Grafschaft Hennegau

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Territorium im Heiligen Römischen Reich
Grafschaft Hennegau
Wappen
Karte
Grafschaft Hennegau um 1250
Herrschaftsform Grafschaft
Herrscher/
Regierung
Graf
Heutige Region/en BE-WHT
Teile von BE-WBR
Teile von FR-59
Reichskreis Burgundisch
Hauptstädte/
Residenzen
Valenciennes, Mons
Dynastien Flandern
1253: Avesnes
1356: Wittelsbacher, Linie Straubing-Holland
1433: Burgund
1477: Habsburg
Konfession/
Religionen
römisch-katholisch
Sprache/n Französisch
Aufgegangen in 1548: Siebzehn Provinzen

Die Grafschaft Hennegau (niederl. Henegouw für den Gau, Henegouwen für die spätere Grafschaft; franz. le Hainaut; mittellat. Hannonia), benannt nach der Gegend am Fluss Henne, ist ein historisches Territorium auf dem heutigen Gebiet Belgiens und Frankreichs.

Altertum und Frühmittelalter

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Hennegau war eine fränkische Gaugrafschaft. Das Gebiet gehörte in römischer Zeit zur Silva carbonaria (Kohlenwald) und war die Heimat der Nervier.

Vom Hochmittelalter in die Neuzeit

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Grafschaft Hennegau entstand aus der Vereinigung von drei Reichslehen:

1051 starb Graf Hermann von Bergen, Schwiegersohn des Grafen Reginar V. Seine Witwe Richilde brachte die drei Grafschaften an ihren zweiten Gemahl, den Grafen Balduin VI. von Flandern († 1070), den man im Hennegau Balduin I. nannte. Nach ihrer Niederlage in der Schlacht von Cassel (1071) versuchte Richilde, ihre Grafschaften und Allode beim deutschen König Heinrich IV. zu Geld zu machen. Bischof Dietwin von Lüttich kaufte die Lehnshoheit über die Allode und die Reichslehen. Er gab die Lehen über die neue Grafschaft Hennegau an den Herzog von Niederlothringen, der darauf die Grafschaft der Gräfin Richilde zu Lehen gab. Auf diese Weise (Refeodalization genannt) ging die Reichsunmittelbarkeit verloren.

Balduin V. von Hennegau vereinigte durch seine Heirat mit Margarete von Elsass und Flandern 1191 die Grafschaft Hennegau zum zweiten Mal mit Flandern (und Namur). Balduin VI. (IX. von Flandern), ein Sprössling dieser Ehe, wurde 1204 erster lateinischer Kaiser zu Konstantinopel; seine Erblande fielen zuerst an seine älteste Tochter, Johanna von Flandern, dann 1244 an deren Schwester Margarete von Flandern, die zuerst mit Burchard von Avesnes und dann mit Wilhelm von Dampierre verheiratet war. Im Jahr 1246 wurde den Kindern erster Ehe der Hennegau, denen zweiter Ehe Flandern zugeteilt. Zwischen den Söhnen aus beiden Ehen kam es nun zu langwierigen Kämpfen, in denen sich Margarete auf die Seite der Dampierres stellte. Gegenstand des Zwistes war vornehmlich Reichsflandern (Flämischer Erbfolgekrieg).

Die Grafschaft Hennegau (Hainaut). Die roten Linien sind heutige Landes- und Provinzgrenzen.

Doch folgte 1279 nach Margaretes Tod ihr Enkel Johann II. im Hennegau; dieser erwarb 1299 auch die Grafschaft Holland. Mit Wilhelm II. erlosch 1345 die männliche Linie der Avesnes im Hennegau. Des Grafen Wilhelm I., des Guten (1304–37) Tochter Margarethe, Gemahlin Kaiser Ludwigs des Bayern, brachte den Hennegau samt Holland und Zeeland 1345 an das Haus Wittelsbach. Ihre Urenkelin, Jakoba von Bayern, trat 1433 ihr Erbe an Philipp den Guten von Burgund ab, und so kam der Hennegau mit der burgundischen Erbschaft 1477 an das Haus Habsburg, bei welchem es von 1556 bis 1713 bei der spanischen, dann (bis zur Französischen Revolution) bei der österreichischen Linie verblieb.

Valenciennes war die erste Stadt der spanischen Niederlande, der im Bürgerkrieg gegen die spanische Herrschaft die Regentin eine Besatzung durch spanische Truppen zugedacht hatte, vor allem, weil durch die Nähe zu Frankreich die Calvinisten dort sehr stark waren. Friedrich Schiller merkt an, es sei damals ein Sprichwort im Hennegau gewesen, die Provinz stehe nur unter Gott und unter der Sonne.[1]

Nach dem Pyrenäenfrieden (1659) und dem Frieden von Nimwegen (1678) ist der heute zum französischen Département Nord gehörige südliche Teil von Hennegau mit seiner Hauptstadt Valenciennes an Frankreich gekommen. Aus dem übrigen Hennegau wurde 1815 mit Einverleibung der vormals flandrischen Landschaft Tournaisis, des namurschen Distrikts Charleroi und einiger Teile von Brabant und Lüttich, welche vorher das französische Département Jemappes ausmachten, die zwischen 1815 und 1830 niederländische, anschließend belgische Provinz Hennegau gebildet.

Grafen von Hennegau

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Name Herrschaft Verwandtschaft Anmerkungen
Reginar I. ?–898 nicht als Graf gesichert
Sigehard ?–nach 908
Reginar II. um 916–931 Sohn von Reginar I.
Reginar III. Langhals 931–957 Sohn des Vorgängers
Erzbischof Brun von Köln, der auch Herzog von Lotharingien war, vertrieb 957 die Familie der Reginare aus dem Hennegau und teilte diese Grafschaft in die Markgrafschaft Valenciennes und Grafschaft Mons auf.
Markgrafschaft Valenciennes Grafschaft Mons
Name Herrschaft Herrschaft Name
Amalrich 957–973 957–964 Gottfried von Jülich
964–973 Richar
Werner 973 973 Rainald
Arnulf 973–1012 973–998 Gottfried von Verdun
998–1013 Reginar IV.
Balduin IV. von Flandern 1013–1035 1013–1039 Reginar V.
Balduin V. von Flandern 1035–1045 1039–1051 Richildis
Reginar von Hasnon 1047–um 1048
Hermann um 1048–1051
Graf Hermann vereinte de facto den Hennegau wieder unter einer Herrschaft. Unter seiner Witwe wurde es 1071 offiziell refeodiert als Lehen des Bistums von Lüttich.
Name Herrschaft Verwandtschaft Anmerkungen
Haus von Flandern
Richildis 1051–1076 Witwe von Hermann, Tochter Reginars von Hasnon
Balduin I. der Gute 1051–1070 Ehemann von Richildis/Richilde auch Graf von Flandern (Balduin VI.)
Arnulf I. der Unglückliche 1070–1071 1. Sohn von Richilde auch Graf von Flandern (Arnulf III.)
Balduin II. 1071–1098 2. Sohn von Richilde
Balduin III. 1098–1120 Sohn des Vorgängers
Balduin IV. 1120–1171 Sohn des Vorgängers
Balduin V. 1171–1194 Sohn des Vorgängers auch Graf von Flandern (Balduin VIII.)
Balduin VI. 1194–1205 Sohn des Vorgängers auch Graf von Flandern (Balduin IX.)
auch Kaiser von Konstantinopel (Balduin I.)
Johanna I. 1205–1244 Tochter des Vorgängers auch Gräfin von Flandern
Ferdinand von Portugal 1212–1233 1. Ehemann von Johanna I. Mitregent
Thomas von Savoyen 1239–1244 2. Ehemann von Johanna I. Mitregent
Margarete I. die Schwarze 1244–1253 Schwester von Johanna I. auch Gräfin von Flandern (Margarete II.)
Haus Avesnes
Johann I. 1253–1257 Sohn der Vorgängerin
Haus von Flandern
Margarete I. die Schwarze 1257–1280 Schwester von Johanna I. auch Gräfin von Flandern (Margarete II.)
Haus Avesnes
Johann II. 1280–1304 Sohn von Johann I. auch Graf von Holland
Wilhelm I. der Gute 1304–1337 Sohn des Vorgängers auch Graf von Holland (Wilhelm III.)
Wilhelm II. 1337–1345 Sohn des Vorgängers auch Graf von Holland (Wilhelm IV.)
Margarete II. 1345–1356 Schwester des Vorgängers auch Gräfin von Holland (Margarete I.)
Wittelsbacher
Wilhelm III. 1356–1389 Sohn der Vorgängerin auch Graf von Holland (Wilhelm V.)
auch Herzog von Bayern (Wilhelm I.)
Albrecht 1389–1404 Bruder des Vorgängers auch Graf von Holland
auch Herzog von Bayern
Wilhelm IV. 1404–1417 Sohn des Vorgängers auch Graf von Holland (Wilhelm VI.)
auch Herzog von Bayern (Wilhelm II.)
Johann III. 1417–1425 Bruder des Vorgängers auch Graf von Holland
auch Herzog von Bayern
Jakobäa 1425–1433 Tochter von Wilhelm IV. auch Gräfin von Holland
auch Herzogin von Bayern
Haus Burgund
Philipp der Gute 1433–1467 auch Herzog von Burgund (Philipp III.)
Karl der Kühne 1467–1477 Sohn des Vorgängers auch Herzog von Burgund
Maria 1477–1482 Tochter des Vorgängers auch Herzogin von Burgund
Durch die Ehe der Herzogin Maria mit dem späteren Kaiser Maximilian I. fiel der Hennegau den Habsburgern zu.
  • Martin Zeiller: Von den Graffschafften Artois. In: Matthäus Merian (Hrsg.): Topographia Circuli Burgundici (= Topographia Germaniae. Band 16). 1. Auflage. Matthaeus Merians Erben, Frankfurt am Main 1654, S. 192–194 (Volltext [Wikisource]).
  • Gilbert of Mons: Chronicle of Hainaut. scribd.com (Memento vom 2. November 2009 im Internet Archive).
  • Charles Duvivier: Recherches sur le Hainaut ancien („pagus hainoensis“) du VIIe au XIIe siècles. Fr. J. Olivier, Brüssel 1865 (gallica.bnf.fr).
  • Léo Verriest: Le régime seigneurial dans le comté de Hainaut du XIe siècle à la Révolution. Impr. P. Smeesters (Louvain) 1956.
  • Jean-Marie Cauchies: Hennegau. In: Lexikon des Mittelalters (LexMA). Band 4. Artemis & Winkler, München/Zürich 1989, ISBN 3-7608-8904-2, Sp. 2131–2133.
  • Jean-Marie Cauchies: La législation princière pour le comté de Hainaut: ducs de Bourgogne et premiers Habsbourg 1427–1506. Publications des Facultés universitaires Saint-Louis, Brüssel 1982, ISBN 2-8028-0025-6 (books.google.lu).
  • Frans J. Van Droogenbroeck: De markenruil Ename – Valenciennes en de investituur van de graaf van Vlaanderen in de mark Ename, Handelingen van de Geschied- en Oudheidkundige Kring van Oudenaarde 55 (2018) S. 47–127 (academia.edu).
Commons: Grafschaft Hennegau – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
  1. Friedrich Schiller: Geschichte des Abfalls der Vereinigten Niederlande von der spanischen Regierung im Projekt Gutenberg-DE MCMVI Leipzig im Inselverlag (Großherzog Wilhelm Ernst Ausgabe), S. 233, Fußnote 2. Schiller führt als seine Quelle Strada 174 an.