Sturm und Drang

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Sturm und Drang war eine Strömung der deutschen Literatur in der Epoche der Aufklärung, die etwa von 1765 bis 1785 hauptsächlich von jungen, etwa 20- bis 30-jährigen Autoren getragen wurde. Wegen der „Verherrlichung des ‚Originalgenies‘ als Urbild des höheren Menschen und Künstlers“ (Gero von Wilpert)[1] wird diese Strömung auch als Geniezeit oder Genieperiode bezeichnet.

Die Bezeichnung Sturm und Drang kam in den 1820er Jahren auf. Sie geht auf die 1776 verfasste, 1777 veröffentlichte Komödie Sturm und Drang des deutschen Dichters Friedrich Maximilian Klinger zurück – und damit letztlich auf den aus Winterthur stammenden „Genieapostel“ Christoph Kaufmann (1753–1795). Er hatte Klinger gedrängt, sein Schauspiel so zu nennen, anstelle des ursprünglichen Titels Wirrwarr. Die Uraufführung fand in Leipzig am 1. April 1777 durch die Schauspiel-Gesellschaft des Abel Seyler statt, deren Theaterdichter Klinger war.

Literatur der Aufklärung als Voraussetzung

In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurde das philosophische und literarische Leben im deutschen Sprachraum weitestgehend von der Aufklärung bestimmt. Der Verstand war die bestimmende Größe der Zeit, durch dessen freien Einsatz, wie Kant 1784 formulierte, der „Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit“ erreicht werden soll. Literatur sollte den Leser moralisch bilden, ihn erhellen und seine Vernunft wecken.

Die von der Aufklärung angestrebte Freiheit begünstigte Literaturformen, die der vernünftig argumentierenden und gebändigten Sprache verpflichtet waren. Die Forderung nach einer „regelmäßigen“ Dichtkunst wurde von Theoretikern wie Gottsched auch während der Aufklärung mit Nachdruck vorgebracht. Die Einheit von Ort, Zeit und Handlung, eine gehobene Sprache und die Trennung der Besetzung von Tragödie und Komödie mit Adel und Bürgertum waren Postulate, die man in zahlreichen Dichterakademien die angehenden Literaten lehrte.

Anfänge

Doch bereits in Friedrich Gottlieb Klopstocks Oden von 1750 zeigte sich, dass dieses Reglement zu eng gefasst war. Mit dieser Demonstration gegen die rein verstandesmäßige Haltung der Aufklärung war der Grundstein für die Überwindung der Vernunftherrschaft und eine Entfesslung des Gefühlsüberschwangs, der Fantasie und der Gemütskräfte als neuer dichterischer Grundhaltung gelegt (emotio statt ratio).

Diese erneuernde Bewegung, die wie ein Ruck durch die deutschsprachige Literatur ging, verbindet in ihrem jugendlichen Charakter den „gemütvoll-bürgerlichen Realismus mit dem Idealisch-Politischen und Menschenrechtlichen“:[2] die Fülle des Herzens mit der Freiheit des Gefühls, mit Ahnung und Trieb. Sie zeigt in Einzelschicksalen die politisch-moralische Situation der Zeit auf.

Das Aufbegehren der Jugend hatte so sein literarisches Äquivalent gefunden, eine neue Generation deutschsprachiger Schriftsteller fand in den Thesen Johann Gottfried Herders den Widerhall ihrer Erfahrungen und Gefühlswelt. Herder, der zu einem Wegbereiter des Sturm und Drang wurde, kritisierte die Arroganz der Aufklärung gegenüber dem einfachen Volk und forderte dazu auf, auch die „Ächtheit“ und Tiefe des Volkslieds und der Volksdichtung als Kunst anzuerkennen; er erkannte, dass Aufklärung in ihr Gegenteil umschlagen kann, und forderte, dass sie nur Mittel, nicht Ziel sein dürfe. Auch Heinrich Wilhelm von Gerstenbergs Ugolino (1768) kann man in die Frühphase des Sturm und Drang einordnen, die Schweizer Johann Heinrich Füssli und Johann Caspar Lavater als ihre Vorgänger ansehen.[3]

Besonderheiten

Das Persönlichkeitsideal der jungen Generation in der deutschen Literatur des ausgehenden 18. Jahrhunderts wendete sich gegen Autorität und Tradition. An Stelle einer erlernbaren Regelpoetik, die man in Dichterakademien lernen konnte, setzten die „jungen Wilden“ die Selbstständigkeit des Originalgenies, das sein Erleben und seine Erfahrungen in eine individuelle künstlerische Form brachte und mit den Regeln der traditionellen Poetik sehr frei umging. Man bezweifelte die Maßgeblichkeit der ratio und begann die emotio ins Zentrum zu rücken.

Die überkommenen Regeln wurden mit Verweis auf das eigene Können und die Kraft genialer Originalität als Krücken verworfen, die das gesunde Genie der jungen Autoren nicht benötige. Nicht in eine Form sollte das Werk passen, sondern in die Welt, wie die Generation des Sturm und Drang sie erlebte, ihr Lebensgefühl widerspiegelnd.

Ein neues, innig umfassendes und sich einfühlendes Verhältnis zur Natur vereinte sich mit einer tragischen Grundauffassung vom Genie. Das Gefühl rückte ins Zentrum der literarischen Aussage. „Die Stimme des Herzens ist ausschlaggebend für die vernünftige Entscheidung.“ Dieses Zitat von Johann Gottfried Herder zeigt den Protest gegen die herrschenden Moralvorstellungen, die Entscheidungen von der Moral und nicht vom Herzen abhängig machten. Hinzu kam die Verschärfung der Kritik an repressiven Auswüchsen des feudalen Systems, allerdings unter Akzeptanz des aufgeklärten Absolutismus, sowie eine voranschreitende Säkularisierung und die Forderung nach Befreiung der Leidenschaften von einer konventionellen Moral. Dieser Befreiungsakt war allerdings auch mit Leiden verbunden, da er zum Verstoß gegen die fortbestehenden bürgerlichen Konventionen führen musste.

Die Hauptform der Dichtung in der Epoche des Sturm und Drang stellte das Drama dar, allerdings unter weitgehender Aufhebung der drei Einheiten von Handlung, Zeit und Ort. So bestand die Urfassung des Götz von Berlichingen aus 59 Szenen; er war kaum spielbar und somit ein Lesestück.[4] Es sind auch andere literarische Formen vertreten, so ist Die Leiden des jungen Werthers von Johann Wolfgang von Goethe ein Roman. Das immer wiederkehrende Thema war der Konflikt des Naturgenies, der nach Freiheit strebenden, widerspenstigen Jugend, mit den Schranken der bestehenden Weltordnung, die die handelnden Personen als Aufrührer und Verbrecher erscheinen ließ. Formales Vorbild wurde Shakespeare anstelle der Dichter der antiken Welt, von denen jedoch Pindar und Homer weiter geschätzt wurden.

Auf die Ausarbeitung einer eigenen Ästhetik verzichteten die Vertreter des Sturm und Drang; sie verweigerten jedwedes integrative literarische, poetologische oder politische Konzept. „Eine Theorie des Sturm und Drang […] gibt es nicht.“[5]

Die exaltierte, ungebändigte und doch gefühls- und ausdrucksstarke Sprache des Sturm und Drang war voller Ausrufe, halber Sätze und forcierter Kraftausdrücke und neigte zum derb realistisch Volkstümlichen. Man nahm kein Blatt mehr vor den Mund und brachte die Sprache des Volkes und der Jugend auf die Bühnen. Die Frontstellung der jungen Schriftsteller gegen eine aristokratische Hofkultur nach französischem Vorbild sowie ihre Sympathie für Begriffe wie Natur, Herz und Volk fielen bereits den Zeitgenossen auf. Eine eigenständige „Jugendkultur“ in der Literatur war entstanden. Kritiker bemängelten, die Vernachlässigung der dramatischen Technik und Einheiten in den Werken des Sturm und Drang gehe bis zum beliebig häufigen Schauplatzwechsel, oft über den Grad bühnenmäßiger Wirksamkeit (und Darstellbarkeit) hinaus.

Autoren und Werke

Erstdruck der „Räuber“ von Friedrich Schiller (1781), ohne Nennung des Autors
Erstdruck des „Werthers“ von Johann Wolfgang von Goethe (1774)

Die Autoren des Sturm und Drang kamen hauptsächlich aus dem Mittel- und Kleinbürgertum. Sie suchten ihre literarische Tätigkeit finanziell unter anderem durch Hauslehrer- oder Pfarrstellen abzusichern, da sie von der Literatur nicht leben konnten. Ihnen fehlte die breite soziale Resonanz, weshalb ihre Bewegung eher auf Bekannte und Freunde beschränkt blieb, mit denen man sich zu Männerbünden, wie dem Göttinger Hainbund, zusammenschloss. Zentren des Sturm und Drang waren Straßburg, Göttingen und Frankfurt am Main. Für viele, darunter Goethe und Schiller, betraf der Sturm und Drang nur einen begrenzten Abschnitt ihres Lebens und Schaffens. Die meisten Autoren und Werke waren nur einem kleinen interessierten Kreis bekannt und sind heute weitgehend vergessen.

Zu den bedeutendsten Vordenkern, Theoretikern, Schriftstellern und Werken gehören:

Literatur

  • Georg Bertram: Philosophie des Sturm und Drang. Eine Konstitution der Moderne. München 2000.
  • Dramen des Sturm und Drang. Reclam 1997.
  • Simon Frank: Kunst-Konzepte des Sturm und Drang. München 2002.
  • Andreas Huyssen: Drama des Sturm und Drang. Kommentar zu einer Epoche. München 1980.
  • Ulrich Karthaus: Sturm und Drang. Epoche – Werke – Wirkung. München 2000.
  • Matthias Luserke-Jaqui: Sturm und Drang. Autoren, Texte, Themen. Stuttgart 1997.
  • Roy Pascal: The German „Sturm und Drang“. Manchester 1953 (dt. v. Dieter Zeitz/Kurt Mayer: Der Sturm und Drang (= Kröners Taschenausgabe. Band 335). Kröner, Stuttgart 1963, DNB 453708072).
  • Paul Van Tieghem: Le préromantisme: étude d'histoire littéraire européenne. Paris 1930.

Einzelnachweise

  1. Gero von Wilpert: Sachwörterbuch der Literatur (= Kröners Taschenausgabe. Band 231). 5., verbesserte und erweiterte Auflage. Kröner, Stuttgart 1969, DNB 458658170, S. 747.
  2. Erich Auerbach: Mimesis. (1946) 10. Auflage, Tübingen, Basel 2001, S. 407.
  3. Matthias Luserke-Jaqui: Sturm und Drang. Erw. Auflage 2010, S. 43–57.
  4. M. Luserke 2010, S. 108.
  5. M. Luserke 2010, S. 65.