Uberlegungen Zur Technischen Struktur Und Formentwicklung ...
Uberlegungen Zur Technischen Struktur Und Formentwicklung ...
Uberlegungen Zur Technischen Struktur Und Formentwicklung ...
UND FORMENTWICKLUNG
ARCHAISCHER DACHTERRAKOTTEN
(PLATES 49, 50)
IINES Tondacherbleibt
DER UNGEKLARTENPROBLEMEfruihergriechischer
die Frage nach der Einfuihrungund Erfindung dieser Dachdeckung. Als fruihestes
bekanntesTondach, das stratigraphischdatiert werden kann, gelten die Ziegel des alteren
Apollontempelsvon Korinth, die nach 680 v. Chr. entstanden sein mtissen,1und es gibt
Forscher, die annehmen, dies sei das griechischeTempeldach, fur das die Tonziegeldek-
kung erstmals in Griechenlandangewandt worden sei. In der Folge dieses Daches hatten
sich die bekanntenDachtypen, wie "lakonisches","korinthisches",und "sizilisches"Dach,
erst herausgebildet.2Nun ist aber gerade das Dach des alteren Apollontempelsschon der-
massen kompliziertund diffizil ausgekliigelt,dass mir jedes Verstandnisfur die Annahme,
es k6nntesich hier um einen Prototyphandeln,fehlt.
Die Kompliziertheitder Ziegel von Korinthsetzt Erfahrungvoraus.Und die Beobach-
tung, dass die protokorinthischenNormalziegelnichts anderesdarstellen,als zusammenge-
setzte lakonischeFlach- und Deckziegel lIsst mich nicht daranzweifeln, dass das lakonische
Dach der Erfindungdes protokorinthischenvorausgeht,auch wenn wir noch keine lakoni-
schenZiegel des 8. Jhs. belegenk6nnen.3
Da es keine unumstrittenenDatierungen fur Tondacher des beginnenden 7. Jhs. v.
Chr. gibt, meine ich, dass es sich rechtfertigenlasst, zunachst eine formgeschichtlicheEnt-
wicklungsreiheaufzustellen, die sich streng an formalen Kriterienorientiertund logische
Fortbildungenaufzeigt. Die daraus ableitbarerelative Chronologiekann nur ein vorlau-
figes Hilfsmittel bleiben, bis ein dichteres Gertist stratigraphischgesichert datierbarer
Dachterrakotteneine guiltigeAussageerlaubt.Auch muss einschrankendvorweggenommen
sein, dass sich mein Versuch nur auf die fur mich bessertiberschaubarenordostpeloponne-
sichen und argosaronischeBauhuttenbezieht, auch wenn die kulturelleund technologische
Ausbreitung architektonischerFortschrittezu Beginn des 6. Jhs. geradezu rasant die ge-
samte griechischeSiedlungswelttiberzieht.
Wenn wir davon ausgehen, dass die geneigten Dacher der geometrischenZeit neben
Schilf oder Reet mit Schindeln oder Steinplatten gedeckt waren, so sollten die altesten
I
Da alle hier aufgefuihrtenDacher in anderenVortragenschonbesprochenwurden, sollen sich die Zitate
auf der Verfasser der Beitrage dieser Konferenzbeschranken.Zu Korinth, hier Roebuck (S. 47-63 oben);
zum minimalen Zeitansatz "nach680", Heiden, 1987, S. 20.
2 0. Wikander, 1988, S. 205, und in seinem Beitrag zu dieser Konferenz(S. 285-290 oben).
I ImmerhinkonstatiertR. Felsch (1979, S. 25) "dassschon im fruhen siebtenJahrhundertdie lakonische
Ordnung voll entwickelt war" und bootische Ziegelbrennereieneinen ausgedehnten Export lakonischer
Dacher betrieben(vgl. auch seinen Beitrag zu dieser Konferenz,S. 301-323 oben).
I
Letzte Vorberichtezu Kassope in W. Hoepfner und E.-L. Schwandner,Haus und Stadt im klassischen
Griechenland.Wohnenin der klassischenPolis I, Munchen 1985, S. 75-140; Orraon,ebd., S. 109, Anm. 195.
STRUKTUR UND FORMENTWICKLUNG ARCHAISCHER DACHTERRAKOTTEN 293
151 ,3
AK
FIG.3-.S
I
Dass dieser Uibergangtatsaichlichstattgefundenhat, sehe ich bestatigtin archaischenlakonischenDeck-
ziegeln aus Istria (vgl. Beitrag K. Zimmermann [S. 223-233 oben]) und Samos (vgl. Beitrag A. Ohnesorg
[S. 181-192 oben]), die im Zuschnittweitgehendden Flachziegelnentsprechenund nur geringfiigigschmaler
sind. Der Firnis auf der konvexenOberseiteweist sie aber eindeutigals Deckziegel aus. Dacher der Vorstufe
(wie spaiterin Kassope und Orraon) mussten natiirlichbeidseitiggefirnisstsein.
294 ERNST-LUDWIG SCHWANDNER
_ ._ . , __ _, = _ _-_
in der Folge dieser Ziegeltyp eigentlich nur fur das westliche Griechenland,Unteritalien,
und lonien bestimmendwurde.
In der nordostlichenPeloponnes, genauer gesagt in Korinth, entschied man sich fur
eine andere Losung der Umformung des lakonischenDaches. Hier wurde nicht der Deck-
ziegel, sondernder liegende Ziegel dem Geisonrandangepasstindem man dem lakonischen
Traufziegel an seiner Stirnseiteein horizontalesUnterlager anformte.Ein durchlaufendes
Band der Ziegelstirn mit senkrechtenFugen war die Folge, ein asthetischwie konstruktiv
sauberes Ergebnis mit nur einem ungunstigen Nachteil: die Korrekturim Ziegelversatz
war nicht mehr durchden eine Fuge uberdeckendenDeckziegel moglich (Fig. 5). Das, was
alle zuvor aufgefuhrten Dachdeckungsartennoch gemeinsam als Vorteil zeigten, konnte
nur aufgegeben werden, indem nun die zu deckende Dachflache exakt in Ziegelbahnen
vorberechnetwerden musste. Hierbei war insbesondereauch der Schwund des Ziegels von
der Ausformungbis zum Brand einzukalkulieren,der immerhin zwischen 7 und 10%be-
tragen konnteund somit grosse Erfahrungdes Ziegelherstellerserforderte,wenn seine Zie-
gel fugendichtund exakt die vorgegebeneDachflacheabdeckensollten.9
Mit der Einfuhrung des voll aufliegenden flachen Randziegels mit dichtem Fugen-
schlusswar also festgelegt,dass Fehler der Planung nicht mehr durchgeringereoderweitere
Uberdeckung des Kalypters korrigiertwerden konnten, sondern nur noch durch geringe
Abarbeitung an den Flachziegeln, den Stroteren. Damit war einerseits die Position des
Dachziegels, des Kalypters,unverruckbargeworden,und es war nur eine logische Konse-
quenz, dass wir bei den altesten Dachern dieser Art den Kalyptermit dem Stroternun fest
verbundenvorfinden,und andererseitsmusste sich an den seitlichenStossflachender Trauf-
ziegel die Anathyrosedurchsetzen,um an der einzig nochmoglichenStelle die Korrekturder
Ziegelbreitenzu erleichtern.
Auch wenn der Ziegelschnittdieser fruhen Dacher, fur die sich die treffendeBezeich-
nung "protokorinthischeDacher" eingeburgert hat, mit der Konstruktion lakonischer
Dacher eigentlich nichts mehr gemein hat, ist m.E. ihre Herleitung von lakonischenZie-
geltypen evident. Der Normalziegel dieser Dacher besteht formal eindeutig aus der Ver-
bindung eines normalen lakonischen Stroters mit einem lakonischen Kalypter. In der
Auf- wie Untersicht und im Schnitt liegt der einzige Unterschiedin der festen Verbindung
der ursprtinglichgetrenntenTeile. Und die Schwierigkeitfur die Erfinder,sich von einer
vertrautenForm zu l6sen, zeigt am bestender Zuschnittder Traufziegel:10 wahrendauf der
Unterseiteim Bereichdes Auflagersauf dem Geisonder Ziegel glatt abgestrichenwordenist,
geht im ruckwartigenBereich der Ziegel wieder in die geschwungeneProfilierunglakoni-
scherZiegel uber. Herstellungs- und versatztechnischist dies unsinnigund absolutunn6tig.
Ich kannmir das Phanomennur so erklaren,dass auch die Traufziegelaus dergleichenlako-
nischen Form wie die Normalziegelgestrichen,und dass die Sonderheitender traufseitigen
Stirnmit der Hand nachgeformtwordensind. Hierbei ist es naturlichauchm6glich,dassaus
einer Patrize des Normalziegels eine ummodellierteMatrize gewonnen wurde. Allerdings
bleibt es dann verwunderlich,warum in solch einer abgeandertenMatrize nicht auch die
ruckwartigeZiegelunterseiteexakt geglattetwordenist.
Die entscheidendeNeuerung bliebjedenfalls der geschlosseneTraufabschlussder Zie-
gelreihen, der dem neuen Monumentalitatsanspruchder griechischen Sakralarchitektur
besser entsprach und einen organischen Ubergang vom breiten Geisonband zur Trauf-
ziegelreihe erst herstellt. Es kann deshalb nicht verwundern,dass sich sofort der Gestal-
tungswille dieserneuen Dachrandformannahm.Die nun uberder horizontalenGeisonlinie
seitlich zu Spitzen aufgewolbten Strotere erforderteneine Anpassung der Kalypterstirn,
da die runde, "lakonische"Kalypterformnicht mit dem geschlossenen Band der Stro-
terstirnflachenzu vereinbaren waren (Fig. 5). Die Angleichung erfolgte zunachst wie-
derum nur am Traufende der Kalyptere, wahrend die optisch nicht erfassbarenhinteren
F
p.
FI.6 kzezu poooithshnDc"vo yu shi
10 Heiden (1987, S. 18-19 mit Anm. 45) m6chteallenfalls eine 'entfernte Ahnlichkeit"in der Kriimmung
der Ziegel von Korinthmit lakonischenZiegeln gelten lassen. Dass hier sehr wohl eine "Mischform"vorliegt,
hatt ihm deutlichwerden miissen, da die Unterseite des Hegemon eben nicht wie behauptet"anseiner Unter-
seite vollig plan gearbeitist."
STRUKTUR UND FORMENTWICKLUNG ARCHAISCHER DACHTERRAKOTTEN 297
.~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
.~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
~~~~~~~~~~~~~~~~~"
/
v to _ vC c
1979,"Hesperia 49, 1980 (S. 178-205), S. 185-187; ders., "Excavationsat Nemea, 1980,"Hesperia 50, 1981
(S. 45-67), S. 52. Kalapodi:Beitrag G. Hubner (S. 167-174 oben).
16Auf die unzutreffendeBezeichnung"antefixespentagonales"fur diese Ziegel (Le Roy, 1967, S. 32-37)
habe ich schon fruiherhingewiesen (Schwandner, 1985, S. 128 mit Anm. 245). Da M.-F. Billot in ihrem
Beitrag hier (S. 95-139 oben) nun auch deutlich zwischen hexagonalen und pentagonalenAntefixen unter-
scheidet und eine ganz ahnliche Entwicklungsliniesieht, sollen Belege und Argumentehier nicht nochmals
aufgefuihrtwerden.
300 ERNST-LUDWIG SCHWANDNER
ERNST-LUDWIG SCHWANDNER
DEUTSCHESARCHAOLOGISCHES
INSTITUT
Podbielskiallee69-71
D-1000 Berlin 33
Federal Republic of Germany
PLATE 49
f,'.
E Kassope,Haus 1: lakonischerZiegel-
~~~~~~~~~~~~~~b.
Deckziegel
PLATE 50
Kso Hu