Filmkritiken

Rico, Oskar und die Tieferschatten (2014)

Rico ist ein tiefbegabtes Kind – so nennt er sich selbst, weil er sich nicht immer alles so gut merken kann und in seinem Kopf die Gedanken manchmal wie Bingokugeln hin- und herrollen. Aufgeweckt und selbstbewusst ist er glücklicherweise dennoch, trotzdem ist es ein wunderbarer Zufall, der ihn mit Oskar zusammenführt – denn Oskar ist weniger mutig als Rico, dafür aber hochbegabt und kann unter anderem die ersten hundertzehn Primzahlen auswendig aufsagen.

kifife_logo_2014_posEs sind also zwei klassisch gegensätzliche Kinder, die in Andreas Steinhöfels Kinderbuch Rico, Oskar und die Tieferschatten (amazon) aufeinander stoßen – und, wie sich später herausstellt, dies gar nicht so zufällig tun, wie Rico ursprünglich denkt. Aber da ist aus der Geschichte einer seltsamen Freundschaft, erzählt aus den Tagebuchaufzeichnungen Ricos, schon längst zu einer Art Berlinroman für Kinder und einer handfesten Kriminalgeschichte geworden.

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Steinhöfel wurde für Rico, Oskar und die Tieferschatten zurecht mit Preisen überschüttet – das Buch ist witzig, einfühlsam, spannend und authentisch. Nicht zuletzt scheint immer wieder durch, dass der Autor selbst zwanzig Jahre lang in der Kreuzberger Dieffenbachstraße gelebt hat, in der auch Rico sein zuhause hat. Und natürlich bedeutet das, dass auch über eine Verfilmung nachgedacht wurde (andere Bücher von Steinhöfel wie Es ist ein Elch entsprungen hat dieses Schicksal bereits ereilt). Im Fall von Rico, Oskar und die Tieferschatten ist daraus ein seltener Glücksfall geworden, der bislang beste deutsche Kinderfilm des Jahres.

Unter der Hand von Regisseurin Neele Leana Vollmar und mit einem Drehbuch von Andreas Bradler, Klaus Döring und Christian Lerch bleibt der Film seiner Quelle so treu wie nur irgend denkbar und ist doch, so ein Glück, ganz eigenständig und orientiert sich ganz an dem, was filmisch möglich und sinnvoll ist. So wird die Innenperspektive von Rico zwar weitgehend aufgegeben, aber Vollmar findet andere Wege, um ihrem Protagonisten in Geist und Herz zu blicken, und ganz nebenbei wird der Aspekt der kindlichen Freiheit und Selbstermächtigung deutlich verstärkt.

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Auch rückt die Beziehung der beiden Hauptfiguren zu ihren (jeweils alleinerziehenden) Eltern etwas stärker in den Fokus; auch wenn Karoline Herfurth als Ricos Mutter wirklich nur eine Nebenrolle spielt, macht der Film doch sehr elegant deutlich, welche große Rolle beide füreinander spielen. Und ganz nebenbei zeigt der Film dabei ein Mutterbild – „bildungsfern“, wie man so gemein heute gerne sagt, beruflich als Angestellte eines Nachtclubs eher fragwürdig beschäftigt, aber wirklich voll mit Liebe und Sorge –, wie man es überhaupt viel zu selten sieht. (Oskars Vater hingegen ist primär abwesend und desinteressiert, was für die Handlung später wichtig wird.)

Im Hintergrund von Film und Buch schwingt außerdem das Thema mit, wie wenig Bewegungsfreiraum „behütete“ Kinder heutzutage eigentlich haben – und die Sorgen der Eltern werden in der Figur des „Schnäppchenentführers“ personifiziert, der Kinder von der Straße aufliest und für 2000 Euro wieder freilässt. Aber am Ende kann nicht die Lehre stehen, seine Kinder nicht mehr auf die Straße zu lassen – im Gegenteil, Rico und Oskar erkämpfen sich ja selbstbewusst ihre eigene Freiheit – sondern das große Lob der Freundschaft.

Aus dem Film ist dabei aber kein sentimentales Rührstück geworden. Die beiden Hauptdarsteller Anton Petzold (Rico) und Juri Winkler (Oskar) füllen ihre Rollen ganz wunderbar aus, und Regisseurin Vollmar gibt dem Film einen Rhythmus mit präzise platzierten Spannungsmomenten, viel Komik und Sympathie für praktisch alle Figuren – auch die Erwachsenen sind hier keine tumben Tore.

Es lässt sich also verkünden: Hier wurde ein scheues, seltenes Reh gesichtet: ein rundum gelungener deutscher Kinderfilm. Rennet hin in Scharen!

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Rico, Oskar und die Tieferschatten, Deutschland 2014. Regie: Neele Leana Vollmar, 96 Min. Kinostart: 10. Juli 2014. FSK 0. (Empfehlung: ab 8 Jahren)

(Fotos: 20th Century Fox)

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