Jesper ist ein verwöhnter junger Mann, eigentlich von Hauptberuf Sohn seines Vaters, der hoher, ach was höchster Beamter im Postdienst ist. Dem alten Herrn zuliebe hat er sich zur Postakademie überreden lassen, faulenzt dort aber den ganzen Tag nur herum. Bis ihn sein genervter Vater und oberster Vorgesetzter kurzerhand zum Postboten ernennt – auf einer einsamen Insel weit im Norden. Dort schreibt man sich schon lange keine Briefe mehr, weil die zwei Klans der Insel seit Menschengedanken im Streit miteinander liegen. Statt Worte fliegen Speere, oder wenigstens Schneebälle.
Auf der Insel trifft der zunehmend verzweifelte Jesper nur die junge Lehrerin Alva, die es schon lange aufgegeben hat, die Kinder zu unterrichten, und stattdessen mit Fischhandel versucht, genug Geld anzusparen für die Reise zurück in den Süden; und den einsamen Zimmermann Klaus, der allein in einer Hütte mitten im Wald oben in den Bergen lebt.
Mit Klaus hat sich Netflix erstmals daran gemacht, einen Animationsfilm selbst zu produzieren; bisher hatte der Dienst sich, wie z.B. bei Pachamama, gerne die Vertriebsrechte für fertige Filme gesichert. Als Regisseur wurde Sergio Pablos verpflichtet, der wesentlich für Buch und Produktion von Ich – Einfach unverbesserlich verantwortlich war und auch bei Filmen wie Rio im Animationsbereich mitgearbeitet hatte.
Dass hier jemand das Animationshandwerk versteht, ist offensichtlich; vor grandiosen Hintergründen agieren hier so gekonnt wie phantastisch Figuren, die mit ihren gelegentlich kantigen Körpern an etwas ältere Disney-Filme erinnern; ich hatte manchmal leichte Ahnungen von Die Schöne und das Biest oder Ein Königreich für ein Lama. Gleichzeitig ist da ein sehr eigener Stil, die sich bekriegenden Klanmitglieder zum Beispiel bringen für mich einen Hauch von Laika à la Boxtrolls mit.
Und dann die Hintergründe, die großen Totalen über Landschaften, in denen sich Pablos ein wunderbares Spiel mit Licht und Schatten, auch mit knalligen Farben erlaubt. (Oder eben auch nicht: Im Frühling, erfährt Jesper gleich bei seiner Anreise, kommt das Grau erst so richtig zur Geltung!) Nur leider rast man nach eher geruhsamen Anfängen manchmal etwas zu flott durch die Bilder, um das so wirklich genießen zu können.
Jesper wird auf der Insel aus zunächst ganz egoistischen Motiven für Briefverkehr sorgen – er muss 6.000 verschickte Briefe vorweisen, damit sein Vater ihn wieder nach Hause lässt; verlässt er die Insel ohne Erfolg, wird er enterbt. Weil Herr Klaus in seinem Haus ganz viel Spielzeug gebastelt und gesammelt hat, das er aber gerne an Kinder abgibt, regt Jesper das Briefeschreiben an: Nur, wer Klaus einen Brief schreibt, ordentlich frankiert und bezahlt, hat Chancen auf ein Spielzeug. Und er warnt dann noch, hallo schwarze Pädagogik, ein Kind, das ihn besonders nervt, vor den Folgen seines Fehlverhaltens.
Ohne selbst zu begreifen, was er tut, stößt Jesper damit bei den Kindern etwas an: Sie tun Gutes und sind freundlich zueinander, klopfen bei Alva an, ob sie nicht vielleicht schreiben lernen könnten… und stecken sogar ihre Eltern damit an. Klaus ist ein großer Fan des Gedankens, das „a true, selfless act always sparks another“ – eine gute Tat bewirkt immer weiteres Gutes.
Das ist natürlich in der Tat sehr weihnachtlich. Und der Name „Klaus“ kommt nicht von ungefähr: Klaus ist im Grunde die (oder besser: eine) Origin Story des Weihnachtsmannes, an deren Ende ein etwas fantastischer Akt der Grenzüberschreitung steht, der eine irgendwie imaginierte Gegenwart ermöglichen soll – da ist dann der Schmalz durchaus nochmal recht dick aufgetragen, dafür kriegt Herr Klaus aber ein etwas reicheres Seelenleben geschenkt, als man das sonst zuweilen bei Weihnachtsmann-Inkarnationen zu sehen bekommt.
Leider ist das genau der Teil, an dem der Film etwas schwächelt, vor allem im Mittelteil: Die Charaktere sind dann doch nicht so scharf konturiert, ihre Motive und Handlungen stellenweise etwas eigentümlich, und dadurch ist auch die Handlung zuweilen etwas mäandernd – nie unlogisch, aber es fehlt ihr etwas die Motivation, der eigene Saft, die letzte Spritzigkeit. Das ist etwas, was Ich – Einfach unverbesserlich so großartig und vor allem so komisch macht; offenbar konnten es die Autoren Zach Lewis und Jim Mahoney hier nicht in gleicher Weise aus Pablos‘ Storyvorlage herausdestillieren, was die Figuren so besonders macht.
Dabei hat Klaus auch, elegant versteckt, noch ein wenig mehr zu sagen. Vor ein Tribunal gezerrt, bekommt eines der ersten fröhlich spielenden Kinder erklärt, das mache man hier nicht so, die Klane bekriegten sich! Und das Kind stellt die einzig vernünftige, so naive wie tiefschürfende Frage: Warum? Dass niemandem eine bessere Antwort einfällt als „Tradition“, sagt mehr über menschliche Konflikte und Kriege aus, als der Film sich Zeit lässt zu bedenken. Dabei ist es schöner Stoff für Weihnachten.
Für welches Alter? Für jüngere, sensiblere Kinder ist das erste Drittel des Films womöglich in wenig angsteinflößend; da werden nicht nur die Klans als bedrohlich inszeniert (auch wenn das immer wieder komisch gebrochen wird), auch Herr Klaus selbst wird – aus Jespers Augen gesehen – zunächst ambivalent, möglicherweise wie eine Figur aus dem Horrorkino wahrgenommen. Das ändert sich natürlich schnell, und dann wird es vor allem lustig, aber durch ein paar kleine Angstmomente muss man eben doch hindurch. Für Acht- bis Neunjährige, die schon ein paar Filme gesehen haben, sollte das alles zu bewältigen sein. Und auch für Ältere ist der Film noch flott und spannend genug.
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Klaus. Spanien 2019. Regie: Sergio Pablos, 98 Min. Altersfreigabe ab 6, empfohlen ab 8 Jahren. (Der Film ist seit 15. November 2019 exklusiv auf Netflix verfügbar)
(Fotos: Netflix)
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