Zum Mai 1891
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Zum Mai 1891.
Ihr zwingt uns, ungezählte Tage,
Mit Euch als heilig zu begeh’n,
Obwohl wir Eurer frommen Sage
Entfremdet gegenübersteh’n,
Des Herzens Meinung lesen mag ―
So laßt nun auch den Arbeitsbienen
Den einen eignen Feiertag!
Wir müssen ruh’n zum Ruhm von Tagen,
Indeß das Angesicht mit Klagen
Der Menschheit Genius verhüllt;
Uns lassen kalt die hohen Masten,
Geschmückt mit Grün aus stillem Hag ―
An seinem eignen Feiertag!
Dem Lenz soll unsre Feier gelten,
Der überall sein Banner schwingt,
Dem Lenz, dem unter grünen Zelten
Sie gilt dem heil’gen, sichern Frieden,
In welchem Volk an Volk sich schmiegt,
Und der erst dann der Welt beschieden,
Wenn uns’re Sache obgesiegt.
Die Massen, die mit fleiß’ger Hand
Geschäftig durcheinander wühlen
Vom Fels zum Meer in jedem Land,
Und ob der Bruder-Sprache Klingen
Sie sollen lächelnd überspringen
Den bunten Schlagbaum, der sie trennt.
Es geht durch Millionen Herzen
Der Trost an diesem Maientag,
Man heben kann mit einem Schlag,
Daß, wenn der Arbeitstag gebunden,
Wie es den Schaffenden gebührt,
Damit der sich’re Weg gefunden,
Wir wollen gern und freudig schaffen
Und fordern keine Schlemmerkost,
Doch in der Mühsal frißt die Waffen
Des Geistes unvermerkt der Rost.
Und ihre Seele ruft in Pein:
Wir waren lang genug Maschinen,
Wir wollen endlich Menschen sein!
Und wenn sie zehnmal ab es schlügen
Den Tag, an dem sie stumm sich fügen,
Erlebt das Volk der Arbeit schon.
Da wir vor allen Menschenrechten
Das heiligste in Kampf und Noth
So sind wir stärker als der Tod!
R.L.