Bóas glaubt zuerst, er habe ein seltsames Tier in weißem Fell gesehen, ein seltsamer Eisbär, ein Monster vielleicht; aus der Erzählung des 11-jährigen Jungen wird im kleinen Dorf im abgelegenen Norden Islands allerdings schnell ein Monster, womöglich ein Dämon daraus. Der Winter ist außergewöhnlich hart und will nicht enden, die Fischer haben womöglich eh nichts besseres zu tun – das Wasser ist zugefroren – und machen sich auf die Suche nach dem Wesen. Als Bóas allerdings neben den plötzlich endenden Spuren die kleine Figur eines geschnitzten Eisbären findet, ahnt er schon, dass sich da womöglich falsche Vorstellungen in den Kopf gesetzt haben.
Ikingut – Die Kraft der Freundschaft beginnt geradezu altmodisch bedächtig, ein Film der noch keine zwanzig Jahre alt ist und doch aus der Zeit gefallen zu sein scheint, so wenig interessiert er sich für Hektik, Action und Effekte. Stattdessen erzählt er eine einfache Geschichte von Freundschaft und Aberglauben aus dem späten 17. Jahrhundert, reduziert auf wenige Figuren und einfache Themen, dadurch aber umso klarer herausgearbeitet.
Das seltsame Wesen, das Bóas (Hjalti Rúnar Jónsson) gesehen hat, entpuppt sich dann schnell als kleiner Inuit-Junge (Hans Tittus Nakinge), ganz in einen Anzug aus Eisbärfell gekleidet. Eines Nachts weckt er das halbe Dorf auf – die Männer ziehen los, nach ihm zu suchen, alle anderen sind wach und aufgebracht … und so gibt es bei der Lawine, die kurz darauf auf den Ort niedergeht, keine Toten. Nur Bóas ist verschwunden, verschüttet vom Schnee – und der Inuit-Junge, den sie fortan „Ikíngut“ nennen, weil er das immer sagt (das Wort bedeutet eigentlich „Freund“), wird ihn ausgraben und nach Hause bringen.
Bóas‘ Familie (der Vater ist Pfarrer) nimmt den Retter des Sohnes natürlich auf, aber verwundert sind sie doch – seine Haut ist dunkel und lässt sich auch nicht reinigen, seine Gesichtszüge sind fremdartig. Im Schnelldurchlauf werden so rassistische Stereotype abgehakt – es scheint etwas unrealistisch, dass man hier noch nie von Menschen mit anderer Hautfarbe gehört haben soll -, ohne dass diese allerdings im geistlichen Haushalt dazu führt, dass er nicht gut behandelt würde. Die Dorfbewohner allerdings sind skeptisch, und der Dorfvorsteher nutzt das Gerede und den Aberglauben um sich herum, um seine Animositäten mit dem Pfarrer an Ikingut auszuagieren.
An der Oberfläche ist Ikingut – Die Kraft der Freundschaft ein Abenteuerfilm auf kindlicher Augenhöhe und mit viel Schnee: Immer wieder fährt die Kamera über schneebedeckte Weiten in all ihrer Wandelbarkeit (die Unerbittlichkeit der Kälte wird etwas heruntergespielt), über Eisschollen und weiße Berge. Darunter liegt allerdings eine Geschichte von Kommunikation und Empathie. Denn Bóas und „Ikíngut“ verstehen sich sehr schnell, auch ohne dass sie einen gemeinsamen Wortschatz haben; die Dorfbewohner_innen aber, die nicht bereit sind, sich auf den Fremden einzulassen, jene die trotz gemeinsamer Sprache nicht wirklich miteinander, sondern nur gegeneinander sprechen, verstehen sich nicht.
Am Ende sind es die Kinder, die mit so mutigem wie gefährlichem Handeln den Konflikt lösen und Bewegung in die Sache bringen – bis hin zum unvermeidlichen, so tröstlichen wie traurigen Ende.
Ikingut – Die Kraft der Freundschaft (Ikíngut). Island/Norwegen/Dänemark 2000. Regie: Gísli Snær Erlingsson, 87 Min. FSK 6, empfohlen ab 8 Jahren. (amazon)
(Fotos: absolut Medien)
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