Peter Pan und seine Wunschmutter Wendy Moira Angela Darling muss man eigentlich ja nicht mehr vorstellen; seit J.M. Barrie Anfang des 20. Jahrhunderts die beiden zunächst fürs Theater und dann auch als Geschichte in die Welt und vor allem nach Neverland (Nimmerland im Deutschen) geschickt hat, haben sie auch noch eine ziemliche Reise um die Welt gemacht.
Außerhalb des angelsächsischen Sprachraums dürfte dazu wesentlich auch die Disney-Animationverfilmung aus dem Jahr 1953 beigetragen haben, auch wenn ich gestehen muss, zuallererst über Hook mit Pan in Berührung gekommen zu sein, ein glorioses Wrack von einem Film, zugleich herzerwärmend und bis zur Erbarmungswürdigkeit peinlich. (Je nachdem, wen man wann dazu befragt.)
Neuinterpretation nach 70 Jahren
Peter Pan & Wendy, die neueste Verfilmung, wurde von Disney direkt für den Streaming-Dienst Disney+ geplant, aber mit reichlich Budget in die Hände von David Lowery gelegt, der auch die Realverfilmung von Elliot, das Schmunzelmonster, also Elliot, der Drache gemacht hatte.
Glücklicherweise hat Disney sich dagegen entschieden, ein Shot-by-Shot-Live-Action-Remake des Animationsfilms zu machen – ein Streifen, in dem wesentliche Teile der Handlung auf der Reproduktion rassistischer Stereotype von amerikanischen Ureinwohner_innen beruht. Vom Frauenbild zu schweigen.
Nein, Lowery und sein Mitautor Toby Halbrooks erzählen die Geschichte noch einmal ganz anders. Es beginnt recht ähnlich: Tinkerbell und Peter Pan stehen bzw. schweben eines Abends im Zimmer von Wendy und ihren Brüdern – einerseits um Peters Schatten zurückzuholen, andererseits um die drei Kinder mitzunehmen. Mit etwas Feenstaub und frohen Gedanken geht es ohne großes Federlesen in Richtung des zweiten Sterns rechts und immer geradeaus bis zum Morgen…
Neverland als fortwährender Kampf
In Neverland werden sie alsbald von Hook und seinen Piraten gesichtet, beschossen und gefangengenommen; nur durch die „Lost Boys“ und Tiger Lily können sie gerettet werden, das tickende Krokodil spielt auch noch eine Rolle. Aber zur Ruhe kommt die Handlung dann auch nicht so recht, denn Hook kennt das Versteck der Lost Boys nur zu gut, so kommt es gleich zum nächsten Kampf.
Es wird viel gekämpft und gefochten in diesem Film, vor großartiger Natur (gedreht wurde auf Neufundland). Das führt zuweilen zu großen Tableaus, an Szenen wie aus großen Schlachtengmälden – fast fühlt man sich an Momente aus Avengers: Endgame erinnert.
Will heißen: Diese Bilder sind eigentlich die Formen eines viel größeren Films (und gehören eigentlich auf eine entsprechend große Leinwand), dafür lernen wir Neverland nie wirklich kennen, alles geht immer viel zu schnell, zum Spielen bleibt gar keine Zeit, und darum geht es hier doch, oder nicht?
Eher nicht. Peter Pan & Wendy betont das Repetitive der Kindheitsspiele, kann die ewige Kindheit auf dieser Insel nicht in ihrer schmerzhaften Ambivalenz verstehen, sondern nur als unendliches Drama einer zerbrochenen Freundschaft, als Ausweglosigkeit. Das läuft dann fast schon zwangsläufig auf die Botschaft hinaus, die schon im Trailer ausgespielt wird und nur in den letzten Momenten des Films ein wenig unterspült wird: „Growing Up might be the greatest adventure of them all!“
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Weitere InformationenHook und Peter sind beide gefangen in dieser Geschichte, sich ewig wiederholend; daraus will der Film sie befreien, das funktioniert nur ein Stück weit, per Rückgriff auf ihre Vorgeschichte. Die Origin-Story als Erlösung – aber was bleibt dann von der eigentlichen Geschichte?
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Der große Gestus, die vielen Actionsequenzen – zwischendurch erahnt man in den Set Pieces schon die Konzeption für einen zukünftigen Theme-Park-Ride, hie und da ahnt man auch freundliche Bezüge auf Pirates of the Caribbean, man weiß gar nicht: den Film oder die Disneyland-Attraktion?
Reichlich Diversity an der Oberfläche
Bei der Korrektur der rassistischen Stereotype hat Lowery entschlossen gegengesteuert und ist dann doch halbherzig abgebogen: Statt tumber Karikaturen entsprechen Tiger Lily (Alyssa Wapanatâhk) und ihr Stamm nun dem nicht weniger platten Topos der weisen und mutigen Ureinwohner – und bis auf Tiger Lily selbst treten sie praktisch überhaupt nicht in Erscheinung.
Diese Entwicklung setzt sich bei den Lost Boys fort: ein diverer Cast wie aus dem Bilderbuch. Die Lost Boys sind schwarz, weiß, von asiatischer Herkuft und – oh Schreck! – gar nicht alle Jungs. (Das Gleiche gilt übrigens auch für Hooks Pirat_innenschar.) Auch ein Kind mit Down-Syndrom ist dabei. Peter Pan selbst ist nicht mehr blond, Tinkerbell so schwarz, wie es in vier Wochen auch Arielle sein wird, die Rassist_innen kriechen jetzt schon überall aus den Ritzen, um sich für den Kinostart aufzuwärmen.
Aber in Peter Pan & Wendy sind diese Figuren bis auf Peter alle nur Randfiguren, die vielleicht mal ein, zwei Zeilen sprechen, aber sonst nicht viel beitragen dürfen.
Dabei ist der Film rundum gut bis herausragend besetzt; Jude Law schmeißt sich mit Verve und Widerhaken in seine Rolle als Hook, Ever Anderson (Tochter von Milla Jovovich und Paul W.S. Anderson) ist eine wunderbare Wendy – aber alle anderen haben Mühe, vom Drehbuch nicht gegen die Wand gespielt zu werden; auch Wapanatâhk bekommt schauspielerisch wenig mehr zu tun als würdevoll zu gucken.
Keine Leichtigkeit, nirgends
Mit sehr großem Gestus wird nicht sehr viel erzählt; die Magie der Kindheit, der Abenteuer, wird ins Gekloppe des Actionkinos übertragen, das nur in wenigen Momenten die Eleganz des Mantel-und-Degen-Films aufleben lässt, obgleich das genau das Genre wäre, in dem hier davon erzählt werden könnte, müsste: Leichtfüßig, ein wenig unernst, stets elegant. Ein Hauch, eine Ahnung nur davon wird sicher, als der reparierte Teddy von Wendys jüngerem Bruder am rechten Arm eine Gabel bekommt, wie Hook seinen Haken… was könnte der Film schaffen, wäre er etwas verspielter.
Stattdessen ist alles düster, sind selbst schon Kindheitskonflikte ganz und gar ernst; keine Leichtigkeit, nirgends. Da hilft auch kein Feenstaub.
Das Abenteuer Erwachsenwerden, von dem dieser Film spricht, das er wie eine Erlösung von der Qual ewiger Kindheit anbietet, erzählt er nur in einem kurzen Moment – als Vision Wendys über ihr zukünftiges Leben und damit als Vorausahnung über das Leben der privilegierten Wenigen.
Genau dadurch aber wird das Diversitätsversprechen, das der Film in seiner Besetzung gibt, als reines Oberflächenphänomen sichtbar: All die so in vielfacher Hinsicht „Anderen“ sind nur Staffage in der vielleicht für Wendy abenteuerlich anmutenden Zukunft dieser privilegierten weißen Kinder aus der Darling-Familie.
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Peter Pan & Wendy. USA 2023. Regie: David Lowery, 106 Min. FSK 6, empfohlen ab 12 Jahren. Streamingstart auf Disney+: 28. April 2023.
(Fotos: Disney)