Auch in diesem Jahr bespreche ich im Oktober jeden Mittwoch bis Halloween einen Gruselfilm für Kinder – weitere Vorschläge werden gerne angenommen! #horrorctober
Die verschiedenen Streaming-Dienste scheinen sich darauf einzustellen, in jedem Jahr zu Halloween und Weihnachten (gewissermaßen die Großen Amerikanischen Feiertage) jeweils neue Eigenproduktionen („Originals“) auch für ein jüngeres Publikum zu produzieren. Netflix hat vor einem Jahr im Oktober mit A Babysitter’s Guide To Monster Hunting vorgelegt, in diesem Jahr brachte Disney+ mit Muppet Haunted Mansion ein schlecht kaschiertes reines Franchise-Mashup ohne besonderen Mehrwert heraus, und Netflix zeigt also mit Nightbooks eine Buchverfilmung, in der das Erzählen von Gruselgeschichten die Grundlage für allen weiteren Schrecken ist.
Alex schreibt seine eigenen Horrorgeschichten, liebt Gruselfilme und -comics und all diese Dinge. Als zu seiner Geburtstagsfeier niemand kommt, machen sich seine Eltern Gedanken, ob er es vielleicht damit übertreibe – und aus lauter Frust beschließt er, all seine Poster und vor allem seine selbst geschriebenen Geschichten im großen Heizofen im Keller ihres Appartmenthauses zu verbrennen. Bevor er es aber dorthin schafft, zieht in die Neugier in eine andere Wohnung im Haus, in der ein Horrorfilm läuft und Kürbiskuchen auf dem Tisch steht…
Komm in mein Hexenhäuschen
Ein Bissen vom Kuchen, und er fällt in tiefen Schlaf: Es sind natürlich Märchen der ursprünglichen, düsteren Art, die damit aufgerufen werden, an Hänsel und Gretel muss man denken und an Blaubart, nur dass statt eines Zimmers mit abgeschlagenen Köpfen in einer Glasvitrine als starre Puppenfiguren die Kinder zu sehen sind, die dieser Hexe schon in die Falle gelaufen sind und sie irgendwann langweilten.
Denn Langeweile darf nicht sein: Natasha verlangt an jedem Abend eine Gruselgeschichte von ihrem neuesten Fang – tagsüber soll er schreiben, abends vorlesen. Ansonsten, weiß Yasmin, die schon länger gefangen ist und sich um Küche und Garten kümmert, drohe ihm schlimmeres als der Tod.
Nicht jedes Kind verträgt Horror- oder Gruselfilme wirklich gut. Ich empfehle dringend: Film vorher selbst anschauen, aufs eigene Kind gucken und überlegen: Hält es das aus? Vielleicht besser im Hellen schauen als im Dunkeln? Lieber doch mit etwas ganz und gar Harmlosem einsteigen?
Tausend und eine Nacht mit herzlichen Grüßen von R.L. Stine und seinen Gruselgeschichten lassen herzlich grüßen. Nightbooks nach dem gleichnamigen Buch von J.A. White (Bestellen bei amazon.de) wirft die verschiedensten Themen recht passgenau zusammen. Sehr schnell wird auch deutlich, dass die Wohnung, in der Max und „Yas“ (sehr überzeugend, wenn auch gelegentlich etwas zu sehr mit aufgerissenen Augen, gespielt von Winslow Fegley in seiner zweiten Hauptrolle nach Timmy Flop: Versagen auf ganzer Linie und Lidya Jewett) gefangen sind, ein Eigenleben hat und offenbar nicht ganz unter Natashas Kontrolle steht.
Mit Krysten „Jessica Jones“ Ritter ist die Rolle der Hexe sehr passend und modern besetzt; und es ist entscheidend, dass in dem eng begrenzten Raum die drei Figuren zusammenpassen. Das gelingt grundsätzlich – Ritter ist schön böse und bedrohlich, die Kinder angemessen verzweifelt. Darin liegt zugleich das Problem dieses Films begraben, der so gerne ein kindertauglicher Horrorfilm wäre, dafür aber dann doch auf zweierlei Ebenen zu bedrohlich ist: Auf der unterschwelligen, psychologischen Ebene, zu der die Hänsel-und-Gretel-Verführung durch Film und Kuchen gehört (die später noch durch ein anderes Hexenhaus verstärkt wird) und auf einer visuellen Ebene, in der manche Schrecken nur allzu visuell nachdrücklich gezeigt werden. Dies ist kein Film für Kinder, und auch ab 12 Jahren nur für robuste, angstfreie Kinder geeignet.
Mehr vom Erzählen erzählen
Da verschwindet auch schnell die Meta-Ebene des Films, in der das Erzählen von gruseligen Geschichten als tragendes Element fungiert, zumal der Film damit nichts weiter anzufangen weiß als sie als vorantreibendes Handlungselement zu nutzen. Dabei sind die Geschichten, die Max vorliest, schön als gemischte Papier- und Menschenanimationen inszeniert, gruselig nah und zugleich ästhetisch distanziert.
Und schließlich gilt auch für Nightbooks das Gleiche wie für viele Streaming-Produktionen: Eine straffende Hand hätte dem Film gut getan, die 100 Minuten wirken am Ende gerade so viel zu lang, dass sogar repetitiv wirkt, was eigentlich neu sein könnte. Der Showdown wirkt zwar ein wenig herbeikonstruiert, ist aber für die Geschichte befriedigend – und visuell wieder so nachdrücklich, das noch einmal deutlich wird: In dieses Hexenhaus sollte man keine Kinder schicken.
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Nightbooks. USA 2021. Regie: David Yarovesky, 100 Minuten. Ohne FSK-Freigabe, empfohlen ab 14 Jahren. Streaming-Start: 15. September 2021. Den Film gibt es aktuell exklusiv bei Netflix im Streaming.
(Fotos: Christos Kalohoridis/Netflix)