Diese Filmkritik gehört zu meiner Berichterstattung vom LUCAS Kinderfilmfestival 2021 in Frankfurt a.M. Alle Filmbesprechungen und sonstigen Berichte von diesem Festival gibt es hier im Blog unter dem Tag #lucas.
Eine solche Szene sieht man selten, ein so zärtliches, aufmerksames Wecken am Morgen, mit vorsichtigen Berührungen und liebevollen Worten. Die Familie des 13-jährigen Ramin wartet irgendwo in Finnland auf die Anerkennung ihres Asylantrages, vielleicht auch auf die Abschiebung. Sie wohnen in einem Heim, die Kinder, Ramin und seine kleine Schwester Donya, gehen normal in die Schule, sprechen schon Finnisch, sie sind auch nicht die einzigen.
Ensilumi erzählt ganz unaufgeregt von diesem Leben, rückt den Aufenthaltsstatus nicht einmal ins Zentrum seines Films, dieses bürokratische Monstrum nimmt sich allerdings Bedeutung im Lauf des Films. Vorerst aber freundet er sich mit Jigi an, mit ihm macht er Quatsch, tritt nachts Straßenlaternen aus. Ein Freund, der sich nicht wirklich für alle Regeln interessiert, geschriebene und ungeschriebene, der seiner Fantasie freien Lauf lässt.
„Wie spreche ich ein Mädchen an?“, fragt er seinen Vater, als er sich in Marianna verliebt hat. „Du musst nichts sagen, schau ihr einfach in die Augen und lächle. Das ist das Geheimnis.“ So einfach wäre es eigentlich nicht, aber ist es dann vielleicht doch. In seinem großen Kulminationspunkt passiert dieses Lächeln, wären auf einmal Möglichkeiten da, und werden sie zugleich brutal gekappt.
Da ist der Aufenthalt, der Asylantrag schon längst zum Thema geworden; und Regisseur Hamy Ramezan, selbst als Kind aus dem Iran geflohen und in Finnland untergekommen, gelingt es, unterschwellig und zugleich emotional überdeutlich einzuführen, was es für ein Kind wie Ramin bedeutet, wenn auf einmal ein Polizeiwagen vor der Schule hält. Ramezan braucht dafür nur wenige Blicke und eine Ahnung von Angst.
Und genau dieses Gefühl durchzieht dann die ganze Familie, bringt Sorgen und Zweifel hinein; zugleich bleibt sie die liebevolle Gemeinschaft, eine beglückend innige Sicherheit in diesem ganzen Durcheinander: Was die Schule an Stabilität nicht garantieren kann, die Familie wird es zu tragen versuchen – wenn der Vater verzweifelt (oder feiert), hält Mahtab, Ramins Mutter, ihre Kinder umso sicherer fest.
Das Ende ist offen und nicht unbedingt hoffnungsvoll; aber selbst in diesem Moment bewundern Eltern und Kinder noch das für sie große Wunder des ersten Schnees. Es gäbe, es gibt doch noch eine Welt voller Möglichkeiten, und darin leben Menschen mit so viel Liebe und Wärme.
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Erster Schnee (Ensilumi/Any Day Now). Finnland 2020. Regie: Hamy Ramezan, 82 Minuten. Bisher ohne FSK-Einstufung, empfohlen ab 9 Jahren.
(Foto: New Europe Film Sales/DFF/Aamu Film Company, Sami Kuokkanen)