Ulli Lust
Ulli Lust[1] (* 31. August[2] 1967 in Wien) ist eine österreichische Comiczeichnerin, Illustratorin und Online-Verlegerin (electrocomics). Sie zählt zu den wichtigsten deutschsprachigen Comiczeichnern und gilt als eine Vertreterin des „dokumentarischen Comics“.[3]
Biographie
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Ulli Lust begann in Wien eine Lehre als Design- und Modezeichnerin an der HTBLVA für Textilindustrie, Spengergasse, ohne die Ausbildung zu beenden und illustrierte anschließend einige Kinderbücher. Seit 1998 publiziert sie unter dem Namen Lust, dem Geburtsnamen ihrer Mutter. An der Kunsthochschule Berlin-Weißensee studierte sie mit Ende 20 Graphikdesign und absolvierte dieses Studium erfolgreich.
Lust zeichnet Comicreportagen, die auf einer genauen journalistischen Recherche gründen, wie zum Beispiel einen Bericht über die aussterbende DDR-Plattenbausiedlung Halle-Neustadt oder auch die monatliche Bildkolumne in der Berliner Stadtzeitung Scheinschlag. Sie gibt Beobachtungen „aus der Gesellschaft“ wieder. Ein anderes Gebiet sind die erotisch-mythologischen Erzählungen der Reihe springpoems, die als Fruchtbarkeitsritual in Comicform zu verstehen sind und einer prähistorischen Mythologie nachempfunden sind.
Gemeinsam mit Kai Pfeiffer hat sie die Comicreportagenprojekte der Zeichnergruppe Monogatari – deren Gründungsmitglied sie auch ist – initiiert und war mit Zeichnungen zum Buch Berlin-Helmholtzplatz 1998 + 2004 an der Ausstellung Tauchfahrten – Zeichnung als Reportage beteiligt (Kunstverein Hannover 2004, Kunsthalle Düsseldorf 2005). Die Gruppe Monogatari wurde 2005 aufgelöst.
Ihre Comicreportage über die Luzerner Totenbrücke wurde im Juni 2005 von Le Monde diplomatique veröffentlicht. Im Juni 2005 startete sie ihren Online-Verlag electrocomics, der E-Books und Comic-Strips von immer mehr internationalen Comiczeichnern und Bilderzählern publiziert. 2006 erhielt sie für dieses Projekt den ICOM-Sonderpreis der Jury.
2008 veröffentlichte sie Fashionvictims, Trendverächter, Minireportagen & Bildkolumnen aus Berlin beim Berliner avant-Verlag sowie Kurzgeschichten in den Anthologien Pomme d’Amour. 7 Geschichten von der Liebe, Strapazin Nr. 91 und Spring Nr. 5. Die Bildergeschichte Airpussy (a hairraising ritual for spring to come) folgte 2009 beim belgischen Comicverlag l’employé du Moi.
Im Herbst 2009 erschien Lusts autobiographischer Comic-Roman Heute ist der letzte Tag vom Rest deines Lebens beim deutschen avant-Verlag. Das Buch umfasst über 450 Seiten, die Autorin hatte fast fünf Jahre lang daran gearbeitet. Sie zeichnete jeweils eine Seite in zwei bis drei Tagen.[4] Der Comic-Spezialist der FAZ-Redaktion, Andreas Platthaus, empfand es als eine „Sensation“,[1] und in 3sat Kulturzeit wurde es als ein „feministisches Statement“ bezeichnet.[5] Für den Band erhielt sie den ICOM-Preis 2010[6] für die beste deutsche Comicpublikation sowie den Max-und-Moritz-Publikumspreis des Erlanger Comicsalons 2010,[7] den Artémisia-Preis 2011[8] und den Prix révélation des Festival International de la Bande Dessinée d’Angoulême 2011.[9] Die amerikanische Ausgabe des Buches Today is the last day of the rest of your life (Übersetzung: Kim Thompson, Fantagraphics 2013) wurde für alle wichtigen amerikanischen Preise nominiert und gewann zwei davon, den Ignatz Award 2013 und den Los Angeles Times Book Award 2014.
2013 erschien die Graphic Novel Flughunde, eine Adaption des gleichnamigen Romans von Marcel Beyer im Suhrkamp Verlag. 2017 folgte im gleichen Verlag Wie ich versuchte, ein guter Mensch zu sein, erneut eine autobiografische Erzählung aus Lusts Jugend, nun über ihre Liebe zu zwei Männern in den 1990er Jahren. Das Buch wurde 2018 mit dem Max-und-Moritz-Preis für den besten deutschsprachigen Comic ausgezeichnet. Die Geschichte dringe „Tabu- und schonungslos […] in dunkelste Abgründe“ ein und verknüpfe ihre persönlichen Erfahrungen mit „großen Themen: Liebe und Sex über Alters- und Kulturgrenzen hinweg, die sexuelle Selbstbestimmung der Frau, alternative Familien- und Beziehungsmodelle, ethnische Vorurteile, Flüchtlingspolitik und der Traum von einer anderen Gesellschaft.“[10]
Ulli Lust lebt und arbeitet seit 1995 in Berlin, Prenzlauer Berg, und hat einen erwachsenen Sohn.[1] Sie ist Professorin an der Hochschule Hannover. Dort lehrt sie Zeichnung und Comic im Studiengang Visuelle Kommunikation.
Veröffentlichungen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Marco und der Drache, Der Kinderbuchverlag, Berlin 1993, Text von Käthe Recheis, Friedl Hofbauer,
- Fee Fledermaus, Tyrolia, Innsbruck 1994, Text von Käthe Recheis, Friedl Hofbauer,
- Ein Stück Himmelblau, Tyrolia, Innsbruck 1995, Text von Thomas Declaude.
- Berlin-Helmholtzplatz 1998 + 2004, Popular Books, Berlin
- Spring Poems 01 bis 05, Monogatari, Berlin 1998–2004
- Alltagsspionage – Comicreportagen aus Berlin, Monogatari, Berlin 2001
- 6 × 6 Pinups. Siebdruck-Ringbuch, Monogatari, Berlin 2001.
- Operation Läckerli – Comicreportagen aus Basel, Monogatari, Berlin 2004, ISBN 3-907055-83-7
- Fashionvictims, Trendverächter, Minireportagen & Bildkolumnen aus Berlin, Avant, Berlin 2008, ISBN 978-3-939080-32-9
- Pomme d'Amour. 7 Geschichten über die Liebe, Die Biblyothek, Leipzig 2008, ISBN 978-3-9810480-7-0, mit Beiträgen von Paz Boïra, Verena Braun, Élodie Durand, Claire Lenkova, Ulli Lust, Laureline Michon, Barbara Yelin[11]
- Airpussy, L’employé du Moi, Brüssel 2009, ISBN 978-2-930360-26-3
- Heute ist der letzte Tag vom Rest deines Lebens, Avant, Berlin 2009, ISBN 978-3-939080-36-7
- Wer bleibt 1-2, Hamburger Automatenverlag, Hamburg 2010, ISBN 978-3-942274-01-2 und ISBN 978-3-942274-08-1
- Flughunde, Suhrkamp, Berlin 2013, ISBN 978-3-518-46426-7, Text nach Marcel Beyer.
- Wie ich versuchte, ein guter Mensch zu sein, Suhrkamp, Berlin 2017, ISBN 978-3-518-46813-5
Auszeichnungen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- 2006: ICOM Independent Comic Preis, Kategorie Sonderpreis der Jury, für ihren online-Verlag electrocomics
- 2009: Freistil online, Kategorie Bester deutscher Comic, für Heute ist der letzte Tag vom Rest deines Lebens [12]
- 2010: Max-und-Moritz-Preis, Kategorie Publikumspreis, für Heute ist der letzte Tag vom Rest deines Lebens
- 2010: ICOM Independent Comic Preis, Kategorie Bester Independent Comic, für Heute ist der letzte Tag vom Rest deines Lebens
- 2011: Prix révélation des Festival International de la Bande Dessinée d’Angoulême
- 2013: Artémisia-Preis, für Trop n’est pas assez
- 2013: Ignatz Award, für Today is the last day of the rest of your life, Fantagraphics, USA[13]
- 2013: Urhunden Award, für Idag är sista dagen på resten av ditt liv, Kolig Förlag, Schweden[14]
- 2014: Los Angeles Times Book Prize 2013, Kategorie Graphic Novels / Comics, für Today is the last day of the rest of your life[15]
- 2014: Max-und-Moritz-Preis, Kategorie Beste deutschsprachige Comic-Künstlerin[16]
- 2018: Max-und-Moritz-Preis, Kategorie Bester deutschsprachiger Comic[10]
- 2018 Rudolph-Dirks-Award, Kategorie Beste Publikation (Romance/Love Story), für Wie ich versuchte, ein guter Mensch zu sein
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Judith Denkmayr: Die Comicreportage. Diplomarbeit der Universität Wien 2008, darin eine Analyse von Ulli Lusts Comicreportage „Wer bleibt“, S. 156–164, Online-Text, (PDF-Datei, 763,5 kB)
Filme
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Intensive Grenzerfahrung. Ulli Lusts feministischer Punk-Comic. Fernseh-Porträt, Deutschland, 2009, 5:24 Min., Regie: Lotar Schüler, Produktion: 3sat Kulturzeit, Filmtext in 3sat
- Der dokumentarische Comic. Zwei Film-Reportagen, Deutschland, 2009, Regie: Andreas Platthaus, Andreas Brand, Produktion: FAZ, Online-Videos
- Angoulême: Ulli Lust, die Entdeckung. Fernseh-Portrait, ARTE, 2011, 3:53 min, von Sven Waskönig.
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Internetpräsenz von Ulli Lust
- Ulli Lust beim avant-verlag
- Ulli Lust beim Suhrkamp Verlag
- Ulli Lust bei Lambiek
- 15 Fragen an – Ulli Lust, Tagesspiegel, 18. November 2010
- Bericht zur Flughunde-Lesung von Ulli Lust in Hannover im Herbst 2013
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ a b c Andreas Platthaus: „Meine italienische Geisterfahrt“. In: faz.net. 12. September 2009, abgerufen am 18. Oktober 2020.
- ↑ Der ComicTalk Folge 32. In: Massengeschmack.tv. 30. Juni 2022, abgerufen am 30. Juni 2022 (Paywall, ab Minute 53:09).
- ↑ Nicole Dittmer: Illustratorin Ulli Lust – Vorreiterin des dokumentarischen Comics. In: deutschlandfunkkultur.de. 30. Juli 2019, abgerufen am 18. Oktober 2020.
- ↑ Anette Selg: Comic-Reportagen aus dem Alltag. In: deutschlandfunkkultur.de. 5. Mai 2010, abgerufen am 18. Oktober 2020.
- ↑ Lotar Schüler: Intensive Grenzerfahrung. Ulli Lusts feministischer Punk-Comic. 3sat, 5. Januar 2010
- ↑ ICOM-Preis 2010
- ↑ APA: Comic-Salon Erlangen. Österreichische Zeichner räumen Preise ab. In: Der Standard, 6. Juni 2010
- ↑ Ulli Lust reçoit le 4e prix Artémisia de la bande dessinée féminine.
- ↑ Le Fauve d’Angoulême – Prix Révélation ( vom 16. Mai 2011 im Internet Archive)
- ↑ a b Bester deutschsprachiger Comic. Abgerufen am 18. Juni 2022.
- ↑ Rose-Marie Gropp: Jeder Apfel ist anders. Der Frauen-Comic „Pomme d'amour“. (PDF-Datei, 177,4 kB) In: FAZ Zeitung zur Buchmesse. 15. Oktober 2008, abgerufen am 12. Oktober 2020.
- ↑ Freistil-online: The Best Of 2009 ( vom 25. Februar 2010 im Internet Archive)
- ↑ The Ignatz Awards 2013
- ↑ 2013 års Urhundenpris för 2012 års bästa till svenska översatta seriebok går till »Idag är sista dagen på resten av ditt liv« av österrikiska Ulli Lust (Kolik).
- ↑ Los Angeles Times Book Prizes – The Awards. In: latimes.com. Archiviert vom (nicht mehr online verfügbar) am 27. März 2022; abgerufen am 12. Oktober 2020. Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
- ↑ Internationaler Comic Salon Erlangen 2014, Laudatio Ulli Lust. In: comic-salon.de. 2014, abgerufen am 12. Oktober 2020.
Personendaten | |
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NAME | Lust, Ulli |
KURZBESCHREIBUNG | österreichische Comiczeichnerin und Online-Verlegerin |
GEBURTSDATUM | 31. August 1967 |
GEBURTSORT | Wien |