Filmkritiken

Dr. Pyckle und Mr. Pryde (1925)

Wie versprochen, bespreche es hier jetzt jeden Mittwoch bis Halloween einen Gruselfilm für Kinder aus meiner Liste – weitere Vorschläge werden gerne angenommen! #horrorctober

Was mich gerne mal aufregt, wenn ich gerade nichts anderes zum Echauffieren herumliegen habe, ist die meine Kindheit so prägende Benamsung von Stan Laurel und Oliver Hardy als „Dick & Doof“. Nicht nur, dass das herablassende, nachgerade diskriminierende Adjektive sind, sie reduzieren die beiden Ausnahmekomiker auch auf jeweils eine Eigenschaft, lassen alle Komplexität und Feinheiten verschwinden – und die beiden Personen dahinter sowieso.

Die Bezeichnung verdeckt auch, dass Laurel und Hardy beide, insbesondere vor Beginn ihrer Zusammenarbeit, natürlich auch jeweils allein als Komiker gearbeitet haben. (Ihre späten Jahre wurden gerade erst in dem Biopic Stan & Ollie zum Thema gemacht. [amazon])

Dr. Pyckle und Mr. Pryde von Scott Pembroke und Joe Rock ist nur wenig länger als 20 Minuten (was noch dadurch verschärft wird, dass das eigentliche Ende des Films wohl verschollen ist), und ist schon in dieser knackigen Kürze eine ziemlich vollständige Adaption von Robert Louis Stevensons Novelle Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde aus dem Jahr 1886 – einer der Klassiker der Schauerliteratur, wie meine Leser_innen vermutlich alle wissen. (Man sollte diese Erzählungen, wie auch Frankenstein und Dracula, unbedingt einmal gelesen haben, das liest sich ja rasch mal weg, aber das nur am Rande.) Dabei ist der Film eigentlich ja primär eine Parodie auf andere Verfilmungen, von denen es schon zu diesem Zeitpunkt mindestens sechs gab, eine auch von F.W. Murnau.

Nicht jedes Kind verträgt Horror- oder Gruselfilme wirklich gut. Ich empfehle dringend: Film vorher selbst anschauen, aufs eigene Kind gucken und überlegen: Hält es das aus? Vielleicht besser im Hellen schauen als im Dunkeln? Lieber doch mit etwas ganz und gar Harmlosem einsteigen?

Stan Laurels Dr. Pyckle arbeitet sich, wie Fritzi Kramer herausarbeitet, wahrscheinlich am meisten an John Barrymore ab. Der spielte den Dr. Jekyll in John S. Robertsons Verfilmung aus dem Jahr 1920 mit vielen großen Gesten. Man muss den Film jedoch nicht kennen, um diesen kleinen, minimal gruseligen Edelstein genießen zu können. Durch die Bezüge zu anderen Filmen wird Dr. Pyckle und Mr. Pryde nur noch ein wenig lustiger.

Pyckle also, eingeführt als „the most respected man in town – Heaven knows why – -“ hat die Idee, das Gute und Böse im Menschen zu trennen. Seine Bemühungen haben schließlich den Effekt, dass er zwischen seinem „guten“ Ich Pyckle und einem „bösen“ Alter Ego Pryde wechselt. Der Weg dorthin, unter Hilfe seiner ihn anhimmelnden Gehilfin (Julie Leonard) ist von allerlei Slapstick gezeichnet (Hosen und Säure vertragen sich schlecht), und als Pryde auf die Welt losgelassen wird, wird es natürlich nicht besser.

Es ist allerliebst, wie Pryde dann furchtbar böse Dinge tut: einem Jungen sein Eis klauen, Leute mit einem Erbsenblasrohr beschießen, Polizisten hinters Licht führen… Das sind lauter Kleinigkeiten, die die bürgerliche Bevölkerung direkt in große Aufregung bringen und zu zahlreichen Verfolgungsjagden quer durch die Stadt führen, als habe er mörderische Untaten vollbracht. Der Film spießt da den Spießbürger auf, der sich über jeden kleinsten Verstoß gegen die Konventionen aufregt. Dabei verkörpert Pryde eher spielerischen, kindlichen Anarchismus, der mit der albernen Ernsthaftigkeit von Pyckles Nachdenklichkeit kontrastiert.

Die Verwandlung ist für kleine, filmunerfahrene Kinder womöglich ein wenig gruselig. Ansonsten ist dieser Film aber eine sehr, sehr lustige Geschichte, die langfristig als Vorbereitung auf erhabenen Blödsinn wie Mel Brooks‘ Frankenstein Junior dienen kann. Falls man auf die Fassungen mit englischsprachigen Texttafeln zurückgreift, muss man diese für den jüngeren Nachwuchs womöglich kurz übersetzen. Da die Zwischentitel zum Teil recht lang sind und mit Wortspielen hantieren, empfiehlt es sich, den Film einmal vorab anzusehen und das gute Dutzend Einblendungen rasch schriftlich ins Deutsche zu übertragen.

Dr. Pyckle und Mr. Pryde ist in Deutschland in der DVD-Box Laurel & Hardy – Auf dem Weg zum Ruhm (amazon) enthalten, die entsprechende DVD gibt es als Stan Laurel – Filmedition 1 (amazon) auch einzeln. Da der Film aber in den USA anscheinend in der Public Domain liegt, findet man ihn in der englischsprachigen Fassung auch ohne großen Suchaufwand (*hust*) auf vielen Videoplattform zur Ansicht.

Dr. Pyckle und Mr. Pryde (Dr. Pyckle and Mr. Pryde). USA 1925. Regie: Scott Pembroke/Joe Rock, 21 Min. FSK 0, empfohlen ab 6 Jahren.

(Foto: Elevate)

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