbedingungen sind da
mit genau so wenig eindeutig planbar wie eine funktionale oder
soziale Mischung verschiedener Programme und Personen.
Sie knnen dennoch berall dort entstehen, wo der spezifische
Charakter des Ortes, die Diversitt der zur Verfgung stehen
den Rume und die Bereitschaft der Bevlkerung dazu fh

11

ren, dass Begegnungen stattfinden. Urbanity, formuliert die


niederlndische Knstlerin Jeanne van Heeswijk, is founded
on encounter For example, the encounter of different ideas
sparks new ideas. Urban qualities, a beating heart, shared his
tory, social interaction and a sense of community are, indeed,
all qualities that must grow and evolve; they cannot be planned
on the drawing board or be built by a contractor."20
Theoretische Untersuchungen zur Urbanitt nicht zentral ge
legener Orte gibt es bisher nur wenige, obwohl es nach dem
bisher Gesagten auf der Hand liegt, dass die (allgemeinen
baulichen) Vorstellungen von Urbanitt strker differenziert
werden mssen, wenn es um Gegenden geht, die abseits
der Zentren und doch in der Stadt liegen. Christa Kamleithner
und Susanne Hauser unternahmen es 2006, die sthetik der
Agglomeration zu erforschen (Hauser, Kamleither, 2006) und
kamen dabei zu dem Schluss, dass Urbanitt vor allem durch
die Schaffung zugnglicher Rume und intensiver Orte be
frdert werden knne ein Programm, dass sie nicht nur, aber
auch fr zwischenstdtische Gegenden vorschlagen.
1.3
STADT ALS WOHNRAUm: LOKALE pOTENZiALE
UND TOpODiVERSiTT
Stadt, so knnte man die Diskussion des vorangegangenen
Abschnitts zusammenfassen, ist kein Zustand, den man
erzeugen kann, sondern ein Prozess, der nie endet. An ihrer
spezifischen Ausdifferenzierung sind nicht nur die lokalen
Gegebenheiten und der Geist des Ortes21 beteiligt, sondern
auch viele Menschen: Akteure aus Planung, Politik und kono
mie und natrlich vor allem die Bewohner und Bewohnerinnen,
die die Identitt von Orten ganz wesentlich prgen.
Eine besondere Herausforderung sowohl bei der Transfor
mation, als auch bei der Neuerrichtung von Siedlungen und
Stadtteilen ist daher nicht allein der Umgang mit der baulichen
Substanz, sondern auch der mit den dort lebenden Menschen.
Ihre individuellen Wohn-Biographien berlagern sich im ffent
lichen Raum und verdichten sich zu einem spezifisch gelebten
Raum 22 oder Lebensraum, dessen Qualitten zu erkennen,
zu erfassen und zu entwickeln sind.
Die Fhigkeit des Menschen, sich heimatlich in seiner Wohn
umgebung zu verankern, ist nur zu einem Teil von deren bauli
cher Substanz und Form abhngig.23 Das Wohnen, phnome
19
In diesem Sinn uert sich ein Mitarbeiter der Initiative Think
Berlin im Interview mit der taz (15./16.9.2012), der unter der berschrift
Urbanitt kann man nachrsten unter anderem empfahl, den CappucinoBelt auszuweiten.
20
zitiert nach: Jeanne van Heeswijk: het blauwe huis (http://www.
blauwehuis.org/blauwehuisv2/?page_id=560, Zugriff: 09.10.2012)
21
Hier ist nicht nur die kunsthistorische Figur des Genius Loci,
des Geistes, der einen Ort bewohnt, gemeint, sondern auch neuere
Forschungen, die Stdten eine Eigenlogik attestieren (z.B. Berking, Lw,
2008).
22
Zur Gegenberstellung von gelebten und gebauten Rumen
und zum Verhltnis zwischen (phnomenologischer) Theorie und
(architektonischer) Praxis siehe auch Hebert (2012a).
23
Zu den Zusammenhngen zwischen der rumlichen Gestalt von
Orten und ihrer Aneignung im Gebrauch vergleiche auch Andrea Benzes
Kartographie von Alltagsorten in der Stadtregion (Benze 2012).

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nologisch als existentielle Form des Zur-Welt-Seins (MerleauPonty, 1966) verstanden, ist ein existenzielles Grundbedrfnis.
Dieses spezifische Engagiertsein an bzw. in der eigenen
Lebensumgebung, das unseren Anhalt an der Welt (MerleauPonty, 1966) herstellt, ist Voraussetzung und Ergebnis erfolg
reichen Wohnens. Ob man sich an einem Ort heimisch fhlen
kann, ist damit nicht so sehr eine Frage der richtigen (oder
falschen) Architektur, sondern vor allem eine Frage des Ver
hltnisses, das man zu ihr entwickelt.
Auch die Glcksversprechen (Dolff-Bonekmper)24 der Mo
derne werden nicht sofort und nicht ohne eigenes Zutun wirk
sam: Ein gelingendes Leben hngt von mehr Faktoren ab als
nur der eigenen Wohnumgebung, auch wenn es fr die eigene
Biografie und die Selbstprsentation nach auen durchaus von
Bedeutung sein kann, wo man wohnt und wie hoch das all
gemeine Ansehen dieses Wohnortes bei Anderen ist.
Auf diese grundstzliche Weise betrachtet, endet das Wohnen
nicht an der Wohnungstr: Nicht nur im world wide web, son
dern auch auerhalb der eigenen vier Wnde legen wir Spu
ren, hinterlassen Merkzeichen oder begegnen anderen Men
schen, real und in unserer Vorstellung. Die Stadt als Wohn
raum (Hasse, 2010 und darin vor allem Janson, Wolfrum,
2010) ist mehr als ein Behlter, in dem die Grundbedrfnisse
von Rekreation und Reproduktion befriedigt werden. Stadt,
solchermaen als Wohnraum verstanden, lenkt den Blick auf
Aneignungsformen, die unterschiedliche Formen und Abstufun
gen haben knnen als temporre Inbesitznahme, vorberge
hende Zweckentfremdung oder biografische Zuschreibung.
Jede Form des ffentlichen Engagements ist ein Statement,
unter Umstnden auch eines, das provozieren mchte. Bei der
Transformation stdtischer Lebensrume ist die Empfindung
einer Einmischung von auen vorprogrammiert: Jeder Eingriff
in die bewohnte Stadt verndert bestehende Zusammenhnge,
verhindert alte und ermglicht neue Begegnungen, modifiziert
den eigenen, bereits angeeigneten Lebensraum jedes einzel
nen dort ansssigen Menschen.
Der gelebte Raum ist niemals leer: Auch wenn die vorhande
nen Bezge und Beziehungen, das Gespinst aus Bedeutung
und Erinnerung und die individuellen Zuschreibungen, die an
einem Ort vorhanden sind, fr den Auenstehenden unsichtbar
sind, prgen sie doch ganz wesentlich den Charakter und die
Identitt des Quartiers und zhlen somit zu den spezifischen
Qualitten und lokalen Potenzialen des jeweiligen Kontextes.
Wenn daher bestehende Strukturen transformiert werden sol
len, um sie fr mehr Menschen attraktiv zu machen, muss am
Beginn dieser Transformationen eine sehr sorgfltige Prfung
der bereits vorhandenen Qualitten stattfinden,25 um deren
versehentliche berschreibung zu vermeiden. Der hierfr er
forderliche, analytische Blick muss, um die oben zitierte Forde
rung von Jane Jacobs zu erfllen, ber den Tellerrand gehen:
ber den der eigenen Profession, den des persnlichen kul
turellen Hintergrunds und ber die Grenzen des betrachteten
Gebietes hinaus.
Der Vorgang der Gewhnung ermglicht es Menschen an fast
allen Orten der Welt, Bezge zu ihrer Umgebung aufzubauen
und sich heimatlich in ihr zu verankern. Ob (groe) Siedlungen

12

auch Heimat sein knnen, steht daher vllig auer Frage; zu


diskutieren wre allerdings, welche Qualitten diese Heimat
aufweist und wie diese Qualitten durch anstehende Trans
formationsprozesse hindurch erhalten oder im besten Fall so
gar verstrkt werden knnen.
Eine Konzentration der Analyse und der Planung auf zu kleine
lokale Einheiten ist dabei ebenso zu vermeiden wie eine zu
einseitige Festlegung auf bestimmte Formen und Formate
gewnschter urbaner Strukturen: Gerade die Vielfalt der ver
schiedenen Lebensformen und rume, die Topodiversitt der
Grostadt, ist (im Vergleich zu kleinstdtischen Strukturen)
deren grtes Potenzial. Allerdings muss, damit jeder Stadt
bewohner nach seinen individuellen Vorstellungen leben kann,
eine gewisse Freizgigkeit gewhrleistet sein und die ver
schiedenen Formen der Urbanitt, die in einer Stadt existieren,
sollten weder nivelliert, noch im Rahmen einer einseitig gefhr
ten Wertediskussion gegeneinander ausgespielt werden.
Die bewohnte Stadt gehrt allen, was eine konsensuelle
Entwicklung ihrer baulichen Form natrlich erschwert: Die
Perspektiven auf, die Ziele fr und die Wnsche an die Stadt
unterscheiden sich, je nachdem, was man in ihr sieht oder
sucht. Gleichzeitig ergibt sich jedoch aus dem Kaleidoskop
dieser Perspektiven ein offener Raum, in dem vieles mglich
erscheint. Im folgenden Abschnitt wird erlutert, welche Me
thoden und Strategien dafr eingesetzt werden knnen, diese
(vorhandenen und verborgenen) Potenziale zu erkennen, zu
entwickeln und zu intensivieren.

24
Gabi Dolff-Bonekmper, Professorin fr Denkmalpflege an der
TU Berlin, fragt nach der Heimatfhigkeit von Grosiedlungen (ffentliche
Debatte im Rahmen der Reihe Stadt Wert Schtzen am 03. 09.2012 auf
dem Tempelhofer Feld zum Thema Umgang mit dem Erbe der Moderne)
und fordert einen sensiblen Umgang mit den Qualitten groer Siedlungen
an Stelle von pauschalen Urteilen und Verurteilungen.
25
Eine solche Analyse muss ber die Erhebung statistischer
Daten hinausgehen: Anstze fr partizipative Verfahren in der qualitativen
Stadtforschung sind heute nicht mehr ungewhnlich. Knstlerische und
kuratorische Praxen (z.B. Vorkoeper, Knobloch, 2012 und Krasny, Nierhaus,
2008) verschrnken und ergnzen sich hier mit qualitativer Forschung
(Urban Portaits, Pilotstudie von OFFSEA Andrea Benze und Anuschka
Kutz, Akademie Schloss Solitude, 2012) und wissenschaftlichen Anstzen
(z.B. das von Saskia Hebert initiierte lived/space/lab an der UdK).

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2013

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14

2 STRATEGiEN EiNER DiFFERENZiERTEN


STADTENTWiCKLUNG
Das stdtebauliche Bekenntnis zur Topo- und Soziodiversi
tt der Stadt, wie es die IBA 2020 formuliert, ist heute ein
wichtiges und starkes Signal, denn der globale Trend ist ein
anderer: Urbane Segregationsprozesse fhren scheinbar
zwangslufig zur Entstehung homogener Inseln, die sich von
anderen Inseln abgrenzen. Die Bereitschaft zum Aushalten
von Widersprchen (Siebel, s.o.) ist in der individualisierten
Gesellschaft eher gering, daher mssen Strategien, die dem
Leitbild der gemischten Stadt folgen, diese Diversitt sehr
entschieden fordern und ganz sensibel frdern.
Dabei sind heute Verschiebungen zu beobachten, die nicht nur
die Rolle und die Zustndigkeit der am Entwicklungsprozess
beteiligten Akteure betreffen, sondern auch die Orte selbst:
Die Steuerung langfristiger Prozesse, frher ganz klar Aufga
be einer starken ffentlichen Hand, liegt heute mehr und mehr
in den Hnden privater Investoren, whrend auf der anderen
Seite immer mehr Gruppen und lokale Akteure in langfristige
(Planungs-)Prozesse involviert werden mchten. Planung kann
hier die Rolle einer Moderation bernehmen, die einen Prozess
offen gestaltet und begleitet, statt seinen Ausgang apodiktisch
vorauszusagen.
Das Nachjustieren bestehender Eigenschaften, die behutsame
Diversifizierung bestehender Quartiere und die langfristig
flexible Adaption stdtischer Strukturen an neue technische
und gesellschaftliche Standards sind wichtige Operationen,
um Stadt dauerhaft bewohnbar zu halten. Marktorientierte Se
gregationsprozesse knnen langfristig zu negativen sozialen
Entwicklungen fhren; daher bleibt es eine wichtige Aufgabe,
auch gnstigen Wohnraum zu erhalten. Gerade in einer Stadt
wie Berlin, deren im Vergleich mit anderen Grostdten ge
ringe Mieten nicht unerheblich zu einem nun auch statistisch
nachweisbaren Zuzug beigetragen haben, ist dies eine wichti
ge Frage: Obwohl die Kosten fr Wohnraum im deutschland
weiten Vergleich hier immer noch niedrig erscheinen, liegen sie
im Verhltnis zum verfgbaren Netto-Einkommen bereits heute
im Spitzenbereich.26
In diesem Zusammenhang spielen vor allem Bestandsbauten
eine wichtige Rolle. Zum Einen besitzen bestehende Quar
tiere meist einen eigenen Charakter, der entwickelt werden
kann, und zum Anderen stellen vorhandene Gebude eine
Ressource dar. In ihnen ist nicht nur Energie gebunden, son
dern es lasten meist auch keine finanziellen Verbindlichkeiten
mehr auf ihnen ein Umstand, der allerdings gefhrdet ist,
wenn aufgrund neuer technischer Standards aufwndige
Sanierungsmanahmen durchzufhren sind. Eine weitere,
damit zusammenhngende Ressource, deren Energien zu
nutzen sind, stellen die Bewohner und Bewohnerinnen dieser
Bestandsbauten und gebiete dar. Ihr Engagement und ihr
Wissen sind wertvolle Quellen fr eine nachhaltige Entwick
lung, und es gibt heute zahlreiche Verfahren, dieses Wissen zu
erschlieen und dieses Engagement zu frdern.

Grundstzlich kann man drei Ebenen identifizieren, auf denen


Eingriffe in die Struktur und den Charakter groer, zusammen
hngender Wohnstandorte erfolgen knnen. Sie umfassen
baulich-rumliche, gesellschaftlich-kulturelle und konomische
Manahmen (siehe auch Greb, Kraft, 2011). Sie treten meist
nicht isoliert, sondern in unterschiedlichen Kombinationen auf
und sind sowohl fr die Transformation bestehender, als auch
fr den Bau neuer Siedlungen und Stadtteile relevant.
Die drei aus ihnen abgeleiteten stdtebaulichen Diversifizie
rungs-Strategien werden in der Folge kurz beschrieben. Im
darauf folgenden dritten Kapitel (S. 20 ff.) werden ihnen einige
Fallbeispiele aus verschiedenen Lndern und unterschiedli
chen stadtrumlichen Kontexten zugeordnet.
2.1

BAULiCHE STRATEGiEN

Bauliche Strategien zur Entwicklung urbaner Strukturen umfas


sen verschiedene Handlungsfelder und -optionen. Sie gehren
in der Regel vor allem in Bezug auf grere Wohnungsbe
stnde , zu den kostenintensiveren Manahmen. Bauliche
Transformationen bentigen, je nach Umfang und Grad der ge
wnschten Vernderungen, einen relativ langen Planungsvor
lauf und auch eine relativ lange Umsetzungsphase. Sie greifen
deutlich sprbar in die Lebenswelt und -wirklichkeit der Be
wohner vor Ort ein. In der Regel gelten sie dafr als nachhal
tig, den Status quo langfristig verndernd und werterhaltend.
Der Umfang und die Reichweite von baulichen Manahmen
zur Entwicklung oder zur Errichtung von Wohnquartieren kann
sehr unterschiedlich sein und vom eher stdtebaulichen Ma
stab (ganze Siedlung, Stadtviertel) bis hin zum einzelnen Ge
bude (Umbau, energetische Ertchtigung) reichen.
Der Vielzahl mglicher Anwendungsbereiche steht eine Viel
zahl mglicher Einzelmanahmen und Frderprogramme
gegenber, die es erforderlich machen, fr jedes einzelne
Vorhaben eine genaue Analyse anzufertigen: Was in der einen
Situation Sinn macht, kann fr eine andere Siedlung falsch
sein. Innerstdtische Gebiete unterliegen anderen Gesetzm
igkeiten als Stadtrandlagen, und auch die Bewohner vor Ort
knnen, abhngig von ihrem gesellschaftlichen Status und kul
turellen Hintergrund, ganz unterschiedliche Bedrfnisse haben.
Welche baulichen Manahmen sinnvoll sind, ergibt sich sowohl
aus den konomischen Rahmenbedingungen, als auch aus
den gesellschaftlichen Anforderungen, womit bereits die ber
schneidungsbereiche zu den beiden weiter unten erluterten
strategischen Anstzen benannt sind.

26
Die Wohnkostenkarte 2012 des Immobilienverband Deutschland
(IVD) zeigt, dass zwar die durchschnittlichen Mieten in Berlin mit 6,20 /m2
deutlich unter denen von Mnchen liegen (10,70 /m2), dass aber der Anteil
am durchschnittlichen Nettoeinkommen mit 23,0% nur unwesentlich unter
dem gleichen Wert in der bayrischen Landeshauptstadt liegt (23,7%) - und
ber denen aller anderen deutschen Grostdte.

Urbane Lebenswelten
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Studie zur IBA 2020 Berlin


2013

Handlungsfeld 1: weniger = mehr


In Deutschland hat es nach der Wiedervereinigung im Jahr
1990 groe Wanderungsbewegungen gegeben, die eine Folge
der Deindustrialisierung ganzer Regionen auf dem Gebiet der
ehemaligen DDR waren. Das bestehende Wohnungsangebot,
das zu groen Teilen von industriell hergestellten Wohnblcken
geprgt ist, entsprach schnell nicht mehr den quantitativen,
aber auch nicht mehr den qualitativen Anforderungen einer
Bevlkerung, die nun erstmals seit Ende des Zweiten Welt
kriegs nicht mehr unter einem gravierenden Wohnungsmangel
litt, sondern die Wahl zwischen unterschiedlichen Wohnorten
und -modellen hatte (siehe auch Kil, 2005).
So gab es in den 1990er Jahren Frderprogramme fr den Ei
genheimbau, whrend auf der anderen Seite die kommunalen
Wohnungsunternehmen hohe Schuldenlasten zu tragen hat
ten und entsprechend wenig in Bestandserhaltung und -ent
wicklung investieren konnten. Stadtumbau-Frderprogramme
dienten in erster Linie der Strkung von Innenstdten und dem
Ausbau der Infrastruktur, whrend in den groen Siedlungen
eine Marktbereinigung und -anpassung durch den Rckbau
von Wohnungen stattfand. Die damit verbundene Unsicherheit
auf Seiten der Mieter und Mieterinnen trug dazu bei, dass viele
Siedlungen in einen filtering-down-Prozess gerieten, der die
sozialen und gesellschaftlichen Probleme noch verstrkte.
Whrend in Teilen Deutschlands und vor allem in den Gro
stdten heute (wieder) ein Zuwachs der Bevlkerung zu ver
zeichnen ist, betrifft das Phnomen der Schrumpfenden Re
gionen27 heute nicht mehr nur ehemals ostdeutsche Gebiete.28
Unter den Projekten, die im folgenden Kapitel exemplarisch
mgliche Ansatzpunkte erlutern, befinden sich daher zwei er
folgreiche Projekte aus dem Programm Stadtumbau Ost, die
jeweils sehr unterschiedlich mit den Gegebenheiten und dem
Kontext des Bevlkerungsrckganges umgehen. Whrend sich
das Projekt P04_OLEANDERWEG in Halle-Neustadt vor allem
eine Ergnzung und Aufwertung des Wohnungsangebotes
zum Ziel setzt, liegt der Schwerpunkt im Projekt P05_MAR
ZAHN SCHORFHEIDEVIERTEL auf einer Qualifizierung des
ffentlichen Raumes, dessen Umbau durch ein partizipatives
Verfahren (Charrette29) entwickelt und gesttzt wurde. Beide
Projekte stehen fr ein Konzept, das man in Anlehnung an den
berhmten Ausspruch von Mies van der Rohe als Weniger ist
mehr-Option bezeichnen knnte.
Handlungsfeld 2: anders = besser
Ein anderer Ansatz ist der, vorhandene Bauten abzureien und
durch neue zu ersetzen. In weiten Teilen der Niederlande, aber
auch in Frankreich schien diese Anders-ist-besser-Option
lange Zeit der erfolgversprechendste Weg zu sein, um soziale
Probleme vor allem in Stadtrandlagen zu beheben (dies war
zum Beispiel der Ursprung des Projekts P01_WIMBY! HOOG
VLIET).
Doch der reine Ersatz des einen Wohngebudes durch ein
anderes erscheint heute vor dem Hintergrund schwindender
Ressourcen und einem anstehenden Wandel der Mobilitts
konzepte , wirtschaftlich und sozial problematisch: Die relativ
hohen Kosten amortisieren sich nicht, der Energieeinsatz ist
unangemessen hoch, und zudem werden auch auf der Ebene
des gelebten Raumes, des bereits bewohnten Stadtgebietes,

15

Schneisen geschlagen, die anschlieend erneut angeeignet


werden mssen.
Dennoch kann das Ersetzen von Gebuden ein stdtebauli
ches und gesellschaftliches Zeichen sein, wie beim Beispiel
P07_HAUS DER JUGEND KIRCHDORF. Hier bekam ein vor
handenes, seit vierzig Jahren in einem provisorischen Flach
bau untergebrachtes Jugendzentrum inmitten eines sozial
schwachen Wohngebietes einen Neubau, der als Ausgangs
punkt einer ambitionierten stdtebaulichen Entwicklung30 und
als Bekenntnis zu einer Verbesserung der Lebensbedingungen
und -chancen von Jugendlichen im Stadtteil wahrgenommen
werden kann.
Hier ist Architektur Teil einer gesellschaftlich-kulturellen Strate
gie und Baustein eines Stadtmarketings, das den vernderten
Rahmenbedingungen der wachsenden Stadt Rechnung trgt.
Handlungsfeld 3: mehr = mehr
Fr die Entwicklung bestehender Wohnstandorte ist vor allem
die folgende Vorgehensweise, die man im Gegensatz zu den
bereits beschriebenen Herangehensweisen auch als Mehr-istMehr-Option bezeichnen knnte, von Interesse. Sie beinhaltet
verschiedene Mglichkeiten, den vorhandenen Bestand nicht
nur zu respektieren, sondern sogar in die Transformation mit
einzubeziehen und kann daher (ganz im Sinne des diesjhri
gen Biennale-Konzepts Reduce/Reuse/Recycle (Petzet, Heil
meyer, 2012) als besonders nachhaltig gelten.
Exemplarisch hierfr ist vor allem das Projekt P09_TOUR
BOIS-LE-PRETRE, den Lacaton & Vassal mit Philippe Druot
umgebaut haben. Hier konnten sie die von ihnen im Rahmen
einer stdtebaulichen Studie entwickelte plus-Strategie
(Druot, Lacaton, Vassal, 2007) exemplarisch demonstrieren,
indem sie ein Wohnhochhaus aus den 1960er Jahren durch
eine vorgebaute Schicht aus Balkonen und Wintergrten er
gnzten.
Whrend bei diesem Projekt der generierte Flchenzugewinn
keine hhere Dichte im Sinne der Bewohnerschaft erzeugte,
da hier die vorhandenen Wohnungen einfach grer wurden,

27
Der Bevlkerungsverlust vor allem in Klein- und Mittelstdten
Sachsen-Anhalts war Thema der IBA Sachsen-Anhalt (Ministerium fr
Landesentwicklung und Verkehr des Landes Sachsen-Anhalt, 2010). Siehe
auch (Hannemann, 2004 und Oswalt, 2005).

28
In den Stdten der alten Bundeslnder zeichnet sich immer

deutlicher ein wirtschaftlicher und demografischer Strukturwandel ab. Dies
stellt die Kommunen vor die Herausforderung, auf diese Entwicklung auch
vorbeugend stdtebaulich zu reagieren. Deshalb hat die Bundesregierung
bereits im Jahr 2002 mit der Untersttzung der Stdte beim Stadtumbau in
den alten Lndern begonnen und das Forschungsfeld 'Stadtumbau West'
des Experimentellen Wohnungs- und Stdtebaus (ExWoSt) gestartet. Auf
Grundlage dieser Erfahrungen legte die Bundesregierung im Jahr 2004 das
Stdtebaufrderungsprogramm 'Stadtumbau West' auf (Quelle: http://www.
stadtumbauwest.info/, Zugriff am 30.11.2012).
29
Zum Charretteverfahren siehe den zugehrigen Projektsteckbrief
und die ausfhrliche Publikation des Projektes in (Senatsverwaltung fr
Stadtentwicklung Berlin, 2011).
30
Die IBA in Hamburg Wilhelmsburg befasst sich schwerpunktmig
mit einem Stadtteil, der erst durch die Entwicklung der Hafen-City auf dem
Areal der ehemaligen Speicherstadt in das Blickfeld der Stadtentwicklung
geraten ist. Metapher fr die Wiederentdeckung und Neuerfindung des
ehemals zum Freihafen gehrenden Areals als Stadtgebiet ist der Sprung
ber die Elbe (siehe auch: www.iba-hamburg.de).

Urbane Lebenswelten
Benze, Gill, Hebert

Studie zur IBA 2020 Berlin


2013

steht das Hamburger Beispiel P08_TREEHOUSES in der


Bebelallee fr eine bauliche Nachverdichtung, die auch zu ei
nem Zuzug neuer Bewohner und Bewohnerinnen gefhrt hat.
Ziel war hier, die Bestandswohnungen zu ertchtigen und die
Mieter und Mieterinnen in diesen zu belassen, gleichzeitig aber
mehr vermietbare Flche und ein zustzliches Wohnungs
angebot (Familien mit Kindern) zu realisieren. Beides ist hier
durch Bauen auf dem Bestand (blauraum) geschehen.
Beide Projekte schaffen zustzlichen Wohnraum und tragen
dazu bei, dass bestehende Wohnstrukturen dichter werden,
ohne dass die Qualitt der vorhandenen Wohnungen leidet.
Allerdings bleibt es in beiden Fllen bei einer programmati
schen Einseitigkeit: Eine Verdichtung mit gleichzeitiger Nut
zungsmischung ist nicht zuletzt eine baurechtlich komplizierte
Angelegenheit, weswegen programmatische Diversifizierung
heute vor allem in (greren) Neubau- und Ergnzungsprojek
ten angestrebt wird.
Handlungsfeld 4: mehr = anders
Wichtig erscheint eine programmatischer Mischung verschie
dener Funktionen, die Mix-Option, vor allem dann, wenn
keine reine Wohnsiedlung, sondern das stdtische Quartier
als urbane, gemischte und nutzungsflexible Struktur entstehen
(oder verbleiben) soll.
Hierzu werden auf den folgenden Beispielseiten sowohl
selbstinitiierte Projekte im Mastab des einzelnen Stadtbau
steins gezeigt (P10_SARGFABRIK), als auch grere stdte
bauliche Entwicklungsgebiete (P12_STADT:WERK:LEHEN und
P13_MEHR ALS WOHNEN). Der erst krzlich entschiedene
Wettbewerb zum Malmer Stadtteil Rosengrd ist ein Beispiel
fr eine gemischte Nachverdichtung (P11_TRNROSEN
TOWER), von der sich die Initiatoren eine Urbanisierung des
vorhandenen, monofunktionalen Quartiers aus den Sechziger
Jahren versprechen.
2.2

GESELLSCHAFTLiCH-KULTURELLE STRATEGiEN

In einigen der zuvor beschriebenen baulichen Anstze wurde


bereits deutlich, dass diese selten isoliert auftreten. Vor allem
bei greren Transformationsmanahmen, die in der Regel
zur Vermeidung oder zur Beseitigung sozialer Missstnde
initiiert werden, ist eine Einbeziehung der Menschen vor Ort
wichtig. Unter den gesellschaftlich-kulturellen Strategien gibt
es ebenso wie bei den baulichen Manahmen verschiedene
Handlungsfelder.
Handlungsfeld 1: Soziale mischung
Vor allem in Bestandsgebieten wird in der Regel darauf Wert
gelegt, einer Homogenisierung der Bewohnerschaft entgegen
zuwirken, die im Extremfall zur Ghettobildung oder zur Entste
hung von Gated Communities fhren kann. Auch bei reinen
Wohn-Nachverdichtungen wird daher meist auf eine soziale
Mischung Wert gelegt, die entweder durch die Schaffung neuer
Eigentumsformen erfolgen kann oder bestehende Bewohner
gruppen diversifiziert. Beispiele hierfr sind die P08_TREE
HOUSES, die dem demographischen Wandel begegnen, und
der Pariser P09_TOUR BOIS-LE-PRETRE, der die Wohnge
gend insgesamt aufwertet, ohne die vorhandenen Mieter und
Mieterinnen zu verdrngen.

16

Auch selbst initiierte Projekte wie die P10_SARGFABRIK,


die Flchen geschaffen hat, die von Bewohnern des um
liegenden Viertels mit genutzt werden knnen oder P12_
STADT:WERK:LEHEN, das sozialen Wohnungsbau mit Ladenund Galerienutzungen kombiniert, zielen auf eine kulturell und
finanziell breit gefcherte Nutzer- und Bewohnerschaft.
Handlungsfeld 2: partizipative Verfahren und Beteiligungs
prozesse
Ob und wie langfristig eine soziale Mischung im Gebiet erhal
ten werden kann, ist nicht allein eine Frage der stdtebaulichen
Konfiguration und der zuflligen, zeitlichen Entwicklung. So
knnen beispielsweise Verfahren der Bewohnerbeteiligung re
lativ stabile Bindungen an das betroffene Gebiet herstellen und
insgesamt zu einem aktiven Engagement beitragen auch
ber die eigentliche Bau- oder Umbauphase hinaus.
Ein erfolgreiches Beispiel hierfr ist zum Beispiel das im P05_
SCHORFHEIDEVIERTEL durchgefhrte Charretteverfahren,
wo Brger im Rahmen mehrerer Workshops Ideen und Vor
schlge zur Umgestaltung ihres Wohnhofes machen konnten.
Auch der Umbau des P09_TOUR BOIS-LE-PRETRE wurde
von einer detaillierten Befragung der circa 100 Mietparteien
begleitet, die auf diese Weise nicht nur whrend der Bauzeit im
Gebude verbleiben, sondern auch Einfluss auf die Manah
men in ihrer Wohnung nehmen oder innerhalb des Gebudes
umziehen konnten.
Zunehmend werden Beteiligungsprozesse nicht erst dann
begonnen, wenn Probleme bereits entstanden sind, sondern
bereits im Vorfeld von Baumanahmen. So verfgt beispiels
weise das genossenschaftliche Projekt P13_MEHR ALS WOH
NEN ber eine ausgefeilte Partizipationsstruktur, die unter
anderem auf Erfahrungen der Stadt Zrich zurckgreift (Eisin
ger, Reuther, 2007). Hier finden in regelmigen Abstnden
Planungs- und Vermittlungsworkshops mit Laien und Experten
statt, die von Echogruppen begleitet werden. Der gesamte
Prozess wird kontinuierlich dokumentiert und auf einer Inter
netplattform transparent dargestellt, so dass nicht nur aktuelle
Informationen entnommen, sondern auch Daten und Fakten fr
wissenschaftliche Untersuchungen verfgbar gemacht werden
knnen.
Auch im Projekt P10_SARGFABRIK, das die Struktur einer
Grobaugruppe hatte, wurden eigene Regeln erarbeitet, um
einerseits Entscheidungen fllen zu knnen, andererseits aber
zu gewhrleisten, dass die Mitglieder der Gruppe Mitspracheund sogar Vetorechte hatten. Im P12_STADT:WERK:LEHEN
gab es ebenfalls bereits vor der Bauzeit eine Steuerungsgrup
pe, innerhalb derer ein Soziologe und ein Quartiersmanager
nicht nur mit der knftigen Bewohnerschaft, sondern auch mit
den zuknftigen Nachbarn aus dem Stadtteil arbeiteten.
Pionierarbeit auf diesem Gebiet leistete unter anderem P01_
WIMBY! HOOGVLIET, das mehrere Projekte mit Akteuren vor
Ort und aus deren Bedrfnissen heraus entwickelte. Wenn
diese Akteure nicht Einzelpersonen, sondern Institutionen und
Organisationen sind, ergibt sich allerdings hufig eine komple
xe Interessenlage, die zu langwierigen und mhsamen Aus
handlungsprozessen fhren kann. Dies betrifft oftmals gerade
jene Projekte, die das nun folgende Handlungsfeld Bildung
bestimmen.

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Benze, Gill, Hebert

Studie zur IBA 2020 Berlin


2013

Handlungsfeld 3: Bildung
Bildung kann zu einem zentralen Thema werden, wenn es um
gezielte Verbesserungen der Chancen von ortsansssigen Kin
dern und Jugendlichen gehen soll, aber auch dann, wenn Bil
dung, wie im Beispiel P07_HAUS DER JUGEND KIRCHDORF
zu einem Leitthema der Stadtteilentwicklung erklrt wird.
Mit dem Ziel, den Stadtteil Wilhelmsburg auch fr Menschen
mit mittleren und hheren Einkommen attraktiv zu machen,
wird hier, hnlich wie beim Campus-Projekt in Hoogvliet oder
der Berliner Rtli-Schule, eine Konzentration und Qualifikation
bestehender Einrichtungen angestrebt.
Auch beim Projekt P06_CAMPUS EFEUWEG ist dies, parallel
zu einer funktionalen Mischung und einer geplanten Nach
verdichtung, erklrtes Ziel der Behrden. Hier liegt noch ein
zustzlicher, innovativer Ansatz darin, Universitt und Praxis
miteinander zu verzahnen.
Handlungsfeld 4: Knstlerische Anstze und temporre
interventionen
Eine besondere Variante der Arbeit mit lokalem kulturellem
Kapital stellt das Projekt P01_FREEHOUSE in Rotterdam
dar, das im stark von Einwanderung geprgten Rotterdamer
Afrikaander-Viertel mit handwerklichen und gastronomischen
Angeboten in, aus und fr die Bewohner und Bewohnerinnen
operiert. Zentraler Kern des stdtebaulichen Wirkungsraumes
ist ein Markt, der zwei Mal wchentlich stattfindet und den die
Freehouse-Aktivisten den Markt von Morgen nennen, weil er
der ffentlichen Domne Raum gibt und den Bewohnern des
Viertels Kompetenzen zuspricht, die diese (in mehrfacher Hin
sicht) gewinnbringend einsetzen knnen.
Whrend dieses spezielle Modell auf einem relativ langfristi
gen Engagement einer Steuerungsgruppe von Auenstehen
den basiert, besitzen gesellschaftlich-kulturelle Projekte und
Strategien auch den Vorteil, dass sie sehr spontan, sehr kurz
fristig und sehr intensiv in vorhandenen Strukturen wirken kn
nen. Temporre Eingriffe und Ereignisse wie zum Beispiel das
Experiment einer Kreuzung aus Theater und Grosiedlung im
Projekt P02_X WOHNUNGEN knnen nicht nur die Sicht auf
das betreffende Gebiet (in diesem Fall das Mrkische Viertel in
Berlin) verndern, sondern auch die Sicht aus dem betreffen
den Gebiet hinaus: Eine Konfrontation zwischen Kunst
publikum und Einheimischen, wie sie hier (und an anderen Or
ten) fr einen begrenzten Zeitraum stattfand, frdert eine Iden
tifikation mit dem eigenen Viertel bei allen, die daran teilneh
men und das mglicherweise nachhaltiger, als zum Beispiel
die Neugestaltung eines Spielplatzes.
2.3

KONOmiSCHE STRATEGiEN

Bei allen vorgestellten Anstzen und Beispielen unterscheiden


sich nicht nur der rtliche Kontext und die gewhlten Anstze,
sondern auch die Akteure und ihre Interessen.
Es macht einen Unterschied, wer Eigentmer oder Eigen
tmerin, Investor oder Investorin und Nutzer oder Nutze
rin der durchgefhrten baulichen und gesellschaftlichen
Manahmen ist, und demzufolge sind auch unterschiedli
che Formen der Frderung und der Finanzierung sinnvoll.
Initiatoren von stadtrumlichen Transformationsprozes

17

sen sind dabei nicht zwangslufig die ffentliche Hand


(P12_STADT:WERK:LEHEN, P07_HAUS DER JUGEND
KIRCHDORF) oder stdtische Wohnungsbaugesellschaften
(P05_SCHORFHEIDEVIERTEL, P06_CAMPUS EFEUWEG,
P09_TOUR_BOIS-LE-PRETRE), sondern dies knnen auch
Genossenschaften (P13_MEHR ALS WOHNEN), ein privater
Grundbesitzer (P08_TREEHOUSES) oder eine Gruppe von
Einzelindividuen (Baugruppen) sein (P10_SARGFABRIK).
Whrend fr genossenschaftliche Projekte keine Rendite aus
Immobiliengeschften erwirtschaftet werden muss, unterliegen
private Investitionen einem hheren Druck und fhren hufig
zu hheren Mietkosten doch auch hier besttigen Ausnah
men die Regel.
Natrlich knnen bauliche und gesellschaftlich-kulturelle Ma
nahmen nur dann erfolgreich sein, wenn sie auch aus kono
mischer Sicht sinnvoll erscheinen. Dabei gilt nicht, dass die
kostengnstigste Variante immer die beste ist: Auch bei einer
erforderlichen Sanierung oder einer energetischen Optimie
rung von Bestandsbauten kann eine plus-Strategie (s.o. S.
15) sinnvoll sein.
So konnte bei den P08_TREEHOUSES die vermietbare Fl
che (im Interesse des Eigentmers) nahezu verdoppelt wer
den, whrend sich der Primrenergieeinsatz (im Interesse der
Mieter und Mieterinnen sowie der Umwelt) etwa auf die Hlfte
reduzierte (Angabe: blauraum).
In Paris konnte die Erweiterungsflche des P09_TOUR BOISLE-PRETRE dank einer deutlichen Senkung der Betriebskos
ten ebenfalls kostenneutral durch die Mieter und Mieterinnen
bernommen werden (Angabe: Lacaton, Vassal & Druot Archi
tekten). Hier wurden die Baukosten zudem mit dem sehr viel
hheren Budget verglichen, das fr einen kompletten Abriss
und Neubau erforderlich gewesen wre.
Und selbst vergleichsweise teure Umbauten wie der im
P04_OLEANDERWEG in Halle-Neustadt rechnen sich dann,
wenn beispielsweise neue Eigentumsformate geschaffen und
dadurch kostengnstige Mietanteile gehalten werden knnen
(dort nicht durchgefhrt), oder wenn ganz einfach die vorhan
dene Substanz werthaltig erneuert und neuen Nutzungen zu
gefhrt werden kann.
Whrend damit in Bezug auf das einzelne Gebude oder die
kleine Wohnsiedlung einzelne Manahmen auch im wirtschaft
lichen Sinn darstellbar werden,31 ist die Kosten-Nutzen-Rech
nung bei Projekten im ffentlichen Raum, bei knstlerischen
und kulturellen Initiativen oder Bildungsprojekten nicht glei
chermaen einfach anzustellen.
Doch auch hier kann nicht nur in Hinblick auf die teurer wer
denden Energie- und Nebenkosten davon ausgegangen
werden, dass gezielte Investitionen nachhaltiger sein kn
nen als der Erhalt des Status Quo, sondern es ist auch eine
Frage der sozialen Gerechtigkeit und einer funktionierenden
Gesellschaft, wenn alle Mitglieder von Umbau- und Aufwer

31
ber eine umfangreiche Projektdatenbank, die vor allem fr
Eigentmer von Wohnimmobilien eingerichtet wurde, verfgt zum Beispiel
das Berliner Kompetenzzentrum Grosiedlungen (siehe auch Funote 18).
Hier werden insbesondere Fallbeispiele des Stadtumbau Ost gesammelt und
ausgewertet.

Urbane Lebenswelten
Benze, Gill, Hebert

Studie zur IBA 2020 Berlin


2013

tungsmanahmen profitieren knnen. Dies wird in den klassi


schen Formaten des gefrderten ffentlichen Wohnungsbaus
(P12_STADT:WERK:LEHEN) genau so angestrebt wie in den
genossenschaftlichen Projekten der Schweiz, wo hohe Mieten
und hohe Baukosten seit jeher die Solidargemeinschaft her
ausfordern (P13_MEHR ALS WOHNEN). Nicht zuletzt ist eine
gute Ausstattung von Wohnvierteln mit Einrichtungen fr Bil
dung, Kultur und Konsum von gegenseitigem Interesse: Bei
eingeschrnkter (eigener oder gesellschaftlicher) Mobilitt ist
die funktionsgemischte Stadt der kurzen Wege ein attraktives
Modell, das auch bei greren Investitionen in Gebude und
Infrastruktur deren langfristigen Werterhalt garantiert (P11_
TRNROSEN TOWER).
Ein willkommener Nebeneffekt aller hier vorgestellten Manah
men ist ein psychologischer, dessen monetre Auswirkung sich
nur schwer beziffern lsst: Mit dem Gefhl einer Aufwertung
des eigenen Stadtteils, der Ent-Stigmatisierung groer, zusam
menhngender (Wohn-)Gebiete, gehen nicht nur ein neues
Selbstbewusstsein (und damit eine verbesserte Lebensquali
tt) einher, sondern es ergeben sich auch neue Mglichkeiten
der Auendarstellung, die wiederum Investoren und neue Be
wohner anziehen knnen.
Insofern sind auch rechtliche und diskursive konomische Ins
trumente wie beispielsweise Eigentmer-Standortgemeinschaf
ten (ESG) keine Wohlttigkeitsveranstaltungen, sondern im
positiven Sinn Beitrge einer stabilen Stadtentwicklung: Hier
knnen viele kleine Betriebe und Geschfte sich zusammen
schlieen und auf die Entwicklung des ffentlichen Raumes
EInfluss nehmen nicht zuletzt in ihrem eigenen Interesse.
2.4
DiVERSE STRATEGiEN FR EiNE DiFFERENZiERTE
STADT
Fr eine langfristig erfolgreiche Transformation sind einzelne
Manahmen und isolierte Perspektiven nicht zielfhrend. Pro
jekte des einen Handlungsfeldes fhren nur dann zum Erfolg,
wenn sie Aspekte aus anderen Handlungsfeldern mit einbezie
hen und gerade bei der Frage nach dem Erfolg ist zu be
denken, dass dieser von den verschiedenen Akteuren mit ganz
unterschiedlichen Erwartungen verglichen und an verschiede
nen Skalen gemessen wird.
Whrend es fr Stdte und Grundeigentmer insgesamt von
Vorteil sein kann, wenn sich Schmuddelecken zu 1a-Lagen
entwickeln, sehen sich die dort lebenden Bewohner von Gen
trifizierungs- und Verdrngungsprozessen bedroht. Allerdings
zeigen die Fallbeispiele, dass diesen negativen Nebenwirkun
gen mit einem differenzierten Ansatz auch begegnet werden
kann, so dass letzten Endes alle Beteiligten von den umge
setzten Manahmen profitieren. Hier gilt es, unter Anwendung
der beschriebenen Strategien mageschneiderte Modelle zu
entwickeln, um eine Balance zu halten zwischen Verbesse
rungen der baulichen Substanz, den Gesetzen der Immobili
enwirtschaft und dem gesellschaftlichen Ziel, unterschiedliche
Lebensweisen in der Stadt zu ermglichen.
Die begrenswerten Anstze, partizipative Verfahren in die
Stadt- und Quartiersentwicklung zu integrieren, knnen auf
der anderen Seite neue brokratische Strukturen frdern und
privilegierte Gruppen dazu ein laden, die eigenen Interessen

18

durchzusetzen whrend die ffentliche Hand sich immer


mehr aus der qualitativen und quantitativen Steuerung der
Wohnraumentwicklung zurckzieht.
Wichtig ist in jedem Fall sein, die verschiedenen Verfahren
und die begonnenen Experimente zu dokumentieren und ber
prfbar zu machen, so dass eine kontinuierliche und kritische
Evaluation der jeweiligen Prozesse mglich ist.
Insgesamt knnen alle hier vorgestellten Strategien nur vor
dem Hintergrund und in Kongruenz mit einem entsprechenden
politischen Interesse wirksam werden. Denn nur auf dieser
Ebene knnen Regeln gendert und Planungen beauftragt
werden, die innovative Formate erzeugen.
An den nun folgenden Fallbeispielen wird deutlich, dass Stadt
entwicklung keinem Patentrezept folgen kann. Jedes Gebiet
ist anders: Wir drfen uns eine solche Siedlung nicht von au
en anschauen, sagt Jean-Philippe Vassal, die Arbeit findet
von innen heraus und mit den Bewohnerinnen und Bewohnern
statt. Das Leben dieser Familien, der Menschen vor Ort, sind
ein Reichtum. Hier fngt Stadtplanung an (zitiert nach dem
IBA-Symposiumsmitschnitt Leben mit Weitsicht, 2012).

Urbane Lebenswelten
Benze, Gill, Hebert

Studie zur IBA 2020 Berlin


2013

19

Urbane Lebenswelten
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Studie zur IBA 2020 Berlin


2013

20

3 FALLBEiSpiELE:
pROJEKTSTECKBRiEFE
In diesem Kapitel werden dreizehn Fallbeispiele vorgestellt, die
Aspekte der zuvor erluterten Strategien und Handlungsfelder
exemplarisch verdeutlichen. Ihre Auswahl erfolgte anhand von
Verffentlichungen und zum Teil auch eigenen Besichtigungen.
Es handelt sich um Projekte unterschiedlicher Planungs- und
Laufzeit aus insgesamt neun Stdten und sechs europischen
Lndern, die von verschiedenen Akteuren initiiert wurden.
Unser Fokus liegt bei allen Beschreibungen auf dem Aspekt
des Gebrauchs, was vor allem bei den neueren, zum Teil noch
nicht realisierten Projekten einen spekulativen Aspekt beinhal
tet: Hier wei man zum Teil noch nicht, ob die getroffenen An
nahmen und die ergriffenen Manahmen letztlich auch zu den
angestrebten Lebensrumen fhren werden.
3.1

AUSWAHL DER FALLBEiSpiELE

Die meisten Projekte sind bereits abgeschlossen (acht von


dreizehn). Das lteste Fallbeispiel, P01_WIMBY! HOOGVLIET,
geht auf eine Initiative aus den spten neunziger Jahren
zurck. Fr das jngste Projekt, den P11_TRNROSEN TO
WER, wurde gerade erst der Wettbewerb entschieden (Ende
2012).
Auch die Akteure variieren: Whrend manche Projekte von
Knstlern und Knstlerinnen oder kulturellen Institutionen ini
tiiert waren und wenig bis gar keine baulichen Vernderungen
erzeugt haben (P03_FREEHOUSE und P02_X Wohnungen),
sind bei anderen ffentliche Einrichtungen (P07_HAUS DER
JUGEND und P12_STADT:WERK:LEHEN) die verantwortli
chen Trger. Einige sind ber herkmmliche Architekturwett
bewerbe entschieden worden (P09_TOUR BOIS-LE-PRETRE
und P11_TRNROSEN TOWER), andere von Architekten und
Architektinnen oder von Bewohnergruppen selbst initiiert und
mageblich mit entwickelt worden (P10_SARGFABRIK und
P08_TREEHOUSES). Und mit dem P06_CAMPUS EFEUWEG
gibt es ein Beispiel fr ein Projekt, bei dem ein Forschungs
auftrag eines Wohnungsbauunternehmens an eine Universitt
zu einer weiteren Auseinandersetzung mit dem betreffenden
Gebiet gefhrt hat.
Die Recherche war auf die Auswertung unterschiedlicher
Informationsquellen angewiesen: Neben umfangreichen Pub
likationen (siehe Anhang) zu einzelnen Projekten wurden vor
allem Zeitschriftenartikel ausgewertet, aber auch Websites der
federfhrenden Akteure sowie Experteninterviews.
Whrend eine vergleichende Betrachtung im Hinblick auf Aus
gangssituationen, Grenordnungen, Akteure u.v.m. auf diese
Weise mglich wird, kann eine Wertung im engeren Sinne hier
nicht stattfinden: Zu verschieden sind die Bedingungen, die
Ziele und auch die Interessen, als dass der Vergleich hier ein
klares Ranking ergeben knnte.
Keines der Projekte ist gescheitert, auch wenn zum Beispiel
bei P01_WIMBY! HOOGVLIET viele Projekte gar nicht oder

erst lange nach Beendigung der Ttigkeit des Projektmanage


ments realisiert werden konnten. Erfolg uert sich zudem
nicht unbedingt in spektakulren Bauten: Zwar gibt es auch
dafr Beispiele (P07_HAUS DER JUGEND KIRCHDORF,
P09_TOUR BOIS_LE_PRETRE), aber auch jene, wo wenig zu
sehen ist (P03_FREEHOUSE und P05_SCHORFHEIDEVIER
TEL) knnen als sehr gelungene, ihre Umgebung dauerhaft
aktivierende Manahmen gelten.
Ob (und unter welchen Bedingungen) einige dieser Anstze fr
eine IBA Berlin 2020 relevant sein knnen, hngt nicht zuletzt
davon ab, wo und wie diese im stdtischen Raum intervenie
ren wird eine Frage, die vor allem im letzten Kapitel (Fazit, S.
100 ff.) diskutiert werden wird.
3.2

AUFBAU DER pROJEKTSTECKBRiEFE

Die Dokumentationen umfassen jeweils sechs Seiten. Auf dem


Titelblatt, das farbig markiert ist, befinden sich der Name des
Projekts und ein abstrahierter Stadtplan mit der Lage des Are
als sowie eine kurze Darstellung der Zielsetzung.
Am unteren rechten Blattrand geben drei Piktogramme eine
Orientierung darber, welche der zuvor erluterten Strategien
hier in welchem Ma wirksam sind. Sie stehen fr baulich
rumliche, gesellschaftlich-kulturelle und konomische Aspek
te, deren Bedeutung im Projekt durch die Transparenz ihrer
Erscheinung wiedergegeben wird.
Auf der zweiten Seite befinden sich unterhalb eines Luftbilds
mit dem genaueren Umgriff des betreffenden Areals grundle
gende Projektdaten (Art, Umfang, Verfasser und Verfasserin
nen) sowie eine Beschreibung des stdtischen Kontexts, in
dem auf die spezifische Ausgangslage, zum Teil auch auf die
stdtebauliche Konzeption des Projektes eingegangen wird.
Auf dem dritten Blatt findet sich bei allen Steckbriefen eine
Zeittafel, die einen berblick ber die zum Teil komplexen Pro
zesse gibt, die zu jedem Projekt gefhrt haben bzw. noch statt
finden sollen; ergnzt wird diese Darstellung durch eine kurze
Beschreibung der wichtigsten am Projekt beteiligten Akteure.
Die letzten drei Seiten dienen der genaueren Erluterung des
Projektes. Auf Seite vier befinden sich in der Regel grafische
Informationen (Plne, Diagramme) und auf den beiden letzten
Seiten Bilder. Seite vier und fnf enthalten zudem einen kur
zen Erluterungstext. Auf Seite sechs wird ein Resumee des
Projektes gezogen, das die ursprngliche Zielsetzung und das
erzielte Ergebnis zueinander ins Verhltnis setzt.

Urbane Lebenswelten
Benze, Gill, Hebert

Studie zur IBA 2020 Berlin


2013

21

01 WimBY!

ROTTERDAm HOOGVLiET

Rotterdam

Zielsetzung
Die Wortschpfung WIMBY! = Welcome into my
backyard! ist eine Abnderung des gngigen Akronyms
NIMBY! not in my backyard!, das Personen bezeichnet, die eine ablehnende Haltung gegenber fremden
Ansprchen und ffentlichen Aktivitten einnehmen.
WIMBY! ist Titel und Programm einer Internationalen
Bauausstellung in der Nachkriegs-Stadterweiterung
Hoogvliet in Rotterdam. In unterschiedlichen Formaten
werden lokale Akteure, Bewohner und Bewohnerinnen in
die zuknftige Entwicklung eingebunden. Umgesetzt werden einzelne, aus dem Bestand und den Bedrfnissen
entwickelte Teilprojekte.

Urbane Lebenswelten
Benze, Gill, Hebert

Studie zur IBA 2020 Berlin


2013

Art des projektes


Implementierung einer Internationalen
Bauausstellung zur Revitalisierung einer
New Town

projektdaten
Zeitraum

2001 2007
Konzeption

Crimson Architectural Historians


in Kooperation mit zahlreichen Projekt
partnern (siehe Zeitleiste)
Auftraggeber

Stadt Rotterdam

22

Kontext
Das mittelalterliche Dorf Hoogvliet wurde in den 1940er Jahren
als Wachstumskern einer Stadterweiterung von Rotterdam
ausgewiesen, um die Arbeiter und Arbeiterinnen des nahe ge
legenen Petroleumhafens, mit Wohnungen zu versorgen. Die
Siedlung wurde als New Town nach dem englischen Vorbild
der Gartenstdte fr 60.000 Einwohner geplant. Whrend der
Bauzeit vernderte sich der Gesamtplan mehrfach.
Eine Explosion auf dem Gelnde der Shell-Raffinerie 1968,
bei der die Fenster der angrenzenden Gebude von Hoogvliet
barsten, machte die Gefhrdung des Standortes deutlich und
fhrte zur Ausweisung einer nicht zu bebauenden Schutzzone.
Heute besteht Hoogvliet aus zehn Nachbarschaften, die um
ein Zentrum gruppiert und voneinander durch grne Zwischen
zonen getrennt sind. Da immer weniger Einwohner und Ein
wohnerinnen von Hoogvliet tatschlich in der nahe gelegenen
Raffinerie arbeiten, wurde die relativ groe Entfernung zum
Stadtzentrum (12 km) nach und nach zum Standortproblem:
Seit den 1970er Jahren siedelten sich hier fast ausschlielich
Migranten und Migrantinnen an.
In den 1990er Jahren beschloss die Stadt Rotterdam daher ein
Stadterneuerungsprogramm fr ihren abgelegensten Stadtteil:
Die Zeilenbauten der Nachkriegszeit sollten zum grten Teil
abgerissen und durch niedrige Einfamilien- und Reihenhausty
pologien ersetzt werden. Man versprach sich hiervon eine
grere soziale Durchmischung und damit eine Aufwertung
des Stadtteils. Vorbild waren die so genannten VINEX-Gebiete,
Stadterweiterungsareale eher suburbanen Typs. Crimson Ar
chitectural Historians wurden vom Rotterdamer Stadtrat mit der
Entwicklung einer Vision fr Hoogvliet beauftragt.

Urbane Lebenswelten
Benze, Gill, Hebert

1940er
1950
1960
1968

23

Studie zur IBA 2020 Berlin


2013

Beginn der Planungen zur Erweiterung des Ortes Hoogvliet. Entwurf


einer New Town durch Lotte Stam-Beese fr 60.000 Einwohner.
Whrend die ersten Wohnblcke
und spter auch das Stadtzentrum
bereits gebaut werden, verndert
sich das Gesamtlayout mehrfach.
Explosion bei der Shell.

1990
1990er

Die Bedeutung der New Town


Hoogvliet sinkt mit der Ernennung der Nachbarstadt
Spijkenisse zum neuen Wachstumskern.
Viele Wohnfolgeeinrichtungen
werden nicht realisiert.

Da immer weniger Einwohner von Hoog


vliet tatschlich bei der Shell arbeiten, wird
die relativ groe Entfernung vom Stadtzentrum (12 km) immer mehr zum StandortProblem.
Vor allem Migranten siedeln sich in Hoog
vliet an.

Stadterneuerungsprogramm fr Hoogvliet: Ein weitgehender Abriss der


Zeilenbauten und ihr Ersatz durch niedrige Einfamilien- und Reihen
haustypologien sind geplant. Beauftragung von Crimson zur Entwicklung
einer Vision fr Hoogvliet.

1999

Untersuchung des Potenzials zur Veranstaltung einer IBA nach Berliner Vorbild.

2000

WIMBY! wird gegrndet und unterbreitet erste Vorschlge zur Strukturierung des IBA-Prozesses.

2001

Felix Rottenberg stt zum Team hinzu.

2002

2003
2004
2007
2008

"School Parasites"
= Drei individuelle
Erweiterungsbauten
fr die Typenschu
len der sechziger
Jahre: The Beast
(Onix architects),
The Chinese Lan
tern (Christoph Sey
ferth), The Flower
(Barend Koolhaas)

"Co-Housing":
Neue Formen des
Zusammenlebens
(verschiedene Pro
jekte)

Park und Villa de


Heerlijkheid:
Errichtung eines
Begegnungszen
trums und einer
Parklandschaft im
Abstandsstreifen
zwischen Hoogvliet
und der Shell, un
mittelbar benach
bart zur Autobahn.
(FAT Fashion, Ar
chitecture & Taste,
London, Korteknie
Stuhlmacher Archi
tecten, Rotterdam)

"Lighting Plan" (Pe


ter Trummer, Gerard
Hadders)

Eine WIMBY! Week wird veranstaltet.


Alle WIMBY!-Projekte werden der f
fentlichkeit sowie den Bewohnern und
Bewohnerinnen von Hoogvliet vorgestellt.

"Logica": Flexibel
fortzuschreibender
Stadtentwicklungs
plan auf der Grund
lage von Themen
gruppen und Hand
lungsoptionen.

Campus Hoogvliet:
Vorstudie (Maxwan
architects and ur
banists)

Partizipatives Ver
fahren. (Maxwan
architects and urbanists)

Campus Hoog
vliet, dritte Phase:
Masterplan (Lofvers
V. Bergen Kolpa)

Campus Hoog
vliet, zweite
Phase: Wettbe
werb

Campus Hoog
vliet, vierte
Phase: Entwurf
(OMA)

Campus Hoogvliet, letzte Phase:


Realisierung (Wiel Arets)

2012
Organisation/Strategie/Akteure:
Die oben stehende Zeittafel des Wimby!-Prozesses zeigt,
dass eine Vielzahl von Akteuren mit ganz unterschiedlichen
Projekten und Formaten an der Entwicklung der alten New
Town mitgewirkt haben. Beteiligt waren nicht nur Behrden,
Planer und Planerinnen, sondern auch Schulen, ffentliche
Einrichtungen, Brger und Brgerinnen sowie Wohnungsbau
gesellschaften. Die Manahmen wurden in kurze, mittlere und
lngere Wirkungszeitrume eingeteilt (Big Wimby! Book,
Crimson, 2005).
Whrend der gesamten Projektlaufzeit (2001-2007) gab es au
erdem fr Knstler und Knstlerinnen die Mglichkeit, vor Ort
zu arbeiten (Residencies). So wurde der Blick von auen mit
dem von innen konfrontiert, mitunter sogar vermischt.

Urbane Lebenswelten
Benze, Gill, Hebert

Studie zur IBA 2020 Berlin


2013

24

Wimby! war von Beginn an eine prozessorientierte Planung mit


gesellschaftlichem Anspruch, nicht klassische stdtebauliche
Strategie. Mit dem vom Nimby! (Not in my backyard!) zum
Wimby! (Welcome into my backyard!) gewandelten Slogan
wird vor allem die soziale Seite des stdtischen Zusammenle
bens betont.
Folgerichtig geht mit dem Willkommens-Gru an die poten
ziellen Besucher die Aufforderung einher, rtliche Qualitten
zu entdecken und zu respektieren, anstatt sie abzutragen und
durch neue zu ersetzen. Auch die kurze Geschichte der New
Town Hoogvliet hatte, gemeinsam mit der besonderen Lage
im Hafen, einen speziellen Charakter hervorgebracht, den es
nach Ansicht von Crimson zu respektieren galt.
Der Gesamtlageplan mit den einzelnen Projekten (Abb. 1) zeigt
die stdtebauliche Situation des von Fluss und Hafen einge
fassten Gebiets und die Vernderung der Perspektive auf die
Stadt: Als Ort einer IBA wurde sie fr eine begrenzte Zeit zum
Gegenstand des ffentlichen Interesses.

Aktionsplan

Urbane Lebenswelten
Benze, Gill, Hebert

Studie zur IBA 2020 Berlin


2013

25

Die gebndelten Manahmen waren von unterschiedlichen


Akteuren, Zeitrumen und Tragweiten gekennzeichnet. Zudem
spiegelten sich in den konzeptionellen Anstzen verschiedene
Verhltnisse von Wirklichkeits- und Mglichkeitssinn wider.

Neben eher utopischen Ideen wie der einer "Versuchsfabrik"


fr Shell-Lehrlinge gab es ganz konkrete, nutzbare Projekte
wie die Schulparasiten (Abb 6+7). Neben experimentellen
Wohnformaten wie dem Co-Housing fr alleinerziehende Mt
ter von den Antillen gab es mit der "Logica"-Palette stdtebau
licher Parameter (Abb. 3+4) eher klassische Werkzeuge, um
ber die Weiterentwicklung des stdtischen Raumes zu disku
tieren und (gemeinsam) zu entscheiden.
Natrlich ist die Urbanitt von Orten wie Hoogvliet, in Deutsch
land vielleicht vergleichbar mit Teilen des Ruhrgebiets, auch
heute nicht die eines innerstdtischen, urbanen Quartiers. Es
ist allerdings auch kein sozialer Brennpunkt mehr, sondern
eine alltgliche, ruhige und unspektakulre Wohnumgebung.

2/ 3 / 4

Logica Stdtebauliche Themen und Varianten, Ergebnis

populismus Konstruktionen der Sichtbarkeit (Fotomontage)

Urbane Lebenswelten
Benze, Gill, Hebert

Studie zur IBA 2020 Berlin


2013

26

Fazit
Wimby! Hoogvliet hat nicht nur aufgrund seines ambitionierten
Settings im Rahmen einer Internationalen Bauausstellung
internationale Aufmerksamkeit erlangt. Die Protagonisten, vor
allem Wouter Vanstiphout und Michelle Provoost von Crimson
Architectural Historians, haben es verstanden, das lokale Ph
nomen in einem historischen und rumlichen Kontext zu ver
orten und ihre Forschungsergebnisse fr andere Orte, andere
Zeiten und andere politische Situationen anschlussfhig zu
machen (siehe auch den Beitrag ihres Bros zur Architekturbi
ennale 2012).
Im Stadtraum von Hoogvliet sind die zahlreichen Manahmen
der Wimby!-Zeit heute zum groen Teil nicht mehr prsent.
Relativ wenige der geplanten langfristigeren Projekte konnten
realisiert werden, einige werden es noch (Campus Hoogvliet).
Hingegen sind viele der pragmatischeren, durch die Woh
nungsbaugesellschaften initiierten Wohnungs-Neubauprojekte
umgesetzt und fgen sich heute relativ selbstverstndlich in
die Matrix der immer wieder umgeplanten und gebauten
Stadt ein.

Der experimentelle Anspruch der ersten Stadtumbau-Zeit ist

einem statistisch fundierten Qualittsmanagement gewichen,


innerhalb dessen die Zufriedenheit der Bewohner regelmig
via Monitoring abgefragt wird. Die dort thematisierten Proble
me (Ordnung und Sauberkeit, Versorgung, Infrastruktur) sind
heute ebenso universal wie die Typologien der vorhandenen
Bebauung.

6 /7

Schulparasiten "The Flower" / "The Beast"

Villa de Heerlijkheid Veranstaltungszentrum

modell Campus Stand: Masterplanverfahren 2005

Urbane Lebenswelten
Benze, Gill, Hebert

Studie zur IBA 2020 Berlin


2013

27

02 X WOHNUNGEN

Berlin

Zielsetzung
X-Wohnungen ist ein Theaterprojekt, das fnf Tage lang
verschiedene Inszenierungen in unterschiedlichen privaten
Wohnungen im Mrkischen Viertel stattfinden lie. Das
Theaterpublikum wurde aus dem Zentrum Berlins an den
Stadtrand gelockt, um suburbane Lebensformen so
definieren es die Theatermacher und Theatermacherinnen als Gegenstand einer kulturellen Erfahrung zu entdecken.

Urbane Lebenswelten
Benze, Gill, Hebert

Studie zur IBA 2020 Berlin


2013

Art des projektes


Theater in privaten Rumen
projektdaten
Zeitraum

2005

Konzeption

Hebbel am Ufer, Matthias Lilienthal


Dramaturgie

Matthias Rick (raumlabor berlin)


Arved Schultze (Hebbel am Ufer)

Kooperation

GESOBAU AG Berlin
Umfang

Vorbereitung und Inszenierung ca.


3 Monate
Auffhrung: 5. 8.5.2005
Mitwirkende: ca. 100 Personen

28

Kontext
X-Wohnungen fand 2005 im Mrkischen Viertel statt, einer
1974 fertig gestellten Trabantenstadt an der nrdlichen Peri
pherie Berlins. Das Mrkische Viertel berformte seinerzeit ein
seit den 1920er Jahren ungeordnet besiedeltes Gebiet. Heute
wohnen ca. 36.000 Einwohner und Einwohnerinnen dort.
Die Architektur der Grosiedlung ist regelmig einer breiten
Kritik ausgesetzt gewesen und wurde immer wieder als men
schenfeindlich und mastabslos charakterisiert. Hingegen for
mulieren Mieter und Mieterinnen eine hohe Wohnzufriedenheit.
Die Bevlkerungsstruktur weist eine berdurchschnittlich hohe
Anzahl von Arbeitslosen und Transferleistungsabhngigen auf.
Es fllt ein starker Zuzug junger Familien auf. Bedingt durch
das Alter der Siedlung setzt gerade ein Generationswechsel
ein, der Wohnungsbaugesellschaften, Mieter und Mieterinnen
gleichermaen vor neue Herausforderungen stellt.

Urbane Lebenswelten
Benze, Gill, Hebert

Studie zur IBA 2020 Berlin


2013

29

1950

Im Berliner Flchennutzungsplan wird in Wilhelmsruh das Ge


lnde des knftigen Mrkischen Viertels als Wohngebiet mit
gewerblich zu nutzenden Teilbereichen ausgewiesen.

1959

Erarbeitung des Gutachtens Sozialgeogra


phische Karten Wilhelmsruh. Analyse des Sa
nierungsbedarfs an den vorhandenen, informell
entstandenen Notunterknften.

1962

Die GESOBAU AG wird offiziell als Sanierungs


trgerin eingesetzt. Sie ist bis heute im Besitz der
meisten Wohnungen.

1964

Bezug der ersten Wohnungen.

1968

Anprangerung der sozialen Missstnde im Mrkischen Viertel. Abklingen


der Proteste durch die nachtrgliche Realisierung fehlender Infrastrukturein
richtungen.

1974

bergabe der letzten fertiggestellten Wohnungen an ihre Mieter und Mieterinnen.

2002

Erste Inszenierung von X-Wohnungen in Duisburg

2004

X-Wohnungen in Berlin Kreuzberg und Berlin Lichtenberg

2005

X-Wohnungen in Schne
berg und im Mrkischen
Viertel, Berlin. Dramatur
gie: Arved Schultze (Re
gisseur), Matthias Rick
(Architekt)

2006

X-Wohnungen in Caracas

Organisation, Strategie und Akteure


Das Konzept fr X-Wohnungen stammt von Intendant Matthias
Lilienthal. Die Dramaturgie wurde in Kooperation durch den
Theaterregisseur Arved Schultze (Hebbel am Ufer) und den
Architekten Matthias Rick (raumlaborberlin) entwickelt. Unter
schiedliche Rume im Mrkischen Viertel am Rande Berlins
und als Pendant im innerstdtischen Bezirk Schneberg
wurden inszeniert und bespielt.
Die Auffhrung stellte die Besucher und die Besucherinnen vor
die Wahl zwischen zwei Parcours durch die Siedlung mit jeweils
sieben bzw. acht Stationen. Die Zuschauenden bewegten sich
zu zweit entlang der vorgegebenen Routen. Stationen waren
bewohnte Wohnungen, leerstehende Wohnungen, Dachate
liers, Nebenrume, Gemeinschaftsrume und zustzlich fr
die Inszenierung geschaffene Rume. Zuschauer und Zu
schauerinnen trafen auf Situationen, die zum Teil authentisch
waren: Sie waren zu Gast in einer Wohnung und konnten den
Erzhlungen der Bewohner und Bewohnerinnen zuhren oder
in der Wohnung umhergehen und sich alles ansehen. Zum Teil
gerieten sie in Inszenierungen, die von und mit Schauspielern
und Schauspielerinnen erarbeitet worden waren und auf Re
cherchen und Erzhlungen vor Ort basierten.
Realitt und Inszenierung konnten dabei nicht immer zweifels
frei auseinander gehalten werden.

Urbane Lebenswelten
Benze, Gill, Hebert

Studie zur IBA 2020 Berlin


2013

30

Ziel der Dramaturgen Arved Schultze und Matthias Rick war


es, die Inszenierung aus der geschlossenen Welt des Theaters
herauszufhren. Arved Schultze spricht von einem Realittsab
gleich. Die Vorbereitungen zum Stck geschahen in wenigen
Monaten. Eine Direktive fr die Regisseure gibt es nicht, au
er: Use what you find! (Transversale |2|2006, S.221)
Matthias Rick ging es bei der Planung der Routen darum, Leute
an Orten im Stadtraum vorbeizufhren, die sie sonst nicht wahr
nehmen und diese Orte in Szene zu setzen. In der Betrachtung
durch Zuschauer und Zuschauerinnen vermischten sich private
und ffentliche Rume ebenso wie die Erfahrung realer und in
szenierter "suburbaner Lebensweisen". Eine der Stationen des
Parcours lag im unmittelbar benachbarten Dorf Lbars in einer
alten Scheune, um die Gegenstze des Stadtrandes auszulo
ten.
Das kommunale Wohnungsbauunternehmen GESOBAU AG
stellte in diesem Fall den Kontakt zu Bewohnern und Bewohne
rinnen her und untersttzte die Produktion auch bei der Suche
nach Spielorten. Die Arbeit begann mit einem Pool aus Ideen
beteiligter Regisseure, Regisseurinnen, Knstler, und Knstle
rinnen sowie Bewohnern und Bewohnerinnen, die sich auf die
eine oder andere Art beteiligen wollten. Hinzu kamen Ideen, die
sich aus den unterschiedlichen Orten entwickelten.
Die Themen der einzelnen Stationen wurden aus der Situation
heraus entwickelt. Lokale Akteure empfahlen Freunde und
Freundinnen, kannten Geschichten etc. In kurzer Zeit wurde ein
ganzer Schatz an Wissen ber das Mrkische Viertel zusam
mengetragen. Ein Fazit der Initiatoren ist, dass sich diese Form
der Inszenierung sehr gut als Werkzeug eignet, um einen Stadt
teil schnell und sehr intensiv kennen zu lernen.
1

mrkisches Viertel Vogelperspektive

Urbane Lebenswelten
Benze, Gill, Hebert

Studie zur IBA 2020 Berlin


2013

31

6
5

2/3/4/5

mrkisches Viertel Eindrcke der Wohnsiedlung

6/7/8

X-Wohnungen

Urbane Lebenswelten
Benze, Gill, Hebert

Studie zur IBA 2020 Berlin


2013

32

10

11

Fazit
Bleibende Ergebnisse aus der Inszenierung lassen sich nicht in
einer Auflistung fassen. Doch neben dem Realittsabgleich aus
der Perspektive der Theatertreibenden ffnete die Inszenie
rung Einblicke in unterschiedliche Lebenswelten im Mrkischen
Viertel. Dadurch, dass sich Zuschauende und Erzhlende zah
lenmig ebenbrtig gegenberstanden, betrachteten sich bei
de gegenseitig: Nicht nur die Zuschauenden bekamen Einblick
in die Lebenswelt der Menschen im Mrkischen Viertel, son
dern auch Menschen im Mrkischen Viertel begegneten Thea
terzuschauer und -zuschauerinnen ganz nah und persnlich.
12

Nachhaltig an der Inszenierung ist der Perspektivwechsel, der


jederzeit (wieder) erfolgen knnte: Theater kehrt in die Lebens
welt im Mrkischen Viertel ein, das Mrkische Viertel wird Teil
der Theaterwelt. Intuitiv oder mit der Erfahrung der Improvisati
on lassen sich die Theaterschaffenden auf die Situation ein. Sie
entwickeln die Inszenierungen mit vorgefundenen Geschichten,
Orten und Personen (z.B. Menschen vor Ort, die etwas mitzu
teilen haben, Geschichten, die erzhlt werden, Rume die be
sichtigt und verndert werden knnen) und setzen sich der Un
gewissheit ihrer Zugnglichkeit aus: Wenn jemand absprang,
musste bis zum Schluss improvisiert werden. Die GESOBAU
AG untersttzte das Projekt von Anfang an, weil sie erkannt
hatte, dass X-Wohnungen das Image des Mrkischen Viertels
(nachhaltig) verndern wrde.

9 / 10 / 11 / 12

X-Wohnungen

Urbane Lebenswelten
Benze, Gill, Hebert

Studie zur IBA 2020 Berlin


2013

33

03 FREEHOUSE
DER mARKT VON mORGEN

Rotterdam

Zielsetzung
Freehouse Rotterdam fokussiert auf Mikro-Urbanismen
zum Beispiel ungewhliche rumliche und unternehmerische Praxen die in und aus lokalen Gemeinschaften
berall in der Stadt entstehen. Diese alternativen Formen
urbaner und konomischer Entwicklung werden durch
soziale Begegnungen, Kollaborationen und Austausch
gefrdert. Freehouse untersttzt sie durch die Einrichtung von Werksttten und die Durchfhrung von Interventionen. (van Heeswijk 2011, 22; bersetzung: SH)

Urbane Lebenswelten
Benze, Gill, Hebert

Studie zur IBA 2020 Berlin


2013

Art des projektes


Reihe knstlerischer Interventionen zur
Strkung der Kulturellen Unternehmer
schaft und des ffentlichen Raumes im
Afrikaander-Viertel von Rotterdam
projektdaten
Zeitraum

seit 2008
Konzeption

Freehouse /

Jeanne van Heeswijk,

Dennis Kaspoori, Rotterdam

34

Kontext
Das Afrikaander-Viertel in Rotterdam, eine um die Jahrhundert
wende fr den nahen Hafen errichtete Arbeiter-Wohngegend,
ist seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs durch den Zuzug von
Menschen mit Migrationshintergrund geprgt.
In den 1970er Jahren entluden sich interethnische Spannun
gen im Viertel in gewaltttigen Auseinandersetzungen, worauf
hin der Rotterdamer Stadtrat eine umfassende Erneuerung der
Umgebung beschloss. Whrend in der Folgezeit die umliegen
den Quartiere neu entwickelt und bebaut wurden, erlebte das
Afrikaander-Viertel selbst einen konomischen Niedergang, in
dessen Verlauf zahlreiche Lden und Gewerbebetriebe schlie
en mussten. Heute ist das Viertel als sozialer Brennpunkt
ausgewiesen.
Zentral im Gebiet liegt der Afrikaander Markt, zweitgrter
Markt in Rotterdam, der zweimal wchentlich am Rand einer
groen Grnflche stattfindet. Der Markt ist Ausgangspunkt
und Ziel der von Freehouse geplanten und durchgefhrten Ak
tionen und Gegenstand des Projektes Der Markt von Morgen.

Urbane Lebenswelten
Benze, Gill, Hebert

35

Studie zur IBA 2020 Berlin


2013

1900

Beginn der Bebauung des heutigen Afrikaanderwijks

1950

verstrkter Zuzug von MigrantInnen

1972

gewaltttige Auseinandersetzungen zwischen Einwanderern und der Polizei

1985

Aufgabe des Hafenbetriebs im angrenzenden Maashaven / Rijnhaven

1993

Entwicklung und Aufwertung der angrenzenden Gebiete (Kop van Zuid, Katendrecht, Parkstad)

1996

Neugestaltung Afrikaandermarktplatz

1998

Grndung von Freehouse (Jeanne van Heeswijk / Herve Paraponaris) Freehouse ist Mitinitiator zahlreicher Projekte zur Ent
wicklung von ffentlichen Rumen und der Public Domain (van Heeswijk).

2001
2002

Freehouse research rapport "Oude-Westen" und Experten-Workshops mit Jeanne van Heeswijk und Herve Paraponaris, Rick
Lowe, Howard Goldkrand and Beth Coleman (Soundlab), Charles Landry, Raoul Bunschoten, Siebe Thissen, Maaike Enge
len and Martien Wijers (Chameleon Drive Consultancy), Olav Veldhuis, Andries Botha, Johanna Luhmann, Femke Snelting,
Maartje Berendsen, Roger Teeuwen, Hasshan Ali Yech, Abdel El kahali, Mark Hugye, Adriaan Schaap, Catja Edens.

2008

Relaunch von Free


house (Jeanne van
Heeswijk / Dennis
Kaspori)

2009

Wijkwinkel (= Kiezladen) Modegeschft, in


dem die lokal produzierten Kollektionen aus
dem Wijkatelier ausgestellt und kuflich erworben werden knnen. Der Laden ist tglich
geffnet und betreibt regelmig einen Stand
auf dem Markt.

2010

Wijkkeuken (= Kiezkche) Lehr- und Spezialittenkche in der ehemaligen Pumpstation "het


Gemaal" gegenber des Marktes. An Markttagen (Mittwochs und Samstags) knnen hier fr wenig
Geld Tagesgerichte verspeist werden, deren Kreation den Kchen und Kchinnen der Kiezkche
obliegt. Auch hier werden, wie beim Wijkatelier, alle Rohstoffe vom nahe gelegenen Markt bezo
gen. Die unterschiedlichen kulturellen Hintergrnde der Kchinnen garantieren internationale loka
le Kche; die von der Kiezkche kreierten Produkte werden z.T. wiederum auf dem Markt verkauft.

De Markt van Morgen (= Der Markt von mor


gen) Initiative zur Verbesserung und kultu
rellen Bereicherung des Afrikaandermarktes.
Beginn der Arbeit mit unzhligen Akten des
zivilen Ungehorsams, um auf gesetzliche
Beschrnkungen, funktionale Mngel und un
entdeckte Potentiale aufmerksam zu machen.
Seither zahlreiche Initiativen, um dem Markt
und damit dem ffentlichen Raum (und dem
ganzen Quartier) eine eigenstndige Prgung
und einen unverwechselbaren Charakter zu
verleihen.
Wijkatelier (=Kiezatelier) Nh- und
Modedesignwerkstatt, betrieben
von Kunsthoch-
schulstudentinnen
und Amateuren aus
dem Gebiet. Die
Stoffe werden vom
Afrikaandermarkt
bezogen.

Lucky Mi Fortune
Cooking (Debra So
lomon) Mobiles,
kollektives Restau
rant fr asiatische
Kche

Suit It Yourself
(Cindy van den Bre
men): Modeinitiative
und Nhatelier.

weitere Themenmrkte (lokale Produkte) und Aktionen

Pret--Porter
Kollektion der
Modedesignerin
Marga Weimans,
die mit Motiven und
Teilnehmern des
Afrikaanderviertels
entstand, inclusive
einer Modenschau
auf dem Afrikaan
der-Markt

Organisation, Strategie und Akteure


Freehouse Rotterdam ist eine Initiative der niederlndischen
Knstlerin Jeanne van Heeswijk. Sie wird durch zahlreiche
lokale und berregionale Institutionen und durch ortsansssi
ge Wohnungsbaugesellschaften gefrdert. Die Aktivitten von
Freehouse zielen auf eine breite Teilnahme und Teilhabe der lo
kalen Bevlkerung ab. Freehouse begreift sich dabei als Kataly
sator und Plattform, als Ansto fr Begegnungen und Debatten.
Ziel der aktivierenden Manahmen ist nicht nur ein langfristiges
Empowerment, also die Ermchtigung zur Teilhabe und zur
bernahme von Verantwortung durch die beteiligten Bewohner,
sondern auch die konomische Unabhngigkeit der im Verlauf
des Prozesses entwickelten Projekte und Initiativen.

Urbane Lebenswelten
Benze, Gill, Hebert

36

Studie zur IBA 2020 Berlin


2013

Ein Markt:

Branchenauswahl
und Anordnung

Politisch:

Neue Marktstnde

Ein Markt:

Gestaltung
Neuer Stadtteil
PARKSTAD

Ein Markt / Das Viertel:

Politisch:

Dienstleistungen

Ein Ort
zum Sitzen

Afrikaandermarkt:

Der Markt von


morgen

Politisch:

Verkaufswagen

Ein Markt:

Terrasse
Das Viertel:

Lokale
Produktion

Das Viertel:

Speisehof

Ein Markt:

Neue
Produkte
Neuer Stadtteil
KOP VAN ZUID
Politisch:

Ein Markt:

Marktredner

Prsentationsplattform

M RIJNHAVEN
Neuer Stadtteil
KATENDRECHT

Das Projekt des Markts von Morgen kann als Zusammenfas


sung aller bisherigen, aber auch als Vision fr alle zuknftigen
Aktivitten von Freehouse in Rotterdam-Sd gelesen werden.
Die Grafik zeigt die drei verschiedenen Ebenen der Interventi
on: das Politische (die ffentliche Domne) das konomische
(der Markt) und die Nachbarschaft (der Kiez). Damit ist der
Markt von Morgen eine Art Modell fr die generelle Mg
lichkeit, ffentlichen Raum bzw. die Stadt als solche gemein
schaftlich, also unter Einbeziehung verschiedener Akteure und
Interessen, zu entwickeln.
Alle vorgeschlagenen Interventionen basieren auf der Annah
me, dass Innovation und lokale Kompetenz es ermglichen,
spezifische Potentiale auszuloten und weiter zu entwickeln, um
auf diese Weise konomisch unabhngige Strukturen zu (er-)
finden und zu realisieren.

Freehouse

Der Markt von Morgen

Urbane Lebenswelten
Benze, Gill, Hebert

Studie zur IBA 2020 Berlin


2013

37

Viel Wert wird dabei auf Orte der Begegnung und des Aus
handelns von Konflikten gelegt. Restriktive Regularien zur
Vermeidung von Konflikten hingegen werden als hinderlich
angesehen: So ist es zum Beispiel aus Sicht von Freehouse
unverstndlich, warum nach den geltenden Gesetzen jeder
Marktstandbetreiber nur ein einziges Produkt verkaufen darf,
warum Verkaufswgen von mehr als 6 m Lnge verboten sind
oder warum die Abflle, die am Ende des Tages unverkauft
brig bleiben, nicht zur Produktion haltbarer Lebensmittel ver
wendet werden drfen.

Die Bandbreite der Vorschlge von Freehouse ist entsprechend vielfltig: Sie umfassen beispielsweise die nderung
von Regularien, das Design neuer Marktstnde und die Anordnung einer zentralen Bhne fr Modenschauen und einen
Marktredner. Aber auch die Bndelung von Kompetenzen so
wie die Kombination von Dienstleistungen und die Entwicklung
neuer Geschfts- oder Produktideen sind im Werkzeugkasten
fr den Markt von Morgen enthalten und werden heute schon
sehr erfolgreich vor Ort praktiziert.

2/ 3 / 4

Freehouse auf dem markt Produkte, Mode, mobile Food

5/6

Kiezkche Tresen, Kche

Urbane Lebenswelten
Benze, Gill, Hebert

Studie zur IBA 2020 Berlin


2013

38

9
10

11

Fazit
Der Markt von Morgen bedient sich konomischer Strategien
(Innovation, Forschung, Marktanalyse), um dem von sozialem
Abstieg und Gentrifizierung bedrohten Viertel des Afrikaander
wijk und seinen Bewohnern eine lngerfristige Perspektive zu
erffnen. Whrend die sichtbaren Vernderungen (des ffent
lichen Raumes, der baulichen Struktur) vergleichsweise subtil
sind, ist das von Jeanne van Heeswijk gegrndete Netzwerk
umfassender und heute eine der wenigen Initiativen vor Ort,
die trotz Finanzkrise und schwierigen Rahmenbedingungen
weiter arbeiten knnen.
Die angewandten Methoden knnen als modellhaft fr die
Entwicklung anderer Stdte und Quartiere angesehen wer
den, wobei allerdings zwei Dinge zu beachten sind: Erstens
wre das Projekt im Afrikaanderwijk ohne die kontinuierliche
Prsenz und die intelligente Widerstndigkeit der federfhren
den Knstlerin kaum mglich gewesen, und zweitens sind die
Themen, die entwickelt werden knnen, immer abhngig von
den lokalen Potenzialen des jeweiligen Gebiets. You have to
find the undercurrent, sagt van Heeswijk selbst dazu: Es gilt,
die spezifische Unterstrmung, den Charakter und den Mg
lichkeitsraum des Gebietes und seiner Bewohner zu erkennen
und gemeinsam mit ihnen zu entwickeln.

7/8
9 /10/11

public Space Marktplatz und Prototyp fr neue Marktstnde


Kiezladen Display fr die Ware, Atelier, Studio, Straenansicht

Urbane Lebenswelten
Benze, Gill, Hebert

Studie zur IBA 2020 Berlin


2013

39

04 OLEANDERWEG

Halle-Neustadt

Zielsetzung
Durch Teilrckbau und Umbau eines Plattenbaus vom
Typ P2 werden die Qualitten der Planstadt Halle Neustadt weiter entwickelt. Aus 125 Wohnungen werden 81.
Die Wohnungsgrundrisse werden differenziert, 18 verschiedene Wohnungstypen entstehen in dem Gebude,
das zuvor nur gleiche Wohnungen enthielt. Das Projekt
war Teil der IBA Stadtumbau Sachsen-Anhalt 2010.

Urbane Lebenswelten
Benze, Gill, Hebert

Studie zur IBA 2020 Berlin


2013

Art des projektes


Pilotprojekt fr den Teilrckbau und Um
bau eines Plattenbaus
projektdaten
Zeitraum

2008 2010
Konzeption

Stefan Forster Architekten


Frankfurt am Main
Auftraggeber

GWG Gesellschaft fr Wohn- und Ge


werbeimmobilien Halle-Neustadt mbH
Halle (Saale)

Kosten

7,7 Mio (Stand 2010)


Umfang

Umbau von 125 in 81 Wohnungen


BGF gesamt 9.037 m2
BGF unterirdisch 1.726 m2
BGF oberirdisch 7.311 m2
Wohnflche 6.077 m2
Energiestandard EnEV minus 30 %

40

Kontext
Halle-Neustadt war von 1964 bis 1990 eine eigenstndige
Stadt westlich von Halle an der Saale. Als sozialistische
Modellstadt und Wohnort fr die Beschftigten der Chemie
kombinate BUNA und Leuna wurde sie fr 100.000 Personen
geplant. 1989 verfgte sie ber knapp 90.000 Einwohner und
Einwohnerinnen. Nach massiver Abwanderung liegt die Anzahl
der Bewohner und Bewohnerinnen inzwischen bei ca. 45.000.
Halle-Neustadt ist heute ein Stadtteil von Halle (Stadtbezirk
Halle West). Um den Wohnungsmarkt zu regulieren, mussten
Gebude rckgebaut und die verbleibenden Teile der Stadt
heutigen Anforderungen an das Wohnen angepasst werden.
Der Oleanderweg 1245 (Wohnkomplex III) liegt im erhaltens
werten Kern von Halle Neustadt nrdlich der Magistrale und
angrenzend an den neuen Stadtpark in Heide-Sd. Er verfgt
ber viele Grnflchen und profitiert von der Nhe zum Park.
Das Gebude liegt innerhalb eines Ensembles, von dem Teile
rckgebaut wurden, so dass sich die fulufige Verbindung der
umliegenden Grnflchen deutlich verbesserte.

Urbane Lebenswelten
Benze, Gill, Hebert

Studie zur IBA 2020 Berlin


2013

1971

Fertigstellung des
fnfgeschossigen
Gebudes als
Plattenbau Typ P2.

2002

Halle-Neustadt wird
Planungsgebiet der
IBA Stadtumbau
Sachsen-Anhalt
2010.

2003

Workshopverfahren, aus dem der


Frankfurter Architekt Stefan Forster
siegreich hervorgeht.

2007

Planungsbeginn

2008

Baubeginn

2010

Fertigstellung

2011

Auszeichnung
mit dem Philippe
Rotthier European
Price for
Architecture.

2012

Deutscher
Bauherrenpreis,
Anerkennung

41

Organisation, Strategie und Akteure


Im Rahmen der IBA 2010 Stadtumbau in Sachsen-Anhalt war
es mglich, beispielhafte Umbauvorhaben an Plattenbauten zu
realisieren, um von Schrumpfungsprozessen betroffene Sied
lungen zu stabilisieren.
Gemeinsam mit der GWG Gesellschaft fr Wohn- und Gewer
beimmobilien Halle-Neustadt mbH wurde mit dem Projekt Ole
anderweg ein modellhafter Umbau eines in industrieller Bauwei
se gefertigten Wohngebudes durchgefhrt.

Urbane Lebenswelten
Benze, Gill, Hebert

Studie zur IBA 2020 Berlin


2013

42

Fr das Pilotprojekt Oleanderweg 1245 schlgt der auf


grund frherer Platten-Umbauprojekte in Leinefelde mit der
Aufgabe vertraute Architekt Stefan Forster vor, die Wohnun
gen innerhalb des Gebudes von 125 auf 81 zu reduzieren.
Die ursprnglich immer gleichen Wohnungsgrundrisse wer
den in 18 verschiedene Wohnungstypen verwandelt.
Dies wird durch einen Teilabriss der oberen beiden Ge
schosse des Gebudes, das Hinzufgen eines grozgi
gen, durchlaufenden Balkons und umfangreiche Umbauten
innerhalb des Plattenbausystems erreicht.
Die ursprnglichen elf Treppenhuser werden auf sechs
Kerne mit Aufzgen reduziert, indem Wohnungen vergr
ert und aus den ursprnglichen Zweispnnern Dreispn
ner gemacht werden. Durch den Teilrckbau der oberen
beiden Geschosse entsteht ein abgetreppter Baukrper,
der groe Dachterrassen ermglicht. Durch das Hinzufgen
eines tiefen, durchlaufenden Balkons erhlt jede Wohnung
einen Bereich im Freien.
Die Wohnungen im Erdgeschoss und im ersten Stock
werden als Maisonnettewohnungen mit eigenem Zugang
und eigenem Garten organisiert. Das Gebude insgesamt
wird von einem Sockel umgeben, der ebenerdige Austritte
aus dem Erdgeschoss ermglicht ein Element, dessen
umschlieende Mauern allerdings im Widerspruch zu den
durchlaufenden offenen Grnrumen innerhalb der Sied
lung stehen und daher von den Nachbarn kritisiert wird. Die
Vielfalt der Wohnungen wird durch drei unterschiedliche
Gestaltungsarten in der Ausstattung zustzlich verstrkt.
Sie beziehen sich auf die Farb- und Materialwahl der Aus
bauelemente (Boden-, Badezimmerfliesen etc.).

1/2

Grundrisse Erdgeschoss und Obergeschoss

Grundriss Wohneinheit

Urbane Lebenswelten
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2013

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4
5

6
7

konomisches Konzept
Die Bausumme von acht Millionen Euro wird zu drei Vierteln
von der Wohnungsbaugesellschaft Gesellschaft fr Wohnund Gewerbeimmobilien (GWG Halle) getragen. Zwei Millio
nen stammen aus ffentlichen Frdermitteln. Fr die GWG war
das Vorhaben ein Pilotprojekt, aus dem sie Erkenntnisse fr
andere Umbauten ableitet.

4/5/8

Oleanderweg Straenansicht Alt und Neu

6/7

Eingangsbereich Auen und Innen

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10

11

12

Fazit
Das Projekt hat eine weitgehende Verwandlung des Hauses
erreicht. Das vormals monotone Gebude mit immer gleichem
Wohnungsangebot ist jetzt abwechslungsreich gegliedert und
erfllt die unterschiedlichsten Wohnbedrfnisse, fr Alleinste
hende, Seniorinnen und Senioren genauso wie fr Familien
oder junge Berufsttige. Die Nachfrage nach Wohnungen im
Gebude war schon vor seiner Fertigstellung sehr gro.
Fr eine Imageaufwertung eines lange Zeit schrumpfenden
Stadtteils wie Halle Neustadt ist der Oleanderweg ein wich
tiges Projekt, ebenso wie fr die Bindung einer heterogenen
Mieterschaft an den Ort. Durch die hohen Kosten kann eine
solche Manahme allerdings nur als gezielter Einzelfall umge
setzt werden.

Dachterrasse

10 / 11 / 12

Ansicht vom ffentlichen Grnraum

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2013

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05 SCHORFHEiDEViERTEL mARZAHN

Berlin
Zielsetzung
Durch den Rckbau entstandene stadtrumliche Vernderungen und Probleme sollten durch eine neue Auenraumgestaltung mit vorgeschaltetem Beteiligungsverfahren
(Charrette) gelst werden. So konnte lokales Wissen genutzt und die Bindung der Bewohnerinnen und Bewohner
an den Ort vergrert werden. Das Charetteverfahren
bietet die Mglichkeit, komplexe stdtische Problemlagen
in relativ kurzer Planungszeit zu lsen.

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Art des projektes


Wohnumfeldverbesserung im
Schorfheideviertel in Berlin Marzahn.
projektdaten
Zeitraum

2007 2010
Planung und Realisierung
Konzeption

gruppe F Landschaftsarchitekten,
ts Redaktion
Auftraggeber

Quatieragentur Marzahn NordWest


(Beteiligungsverfahren)
degewo (Planung und Realisation)

46

Kontext
Berlin Marzahn ist das grte zusammenhngende Platten
baugebiet in Deutschland. Es hat heute 22.400 Einwohner und
Einwohnerinnen. Die Gebude wurden berwiegend in den
1980ern errichtet.

Das Schorfheideviertel liegt im Teilgebiet Marzahn-Nordwest,

das seit 1999 ein Gebiet im Programm Soziale Stadt ist. Fast
20 % der dort lebenden Menschen haben Migrationhintergrund
(vorwiegend Sptaussiedler), ber 37% beziehen Transfer
leistungen. Erschreckend ist, dass zwei Drittel der Kinder im
Gebiet in Familien mit Hartz-IV-Bezug leben.
In den 1990er Jahren war die Bevlkerung stark rcklufig, im
Rahmen des Programms Stadtumbau Ost wurden viele Ge
bude abgerissen. Trotz Teilverbesserungen wurde im Mento
ring Soziale Stadtentwicklung 2010 eine prekre soziale Lage
im Quartier diagnostiziert.

Auch das Schorfheideviertel hatte sich zum schrumpfenden

Stadtteil entwickelt, und Wohneinheiten wurden zurckgebaut.

Heute ist der Leerstand in den Gebuden nur geringfgig


hher als im Berliner Durchschnitt, und die im landesweiten
Vergleich sehr junge Wohnbevlkerung wchst wieder. Dem
gegenber stehen allerdings ein erheblicher Leerstand im Ge
werbe und mangelnde Arbeitspltze im Quartier.

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1999

Erklrung des gesamten Stadtteils zu einem Gebiet mit besonderem Entwicklungsbedarf.


Installierung eines Quartiesmanagements aus den Mitteln des Programms Soziale Stadt.

2002

Gebiet im Programm Stadtumbau Ost

2003

Beginn der Umbauphase. Unsanierte Wohngebude werden abgerissen bzw. teilrckgebaut und saniert.

2007

Rckbau von
zwei elf- und drei
sechsgeschossigen
Wohngebuden.

2008
2010

Planung und Umsetzung der Land


schaftsgestaltung Schorfheideviertel
durch gruppe F im Auftrag der de
gewo.

2011

Sonderpreis Deutscher Landschaftarchitekturpeis

Durchfhrung eines mehrstufigen


Charretteverfahrens zur Verbesserung
des Wohnumfeldes.
Beteiligung von ber 200 Anwohnern
und Anwohnerinnen sowie Mitwirkung
von Vereinen, Initiativen, Fachverwal
tungen und der degewo als Eigentme
rin der Flche.

Organisation, Strategie und Akteure


Ein Charretteverfahren ist eine ffentliche Planungsmethode
mit direkter Beteiligung aller Betroffenen und Interessierten vor
Ort. Der Begriff "Charrette" kommt aus dem Franzsischen und
bedeutet eigentlich "Karren": Im 19. Jahrhundert wurden die
Arbeiten der Kunststudenten von Paris in offenen Wagen zur
Begutachtung in die Akademie gefahren, whrend die Verfasser
(unter den wohlmeinenden Kommentaren und Ratschlgen der
anwesenden Bevlkerung) nicht selten noch an ihnen arbei
teten. Das aus dieser ftentlichen Prsentationstechnik abge
leitete Planungsverfahren wurde in den 1990er Jahren in den
USA entwickelt: Betroffene, Entscheidungstragende, Projektent
wickelnde (wie zum Beispiel Wohnungsbauunternehmen) und
Planende reden, entwerfen, planen und handeln miteinander,
um gemeinsam innerhalb eines kurzen Zeitraums vielschichtige
Probleme der Stadtentwicklung zu lsen. Diese Vorgehenswei
se soll eine Identifikation mit dem Quartier strken, um vorhan
dene Mieter und Mieterinnen im Quartier zu halten.
Im Fall des Schorfheideviertels bestand die Charrette aus
Mitgliedern des Bros gruppe F Landschaftsarchitekten und
des Planungskommunikationsbros ts redaktion, die gemein
sam verantwortlich fr die Konzeption und Durchfhrung des
Charretteverfahrens waren, sowie Brgern, Brgerinnen und
Planungsverantwortlichen des Schorfheideviertels. Zugeladen
waren sogenannte Ideengeneratoren, Vertreter und Vertrete
rinnen junger Bros bzw. engagierte Studierende verschiedener
Disziplinen (Landschaftsplanung, Kunst, Architektur, Stadt
planung). Ihre Rolle war es, einen fachlichen Blick von auen
sowie technisch-knstlerisches Wissen in den Prozess einzu
bringen. Es gab eine Lenkungsgruppe mit Vertretern und Ver
treterinnen der QuartiersAgentur, der Verwaltung, der degewo
und einem Verterer des Quartierstrates. Mit der Lenkungsgrup
pe wurden das Konzept und das weitere Vorgehen abgestimmt.
Durch ffentlichkeitsarbeit wurde das Verfahren angekndigt
und ber alle Zwischenstnde informiert.

Beginn des ersten Bauabschnitts fr die im


Charretteverfahren entwickelte Gestaltung .

UrbanPlan
GmbH als beauf
tragte QuartiersAgentur

Die Charrette fand in drei Phasen im Zeitraum von Februar bis


Mai 2007 statt. Eine zweitgige Auftaktcharrette (Anfang
Februar) sondierte das Feld und ermittelte Bedarfe und erste
Ideen. Die Hauptcharrette (27. 20.3.2007) fand einige Wo
chen spter an vier aufeinander folgenden Tagen statt. In der
Auftaktcharrette geworbene Interessenvertretende nahmen an
unterschiedlichen Sitzungen und Arbeitsgruppen teil.
Hier wurde die Idee, die Landschaft der Schorfheide zum Leit
bild der Freiraumgestaltung zu machen, entwickelt, geprft und
unter verschiedenen Aspekten ausgearbeitet. Der Wunsch eini
ger Bewohner und Bewohnerinnen nach Garagen wurde aufge
griffen und programmatisch erweitert. Als Multifunktionsboxen
(Garage, Treffs, Hobby, Lager) weiden sie jetzt wie Schafe an
einer Seite der Freiflche. Die Abschluss-Charrette (ein Tag im
Mai) diente dazu, die Ergebnisse der Hauptcharrette und die
nchsten Handlungsschritte mit den Brgern und Brgerinnen
sowie Entscheidungstrgern und Entscheidungstrgerinnen von
Verwaltung und Politik abzustimmen.

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Grenordnung des projektes


Das Projektgebiet umfasst einen von Plattenbauten umschlos
senen Wohnhof, an dessen Rndern zwei 11-geschossige und
drei 6-geschossige Bauten abgetragen wurden. Der Gebude
abriss wurde von den verbleibenden Mieterinnen und Mietern
vor allem in den 6-geschossigen Gebuden sehr kritisch gese
hen. Sie favorisierten einen Teilabriss mit anschlieender Sa
nierung. In dieser Lage war es wichtig, durch ein Beteiligungs
verfahren Vertrauen wieder herzustellen und dennoch in kurzer
Zeit umsetzungsfhige Ergebnissen zu erhalten.

Stdtebaukonzept
Die Qualitten des Schorfheideviertels werden in seiner Nhe
zum Berliner Stadtrand und seinem ausgeprgten landschaft
lichen Bezug gesehen, der mit dem Leitbild "Schorfheide"
gestrkt werden sollte. Die Teilnehmer und Teilnehmerinnen
entschieden, den durch Abriss entstandenen Freiraum als flie
enden Raum um die verbleibenden Gebude zu organisieren,
neue Wegeverbindungen und -verknpfungen unabhngig vom
Straenverlauf anzulegen und unterschiedliche Situationen
durch vier typische Landschaftselemente der Schorfheide ent
stehen zu lassen: Hgel der Endmornen-Landschaft, Kiefern
und hohe Grser als typische Vegetation und, als bertragung
der Struktur weidender Schafherden, locker angeordnete Multi
funktionsboxen.

Lageplan

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Lokale potenziale
Aufgrund der Standrandlage gibt es im Schorfheideviertel aus
reichend Freiflchen und Spielangebote aller Art, so dass die
Raum- und Nutzungsanalyse keinen Nutzungsdruck aus dem
Umfeld feststellen konnte. Letztlich stellte sich heraus, dass
aber gerade die Stadtrandlage hohes Identifikationspotenzial
bietet. Der Wunsch der meisten Anwohnenden ist es, in ihrem
Quartier, Ruhe, Weite und Grnraum erleben zu wollen. Im
Charretteverfahren wurde jedoch auch deutlich, dass die Be
wohner und Bewohnerinnen keine persnliche Verantwortung
fr die Pflege der Freiflchen bernehmen wollten, sondern
dieses ganz deutlich im Aufgabenbereich der Wohnungsbau
gesellschaften sahen.
konomisches Konzept
Die Charrette wurde aus den Mitteln des Programms Soziale
Stadt der Senatsverwaltung fr Stadtentwicklung (Quartiers
management) getragen. Der Umbau wurde von der Woh
nungsbaugesellschaft degewo in Auftrag gegeben und aus
Mitteln des Programms Stadtumbau Ost finanziert.

2/3
4

Freiraumgestaltung mit Landschaftselementen der Schorfheide


multifunktions-Boxen Garage, Hobbyraum, Laube etc.

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2013

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Fazit
Whrend die verbleibenden Gebude energetisch ertchtigt
wurden, bezieht sich der identittsstiftende Entwurf auf die
Freirume. Diese wurden nicht, wie hufig in Planungen von
oben vorgeschlagen, als Stadtplatz oder ffentlicher Platz
ausgebildet. Stattdessen entstand in der Brgerbeteiligung die
Idee, den landschaftlichen Charakter des Gebietes zu strken.
Als flieender Raum, der mit Landschaftselementen aus der
Schorfheide gestaltet ist, vermag das Wohnumfeld den Bedrf
nissen der Bewohner und Bewohnerinnen besser zu entspre
chen.

Der Reiz des Charretteverfahrens liegt in der in allen Teilen


und zu jeder Zeit ffentlichen Vorgehensweise und der Kr
ze des Verfahrens. Die Effekte werden fr alle Beteiligten in
absehbarer Zeit sprbar, und damit entsteht die Gewissheit,
etwas bewirkt zu haben. Eine Identifikation mit dem Ort wird
gefestigt. Andere Beteiligungsverfahren kranken oft an langen
Zeitrumen und scheinbar ergebnislosen Engagement. Das
Charretteverfahren ist daher besonders geeignet, die wichtige
Gruppe der Kinder und Jugendlichen mit einzuschlieen.

Die ffentliche Ankndigung und Begleitung des Verfahrens


(z.B. durch Zeitungsberichte und -artikel) bewirkten eine Wahr
nehmbarkeit der Vernderungen auch fr mittelbar Betroffene.
Die Berichterstattung vernderte das Image des Stadtteils
positiv. Heute wird die Umgestaltung von den dort Wohnenden
sehr gut akzeptiert und genutzt.
Die inhaltlich relativ konkrete Fragestellung fr das Charrette
verfahren veranlasste nahezu 200 Brgerinnen und Brger zur
Beteiligung. Es stellt sich die Frage, ob komplexere Aufgaben
auf hnliche Weise gelst werden knnen.

5/6/7

Freiraumgestaltung

ausgebaute muFu-Box (Multifunktions-Box)


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2013

51

06 CAmpUS EFEUWEG AKADEmiE EiNER NEUEN GROpiUSSTADT

Berlin
Zielsetzung
Die Akademie einer neuen Gropiusstadt ist ein
partizipatives Instrument zur sozialen und stadtrumlichen
Entwicklung der Grosiedlung. Unter Ausnutzung lokaler
Potenziale soll die Gropiusstadt zum Vorbild einer
klimagerechten und sozialen Stadtentwicklung werden.
Die Akademie ist aus dem Projekt Campus Efeuweg,
ihrem ersten konkreten Projekt, hervorgegangen. Campus
Efeuweg moderiert einen Zusammenschluss von Bildungseinrichtungen mit dem Ziel, sie zu ffnen und
strker mit der Siedlung zu verflechten und mchte unter
Einbeziehung der Akteure die baulich-rumlichen
Voraussetzungen dafr schaffen.

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Art des projektes


Installierung eines Bildungsverbundes in
der Grosiedlung Berlin Gropiusstadt
projektdaten
Zeitraum

2006-2010
Konzeption

Jrg Stollmann
TU Berlin
Auftraggeber

Quartiersmanagement Efeuweg,
DEGEWO

52

Kontext
Die nach dem Bauhausdirektor Walter Gropius benannte
Gropiusstadt liegt in Neuklln, am sdlichen Rand Berlins.
Der Stadtteil ist nahezu ein reines Wohngebiet. Die Wohnungen
wurden mehrheitlich zwischen 1962 und 1975 im Rahmen des
sozialen Wohnungsbaus errichtet. Die Planung fr den Stadtteil
wurde von Walter Gropius im Bro TAC begonnen, spter aber
stark abgewandelt, da nach dem Mauerbau 1961 eine prognos
tiziert grere Zahl von Wohnungssuchenden auf der Flche
des verbleibenden Stadtgebietes unterzubringen waren. Diese
Rahmenbedingungen fhrten zu einer erheblich hheren Be
bauungsdichte gegenber der ursprnglichen Planung.
Heute ist der Stadtteil im Programm Soziale Stadt integriert.
Es leben 23.761 Einwohner im Gebiet des rtlichen Quartiers
management (QM)(IHEK 2012). 2011 kam es erstmalig wieder
zu einer Bevlkerungszunahme im Stadtteil, dessen Einwoh
nerzahl auf Grund niedrigerer Belegungsdichte in den Woh
nungen in den letzten Jahren leicht abnehmend war. Der Anteil
der dort Wohnenden mit Migrationhintergrund ist in den letzten
Jahren kontinuierlich gestiegen, was teilweise zu Konflikten zwi
schen den sehr unterschiedlichen Menschen fhrt. Dank treuer
Erstmieter und Erstmieterinnen verfgt die Gropiusstadt ber
einen berdurchschnittlich hohen Anteil von ber 55-Jhrigen.
Ebenso liegt der Kinderanteil hher als im Berliner Durchschnitt.
Ein hoher Anteil der Bevlkerung ist von Transferleistungen
abhngig, dazu gehren ber 60% der Kinder. Gropiusstadt
bietet auer in ffentlichen Einrichtungen (Schulen, Kitas etc.)
nur wenigen Menschen Arbeit. Die gute Vermietungssituation
wird auf die sehr vielfltigen Wohnungsgren und Wohnungs
ausstattungen zurckgefhrt. Neun Schulen befinden sich in
nerhalb des Gebietes und ein breites Angebot an sozialen Ein
richtungen. Der Stadtteil ist ber die U7 sehr gut angebunden.
Die Gropiuspassagen bieten ber Waren des tglichen Bedarfs
hinaus umfangreiche Einkaufsmglichkeiten, die von einem we
sentlich greren Einzugsgebiet genutzt werden.

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52

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2013

1955

Besprechung des Siedlungsvorhabens Berlin-Buckow-Ost, Wildmeisterdamm mit Baustadtrat Wilhelm Zerndt

und die Wohnungsbaugesellschaften GEHAG, GSW, IDEAL und Mrkische Scholle im Bezirksamt Neuklln.

1958

Beginn der Gesamtplanung. Stdtebauliche Gesamtleitung: Walter Gropius.


1961

Mauerbau: Vernderung des Strukturplans fr die Grosiedlung mit

wesentlich hheren Bebauungsdichten.

1962

Grundsteinlegung fr den ersten Bauabschnitt der Grosiedlung.

1964

Erste Mieter und Mieterinnen beziehen ihre Wohnungen.

1975

Fertigstellung der letzten Wohnbauten.

1986

Beginn der Manahmen zur Wohnumfeldverbesserung.

1989

Fall der Mauer. Stopp der Frderung zur Wohnumfeldverbesserung.

2002

Beginn des internationalen Knstler-Residenzprogramms Pilotprojekt Gropiusstadt.

2005

Einrichtung des Quartiersmanagements Lipschitzallee/Gropiusstadt. Projekt Dorfplatz: Kooperation einer Grundschule,


einer Kita, einem Abenteuerspielplatz, einem Jugendfreizeitprojekt und einer Mdchensporteinrichtung. Schaffung eines
gemeinsam betriebenen Elterntreffs.

2008

Bildungsverbund Gropiusstadt und QM-Projekt Bildungsmeile Wutzkyallee.

2009

Bildungsmeile Wutzkyallee wird im Programm Soziale Stadt gefrdert: Kooperation einer Kita, dreier Schulen, einer Ju
gendeinrichtung und eines Abenteuerspielplatzes mit dem Ziel der inhaltlichen und organisatorischen Zusammenarbeit
sowie der rumlichen Aufwertung und Verknpfung der Standorte.

2010

"Campus Efeuweg
Modell(e) fr eine
neue Gropiusstadt":
Gemeinschaftsba
sierte Forschungs
und Entwurfspro
jekte an der TU
Berlin in Zusam
menarbeit mit dem
Bildungsverbund
Efeuweg.

2012

2013

2014

Grndung der "Aka


damie einer neuen
Gropiusstadt".
Gemeinschaftsba
siertes Forschungs
und Entwurfsprojekt
an der TU Berlin zur
sozialen und klima
relevanten Entwick
lung von Grosied
lung am Beispiel
Gropiusstadt.

Entwicklung der stdtebaulichen Entwurfs


strategie Efeuweg. berprfung der verschie
denen Manahmen hinsichtlich Realisierbar
keit und Eigentumsrechte. Berechnung der
Kosten in Varianten fr eine neue Erschlie
ung des Campus Efeuweg.

Forschungspro
jekt "Soko Klima
Stadtgestalten
mit Plan."
Methodenkoffer
zur Beteiligung
von Kindern und
Jugendlichen
an formalen und
informellen klima
relevanten Pla
nungsverfahren
auf kommunaler
Ebene.

Organisation, Strategie und Akteure


Mit dem Projekt Campus Efeuweg sollen partizipative Verfahren
und Werkzeuge getestet werden. Anlass bot die Planung einer
Neu- und Umgestaltung des ortsansssigen Oberstufenzentrums. Das Projekt knpft damit an die zuvor an zwei anderen
Orten in der Gropiusstadt entwickelte Idee eines Bildungsver
bundes an.
Neu hinzugekommen ist die Einbindung der Universitt (TU
Berlin, Universitt Weimar). Sie versteht sich als Vermittler zwi
schen den Akteuren der Planung, und zwar im Sinn einer per
formativen und kooperativen Forschung und Gestaltung. Das
heit, dass Prozesse, die der Gegenstand der Forschung sind,
zeitgleich beobachtet und beeinflusst werden knnen. Koopera
tiv ist die Vorgehensweise, da sie nur in enger Zusammenarbeit
mit den betreffenden Akteuren geschehen kann.

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Studie zur IBA 2020 Berlin


2013

52

Die Arbeit am Campus Efeuweg ist bis jetzt im Wesentlichen


ein Entwurfsprojekt mit Studierenden der TU Berlin und der
Universitt Weimar. Es wurde in enger Verknpfung mit loka
len Akteuren, Bewohnerinnen und Bewohnern sowie lokalen
Experten und Expertinnen durchgefhrt, die in Workshops und
Rckkopplungsrunden in den Planungs- und Entwurfsprozess
eingebunden wurden. In der Folge sind etliche Aktivitten ent
standen, unter anderem:
- Subsumierung ausgewhlter Studierendenarbeiten zu einem
Stdtebaulichen Leitbild (Strategieentwicklungsplan), das dem
Bezirk Neuklln prsentiert wurde

- Vorstudie und Kostenschtzung der einzelnen Manahmen


- Bewilligung eines QF4 Mittelantrags zur Umgestaltung des
Schulhofs und zweier Eingnge
- Im Frhjahr 2012 wurde die Akademie einer Neuen Gropius
stadt gegrndet. Sie versteht sich als partizipatives Planungs
instrument der gesamten Gropiusstadt. Mit ihrer Hilfe sollen die
zuknftigen Planungen zur Stadtlandschaft der Gropiusstadt
diskutiert und konstruktiv gestaltet werden.

Entwurfswerkzeuge

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52

Studie zur IBA 2020 Berlin


2013

Die Entwrfe der Studierenden bewegten sich in der gesam


ten Bandbreite von realisierbaren kleinen Eingriffen bis hin zu
umfangreichen Planungsvorschlgen. Letztere boten Anlass,
ber langfristige Entwicklungsziele zu diskutieren. Einige der
Vorschlge wurden zu einem Strategieentwicklungsplan zu
sammengefhrt.

2 / 3/4

Studierendenarbeiten GrenzGnger, InstantPlan, EfeuForum

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2013

52

Fazit
Neu am Projekt Campus Efeuweg und dem daraus hervorge
gangenen Format der Akademie ist die Verbindung zwischen
universitrer Forschung und Lehre mit konkreten Planungen
und Umbauten im Stadtteil. Diese Kooperation kann einen
fruchtbaren Rahmen zur Entwicklung und Erprobung partizipa
tiver Werkzeuge sowie zur Erarbeitung innovativer Methoden
und Ziele bieten. Hierzu ist es allerdings auch erforderlich, dass
einige der Ideen tatschlich auch baulich umgesetzt werden.
Die Einbindung des Projektes in eine zuknftige IBA knnte
hierfr einen geeigneten Rahmen bieten. Inwiefern Forschung
und Lehre bei der Realisierung beteiligt werden knnen, bleibt
auszuhandeln. Mit der Grndung der "Akademie einer neuen
Gropiusstadt" ist ein guter Schritt zur Erprobung experimentel
ler Vorgehensweisen gemacht worden.

9
10

Strategieentwicklungsplan Grundlage zur Abstimmung der Planung


Diskussionsrunde Vorstellung der unterschiedlichen Entwrfe

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2013

57

07 HAUS DER JUGEND


KiRCHDORF

HAmBURG
Zielsetzung
Das neue Haus der Jugend wurde als Ersatz fr einen in
den siebziger Jahren als Provisorium errichteten Flachbau
am Rand der Growohnsiedlung Hamburg-Wilhelmsburg
errichtet. Es verschrnkt vielfltig bespielbare Innen- und
Auenrume in einem markanten Baukrper. Dieser fungiert auf doppelte Weise als Zeichen: stadtrumlich als bauliches Zeichen im Vorfeld der Internationalen Bauausstellung und inhaltlich als Bekenntnis zur Bildungsinitiative fr
die Bewohner des benachteiligten Bezirks. Beides, Inhalt
und Form, soll den Jugendlichen neues Selbstbewusstsein
geben: Die Aggression, die es im Stadtteil gibt, entsteht
aus einem Minderwertigkeitsgefhl, aus dem Gefhl, ausgeschlossen zu sein. Als das Haus fast fertig war ... haben
wir den Stolz darauf gesprt, sagen zu knnen: Das ist
unser Haus hier! (Architekten)

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2013

Art des projektes


Neubau einer Bildungs- und Freizeit
einrichtung
projektdaten
Zeitraum

2008- 2010
Architekten

Kersten + Kopp Architekten BDA, Berlin


Bauherr

Freie und Hansestadt Hamburg,


Bezirksamt Hamburg-Mitte,
Vertreten durch die Behrde fr
Stadtentwicklung und Umwelt

Umfang

BRI 7.425,3m
BGF 1.587,7m
NF 964,2m

58

Kontext
Der Stadtteil Wilhelsmburg liegt auf einer Elbinsel zwischen der
Innenstadt von Hamburg und dem nahen Harburg. Er grenzt
an Gewerbe- und Industrieareale des Hamburger Hafens an.
Die stlich der S-Bahn-Gleistrasse gelegene Wohnsiedlung,
in der sich das Haus der Jugend befindet, entstand in den
sechziger und siebziger Jahren als Wohnsiedlung fr Hafenar
beiter. Heute leben hier berdurchschnittlich viele Menschen
mit Migrationshintergrund. Das durchschnittliche Einkommen
ist gering.
Im Rahmen der IBA (Internationalen Bauausstellung) Hamburg
2013 wird mit dem Sprung ber die Elbe (Slogan) eine Stra
tegie verfolgt, die die bisher nicht auf der mentalen Landkarte
der Stadt verzeichneten Gebiete sdlich des Flusses besser
anbinden und als Wohngebiete in Wert setzen soll. Neben ei
nigen Neubauprojekten, die alternative Wohnformen anbieten
und innovative Konstruktionsweisen testen, werden mehrere
Bildungsprojekte im Stadtteil realisiert. Mit dem neuen Haus
der Jugend wurde bereits im Vorfeld der IBA ein bauliches Zei
chen gesetzt.
Das Haus der Jugend, ursprnglich ein als Provisorium errich
teter Flachbau am Rand der Siedlung, blickt bereits auf eine
jahrzehntelange Erfahrung in der Kinder- und Jugendarbeit zu
rck. So konnte die Erfahrung des dort ttigen Teams und der
bereits vorhandenen Nutzer in die Entwicklung des Neubaus
einflieen (siehe folgende Seite).

Urbane Lebenswelten
Benze, Gill, Hebert

Studie zur IBA 2020 Berlin


2013

59

1950er

Bebauung des Wohngebiets Kirchdorf, vorwiegend Einfamilienhuser,


stlich des Grundstcks

1960er

Bebauung der Grosiedlung Wilhelmsburg, Geschosswohnungen,


westlich des Grundstcks

1970er

Errichtung eines provisorischen Hauses der Jugend als Holz-Flachbau.


Betreiber: Jugendamt Hamburg-Harburg

2000er

Ein Gutachten weist gesundheitsschdliche


Holzschutzmittel am alten Haus der Jugend
nach. Der damalige Leiter setzt sich vehement
fr einen Neubau ein. Im Vorfeld der damals
bereits beschlossenen IBA 2013 werden die
notwendigen Mittel dafr bewilligt.

2004

Anders als bei anderen Jugendhusern, die meist vom Bezirksamt selbst gebaut werden, soll zur
Sicherung einer hheren architektonischen Qualitt und zur Erlangung von zeichenhaften Entwrfen
ein Wettbewerb ausgelobt werden. Die Nutzer und Nutzerinnen (Angestellte der Einrichtung und
Jugendliche aus dem alten Haus der Jugend) wirken an der Erarbeitung des Raumprogramms mit.
Gegenstand des Wettbewerbs sind eine Reihe von Funktionsrumen im Gebudeinneren sowie
berdachte Sportbereiche auf dem Gelnde.

2005

Der Wettbewerb zum Neubau des Hauses der


Jugend in Kirchdorf wird ausgelobt. Es werden
gezielt junge Bros ausgewhlt, von denen
man sich innovative Ideen und ungewhnliche
Lsungen erhofft. Das Berliner Bro Kersten
+ Kopp erhlt den ersten Preis mit einem
Vorschlag, der alle geforderten Bereiche in
einem einzigen, zeichenhaften Baukrper
zusammenfasst. Noch im Jahr 2005 wird das
Bro mit der Planung beauftragt.

2007
2008

Beginn der Bauphase.

2011

Erffnung (24.01.2011)

planungsphase.
In zahlreichen Gesprchen werden die Anforderungen an das
Haus immer weiter przisiert. Ein wichtiges Thema ist der
Aspekt der Sicherheit: Dem Bedrfnis der Jugendlichen, sich
in verschiedene Nischen zurckziehen zu knnen, stehen die
Anforderungen der Betreuer und Betreuerinnen gegenber, die
darin ein Sicherheitsrisiko sehen. Die herannahende IBA und die
Rolle des Projekts als berregionales Zeichen ermglichen jedoch
nicht nur eine vergleichsweise grozgige finanzielle Ausstattung,
sondern auch ein Experiment: Die Transparenz des Hauses (von
innen, von auen und durch alle Ebenen hindurch) ist nicht nur ein
sthetisches, sondern auch ein programmatisches Statement.
Der Leiter der Einrichtung wirbt fr das mutige Konzept und fordert
zustzliche Stellen, die jedoch nie genehmigt werden.

Organisation, Strategie und Akteure


Die Initiative zum Neubau des Hauses der Jugend Kirchdorf
ging vom damaligen Leiter der Einrichtung aus, der hier nicht
nur aus bautechnischen, sondern auch aus politischen Grnden
ein Zeichen setzen wollte. Er fand Untersttzung im damals
zustndigen Sozialdezernat von Hamburg-Harburg, das dem
Projekt sehr wohlwollend gegenberstand.
Im Zuge der nahenden IBA-Planungen konnte das Projekt
mit grozgigen Eigenmitteln ausgestattet werden. Zugleich
wechselte die Zustndigkeit von Harburg nach Mitte, und das
Jugendhaus bekam eine neue Leitung. Mitarbeiter und Mitar
beiterinnen sowie die und jugendlichen Nutzer und Nutzerinnen
der Einrichtung waren an der Erstellung des Raumprogramms
beteiligt und als Sachverstndige zur Jury des Wettbewerbs
geladen.
Im weiteren Verlauf der Projektumsetzung gab es eine enge
Zusammenarbeit zwischen den Bauherren, den Nutzern und
Nutzerinnen (vor allem dem Leiter der Einrichtung) und den
Architekten und Architektinnen. Einen explizit partizipativen An
satz gab es jedoch nicht.

Urbane Lebenswelten
Benze, Gill, Hebert

Studie zur IBA 2020 Berlin


2013

60

Das Haus der Jugend liegt am Ende einer stdtischen Entwick


lungsachse (siehe Abb. 1: hier soll die vorhandene Siedlungs
struktur mit neuen Typologien nachverdichtet werden).
Der ffentliche Raum, den es begrenzt, hrt jedoch nicht an
seiner Fassade auf, sondern zieht sich auf verschiedene Weise
in das Haus hinein, darunter hindurch oder darum herum: Es
gibt eine Kletterwand an der nrdlichen und eine eingebaute
Skate-Rampe an der westlichen Fassade, und der berdachte
Sportplatz, der Teil des Raumprogramms war, schiebt sich un
ter das Haus.

Im Inneren verteilen sich ca. 960 m2 Nutzflche auf drei Eta


gen und die folgenden Bereiche: Offene Arbeit, 6FKQLWW((
Caf, Kche,
Funktionsrume und
im EG, Sporthalle
und Com
Werksttten


puterraum im 1. OG und Selbstlernbereich und Verwaltungs
rume im 2. OG.
Von hier kann man auch die auen liegende Skaterampe
(Abb. 4) erreichen, die zwar von jedermann, allerdings aus
versicherungstechnischen Grnden nur unter Aufsicht von da
fr ausgebildete Personen genutzt werden kann.
1

modell Umgebung mit IBA-Projekten

2/3

Wettbewerbsplne Detail, Isometrie Grundrisse

Schnitt durch die Skatebahn

Urbane Lebenswelten
Benze, Gill, Hebert

Studie zur IBA 2020 Berlin


2013

61

Die zahlreichen (groenteils sportlichen) Aktivitten, die das


Haus im Inneren ermglicht, drcken sich plastisch in seiner
ueren Erscheinung aus. Erschlieungs- und Flurflchen sind
grozgig dimensioniert, die verwendeten Materialien robust
und unauffllig. Whrend das Gebude von auen mit einer
Aluminiumfassade umhllt ist, sind die dahinter liegenden Fl
chen der Einschnitte (Lichthof, Skaterampe) in krftigen Farben
verkleidet bzw. lasiert.
Allerdings liegt in der Grozgigkeit der Kubatur nicht nur
die grte Strke, sondern mglicherweise zugleich auch die
grte Schwche des Projektes: Neben hohen Betriebskosten
stellt auch die schiere Menge der bespielbaren Flchen die
Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Jugendhauses vor Her
ausforderungen: Obwohl sich die Nutzflche im Verhltnis zum
Vorgngerbau fast verdoppelt hat, ist die Zahl der Betreuer bis
heute gleich geblieben.
Die hochwertige Architektur hat jedoch sicherlich auch ihren Teil
dazu beigetragen, dass die schlimmsten Befrchtungen aus
der Planungsphase die Entstehung von schwer zu kontrollie
renden Jugendgangs und Vandalismus betreffend sich zum
Glck nicht bewahrheitet haben. Die Jugendlichen sind stolz
auf ihr Haus, sagen die Architekten, und wrden es niemals
mutwillig beschdigen. Im Gegenteil: Sie sorgen sogar offenbar
dafr, dass auch andere dies nicht tun.

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Annherung Fassade, Sportfeld,Eingang

Eingangsbereich mit Lounge und Cafbereich

Treppenraum

Urbane Lebenswelten
Benze, Gill, Hebert

Studie zur IBA 2020 Berlin


2013

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11

12

Fazit
Das Haus der Jugend in Kirchdorf wirkt als doppeltes Zeichen
fr eine Wertschtzung des bisher von Politik und ffentlichkeit
vernachlssigten Stadtteils Wilhelmsburg, der durch die jngs
ten stdtebaulichen Entwicklungen zum Vorgarten der reichen
Hafencity geworden ist.
Das Programm des Gebudes geht anders, als bei anderen
architektonisch-kulturellen Aufwertungsprojekten nicht am
Bedarf des Stadtteils vorbei, sondern trifft dessen Kern: Als
niedrigschwelliges Bildungs- und Freizeitangebot fr Kinder
und Jugendliche aus einkommensschwachen und oft auch
bildungsfernen Haushalten ermglicht es diesen im besten Fall
ebenfalls einen Sprung ber die Elbe, hinein ins gesellschaftli
che und konomische Leben der Hansestadt.
Es bleibt zu hoffen, dass die Bewohner und Bewohnerinnen
von Wilhelmsburg auf diese Weise von der einsetzenden Gen
trifizierung (IBA, IGA, Hafencity-Nhe) auch langfristig profitie
ren knnen wenn die Stadt das grozgige Geschenk, das
sie den Jugendlichen gemacht hat, auch langfristig unterhlt.

10 , 11

Skatebahn

12

Ansicht vom Garten mit benachbarter Kirche

Urbane Lebenswelten
Benze, Gill, Hebert

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2013

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08 Treehouses

hAMBurG
Zielsetzung
Das Projekt transformiert eine zwei- bis dreigeschossige,
offene Zeilenbebauung aus den spten fnfziger Jahren
durch Bauen auf dem Bestand (Architekten) in eine
durchgehend viergeschossige, zeitgeme Wohnanlage.
Mit dem Begriff Treehouses wurde eine positiv besetzte
Metapher geschaffen, die es ermglichte, Bauherrn und
Behrden von der Planung zu berzeugen.
Wichtig waren auch konomische und kologische Aspekte: Insgesamt wurde mit der Planung das Ziel verfolgt, die
Wohnflche zu verdoppeln und den bisherigen jhrlichen
CO2-Aussto zu halbieren. (blauraum)

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Benze, Gill, Hebert

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2013

Art des Projektes


Nachhaltige Nachverdichtung einer
50er-Jahre-Zeilenbebauung durch Auf
stockung
Projektdaten
Zeitraum

Errichtung Bestand: ca. 1959


Umbau: 2006-2010
Architekten

blauraum, Hamburg
Bauherr

Robert Vogel GmbH&Co

Kosten

1.500 Brutto-Baukosten je m2 BGF


umfang

47 Wohnungen im Neubau,
104 Wohnungen im Altbau
(energetische Sanierung)
8.800 m2 BGF Ergnzung zum
Bestand von 9.600 m2 BGF

64

Kontext
Die Treehouses befinden sich im Hamburger Stadtteil Alster
dorf, einer gutbrgerlichen Wohngegend nrdlich der Innen
stadt. In der Umgebung befinden sich Altbaubestnde aus
der Grnderzeit (meist in Form von kleinen Stadtvillen), aus
den 20er30er Jahren (Genossenschaftsbauten) und aus den
50er60er Jahren. Vor allem in den Wohnbauten aus den 60er
Jahren ist das Durchschnittsalter der Bewohner relativ hoch.
Auf dem Grundstck waren fnf zweigeschossige Zeilen und
ein dreigeschossiger Querriegel vorhanden. Sie befinden sich
im Besitz eines privaten Eigentmers und waren vor Beginn
des Umbaus vollstndig vermietet. Die Gebudesubstanz, dem
damaligen Planungsethos entsprechend auf das statisch not
wendige Minimum reduziert, fhrte zu hohen Energieverlusten
im Betrieb. Die erforderliche Grundsanierung sollte mit einer
hheren Ausnutzung des Grundstcks (doppelte BGF) einher
gehen.

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2013

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1957

Errichtung der Bestandsbauten.

2006

Beauftragung einer Machbarkeitsstudie durch


die heutige Eigentmerin, die Robert Vogel
GmbH&Co, an blauraum. Ziel: Verdoppelung
der Nutzflche unter Beibehaltung des
Bestandes.

2007

Einreichung des Bauantrags, um die Genehmigungsfhigkeit von Variante b) zu berprfen, die nicht den geltenden Vorschriften entspricht
(Zweigeschossigkeit nach 34 BGB).
Die Genehmigungsbehrden stimmen dem Antrag unter der Magabe
zu, dass der offene Grnraum erhalten und die in Holzbauweise ausgefhrten Aufstockungen als solche auch erkennbar bleiben. Auflage:
Holzverkleidung der Fassade

2008

Bauphase. Geplant ist ursprnglich eine wandernde Baustelle, die auf


gangsweise realisiert werden kann. Durch den Konkurs des Bauhaupt
gewerks gibt es jedoch eine sechsmonatige Verzgerung, die nur durch
eine gleichzeitige Umsetzung der gesamten Manahme ausgeglichen
werden kann. Die dadurch entstehenden Unannehmlichkeiten fr die
Mieter werden durch eine Aussetzung der Mietzahlungen kompensiert.

2010

Durch den Zuzug von jngeren Bewohnern


und Bewohnerinnen wird die Altersstruktur der
Siedlung deutlich durchmischt. Junge Famili
en ziehen in die oberen Wohnungen, so dass
neue und alte Mieter und Mieterinnen glei
chermaen von der Manahme profitieren.

bis
he ute

Zwei Varianten werden untersucht:


a) ein viergeschossiger Neubau an der Bebelallee, der die vorhandenen Zeilen zur Kammstruktur schliet und
b) die Aufstockung zu insgesamt viergeschossi
gen Zeilen.
Die Architekten argumentieren fr Variante b) mit
einer hheren Ausnutzung und dem Erhalt der
vorhandenen Freiraumqualitten, die bei einer
Schlieung des Blockrandes verloren gingen.
Planungsphase.
Neben konstruktiven Heraus
forderungen (Grndung) wird vor allem der Brandschutz ein Thema:
Die Riegel, nunmehr viergeschossig,
befinden sich jetzt in der Gebudeklasse IV, die erhhte Anforderungen
stellt.

Die von der Stadt geforderte Holzver


kleidung lsst sich nur mit Zedern
holzschindeln realisieren. Die ent
stehenden Mehrkosten werden durch
Einsparungen bei der Bestandssanie
rung wettgemacht.

organisation, strategie und Akteure


Das Projekt ist auf Initiative des Grundstckseigentmers ent
standen, der den vorhandenen Bestand aus den spten 50er
Jahren des 20. Jahrhunderts sanieren und nachverdichten woll
te. Das Bro blauraum erarbeitete eine Machbarkeitsstudie, in
der mgliche Varianten gegenbergestellt wurden (siehe oben).
Von Beginn an versuchten die Architekten und Architektinnen,
die vorhandenen Freiraum-Qualitten und die historische
Typologie zu erhalten. Mit der metaphorisch angereicherten
Aufstockungsvariante berzeugten sie den Bauherren und das
Bauamt.
Die Mieter und Mieterinnen wurden nicht in die Entscheidungs
prozesse einbezogen, aber rechtzeitig vor etwaigen anste
henden Arbeiten von diesen in Kenntnis gesetzt. Sie konnten
auch das ein erklrtes Ziel des Projekts whrend der ge
samten Bauphase in ihren Wohnungen bleiben.

Urbane Lebenswelten
Benze, Gill, Hebert

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Studie zur IBA 2020 Berlin


2013

doppelte
Wohnflche

halbe
CO2-Emission
1

Im Bestand gab es vor der Transformation drei verschiedene


Zeilenbau-Typologien: einen zweigeschossigen Laubengang
typ (nordstlicher Riegel), einen dreigeschossigen Etagenwoh
nungstyp (Zweispnner, sdstlicher Querriegel) und
vier zweigeschossige Etagenwohnungstypen (ebenfalls Zwei
spnner).
Die Nachverdichtung erfolgte immer im gleichen Prinzip: Nach
dem Abtragen des vorhandenen Satteldaches erfolgte der Auf
bau des Neubauteiles. Dessen Typologien reagierten jedoch
auf die unterschiedlichen Voraussetzungen. So wurde der
Laubengangtyp mit zweigeschossigen Maisonettewohnungen
ergnzt, die ebenfalls ber einen Laubengang erschlossen
werden, der Dreigeschosser erhielt eine zustzliche Ebene mit
Etagenwohnungen, und auf die zweigeschossigen Etagenwoh
nungen wurden wiederum Maisonetten (quasi schwebende
Reihenhuser) aufgesetzt. Letztere werden nicht ber einen
Laubengang, sondern ber die vorhandenen Treppenhuser
erschlossen.

Im Ergebnis entstanden 47 neue Wohnungen, die das vor


handene Angebot, bestehend aus 104 kleinen 13-ZimmerWohnungen zwischen 40 und 70 m2 Gre, sinnvoll ergnzen.
Die Wohnungen im Neubau besitzen 24 Zimmer und sind
zwischen 90 und 140 m2 gro.
Vor allem die groen Wohnungen sind fr Familien attraktiv.
Die Wohnflche konnte, gem dem ursprnglichen Ziel, fast
verdoppelt werden.

1
2/3
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Konzept
Grundrisse 2. und 3. OG des Maisonnette-Typs
Querschnitt durch die Maisonnette-Wohnung

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2013

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Das Bild des Baumhauses wird fr das Projekt an der Bebelallee auf mehreren Ebenen zur Referenz: Nicht nur die
Materialitt, sondern auch die ausladende Form des Dachaufbaus erinnert an ein Baummotiv. Zwar ist der ruppige Charme
der ersten Skizzen (Abb. 2) in der fertigen Realisierung einer
gediegenen Detaillierung gewichen, doch wirkt der Typus der
schwebenden Maisonettewohnung tatschlich ein wenig wie
eine Kreuzung aus Baum- und Reihenhaus.
8

Da es von Beginn an erklrtes Ziel des Projektes war, die Mieter whrend der gesamten Bauzeit in ihren Wohnungen zu belassen, wurde eine schnelle und leichte Bauweise mit hohem
Vorfertigungsgrad gewhlt (Holzbau). So konnte das Eigengewicht der Aufstockung mglichst gering gehalten werden.
Punktuell waren dennoch zustzliche Grndungsmanahmen
erforderlich.
Nach dem Abriss der Satteldcher wurden die Zeilen fr die
gesamte Bauzeit komplett eingehaust (Abb. 3). Die Holzkonstruktion wurde montiert (Abb. 4) und anschlieend von auen
mit Schindeln verkleidet. Das einschalige Klinker-Mauerwerk
des Bestandes erhielt eine vorgesetzte Dmmschicht und eine
neue Klinker-Verkleidung.
Die Gestaltung der Auenanlagen behlt das ursprngliche
Konzept eines die Huser umflieenden Grnraumes bei,
schafft darin jedoch unterschiedliche Funktionsinseln (Spielflchen, Fahrradstell- und Parkpltze). Fr die Erdgeschosswohnungen werden durch Heckenpflanzungen private Bereiche
erzeugt.

5/ 6
7/ 8

Bestandsgebude und Konzept fr Umbau


Einhausung des Bestands und Montagearbeiten

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Benze, Gill, Hebert

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2013

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Fazit
Das Projekt Treehouse erzielt bei vollstndigem Erhalt
der ursprnglich vorhandenen Bausubstanz eine deutliche
bauliche Verdichtung auf dem Grundstck (ca. 190%). Eine
Diversifizierung des vorhandenen Angebots erfolgt vor allem in
Bezug auf die Wohnungsgren und damit auf die Altersstruk
tur der Bewohner und Bewohnerinnen. Zustzlich wurde eine
energetische Ertchtigung des gesamten Bestandes erzielt.
Die verantwortlichen Planerinnen und Planer betrachten die
Bestands-berbauung als stdtebaulich, energetisch und ko
logisch sinnvolle Nachverdichtungs-Typologie, die sie heute
auch an anderer Stelle in hnlicher Weise realisieren. Eine
pauschale bertragung der Erfahrungen ist dabei jedoch nicht
mglich: Die Nachverdichtung und energetische Sanierung im
Bestand, sagen sie, ist immer eine Kombination aus individu
ellen Voraussetzungen und mageschneiderten Strategien.

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11
12

Auenraum und Perspektiven


Wohnkche mit Ausblick in die Baumkronen
Fassadendetail

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2013

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09 Tour Bois-le-PrTre

PAris

Zielsetzung
Die Transformation des Tour Bois-le-Prtre gilt als prototypische Alternative zu einer von der franzsischen
Regierung bislang favorisierten Tabula-Rasa-Methode
der Stadtentwicklung, bei der groflchige Abrisse
vorgenommen und anschlieend Ersatzneubauten errichtet werden. Dieses Projekt demonstriert, dass sich mit der
Weiterverwendung der bestehenden Bausubstanz nicht
nur architektonisch anspruchsvolle Objekte realisieren,
sondern auch Zeit und Kosten einsparen lassen. Nicht zuletzt wurde hier auch auf den Erhalt des sozialen Gefges
der dort Wohnenden Wert gelegt bei gleichzeitiger, entscheidender Verbesserung ihrer Wohnqualitt.

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2013

Art des Projektes


Umbau und Erweiterung eines bestehen
den Wohnhochhauses aus den 1960er
Jahren
Projektdaten
Zeitraum
erbaut

1959-61
2008-2011

umgebaut

Konzeption

Frdric Druot, Lacaton & Vassal


Architekten, Paris
Bauherr

Paris Habitat
(Wohnungsbaugesellschaft)
Kosten

11,25 Mio net / HT


umfang

Erweiterung und Ergnzung von


8.900 m2 Bestandsflche um
3.560 m2 zustzliche Flche

70

Kontext
Das von Raymond Lopez 1959-61 erbaute Hochhaus ist Teil
eines ebenfalls von ihm entworfenen Ensembles groer Ge
bude entlang des nrdlichen Abschnittes der Priphrique,
der Pariser Stadtautobahn.
Das Gebiet um die Porte Pouchet, in dem der Tour Bois-lePrtre liegt, zhlt seit 2002 zu den Grands Projets de renou
vellement urbain, den groen Stadterneuerungsprojekten
(GPRU) von Paris. Ihre Zielsetzung ist es, die Lebensqualitt in
den betroffenen Gebieten zu verbessern, soziale Infrastruktur
auszubauen und Schnittstellen zwischen benachbarten Stadt
teilen zu schaffen.
Im Gebiet um die Porte Pouchet leben im Vergleich zum bri
gen 17. Arrondissement, aber auch zu Paris insgesamt, ber
durchschnittlich viele Migranten und Migrantinnen, Arbeitslose,
Geringverdienende. Auch die Schulbildung ist unterdurch
schnittlich. Die meisten der im Gebiet vorhandenen Wohnun
gen sind Sozialwohnungen.

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2013

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1954

Die Stadt Paris beauftragt den Architekten Raymond Lopez, bebaubare


Flchen am Stadtrand von Paris aufzuspren. Im Areal um die Porte
Pouchet kann er im Rahmen seiner eigenen stdtebaulichen Planung
mehrere Wohngebude realisieren. Im Gebiet befinden sich auerdem
Sportsttten, eine Feuerwehrstation, ein Garagenhof der stdtischen
Verkehrsbetriebe und ein Kindergarten.

1962

Fertigstellung des Turmes Bois-le-Prtre.

1966

Fertigstellung der Priphrique, der Pariser Stadtautobahn, die das Gebiet gegen die Gemeinde von
Clichy abgrenzt. Das Gebude ist dadurch hohen Lrmimmissionen ausgesetzt.

1990

Erste Sanierung (Fassadenisolierung).

2002

Aufnahme des Gebietes um die Porte Pouchet


in die Liste der GPRU-Areale.

2003

Stdtebauliche Rahmenplanung durch COBE Landschaftsarchitekten


und Trevelo & Viger Kohler Architectes.

2005

Auslobung und Entscheidung des beschrnkten Architektur-Wettbe


werbs zur Transformation des Tour Bois-le-Prtre.
Beauftragung von Frdrique Druot, Anne Lacaton und Jean-Philippe
Vassal mit der Umsetzung des erstplatzierten Entwurfs.

2006

Planungsphase.
Ausarbeitung des Pro
jekts in enger Zusam
menarbeit mit den Mie
tern und Mieterinnen.

2007

Entscheidendes Votum der Mieter und Mieterinnen: 90% stimmen dem Projekt zu einreichung des Bauantrages.

2008

Ausschreibung

2009

Vergabe des Auftrags. Beginn der Arbeiten im bewohnten Haus, weitere Abstimmung mit Mietern und Mieterinnen.

2011

Fertigstellung

organisation, strategie und Akteure


Im Rahmen des Stadtumbau-Programms sind in der unmittel
baren Umgebung des Tour Bois-le-Prtre zahlreiche baulichen
und stdtebaulichen Manahmen geplant. Vorgesehen sind
die Errichtung neuer stdtischer Pltze, der Neubau von hher
wertigen Wohnungen und der Rck- bzw. Umbau bestehender
Gebude aus den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts.
Ein weiteres im Gebiet befindliches Wohnhochhaus von Lopez,
der Tour Borel, und ein Teil des langen, ihm vorgelagerten
Gebuderiegels Barre Borel sollen abgerissen und durch Neu
bauten ersetzt werden.
Fr den Tour Bois-le-Prtre, dessen Zwilling, ein gleichartiger
Bau von Lopez, im Berliner Hansaviertel unter Denkmalschutz
steht, war von Beginn an eine Inwertsetzung der vorhandenen
Substanz geplant. Um eine qualitativ hochwertige Umsetzung
zu erreichen das Projekt sollte ein sichtbares Signal fr den
beginnenden Stadtumbau im Gebiet sein wurde im Jahr
2005 ein beschrnkter Architektur-Wettbewerb veranstaltet.
Gleichzeitig begann ein diskursiver Prozess der Bewohner- und
Bewohnerinnenpartizipation, beides zunchst unter der Leitung
des Architekturbros Hlne Jourda.

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Studie zur IBA 2020 Berlin


2013

9. Stock

Das Prinzip der baulichen Transformation ist, wie bei anderen


Projekten von Lacaton & Vassal, die Plus-Strategie: es gibt
einen Raum, der zustzlich addiert wird und damit den Woh
nungen einen ganz konkreten, weil benutzbaren Mehrwert
verleiht. Der Plus-Raum wird bei diesem Projekt als 3 m breite
Wintergarten- und Balkonzone aus Stahl-Fertigteilen vor den
beiden Lngsfassaden des Gebudes montiert. Zustzlich
entstehen Wohnerweiterungsflchen im Norden und Sden
sowie zwei zustzliche Aufzge.
Trotz der greren Gebudetiefe werden die Wohnungen da
bei heller als vorher, weil die vorhandene Fassade mit kleinen
Fenstern und geschlossenen Brstungselementen entfernt
und durch eine raumhohe Schiebe-Verglasung ersetzt wird.
So kann nicht nur mehr Licht in die Wohnungen gelangen,
sondern auch das Panorama von Paris in seiner vollen Pracht
erlebt werden.

Zwischen Wintergrten und Balkonen liegen Schiebeelemen


te, die mit leichten Polycarbonat-Stegplatten ausgefacht sind.
Die klimatische Pufferzone, die auf diese Weise entsteht,
verringert nicht nur den Primrenergiebedarf der Wohnungen,
sondern vermindert auch die Belastung durch den Lrm von
der nahen Stadtautobahn.
Ergnzt werden die Manahmen durch den Wegfall zahl
reicher leichter Trennwnde, den Einbau neuer Bder und
Kchen, zweier zustzlicher Aufzge und die grozgige ff
nung des Eingangsbereichs im Erdgeschoss.
Abb. 6 zeigt, wie die vorhandenen, sich zum Teil ber den
Split-Level erstreckenden Wohnungen neu konfiguriert wer
den (es sind heute sieben statt den bisher drei verschiedenen
Wohnungstypen) und wohin die Mieter und Mieterinnen, die
fast alle im Gebude verblieben, umgezogen sind.

1/2/3
4/5
6

Konzept Bestand, Transformation, Gewinn


Grundrisse Bestand, Gewinn
Diagramm

Urbane Lebenswelten
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2013

73

Anders als sein im Berliner Hansaviertel unter Denkmalschutz


stehendes Pendant ist der Tour Bois-le-Prtre heute von au
en kaum wieder zu erkennen: Lediglich der um ein halbes
Geschoss zu den Enden versetzte Mittelteil zeichnet sich heute
wie damals in der Fassade ab. Entstanden ist ein im besten
Sinn modernes, baukulturell qualittvolles Gebude, und das
nicht auf Kosten der Wirtschaftlichkeit: Der Umbau war (trotz
Flchengewinn) erheblich gnstiger, als es ein Abriss und an
schlieender Neubau gewesen wren.
Fr insgesamt 11,2 Mio Euro wurde die Substanz des Ge
budes von Grund auf instand gesetzt und die Wohnflche
von 8.900 auf 12.500 Quadratmeter erweitert. Die Mieter und
Mieterinnen, die je nach Wohnung einen Flchenzugewinn
zwischen 24 und 62 m2 fr sich verbuchen knnen, zahlen
die Miete fr diese zustzliche Flche nur dort, wo heizbare
Rume entstanden sind: Wintergrten und Balkone zhlen in
Frankreich nicht zur Wohnflche. Die Anteile der Kosten fr die
Modernisierung, die auf die Mieter und Mieterinnen umgelegt
wurden, werden grtenteils durch gesunkene Heiz- und Be
triebskosten wieder ausgeglichen.

7
8
9

Bestand vor der ersten Sanierung


umbauarbeiten: Montage der Balkone
heutiger Zustand

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2013

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10

11

Fazit
Als Teil eines greren Stadtumbaugebiets (GPRU) war der
Tour Bois-le-Prtre von Beginn an ein Aushngeschild der dort
geplanten Vernderungen. Zugleich sollte er als Beispiel fr
einen ressourcenschonenden und brgernahen Umgang mit
dem gebauten Raum der Stadt dienen. So rechtfertigte sich der
vergleichsweise hohe Aufwand in Planung und Durchfhrung
des Projektes, in dem OPAC Paris (spter Paris Habitat) als
Auftraggeberin fungierte. Mehrere Architekturbros nahmen in
der Projektsteuerung, im Wettbewerb und in der Ausfhrungs
planung teil. Die Bewohner und Bewohnerinnen des Turmes
wurden als Nutzende und Betroffene eingebunden.
12

13

So konnten Mieter und Mieterinnen nicht nur auf die Aus


fhrung der Arbeiten in ihren Wohnungen Einfluss nehmen,
sondern sich auch innerhalb des Gebudes fr eine andere
Wohnung entscheiden. Ihre Zustimmung zum Projekt war fr
dessen reibungslosen Ablauf essenziell, da smtliche Arbeiten
im bewohnten Zustand durchgefhrt wurden.
Insgesamt ist hier eine win-win-Situation entstanden, bei der
nicht nur Stadt und Eigentmerin, sondern auch Mieter und Mit
erinnen profitieren: Die Plus-Strategie hat sich in der Praxis
bewhrt. Das Architekturbro wurde fr das Projekt mittlerweile
mit dem Equerre dargent ausgezeichnet, einem der hchsten
Architekturpreise Frankreichs und drfte damit seinem erklr
ten Ziel, das Tabula-rasa-Prinzip im Stdtebau abzuschaffen,
ein Stck nher gekommen sein.

10
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13
11

Wohnbereich mit Fenstertren


Plus-Zone Wintergarten / Balkon
lobby

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2013

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10 Sargfabrik und MiSS Sargfabrik

Wien

Zielsetzung
Die Sargfabrik ist das grte selbstverwaltete Wohn- und
Kulturprojekt in sterreich. Auf dem Gelnde einer alten
Sargfabrik leben ca. 155 unterschiedliche Bewohnerinnen
und Bewohner in 75 Wohneinheiten und betreiben eine
Vielzahl von Gemeinschafts- und Kultureinrichtungen, die
teilweise vom gesamten Quartier (Grtzel) genutzt werden
und zum Teil eine sterreichweite Ausstrahlung haben.
Das Projekt soll Vernderungen der Lebensumstnde
einzelner Bewohner und Bewohnerinnen gerecht werden
knnen und damit deren langfristigen Verbleib im Gebude ermglichen.

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Studie zur IBA 2020 Berlin


2013

art des Projektes


Genossenschaftliches und gemein
schaftliches Wohnen

Projektdaten
Zeitraum

Planung seit 1987


Sargfabrik: 1994 - 1996
Miss Sargfabrik: 1998 - 2000
konzeption

Verein fr integrierte Lebensgestaltung


(VIL)
Sargfabrik: BKK-2 Architektur
Miss Sargfabrik: BKK-3 Architektur
in Zusammenarbeit mit Johnny Winter
auftraggeber

Genossenschaft bestehend aus


Mitgliedern der VIL
umfang

73 Wohneinheiten

zustzliche gemeinschaftliche

Nutzungen:

Kulturhaus, Caf-Restaurant, Seminar-

haus, Kindergarten, Praxisgemeinschaft,

Badehaus, Spielhof und Garten.

76

kontext
Der 14. Wiener Gemeindebezirk Penzig erstreckt sich von zen
trumsnahen Gebieten bis zur westlichen Stadtgrenze. Es ist ein
gefestigter Bezirk. Penzig ist weniger dicht bebaut als der Wie
ner Durchschnitt und hat einen geringeren Anteil an Brgern
und Brgerinnen mit Migrationshintergrund. Die Einwohnerzahl
ist stabil. Seit Ende des Zweiten Weltkriegs bildet die SP
die strkste Fraktion im Stadtteil. Es leben dort 2% mehr ber
60-Jhrige als im Wiener Durchschnitt. Der Bezirk verfgt ber
einige wichtige Sehenswrdigkeiten, Museen und Kultureinrich
tungen. Die Sargfabik liegt im urbanen Teil Penzigs, zwar durch
Gleisanlagen getrennt, doch nur ca. 1,5 km vom Schlosspark
Schnbrunn entfernt, nah am gehobenen Stadtteil Hietzing (13.
Bezirk).

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Studie zur IBA 2020 Berlin


2013

1987

Die Unzufriedenheit ber die kommerzielle Ausrichtung des Wohnungsmarktes und eine zunehmende
Reduzierung des Wohnungsangebot auf teure Wohnungen fr Alleinstehende, Paare oder Kleinfami
lien fhrt zur Grndung des Vereins fr Integrative Lebensgestaltung VIL.

1989

Eine Gruppe von


30 Personen kauft
eine leerstehende
Sargfabrik in Wien,
die ehemals grte
Sargfabrik der Mo-
narchie.

1994

Baubeginn

1996

Erffnung der neuen Sargfabrik, die mit zwei


Dritteln Wohnflchen und einem Drittel Ge
meinschaftseinrichtungen zum groen Teil fr
den gesamten Stadtteil geffnet ist.

1998

Kauf eines zustzlichen Grundstcks im


Nachbarblock in der Missindorfstrae.

2000

Erffnung der Miss-Sargfabrik. Zur Zeit leben dort ca. 60 Personen in 39 Wohneinheiten.
Miss Sargfabrik verfgt ber eine sozialpdagogische Wohngemeinschaft des Amtes fr
Jugend und Familie der Stadt Wien und interne Gemeinschaftseinrichtungen wie eine zu
stzliche Gstewohnung, Bibliothek, gemeinschaftliche Kche und Waschkche und Ru
me des Architekturbros BKK-3 (Architektengruppe, die Sargfabrik und Miss Sargfabrik ge
plant haben) . De Bewohner und Bewohnerinnen der Miss Sargfabrik knnen die externen
Gemeinschaftseinrichtungen der Sargfabrik mit nutzen und strken sie dadurch.

Der geplante Umbau des alten Fabrikgebudes scheitert zunchst an baurechtlichen


Grnden und Einwnden der Nachbarn.

Organisation, Strategie und akteure


Ziel des Vereins VIL und des Projekts Sargfabrik ist ein ge
meinschaftliches Wohnen unterschiedlichster Menschen, eine
Art Dorf in der Stadt. Trotz verdichteter Bauweise kennen
sich die Bewohner und Bewohnerinnen wie in einer drflichen
Struktur und nutzen gemeinsame Innen- und Auenbereiche
(Hof, Dachgarten). Das Projekt wurde gemeinschaftlich ge
plant, errichtet und betrieben. Es entstand eine Balance aus
gemeinschaftlichen Bereichen und individuellen Rckzugs
mglichkeiten: Man kann sich beteiligen, muss es aber nicht.
Behinderte und andere sozial benachteiligte Gruppen wurden
integriert. Zwar bilden weder die Alters-, noch die Sozialstruktur
der Menschen der Sargfabrik den gesellschaftlichen Durch
schnitt ab, dennoch sind die Bewohnerinnen und Bewohner
relativ verschieden hinsichtlich Alter und Herkunft (siehe S.193
Mitbestimmung und Design, Johnny Winter).
kologische Ziele werden durch einen optimierten Energiever
brauch, kostrom, Kompostierung, solare Warmwasseraufbe
reitung und vieles mehr erreicht.

Entschluss zur Planung


eines Neubaus auf dem
Gelnde. Lediglich der
alte Schornstein und
der Name erinnern
noch an die alte Fabrik.

Ursprnglich sollten Gewerbeflchen zu einem Drittel in das


Projekt integriert werden. Da Gewerbeflchen allerdings in der
Wohnbaufrderung nicht frderfhig sind, hat man sich andere,
ber das Projekt hinausweisende Ziele gesteckt: ein soziales
Zentrum fr den Stadtteil zu betreiben, bestehend aus KulturSeminar- und Badehaus, Kindergarten und Restaurant (externe
Gemeinschaftseinrichtungen).
Das Badehaus entstand ursprnglich aus dem Gedanken, die
einzelnen Bder in den Wohnungen zusammenzulegen, um
eine grere Gemeinschaftseinrichtung finanzieren zu kn
nen. Beispielhaft fr den gesamten Planungs- und Aushand
lungsprozess ist hier die Vorgehensweise: Es bildete sich eine
"Badehausgruppe", die ber ein Jahr Wissen zusammentrug
und auch verschiedene Bder besuchte, um gegenber der
Architektengruppe die Ansprche an das gemeinschaftliche Ba
dehaus definieren zu knnen.

Urbane Lebenswelten
Benze, Gill, Hebert

Studie zur IBA 2020 Berlin


2013

76

Die einzelnen Wohneinheiten bestehen aus addierbaren Ein


heiten, den Boxen, die sich jeweils als ein sehr hoher Raum
oder unterteilt in zwei lediglich 2,26 m hohe Rume nutzen
lassen. Durch den Bau eines 1:1 Prototypen, in dem bernach
tet werden konnte, wurden die Gruppenmitglieder von dieser
Raumkonzeption berzeugt, die gleichermaen grozgige
Rume erlaubt und eine extrem wirtschaftliche Raumausnut
zung zulsst. Fr den Bau der Miss Sargfabrik wurde dieses
Prinzip nach einigen Rckkopplungsrunden mit alten und neuen
Bewohnerinnen und Bewohnern verfeinert und Raumhhen
zwischen 2,26 und 3,12 realisiert. Gemeinschaftliche Rume
wurden an den schnsten Stellen im Gebude realisiert, um
zum Mittelpunkt der Anlage werden zu knnen. Der an unter
schiedliche Gewerke einzeln vergebene Bauablauf machte es
mglich, auch whrend der Realisierung an einzelnen Punkten
gestalterisch einzugreifen.
Das Verhltnis zwischen den (zuknftigen) Bewohnerinnen und
Bewohnern und der Architektengruppe wird von den Mitgliedern
heute als spannungsvoll, aber fruchtbar beschrieben.
Wichtig scheint, dass der Gruppe der zuknftigen Bewohner

und Bewohnerinnen eine Gruppe von Architekten und Architek


tinnen gegenber stand.
Letztere sah ihre Aufgabe nicht in der direkten Erfllung geu
erter baulicher Wnsche, sondern versuchte, diese ber eine
Reflektion und die konzeptionelle Einbeziehung der Inhalte, die
zu einem Wusch gefhrt haben, umzusetzen. Dieser Prozess
fhrte zwar durchaus zu Spannungen und erhhtem Diskus
sionsbedarf, letztlich aber wollten weder die Architekturschaf
fenden, noch die Nutzenden auf die Kompetenzen der jeweils
anderen Gruppe verzichten.
In einem Dokumentarfilm uern sich Bewohnerinnen und Be
wohner berwiegend positiv zu ihrem Wohngefhl in der Sarg
fabrik und verstehen Spannungen und Aushandlungsprozesse
als Teil des gemeinschaftlichen Lebens. Die Gre mit mehr
als 150 Personen wird von einigen als wichtig herausgestellt,
da auf diese Weise Konflikte nicht gleich die Gemeinschaft
zu zerbrechen drohen und ein gewisser Grad an Anonymitt
mglich ist. Insgesamt wird das gemeinschaftliche Leben als
Bereicherung und willkommener Kontrast zur Grostadt Wien
empfunden.

grundriss Erdgeschoss Sargfabrik

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Benze, Gill, Hebert

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2013

76

konomisches konzept
Das konomische Konzept funktioniert hnlich dem einer Ge
nossenschaft. Der Verein hat das Grundstck erworben und
die Gebude mit Hilfe der Wohnbaufrderung der Stadt Wien
erstellt. Die Vereinsmitglieder sind Mieter und Mieterinnen ihrer
Wohnungen und zahlen anteilig ebenfalls fr die gemeinschaft
lichen Einrichtungen sowie einen gewissen Sozialaugleich fr
Vereinsmitglieder mit geringeren finanziellen Spielrumen.
Beim Auszug fllt die Wohnung an den Verein zurck.
Durch die rechtliche Einstufung als Wohnheim wurden auch
Gemeinschaftseinrichtungen frderfhig. Gleichzeitig nderte
sich der Parkplatzschlssel von einem Parkplatz pro Wohnein
heit auf 1:10. Ein Tiefgaragenbau konnte entfallen und sparte
Kosten. Drei der elf realisierten Parkpltze dienen dem Carsha
ring, acht andere sind Fahrradabstellpltze.

2
3
4

Straenansicht
Hof
Goldweg

Urbane Lebenswelten
Benze, Gill, Hebert

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2013

76

fazit
Auch fr Berliner Mastbe handelt es sich hier um ein groes,
selbstverwaltetes Wohn- und Kulturprojekt, dessen sozialer und
auf den Stadtteil ausstrahlender Ansatz besticht. Obwohl Ein
nahmen aus den externen gemeinschaftlichen Nutzungen der
Finanzierung des Projektes dienen und betriebswirtschaftliche
Aspekte das Projekt bereichern, war in der Entstehungsphase
eine Wohnbaufrderung erforderlich. Die Sicherung vor Priva
tisierung und der berregionale Erfolg des Projektes rechtferti
gen diese Starthilfe. Durch die ffnung der Gemeinschaftsein
richtungen nach auen und dem sozialen Anspruch des Projek
tes, entsteht eine win-win-Situation: Die Stadt erhlt auf diese
Weise funktionierende soziale und kulturelle Einrichtungen.
Das Konzept Dorf in der Stadt schliet vor allem Menschen
ein, die sich am Ort verankern mchten. Die nicht unerhebliche
Planungszeit bis zur Fertigstellung machte das Projekt fr tem
porre Stadtbewohner und Stadtbewohnerinnen weitgehend
unzugnglich.

5
6
7
11

Teich im Sommer
Dachgarten
Gartenansicht

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Benze, Gill, Hebert

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2013

81

11 Trnrosen Tower

Malm

Zielsetzung
Die orientalische Kasbah als dichte gemischte Struktur,
die Wohnen und Gewerbe beherbergt, dient als Vorbild
zur Vernderung und Ergnzung des Stadtteils Rosengard in Malm. Der sozial schwierige und baulich rational
strukturierte Stadtteil wird aufgewertet. Die Diversitt der
Bevlkerung aus ber 100 Nationen soll sich in einer
vielfltigen baulichen Struktur widerspiegeln und zu seiner
Identitt betragen. Die Stadtstruktur wird durch Gebude
in anderen Mastben ergnzt. Spektakulrer Hhepunkt
ist der Trnrosen Tower.

Urbane Lebenswelten
Benze, Gill, Hebert

Studie zur IBA 2020 Berlin


2013

Art des Projektes


Siegreicher Wettbewerbsentwurf des
Trnrosen Tower als vertikales Dorf mit
umgebender kleinteiliger, an eine orien
talische Kasbah angelehnten Struktur
zur Belebung des Stadtteils Rosengard
in Malm
Projektdaten
Zeitraum

2011-2012
Wettbewerbsdurchfhrung und
-entscheidung
Architekten

Lundgaard & Tranberg Arkitekter,


Kopenhagen
Auslober

Stdtische Wohnungebaugesellschaft
MKB Fastighets AB ISEI

82

Kontext
Malm Rosengard ist ein typisches Beispiel moderner Stadt
entwicklung der 1960er Jahre in Schweden. Durch das soge
nannten Million Programm sollte es jeder Brgerin und jedem
Brger ermglicht werden, in einer Mietwohnung zu leben. Die
Wohnungen wurden in Plattenbauweise erstellt mit dem Ziel,
gleiche Lebensverhltnisse fr alle zu schaffen.

Urbane Lebenswelten
Benze, Gill, Hebert

1960er

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2013

Fertigstellung des
Neubaubauviertels
Rosengard im Rah
men des Million
Programm

2007

Erarbeitung eines Strategieplans fr die Entwicklung des Quartiers durch Gehl Architekten
APS im Auftrag der stdtischen Wohnungsgesellschaft MKB Fastighets

2011

Wettbewerb
Trnrosen
Tower

2012

82

Erffnung von Bennets Bazar" in Rosengard,


einem interkulturellen Projekt der stdtischen
Wohnungsbaugesellschaft MKB Fastighets.

Wettbewerbsentscheidung

2014

geplanter Baubeginn

2017

geplante Fertigstellung

organisation, strategie und Akteure


Der siegreiche Wettbewerbsentwurf von Lundgaard & Tran
berg Architekten sieht vor, das Gebiet durch eine Nutzungsmi
schung, angelehnt an die Struktur einer Kasbah, zu beleben.
Wie bei dem orientalischen Vorbild befinden sich Wohnen und
Gewerbe in rumlicher Nhe und bilden sich baulich durch ab
wechslungsreiche Mastbe ab. Straen und Passagen wech
seln mit engen Gassen. Das Rckgrat des Quartiers bildet die
Fugngerzone. Hier verdichten sich die meisten Aktivitten. Im
Gegensatz zum strengen Raster des Bestandes werden viele
Ebenen erzeugt und Bezge in unterschiedlichste Richtungen
aufgenommen. So werden spannende Raumerlebnisse und
Ausblicke geschaffen. Die vorhandene Struktur wird mit neuen
Typologien Reihenhusern und mehrgeschossigen Punkthu
sern verwoben, die sich durch Material- und Gestaltungsviel
falt auszeichnen.

Urbane Lebenswelten
Benze, Gill, Hebert

Studie zur IBA 2020 Berlin


2013

82

Der Trnrosen Tower soll das Zentrum des umgebauten


Stadtteils markieren. An der Kreuzung von wichtigster Strae
und Fugngerzone fungiert er als Landmark und Identi
fikationspunkt. Die Fugngerzone wird im Turm vertikal
fortgesetzt, indem sich der Weg nach oben faltet wie eine
gewundene Strae in einem Bergdorf. Treppen, kleine grne
Pltze und ffentliche Nutzungen liegen am Weg. Die Vision
der Planerinnen und Planer ist ein vertikales Dorf.
Lundgaard & Tranberg verstehen ihre Vorgehensweise als
stdtische Akupunktur. Sie erwarten, dass die angebotenen
Strukturen die Partizipation der Anwohner und Anwohne
rinnen anregt und zu einem Gefhl von Gemeinschaft und
Verantwortlichkeit fhrt. Den bereits von der Wohnungsbau
gesellschaft MKB Fastighets realisierten Bennets Bazar in
Rosengard interpretieren sie als Pilotprojekt. Hier ist in einem
kleineren Mastab und punktuell eine vielfltige Struktur mit
gemischten Nutzungen entstanden, die zu einem belebten Ort
gefhrt hat. Ziel ist es, dass sich die kulturelle Vielfalt von Ro
sengard auch in Nutzung und Baustruktur widerspiegelt und
damit der Stadtteil fr Menschen aus ganz Malm attraktiv
wird. Hauptzielgruppe fr die neu entstehenden Wohnungen
sind junge Frauen mit guter Ausbildung, die gerade aus Ro
sengard wegziehen, weil sie dort keine passende Wohnung
finden.

Lageplan Urban Spaces

Urbane Lebenswelten
Benze, Gill, Hebert

Studie zur IBA 2020 Berlin


2013

82

2/3 /4
5

Konzept Urban Strategy, Organic Grow, Human Scale


Modell

Urbane Lebenswelten
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2013

82

Fazit
Urbane Mischung soll in diesem Projekt durch Nutzungsvielfalt
und Durchbrechung vorhandener starrer Strukturen erzeugt
werden. Vorbild ist nicht die geometrisch geplante europ
ische Stadt, sondern informellere volkstmliche Strukturen
wie Kasbah, Bergdorf und Basar. Eine komplexer geordnete
(scheinbar ungeordnete) Struktur soll die als starr empfun
dene Ordnung der vorhandenen Bebauung ergnzen. Damit
bewegen die Architekten und Architektinnen sich argumentativ
nah an den Strukturalisten (z.B. Smithsons Untersuchung kon
glomerater Strukturen), einer Architekturbewegung, die sich
in den 1950er Jahren gegen den Rationalismus der Moderne
stellte und gebaute Strukturen aus der Analyse sozialer Zu
sammenhnge entwickelte. Wichtige Vorreiter fr partizipato
risches Entwerfen und Bauen sind aus dieser Bewegung her
vorgegangen. In diesem Sinn kann der Wettbewerbsentwurf
nur als Anfangspunkt fr eine prozesshafte Entwicklung unter
Beteiligung der lokalen Bevlkerung verstanden werden. Das
Pilotprojekt Bennets Bazar ist nicht ausreichend, um einen
Erfolg der vorgeschlagenen Strategie zu sichern.
Im Zusammenhang mit Stdtebau wieder von einer Vision zu
sprechen, ist ungewhnlich und mutig. Die Vision des vertika
len Dorfs ist allerdings nicht so einfach umzusetzen. Sie war
auch das Leitbild fr das heute sehr umstrittene Neue Kreuz
berger Zentrum am Kottbusser Tor.

6
7

schnitt durch Turm


Perspektive vom Markt

Urbane Lebenswelten
Benze, Gill, Hebert

Studie zur IBA 2020 Berlin


2013

87

12 STADT:WERK:LEHEN

SALZBURG

Zielsetzung
Durch die berbauung des Gelndes der ehemaligen
Salzburger Stadtwerke soll im traditionellen Arbeiterbezirk
Lehen ein ber die Grenzen des Areals hinaus strahlendes
urbanes Viertel entstehen und einen zeitgenssischen
Gegenpol zum historischen Stadtzentrum in Salzburg setzen. Die stdtebauliche Planung umschliet die Nutzungen Wohnen, Bildung und Kultur. Sie stellt damit bislang
unmgliche Synergien zwischen ffentlichem Raum und
staatlich gefrdertem Sozialem Wohnungsbau her. Die
Bebauung des Gebietes ist ein Modellprojekt, bei dem
eine kooperative Quartiersentwicklung durch ein Steuerungsmanagement whrend Planung, Bauphase und in
den ersten Jahren des Bezugs umgesetzt werden soll.
Insgesamt werden bei hoher Bebauungsdichte vielfltige
und qualitativ hochwertige Freirume, 289 Wohnungen im
Sozialen Wohnungsbau, ein Studentenwohnheim, Gewerbe und ein universitrer Competence Park sowie eine
Vielzahl kultureller und sozialer Einrichtungen errichtet.

Urbane Lebenswelten
Benze, Gill, Hebert

Studie zur IBA 2020 Berlin


2013

Art des Projektes


Nachnutzung des ehemaligen Areals
der Salzburger Stadtwerke
Projektdaten
Zeitraum

Wohnbau: 20092011
Gewerbeteil: 20102014
Konzeption

transparadiso, Wien
Bernd Vlay, Wien
Auftraggeber

GSWB Gemeinntzige Salzburger


Wohnbaugesellschaften,
H Heimat sterreich Gemeinntzig
Wohnungs- und Siedlungsgesellschaft
Umfang

Grundflche: ca. 4,25 ha


Dichte: GFZ = 1,6
289 Wohnungen
(GSWB=203 WE, H=86 WE)

88

Kontext
Lehen ist ein dicht besiedelter, zentrumsnaher Stadtteil im
Norden Salzburgs und ber mehrere Straenbahnlinien gut mit
der Stadt vernetzt. Mit 15.000 Menschen leben in Lehen mehr
Einwohnerinnen und Einwohner als in den anderen Stadtteilen
Salzburgs. Der Stadtteil ist berwiegend in der Wiederauf
bauphase von 1950 1970 entstanden, vorwiegend durch
sozialen Wohnungsbau geprgt und verfgt ber einen hohen
Anteil an Migranten und Migrantinnen. Er wird von zwei Haupt
verkehrsstraen durchzogen. Unbersehbar sind einige Bei
spiele spekulativer Bauvorhaben aus den 60er 70er-Jahren.
Die weitere Verdichtung des Stadtteils wurde zunchst durch
Proteste von Brgerinnen und Brgern Lehens verhindert und
die Stadt zur Schaffung von Parks und zur Verkehrsberuhi
gung gezwungen. Bis heute haftet dem Quartier ein Image
als vom Verkehr eingeschnrter und sozial benachteiligter
Problemstadtteil an. Ergebnisse aus einer Milieustudie ber
die Lebensqualitt von 1996 zeigen jedoch, dass 43 Prozent
der befragten Bewohner und Bewohnerinnen ein ausgeprgtes
Quartiersbewusstsein haben.
Auf dem Areal der Stadtwerke, das zentral in Lehen liegt, wur
de seit 1857 auf unterschiedliche Weise Gas produziert. Nach
der Umstellung auf Erdgas im Jahr 1980 wurden die Anlagen
stillgelegt und sukzessive abgerissen. Als Vorbereitung fr die
Baumanahmen wurde das Gelnde Anfang 2000 dekonta
miniert. Unmittelbar angrenzend an das Areal befinden sich
die Paracelsus Medizinische Privatuniversitt, die auch in die
Entwicklung des Competence Park einbezogen ist, sowie das
Salzburger Literaturhaus H.C. Artmann.
Die Bebauung des Areals erfolgt in zwei Bauabschnitten.
Zunchst entsteht das Wohngebiet, danach Gewerbe und
Competence Park.

Urbane Lebenswelten
Benze, Gill, Hebert

Studie zur IBA 2020 Berlin


2013

89

1857

Errichtung des ersten Gaswerks auf dem Gelnde.

1959

Umstellung der Gasproduktion von Kohle als Rohstoff auf Flssiggas.

1980

Beginn des Abbaus der bestehenden Gaspro


duktionsanlagen auf dem Stadtwerke-Areal
wegen der Umstellung auf Erdgas.

2000

Planungsstart fr die Nachnutzung des Stadtwerke-Areals


- ein von Planungsexperten und-expertinnen betreuter Arbeitskreis entsteht
- verunreinigtes, kontaminiertes Erdreich wird abgetragen und entsorgt.

2004

Masterplan/Masterszenario
von Architekt Max Rieder und slowfuture.com als
Vorgabe fr den stdtebaulichen Wettbewerb.

2006

Stdtebaulicher Wettbewerb Gesamtareal/


Architekturwettbewerb
1. Preis transparadiso: Barbara Holub, Paul
Rajakovics, Bernd Vlay.

2007

Otto Wagner Stdtebaupreis

2008

Startphase Quartiersmanagement: Konzept


detaillierung, Entwicklung Trgerstruktur,
ffentlichkeitsarbeit, Imagebildung, Erffnung
Info Point, Sozialraumanalyse, Website, Pro
jektvorstellung, Netzwerkarbeit, Planung und
Umsetzung erster Beteiligungsprojekte, sozio
kulturelleAktivitten.

2009

2011
2012

Besiedlungsphase Quartiersmanagement:
Moderation Wohnungsvergabe, Anschub
Quartierstreff, Partizipation, Strukturenauf
bau, bergabe/Rckzug, Evaluierung.

Realisierung der
Wohnbebauung auf
dem Gelnde der
Stadtwerke Lehen

Bauphase Quartiersmanagement:

Betrieb Info-Point, Vernetzung/Koo


peration, Information, soziokulturelle

Aktvitten, Vergabe der Sockelzone,

Sozialraumanalysen, Qualtittsiche
rung, Wohnungsvergabe, Durchfh
rung von Beteiligungsprojekten, Zwi
schenberichte.

Organisation, Strategie und Akteure


Die Planung und Errichtung sowie der Beginn der Besiedlung
des Quartiers wurde fr ca. drei Jahre von einem kooperativen
Quartiersmanagement begleitet, um selbsttragende soziale
Strukturen zu erarbeiten, zu festigen und das neue Quartier
im Stadtteil Lehen zu verankern. Das Quartiersmanagement
Stadtwerk Lehen untersttzte damit die Umsetzung der Qua
littsvereinbarungen und kooperierte mit den Projektpartnern
und -partnerinnen sowie anderen sozialen und wirtschaftlichen
Institutionen im Stadtteil. Konkret geschah dies durch die Ein
richtung eines Info Points als Drehscheibe und Vor-Ort-Bro
einer Website als kommunikativer Plattform. Die Entwicklung
der urbanen Sockelzonen wurde ebenfalls untersttzt, indem
Initiativen und Projektideen, die der Steigerung der lokal-wirt
schaftlichen Wettbewerbsfhigkeit und der Strkung des Stand
ortes dienen, untersttzt und gefrdert wurden.
Das kooperative Quartiersmanagement fhrte und fhrt sozi
okulturelle Aktivitten durch. Zu speziellen Themen wie Frei
raumgestaltung, Modellwohnformen oder sozialvertrglicher
Bewohnermix fanden Beteiligungsverfahren statt. Die Wohn
raumvergabe wird moderiert und ein Belegungskonzept mit
dem Ziel der sozialen Mischung erarbeitet.

Urbane Lebenswelten
Benze, Gill, Hebert

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2013

Stdtebaukonzept
Das Areal ist im Norden durch die vielbefahren Ausfallstrae
Ignaz-Harrer-Str. und im Sden durch das Gelnde der Pa
racelsus Medizinische Privatuniversitt begrenzt. Im Westen
schliet es an ein Wohngebiet in offener Zeilenbebauung an
und im Osten an ein ebenfalls offen strukturiertes Wohnge
biet. Eine straenbegleitende Bebauung entlang der IgnazHarrer-Strae gehrt zum Bestand.
Die Bebauung auf dem Areal ist streifenfrmig organisiert
und nimmt auf einem zweigeschossigen Sockelgebude
versetzt Punkthuser auf. Sie orientiert sich damit formal an
der umliegenden Zeilenbebauung und variiert sie, um einen
urbanen, vielfltigen Stadtteil zu schaffen. Leitthemen sind
hierbei die Schaffung kleinvolumiger, feingliedriger Einzelob
jekte und eines feinkrnigen Nutzungsmixes, die Stadt der
kurzen Wege, ein Nebeneinander von ffentlichen Freiru
men, vielfltige Durchwegungen, urbane Nutzungen und eine
groe Bandbreite an Wohn- und Freiraumqualitten. Das
Gelnde ist autofrei. Die stdtebauliche Verknpfung mit dem
Stadtteil Lehen erfolgt ber den Nord-Sd-Korridor und den
Ost-West-Boulevard.
Die Idee der vielfltigen urbanen Mischung konstrastiert mit
den Vorschriften zum gefrderten sozialen Wohnungsbau in
sterreich, so dass unzhlige Verhandlungen gefhrt wur
den, um Lsungen zu finden, in denen die Regeln eingehal
ten werden und dennoch eine gemischte Nutzung umgesetzt
werden kann.

90

Sie wird mit unterschiedlichen Manahmen erzielt:


- eine heterogene Nutzungsprogrammierung des gesamten
Areals mit Wohnen, Nahversorgung und Dienstleistung wie Le
bensmittelmarkt, Restaurant & Cafe, Kindergarten, Salzburger
Designforum, Gewerbeflchen, Volkshochschule, Ordinations
haus
- Einbeziehung des direkt angrenzenden Competence Park
in die Stdtebauliche Planung. Der Competence Park ist ein
kombinierter Arbeits-u. Lebensraum fr die Bereiche Unterneh
mertum, Bildung, Wissenschaft, Forschung & Entwicklung in
Kooperation mit der Paracelsus Medizinischen Privatuniversi
tt einschlielich Studentenwohnheim, Hotel und Supermarkt.
- Schaffung einer urbanen Sockelzone im Erdgeschossbe
reich der Wohnbebauung. Sie ist fr innovative Projektideen,
z.B. gemeinschaftliche kulturelle und gewerbliche Nutzungen
vorbehalten, die der Steigerung der lokal-wirtschaftlichen Wett
bewerbsfhigkeit und der Strkung des Standortes dienen. Da
keine Ladenlokale durch den sozialen Wohnungsbau gefrdert
werden knnen, wurde zum Ausgleich die Bebauungsdichte
auf dem Areal erhht. Zustzlich werden die Rume als ver
edelter Rohbau zum Selbstausbau angeboten, um die Mieten
gering zu halten (z.B. fr NGOs).
Auf dem Gelnde planen und bauen acht Architektur- und zwei
Landschaftsplanungsbros. Es gab einen stdtebaulichen
Wettbewerb fr das Gesamtareal und zustzliche Einzelwett
bewerbe fr die Wohnbauten, den Kindergarten, das Studie
rendenwohnheim und fr Gewerbeflchen innerhalb eines
andere Bauteils, das Hotel und Handel, den Kernbereich des
Competence Parks etc.

1
2

Diagramm zur Urbanen Strategie


Wettbewerbsplan

Urbane Lebenswelten
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2013

91

Soziale Mischung
Als Modellwohnbau des Landes Salzburg wird eine soziale
Mischung der Bewohnerschaft angestrebt. Zielgruppen sind
jungen Familien, Singles, Kreative, Menschen aus anderen
Kulturen und (Un-)Ruhestndler. Wohnungsgrundrisse werden
gem den Wohnbaufrderrichtlinien von 48 94 m2 angebo
ten und in den Atriumhusern von 70 120 m2, um auch den
Ansprchen von groen Familien gerecht zu werden.
Eingeschlossen ist das Modellprojekt Wohngruppe 50+.
Es bietet elf unterschiedliche Wohnungstypen zwischen
55 und 70 m2, einen Gemeinschafts- bzw. Mehrzweckraum
(Club und Terrasse) fr Personen der mittleren Generation,
die an einer gemeinschaftlichen Wohnform in der nachfamili
ren bzw. nachberuflichen Lebensphase interessiert sind. Ein
Schwerpunktprojekt ist das Mutter-Kind-Wohnen mit zehn
kostengnstigen 3-Zimmer-Wohnungen und einer TageselternWohnung (Wohnungsgre: ca. 56 m2). Ergnzt wird dieses
Angebot durch ein gemeinsames Spiel- bzw. Gruppenzimmer
(47 m2) und ein groes Spieldeck (Gemeinschaftsterrasse).

kologische Ziele
Das Projekt ist Teil des EU-Programms Concerto II - Green
Solar Cities. Dieses beinhaltet:

- Niedrigenergiehausstandard fr Gebude
- Grosolaranlage mit Pufferspeicher fr Warmwasser
(2.000 m2 Solarkollektoren, 200.000 l Pufferspeicher)
- Effiziente Energieverteilung mit Mikronetz
- Photovoltaikanlage zur Stromerzeugung (ca. 500 m2)
konomisches Konzept
Das Projekt wird von der Gemeinntzigen Salzburger Wohn
baugesellschaft (GSWB) und der sterreichischen Heimat
(H) als gefrderter sozialer Wohnungsbau erstellt und vom
EU-Programm Concerto II - Green Solar Cities gefrdert.

3/4/5
6

ffentlicher Raum
Erschlieung als gestaltendes Mittel

Urbane Lebenswelten
Benze, Gill, Hebert

Studie zur IBA 2020 Berlin


2013

92

Fazit
In der Planung und Realisierung des Stadtwerkquartiers in
Lehen werden mehrere Vorgehensweisen und Instrumente
entwickelt und angewandt, um einen urbanen und gemischten
Stadtteil zu schaffen. Interessant ist, das hierbei kein Rckgriff
auf traditionelle stdtebauliche Figuren wie den Blockrand als
historisches Beispiel der traditionellen Europischen Stadt
erfolgte, sondern urbanes Potenzial innerhalb einer streifenfr
migen Bebauung gesehen wird. Damit verbindet sich das neue
Quartier auf angenehme und selbstverstndliche Weise mit
dem durch die offene Bebauungsstruktur der Nachkriegszeit
geprgten Stadtteil Lehen. Stadtrumliche Qualitten werden
durch Varianz in der streifenfrmigen Bebauung erzielt, die
sowohl enge Gassen, wie auch weite Rasenflchen zulsst.
Bedingt durch das abfallende Gelnde werden teilweise ber
dachte Freibereiche geschaffen.
Neben der baulichen Form des Quartiers ist ein innovativer
Weg zur Organisation und Moderation des Planungs- und
Bauablaufs begangen worden, hierbei wurden neue Parameter
fr den sozialen Wohnungsbau in sterreich getestet.

7/8
9

Eingangsbereiche Kinder spielen in den Gassen


Gemeinschaftsraum

Urbane Lebenswelten
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2013

93

13 mehr als wohnen


Von der Brache zum stadtquartier

zrich

zielsetzung
Das Projekt ist ein Pilotprojekt. Auf einer Industrie- und
Gewerbebrache soll ein nachhaltiges, durchmischtes und
bezahlbares Wohngebiet im Norden Zrichs entstehen.
Sozial wird eine vielfltig gemischte Bevlkerung angestrebt, konomisch sollen niedrige Mieten durch genossenschaftlichen, nicht gewinnorientierten Wohnungsbau
erzielt werden. kologisch dienen die Vorgaben zur
2000-Watt-Gesellschaft als Leitbild.

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Benze, Gill, Hebert

Studie zur IBA 2020 Berlin


2013

art des Projektes


Genossenschaftlicher Wohnungsbau
Projektdaten
zeitraum

2007 - 2015
Bauzeit geplant: 2012 - 2015
Konzeption

Baugenossenschaft mehr als wohnen


und die Architekten:
futurafrosch GmbH, Zrich
DUPLEX Architekten AG, Zrich
Miroslav Sik Architekturbro, Zrich
Mller Sigrist Architekten AG, Zrich
pool Architekten, Zrich
auftraggeber

Baugenossenschaft mehr als wohnen

umfang

Areal: 40.00 m2,


450 Wohneinheiten, ein Stadtquartier
mit Wohn- und Arbeitsraum fr 1000
Menschen

94

Kontext
Die Nachfrage nach Wohnraum in der wachsenden Stadt Z
rich ist gro und ein Angebot am freien Immobilienmarkt fast
nicht vorhanden. Innerstdtisches Wohnen ist zunehmend
gefragt. Das Leutschenbach-Areal in Zrich Nord ist das letzte
groe Entwicklungsgebiet der Stadt. Das baulich und funktio
nal heterogen strukturierte Quartier befindet sich in den letzten
Jahren im Wandel vom Industrie- und Gewerbegebiet zum
Dienstleistungs- und Wohnstandort. Es ist vom Bahnhof Oer
likon direkt erschlossen und in Flughafen- und Autobahnnhe.
Der Opfikerpark wurde bereits 2006 zur Naherholung und als
Freizeitflche fertig gestellt. Entwicklungsziele sind:
- Leutschenbach soll ein attraktiver, durchmischter und
belebter Stadtteil werden.
- Freirume und Architektur von hoher Qualitt sollen ein
positives Image schaffen.
- Das Entwicklungs-Leitbild soll im kooperativen Verfahren mit
finanzieller Beteiligung der Grundeigentmer und -eigent
merinnen an den gebietsaufwertenden Manahmen realisiert
werden (siehe: Entwicklungskonzept, 2000).
Insgesamt ist Leutschenbach als Gebiet fr Dienstleistungsfl
chen mit ergnzendem Wohnen festgelegt worden.
Im Endausbau des gesamten Stadtteils werden 20.000 Arbeits
pltze und Wohnungen fr 3000 4000 Menschen realisiert.
Das konkrete Projektgebiet, das Steiner-/Hunziker-Areal, ist
ein vormaliges Industrie- und Gewerbegebiet.

Urbane Lebenswelten
Benze, Gill, Hebert

1990er

95

Studie zur IBA 2020 Berlin


2013

Beginn des Kooperativen Planungsprozesses,

Testplanung Leutschenbach-Mitte.

2002

Durchfhrung einer gemeinsamen Entwicklungsplanung fr das Steiner


Hunziker-Areal durch die Stadt Zrich und die Karl Steiner AG. Erstel
lung eines stdtebaulichen Leitbildes.

2007

Zum Jubilum 100 Jahre Wohnbaugenossenschaften der Stadt Zrich

2007 wurde der Ideenwettbewerb Wie werden wir morgen wohnen?

ausgelobt. Daraus ergab sich eine Anfrage bei der Stadt Zrich zur

Bebauung des Steiner-/Hunziker-Areals und der Zusammenschluss von

damals 35 Wohnbaugenossenschaften zur Baugenossenschaft mehr

als wohnen.

2008

Projektwettbewerb fr die Bebauung des Steiner-Hunziker-Areals mit mehreren ersten Preisen.


Stdtebau: futurafrosch/Duplex-Architekten. Haustypologie: Mller, Sigrist Architekten,
Miroslav Sik Architekten und poolarchitekten, alle aus Zrich.

2009

Vorstellung des
Bauprojektes in den
Medien.

2010

Vorprojekte, Baubewilligungsverfahren, Bauprojekte

2011

bewilligtes Projekt,

bereinigte Bauprojekte

2012

Ausfhrungsplanung, Ausschreibung und Vergabe

2014

Bezug in Etappen (bis 2015)

Erarbeitung eines Baurechtsvertrages mit der Stadt Zrich und Diskussion

in den politischen Gremien. berarbeitung des stdtebaulichen Konzepts,

Definition der Teilprojekte, des Zeitplans und der Vertrge mit den Archi
tekturteams und den Spezialisten und Spezialistinnen. Sicherstellung der
Finanzierung, der Budgets und der Projektentwicklungsorganisation.

Baubeginn

organisation, strategie und akteure


Das Projekt entsteht durch einen Zusammenschluss von 30
Wohnungsbaugenossenschaften und wird inzwischen von fast
50 Genossenschaften untersttzt.
Im Vorfeld des Wettbewerbsverfahrens zur Bebauung des Stei
ner-/Hunziker-Areals wurde die Genossenschaftsbasis, die Mit
glieder der Genossenschaft, eingeladen, sich aktiv am Entwick
lungsprozess zu beteiligen. Sie bildeten themenspezifische Ar
beitsgruppen zu Nutzung, kologie, konomie und Technologie
des zu planenden Gebietes. ber so genannte Echorume
erhalten zuknftige Mieter und Mieterinnen Mitspracherecht am
Planungsprozess. Im Echoraum bekommen sie fachlichen In
put im Plenum, danach diskutieren die Beteiligten in einzelnen
Workshops. Abschlieend wird die Gruppendiskussion zusam
mengefasst. Die Veranstaltungen werden moderiert. So werden
alle wesentlichen Entwicklungsschritte wie z.B. auch der Ar
chitekturwettbewerb zur Diskussion gestellt.
Der Architekturwettbewerb 2008/2009 prmierte mehrere
Bros: die ARGE futurafrosch/DUPLEX Architekten fr den
stdtebaulichen Masterplan und drei weitere zur Weiterbear
beitung des Wohnungsbaus im prmierten Masterplan. An den
Wettbewerb schloss sich ein Dialogverfahren aller beteiligten
Architekturbros mit Fachplanenden, Vertretern und Vertrete
rinnen der Stadt und der Genossenschaft zur berarbeitung
des Entwurfes an.
Alle Projektschritte werden in Reports ausfhrlich dokumentiert,
um Entscheidungs- und Umsetzungsprozesse nachvollziehbar
zu machen.

Urbane Lebenswelten
Benze, Gill, Hebert

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Studie zur IBA 2020 Berlin


2013

L
N

K
M

F
E

J
D

A
B
I

stdtebaukonzept
Die Thesen aus dem Ideenwettbewerb 2007 Wie wohnen wir
morgen? dienen als programmatische Grundlage fr das inno
vative Pilotprojekt:
- Schaffen von Stadt nicht Agglomeration
- Schaffen von gemeinsam nutzbaren halbffentlichen Flchen
- Individuelle Gestaltung des Wohnraums
- Mitbestimmung bei der Ausgestaltung des privaten
Wohnraums, Mitbauen
- Wiedereroberung des ffentlichen Raums: im Quartier
haben Fugnger und Fugngerinnen Prioritt
- Das eigene Quartier: Sehnsucht nach kultureller Identitt,
Heimat
- Energetische Optimierung: sparsamer Umgang mit
Ressourcen
- Nutzungsflexibilitt: Entkopplung des Bauens von
Nutzungsvorstellungen
- Nutzungsmischung: keine Trennung von Arbeit,
Wohnen, Freizeit
- Das Schaffen von Rahmenbedingungen fr die
Selbstorganisation
- Rume ohne definierte Nutzung erhalten:
Zwischennutzungen zulassen
- Wohnen am Existenzminimum
(mehr als wohnen Report 1, S. 9)

25

50

75

100

Die Preistrger des Masterplans entwickeln eine an Blockrand


bebauung erinnernde, stadtrumliche Typologie mit dreizehn
groen Bauvolumen (35 30 m tief, 4 8 Geschosse hoch),
in deren Zentrum ein stdtischer Platz liegt. Da das Areal na
hezu unbewohnt ist, fehlen bis auf das Schulhaus Leutschen
bach Einrichtungen fr den tglichen Bedarf. Sie sollen in die
neue Wohnbebauung integriert werden. Gleichzeitig soll das
Gebiet Verbindung, Andockstelle und sozialer Impulsgeber fr
benachbarte problematische Siedlungsgebiete werden. Um
dem Typus der grauen Vorstadt mit gleichfrmiger Siedlungs
bebauung entgegen zu wirken, generieren wir stdtische
Dichte, einen Ort, der zum Identittstrger fr einen
wachsenden Stadtteil wird. Wir bauen ein Quartier, keine
Siedlung. (futurafrosch webpage) Es ist interessant, dass das
Wort Siedlung innerhalb dieses Projektes ausschlielich
negativ belegt ist. Stadtteil wird der Siedlung als positives
Konzept gegenbergestellt.

lageplan

Urbane Lebenswelten
Benze, Gill, Hebert

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kologische ziele
Angestrebt wird die 2000-Watt-Gesellschaft, was bedeutet,
dass der derzeitige durchschnittliche pro-Kopf-Energiever
brauch in der Schweiz um 2/3 reduziert werden soll. Folgende
Manahmen werden vorgeschlagen:
- Eine Nutzungsmischung ermglicht ein umweltvertrgliches
Wohn- und Lebensmodell der kurzen Wege.
- Kompakte Baukrper minimieren den Energieverbrauch
- Optimierung des Ressourcenaufwandes zur Herstellung und
beim Transport der Baumaterialien
- Einsatz lokaler Energieproduktion
- Mobilittskonzept mit reduziertem Angebot fr individuelle
Mobilitt: Mobilittspool mit Elektrofahrrdern (mit Anhngern
fr Einkufe), einer Servicestation fr Reparaturen,
Carsharing, breites Angebot unterschiedlicher Fahrradabstell
mglichkeiten bei und in den Husern, Kommunikations- und
Lenkungsmanahmen (hohe Parkplatzmieten fr PKWs)
konomisches Konzept
Durch nicht renditeorientiertes Bauen (Genossenschaften)
sollen bezahlbare Mieten erzielt werden. 20% der Wohnungen
werden mit Mitteln der Wohnbaufrderung gefrdert. Weitere
20% sollen, unter Auflagen bezglich des Wiederverkaufs, als
gnstige Eigentumswohnungen verkauft werden.

soziale mischung
Zur Gewhrleistung der sozialen Mischung ist es erforderlich,
den Anteil von Wohnungen fr die untere bis mittlere Einkom
mensschicht im Stadtgebiet zu erhalten. Die Anzahl von Woh
nungen in der Hand von gemeinntzigen Trgern soll hierzu
erhht werden. Er betrgt zur Zeit 25%.
Gem den im Ideenwettbewerb erarbeiteten Thesen soll nicht
zwischen Wohnraum und Arbeitsraum getrennt werden und
Wohnungen in den unterschiedlichsten Gren von
1 10 Zimmern, im durchschnittlichen Mix 2,5 5,5 Zimmer,
angeboten werden. Zuschaltbare Rume oder neue Grund
risskonzepte lassen variable Wohnungsgren entstehen, die
unterschiedliche Lebensstile und Familienkonstellationen be
herbergen knnen. 60 Zimmer sind fr Studierende reserviert.
Die Stiftung Kinder- und Jugendheime richtet eine Wohngrup
pe ein, eine Kinderkrippe entsteht und eine Kindergartenklasse
aus dem Schulhaus Leutschenbach zieht ins Erdgeschoss
eines Gebudes ein. Die meisten Anfragen kamen von Men
schen ber 60 oft von solchen, die mit ihren Freunden eine
Alters-WG grnden wollen. Alle Wohnungen sind barrierefrei
und behindertengerecht.
Eine stndig besetzte Rezeption soll zur Frderung der Ver
netzung der Bewohnerschaft dienen. Hier knnen Menschen
Dienstleistungen anbieten und tauschen und in der Erdge
schosszone sollen ein oder mehrere Lden zur tglichen
Grundversorgung entstehen sowie ein Restaurant, Bros und
Flchen fr Kleinunternehmer und -unternehmerinnen. Hier
kann man sich mit einem Konzept bewerben und bekommt
die Flche, wenn durch den Betrieb ein groer Nutzen fr das
Quartier entsteht, gnstiger. (Andreas Wirz dipl. Architekt ETH,
Wohnbaugenossenschaften Schweiz, Regionalverband Zrich,
im Gesprch). Des Weiteren entstehen ein Hotel und diverse
Bro- und Gewerbeflchen.

2/3 / 4

Perspektiven

Stadtraum, Hof, Grnflchen

Urbane Lebenswelten
Benze, Gill, Hebert

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Fazit
Das Konzept, durch eine Strkung von Genossenschaften be
zahlbaren Wohnraum in der Stadt zu sichern, ist viel verspre
chend, zumal das ganze Vorhaben nur zu sehr geringen Teilen
ffentlich gefrdert wird und sich weitgehend finanziell selbst
trgt. Auch der Umfang der Ziele in den Bereichen soziale Mi
schung, kologie und konomie erscheint fr ein innovatives
Pilotprojekt dieser Grenordnung angemessen. Ob diese Zie
le erreicht werden, kann sich erst nach der Fertigstellung des
Stadtteils und durch seinen Gebrauch zeigen.
Auffllig ist, dass trotz des groen Projektumfangs keine pro
zessorientierte Planung in unterschiedlichen Teilabschnitten
vorgeschlagen wird, um auf eventuell auftretende Probleme
whrend der Realisierung reagieren zu knnen. Die groen
Gebudetiefen knnten die Qualitt der Innenrume mindern,
und die fein gegliederte Differenzierung der ffentlichen Ru
me wird fertig gestellt, bevor Menschen den Stadtteil beziehen.
Wenn auch die architektonische Qualitt der innerhalb eines
strikten Kostenrahmens zu entwickelnden Gebude sehr hoch
ist, erscheint es unsicher, ob die an Blockrandbebauung an
gelehnte Struktur wirklich als Fortschreibung des Stdtischen
empfunden und nicht doch als Siedlung wahrgenommen wird.
Positiv ist in jedem Fall die genaue Dokumentation aller
Ablufe, die wie es auch die Verfasser sagen, Lernprozesse
ermglicht und untersttzt.

5
6/7

Bauplatz Steiner-Hunziker Areal


modell des stadtteils

Urbane
Serieller
Lebenswelten
Wohnungsbau
Benze
Benze,,GGil
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99
99

Studi
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2013
2013

pROJEKTBERSiCHT
STRATEGiEN
baulichrumlich

gesellschaftlich

ko
nomisch

p01_WimBY! HOOGVLiET

p02_X WOHNUNGEN

p03_FREEHOUSE ROTTERDAm

p04_OLEANDERWEG

p05_SCHORFHEiDEViERTEL

p06_CAmpUS EFEUWEG

p07_HAUS DER JUGEND KiRCHDORF

p08_TREEHOUSES

p09_TOUR BOiS-LE-pRETRE

p10_SARGFABRiK

p11_TRNROSEN TOWER

p12_STADT:WERK:LEHEN

p13_mEHR ALS WOHNEN

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Studie zur IBA 2020 Berlin


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4 FAZiT
Zum Abschluss der Recherche wird ein kurzes Resumee
der gewonnenen Erkenntnisse gezogen. Zudem wird errtert,
welche Bedingungen die spezifische Berliner Situation heute
bietet und inwiefern sich daraus, mit Blick auf die eingangs ge
schilderten Qualitten einer IBA, lokaler Experimentbedarf und
internationales Innovationspotenzial ableiten lassen.
4.1

RESUmEE DER UNTERSUCHUNG

Im ersten Kapitel der Studie zeigte sich, dass der Stdtebau


groer Siedlungen ganz absichtsvoll die Wiederholung urba
ner Strukturen der Grnderzeit vermieden hat. Als homogene
Wohngebiete mit eingestreuten Sonderbauten fr den Gemeinoder Konsumbedarf sind groe Siedlungen daher nur bedingt
umrstbar: Schon allein die Bestimmungen der Baunutzungs
verordnung (BauNVO), die programmatische Mischung nur
bedingt zulsst, stehen einer Nachverdichtung mit Dienstleis
tungs- und Gewerbeflchen entgegen.
Doch auch die wesentlichen Qualitten dieser Wohngebiete,
die heute als durchgrnte und verkehrsberuhigte Inseln im hek
tischen urbanen Stadtgefge liegen, sind Herausforderungen
fr eine wie auch immer geartete nachtrgliche Verdichtung
und Diversifizierung: Jedes Dazubauen vernichtet Grnraum,
jedes Dazwischenstellen von Baukrpern beschrnkt die Aus
sicht, jede Nachrstung von Versorgungsbauten bringt Emissi
onen mit sich, die zur bekannten NIMBY-Haltung fhren.
Daher kommt Projekten, die mit diesen Einschrnkungen
kreativ umgehen, eine besondere Bedeutung zu: Die Nachver
dichtung des Wohnraums beim P09_TOUR BOIS-LE-PRETRE
fhrt nicht nur zu einer Aufwertung der Wohnungen selbst,
sondern auch des Wohnumfeldes; und auch eine nachtrgliche
Differenzierung der Funktionen, die mit einer Diversifizierung
des rumlichen Angebots zusammenhngt, ist nicht unmglich
(P11_TRNROSEN TOWER). Dass dies zum Teil sehr lange
dauern kann, zeigt das Beispiel P01_WIMBY! HOOGVLIET,
dessen kurzfristige Interventionen (Schulparasiten) heute
bereits wieder verschwunden sind, whrend die langfristigen
Projekte (Campus) zum Teil noch auf sich warten lassen.
Bei der Nachbesserung von groen Siedlungen gilt es, die
spezifischen Rahmenbedingungen zu beachten und die
lokalen Potentiale zu strken (P06_CAMPUS EFEUWEG,
P07_HAUS DER JUGEND KIRCHDORF) schon allein, um
filtering-down-Prozesse zu durchbrechen und eine rein psy
chologische Aufwertung betroffener Gebiete zu erreichen.
Worin genau die jeweils vorhandenen Potenziale liegen, ist
eine Frage, die man nicht nur von externen Experten unter
schiedlicher Disziplinen beantworten lassen sollte, sondern vor
allem von jenen, deren Heimat die betreffenden Gebiete mit
der Zeit geworden sind. Dass deren Einschtzungen weitaus
differenzierter sind, als es von auen erfolgte, typologische Un
tersuchungen jemals sein knnen, zeigen unter anderem das
Projekt P02_X WOHNUNGEN am Beispiel des Mrkischen
Viertels, aber auch die Wnsche der Bewohner und Bewoh

101

nerinnen im P06_SCHORFHEIDEVIERTEL, die die Qualitt


ihrer Wohngegend nicht in Relation zum (weit entfernten)
Stadtzentrum beschreiben, sondern in der Nhe zur freien
Landschaft.
Urbane Lebenswelten sind keine baulichen Typologien und
lassen sich diesen auch nicht zuordnen, sondern sie entste
hen in der Interaktion zwischen stdtischen Rumen und ihren
Nutzern und Nutzerinnen. Sie sind damit zwar (wie oben erlu
tert) nur bedingt planbar, knnen sich aber in Gegenden mit
einem greren institutionellen oder rumlichen Spielraum
deutlich besser entwickeln als in solchen, wo alles festgelegt
und reglementiert ist: Viele Projekte, die auf einer Eigeninitiati
ve von Knstlern oder Vereinen beruhen, entstehen in limina
len bergangsrumen, deren frhere Funktion erloschen und
deren knftige noch nicht erreicht ist.

So kann zum Beispiel die Aktivierung lokaler Potenziale oder

die Entdeckung des gebietsspezifischen undercurrent (Van


Heeswijk) wie im P03 FREEHOUSE ROTTERDAM zur Entste
hung spezifischer konomien beitragen, oder Bewohner und
Bewohnerinnen ergreifen die Initiative und erwerben leer ste
hende Industrieareale (P10_SARGFABRIK), die sie mit Geduld
und List ber Jahre entwickeln.
Institutionell gesttzte Prozesse dieser Art (P05_SCHORFHEI
DEVIERTEL, P12_STADT:WERK:LEHEN) knnen die Teilhabe
einer breiten Bevlkerungsschicht ermglichen und tragen im
Idealfall dazu bei, die fortschreitende Segregation verschiede
ner gesellschaftlicher Gruppen auch langfristig zu verhindern.
In der Verantwortung von Architektur und Stadtplanung liegt
es daher, solche Prozesse mit zu initiieren, zu tragen und zu
befrdern. Bauliche Manahmen knnen dann deren Resultat
sein: Diverse, also vielfltige und unterschiedliche Strategien
sind gefragt, die nicht nur parallel agieren, sondern ineinander
greifen und zur Entstehung von differenzierten Rumen fhren.
Zur Urbanitt einer (groen) Stadt gehren identifizierbare
Abschnitte verschiedenen Charakters, die unterschiedlichen
Lebens- und Wohnbedrfnissen Rechnung tragen. Nicht alle
Menschen sind gleich, und nicht alle haben das gleiche Be
drfnis nach Ruhe oder Nhe, nach Begegnung und Anonymi
tt. Vor allem in bestehenden Kontexten ist es daher wichtig,
die Mieter und Mieterinnen ernst zu nehmen: Auch in weniger
angesagten Gegenden wohnen nicht alle Menschen aus
Versehen, und es ist die Aufgabe einer respektvollen Planung,
dies zu erkennen und zu respektieren. Eine Transformation
bestehender Siedlungen muss mit deren Ressourcen arbeiten:
Projekte wie P01_WIMBY! HOOGVLIET und P03_FREE
HOUSE zeigen Optionen, wie entsprechende Prozesse orga
nisiert werden knnen, whrend die P08_TREEHOUSES und
der P09_TOUR BOIS-LE-PRETRE einen intelligenten und
innovativen Ansatz des Weiterbauens zeigen. Doch auch Pro
jekte wie der Plattenbau-Umbau im P04_OLEANDERWEG und
das P05_SCHORFHEIDEVIERTEL in Marzahn zeigen, dass
sich vorhandene Qualitten unter dem Brennglas gezielter
Manahmen intensivieren lassen und dies gilt natrlich nicht
nur fr schrumpfende Regionen.
Stdtische Lebenswelten sind von ganz unterschiedlichen Nut
zungsweisen, verschiedenen Atmosphren und differenzierten
rumlichen Typologien geprgt (Wolfrum et al., 2008).

Urbane Lebenswelten
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Studie zur IBA 2020 Berlin


2013

Das ist kein Grund zur Klage, sondern ein Potenzial: gerade
Berlin mit seiner jahrzehntelangen Zweckentfremdungspraxis32
und den innovativen Zwischennutzungsverfahren33 knnte hier
Experimente fortfhren und intensivieren, die anderswo noch
gar nicht stattfinden. Wo, wenn nicht hier, knnen innovative
und informelle Entwicklungsanstze direkt und langfristig die
Entwicklung der Stadt befruchten und auf diese Weise Am
bivalenzen nicht nur ausgehalten, sondern produktiv genutzt
werden?
4.2 EmpFEHLUNGEN FR EiNE iBA BERLiN 2020
Auch wenn, wie oben geschildert, jeder Ort seine eigenen,
spezifischen Bedingungen hat und keine Patentrezepte zur
Transformation bestehender oder zur Errichtung neuer Stadt
viertel existieren, knnen die Beispiele gerade in ihrer Band
breite dazu anregen, bestimmte Orte genauer zu analysieren
oder einfach einen neuen Blick auf alte Probleme zu werfen.
Ob es die fehlenden Wohnungen sind (und die Frage, wie man
gewhrleisten kann, dass Mieter und Mieterinnen noch eine
Wahlfreiheit in Bezug auf ihren Wohnort haben), ob es um die
schlafenden Riesen geht, bei denen private Besitzverhltnis
se ihrer gesamtgesellschaftlichen Bedeutung entgegenstehen
oder um die Frage, wie unsere ffentlichen Rume morgen
genutzt werden knnten: Fr all diese Fragen von enormer
lokaler Brisanz lohnt ein internationaler Blick ber den Tel
lerrand, lohnt das Einholen auswrtiger Expertise und das
Wagnis, neue Wege zu gehen und ungewhnliche Prozesse
zu initiieren.
Denn wenn sich diese Prozesse verstetigen und verschiede
ne Akteure mit unterschiedlichem Interesse zueinander und
gemeinsam Synergien finden, dann werden auch langfristi
gere, besondere und einer Internationalen Bauausstellung
angemessene Projekte mglich, die einen baulichen und einen
gesellschaftlichen Anspruch erfllen unter alltglichen Bedin
gungen kaum realisierbar wren.
Allerdings geschieht all dies nicht von selbst: Es erfordert von
allen Beteiligten ein hohes Ma an gegenseitigem Vertrauen,
Engagement und Flexibilitt, solche Prozesse zu entwerfen, in
Gang zu setzen, immer wieder zu befrdern, zu begleiten und
im Lauf der Zeit auf ein bestimmtes Ziel hin zu verstetigen.
Eine IBA als experimentell-institutionelles Format stellt hier
einen durchaus geeigneten Rahmen dar, um innovative Metho
den und Werkzeuge entwickeln, begleiten und evaluieren zu
knnen.
Auch im Bereich des privaten und des genossenschaftlichen
Wohnungsbaus knnen durch den Ausnahmezustand IBA
Experimente stattfinden, fr die gerade in Berlin eine wach
sende Bereitschaft und eine spezialisierte, kreative Generation
von Planenden vorhanden sind.34 Hier zeichnen sich schon
jetzt neue Akteurskonstellationen, Planungsprozesse und
(Ver-)Handlungskulturen ab, die soziale und politische Aspekte
zurck in die Diskussion um die public domain der Stadt tra
gen: Bau- und Wohngruppen, die Stadt selber machen35, Mie
tervereine, die mit Hilfe von Stiftungen Immobilien dem Markt
entziehen36 und ursprnglich subkulturelle Akteure, die als
Entwickler und Entwicklerinnen auftreten37, tragen bereits heute
dazu bei, dass sich in der Stadt immer differenzierte Rume

102

ausbilden, dass aber zugleich neue In- und Exklusionsmecha


nismen wirksam werden. Hier wre es wnschenswert, dass
stdtische und bezirkseigene Flchen, anders als bisher, auch
verpachtet werden knnen, und dass belastbare, transparente
Kriterien fr die neuen, qualitativen Bieterverfahren bei Liegen
schaftsverkufen durch das Land Berlin entwickelt werden.
Einen interessanten Sonderfall in der neuen Akteurs- und
Planungslandschaft stellen universitre Praxisprojekte38 dar,
deren Rolle fr einen experimentell-kreativen Stadtdialog und
innovative Beteiligungsformate nicht zu unterschtzen ist
auch wenn dies auf der anderen Seite nicht dazu fhren darf,
dass hier klassische Planungsleitungen auer Konkurrenz
erbracht werden.
Viele der in dieser Studie und in den einzelnen Fallbeispielen
beschriebenen Ttigkeiten und Aufgaben, die zur Entwicklung
der Projekte beigetragen haben, entsprechen allerdings ohne
hin nicht klassischen Architektur- oder Stadtplanungsleistun
gen. Anstatt jedoch, auf alten disziplinren Abgrenzungen und
fachspezifischen Aufgabenfeldern zu beharren, sollten Forma
te der Kooperation und der gemeinsamen Autorenschaft ent
wickelt werden, die Interdisziplinaritt und Innovation frdern
und das nicht nur auf der Seite von Projektentwicklern und
-entwicklerinnen oder im Rahmen von Auswahl- und Vergabe
ferfahren fr Planungsleistungen, sondern auch in den Fach
verwaltungen, die fr die neuen Aufgaben weiter gebildet39 und
personell ausreichend ausgestattet werden mssen.
Eine IBA als experimentell-institutioneller Rahmen kann nicht
nur geeignete Verfahren schaffen, um partizipative und di
alogische Prozesse zu initiieren, sondern auch Know-How
32
Hierzu zhlen nicht nur die zahlreichen Hausbesetzungen der
Siebziger, Achtziger und Neunziger Jahre oder die Bespielung des Palastes
der Republik kurz vor seinem Abriss (Urban Catalyst et al, u.a. seine
Inszenierung als Berg durch raumlaborberlin), sondern auch aktuelle
Projekte wie die Prinzessinnengrten, ExRotaprint, die Initiativen zur
Verbesserung der Wasserqualitt in der Spree und viele andere mehr.
33
Siehe Overmeyer (2007) und zum Beispiel das Pionierverfahren
zur Zwischennutzung des ehemaligen Tempelhofer Flugfeldes: Hier sind
durch den Entwicklungstrger Tempelhof-Projekt Ausschreibungen initiiert
worden, die sich sowohl an Anwohner der benachbarten Wohngebiete, als
auch an unabhngige Einrichtungen richtete. Es besteht die Absicht, die auf
dem Feld angesiedelten Nutzungen in die sptere Bau- und Parkstruktur zu
bernehmen, so dass die neuen Quartiere hiervon profitieren knnten.
34
Die zahlreichen Initiativen, die in den letzten Jahren in Berlin
gegrndet wurden, knnen auf zum Teil langjhrige Baugruppenerfahrung
zurckblicken und haben bereits einige Projekte initiiert, die auch anderen
Nutzern offen stehen. Ihre Expertise ist ein ganz besonderes Stadtkapital,
das im Rahmen einer IBA genutzt werden knnte.
35
Siehe unter anderem die Publikation SELFMADE CITY. Berlin:
Stadtgestaltung und Wohnprojekte in Eigeninitiative, herausgegeben von
Kristien Ring, AA PROJECTS in Kooperation mit der Senatsverwaltung fr
Stadtentwicklung Berlin, die am 15.2.2013 ffentlich prsentiert wurde
36
Dieses Prinzip verfolgt beispielsweise das Mietshusersyndikat,
aber auch die Selbstbau Genossenschaft oder das Ex-Rotaprint Projekt
knnen ihre Idealvorstellungen von Pacht- statt Mietmodellen nur realisieren,
wenn (gemeinntzige) Stiftungen als Grundbesitzer / Verpchter agieren.
37
Zum Beispiel Clubs wie das Berghain oder neuerdings die Bar25,
die nicht nur zu Berlins Attraktivitt als Reiseziel beitragen, sondern auch
spezifische stdtische Orte generieren und entwickeln
38
Zum Beispiel die auch in Fallbeispiel P06_EFEUWEG
beschriebene Akademie einer neuen Gropiusstadt, aber auch das Urban
Lab der TU Berlin oder das lived/space/lab der UdK
39
Einen entsprechenden Ansatz bietet zum Beispiel das Handbuch
zur Partizipation (Senatsverwaltung fr Stadtentwicklung Berlin, 2011).

Urbane Lebenswelten
Benze, Gill, Hebert

Studie zur IBA 2020 Berlin


2013

und Personal einsetzen, um diese langfristig zu begleiten. So


knnte sie nicht nur zwischen den Akteuren von unten und
von oben vermitteln, sondern auch die von der ffentlichen
Hand ausgelagerten Steuerungsverantwortung bernehmen,
die Prozesse dokumenieren, evaluieren und transparent auf
bereiten, beispielsweise durch die Nutzung internetbasierter
Informationswerkzeuge.
Eine interessante Frage wird es auerdem sein, ob die geplan
te IBA eine entscheidende Schwierigkeit, die im Zusammen
hang mit der Mischungs-Debatte fast zwangslufig auftritt,
im experimentellen Rahmen aussetzen kann: Dichte und
Mischung sind hierzulande keine individuell verhandelbaren
Optionen, sondern ber BGB und Bau NVO gesetzlich vorge
schrieben, ihre Nachjustierung (beispielsweise im Rahmen von
Bebauungsplanverfahren) ist kompliziert und langwierig. Die
hier festgelegten Bestimmungen schtzen jedoch nicht nur die
Brger und Brgerinnen vor sich selbst und ihren Nachbarn
und Nachbarinnen, sondern verhindern auch die Forschung
nach neuen, hybriden Bau- und Raumtypologien (Wohnen und
Arbeiten, Wohnen und Gewerbe, Konsum und Bildung etc), die
in anderen Lndern (z.B. in Japan) selbstverstndlich sind.
Stdtische Lebenswelten wandeln sich schneller als ihre bau
liche Entsprechung in urbanen Strukturen und ffentlichen
Rumen: nderungen der Arbeitswelt (Home Office, Telearbeit,
Projektpartnerschaften) und der gesellschaftlichen Konstella
tionen (Singlehaushalte, Patchwork- und Mehrgenerationen
familien, demografischer Wandel, steigende Energiekosten)
stellen vernderte Anforderungen an den stdtischen Raum,
denen mit den Gesetzen und Regularien, die noch der frhen
Moderne der Nachkriegszeit entstammen, nicht immer adquat
zu begegnen ist. Eine IBA 2020 sollte anstreben, der Vielfalt
gegenwrtiger und knftiger stdtischer Lebenswelten mit ei
ner Vielzahl innovativer, urbaner Strukturen zu begegnen.
Eine IBA 2020 in Berlin htte zahlreiche Mglichkeiten, die in
dieser Studie dargelegten Anstze zu verfolgen und anzuwen
den. Die Vielfalt und die Unterschiedlichkeit der mglichen IBAInterventionsgebiete (Lichtenberg, Gropiusstadt, Frankfurter
Allee BA II), die alle keine klassisch innerstdtische Form von
Urbanitt aufweisen, kann einer Vielzahl von Experimenten
Raum geben, die ganz alltgliche und ganz besondere urbane
Lebenswelten erzeugen. Hierbei kann auch an die begonne
nen und bisher gefhrten Diskurse und Diskussionen im Rah
men der Pr-IBA-Phase (Bader et al., 2012) und an die bisher
durchgefhrten Veranstaltungen angeknpft werden, so dass
die hier entwickelten Werkzeuge und Instrumente Raum
stadt, Sofortstadt, Stadt als Forum auf die sich herauskris
tallisierenden Themen Vielfltige Stadt, Wohnen als Motor,
Stadt selbst bauen angewendet werden knnen.
4.3 FAZiT
Diese Studie pldiert dafr, die Vielfalt, die Topodiversitt der
Stadt und die differenzierte Ausprgung ihrer verschiedenen
Quartiere zum Ziel jeglicher Planung und die spezifischen
Qualitten des jeweiligen, lokalen Kontextes zum Ausgangs
punkt jeder baulichen Transformation zu machen.
Urbanitt, so die These, hat viele verschiedene Gesichter.

103

Urbane Lebenswelten sind differenziert und entsprechen


nicht alle (und nicht immer) den Vorstellungen, die Planer
und Planerinnen von einer idealen Wohnumgebung haben.
Bei der Errichtung und bei der Transformation bewohnter
Rume gilt es daher, die betreffenden Gebiete von innen
heraus und mglichst vorurteilsfrei zu analysieren, um inh
rente Chancen entdecken und entwickeln zu knnen.
Hierfr mssen baulich-rumliche, gesellschaftliche und
konomische Potenziale erkannt und mit entsprechenden
Strategien und Werkzeugen gefrdert oder neu hinzugefgt
werden, ohne dass dabei vorhandene Qualitten zerstrt
werden.
Das heit nicht, dass alles so bleiben muss, wie es ist: Ver
nderte Bedrfnisse und Ansprche an die Stadt als Wohn
raum, neue Mobilittskonzepte, Arbeitswelten, Akteurskon
stellationen und konomische Erfordernisse machen immer
wieder deutlich, dass Stadt kein Produkt ist, sondern ein
Prozess dass also Transformationen des Bestandes kein
Ausnahmezustand, sondern die Regel sind.
Das heit aber wiederum auch nicht, dass die Stadt ein Zu
fallsprodukt ist, das aus dem kontingenten Zusammentreffen
verschiedener Akteursgruppen und den jeweils herrschenden,
politischen Rahmenbedingungen entsteht: In der ergebnisoffe
nen, zielorientierten Begleitung demokratischer Aushandlungs
prozesse sind nicht nur Akteure von unten, sondern auch
Verantwortungstrger von oben gefragt, die auch und gerade
jene aktiv vertreten, die sich nicht selbst engagieren knnen
oder wollen.
Berlin als gemeinsamer Kontext aller IBA-Aktivitten ist seit
jeher ein Kristallisationspunkt fr Kreativitt und Innovation,
so dass viele der hier vorgestellten Strategien bereits in seiner
Geschichte und seinem Stadtraum verankert sind. Dennoch
zeigen vor allem einige der internationalen Beispiele, dass hier
lngst nicht alles erprobt ist und dass institutionelle Struktu
ren und adquate Evaluationen des bisher Geleisteten weit
gehend fehlen. Zu einer solchen Forschung gehrt auch eine
kontinuierliche Vermittlung der hier verhandelten Fragen, Ideen
und Lernerfolge, die im besten Fall ein gesamtgesellschaflti
ches Echo finden und Fragen des Wohnens in der Stadt aus
der isolierten Sphre des rein Privaten herauslst, um sie ins
Licht einer heute dringend erforderlichen, ffentlichen Debatte
zu stellen. Diesem Ziel entsprche ein prozessbegleitender,
ffentlicher Dialog, dessen breite Vermittlung und Kommunika
tion mit Hilfe dafr geeigneter Medien ein wichtiges Ziel ist, das
bereits auf dem Weg zu einer IBA 2020 liegt.
Die Weiterentwicklung monofunktionaler Wohnquartiere und
peripher anmutender Bereiche in zentraler Lage sind daher
Aufgaben, die ganz im Sinne einer IBA lokale Probleme
von internationaler Bedeutung adressieren. Die Beispiele zei
gen, dass dies ein spannungsreiches Feld ist, auf dem Expe
riment und Expertenwissen, Engagement und Exzellenz das
Label Bauausstellung rechtfertigen auch im internationalen
Kontext.

Urbane Lebenswelten
Benze, Gill, Hebert

Studie zur IBA 2020 Berlin


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Urbane Lebenswelten
Benze, Gill, Hebert

Studie zur IBA 2020 Berlin


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Vorkoeper, Ute; Knobloch, Andrea (Hg.) (2012):
Kunst einer anderen Stadt. Berlin: Jovis.
Wolfrum, Sophie; Nerdinger, Winfried;
Schaubeck, Susanne (Hg.) (2008): Multiple city:
Stadtkonzepte 1908/2008. Jovis.

Urbane Lebenswelten
Benze, Gill, Hebert

Studie zur IBA 2020 Berlin


2013

QUELLEN pROJEKTSTECKBRiEFE
01_WIMBY! HOOGVLIET
Crimson (2005): WiMBY! (Welcome Into My
Backyard!) IBA Rotterdam-Hoogvliet. In:
Oswalt, Phillip; Kulturstiftung des Bundes (Hg.)
Schrumpfende Stdte Band 2. Ostfildern-Ruit:
Hatje Cantz Verlag S. 445-453.
Provoost, Michelle; Rottenberg, Felix (2007):
WiMBY! Hoogvliet: The Big Book: Future, Past
and Present of a New Town. Rotterdam: NAi
Uitgeverij.
02_X WOHNUNGEN
40 Jahre Mrkisches Viertel. Geschichte und
Gegenwart einer Grosiedlung, Brigitte Jacob und
Wolfgang Schche (Hg.), Jovis, Berlin, 2004
Jacob, Brigitte und Schche, Wolfgang (Hg.)
(2004): 40 Jahre Mrkisches Viertel. Geschichte
und Gegenwart einer Grosiedlung. Jovis: Berlin.
Mller, Katrin Bettina (2005): Cosima guckt
schon wieder fern. in Tageszeitung (Berlin) vom
07.05.2005, S.21
Rick, Matthias; Schultze, Arved; Weber, Julia
(2006): X-Wohnungen oder was ist ein RealityReadymade? Gesprch. In: Hausbei, Kerstin;
Hofmann, Frank; Hub, Nicolas et al. (Hg.):
transversale | 2 | 2006 Erfahrungsrume.
Mnchen: Wilhelm Fink Verlag
Schultze, Arved; Wurster, Steffi (Hg.) (2003):
X Wohnungen Duisburg. Theater in privaten
Rumen. Berlin: Alexander Verlag.
Senatsverwaltung fr Stadtentwicklung,
Referat Stadtumbau (Hg.)(2009): INSEK 2009
Stadtumbau West im Mrkischen Viertel
Bearbeitung: S.T.E.R.N. GmbH
Siemes, Christof (2002): Runter von der Bhne,
rein ins Leben. in: Die Zeit Nr.28 vom 04.07.2002.
Gesprch mit Arved Schultze am 12.11.2010
03_FREEHOUSE ROTTERDAM
van Heeswijk, Jeanne (2011): Inclusive urban
strategies for radicalising the local. On Air, Issue
3. Amsterdam.

Projektwebsite: www.freehouse.nl

Vortrag von Jeanne van Heeswijk in: Gnther,

Joachim (2012): IBA-Symposium Leben mit


Weitsicht - Growohnsiedlungen als Chance. PDF
Gesprch mit Jeanne van Heeswijk am
11.10.2012
04_OLEANDERWEG
Arch+ 203 (2011): Planung und Realitt
Strategien im Umgang mit Grosiedlungen.
Aachen: Arch+ Verlag.

106

05_SCHORFHEIDEVIERTEL
Bezirksamt Marzahn-Hellersdorf von Berlin;
GRUPPE PLANWERK (Hg.)(2008): Grosiedlung
Marzahn-Hellersdorf. INSEK Intergriertes
Stadtteilentwicklungskonzept 2007. Kurzfassung,
PDF.
Kiek in Berlin e.V., Quartiersmanagement
Marzahn NordWest (2012): IHEK 2012.
14. Fortschreibung des Handlungs- und
Entwicklungskonzeptes. PDF
Ptz, Gabriele (2002): Inszenierung des Raumes
- sthetik und Landschaftsarchitektur. In:
Kornhardt, Diethild et al.: (Hg.) Mgliche Rume.
Hamburg: Junius S. 1826.
QuartiersAgentur Marzahn NordWest, gruppe F
Landschaftsarchitekten, und ts redaktion (Hg.):
Brgerbeiteiligungs- und Gutachterverfahren
Schorfheideviertel Marzahn Juli 2007

10_SARGFABRIK
Projektwebsite: www.sargfabrik.at
Schmau, Armin (2008): Housing project,
Sargfabrik, Vienna Austria URL: http://www.
add-home.eu/docs/FGM_Vienna_Sargfabrik_
ADDHOME.pdf&chrome=true (Zugriff: 22.10.12)
Waechter-Bhm, Liesbeth (1996): Freier Blick
ins Schlafgemach URL: http://www.nextroom.
at/building.php?id=2631&inc=artikel&sid=3802
(Zugriff: 22.10.12)

Gesprch mit Frau Anke Hilbrig,


Projektmanagerin, QuartiersBro Marzahn
NordWest am 1.11.12
06_CAMPUS EFEUWEG

11_TRNROSEN TOWER

Bielka, Frank; Beck, Christoph (2012): Heimat


Grosiedlung. 50 Jahre Gropiusstadt. Berlin:
Nicolaische Verlagsbuchhandlung.
Kaspar, Anita; Fioretti, Donatella; Stollmann,
Jrg; Gutirrez Marquez, Jos Mario; Bonhag,
Katharina; Heyden, Matthias; Bartoli, Sandra und
Boettger, Till (Hg.) (2012): Campus Efeuweg
Was Geht? Projektbericht. PDF
Arbeitsgemeinschaft S.T.E.R.N. mbH und FiPP
e.V. (VR 4486): Integriertes Handlungs- und
Entwicklungskonzept 2012 mit Jahresbilanz 2011.
Berlin, 2011
Stollmann, Jrg; Bartoli, Sandra und Kaspar, Anita
(Hg.)(2012): Akademie einer neuen Gropiusstadt.
Band 1: Campus Efeuweg, 36 Tools fr ein neues
Quartier. Universittsverlag der TU Berlin.
Gesprche mit Jrg Stollmann im November 2012
07_HAUS DER JUGEND KIRCHDORF
baunetz-Meldung: Das Haus als Sportgert,
http://www.baunetz.de/meldungen/Meldungen
Jugendzentrum_in_Hamburg_fertig_
gestellt_1350729.html. Zugriff am 30.11.2012

Competition Nr. 2, Magazin fr Architekten,


Ingenieure und Bauherrn, Oktober 2012
Pressematerialien von Lundgaard & Tranberg
Arkitekter (Kopenhagen)
12_STADT:WERK:LEHEN
Flchenwidmungsplan, Bebauungsplan: http://
www.stadt-salzburg.at/internet/wirtschaft_umwelt/
stadtplanung.htm, Zugriff vom 10.11.12
Mayr, Norbert (2011): Lehen baut auf. Building up
Lehen. in: Architektur Aktuell Nr. 374, Mai 2011.
Springer Verlag: Wien, New York. S. 6883

Mayr, Norbert (2008): Wo der Speck die

Stadt drckt. Salzburg-Lehen kmpft mit

Strukturproblemen. URL: http://www.nextroom.

at/building.php?id=32529&sid=28768 (Zugriff:

6.11.2012)

Untner, Sarah: Stadtwerk Lehen. Ein Beispiel fr

nachhaltige Stadt(teil)entwicklung durch Neubau


& Umnutzung. PDF.
Projektwebsite: www.stadtwerklehen.at
Informationsmaterial Bro Transparadiso

Website der Architekten: www.kersten-kopp.de

Telefoninterview mit Bernd Vlay am 5.11.2012

Telefoninterview mit Andreas Kopp von Kersten +


Kopp Architekten am 02.11.2012

13_MEHR ALS WOHNEN

08_TREEHOUSES
Bauwelt 4.2011 (2011): Stadtreserven. Gtersloh:
Bauverlag.

Baunetz vom 17.07.2008: Oleanderweg.


Baubeginn fr IBA-Projekt in Halle-Neustadt.
http://www.banetz.de/meldungen/Meldungen
Baubeginn_fr IBA-Projekt/
Hebert, Saskia (2012a): Gebaute Welt | Gelebter
Raum. Berlin: Jovis.

Telefoninterview mit Volker Halbach von blauraum


am 02.11.2012

Starres Raumkonzept weicht individuellen


Wohnungen. http://www.gwg-halle.de/infocenter/
neues_von_uns/ vom 23.10.2008, Zugriff am
17.10.12

Website der Architekten: www.lacatonvassal.com,


www.druot.net

Winter, Johnny (BKK-2) (2004): Mitbestimmung

und Design. Kollektive Ansprche und


architektonische Angebote in der Wiener
Sargfabrik. In: Fezer, Jesko; Heyden, Mathias
(Hg.): Hier entsteht. Berlin: b_books, S.187 194

Senatsverwaltung fr Stadtentwicklung Berlin


(Hg.) (2011): Handbuch zur Partizipation. Berlin.

Seifert, Jrg (2011): Treehouses Bebelallee.


In: Bauwelt 4.2011 Stadtreserven. Gtersloh:
Bauverlag. S. 22-27.

Ministerium fr Landesentwicklung und Verkehr

des Landes Sachsen-Anhalt (Hg.) (2010):


Weniger ist Zukunft. 19 Stdte - 19 Themen.
Katalog zur Abschlussprsentation der IBA
Stadtumbau Sachsen-Anhalt 2010. Berlin: Jovis.

Vortrag von Jean-Philippe Vassal in: Gnther,


Joachim (2012): IBA-Symposium Leben mit
Weitsicht - Growohnsiedlungen als Chance.
PDF.

Website der Architekten: www.blauraum.eu

09_TOUR BOIS-LE-PRETRE
Druot, Frederic; Lacaton, Anne; Vassal, JeanPhilippe (2007): Plus: Large-scale Housing
Development. Barcelona: Gustavo Gili.
Puente, Moises; Puyuelo, Anna (Hg.) (2012): 2G
N.60 Lacaton & Vassal Obra reciente / Recent
work. Barcelona: Editorial Gustavo Gili.

Glanzmann, Jutta; Sidler, Christine (2010): Mehr


als Wohnen. Von der Brache zum Stadtquartier,
Report 1: 2007 bis 2010 PDF. Zrich.
Gindely, Georg (2012): Wer ein Auto hat,
bekommt keine Wohnung. In Tagesanzeiger
Zrich vom 08.02.12.
Projektwebsite: www.mehralswohnen.ch
Stadt Zrich. Hochbaudepartment und Amt
fr Stdtebau (Hg.): Leitbild Leutschenbach.
Grundstze der Gebietsentwicklung.Zrich.
Hochbaudepartment der Stadt Zrich Amt fr
Stdtebau (Hg.)(2000): Entwicklungskonzept
Leutschenbach. Kooperative
Entwicklungsplanung. Zrich.
Wirz, Andreas (2012): Remix-Architektur Vortrag
auf Make shift, Internationale Tagung an der TU
Berlin 6.10.2012, Organisation: KW Institute for
Contemporary Art, Berlin.

Urbane Lebenswelten
Benze, Gill, Hebert

Studie zur IBA 2020 Berlin


2013

BiLDQUELLEN pROJEKTSTECKBRiEFE
01_WIMBY! HOOGVLIET
17, 9
Crimson, aus: WIMBY! Hoogvliet The
Big Book
8
subsolar
02_X WOHNUNGEN
1
http://www.fotos-aus-der-luft.de/
luftbild/11078- 4/Reinickendorf_
Maerkisches_Viertel_05
2, 47, 12 subsolar
3, 811
GESOBAU AG
03_FREEHOUSE ROTTERDAM
14
Freehouse / Jeanne van Heeswijk
511
subsolar
04_OLEANDERWEG
13
Stefan Forster Architekten
412
Jean-Luc Valentin /
Stefan Forster Architekten
05_SCHORFHEIDEVIERTEL
1
gruppeF Landschaftsarchitekten
27
subsolar
8
http://www.stadtentwicklung.berlin.de/
staedtebau/foerderprogramme/
stadtumbau/Aktuelles
06_CAMPUS EFEUWEG
16
TU Berlin / Jrg Stollmann, aus:
Campus Efeuweg - Was geht?

Projektbericht Juli 2012

07_HAUS
1, 58,
10, 11
24
9, 12

DER JUGEND KIRCHDORF


subsolar
Kersten + Kopp Architekten BDA
Klemens Ortmeyer / Kersten + Kopp
Architekten BDA

08_TREEHOUSES
111
blauraum
12
subsolar
09_TOUR BOIS-LE-PRETRE
1-13
Druot, Lacaton & Vassal architectes
10_SARGFABRIK
1
BKK-2 / Johnny Winter
2, 46
http://www.sargfabrik.at/
3
http://tg-portfolio.hostoi.com/viennae.
html
7
Wolfgang Zeiner
11_TRNROSEN TOWER
17
Lundgaard & Tranberg Arkitekter
12_STADT:WERK:LEHEN
1, 4, 8
transparadiso
2
Land in Sicht & agenceter
3, 5, 6, 9 Rainer Iglar
7
Andrew Phelps
13_MEHR ALS WOHNEN
1, 37
http://www.mehralswohnen.ch/
2
http://www.stadt-zuerich.ch/content/
hbd/de/index/hochbau/
abgeschlossene_ww/
wettbewerbe_2009/
projekt_1_mehr_als_wohnen.html

107

Urbane Lebenswelten
Benze, Gill, Hebert

Studie zur IBA 2020 Berlin


2013

108

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