Klimawandel und Umweltverschmutzung sind derzeit das, was Marketingmenschen (wie ich) in professionellem Rahmen einen „Megatrend“ nennen, will heißen: Sie sind als Themen ubiquitär, überall zu finden. Dass sie in Zeiten von #fridaysforfuture auch im Kino auftauchen (wie gerade z.B. auch in Die Olchis – Willkommen in Schmuddelfing), ob’s passt oder nicht, kann nicht verwundern.
Regisseur, Autor und Produzent Peter Popp kann für Shorty und das Geheimnis des Zauberriffs jedenfalls glaubwürdig belegen, dass er da nicht nur auf einen Trend aufgesprungen ist; sein Film basiert im Kern auf seiner eigenen Produktion Kaluoka’hina – Das Zauberriff aus dem Jahr 2004, die allerdings kein Kinofilm war, sondern, wie im Presseheft nachzulesen ist, für „Fulldome-Theater, dem Kinoerlebnis im Kuppelformat mit 360-Grad-Projektion“, produziert wurde.
Gezeigt wurde Kaluoka’hina, ähnlich wie Popps Das Geheimnis der Bäume von 2014, wohl vor allem in Museen und ähnlichen Bildungseinrichtungen. Shorty und das Geheimnis des Zauberriffs – für den Film gibt es alternativ ebenfalls eine „Fulldome“-Version – sollte nun aber auch ins Kino, schlug dort jedoch, pardon, kaum Wellen.
Einmal mit dem Schleppnetz durchs Korallenriff
Die Hauptfiguren sind der orange Riffbarsch Shorty, seine Schwester Indigo (blau) und sein bester Kumpel Jake, ein Sägefisch. So weit, so (vage) an der echten Tierwelt in einem Korallenriff orientiert. Shortys Riff wird allerdings, direkt nach einem (Fuß-? Flossen-?)Ballspiel – ein kleiner Kugelfisch muss gegen seinen erklärten Willen als Ball herhalten – durch ein Schleppnetz zerstört, nachdem Indigo vorher schon erzählt hat, dass die steigenden Wassertemperaturen und die Verschmutzung den Korallen schaden.
Und Jake, antwortet Shorty, sei ja immer noch so dumm, dass er glaube, Korallen seien Blumen und nicht genau die Tiere, die das Riff erst erbaut hätten…
Der Belehrungstrieb ist also stark in diesem Film, aber so richtig viel hat er dann leider nicht mitzuteilen. Es gibt ein paar schöne Bilder von der Schönheit der Ozeane, denen man natürlich, weil alles am Computer entstand, über den Weg trauen kann oder nicht, es gibt ein Fischernetz, in dem sich Indigo kurzzeitig verfangen wird, und allüberall liegt Müll herum: Autoreifen, Frachtcontainer, Konservendosen, Gummienten. Im Tangwald ist alles von Öl verklebt.
Es ist nicht so, dass das falsch oder unwichtig wäre, im Gegenteil. Gerade wurde berichtet, dass 2050 die Masse des Mülls in den Meeren wohl die Gesamtmasse der Fische übersteigen werde.
Aber dieser Film ist so langweilig und uninspiriert, man möchte schreiend davor weglaufen. Die drei Fische suchen ein neues Zuhause und flossen dabei von einem praktisch unverbundenen Mini-Abenteuer ins Nächste, das ist mehr Schnitzeljagd als Spannungsbogen. Zwischendurch wird immer wieder (zurecht) betont, dass die Menschen an allem Schuld sind. „Es gibt keinen Ort mehr ohne Menschen,“ stellen sie fest, begeben sich aber eben doch auf die Suche nach dem im Titel genannten Zauberriff, in dem alles besser sein soll.
Ein Film über Fische im Klimawandel müsste ein Horrorfilm sein
Das ist dann eben die große Unaufrichtigkeit, die Shorty und das Geheimnis des Zauberriffs so schwierig macht: Ein Film über Klimawandel und Umweltverschmutzung in den Meeren, der Fische als Protagonist_innen auswählt, kann eigentlich nur ein Horrorfilm, eine apokalyptisch hoffnungslose Erzählung von Tod und Krankheit sein. Einer dramatisch die Verantwortung der Menschen beschwörenden Ansprache am Schluss zum Trotz: Die narrative Stoßrichtung dieses Films ist reine Weltflucht, im Wortsinn: Am Ende fliehen die Fische – weil’s ein Kinderfilm ist, muss ja ein Happy End her – in das erwähnte Zauberriff, das aus unerfindlichen Gründen von den Entwicklungen da draußen unberührt ist.
Dabei wäre die Erzählung von Klimawandel und Umweltverschmutzung ja genau die, die der Film zugleich behauptet: Dass wir alle miteinander vernetzt sind, und dass es eben keinen Fluchtort gibt, keine Hoffnung außerhalb der Welt, die wir vor uns selbst schützen müssen. Kein Paradies, nirgends, nicht für uns, nicht für die Fische.
In seinen Ansätzen deutet der Film das auch an, wenn zum Beispiel zwischen lauter Quallen auf einmal auch lauter anderer Müll mitschwimmt, zum Beispiel dünne Plastiktüten, die von weitem wie Quallen aussehen.
Das schlimmste freilich: Zu keinem Zeitpunkt kann man sich je für das Schicksal der Hauptfiguren interessieren. Shorty ist ein wenig tumb, das wäre aber nicht schlimm, nur hat er sonst keine Charaktereigenschaften – und seine Schwester und sein Freund sind ebenfalls nur auf die oberflächlichste Weise charakterisiert. Schlimmer noch, sie wirken in ihrem äußeren Erscheinungsbild, sagen wir freundlich, von bekannteren Fischen inspiriert, orange wie Nemo und blau wie Dorie.
Und auch viele andere Szenen des Films wirken doch so, als habe man sie schon öfter gesehen. Oder, wie es Kollege Tino Hahn in seiner Kurzkritik thematisch treffend ausdrückte, wie
wenn man mit dem Internet Explorer die Liste der erfolgreichsten Animationsfilme nach Inspirationen mit einem Schleppnetz abfischt.
Gefreut habe ich mich allerdings über den prominenten Auftritt eines Fetzenfischs. Von denen brauchen wir mehr im Kino. Vielleicht müssen sie aber nicht unbedingt schief singen.
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Shorty und das Geheimnis des Zauberriffs. Deutschland 2021. Regie: Peter Popp, 66 Min. FSK 0, empfohlen ab 7 Jahren. Kinostart: 8. Juli 2021.
(Fotos: Alpenrepublik GmbH)