Dieser Beitrag gehört zu meiner Berichterstattung von der Kinder- und Jugendfilmsektion Generation der Berlinale 2024. Alle Berichte von diesem Festival gibt es hier im Blog unter dem Tag #berlinale.
Hoch oben in den Anden kümmert sich Feliciano vor allem um die Alpakas seiner Familie. Sein eigenes Tier hat er Ronaldo getauft, beim Scheren sorgt er dafür, dass Ronaldo eine Frisur verpasst bekommt wie sein Idol Christian Cueva, der peruanische Fußball-Nationalspieler. Es ist der Herbst des Jahres 2017, Peru hat gute Chancen, zum ersten Mal seit 1982 wieder zur Weltmeisterschaft zu fahren, und das ist für den Achtjährigen gerade das Wichtigste. Er erzählt Ronaldo davon, wenn er mit dem Hütehund Rambo und den Alpakas unterwegs ist.
Eine vage Ahnung von Bedrohung liegt auf dem ganzen Leben. Feliciano (vom jungen Alberth Merma wunderbar verhalten emotional gespielt) stößt auf rote Fußspuren eines Wesens mit zotteligem Fell und großen Hörnern, das er aber nie zu Gesicht bekommt. Er darf nicht zu den Minen, über die die Eltern so viel sprechen, und auch nicht an den See, der durch den Bergbau vergiftet worden ist.
Die Erwachsenen diskutieren viel (es wird Quechua gesprochen und Spanisch), sie sollen ihr Land verkaufen und bekämen dann viel Geld; aber sie beschweren sich über die Umweltverschmutzung, sie wollen nicht fort und auch keine Reichtümer, aber ein wenig Geld wäre schon gut, damit ihre Kinder zur Schule gehen könnten.
Raíz, auf Deutsch Durch Felsen und Wolken, wirkt durch seine Themen und seine Protagonist_innen, auch seine ruhigen Landschaftsbilder und weiten Blicke zunächst sehr verwandt mit Die Adern der Welt, der in einer ganz anderen Region der Welt spielt – und in der Tat lassen sich quer über den Globus so Verknüpfungen von Ausbeutung, Umweltverschmutzung und Macht herstellen.
Der Zugriff von Regisseur Franco García Becerra auf seine Geschichte ist dann doch ein ganz anderer. Er bleibt viel dichter an seiner jungen Hauptfigur, ein fast einsames Kind, wäre er nicht stets mit Ronaldo und Rambo zusammen, würden seine Eltern ihn nicht so liebevoll behüten und auch ohne große Gesten noch abschirmen von den politischen Verwerfungen um ihn herum.
Das ist eine Perspektive, die sich wahrscheinlich vor allem dem erwachsenen Publikum auftun wird: Wie hier ganz beiläufig das Kind auch Kind sein darf, so sehr seine Kindheit auch eine ist, in der er sich selbstverständlich um die Tiere kümmert und ganze Tage allein unterwegs zu sein scheint. Feliciano darf sich ganz in seine Gedanken und Träume zum Fußball verlieren, hören ihm zu; selbstverständlich bekommt er für die Qualifikationsspiele das Radio, und selbstverständlich erzählen sie von dem, woran sie sich von der WM 1982 noch erinnern können.
Es treffen den Jungen die Ereignisse dann aber doch: Am Tag des vorletzten Qualifikationsspiels gegen Kolumbien – die meisten Dorfbewohner sind in den Nachbarort gelaufen, um dort die Übertragung des Spiels zu verfolgen – schneiden maskierte Männer auf Motorrädern mehreren Alpakas die Kehlen durch. Ronaldo ist nicht dabei, ist aber mit anderen Alpakas zusammen verschwunden.
Während die Erwachsenen eine Straße blockieren, macht Feliciano sich auf die Suche nach seinen Tieren. Ob das große Monster ihm helfen kann?
Für die Größe des Themas und die Weite der Welt ist das ein sehr ruhiger und sehr kleiner Film. Nur in seinem Abspann erhebt er vorsichtig den Anspruch auf weitreichendere Bedeutung: Wenn zur Kommentatorenstimmung über die Nationalmannschaft die Menschen aus Felicianos Dorf ganz ruhig frontal in die Kamera blicken. Das ist zumindest für die Eltern im Publikum ein deutlicher Hinweis: Schaut nicht auf unsere Mannschaft im Stadion, schaut auf die Menschen in den Dörfern, auf dem Land.
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Durch Felsen und Wolken (Raíz/Through Rocks and Clouds). Peru/Chile 2024. Regie: Franco García Becerra, 83 Min. Noch ohne FSK, empfohlen ab 7 Jahren. Läuft auf der Berlinale.
(Fotos: Johan Carrasco)