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Frühling (Lavant)

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
Autor: Rudolf Lavant
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Titel: Frühling
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aus: Der Wahre Jacob
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1893
Verlag: J. H. W. Dietz
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Erscheinungsort: Stuttgart
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Quelle: Scan
Kurzbeschreibung:
Der Wahre Jacob, Nr. 175, Seite 1445
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[1445]

Frühling.

Erwartungsvoll, ob schon die Amsel pfeife,
Ob nach dem Regen Grün hervorgekommen,
Hab’ ich gemächlich schlendernd eine Streife
Im kahlen Laubwald einsam vorgenommen.

5
Ich sah ihn kürzlich noch in Schnee und Eise,

Als rauh daher von Nord die Winde fuhren:
Nun träumt’ er noch und athmete noch leise,
Doch überall fand ich des Frühlings Spuren.

In alle Zweige war der Saft gestiegen,

10
Man sah, daß Blättchen in den Knospen schliefen;

Es schien ein röthlich-warmer Ton zu liegen
Auf all’ den Stämmen in des Waldes Tiefen;
Es grüßte mich herüber aus den Auen
Das matte Gelb, das freundliche, der Weide

15
Und jeder Busch am Wasser war zu schauen

Voll silbergrauer Kätzchen, weich wie Seide.

Und da und dort hob aus dem dunklen Grunde
Bescheiden sich des Schnees Sterbeglöckchen
Und grüßte lieb und schüchtern in die Runde

20
In seinem weißen, grüngestreiften Röckchen;

Und daß im stillen, wintermüden Reiche
Auch nicht der Klang, auch nicht die Stimme fehle,
Sang in dem höchsten Wipfel einer Eiche
Ein Vogel, weiß von Brust und weiß von Kehle.

25
Er saß so recht im warmen Sonnenscheine

Auf schwankem Aestchen, mit den kleinen Füßen
Es fest umklammernd, und der tapfre Kleine
Schien mir den Frühling jubelnd zu begrüßen.
Ihm war vor Wintersturm und Wintergrimme

30
Beim warmen Sonnenkuß nicht länger bange

Und immer heller, lauter ward die Stimme,
Und seiner schlichten Weise lauscht’ ich lange.

Und als ich heimwärts schritt im Abendgrauen,
Verloren sich von meiner Stirn die Falten.

35
Ich sagte mir: „Ist wenig auch zu schauen ―

Der Lenz ist dennoch nicht mehr aufzuhalten!
Sieghaft und glorreich wird es sich vollenden,
Das jetzt beginnt, das Knospen und das Sprießen,
Bis die belaubten Kronen aller Enden

40
Zu grünem Dome sich zusammenschließen.“


Und rastlos weiter hab’ ich dann gesonnen:
„Bis Frühlingsanfang sind auch wir gediehen.
Der große Völkerlenz ― er hat begonnen
Und sieghaft, glorreich wird er sich vollziehen;

45
Denn Grimm und Tücke wird an ihm zu Schanden;

Wie sie sich stemmen auch ― wir werden’s zwingen
Und in gewalt’gem Chor in allen Landen
Das Hohelied des Rechts, der Freiheit singen!“
                                                                                R.L.