Storm und der verbotene Brief (2017)

Eine Filmkritik von Rochus Wolff

Als Luther nach Antwerpen schrieb

Wir verdanken den niederländischen Protestantismus einem frechen Waisenmädchen mit Steinschleuder. Das ist, in nuce, oder vielleicht besser in der Sprache der Reformation: im Kern, die Schlussfolgerung aus Dennis Bots‘ Abenteuerfilm Storm und der verbotene Brief, der pünktlich zum Lutherjahr 2017 seinen Weg in europäische Kinos findet.
Man schreibt das Jahr 1521. Martin Luthers Thesen sind vor knappen vier Jahren veröffentlicht worden, der Reformator macht sich weiterhin bei der Kirche unbeliebt. Das Drehbuch von Karin van Holst Pellekaan lässt ihn – da beginnt die Fiktion – an einem kalten Wintertag irgendwo bei Wittenberg einen Brief an die Christen in Antwerpen schreiben, kurz bevor er wieder einmal festgenommen wird; der Bote entwischt um Haaresbreite und reitet gen Westen.

Antwerpen ist zu dieser Zeit fast eine Großstadt, ein Zentrum der jungen Buchdruckerkunst allemal. Drucker Klaas (Yorick van Wageningen) gilt als einer der besten in der Stadt, sympathisiert aber heimlich mit Luther. Selbst seine Frau Cecilia (Angela Schijf) darf das nicht wissen, orientiert sie sich doch streng an dem, was die katholische Kirche lehrt. Ihr zwölfjähriger Sohn Storm (Davy Gomez) versteht nicht viel von Religion, zumal in der Kirche eh nur Latein gesprochen wird – aber lesen kann er sehr wohl, nicht zuletzt, weil er seinem Vater in der Druckerei hilft.

Eher zufällig ist Storm dabei, als Klaas den von Luther überbrachten Brief, frisch gesetzt, drucken will. Als dann plötzlich die Schergen des Inquisitors Frans Van der Hulst (Peter Van den Begin) vor der Tür stehen, nimmt Storm die Druckplatte aus der Maschine und flüchtet damit in die Nacht – geradewegs in die Arme von Marieke (Juna de Leeuw), die ihn mit ihrer Schleuder und ihren intimen Kenntnissen der Antwerpener Kanalisation vor den Soldaten in Sicherheit bringen kann. Die Probleme sind damit allerdings nicht zu Ende: Denn Klaas wurde festgenommen und soll bald als Ketzer hingerichtet werden.

Storm und der verbotene Brief greift also historisch nach dem ganz großen Griffel, schafft es dann aber doch, das auf die gekonnte Bleistiftzeichnung einer lokalen Geschichte herunterzubrechen. Und auch wenn sich van Holst Pellekaan so manche Freiheiten mit der Geschichte nimmt, funktioniert das insgesamt zunächst erstaunlich gut. Das liegt nicht zuletzt daran, dass das Antwerpen der Frühen Neuzeit einigermaßen überzeugend erscheint – mit geschicktem Kulissenbau und etwas Computereinsatz fühlt man sich leicht in die Lutherzeit zurückversetzt.

Für einen primär an Kinder gerichteten Abenteuerfilm sind auch die Motivationen und Möglichkeiten der Figuren sehr überzeugend und historisch nachvollziehbar ausgearbeitet; trotzdem fühlt es sich ein wenig so an, als sei der Film irgendwo zwischen Historiendrama und Kinderabenteuer im vage Ungewissen steckengeblieben. Das hat den Vorteil, dass Storm und der verbotene Brief nicht so absurd actionlastig geworden ist, wie viele andere Kinderfilme – die Erwachsenen sind keine ahnungslosen Tölpel, die Kinder keine genialischen Superhelden.

Im Gegenteil: Gerade Marieke, die von Storm das Lesen beigebracht bekommen möchte, wirkt als Figur mit ihren Fehlern und Stärken über große Strecken des Films hinweg überzeugend dreidimensional – und auch nicht als reine weibliche Erfüllungsfigur für den, wie allzu oft, männlichen Protagonisten.

Aber dennoch hinterlässt der Film das Gefühl, etwas mehr historischer Geist hätte ihm nicht geschadet. Es geht dabei nicht um historische Akkuratesse, sondern um die hinter der Handlung schwelenden Gefühle, Wahrheiten und Bewegungen – um das also, auf das sich Storm und der verbotene Brief auch schon im Titel bezieht. Der Konflikt im Hintergrund dieser Geschichte ist ja nicht nur der um Meinungsfreiheit – so wird es hier in einer vielleicht zu modernen Interpretation gedreht –, sondern zunächst ja um Wahrheitsanspruch, um Glauben, und damit auch wieder um Macht.

Dass Storms Mutter etwa ohne groß thematisierte (innere oder äußere) Konflikte sich auf die Seite ihres Mannes stellt, ist gar nicht so selbstverständlich wie es hier erscheinen mag; und dass der Film sich die Chance entgehen lässt, aus dieser komplexen Gemengelage eben etwas mehr zu machen als nur einen Abenteuerfilm, das darf man ihm schon vorhalten. Dafür wäre Spannung und Luft genug gewesen – denn mit allen seinen Schwächen ist Storm und der verbotene Brief immer noch besser als die meisten Historienschmonzetten, die in Deutschland so produziert werden.

Storm und der verbotene Brief (2017)

Wir verdanken den niederländischen Protestantismus einem frechen Waisenmädchen mit Steinschleuder. Das ist, in nuce, oder vielleicht besser in der Sprache der Reformation: im Kern, die Schlussfolgerung aus Dennis Bots‘ Abenteuerfilm „Storm und der verbotene Brief“, der pünktlich zum Lutherjahr 2017 seinen Weg in europäische Kinos findet.
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