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Schlummerland (2022)

„Wenn du in deinem Traum stirbst, wachst du einfach auf. Aber wenn du im Traum von jemand anderem stirbst, wachst du nie mehr auf!“ Wen diese Warnung nicht an Inception erinnert, der hat Christopher Nolans architekturfaltendes Großkino-Ereignis nie gesehen (und sollte dies, bei allen narrativen Schwächen des Films, allein wegen des visuellen Abenteuers einmal nachholen). So viel sei gesagt: Schlummerland borgt sich eine ganze Menge aus jenem Dream-Heist-Movie, nicht zuletzt den Umstand, dass in der Traumwelt so wahnsinnig viele Regeln zu gelten scheinen, die man nicht missachten darf.

Denn sonst kommt die Polizeibehörde, die einen sehr bürokratischen Namen und ein albernes Akronym hat, und sperrt dich in Zellen, bis du vergisst, wer du bist und wo du herkommst. Agent Green zum Beispiel ist schon seit Ewigkeiten hinter dem riesenhaften Abenteurer und Outlaw Flip hinterher, der ihr zusammen mit seinem Partner vor Ewigkeiten eine genaue Karte von Schlummerland mit allen Geheimgängen und Geheimnissen gestohlen hat.

Und auch wenn dieser Flip in der körperlichen Gestalt von Jason „Aquaman“ Momoa (diesmal mit etwas Bäuchlein) auftritt, samt Hörnern, spitzen Eckzähnen und scharfen Fingernägeln: Diese ganze Behörde erinnert dann doch wiederum sehr an Loki, die Marvel-Serie, deren Handlung größtenteils in den Büros eines irgendwie das Universum im Griff haltenden Bureaus of something or other spielt.

Francis Lawrence hat mit Schlummerland ein großes popkulturelles Potpourri gemacht, da steckt alles drin: Nils Holgerssons Wildgänse, das berühmte Foto von jenem Leuchtturmwärter, der in dem Moment vor seine Tür tritt, als eine riesige Welle seinen Turm trifft und vieles mehr. Es knallt stellenweise sehr bunt (wirklich wunderbar: ein Ballsaal voller Tanzpaare, die nur aus Schmetterlingen bestehen) und zwischendurch sehr künstlich, aber während all diese Überforderung aller Sinne anfangs und oberflächlich sich noch sehr nach Traumlogik anfühlt, wird es dann immer mehr zu einem klar strukturierten Bilderlabyrinth mit festen Regeln, dass die Traumlogik doch sehr zugunsten eines geordneten narrativen Vorgehens aufgibt, in dem sich Träume ständig wiederholen.

Nicht unbedingt zu seinem Besten. Von der ursprünglichen Vorlage, den „Little Nemo in Slumberland“-Comicstrips von Winsor McCay, bleiben vor allem noch ein paar Motive übrig (das Bett mit den sehr langen Beinen!), auch dies mehr Pop-Referenz als konsistentes Motiv. Die Traumwelt ist – erst gibt es ein paar unbeholfene Anspielungen auf Konzepte der psychoanalytischen Traumdeutung, dann wird das hübsch durchbeschrieben – vor allem als Wunscherfüllung, Verdrängung, Verschiebung denkbar ist.

Es gibt eine Verfilmung des Comics aus dem Jahr 1989 von Masami Hata und William Hurtz (Little Nemo – Abenteuer im Schlummerlandhier legal auf YouTube anzuschauen), in der die Verwerfungen noch wilder sind, erratischer, chaotischer. Bei Lawrence hingegen wird früher oder später alles geordnet, ist die Geschichte um das kleine Mädchen Nemo letztlich vor allem eine Geschichte ihres Onkels, der wieder zu sich selbst finden muss, indem er – klar doch – zu seinen kindlichen Träumen zurückfindet.

Dieser Onkel Philip (Chris O’Dowd, angenehm zerknittert) nimmt die 11-jährige Nemo bei sich auf, nachdem ihr Vater während eines Sturms auf See umgekommen ist. Vom einsamen, runden Leuchtturm mit Homeschooling in die einsame Junggesellenwohnung voller rechter Winkel, in die nicht anders aufgebaute moderne Schule. Die Außenwelt der Stadt ist sehr symmetrisch auf Zentralperspektive gefilmt und wirkt dadurch hyperreal, also eigentlich irreal, jedenfalls künstlich, konstruiert in einem sehr menschenunfreundlichen Sinne

Das Organische findet sich dann eher in den Traumwelten wieder, der Wille nach Abenteuer und Aufbruch. Beziehungsweise für Nemo vor allem: die Rückkehr zu ihrem Vater, zum Bewährten, Bekannten. Es wäre schön, wenn der Film diese Ambivalenz nicht unter einem tosenden Action-Adventure begraben würde.

(Für die Kinderfilmwelt habe ich meine Gedanken zum Film sehr kurz und eher für das kindliche Zielpublikum zusammengefasst.)

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Mehr Informationen

Schlummerland (Slumberland). USA 2022. Regie: Francis Lawrence, 117 Min. Freigegeben ab 6, empfohlen ab 11 Jahren. Streaming-Start: 18. November 2022.

(Fotos: Netflix)

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