Die elfjährige Amy (Fathia Youssouf) ist gerade mit ihrer Mutter Mariam (Maïmouna Gueye) und ihrem kleinen Bruder in eine neue Wohnung in Paris eingezogen; der Vater ist noch im Senegal. Relativ bald wird offenbar, dass das schöne große Schlafzimmer, das zwar vorbereitet wird, jedoch immer verschlossen bleibt, für ihn und seine neue Zweitfrau vorgesehen ist. Mariam nimmt das hin, mit Verzweiflung, Tränen und dann stoischer Fassade.
Freunde hat Amy hier noch nicht; aber sie ist fasziniert von einer Gang von vier Mädchen, die ihr in der Schule immer wieder mit kleinen, rebellischen Aktionen auffallen. Deren Anführerin Angelica (Médina El Aidi-Azouni) wohnt zufällig in ihrem Haus; Amy beobachtet sie dabei, wie sie sich die Haare mit dem Dampfbügeleisen plättet. Die Mädchen, die sich als Tanzgruppe bei einem Talentwettbewerb beworben haben und sich „Mignonnes“ nennen (auf Deutsch „Die Süßen“ oder „Die Niedlichen“), hänseln Amy zuerst, aber nach und nach kann sie sich ihre Sympathien erarbeiten und darf schließlich sogar mittanzen. Ein von ihrem Cousin gestohlenes Smartphone spielt eine nicht geringe Rolle dabei.
Die Grundkonstellation von Mignonnes, dem Langfilmdebüt von Maïmouna Doucouré, ist weder besonders komplex noch besonders originell: Hier die traditionell strukturierte Familie, in der eine ältere Tante dafür sorgt, dass Amy lernt, wie sich ein Mädchen, eine Frau zu benehmen und zu verhalten habe – ganz auf das Ziel der Ehe abzielend. Dort das aufregende Leben der Gegenwart, die tanzenden Mädchen, die (allerdings etwas ziellose) Freiheit von solchen Zwängen.
Doucouré verstärkt die Gegensätze, indem sie Amy zugleich abtauchen lässt in die Bilderwelten von Social Media, in sexualisierte (Selbst-)Darstellungen, deren Faszination sie sieht, deren Bedeutung und Folgen sie aber ganz und gar nicht einordnen kann – nicht zuletzt, weil sie in ihrer Familie keinerlei Einordnung und Hilfe dazu findet.
Dass der Film ob dieser doch etwas krassen Gegenüberstellung nicht in Platitüden verflacht, verdankt er seiner Dynamik, seinen Figuren – vor allem Youssouf ist eine Freude, wie sie ihre Amy mit trotziger Selbstverständlichkeit gegen Konventionen aufbegehren lässt, wie sie Unsicherheit und Faszination zusammenbringt.
Doucouré sucht mit diesem Film – vielleicht von den letzten Sekunden abgesehen – nicht danach, die Gegensätze versöhnen zu können, sie sucht nicht einmal nach einem middle ground, einem Kompromiss oder einer Verbindung. Als Zuschauer_in ist es schwer auszuhalten, wie unmöglich, wie von Außen festgelegt beide Welten sind: Die Ergebenheit in der traditionellen Ehe, die Sexualisierung schon junger Frauen- und Mädchenkörper im modernen Medienkapitalismus.
Für die „Mignonnes“ zählt nur letzteres. „Lern erst mal, dich richtig anzuziehen.“ Das ist ihre erste Aufforderung an Amy, die sich dafür revanchieren wird mit Bildern, Filmen von Twerking und anderen Moves – das führen sie schließlich auf, präpubertäre Mädchen, die sich laszive Tanzbewegungen abgeschaut haben, nachahmen, ohne zu verstehen, und die Kamera zwingt uns dazu, hinzuschauen, diese Objektifizierung auszuhalten.
Doucouré lässt uns etwas hängen damit; es bleibt unklar, wie Amy, die mit der Teilnahme am Tanzwettbewerb zugleich gegen die erneute Hochzeit ihres Vaters rebelliert – da sind sie wieder, die etwas plumpen Gegensätze –, schließlich weiter gehen, weiter wählen wird. Die allerletzte Sequenz von Mignonnes ist mitreißend, erlösend fast, wirkt aber in ihrer freischwebenden Leichtigkeit ein wenig so, als passe sie nicht zum Rest des Films, der so viel mit Bodenhaftung arbeitet.
Mignonnes. Frankreich 2019. Regie: Maïmouna Doucouré, 96 Min. Vom Festival empfohlen ab 12 Jahren, ich würde sagen: ab 14 Jahren. Läuft ab 22.02.2020 in der Sektion Generation Kplus der Berlinale. Alle Infos dazu hier.
(Foto: Bac Films)
Mentions