Diese Filmkritik gehört zu meiner Berichterstattung vom LUCAS Kinderfilmfestival 2020 in Frankfurt a.M. Alle Filmbesprechungen und sonstigen Berichte von diesem Festival gibt es hier im Blog unter dem Tag #lucas.
„Ich habe das Recht auf einen großen Auftritt.“ Oma wird 80, sie ist nicht mehr sehr gut zu Fuß, im Kopf aber noch hellwach; zu ihrem Geburtstag und, die Anzeichen sind schon da, auch zu ihrem Abschied, sind ihre vier Söhne noch einmal zusammengekommen, auch Arno, den es aus Südfrankreich nach Paris verschlagen hat, der immer etwas vernünftiger sein will als seine drei großen Geschwister.
Als Kinder, verrät die Oma Arnos Sohn Hugo dann, waren die vier im Dorf bestens bekannt, „les quatre terreurs“, die vier Schrecken, und sein Vater nicht eben der bravste von ihnen: böse, schlau und schnell wie eine Echse. Die Jungs haben damals Rülpswettbewerbe veranstaltet, im Dorf wurde Unsinn gemacht, so gut es ging; jetzt essen sie Chilischoten um die Wette, wer zuerst aufgibt, verliert…
Auch Hugo muss sich bei den Cousins und Cousinen erst beweisen, bei einer Mutprobe soll er einem dorfbekannten Alkoholiker seinen Schnaps klauen, nur so kann er dann die Bande, die er vorher noch nicht wirklich kannte, davon überzeugen, ihm zu helfen, den Wolf abzuwehren.
Denn die Großmutter hat ihnen an einem Abend die Familiengeschichte erzählt, von dem Wolf Rong, dem sie als junge Frau nach einem Sturz in eine Höhle begegnet war. Eigentlich wollte er sie gleich fressen, sie aber konnte Rong noch um Zeit bitten: sie war frisch verliebt und habe noch so viel vor… dann, wenn sie gelebt habe, werde sie bereitwillig mit ihm mitgehen.
Rong ist, erwachsene Zuschauer_innen ahnen das schnell, natürlich kein ganz realer Wolf, sondern das Raubtier Tod, dem die junge Frau damals ins Auge blicken musste; nun ist ihre Zeit gekommen, ihre Söhne wissen es, wollen aber (von Arno abgesehen) nicht darüber sprechen, während die alte Dame ihre Enkelkinder vorsichtig auf die Wahrheit vorbereitet.
Es ist eine gelassene Matriarchin, die man in Meine Familie und der Wolf am Werk sieht, mit nur halb erwachsenen Söhnen, die mit sehr lockeren Zügeln auf ihre durchaus als Patchwork gewachsene Familie blickt. Eine Frau, die ganz und gar ausstrahlt, ein volles Leben gehabt und gelebt zu haben. Der Wolf, der Tod, er taucht hier in Zeichentricksequenzen auf – zuerst als Filmbilder, wenn die Oma erzählt, schließlich als verlängerte Vorstellung in den Gedanken von Hugo, seinen Cousins und Cousinen.
Das alte Haus, sie nennt es sogar „Burgfried“, „donjon“, ist ganz und gar alte französisch-dörfliche Bausubstanz, irgendwo in den Hügeln, das nächste Dorf einige Minuten mit dem Fahrrad den Berg hinab.
Ist der Wolf real, fragt eines der kleineren Kinder seine Eltern? Natürlich nicht, der sei nur eine Geschichte? Wie der Weihnachtsmann? Nein, den gebe es ja wirklich. Die Zahnfee? Nein… Gott?
Vielleicht hängt am Strand ein wenig zu bedeutungsschwer eine einzelne dunkle Wolke am Himmel, vielleicht ist das ein wenig zu sehr Lebensweisheit, was die Großmutter ihren Enkel_innen noch mit auf den Weg gibt in ihren letzten Tagen – es ist halt doch eine sehr charmante, sehr französische Komödie, leichtfüßig und schwermütig zugleich. Was es mit dem Wolf wirklich auf sich hat, den am Ende Großmutter und Enkelkinder sehr leibhaftig und mit leuchtenden Augen (vom Zeichentrick in irreales, sehr passendes CGI übertragen) sehen und sprechen… das lässt der Film offen. Er begnügt sich mit Erinnerung und der Hoffnung daraus, dass das Leben sowohl bleibt als auch weitergeht durch unsere Erzählungen.
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Gespräch zum Film vom LUCAS-Festival:
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Meine Familie und der Wolf (Ma Famille et le Loup). Frankreich 2019. Regie: Adrià Garcia, 87 Min. Freigegeben ab 6, empfohlen ab 9 Jahren. (Infos auf der Website von LUCAS)
(Foto: Charades; DFF/LUCAS-Filmfestival)
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