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©2019 Eugen Willerding
Cover: Steinersche Kette oder ein Sangaku aus Japan
Mathematisches Tagebuch
Ausgewählte Probleme aus der Mathematik, Physik und
Astronomie
Eugen Willerding
1977-2018
Inhaltsverzeichnis
1 Mathematik 5
1.1 Höhenbestimmung eines Berges . . . . . . . . . . . . . . . 5
1.2 Ein konvexes Viereck und eine Ellipse . . . . . . . . . . . 11
1.3 Der Satz von Desargues . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17
1.4 Eine Offiziersprüfung von 1815 . . . . . . . . . . . . . . . 18
1.5 Der wackelnde Tisch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21
1.6 Kepler und die Messrute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27
1.7 Archimedes grüßt den Dositheos . . . . . . . . . . . . . . 31
1.8 Ein Rotationshyperboloid . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33
1.9 Gauss und die 100 Schafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35
1.10 Die Bestimmung eines Winkels . . . . . . . . . . . . . . . 38
1.11 Parallelogramm - Rekursionen . . . . . . . . . . . . . . . . 42
1.12 Vier Steine und das verlorene Quadrat . . . . . . . . . . . 43
1.13 Drei Steine und das Napoleondreieck . . . . . . . . . . . . 50
1.14 Die Simson - Wallace Gerade . . . . . . . . . . . . . . . . 53
1.15 Der Schmetterlingssatz (Butterfly Theorem) . . . . . . . . 56
1.15.1 Ein Brief von Sir William Herschel . . . . . . . . . 57
1.15.2 Drei Kreise und eine Senkrechte . . . . . . . . . . 62
1.16 Die Johnson-Yff Kreise im Dreieck . . . . . . . . . . . . . 64
1.17 Der Feuerbachkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66
1.17.1 Das kleine Theorem von Feuerbach . . . . . . . . . 67
1.17.2 Das große Theorem von Feuerbach . . . . . . . . . 68
1.18 Der Taylorkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76
1.19 Die Brocard - Punkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78
1.20 Der Lemoine Punkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80
1.21 Der Schiffler Punkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82
1.22 Der Lamoenkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83
1.23 Das Hexagrammum Mysticum . . . . . . . . . . . . . . . . 84
1.24 Newton, Gauss und die gerade Linie . . . . . . . . . . . . 88
1.25 Das Morley Dreieck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92
1.26 Das Problem des Regiomontanus . . . . . . . . . . . . . . 92
1.27 Sangaku . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95
1.27.1 Berührung zweier Kreise I . . . . . . . . . . . . . . 96
1.27.2 Das Problem HI069 . . . . . . . . . . . . . . . . . 99
1.27.3 Ein Problem von Sawa Masayoshi . . . . . . . . . 101
1.27.4 Kreisketten von Pappos und Steiner . . . . . . . . 106
1.28 Eine Kugel im Tetraeder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110
1.29 Das Kalkül der Inversion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110
1.30 Der Satz von Janous . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121
1.31 Der Satz von Routh . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125
1.32 Satz von Green und Flächenberechnung . . . . . . . . . . 129
1.32.1 Ein Kreisbogendreieck . . . . . . . . . . . . . . . . 132
1.32.2 Die zwei Monde des Alhazen . . . . . . . . . . . . 134
1.32.3 Die Mondsegmente von Leibniz . . . . . . . . . . . 135
1.32.4 Das Singapur-Problem . . . . . . . . . . . . . . . . 136
1.32.5 Die Möndchen des Hippokrates . . . . . . . . . . . 137
1.32.6 Ein Fünfeck aus fünf Dreiecken . . . . . . . . . . . 143
1.33 Das Theorem von Pick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145
1.34 Die Kreis - Algorithmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146
1.35 Das arithmetisch - geometrische Mittel und die j - Invariante160
1.36 Ramanujan - Formeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169
1.37 Das Galton - Watson Problem von 1874 . . . . . . . . . . 170
1.38 Der verlorene Schlüssel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180
1.39 Das de Moivre-Laplace Theorem . . . . . . . . . . . . . . 181
1.40 Gruppenbildung bei Wanderern . . . . . . . . . . . . . . . 185
1.41 Aufgaben der IMO und regionaler MO . . . . . . . . . . . 188
1.42 Newton und die Arithmetica Universalis . . . . . . . . . . 223
1.43 Trigonometrische Identitäten . . . . . . . . . . . . . . . . 226
1.44 Logeleien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227
1.44.1 2000 Quart Fass Branntwein . . . . . . . . . . . . 227
1.44.2 Alkuin und die Ölfässer . . . . . . . . . . . . . . . 233
1.44.3 Der Wasserverlust der Gurken . . . . . . . . . . . 237
1.44.4 Das Problem der Teilmengen . . . . . . . . . . . . 238
1.44.5 Zwei Marienkäfer auf dem Quader . . . . . . . . . 242
1.44.6 Die gekreuzten Leitern . . . . . . . . . . . . . . . . 243
1.45 Arnold’s Trivium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245
2 Physik 250
2.1 Newton, Feynman und die Ellipsenbahn . . . . . . . . . . 250
2.2 Parabelflug und Gewichtslosigkeit . . . . . . . . . . . . . . 260
2.3 Fallversuche auf der rotierenden Erde . . . . . . . . . . . 265
2.4 Das Foucaultsche Pendel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278
2.5 Mariotte-Leibnizsches Pendel . . . . . . . . . . . . . . . . 303
2.6 Das Besselsche Pendel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306
2.7 Schwingungen eines Mobiles . . . . . . . . . . . . . . . . . 309
2.8 Zur Theorie rollender Reifen . . . . . . . . . . . . . . . . . 311
2.9 Die haftende und gleitende Kugel . . . . . . . . . . . . . . 315
2.10 Die abrutschende Leiter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323
2.11 Die elastische Kurve und Trassierungen . . . . . . . . . . 327
2.12 Das Problem des Steinestapelns . . . . . . . . . . . . . . . 331
2.13 Die relativistische Raketengleichung . . . . . . . . . . . . 332
2.14 Die Thomas - Fermi Gleichung . . . . . . . . . . . . . . . 335
2.15 Das Reflexionsproblem des Alhazen . . . . . . . . . . . . . 338
2.16 Die Black - Scholes Gleichung . . . . . . . . . . . . . . . . 338
3 Astronomie 340
3.1 Bestimmung der Limiten des Zodiakus . . . . . . . . . . . 340
3.2 Die Bestimmung des Meridianbogens . . . . . . . . . . . . 349
3.3 Mondentfernung nach Aristarchos . . . . . . . . . . . . . . 349
3.4 Monddistanz nach Lalande und Lacaille . . . . . . . . . . 352
3.5 Gravitation in N Raumdimensionen und Existenzfragen . 357
3.6 Die Evolution binärer Massensysteme . . . . . . . . . . . 361
3.7 Ole Rømer und die Lichtgeschwindigkeit . . . . . . . . . . 366
3.8 Scheinbare Überlichtgeschwindigkeiten . . . . . . . . . . . 368
3.9 Das Tisserand-Kriterium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371
3.10 Der Lidov - Kozai Effekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376
3.11 Die Sternscheibe von Nebra . . . . . . . . . . . . . . . . . 376
1 Mathematik
1.1 Höhenbestimmung eines Berges
Entlang einer sehr langen exakt geraden Straße in einer Tiefebene werden
an den Punkten A, B und C mit den Abständen |AB|= a und |BC|= b
jeweils die Höhenwinkel θ1 , θ2 und θ3 bezüglich des Schwerelots zu einem
fernen Berg oder Felsmassiv gemessen. Der Fußpunkt F des Berges und
die Straße sollen in einer Ebene liegen. Bestimme aus den Daten die Höhe
des Berges relativ zu der Ebene, die durch die Straße und das Schwerelot
definiert ist. Die Koordinaten der drei Beobachtungspunkte seien
S
Θ1 Θ2 Θ3
a b
A B C
Fig. 1.1: Bestimmung der Höhe eines Berges oder Turmes aus drei lotrechten
Höhenwinkeln entlang einer geraden Straße. Nicht für alle Kombinationen der Stre-
ckenabschnitte a, b und perspektivischen Winkeln θ1 , θ2 , θ3 existiert eine physisch
reale Lösung
0 = z 2 cot[θ1 ]2 − a2 − 2 a x − x2 − y 2 (1.6)
2 2 2 2
0 = z cot[θ2 ] − x − y (1.7)
0 = z 2 cot[θ3 ]2 − b2 + 2 b x − x2 − y 2 (1.8)
Das Problem ist hier auf die Lösung von drei gekoppelten quadratischen
Gleichungen reduziert. Die Existenz einer Lösung ist zunächst nicht
evident.
Anstatt der obigen drei Gleichungen betrachten wir nun die zwei
Gleichungen
z 2 cot[θ1 ]2 − cot[θ2 ]2 = a2 + 2 a x
(1.9)
2 2 2 2
z cot[θ3 ] − cot[θ2 ] = b − 2bx (1.10)
die dadurch entstehen, daß wir (1.7) sowohl von (1.6) als auch von (1.8)
abziehen (Eine Art von Resultanten-Bildung). Aus beiden Gleichungen
lassen sich die Größen x und z 2 bestimmen. Man erhält
1 b2 [cot[θ1 ]2 − cot[θ2 ]2 ] + a2 [cot[θ2 ]2 − cot[θ3 ]2 ]
x= (1.11)
2 b cot[θ1 ]2 − (a + b) cot[θ2 ]2 + a cot[θ3 ]2
a b (a + b)
z2 = (1.12)
b cot[θ1 ]2 − (a + b) cot[θ2 ]2 + a cot[θ3 ]2
Durch Einsetzen dieser beiden Formeln in (1.7) erhält man nach einer
umfangreichen Faktorisierung für y 2 den Ausdruck
1 C1 C2 C3 C4
y2 = (1.13)
4 [b cot[θ1 ] − (a + b) cot[θ2 ]2 + a cot[θ3 ]2 ]2
2
mit den Größen
Damit ist die Aufgabe im Prinzip gelöst. Mit vorgegeben Daten läßt sich
die Position der Mastspitze S = (x, y, z) leicht berechnen. Die Koordinate
y bedeutet dabei geometrisch den Abstand des Fußpunktes F von der
Straße. Ist dieser Abstand Null, so führt die Straße direkt auf den Mast
zu - der Fußpunkt F läge dann auf der Straße.
Singuläre Fälle In den obigen Formeln fällt auf, daß in allen Nennern
der Ausdruck
C1 = 0 : Man kann einen der drei Winkel eliminieren und erhält für
das Quadrat der Höhe des Mastes die drei äquivalenten Formeln
b2
z2 = ;
(cot[θ2 ] + cot[θ3 ])2
(a + b)2
z2 = ;
(cot[θ1 ] + cot[θ3 ])2
a2
z2 = ;
(cot[θ1 ] − cot[θ2 ])2
C2 = 0 : Man kann wieder einen der drei Winkel eliminieren und erhält
für das Quadrat der Höhe des Mastes die drei äquivalenten Formeln
b2
z2 = ;
(cot[θ2 ] − cot[θ3 ])2
(a + b)2
z2 = ;
(cot[θ1 ] − cot[θ3 ])2
a2
z2 = ;
(cot[θ1 ] − cot[θ2 ])2
C3 = 0 : Man kann ebenso einen der drei Winkel eliminieren und erhält
für das Quadrat der Höhe des Mastes die drei äquivalenten Formeln
b2
z2 = ;
(cot[θ2 ] − cot[θ3 ])2
(a + b)2
z2 = ;
(cot[θ1 ] + cot[θ3 ])2
a2
z2 = ;
(cot[θ1 ] + cot[θ2 ])2
erfüllt sind. Setzt man zur Abkürzung für die Seitenlängen eines Dreieckes
so gilt für die Fläche A dieses Dreieckes nach Heron und Archimedes
16 A2 = C1 C2 C3 C4
= (−d1 + d2 + d3 )(d1 − d2 + d3 )(d1 + d2 − d3 )(d1 + d2 + d3 )
= (d21 + d22 + d23 )2 − 2 (d41 + d42 + d43 )
= 4 d21 d22 − (d21 + d22 − d23 )2
ein Dreieck legen können, damit die Aufgabe lösbar ist. Ist eine Seite
länger als die Summe der beiden anderen Seiten, ist das Problem nicht
lösbar oder die Daten sind fehlerhaft und entsprechen nicht einer realen
physischen Situation. Das Problem gleicht hier der alten Pothenotschen
Aufgabe, in der Richtungen zu den anvisierten Punkten zweideutig sind,
aber nur eine Situation realisiert ist.
Die letzte Beweishürde für ein hinreichendes Existenzkriterium realer
Beobachtungsdaten besteht darin, zu zeigen, dass aus der notwendigen
Forderung
b cot[θ1 ] + a cot[θ3 ] > (a + b) cot[θ2 ] (1.17)
auch automatisch die hinreichende Bedingung
folgt, nicht aber umgekehrt. Um dies zu zeigen, quadrieren wir die erste
Ungleichung (1.17) und erhalten die äquivalente Forderung (alle Größen
sind positiv)
b2 cot[θ1 ]2 + 2 a b cot[θ1 ] cot[θ3 ] + a2 cot[θ3 ]2 > (a + b)2 cot[θ2 ]2 (1.19)
Die zweite Ungleichung (1.18) multiplizieren wir erst mit b, dann mit a,
und addieren beide Teile zu der neuen äquivalenten Bedingung
b2 cot[θ1 ]2 + a b cot[θ1 ]2 + cot[θ3 ]2 + a2 cot[θ3 ]2 > (a + b)2 cot[θ2 ]2 .
(1.20)
Nun gilt aber nach der Ungleichung für das arithmetisch - geometrische
Mittel
2 cot[θ1 ] cot[θ3 ] ≤ cot[θ1 ]2 + cot[θ3 ]2 . (1.21)
Damit wird sofort klar, dass bei Erfüllung der Forderung (1.19) sicher
auch der Bedingung (1.20) Genüge geleistet wird - nicht aber umgekehrt.
Auch hier liefert die Formel (1.12) ohne Probleme das Resultat
1 MC 22, pp. 112, 1810; oder Gauss Werke Band 4, pp. 385 - 392
2 JacquesOzanam: Recreations Mathematiques et Physiques. Nouvelle Edition ...
par M. de C.G.F. (Monsieur M. de C.G.F. ist ein Pseudonym für Jean Étienne
Weil das Problem wirklich sehr interessant ist, werde ich hier die
analytische Koordinatenlösung darstellen, die sich eng an die Gauss’schen
Rechnungen anschließt. Im Gegensatz zu Gauss rechne ich aber mit
den Koordinaten (xn , yn ) der vier vorgegeben Punkte Pn des Viereckes
(n = 1, 2, 3, 4). Die parametrisierte Form einer allgemeinen Ellipse in der
Ebene lautet nun
x[t] = α cos[ψ] cos[t] − β sin[ψ] sin[t] + xm , (1.27)
Hier bedeuten α und β die große und kleine Halbachse der Ellipse,
m = (xm , ym ) den Mittelpunkt der Ellipse und ψ den Orientierungswinkel
der α - Halbachse mit der x - Achse. Die Seitengerade, welche durch die
Punkte P1 = (x1 , y1 ) und P2 = (x2 , y2 ) hindurch geht, wird beschrieben
durch die Gleichung
Soll jetzt diese Gerade die Ellipse an einem Punkt tangential berühren,
so müssen folgende zwei Bedingungen erfüllt sein:
x[t] (y2 − y1 ) − y[t] (x2 − x1 ) + x2 y1 − x1 y2 = 0, (1.30)
+ x2 y1 − y2 x1 )2
(1.32)
m2
P2
h1
P3 P1
m1
h2
P4
Fig. 1.2: Eine Ellipse mit maximalem Flächeninhalt in einem konvexen Vier-
eck P1 , P2 , P3 , P4 , wobei alle vier Seiten berührt werden. Die Mittelpunkte der
möglichen Ellipsen liegen alle auf der kritischen Geraden, die durch die Hal-
bierungspunkte h1 und h2 der Diagonalen des Viereckes gegeben sind. Dabei ist
bemerkenswert, dass auch der Halbierungspunkt h3 auf dieser Geraden liegt. Aus
den Gegebenheiten folgt der Satz von Gauss über das vollständige Vierseit.
U = α2 − β 2 cos[2ψ],
V = α2 − β 2 sin[2ψ],
(1.33)
2 2
W = α +β .
ein. Damit lautet die obige Berührungsbedingung
(x1 − x2 )2 − (y1 − y2 )2 U + 2 (x1 − x2 )(y1 − y2 ) V + 2 [xm (y2 − y1 )
2
− ym (x2 − x1 ) + x2 y1 − y2 x1 ] = (x1 − x2 )2 + (y1 − y2 )2 W.
(1.34)
Diese Bedingung gilt jetzt für das vorgegebene Punktepaar (P1 , P2 ).
Drei weitere Gleichungen erhält man aus den Punktepaaren (P2 , P3 ),
(P3 , P4 ) und (P4 , P1 ). Man hat so vier Gleichungen für fünf Unbekannte:
U, V, W, xm , ym . Die fünfte Gleichung ergibt sich aus der Extremalfor-
derung, dass die Fläche der Ellipse ein Maximum sein soll. Das Quadrat
dieser Fläche ist A2 = π 2 α2 β 2 oder
π2
A2 = W2 − U2 − V 2
(1.35)
4
Um das Problem zu reduzieren, kann man drei der vier Gleichungen
(1.34) nach U, V, W auflösen und die Ergebnisse in die vierte Gleichung
einsetzen. Auf diese Weise muss eine algebraische Gleichung zwischen xm
und ym entstehen, welche eine Kurve beschreibt, auf der alle Mittelpunkte
möglicher Ellipsen (Kegelschnitte) mit den geforderten Berührungseigen-
schaften liegen müssen.
Mit Hilfe von Computeralgebra erhält man überraschend einfach die
lineare Geradengleichung
Nur die Lösung mit dem negativen Vorzeichen vor der Wurzel entspricht
der Forderung einer maximalen Ellipse (relatives Maximum). Dieser Punkt
m1 = (xm , ym ) liegt zudem immer zwischen den Halbierungspunkten
4 Satz von Gauss über das vollständige Vierseit
h1 und h2 . Der andere Punkt m2 entspricht einem relativen Minimum,
liegt zwischen h2 und h3 und gehört einer Hyperbel mit zwei Ästen an
(siehe Fig. (1.2)). Ist einmal die Koordinate xm bekannt, kann sofort auch
ym berechnet werden. Und aus (1.34) und den zwei anderen analogen
Gleichungen folgen dann auch die Werte für U, V und W . Die Halbachsen
und der Neigungswinkel der Ellipse ergeben sich dann aus der Umkehrung
von (1.33) zu
r
1 p
α = W + U2 + V 2 ,
2
r
1 p
β = W − U2 + V 2 ,
2
V
tan[2ψ] =
U
Damit ist das Ellipsenproblem von Bessel aus dem Jahre 1810 vollstän-
dig gelöst. Zum Schluss wollen wir noch den Beweis von Gauss für die
Kollinearität der Punkte h1 , h2 , h3 mit einer eigenen Methode nachvoll-
ziehen. Gauss schrieb 1810: ... der Halbierungspunkt derselben muss also
in eben der geraden Linie liegen, welche die Halbierungspunkte der beiden
Diagonalen verbindet. Diese allgemeine Eigenschaft eines jeden Vierecks
ist meines Wissens bisher noch nicht bemerkt; ich werde davon unten
einen einfachen direkten Beweis geben.
Anstatt in reellen Koordinaten setzen wir in der komplexen Ebene für
den Referenzpunkt P4 = 0 und dann
P1 = e1 t1 ; P5 = e1 t2 ; P3 = e2 s1 ; P6 = e2 s2 .
Die Größen tj und sj sind positive reelle Zahlen und e1 und e2 sind
komplexe Einheitszahlen der Form eı ϕ , deren adjungierten Zahlen ihr
Kehrwert ist. Mit elementaren Rechenmethoden folgt dann
2 h1 = t1 e1 + s1 e2 ,
t1 t2 (s1 − s2 ) e1 + s1 s2 (t1 − t2 ) e2
2 h2 = ,
t1 s1 − t2 s2
2 h3 = t2 e1 + s2 e2 .
Bildet man jetzt den Quotienten
h1 − h2 t1 s1
= ,
h3 − h2 t2 s2
so ergibt sich eine rein reelle Zahl. Damit aber liegen die drei Punkte h1 ,
h2 und h3 auf einer Geraden. Dies nennt man heute den Satz von Gauss
über das Vierseit. Die Gerade heißt allgemeiner auch die Newton - Gauss
Gerade.
C2 B2
X2
B1
C1
A2
A1
Zentrum
X3
X1
A1 = e 1 t1 , A2 = e1 t2 ,
B1 = e2 s1 , B2 = e2 s2 ,
C1 = e3 r1 , C2 = e3 r2 .
Dann bestimmen wir die drei Schnittpunkte der Geraden A1 B1 mit
A2 B2 , die Geraden B1 C1 mit B2 C2 sowie die Geraden A1 C1 mit A2 C2 .
Man erhält
t1 t2 (s1 − s2 ) e1 + s1 s2 (t2 − t1 ) e2
X1 = ,
s1 t2 − s2 t1
s1 s2 (r1 − r2 ) e2 + r1 r2 (s2 − s1 ) e3
X2 = ,
r1 s2 − r2 s1
t1 t2 (r1 − r2 ) e1 + r1 r2 (t2 − t1 ) e3
X3 = .
r1 t2 − r2 t1
Bilden wir jetzt den Quotienten
X3 − X1 (t1 − t2 )(r2 s1 − r1 s2 )
= ,
X2 − X1 (s1 − s2 )(r2 t1 − r1 t2 )
so ist dieser rein reell und es ist somit bewiesen, dass die drei Punkte X1 ,
X2 und X3 auf einer Geraden liegen (Achse der Perspektive).
5 Entnommen aus K.C. Bruhns, Johann Franz Encke: Sein Leben und Wirken. Leipzig,
1869
Die Extremalaufgabe läßt sich mit dem Lagrangeschen Multiplikator
lösen. Denn die Fläche ist durch
1
A(x, y) = (s1 s2 sin[x] + s3 s4 sin[y]) (1.40)
2
gegeben, wo s1 , s2 , s3 und s4 die vorgegebenen Seiten und x und y
zwei gegenüberliegende Innenwinkel darstellen. Durch eine zyklische
Permutation der Seiten gelangt man auch zu einer zweiten äquivalenten
Formel mit dem alternativen Innenwinkelpaar. Die Innenwinkel sind
natürlich nicht unabhängig, sondern es gilt für die obige Formel die
Randbedingung
Hieraus folgt auch, dass keine der Seiten länger als die Summe der drei
anderen Seiten sein darf. Für den wichtigen Umkreisradius erhält man
außerdem
p
(s1 s2 + s3 s4 )(s1 s3 + s2 s4 )(s1 s4 + s2 s3 )
r= . (1.46)
4A
Mit der Kenntnis des Radius läßt sich die Aufgabe dann auch praktisch
lösen.
Mit dem Sehnenviereck sind mathematische Sätze verbunden, die
schon über 2000 Jahre alt sind. Berühmt ist der Satz des Ptolemäus,
welcher besagt, dass das Produkt der Diagonalen im Sehnenviereck gleich
der Summe aus den Produkten der gegenüberliegenden Seiten ist. Diese
Aussage ist gleichbedeutend mit der trigonometrischen Formel
θ1 − θ3 θ2 − θ4 θ2 − θ1 θ3 − θ4
sin sin + sin sin
2 2 2 2
θ3 − θ2 θ1 − θ4
+ sin sin = 0.
2 2
Diese Formeln gelten natürlich auch ohne Halbwinkel. Analog gilt auch
für beliebige komplexe Zahlen die Relation
(z1 − z3 )(z2 − z4 ) + (z2 − z1 )(z3 − z4 ) + (z3 − z2 )(z1 − z4 ) = 0. (1.47)
α = eı ϕ1 ; β = eı ϕ2 ; γ = eı ϕ3 (1.48)
A = r1 α, B = r2 β, C = r3 γ (1.49)
und
r12 γ (1 + γ 2 )2 − r1 r3 (1 + γ 2 )3 + γ r22 (1 − γ 2 )2 + r32 (1 + γ 2 )2 =(1.53)
0.
Ist β oder γ eine Lösung dieser Gleichungen, dann sind es auch 1/β und
1/γ. Die obigen Gleichungen können also auf zwei kubische Gleichungen
für β + 1/β oder γ + 1/γ reduziert werden. Im Falle von r1 = r2 = r3
folgt für beide Winkel die Bedingung 1 + β + β 2 = 0.
J.F. Encke und seine Freunde konnten froh sein, daß ihnen nicht
dieses Problem - als Schikane - vorgelegt worden ist.
Fig. 1.4: Das Problem des wackelnden Tisches: Kann ein quadratischer oder
rechteckiger wackeliger Tisch mit identisch langen Beinen nur durch eine horizon-
tale Drehung um das Zentrum der Tischplatte auf einem „hinreichend schwach“
gewölbten Fußboden stabilisiert werden? Martin Gardner hat das Problem 1973
diskutiert und eine einfache Lösung präsentiert. Im Bild ist die Verbiegung des
Bodens durch die Funktion S(x, y) ∼ x ∗ y dargestellt.
a, längs der y Achse die Breite b. Da alle vier Tischbeine gleich lang sein
sollen, definieren sie eine Ebene. Wenn der Fußboden ebenfalls eine ideale
Ebene darstellt, sind beide identisch und der Tisch ist gegenüber Wackeln
stabil. Wir haben dann für die als geometrische Punkte idealisierten
Beinspitzen die Lagekoordinaten
+a/2 −a/2
P1 = +b/2 ; P2 = +b/2 . (1.54)
0 0
sowie
−a/2 +a/2
P3 = −b/2 ; P4 = −b/2 . (1.55)
0 0
Die Zählweise ist hier gegen den Uhrzeigersinn definiert. Der Boden
befindet sich so bei z = 0. Verbiegt sich jetzt leicht dieser Boden, so muss
die Ebene der Tischbeinspitzen durch eine vertikale Transformation und
eine allgemeine Rotation eine neue stabile Standposition - wenn möglich -
suchen. Zur Beschreibung der Rotation benutzen wir die drei Eulerschen
Winkel ϕ, θ, ψ. Eine einfache Drehung des Tisches um die vertikale Achse
um den Winkel ϕ wird bekanntlich durch die Matrix
+ cos[ϕ] − sin[ϕ] 0
Mz = + sin[ϕ] + cos[ϕ] 0 (1.56)
0 0 1
Die gesamte Drehung der vier planaren Beinspitzen im Raum wird somit
durch die Eulersche Matrix
M = Mx · My · Mz (1.59)
modelliert. Wenn sich nun der zunächst ebene Boden leicht verformt,
muss der Tisch oder Stuhl unter Umständen um den Betrag h leicht
angehoben oder abgesengt und danach noch in bestimmter Weise gedreht
und gekippt werden, um wieder stabil auf dem verbogenen Boden zum
Stehen zu kommen. Um dies analytisch zu beschreiben, setzen wir voraus,
daß die Verformung des Fußbodens und somit auch die Kippwinkel θ
und ψ sowie die Translation h sehr klein sind. Bis einschließlich erster
Ordnung in den kleinen Kippwinkeln θ und ψ lauten die transformierten
Koordinaten der vier Spitzen der Tischbeine dann
1
2 (a cos[ϕ] − b sin[ϕ])
1
P1 = 2 (a sin[ϕ] + b cos[ϕ])
1
h + 2 ((b ψ − a θ) cos[ϕ] + (b θ + a ψ) sin[ϕ])
1
(−a cos[ϕ] − b sin[ϕ])
2
1
P2 = (−a sin[ϕ] + b cos[ϕ])
2
1
h + 2 ((b ψ + a θ) cos[ϕ] + (b θ − a ψ) sin[ϕ])
1
(−a cos[ϕ] + b sin[ϕ])
2
1
P3 = (−a sin[ϕ] − b cos[ϕ])
2
1
h + 2 ((a θ − b ψ) cos[ϕ] − (b θ + a ψ) sin[ϕ])
1
(a cos[ϕ] + b sin[ϕ])
2
1
P4 = (a sin[ϕ] − b cos[ϕ])
2
h + 12 ((a ψ − b θ) sin[ϕ] − (b ψ + a θ) cos[ϕ])
1 (2,0) 2
S(x, y) = S(1,0) x + S(0,1) y + S x + 2 S(1,1) x y + S(0,2) y 2
2
1 (3,0) 3 (2,1) 2
+ S x +3S x y + 3 S(1,2) x y 2 + S(0,2) y 3 + . . .
6
(1.60)
Der Fußpunkt der Tischplattenmitte ist hier wieder der Koordinatenur-
sprung (x, y) = (0, 0). Der erste Term in (1.60) stellt einen geneigten
Boden zur gravitativen Normalen dar und sollte kein Problem für eine
neue geneigte Stabilitätslage des Tisches sein. Doch was ist mit dem
quadratischen Biegungsterm und dem noch komplizierteren kubischen
Term?
Die Abstände der vier Tischbeine von dem deformierten Boden können
wir jetzt allgemein durch die Ausdrücke
2 S(1,1)
tan(2ϕ) = (1.63)
S(2,0) − S(0,2)
auch die Größe d1 Null wird und so der Tisch vollständig stabilisiert
ist. Ein wirklich kontraintuitives Resultat! Erstaunlich ist auch, daß
dieses Ergebnis in unserer linearisierten Näherung nicht nur für einen
quadratischen Tisch (a = b), sondern auch für einen rechteckigen Tisch
auf kubisch gewölbten Wirtsböden gilt. Merkwürdig ist zudem, daß man
nur durch eine Drehung um 90 Grad immer von einem positiven zu einem
negativen Wert von d1 (ϕ) wechselt. Denn es gilt
6 Klug,H.: Neue Stereometrie der Fässer, Leipzig 1908. Siehe auch: Folkerts, Menso:
Die Entwicklung und Bedeutung der Visierkunst als Beispiel der praktischen
Mathematik der frühen Neuzeit. Humanismus und Technik 18, Seite 1-41, (1974).
Erweitert in Die Faßmessung (Visierkunst) im späten Mittelalter und in der
frühen Neuzeit. In: Rainer Gebhardt (Hrsg.): Visier- und Rechenbücher der frühen
Neuzeit. Schriften des Adam-Ries-Bundes Annaberg-Buchholz, Band 19, Annaberg-
Buchholz 2008, S. 1-36.
ließ daher etliche Fässer in mein Haus schaffen und daselbst einlegen.
Vier Tage hernach kam nun der Verkäufer mit einer Meßrute, die er
als einziges Instrument benutzte, um ohne Unterschied alle Fässer aus-
zumessen, ohne Rücksicht auf ihre Form zu nehmen oder irgendwelche
Berechnung anzustellen.
Er steckte nämlich die Spitze des Eisenstabes in die Einfüllöffnung des
vollen Fasses schief hinein bis zum unteren Rand der beiden kreisförmigen
Holzdeckel, die wir in der heimischen Sprache die Böden nennen. Wenn
dann beiderseits diese Länge vom obersten Punkt des Faßrunds bis zum
untersten Punkt der beiden kreisförmigen Bretter gleich erschien, dann
gab er nach der Marke, die an der Stelle, wo diese Länge aufhörte, in
den Stab eingezeichnet war, die Zahl der Eimer an, die das Faß hielt,
und stellte dieser Zahl entsprechend den Preis fest.
Mir schien es verwunderlich, ob es möglich sei, aus der durch den
Körper des halben Fasses quer gezogenen Linie den Inhalt zu bestimmen,
und ich zweifelte an der Zuverlässigkeit dieser Messung. Die Zweifel von
Fig. 1.5: Volumenbestimmung eines vollen Weinfasses durch eine quer durch
ein Spundloch geschobene Visierrute mit kubischer Skala um das Jahr 1600 in
Österreich.
√ Optimal war diese Methode für zylindrische Fässer der Proportionen
2 : 1.
Kepler kann man teilen und überlegen, auf welchen Prämissen diese
im Prinzip sehr einfache und schnelle Methode der kubischen Visierrute
beruht. Stellt man sich das Weinfass in erster Näherung als einen einfachen
Zylinder mit dem Durchmesser D und der Höhe H = λ D vor, wo λ
eine Strukturzahl um 1 − 2 bedeutet „österreichische Fässer), so ist sein
Volumen durch
π
V = λ D3 (1.65)
4
gegeben. Für die Länge S der Messrute, die diagonal durch das mittige
Spundloch des zylindrischen Fasses zu beiden der unteren Bodenrändern
geführt wird, gilt nach Pythagoras
λ2
S 2 = D2 1 + . (1.66)
4
Durch zweimaliges Messen der beiden Bodenränder prüft man so die
Symmetrie des Spundloches zum Faß und durch die Mittelwertbildung
läßt sich die Messgenauigkeit erhöhen. Eliminiert man nun die Größe D,
so ergibt sich die neue Volumenformel
2πλ
V [λ, S] = p S3, (1.67)
(4 + λ2 )3
die nur von der Längenmarkierung der kubischen Messrute und dem
Strukturparameter λ des Weinfasses abhängt. Aus der obigen Formel
folgt sofort eine bemerkenswerte Tatsache bezüglich des optimalen Ver-
hältnisses H/D von nahezu zylindrischen Weinfässern, wenn ihr Inhalt
immer mit der kubischen Rute bei fester Markierung S gemessen wird.
Das Volumen eines Weinfasses erreicht nämlich bei konstantem S dann
sein Extremum, wenn
( )
d λ
p ≡0 (1.68)
dλ (4 + λ2 )3
gilt. Daraus folgt aber überraschend
H √
λe = ≡ 2. (1.69)
D
Genau diese Dimensionierung hatten viele österreichische Weinfässer.
√ nur das Verhältnis von H zu
Dabei spielt die absolute Größe keine Rolle,
D musste ungefähr bei dem Extremum 2 : 1 liegen. Dann ergab sich
der Inhalt eines vollen Weinfasses einfach nach der Formel
π
V = √ S 3 ≈ 0.6046 S 3 (1.70)
3 3
0.70
0.65
VS3
0.60
0.55
0.50
1.0 1.2 1.4 1.6 1.8 2.0
Λ
Fig. 1.6: Die Größe V /S 3 als Funktion des Strukturparameters λ = H/D eines
Weinfasses. Der Faktor 0.6 bei der√kubischen Rutenformel (1.67) war optimal für
Fässer der Dimensionierung λ ≈ 2.
yp [x] = a x2 + b x + c; ys [x] = m x + n
a x2 + (b − m) x + c − n = 0. (1.72)
Es gilt
m−b c−n
x1 + x2 = ; x1 x2 = (1.73)
a a
Für das Flächenmaas des Parabelsegments erhält man so zunächst
Z x2
A = (yp [x] − ys [x]) dx (1.74)
x1
1 1
= (x2 − x1 ) c − n + (b − m)(x1 + x2 ) + a (x21 + x1 x2 + x22 )
2 3
c − n + (b − m) x1 = −a x21
c − n + (b − m) x2 = −a x22 .
Werden beide Gleichungen addiert und durch zwei geteilt, läßt sich (1.74)
vereinfachen und man erhält für das positiv definite Flächenmaß
1
A = ± a (x2 − x1 )3 . (1.75)
6
Das Vorzeichen muss entsprechend dem Zeichen von a (x2 > x1 ) ge-
wählt werden. Diese überraschend einfache Formel für die Fläche eines
Parabelsegmentes hätte Archimedes noch nicht ableiten können, da er
nicht in „Koordinaten“ oder Krümmung von Kurven dachte. Um aber
die Archimedische Beziehung abzuleiten, eliminieren wir in (1.74) die
Größen x1 und x2 durch (1.73) und erhalten zunächst
(b − m)2
2
A = (x2 − x1 ) c − n − (1.76)
3 4a
Nun müssen wir den Ausdruck in der Klammer mit seinen Konstanten
a, b, c, m, n geometrisch interpretieren. Der Punkt auf der Parabel, dessen
Tangente parallel zur Sekanten ist, hat die Koordinaten
m−b m2 − b2
xh = ; yh = c +
2a 4a
Der Abstand dieses Punktes von der Sekante folgt aus der Sekantenglei-
chung in der Hesseschen Normalform
yh − m xh − n c − n − (b − m)2 /(4 a)
h= √ ≡ √
1 + m2 1 + m2
√
Mit der Länge der Sekanten s = (x2 − x1 ) 1 + m2 folgt das Ergebnis
2
A= hs (1.77)
3
Genau dies ist der einschalige Hyperboloid als Funktion der „Verdrillung“
α. Dabei lassen sich auch zwei Netze mit einem positiven und einem
negative Drillwinkel α überlagern (Stahlnetzturm). Als Erster hat der
russische Ingenieur W. G. Schuchow (1853-1939) diese Bauweise für
die Allrussische Industrie- und Handwerksausstellung 1896 in Nischni
Nowgorod bei einem Wasserturm angewendet. Im Jahre 1919 plante er
auch einen Hyperboloid-Radioturm, der den Eiffelturm an Höhe noch
überragen sollte, aber aus Mangel an Material aufgegeben wurde.
x + y + z = 100. (1.79)
Alle ganzen Zahlen müssen zudem größer null sein. Der Stückpreis der
kleinen Schafe sei m, dann ist die der mittleren Schafe gleich m + 199,
weil 24 ∗ 8 + 7 = 199 ist. Wenn der Stückpreis der großen Schafe A ist, so
gilt aufgrund des Gesamtpreises die zweite Bedingung
weil 100 Thaler gleich 100 ∗ 36 ∗ 8 = 28800 Pfennige sind. Als dritte
Bedingung folgt schließlich noch
2 ≤ y ≤ 74 (1.82)
Tab. 1.1: Die vollständigen 12 Lösungen der Aufgabe aus dem Rechenbuch des
Pastors J. H. Uflakkers für Anfänger und Liebhaber der Algebra, dritte Auflage
1799. Die fett gedruckte Lösung ist von Gauss im Juli 1800 übersehen worden.
2Α j
C D A
Fig. 1.8: Im gleichschenkligen Dreieck ABC mit AC=BC beträgt der Winkel bei C
genau 20 Grad (α = 10◦ ). Die Strecke CD soll genau so lang sein wie die Strecke
AB. Wie groß ist beim Punkt D der Winkel ϕ ?
Wie man sieht, ist dies eine implizite Relation zwischen den Winkeln
α und ϕ. Es wäre hier auch nicht angeraten, diese Beziehung nach ϕ
aufzulösen. Wegen sin[π/6] = 1/2 erhalten wir aber die schöne Relation
Damit ist man am ersehnten Ziel. Als einfachste Lösung bietet sich sofort
ϕ = 3 α an. Dann ergibt sich sofort α = π/18 und ϕ = π/6 ≡ 30◦ .
Und genau diesen Fall kann man auch geometrisch im Geiste Euklids
lösen. Dazu betrachtet man den Umkreis des Dreieckes ABC mit dem
doppelten Zentralwinkel 40◦ . In diesem speziellen Neuneck läßt sich dann
durch Verlängerung der Strecke DB das Ergebnis deduzieren. Die obige
Aufgabe ähnelt einem klassischen Problem des britischen Mathemati-
kers E.M. Langley (1851-1933). Er war im Jahre 1894 Gründer der
mathematischen Zeitschrift Mathematical Gazette und formulierte 1922
ein berühmtes Geometrie - Winkel - Problem, bekannt als Langley’s
Adventitious Angles 10 . Nach Figur (1.9) sind wieder die drei Punkte eines
10 „Langley’szufällige Winkel“: Mathematical Gazette 11,173 (1922). Siehe auch T.
Rike: An Intriguing Geometry Problem. Berkley Math Circle, 2002.
2α β γ ϕ
2α β γ ϕ
24 51 24 12
4 46 4 2
24 51 39 27
4 46 44 42
28 52 28 14
8 47 8 4
28 52 38 24
8 47 43 39
32 53 32 16
12 42 18 12
32 53 37 21
12 42 30 24
36 54 36 18
12 48 12 6
40 55 35 15
12 48 42 36
40 55 40 20
12 57 33 15
44 56 34 12
12 57 42 27
44 56 44 22
12 66 42 12
48 57 33 9
12 66 54 24
48 57 48 24
12 69 21 3
52 58 32 6
12 69 66 48
52 58 52 26
12 72 42 6
56 59 31 3
12 72 66 30
56 59 56 28
16 49 16 8
72 39 21 12
16 49 41 33
72 39 27 18
20 50 20 10
72 42 24 12
20 50 40 30
72 42 30 18
20 60 30 10
72 48 24 6
20 60 50 30
72 48 42 24
20 65 25 5
72 51 39 9
20 65 60 40
72 51 42 12
20 70 50 10
120 24 12 6
20 70 60 20
120 24 18 12
gegeben. Eine elementare Rechnung liefert für die beiden anderen Punkte
Β
2Α
A E B
Fig. 1.9: Das Winkelproblem von Langley aus dem Jahre 1922: Im gleichschenk-
ligen Dreieck ABC mit AB=AC sind die Winkel α = 10◦ , β = 60◦ und γ = 50◦
bekannt. Wie groß ist beim Punkt D der Winkel ϕ ?
Schon hier kann man erkennen, dass dieses Problem wesentlich komplizier-
ter ist als das vorhergehende. Faktorisiert man diesen trigonometrischen
Ausdruck mit Computeralgebra vollständig aus, so ist die Winkelbedin-
gung gleichbedeutend mit der Forderung
Die Produkte einer Cosinus - und einer Sinusfunktion können als reine
Sinusfunktionen umgeschrieben werden. Also gilt die sehr symmetrische
Bedingung
Wegen
a+b a+c b+c
4 sin sin sin = sin[a] + sin[b] + sin[c] − sin[a + b + c].
2 2 2
kann die implizite Winkelrelation des Langley - Problems auch in der
Form
Mit diesen drei neu gefundenen Punkten kann man wieder auf drei
verschieden Arten ein neues vergrößertes Parallelogramm bilden - so dass
eine unendliche Iteration beginnt. Die Rekursionsformeln lauten dann
p1 [n + 1] = −p1 [n] + p2 [n] + p3 [n]
p2 [n + 1] = +p1 [n] − p2 [n] + p3 [n]
p3 [n + 1] = +p1 [n] + p2 [n] − p3 [n]
Die Lösung lautet
p1 [n] = a[n] p1 + b[n] p2 + b[n] p3
p2 [n] = b[n] p1 + a[n] p2 + b[n] p3
p3 [n] = b[n] p1 + b[n] p2 + a[n] p3
mit
1 1
1 + (−1)n 21+n ; b[n] = (1 − (−1)n 2n )
a[n] =
3 3
Die Koeffizienten a[n] und b[n] sind immer ganzzahlig.
Dies sind genau vier Gleichungen für die vier Unbekannten m, m, a und
z = eıϕ . Eine Auflösung nach z 2 führt auf die wichtige und bemerkens-
werte Winkelrelation
P2 − P4 − ı (P1 − P3 )
e2 ı ϕ = . (1.87)
P2 − P4 + ı (P1 − P3 )
Mit ihr ist das Problem formal gelöst. Für beliebig vorgegebene vier
Punkte (Steine) Pk , (k = 1, 2, 3, 4) kann eine kritische Richtung ϕ
berechnet werden, deren reiner Winkelwert auf ±π festliegt. Dabei lassen
sich die vier Werte von Pk zu 6 verschieden Paaren sortieren, so dass
ohne genaue Festsetzung es eigentlich 6 verschiedene Lösungen gibt. Wir
haben einfach die sechs Variationen (siehe Fig. (1.10))
P1 P2 P3 P4 P2 P1 P3 P4 P1 P3 P 2 P4
P1 P 2 P4 P3 P3 P2 P1 P4 P1 P4 P 2 P3 .
Solange der Zähler und damit auch der Nenner in (1.87) nicht Null
sind, folgt durch Addition der obigen vier Bedingungsgleichungen für den
Mittelpunkt des Quadrates
1
P1 + P2 + P3 + P4 + P1 − P2 + P3 − P4 e2 ı ϕ .
m=
4
In gleicher Weise ergeben sich zwei gleichwertige Formeln für die Länge
der Quadratseite zu
1
(P1 − P3 ) e−ı ϕ + P1 − P3 e+ı ϕ
a= (1.88)
2
oder
1
(P2 − P4 ) e−ı ϕ − P2 − P4 e+ı ϕ .
a= (1.89)
2ı
Mit diesen Ergebnissen kann man jetzt die Lage aller vier Ecken des
Quadrates bestimmen. Das Problem ist aber eigentlich schon gelöst, wenn
man die komplexen Zeiger der Quadratseiten kennt. Denn es gilt ja nach
den obigen Definitionen
B − A = +ı a eı ϕ , C − B = −a eı ϕ ,
ıϕ
D − C = −ı a e , A − D = +a eı ϕ .
ıϕ < (P1 − P3 )(P2 − P4 )
ae = . (1.90)
P2 − P4 + ı (P1 − P3 )
Diese elegante Formel entscheidet über die Existenz des gesuchten Qua-
drates. Sie bestimmt sowohl die Winkelorientierung als auch die Länge
der Quadratseite. Man sieht ihr an, dass es entscheidend auf die Strecken
P1 P3 und P2 P4 sowie ihrer gegenseitigen Orientierung ankommt.
Doch das eigentliche Geheimnis der Aufgabe haben wir noch gar nicht
entdeckt. Es steckt in der Formel (1.87). Wir können diese Winkelbestim-
mung nämlich in der Form
P2 − {P4 + ı (P1 − P3 )} P − Q2
e2 ı ϕ = ≡ 2 . (1.91)
P2 − P4 − ı (P1 − P3 ) P2 − Q2
Fig. 1.10: Das geometrische Problem, ein Quadrat zu finden, dessen Seiten
oder verlängerten Seiten durch vier vorgegebene Punkte (Steine) geht, hat im
Allgemeinen genau sechs Lösungen.
muss aber wie der Punkt P2 auch irgendwo auf der Quadratseite BC
liegen . Mit (1.92) ist somit ein zweiter Punkt auf der Seite BC des
Quadrates bekannt und man kann die Seite rein geometrisch konstruieren.
Für die gegenüberliegende Seite DA gilt analog
P4 − {P2 + ı (P3 − P1 )} P − Q4
e2 ı ϕ = ≡ 4 . (1.93)
P4 − P2 − ı (P3 − P1 ) P4 − Q4
Q1
P1
P3
Q3
D A
Q4 P4
Fig. 1.11: Wenn in einem Quadrat auf jeder der vier Seiten ein Punkt (Stein) Pk
bekannt ist, so kann man sehr leicht für jede Seite vier weitere Punkte (Muscheln)
Qk konstruieren. Die entscheidende Schlüsselgleichung ist hier (1.87). Nur wenn
diese Bildpunkte mit den Ausgangspunkten identisch sind, gibt es keine eindeutige
Lösung.
Für die beiden anderen parallelen Seiten des Quadrates ergeben sich in
ähnlicher Weise zwei neue Punkte. Mit Hilfe der bekannten vier Steine
lassen somit vier neue Stein-Muscheln
Q1 = P3 + ı (P4 − P2 ),
Q2 = P4 + ı (P1 − P3 ), (1.95)
Q3 = P1 + ı (P2 − P4 ),
Q4 = P2 + ı (P3 − P1 ).
in zyklischer Symmetrie in den Sand legen. Damit lassen sich aber die Sei-
ten des Quadrates vollständig rekonstruieren. Ein wirklich ungewöhnlich
schönes Ergebnis. Zudem ist nach (1.95) klar, dass je zwei aufeinander
senkrecht stehende Streckenpaare gleich lang sind. In Fig. (1.11) ist als
Beispiel P1 = 8 + 6ı, P2 = 4 + 8ı, P3 = 0 + 5ı und P4 = 6 + 0ı dargestellt.
Die daraus konstruierten „Muschelsteine“ lauten Q1 = 8+7ı, Q2 = 5+8ı,
Q3 = 0 + 4ı und Q4 = 5 + 0ı.
Die obigen Formeln legen den Gedanken nahe, eine unendliche Rekur-
sion für die Konstruktion weiterer Steine (Muscheln) zu formulieren. In
der Tat können wir sehr einfach die Rekursion
P1 [n + 1] = P3 [n] + ı (P4 [n] − P2 [n]),
P2 [n + 1] = P4 [n] + ı (P1 [n] − P3 [n]),
P3 [n + 1] = P1 [n] + ı (P2 [n] − P4 [n]),
P4 [n + 1] = P2 [n] + ı (P3 [n] − P1 [n]).
hinschreiben, welche mit der Anfangsbedingung Pk [0] = Pk (k=1,2,3,4)
zu lösen ist. Die allgemeine Lösung der obigen gekoppelten Rekursions-
gleichungen lautet
(−3)n − 1
P1 [n] = P1 + {P1 − P3 + ı (P2 − P4 )} ,
4
(−3)n − 1
P2 [n] = P2 + {P2 − P4 − ı (P1 − P3 )} ,
4
(−3)n − 1
P3 [n] = P3 − {P1 − P3 + ı (P2 − P4 )} ,
4
(−3)n − 1
P4 [n] = P4 − {P2 − P4 − ı (P1 − P3 )} .
4
Durch diese Beziehungen entstehen immer weitere Seitenpunkte, die aber
bald nur noch auf den verlängerten Quadratseiten zum liegen kommen.
Die Sonderfälle des Problems können anhand der Formel (1.90) oder
der obigen Rekursion sofort eingesehen werden. Stehen nämlich die beiden
Diagonalen P1 P3 und P2 P4 senkrecht aufeinander, sind dabei aber nicht
gleichlang, so existiert das Quadrat nicht, weil jetzt a = 0 gilt. Der zweite
bemerkenswertere Sonderfall tritt ein, wenn der Quotient in (1.87) oder
in (1.90) die Form 0/0 annimmt. Dann gilt
P1 − P3 + ı (P2 − P4 ) = 0 (1.96)
und die Rekursionen entarten zu Identitäten. In diesem Spezialfall stehen
in dem Viereck P1 P2 P3 P4 die beiden sich kreuzenden Diagonalen P1 P3
P3
P2
P4
P1
Fig. 1.12: Das Problem, ein Quadrat zu finden, dessen vier eventuell verlängerten
Seiten durch je einen der vier vorgegebenen Steine (Punkte) gehen, hat in dem
hier gezeigten Sonderfall unendlich viele Lösungen (siehe Text). Hier stehen die
Strecken P1 P3 und P2 P4 senkrecht aufeinander und sind zusätzlich gleich lang.
Das maximale Quadrat ist dann parallel zu diesen Strecken ausgerichtet. Wären
die beiden Strecken zwar senkrecht zueinander, aber nicht gleich lang, so gäbe es
gar keine Lösung.
Dieses Ergebnis gilt nur für den kritischen Sonderfall gleich langer und
orthogonaler Balken. Für den allgemeinen Fall gibt die Schlüsselgleichung
(1.90) immer eine eindeutige Richtung und einen eindeutigen Wert für
die Quadratseite a.
A + e2πı/3 B + e4πı/3 C = 0.
C
P3
N23
A
N31
F P2
P1 N12
Fig. 1.13: Beim größten gleichseitigen Dreieck, welches man durch drei vorgegebene
Punkte legen kann, sind die Seiten mit dem äußeren gleichseitigen Napoleondreieck
dieser drei Punkte parallel.
11 Alsfrühester Beleg für diesen Satz ist ein italienisches Schulbuch aus dem Jahre
1843 bekannt (Turner. G.: Elementi di geometria. Band 1. Palermo 1843). Der
gilt auch hier
N12 + e2πı/3 N23 + e4πı/3 N31 = 0.
O P2
N
H
Α
Β
P3
Fig. 1.14: Werden von einem Punkt P auf dem Umkreis eines Dreieckes die
Lote P1 , P2 und P3 auf jede Seite gefällt, so liegen diese drei Fußpunkte auf einer
Geraden - der sogenannten Simson - Wallace Geraden. Die Strecke zwischen P
und dem Höhenschnittpunkt H wird dabei von dieser Geraden genau halbiert. Die
Schar aller Simson Geraden bilden eine Hüllkurve - eine Deltoide. Der Mittelpunkt
dieser Hüllkurve ist der Mittelpunkt des Feuerbachkreises N.
Zusammenhang mit Napoleon kann aber zum ersten Mal 1912 in einem anderen
italienischen Schulbuch in der 18. Auflage nachgewiesen werden. (Faifofer. A.:
Elementi di geometria. Edizione ad uso degli Instituti Tecnici (1◦ bienio) e dei
Licei. Venedig: Sorteni e Vidotti 18 , 1912). Angeblich hat Napoleon diesen Satz
zum Beweis an Lagrange gegeben.
Lote als Schnittpunkte zweier Geraden zu
1 ıϕ
e + γ + α − γ α e−ı ϕ
P1 =
2
1 ıϕ
e + β + γ − β γ e−ı ϕ
P2 =
2
1 ıϕ
e + α + β − α β e−ı ϕ
P3 =
2
Diese drei Punkte sind aber kollinear, denn es gilt
P1 − P2 P1 − P3 P2 − P3
= = = α β γ e−ı ϕ (1.98)
P1 − P2 P1 − P3 P2 − P3
Damit ist bewiesen, dass alle drei Punkte auf einer Gerade liegen - eben
der Simpson-Geraden. Bezeichnen wir den Neigungswinkel dieser Geraden
in der komplexen Ebene mit ψ, so gilt sehr einfach
eı (2ψ+ϕ) = α β γ. (1.99)
1 ıϕ
2 e + α + β + γ + α β γ e−2ı ϕ .
g[ϕ] = (1.105)
2
In der Literatur wird sie als Deltoide bezeichnet und ist in Figur (1.14)
dargestellt. Die Lage ihrer drei Spitzen (gelbe Punkte in Fig. (1.14)) sind
durch den schönen Ausdruck
1n 1
o
α + β + γ + 3 (α β γ) 3 η n , {n = 1, 2, 3}
2
2π ı
gegeben, wobei η die kubische Einheitswurzel η = e+ 3 bedeutet. Die
drei Richtungen dieser Punkte hängen mit dem Morley - Dreieck zusam-
men.
Fig. 1.15: Die Skizze des Astronomen William Herschel zum heute sogenannten
Butterfly Theorem aus dem Jahre 1805
g
Q
P m
Γ
Β
Fig. 1.16: Das Butterfly Theorem: Auf einem Kreis befinden sich vier Punkte,
deren Sehnen αβ und γδ sich in einem Punkt m schneiden. Eine Gerade g geht
durch m und steht senkrecht auf der Verbindungslinie Om. Diese Gerade schneidet
die Sehne αδ in P und βγ in Q. Dann sind die Strecken Pm und Qm gleich lang.
Die zwei Sehnen α γ und β δ schneiden sich in dem Punkt m. Für den
Schnittpunkt m gelten die zwei Gleichungen mit den Geradenparametern
t1 und t2
α + (γ − α) t1 = β + (δ − β) t2
1/α + (1/γ − 1/α) t1 = 1/β + (1/δ − 1/β) t2 .
in welcher der Punkt p aber nicht mehr der Schnittpunkt der beiden
Sehnen αγ und βδ sein muss. Diese Gerade bringen wir nun zum Schnitt
mit den sechs möglichen Sehnen des Viereckes αβγδ. Es ergeben sich die
drei Paare
α + γ − 2αγ p β + δ − 2β δp
P1 = p Q1 = p
p − αγ p p−βδp
α + β − 2αβ p γ + δ − 2γ δp
P2 = p Q2 = p
p − αβp p−γδp
β + γ − 2β γ p α + δ − 2αδp
P3 = p Q3 = p
p−βγp p − αδp
Fordern wir jetzt für irgendein Punktepaar die Gültigkeit der Beziehung
p = (Pk + Qk )/2, {k = 1, 2, 3}
13 Leon Bankoff: The metamorphosis of the butterfly problem. Mathematics Magazine
60, no.4, p.195-210, Oct. 1987. Leon Bankoff (1908-1997) war ein amerikanischer
Zahnarzt und Mathematiker. Er arbeitete über den Arbelos von Archimedes, das
Butterfly Problem und das Morley Dreieck.
14 Murray Klamkin (1921-2004). Amerikanischer Mathematiker
Α ∆
Q3
P
Q2
g P1
Q1
P2
P3
Β
O
Fig. 1.17: Das verallgemeinerte Klamkin - Butterfly Theorem für den universel-
len Mittenpunkt p, dessen Position von den Eckpunkten α, β, γ und δ auf dem
komplexen Einheitskreis abhängt. Die Punkte Q1 , Q2 und Q3 sind im Bezug zu
P die Spiegelpunkte zu P1 , P2 und P3 .
1
p= {α + β + γ + δ} (1.117)
2
A = α; B = β; E = γ; D=δ (1.118)
Dann folgt mit linearer Algebra für die vier zu konstruierenden Punkte
γδ(α − β) − αβ(γ − δ)
C = , (1.119)
αδ − βγ
γδ(α − β) + αβ(γ − δ)
F = (1.120)
αδ − βγ
und
γδ(α + β) + αβ(γ − δ)
K = , (1.121)
αδ + βγ
γδ(α + β) − αβ(γ − δ)
L = . (1.122)
αδ + βγ
Daraus ergibt sich
A−B α−β
= = −αβ; (1.123)
A−B 1/α − 1/β
F−C K−L
= +αβ; = −αβ; (1.124)
F−C K−L
Daraus folgt, daß CF senkrecht auf AB und außerdem KL parallel zu AB
ist. Auch die vier Punkte KLDE und CDFE liegen je für sich auf einem
15 Das
Problem verdanke ich Ingmar Rubin aus Berlin und ist eines der vielen Meta-
morphosen des Butterfly Theorems von William Wallace aus dem Jahre 1803.
C
m2
D E
m1 L
Fig. 1.18: Durch die Eckpunkte A und B des Dreiecks ABC verlaufe ein Kreis,
der AC in D und BC in E schneidet. In D wird die Senkrechte zu AC errichtet. Sie
schneidet BC in L. Im Punkt E wird die Senkrechte zu BC errichtet. Sie schneidet
AC in K. Die beiden Senkrechten schneiden sich im Punkt F. Zeige dass die Gerade
durch C, F senkrecht auf AB steht. Weiterhin ist zu zeigen, dass die Gerade durch
K, L parallel zu AB laufe.
1 γ δ(α + β)
m1 = (K + L) = , (1.125)
2 αδ + βγ
1 γ δ(α − β)
m2 = (C + F) = (1.126)
2 αδ − βγ
liegen. Doch es gilt noch mehr: Die Mittelpunkte aller drei Kreise liegen
auf einer Geraden. Denn es gilt
m1 m2
= γ δ, = γ δ, (1.127)
m1 m2
Daraus folgt überraschend, daß auch die Strecke DE senkrecht auf der
Strecke m1 m2 steht.
Aus der Forderung, dass alle drei Kreise einen gemeinsamen Punkt X
haben sollen, folgen die drei Gleichungen
(A t − X)(A t − X) = (t − 1)2
(B t − X)(B t − X) = (t − 1)2
(C t − X)(C t − X) = (t − 1)2 .
Diese drei Gleichungen lassen zwei Lösungen für das System X, X, t zu.
16 DasProblem wurde von dem kanadischen Mathematiker Ross Honsberger (1929-
2016) in seiner Buchserie „Mathematical Gems“ behandelt
C
I X1
U
A B
Fig. 1.19: Drei Kreise identischen Halbmessers berühren je zwei Seiten eines
Dreieckes und schneiden sich in einem gemeinsamen Punkt X1 , der die Kimberling
Nummer 55 hat.
Diese lauten
2αβγ(α + β + γ)
X1 =
α2 (β+ γ) + β 2 (γ + α) + γ 2 (α + β)
(α + β)(α + γ)(β + γ)
t1 =
α (β + γ) + β 2 (γ + α) + γ 2 (α + β)
2
2αβγ
%1 = − 2
α (β + γ) + β 2 (γ + α) + γ 2 (α + β)
als auch
2αβγ(α + β + γ)
X2 =
α2 (β+ γ) + β 2 (γ + α) + γ 2 (α + β) + 4αβγ
(α + β)(α + γ)(β + γ)
t2 =
α (β + γ) + β 2 (γ + α) + γ 2 (α + β) + 4αβγ
2
C
X2
I
U
A B
Fig. 1.20: Drei Kreise identischen Halbmessers berühren je zwei Seiten eines
Dreieckes und schneiden sich in einem gemeinsamen Punkt X2 , der die Kimberling
Nummer 56 hat.
2αβγ
%2 = .
α2 (β + γ) + β 2 (γ + α) + γ 2 (α + β) + 4αβγ
Mit dem Radius R des Umkreises gilt dann in unseren Einheiten auch
R R
%1 = ; %2 = . (1.129)
R+1 R−1
Es existiert noch ein vierter Kreis, der durch die übrigen Schnittpunkte
der Kreise geht und den gleichen Radius besitzt.
(L − N)(L − N) = %2 , L L = 1.
αβ + αγ + βγ α+β+γ
L= , L= . (1.136)
α+β+γ αβ + αγ + βγ
C
La
L Α
Lb Β
O
X7 U
N X8
A Lc B
Fig. 1.21: Der große Satz von K.W. Feuerbach: Der Neunpunktekreis (rot) eines
beliebigen Dreieckes berührt sowohl den Inkreis (blau) als auch alle drei Ankreise,
den ersten innerlich, die anderen äußerlich. Der Radius des Feuerbachkreises
ist genau halb so groß wie der Umkreisradius (grün) des Dreieckes. Die vier
Kontaktpunkte sind L für den Inkreis und La , Lb und Lc für die Außenkreise.
Der wichtige Punkt L wird hier durch eine unimodulare Zahl bestimmt
und legt den Berührpunkt des Inkreises mit dem Feuerbachkreis fest.
Die obige Formel ist zwar sehr elegant, doch es ist günstiger, die Lage
des Punktes L in Bezug auf den Mittelpunkt N des Feuerbachkreises
darzustellen. Wir schreiben daher besser
αβ + αγ + βγ
L=N+% ∗ (1.137)
α+β+γ
Der zweite Term bestimmt hier als unimodulare Zahl das Azimut von L
auf dem Feuerbachkreis. Hier ist diese Größe identisch mit der komplexen
Einheitszahl L, definiert durch (1.136).
In einem Einschub können wir zur Kontrolle auch den Umkreis des
Dreieckes durch die Punkte A, B und C berechnen. Durch Lösung von
drei quadratischen Kreisgleichungen für die drei Eckpunkte erhält man
für den Mittelpunkt U
2αβγ(α + β + γ)
U = , (1.138)
(α + β)(α + γ)(β + γ)
2 (αβ + αγ + βγ)
U = . (1.139)
(α + β)(α + γ)(β + γ)
und für den Radius oder Halbmesser einschließlich des wichtigen Minus-
zeichens
2αβ γ
R=− ≡ 2 %. (1.140)
(α + β)(α + γ)(β + γ)
Der Radius des Umkreises ist somit doppelt so groß wie der Radius
des Feuerbachkreises - wie es sein muss. Ohne größere Mühe läßt sich
jetzt auch der Satz von Euler über den Abstand der Mittelpunkte des
Inkreises und des Umkreises aus dem Jahre 1767 beweisen. Für diesen
Abstand gilt hier zunächst
4 α β γ (α + β + γ)(αβ + αγ + βγ)
d2 = U U ≡
(α + β)2 (α + γ)2 (β + γ)2
Dies ist der Satz von Euler, wenn der Radius des Inkreises auf die Länge
eins normiert wurde18 .
Um jetzt die Mittelpunkte der drei Ankreise Oa , Ob und Oc zu bestim-
men, kann man von der Tatsache ausgehen, dass diese auf den Geraden
18 Ein
Beweis dieses Satzes für gleichschenklige Dreiecke war eine Problemstellung der
IMO des Jahres 1962.
der Winkelhalbierenden liegen müssen. Außerdem müssen die Punktetri-
pletts Oa COb und ihre zyklischen Permutationen auf einer Gerade liegen.
Aus diesen Bedingungen lassen sich mit Computeralgebra die Ausdrücke
4 αβγ 4 αβγ 4 αβγ
Oa = , Ob = , Oc = .
(α + β)(α + γ) (α + β)(β + γ) (α + γ)(β + γ)
für die Mittelpunkte der drei Ankreise ableiten. Es ist nun nicht schwer,
die Berührpunkte Xa , Xb und Xc der drei Ankreise an die entsprechenden
Dreiecksseiten auszurechnen und daraus die entsprechenden Radien ra , rb
und rb abzuleiten. Man erhält
2γ 2α
Xa = α 1 + −
α+γ α+β
2α 2β
Xb = β 1 + −
α+β β+γ
2β 2γ
Xc = γ 1 + − .
β+γ α+γ
Für die positiven Radien der drei Ankreise ergeben sich durch zyklische
Permutation
(α − β)(α − γ) (β − γ)(β − α) (γ − α)(γ − β)
ra = , rb = , rc = .
(α + β)(α + γ) (β + γ)(β + α) (γ + α)(γ + β)
Diese Radien sind nur dann alle positiv, wenn die drei Zeiger α, β und
γ mehr als einen Halbkreis auf dem Einheitskreis (Inkreis) bilden. Wir
haben nun alle Formeln in der Hand, um die Berührbedingungen der
drei Ankreise zum Feuerbachkreis zu bestimmen. Bezeichnet man diese
Punkte mit La , Lb und Lc , so müssen die Bedingungen
erfüllt sein. Nach dem großen Satz von Feuerbach dürfen diese drei
Gleichungspaare je nur eine Lösung haben. Als einzige Lösung erhält
man tatsächlich nur die drei Berührpunkte
βγ − αβ − αγ
La = N + % ∗
α−β−γ
αβ − αγ + βγ
Lb = N+% ∗
α−β+γ
αγ − αβ + βγ
Lc = N+% ∗ .
α+β−γ
(αβ + αγ + βγ)2
X12 = .
α2 (β + γ) + β 2 (α + γ) + γ 2 (α + β) + αβγ
Dieses sogenannte Dreieckszentrum liegt auf der Geraden ON, was man
an seiner algebraischen Struktur im Vergleich zu N erkennen kann. Auch
die Geraden Aα, Bβ und Cγ schneiden sich in einem Punkt, dem soge-
nannten Gergonne - Punkt19 . Für seine Lage in unimodularen komplexen
Zahlen gilt
Der dazu isotomisch konjugierte Punkt ist der Nagel - Punkt20 , der
sich als Schnittpunkt der Geraden AXa , BXb und CXc erweist. Die
Darstellung in den unimodularen Zahlen mit dem Inkreismittelpunkt als
Nullpunkt lautet
2 αβ 2 αγ 2 βγ
X8 = + + ≡ A + B + C.
α+β α+γ β+γ
oder alternativ
σ22 + σ1 σ3
X8 = 2 .
σ1 σ2 − σ3
Darum liegt der Nagelpunkt mit dem Schwerpunkt (A + B + C)/3 und
dem Inkreismittelpunkt auf einer Linie. Im Jahre 1836 hat von Nagel
auch den sogenannten Mittenpunkt (X9 nach Kimberling) berechnet.
Er ergibt sich als gemeinsamer Schnittpunkt der drei Geraden aus den
drei Ankreismittelpunkten zu den entsprechenden Seitenmitten des Aus-
gangsdreieckes. Nach einer kurzen Rechnung ergibt sich überraschend
2 X9 + X7 = A + B + C.
Der Schwerpunkt, der Mittenpunkt und der Gergonne Punkt liegen somit
auf einer Geraden.
Die obigen Untersuchungen zum großen Theorem von Feuerbach hatten
als Startpunkt den auf eins normierten Inkreis des Dreieckes in der
komplexen Ebene. Etwas schwieriger ist es, vom Umkreis eines Dreieckes
auszugehen. Bezeichnen also jetzt die komplexen Einheitszahlen α, β und
γ wieder die Eckpunkte A, B, C eines allgemeinen Dreieckes, so definiert
man die neuen komplexen Zeiger
Τ2
A
L
Τ3 B
Der Punkt X halbiert dann den Bogen zwischen BC, der Punkt Y
zwischen CA und der Punkt Z zwischen AB. Der Inkreismittelpunkt des
Dreieckes ABC ist dann der Höhenschnittpunkt des Dreieckes XY Z. Für
diesen Mittelpunkt gilt also
mI = −τ2 τ3 − τ3 τ1 − τ1 τ2 .
Der Ausdruck ist analytisch komplizierter als der frühere, bei dem vom
Inkreis ausgegangen worden war. Trotzdem sind die beiden Methoden
ähnlich und haben - je nach Fragestellung - ihre besonderen Vorteile.
1 αγ
Hb = α+β+γ− ,
2 β
1 αβ
Hc = α+β+γ− .
2 γ
Für die sechs Nebenhöhen ergeben sich dann durch eine ähnliche Überle-
gung die Ausdrücke
β(α + β)2 − γ(α − β)2 α(α + β)2 − γ(α − β)2
Ab = ; Ba = ;
4αβ 4αβ
Ba
Ab
Hb
Ha
X389
Bc
Ac
A
Cb
Hc
Ca
B
Fig. 1.23: Fällt man von jedem drei Höhenfußpunkte eines Dreieckes die Lote
(Nebenhöhen) auf die beiden Nachbarseiten, so erhält man sechs neue Punkte.
Diese Fußpunkte liegen alle auf einem Kreis, dem sogenannten Taylorkreis des
Dreieckes ABC.
gilt auch
3 σ1 σ3 − σ22
X389 = .
4 σ3
Für das Quadrat seines Halbmessers gilt
α2 β 2 + α2 γ 2 + β 2 γ 2 − αβγ(α + β + γ)
P=
α2 β + β 2 γ + γ 2 α − 3αβγ
sowie
α2 β 2 + α2 γ 2 + β 2 γ 2 − αβγ(α + β + γ)
Q= .
α2 γ + β 2 α + γ 2 β − 3αβγ
Nur die Zähler in diesen Ausdrücken sind symmetrische Polynome in
den drei Variablen. Trotzdem sind beide Formeln invariant gegenüber
C
Q
U
P
A
B
Fig. 1.24: Die zwei Brocard - Punkte P und Q haben die Eigenschaft, dass die
Winkel ∠P BC, ∠P CA, ∠P AB sowie ∠QAC, ∠QCB und ∠QBA einander gleich
sind. Die Abstände der Punkte P und Q vom Umkreismittelpunkt U sind gleich.
Der Mittenpunkt (P + Q)/2 hat die Kimberling Zahl X39 und definiert
mit dem Umkreismittelpunkt U die Brocard - Achse.
1829
C
L3
L2
X6
L1
B
Fig. 1.25: Beim Lemoine - Punkt ist die Summe der Abstandsquadrate zu den
drei Seiten im Dreieck ein Minimum.
Wir betrachten in der komplexen Ebene den Einheitskreis mit drei Punk-
ten α, β und γ, welche die drei Seiten eines Dreieckes darstellen sollen.
Wir nehmen einen beliebigen Punkt P innerhalb des Dreieckes und fällen
das Lot auf alle Dreiecksseiten. Eine elementare Rechnung liefert für die
Lage der Fußpunkte
1
L1 = (P + α + β − α β P),
2
1
L2 = (P + β + γ − β γ P),
2
1
L3 = (P + γ + α − α γ P).
2
Dann machen wir die Summe der Quadrate der Abstände des Punktes
P von diesen drei Lotpunkten
|P − L1 |2 + |P − L2 |2 + |P − L3 |2
zu einem Minimum. Als Ergebnis erhält man die Lage des Lemoine-
Punktes zu
α2 β 2 + β 2 γ 2 + α2 γ 2
X6 = 2 .
α2 (β + γ) + β 2 (α + γ) + γ 2 (β + α) − 6 αβγ
gilt auch
σ22 − 3 σ1 σ3
X6 = 2 .
σ1 σ2 − 9 σ3
Diese Formel für den Lemoine - Punkt gleicht der Beziehung (1.141) für
den Gergonne - Punkt, nur dass die Größen α, β und γ sich das eine Mal
auf die Eckpunkte des Dreieckes, das andere Mal auf die Berührpunkte
des Inkreises beziehen.
σ12 σ2 − σ22 − 2 σ1 σ3
X21 = 2 σ3 . (1.142)
(σ1 σ2 − 4 σ3 )(σ1 σ2 − σ3 )
Außer das der Punkt auf der Eulergeraden liegt, scheint er keine weiteren
Beziehungen zu anderen Punkten des Dreieckes zu haben.
C
S
X1153
Fig. 1.26: Die drei Seitenhalbierenden in einem allgemeinen Dreieck bilden sechs
flächengleiche Teildreiecke, deren jeweiligen Umkreismittelpunkte wieder auf einem
Kreis liegen - dem Lamoenkreis. Der Mittelpunkt dieses Kreises hat die Kimberling
Nummer X1153 .
Das Theorem von Lamoen besagt nun, dass alle sechs Mittelpunkte der
Teildreiecke auf einem Kreis liegen. Mit den elementar - symmetrischen
Polynomen
σ1 = α + β + γ; σ2 = αβ + αγ + βγ; σ3 = αβγ
α1 α2 (α4 + α5 ) − α4 α5 (α1 + α2 )
P1 = ,
α1 α2 − α4 α5
α2 α3 (α5 + α6 ) − α5 α6 (α2 + α3 )
P2 = ,
α2 α3 − α5 α6
α3 α4 (α6 + α1 ) − α6 α1 (α3 + α4 )
P3 = .
α3 α4 − α6 α1
Außerdem gilt für die konjugiert komplexen Koordinaten
α1 + α2 − α4 − α5
P1 = ,
α1 α2 − α4 α5
Α5
Α1
Α3
p1
p3
p2
Α4
Α6
Α2
Fig. 1.27: Das Pascal - Theorem (mit seinen 60 Varianten in Kegelschnitten als
Hexagrammum Mysticum bezeichnet) für den Kreis. Für beliebige sechs Punkte
liegen die drei Schnittpunkte der Linien (1-2)(4-5), (2-3)(5-6) und (3-4)(6-1) auf
einer Geraden - der Pascal Geraden. Entdeckt hat dieses bemerkenswerte Theorem
der 16-jährige Blaise Pascal (1623-1662) im Jahre 1640. Es gilt aufgrund seines
projektiven Charakters für alle Kegelschnitte und hat zahlreiche Korollare.
α2 + α3 − α5 − α6
P2 = ,
α2 α3 − α5 α6
α3 + α4 − α6 − α1
P3 = .
α3 α4 − α6 α1
Um zu zeigen, dass alle drei Punkte auf einer Linie liegen, bilden wir
einfach den invarianten Quotienten
P2 − P1 (α2 − α5 )(α1 α6 − α3 α4 )
= . (1.143)
P3 − P1 (α1 − α4 )(α2 α3 − α5 α6 )
Diese Größe ist aber rein reell, woraus folgt, dass die drei Punkte auf
einer Geraden liegen. In Analogie zu Bessel könnte man nun analoge
Rechnungen für die Ellipse und die Hyperbel durchführen. Wählt man
für die Punkte einer Ellipse mit α = eıϕ und α = 1/α die Darstellung
m α + n α, (Ellipse)
bei der mit den Halbachsen a, b einfach m = (a + b)/2 und n = (a − b)/2
gesetzt wurde, so sind die drei Schnittpunkte bei der Ellipse gegeben
durch
P1E = m P1 + n P1 ,
P2E = m P2 + n P2 ,
P3E = m P3 + n P3 .
Die Schnittpunkte transformieren sich also vom Kreis auf die Ellipse wie
die Kurvenpunkte selber. Für den Quotienten ergibt sich wieder wie beim
Kreis
P2E − P1E (α2 − α5 )(α1 α6 − α3 α4 )
= .
P3E − P1E (α1 − α4 )(α2 α3 − α5 α6 )
Diese Gleichheit gilt, weil aufgrund der Kollinearität
P1 (P2 − P3 ) + P2 (P3 − P1 ) + P3 (P1 − P2 ) = 0
erfüllt sein muss. Punkte auf einer Hyperbel können mit den Konstanten
a, b durch die Formel
bα + 2a − bα
, (Hyperbel)
α+α
dargestellt werden. Die Pascalschen Schnittpunkte transformieren sich
dann anlog in
b P1 + 2 a − b P1
P1H = ,
P1 + P1
b P2 + 2 a − b P2
P2H = ,
P2 + P2
b P3 + 2 a − b P3
P3H = .
P3 + P3
Auch hier gilt wieder
P1H (P2H − P3H ) + P2H (P3H − P1H ) + P3H (P1H − P2H ) = 0
Olbers antwortete ihm am 20. April 1820 bezüglich des obigen Satzes
... Ich sage Ihnen also nur, dass mir ihr schönes Theorem über
die so merkwürdigen Eigenschaften der Kegelschnitte völlig
neu war, und das ich es auch, so weit wie meine Lektüre und
mein Gedächtnis reicht, für völlig neu halte...
24 Demnach studierte Gauss die Principia zum erstenmal im Jahre 1793, also mit
sechzehn Jahren.
A
Α X¥
P
B
Β
Fig. 1.28: Eine von Newton im Jahre 1668 entdeckte Konstruktion für einen
Kegelschnitt. Von einem Punkt P werden zwei Strahlen zu zwei Festpunkten A
und B (zwei Pole) gezogen. An diesen Punkten reflektieren diese Strahlen mit den
fest vorgegebenen Winkeln α und β. Die so reflektirten Schenkel schneiden sich
dann wieder im Punkt X. Bewegt sich der Punkt P auf einer geraden Linie, ist
die Ortskurve von X eine algebraische Kurver zweiter Ordung - ein Kegelschnitt.
setzen. Durch Elimination des Parameter t ergibt sich dann für den
Kegelschnitt die Gleichung
Genau dies ist eine Gleichung zweiten Grades. Die Zusammenhänge mit
den Achsen und der Orientierung sind aber algebraisch sehr kompliziert.
Gauss hat daher auch noch ein Alternativmodell von Newton für
Kegelschnitte untersucht. Er stellt die Punkte einer Ellipse durch die
komplexe Zahl
mz + nz
dar. Dabei ist m + n die große und m − n die kleine Halbachse der
Ellipse. Drei Punkte A, B und C auf der Ellipse sind fest vorgegeben.
Ihre komplexen Einheitszahlen z lauten α, β und γ. Ein vierter Punkt D
mit der z-Zahl δ läuft längs der Ellipse. Mit den symmetrischen Größen
σ1 = α + β + γ; σ2 = αβ + αγ + βγ; σ3 = αβγ
B
E A
j
j
X
D
C
Fig. 1.29: Eine weitere von Newton im Jahre 1668 entdeckte Konstruktion für
einen Kegelschnitt. Drei feste und ein beweglicher Punkt definieren auf einem
Kegelschnitt (Ellipse) eine gerade Linie mit einem Punkt X.
−σ3 m3 + σ1 m2 n − σ2 δ m n2 + δ n3
X= . (1.144)
(1 − σ3 δ) m n
Dem Autor ist aber nicht klar, wie Gauss auf diese Formel gekommen ist.
Die Winkel ∠XAB und ∠CAX sind gleich und es gilt
Die Neigung der magischen Geraden zur Hauptachse der Ellipse lautet
analog
(n − mαβ)(n − mαγ)(m − nβγ)
e2ıψ = .
(m − nαβ)(m − nαγ)(n − mβγ)
Legt man durch die Punkte B, C, D einen Kreis, so liegt der vierte
Schnittpunkt E mit der Ellipse bei der komplexen Einheitszahl , für die
gilt
βγδ = 1.
P
Θ
Fig. 1.31: Die allgemeine Aufgabe des Regiomontanus besteht darin, den Ort X
entlang eines geraden Weges zu finden, bei dem zwei Punkte P und Q auf einem
anderen Weg unter maximalem Blickwinkel θ gesehen werden.
gegeben. Der eigentliche Blickwinkel θ (siehe Fig. (1.31)), unter dem der
Beobachter in der Entfernung x = OX von der Kreuzung die beiden
Markierungen sieht, folgt jetzt aus dem analytischen Ausdruck
(x e1 − p e2 )(x e2 − q e1 )
e2 ı θ = .
(x e1 − q e2 )(x e2 − p e1 )
Je nach Orientierung kann hier der Winkel θ auch negativ sein. Wird
hier nach x differenziert, so folgt
Die optimale Distanz x vom Kreuzungspunkt hängt somit nur von dem
geometrischen Mittel der beiden Wegstrecken p und q ab, nicht aber - kon-
traintuitiv - vom eingeschlossenen Winkel zwischen den beiden Geraden
oder Ebenen. Bei einem Gemälde an der Wand wird der eingeschlossene
Winkel zwischen e1 und e2 immer 90 Grad sein, aber bei der Betrachtung
des Turmes von Pisa können die Verhältnisse schon anders sein. Sinnvoll
sind die Ergebnisse nur für p > 0. Bei einem Turm der Höhe H kann
man sich so zum Beispiel nur fragen, bei welcher Entfernung von der
Basis die obere Hälfte des Turms am größten
√ erscheint. Mit p = H/2 und
q = H wäre die Antwort hier x = H/ 2; und dies gilt unabhängig von
der Neigung des Turms.
Der eigentliche maximale Blickwinkel ergibt sich wegen
√ √ √ √
( p q e1 − p e2 )( p q e2 − q e1 ) q e1 − p e2 2
√ √ = √ √
( p q e1 − q e2 )( p q e2 − p e1 ) p e1 − q e2
zu dem Ausdruck √ √
q e1 − p e2
eı Θ = √ √ .
p e1 − q e2
Damit ist das Problem des Regiomontanus allgemein und vollständig
gelöst. Geometrisch ist die Aufgabe erledigt, wenn man einen Kreis
(Fasskreis) durch die Punkte P und Q so legt, dass er zusätzlich den
anderen Weg tangential berührt. Der Berührpunkt ist dann der gesuchte
optimale Standpunkt.
1.27 Sangaku
Durch die Politik des Sakoku (“geschlossenes Land”) vom frühen 17.
Jahrhunderts bis Mitte des 19. Jahrhunderts erlebte Japan eine relativ
friedliche Zeit. In dieser EDO Periode entstand durch das populäre Reisen
innerhalb des Landes die faszinierende Tradition der Tempel Geometrie.
Mathematik galt neben Musik und anderen Künsten als wichtiges Bil-
dungsideal des Menschen auf den japanischen Inseln und wurde zu Ehren
der Naturgötter gepflegt. Einige der damals „geheiligten“ Probleme sind
bis heute eine Herausforderung auch für die moderne Algebra und Analy-
sis geblieben. Spezialisten und Künstler auf diesem interessanten Gebiet
sind heutzutage Fukagawa Hidetoshi und Hirotaka Ebisui.
Β P
I
Q U
M B
A Γ
Fig. 1.32: Gegeben sei ein Dreieck ABC mit seinem Umkreis mit Mittelpunkt U
und seinem Inkreis mit Mittelpunkt I. Dann wird ein weiterer von drei möglichen
Kreisen konstruiert, der sowohl zwei Seiten als auch den Umkreis des gegebenen
Dreieckes von Innen berührt. Es ist zu zeigen, dass die beiden Berührpunkte P und
Q dieses Kreises mit dem Dreieck und der Mittelpunkt I des Inkreises auf einer
Geraden liegen.
Diese Aufgabe ist ein schöner Sangaku - Klassiker und nicht einfach zu
lösen. Wir betrachten das Dreieck in der komplexen Ebene. Der Inkreis
sei der komplexe Einheitskreis, von dem unsere Betrachtungen ausgehen.
Nach Fig. (1.32) seien die Berührpunkte der drei Seiten des Dreieckes
durch die komplexen Einheitszeiger α, β und γ gegeben. Wie üblich
müssen diese mehr als einen Halbkreis überstreichen. Für die Eckpunkte
des Dreieckes folgt dann nach elementarer Rechnung
2βγ 2αγ 2αβ
A= ; B= ; C= .
β+γ α+γ α+β
Der Mittelpunkt des Inkreises liegt per Definition bei I = 0. Für den
Mittelpunkt U und den Radius R des Umkreises ergeben sich nach einer
Standardrechnung (wird hier vorausgesetzt)
2 αβγ (α + β + γ)
U = ,
(α + β)(β + γ)(α + γ)
2 αβγ
R = − .
(α + β)(β + γ)(α + γ)
Da der Mittelpunkt des Inkreises als Schnittpunkt der Winkelhalbierenden
des Dreieckes gegeben ist, muss der gesuchte Mittelpunkt des Kreises auf
dieser Linie liegen. Nehmen wir den Eckpunkt C als Referenz, so muss
in parametrisierter Form für den Mittelpunkt M und den Radius %
2αβ
M= t, %=1−t
α+β
gelten. Der Parameter t soll hier auf das Intervall −∞ < t ≤ 1 einge-
schränkt sein. Für t = 1 läge der Mittelpunkt bei dem Punkt C, für t = 0
ist M = I und % = 1. Der Parameter t kann jetzt durch die Bedingung
bestimmt werden, dass die Summe aus der Distanz MU und % gleich dem
Radius R des Umkreises sein muss. Wir haben also für t die quadratische
Gleichung
(U − M)(U − M) = (R − 1 + t)2
ableiten27 . Der Radius des Inkreises ist hier auf eins normiert. Die Be-
rührpunkte P und Q folgen einfach aus den Gleichungen
P = M + % α, Q = M + % β. (1.146)
Daraus folgt
2 αβ 2 αβ
P=− , Q=+ . (1.147)
α−β α−β
Damit gilt aber
1
I= (P + Q) ≡ 0 (1.148)
2
und die Behauptung der Aufgabe ist bewiesen. Auch den Berührpunkt
des Kreises M mit dem Umkreis läßt sich angeben. Man erhält
2 αβγ
X= (1.149)
2 αβ + αγ + βγ
Damit scheint die sehr schöne Aufgabe erledigt. Doch das eigentliche
Geheimnis der Aufgabe ist die Inversion, also die Betrachtung durch eine
Spiegelung am Einheitskreis - also hier am Inkreis. Man sieht dies schon,
wenn man die Formeln (1.147,1.149) für die drei wichtigen Kontaktpunkte
in der alternativen Form
1 1
P= , Q= ,
1 1 1 1 1 1
− −
2 α β 2 β α
sowie
1
X = .
1 1 1 1
+ +
2 α β γ
p
27 Nach Euler gilt für den Abstand zwischen U und I einfach dU = R(R − 2)
schreibt. Man sieht hier deutlich die Struktur 1/z - also die einer Inver-
sion am Einheitskreis in der komplexen Ebene. Macht man daher die
Transformation
0 M 1 1 1
M = ≡ + ,
|M|2 −%2 2 α β
%
%0 = ≡ −1,
|M| −%2
2
C2 C1
A
D B
C
E
Fig. 1.33: Problem HI069: Two intersecting circles C1 and C2 are given. Through
one of the points of intersection, here point F, and centers of the circles construct
a new circle C3 . Points of intersection C3 with two existing circles label as D and
E. Draw line passing through points D and E. The line intersects the two circles
C1 and C2 in two new points B and C. Connect points A with B and A with C.
Prove that |AB| = |AC|.
Bei der Lösung gehen wir etwas anders vor. Wir denken uns einen Ein-
heitskreis vorgegeben und betrachten auf diesem die drei Punkte C1 , F
und C2 , beschrieben durch ihre komplexen Zahlen (gelber Kreis in (1.33))
C1 = α; C2 = β; F = γ. (1.153)
Der Punkt A hat dann zu den zwei anderen Punkten C1 und C2 die
gleiche Entfernung wie der Punkt F. Seine Lage ist dann durch die
komplexe Zahl
αβ
A=α+β− . (1.154)
γ
gegeben. Hier fällt schon auf, dass die Lage von A invariant gegenüber
Vertauschung der Punkte C1 und C2 ist. Analog erhält man die Punkte
E und D zu
α2 β2
E= ; D= . (1.155)
γ γ
Die Gerade durch diese beiden Punkte ist dann festgelegt. Der komple-
mentäre Schnittpunkt mit den beiden Kreisen führt schließlich eindeutig
zu den Punkten
α2 β α2
B=β− + (1.156)
γ2 γ
und
β2 α β2
C=α− + . (1.157)
γ2 γ
Die eine Formel geht aus der anderen durch Vertauschung der Größen α
und β hervor.
Nun sind wir in der Lage, die Distanzen AB oder AC zu berechnen.
Wir erhalten die identischen Ausdrücke
(α − γ)2 (β − γ)2
(A − B)(A − B) = (1.158)
α β γ2
als auch
(α − γ)2 (β − γ)2
(A − C)(A − C) = . (1.159)
α β γ2
Die Permutationsinvarianz bezüglich der Größen α und β macht dies
evident. Damit ist aber das Rätsel im Prinzip gelöst.
Die geometrische Deutung ist auch einfach. Denn die obige Formel
kann auch
2 2 (α − γ)2 (β − γ)2
|AB| = |AC| ≡ ≡ r12 r22 (1.160)
αγ βγ
geschrieben werden. Es gilt also, wenn der Ausgangskreis den Radius r3
hat,
r3 |AB| = r3 |AC| = r1 r2 . (1.161)
Fig. 1.34: Der symmetrische Spezialfall des Problems von Sawa Masayoshi aus
dem Jahre 1821. In ein rechtwinkliges gleichschenkliges Dreieck ist eine Ellipse mit
ihrer großen Halbachse parallel zur Hypotenuse des Dreieckes einbeschrieben. Drei
identische Kreise sind zusätzlich so eingefügt, daß zwei von ihnen in der Ellipse
sich selber und die Ellipse berühren, während der andere in der rechtwinkligen
Ecke des Dreieckes die beiden Seiten und die Ellipse berührt. Berechne den Radius
der Kreise.
y + x = 1; y − x = 1. (1.163)
Aus der Bedingung, daß diese Geraden die liegende Ellipse berühren
sollen, also nur einen Schnittpunkt haben darf, folgt die notwendige
Bedingung p
a = 1 − 2 ym . (1.164)
Damit liegt die große Halbachse der Ellipse als Funktion von ym fest. Die
beiden Kreise innerhalb der Ellipse gehorchen der Gleichung
(x ± r)2 + (y − ym )2 = r2 . (1.165)
Wiederum folgt aus der Bedingung, daß Ellipse und Kreis nur Berühr-
punkte haben dürfen, die Gleichung (Diskriminante gleich Null)
4
ym + a2 (r2 − ym
2
) = 0. (1.166)
Mit dem obigen Ausdruck für die Halbachse a folgt daraus für den Radius
der beiden Kreise in der Ellipse
s
1 − ym (2 + ym )
r = ym (1.167)
1 − 2 ym
Man kann leicht zeigen, daß im obigen Ausdruck die Wurzel die Exzentri-
zität der Ellipse darstellt. Als letztes bleibt die Bedingung der Berührung
des dritten Kreises mit der Ellipse. Die Gleichung dieses Kreises lautet
√
x2 + (y − 1 + 2 r)2 = r2 . (1.168)
für die Größe ym . Von den vier Lösungen dieser Gleichung, von denen
zwei sogar konjugiert komplex sind, ist nur
ym = 0.2332166482 ... (1.170)
die Gesuchte. Der Umkreis des rechtwinkliges Dreieckes (Thaleskreis) ist
dabei auf eins normiert. Mit dem so gefundenen ym ist auch der Radius
der drei identischen Kreise mit
r = 0.2210105650 ... (1.171)
bekannt.
Fig. 1.35: Der allgemeine asymmetrische Fall des Problems von Sawa Masayoshi
aus dem Jahre 1821. In ein rechtwinkliges Dreieck ist eine Ellipse mit ihrer großen
Halbachse parallel zur Hypotenuse des Dreieckes eingebettet. Drei identische Kreise
sind zusätzlich so eingefügt, daß zwei von ihnen in der Ellipse sich selber und die
Ellipse berühren, während der andere in der rechtwinkligen Ecke des Dreieckes die
beiden Seiten und die Ellipse berührt. Berechne den Radius der drei identischen
Kreise als Funktion eines der beiden variablen Winkel im Dreieck.
Dreieck mit den Punkten (−1, 0), (1, 0) und (sin(ψ), cos(ψ)). ψ = 0 ent-
spräche wieder dem früheren symmetrischen Fall. Der Mittelpunkt der
Ellipse nimmt jetzt die allgemeine Form (xm , ym ) an. Aus der Berührbe-
dingung mit den zwei Katheten des Dreiecks ergibt sich jetzt für xm die
notwendige Randbedingung
ym sin(ψ)
xm = . (1.172)
cos(ψ) − ym
Aus der Berührbedingung für die beiden zur Mittelpunktkoordinate
xm symmetrisch liegenden Kreise ergeben sich die zwei komplizierteren
Formeln
s
(cos(ψ) − 2ym − ym2 )(cos(ψ) − 2y 2
m + ym )
r = ym (1.173)
(cos(ψ) − 2ym )((1 + ym
2 ) cos(ψ) − 2y )
m
und p
(cos(ψ) − 2ym )((1 + ym
2 ) cos(ψ) − 2y )
m
a= (1.174)
cos(ψ) − ym
Der Wurzelausdruck in der Formel für den Radius r stellt wieder die
Exzentrizität der Ellipse dar. Mit diesen Ausdrücken ist der Radius der
beiden Innenkreise und die große Halbachse der Ellipse als Funktion der
kleinen Halbachse b ≡ ym der Ellipse bekannt. Da der symmetrische
Fall eine Art Extremum für die Größe der Ellipse darstellt, können wir
0 < ym < 0.233.. erwarten.
Die eigentliche mathematische Schwierigkeit liegt nun in der Berührbe-
dingung des dritten Kreises mit der Ellipse. Um das Problem zu lösen,
führen wir als Hilfsvariablen die zwei Koordinaten des Berührpunktes
(x0 , y0 ) ein (siehe roter Punkt in (1.35). Dieser Berührpunkt muss einer-
seits auf dem dritten Kreis als auch auf der Ellipse liegen. Man hat so
die beiden Gleichungen
√ √
(x0 − sin(ψ) + 2 r sin(ψ/2))2 + (y0 − cos(ψ) + 2 r cos(ψ/2))2 = r2 .
(1.175)
sowie
(x0 − xm )2 (y0 − ym )2
+ = 1. (1.176)
a2 2
ym
Die Berührbedingung, welche aus dem totalen Differential dieser Glei-
chungen folgt, lautet schließlich
√
(x0 − xm )(y0 − cos(ψ) + 2 r cos(ψ/2))
a2 √ (1.177)
(y0 − ym )(x0 − sin(ψ) + 2 r sin(ψ/2))
− 2
= 0.
ym
Da die Größen a, r und xm als Funktion von ym und dem vorgegebenen
Winkle ψ bekannt sind, stellen das System (1.175, 1.176, 1.177) drei
Gleichungen für die drei Unbekannten x0 , y0 und ym dar. Der Verfasser hat
nicht versucht, aus diesem gekoppelten System eine einzige algebraische
Gleichung für ym abzuleiten. Dies dürfte wenig sinnvoll sein. Das Problem
läßt sich deshalb wohl nur numerisch lösen.
Man kann aber versuchen, zumindest im Grenzfall ψ → π/2 (unendlich
kleines Dreieck) eine analytische Reihenentwicklung für die Funktion r(ψ)
oder deren Umkehrung anzugeben. Mit Hilfe von Computeralgebra erhält
man so die interessante Reihe
11 3 5 7/2
cos(ψ) = 3 r + 2 r3/2 + r2 + 2 r5/2 + r + r
4 4
83 4 311 9/2 5725 5
− r + r − r + ...
8 8 64
(d − r − R) (d + r + R) (d − r − R − 2 xm ) (d + r + R − 2 xm ) (1.183)
= 4 (r + R)2 ym2
.
Diese Gleichung beschreibt aber für den möglichen geometrischen Ort der
Mittelpunkte der eingebetteten Kreise eine Ellipse mit den Halbachsen
1
a = (R + r), (1.184)
2
1p
b = (R + r)2 − d2 (1.185)
2
und der Exzentrizität
|d|
= . (1.186)
R+r
Der Mittelpunkt der Ellipse liegt bei (d/2, 0). Daraus folgt, daß die
beiden Brennpunkte in den Mittelpunkten der beiden Ausgangskreise
liegen. Parametrisiert man die Punkte der Ellipse durch die Formel
d
xm = + a cos(u), (1.187)
2
ym = b sin(u), (1.188)
woraus die Fadenkonstruktion der Ellipse folgt. Weiterhin ergibt sich die
Randbedingung
d2 = (r + R)(r − R + 2 rm ) + 2 d xm . (1.191)
Jacob Steiner konnte mit der Methode der Inversion zeigen, daß man N
Kreise in einer Kette zwischen zwei vorgegebene Kreise mit gegenseitigem
Kontakt genau dann anordnen kann, wenn die Schließungsbedingung
r π 2
d = ± (R + r)2 − 4 R r sec (1.192)
N
erfüllt ist. Ich werde diese Relation weiter unten mit einer eigenen Methode
herleiten.
Ein berühmter Grenzfall der Steinerschen Kreise ergibt sich, wenn wir
N → ∞ machen. Dann erhält man die sogenannte Pappos - Kette,
benannt nach dem letzten antiken Mathematiker Pappos von Alex-
andria (300? - 380?). Die Mittelpunkte und Radien der Kreise sind
Fig. 1.37: Der Grenzfall einer Steiner - Kette ist die Pappos - Kette, bei der
unendlich viele Kreise zwischen den zwei sich berührenden Primärkreisen einbe-
schrieben sind. Auch hier liegen die Mittelpunkte der Kreise auf einer Ellipse, die
Berührpunkte aber auf einem Kreis. Die Kette ist natürlich auch rotationsinvariant.
z = x0 + ı y0 + r0 eı ϕ , (1.194)
20
15
N
10
0
0.0 0.2 0.4 0.6 0.8 1.0
rR
Fig. 1.38: Erlaubte Bereiche für die Existenz einer Steinerkette. N = 3 ist die
niedrigste Besetzungszahl. Geht N → ∞, ist jedes Verhältnis r/R möglich (Pappos-
Kette).
Mit dem obigen Ergebnis ist man aber noch nicht in der Lage, eine
konkrete Steinersche Kette zu konstruieren oder zu berechnen. Das soll
nun im Rahmen einer analytischen Theorie in zwei zueinander reziproken
komplexen Ebenen geschehen. Zur Abkürzung führen wir den Winkel
π
θ= (1.210)
N
und die positive Kreismittelpunktverschiebung
q
2
d(θ) = (R + r)2 − 4 R r sec (θ) (1.211)
ein. Für die zwei möglichen inversen Verschiebungen sa , sb folgt so
R (R − r − (R + r) sin(θ))
sa = −
(1 − sin(θ)) d(θ)
R (R − r + (R + r) sin(θ))
sb = − .
(1 + sin(θ)) d(θ)
Für den Mittelpunkt der zwei konzentrischen Kreise gelten die zwei
Möglichkeiten
cos(θ) cot(θ) d(θ)
ma = −
4Rr
Fig. 1.39: Steinersche Kette mit 3 und 4 Kreisen. Die primären Kreise sind
rotbraun und blau. Die Figuren sind rotationsinvariant. Der Fall N = 3 führt zum
Vier - Kreise - Satz von Rene Descartes aus dem Jahre 1643.
Fig. 1.41: Steinerkette mit 7 und 8 Kreisen. Die primären Kreise sind gelb und
blau.
Die Radien der einzelnen Kreise in der Kreiskette sind mit rS = (R2 −
R1 )/2 bestimmt durch
+R − r − (R + r) sin(θ)
rSa = ,
4Rr
+R − r + (R + r) sin(θ)
rSb = . (1.214)
4Rr
Jetzt sind wir in der Lage, für die konzentrische Kreiskette in der inver-
tieren komplexen Ebene eine einzige Formel anzugeben. Mit (1.212,1.213)
und (1.214) ergibt sich für einen Kreis mit der Marke oder Position n in
Fig. 1.42: Steinerkette mit 12 und 16 Kreisen. Je größer der innere primäre Kreis
ist, desto höher muss die Besetzungszahl sein.
wobei wir wieder zur Abkürzung θ = π/N gesetzt haben. Das Pluszeichen
gilt bei „Rechtslage“ des kleinen Kreises, das Minuszeichen bei „Linkslage“.
Mit diesem Ergebnis ist es nun durch Invertierung ein Leichtes, beliebige
Steinersche Ketten zu berechnen und dann zu konstruieren (zu zeichnen).
Denn die inverse Spiegelung am Einheitskreis
1
Z0S → (1.216)
ZS
stellt durch die Rücktransformation die konzentrischen Kreiskette als
asymmetrische Steinerkette in der ursprünglichen komplexen Ebene dar.
Auch die primären Ausgangskreise lassen sich in der invertierten komple-
xen Zahlenebene durch
1
q
Z1 = ± cos (θ) (R − r)2 cot (θ)2 − 4 R r
4Rr (1.217)
ıϕ
+ (2 R + (R − r) csc(θ) − (R + r) sin(θ)) e
Fig. 1.43: Steinerkette mit 64 Kreisen. Im Grenzfall unendlich vieler Kreise erhält
man die Papposkette.
und
1
q
Z2 = ± cos (θ) (R − r)2 cot (θ)2 − 4 R r
4Rr (1.218)
ıϕ
+ (2 r + (R − r) csc(θ) + (R + r) sin(θ)) e .
1
q
ZB = (R − r)2 cot (θ)2 − 4 R r
± cos (θ)
4Rr (1.219)
+ ((R − r) cot(θ) + (R + r) cos(θ)) eı ϕ
gegeben ist. Alle obigen Figuren wurden mit Hilfe der so abgeleiteten
Formeln (1.215), (1.217), (1.218) und (1.219) durch Inversion erstellt.
Fig. 1.44: Das Kreisschleifenproblem von Ikeda Sadasuke mit 14 Kreisen (r/R =
3/5), wie sie im Ushijima Chomeiji Schrein in Tokyo 1826 einst hing. Ein Jahr
später dann erschienen im Buch von Shiraishi Nagatada. Zeige, daß 1/r1 + 1/r8 =
1/r4 + 1/r11 gilt (rote Kreise in der Kette).
abzuleiten. Mit Hilfe dieser Beziehung wird die obige Identität auf dem
Sangaku verständlich und es lassen sich noch viel allgemeinere Relationen
dieser Art aufstellen. Insbesondere gilt für die Summe der reziproken
Radien der Steinerschen Kette
nX
=N π 2
1 1 1 1
= − N cot (1.223)
n =1
rn 2 r R N
nX
=N
1 1 1 3 3 1
= − − +
n =1
rn2 16 r R r R (1.224)
π 2 π 2
3 2 3 2π
2
− + 2 cos cot csc
r rR R N N N
Interessant ist jetzt der Spezialfall N = 3. In diesem Fall leitet man aus
den obigen beiden Resultaten die Identitäten
2
1 1 1 1 1 1 1 1
2 + 2+ 2+ 2 = + + + (1.225)
r12 r2 r3 r r1 r2 r3 r
und 2
1 1 1 1 1 1 1 1
2 2 + 2+ 2+ 2 = + + − . (1.226)
r1 r2 r3 R r1 r2 r3 R
Hier erscheint zwanglos der Vier - Kreise - Satz des Rene Descartes
aus dem Jahre 1643, der 1936 von dem Nobelpreisträger Frederick Sod-
dy (1877-1956) wiederentdeckt wurde („Soddy Kreise“). Soddy drückte
seine Freude über diese Entdeckung in Form eines Gedichtes mit dem
Titel „The Kiss Precise“ aus, welches in der Zeitschrift Nature (9. Januar
1937) abgedruckt wurde29 . Zu den drei sich „küssenden Kreisen“ kann
sich auf zwei Arten ein vierter Kreis „dazuschmiegen“, wobei der Eine
von den dreien eingeschlossen, der Andere alle drei umfasst. Darum hat
die Gleichung für die Krümmung der Kreise
2
2 k12 + k22 + k32 + k42 = (k1 + k2 + k3 + k4 ) .
(1.227)
für k4 genau zwei Lösungen, eine mit positiver Krümmung (k4 = +1/r)
und eine mit negativer Krümmung (k4 = −1/R). Diese Relation kann in
Nd euklidischen Raumdimensionen für Nd + 2 Hypersphären erweitert
werden zu 2
NX
d +2 NX
d +2
Nd kj2 = kj . (1.228)
j=1 j=1
Mit der komplexen Zahl xn + ı yn für die Örter der Mittelpunkte der
Kreise in der Steinerschen Kette definieren wir die Größe
xn + ı yn
Zn = . (1.229)
rn
Mit Hilfe von (1.215) erhält man für diese Größe durch Inversion
π
Zn = csc e2 π ı n/N −
Nq
π
π
2 (1.230)
cot N (R − r)2 cot N
− 4Rr
π
R + r + (R − r) csc N
Auch hier ist wieder der Fall N = 3 bemerkenswert, denn dann gilt eine
identische Relation wie (1.227) für die Zj .
b1
a2
E
D
b2
a1
A
c1
F c2
B
Fig. 1.45: Es sei ABC ein Dreieck und D,E,F seien die Schnittpunkte der Win-
kelsymmetralen mit den entsprechenden Dreiecksseiten a,b,c. Man beweise die
Gültigkeit der folgenden Ungleichung: U(DEF) ≤ U(ABC)/2 (U(XYZ) bedeutet
Umfang des Dreiecks XYZ). Die Gleichheit gilt genau für das gleichseitige Dreieck.
(Eine Ungleichung von Walther Janous)
b2 c2
EF2 = × (1.237)
(a + b)2 (a + c)2
2 2 2
2a + b + c + 2a(b + c) − 2(a + b)(a + c) cos(α)
Als Nächstes folgt ein Kunstgriff, dessen Bedeutung zunächst nicht ein-
sichtig ist. Der Term b2 + c2 muss mit Hilfe des Kosinussatzes im Dreieck
durch die Identität
b2 + c2 = a2 + 2 b c cos(α). (1.238)
ersetzt werden. Anstatt (1.237) gilt dann
a b2 c2
EF2 = × (1.239)
(a + b)2 (a + c)2
[3a + 2(b + c) − 2(a + b + c) cos(α)] .
In dieser Formel machen wir nun die trigonometrische Transformation
cos(α) = 1 − 2 sin(α/2)2 (1.240)
und erhalten die Halbwinkelformel
a b2 c2
EF2 = × (1.241)
(a + b)2 (a + c)2
a + 4(a + b + c) sin(α/2)2 .
a2 b2 c2
EF2 = ×
(a + b)2 (a + c)2 (b + c)2
" 2 # (1.242)
2 β−γ
(b + c) + 4 a (a + b + c) cos .
2
abc
EF = ×
(a + b) (a + c) (b + c)
s 2 2 (1.243)
β−γ β−γ
(2a + b + c)2 cos + (b + c)2 sin .
2 2
Mit Hilfe dieser mathematischen Darstellung sind wir in der Lage, den
Satz von Walther Janous zu beweisen. Der erste Term in (1.243) ist
völlig invariant bezüglich Permutationen der Seitenlängen a, b, c. Der
zweite Term kann ganz allgemein auch so
q
a20 cos[ϕ]2 + b20 sin[ϕ]2 (1.244)
geschrieben werden. Dies ist aber die Polardarstellung einer Ellipse mit der
großen Halbachse a0 und der kleinen Halbachse b0 , wobei der Ursprung
des Koordinatensystems im Mittelpunkt der Ellipse liegt. Der maximal
mögliche Wert dieses Ausdruckes ist die große Halbachse a0 oder hier
2a + b + c. Dann können wir die wichtige Abschätzung
a b c (2 a + b + c)
EF ≤ (1.245)
(a + b) (a + c) (b + c)
machen. Durch zyklische Permutation gilt dann auch
a b c (a + 2 b + c)
FD ≤ (1.246)
(a + b) (a + c) (b + c)
und
a b c (a + b + 2 c)
DE ≤ . (1.247)
(a + b) (a + c) (b + c)
Durch Addition dieser drei Gleichungen folgt die Ungleichung
4abc
U (DEF) ≤ U (ABC), (1.248)
(a + b) (a + c) (b + c)
wobei wir für die Umfänge der beiden Dreiecke die Abkürzung
U (DEF) = DE + EF + FD;
U (ABC) = a + b + c.
eingeführt haben. Als letzten Schritt beachten wir die Ungleichung für
das arithmetisch - geometrische Mittel in der Form
√
a + b ≥ 2 ab (1.249)
und ihrer entsprechenden Permutationen. Auf diese Weise erhalten wir
zwanglos den Satz von Walther Janous
1
U (DEF) ≤ U (ABC) (1.250)
2
Das Gleichheitszeichen gilt nur für das gleichseitige Dreieck. Beim Beweis
mussten zwei sehr merkwürdige Kunstgriffe angewendet werden, deren
Notwendigkeit dem Autor noch nicht ganz klar sind. Das Problem hat
sich als wesentlich schöner, reichhaltiger und schwieriger herausgestellt,
als es der erste Anschein zunächst hergab.
E
D
I
G
F
B
Fig. 1.46: Welchen Flächeninhalt haben die Dreiecke DEF und GHI bezüglich des
Ausgangsdreieckes ABC, wenn die Transversalen die Dreiecksseiten an den Stellen
D, E und F in einem vorgegebenen Verhältnis teilen?
[XY Z] ∝ X (Y − Z) + Y (Z − X) + Z (X − Y ). (1.252)
Damit ergibt sich das Verhältnis der Flächen des Dreieckes GHI zum
Ausgangsdreieck ABC zu
[GHI] (r s t − 1)2
= . (1.253)
[ABC] (1 + r + r s)(1 + s + s t)(1 + t + t r)
[DEF] rst + 1
= . (1.254)
[ABC] (1 + r)(1 + s)(1 + t)
(1.253) ist der eigentliche Satz von Routh.31 Die Fläche des zentralen
Dreieckes verschwindet, wenn
rst = 1 (1.255)
ist. Dieser Spezialfall ist der Satz von Ceva32 . Ein weiterer Spezialfall ist
der Satz des Menelaos, für den r s t = −1 gilt.
Die Strecken AD, BE und CF werden im Verhältnis
(1 + s)(1 + r + r s) (1 + s)(r s t − 1)
: : 1
1 + s + st 1 + s + st
(1 + t)(1 + s + s t) (1 + t)(r s t − 1)
: : 1
1 + t + tr 1 + t + tr
(1 + r)(1 + t + t r) (1 + r)(r s t − 1)
: : 1
1+r+rs 1+r+rs
geteilt. Im Falle (r = s = t = 2) folgen hier die Verhältnisse 3 : 3 : 1.
Ende der 1940er Jahre wurde während eines Dinners an der Cornell
University dem Physiker und Nobelpreisträger Richard Feynman das
31 Edward Routh (1831-1907) war ein englischer Mathematiker und Naturphilosoph.
1854 machte er seinen Bachelor-Abschluss an der Universität Cambridge, wo er
Erster (Senior Wrangler) in den Tripos-Prüfungen wurde (Sein Klassenkamerad
James Clerk Maxwell wurde Zweiter). Mit Maxwell erhielt er außerdem den
Smith-Preis.
32 Giovanni Ceva (1647-1734). Werk: De lineis rectis (1678)
obige Problem im Spezialfall r = s = t = 2 gestellt. Er konnte das
Flächenverhältnis von 1/7 nicht glauben und versuchte zunächst, dies
zu widerlegen. Doch schließlich konnte er das Rätsel im Verlauf des
Abends beweisen. Dies Ereignis ging in die populäre Literatur als das
1/7 Flächen - Dreieck Rätsel ein ([5]).
Ein besonderer Fall tritt ein, wenn zum Beispiel r = 1 (Punkt F
halbiert die Strecke AB) und s = 1/t ist. Dann gilt
D−E
= −α β (1.256)
D−E
und die Strecke ED ist offensichtlich parallel zu AB.
Literaturverzeichnis
[1] Bottema, O. On the Area of a Triangle in Barycentric Coordinates.
Crux. Math. 8, 228-231, 1982.
[2] Coxeter, H. S. M. Introduction to Geometry, 2nd ed. New York:
Wiley, pp. 211-212, 1969.
[3] Dudeney, H. E.: Amusements in Mathematics. New York: Dover, p.
27, 1970.
[4] Klamkin, M. S. and Liu, A.: Three More Proofs of Routh’s Theorem.
Crux Math. 7, 199-203, 1981.
[5] R.J. Cook & G.V. Wood (2004): Feynman’s Triangle. Mathematical
Gazette 88:299-302. (2004)
i=N
1 X x[i] x[i + 1]
A= . (1.259)
2 i=1 y[i] y[i + 1]
Die Struktur der Formel verrät die Grundlage der mathematischen Wahr-
heit: Der Satz von Green (auch Green-Riemannsche Formel oder
Lemma von Green, gelegentlich auch Satz von Gauß-Green), der
nämlich erlaubt, das Integral über eine ebene Fläche durch ein Kurven-
integral auszudrücken. Gauß führt erste Ideen zu dieser Formel auf A.
L. F. Meister (1724 - 1788) zurück 34 . Meister war 1743 zunächst in
Göttingen immatrikuliert und setzte sein Studium später in Leipzig fort.
Seit 1764 lehrte er als Professor der reinen und angewandten Mathematik
in Göttingen (Ordinarius seit 1770), unterrichtete also auch u. a. Archi-
tektur und Festungsbaukunst. Georg III. ermöglichte ihm 1765 eine
Reise nach Paris. Meister war Mitglied der Sozietät der Wissenschaften
Göttingen und wurde 1784 zum Hofrat ernannt. Von 1770 bis 1787 arbei-
tete er als Rezensent der Göttingischen Gelehrten Anzeigen. 1772 hatte
er das ehemals Achenwallsche Haus (heute Prinzenstraße 9) erworben.
Meister war der Lehrer von Lichtenberg auf dem Gebiet der Bau-
und Befestigungskunst und wurde dessen enger Freund.
Der obige Satz kann heute als ein Spezialfall des Satzes von Stokes
angesehen werden. Abstrakt können wir schreiben
Z Z I
1
dx dy = (x dy − y dx) . (1.261)
2
Die obige Summe (1.258) ist also nicht anderes als ein diskretes Kur-
venintegral gegen den Uhrzeigersinn um die Polygonfigur. Ändert man
die Umlaufrichtung, so erhält man den negativen Betrag der Fläche.
Um Flächen auf einer Landkarte schnell und relativ genau zu berech-
nen, wurde von dem Schweizer Mathematiker, Physiker und Ingenieur
Jakob Amsler-Laffon( 1823 - 1912) unter anderem ein sogenanntes
Polarplanimeter erfunden, welches sich den Greenschen Satz durch eine
Fig. 1.47: Polarplanimeter des 19. Jahrhunderts zur Analogberechnung von Flä-
chen auf Landkarten nach dem Schweizer Gymnasialprofessor Jakob Amsler-
Laffon. Erste Ideen für ein solches Instrument stammen wohl von J.M. Herrmann
und gehen schon auf das Jahr 1814 zurück. (Quelle: wikipedia.org)
Wir wollen die obigen Ergebnisse jetzt am Beispiel von drei sehr
unterschiedlichen Kreisbogenflächen erproben.
P2
m1 m2
Fig. 1.48: Gegeben sind drei Kreise mit gleichem Radius R. Mit Hilfe des Green-
schen Satzes soll die dunkelgelbe Fläche des Kreisbogendreieckes (Möndchens)
längs der Kontur P1-P2-P3-P1 für einen beliebig vorgegebenen Winkel ϕ berechnet
werden.
AK = 2 R2 sin[ϕ]. (1.268)
Auffällig ist, daß die letzten Terme mit den Bogenwinkeln sich zu Null
addieren. Ein Term proportional π taucht also bei dem Flächenmaß für
das „Möndchen“ nicht auf. Doch es gilt noch mehr: Der erste Term im
ersten Kurvenintegral (1.265) ist die Fläche des Dreieckes P1 m1 P2 , im
zweiten Kurvenintegral (1.266) die des Dreieckes P2 m2 P3 , im dritten
Kurvenintegral (1.267) die des Dreieckes P3 P1 P2 . Also ist die Fläche
des „Möndchens“ identisch der Fläche des Parallelogramms P1 m1 m2 P3
. Das läßt sich auch einfacher aus elementargeometrischen Betrachtungen
herleiten.
P3
m3 m2
P1 m1 P2
Fig. 1.49: Die Möndchen des persischen Mathematikers Alhazen. Die Flächen
der beiden gelben Möndchen zusammen ist identisch dem des rechtwinkligen Drei-
eckes. Nur den Spezialfall ϕ = π/2 hatte schon der griechische Mathematiker
Hippokrates von Chilos behandelt. In Schulbüchern wird dies bis heute falsch
zitiert. Mit Hilfe des Greenschen Satzes sieht man leicht, warum die Zahl π für
die Flächensumme der Möndchen keine Rolle spielt.
Hier steht vor dem Polarwinkel ein Minuszeichen, weil es sich um eine
„Rechtskurve“ handelt. Als Nächstes schlagen wir den äußeren Bogen von
P2 nach P3 und erhalten
1
1 2
R (1 + cos[ϕ] −R (1 − cos[ϕ] 1 2 2
AP 2P 3 = 1 + 2 π R sin(ϕ/2) . (1.270)
2 2
R sin[ϕ] R sin[ϕ]
Dieser Term beschreibt aber auch die Fläche des rechtwinkligen Dreieckes
in Fig.(1.49). Schön ist hier zu sehen, wie der π - Term im Greenschen
Satz herausfällt und so die Gesamtfläche der beiden Möndchen auf eine
elementare geometrische Figur zurückgeführt werden kann.
P2
P2
2j 2j P3
P3
m2 P1 m2 P1
a a
P4
a a
j
j
2j
m3
m1 m1
Fig. 1.50: Zwei Segmente des Mondes von Hippokrates, dessen Flächen Leibniz
bei seinem Parisaufenthalt im Zeitraum 1672-1676 elementar lösen konnte.
Bei seinem Parisaufenthalt im Zeitraum 1672-1676 gelang es G.W.
Leibniz (1646-1716), zwei spezielle Flächeninhalte zu integrieren35 . Mit
dem Greenschen Satz kann man sehr schnell einsehen, warum dies möglich
war. Wenn in den Figuren (1.50) als Koordinatenursprung m1 = {0|0}
gewählt wird, sind die vier Punkte durch
Man sieht jetzt aber leicht, dass das Kreissegment P1 m2 P2 der Fläche
nach genauso groß ist wie das Kreissegment P3 m1 P1 sowie das Segment
P1 m3 P4 . Da die Bögen aber mal Linkskurven und Rechtskurven gegen
den Uhrzeigersinn darstellen, heben sie sich gegenseitig auf. Auch das
Kurvenintegral längs P2 P3 und P3 P4 ist Null, das die Trägergerade durch
den Koordinatenursprung läuft. Der Greensche Satz liefert so für die
Mondsegmente P1 P2 P3 und P1 P3 P4 die identischen Flächen
1 2
a (1 − sin[2ϕ]) .
2
Auf dem linken Bild entspricht dies auch der Fläche des blauen Dreieckes.
P4
P3
P1
Fig. 1.51: Flächenbestimmung einer „Kralle“ für Schüler der sechsten Klasse im
Stadtstaat Singapur. Die Fläche ergibt sich zu (2π − 4) a2 , wobei a die Seitenlänge
des Einheitsquadrates ist.
das Flächenmaß
2 π − 4. (1.273)
Hat das Einheitsquadrat in (1.51) die Länge a, so ist die Fläche durch
9 2 9 2 1 2 1 2
(2 π − 4) a2 ≡ πa − a − πa − a . (1.274)
4 2 4 2
gegeben. Die Fläche entspricht also der Differenz von zwei Kreissegmen-
ten, die sich aus der Differenz von unterschiedlichen Viertelkreisen und
Dreiecken ergeben.
P1 j2 j2 P2
R2
m2
R R1
j1 j1
m1
Fig. 1.52: Das (3,2) Möndchen des griechischen Mathematikers und Astronomen
Hippokrates von Chilos. Die Fläche des gelben Möndchens ist für diese Winkel-
kombination identisch dem des blauen Polygons und außerdem nur mit Zirkel und
Lineal geometrisch konstruierbar.
Mit dem Greenschen Satz erhalten wir nun zunächst ganz allgemein für
den inneren Bogen von P1 nach P2
1 0 2 R1 sin(ϕ1 ) 1 2
AP 1P 2 =
2 0 0 − 2 R1 ϕ1 (1.277)
36 Diereale Mondsichel ist geometrisch allerdings immer ein Halbkreis (äußere Licht-
grenze) und eine halbe Ellipse (innere Lichtgrenze).
und für den äußeren Bogen von P2 nach P1
1 0 −2 R1 sin(ϕ1 ) 1 2
AP 2P 1 = + 2 R2 ϕ2 . (1.278)
2 R 0
1
R22 ϕ2 − R12 ϕ1 .
AH = R R1 sin(ϕ1 ) + (1.279)
2
Schaut man nun aber auf die geometrische Bedingung (1.276), so sieht
man ein, daß die beiden Winkel ϕ2 und ϕ1 kommensurabel zueinander
sein müssen, um überhaupt eine algebraische Gleichung für diese Größen
ableiten zu können. Wir setzen also
ϕ1 = n θ; ϕ2 = m θ, (1.281)
Diese Gleichung wurde so analog von Thomas Clausen 1840 sowie davor
von Leonard Euler 1771 abgeleitet. Auch der finnische Mathematiker
Martin Johann Wallenius (1731-1773) hatte schon eine analoge
Gleichung in einer Dissertation 1766 diskutiert. Sie erinnert in ihrer
Struktur an das optische Brechungsgesetz.
Führen wir wie beim Gaußschen Kreisteilungsproblem die komplexe
Einheitsgröße
z = eı θ (1.284)
ein, so erhalten wir die rein algebraische Gleichung 2m-ten Grades
√ √ √ √
n z 2m − m z m+n + m z m−n − n = 0. (1.285)
2:1
Fig. 1.53: Das (2,1) Möndchen des griechischen Mathematikers und Astronomen
Hippokrates von Chilos. Die Fläche des gelben Kreisbogens ist mit der Fläche
des blauen Polygons identisch.
m−1 n−1
√ X √ X
n z2 j = m z 2 j+m−n . (1.286)
j =0 j=0
cos(2 θ) = 0 (1.288)
Daher gilt
2 ϕ1 = 90◦ ; 2 ϕ2 = 180◦ (1.289)
Dies ist der klassische Fall des Hippokrates.
Also
3:1
3:2
Fig. 1.54: Die (3,1) und das (3,2) Möndchen des griechischen Mathematikers
und Astronomen Hippokrates von Chilos.
Also
1 √
cos(2 θ) = 33 − 1 . (1.294)
8
Daher gilt genähert
Also
√
q
1
cos(2 θ) = 5+4 5−1 . (1.297)
4
Daher gilt genähert
Also
√ √
1
q
cos(2 θ) = −3 + 15 + 6(10 + 15) . (1.300)
12
Daher gilt genähert
5:3
Fig. 1.55: Die (5,1) und das (5,3) Möndchen, welche von Leonard Euler und
später von Thomas Clausen wiederentdeckt wurden.
Damit sind alle Möndchen ausgeschöpft, die man theoretisch mit Zirkel
und Lineal konstruieren kann. Die Fälle (4, 1) und (4, 3) führen notwendig
auf kubische Gleichungen. Und so auch die Fälle (6, 1) und (6, 5). Wie
weit Thomas Clausen 1840 diese höheren Fälle untersucht hat, ist mir
nicht bekannt - doch seine Vermutung über die Nichtexistenz weiterer
Fälle konnte nach über hundert Jahren bewiesen werden.
P2 P5 P2 P5
P3 P4 P3 P4
Fig. 1.56: Aus fünf Teildreiecken die Fläche des Fünfeckes bestimmen. Die Aufgabe
stammt von Möbius aus dem Jahre 1823 und ist auch von Gauss und Clausius
gelöst worden.
Literaturverzeichnis
[1] Meister, A.L.F.: Generalia de genesi figurarum planarum et in-
dependentibus earum affectionibus. Novi Commentarii Academiae
Gottingiensis, Göttingen, Vol 1 (1769-1771), S. 144
[2] Jacobi, C.G.J.: Regel zur Bestimmung des Inhalts der Sternpolygone.
Crelles Journal für die reine und angewandte Mathematik 65 (1866),
S. 173
[3] Amsler, Jakob :Über die mechanische Bestimmung des Flächenin-
haltes, der statischen Momente und der Trägheitsmomente ebener
Figuren. Schaffhausen 1856
[4] Clausen, Th. 1840: Vier neue mondförmige Flächen, deren Inhalt
quadrierbar ist. Crelles Journal für die reine und angewandte Ma-
thematik 21, 375-376.
[5] Euler, L. 1771: Considerationes cyclometricae. In: L. Euler Opera
omnia Series I, volumen 28 Commentationes geometricae, ed. A.
Speiser (Lausanne: Orell Füssli, 1955), 205-214.
[6] Moebius, F. (1824): Schreiben des Herrn Professor Moebius an den
Herausgeber. Astronomische Nachrichten 3, Nr. 56, 131-136, (1824)
a30 = 1.128379167095512573795539
b30 = 1.128379167095512574097399.
π = lim 2n sn . (1.317)
n→∞
Fig. 1.57: Die Kreiszahl π, berechnet und veröffentlicht 1630 in Rom von dem
Mathematiker, Astronomen und Jesuiten Christoph Grienberger (1561-1636).
Er berechnete wohl als Letzter mit dem Archimedes-Algorithmus 39 Stellen und
damit vier Stellen mehr als Ludolph van Ceulen in Leiden 1596.([1]) (Quelle:
books.google.de)
4 1 1 2
b4 − b3 < π < a 4 + b4
3 3 3 3
3.1415925335 < π < 3.1415928338
Mit der Konvergenzbeschleunigung erreicht er gegenüber Archimedes
doppelte Stellenzahl bei gleicher Anzahl der Iterationsschritte. Huygens
gelang es zudem, eine Formel von dreifacher Genauigkeit zu formulieren.
Wie er 1654 bemerkt, hätte damit Ludolph van Ceulen (Köln) (1540-
1610) sich die Rechenarbeit mindestens zur Hälfte sparen können, um 35
Stellen der Kreiszahl π im Laufe von angeblich 30 Jahren zu berechnen.
Mit heutigen analytischen Methoden ist es leicht möglich, auch eine
Nachiteration mit vierfacher Genauigkeit, nämlich
52 1 64 8
an − an−1 + bn − bn−1 ,
315 315 63 45
anzugeben. Aus dem 96-Eck hätte man so schon 13 Stellen der Kreiszahl
π sicher haben können. Einen historischen Höhepunkt erreichte aber der
Archimedes - Algorithmus im Jahre 1630 in Rom durch den Jesuiten
und Galileo Vertrauten Christoph Grienberger, als dieser aus einem
6 ∗ 264 Eck die Zahl π auf 38 Dezimalstellen angab39 .
Ab Mitte des 17. Jahrhunderts begann in Europa das Zeitalter der
Infinitesimalrechnung. Besonders die Entwicklung des allgemeine binomi-
schen Lehrsatzes nach beliebigen Potenzen in unendliche Reihen konnte
jetzt verstanden werden. Aus (1.311) und (1.315) folgt für a > b für den
Archimedes Algorithmus die analytische Grenze
ab p
MA (a; b) = √ arcsin 1 − b2 /a2 ,
a 2 − b2
ab p
= √ arctan a2 /b2 − 1 .
a 2 − b2
√
Wird hier jetzt a = 1 und b = 1/ 1 + t2 gesetzt, folgt die bemerkenswerte
Entwicklung
t2 t4 t6 t8
1
MA 1; √ = 1 − + − + − ... (1.325)
1+t 2 3 5 7 9
Diese Reihe stellt eine Brücke her zwischen den algorithmischen Methoden
des Altertums und den unendlichen analytischen Reihen der Neuzeit. Da
39 Die36. bis 40. Stelle lauten für die obere und untere Grenze 41980 sowie 41967.
Siehe auch Fig. (1.57)
Archimedes schon die Zusammenhänge
π √
= MA 2; 2 ;
2 √
π = MA 2 3; 3
darstellen.
Von den beiden Brüdern David Chudnowski und Gregory Chud-
nowski41 wurde 1989 die noch schneller konvergente Darstellung
1 1 1 5 7 3 11
= A 3 F2 , , ; 1, 1; z + B 3 F2 , , ; 2, 2; z
π 6 2 6 6 2 6
1
z = − 12 3 3 3 .
2 5 23 29
Den Charme einer Leibnizreihe mit Konvergenz-Verbesserung haben diese
Reihen aber nicht.
41 Die
Brüder Chudnowski wurden Anfang der 1990er Jahre auch für die digitale
Bearbeitung der Einhornteppiche des Metropolitan Museum of Art bekannt.
Fig. 1.58: Gauss - Pfaff Algorithmus. Man startet mit einem Quadrat
√ der Seiten-
länge 8, dem Innenradius a0 = 1 und dem Außenradius b0 = 2 (blaue Kreise),
bildet dann mit (1.311) ein Achteck, dessen Umfang gleich dem Quadrat ist, dessen
Radien a1 und b1 aber schon enger beieinander liegen (rote Kreise).
Dies hat schon der Mathematiker J.F. Pfaff (1765 - 1825) in einem
Briefwechsel mit C.F. Gauss im Jahre 1800 festgestellt und abgeleitet.
Mit den obigen Darstellungen folgen jetzt zum Beispiel die Relation
(a > 0 und b > 0)
√
b2 − a2 a π
+ √ = . (1.339)
MP (a; b) MP ( b2 − a2 ; b) 2
Weiterhin gilt
1 arcsin[t]
√ = ,
MP ( 1 − t2 ; 1) t
u p
√ = ln(u + 1 + u2 ),
MP ( 1 + u2 ; 1)
1 arctan[t]
√ = ,
MP (1; 1 + t2 ) t
u 1 1+u
√ = ln .
MP (1; 1 − u2 ) 2 1−u
Auch für komplexe Zahlen ist der Algorithmus definiert und konvergent.
So gilt zum Beispiel für α > 0 und β > 0
p
α2 + β 2 π α
= −ı p ,
MP (ı α; β) 2 MP ( α2 + β 2 ; β)
p
α2 + β 2 α π
= p −ı .
MP (α; ı β) MP ( α2 + β 2 ; β) 2
Bis jetzt haben wir nur das positive Vorzeichen des geometrischen Mittels
im Algorithmus vorausgesetzt. Man kann aber zunächst beliebig während
der Iteration das Vorzeichen der Wurzel zwischen dem positiven Zweig
und dem negativen Zweig wechseln, bis man am Ende nur noch das
positive Zeichen nimmt. Der so verallgemeinerte Wert des Gauss - Pfaff
Algorithmus lautet dann
1 1 4k
= + √ , (1.340)
[MP (a; b)] MP (a; b) MP (0; b2 − a2 )
wobei für k = −∞, +∞ gilt. Hier erkennt man natürlich die Mehrdeu-
tigkeit der trigonometrischen und exponentiellen Umkehrfunktionen im
reellen wie komplexen Bereich. Man kann die Regeln für die Bestimmung
von k bei beliebigem Vorzeichenwechsel während der Iteration mit den
Transformationsformeln (1.335) studieren. Wir übergehen hier aber diese
interessante Betrachtung.
Es gilt schließlich auch noch die Integraldarstellung
Z π/2
1 sin[ϕ] dϕ
= p . (1.341)
MP (a; b) 0 a cos[ϕ]2 + b2 sin[ϕ]2
2
Hier ergeben sich auch enge Analogien zum echten arithmetisch geome-
trischen Mittel nach Legendre - Gauss. Aus (1.335) und (1.336) erhält
man außerdem
an z z
= n
cot n , (1.343)
MP (a0 ; b0 ) 2 2
bn z z
= csc (1.344)
MP (a0 ; b0 ) 2n 2n
an z
= cos n (1.345)
bn 2
p
b2n − a2n z
= . (1.346)
MP (a0 ; b0 ) 2n
Hier muss z nicht mehr π/N sein, sondern kann einen beliebigen Wert
haben, definiert durch Gleichung (1.345) für n = 0. Spezielle Werte des
Algorithmus sind
2 √ 4 √ 6
MP [0; 1] = ; MP [1; 2] = ; MP [ 3, 2] = .
π π π
Damit schließt sich der Kreis der alten klassischen Methoden der Kreis-
berechnung mit den unendlichen Reihen der Neuzeit. Zugleich liegt in
diesen Zusammenhängen der Keim zu einer Neuerung: der Algorithmus
des echten arithmetisch - geometrischen Mittels, der von den einfach
periodischen Kreisfunktionen zu den doppelt periodischen elliptischen
Funktionen führt.
Literaturverzeichnis
[1] Elementa trigonometrica, id est Sinus tangentes, secantes i parti-
bus sinus totius 100000. ROMAE per Haered. Barthol. Zan., 1630
(Superiorum permissa)
[2] Huygens, Christiaan: De circuli magnitudine inventa (Über die ge-
fundene Größe des Kreises); 1654
[3] Legendre, Adrien Marie: Elements de geometrie, avec des notes, Livre
IV, p. 129, 1794 Dieses Lehrbuch der Geometrie war für den mathematischen
Unterricht in Frankreich wie auch in Übersee (USA) im 19. Jahrhundert sehr
einflussreich und erlebte viele Auflagen.
M(a, b)
q = exp (ı π τ ) ; τ =ı √ . (1.350)
M(a, a2 − b2 )
Dabei muss =(τ ) > 0 sein. Nach C.F. Gauss kann die Größe q auch
durch den unendlichen geschachtelten Ausdruck (a = a0 > b0 = b)
a − b0
q= r q0 (1.351)
p √
8 a2 a3 a4 . . .
Diese Reihen gehen auf Gauss zurück. Mit C. Hermite (1822-1901) gilt
aber in unserem Bild erweitert
∞
!
4 2 2 4 4
X n3 q 2n
a − a b + b = M(a, b) 1 + 240 ,
n=1
1 − q 2n
∞
!
3 2 2 2 X n5 q 2n
a6 − a b (a + b2 ) + b6 = M(a, b)6 −1 + 504 ,
2 n=1
1 − q 2n
∞
!
X n7 q 2n
(a4 − a2 b2 + b4 )2 = M(a, b)8 1 + 480 ,
n=1
1 − q 2n
∞
Y 24
a4 b4 (a2 − b2 )2 = 256 M(a, b)12 q 2 1 − q 2n .
n=1
Die unendlichen Summen werden dabei über alle positiven und negativen
ganzen Zahlen m und
√ n genommen, außer dem Zahlenpaar (m, n) = (0, 0).
Im Spezialfall a = 2 und b = 1 gilt τ = ı. Dann läßt sich die erste der
obigen Reihen in der Form
0
π4 X m4 − 6 m2 n2 + n4
√ = (1.353)
15 M( 2, 1)4
m,n
(m2 + n2 )4
schreiben. Genau diese Relation hatte aber schon C.F. Gauss im März
des Jahres 1797 in seinem mathematischen Tagebuch notiert, aber nie
veröffentlicht42 .
Das obige unendliche Produkt in q hängt mit der von S. Ramanujan
(1887-1920) studierten τ (n) - Funktion zusammen. Denn es gilt für die
modulare Diskriminante ∆(q 2 ) vom Gewicht 12
∞
Y 24
∆(q 2 ) = q2 1 − q 2n ,
n=1
∞
X
= τ (n) q 2n
n=1
= q − 24 q 4 + 252 q 6 − 1472 q 8 + O[q 10 ]
2
(1 − λ + λ2 )3
j(τ ) = 256 . (1.356)
λ2 (1 − λ)2
ganzzahlige negative Werte an. Diese sind d = 1, 2, 3, 7, 11, 19, 27, 43,
67, 163. Außer der 27 bezeichnet man diese neun Primzahlen heute
als Heegnersche Zahlen, obwohl sie schon Gauss entdeckt hatte. Im
Einzelnen gilt
j(1 + ı) = 123
√
j(1 + ı 2) = 203
√
1
j (1 + ı 3) = 0
2
√
1
j (1 + ı 7) = −153
2
√
1
j (1 + ı 11) = −323
2
√
1
j (1 + ı 19) = −963
2
√
1
j (1 + ı 43) = −9603
2
√
1
j (1 + ı 67) = −52803
2
√
1
j (1 + ı 163) = −6403203
2
Fig. 1.59: Der Realteil der Kleinschen Invarianten j(τ ) in der komplexen oberen
Halbebene von τ .
√
Mit a = 2 und b = 1 sowie a = 1 und b = eı π/6 ergibt sich daraus
eine merkwürdige Darstellung der Zahlen 504 und 240 (ı2 = −1)
∞
X n5 e−2π n 1
= ,
n=1
1 − e−2π n 504
√
∞
X n3 e−π ( 3+ı) n
1
√ = −
n=1 1 − e−π ( 3+ı) n 240
Wird während des Algorithmus des AGM endlich mal das negative
Vorzeichen der Wurzel genommen, so erhält man im Allgemeinen ei-
ne komplexe Zahl, welche den wahren Charakter der transzendenten
Funktion M(a, b) aufzeigt. Es gilt dann nämlich
1 α ıβ
= + √
[M(a, b)] M(a, b) M(a, a2 − b2 )
α ≡ 1 mod 4
β ≡ 0 mod 4.
Der verallgemeinerte reziproke Wert von M(a, b) bildet somit ein periodi-
sches Zahlengitter in der komplexen Ebene aus. Dies entspricht direkt der
doppelten Periodizität der elliptischen Funktionen. Ein wirklich schönes
Resultat.
Schließlich gilt die Integraldarstellung
2 π/2
Z
1 dϕ
= p . (1.362)
M(a, b) π 0 a cos[ϕ]2 + b2 sin[ϕ]2
2
Im 18. und 19. Jahrhundert spielten Formeln zur Berechnung von Ellipsen-
bögen eine große Rolle, weil die Erde als zweiachsiger Rotationsellipsoid
aufgefasst wurde und zur Festlegung der Länge des Urmeters der Me-
ridianquadrant vom Nordpol zum Äquator genau 10000 km lang sein
sollte. Hierzu musste man längs eines Meridians in Erweiterung der Me-
thode von Eratosthenes durch eine genaue astronomisch - geodätische
Vermessung sowohl die große Halbachse a (Äquatorradius) als auch b
(Polradius) des rotationssymmetrischen Erdellipsoiden ableiten.
Literaturverzeichnis
[1] Klein, Felix (1849-1925): Vorlesung über die Entwicklung der Ma-
thematik im 19. Jahrhundert. Ausgabe in einem Band. Reprint von
1926 und 1927. Springer Verlag Berlin Heidelberg New York 1979.
[2] Gesammelte mathematische Abhandlungen. Felix Klein, Bände 1-3,
Springer Verlag, 1921-1923
[3] Geppert, Harald (1928): Zur Theorie des arithmetisch-geometrischen
Mittels. Mathematische Annalen, Volume 99, Issue 1, pp 162-180,
(1928)
1.36 Ramanujan - Formeln
Der junge indische Mathematiker Srinivasa Ramanujan Aiyangar
(1888-1920) stellte in einer seiner ersten Veröffentlichungen im Journal of
the Indian Mathematical Society die Frage, welches der Grenzwert der
Folge v
u s r
√
u q
t
lim 1 + 2 1 + 3 1 + 4 ... 1 + n
n →∞
sei? Er wartete über ein halbes Jahr, ohne eine Antwort zu erhalten. Um
das Problem zu lösen, betrachten wir die positive Funktion
f [x, m, n] = x + m + n
p
= (x + m + n)2
p
= (m + n)2 + 2 (m + n) x + x2 .
Den letzten Term können wir aber umschreiben in
f [x, m, n] = x + m + n
p
= (m + n)2 + m x + x (x + m + n + n)
p
= (m + n)2 + m x + x f [x + n, m, n].
Damit ergibt sich für die bekannte Funktion f [x, m, n] die Rekursionsfor-
mel p
f [x, m, n] = m x + (m + n)2 + x f [x + n, m, n] (1.365)
Im Spezialfall m = 0 und n = 1 folgt daraus
p
f [x, 0, 1] = 1 + x f [x + 1, 0, 1]
s r (1.366)
q √
= 1+x 1 + (x + 1) 1 + (x + 2) 1 + . . .
Mit n = 1 folgt wiederum für die obige unendliche Rekursion von Rama-
nujan als Grenzwert g[1] = 3.
wobei |s|≤ 1 sein soll. Galton und Watson nahmen als Beispiel für die
erste Generation die erzeugende Funktion
1
1 + s + s2
g[s] = Galton-Watson (1.368)
3
an. Hier gilt, daß in der ersten Generation 1/3 der Adelsgeschlechter
keine Söhne, 1/3 ein Sohn und 1/3 zwei Söhne haben. Die Verteilung in
der zweiten Generation ergibt sich nach Galton - Watson nun durch
eine Faltung der obigen Testfunktion mit sich selbst. Es gilt so für die
nachfolgenden Generationen
Die erste Normierung drückt die Erhaltung der Anzahl der Adelsfamilien
(Namen) aus, während die zweite Relation die Zu - oder Abnahme der
männlichen Nachkommen ausdrückt. Denn für die Zahl gilt von einer
Generation zur nächsten
Nn+1 = µ Nn (1.373)
Ist µ > 1, nimmt die Zahl der Söhne im gesamten Adelsgeschlecht also
exponentiell zu. Der Vermehrungsfaktor ist dabei die Größe g0 (1), wie
man anhand der Definitionen sieht.
Einsetzen der Größe pk in die obige Funktion führt zu dem Ausdruck
1
W0 −µ e−µ .
q=− (1.380)
µ
Die Funktion W0 [z] (siehe Fig. (1.62)) bezeichnet den oberen Hauptzweig
der Lambertschen W-Funktion. Diese Funktion spielt in der Theorie
von verzweigten „Bäumen“ (Graphentheorie) eine Rolle. Für µ > 1
erhält man einen q-Wert kleiner 1, dagegen für µ ≤ 1 immer die Lösung
q = 1. Der letztere Fall bedeutet also das sichere Aussterben aller
Adelsnamen - wobei der Fall µ = 1 singulär ist. In diesem Fall müssten
Fig. 1.60: Die klassische relative Häufigkeitsverteilung von Adelsgeschlechtern
(Adelsnamen) nach Galton & Watson, die als Nachfolger 0, 1, 2, 3, 4 oder 5
Söhne haben. Gezeigt wird die zeitliche Entwicklung für 7 aufeinanderfolgende
Generationen mit der erzeugenden Funktion (1.368) (Aufgestocktes Balkendia-
gramm). Deutlich ist die dominante Zahl von Adelsgeschlechtern mit 0 Söhnen zu
sehen, was letztendlich das Aussterben ihres Namens bedeutet, weil die Töchter
den Familiennamen bei Heirat nicht behielten.
1.0
0.8
0.6
qHΜL
0.4
0.2
0.0
0 1 2 3 4
Μ
Fig. 1.62: Die Wahrscheinlichkeit q[µ], dass ein Adelsname ausstirbt, wenn im
Adelsgeschlecht der Erwartungswert für männliche Nachkommen bei µ liegt.
Anmerkungen und Zusätze
Die Theorie der erzeugenden Funktionen, entwickelt von dem Mathe-
matiker, Physiker und Astronomen P.S. Laplace([5]) , spielt in der
analytischen Wahrscheinlichkeitstheorie eine wichtige Rolle. Als Beispiel
sei hier das Glücksspiel mit mehreren Würfeln genannt. Einen einzelnen
Würfel kann man mit der erzeugenden Funktion
1
s + s2 + s3 + s4 + s5 + s6
g[s] =
6
beschreiben. Jede Augenzahl des Würfels (Potenz des Polynoms) tritt
mit der Wahrscheinlichkeit 1/6 auf. Wirft man zwei Würfel, so ergeben
sich die Möglichkeiten
36 g[s]2 = s2 + 2 s3 + 3 s4 + 4 s5 + 5 s6 + 6 s7 + 5 s8 +
4 s9 + 3 s10 + 2 s11 + s12
n=6
!3
3 1 X n
g[s] = s
6 n=1
216 g[s]3 = s3 + 3 s4 + 6 s5 + 10 s6 + 15 s7 + 21 s8 + 25 s9 +
27 s10 + 27 s11 + 25 s12 + 21 s13 + 15 s14 +
10 s15 + 6 s16 + 3 s17 + s18
und
σ = g00 [1] + g0 [1] − g0 [1]2 = n p (1 − p).
Für eine spezielle Stufe mit der Marke k läßt sich dann durch Summation
der entsprechenden Koeffizienten aller relevanten Potenzen n zeigen, dass
die Wahrscheinlichkeit für den Frosch, auf eine Stufe der Marke k zu
treffen, durch
1 − (−p)k+1
1+p
gegeben ist. Einen ähnlichen Vorgang beschreibt die erzeugende Funktion
n
1
g[s] = p s + (1 − p) , (1.385)
s
welche angibt, an welcher Stelle einer unendlichen Leiter sich ein Frosch
befindet, der mit der Wahrscheinlichkeit p eine Stufe nach oben und mit
der Wahrscheinlichkeit 1 − p eine Stufe nach unten springt.
Ein schwierigeres Beispiel ist die Frage, auf wie viele Weise man 1 € in
die sechs unterschiedlichen Centmünzen wechseln kann. Da es 1, 2, 5, 10, 20
und 50 Cent Euromünzen gibt, lautet die erzeugende Funktion
1
g[s] =
(1 − s)(1 − s2 )(1 − s5 )(1 − s10 )(1 − s20 )(1 − s50 )
Die Anzahl der Wechselmöglichkeiten ist dann der Koeffizient des Terms
s100 von dem nach s entwickelten Polynom g[s] - hier also genau 4562
Möglichkeiten. Fragen dieser Art lassen sich heute mit Computeralgebra
relativ leicht beantworten.
Literaturverzeichnis
[1] Bienayme, I.J. 1845: De la toi de multiplication et la duree des
familles. Soc. Philomath. Paris, 1845, 37-39
[2] Galileo Galilei 1612: Sopra le scoperte dei dadi. Opere, Firenze,
Barbera, 8, pp. 591-594
[3] Harris, T.E. 1963: The Theory of Branching Processes. Springer
Verlag, Berlin - Göttingen - Heidelberg, 1963
[6] Lotka, A.J., 1931: The extinction of Families I-II. J. Wash. Acad.
Sci. 21 (1931), 377-380 und 453-459
[7] Szekely, G.J. : Paradoxa: Klassische und neue Überraschungen aus
Wahrscheinlichkeitsrechnung und mathematischer Statistik. Verlag
Harri Deutsch, Thun und Frankfurt am Main 1990
Wie man sieht, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, den Schlüssel zu finden,
für jede weiter geöffnete Schublade. Man beginnt bei p/N und erreicht
für die letzte Schublade den Maximalwert wN , der aber im Falle p < 1
immer kleiner als p ist. Speziell gilt für eine Kommode mit 2 Schubladen
beim nacheinander Öffnen der Schubladen die Wahrscheinlichkeiten
p p
w1 = ; w2 = (1.388)
2 2−p
und für drei Schubladen
p p p
w1 = ; w2 = ; w3 = . (1.389)
3 3−p 3 − 2p
Ist hier p sehr klein, sind die Wahrscheinlichkeiten beim sukzessiven
Öffnen der einzelnen Schubladen fast identisch.
Terme der Ordnung O[n]−1 werden hier schon vernachlässigt. Den ersten
Term in (1.393) nennt man die Entropie, die Terme proportional ξ und ξ 3
beschreiben die Schiefe der Verteilungsfunktion. Der quadratische Term
ξ 2 /2 ist dagegen in dieser asymptotischen Näherung unabhängig von n.
Mit Hilfe der e-Funktion können wir die obige Beziehung jetzt
2
e−ξ /2
Bn;p [k] ∼ p Rn;p [ξ]
2π n p(1 − p)
schreiben. Für die nahe bei eins liegende Funktion Rn:p [ξ] gilt bis ein-
schließlich der Ordnung O[n]−1 die asymptotische Entwicklung
1 − p(1 − p) 2p − 1
Rn;p [ξ] = 1− + p ξ+
12 n p(1 − p) 2 n p(1 − p)
3 − 8 p(1 − p) 2 2p − 1
+ ξ − p ξ3 −
8 n p(1 − p) 6 n p(1 − p)
2 − 7 p(1 − p) 4
− ξ + ...
12 n p(1 − p)
Je größer die Varianz n p(1 − p) und je kleiner p − 1/2 sind, desto mehr
ist der Korrekturfaktor in der Klammer bei eins. Er berücksichtigt in
erster Linie die Schiefe der Verteilung um das Maximum. Wie Laplace
vernachlässigen wir jetzt diesen Korrekturfaktor und erhalten für die Bi-
nomialverteilung mit (1.392) als Approximation die Gaußsche Fehlerkurve
(Normalverteilung)
!2
1 1 k − np
Bn;p [k] ∼ p exp − p . (1.394)
2π n p(1 − p) 2 n p (1 − p)
Die Darstellung ist sicherlich für n p > 10 ein guter Kompromiss zwi-
schen Rechenaufwand und Genauigkeit. Das in der Schulmathematik
behauptete Laplace-Kriterium σ > 3 folgt nicht streng aus den obigen
Untersuchungen46 .
Mit Laplace wollen wir auch die kummulative Wahrscheinlichkeit
kX
=k2
Bn;p [k]
k =k1
Hier müssen wir aus Gründen der Konsistenz im Falle ξ → 0 die Korrektur
±1/2 weglassen. Im obigen klassischen Beispiel von Laplace betrug
ξ ∼ 2.7563. Die Umkehrung der obigen Beziehung lautet
√
ξ = 2 Erf −1 [w],
wobei Erf −1 [z] die Umkehrfunktion der Fehlerfunktion bezeichnet.
1.40 Gruppenbildung bei Wanderern
Gegeben sei eine Wandergruppe aus N Personen in einem gebirgigen
Gelände. Da der Weg eng ist, kann man nur hintereinander laufen und
ein Überholen ist nicht möglich. Wir wollen nun annehmen, dass alle
Personen in der Gruppe aus N Personen unterschiedliche Gehgeschwin-
digkeiten haben und die Teilnehmer in der Schlange zufällig verteilt sind.
Da ein von hinten kommender schnellerer Wanderer den langsameren
nicht überholen kann, werden sich mit der Zeit eine gewisse Anzahl von
Gruppen bilden, die dann mit einer gemeinsamen Gehgeschwindigkeit un-
terwegs sind. Wie groß ist der Erwartungswert für die Gruppenzahl bei N
Wanderern? Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass bei N Wanderern
genau 1 ≤ k ≤ N Gruppen entstehen?
Das Problem kann man zunächst heuristisch angehen. Betrachtet man
zunächst zwei Wanderer (N = 2) mit den symbolischen Geschwindigkeiten
1 und 2. Der Langsamere habe die Geschwindigkeit 1, der Schnellere die
Geschwindigkeit 2. Dann gibt es nur zwei mögliche Permutationen in der
Wanderschlange:
Läuft der Langsamere an der Spitze, bildet sich nur eine Gruppe aus
zwei Personen, läuft der Schnellere vorne, bilden sich zwei Gruppen aus
je einer Person, angezeigt durch die Zahlen in den Klammern. Bezeichnet
man in einer einreihigen Wandergruppe von N Teilnehmern mit
S[N, k] (1.398)
S[N, k]
p[N, k] = . (1.401)
N!
0.20
0.15
0.10
0.05
0.00
1 2 3 4 5 6 7 8
Die allgemeine Formel für den Erwartungswert der sich bildenden Wan-
dergruppen lautet somit
N
1 X
µ[N ] = k S[N, k] = H[N, 1], (1.402)
N!
k=1
Mit Hilfe dieser Beziehung erhält man für die Streuung den Ausdruck
p
σ = H[N, 1] − H[N, 2]. (1.405)
Bei N = 30 Wanderern erhält man für den Erwartungswert µ = 3.995...,
also eine große Wahrscheinlichkeit dafür, dass sich 4 Wandergruppen
ausbilden. Die Streuung beträgt dabei σ = 1.543.... Ungewöhnlich ist
das Verhalten bei sehr großen Zahlen. So erwarten wir bei einer Wander-
schlange von 108 Teilnehmern nur eine Gruppenzahl von µ ∼ 19, wobei
die Streuung bei etwa σ ∼ 4 liegt.
Für die Projektion der Punkte F und G auf die Strecken AB und AC
erhält man durch den Schnitt von je zwei komplexen Geraden
0 1 αβ
F = α+β+f −
2 f
0 1 αγ
G = α+γ+g− .
2 g
P
Q
E
D G
G'
F
G
F'
C
B F''
G''
Fig. 1.64: Es sei Γ der Umkreis eines spitzwinkligen Dreiecks ABC. Punkte D und
E liegen so auf den Strecken AB bzw. AC, dass AD = AE gilt. Die Mittelsenkrechten
der Strecken BD und CE schneiden die kürzeren Kreisbögen AB bzw. AC von Γ in
den Punkten F bzw. G. Man beweise, dass die Geraden DE und FG parallel oder
gleich sind (Autoren: Vangelis Psychas, Michael Sarantis, Silouanos Brazitikos,
University of Athen, Greece).
Wenn aber die Strecken DE und F G parallel sein sollen, so muss auch
die Bedingung
D−E
≡ −f g (1.408)
D−E
erfüllt sein. Aus dieser Forderung folgt
f 2 g 2 = α2 βγ. (1.410)
f 2 = α β; g2 = α γ (1.411)
extrahieren. Damit wird klar, dass im Falle der Parallelität von DE und
F G auch die Gerade durch die Mitte der Bögen von AB und AC parallel
zu DE ist.
Gehen wir dagegen davon aus, dass die beiden Geraden durch die
Punktepaare DE und F G identisch sind, also die Bedingung
D−F E−G
≡ (1.412)
D−F E−G
erfüllt ist, so folgt für f und g die Forderung
f γ = gβ (1.413)
Des Weiteren liegen auch die Punkte
α2 β α2 γ
P= ; Q=
f2 g2
auf dem Einheitskreis und sind die Verlängerungen von F D und GE.
Alle vier Punkte liegen auf einem Kreis mit Mittelpunkt A und Radius
|AD|≡ |AE|. Mit diesem Faktum läßt sich ein rein geometrischer Beweis
herleiten.
X j1 A
j2
C Y
Die Aufgabe ist schwierig und schön. Bezeichnen wir die vier Ecken
des konvexen Viereckes mit den komplexen Zahlen A, B, C und D, so
muss aufgrund der obigen harmonischen Seiten - Bedingung
(A − B)(C − D) (B − C)(A − D)
=
(B − C)(A − D) (A − B)(C − D)
gelten. Dies bedeutet aber, dass das konjugiert komplexe der linken Größe
gleich dem Inversen dieser Größe ist. Somit muss die hier positiv definierte
Größe
(A − B)(C − D)
= eı ψ ≡ τ
(B − C)(A − D)
eine rein zyklische komplexe Einheitszahl sein. Wir nennen sie τ . Mit
den zyklischen Zahlen A = α, B = β und C = γ läßt sich dann auch
der vierte Punkt D durch rein komplexe Einheitszahlen darstellen. Man
erhält für das harmonische Viereck
β (α − γ) − α (β − γ) (τ + 1)
D[τ ] = .
α − γ − (β − γ) (τ + 1)
Diese Formel definiert als Funktion von τ die Peripherie eines Kreises von
Apollonios, welcher durch B = β (τ = −1) und D verläuft und als Achse
die Strecke AC hat (siehe roter Kreis in Fig. 1.65). Der Mittelpunkt und
der Radius dieses Apolloniuskreises sind durch
αβ (β − 2γ) + β 2 γ
m = ,
β 2 − αγ
α − 2β + γ
m = ,
αγ − β 2
(α − β)2 (β − γ)2
r2 = − .
(β 2 − αγ)2
gegeben. Aufgrund der paarweisen Winkelgleichheit werden zwei Kreise
definiert, welche durch die Gleichungen
(B − X)(A − D) (B − X)(A − D)
=
(B − C)(D − X) (B − C)(D − X)
sowie
(A − X)(C − D) (A − X)(C − D)
=
(A − B)(C − X) (A − B)(C − X)
gegeben sind. Diese Kreise sind mögliche Positionen des Ortes X. Durch
Einsetzen der komplexen Einheitszahlen und D[τ ] erhält man aus beiden
Gleichungen die zwei möglichen Lösungen (Schnittpunkte)
β 2 (α − γ)2 − α(α − β)(β − γ)γ(τ + 1)
X=
β(α − γ)2 − (α − β)(β − γ)γ(τ + 1)
und
β(α − γ)2 + (α + β)(β − γ)γ(τ + 1) − αγ(β − γ)(τ + 1)2
Y= .
(α − γ)2 − (α − β − 2γ)(β − γ)γ(τ + 1) − γ(β − γ)(τ + 1)2
Beide Punkte sind in der Fig (1.65) dargestellt. Der Punkt X liegt dabei
innerhalb des konvexen Viereckes. Als Letztes definieren wir die zwei
Winkel
(X − B)(X − A)
e2ıϕ1 =
(X − A)(X − B)
und
(X − D)(X − C)
e2ıϕ2 = .
(X − C)(X − D)
gegeben. Komplexe Zahlen ohne den Betrag 1 werden hier durch Fettdruck
dargestellt. Nach der Aufgabenstellung definieren die Punkte S, J und T
R A
J G
W
S m
Fig. 1.66: Es seien R und S verschiedene Punkte auf einem Kreis Ω, so dass
RS kein Durchmesser ist. Es sei L die Tangente an Ω in R. Der Punkt T liegt
so, dass S der Mittelpunkt der Strecke RT ist. Ein Punkt J ist auf dem kleineren
Bogen RS von Ω so gegeben, dass der Umkreis Γ des Dreiecks JST die Gerade L
in zwei verschiedenen Punkten schneidet. Es sei A derjenige gemeinsame Punkt
von Γ und L, der näher an R liegt. Die Gerade AJ schneidet Ω in einem weiteren
Punkt K. Man beweise, dass die Gerade KT den Kreis Γ berührt.
einen zweiten Kreis Γ. Für den Mittelpunkt m und den Radius % gelten
die Gleichungen
1
(m − δ)(m − ) = %2 ,
δ
1
(m − β)(m − ) = %2 ,
β
(m − T)(m − T) = %2 .
Daraus folgt
α−β 2 α−β
m = 2δ , m=
α−δ β α−δ
und
(α − 2 β + δ)(2 α δ − (α + δ) β)
%2 = .
(α − δ)2 β
Den Punkt A kann man sich am einfachsten als Schnittpunkt der Geraden
KJ mit der Tangenten an R errechnen. Aus
α (1 + ı t1 ) = γ + (δ − γ) t2
folgt
α(α(γ + δ) − 2 γ δ)
A= . (1.417)
α2 − γ δ
sowie konjugiert komplex
2α − γ − δ
A= . (1.418)
α2 − γ δ
Dieser Punkt A muss aber auf dem Kreis Γ liegen, was die Gültigkeit
der Gleichung
(A − m)(A − m) = %2
fordert. Einsetzen der bekannten Ausdrücke führt zur fundamentalen
Schlüsselgleichung
Damit können wir die Punkte A und m ohne die sekundäre Abhängigkeit
von δ darstellen. Wir erhalten so
2 γ(α − β)2
A = T+ ,
β(α − γ)
(α − β)(α − 2β + γ)
m = T+
(α − γ)(β − γ)
Nun sind wir in der Lage, die Parallelität der Strecken AT und RK zu
beweisen. Denn es gilt
A−T α−γ
= −αγ, = −αγ.
A−T α−γ
Auch folgt
T−γ αβγ(α − 2β + γ)
= + ,
T−γ α(β − 2γ) + βγ
T−m αβγ(α − 2β + γ)
= − .
T−m α(β − 2γ) + βγ
gegeben ist. Die vier Punkte bilden somit ein zyklisches Viereck.
Die obige Aufgabe erreichte im Jahre 2017 eine gewisse Bekanntheit,
weil der älteste Sohn des Präsidenten von Syrien, Hafez Al-Assad, an der
Olympiade in Rio (Brasilien) teilgenommen hatte und nur diese Aufgabe
(problem 4) mit rein geometrischen Methoden gelöst (7 Punkte) hatte.
Die deutsche Presse verbreitete darauf hin eine Häme, die typisch für die
heutige gleichgeschaltete Lügenpresse ist.
A Q
m2 m1
B C
M F
Fig. 1.67: Let ABC be an acute triangle with AB > AC. Let Γ be its cirumcircle,
H its orthocenter, and F the foot of the altitude from A. Let M be the midpoint
of BC. Let Q be the point on Γ such that <) HQA = 90◦ and let K be the point
on Γ such that <) HKQ = 90◦ . Assume that the points A, B, C, K and Q are all
different and lie on Γ in this order.Prove that the circumcircles of triangles KQH
and FKM are tangent to each other. (Proposed by Ukraine).
1
M= (β + γ) ,
2
α (α + β + γ) − β γ
F= ,
2α
und
β γ (2 α + β + γ)
Q= .
α (β + γ) + 2 β γ
Die Formel für K wird schon recht kompliziert. Es gilt
(α + β + γ)(3βγ + αβ + αγ) + αβγ
K=α .
(3α + β + γ)(βγ + αβ + αγ) + αβγ
Mit Hilfe von Computeralgebra lassen sich zwar die Kreismittelpunkte
m1 und m2 berechnen, doch die Ausdrücke sind schon recht verwickelt.
Es liegt hier der Gedanke nahe, für die drei primären Ausgangspunkte
anstatt A, B, C die auf dem gleichen Kreis liegenden Punkte A, Q, K zu
benutzen. Wir setzen also jetzt
A = α; Q = β; K = γ. (1.422)
C M
mP
Q mQ
N
A
Fig. 1.68: Die Punkte P und Q liegen so auf der Seite BC eines spitzwinkligen
Dreiecks ABC, dass <) PAB =<)BCA und <)CAQ =<)ABC gilt. Die Punkte M
und N auf den Geraden AP bzw. AQ seien so gewählt, dass P der Mittelpunkt von
AM ist und Q der Mittelpunkt von AN ist. Man beweise, dass sich die Geraden
BM und CN auf dem Umkreis des Dreiecks ABC schneiden (Proposed by Giorgi
Arabidze, Georgia).
Nach Figur (1.68) liegt wieder ein spitzwinkliges Dreieck vor, dessen
Eckpunkte auf dem komplexen Einheitskreis durch die komplexen Zahlen
A = α, B = β, C = γ (1.428)
gegeben sind. Der Mittelpunkt des Umkreises (gelb) liegt also bei 0 + 0 ı.
Wir benutzen nun das Prinzip, daß die Winkellage einer Strecke Z in der
komplexen Ebene durch den Ausdruck
Z
e2ı ϕ = (1.429)
Z
gegeben ist, wobei ϕ den Lagewinkel bezüglich der reellen Achse be-
schreibt. Mit diesem Prinzip und der Beachtung der gleichen Orientierung
der Winkel lassen sich relativ leicht die beiden Formeln
γ (α − β)2
P = β− ,
α (β − γ)
β (α − γ)2
Q = γ−
α (γ − β)
ableiten. Deutlich ist zu sehen, daß die Punkte P und Q durch vertauschen
der Ecken β und γ ineinander übergehen. Wegen
c2 γ (α − β)2 b2 β (α − γ)2
= , = , (1.430)
a2 α (β − γ)2 a2 α (β − γ)2
c2 c2
P = 1 − 2 β + 2 γ,
a a
2 2
b b
Q = β + 1 − 2 γ.
a2 a
M = 2 P − α; N = 2 Q − α. (1.431)
oder
c2 c2
M = −α + 2 1 − 2 β + 2 2 γ,
a a
2 2
b b
N = −α + 2 2 β + 2 1 − 2 γ.
a a
Der Schnittpunkt der beiden Geraden BM und CN lautet dann im
baryzentrischen Kalkül
a2 α − 2 b2 β − 2 c2 γ
X= . (1.432)
a2 − 2 b2 − 2 c2
oder alternativ noch viel schöner
α (β + γ) − 2 β γ
X= , (1.433)
2α − β − γ
wenn man nur mit den komplexen Größen rechnet. Beide Ausdrücke sind
invariant bezüglich der Vertauschung von β und γ und den Seiten b und
c. Der Punkt X liegt auf dem Einheitskreis, da
XX = 1 (1.434)
gilt. Dies ist in der baryzentrischen Formel nicht ganz so einfach zu sehen.
Hier zeigt sich eine gewisse Überlegenheit der rein komplexen Formel.
Man stellt nun weiterhin fest, daß sowohl die Punkte B, Q, X, N als auch
C, P, X, M je auf einem Kreis liegen. Die Mittelpunkte dieser Kreise
haben die komplex konjugierten Zahlen
(α − β)(2α − β − γ)
mP =
α (β − γ)2
(α − γ)(2α − β − γ)
mQ =
α (β − γ)2
Zudem sieht man, daß die Dreiecke ABP und AQC einander ähnlich sind.
Dann sind auch die Dreiecke BPM und CQN einander ähnlich und die
Strecke MN ist parallel zu BC. Und es gilt noch viel mehr...
Y
Ω2
W
H Ω1
A
N
X
B
Fig. 1.69: Es sei ABC ein spitzwinkliges Dreieck mit dem Höhenschnittpunkt
H. Ferner sei W ein innerer Punkt der Strecke BC. Es bezeichnen M und N die
Höhenfußpunkte von B bzw. C. Außerdem bezeichne ω1 den Umkreis von BWN und
X den Punkt auf ω1 , so dass WX ein Durchmesser von ω1 ist. Analog bezeichne
ω2 den Umkreis von CWM und Y den Punkt auf ω2 , so dass WY ein Durchmesser
von ω2 ist. Man beweise, dass die Punkte X, Y und H auf einer Geraden liegen
(Proposed by Warut Suksompong and Potcharapol Suteparuk, Thailand).
gegeben. Der Punkt W innerhalb der Strecke BC kann mit einem belie-
bigen Winkel φ durch die Formel
W = β cos(φ)2 + γ sin(φ)2 (1.437)
dargestellt werden. Die Höhenfußpunkte M und N ergeben sich nach
elementaren Methoden zu
α (β − γ) + β (β + γ) H αγ
M = ≡ − ,
2β 2 2β
β (γ − α) + γ (γ + α) H αβ
N = ≡ − (1.438)
2γ 2 2γ
Die Mittelpunkte ω1 und ω2 der zwei Kreise durch die Punktetripletts
BWN und CWM lauten
2α β − γ(β + γ) + α(β − γ) cos(2φ)
ω1 = ,
2 (α − γ)
2α γ − β(β + γ) + α(β − γ) cos(2φ)
ω2 = . (1.439)
2 (α − β)
Diese Beziehungen können aber sofort umgeschrieben werden in
αW − γ N
ω1 = ,
α−γ
αW − βM
ω2 = . (1.440)
α−β
Daraus folgt nebenbei
α (β − γ)
ω2 − ω1 = (W − α). (1.441)
(α − β)(α − γ)
und somit
ω2 − ω1 W−α
=− . (1.442)
ω2 − ω1 W−α
Aufgrund des Minuszeichens schließen wir, daß die Strecke ω1 ω2 senkrecht
zu der Strecke AW steht.
Die Punkte X und Y ergeben sich aus
X = 2 ω1 − W; Y = 2 ω2 − W (1.443)
zu
(α + γ) W − 2 γ N
X = , (1.444)
α−γ
(α + β) W − 2 β M
Y = . (1.445)
α−β
Deutlich ist eine gewisse Symmetrie in diesen Ausdrücken zu erkennen.
Um zu entscheiden, ob die Punkte H, X, Y auf einer geraden Linie liegen,
bilden wir die komplexen Zeiger
α+γ
X−H= (W − α), (1.446)
α−γ
α+β
Y−H= (W − α). (1.447)
α−β
Für die Winkellage dieser Strecken erhalten wir die Information
X−H W−α
= − , (1.448)
X−H W−α
Y−H W−α
= − . (1.449)
Y−H W−α
Daraus schließen wir, daß beide Strecken senkrecht zu AW sind und somit
auch die Punkte H, X, Y auf einer geraden Linie liegen. Die Aufgabe hat
sich als sehr einfach erwiesen.
C
X m2
m1
K
L
M
A D B
Fig. 1.70: Es seien A B C ein Dreieck mit ∠BCA = 90◦ und D der Höhenfußpunkt
der Höhe durch C. Sei X ein innerer Punkt der Strecke CD. Es bezeichne K den
Punkt auf der Strecke AX für den |BK| = |BC| gilt. Entsprechend bezeichne L
den Punkt auf der Strecke BX für den |AL| = |AC| gilt. Schließlich bezeichne M
den Schnittpunkt von AL und BK. Man beweise: |MK| = |ML|. (proposed by Josef
Tkadlec, Czech Technical University Prag, Czech Republic)
Diese Aufgabe kommt auf relativ leisen Sohlen daher, erweist sich aber
bei näherem Besehen als ein kleines bizarres Monster.
Methode A: Nach der Figur (1.70) handelt es sich um ein rechtwinkliges
Dreieck. Ohne Einschränkung der Allgemeinheit können wir für die
Punkte des Dreiecks
A = −1 + ı 0; B = +1 + ı 0; C = eı ϕ . (1.450)
beschrieben werden, wobei 0 < θ < π/2 gilt. Für die Punkte K und L
ergeben sich dann die Ausdrücke
oder
ϕ
X − cos(θ) sin 2
K= ϕ (1.454)
1 + cos(θ) sin 2
sowie
cos[ϕ] + cos(θ) cos ϕ2 + ı sin(θ) sin[ϕ]
L= . (1.455)
1 + cos(θ) cos ϕ2
oder
ϕ
X + cos(θ) cos 2
L= ϕ (1.456)
1 + cos(θ) cos 2
Für den Schnittpunkt M erhält man nun
√
cos[ϕ] + 2 cos(θ) sin π4 − ϕ2 + ı sin(θ) sin[ϕ]
M= √ . (1.457)
1 + 2 cos(θ) sin π4 + ϕ2
oder √ π ϕ
X+ 2 cos(θ) sin 4 − 2
M= √ π ϕ
. (1.458)
1+ 2 cos(θ) sin 4 + 2
Mit dieser komplexen Zahl für den Punkt M sind die jeweiligen Entfer-
nungen zu den Punkten K und L identisch vom Betrag
sin[ϕ]
ϕ
ϕ
. (1.459)
cos 2 + sec(θ) + sin 2
A = −1 + ı 0; B = +1 + ı 0; C = γ 2 (1.460)
setzten, wobei
γ = eı ϕ/2 (1.461)
gilt und ϕ wieder einen Winkel zwischen 0 und π darstellt. Der Fußpunkt
D hat die Lage
1 + γ4
D= . (1.462)
2 γ2
Den Punkt X beschreiben wir nun durch die Gleichung
1 − s2 2
X=D+ (γ − D) (1.463)
1 + s2
oder
γ 4 + s2
X= . (1.464)
γ2 (1 + s2 )
Der freie Parameter s läuft hier von 0 bis 1 und hängt mit dem Winkel θ
der Methode A durch die Beziehung
1 − sin(θ)
s2 = (1.465)
1 + sin(θ)
s + ı γ3 s + γ3
K= L=
s γ2 + ı γ s γ2 + γ
Hier bedeutet natürlich ı2 = −1. Durch die Halbwinkelgröße γ können
wir nun die analytischen Wurzelausdrücke meiden. Der Übergang von K
nach L geschieht offenbar durch die Substitution s → ı s. Es gilt für die
konjugierten Größen mit γ → 1/γ und ı → −ı
1 + ı s γ3 1 + s γ3
K= L= .
γ2 + ı s γ γ2 + s γ
Als Nächstes errichten wir zwei Geraden durch die Punkte K und L, die je
für sich senkrecht auf den Geraden BK und KL stehen. Der Schnittpunkt
U dieser beiden Senkrechten ergibt sich zu
γ 4 − s2
U= . (1.466)
γ2(1 − s2 )
Auch hier zeigt sich, daß durch die Substitution s → ı s wir vom Punkt
X zu dem Punkt U gelangen. Weiter stellt man fest, daß U auf der
Geraden DC liegt. Eine weitere Rechnung liefert für die Distanzen |KU|
und |LU| das übereinstimmende Resultat
s2 (1 − γ 4 )2
|KU|2 = |LU|2 = − . (1.467)
γ 4 (1 − s2 )2
Damit ist klar, daß die Geraden BK und AL Tangenten an einem Kreis
mit Mittelpunkt U an den Kreispunkten K und L sind. Daraus folgt
aber sofort die Gleichheit der Distanzen |MK| und |ML| zum Tangen-
tenschnittpunkt M, ohne die Koordinaten dieses Punktes überhaupt
berechnet zu haben.
Die Punkte ADLU liegen auf einem Kreis, dessen Mittelpunkt und
Radius durch
(γ 2 − 1)(γ 2 + s2 ) 1
m1 = = (A + U),
2 γ 2 (1 − s2 ) 2
(s − γ )(s γ − 1)(1 + γ 2 )2
2 2 2 2
1
r12 = = |AU|2 .
4 γ 4 (1 − s2 )2 4
gegeben ist. Auch die Punkte KDBU liegen auf einem Kreis, dessen
Mittelpunkt und Radius durch
(γ 2 + 1)(γ 2 − s2 ) 1
m2 = 2 2
= (B + U),
2 γ (1 − s ) 2
(s2 + γ 2 )(1 + s2 γ 2 )(1 − γ 2 )2 1
r22 = − 4 2 2
= |BU|2 .
4 γ (1 − s ) 4
festliegt. Außerdem gilt die seltsame Asymmetrie
Es bleibt noch übrig, die Lage von M anzugeben. Man erhält den relativ
komplizierten Ausdruck
s2 + γ 4 + (1 + ı) s γ (γ 2 − ı)
M= . (1.469)
(1 + ı) s + γ (1 + s2 ) + (1 − ı) s γ 2
gL [t] = δ (1 + ı t) , . (1.472)
wobei δ δ = 1 gilt.
Zunächst müssen die drei Schnittpunkte der verlängerten Seiten des
Dreieckes mit dieser Geraden L bestimmt werden. Eine einfache Rechnung
liefert den Ausdruck
δ 2 (β + γ) − 2δ β γ
δ 2 − βγ
B'
Lb
Lc
A' M
Α
La
O
∆
Β
X Γ
C'
Fig. 1.71: Es seien ABC ein spitzwinkliges Dreieck mit dem Umkreis G und L eine
Tangente an G. Ferner seien La , Lb und Lc die Geraden, die durch Spiegelungen
von L an den Geraden BC, CA bzw. AB entstehen. Man beweise, dass der Umkreis
des Dreiecks, das von den Geraden La , Lb und Lc gebildet wird, den Kreis G
berührt.(Proposed by Japan)
A = α; B = −α e−ı ϕ ; C = −α eı ϕ (1.482)
D = −α cos[ϕ],
1 + eı ϕ
E = α 1− (1.483)
1 + 2 sin(ϕ/2)
K−E B−E
e2 ı ψ = (1.486)
B−E K−E
C
K
E D
Ψ
A j
Fig. 1.72: Es sei ABC ein Dreieck mit |AB|= |AC|. Die Innenwinkelhalbierenden
der Winkel ∠BAC und ∠CBA schneiden die Seiten BC und AC in den Punkten
D bzw. E. Es sei K der Inkreismittelpunkt des Dreiecks ADC. Ferner sei der
Winkel ∠BEK = 45 Grad. Man bestimme alle möglichen Werte von dem Winkel
∠BAC = ϕ. (proposed by Jan Vonk, Belgium, Peter Vandendriessche, Belgium
and Hojoo Lee, Korea)
oder
1 + e+ı ϕ/2 + ı e+ı ϕ
e2 ı ψ = (1.487)
1 + e−ı ϕ/2 − ı e−ı ϕ
Alternativ gilt dann auch
1 + cos ϕ2 − sin (ϕ)
tan(ψ) = . (1.488)
cos[ϕ] + sin ϕ2
Da die Aufgabe ψ = π/4 fordert, folgt aus der obigen Formel die Bedin-
gung ϕ ϕ
1 + cos − sin[ϕ] − sin − cos[ϕ] = 0, (1.489)
2 2
was äquivalent der Bedingung
π ϕ ϕ
sin − 1 − 2 sin =0 (1.490)
4 2 2
ist. Daraus erhält man leicht die beiden Lösungen ϕ1 = π/2 (90 Grad)
und ϕ2 = π/3 (60 Grad).
C1 B2
M
C2
H
B A1
B1
A2
Fig. 1.73: Gegeben sei ein spitzwinkliges Dreieck ABC mit Höhenschnittpunkt
H. Der Kreis durch H, dessen Zentrum der Mittelpunkt von BC ist, schneide BC
in A1 und A2. Dementsprechend schneide der Kreis durch H, dessen Zentrum
der Mittelpunkt von CA ist, CA in B1 und B2 und der Kreis durch H, dessen
Zentrum der Mittelpunkt von AB ist, AB in C1 und C2. Man zeige, dass die
Punkte A1,A2,B1,B2,C1,C2 auf einem Kreis liegen. (Proposed by Andrey Gavrilyuk,
Russia)
(1.73) betrachten wir auf dem Einheitskreis in der komplexen Ebene die
Punkte A, B und C mit den unimodalen komplexen Zeigern
A = α; B = β; C = γ. (1.491)
Aus der Symmetrie des Problems ist klar, dass der Mittelpunkt des
kritischen Kreises mit dem des Umkreises identisch sein muss. Die Mitten
der Seiten des Dreieckes lauten
1 1 1
mAB = (α + β)) ; mBC = (β + γ)) ; mAC = (α + γ)) .
2 2 2
Die drei Seiten des Dreieckes sind dann durch
erfüllen. Mit diesen Parametern stellt man fest, dass die Punktepaare
A1 A2 , B1 B2 und C1 C2 identischen Abstand zum Mittelpunkt M = 0
haben. Für den Radius des kritischen Kreises gilt
s
1 α β β γ α γ
r = 2+ + + + + + (1.492)
2 β α γ β γ α
X
A
B
Ω1
D Ω2
Ω
Z
L C
Fig. 1.74: Sei ABCD ein konvexes Viereck mit |BA|6= |BC|. Es seien ω1 und ω2
die Inkreise der Dreiecke ABC bzw. ADC. Angenommen es existiert ein Kreis ω,
der den Strahl BA in einem Punkt jenseits von A und den Strahl BC in einem
Punkt jenseits von C berührt und auch die Geraden AD und CD als Tangenten hat.
Man beweise, dass sich die äußeren gemeinsamen Tangenten von ω1 und ω2 auf ω
schneiden (Punkt Z) (Author: Vladimir Shmarov, University Sarov, Russian).
2
(xa yb − xb ya + ωx (ya − yb ) − ωy (xa − xb )) .
Nach der Aufgabe gibt es nun fünf Punktepaare AC, AB, BC, CD
und DA, die in Verbindung mit den zwei Kreisen ω1 und ω2 sechs
Bedingungsgleichungen nach sich ziehen. Nach Figur (1.74) gelten mit
den Punkten
A = (ax | ay ) ; B = (bx | by ) ; C = (cx | cy ) ; D = (dx | dy )
und den zwei Kreisen
ω 1 = (x1 | y1 ) , ω 2 = (x2 | y2 )
mit Radius r1 und r2 für die vier Paare AB, BC, CD und DA die
Beziehungen
r12 (ax − bx )2 + (ay − by )2 =
2
(ax by − ay bx + x1 (ay − by ) − y1 (ax − bx )) ,
r12 (bx − cx )2 + (by − cy )2 =
2
(bx cy − by cx + x1 (by − cy ) − y1 (bx − cx )) ,
r22 (cx − dx )2 + (cy − dy )2 =
2
(cx dy − cy dx + x2 (cy − dy ) − y2 (cx − dx )) ,
r22 (ax − dx )2 + (ay − dy )2 =
2
(ax dy − ay dx + x2 (ay − dy ) − y2 (ax − dx ))
Bis jetzt dürfen die Punkte des Viereckes noch beliebige Lagen haben.
Der Punkt D soll aber nach Fig. (1.74) das innere homothetische Zentrum
der Kreise ω und ω2 , der Punkt B das äußere homothetische Zentrum
der Kreise ω und ω1 sein. Es muss also nach dem Monge Theorem49
r r1
B= ω1 − ω (1.494)
r − r1 r − r1
49 Gaspard Monge (1746-1818), französischer Mathematiker, Physiker und Chemiker.
und
r r2
D= ω2 + ω. (1.495)
r + r2 r + r2
gelten. Wir können also die Koordinaten der Punkte B und D mit Hilfe
eines neuen Kreises mit dem Radius r und der Lage ω = (x | y) ausdrücken.
Mit dieser Information verwandeln sich die obigen vier Gleichungen in
2 2
(ax (r − r1 ) + r1 x − r x1 ) + (ay (r − r1 ) + r1 y − r y1 ) −
2
(ay (x − x1 ) + x1 y − x y1 + ax (y1 − y)) = 0,
2 2
(cx (r − r1 ) + r1 x − r x1 ) + (cy (r − r1 ) + r1 y − r y1 ) −
2
(cy (x − x1 ) + x1 y − x y1 + cx (y1 − y)) = 0,
2 2
(cx (r + r2 ) − r2 x − r x2 ) + (cy (r + r2 ) − r2 y − r y2 ) −
2
(cy (x − x2 ) + x2 y − x y2 + cx (y2 − y)) = 0,
2 2
(ax (r + r2 ) − r2 x − r x2 ) + (ay (r + r2 ) − r2 y − r y2 ) −
2
(ay (x − x2 ) + x2 y − x y2 + ax (y2 − y)) = 0.
A = (0 | 1) ; C = (0 | −1) . (1.496)
(1 − y1 )2 − r12 x + 2 r1 (1 − y1 ) y + r12 + (1 − y1 )2 r − 2 r1 (1 − y1 ) = 0
(1 + y1 )2 − r12 x − 2 r1 (1 + y1 ) y + r12 + (1 + y1 )2 r − 2 r1 (1 + y1 ) = 0
(1 + y2 )2 − r22 x + 2 r2 (1 + y2 ) y + r22 + (1 + y2 )2 r + 2 r2 (1 + y2 ) = 0
(1 + y2 )2 − r22 x − 2 r2 (1 − y2 ) y + r22 + (1 − y2 )2 r + 2 r1 (1 − y2 ) = 0
Dies sind vier lineare Gleichungen zur Bestimmung der Koordinaten (x|y)
und des Radius r vom kritischen Kreises ω. Die Gleichungen für die drei
Unbekannten sind überstimmt und es muss ein Existenzkriterium für den
kritischen Kreis geben. Aus den ersten drei Gleichungen folgt
(1 − y1 )(r1 r2 + (1 + y1 )(1 + y2 ))
x = ,
r2 (1 − y1 ) − r1 (1 + y2 )
r2 (1 − y1 ) + r1 (1 + y2 )
y = y1 ,
r2 (1 − y1 ) − r1 (1 + y2 )
(1 − y1 )(r1 r2 − (1 + y1 )(1 + y2 ))
r =
r2 (1 − y1 ) − r1 (1 + y2 )
Aus den ersten beiden und der letzten Gleichung folgt aber
(1 + y1 )(r1 r2 + (1 − y1 )(1 − y2 ))
x = ,
r2 (1 + y1 ) − r1 (1 − y2 )
r1 (1 − y2 ) + r2 (1 + y1 )
y = y1 ,
r2 (1 + y1 ) − r1 (1 − y2 )
(1 + y1 )(r1 r2 − (1 − y1 )(1 − y2 ))
r =
r2 (1 + y1 ) − r1 (1 − y2 )
Beide Systeme stimmen aber in jeder der drei Variablen nur dann überein,
wenn die Bedingung
y1 + y2 = 0 (1.498)
y1 = +λ; y2 = −λ (1.499)
D = α; E = β; F = γ. (1.504)
U
E
F
I
A
Q M D
B
Fig. 1.75: Gegeben sei ein nicht gleichschenkliges Dreieck ABC mit dem Inkreis-
mittelpunkt I und dem Umkreismittelpunkt U. Die Seiten AB, BC und CA werden
vom Inkreis jeweils in den Punkten D, E und F berührt. Die Geraden DE und
AC schneiden sich im Punkt P und die Geraden EF und AB im Punkt Q. M und
N seien die Mittelpunkte der Strecken DQ und FP. Beweise, daß MN und UI
aufeinander senkrecht stehen.
einführen. Man kann übrigens zeigen, daß diese drei Punkte auf einer
Geraden liegen.
Für die weiteren Punkte erhält man
α (α2 + α β + α γ − 3 βγ)
M = , (1.513)
2(α2 − βγ)
γ (γ 2 + α γ + β γ − 3 αβ)
N = . (1.514)
2(γ 2 − αβ)
Für die Differenz von M und N gilt
β (α − γ)3 (α + β + γ)
M−N = + , (1.515)
2(α2 − βγ)(αβ − γ 2 )
(α − γ)3 (αβ + αγ + βγ)
M−N = − , (1.516)
2αγ (α2 − βγ)(αβ − γ 2 )
und damit endgültig
M−N α β γ (α + β + γ) α+β+γ
=− =−1 1 1. (1.517)
M−N αβ + αγ + βγ α + β + γ
Ein Vergleich von (1.509) und (1.517) zeigt sofort die Relation
M−N U
=− . (1.518)
M−N U
Daraus folgt, daß die Strecken MN und IU senkrecht aufeinander stehen!
Das Problem ist mit synthetischer Geometrie wesentlich schwieriger zu
lösen. Man benötigt dazu wohl den Satz des Menelaos und den Satz
über die Potenzgerade.
Wir nehmen an, dass die erste Seite des Buches mit 1, 2, 3, . . . beginnt
und jede Seite des Buches auf der Vorderseite eine ungerade Zahl und auf
der Rückseite eine gerade Zahl hat. Endet das Buch mit der Seitenzahl
x, so ist die Summe dieser Seitenzahlen
x (x + 1)
.
2
Wird jetzt eine Seite herausgerissen, so seien die Seitenzahlen dieser Seite
y, y + 1.
Dabei muss y eine ungerade Zahl sein, da sie die Vorderseite der heraus-
gerissenen Seite bezeichnet. Mit der Aufgabenstellung haben wir dann
die Bedingung
x (x + 1)
− 2 y − 1 = 15000
2
oder
x2 + x − 4 y = 30002.
Dies ist eine spezielle Diophantische Gleichung, für die ganzzahlige Lö-
sungen für x und y gesucht werden. Es existieren zwei Lösungsklassen
der Form (n eine beliebige ganze Zahl)
x = 1 + 4 n; y = −7500 + 3 n + 4 n2
x = 2 + 4 n; y = −7499 + 5 n + 4 n2
oder
x = 174; y = 112
in Frage. Da y aber eine ungerade Zahl sein muss, kann nur die Erste dieser
beiden Lösungen richtig sein. Darum hat das Buch genau 173 bedruckte
Seiten und die Seite mit den Seitenzahlen 25/26 wurde herausgerissen.
erfüllt sind. Das Feld ist also nach einer Zeitspanne T abgegrast, wenn
die Gleichung
A [σ(0)] + A T [σ 0 (0)] − N T [q] = 0 (1.522)
erfüllt ist. Bei drei Feldern mit den gleichen Grundeigenschaften der
Gräser und der einzelnen Kühe gelten die drei Bedingungen
Eine notwendige Bedingung für die Existenz einer Lösung ist, dass die
Determinante der Matrix
A1 A1 T1 −N1 T1
M = A2 A2 T2 −N2 T2 (1.523)
A3 A3 T3 −N3 T3
Null sein muss. Diese Bedingung ist aber nicht hinreichend, denn genauer
müßte man sagen, daß die Komponenten des Eigenvektors zum Eigenwert
Null der obigen Matrix alle gleiche Vorzeichen haben müssen. Denn es
müssen zum Beispiel die Fälle, wo das Gras auf dem Felde – anstatt zu
wachsen – schrumpft, natürlich ausgeschlossen werden.
Das obige Newton’sche Problem läßt sich nun einfach lösen. Mit N1 =
12, A1 = 3 13 , T1 = 4, N2 = 21, A2 = 10, T2 = 9 sowie A3 = 24
und T3 = 18 erhält man N3 = 36. Die Komponenten des Eigenvektors
verhalten sich dabei wie
[σ(0)] : [σ 0 (0)] : [q] = 108 : 9 : 10 (1.524)
Warum Newton für A1 eine Bruchzahl genommen hat, bleibt rätsel-
haft. Denn man kann leicht zeigen, daß bei dem gleichen Verhältnis der
Komponenten des Eigenvektors die einfachste Lösung
A1 A1 T1 −N1 T1 5 5 ∗ 4 −18 ∗ 4
A2 A2 T2 −N2 T2 = 10 10 ∗ 9 −21 ∗ 9 (1.525)
A3 A3 T3 −N3 T3 2 2 ∗ 18 −3 ∗ 18
gewesen wäre.
Problem XLV : Das Problem XLV in diesem Buch auf Seite 161 lautet
in der englischen Übersetzung von 1720:
A Stone falling down into a Well, from the Sound of the Stone
striking the Bottom, to determine the Depth of the Well.
Diese Aufgabe zur Bestimmung der Tiefe eines Schachtes oder einer
Zisterne findet man manchmal noch versteckt in alten Schulbüchern.
Newton selbst löste diese Aufgabe ohne Luftwiderstand, wodurch das
Problem auf eine quadratische Gleichung reduziert werden kann. Die
Zeitspanne zwischen dem Loslassen des Steines und dem Hören seines
Aufschlagens im tiefen Brunnen setzt sich aus zwei Teilen zusammen.
Der erste Teil T1 ist die reine Fallzeit für eine Tiefe H im Schwerefeld
der Erde, der zweite Teil ist die Zeit T2 , welche der Schall benötigt, um
wieder den oberen Brunnenrand zu erreichen.
Wir wollen hier das Problem mit Luftwiderstand lösen. Unter der
Voraussetzung, dass die Bremskraft proportional dem Quadrat der Fall-
geschwindigkeit ist (subsonische Geschwindigkeit), liefert die ballistische
Theorie für die Fallzeit
1
T1 = √ arccosh eb H .
(1.526)
bg
Hier bedeutet b einen ballistischen Koeffizienten von derpDimension einer
reziproken Länge. Die Grenzfallgeschwindigkeit ist dann g/b. Bezeichnet
man die Schallgeschwindigkeit mit cs , so lautet die zweite Zeitspanne
einfach
H
T2 = . (1.527)
cs
Hört man also den Aufprall eines Steines in einem sehr tiefen Schacht in
der Zeitspanne T nach dem Loslassen, so gilt die Gleichung
1 H
T = √ arccosh eb H + . (1.528)
bg cs
Das Problem ist jetzt die Umkehrung dieser Beziehung nach der Brun-
nentiefe H. Entwickelt man die obige Formel nach H, so ergibt sich bis
zur dritten Ordnung
s
2H H b H 3/2
T = + + √ + O(b2 ) (1.529)
g cs 3 2g
Wie man sieht, führt das Newton’sche Problem des Brunnens mit Be-
rücksichtigung der Schallgeschwindigkeit auf eine quadratische Gleichung,
mit Berücksichtigung des Luftwiderstandes in erster Ordnung auf eine
kubische Gleichung. Ist der Brunnen oder Schacht nicht allzu tief, reicht
als Näherung für seine Tiefe bei einem schweren Stein der Ausdruck
1 2 gT
H = gT 1− + ... (1.530)
2 cs
völlig aus.
1.44 Logeleien
1.44.1 2000 Quart Fass Branntwein
In einem Brief vom 3. Mai 1827 an W. Olbers in Bremen berichtet C.F.
Gauss über ein algebraisches Problem, welches einige Monate vorher
im Reichsanzeiger 53 erschienen war. Anlass war eine Schrift von J. E.
Nürnberger (1779-1848)54 über die Methode der kleinsten Quadrate
und eine Anfrage bezüglich dieser Aufgabe. Unter anderem schrieb Gauss:
...Es kam mir zu Statten, dass ich ihm die vollständige Auflö-
sung einer vor Monaten im Reichsanzeiger aufgegebenen Auf-
gabe beifügen konnte, wovon er selbst (Nürnberger) in einem
späteren Blatt eine unrichtige gegeben und von dem anonymen
53 Gemeint ist Allgemeiner Anzeiger der Deutschen, der öffentlichen Unterhaltung über
gemeinnützige Gegenstände aller Art gewidmet, zugleich allgemeines Intelligenz-
Blatt zum Behuf der Justiz, der Polizei und der bürgerlichen Gewerbe. Gotha, R.Z.
Becker 1806-1829.
54 Information der Gauss - Gesellschaft: Vollständiger Briefwechsel an Gauss im
Zeitraum 1820-1830
Einsender der Aufgabe weitere Aufklärung gewünscht hatte.
Die Aufgabe war: aus einem Fass von 2000 Maas Branntwein
mit 80% Spiritusgehalt werden täglich 15 Maas ausgeschöpft
und dann 12 Maas von 40% Gehalt nachgegossen; nach wie
viel Tagen wird der Gehalt auf 50% reduziert sein?
Im Original (Nummer 64, 6. März 1827, Seite 717, Gotha) steht anstatt
Maas die Volumeneinheit Quart. Die ursprüngliche Nachfrage in der
Rubrik Gelehrte Sachen - Anfrage erschien 1827 in Nummer 14, Seite 164
und wurde von einem anonymen Einsender mit dem Kürzel F. formuliert:
p[0] = 80
(2000 − 15 − 0) p[0] + 12 ∗ 40
p[1] =
2000 − 3
(2000 − 15 − 3) p[1] + 12 ∗ 40
p[2] =
2000 − 6
(2000 − 15 − 6) p[2] + 12 ∗ 40
p[3] =
2000 − 9
p[4] = ...
p[n] − δ/(α − β) Γ[ βγ ] Γ[ αγ − n]
= α (1.536)
p[0] − δ/(α − β) Γ[ γ ] Γ[ βγ − n]
hat. Mit dem absteigenden Pochhammer Symbol
Γ[a]
(a, n) = ≡ (a − 1)(a − 2) . . . (a − n)
Γ[a − n]
und (a, 0) = 1 ergibt sich so endgültig
β
p[n] − δ/(α − β) γ,n
= .
p[0] − δ/(α − β) α
, n
γ
Nur weil hier (α − β)/γ = 4 eine ganze Zahl ist, reduziert sich mit den
Eigenschaften der Gammafunktion die Lösung zu einem Polynom vierten
Grades der Form
( 4 )
Y 3n
p[n] = 40 1 + 1− .
2000 − 3 k
k=1
Genau dies war auch die Gaussche Lösung für das Problem des Brannt-
weinfasses, welche er brieflich an Nürnberger schickte und dieser dann
fast wörtlich in der Wiener Zeitschrift 1828 veröffentlichte . Von einem
exponentiellen Abfall mit konstantem Faktor ist hier nichts mehr zu sehen.
Da die Konzentration 50% sein soll, erhalten wir für die Tagesspanne n
die algebraische Gleichung vierten Grades
4
1 Y 3n
= 1− .
4 2000 − 3 k
k=1
Die Umkehrung der obigen Formel nach n gelingt mit einer Näherungslö-
sung. Da das harmonische und das arithmetische Mittel M der Zahlen
1997, 1994, 1991 und 1988 wenig unterschiedlich ist, können wir die obige
Bedingungsgleichung in sehr guter Approximation durch
4
1 3n
∼ 1− .
4 M
darstellen. Man erhält mit M = 1992.5 als relevante Lösung
1 √
n≈ (2 − 2) M ∼ 194.53...
6
Die exakte Lösung liefert in dieser numerischen Genauigkeit dasselbe Re-
sultat. Daraus folgt, dass erst ab n = 195 Tagen der Spiritusgehalt unter
50% sinkt, ein deutlicher Unterschied zu n = 157. Die Zahl n = 195 war
auch das Resultat von Gauss. Doch der hat - gemäß der Veröffentlichung
von Nürnberger - die Gleichung vierten Grades in n durch eine lineare
Transformation in eine biquadratische Gleichung verwandelt und dann
exakt gelöst. Es ist zweckmäßig, die obige Bestimmungsgleichung durch
Einführung des arithmetischen Mittels M = 1992.5 der Zahlen 1997,
1994, 1991 und 1988 in die Form
4
!
1 Y 3n
= 1− k
.
4
k=1
M + 15−6
2
Mit der einzigen hier relevanten Lösung erhalten wir so für n das exakte
Resultat p √
M 90 + 5913 − 360 M 2 + 16 M 4
n= − √ .
3 6 2
Wird diese Formel jetzt asymptotisch für große M 1 entwickelt, folgt
1 √ 15
n= (2 − 2) M − √ + O[M −3 ]
6 8 2M
Der erste Term stimmt mit unserer ersten Abschätzung überein, der
zweite Term liefert für M = 1992.5 eine unmerklich kleine numerische
Korrektur.
Wesentlich schwieriger hätte sich die Aufgabe gestaltet, wenn die
Größe (α − β)/γ keine ganze Zahl gewesen wäre. Vielleicht hatte der
unbekannte Aufgabensteller diesen Fall auch im Blick, wählte aber durch
die konkreten Zahlenangaben einen noch gerade lösbaren algebraischen
Spezialfall . Dann hätte man (Gauss) auf asymptotische Berechnungen
der Gammafunktion zurückgreifen müssen. Mit Hilfe der asymptotischen
Stirlingschen Formel der Gammafunktion ergibt sich nämlich für (1.536)
n
p[n] − δ/(α − β) β (1 − n γ/α)α/γ−1/2−n
∼ (1.537)
p[0] − δ/(α − β) α (1 − n γ/β)β/γ−1/2−n
H1 = N − 2 V 1 , H2 = N − 2 V2 , H3 = N − 2 V3 .
Da die Anzahl der halbvollen Flaschen nicht negativ sein darf, folgen die
Ungleichungen
2 V1 ≤ N, 2 V2 ≤ N, 2 V3 ≤ N.
V1 ≤ V2 + V3 , V2 ≤ V1 + V3 , V3 ≤ V1 + V2 ,
wenn man jetzt die Anzahl der vollen Flaschen mit den ganzzahligen Sei-
tenlängen eines Dreieckes isomorph in Verbindung bringt. Dabei werden
auch singuläre Dreiecke mit zum Beispiel a = b + c mit einbezogen.
Um nur die nicht - äquivalenten Lösungen zu finden, die nicht durch
eine Permutation der drei Brüder entstehen, definieren wir ab jetzt die
Rangfolge
V1 ≤ V2 ≤ V3
Der Bruder mit Index „1“ soll also jetzt im Allgemeinen die geringste
Anzahl von vollen Flaschen, der mit Index „3“ die meisten vollen Flaschen
bekommen. Wir führen dazu drei neue Variablen gemäß
x = V2 − V1 ; y = V3 − V2 ; z = V1 + V2 − V3
V1 = y + z; V2 = x + y + z; V3 = x + 2 y + z.
Hier sieht man deutlich die beabsichtigte Rangfolge. Summiert man alle
drei Flaschenzahlen zusammen. so ergibt sich die lineare Diophantische
Gleichung
N = 2x + 3z + 4y (1.540)
B1 : {y + z, 2 x + 2 y + z, y + z},
B2 : {x + y + z, 2 y + z, x + y + z},
B3 : {x + 2 y + z, z, x + 2 y + z}}.
manifestieren. Nur die letzte Lösung gibt Alkuin als einzige Lösung
der Aufgabe an; die anderen vier scheint er vor über 1200 Jahren nicht
gekannt zu haben.
Aus heutiger Sicht ist es mathematisch interessant, wie viele ganz-
zahlige nicht - permutierte Lösungen die Schlüsselgleichung (1.540) für
ein voegebenes N hat. Mit Hilfe der Funktionaltheorie erzeugender
Funktionen kann man zeigen, dass diese Anzahl durch die Maclaurin-
Taylorkoeffizienten der Funktion
1
g[ζ] =
(1 − ζ 2 )(1 − ζ 3 )(1 − ζ 4 )
gegeben sind. Bis zur zehnten Ordung gilt nämlich
g[ζ] = 1 + ζ2 + ζ3 + 2 ζ4 + ζ5 + 3 ζ6 +
+ 2 ζ 7 + 4 ζ 8 + 3 ζ 9 + 5 ζ 10 + . . .
m1 (1 − q1 ) = m2 (1 − q2 ). (1.541)
Diese Identität sagt nichts anderes aus als dass die Masse mg der Gurken-
zellulose eine Invariante ist. Sie ändert sich nicht, wenn der Wasseranteil
verloren geht. Damit gilt aber für das Massenverhältnis
m2 1 − q1
= . (1.542)
m1 1 − q2
Diese Formel hat dramatische Konsequenzen. Mit q1 = 0.99 und q2 =
0.98 ergibt sich völlig überraschend
m2 1
= . (1.543)
m1 2
Die Gesamtmasse der Ladung hat sich damit am Ende der Fahrt einfach
halbiert!
1.44.4 Das Problem der Teilmengen
Folgende Rätselaufgabe ist nicht besonders schwierig:
Auf einer Party sind 10 Gäste, 6 Personen trinken, 7 Per-
sonen rauchen. Es gibt sogar 4 Gäste, die sowohl rauchen
als auch trinken. Gibt es nun Gäste, die weder trinken noch
rauchen? Wenn ja, wie viele sind es?
Bezeichnen wir die Anzahl der Gäste, die weder rauchen noch trinken, mit
N00 , die nur trinken, mit N10 , die nur rauchen, mit N01 , und schließlich
jene Gäste, die sowohl rauchen als auch trinken mit N11 , so gilt für die
Gesamtzahl der Gäste
Auf der linken Seite der Gleichung steht die Gesamtzahl der Personen,
die entweder trinken oder rauchen oder beides gleichzeitig tun. Die
erste geschweifte Klammer auf der rechten Seite der Gleichung ist die
Gesamtzahl der Trinker, die zweite Klammer die der Raucher. Der dritte
Term gibt die Anzahl der Personen an, die sowohl trinken als auch rauchen.
Mit den Mengenoperatoren können wir diese Gleichung auch
N − N0,0 = N (T d R)
≡ N (T ) + N (R) − N (T e R).
N00 = N − N (T d R) (1.545)
Schreiben wir also
N00 = 10 − {6 + 7} + 4 ≡ 1.
Also gilt N (T d R) = 9 und es gibt nur eine Person, die weder trinkt
noch raucht. Die obige Bilanz können wir auch alternativ als Ungleichung
NT R = {NT + NR } + N00 − N
NT R ≥ NT + NR − N
N00 = 1; NT R = 4; NT = 2; NR = 3.
sowie
Also sprechen genau 6 Personen keine der drei Sprachen. Auch in diesem
Fall gilt ganz allgemein die Ungleichung
Nedf ≥ Ne + Nd + Nf − 2 N,
wobei jetzt ein Faktor 2 vor dem N steht. Mit den obigen Zahlen führt dies
aber auf die Aussage Nedf ≥ −32, also nur zu Abschätzung Nedf ≥ 0 . Da
man aber acht Angaben hat, kann man hier alle acht übrigen Teilmengen
berechnen. Man erhält so
N100 = 17 N101 = 7
N010 = 6 N011 = 6
N001 = 2 N000 = 6
N110 = 18 N111 = 5
Eng verwandt mit dieser Aufgabe ist ein Rätsel, welches im März 1977 in
der TV-Sendung Kopf um Kopf von dem Wissenschaftsredakteur der Zeit,
Thomas von Randow (1921-2009), an die Zuschauer gestellt wurde.
Die Aufgabe lautete
Uns liegt ein Umfrageergebnis in Deutschland vor, wonach
70% der Bürger gerne Wein trinken, 75% aller Bürger trinken
gerne Whisky, 80% aller Bürger trinken gerne Cognac und
85% aller Bürger trinken gerne Bier. Mindestens wie viel
Prozent aller Bürger trinken gerne alle vier Alkoholika?
Anstatt zwei möglicher Kanäle (Trinken, Rauchen) gibt es nun vier
verschiedene Kanäle (vier unterschiedliche Alkoholika). Normieren wir
hier die Gesamtzahl der Bürger zu 100, so stellen die Prozentzahlen
absolute Personenzahlen dar. Für diese Gesamtzahl gilt dann die Bilanz
1 X
X 1 X
1 X
1
N= Nj1 ,j2 ,j3 ,j4 . (1.546)
j1 =0 j2 =0 j3 =0 j4 =0
Aus diesen fünf Gleichungen eliminieren wir nun die vier Gruppen von „3
- Alkoholika Trinkern“, also N0111 , N1011 , N1101 , und N1110 . Dann ergibt
sich die Resultante
3 N + N1111 − Nwein − Nwhisky − Ncognac − Nbier
= 3 N0000 + 2 (N1001 + N0100 + N0010 + N0001 )
+ N1100 + N1010 + N1001 + N0110 + N0101 + N0011
Da die rechte Seite der Gleichung immer positiv und größer oder gleich
Null ist, können wir nun mit einem Faktor 3 vor dem N schließen
Nach der Statistik müssen also mindestens 10% der Bundesbürger Alle-
strinker sein.
Wir stellen uns einen Quader vor, der frei im Raume schwebt
und die folgenden Abmessungen hat: Die Stirnfläche ist genau
12 mal 12 cm und die Kantenlänge genau 30 cm lang.Auf der
einen Stirnfläche sitzt genau in der Mitte, genau 1 cm von der
oberen Kante entfernt, ein Marienkäferchen, auf der anderen
Stirnseite, auch wieder genau in der Mitte, genau 1 cm von der
unteren Kante entfernt, ein zweites Marienkäferchen. Beide
sollen als mathematische Punkte gedacht werden. Beide haben
nun Sehnsucht nach dem anderen und suchen den kürzesten
Weg zueinander. Ein möglicher Weg wäre direkt orthogonal
zu den Kanten mit der Länge 1 cm + 30 cm + 11 cm = 42
cm. Gibt es einen kürzeren Weg?
(1.76) ist das entscheidene Quadernetz dargestellt, auf dem die Länge
der Geodätenlinie leicht berechnet werden kann. Mit den Abmessungen
ergibt sich p
d = 322 + 242 = 40 (1.548)
Die schräge Geodäte ist also auf dem Quader um 2 cm kürzer als der
direkte Weg mit 42 cm.
y
b
z
c
x
Fig. 1.77: In einer Gasse der unbekannten Breite x kreuzen sich zwei Leiter der
Länge a und b in der Höhe c über dem Boden. Wie groß ist x?
Masha besitzt somit gar kein Geld, Misha dagegen sechs Kopeken. Das
Buch selber kostet daher nur sieben Kopeken60 .
58 A. Sutcliffe, Complete Solution of the Ladder Problem in Integers Math. Gaz. 47
(1963), 133-136
59 Dexterität, lat. dexteritas, Gewandtheit, besonders in mechanischen Arbeiten;
dextral, rechts
60 1 Rubel = 100 Kopeken
Rätsel 2: Zwei alte Frauen brechen bei Sonnenaufgang zu einem Ta-
gesmarsch auf. Beide wandern mit unterschiedlicher, aber konstanter
Geschwindigkeit auf derselben Straße entgegen. Die erste geht von A nach
B, die zweite von B nach A. Sie treffen sich mittags, halten aber nicht
an und gehen geradeaus mit der ihnen eigenen Geschwindigkeit weiter.
Die erste Frau kommt in B um 16 Uhr an, die zweite erreicht A um 21
Uhr. Um wie viel Uhr war der Sonnenaufgang an diesem Tag?
Bezeichnet man mit t0 die Uhrzeit des Sonnenaufganges und mit s die
Distanz von A nach B, so gelten zunächst die Ortsgleichungen
xA = vA (t − t0 ); xB = s − vB (t − t0 ).
Treffen sie sich um die Mittagszeit tm , so folgt aus xA = xB die Bilanz
(vA + vB ) (tm − t0 ) = s.
Außerdem gelten mit den zwei unterschiedlichen Ankunftszeiten tA = 16
und tB = 21 die Bilanzen
s = vA (tA − t0 ); s = vB (tB − t0 ).
Mit den letzten Beziehungen haben wir drei Gleichungen, um die Unbe-
kannten vA , vB und s zu eliminieren. Man erhält die Proportion
tA − tm tm − t0
= . (1.551)
tm − t0 tB − tm
m eı φ + n e−ı φ (2.2)
Fig. 2.1: Die entscheidende Skizze in der Principia Mathematica, mit der Newton
aus einer Ellipsenbahn nur mit geometrischen Sätzen das Abstandsgesetz der
Gravitation ableitete.
P
X
I
E N
T
A
C H
S
F
Fig. 2.2: Ein modernes Replikat der historischen Skizze von Newton. Mit einigen
Sätzen des Apollonius von Perga über Kegelschnitte gelang es Newton zu zeigen,
daß der Quotient aus dem Quadrat von QT und der Fallstrecke QR im Grenzfall
Q → P eine Bahnkonstante ist. Den Punkt ν von Newton bezeichnen wir hier
mit N.
oder alternativ
√
(m + n) α + m n (1 + α2 )
PS = (2.7)
α
Daraus ergibt sich die bemerkenswerte Identität
√ √
(n + α (2 m n + m α))(m + α (2 m n + n α))
√ 2
(2.8)
= (m + n) α + m n (1 + α2 ) .
(α2 + β 2 ) (n + m α2 )
N= . (2.15)
2 α2 β
und
m n (1 − α4 )
F= . (2.16)
α (m − n α2 )
gegeben sind. Nach einem Satz des Apollonius (Buch III, Prop. 48)
ist aber das Dreieck P HI gleichschenklig. Damit gelingt es Newton zu
zeigen, daß EP gleich m + n ist. Weiterhin erhalten wir für die Strecke
|GN |
(n + m α2 )(m + n α2 )(α + β)4
GN 2 = . (2.17)
4 α4 β 2
Fig. 2.3: Isacc Newton stellte sich die Aufgabe, die Keplerschen Gesetze der
Planetenbewegung, das Fallgesetz eines Apfels nach Galilei und die Gezeitenbe-
wegungen des Meeres zu einer widerspruchsfreien mathematisch - geometrischen
Synthese zu führen. (Bild: J. L. Huens (1921-1982))
und für P C
(n + m α2 )(m + n α2 )
P C2 = . (2.18)
α2
Damit erhalten wir das wichtige Streckenverhältnis
PC 2αβ
= (2.19)
GN (α + β)2
(m + n) (α − β)2
QR = − . (2.20)
2αβ
Bezeichnet man den Betrag der Fallbeschleunigung bei P mit g, so gilt
genähert mit der kleinen Zeitdifferenz ∆t von P nach Q für die Fallstrecke
(hier taucht metaphorisch der fallende Apfel auf )
1
QR = g ∆t2 , (∆t → 0) (2.21)
2
die für unendlich kleine Zwischenzeiten exakt gilt. Da die Gesamtfläche
der Ellipse π (m2 − n2 ) ist, gilt mit dem Flächensatz die Proportion
QT P S ∆t
= , (∆t → 0) (2.22)
2π (m2 − n2 ) U
wobei U die Umlaufzeit des Planeten in der Ellipsenbahn bezeichnet. Aus
beiden Formeln läßt sich die Zwischenzeit ∆t eliminieren und wir erhalten
für die zwischen den Bahnpunkten P und Q gemittelte Beschleunigung
g den Ausdruck (a = m + n, b = m − n)
2
QR a2 b2 2π
g=2 , Q → P. (2.23)
QT 2 P S 2 U
Hier steht schon das Quadrat der Entfernung P S des Planeten von
der Sonne im Nenner. Der schwierigste Teil für Newton war nun die
Berechnung des Quotienten QT 2 /QR im Grenzprozess β → α . Selbst
in der Geometrie komplexer Zahlen ist die Position des Punktes T oder
auch des Punktes X nicht ganz einfach. Für das Quadrat der Strecke QT
ergibt eine längere algebraische Rechnung
(m − n)2 (α − β)2
QT 2 = − ×
4 β2 (2.24)
√ 2
(m + n)(α + β) + 2 m n (1 + α β)
√ .
(m + n) α + m n (1 + α2 )
Damit ergibt sich für das Verhältnis
QT 2 (m − n)2 α
= ×
QR 2 (m + n) β
√ 2 (2.25)
(m + n)(α + β) + 2 m n (1 + α β)
√ .
(m + n) α + m n (1 + α2 )
Hier könnte man schon sehr einfach den Grenzübergang β → α vollziehen.
Doch wir wollen die Kunstgriffe von Newton weiter verfolgen. Für das
Quadrat des Streckenverhältnisses QX/QN gilt
2
α2
QX
= ×
QN (α + β)2 (2.26)
√ 2
(m + n)(α + β) + 2 m n (1 + α β)
√ .
(m + n) α + m n (1 + α2 )
Durch Division der beiden obigen Beziehungen ergibt sich
2
QT 2 (m − n)2 (α + β)2 QX
= , (2.27)
QR m+n 2αβ QN
Mit der Relation (2.19) folgt so die von Newton gefundene bemerkens-
werte geometrische Identität
2
QT 2 b2 GN
QX
= , (2.28)
QR a PC QN
wobei wir jetzt wieder für die große und kleine Halbachse der Ellipse
a = m + n und b = m − n geschrieben haben. In der so formulier-
ten geometrischen Relation konnte jetzt Newton ohne Probleme die
Grenzübergänge
QX
lim = 1,
Q→P QN
GN
lim = 2
Q→P P C
1 Newton, I. 1684: De Motu Corporum in Gyrum. Aus: Guicciardini, N.: Newton: Ein
Naturphilosoph und das System der Welten. Spektrum der Wissenschaft Verlag.
Heidelberg (1999).
Y
P
m
S H
Fig. 2.4: Der Hodograph der elliptischen Keplerbewegung ist ein Kreis. Er ergibt
sich hier als Schnittpunkt Y der Geraden durch die Punkte S und P und der
senkrechten Linie zu der Tangenten an P durch den Punkt H. Die Länge der
Strecke |HY | ist dann proportional dem Betrag der Geschwindigkeit am Punkt P.
Der Punkt m halbiert dabei genau die Strecke |HY |. Ein Lichtstrahl, der von S
kommend bei P reflektiert wird, gelangt genau zum zweiten Brennpunkt H.
Einen analogen geometrischen Beweis führte Newton auch für die Hy-
perbelbahn durch. Denn die Größe p = b2 /a ist auch für Hyperbeln und
Parabeln wohl definiert.
Aus der Bahnellipse kann man auch den sogenannten Hodographen der
Keplerbewegung konstruieren. Diese Kurve wird durch den Geschwindig-
keitsvektor gebildet, wenn dieser im Punkt H (zweiter Brennpunkt) eine
volle Drehung vollführt. Bei der Keplerbewegung ist dies ein Kreis, wie
man in Fig. (2.4) sehen kann. Die skalierten Punkte dieses Kreises sind
durch die Formel
√ √
n( m n − n α) + m α(m − m n α)
Y=2 (2.31)
m − n α2
gegeben und es gilt
|Y S|= 2 (m + n). (2.32)
Richard Feynman (1918-1988) benutzte im März 1964 am Caltech
in seiner Mechanikvorlesung diese Eigenschaft, um umgekehrt aus dem
Hodographen die Bahnellipse rein geometrisch zu konstruieren ([4]). Al-
lerdings kannte auch schon Isaac Newton in seiner Principia diese
Eigenschaft von Ellipsen (Section IV, Lemma XV) und die Methode
des Hodographen geht auf Sir William Hamilton zurück und wurde
später auch von J.C. Maxwell in seinem Matter and Motion benutzt.
Literaturverzeichnis
[1] Apollonii Pergei Conicorum Libri I-VI cum commentariis antiquis.
I.L. Heiberg Hrsg. u. Übers. Teubner Verlag Stuttgart (1974).
[2] Apollonius of Perga: Conics. Books I-III. Dana Densmore Ed. Green
Lion Press, Santa Fe, New Mexico (1998).
[3] Apollonius of Perga: Conics. Books V to VII. The Arabic translation
of the lostGreek original in the version of the Banu Musa. G.J.Toomer
Transl.& Ed. Springer Verlag. Berlin, Heidelberg, New York (1990).
[4] Goodstein, D.L. and J.R. Goodstein 1996: Feynman’s lost lecture.
The motion of planets around the sun. W.W. Norton & Co. New
York, London (1996).
[5] Newton, Isaac.: The Mathematical Principles of Natural Philosophy,
In Two Volumes, London 1729
[6] Simonyi, K.: Kulturgeschichte der Physik. Von den Anfängen bis 1990.
Verlag Harri Deutsch, Thun - Frankfurt am Main. Gesamtherstellung:
Akademiai Kiado es Nyomda Vallalat, Budapest. 1995
ẍ = 0
ÿ = −g (2.33)
wobei x parallel zum Horizont zeigt und die positive y Koordinate zum
Zenit weist. g ist die Oberflächenbeschleunigung.
2 Heinz Haber (1913 - 1990) studierte seit 1937 in Leipzig, Heidelberg und Berlin,
wo er 1939 in Physik promovierte. Nach 1945 lehrte er als Dozent in Heidelberg.
1946 siedelte er in die USA über und arbeitete bis 1952 an der Luftwaffenschule
für Luftfahrtmedizin auf der Randolph Air Force Base, Texas. In den 1960er und
1970er Jahren war Haber für das deutsche Fernsehen tätig (nachdem Rudolf
Kühn (1926 - 1963) tödlich verunglückt war) und produzierte verschiedene popu-
lärwissenschaftliche Fernsehreihen, darunter Professor Haber experimentiert - Das
Mathematische Kabinett - Stirbt unser blauer Planet - Was sucht der Mensch im
Weltraum (13 Folgen, 1968)
3 Haber,H. & Haber, F.: Possible Methods of Producing the Gravity-Free State for
v v̇ + g ẏ = 0. (2.36)
ẋ = v cos(θ),
ẏ = v sin(θ), (2.37)
v̇ + g sin(θ) = 0. (2.38)
v θ̇ + g cos(θ) = 0. (2.40)
Die beiden Gleichungen (2.38) und (2.40) sind die beiden kinematischen
Fundamentalgleichungen der Wurfparabel, nun aber in den Größen v,
der Bahngeschwindigkeit, und dem Tangentenwinkel θ der Bahnkurve.
Beide Gleichungen lassen sich einfach interpretieren. Die Gleichung (2.38)
beschreibt die Kräftebilanz von Trägheitskraft und Schwerkraft in tangen-
tialer Richtung an der Bahnkurve, die Gleichung (2.40) normal zur Kurve.
Das letztere sieht man ein, wenn man die Bogenlänge s der Bahnkurve
ds = v dt (2.41)
dθ
v2 + g cos(θ) = 0. (2.42)
ds
Die Größe ds/dθ stellt aber bis auf das Vorzeichen den Krümmungsradi-
us der Bahnkurve dar, so dass die Gleichung (2.42) das Gleichgewicht
zwischen Zentrifugalbeschleunigung und der Normalkomponente der Erd-
beschleunigung bezüglich der Bahnkurve dargestellt.
Jetzt muss nur noch gezeigt werden, ob die obigen „geometrischen“
Bedingungen der „Gewichtslosigkeit“ bei der Wurfparabel erfüllt sind.
Aus der Definition (2.37) folgt zunächst für θ̇
y 00 (x)
θ̇ = ẋ[t] (2.43)
1 + y 0 (x)2
ds [1 + y 0 (x)2 ]3/2
= . (2.45)
dθ y 00 (x)
Fig. 2.5: Der Airbus A300 ZERO-G ist am französischen Flughafen Bordeaux-
Mérignac stationiert und für Parabelflüge konzipiert. Diese werden von NOVES-
PACE durchgeführt und von der ESA und der DLR finanziert.
cos(ϕ − θ)
v̇ + =0 (2.51)
r2
und
dθ sin(ϕ − θ)
v + = 0. (2.52)
dt r2
Mit diesen Gleichungen ist aber sofort anschaulich klar, warum auch in
einer Keplerbahn „Gewichtslosigkeit“ herrscht. Beide vektoriellen Kom-
ponenten der „Trägheit“ und der „Schwerkraft“ sind gleich und heben
sich auf. In Gleichung (2.52) steht auf der linken Seite ein inverser Krüm-
mungsradius der Bahn. Man kann mit der Bogenlänge ds = v dt auch
schreiben
dθ sin(ϕ − θ)
v2 + = 0. (2.53)
ds r2
Fig. 2.6: Die Skizze von I. Newton in einem Brief vom 28. November 1679
an R. Hooke, in dem Ersterer ein Freifall - Experiment zum Nachweis der
Erdrotation der Royal Society vorschlug. Hooke kritisierte die Vorstellung von
Newton über die Bahnbewegung des fallengelassenen Körpers um das punktförmige
Massenzentrum im Inneren der als hohl gedachten Erde. Hooke war der Meinung,
dass der Körper ohne Widerstand mehr in einem exzentrischen Elliptoid, mit
Widerstand aber in einer Spiralbahn zum Zentrum laufen müsste.
Wz +y HNordenL
j
Wy
-x HWestenL O +x HOstenL
-y HSüdenL
Fig. 2.7: Das lokale Koordinatensystem auf der Nordhalbkugel der rotierenden
Erde mit dem axialen Winkelgeschwindigkeitsvektor Ω. Der Vektor zeigt auf den
Nordpol (Polarstern) des Himmels. Der Neigungswinkel ϕ entspricht der geogra-
phischen Breite des Ortes. Für die Fallversuche ist nur die Komponente Ωy , für
das Foucaultpendel nur die Komponente Ωz maßgebend. Das Letztere gilt auch für
Luftströmungen und Ozeanströmungen längs der Erdoberfläche.
6 Ob .
auch noch der Magnuseffekt ω × r für schwach rotierende Kugeln mit einer
kleinen induzierten Winkelgeschwindigkeit ω berücksichtigt werden muss, ist bis
heute aufgrund der manchmal beobachteten kleineren Südablenkung ungeklärt
geblieben.
Die allgemeinen Lösungen für einen aus der Ruhe bei r = 0 fallenden
Körper lauten ohne Luftwiderstand
√ √
2 Ω { b g t − 2 arctan[tanh[ b g t/2]]} cos[ϕ]
x[t] = √ (2.65)
b bg
Diese Formel hat zum erstenmal P.S. Laplace 1802 abgeleitet und wurde
von dem Astronomen J. Lalande brieflich dem Physiker, Geodäten und
Publizisten J. F. Benzenberg (1777-1846) mitgeteilt, der im Jahre 1802
Fallexperimente im Turm der Michaelis Kirche in Hamburg durchführte.
Da die Fallzeit T aus der Höhe H durch
1
T = √ arccosh eb H
(2.66)
gb
gegeben ist, ergibt sich alternativ für die Ostablenkung die zweite Lapla-
cesche Formel
Bei den Experimenten zu Beginn des 19ten Jahrhunderts war die Schwe-
rebeschleunigung g durch Pendelmessungen recht genau bestimmt. Auch
die Fallzeit T konnte recht genau gemessen werden. Der ballistische Koeffi-
zient b war aber gänzlich unbekannt. Um diesen Parameter abzuschätzen,
führten C.F. Gauss und W. Olbers die Streckendifferenz
1 1 1 h hp ii
δ = g T 2 − H ≡ g T 2 − ln cosh gbT (2.68)
2 2 b
ein, welche Benzenberg im Sommer 1802 durch Messung der Fallzeit T
und der Höhe H im Hamburger Michel sehr genau bestimmt hatte. Mit
(2.66) gilt jetzt
δ arccosh[eb H ]
= −1 (2.69)
H 2bH
Der Parameter b H kann somit durch die berechenbare Größe δ/H er-
setzt werden. Um jetzt eine physikalisch anschaulichere Formel für die
Ostablenkung zu erhalten, eliminieren wir in (2.67) mit (2.66) die Schwe-
rebeschleunigung g und erhalten
arccos[e−b H ]
2ΩT
x[T ] = 1− cos[ϕ]. (2.70)
b arccosh[eb H ]
Wird hier nach dem kleinen Parameter b H entwickelt, so folgt
b2 H 2
2 bH
x[T ] = Ω T H cos[ϕ] 1 − + + ... (2.71)
3 6 630
Durch Umkehrung der Reihe (2.69) und Einsetzen in die obige Entwick-
lung gelangt man zu der Gausschen Formel
3 δ2
2 1
x[T ] = Ω T cos[ϕ] H− δ+ − ... (2.72)
3 2 14 H
ab. Doch auch wenn (2.73) richtig wäre, ist der letzte Schritt falsch.
Denn um die Ostablenkung aus (2.73) zu erhalten, muss man (2.73) mit
2
æ
1 æ æ æ
æ æ æ
æ æ æ æ
æ æ ææææ
0 æ ææ æ æ
æ æ æ
æ æ æ ææ æ æ æ
æ ææ æ æ
Süd cm Nord
æ æ æ æ
-1 æ æ æ æ ææ æææ
æ ææ æ ææ æ æ
æ
ææ æææ æ æ
æ ææ
-2 æ æ æ æææææ æ
æææ æ
æ æ
æ ææ æ
-3 æ æ æ
æ æ
ææ æ
æ æ ææ æ æ
-4 æ ææ
æ æ æ
æ
æ æ
-5
-1 0 1 2 3 4 5 6
West cm Ost
Fig. 2.8: Die 6 mal 20 Messergebnisse am Fallturm in Bremen im Jahre 2003, wie
sie von Studenten der freien Universität Berlin mit hohem Aufwand durchgeführt
wurden, um die Wirkung der Erdrotation sichtbar zu machen. Der schwarze Punkt
ist das ideale Lot, der rote Punkt die erwartete Abweichung. Die rote Ellipse
bezeichnet die gemessene 1σ Streuung der tatsächlich gemessenen Lotablenkung.
Die vorhandene Südablenkung kann nicht durch die Erdrotation verursacht sein.
Genau hier taucht der entscheidende Faktor 2 auf, den Olbers durch
sein irriges Apercu der tangentialen Geschwindigkeiten unter Vernach-
lässigung des Flächensatzes nicht erhalten hatte.
. Da in diesem Bild die
.
Relativgeschwindigkeit nach Osten durch x = (φ − Ω) R gegeben ist, folgt
endgültig .
x[t] = 2 (H − z[t]) Ω.
Der theoretische Wert für Bremen wäre hier x[119] = 17, 1 mm gewesen,
gerade noch am Rand der experimentellen Ergebnisse. Eine Südablenkung
7 JuliaBähr, Marilen Logé, Kathrin Mechelk, Alexandra-Maria Operhalsky: Dreht
sich die Erde? - Forschungsbericht über ein pädagogisches und physikalisches
Experiment zum Nachweis der Erdrotation, 2003
von gemittelten 15 mm hätte überhaupt nicht auftreten dürfen. Auch
200 Jahre nach den ersten Fallversuchen zum Nachweis der Erdrotation
gilt immer noch das Wort von Gauss aus dem Jahre 1851 ([4], Seite 39)
... dass die Fallversuche wenig geeignet sind die Drehbewegun-
gen der Erde erkennbar zu machen, da sie nach den kostspie-
ligsten Zurüstungen doch immer nur höchst rohe Resultate
geben können
Laplace und andere haben auch die Westablenkung eines exakt senk-
rechten Kanonenschusses berechnet, der natürlich experimentell niemals
ausgeführt werden kann. Rein theoretisch ergibt sich aus den obigen
Bewegungsgleichungen bei gleicher Höhendifferenz von Gipfelhöhe und
Fallhöhe H eine Westablenkung von
s
8 2H
x[H] = − Ω H cos[ϕ] (2.78)
3 g
dann abgetragen
10 kleine Pauken
11 Postzusteller - Paketträger
großes Dorf dicht vor dem Thor; eine hohe Allee führt dahin,
durch welche vor einigen Jahren ein Orkan ging und 10 große
Bäume niederwarf. In diesem Orkan soll auch der Thurm un-
gefähr einen Zoll von seinem senkrechten Stande abgewichen
seyn. Hätte der Thurm gerade in dem Strome gelegen, den die
Allee traf, so hätte auch er vielleicht eben so der Übermacht
des Windes weichen müssen, wie der Thurm in Dülken, der
den 21. Februar 1799 fiel.
Der Fremde, der sich in Hamburg orientieren will, kann die-
ses nirgends besser, wie auf dem Michaelisthurm.- Man kann
lange in einer großen Stadt seyn, ohne sie zu sehen. Man
sieht nur Straßen und Häuser, und die verworrene Vorstel-
lung, die dieses giebt, wird erst bey der Übersicht des Ganzen
geordnet. Eben so erhält er von der großen Bevölkerung der
Altstadt nirgends einen lebhafteren Begriff, als wenn er von
hier zwischen die steilen Giebel und Dächer hineinsieht.- Man
sieht da Höfe von einzelnen Häusern, die ganz mit kleinen
Wohnungen bebaut sind und deren Volksmenge auf 700 Seelen
geht.
Literaturverzeichnis
[1] Ball, W.W.R. (1893): An Essay on Newton’s Principia. MacMillan
and Co., London and New York 1893
[2] Benzenberg, J.F. (1804): Versuche über das Gesetz des Falles, den
Widerstand der Luft und die Umdrehung der Erde. Dortmund 1804,
2. Auflage Hamburg, 1824.
[3] Gauss, C.F. Werke Band 5, Fundamentalgleichungen für die Bewe-
gung schwerer Körper auf der rotierenden Erde, Seite 495
[4] Gauss, C.F.: Werke Band 11, Abt. 1, Briefwechsel: Gauss an Gerling
30. Dezember 1852 pp. 38, (1927)
[5] Guglielmini, J.B. 1792: De diurno terrae motu experimentis physico
- mathematicis confirmato opusculum.Bononiae 1792
Fig. 2.9: Beschreibung des mathematischen Pendels mit Hilfe der Riemannschen
Zahlenkugel. Anstatt der Winkelkoordinate θ wird hier die projektive Koordinate ξ
eingeführt. Beim Kugelpendel wird dies zur komplexen Zahl ζ in der Äquatorebene
der Zahlenkugel verallgemeinert.
.. g 2 ξ .2
ξ+ ξ= ξ . (2.84)
` 1 + ξ2
Sphärisches Pendel: Wir werden nun die Gleichung (2.84) auf das schon
erwähnte sphärische Pendel - Kugelpendel erweitern. Es gehört zweifellos
zu den schwierigsten Bewegungsproblemen der klassischen theoretischen
Mechanik, die man noch exakt lösen kann 12 . Beim sphärischen Pendel
ist die Bewegung nicht mehr auf eine Ebene beschränkt, sondern auf
eine zweidimensionale Kugelschale erweitert. Für die räumlichen Koor-
dinaten der punktförmigen Masse am masselosen Fadenende gelten die
Gleichungen
x = +` sin[θ] cos[φ]
y = +` sin[θ] sin[φ]
z = −` cos[θ]. (2.85)
.. g 2ζ .
ζ+ ζ= 2
ζ 2. (2.93)
` 1 + |ζ|
13 F.
Klein (1849-1925) und A. Sommerfeld (1865-1951) benutzen diese Zahlenkugel
auch zur Beschreibung der Kreiseldynamik: Über die Theorie des Kreisels (4
Bände), G. Teubner Verlag, Leipzig 1897-1910
Diese dynamische Gleichung des Kugelpendels für die komplexe Koordi-
nate ζ[t] = ξ[t] + ı η[t] ist somit die direkte zweidimensionale Verallgemei-
nerung der Gleichung (2.84) des ebenen mathematischen Pendels. Die
Gleichung (2.93) besitzt zwei Integrale der Bewegung, nämlich die des
Drehimpulses und der Energie gemäß
. . .
ζζ −ζζ |ζ|2 g/`
L= , E= − . (2.94)
(1 + |ζ|2 )2 2
(1 + |ζ| ) 2 1 + |ζ|2
Die Konstanten a und b können wir mit a > b positiv annehmen. Geome-
trisch bedeuten die Lösungen, dass die projizierte Bahnkurve in dieser
linearen Näherung eine Ellipse darstellt, deren große und kleine Halb-
achse a + b beispielsweise a − b betragen. Die Lösung ζ+ beschreibt eine
Bewegung gegen den Uhrzeigersinn, die Lösung ζ− eine Bewegung mit
dem Uhrzeigersinn. Und es gilt
ζ + = ζ− , ζ − = ζ+ .
Die Erfahrung lehrt uns aber, dass das sphärische Pendel eine schwache
Präzession ausführt. Dies muss ein nichtlinearer Effekt der endlichen
Amplitudenauslenkung sein. Die Entartung der beiden Frequenzen muss
dabei aufgehoben werden. Um dies abzuschätzen, machen wir in der
exakten Gleichung (2.93) den approximativen Ansatz
ζ± = a eı ω1 t + b eı ω2 t (2.95)
120 ° 60 °
135 ° 45 °
150 ° 30 °
165 ° 15 °
180 ° 0
195 ° 345 °
210 ° 330 °
225 ° 315 °
240 ° 300 °
255 ° 285 °
270 °
Hier muss wieder daran erinnert werden, dass die Parameter a und b
nicht die Halbachsen der quasi-stationären Ellipse bezeichnen, sondern
a + b und a − b. Wegen (2.91) gilt somit bis zur quadratischen Näherung
Θ1 Θ2
a+b= , a−b= ,
2 2
in der Θ1 und Θ2 die maximale wie minimale Winkelauslenkung des Ku-
gelpendels bezeichnet. Durch Substitution in (2.101) ergibt sich alternativ
die Schwingungsperiode zu
s
` 1
Tp = 2 π 1+ (Θ2 + Θ22 ) + . . . (2.102)
g 16 1
Im Falle eines ebenen Pendels gilt a = b ≈ Θ/4 und der obige Korrektur-
faktor reduziert sich zu dem bekannten Resultat 1 + Θ2 /16, wobei Θ die
Schwingungsamplitude des ebenen Pendels in Bogenmaß ist.
Auch die Berechnung der Apsidendrehung oder des Präzessionswinkels
∆φ nach einer vollen Schwingungsperiode Tp ist nun kein Problem mehr.
Noch A. Sommerfeld benutzte in seinen Vorlesungen über Theoretische
Physik in Band I Mechanik für die Ableitung dieser Drehung komplizierte
Phasenintegrale und Substitutionen, die noch ganz in der Tradition des
19. Jahrhunderts bezüglich elliptischer Integrale standen15 . Hier erhalten
wir einfach
3
∆φ = ωr Tp ≡ 3 π (a2 − b2 ) ≡ ± π Θ1 Θ2 . (2.103)
4
Für die ζ+ Mode gilt hier das positive, für die ζ− Mode das negative
Zeichen. Damit ist auch quantitativ verständlich, wie stark die gestörte
Ellipsenbahn des Kugelpendels in Richtung ihres Umlaufsinnes präzidiert.
Historisch ist nicht ganz klar, wann diese nicht leicht abzuleitende Formel
(2.103) zum erstenmal publiziert wurde. In französischen Quellen wird
hier V. A. Puiseux (1820-1883) genannt, der sich mit dem sphärischen
Kugelpendel und seiner genauen Präzession in den 1840er Jahren be-
schäftigt hat16 . Eine genaue Abschätzung der oberen Grenze für die
Pendelpräzession stammt von G.H. Halphen17 .
Die einfachste exakte Lösung der nichtlinearen Gleichung (2.93) ist
die Bewegung eines konischen Pendels oder Kegelpendels. Dann ist die
Bahnkurve in der Projektionsebene exakt ein Kreis mit Radius a. Macht
man in (2.93) den Ansatz
ζ = a eı ω t , (2.104)
so ergibt sich für die Umlauffrequenz der exakte Ausdruck
r r
g 1 + a2
ω=± (2.105)
` 1 − a2
Für die Umlaufzeit folgt damit bis zur quadratischen Ordnung
s
`
1 − a2 + . . .
Tu = 2 π (2.106)
g
15 Lagrange hat hier einen Fehler in seiner Mecanique Analytique gemacht. Dieser
wurde zum erstenmal von A. Bravais in einer Note korrigiert.([18])
16 Puiseux, V.A.: Journal de Mathematiques pures et appliquee 7, Note sur le mouve-
ment d’un point materiel pesant sur une sphere. p. 517-521 (1842)
17 Halphen, G.H.: Traite des fonctions elliptiques et de leurs applications., Tome 2,
.. 1 − |ζ|2 . g 2ζ .
ζ + 2 ı Ω sin[ϕ] 2
ζ+ ζ= 2
ζ2 +
1 + |ζ| ` 1 + |ζ| (2.110)
(ζ − ζ) .
+2 Ω cos[ϕ] ζ.
1 + |ζ|2
Dies ist die fundamentale Bewegungsgleichung für ein klassisches Fou-
caultpendel in projektiven Koordinaten. Es gilt für einen masselosen
Faden, an dem ein punktförmige Masse hängt. Ob diese Gleichung in der
Literatur schon einmal aufgestellt oder diskutiert wurde, ist dem Autor
unbekannt. In der Literatur wird immer die linearisierte Form
.. . g
ζ + 2 ı Ω sin[ϕ] ζ + ζ = 0 (2.111)
`
der obigen Gleichung angegeben. Diese Gleichung vernachlässigt aber
die merklichen Störungen, die bei ungünstigen Verhältnissen durch die
nichtlinearen Terme entstehen.
Die allgemeine Lösung von (2.110) kann in guter Näherung wieder
durch den Ansatz (2.95) dargestellt werden. Für die Frequenzen ergeben
sich nun durch den Coriolis - Effekt die erniedrigten Werte der ζ+ Mode
r
g
1 + a2 − 2 b2
ω1 = −Ω sin[ϕ] +
`
r
g
1 + b2 − 2 a2
ω2 = −Ω sin[ϕ] −
`
sowie der ζ− Mode
r
g
1 + a2 − 2 b2
ω1 = −Ω sin[ϕ] −
`
r
g
1 + b2 − 2 a2 .
ω2 = −Ω sin[ϕ] +
`
Für die eigentliche Schwingungsperiode Tp gilt immer noch (2.101), zumal
alle quadratischen Terme in Ω bei den Verhältnissen auf dem Planeten
Erde vernachlässigt werden dürfen. Führen wir wieder wie beim reinen
sphärischen Pendel die Frequenzen ωr und ωp ein, so gilt für die ζ+ Mode
r
g
1 + a2 − 2 b2
ωr + ωp = −Ω sin[ϕ] +
`
r
g
1 + b2 − 2 a2 .
ωr − ωp = −Ω sin[ϕ] −
`
Daraus ergeben sich sofort für die beiden Fundamentalfrequenzen der ζ+
Mode
r
3 g 2
a − b2
ωr = −Ω sin[ϕ] + (2.112)
2 `
r
g1
ωp = 1 − (a2 + b2 ) (2.113)
`2
p
Für die ζ− Mode muss nur das Vorzeichen von g/` gewechselt werden.
Es ist jetzt a priori nicht klar, ob der zweite Term in der obigen
Relation (2.112) durch spezielle Anfangsbedingungen genügend klein
gemacht werden kann. Die klassische Anfangsbedingung besteht ja darin,
dass das Pendel bei einer Amplitude a + b = tan[Θ/2] durch einen Faden
festgehalten wird, der dann durch Abbrennen das Pendel startet. Dabei
dürfen keine seitlichen Störeffekte auftreten. Mathematisch bedeutet
dies für die beiden Schwingungsmoden bis zur dritten Ordung in den
Winkelauslenkungen
Θ .
ζ± [0] = , ζ± [0] = 0.
2
Dies führt zum Beispiel für die ζ+ Mode zu den zwei Bedingungsgleichun-
gen für die Parameter a und b bis einschließlich quadratischer Ordnung
Θ
a+b = ;
2
r r
g g
a − Ω sin[ϕ] − b + Ω sin[ϕ] = 0.
` `
135 ° 45 °
150 ° 30 °
165 ° 15 °
180 ° 0
195 ° 345 °
210 ° 330 °
225 ° 315 °
240 ° 300 °
255 ° 285 °
270 °
135 ° 45 °
150 ° 30 °
165 ° 15 °
180 ° 0
195 ° 345 °
210 ° 330 °
225 ° 315 °
240 ° 300 °
255 ° 285 °
270 °
Kurze Zeit nach Foucault hat Bravais in der Pariser Sternwarte eine
Variante des Foucault Pendel - das konische Pendel - benutzt, um aus den
unterschiedlichen Umlaufperioden bei rechts - und linksläufigen Rotatio-
nen die Winkelgeschwindigkeit der Erdrotation abzuleiten. Dies gelang
24 Die World’s Columbian Exposition 1893 oder auch The Chicago World’s Fair
genannt
25 Mary Somerville: Personal Recollections. London, John Murray, Albemarle Street,
1874
mit unerwarteter Genauigkeit. Denn es gilt für diese Umlauffrequenz
r
g
ω± = −Ω sin[ϕ] ±
` cos[Θ]
Da man beide Frequenzen relativ genau messen kann, folgt auch ein sehr
genauer Wert für Ω. Im Jahre 1925 gelang es A. A. Michelson und H.
G. Gale mit einem Sagnac -Interferometer von 613 m Länge und 339
m Breite, einem optischen Analogon zum konischen Foucaultpendel, die
Rotation der Erde mit einer relativen Genauigkeit von 2 % zu messen.
Moderne optische Varianten zur Messung absoluter Rotationen im Raum
sind heute sogenannte „Laserkreisel“ oder Ringlaser.
Eng verwandt mit dem Foucaultpendel ist die Bewegung einer Gondel
an einem rotierenden Kettenkarussell. Rotiert das Karussell mit der
Winkelgeschwindigkeit ω und hat der Aufhängepunkt der Gondel mit der
Länge ` den Abstand R von der Rotationsachse, so gilt gegenüber (2.110)
im rotierenden System die modifizierte Bewegungsgleichung
.
.. 1 − |ζ|2 . g 2
ζ ζ 2 + ω2
ζ + 2ıω ζ + + ω ζ = 2 +
1 + |ζ|2 ` 1 + |ζ|2 (2.117)
1 R
+ ω 2 (1 − ζ 2 ).
2 `
Ein stationärer Gleichgewichtspunkt ergibt sich hier aus einer Gleichung
vierten Grades in ζ. Das Ganze gilt natürlich nur ohne Luftwiderstand.
Drehachse
Θ
Fig. 2.14: Schematischer Aufbau des Experimentes von Compton zum Nachweis
der Erdrotation. In der Ausgangslage liegt der mit Wasser gefüllte Glastorus
ebenerdig. Durch Kippen um die Drehachse um den Winkel ψ = ±π wird aufgrund
der Corioliskraft eine kleine Strömung induziert, die auf der Nordhalbkugel gegen
den Uhrzeigersinn verläuft. Die Drehachse kann dabei eine beliebige Ausrichtung
zum Horizont haben.
Nur die Winkel θ und ψ sind hier zeitabhängig. Die obigen Ausdrücke
werden jetzt in die Energieformel (2.108)
1 . 2 . 2 .2
Ekin = (x + y + z )
2
. . . .
+ Ω sin[ϕ](x y − y x) − Ω cos[ϕ](x z − z x)
.. .
ψ + 2 Ω {cos[α] cos[ϕ] cos[ψ] + sin[ϕ] sin[ψ]} θ = 0. (2.118)
.
und für die Winkelgeschwindigkeit θ der Flüssigkeit im Torus das Integral
der Bewegung
.
θ + Ω {cos[ψ] sin[ϕ] − cos[α] cos[ϕ] sin[ψ]} = C. (2.119)
Die Integrationskonstante
. C hängt von der Anfangslage des Glastorus
ab, bei der ja das θ des Wassers gleich Null sein soll.. Im Ruhezustand
ψ = 0 gilt aufgrund der Viskosität des Wassers auch θ = 0. Der Wasser
im Torus wird also mit der Erdrotation mitgeführt. Daraus folgt mit
(2.119) für C der Ausdruck Ω sin[ϕ]. Beim Umlegen nach ψ = ±π folgt
dann sofort die Winkelgeschwindigkeit
.
θ = 2 Ω sin[ϕ]; {ψ : 0 → ±π} (2.120)
Auf der Nordhalbkugel mit ϕ > 0 und der Orientierung des Vektors r × r
.
ist dies eine Bewegung mit dem Uhrzeigersinn. Bemerkenswert in der
Formel ist der Faktor 2, der so in den Originalarbeiten von Compton
aus den Jahren 1913 und auch 1915 nicht vorkommt. Hier hat Comp-
ton bei der Herleitung einen gefürchteten Faktor 2 Fehler in seinen
theoretischen Überlegungen begangen26 . Man wundert sich nach hundert
Jahren, warum er trotzdem die richtige Winkelgeschwindigkeit erhalten
hat.
Bemerkenswert ist in (2.120) zudem, dass für die Strömungsgeschwin-
.
digkeit v = R θ bei dem Kippwinkel ψ in den Grenzen 0 → ±π das
Azimut α überhaupt nicht eingeht. Dies wird in Lehrbüchern häufig
falsch dargestellt, wenn nämlich für die Kippachse die West-Ostrichtung
(α = 0) als Vorbedingung angenommen wird.
Völlig anders sieht die Situation aus, wenn wir von der Lage ψ = π/2
den Torus um π nach ψ = −π/2 kippen. Für ψ = π/2 muss nach (2.119)
die Gleichheit C = −Ω cos[α] cos[ϕ] gelten. Nach einer Drehung um π
folgt dann die Winkelgeschwindigkeit
.
θ = −2 Ω cos[ϕ] cos[α]; {ψ : π/2 → −π/2} (2.121)
Die gleiche Situation für die dazu orthogonale Ebene α → α + π/2 führt
zur dritten Beziehung
.
θ = 2 Ω cos[ϕ] sin[α]; {ψ : π/2 → −π/2} (2.122)
Mit Hilfe diese drei Beziehungen gelang es Compton, die lokale Nord-
Südrichtung mit dem Winkel α, die geographische Breite ϕ und die
Winkelgeschwindigkeit Ω der Erdrotation in einem Labor auf einige
Prozent genau zu bestimmen.
26 Siehe
auch S. Siboni: The Compton generator revisited. European Journal of Physics
35 (2014), 13pp. doi:10.1088/0143-0807/35/5/055014
Literaturverzeichnis
[1] Bravais, A. (1852): Über den Einfluss der Rotation der Erde auf die
Bewegung eines konisch schwingenden Pendels, Annalen der Physik
162, Heft 6, pp. 318-321
[2] Bucka, H. (1949): Zwei einfache Vorlesungsversuche zum Nachweis
der Erddrehung. Zeitschrift für Physik 126, Issue 1-2, pp. 98-105,
(1949)
[8] Garthe, C. (1852): Foucaults Versuch als direkter Beweis der Ach-
sendrehung der Erde. Verlag Franz Carl Eisen, Köln 1852. Versuche
des späteren Gründers des Kölner Zoos im Kölner Dom mit einem etwa 45 m
langen dünnen Drahtseil einschließlich Gewicht .
[9] Gauss, C.F.: Werke Band 10, Abt. 2, Abhandlung 7: Harald Geppert:
Über Gauss Arbeiten zur Mechanik und Potentialtheorie pp. 1- 61,
(1922-1933)
[10] Gauss, C.F. Werke Band 11, Seite 38
[11] Grammel, R.: Die mechanischen Beweise für die Bewegung der Erde.
pp. 69, Springer Verlag, Berlin 1922
[12] Hagen, J.G.: La rotation de la terre, ses preuves mecaniques ancien-
nes et nouvelles. Pubblicazioni della Specola Astronomica Vaticana,
2. Reihe, 1, Rom 1912
[13] Hansen, P.A. : Theorie der Pendelbewegung mit Rücksicht auf die
Gestalt der Erde. (1854) . Annalen der Physik 168, Heft 5, pp. 21-
34. Auszug aus den Schriften der naturforschenden Gesellschaft zu
Danzig. Band V, Heft 1, pp. 1-96. (1853)
[16] Plana, J. (1853): Note sur l’expérience communiquée par Mr. Leon
Foucault le février dernier á l’Académie des Sciences de Paris. Lues
dans la séance du 16 mars 1851 , Memorie della Reale Accademia
delle Scienze di Torino, Tomo 13 (Serie - 2), (1853), pp. 1-18
aΘ +l
Fig. 2.16: Das idealisierte Modell eines Besselpendels, welches sich an einem
Zylinder mit Radius a periodisch abwickelt. Die effektive Pendellänge ist somit
von der Auslenkung θ abhängig
kurve einer Pendelmasse m an einer Stange der Länge ` durch die zwei
Gleichungen
x = a cos[θ] + (` + a θ) sin[θ],
y = a sin[θ] − (` + a θ) cos[θ]
θ[τ ] = θ1 [τ ] + 2 θ2 [τ ] + 3 θ3 [τ ] + . . .
ωf = 1 + c2 2 + c3 3 + . . .
a a
b x b
m Θ
c c
c c
m2 m2
Fig. 2.17: Das schwingende Mobile besteht aus einer Zentralmasse m mit zwei
gleich langen masselosen Stäben der Länge 2c mit den Endmassen m/2 („Fliegende
Möwe“). Die beiden masselosen Aufhängefäden der Länge b haben an der Decke
den Abstand 2a, wobei die Länge c etwas größer als a ist. Bei welcher Neigung der
Flügel ist das System im Gleichgewicht und wie groß ist die Schwingungsfrequenz?
Drehschwingungen um die vertikale Achsen sollen dabei nicht betrachtet werden.
Nach Figur (2.17) bezeichnen wir die Neigung der Aufhängefäden zur
Vertikalen mit ϕ. Die Neigung der „Flügel“ beschreiben wir mit dem
Winkel θ, wobei ein positiver Wert eine Neigung zum Erdboden beschreibt.
Es gelten jetzt die zwei geometrischen Zwangsbedingungen
a + b sin[ϕ] = c cos[θ]; b cos[ϕ] = x + c sin[θ]. (2.126)
Die Länge x bedeutet den Abstand der Zentralmasse von der Decke. Die
letzte Relation können wir nach x auflösen und erhalten
p
x = b2 − (c cos[θ] − a)2 − c sin[θ]. (2.128)
Damit ist der Abstand der Zentralmasse von der Decke nur als Funktion
des Winkels θ bekannt. Um die Dynamik zu verstehen, berechnen wir
zunächst die potentielle Energie. Man erhält
Epot = −m g x − m g (b cos[ϕ] + c sin[θ]) ≡ −2 m g (x + c sin[θ])
Durch Einsetzen von x ergibt sich einfach
p
Epot = −2 m g b2 − (c cos[θ] − a)2 . (2.129)
a
a
a Cos@ΘD
Fig. 2.18: Ein auf der Stelle abrollender Ringreifen. Die Figurenachse des Ringes
präzidiert mit der Winkelgeschwindigkeit ω um die ortsfeste vertikale Achse, welche
durch den ruhenden Schwerpunkt (Mittelpunkt) geht. Der Radius des abrollenden
Kreises am Boden ist a cos[θ], also kleiner als der Halbmesser a des Ringes. Für
die Eigenrotation ψ des Reifens gilt aufgrund des Rollens eine nicht-holonome
Zwangsbedingung.
x = a cos[ψ] cos[θ],
y = a sin[ψ],
z = a cos[ψ] sin[θ].
Schließlich drehen wir noch den Ringreifen mit dem Winkel ϕ um die
durch den Mittelpunkt (Schwerpunkt) gehende vertikale Achse und heben
ihn um a sin[θ] an. So erhalten wir die endgültigen Transformationen
Der Mittelpunkt des sich auf der Stelle drehenden schiefen Reifenringes
liegt jetzt bei x = y = 0 und z = a sin[θ]. Der Winkel θ soll für die
folgenden Betrachtungen zeitlich konstant sein. Zeitabhängig sind somit
nur die Lagewinkel ϕ und ψ. Für die spezifische kinetische Energie eines
Ringelementes erhält man so
1 . 2 . 2 .2 1 2 n .
x +y +z ≡ a 3 + cos[2θ] − cos[2ψ] sin[θ]2 ϕ2 +
2 8
. . . o
8 cos[θ] ϕ ψ + 4 ψ 2
Die kinetische Gesamtenergie eines Ringes der Masse m ergibt sich, wenn
wir den obigen Ausdruck mit m dψ/(2π) multiplizieren und über den
Ringumfang integrieren. Auf diese Weise ergibt sich
1 n
. . .
Ekin = m a2 (3 + cos[2θ]) ϕ2 + 8 cos[θ] ϕ ψ + 4 ψ 2
. o
8
. .
Jetzt ist die Eigenrotation ψ des Ringes von seiner Rollbewegung ϕ nicht
unabhängig. Beide Größen unterliegen einer nicht holonomen Zwangsbe-
dingung. Rollt der Ring –ohne zu rutschen oder zu gleiten– gegen den
Uhrzeigersinn um die ortsfeste vertikale Achse, so dreht sich der Ring
selber mit dem Uhrzeigersinn (siehe Fig. (2.18)). Hieraus leitet man leicht
die Zwangsbedingung
. .
cos[θ] ϕ + ψ = 0 (2.135)
ab. Damit
. können wir in dem Ausdruck für die kinetische Energie die
.
Größe ψ durch ϕ ersetzen. Es ergibt sich einfach
1 .
Ekin = m a2 sin[θ]2 ϕ2 .
4
Die potentielle Energie ergibt sich einfach aus der Höhe des Ringmittel-
punktes über dem Nullniveau. Er gilt
Epot = m g a sin[θ].
Im Falle θ = π/2 ergibt sich die minimale Umlauffrequenz, bei der ein
senkrecht stehender und sich drehender Ring noch stabil ist. Bei einer
Scheibe (Münze) muss anstatt des Faktors 2 in (2.136) der Zahlenwert 4
stehen.
Literaturverzeichnis
[1] Moffatt, H.K. Euler’s disk and his finite-time singularity Nature
404, pp. 833-834, (2000)
Wegen
. . dv . v dv
v = (R + r) ϕ; v= ϕ≡ .
dϕ R + r dϕ
erhält man nach kurzer Rechnung
. 5
v= g sin[ϕ].
7
Damit ergibt sich endgültig
2
FH = m g sin[ϕ].
7
Die für reines Rollen notwendige „Haftung“ nimmt also mit dem Winkel
ϕ stetig zu, da die Kugel in immer schnellere Rotation versetzt werden
muss. Andererseits nimmt aber die Normalkraft FN mit dem Winkel ϕ
ständig ab. Beide Forderungen widersprechen sich und die Kugel muss
irgendwann zu „rutschen“ oder zu „gleiten“ anfangen. Für die kritische
Haftgrenze setzen wir einfach die Forderung
FHmax ≡ µ FN (2.139)
oder
17 µ cos[ϕ1 ] − 2 sin[ϕ1 ] = 10 µ. (2.140)
Für µ = 0 erhält man hier ϕ1 = 0; die Kugel beginnt beim Abrollen also
sofort zu gleiten oder zu rutschen. Für µ = 1/5 gilt dagegen ϕ1 = 29.1◦ .
Erst ab diesem Winkel verliert die Kugel die „Haftung“ und beginnt zu
„gleiten“.
Die Bewegungsgleichung folgt jetzt nicht mehr aus der Energieglei-
chung, sondern es muss eine Gleitreibung berücksichtigt werden. Mit der
Gleichung (2.137) gilt jetzt für die Abwärtsbewegung
.v = g sin[ϕ] − µ g cos[ϕ] − v2
R+r
oder
. v2
v−µ = g (sin[ϕ] − µ cos[ϕ]) .
R+r
Die Ableitung nach der Zeit läßt sich durch eine Ableitung nach dem
Winkel ersetzen und wir erhalten
d 2
v − 2 µ v 2 = 2 g (R + r) (sin[ϕ] − µ cos[ϕ]) .
dϕ
Diese Differentialgleichung zeigt, dass sich im Falle µ = 0 die Kugel
wie eine Punktmasse ohne Eigenrotation die gekrümmte Fläche abwärts
bewegt. Die allgemeine Lösung der obigen Gleichung lautet
2 2µϕ 2 g (R + r) (1 − 2µ2 ) cos[ϕ] + 3µ sin[ϕ]
v [ϕ] = C1 e − .
1 + 4µ2
Die Integrationskonstante ergibt sich aus der Randbedingung bei ϕ = ϕ1 ,
bei welcher die Geschwindigkeit den Wert (2.138) haben muss. Für die
Ablösung der Kugel von dem Zylinder mit Radius R gilt dann wieder die
Bedingung
v22 = g(R + r) cos[ϕ2 ].
mit φ ∈ {0, +2π} gehorchen. Die Größe 2π R ist dann der vertikale
Abstand der senkrechten Spitzen der Bahn. Für die Neigung und den
Krümmungsradius % der Bahn als Funktion von φ gilt
y 0 [φ]
φ φ
0
= − cot ; % = 4 R sin .
x [φ] 2 2
-0.5
-1.0
y
-1.5
-2.0
0 1 2 3 4 5 6
x
Fig. 2.19: Ein auf einer Zykloidenbahn mit R = 1 abrollende kleine Stahlkugel
mit der Haftreibung µ = 3/10. Startet die Kugel im grünen Bereich, liegt immer
reine Haftung ohne Gleiten am Kontaktpunkt vor. Startet sie dagegen im roten
Bereich, muss die Rotation der Kugel zunächst durch Reibung aufgebaut werden.
Hier muss die Kugel zunächst gleiten.
Hier muss man auf entgegengesetzte Vorzeichen des Winkels φ und der
.
Größe v achten. Nun gilt aber
φ . 1 .
v = 2 R sin φ ≡ % φ. (2.142)
2 2
. dv φ. ≡ v cosec φ dv ≡ 1 d {v2 }.
v=
dφ 2R 2 dφ % dφ
v2
. 5 φ
r ω = µ g sin + .
2 2 %
Für die Winkelgeschwindigkeit der Kugel als Funktion von φ folgt somit
!
sin2 u2
Z φ
5 p p
rω = µ gR p + f [u] du. (2.146)
2 0 f [u]
Die Bedingung des Haftens der Kugel ist in unserem Modell bei v =
r ω erfüllt. Dann gilt für die Bestimmung des kritischen Winkels β die
Gleichung !
sin2 u2
Z β
p 5 p
f [β] = µ p + f [u] du. (2.147)
4 0 f [u]
Daraus ergibt sich numerisch mit µ = 3/10 der Winkelwert
β = 1.91708370...
Beim ersten Einschwingen setzt die Haftung also etwas später ein als
beim späteren Gleichgewichtsrollen um das niedrigste Niveau mit der
Amplitude ±(π − α) .
1
Z `
. . 1 .
Ekin = τ (x2 + y 2 ) dz = m `2 θ2 .
2 0 6
Θ0 Θ1
Fig. 2.20: Beginnt eine Leiter (idealisierter Stab) bei einem Anfangswinkel von
θ0 an einer Wand ohne Reibung zu rutschen, so wird sie bei einem kritischen
Fallwinkel von θ1 den Kontakt zur Wand verlieren. Ursache ist die träge Schwer-
punktsbewegung, die bei dem kritischen Winkel ein Maximum erreicht.
Mit dem Energiesatz läßt sich nun die Winkelgeschwindigkeit als Funktion
des Neigungswinkel berechnen. Es gilt
1 . 1 1
m `2 θ2 + m g ` sin[θ] = m g ` sin[θ0 ]
6 2 2
Daraus folgt sofort
. 3g
θ2 = (sin[θ0 ] − sin[θ]) . (2.148)
`
Durch Differentation nach der Zeit ergibt sich zudem die Bewegungsglei-
chung
.. 3g
θ=− cos[θ]. (2.149)
2`
.. ` . ..
xs = − cos[θ] θ2 + sin[θ] θ ,
2
.. ` . ..
ys = − sin[θ] θ2 − cos[θ] θ .
2
Setzt man hier die obigen Ausdrücke für die Winkelgeschwindigkeit und
die Winkelbeschleunigung ein, so erhält man
.. 3
xs = + g cos[θ] (3 sin[θ] − 2 sin[θ0 ]) ,
4
.. 3
= − g cos[θ]2 + 2 sin[θ] (sin[θ0 ] − sin[θ]) .
ys
4
..
Während der Verlauf der Beschleunigung ys immer negativ bleibt, ändert
..
die horizontale Beschleunigung xs des Schwerpunktes bei dem kritischen
Winkel
2
sin[θ1 ] = sin[θ0 ] (2.150)
3
Uns interessiert hier aber nur die Zeitspanne zwischen der Ablösung der
Leiter von der Wand und ihrem Aufprall auf dem Boden. Das entspre-
chende Integral lautet
s Z θ1
` dθ
T1 = p . (2.154)
3g 0 sin[θ0 ] − sin[θ]
2 √
∆x ∼ ( 3 − 1) ` sin[θ0 ]2 . (2.156)
9
2.11 Die elastische Kurve und Trassierungen
Schon Daniel Bernoulli hatte erkannt, dass die elastische Kurve als
Gleichgewichtslage einer elastischen Lamelle ihre potentielle Energie
Z
ds
(2.157)
%2
zu einem Minimum machen muss. Die Größe % bedeutet hier den Krüm-
mungsradius der Kurve und ds ein infinitesimales Bogenelement auf
dieser Kurve. Es war dann L. Euler, der seine allgemeinen mathema-
tischen Methoden im Jahre 1744 auf das folgende Variationsproblem
angewandt hat: Unter allen Kurven derselben Längen L, die durch zwei
vorgegebene Punkte in der Ebene gehen und auch an ihren Enden eine
vorgegebene Neigung haben, diejenige zu bestimmen, welche das obige
Integral zu einem Minimum machen. Euler reduziert das Problem in
kartesischen Koordinaten auf elliptische Integrale und unterscheidet zwei
grundsätzliche Fälle: Kurven mit und ohne Wendepunkt.
In einem Fragment um das Jahre 1825 behandelt auch C.F. Gauß
dieses Problem unter dem Gesichtspunkt der Bogenlänge s und dem
Tangentenwinkel der Kurve ϕ ([1], [2]). Er betrachtet die Aufgabe unter
rein geometrischen Aspekten, so dass man an Grundprobleme der opti-
malen Trassierung im Straßenbau (minimale integrale Krümmung) oder
im Gleisbau von Schienenfahrzeugen erinnert wird32 .
Wir stellen uns also vor, die Endstücke von zwei Trassen durch einen
Weg zu verbinden, der längs des Bogens eine möglichst geringe auf-
integrierte quadratische Krümmung aufweist. Ohne Einschränkung der
Allgemeinheit nehmen wir an, dass die beiden zu verbindenden Punkte
A und B die Koordinaten
A = {0, 0}; B = {a, b} (2.158)
haben. Stellt man sich nun die Neigung ϕ der Kurve als Funktion ihrer
Bogenlänge s vor, so sollen mit der vorgegeben Bogenlänge L die beiden
Nebenbedingungen
Z L
cos[ϕ[s]] ds = a; (2.159)
0
32 Zum Beispiel dem sogenannten Wiener Bogen, bei dem durch eine spezielle
Neigung der Gleise unter Berücksichtigung des Schwerpunktes der Fahrzeuge die
Belastung der Räder und der Trasse minimiert werden.
Z L
sin[ϕ[s]] ds = b; (2.160)
0
für die elastische Kurve oder auch optimierte Trasse folgt. Genau diese
Gaussche Gleichung findet man auch in der Dissertation von Max Born
aus dem Jahre 1906 ([3])33 . Diese parametrische Differentialgleichung
kann numerisch mit den beiden Randwerten ϕ(0) = 0 und ϕ(L) = Θ so
gelöst werden, dass durch eine Bestimmung der beiden freien Parameter
33 DieArbeit ist eine Antwort auf eine Preisaufgabe von Felix Klein aus dem Jahre
1905
λ1 und λ2 die zwei zusätzlichen geometrischen Bedingungen (2.159, 2.160)
erfüllt werden können. Unter Umständen gibt es bei festem L mehre-
re Lösungen, von denen aber nur die energetisch günstigste Stabilität
aufweist. Wir kommen darauf noch zurück.
Zunächst wollen wir das Problem noch rein analytisch weiter untersu-
chen. Mit (2.162) lautet das erste Integral dieser Differentialgleichung
x → x cos(γ) − y sin(γ)
y → x sin(γ) + y cos(γ)
Wir können den ganz willkürlichen Winkel γ so wählen, dass der Koeffi-
zient von x[s] verschwindet. Wir führen anstatt der Konstanten λ1 und
λ2 somit zwei neue völlig äquivalente Konstanten κ und den Winkel γ
ein. Es soll gelten
λ1 sin(γ) − λ2 cos(γ) = 0
λ1 cos(γ) + λ2 sin(γ) = κ2
Die Größe κ muss die Dimension einer reziproken Länge haben und
beschreibt somit eine charakteristische Krümmung. Die Lösung der obigen
Gleichungen lautet
Für alle elastischen Kurven (Linien) kann man durch eine geeignete
Koordinatentransformation die Gleichung (2.167) auf diese Form bringen.
Eine weitere Integration gelingt durch einen Kunstgriff. man schreibe
2 x1 = `
4 x2 + 2 x1 = 2`
6 x3 + 4 x2 + 2 x1 = 3`
... = ...
x2
x3
x4
x5
x6
Fig. 2.21: Sechs Ziegelsteine der Länge ` werden hier so überlagert, dass ihr
gemeinsamer Schwerpunkt genau auf der Kante der unteren Betonmauer liegt,
die Steine selber aber maximalen Überhang haben. Die Längen der einzelnen
Vorsprünge folgen der Beziehung xn = `/(2n).
Steinen beträgt der gesamte Überhang der frei tragenden Ausleger somit
N
` X1
X =
2 n=1 n
` 1 1
= ln[N ] + γ + − + . . . .
2 2N 12 N 2
v + dvR 1 − (v/c)2 .
= (2.182)
wenn man dM0 = −dm0 bedenkt. Eine Integration dieser Gleichung führt
zu
1 1 + v/c w0 MA
ln = ln , (2.185)
2 1 − v/c c MB
wo MA die Ruhemasse am Anfang, MB die Ruhemasse zu Brennschluß
bezeichnet. Auflösen nach v führt zu der Beziehung
w0 MA
v = c tanh ln (2.186)
c MB
Wie man sieht, kann man diese Formel auch für die Photonenrakete
verwenden. Mit w0 = c folgt aus der obigen Beziehung nach einigem
Umrechnen
2
MA − MB2
v=c . (2.187)
MA2 + MB2
ϕ3/2
ϕ00 = √ , (2.189)
x
In den Jahren bis 1972 waren von dieser Zahl gerade mal sechs bis sieben
Stellen hinter dem Komma bekannt. Gegen Ende der 1920er Jahre hat
insbesondere A. Sommerfeld auch die asymptotische Entwicklung der
relevanten Lösung für x → ∞ untersucht. Sie lautet
√
144 √ 67 + 7 73 2 4−√73
(1− 73)/2
ϕ[x] = +δx + δ x +
x3 √ 29184
15377 + 1813 73 3 (15−3√73)/2
δ x + ... (2.192)
2042413056
Die Integrationskonstante δ kann auch hier nur durch numerische Integra-
tion in Verbindung mit der inneren Randbedingung ϕ[0] = 1 bestimmt
werden.
Die kinetische Energie Ek der Elektronen, ihre Coulombenergie Ee im
Feld des Kerns und die potentielle Energie Eee aufgrund der gegenseitigen
Abstoßung der Elektronen erfüllen das Virialtheorem in der Form
2 Ek + Ee + Eee = 0.
Dabei gilt
3 Z 2 e2 0
Ek = − ϕ [0],
7 b
Z 2 e2 0
Ee = ϕ [0],
b
2 2
1 Z e 0
Eee = − ϕ [0].
7 b
Die Länge b wurde dabei weiter oben definiert. Zur Berechnung dieser
Bilanzen benötigt man das wichtige Integral
Z ∞
2
ϕ0 [x]2 dx = − ϕ0 [0]. (2.193)
0 7
Um diese Beziehung zu beweisen, mache man zunächst eine partielle
Integration gemäß
Z ∞ Z ∞
02 0
ϕ dx = −ϕ [0] − ϕ ϕ00 dx
0 0
∞
ϕ5/2
Z
= −ϕ0 [0] − √ dx.
0 x
Dabei haben wir die zweite Ableitung mithilfe der Differentialgleichung
wieder eliminiert. Eine weitere partielle Integration liefert dann
Z ∞ Z ∞
√ 3/2 0
ϕ02 dx = −ϕ0 [0] + 5 x ϕ ϕ dx
0
Z0 ∞
= −ϕ0 [0] + 5 x ϕ0 ϕ00 dx,
0
wobei wir wieder den Term ϕ3/2 mit Hilfe der Differentialgleichung ersetzt
haben. Eine weitere partielle Integration führt auf
Z ∞
5 ∞ 02
Z
02 0
ϕ dx = −ϕ [0] − ϕ dx,
0 2 0
Die Bindungsenergie skaliert also mit Z 7/3 , während die Größe der Atome
kontraintuitiv mit steigender Kernladungszahl wegen (2.188) wie Z −1/3
kleiner wird. Der italienische Physiker E. Majorana (1906 - 1938) hat
1928 eine ausführliche mathematische Untersuchung dieser TF- Gleichung
durchgeführt. Im Jahre 1949 haben dann R. P. Feynman (1918-1988) et
al. umfangreiche numerische Berechnungen dieser Funktion in Los Alamos
mit Hilfe damaliger Rechenmaschinen durchgeführt. Eigene Nachrech-
nungen mit Mathematica ergeben aber, dass die berechneten Zahlenwerte
der TF - Funktion ϕ[x] insbesondere im Bereich x > 2 extrem ungenau
und damit aus heutiger Sicht völlig unbrauchbar sind.
Literaturverzeichnis
[1] Thomas, L.H.: The calculation of atomic fields, Proc. Cambridge
Phil. Soc. 23, Issue 5, January 1927 , pp. 542-548, (1927)
[2] Fermi, E.: Eine statistische Methode zur Bestimmung einiger Ei-
genschaften des Atoms und ihre Anwendung auf die Theorie des
periodischen Systems der Elemente, Zeitschrift für Physik 48, pp.
73-79, (1928)
∂V ∂V 1 ∂2V
+rS + σ 2 S 2 2 − r V = 0. (2.194)
∂t ∂S 2 ∂S
Die Bedeutung der Variablen sind im offiziellen Finanz-Englisch: σ =
volatility of returns of the underlying asset/commodity; S = its spot
(current) price; V = price of financial derivative und r = risk-free in-
terest rate. Formuliert wurde sie von den Ökonomen Fischer Black
(1938-1995) and Myron Scholes im Jahre 1973 in Anwendung auf
Optionsscheine. Später gab Robert Merton eine weitere Begründung
für das Black - Scholes Modell35 im Grenzfall ∆t → 0 an.
Bezeichnet man mit dem Vektor r1 die Position eines Planeten oder
Kometen im Raum, mit r2 die entsprechende Position der Erde, so gilt
mit der Distanz
% = |r1 − r2 | (3.1)
und
cos(α) cos(δ)
e1 = sin(α) cos(δ) (3.2)
sin(δ)
die Gleichung
r1 − r2 = % e1 . (3.3)
α ist hier die Rektaszension und δ die Deklination des Himmelskörpers
an der Sphäre. Das totale Differential der obigen Gleichung lautet nun
Dabei gilt für eine beliebige Permutation der Zahlen j1 , j2 , j3 die Bezie-
hung [e1 e2 e3 ] = 1 und
e1 ◦ (dr1 − dr2 ) = d%
e2 ◦ (dr1 − dr2 ) = % cos(δ) dα
e3 ◦ (dr1 − dr2 ) = % dδ. (3.9)
Denkt man sich nun die Bahnkurve r1 als Funktion eines Zeitparameters
t1 , r2 als Funktion eines davon unabhängigen Zeitparameters t2 , so erhält
man leicht die partiellen Differentiale für die radiale Änderung
∂% dr1 ∂% dr2
= +e1 ; = −e1 ; (3.10)
∂t1 dt1 ∂t2 dt2
und für die Richtungsänderungen
∂α dr1
% cos(δ) = +e2 ; (3.11)
∂t1 dt1
∂α dr2
% cos(δ) = −e2 .
∂t2 dt2
und
∂δ dr1
% = +e3 ; (3.12)
∂t1 dt1
∂δ dr2
% = −e3 .
∂t2 dt2
Die Beziehungen (3.10) und (3.12,3.13) sind fundamental, um die singu-
lären Punkte der scheinbaren Bahn an der Himmelssphäre zu berechnen.
Die Beziehungen (3.10) können dazu dienen, die geringste Annäherung
eines Planeten an die Erde zu berechnen – ein Problem, was zum Beispiel
im Jahr 2003 für den Mars aktuell war. Denn es gilt
∂% ∂%
d% = dt1 + dt2 ; (3.13)
∂t1 ∂t2
In singulären minimalen oder maximalen Abstandspunkten müssen also
beide partielle Ableitungen Null sein. Die beiden Bedingungsgleichungen
für die gegenseitig geringste und größte Entfernung lauten dann
dr1
(r1 − r2 ) ◦ = 0,
dt1
dr2
(r1 − r2 ) ◦ = 0. (3.14)
dt2
Sind die beiden Bahnen Kegelschnitte, so ergeben sich hieraus zwei
singuläre Punktepaare.
Das entsprechende Problem für die beobachtenden singulären Richtun-
gen ist komplizierter. Die scheinbare Bahn eines Planeten oder Kometen
an der Himmelssphäre ist mathematisch definiert durch die funktionale
Abbildung
(α, δ) → (t1 , t2 ) (3.15)
Alle möglichen Kombinationen von t1 und t2 liefern alle möglichen Po-
sitionen an der Himmelssphäre. Für die differentiellen Änderungen der
scheinbaren Positionen am Himmel gilt außerdem
∂α ∂α ∂δ ∂δ
dα = dt1 + dt2 ; dδ = dt1 + dt2 (3.16)
∂t1 ∂t2 ∂t1 ∂t2
Das Problem des Zodiakus ist nun gleichbedeutend mit der Bestimmung
der singulären Punkte dieser zweidimensionalen Abbildung (α, δ) →
(t1 , t2 ). Wird dt2 als Funktion von dt1 so geändert, daß dα = 0 ist, so
gilt auch dδ = 0, wenn die Jacobi-Determinante der Abbildung null wird,
also wenn gilt
∂α ∂δ
∂t1 ∂t1
DJ ≡ = 0. (3.17)
∂α ∂δ
∂t2 ∂t2
Einsetzen von (3.12) und (3.13) in (3.17) ergibt die Bedingungsgleichung
dr2 dr1 dr1 dr2
e2 e3 − e2 e3 = 0. (3.18)
dt2 dt1 dt1 dt2
Nach einem Satz der Vektoralgebra über das skalare Produkt zweier
Kreuzprodukte läßt sich die obige Beziehung vereinfachen zu (Lagrange-
sche Identität)
dr1 dr2
(e2 × e3 ) ◦ × =0 (3.19)
dt1 dt2
und schließlich
dr1 dr2
(r1 − r2 ) ◦ × = 0. (3.20)
dt1 dt2
Aus dieser Gleichung folgt sofort der Gaussche Satz, daß in den Limiten
des Zodiakus die Tangenten an den Bahnkurven von Planet und Erde in
derselben Ebene liegen. Die obige Beziehung können wir besser noch in
der Form
dr2 dr1 dr1 dr2
◦ r1 × + ◦ r2 × =0 (3.21)
dt2 dt1 dt1 dt2
hinschreiben, da wir ja in einem Spatprodukt dreier Vektoren deren
Reihenfolge zyklisch vertauschen dürfen2 .
Bei einem zentralsymmetrischen Potential stellen die Kreuzprodukte
(3.21) den Drehimpulsvektor L der jeweiligen Bahn dar, der zeitlich
konstant ist. Damit gilt einfacher
dr2 dr1
L1 ◦ + L2 ◦ = 0. (3.22)
dt2 dt1
oder endgültig
p1 p2
= (3.28)
cos(ϕ1 ) + 1 cos(ω1 ) cos(ϕ2 ) + 2 cos(ω2 )
der Winkel i ist die Neigung der Planetenbahn zur Erdbahn, die Winkel
α und δ die Länge und Breite der Planetenposition im Bezug auf die
Ekliptik. Für den Radiusvektor r2 des Planeten gilt
p
r2 = (3.30)
1 + cos(ϕ2 − ω)
und
cos(ϕ2 ) = p cos(ϕ1 ) (3.33)
In den Figuren (3.2) und (3.3) sind die Gestalt der südlichen Zodiakuslinie
für unterschiedliche Exzentrizitäten um den Südpol der Himmelskugel
dargestellt.
Das hier angesprochene Problem ist nicht nur astronomisch interessant,
sondern auch von rein mathematischem (topologischem) Interesse. Vek-
toralgebraische Ausdrücke wie (3.20) spielen bei der Berechnung der
Windungszahl; linking number von zwei geschlossenen verschlungenen
Fäden eine entscheidene Rolle. Das Gaussche Integral für die Anzahl N
von Umschlingungen zweier doppelpunktfreier geschlossener Raumkurven
lautet nämlich
(r0 − r) ◦ (dr × dr0 )
I I
4πN (r, r0 ) = . (3.34)
|r0 − r|3
C C0
Fig. 3.3: Bei der Exzentrizität = 0.6 zieht sich die südliche Zodiakuslinie zu
einer Linie zusammen. Die mit gelben Punkten dicht besetzten Gebiete an den
beiden Spitzen können auf 4-fache Weise geozentrischer Ort sein.
Fig. 3.4: Bestimmung der relativen Größe und Entfernung des Mondes nach
Aristarchos von Samos (?310-?230) mit Hilfe einer Mondfinsternis unter der
Annahme, dass die Sonne sehr viel weiter als der Mond von der Erde entfernt ist .
Die Größe rM bedeutet dabei den Radius des Erdschattens in der Mon-
dentfernung, der etwas größer als der eigentliche Mondradius ist. Die
Größen rE und rS bedeuten die wirklichen Halbmesser der Erde und der
Sonne. Aus den obigen Relationen kann man die Länge ZM eliminieren
und erhält die einzige Gleichung
rM ES + rS EM = (EM + ES) rE . (3.39)
Aristarchos konnte nun zwei Proportionen durch Beobachtungen ab-
schätzen. Relativ genau konnte der scheinbare Winkelhalbmesser α der
Sonnenscheibe nach
rS
α∼ (3.40)
ES
gemessen werden. Schwieriger war sicherlich das Messen des scheinbaren
Winkelhalbmessers β des Erdschattens am Mondort. Am einfachsten war
es sicherlich, die halbe zeitliche Dauer einer Kernschattenfinsternis zur
mittleren synodischen Umlaufzeit des Mondes von 29 Tagen, 12 Stunden
und 44 Minuten ins Verhältnis zu setzen. Mit einem bekannten
rM
β∼ (3.41)
EM
können wir dann (3.39) bis einschließlich quadratischer Ordnung in α
und β
rE rE
α+β = + (3.42)
EM ES
schreiben. Aus den damaligen Beobachtungen konnte Aristarchos so
unter der Annahme, dass die Sonne viel weiter als der Mond von der
Erde entfernt ist, ein Verhältnis von EM/rE ∼ 60 abschätzen.
Für Eratosthenes von Kyrene (?276 - ?194) wäre es dann in
Alexandria ein leichtes gewesen, mit dem bekannten Erdumfang und
daraus folgenden Erdradius auch die Distanz zum Erdmond in „irdischen
Einheiten“ anzugeben. Ob er es getan hat, bleibt aufgrund der Zerstörung
der Bibliothek von Alexandria unbekannt.
Ζ1
Erde
∆1
j1 Erdäquator -- Himmelsäquator
j2
∆2
Ζ2
Da der Parallaxenwinkel
= |δ1 − δ2 |≡ δ2 − δ1 (3.54)
(hier δ2 > δ1 ) für den Mond und erst recht für den Mars sehr klein ist,
liegt eine Taylorentwicklung nach nahe. Schreiben wir also
r 2
sin2 [] = sin2 [δ1 − ϕ1 ] + sin2 [δ2 − ϕ2 ] (3.55)
a
− 2 cos[] sin[δ1 − ϕ1 ] sin[δ2 − ϕ2 ],
so ergibt sich für die Erd - Mond Entfernung bis auf Fehler der Ordnung
O[a ] die wichtige Formel
r sin[δ1 − ϕ1 ] − sin[δ2 − ϕ2 ]
=± (3.56)
a δ1 − δ2
r sin[ζ1 ] + sin[ζ2 ]
=± (3.57)
a δ1 − δ2
Nimmt man dagegen die Näherung (3.56) oder (3.57), so erhält man
r s[ϕ1 , δ1 ] − s[ϕ2 , δ2 ]
=± . (3.61)
a δ1 − δ2
r = 368715 km (3.62)
Mit Berücksichtigung der Abplattung des Erdmeridians wird also bei glei-
chen Winkeldaten die Entfernung zum Mond um etwa einen Mondradius
vermindert.
Eine Variante der obigen Methode wurde schon im September 1672 von
den Astronomen Giovanni Cassini (1625-1712) und Jean Richer (1630-
1696) angewendet, um die Parallaxe von Mars und damit seine Entfernung
zur Erde zu bestimmen. Der Erstere beobachtete in Paris, der andere
in Französisch Guyana (Cayenne). Beide maßen zum gleichen Zeitpunkt
die Entfernung des Mars von 3 lichtschwachen Sternen im Sternbild
Wassermann8 . Für die Sonnen - Parallaxe erhielt man damals einen Wert
von 9.5 Bogensekunden. Um die Ungenauigkeiten des Längenproblems
8 WilliamSheehan & John Westfall (2004): The Transits of Venus. 407 S., Prometheus
Books, Amherst, New York. 102 ff.
zu umgehen, probierte Cassini in Zusammenarbeit mit Ole Rømer
im gleichen September 1672 eine im Prinzip sehr elegante Methode aus.
Dazu wurden die Positionen des Mars relativ zu den Hintergrund-Sternen
in einer Nacht sowohl kurz nach seinem Aufgang als auch kurz vor
seinem Untergang mit einem Okular-Mikrometer gemessen. Die Basislinie
ergab sich jetzt durch die in der Zwischenzeit erfolgten Erdrotation.
Das Ergebnis bestätigte den Wert der ersten wesentlich aufwendigeren
Methode.
N + n = 1. (3.64)
für den zeitlichen Verlauf des radialen Abstandes r[t] von zwei umeinander
sich bewegenden Punktmassen in N Raumdimensionen.
Eine notwendige Bedingung für die Existenz von stabilen Kreisbahnen
ist 4 − N > 0. Für eine allgemeine Lösung der obigen Gleichung machen
wir die Störentwicklung
Eine stabile Kreisbahn ist hier ausgeschlossen. Da wir uns kaum eine
reichhaltige 1D - oder 2D - Welt vorstellen können10 , bleibt nur noch
die Lösung N = 3 übrig. Nur in einer solchen bemerkenswerten Welt
10 Hier
könnte man auch die Mathematik der Knotentheorie anführen, die feststellt,
daß nur in drei Dimensionen bestimmte „Knoten“ möglich sind
mit N = 3 Raumdimensionen können durch Gravitation gebundene
Kreisbahnen für hinreichend lange biologische Zeiträume stabil sein!
Diese Spekulationen führen sofort zu dem Philosophen und Gelehrten
G. W. von Leibniz (1646-1716) und seinem berühmten Essais de
Théodicée sur la bonté de Dieu, la liberté de lhomme et lorigine du mal
(Abhandlungen über die Theodizee von der Güte Gottes, der Freiheit
des Menschen und dem Ursprung des Bösen) aus dem Jahre 1710. Die
viel zitierte Antwort von Leibniz auf die zentrale Theodizeefrage lautet
verkürzt:
Diese unsere Welt ist die beste aller möglichen Welten, in
der das Übel von Gott nicht gewollt, sondern nur zugelassen
ist. Sie ruht also auf dem Gedanken, dass Gott die Übel
nicht wollte, dass er sie aber zulassen musste, um (einer
moralischen Notwendigkeit folgend) die „beste (d.h. die an
Erscheinungen reichste und zugleich meist geordnete) aller
möglichen Welten“ zu erschaffen
Die Problematik und Prämissen dieser Antwort wurde viel diskutiert,
aber der Schwerpunkt unserer Fragestellung liegt aufgrund der obigen
analytischen Ergebnisse eher bei dem Punkt, den A. Einstein sich immer
wieder stellte:
11 G.H.Darwin: Proceedings of the Royal Society of London, XXIX (1879), pp. 168
-181. Scientific Papers. Volume II: Tidal Friction and Cosmogony, pp. 195-207,
Cambridge 1908,
Fig. 3.6: Ein idealisiertes Zweikörpersystem, welches sich um den gemeinsamen
Schwerpunkt in Kreisbahnen bewegt. Der aus drei Teilen bestehende Gesamtdrehim-
puls dieses binären Systems muss konstant bleiben, während Teile der dynamischen
Gesamtenergie in andere Formen umgewandelt werden können. Im Allgemeinen
besitzen solche Systeme in ihrer Abstands - Entwicklung zwei Synchronzustände,
wobei nur der äußere stabil ist.
L 3
x4 − x + 1 = 0. (3.80)
L0
Diese Gleichung folgt natürlich auch aus der Energiegleichung (3.79).
Setzen wir in (3.78) y1 = y2 = y, so können wir nach y auflösen und in
die Energiegleichung (3.79) einsetzen. Man erhält
2
E(x) L 1
= −x − 2 (3.81)
E0 L0 x
Setzt man hier die Ableitung gleich null, ergibt sich für das extreme
x wieder die Gleichung (3.80). Die charakteristische Gleichung (3.80)
für die Bestimmung der Synchronzustände hat im Allgemeinen entweder
zwei reelle und zwei imaginäre oder nur vier imaginäre Lösungen. Das
entscheidende Kriterium folgt mit Hilfe der Diskriminanten von (3.80). Es
existieren genau dann zwei synchrone Bahnzustände im binären System,
wenn die Bedingung
L 4
≥ 3/4 = 1.754765... (3.82)
L0 3
erfüllt ist. Wird diese Bedingung zum Beispiel bei der kosmogonischen
Entstehung nicht erfüllt, ist das binäre System instabil und bewegt
sich unvermeidlich aufeinander zu, bis eine Kollision (Verschmelzung)
stattfindet. In unserem Sonnensystem gibt es zwei besondere binäre
Systeme: Erde - Mond und Pluto - Charon. Für beide Systeme
ergibt sich das wichtige Drehimpulsverhältnis genähert zu
L
∼ 4.046; (Erde-Mond)
L0
L
∼ 2.925; (Pluto-Charon)
L0
In beiden Fällen ist also das Stabilitätskriterium (3.82) erfüllt und es
existieren folglich genau zwei Synchronzustände. Die entsprechenden
Werte x1 und x2 lauten für die beiden Systeme
Da die Summe der Radien von Erde und Mond nur 8105 [km] beträgt, ist
es wenig wahrscheinlich, dass der Mond sich durch „Abspaltung“ (Fission)
von der Protoerde gebildet hat. Doch genau diese Hypothese haben G.H.
Darwin und andere Ende des 19. Jahrhunderts vertreten.
Historisch ist noch interessant, dass in den 1950er Jahren der Gymna-
siallehrer Horst Gerstenkorn (1923-1981) an der Bismarckschule in
Hannover die Bahnentwicklung des Erdmondes im Rahmen einer erweiter-
ten Theorie zurückrechnete und dabei auch die Bahnneigung berücksich-
tigte12 . Trotz vieler fragwürdiger Unwägbarkeiten glaubte Gerstenkorn
damals, dass die Mondbahn zu Beginn der Entwicklung sogar retrograd
und stark exzentrisch war. Vor Äonen könnte der Mond also von der
Erde eingefangen worden sein. Populär wurde diese Rechnung durch den
Plasmaphysiker H. Alfven (1908-1995), der sie im Jahre 1963 in der
amerikanischen Zeitschrift Icarus diskutierte und für seine Vorstellungen
benutzte. Besonders in den USA ist seit 1984 das „giant impact“ Modell
zur Entstehung des Mondes populär, in dem ein „Mars-großer „ Körper
mit der Erde kollidiert sein soll und so Material zur Akkretion des Mondes
geliefert hat.
12 Thomasvon Randow (1963): Geriet der Mond in den Bannkreis der Erde. Ma-
thematische Ehrenrettung für eine phantastische Theorie. Zeitmagazin 31. Mai
1963
3.7 Ole Rømer und die Lichtgeschwindigkeit
Durch systematische Beobachtungen von Jupitermond - Verfinsterungen
gelang es Ole Rømer 13 im Jahre 1676 zum erstenmal aufzuzeigen, daß die
Lichtgeschwindigkeit c einen endlichen Wert hat. Dazu beobachtete er die
Verfinsterung eines Jupitermondes. Er bestimmte die Zeit zwischen zwei
Verfinsterungen und bestimmte so die Umlaufperiode des Mondes.. Dann
berechnete er die Zeit, nach der er ungefähr ein halbes Jahr später die 103.
Mondfinsternis zu erwarten hatte. Olaf Roemer wartete nun auf die 103.
Verfinsterung und verglich die bis zu diesem Zeitpunkt vergangene Zeit
mit der theoretisch zu erwartenden Zeit. Er leitete einen Wert von etwa
220.000 km/s für die Lichtgeschwindigkeit ab (nach heutigen Einheiten).
1727 bestimmte der britische Astronom James Bradley den Wert der
Lichtgeschwindigkeit durch die Aberration des Lichtstrahles von einem
Fixstern14 . Der Aberrationswinkel ergibt sich aus dem Verhältnis der Erd-
geschwindigkeit und der Lichtgeschwindigkeit c. Bradley bestimmte einen
Aberrationswinkel von 2100 . Mit Hilfe dieses Winkels und der Erdbahnge-
schwindigkeit errechnete er einen Wert für die Lichtgeschwindigkeit, der
nur um 10% von dem heute definierten Wert abwich.
Wir stellen die Bahn der Erde als Funktion der Zeit durch den Vektor
rE [t] und entsprechend für den Jupiter mit rJ [t] dar. Ein Ereignis auf
Jupiter wie zum Beispiel eine Mondverfinsterung zum Zeitpunkt t0 wird
auf der Erde aber erst zum Zeitpunkt t1 registriert. Es gilt dann in guter
Näherung
1
t1 = t0 + |rJ (t0 ) − rE (t0 )| + . . . (3.86)
c
13 Ole Rømer (1644 - 1710), Kopenhagen; dänischer Astronom. Ab 1662 studierte
Rømer an der Universität Kopenhagen Mathematik und Astronomie. 1671 be-
gleitete er J. Picard in das Observatorium Tycho Brahes. Er wurde 1672 an die
Pariser Akademie berufen, wo er bis 1681 blieb. Im selben Jahr übernahm Rø-
mer die Leitung der Sternwarte in Kopenhagen, wo er auch Bürgermeister und
Vorsitzender des parlamentarischen Rates wurde. Rømer war ein einfallsreicher
Instrumentenbauer. 1689 konstruierte er z.B. die machina domestica, ein in Meridi-
anrichtung orientiertes, höhenverstellbares Fernrohr. Dies erlaubte die Ermittlung
von Gestirnpositionen anhand deren Durchgangszeit durch den Meridian (Längen-
grad). 1704 wurde dieses Meßgerät zur rota meridiana weiterentwickelt, die bis in
unser Jahrhundert hinein (verändert) Anwendung fand. Insgesamt konstruierte
Rømer nahezu alle wichtigen astronomischen Instrumente, die vor allem im 19.
Jahrhundert eingesetzt wurden.
14 Im Prinzip war dies der endgültige Beweis des heliozentrischen Systems nach
Copernikus
Finden nun N streng periodische Finsternisereignisse beim Jupiter mit
der Periode P0 statt, so werden diese auf der Erde erst bei den Zeitmarken
1
tN − t0 = N P0 + |rJ (t0 + N P0 ) − rE (t0 + N P0 )| (3.87)
c
beobachtbar. Genau diese Zeitmarken hat Rømer 1675/1676 beobachtet
und festgestellt, daß die Zeitspanne tN − t0 bis zu etwa 1000 Sekunden
länger war als die erwartete Zeitspanne N P0 mit N = 103. Das Licht
läuft dann länger, wenn Jupiter und Erde weit voneinander entfernt
sind und weniger lang, wenn sie auf ihrer Umlaufbahn näher aneinander
liegen. Dies stand im Gegensatz zur damals herrschenden Ansicht von
Aristoteles und René Descartes und wurde zunächst auch von Rømers
Zeitgenossen nur zögernd anerkannt. Diese Methode gestattete es also,
die Lichtgeschwindigkeit c durch genügend weit auseinander liegende Zeit-
spannen recht genau zu bestimmen, wenn die relativen Bahndimensionen
der Planeten Jupiter und Erde bekannt sind. Im Prinzip sind auch die
einzelnen Perioden PN eine Funktion der relativen Bahnpositionen. Hier
tritt zum erstenmal der Dopplerfaktor in klassischer Form auf. Es gilt
1
PN = P0 + (|rJ (tN + P0 ) − rE (tN + P0 )| − |rJ (tN ) − rE (tN )|) , (3.88)
c
wo tN = t0 + N P0 ist. Die Vektordifferenz können wir nach Taylor bis
zur ersten Ordnung in P0 entwickeln gemäß
1 (rJ (tN ) − rE (tN )) ◦ (ṙJ (tN ) − ṙE (tN ))
PN = P0 1+ . (3.89)
c |rJ (tN ) − rE (tN )|
v tn
v tn sin@QD
Jet
Q
Quelle v tn cos@QD Zum Beobachter
Fig. 3.8: Ein aktiver Galaxienkern stößt einen Materiestrahl (Jet) aus, der sich
unter einem Winkel Θ auf den sehr weit entfernten Beobachter zubewegt. Aufgrund
des relativistischen
√ Additionstheorems bei Photonen können für den Beobachter
hier bei v > c/ 2 scheinbare Überlichtgeschwindigkeiten entstehen. Dies wird
durch Betrachtung von zwei Jetpositionen zu den Zeitpunkten t1 und t2 an der
Quelle und ihrem Eintreffen beim Beobachter verständlich.
Nach Figur (3.8) sende zum Zeitpunkt t = 0 eine aktive Quelle gleichzei-
tig Photonen und einen Materiestrahl (Jet) unter dem Winkel Θ (halber
Öffnungswinkel eines Kegels) zum Beobachter in sehr großer Entfernung
D aus. Wir greifen uns zwei Zeitpunkte t1 und t2 während der Expansion
heraus. Zum Zeitpunkt t1 hat der Jetknoten die tangentiale Distanz
v t1 sin[Θ] zur Quelle eingenommen. Der Beobachter registriert diese
Situation zum Zeitpunkt
1
t01 = t1 + (D − v t1 cos[Θ]) .
c
Wichtig ist hier, dass trotz der sehr schnellen Materiebewegung für
die vom Jet ausgesandten Photonen immer die Lichtgeschwindigkeit c
gilt. Zu einem späteren Zeitpunkt t2 erreicht der Jetknoten zur Quelle
die tangentiale Distanz v t2 sin[Θ]. Der Beobachter registriert dies zum
Zeitpunkt
1
t02 = t2 + (D − v t2 cos[Θ]) .
c
15 M.J. Rees Appearance of Relativistically Expanding Radio Sources, Nature 211,
Issue 5048, pp. 468-470, (1966)
Fig. 3.9: Der Materiestrahl (Jet) aus dem Kern der Galaxie M87.
v cos[Θ] v sin[Θ]
vx = , vy = . (3.90)
1 − vc cos[Θ] 1 − vc cos[Θ]
Im Winkelbereich −π/2 < Θ < +π/2 sind die Beträge der scheinbaren
Geschwindigkeiten in beiden Richtungen immer größer als die wirklichen
Geschwindigkeiten im System Quelle - Beobachter. Dagegen sind im
Winkelbereich π/2 < Θ < 3π/2 die scheinbaren Geschwindigkeitskompo-
nenten immer kleiner als die wirklichen Größen. Bei festem v wird die
scheinbare tangentiale Geschwindigkeit vy beim Winkel
v
cos[Θm ] =
c
maximal. Ihr Wert beträgt dann
v
vym = p .
1 − (v/c)2
√
Eine scheinbare Überlichtgeschwindigkeit tritt hier für v > c/ 2 auf.
Für Jet - Geschwindigkeiten nahe c liegt der Winkel Θm maximaler
Überlichtgeschwindigkeit immer näher bei Null.
Ein Sonderfall ist Θ = 0 oder Θ = π. In diesem Fall bewegt sich der Jet
direkt auf den Beobachter zu oder direkt von ihm weg. Für die scheinbare
Geschwindigkeit v 0 gilt dann
v
v0 = + {Θ = 0}
1 − v/c
v
v0 = − {Θ = π}.
1 + v/c
Bewegt sich zum Beispiel der Jet mit der wirklichen Geschwindigkeit
v = 1/5 c direkt auf den Beobachter zu, so beurteilt dieser nur aus
Ortsbeobachtungen eine deutlich erhöhte Geschwindigkeit von v 0 = 1/4 c.
Bewegt sich dagegen der Jet mit der Geschwindigkeit v = 1/5 c von
dem Beobachter weg, so ergäbe sich rein theoretisch eine scheinbare
Fluchtgeschwindigkeit von nur noch v 0 = 1/6 c. Allerdings könnte der
Beobachter in beiden Fällen mit Hilfe des relativistischen Dopplereffektes
die wahre Geschwindigkeit des Jets von 1/5 c immer bestimmen.
Die Größe M bezeichnet die Masse der Sonne und m die Masse des
störenden Riesenplaneten. Der Koordinatenursprung liegt dabei in der
Sonne. Die Masse des Kometen, des Asteroiden oder der Raumsonde oder
eines Zwergplaneten wird als Null angenommen.
Die Bewegungsgleichung des Kometen multiplizieren wir nun skalar
.
mit r1 und erhalten zunächst
d
1 .2 G M
.
(r2 − r1 ) ◦ r1
.
r2 ◦ r1
r − = Gm − (3.93)
dt 2 1 |r1 | |r2 − r1 |3 |r2 |3
Als Nächstes nehmen wir an, dass sich der störende Riesenplanet in einer
exakten Kreisbahn bewegt. Es gilt also |r2 |= a2 = konstant, wobei a2
die große Halbachse der Kreisbahn des Planeten bezeichnet. Wir können
16 Seeliger,
H.: Notiz über einen Tisserand’schen Satz, die Umgestaltung der Kome-
tenbahnen betreffend. AN 124, 209-212 (1890)
.
so den Geschwindigkeitsvektor r2 der Planetenbahn durch die spezielle
Vektorbeziehung
. L2 × r2
r2 = (3.94)
a22
ersetzen. Der Vektor L2 steht senkrecht auf der Kreisbahn des Riesenpla-
neten und hat hier den Betrag
p
|L2 |= L2 = G (M + m) a2 . (3.95)
d
1 .2 G M
. .
(r2 − r1 ) ◦ (r2 − r1 )
r1 − + Gm =
dt 2 |r1 | |r2 − r1 |3 (3.97)
.
r1 ◦ r2
.
r2 ◦ r1
−G m +
|r2 − r1 |3 a32
d
1
. .
(r2 − r1 ) ◦ (r2 − r1 )
=− (3.98)
dt |r2 − r1 | |r2 − r1 |3
Erstaunlich ist nun, dass man auch die übrigen Terme in Form einer
zeitlichen Ableitung schreiben kann. Skalare Multiplikation der Vektor-
gleichung (3.95) mit r1 und antizyklische Permutation im Spatprodukt
führt zunächst zur wichtigen Identität
. L2 ◦ (r1 × r2 )
r1 ◦ r2 = − . (3.100)
a22
.
Wegen r2 ◦ r2 = 0 läßt sich die obige Energie-Beziehung nun in der Form
d 1 .2 G M Gm
r − − =
dt 2 1 |r1 | |r2 − r1 |
L2 ◦ (r1 × r2 ) r2 ◦ r1
.
Gm − (3.101)
a22 |r2 − r1 |3 a32
Wir ersetzen den zweiten Term wieder durch die obige Identität (3.100)
und erhalten
d
.
L2 ◦ (r1 × r2 ) r1 ◦ r2
(L1 ◦ L2 ) = G m + (3.105)
dt |r2 − r1 |3 a2
Der Ausdruck in den geschweiften Klammern ist also eine zeitliche Kon-
stante : die sogenannte Tisserand - Invariante. Zur Erinnerung: Index
1 bezieht sich auf einen „Kometen“, Index 2 auf einen Planeten in einer
Kreisbahn (z.B. Jupiter). Ende des 19. Jahrhunderts war dieses Kriterium
sehr hilfreich, um „neue“ Kometen eventuell „alten“ schon bekannten
Kometen zuordnen zu können. Den heute noch benutzten vereinfachten
Tisserend - Parameter erhält man durch Vernachlässigung des letzten
Terms proportional m. Da für eine oskulierende Keplerbahn
1 .2 G M GM
r1 − =−
2 |r1 | 2 a1
gilt, kann man mit Hilfe von (3.103) und (3.95) den Betrag des Energie-
parameters von Tisserand in der Form
r
GM a2 a1
E∼− +2 (1 − 21 ) cos[i] (3.108)
2 a2 a1 a2
darstellen. Terme, die proportional m und somit auch von der jeweiligen
relativen Position der beiden Körper abhängen, werden in dieser Darstel-
lung vernachlässigt. Der Winkel i ist die Neigung der Kometenbahn zur
Bahnebene des störenden Riesenplaneten; also der Winkel zwischen den
Vektoren L1 und L2 .
Im Zeitalter elektronischer Rechner hat dieses schöne und einfache
Kriterium für die Untersuchung neuer Kometenbahnen natürlich an
Bedeutung verloren. Trotzdem läßt sich auch heute noch das „swing - by“
Maneuver der VOYAGER - Sonden Ende der 1970er Jahre an Jupiter und
Saturn mit diesem Kriterium anschaulich analysieren. Auch die Frage,
ob der Zwergplanet Sedna im äußeren Sonnensystem einst durch eine
nahe Begegnung mit Neptun oder einem anderen Gasriesen aus dem
inneren Sonnensystem „gekickt“ wurde, kann man mit dem analytischen
Ausdruck diskutieren.
3.10 Der Lidov - Kozai Effekt
(in Arbeit)
Fig. 3.10: Die Sternscheibe von Nebra: ein Jahrhundertfund und Kulturgut von
unschätzbarem Wert. Der Durchmesser der Sternscheibe beträgt etwa 32 cm und
das Gewicht beträgt etwa 2 kg.
Θ = a1 − a2 . (3.111)
cos2 ()
Θ sin() 2 3
sin = 1+ h + O(h ) (3.112)
2 cos[ϕ] 2(cos2 (ϕ) − sin2 ()) w w
Der Einfluss der Refraktion ist nach der obigen Beziehung sehr gering,
zumal wenn man die Unsicherheit im Winkel Θ berücksichtigt. Es gilt
für unsere Zwecke also genügend genau
Θ sin()
sin = (3.113)
2 cos[ϕ]
wobei hier T in Jahren angegeben werden muss. Setzt man hier T = −1600
für die Sternscheibe ein, so erhält man genähert = 23.9◦ . Mit diesem
Wert wurde der Graph (3.11) berechnet. Die Horizontbögen der Stern-
scheibe von Nebra haben einen Winkel von etwa Θ = 82.5 ± 1.0 Grad.
Das entspräche dann etwa der Breite von Magdeburg (52◦ ), was et-
wa 70 Kilometer nördlich von Nebra liegt. In jedem Fall ist damit der
mitteleuropäische Ursprung der Sternscheibe relativ sicher. Neben den
Horizontbögen und der Barke zeigt die Sternscheibe eine runde Schei-
be, die wahrscheinlich den Vollmond darstellt. Daneben ist eine mehr
90
85
Horizontbogen Q@°D
80
75
70
46 48 50 52 54
Geographische Breite j@°D
Fig. 3.11: Der Horizontbogen Θ als Funktion der geographischen Breite ϕ. Die
Weite ist von der Neigung der Erdachse abhängig. Die untere rote Kurve gilt heute
(J = 2000), während die dünne obere Kurve vor 3600 Jahren gültig war (J =
-1600).
dargestellt. Die Zufallszahlen rn liegen zwischen [0, 1] und die der Win-
kel ϕn zwischen [0, 2π]. Inwieweit die 25 oder 32 Sterne einer Poisson-
Verteilung genügen, müssen wohl noch weitere Untersuchungen zeigen.
Nord
Sommersonnenwende
West Q Q Ost
Wintersonnenwende
Süd
Fig. 3.12: Veranschaulichung und Bedeutung der Horizontbögen auf der Him-
melsscheibe von Nebra. Denkt man sich die Scheibe in nördlichen Breiten auf dem
Boden liegend und blickt nach Norden, so ist Westen in linker Hand. Liegt man
mit dem Kopf Richtung Norden auf dem Boden und hält sie über sich, so wäre der
Westen in rechter Hand.
Es scheint aber klar, dass außer den sieben eng beieinander liegenden
Punkten die übrigen keine konkreten Sternbilder darstellen sollen.
Fig. 3.13: Sechs Simulationen einer mathematischen Zufallsverteilung von 32
Goldplättchen und einer Mondscheibe auf der Himmelsscheibe. Der Mensch tendiert
eher zu einer gleichmäßigen Verteilung.
Literaturverzeichnis
[1] Megalithic Lunar Observatories. Oxford University Press 1971.