In diesem Jahr möchte ich als eine mehr oder minder regelmäßige Einrichtung in jedem Monat (mindestens) einen Kinderfilm besprechen, bei dem eine Frau Regie geführt hat; den Hashtag dazu nenne ich #12FilmsByWomen, eine provisorische Filmliste gibt es hier, weitere Vorschläge sind stets willkommen.
Wir haben Als Hitler das rosa Kaninchen stahl im Kino gesehen, in einer ganz normalen Sonntagsvorstellung, es war für Fuldaer Verhältnisse bemerkenswert gut besucht, außer uns waren noch einige weitere Familien da, auch mit kleineren Kindern. In etwa gleicher Zahl wie die Familien waren aber auch und vielleicht sogar vor allem grauhaarige Menschen anwesend, vor allem Frauen.
Das muss nicht wundern, der Stoff ist ja nun etwas, mit dem vor allem unsere Generation und die vor uns aufgewachsen ist – Judith Kerrs Buch ist 1971 erstmals erschienen, 1973 auf Deutsch. Und der Name Caroline Link verspricht jedenfalls eine Verfilmung, die auch die ungeübten Kinogänger_innen nicht vor den Kopf stößt. Christel Strobel zitiert sie mit dieser Perspektive auf die Buchvorlage:
Man kann finden, dass dieser subjektive Blick auf Vertreibung harmlos erscheint, aber ich denke, gerade das zeichnet Judith Kerrs Buch aus. Kinder und Jugendliche müssen sich vor dieser Geschichte nicht fürchten. Es ist keine Holocaust-Geschichte, die man jungen Menschen nicht zumuten mag.
Relativ dicht hinter saßen alte Damen, die sich gegenseitig befragten, ob die anwesenden Familien wohl womöglich im falschen Film gelandet seien oder ahnungslos seien ob des Inhalts. „Die haben vielleicht nur ‚Rosa Kaninchen‘ gelesen, gleich merken sie womöglich, dass das kein Kinderfilm ist!“
Nun kann, muss und sollte man gemischter Meinung sein, inwieweit man „jungen Menschen“ eine „Holocaust-Geschichte“ zumuten kann; ich habe vor einiger Zeit einmal eine kleine Handvoll Gedanken und Filme zusammengetragen, anhand derer man das dringend notwendige Gespräch darüber mit den eigenen Kindern zumindest beginnen könnte.
Aber Links Film ist jedenfalls kein Film – da bleibt er, völlig legitim, dicht an seiner Vorlage -, in dem die Ermordung der Europäischen Jüdinnen und Juden eine besonders sichtbare Rolle spielt. Die unterschwellige Drohung ist es natürlich, die den Film antreibt, die die Familie Kemper ins Ausland treibt. Der Vater ist Theaterkritiker und Schriftsteller, der sich in Wort und Schrift sehr deutlich gegen Hitler stellt; kurz vor der Machtergreifung bekommen sie den Hinweis, seine Verhaftung, zumindest der Entzug seines Reisepasses, stehe womöglich unmittelbar bevor.
Der Vater reist also ab in die Schweiz, der Rest der Familie kurz darauf hinterher – zurück bleiben das große Haus und wohlhabende Leben in Berlin, die liebevolle Haushälterin Heimpi und, neben vielem anderen, das rosa Kaninchen des Titels, über dessen Verbleib sich Anna (Riva Krymalowski) große Sorgen macht – ob Hitler jetzt wohl damit spielt?
Anna und ihr Bruder Max (Marinus Hohmann) müssen sich zunächst in einem Schweizer Bergdorf, später dann in einer winzigen Dachgeschoßwohnung in Paris an neue Umstände anpassen – Sprache, Schule, Menschen, Traditionen. Im Schweizer Bergdorf werfen die Jungs Steine, wenn sie ein Mädchen gern haben, im Pariser Mietshaus wacht eine antisemitische Concièrge darüber, dass die jüdische Familie nur ja ihre Miete pünktlich zahlt. Und die Kinder mühen sich in die neuen Sprachen hinein, so gut es geht, bis Anna sogar – nur an der Rechtschreibung soll sie noch arbeiten! – den besten Aufsatz der Klasse schreibt und dafür einen Preis gewinnt.
Das Drehbuch, das Link zusammen mit Anna Brüggemann geschrieben hat, und auch die Inszenierung bleiben weitgehend dicht an der kindlichen Perspektive, an den Problemen des Alltags; nur gelegentlich wandert die Kamera mit den Eltern mit oder geht etwas abseits, um Kontext und zunehmende Verarmung der Familie zu illustrieren. So richtig schlimm aber wird es, hat man den Eindruck, nicht. Zwar stellt Anna am Ende des Films – da setzt die Familie gerade nach Großbritannien über, in London wird Judith Kerr/wird Anna schließlich seßhaft werden – fest, nun habe sie ja eine schwere Kindheit gehabt wie alle berühmten, großen Menschen, nun könne auch aus ihr etwas werden.
Die Inszenierung gibt das allerdings nicht so richtig her, dafür ist hier viel zu viel Vertreibungsidyll, schöne Schweizer Landschaft, immer auch freundliche Menschen überall, bis hin zu einer durch und durch kitschigen Szene oben auf dem Eiffelturm. Das ist dann sehr nahe an deutscher Fernsehfilmversöhnungswelt, und die stets das offensichtlichste Gefühl unterstreichende (Streicher!, vor allem) Filmmusik macht es wirklich nicht besser.
Die Verfolgung, die auch andere erleben müssen, wird zwar erzählt, von Toden, Morden und Selbsttötungen wird berichtet, das spielt aber außer in jenen Momenten, in denen davon gesprochen wird, keine sichtbare Rolle für die Handlung oder für Annas Gedanken- und Gefühlswelt. Da ist das Buch weiter; und der in die Weite schweifende sorgenvolle Blick von Vater (Oliver Masucci) oder Mutter (Carla Juri) Kemper ersetzt das nicht.
So ist der Film insgesamt schön anzusehen und zwar emotional mitreißend (wenn nicht -zerrend), es fehlt ihm aber an Tiefgang; er müsste natürlich nicht das ganze Grauen des Nationalsozialismus auf seine Schultern laden – das verlangt auch die Vorlage nicht -, aber es wäre schön gewesen, doch etwas mehr Komplexität in die Geschichte, etwas mehr Historie in ihren Hintergrund eingewebt zu finden. Und vielleicht noch etwas mehr Realität ins Flüchtlingsdasein, die uns auch für die Gegenwart noch etwas mit auf den Weg geben könnte.
Als Hitler das rosa Kaninchen stahl. Deutschland 2019. Regie: Caroline Link, 119 Min. FSK 0, empfohlen ab 9 Jahren. Kinostart: 25. Dezember 2019.
Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von YouTube. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.
(Fotos: Warner Bros.)
Mentions