Books by Olaf Kistenmacher
Judenfeindschaft wird in der deutschen Gesellschaft offiziell geächtet. Jugendliche lassen sich e... more Judenfeindschaft wird in der deutschen Gesellschaft offiziell geächtet. Jugendliche lassen sich ebenso ungern wie Erwachsene sagen, sie hätten Vorurteile, wären sich ihrer nur nicht bewusst. Deswegen kann es Gruppen wie ein unterschwelliger Vorwurf erscheinen, wenn TeamerInnen von außerhalb zu ihnen kommen, um mit ihnen einen Workshop gegen Antisemitismus durchzuführen. Es ist mitunter hilfreich, bei der Ankündigung des Workshops nicht von Antisemitismus zu sprechen, sondern ihn als Fortbildung zu den Ursachen des Rechtsextremismus anzukündigen. Der Schulunterricht über den Nationalsozialismus und die Lehren aus der Geschichte haben, wie die öffentlichen Debatten der vergangenen 15 Jahre, nicht nur dazu geführt, dass Menschen ihre Einstellungen selbstkritisch reflektierten, sondern auch dazu, dass sie lernen, was offiziell gewünscht ist. Das führt die pädagogische Arbeit gegen Antisemitismus in eine gefährliche Zwickmühle: einerseits judenfeindliche Vorstellungen zu überwinden, andererseits die latent vorhandenen Bilder und Denkweisen erst einmal hervorzulocken und erkennbar werden zu lassen.
Antisemitismus in der politischen Linken wurde nicht erst nach 1945 zum Thema. Die Kritik daran i... more Antisemitismus in der politischen Linken wurde nicht erst nach 1945 zum Thema. Die Kritik daran ist so alt wie die Sache selbst. In der Weimarer Republik waren es ehemalige Gründungsmitglieder der KPD wie Franz Pfemfert oder Anarchosyndikalisten wie Rudolf Rocker, die die antisemitische Agitation während des Schlageter-Kurses kritisierten. Mitte der 1920er Jahre warnte Clara Zetkin auf dem Parteitag der KPD vor judenfeindlichen Stimmungen an der Basis. 1929 erschien im Zentralorgan der um Heinrich Brandler und August Thalheimer gebildeten KPD-Opposition eine der ersten radikalen Kritiken des Antizionismus der KPD. Mit ihrer Kritik knüpften die anarchistischen und kommunistischen Linken an Interventionen von Rosa Luxemburg oder Leo Trotzki an und reflektierten zugleich die Entwicklung in Russland nach der bolschewistischen Revolution. Marx’ Anspruch, »alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist«, schloss für sie den Kampf gegen Antisemitismus auch in den eigenen Reihen mit ein. Ihre Kritik kam nicht nur Jahrzehnte vor der innerlinken Debatte über Antisemitismus von links, Luxemburg und Pfemfert nahmen auch Argumente der späteren antinationalen und antideutschen Linken vorweg.
Judenfeindschaft hat in Deutschland eine lange Geschichte, die nicht 1945 endete. In den letzten ... more Judenfeindschaft hat in Deutschland eine lange Geschichte, die nicht 1945 endete. In den letzten Jahren nimmt die antisemitische Bedrohungslage gravierend zu. Der Anschlag auf die Synagoge in Halle im Oktober 2019 war der vorläufige Höhepunkt extrem rechter antisemitischer Gewalt. Die Neue Rechte hat dazu beigetragen, für alte Ressentiments neue Begriffe populär zu machen und die Grenzen dessen, was öffentlich sagbar ist, zu verschieben. Dabei haben Götz Kubitschek, Jürgen Elsässer oder die Identitäre Bewegung nichts "vorausgedacht" oder in Debatten "erst eingespielt", sondern sie nutzen eine lange andauernde gesellschaftliche Dethematisierung der (extrem) rechten Gefahr und Gewalt, und Neue Rechte knüpfen an Ressentiments an, die, wie der Schuldabwehr-Antisemitismus (siehe Kap. 4), sich in West- und Ostdeutschland nach 1945 ohne ihr Zutun entwickelt haben. [...]
Die vorliegende kleine Expertise geht einerseits weit über ihr eigentliches Thema hinaus, indem sie nicht allein die Neue Rechte in den Blick nimmt, sondern an einem Beispiel – den rechten Aufmärschen in Chemnitz 2018 – gesellschaftliche Zusammenhänge skizziert, in denen sie wirken können. So soll vermieden werden, dem eingangs genannten Selbstbild einer intellektuellen Avantgarde auf den Leim zu gehen. Andererseits muss diese Expertise aus Platzgründen unvollständig bleiben. Zusätzlich zu den beschriebenen Mustern – Verschwörungsnarrative, Erinnerungs- und Schuldabwehr, identitäre Konstruktionen – müsste noch der Antisemitismus im Zusammenhang mit einem "völkischen Antikapitalismus" berücksichtig werden, der das "Compact-Magazin" prägt und auch im "Flügel" der AfD prominente Anhänger*innen hat.
Beschreibungsversuche der Judenfeindschaft II. Antisemitismus in Text und Bild - zwischen Kritik, Reflexion und Ambivalenz, 2019
In unterschiedlichen Medien und Genres, in der Literatur, der Musik oder der bildenden Kunst und ... more In unterschiedlichen Medien und Genres, in der Literatur, der Musik oder der bildenden Kunst und ebenfalls in populären Darstellungsformen wie der Karikatur, später auch in Filmen oder Comics, finden sich Ansätze zu einer Kritik, Verhandlungen des Themas Antisemitismus, die auf eine Distanz zur judenfeindlichen Aggression abzielen. Während eine breite Forschung dazu vorliegt, inwieweit diese Medien den modernen Antisemitismus beförderten, reproduzierten und mitproduzierten – die Karikatur etwa als eine Text-Bild-Gattung, in der Juden mit einer antijüdischen Physiognomie versehen und denunziert wurden und werden –, blieb weit weniger beachtet, welche Versuche es in diesen Medien ebenfalls gegeben hat und gibt, Judenfeindlichkeit mit kulturellen Mitteln aufzugreifen, um sie zu bekämpfen.
Beschreibungsversuche der Judenfeindschaft II. Antisemitismus in Text und Bild - zwischen Kritik, Reflexion und Ambivalenz, 2019
Die Beiträge des Bandes analysieren aus der Perspektive unterschiedlicher wissenschaftlicher Disz... more Die Beiträge des Bandes analysieren aus der Perspektive unterschiedlicher wissenschaftlicher Disziplinen künstlerisch-mediale Auseinandersetzungen mit dem Antisemitismus vor 1950. Im Zentrum steht die Frage, auf welche Weise jeweils Antisemitismus thematisiert, dargestellt und kritisiert wird. Allen Aufsätzen gemeinsam ist eine Orientierung am gegenwärtigen Stand transdisziplinärer Antisemitismusforschung. Die Analysen beziehen sich ebenso auf teilweise vergessene wie auch auf kanonisierte »Texte«, was im Sinne des erweiterten Textbegriffs Filme, Zeichnungen, Karikaturen, Comics etc. einschließt. Insgesamt wird so ein mehrsprachiges Korpus erfasst, das sich über einen Zeitraum erstreckt, der etwa mit Gotthold Ephraim Lessings Thematisierung antijüdischer Vorstellungen in seinem Drama »Die Juden« (1749) beginnt und bis zu Laura Z. Hobsons Roman »Gentleman’s Agreement« (1947) sowie dessen Verfilmung aus demselben Jahr reicht.
Schon etwa 150 Jahre vor der „Dialektik der Aufklärung“ begannen Wissenschaftler, darunter zahlre... more Schon etwa 150 Jahre vor der „Dialektik der Aufklärung“ begannen Wissenschaftler, darunter zahlreiche Jüdinnen und Juden, die moderne Judenfeindschaft begrifflich zu erfassen und zu erklären. Der vorliegende Band rekonstruiert erstmals viele dieser aus verschiedenen politischen Richtungen, gesellschaftlichen Bereichen und akademischen Disziplinen stammenden Erklärungsansätze. Sichtbar wird eine vielgestaltige Forschung, die bislang als Vorgeschichte heutiger Antisemitismustheorien kaum Berücksichtigung fand. Erkenntnisleitend für die Analysen ist die Frage, inwiefern es diesen Beschreibungsversuchen gelang, die herrschenden antisemitischen Vorurteile und Denkweisen zu überwinden und dabei Grundlagen für eine wissenschaftliche Auseinandersetzung zu formulieren. Zu den Autorinnen und Autoren der hier diskutierten Texte gehören u.a. Saul Ascher, Fritz Bernstein, Nathan Birnbaum, Isaac Breuer, Constantin Brunner, Christian Konrad Wilhelm von Dohm, Norbert Elias, Eduard Fuchs, Emma Goldman, Julius Goldstein, David Kaufmann, Bernard Lazare, Moritz Lazarus, Leo Trotzki, Mark Vishniak und Arnold Zweig.
Als antifaschistische Partei hat die Kommunistische Partei Deutschlands sich stets gegen Judenha... more Als antifaschistische Partei hat die Kommunistische Partei Deutschlands sich stets gegen Judenhass ausgesprochen, auch hat sie nationalsozialistische und völkische Parteien bekämpft. Trotzdem finden sich in der Tageszeitung der KPD, Die Rote Fahne, in allen Phasen der Weimarer Republik antisemitische Aussagen. Die Analyse der Zeitung zeigt, dass diese Aussagen zum einen mit dem spezifischen Nationalismus der KPD zusammenhängen, zum anderen auf einem fetischisierten und personifizierten Antikapitalismus basieren. Das »jüdische Kapital« erschien lediglich als eine besondere Gruppe innerhalb der Kapitalisten. Im Gegensatz dazu konstruierte die KPD das Kollektiv der »Arbeiter«. Das Selbstverständnis als »Arbeiter« prägte darüber hinaus den Antiintellektualismus wie auch den Antizionismus.
Am 19. Juni 1953 wurden Ethel und Julius Rosenberg in New York auf dem elektrischen Stuhl hingeri... more Am 19. Juni 1953 wurden Ethel und Julius Rosenberg in New York auf dem elektrischen Stuhl hingerichtet. Das Gericht hatte sie wegen Atomspionage für die Sowjetunion verurteilt. Der Fall erregte zu dieser Zeit weltweit Aufsehen. Viele Linke sahen in dem Ehepaar unschuldige Opfer des entfesselten Antikommunismus, der die McCarthy-Ära in den USA zu Beginn des Kalten Krieges prägte. Doch die Stimmung gegen die Rosenbergs und die beiden Mitangeklagten wurde auch durch antisemitische Vorstellungen über „jüdische Verräter“ angeheizt. Zugleich zeigt die Darstellung der beiden in den Medien, dass das Ehepaar Rosenberg als Gegenbild zu den herrschenden Geschlechterbildern entworfen wurde. Der Prozess wirft bis heute grundlegende Fragen auf. Das Buch erinnert an das Gerichtsverfahren, betrachtet seine Rezeption in Literatur und Film und zeichnet die Verschränkung von antikommunistischen, antisemitischen und sexistischen Vorstellungen nach.
Erscheint Juli 2016
Talks by Olaf Kistenmacher
Referat auf der Diskussionsveranstaltung mit Marcel Bois: Rot-braune Bündnisse? Zum Verhältnis vo... more Referat auf der Diskussionsveranstaltung mit Marcel Bois: Rot-braune Bündnisse? Zum Verhältnis von Kommunisten und Nationalsozialisten in der Weimarer Republik, am 27. April 2016 in Hamburg
Die KPD wollte keine Quer- oder Einheitsfront mit der extremen Rechten. Das Problem besteht auf einer anderen Ebene: In der Auseinandersetzung mit der NSDAP, aber auch unabhängig entwickelte die KPD einen »linken« Nationalismus und eigene, »linke« antisemitische Argumentationsweisen. Da die NSDAP keine antikapitalistische Partei war, sondern mit der Schwerindustrie war – und mit einem angeblich »jüdischen Kapital« –, galt sie der KPD auch nicht als eine nationale Partei. Die Auseinandersetzungen Ende der 1920er Jahre entsprachen dem gleichen Muster: zu versuchen, die Parteibasis der NSDAP von der Führung abzuspalten und »zurück« zu gewinnen. So bestand z. B. Walter Ulbrichts Reaktion auf einen antisemitischen Zwischenruf darin zu behaupten, die NSDAP-Führung fördere diese Bankiers noch.
Streng genommen werden in dem Vortrag zwei Themen behandelt. Das eine Thema ist die Bedeutung des... more Streng genommen werden in dem Vortrag zwei Themen behandelt. Das eine Thema ist die Bedeutung des Antisemitismus innerhalb der politischen Linken um das symbolträchtige Jahr 1968, das andere der Anschlag auf das Wohnheim der Israelitischen Kultusgemeinde in der Reichenbachstraße am 13. Februar 1970, ein Brandanschlag mit sieben Toten, der bis heute nicht aufgeklärt ist. Die Generalbundesanwaltschaft nahm zwar 2013 erneut Ermittlungen auf, stellte sie aber im November 2017 ohne Ergebnis wieder ein.
Nur wenige extreme Rechte leugnen, wie Ursula Haverbeck oder Horst Mahler, explizit die Shoah. Ei... more Nur wenige extreme Rechte leugnen, wie Ursula Haverbeck oder Horst Mahler, explizit die Shoah. Eine unterschwellige Form der Holocaust-Leugnung, die eher der Form der Holocaust-Relativierung annimmt, ist hingegen viel verbreiteter. [...] Sehr bald werde ich zu der Gegenfrage kommen, mit der ich mich, als Historiker, als Gedenkstättenpädagoge und Bildungsreferent, seit Jahren intensiv beschäftige: Was erwarten wir uns eigentlich davon, dass Menschen den Holocaust nicht leugnen? Dazu zwei Thesen:
1. These: Ich denke, wir erwarten uns davon, dass Menschen gleichfalls die einmalige Bedeutung, die Singularität, der Shoah verstehen und anerkennen. [...]
2. These: Im Bildungsbereich besteht nach wie vor die Hoffnung, die Auseinandersetzung mit den Verbrechen der Nationalsozialisten führe automatisch zu einer selbstkritischen Auseinandersetzung mit eigenen Ressentiments und beuge so rechtsextremen, rassistischen und antisemitischen Ressentiments vor. [...] Heute Abend werde ich Ihnen nicht nur zeigen, warum das nicht unbedingt gelingen muss, sondern auch warum gerade die Anerkennung der Shoah zu einer neuen Form der Judenfeindschaft führt, dem Schuldabwehr-Antisemitismus.
So kam Luxemburg auf dem Gründungsparteitag der KPD zu dem Schluss, dass "die Revolution des 9. N... more So kam Luxemburg auf dem Gründungsparteitag der KPD zu dem Schluss, dass "die Revolution des 9. November vor allem eine politische Revolution war, während sie doch in der Hauptsache noch eine ökonomische werden muß". Dass in Deutschland 1918 keine sozialistische Revolution erfolgte, wirkte auch zurück auf die Kommunistische Internationale. Denn die Hoffnung, die noch bis 1923 aufrechterhalten wurde, besagte, nach einer Revolution in Deutschland würden andere Länder folgen, und so würde es zu einer Weltrevolution kommen. Das ist nicht passiert. Nach 1923 konzentrierte sich die Komintern auf den "Aufbau des Sozialismus in einem Lande".
auf der Tagung "Fragiler Konsens. Antisemitismuskritische Bildungsarbeit in der Migrationsgesells... more auf der Tagung "Fragiler Konsens. Antisemitismuskritische Bildungsarbeit in der Migrationsgesellschaft", 11. November 2017, Bildungsstätte Anne Frank, Frankfurt am Main
on the conference Antisemitism in Europe. Cross‐Front Antisemitism, Conspiracy Theories, Calls fo... more on the conference Antisemitism in Europe. Cross‐Front Antisemitism, Conspiracy Theories, Calls for Boycotts, Islamism, the Extreme Right and the Left, 12/13 December 2015 in Berlin
In my view, it is misleading to perceive the line of the German Communist party as a National Bolshevist policy, because the KPD did not want to build a coalition with the NSDAP, or with the German bourgeoisie. However, the KPD presented itself as both a national and a Bolshevik party, and wanted to recruit Nazi party rank-and-file members. So the KPD used antisemitic arguments in a specific »antifascist« context and claimed that the Nazi leaders would work together with the »Jewish capital«. In a situation in which a populist and antisemitic movement gained support and the threat to Jewish people increased, the KPD reacted not only with a lack of solidarity, but rather with the antisemitic allegation that the »Jews« themselves were to blame for this development. From this portrayal the communists of the Weimar Republic were intended to recognize that they had two enemies: the National-Socialists and »Jewish capital«.
Book Reviews by Olaf Kistenmacher
haGalil, 2024
Unweigerlich belegt Grafs Biografie, was er anfangs als abwegig bestreitet: Langfristig lassen si... more Unweigerlich belegt Grafs Biografie, was er anfangs als abwegig bestreitet: Langfristig lassen sich eine parteikommunistische und eine jüdische Identität nicht vereinen. Während für eine deutsche, französische oder christliche Identität und einem kommunistischen Selbstverständnis kein Ausschlussverhältnis besteht, mussten und müssen sich Jüdinnen und Juden entscheiden. Während die Kommunistische Internationale seit den 1920er Jahren weltweit sogenannte nationale Befreiungsbewegungen unterstützte, galt das für den Zionismus nur für eine winzige Zeitspanne um 1948. Die Ursachen des linken Antizionismus kann man nicht erkennen, wenn man die Ergebnisse zahlreicher Studien zum Antisemitismus in der Linken, die seit den 1990er Jahren vorliegen, nicht berücksichtigt. Zu der Unvereinbarkeit von jüdischer und kommunistischer Identität gehört auch, dass in offiziellen parteikommunistischen Positionen das Leid von Jüdinnen und Juden nicht wirklich anerkannt wird. Selbst bei dem Zivilisationsbruch der Shoah.
Jungle World, 2024
Zwei Jahre bevor William Henry Fox Talbot 1839 seine "photogenischen Zeichnungen" vorstellte, sol... more Zwei Jahre bevor William Henry Fox Talbot 1839 seine "photogenischen Zeichnungen" vorstellte, soll der Mineraloge und Chemiker Franz von Kobell in München die Frauenkirche abgelichtet und auf Papier fixiert haben. Das Bild war schon bekannt, nicht aber, dass es tatsächlich so alt ist.
Vergessen waren die ersten deutschen Fotografien nie. Als Beaumont Newhall für das Modern Museum of Art aus Anlass des 100. Geburtstags der Fotografie eine Ausstellung in New York City kuratierte, wusste er von Kobell und Steinheil. In seinem berühmten Werk "Latent Image. The Discovery of Photography" schrieb er 1967, deren Aufnahmen, "die ersten, die in Deutschland gemacht wurden, befinden sich mittlerweile im Deutschen Museum in München".
Sehepunkte, 2024
Man könnte geneigt sein, den Fokus auf Hessen mit Gewalttaten und Vorfällen aus der jüngeren Verg... more Man könnte geneigt sein, den Fokus auf Hessen mit Gewalttaten und Vorfällen aus der jüngeren Vergangenheit zu erklären: dem rassistischen Amoklauf in Hanau 2020, dem Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke 2019 oder der bis heute unaufgeklärten Rolle, die die Frankfurter Polizei 2018 bei den Drohschreiben des sogenannten NSU 2.0 gespielt hat. Doch der Fokus auf Hessen hat weiter zurückreichende Gründe. [...] Obwohl die Autorin und der Autor stets die ganze (west-)deutsche Neonazi-Szene im Blick haben, bleibt trotzdem offen, was sich außerhalb Hessens mit ihrer Studie in der politischen Bildung oder im Geschichts- oder Politikunterricht anfangen lässt. Denn eigentlich bräuchte es für jedes Bundesland eine entsprechende Überblicksstudie über die Geschichte rechten Terrors - und der oft ideologisch aufgeladenen politischen Debatten, die diese Gewalt stets aufs Neue befeuern.
Jungle World, 2024
Eine Biographie des Kommunisten Otto Heller war überfällig. Sein Mut war atemberaubend; das Graue... more Eine Biographie des Kommunisten Otto Heller war überfällig. Sein Mut war atemberaubend; das Grauen, das sein Leben überschattete, wird für immer unvorstellbar bleiben. [...] Noch in Auschwitz leistete der aus einer jüdischen Familie stammende Heller in der Gruppe um Bruno Baum Widerstand gegen die nationalsozialistische Vernichtung. Ungewöhnlich ist seine intensive Beschäftigung mit dem, was sogar Juden und Linke zu jener Zeit als "Judenfrage" bezeichneten. [...] Tom Navon liest Hellers Buch nicht als Verlautbarung der KPD, sondern als den Beginn einer sehr persönlichen Auseinandersetzung mit seiner jüdischen Identität. Aus einem "nichtjüdischen Juden", wie Isaac Deutscher Linke wie Heller später nannte, sei, so Navon, mit der Zeit ein "außergewöhnlich jüdischer 'nichtjüdischer Jude'" geworden.
Jungle World, 2024
[Ludwig Wittgensteins] jetzt erschienenen Briefe an den Medizinstudenten und Arzt Ben Richards z... more [Ludwig Wittgensteins] jetzt erschienenen Briefe an den Medizinstudenten und Arzt Ben Richards zeigen einen von Selbstzweifeln gequälten Menschen. In einem erschütternden Brief rechtfertigte er sich für den Vorschlag, die beiden könnten sich auf einer Schiffsreise eine gemeinsame Kabine nehmen. "Ich dachte (dummerweise), dass es Dir auch nichts ausmachen würde, sie zu teilen, wenn es mit mir wäre." Leider sind Richards Antworten in vielen Fällen nicht erhalten. So ist nicht völlig klar, ob er wirklich reserviert reagiert hatte – oder Wittgenstein ihm grundlos misstraute.
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Books by Olaf Kistenmacher
Die vorliegende kleine Expertise geht einerseits weit über ihr eigentliches Thema hinaus, indem sie nicht allein die Neue Rechte in den Blick nimmt, sondern an einem Beispiel – den rechten Aufmärschen in Chemnitz 2018 – gesellschaftliche Zusammenhänge skizziert, in denen sie wirken können. So soll vermieden werden, dem eingangs genannten Selbstbild einer intellektuellen Avantgarde auf den Leim zu gehen. Andererseits muss diese Expertise aus Platzgründen unvollständig bleiben. Zusätzlich zu den beschriebenen Mustern – Verschwörungsnarrative, Erinnerungs- und Schuldabwehr, identitäre Konstruktionen – müsste noch der Antisemitismus im Zusammenhang mit einem "völkischen Antikapitalismus" berücksichtig werden, der das "Compact-Magazin" prägt und auch im "Flügel" der AfD prominente Anhänger*innen hat.
Erscheint Juli 2016
Talks by Olaf Kistenmacher
Die KPD wollte keine Quer- oder Einheitsfront mit der extremen Rechten. Das Problem besteht auf einer anderen Ebene: In der Auseinandersetzung mit der NSDAP, aber auch unabhängig entwickelte die KPD einen »linken« Nationalismus und eigene, »linke« antisemitische Argumentationsweisen. Da die NSDAP keine antikapitalistische Partei war, sondern mit der Schwerindustrie war – und mit einem angeblich »jüdischen Kapital« –, galt sie der KPD auch nicht als eine nationale Partei. Die Auseinandersetzungen Ende der 1920er Jahre entsprachen dem gleichen Muster: zu versuchen, die Parteibasis der NSDAP von der Führung abzuspalten und »zurück« zu gewinnen. So bestand z. B. Walter Ulbrichts Reaktion auf einen antisemitischen Zwischenruf darin zu behaupten, die NSDAP-Führung fördere diese Bankiers noch.
1. These: Ich denke, wir erwarten uns davon, dass Menschen gleichfalls die einmalige Bedeutung, die Singularität, der Shoah verstehen und anerkennen. [...]
2. These: Im Bildungsbereich besteht nach wie vor die Hoffnung, die Auseinandersetzung mit den Verbrechen der Nationalsozialisten führe automatisch zu einer selbstkritischen Auseinandersetzung mit eigenen Ressentiments und beuge so rechtsextremen, rassistischen und antisemitischen Ressentiments vor. [...] Heute Abend werde ich Ihnen nicht nur zeigen, warum das nicht unbedingt gelingen muss, sondern auch warum gerade die Anerkennung der Shoah zu einer neuen Form der Judenfeindschaft führt, dem Schuldabwehr-Antisemitismus.
In my view, it is misleading to perceive the line of the German Communist party as a National Bolshevist policy, because the KPD did not want to build a coalition with the NSDAP, or with the German bourgeoisie. However, the KPD presented itself as both a national and a Bolshevik party, and wanted to recruit Nazi party rank-and-file members. So the KPD used antisemitic arguments in a specific »antifascist« context and claimed that the Nazi leaders would work together with the »Jewish capital«. In a situation in which a populist and antisemitic movement gained support and the threat to Jewish people increased, the KPD reacted not only with a lack of solidarity, but rather with the antisemitic allegation that the »Jews« themselves were to blame for this development. From this portrayal the communists of the Weimar Republic were intended to recognize that they had two enemies: the National-Socialists and »Jewish capital«.
Book Reviews by Olaf Kistenmacher
Vergessen waren die ersten deutschen Fotografien nie. Als Beaumont Newhall für das Modern Museum of Art aus Anlass des 100. Geburtstags der Fotografie eine Ausstellung in New York City kuratierte, wusste er von Kobell und Steinheil. In seinem berühmten Werk "Latent Image. The Discovery of Photography" schrieb er 1967, deren Aufnahmen, "die ersten, die in Deutschland gemacht wurden, befinden sich mittlerweile im Deutschen Museum in München".
Die vorliegende kleine Expertise geht einerseits weit über ihr eigentliches Thema hinaus, indem sie nicht allein die Neue Rechte in den Blick nimmt, sondern an einem Beispiel – den rechten Aufmärschen in Chemnitz 2018 – gesellschaftliche Zusammenhänge skizziert, in denen sie wirken können. So soll vermieden werden, dem eingangs genannten Selbstbild einer intellektuellen Avantgarde auf den Leim zu gehen. Andererseits muss diese Expertise aus Platzgründen unvollständig bleiben. Zusätzlich zu den beschriebenen Mustern – Verschwörungsnarrative, Erinnerungs- und Schuldabwehr, identitäre Konstruktionen – müsste noch der Antisemitismus im Zusammenhang mit einem "völkischen Antikapitalismus" berücksichtig werden, der das "Compact-Magazin" prägt und auch im "Flügel" der AfD prominente Anhänger*innen hat.
Erscheint Juli 2016
Die KPD wollte keine Quer- oder Einheitsfront mit der extremen Rechten. Das Problem besteht auf einer anderen Ebene: In der Auseinandersetzung mit der NSDAP, aber auch unabhängig entwickelte die KPD einen »linken« Nationalismus und eigene, »linke« antisemitische Argumentationsweisen. Da die NSDAP keine antikapitalistische Partei war, sondern mit der Schwerindustrie war – und mit einem angeblich »jüdischen Kapital« –, galt sie der KPD auch nicht als eine nationale Partei. Die Auseinandersetzungen Ende der 1920er Jahre entsprachen dem gleichen Muster: zu versuchen, die Parteibasis der NSDAP von der Führung abzuspalten und »zurück« zu gewinnen. So bestand z. B. Walter Ulbrichts Reaktion auf einen antisemitischen Zwischenruf darin zu behaupten, die NSDAP-Führung fördere diese Bankiers noch.
1. These: Ich denke, wir erwarten uns davon, dass Menschen gleichfalls die einmalige Bedeutung, die Singularität, der Shoah verstehen und anerkennen. [...]
2. These: Im Bildungsbereich besteht nach wie vor die Hoffnung, die Auseinandersetzung mit den Verbrechen der Nationalsozialisten führe automatisch zu einer selbstkritischen Auseinandersetzung mit eigenen Ressentiments und beuge so rechtsextremen, rassistischen und antisemitischen Ressentiments vor. [...] Heute Abend werde ich Ihnen nicht nur zeigen, warum das nicht unbedingt gelingen muss, sondern auch warum gerade die Anerkennung der Shoah zu einer neuen Form der Judenfeindschaft führt, dem Schuldabwehr-Antisemitismus.
In my view, it is misleading to perceive the line of the German Communist party as a National Bolshevist policy, because the KPD did not want to build a coalition with the NSDAP, or with the German bourgeoisie. However, the KPD presented itself as both a national and a Bolshevik party, and wanted to recruit Nazi party rank-and-file members. So the KPD used antisemitic arguments in a specific »antifascist« context and claimed that the Nazi leaders would work together with the »Jewish capital«. In a situation in which a populist and antisemitic movement gained support and the threat to Jewish people increased, the KPD reacted not only with a lack of solidarity, but rather with the antisemitic allegation that the »Jews« themselves were to blame for this development. From this portrayal the communists of the Weimar Republic were intended to recognize that they had two enemies: the National-Socialists and »Jewish capital«.
Vergessen waren die ersten deutschen Fotografien nie. Als Beaumont Newhall für das Modern Museum of Art aus Anlass des 100. Geburtstags der Fotografie eine Ausstellung in New York City kuratierte, wusste er von Kobell und Steinheil. In seinem berühmten Werk "Latent Image. The Discovery of Photography" schrieb er 1967, deren Aufnahmen, "die ersten, die in Deutschland gemacht wurden, befinden sich mittlerweile im Deutschen Museum in München".
Dabei wird deutlich, dass der Anarchismus zwar einerseits durchaus – wie die gesamte linke Tradition – antisemitische Denkmuster zeigt, anderseits aber nicht wenige VertreterInnen aufweist, die früh den Antisemitismus kritisiert und sich dem Zionismus gegenüber offen gezeigt haben, was sie nicht unerheblich von den Positionen ihrer aktuellen Nachfahren abhebt.
Einer der „frühesten Historiker des Judenhasses“ kam aus der französischen libertären Bewegung. Er ist heute weitgehend vergessen. Bernard Lazare (1865–1903) veröffentlichte 1894 seine 400 Seiten starke Untersuchung "L‘antisémitisme, son histoire et ses causes", dem weitere Werke folgen sollten. Als Anarchist beschäftigte sich Lazare nicht nur wissenschaftlich mit der Judenfeindschaft, sondern engagierte sich auch politisch. Er war einer der ersten, die sich in der Dreyfusaffäre für Alfred Dreyfus aussprachen.
Während diese historischen Darstellungen nach wie vor Gültigkeit beanspruchen können, offenbaren andere Beiträge ein grundsätzliches Dilemma. In ihnen versuchen die Autorinnen und Autoren, für die Gegenwart eine klare Grenze zwischen einer zulässigen Kritik an der Politik bestimmter israelischer Regierungen, im Titel des Jahrbuchs "Israelkritik" genannt, und dem Antisemitismus zu ziehen. Diese Beiträge zeigen jedoch, inwieweit jeder Versuch, "den Nahost-Konflikt" kurz und scheinbar objektiv darstellen zu wollen, eine Wertung impliziert.
Der Kritik, an die dieses Buch erinnert, war kein Erfolg beschieden. Erfolg hätte zum Beispiel bedeutet, dass die KPD nach Clara Zetkins Warnungen 1924 selbstkritisch ihre Fehler aufgearbeitet und korrigiert hätte. Das passierte nicht. Zetkin hatte dazu aufgerufen, zu faschistischen und antisemitischen Gruppen eindeutig Distanz zu wahren. Doch sie und andere mussten 1930 verstört zur Kenntnis nehmen, dass erneut, wie sie an Freundinnen schrieb, "die Grenzlinien zwischen uns und den Nazis verwischt" wurden. Es war nicht die KPD, die vorsichtiger geworden war. Es war Zetkin, die sich zurückzog und ihre Kritik nur noch privat äußerte.
PS. Der 7. Oktober 2023 stellt auch für die Pädagogik gegen Antisemitismus eine Zäsur dar. Der Terrorangriff bestätigt nicht nur, wie wichtig es stets gewesen ist, sich kritisch mit der Hamas, ihrer Ideologie und Politik auseinanderzusetzen. Die weltweiten Reaktionen zeigen auch, dass unsere erste Aufgabe in Bezug auf den Überfall der Hamas von nun an darin bestehen muss, daran zu erinnern, dass all die Menschen - Israelis wie Nichtisraelis -, die am 7. Oktober durch die Hamas, Islamischer Dschihad und andere Gruppen ermordet, überfallen, vergewaltigt und verschleppt wurden, unschuldige Opfer sind.
Das trennt Hannah Arendt von all denen, die heute so tun, als hätte der derzeitige Krieg nicht am 7. Oktober, sondern grundlos am Tag danach begonnen.
gegen die jüdische Seite vom Klassenkampfstandpunkt abwende. K. brachte den Antizionismus auch mit einer antisemitischen Grundstimmung innerhalb des Führungsgremiums der KPD in Zusammenhang.
"#Rentner raus aus #Deutschland, #Migranten rein. Und kräftig dafür werben. Wie nennt man das, #zeitonline?", fragt Max Otte, Kuratoriumsvorsitzender der AfD-nahen Erasmus-Rotterdam-Stiftung, rhetorisch am 20. September 2020 auf Twitter. Und antwortet sich selbst: "Bevölkerungsaus... Ich schreibe das Wort nicht aus. Das geht ja gar nicht. Das wäre ja eine #Verschwörungstheorie." Das kurze Zitat vereint mehrere Motive, die für die aktuelle Dynamik von Rechtspopulismus und Rechtsextremismus bedeutsam sind.
Die deutsche Linke ist nicht gegen Krieg. Sonst würde sie seit dem 24. Februar 2022 regelmäßig zu großen Demonstrationen aufrufen, die mit einer simplen Forderung starten: Russland soll sich sofort und bedingungslos aus der Ukraine zurückziehen. Seit dem 7. Oktober 2023 ist auch unübersehbar, dass nicht einmal Morde an Kindern antiimperialistische Linke davon abhalten, wie die "Junge Welt" nach dem Terrorangriff der Hamas, die "beispiellose Offensive" des "palästinensischen Widerstands" zu feiern und zu jubeln: "Gaza schlägt zurück".
Als die US-amerikanische Anarchistin Emma Goldman vor 100 Jahren den ersten Versuch unternahm, ihre Enttäuschung über die Revolution in Russland zu erklären, richtete sich ihre Kritik auch gegen die "Zwangsarbeit" unter den Bolschewiki. [...] Grundsätzlich war, so Goldman, die Ausbeutung in Russland nicht aufgehoben worden. An die Stelle der "bürgerlichen Schmarotzer" sei lediglich der "Apparat des bolschewistischen Schmarotzertums" getreten.
(Dieser Beitrag sollte ursprünglich in dem von Sina Arnold, Saba-Nur Cheema und Meron Mendel herausgegebenen Band "Frenemies. Antisemitismus, Rassismus und ihre Kritiker*innen" erscheinen.)
Eine solche Sichtweise auf die imperialistische Politik hat Rosa Luxemburg bereits vor über 100 Jahren kritisiert: "Die imperialistische Politik ist nicht das Werk irgendeines oder einiger Staaten", schrieb sie während des Ersten Weltkriegs in der Broschüre "Die Krise der Sozialdemokratie", "sie ist das Produkt eines bestimmten Reifegrads in der Weltentwicklung des Kapitals, eine von Hause aus internationale Erscheinung, ein unteilbares Ganzes, das nur in allen seinen Wechselbeziehungen erkennbar ist und dem sich kein einzelner Staat zu entziehen vermag."
English version in http://www.engageonline.org.uk/journal/index.php?journal_id=12&article_id=45
antisemitische Bewegungen bekämpft. Beim Antisemitismus in der Linken handelt es sich also um eine Variante des latenten, nicht offenkundigen, Antisemitismus. [...] Ein häufiger Streitpunkt ist, ob antisemitische Aussagen oder Handlungen in der Linken genuin linke Ursachen haben.