flis04 🎞’s review published on Letterboxd:
Ich bin kein grosser Freund von Weihnachtsfilmen. Natürlich gibt es Ausnahmen, doch viele Vertreter sind mir zu kitschig, zu klischeeüberladen oder treffen einfach nicht meinen Humor. Damit verfehlen sie aus meiner Sicht dann auch den herzlichen Kern des Festes.
Dennoch wollte ich einen grossen Klassiker des Weihnachtsfilm endlich einmal abhaken und war sogar positiv gestimmt. Nicht nur befindet sich "Ist das Leben nicht schön?" zur Zeit auf LB auf Platz 65 der bestbewertetsten Filme aller Zeiten, er stammt auch von Regisseur Frank Capra.
Dem Capra, der mit seiner schwarzhumorigen Halloween-Komödie "Arsen und Spitzhäubchen" genau meinen Humor traf und mit cleveren Kniffen in der Inszenierung punktete.
So bestand die durchaus berechtigte Vermutung, an den Vorschusslorbeeren, an den vielzähligen Lobpreisungen könnte tatsächlich etwas dran sein.
Dennoch war ich auf das, was mich schliesslich erwartete in keinster Weise auch nur ansatzweise vorbereitet.
"Ist das Leben nicht schön" erzählt als Rahmenhandlung die Geschichte von Clarence, einem Engel zweiter Klasse. Dieser übt den Beruf bereits seit zweihundert Jahren aus, bekam aufgrund seiner Unzuverlässigkeit jedoch immer noch keine Flügel. Am heiligen Abend wird er plötzlich mit einer enorm wichtigen Mission beauftragt. Er soll verhindern, dass ein gewisser George Bailey Selbstmord begeht.
Dafür muss er sich jedoch zunächst mit dessen Leben befassen.
George Bailey stammt aus einer Familie, die sich in der nahezu komplett von Mr Potter beherrschten Kleinstadt Bedford Falls für die Belange der Armen einsetzt. Auch George fällt seit seiner Kindheit durch seine selbstlosen Taten auf, die mehrere Menschen vor Unheil bewahrte. Dieses Verhalten behält er sich bei und ordnet seine Wünsche und Pläne stets dem Wohle anderer unter, bis etwas Schreckliches geschieht und George droht den Glauben an das eigene Leben zu verlieren und das ausgerechnet an Heiligabend.
Frank Capra folgt in "Ist das Leben nicht schön?" für die ersten gut eineinhalb Stunden zunächst einmal dem Leben der Hauptfigur George Bailey. Was in der Kindheit mit einzelnen Schlüsselszenen beginnt, entfaltet sich im Erwachsenenalter immer mehr zu einem umfassenden Gesamtportrait eines gutmütigen Menschen, der trotz allem nicht perfekt ist.
Das Herzliche und Selbstlose machen es dem Zuschauer dabei allerdings denkbar einfach emotional mit George Bailey mitzugehen. Wenn er mehrfach mit spitzen Formulierungen das Wort gegen den kapitalistischen Mr Potter erhebt und für mehr Nächstenliebe, Umsicht, Mitgefühl und Menschlichkeit einsteht, möchte man ihn zujubeln. Nicht nur weil er wichtige Dinge sagt, sondern weil der Film betont, wie mutig es ist bei Ungerechtigkeiten nicht zu schweigen, sondern klar Stellung zu beziehen und für die eigenen Werte einzustehen.
Gleichzeitig lässt James Stewarts Schauspiel aber auch von Beginn an eine dunkle Seite in Bailey zu. Er ist hin und her gerissen zwischen eigenen Zielen und dem Pflichtgefühl und gibt letzterem nach. Er opfert sein Studium, seine Europareise und die Chance Bedford Falls jemals verlassen zu können. Je mehr Menschen George hilft, desto unglücklicher wird er. Was ihm fehlt ist der Blick für einen Kompromiss und so verspielt er beinahe seine grosse Liebe nur um niemandem ungerechterweise auf die Füsse zu treten. Bailey droht dennoch immer wieder den Boden unter den Füssen zu verlieren, weil er nur daran denkt worauf er verzichtet hat, daran was er nicht hat. Dass er durch seinen Verzicht viel grössere Werte erhielt, dafür fehlt ihm der Blick.
Frank Capras Tragikomödie ist auf diese Weise ein ziemlich wertvoller Film, der zugleich Werte des Weihnachtsfestes treffend zu hofieren weiss.
"Ist das Leben nicht schön?" positioniert sich klar gegen Geldgier und reinen Profitsinn. Dass dies nicht sonderlich subtil geschieht, darüber mag man hinwegsehen. Mr Potter soll dabei gar nicht als komplexer Charakter fungieren, sondern eine Welt repräsentieren, welche menschliche Werte immer mehr in den Hintergrund rückt.
Stattdessen möchte "Ist das Leben nicht schön?" die Frage nach den wahrhaft wichtigen Dingen im Leben stellen. Was macht uns glücklich? Was brauchen wir um glücklich zu sein? Machen uns unsere innersten Wünsche überhaupt glücklich?
Viel mehr geht es darum das Positive aus der eigenen Lebenssituation herauszuziehen. George Bailey besitzt wahnsinnig viel. Er führt ein Unternehmen, das vielen Menschen hilft, er hat ein Haus, eine glückliche Familie und viele Freunde.
Niemals kann so ein Mensch ein Versager sein. Bailey handelte aus Nächstenliebe, weil er nie eine Gegenleistung erwartete, nicht einmal in Betracht zog, jemand anderes könnte auch ihm helfen. Doch genau dafür sind Freunde da. Sich gegenseitig zu helfen ohne auf einen eigenen Vorteil bedacht zu sein.
Über dies hinaus ist "Ist das Leben nicht schön?" aber auch handwerklich und inszenatorisch wirklich komplett fehlerfrei. Capra inszeniert mit einzigartiger Präzision und nutzt die Mittel des Schwarz-Weiss-Films maximal aus. Betörende Kontraste, wunderschöne Kulissen und immer wieder ein Gefühl visuell übertragener Wärme. Aber auch die Nähe zu den Figuren wird durch die Kameraarbeit forciert. Eine Einstellung die ganz nah an George Baileys Gesicht herangeht lässt seine Verzweiflung spürbar werden.
Dies hängt wiederum natürlich auch mit James Stewarts Schauspiel zusammen. Als George Bailey gibt er hier eine durch und durch famose Leistung ab.
Im gleichen Atemzug muss aber auch Donna Reed als Mary Hatch genannt werden. Die Liebesgeschichte zwischen Mary und George ist vor allem deshalb so berührend und verhältnismässig unkitschig, weil Donna Reed James Stewart in Nichts nachsteht und die beiden ein ganz wundervolle Chemie in ihren gemeinsamen Szenen besitzen.
Meine Erwartungen an "Ist das Leben nicht schön?" waren aufgrund des hohen Status, welchen der Film besitzt weiss Gott nicht gering, und dennoch wurde ich enorm positiv überrascht.
Ein Eindruck, der über wunderschöne Sets, tolle weihnachtliche Kulissen, starkes Schauspiel, einmalige Kameraarbeit und witzige Momente weit hinaus geht.
Frank Capra gelang im Jahre 1947 ein in erster Linie lebensbejahender Film. Ein Werk, das alles andere als naiv ist, sondern uns eine Sichtweise aufzeigen möchte, mit der wir das Leben möglicherweise etwas leichter nehmen können.
Dadurch ist das Werk trotz solcher Fieslinge wie einem Mr. Potter immer sehr herzlich. Auch durch die Figur des Engels Clarence, der insbesondere in der deutschen Fassung durch die unnachahmliche Stimme Manfred Steffens zu einem ganz grossem Highlight des Werkes wird.
Und das ist nur eines der wahnsinnig emotionalen Elemente, die dieser Film in unglaublichen Mengen zur Verfügung hat. So sehr, dass die 130 Minuzen nicht nur wie im Flug vergingen und ich wie gebannt dem Geschehen folgte, ich kann mich auch gar nicht daran erinnern jemals von einem Film so gerührt worden zu sein. Daher bleibt mir hier am Ende auch gar nichts anderes übrig als tatsächlich und für mich überraschend die Höchstwertung zu vergeben.