Sapere aude
Sapere aude (Betone: sápere aúde[1]) ist ein lateinisches Sprichwort und bedeutet Wage es, weise zu sein.[2] Meist wird es in der Interpretation Immanuel Kants zitiert, der es 1784 zum Leitspruch der Aufklärung erklärte: „Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“
Herkunft
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Das Zitat stammt aus dem ersten Buch der Episteln (Briefe), die der römische Dichter Horaz 20 v. Chr. veröffentlichte (Epist. I,2,40 f.). Der erste Hexameter mit Beginn des zweiten lautet: Dímidiúm factó, qui coépit, habét: saper(e) aúde, / íncipe. Rudolf Helm übersetzt: „Eínmal begónnen ist hálb schon getán. Entschlíeß dich zur Eínsicht! / Fánge nur án!“[3]
Der erste Teil des Zitates hat selbst Sprichwort-Charakter erlangt: „Frisch gewagt ist halb gewonnen!“ In der näher an der lateinischen Form liegenden Übertragung heißt es: „Wer (erst mal) begonnen hat, hat (damit) schon zur Hälfte gehandelt!“
Der zweite Teil des Zitates besagt wörtlich „Wage es, weise zu sein!“, wobei aude der Imperativ Singular von audere (lat.: „wagen“, „wollen“, „begierig sein“) und sapere (lat.: eigentlich: „schmecken“; Wurzel: sap- = „schmecken“, „riechen“, „merken“; ahd. int-sebjan, „bemerken“; im übertragenen Sinn: „Weisheit erlangen“, „verstehen“) der Infinitiv in dieser Konstruktion ist.
Der dritte Teil: incipe ist ebenfalls ein Imperativ Singular und bedeutet: „[…] beginne!“ (von incipere)
Die Epistel, aus der der Vers stammt, handelt von den moralischen Lehren, die man aus Homers Dichtungen ziehen könne. Konkret geht es in den Versen 27–43 um das Exemplum des Antinoos und der anderen Freier der Penelope, die unter Feiern und Nichtstun in Odysseus’ Palast in den Tag hineinlebten, bis dieser nach Hause kam und sie alle umbrachte.
Leitspruch der Aufklärung
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Das Motto wird 1736 am Ende des Vorwortes als Leitspruch der Logikabhandlung Artis cogitandi principia von Johann Jakob Breitinger verwendet.[4]
Bereits ab 1740 nutzte die Gesellschaft der Wahrheitsliebenden (Alethophilen) und Johann Christoph Gottsched dieses Motto.[5]
Berühmt wurde dieses Zitat mit der oben angeführten Übersetzung von Immanuel Kant in seinem Aufsatz Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung von 1784 als Leitgedanke der Aufklärung. Diese Umschreibung des Ausrufes sapere aude hat sich aber als Standardübersetzung nicht durchgesetzt.
Friedrich Schiller führte das Zitat als „vielbedeutenden Ausdruck“ eines „alten Weisen“ im 8. Brief seiner Abhandlung Über die ästhetische Erziehung des Menschen von 1795 an und übersetzte es mit „Erkühne dich, weise zu sein.“[6]
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Georg Büchmann (Begründer): Geflügelte Worte. Der klassische Zitatenschatz. 43. Auflage, neu bearbeitet von Winfried Hofmann, Walter Robert-Tornow [und 6 weitere]. Ullstein Taschenbuch 36953, Frankfurt am Main/Berlin 2015 (Erstausgabe 1864), ISBN 978-3-548-36953-2.
- Quintus Horatius Flaccus: Sermones et epistulas = Satiren und Briefe (= Die Bibliothek der Alten Welt. Römische Reihe), übersetzt und eingeleitet von Rudolf Helm, Artemis, Zürich/Stuttgart 1962, DNB 452102111, OCLC 882932901 (zweisprachige Ausgabe, lateinisch und deutsch).
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- 1784: Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung – frei zugänglich bei DigBib.Org, Wikisource, www.prometheusonline.de und beim Deutschen Textarchiv
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ duden.de.
- ↑ Georg Büchmann: Geflügelte Worte. Der klassische Zitatenschatz. 39. Auflage, neu bearbeitet von Winfried Hofmann. Ullstein, Frankfurt am Main/Berlin 1993, S. 330.
- ↑ Horaz: Satiren und Episteln, übersetzt von Rudolf Helm. Artemis, Zürich/Stuttgart 1962, S. 220 f.
- ↑ Breitinger, Johann Jakob: Artis cogitandi principia ad mentem recentiorum philosophorum compendio exhibita atque in usum privatae institutionis, Zürich 1736.
- ↑ Johannes Bronisch: Der Mäzen der Aufklärung. Ernst Christoph von Manteuffel und das Netzwerk des Wolffianismus (Frühe Neuzeit 147), Berlin / New York 2010, S. 161 ff.; Eric Achermann (Hrsg.): Johann Christoph Gottsched (1700–1766): Philosophie, Poetik und Wissenschaft. 2014, S. 36 f.
- ↑ Volltext auf Archive.org (S. 169. 8. Brief = S. 166–172).