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KONRAD BOEHMER

ZUR THEORI E DER


OFFENEN FORM IN
DER NEUEN MUSIK
konrad boehmer

zur theorie der offenen form


in der neuen musik
Einleitung 5
I. "
Beispiele ., offener Formen der abendlndischen
Mu sikgeschichte . . . . . . . . 9
II. Determination - Indetermination, R eihe und Form 48
III. Mobilitt der Strukturen 71
IV. Erwartung und Wahrscheinlichkeit 96
V. Beispiele zur strukturellen Variabilitt 103
VI. Strukturelle Indetermination und Klanggestalt 130
VII. Indetermination als Gestalt 158
VIII. Zufall als Ideologie 170
IX. Indetermination und neue Perspektiven der
Formbildung 187
X. R ckblick 201
Bibliographie 207
Anmerkungen 215

1967 by Konrad Boehmer for all countries,


included the DPRK and USA
Zum Andenken an THOMAS ER M A (1939-1964)
Konrad BOEHMER: Zur Theorie der offenen Form in der neuen Musik

Vorwort zur zweiten Auflage


Das schnste, was einem Buch geschehen kann, ist, da man es nicht lesen kann
und da dennoch einjeder darber spricht. Vor 21Jahren erschien "Zur Theorie
der offenen Form in der Neuen Musik" in einer relativ kleinen Auflage. Schnell
war sie vergriffen und die Musikgeschichte schien sich in eine Richtung weiter
zu bewegen, die anders aussah als die im Buche kritisch angedeutete. Dennoch
hat der Entschlu, das Buch in einer zweiten Auflage erscheinen zu lassen,
nichts mit dem Unfrieden zu tun, den man ber die neueren Entwicklungen der
Musik - von "minimal" bis "neue Einfachkeit" - empfinden mchte. In den
letzten zwanzig Jahren hat sich auch der Blick auf die Musik gendert, die
Gegenstand der kritischen Betrachtungen dieses Buches ist. Dies macht es sinn
voll, die "Theorie" erneut herauszubringen: vor allem Leser der jngsten Gene
ration knnte seine Lektre ein Anreiz sein, theortische Positionen erneut zu

berdenken, die inzwischen vom Schutt der Moden bedeckt wurden.

Diese zweite Auflage ist im Text identisch mit der ersten.

Arnsterdam, Januar 1988

Konrad BOEHMER
5

Einleitung

,. Zur Theorie der offenen Form" will nicht besagen, da zu die


sem Problem eine geschlossene Theorie schon existiere. Viel
mehr deutet der Titel auf die gegenwrtige Unmglichkeit einer
solchen Theorie. Denn eigentlich tuscht der Sammelbegriff
,. offene Form " , unter welchem sich Mobilitt, Variabilitt,
Mehrdeutigkeit und weitere voneinander recht verschiedene Prin
zipien vereinigen, Form nur vor. Doch ist es sinnlos, dem ge
genber in aller neuen Musi.K deren Formlosigkeit anprangern
zu wollen, so, als ob die Form, aus welcher hierdurch ein hoh
ler Begriff wrde, der Deckmantel sei, unter welchem Musik
einzig verstanden werden knne. In Wirklichkeit wird betrcht
lich weniger Form gehrt, als die Theorie gemeinhin annimmt.

Die theoretische Betrachtung neuer Kompositionsmethoden wird


empfindlich durch den berlieferten Formbegriff gestrt. Dieser
hat sich im Entwicklungsprozess des tonalen Systems etabliert
und behauptet selbst da, wo er geschichtlich seines Inhaltes ledig
wurde, seine Herrschaft ber das Musikdenken. Wer neuester
Musik die Forderung nach der Form voranstellt, verzichtet
weitgehend auf die Bereitschaft, sich das an ihr zu erschlieen,
was noch nicht in Kategorien geordnet ist.

Gerade in den Fllen, in welchen Komponisten neuer Musik die


Form mit einem bloen Programm, mit einem reglementierten
Ablauf verwechselten, entstehen dieser Musik Widersprche .
Da es sinnlos ist, diese nach wo auch immer hergeholten Be
griffen oder traditionellen Schemata beurteilen zu wollen, ist es
der vorliegenden Untersuchung vor allem darum zu tun, Wider
sprche oder Tautologien in der Struktur des musikalischen
Materials selber aufzuspren, das heit, zu prfen, in wieweit
das von den Komponisten vorgezeichnete Programm mit dem
Material und den Ordnungsprinzipien bereinstimmt, die zu sei
ner R ealisierung herangezogen werden. Dabei kann keine un
umstliche Logik unterstellt werden, die genauso fragwrdig
ist wie die a priorische Forderung nach der ,. Form. Vielmehr
soll die Frage untersucht werden, ,ob kompositorische Plne und
Formentwrfe, in deren Struktur Unbestimmtheit enthalten ist,
1\hren Spiegel in der musikalischen Gestalt zu finden vermgen.
Deshalb ist diese Arbeit analytisch und nicht historisch. Nach
jtmen vielen Publikationen, die sich rein weltanschaulich ber
neue Musik ergehen, um sie gem Kriterien und vermeintlich
6

unwandelbaren Gesetzen zu verurteilen - wobei eine Kenntnis


der Werke durchweg nur vorgetuscht wird - , scheint es ange
bracht, den Gegenstand der Kritik vor allem mit Hilfe der ihm
in n e w o h n e n d e n Kriterien zu entziffern.

Dabei wird von Prinzipien mobiler Groform bis zu Untersu


chungen der Einzelstruktur und einzelner Elemente fortgeschrit
ten. Es werden also nacheinander Kompositionen untersucht,
deren Unbestimmtheitsgrad zunimmt. Mit dem Anwachsen der
Indetermination schwindet die Kontrolle ber die Groform
Syntax, soweit schlielich, bis nur noch - wie bei Cage - das
Einzelelement in ein Verhltnis zu technischen Verfahren ge
setzt zu werden vermag - was diese Verfahren ihres Sinnes be
raubt. Dank des Fortschreitens durch die Formen und Gattungen,
die sich aus zunehmender Indetermination ergeben haben, ist es
mglich, graphische Musik" und andere Phnomene nicht- wie
"
bislang - als isolierte Kategorien betrachten zu mssen. Viel
mehr soll versucht werden, sie in einen greren Zusammen
hang zu ordnen. Die zentrale Frage der Untersuchung lautet,
welche Funktion Prinzipien der Indetermination im gegenwrti
gen Musikdenken haben knnen. Erst wenn diese Frage einmal
ihre Antwort gefunden haben wird, wird man vielleicht unter
suchen knnen, ob in der neuen Musik Tendenzen zur Bildung
einer neuen Form sich zeigen. Diese Form - als schon etablier
te - Werken zu unterstellen, die unerschlossene Bereiche vor
sichtig abtasten, ist widersinnig. Dies insofern, als musikali
scher Sinn nicht aus Formschemata sich herleitet, sondern Form
stets sich aus den neuen, vorerst nur subjektiven Konfiguratio
nen musikalischer Idiomatik gebildet hat.

Soweit die vorliegenden Untersuchungen davon Abstand nehmen,


um der bloen Einfachheit willen das gegenwrtige musikalische
Geschehen in Schemata zu zwngen, soweit halten sie sich an
dererseits davon zurck, theoretisch das Selbstverstndnis ein
zelner Komponisten zu reproduzieren. Zwar haben sich die mei
sten Komponisten serieller Musik intensiv theoretisch ergan
gen. Doch sind die Beschreibungen ihrer eigenen Arbeit zumeist
nicht identisch mit einer kritischen Theorie. Teilweise fallen -
wie bei Kagel und etwa seit 1960 bei Stockhausen - komposito
risches Niveau und theoretische Qualitt so krass auseinander,
da man die Autoren nicht auf ihre eigene Theorie festlegen
sollte, will man in deren Konfusion nicht die Werke hineinreis
sen.
7

Wenn zum Beispiel Stockhausen neuerdings (1) ber "dialekti


sches" Komponieren sich mokiert, im Glauben, ihm sei "tria
lektische" , "quartalektische" Prinzipien sich verfgbar zu ma
chen gelungen, - wenn Kagel elektronische Musik in H'luskon
zerten angesiedelt wissen will, "wo abwechslungsreiche Lektre
(Konzertprogramme sind so einseitig!) und briges Entertaine
ment leicht erreichbar sind" (2), dann werden die Werke von
den Theoremen berhaupt nicht mehr berhrt; allenfalls wird
Theorie selber korrumpiert. - Hier aber handelt es sich um den
Versuch, zu prfen, was in den Werken musikalisch sich er
eignet, ganz unabhngig davon, wie ihre Autoren auch immer
sie betrachten mgen. Darum stehen die Pa:r;-tituren selber im
Mittelpunkt. Es ist nicht um eine Formulierung von Stzen zu
tun, mit welchen sich dann komponieren liee, sondern viel
mehr um die Sondierung von Kriterien, die dem untersuchten
Gegenstand adquat sind und die vielleicht dazu beitragen knn
ten, da zuknftige theoretische Untersuchungen neuer Musik es
nicht immerfort bei der bloen Meinung belassen, welche einzig
ihren Autoren Genugtuung verschafft.

Den Untersuchungen gegenwrtiger Musik ist ein Kapitel voran


gestellt, welches variable und flexible Formtypen der Vergan
genheit behandelt. Hufig sind diese Gebilde als Vorbilder aktu
eller Arbeiten hingestellt worden. Wie fragwrdig diese These
ist, wird aus der Analyse hervorgehen. Die Beispiele Guido von
Arezzos und Mozarts stehen dem Kyrie I aus der Prolations
messe Ockeghems gegenber. Wo in den ersteren Offenheit nur
aus der mechanischen Verwendung von Unbestimmtheitskriterien
resultiert, da ist das Ockeghem' sehe Werk ein Beispiel fr die
Flexibilitt musikalischer Konstruktion und Sprache.

Dennoch sind die Prinzipien musikalischer Indetermination nicht


etwa aus dem Nichts geschpft worden. Versuche mobiler For
men gibt es schon lngst vor dem zweiten Weltkrieg. Vor allem
wre da an Charles Ives und seine Concord Sonata zu denken.

1) Karlheinz Stockhausen, Einfhrung in die Komposition Momente:


Musikalisches Nachtprogramm des WDR Kln, 20.1. 1966, 22 Uhr, I. Pro
gramm; Manuskript beim Sender nicht erhltlich, wahrscheinlich identisch
mit Artikel "Karlheinz Stockhausen (von ihm selbst) in: Begegnung, Zeit
schrift fr Literatur, Bildende Kunst, Musik und Wissenschaft, Sonderheft
als Programm der Donaueschinger Musiktage 1965, S. 5 ff.

2) Mauricio Kagel, Zu Antithese (szenische Darbietung der musique


concrte) . in: Programmbltter des Klner Opernhauses vom 15. 6. 1963.
8

Andererseits ist das Prinzip der Verwendung von Geruschen,


wie es in der elektronischen Musik seine Bedeutung erlangt hat,
ebenfalls keine Erfindung, die ausschlielich den jngeren Kom
ponisten zu danken wre. Wenn auch die Bruitisten, vor allem
der Futurist Luigi R ussolo, der mit seinen Geruschmaschinen
" zwischen 1913 und 1915 die Konzertsle von
" I ntonarumori
Paris bis Moskau drhnen machte, konzessionslos die Gerusch
welt musikalisch zu verwenden gedachten, so blieben doch die
Werke anekdotisch. Tatschlich ist erst durch die elektronische
Musik die Chance einer kompositorischen Vermittlung des Ge
ruschs gegeben. Doch hat die elektronische Musik ihr Vorbild
in Edgar Varse, der mit unbeirrbarer Khnheit als erster wohl
groe Formen realisiert hat, die nicht auf Klang und Tonalitt,
sondern auf R hythmus und Gerusch basieren. Wenn auch die
Ziele der elektronischen Komposition von denen Varses ab
weichen, so hat dennoch die Klangphantasie und die Khnheit
dieses Komponisten tiefgreifend die sthetik elektronischer Mu
sik mitbestimmt. Freilich knnen all diese historischen Aspekte
in dieser Arbeit, die formaltheoretischer Art ist, nicht bedacht
werden.

Auch in der gegenwrtigen Musik kann der Begriff "offene Form"


zwei verschiedene Bereiche meinen. Es liee sich hie die rein
materielle I ndetermination nennen, whrend man da die Prinzi
pien idiomatischer " Offenheit" betrachten knnte. Jedoch lt
sich ohne eine Untersuchung der Kompositionstechniken - die
idiomatische Offenheit erzeugen - ber diese nichts aussagen.
Darum soll es um die Frage zu tun sein, in wieweit neue musi
kalische Konstruktionsprinzipien eine neue musikalische Spra
che ermglichen, oder in wieweit sie, gerade weil sie selber
weitgehend indeterminiert sind, das Zustandekommen .,offener"
musikalischer Prozesse und Formen von vornherein verhindern,
um es beim blo dekorativen Arrangement von Material zu be
lassen, dessen Vertauschbarkeit ausdrckt, wie weit vor allen
kompositorischen Problemen Halt gemacht wurde. Die Errte
rung dieses Problems setzt der Arbeit ihre Grenzen.
9

I. Beispiele offener Formen" der abendlndischen M.Jsikgeschichte


Die .. offenen" Formen neuer Musik sind Resultate musikali


scher Materialbeherrschung. Deren Geschichte ist nicht eigens
zu schreiben, da sie ohnehin mit der Geschichte musikalischer
Komposition und Theorie eins ist, aus welcher der Gegenstand
den folgenden Untersuchungen schlssig hervorgeht. Dennoch
ist es sinnvoll, auf drei Augenblicke der Musikgeschichte sich
zu konzentrieren, in welchen - scheinbar widersprchlich -
" Formen aus den zur Entwicklung geschlossener Form
"offene
tendierenden Systemen und Kompositionstechniken hervorgingen.
Es wird sich erweisen, da jene " offenen"
. Formen, mit wel
chen man die der gegenwrtigen musikalischen Produktion allzu
leichtfertig zu vergleichen des fteren sich geneigt zeigte, mit
dem nichts zu tun haben, worum sich das heutige Musikdenken
bemht. Jedoch spiegelt sich in ihrem Verhltnis zur jeweils in
ihrer Epoche gltigen Struktur des musikalischen Materials die
diesem im Lauf der Geschichte in immer strkerem Mae ein
beschriebene syntaktische und synthetische Kraft, welche in die
geschlossenen Formen der tonalen Epoche mndet.

Die drei ausgewhlten Beispiele der Autoren Guido von Arezzo,


Ockeghem und Mozart sind ihren kompositorischen Prinzipien
nach gnzlich voneinander verschieden. Dem ueren Anschein
nach finden sich bei Guido und Mozart Techniken der Vertausch
barkeit, wie sie auch in der jngsten Musik zur Anwendung ge
langten. Doch wird gerade - was recht bezeichnend ist - in die
sen beiden Beispielen die Frage nach einer I ntegration dieser
Techniken in formale Zusammenhnge umgangen. Nur darin
sind sie gngigen aleatorischen Kompositionspraktiken hnlich.
Bei Ockeghem hingegen ist der Text festgelegt und die Flexibi
litt der Struktur ist Resultat des Kompositions p r o z e s s e s .
Dies Beispiel ist insofern bedeutend, als es beweist, da nur in
der K o m p o s i t i o n flexible und " offene"
unschematische,
Formen zu realisieren sind, wohingegen der Glaube, aleatori
sche Praktiken vermchten dank der Unbestimmtheit ihrer Struk
tur schon den Eindruck von Offenheit zu vermitteln, Konfusion
zwischen Komposition und bloer Materialexposition stiftet.

Dem additiven Charakter frhmittelalterlicher Musik entspricht


die I ntention der zeitgenssischen Theorie, m a t e r i e 11 e Ord
nung zu schaffen. Sie beschrnkt die Summe berhaupt mgli
cher Klangverbindungen auf einen zulssigen Kodex, auf ein Sy
stem fr die Epoche relevanter Verknpfungsmglichkeiten. wel-
10

ches vordringlich Heteronomes ausschlieen soll, um somit


auch dem Praktikablen die Grenzen zu weisen. Die theoreti
schen Prmissen fr das Erscheinen musikalischen Materials
verleihen diesem Vorrang vor seiner Funktion innerhalb klang
licher Konstellationen. Wie immer auch die mittelalterliche
Theorie die dem musikalischen Material innewohnenden Krfte
beschrieb (l), zielte sie niemals auf deren formale Entfal -
tung, darauf, da diese Krfte selber zu Klang sich verdich
teten. Was also kompositorisch zu entfalten sei und wie diese
Entfaltung sich zu vollziehen habe, wurde von einer Theorie
formuliert, die vorab musikalische Naturbeherrschung zu voll
ziehen hatte, indem sie auf die , systematische' R egistrierung
klanglicher Phnomene sich konzentrierte.

So bleibt der Theorie noch lange eine Musik verschwistert, die


aus Expositionen konventioneller Materialien besteht, ohne de
ren s t r u k t u r e l l e Komplikation oder Vermittlung be.
wirken zu knnen. Die melodischen Elemente sind verwandt
durch die Grenzen des jeweiligen tonalen Systems, seien es die
tetrachordalen, die der Tonart oder unmittelbar die sprachlich
melodischen selber.

Fast berall kehrt dies sich in der Musik des Mittelalters wie
der hervor. Abert (2) hat auf den Drang mittelalterlicher Theo
rie zur Symbolbildung hingewiesen, der sich die einfachen nume
rischen Verhltnisse, die zwischen Klangelementen und Ele
menten beschrnkter Anzahl berhaupt bestehen, zur Bildung
falscher Analogien zunutze machte.

So hat zur Zeit Guidos schon die spekulative Theorie von der
Wirklichkeit sich abgehoben, welche sie doch eigentlich reflek
tieren und korrektiv durchdringen sollte (3). Neben ihr existiert

1) Siehe hierzu in Martin Gerbert, Scriptores ecclesiastici de musica


sacra, Mailand 1931, die Schrift<!n:
Cassiodor: De artibus ac disciplinis liberalium litterarum, S. 16;
lsidor von Sevilla: Sententiae de Musica, Kapitel 3, S. 20;
Aurelianus R eomensis: Musica disciplina, S. 32 und S. 40;
Hucbald: De Musica, S. 142; und das gesamte fnfte Kapitel aus Regino vbn
Prms Traktat De Harmonica Institutione.

2) Cf. Hermann Abert, Die Musikanschauung des Mittelalters und ihre


Grundlagen, Halle 1905, S. 14

:3) Freilich ist Guido selber hierbei nicht einfach stehen geblieben. Jedoch
spiegelt die Theorie seiner Zeit die Zwieschlchtigkeit von kosmologisch
symbolistischer Theorie hie und handwerklich-praktischer Instruktion da.
11

ein Kodex praktikabler R egeln, der auf die partikularen, ver


festigten Systeme - wie das der Kirchentonarten zum Beispiel -
als Anweisung, sie zu handhaben, sich bezieht. Partikular sind
jene Systeme insofern, als sie eine strikte Auswahl aus der Ge
samtheit mglicher Elementverbindungen darstellen und nur die
R esultate dieser Selektion, die - meist unverbunden - nebenein
ander bestehen, als Keimzellen fr die musikalische Organisa
tion betrachtet (4) .

Diese wirken als Netze, deren Maschen sich ber jedwede Kon
stellation legen, um diese, wie durch einen R aster, zu organi
sieren. Die Anweisung fr eine bestimmte, singulre MJ.te
rialkonstellation stellt sich der Mglichkeit von Konstellationen
berhaupt voran und wird somit zur R e g e 1, die nicht eigens
begrnden mu, was sie ausschaltet (5).

Deshalb kann ohne Risiko fr das Bestehen des tonartliehen Sy


stems (an dessen Beispiel die unten folgende Analyse vorgenom
men wird) eine irgend beliebige Hilfskonstruktion zur Erzeugung
musikalischer R esultate erfunden werden, wenn immer nur die
se die Bedingung der gleichen Begrenzungen erfllt, die das Sy
stem sich selber auferlegte. Sind auch mit einer Hilfskonstruk
tion in Bezug auf das System, zu welchem diese sich verhlt,
mehrere Lsungen mglich, so haben diese doch die Bedeutung
variabler Form nicht im geringsten, da die durch die Hilfs
konstruktion bedingten Entfaltungsmglichkeiten in Bezug auf alle
R esultate die gleichen bleiben (6).
Die Gleich-Gltigkeit der solcherart resultierenden , Muster'
gegenber der gesamten Struktur ist nicht ineins zu setzen mit
Gleich-Berechtigung, welche der sie organisierende Plan ihnen
gewhrte und zu welchem sie sich frei-entfaltet verhielten. Sie
sind auch ihrer eigenen Morphologie nach nicht als variable ge
gen eine fixe, ihnen bergeordnete formale Ordnung zu stellen.
Vielmehr mangelt es ihnen an Individualitt. Ihr stehen sie ge
genber wie bloe Dinge. Nicht umsonst gelang es daher der
mittelalterlichen Musiktheorie immer wieder, Klngen, Pro
portionen oder Klangmustern beliebig diese oder jene symboli-

4) Die Selektion wird also nicht erst durch formale Kriterien betrieben;
sie steht ihnen vielmehr, als Kodex verbindlicher Bedingungen, schon voran.

5) Man denke nur an bestimmte Verbote in der harmonischen Konsonanz


und Konkordanz wie etwa die den Tritonus oder die Terz betreffenden.

6) Dies wird sich noch an der Konfrontierung einer zyklischen und einer
linearen Material-Organisation in Guidos Micrologus erhellen.
12

sehe oder kosmische Funktion zu unterstellen (7), - sie diesem


oder irgend einem anderen Zusammenhang nach Belieben ein
zuordnen. Die vermeintliche Variabilitt ist daher nicht iden
tisch mit einer sinnvollen Ordnung, welche einzig der freien
Entfaltung von Individuellem dient, - als conditio sine qua non
ihrer Wirksamkeit. Sie ist das Verhltnis des dinghaften, vor
individuellen Charakters der musikalischen Elemente und For
meln zu einem Schema, durch dessen Einschrnkungen sie ber
haupt erst spezifisch werden. In diesem Sinne freilich ist das
, Material' mittelalterlicher Musik variabel.

An einem auch in neuerer Zeit wieder diskutierten Beispiel,


der Zuordnung von Tnen zu Vokalen im 17. Kapitel von Guidos
" (8) lt sich das Verhltnis von Materialstruktur
"Micrologus
und musikalischer Gestalt verdeutlichen., Dieses erste Modell
scheinbarer Variabilitt schlgt unversehens um in sein Gegen
teil, ins starre System.

Das siebzehnte Kapitel des "Micrologus" beschreibt ein Ver


fahren, unmittelbar aus Kriterien eines beliebigen Textes eine
zu ihm passende Musik zu gewinnen (9): Da sich alles in Ge
"
sang bringen lt, was geschrieben wird" (1 0). Das einfache
Schema, welches darin besteht, den fnf Vokalen der Verbal
sprache - ae i ou - fnf Tne zuzuordnen (z. B. /
cdefg aeiou),

7)"Aribo Scholasticus, nach ihm vor allem Marchettus von Padua und Jakob
von Lttich, erweitern die Allegorie im Zusammenhang mit den neun M.i sen.
Zwei Musen bedeuten die authentische und plagale Tonart, Arsis und Thesis
der Stimme, die Einteilung der Schlag- und Blasinstrumente. Sieben Musen
die septem discrimina vocum, die sieben Planeten, sieben Sakramente. Wenn
Johannes Gallicus den vollendeten Klang mit Quart und Quint als die aus Glaube
und Hoffnung erzeugte Liebe allegorisch deutet, wird die Weite dieser sym
bolischen Musikauffassung und Richtung der musica auf die Theologie in den
artes liberales als deren geistige Vorstufe deutlich." (K. G. Fellerer, Die
Musica in den Artes Liberales, Leiden-Kln 1959, S. 37 f)

8) Guidonis Aretini Micrologus, in: Gerbert, Scriptores, a. a. 0., Bd. 2,


S. 2 ff; Kapitel 17 S. 19 ff. Deutsche bersetzung hier zitiert nach: Micrologus
Guidonis de disciplina artis musicae, d. i. Kurze Abhandlung Guidos ber die
R egeln der musikalischen Kunst, bersetzt und erklrt von Michael Hermes
dorff, Trier 1876

9) ber die historischen Aspekte des Verfahrens, die fr die hier vorzu
nehmende Untersuchung nicht unmittelbar interessieren, siehe: Helmut Kirch
meyer, Vom historischen Wesen einer rationalistischen Musik, in: Die Reihe
8, Wien 1962, S. 11 ff

10) Micrologus (im Folgenden: Micr., a. a. 0.) a. a. 0., S. 99


13

um durch die musikalische R ealisierung dieser Zuordnung an


einem beliebigen Text diesen mit einer syllabischen Melodie zu
versehen, vermittelt zwischen einem in musikalischer Hinsicht
zuflligen Auftreten von Tnen und den musikalischen Skalen
ordnungen der Tonarten mitsamt den an sie geknpften R egeln.
Guidos R echtfertigung erheischt somit Verstndnis, wenn sie
auch nicht gerade diesen Sachverhalt trifft: "Diese fnf Vokale
wollen wir nehmen; vielleicht da, da sie den Worten sovie l
Wohlklang verleihen, sie nicht weniger dem Gesange und den
Neumen ihn bieten werden " ( 11 ) . Ebenfalls aus der Wirkung
klanglicher Entsprechungen - er nennt sie den "Wohlklang der
grammatikalischen Form." - der onomatopoetischen Seite der
Sprache also, leitet Guido seine musikalische Analogiebildung
ab. Dies ist insofern so abwegig nicht, als sein Verfahren auf
der elementarsten Stufe der Ableitung in der z u o r d n u n g
von Vokalen zu Tnen besteht. Das Beispiel Guidos, welches
allen noch folgenden Deduktionen zugrunde liegt, lautet wie folgt
(Bsp. 1):

:i
.
. . . .

.. . --
Sancte Johannes meritorum tuorum copias neq(u>eo
. . - ....
dig-ne caner- e ae i o u

Der Gegensatz zwischen akzidentiellem Erscheinen der Tne


(durch die Vokalfolge des S'3.tzes bedingt) und limitiertem Kodex
musikalischer Verhaltensweisen sowie durch das System der
Kirchentonarten bedingtem Gesetz intervallischer Selektion ist
in diesem Beispiel kaum sprbar. Dies hat seinen Grund darin,
da die Beschrnkung auf fnf Elemente der musikalischen Ska
la, die ohnehin gedrngt beieinander liegen, das akzidentielle
Moment noch nicht zur Geltung kommen lt. Verbotene Inter
valle (z.B. : Septimsprnge oder Wechsel wie I- VI- I, I- IX-I etc. )
werden ausgeschaltet. Die enge Lage des Skalenausschnittes ent
spricht berdies der praktischen Forderung nach Singbarkeit,
verl').tet also berschreitungen des Stimmumfanges. Teilweise
haben jene praktischen Grnde die Gestalt sthetischer Vorstel
lungen. Daher sind mglichst kleine Intervallschritte und son
stiges bei den mittelalterlichen Theoretikern oft gefordert.

Der Umschlag der variablen Methode ins System vollzieht sich


auf zwei anscheinend diametral entgegengesetzte Weisen. Die

11) Micr. , a. a. 0., S. 99


14

eine mndet, verfolgt man sie bis ins Extrem, in die Kollision
mit Verboten, die zweite hebt sich von einem bestimmten Au
genblick an selber auf, indem sie soviel an Entscheidungsfrei
heit zult, da die Verbote nun beachtet werden o r f e n ohne
da diese mit der Methode in Kollision gerieten. Die zweite
Verfahrensweise mndet al.3o in eine Tautologie.

I m ersten Beispiel verhielt sich die quantitative Zuordnung von


Tnen zu Vokalen wie 1:1, - jedem Ton ist nur ein Vokal zuge
ordnet. Da die Reihenfolge der Vokale in den zu vertonenden
Texten nicht nach musikalischen Kriterien festgelegt ist, sind
die resultierenden Melodiemodelle dank der Methode nicht un
mittelbar vorhersehbar. Dies ist ihr variables Moment. Jedoch
ist die Z u o r d n u n g e i n d e ut ig. Hieraus aber ergibt sich,
da die Dimensionen der Gestalt b i 1 d u n g vorhersehbar sind
., Bei dieser Anordnung erwge man, da, da alles Gesprochene
in diesen fnf Buchstaben sich bewegt, auch unlugbar die fnf
Tne untereinander, wie erwhnt, abwechseln mssen. " (12)

In den drei folgenden Beispielen sind die Zuordnungen ebenfalls


eindeutig, die Korrelate jedoch wurden jedes Mal vertauscht.
Im Beispiel 2 ist die aeiou- R eihe gespiegelt: uoiea. Als Melo
die entsteht der Spiegel des ersten Beispiels. (Bsp. 2)

. . .
-

; Sancte 0 a e e i 0 u u o u 0 ia e eo e a e e a P. i o u

Im dritten und vierten Beispiel sind die Vokale so angeordnet,


da keiner einem Ton sich verbindet, dem er schon in einem
frheren Beispiel verbunden war. (Bsp. 3)
Z:
. . . . . .

. .]


.
"'!
Sancte 0 a e ei 0 u u o u 0 i a e eo e a e e a e i o u

(Bsp. 4)
Z:

[ .. ]
.
. ..

..
; Sancte 0 a e ei 0 u u o u 0 ia e eo e a e e a e i o u

12) Micr. , a. a. 0., S. 101


15

Das Guidonische R ezept greift jedoch selber ber die e i n d e u


tige Zuordnung hinaus. Die Skala der Tne wird ber die An
zahl der fnf ursprnglichen hinaus verlngert. Da die Anzahl
der Vokale auf fnf beschrnkt bleiben mu, werden diese zyk
lisch wiederholt.
"
Sie" - die Vokale - werden also der R eihe
nach den Buchstaben des Monochordes untergesetzt, und weil
es deren nur fnf sind, so oft wiederholt, bis einem jeden Tone
sein Vokal zugeteilt ist . .. " (13). In einer Anordnung wie der
hieraus sich ergebenden:

ffi A B C D E F G a b c d e f g a' b' c' d' e' . ..


a e i o u. a e i o u. a e i o u. a e o u

sind die beiden Ketten der Zuordnungen nicht mehr nach glei
chen Kriterien organisiert. Der linearen Tonreihe, in welcher
kein Element einem anderen gleich w e r t i g ist, steht die zyk
lisch geordnete Vokalreihe gegenber. Ihrer eigenen Organisa
tionsform nach sind jeweils das erste und sechste, das zweite
und siebente Element etc. gleichwertig. Dank der verschiedenen
Organisationsformen mssen also System und variable Methode
in dem Augenblick auseinanderfallen, wo in letzterer eine nur
an deren Kriterien sich haltende Ausfhrung von der Auflsung
der eindeutigen Zuordnung profitiert-. Gem der oben angege
benen Tabelle knnen dem Vokal a die Tne GG, E, c oder a'
zugeordnet werden. Da dies musiksprachlich sich verbietet,
ist augenscheinlich, - die variable Methode aber verhlt dem
gegenber ihrer S t r u k t u r nach sich indifferent. So treten
Verbote in Kraft. Im fnften Beispiel werden deren Forderun
gen noch teilweise beachtet; dem Sprung in der Intervallfolge,
welcher nach einer den fremden Zyklus hinzuziehenden Ent
scheidung eintritt, folgt mglichst Kontinuitt innerhalb dieses
neuen Zyklus. Die zugrunde liegenden R eihen sind: cdefg f aeiou
/
ahcde aeiou. In dieses Beispiel wurden absichtlich ,. Fehler "
eingebaut (so die recht fragwrdige Passage ,. Johannes meri
)
torum" , damit selbst im Kompromi die methodische Unstim
migkeit offenbar werde. (Bsp. 5)

Vokalzyklus I:
Vokalzyklus I!:

s s
s
z:

[::: ;:]
t1 s a s 0
.. . W
Sancte o a e eio u u 0 u o ia e e o e a e e ae i ou

Im sechsten Beispiel wird, bei gleicher Anordnung und bei glei


cher Anzahl der Vokalzyklen, auf die kontinuierliche Fortset-

1 :J) Micr. , a. a. 0. , S. 99
16

zung innerhalb eines Zyklus nicht mehr geachtet. Die Unsinnig


keit der musikalischen Gestalten ist ohne weiteren Kommentar
wohl ersichtlich. (Bsp. 6)
Z:

60 a

.
Sancte o
...
a e

ei o u

u 0 u
.....
o ia e eo
. ....
e a
6

e
6

e
[:::::]
a e i o u

Das siebente Beispiel bertreibt die Methode bis zur vlligen


Sinnlosigkeit. Die Anzahl der Zuordnungen entspricht der An
zahl der Vokale. Es sind jeweils fnf, will sagen: zwischen den
Elemebten aus fnf innerhalb der linear sich fortsetzenden Ton
reihe be:findlichen Vokalzyklen kann bei der Ausfhrung gewhlt
werden. (Bsp. 7)
Jl.
-

.


; .

Sancte o a e e i o u u o u o ia e eo e a e e

Dieses Beispiel macht die Konsequenzen jener variablen Metho


dik sinnfllig. Die Zuordnungen selber sind variabel, ein Vokal
kann mit verschiedenen Tnen versehen werden. Der S t e l -
1 e n w e r t des R esultats einer getroffenen Entscheidung jedoch
ist festgelegt. Da das zyklische System unmittelbar an seinem
linearen Korrelat sich entfaltet, gert die variable Methode in
Widerspruch zum Ton- System. R ckblickend erklrt sich hier
aus, warum die Gestaltung der Bei spiele 1 bis 4 relativ glck
lieh gelingen konnte. Der Vokalzyklus konnte sich, da er nur
einmal erschien (da die Zuordnung also eindeutig war) in seiner
zyklischen Form gar nicht entfalten und stimmte darum mit dem
linearen Charakter der Tonskala berein.

Bei steigender Anzahl der Zyklen wird die Zuordnung v a r i a


b e l, das R esultat der Zuordnung jedoch ist auf eine Tonhhe
f i x i e r t . Im R ahmen der hier entwickelten Ableitung, die den
Begriff der Ton s k a 1 a beim Wort nahm, ist der Widerspruch
nicht zu lsen. Die variable Methode, deren Verhltnis zum
System es zu prfen galt, lt in ihrer konsequenten Entfaltung
den Verbotscharakter des Systems v o 11 in Kraft treten, wel
cher die , Freiheit' der Methode mit aller Hrte trifft. In der
totalen Beschrnkung (Bsp. l-4) kann der Charakter von Varia
bilitt gar nicht erst sich entfalten (Entscheidungsfreiheit gleich
Null) , und in seiner vollen Entfaltung ist deren Ausschlielich
keit unters Verdikt derverbote gestellt.
17

In einer zweiten R eihe von Deduktionen wird die variable Me


thode insofern funktionslos, als sie bruchlos in die Erfahrungen
aufgeht, die ohnehin schon bei der Komposition von Choralme
lodien als Beachtung der Verbots-Normen fungieren. Auch diese
zweite R eduktion ist im Keime bei Guido schon angelegt: ,. Da
mit indes kein allzu groer Zwang Dir auferlegt werde, da in
dieser Weise einer jeden Melodie kaum fnf Tne zufallen und
diese fnf nach Wunsch fters zu berschreiten keine Mglich
keit geboten ist, so fge ich, um Dir einen etwas freieren Spiel
raum zu gestatten, eine zweite Vokal-Reihe hier bei . . . " (14).
Die Vieldeutigkeit der Zuordnungen vollzieht sich also a uf um
gekehrtem Weg wie in der ersten Deduktion. Wo dort einem
Vokal mehrere Tne zugeordnet werden konnten, so knnen hier
einem Ton mehrere Vokale zugeordnet werden: cdefg J aeiouf
uoeia. Dieses Modell wird im folgenden Beispiel verwendet.

(Bsp. 8)
/"'-, etc.
:'1..


..
Sancte o a e eio u uo u o ia e eo e a e e
a e i o u
u o e i a.

Da die zweite Vokalreihe zur ersten wie ein ungefhrer Spiegel


sich verhlt (nur die Koinzidenz des Buchstaben i beider R eihen
wird vermieden) , lassen die durch die Entscheidungsfreiheit je
dem einzelnen Vokal zugeordneten Tne leicht sich in Interval
len angeben: (Bsp. 9)

I : a
.3As
e 0
:
u

Die Vorherrschaft der Buchstaben e i o liee also nur einen


enggesteckten Ambitus zu, die von a oder u raubt in diesem
Beispiel beiden Buchstaben ihre spezifische Funktion. Auch die
ses Verfahren soll bis in seine letzte Konsequenz entwickelt
werden. Vollzog sich im Beispiel 7 die zyklische Entfaltung der
Vokalreihe s u k z e s s i v , so wird sie sich nun s i m u l t a n ent
falten. Das folgende Beispiel, in welchem die Vokalreihe zy k
lisch permutiert wurde, erhellt gleichzeitig die Grenzen der

14) Micr. , a. a.O., S.lOl


18

Verfahrensweise. Jeder Vokal ist einmal jedem Ton zugeord


net. (Bsp. 10)
cdefg cdefg
aeiou Den Graden der aaaaa
eioua Zuordnung nach eeeee
iouae dargestellt: iiiii
ouaei 00000

uaeio uuuuu

Die Zuordnung ist total variabel: Jedem Ton sind smtliche Vo


kale und jedem Vokal smtliche Tne zugeordnet. Die variable
Methode hebt sich in sich selber auf, sie wird vollkommen tau
tologisch. Kirchmeyer weist darauf hin (15), da schon Afflige
mensis in "De Musica cum Tonario der Sinnlosigkeit dieser
simultan- zyklischen Entfaltung von Vokalreihen sich bewut war
"
um das Verfahren als " confusio zu geieln. ( 16)

Aus dem am Beispiel 9 erluterten Verfahren ist ersichtlich,


da die W a h 1 (bei nicht festgelegter Zuordnung) im Extrem
falle bergeht in eine einfache B e s t i m m u n g . Diese aber wird
nicht schlechterdings frei sein knnen, denn zu den komposito
rischen Bedingungen b e r h a u p t sind ja die das System defi
nierenden Verbote gemacht worden. Die vollkommene Nivellie
rung des Begriffs der Zuordnung mndet somit in die Erlaub
nis, alle Verbote - die sich nun widerspruchsfrei zur variablen
Methode verhalten - beachten zu d ii r f e n . Dies ist freilich
mit innerhalb beschrnkter Systeme sich entfaltender komposi
torischer Ttigkeit identisch.

15) Cf. Kirchmeyer, Vom historischen Wesen, a. a. 0., S. 15, Fullnote 13

16) Cf. Kirchmeyer ibidem; im anonymen ,. Liber Specierum" (in: Exposi


tiones in Micrologum Guidonis Aretini, Hrsg. J. Smits van Waesberge, Am
sterdam 1957, S. :n ff) wird die Tatsache, da bei einer zyklischen Permuta
tion der Vokalreihe die verschiedenen Zuordnungen der Vokale eben die un
mittelbar einander folgenden Stufen der Tonskala sind (was nur im Sonder
falle zutrifft!) als Rezept fr einfache Melismenbildung zu rechtfertigen ver
sucht. Jedoch kann dieser Sonderfall nicht zur Regel erhoben werden, da
erstens der bergang eines Melismas zur nchsten syllabischen Zuordnung
vollkommen unbestimmt bleibt und zweitens die praktische und musikalisch
einigermaen sinnfllige Melismenbildung nur bei ausschlielich zyklischer
Permutation gewhrleistet ist. Im Falle aller anderen, vor allem aperiodi
scher Permutationsschemata fllt die Melismenbildung dem Widerspruch von
linearer Tonskala und nicht-linearem Vokalzyklus anheim und wird sinnlos.
Im Liber specierum wird der Sonderfall zum Rezpt umgebogen, wie denn
auch der Autor des Traktates ber die anderen Mglichkeiten sich gar nicht
erst den Kopf zerbricht.
19

Guido selber mag sich der Unzulnglichkeit des Verfahrens wohl


bewut gewesen sein, wenn er es lediglich als Hilfskonstruktion
versteht, welche das Gerst eines Gesanges aufstellt, wenn er
andererseit s jedoch den G esang selber seiner inneren Aus ge
glichenheit zuzufhren e mpfiehlt, indem man , . nach vielen Ver
suchen au s mehreren nur die vorzglicheren, sich am meisten
entsprechenden G nge auswhlt, Sprnge au sfllt, G edrngtes
erweitert, allzu gedehnte Schritte zusammenzieht und zu nahe
stehende trennt , damit man ein einheitliche s , mglichst voll
e ndete s Werk erhalte" (1 7 ) . Dies ist nicht mehr denn eine Er
laubni s , d e n n o c h zu komponieren.

Das variable Verfahren v erhlt - in die ihm innewohnenden


Komponenten aufgespalte n und bis zu deren au sschlielicher
Gltigkeit entwickelt - sich zu s ich selbe r komplementr. Der
Kollision mit dem V erbot skodex des Systems steht die totale
Entropie gegenbe r , die bei beliebig vieldeutigen Zuordnungen
eintretende Irrelevanz der Wahl. V erhindert die e r ste Art der
Deduktion in ihrer vollen Entfaltung eine vom System zumin
d e st geduldete G e staltbildung berhaupt, so wird d ie se durch die
gnzlich entfaltete zweite Deduktion aus der v ariablen Methode
ausge schieden und der durch's System begrenzten kompositori
s chen Spontaneitt berantwortet . Somit vermag die variable
Methode weder d e m System sich zu i n t e g r i e r e n , noch sich
nach den ihr innewohnenden Kriterien musikalisch sinnvoll zu
.entfalten. Die s verbietet ihr der in Guidos Epoche ausgebildete
Stand der Materialorganisation. Die Guidonische Methode lt
sich weder ihrem Begriffe , noch ihrer Struktur nach variablen
Organisation sprinzipien neuer Musik v ergleichen.

Die Epoche , welche zwischen die Perioden singulr modaler


und .,synthetisch " tonale r M aterialorganisation s ich s chob - ihr
erstes authe ntisches Formdenken hat s ich wohl im isorhythmi
s chen Strukturprinzip niedergeschlagen - , steht nicht nur histo
risch im Schnittpunkt Vielfltigster T e ndenzen. In ihren musi
kalische n Werken selbe r stehen kompositori sche Ele me nte i n
Korrelation z u stets vernd er lichen B e st immungen und werden
( 1 8) viel- deutig. E rstmals in Werken Dufays ode r O ckeghem s

17) Mic r . , a. a . O . , S. 1 03

18) Fritz Breidert (in: Stimmigkeit und G liederung in der Polyphonie des
Mittelalter s , Leipzig- Wrzburg 1935, S . 1 o:l) erwhnt zum Beispiel die .. offe
ne " Struktur der Melodien bei Obrecht.
Cf. F . Gennrich, Musica sine littera, Darmstadt 1956, Heft 13/ 4 ; Hinweis auf
20

wird vollends e rreicht , was s eit Machaut zumindest kompo si


tionstechni sch ange strebt war d . Dort nmlich hob e in Formden
ken an, w elche s nicht e infach auf die Exposition musikalischen
Materials zielt e , sondern d ie se s aus dem Zu stand seiner Ding
lichkeil zu befreien trachtete ( 1 9 ) , indem es - dank syntakti
s cher Konzeptionen - de ssen F u n k t i o n den Primat ber sein
blofes Ers cheinen zu ve rle ihen bemht war. Der Einsicht, da
mu s ikali s che s Material au s sich keine Formen zu zeugen ver
mge ( 2 0 ) und kompositori s c he Verhalten swei sen keineswegs
prjud i zi e re , antwortet das Formdenken d e r Renaiss ance mit
dem Durchdringen der Mater i alstruktur dank syntakt i s ch-for
maler Kriterien.
Im Werke Oc ke ghems kulminieren vielfHigste und verzweigte
ste Str mungen. Die vorab auf systemati sche 0 r g a n i s a t i o n
mu sikali s chen Materials kon z entrie rte n B e st rebungen mittel
alt erliche r Mu sik hatten in d e s se n Kodifizierung gemndet ( 2 1) ,
i n fe ste Schemata , welche als Trger kompo sitoris cher Inten
tionen jedoch nicht lange sich behaupten konnten ( 2 2) . Vor allem
haben sie denn auch in den the oreti sche n Schriften sich verhr
tet . Die Umbildung der rhythmischen Modi in mensu rale - die
Entwicklung phnotypischer Konstellationen zu funktionalen - hat
zum Bei spiel tiefe Kerben in die he rrschende V orstellung von
musikalis cher Z e it geschlagen. Die Wirkungs-Mglichkeit als
fe stumr i s sene Typen schon konzipierter elementarer Konstel
lationen ist zur Partikularitt ve rhalten und e inge schrnkt. Wo

v ieldeutige Notation, S. III

19:35, S. 94 f: Die Motette des 1 :1. Jahrhunderts ist eben ihrem Aufbau nach
Cf. F. Salzer, Sinn und Wesen der abendlnd ischen Mehrstimmigkeit, Wien

ein hchst variables Gebilde, das die verschiedenartigsten inhaltlichen Ge


stallungen aufweisen kann und dessen Erklrung durch die Feststellung der
Setzweise . . . nicht e r schpft i st.

19) Cf. Rud. Ficke r , Formprobleme der mittelalterlichen Musik, in ZfMw


1924/ 5 , S. 19 5 ff (S. 199); zur Absorption des cantus firmus cf. Ficker, a. a. 0.,
S. 203 f und: Friedrich Lud wig, Studien ber die Ge schichte der mehrstim
migen Musik des Mittelalters, KmJb XIX (1905), S. 5

20) Ideologien, die knstlerisches Material mit Natur verwechseln und


ihm natrliche Krfte zuschreiben, verharren denn auch stets beim Konsta
tieren von Verhltnissen, nicht von Krften. Siehe als Beispiel: Jens Rohwer,
Der Sonanzfaktor im Tonsystem (ungedruckte Dissertation) Kiel 1958

21) Cf. Franz Brenn, Die gregorianischen Modi nach dem Speculum Musi
cae, KgrBer. Basel 1949, S. 74

22) Cf. A . Michalitschke, Theorie des Modus, Regensburg 1923, S. 28


21

jedoch die Komposition auf fe stgele gt e s und typologisch etablier


tes Mater ial nicht mehr sich stt z t , sondern formale Kriterien
und M aterialstruktur ineinszusetzen trachtet, da las se n die
Wirkungs- Dimensionen der Elemente k o m p o s i t o r i s c h s ich
bestimmen ( 2 3 ) . I m U nt e r s chied zur Tonalitt , deren Material
struktur solche .. syntaktischen " Definitionen s chon implizite
sind , s ind sie in der Renai s sance - wie das am Beispiel Ocke
ghem s noch ve rdeutlicht w e rd e n soll - dem spontanen E ingriff
stet s geffnet. Nicht , da in s pteren Z e iten die mu s ikalische
Spontaneitt au sge s chaltet w re . Lediglich sind dort die V e r
knpfungsregeln s chon als Material-Formeln prsent , wodurch
in diesem Bereich das Komponieren t at schlich i n hohem Mae
prdeterminiert war ( 24 ) .
Ockeghe m , i n d e ssen We rk die Kollision traditioneller .,Materi
albearbeitung " und neuen authentis chen Formdenkens hart und
fruchtbar sich au strgt , hat der theoret ischen Betrachtung man
ches Rtsel aufgegeben. Bekannt sind die Kontrov e r s e n , welche
u m s eine .. Fuga trium vocum in epidiat e s seron " ( 2 5 ) entstan-

23) Cf. Ficker, Formprobleme, a. a . 0. S. 103 f


Cf. Ludwig, Studien, a. a. 0. , S. 5 " Die neuen Be standteile treten der alten
liturgischen Melodie immer selbstndiger gegenber; sie werden melodisch
reicher belebt und bald werden sie auch in rhythmischer Beziehung ganz selb
stnd ig . "
24) Tatschlich ist es wesentlich einfacher, etwa ein Werk im Stil der
Frhklassik programmieren zu w ollen, als eit1 s der Renaissance. Sind auch
in beiden Fllen die Resultate musikalisch belanglos , so w ird man doch die
Stil-, das heit, die Struktur - Kriterien des tonalen Werkes mit grerer
Przision bestimmen knnen.

publ. bei J . S. Levit an , a . u . a. 0.


25) Cf. Ockeghem, Fuga trium vocum in epidiatesseron, Petrucci 1503,

Cf. J. S. Levitan, Ockeghems clefless compositions, in: MQ 23 (1937), S. 440 ff


Cf. Carl Dahlhau s , Ockeghems fuga trium vocum, in: Mf XIII, 1960, S. 307 ff
Nimmt noch Levitan mehrere gleichberechtigte definitive Lsungen, deren
jeder eine bestimmte Gruppe der in der Vorlage angegebenen Schlssel zuge
ordnet ist, an ( " Expecially worthy of attention is the contrasting effect pro
duced by the two versions", S. 45 2), so lst Dahlhaus ( . Nach Clareans Zeug
nis ist Ockeghems Kanon modal mehrdeutig " , S. 308) das Problem, indem er
die Verschlsselung als eine Methode interpretiert, .einen Quart-Sept- Kanon
in einer einzigen Stimme aufzuzeichnen " (S. 309). Ob freilich die modale
Mehrdeutigkeit auf die einzelnen Stimmen (Dahlhau s) oder auf einzelne Fas
sungen des Stckes (Levitan) sich bezieht, ist definitiv noch nicht ausgemacht.
Die Struktur der Notation selber (welche in diesem Beispiel die durch ver
schiedene Vorzeichen- Setzung bedingte modale Mehr-Schichtigkeit mit der
durch d ie Akzidentien ermglichten modalen Mehr- Deutigkeit vereint), liee
zumindest beide Lsungen mglich erscheinen.
(Levitan brigens bespricht in seinem Aufsatz eine Reihe von historischen -
und meist unkorrekten - Lsungsversuchen des umstrittenen Stckes . )
22

den. Tat schlich sind durch die Di sku s sion d i e Schwieri gkeiten
nicht gan z behoben worden, welche eine r definitiven, andere
aus schlieenden Lsung im Wege stehe n . Die Frage nach der
konomie d e r Ver schl sselu ng wirft stets da erneut sich auf,
wo die Suche nach der einzigen, musikalisch authentischen L
sung an d e r V or stellung des individuellen Werke s s ich orientiert
und den Werkbegriff v iel spt e re r Z e iten in die Struktur lterer
Kompositionen projiziert (26). Wo d ie Mglichkeit gleichberech
tigter Lsungen theoreti sch negiert w ird , bleibt der Verdacht
be stehe n, die kompo sitorische Intention htte womglich sich
auf sekundre Momente ihrer schriftlichen Darlegung verla
gert. Jedoch vermag die mensurale Notation - vor allem die ihr
entsprungene P raxis getrennter Aufze ichnung der Stimmen -
optisch ber den musikalis chen Verlauf d e s klingenden Werke s
u n m i t t e 1 b a r nicht zu informieren. Ihr sthe ti s cher An
spruch ist durchau s periphe r. Kompo sitorische Praxis , die e s
in me nsurale r Mu sik bei einem bloen Spiel mit den Requisiten
der Notation beli e e , wre w ahrhaftig als reine Marotte abzu
tun . Denn solange Musik berhaupt (noch) notiert wird , verm
gen scheinbare Kohrenz oder sthetischer G ehalt der Notation
da nicht zu interes sieren, w o sie nicht ihre Ent spre chung in
mu sikali s cher Form und G e stalt finden , auf die sie teleologisch
sich beziehen. Die s ist nicht nur Reflexionen auf Ockeghems che
Not ations- Praktiken vorzuhalten, sondern vielmehr noch Speku
lationen der Gege nwart , in we lchen oft bei "graphi schen " Wer
ken deren musikalische Seite mit dem Notations-Bild berhaupt
nicht mehr Schritt zu halten v e rmag.

Nicht wegen der V e rsammlung m e h r e r e r Formen in e i


nem Notentext soll d i e zweite Untersuchung an einem Modell
Ockeghe ms vorgenommen w erde n, sondern u m der The se wil
len , da in Ockeghe ms Form- Artikulation - und somit in den
Materialbegriff - Mehrdeutigkeit Einzug gehalten hat. Sie i st
Au sdruck er stmaligen umfassenden Eingriffs kompo sitori scher
Idee in d ie Struktur des Materials.
Die " M i s sa Prolationum " ( 2 7 ) , aus welcher ein Abschnitt un
ter sucht werden soll, beruht in ihrer G e samt - Di spo sition auf

26) Cf. Rob. Eitne r , Ockeghems Chanson Ma bouche rit, in; MfM VIII,
1 87 6 , S. 8 ff (Eitner weist darauf hin, da zu Ockeghems Zeit ein jeder unbe
sorgt um die Authentizitt de s Werkes die Kompositionen anderer zu seinen
eigenen Zwecken arrangierte . )
2 7 ) Johannes Ockeghem, Missa Prolationum, Hrsg. Dragan Plamenac
1 9 2 7 ff, Band 2
einer in sich schon mehrdeutigen Entfaltung des musikalischen
Material s . Die einzelnen Teile des Werke s ( 2 8 ) bilden einen
Zyklus von Kanon s , deren Fundamental- G r en sukzes siv die
inne rhalb einer Oktave liegenden Intervalle sind. Der hierdurch
fr jeden Teil ve rschiedenen Bedingung kanoni scher Stimm
V e r s chiebung entspricht d ie innere Struktur der Stimmen sel
ber , welche wiederum auf die greren Formen bergreift. So
wird zum Beispiel beim Sekund- Kanon ( Chri st e eleison " ) auf
"
Vierstimmigkeit und Stimm- berlagerung ve rzichtet , da beides
den Einbe zug von Intervallen und melismatischen Figurationen
erheis c ht htte , welche dem in der ge samten Komposition er
s che inenden Materialtypus nur schwerlich zu integrieren ver
mocht htten. Auch der Kanon in der Septime ( " Pleni sunt " )
b e s c hrnkt sich auf zwei Stimmen. Der Stimmeinsatz in der
Unterseptime wird kompensiert durch einen Quinthll der s chon
erklingende n Stimme - die Terz wird zum Kernintervall, welches
die meli smatischen Elemente beider Stimmen ausbalanciert .
Wie im Kanon eine noch erklingende Stimme mit ihrer eigenen
Vergangenheit konfrontiert wird, so bestimme n in Ockeghems
M e s se die Intervalle des Folgenden rckwirkend die harmoni
s c he Struktur des Vorangegange nen . Hierdurch wird das Pro
blem der Einsat z - Abstnd e , vermittelt durch das kanonische
Einsat z - Intervall, zur gewichtigen Be stimmungsgre harmoni
s cher Ge staltung.

J ener harmonischen Proportionsreihe ( Prim, Sekund , Terz usf. ) ,


d eren Glieder die I ntervall- Struktur der einzelnen Teile festle
gen , ents pricht eine rhythmische Reihe , welche als Alternative
zur er sten fungiert. Jedoch i st nicht einfach das harmoni sche
P roportions schema auf den rhythmischen Parameter appliziert
worden. Die berlagerung vierer verschiedener Dauernketten
( welche sich, worauf schon Plamenac hinweist , unregelmiger
Augmentationen bedient) vermag vielerlei auf ein Mal zu bewir
ken: indem sie die g 1 e i c h e n Modelle in v e r s c h i e d e n e
Z e itrume proji ziert , be stimmt sie den Einsatzabstand der ka
nonisch korres pondierenden Elemente. Hierin wirkt sie , als e ine
der P rmissen globaler Disposition, ebenso str ikt in das fili
grane Gefge des S atzes hinein, wie dies schon von der Tonh
hen - Dispo sition beschrieben wurde ( 2 9 ) .

28) Siehe auch die Beschre ibung der Messe bei Plamenac, a . a . 0., S, X X
Cf. Breidert, Stimmigkeit , a . a . 0., S, 96

29) Cf. Missa Prolationum, Kyrie I und II, Gloria, Credo, Hosanna.
24

Das ambivalente V erhltnis von Tonhhen- und Dauern- Parame


ter wird durch die Modifikationen be stimmt , welchen melodische
Elemente dadurch sich unterziehen, da sie zwar s i m u 1 t a n
(also am gleichen Zeitpunkt beginnend) , jedoch in v e r s c h i e -
d e n e r Ausdehnung sich mit sich selber verquicke n . Hierfr
zeugt die harmonische Struktur all der Teil- Anfnge, in wel
chen ein Dauern - Kanon in der Gleichzeitigkeit sich entfaltet .
Weist das harmonische Kanon- Intervall identitt oder potentielle
Komplikation auf (z. B. Prim oder Terz) , so wird die harmoni
sche Struktur auf ein u n i f o r m e s Mociell reduziert (z. B .
Kyrie 1 1: f- c - f- a; 1 2 : f- a- f- c- a-f- c) , des sen Elemente , wie im
mer auch sie zusammentreffen mgen, eine eindeutige harmo
nische Struktur zeugen. Wo j edoch ein neutrales Kanon- Inter
vall erscheint (wie z. B. die Quint im C redo oder die Quart im
G loria ) , da kann die Verknpfung j ener Elemente durch V e r
b i n d u n g s elemente .3ich vollziehen , welche die Intervall
Sprnge kontinuierlich aus stufen (wie z. B. im C redo 1 1 : c - e - e
d - d - a - d) . Durch dies Verfahren alterieren die Beziehungen der
Gr und- Elemente innerhalb de s Strukturmodells .

Je nach ihrer eigene n Be sch affenhe it wirken beide Parameter


vielfltig ineinander: wie die Kriterien der Dauern-Organisation
elementare harmoni sche Konstellationen bedingen ( sowohl im
Simultan- Beginn der einzelnen Mes seteile als auch in dem aus
ihm folgenden Geflecht sukzes siver Stimm- Einstze ) , so wirkt
umgekehrt das kanonis che Definitions-Intervall auf die struktu
relle Ein- ode r Vielschichtigkeit der Daue rn-Organisation. In
der Disposition de s Werke s , welche der einander beeinflu s sen
den Parameter Hhe und Dauer sich bedient , ist die Flexibilitt
formaler Artikulation im Keime schon angelegt und in ihren Di
mensionen umrissen. Schon der Exposition des " M aterial s " wird
an kompositorischen Kriterien soviel einverleibt, da die Ein
sicht, mu sikali sche s Material knne a us s i c h keine Form
stiften, erneut sich besttigt . Tatschlich hat es die s nie ver
moc ht , wo nicht seine formzeugenden Kriterien sich s c hon kom
positorischen Entscheidungen verdankten. Alle r spte stens bei
den Niederlndern - eklatant bei Ockeghem - hat die musikali
sche Komposition skunst j e glicher Relikte von Naturnachahmung
sich entledigt.

Die Dialektik zwi schen globaler Disposition und Form- Zellen


wirkt bis hinein ins minutise Detail. Und die gegenseitige Be
einflu s sung der Parame te r zeugt Vie ldeutigkeit in allen Per
spektiven:
25

A) Mehrdeutigkeit der melodischen Zellen


1. V e r schiedene Funktion in verschiedenen Kontexten
2 . G leichze itige Exposition ver schiedener Ge stalten einer
Zelle
3. Zusammenset zung einer Zelle au s mehre ren Elementen,
welche anderen Zellen entnommen sind (vieldeutige Zel
le n- Struktur) .

B) Das Prinzip der MehrzeHigkeit (Kanon- Kopf) wirkt auf die


folgenden Strukturen
l. Umdeutung struktureller Kriterien: simultane werden suk
zes siv, - rhythmische werden harmonisch konstitutiv.
2. Die Form- Phasen, in welchen solche Umdeutung sich voll
zieht , geben den Charakter von Flexibilitt als verbind
liche s Kriterium an die folgenden Phasen weiter.
3. Die , stabilen' Kriterien der globalen Disposition - Ka
nonintervallreihe und Dauernketten- Reihe - stellen einem
jeden Teil der M e s se ein Element zur Verfgung, von
welchem (als Modell-Kern) aus die kompositorischen Ar
gumente der konkreten G e staltbildung f 1 e x i b e 1 und
nicht schematisch sich entfalten.

C ) Die Flexibilitt der Form re sultiert sowohl au s der Mehr


d eutigkeit der Elemente (A) als auch au s der Umdeutung for
maler Kriterien, die die Bedingung jener Mehrdeutigkeit ist.

Brenn (30) hat e inmal von einer Mannigfaltigkeit der Zeitper


"
spektiven " bei Ockeghem gesprochen. Diese aufzudecken inten
diert die folgende Unter suchung. Ihr Objekt - das kurze, noch
nicht einmal dreiig Breven me s sende Kyrie I der Prolations
me s se - ist von solch groer Komplexitt, da es legitim fr
das Musikdenken seiner Epoche einstehen kann, deren Erfah
rung in ihm kulminiert.

Der bersichtlichkeit halber wurde die Superius - Stimme , wel


che in Tempu s und Prolatio imperfiziert ist, durchgehend mit
vertikalen Linien unterte ilt , die si ch durch die anderen Systeme
fort setzen. Mit Taktierung hat dies nichts zu tun; die Numerie-

30) Franz Brenn, Ockeghems spiritueller Rhythmus in: KgrBer Kln 1 9 5 8 ,


S. 7 4 . B e i Brenn meint dieser Satz allerdings die schwebende Rhythmik Ocke
ghems und beze ichnet nicht unbedingt die Erkenntnis rhythmischer Komplizi
tten, wie sie in der Missa Prolationum zu einem der formalen Prinzipien
erhoben wurden.
26

rung der Sektionen von 1 bis 26 soll lediglich ein leichteres Auf
finden der ( mit A , B ... G bezeichneten) melodischen Teile e r
mglichen ( B sp . 1 1 ) .

Wie s chon be schrieben , i st der Keim der Sat z - Struktur je ein


Elernent der beiden Alternativ- Paramete r, welche in der glo
balen Disposition die organisatorischen Kriterien stiften. Das
Kanon - Interv all i st hier die Prim; das Intervall zwischen Su
perius und Tenor (den Ausgangsstimmen d e s Simultan- Kanons )
i st folglich d ie Oktave.

Die Proportionen der Daue rn- Ketten im (Simultan - ) Kanonbeginn


reihen sich wie folgt :

Superius : 2 2: 2 : : 2
C - Tenor : 3 3 : 3 : 3
Tenor 3 1, 5 1, 5 : 3 1, 5 : 1 , 5 (3) 2
Bassus 4,5 : 1, 5 : 3 4,5 1,5 : .3 (: 2)

(Bsp. 1 1 )

(\l 2 3 4 5 6 7 8 9 10 2 3 4
SUP.
- - D
A B

C.TEN
1-Ff c

tJ - -
A B
Ir:&:::::

.:: - lg_ .0..0. 1-Ej.


TEN

A B c D
-1---....- .. ..---.- .&. - -&&
BASS

A B c
(\ 5 6 7 8 9 20 2 3 4 5 6

., I
E -e-F -e-G

tJ ... -
D E -e.F
- -
(G
--. ." J";e .0."1," -&e

E F
-ta- .0. .0. 1-Ej. .kn - - I
:
D E F/2
27

Im oberen Stimm- Paar erklingen j e vier Noten, im unteren je


sieben. Die G e s amtdauer nimmt, bei steigender Augmentation,
von oben nach unten unregelmig zu , weil die beiden unteren
Ketten betrchtlich gedehnt werden. Der ,.Abbau d e s Simultan
kanons erfolgt also etwa in die ser Form:

Das resultierende V e rhltnis der G esamtdauern i s t


8 : 1 2 : 1 4 : 20 4 : 6 : 7 : 1 0 ; die re sultierende Differen z : 2 -
=

1 3. Die G e samtdauern sind also fcherartig gedehnt.


-

Dem trgt die harmonische Struktur Rechnung. Sie ist eindeutig


und rekrutiert sich au s nur drei Tnen (,. Oktaven) , deren ver
schiedenartige Kombinationen das strukturelle G e fge nicht al
terieren (Tne : f a c ) . Der Dichteverlust wird durch die ber
lagerung verschiedener Dauern be stimmt. Da jede melodi sche
Gruppe d e s Beginns nur einmal erklingt , lst die symmetrische
Formierung sukze s siv sich in eine flexible auf. Addiert man
die vier Dauernketten zu einer einzigen, so re sultiert - bis zum
Ende der obersten - folgende Reihe von Einsatz- Abstnden:
4 : 2 : 1 3 : 8
00 f o

Die vertikale Dichte resultiert aus den vers chiedenen Einstzen


von Tnen in den e in zelnen Stimmen:
0 0 r o
4 2 1 2 4

Sup: 1---- 1--- 1---1---


C-T: 1----- 1------ 1----
Te!l! 1----- 1-- 1--- 1----
...._ 1 F--- .,_4__ _
2,;._
Bss: 1-4
_____

Sowohl die harmonische als auch die rhythmische Stabilitt l


sen sich in dem Augenblick in eine flexible Struktur auf, i n wel
chem die krzeste Phrase des ,. Dauern - Kanons (Superiu s :

4x 1=1) beendet ist. Ruhepunkte von der Dauer 1=1 (mit Dichte
maximum 4) treten dann bis zum Schlu des Kyrie nicht mehr
auf. Zur Auflsung der Initialstruktur tragen harmonischer und
Dauernparameter alternativ bei. Die Bas su s - Stimme , deren A
Phrase am weitesten in das folgende Gefge hineinragt, wirkt
28

einer Pe riodisierung der Ein satzabstnde e ntgegen, welche in


den ober sten drei Stimmen sich einstellt , indem deren folgende
Phra sen ( B - C ) nach und nach von <;ier Augmentation befreit w e r
den. Ohne den Bassu s w r e ( T . 5 - 1 0) d i e Reihe der Einsatzab
stnde folgende : o o d o. o o o o o o o o d; nach Hinzufgung d e s
Bassu s lockert sich d i e Reihe : o o d o . o d d o o o o d d.

Die Unregelmigkeit der Pulsation, welche durch die im Tenor


und Bassu s e r scheinende Proportion ( x : ) 1 , 5 entsteht, weicht
den zunehmend die anderen Stimmen beherrschenden regelms
sigen Dauernproportionen. Die Phase rhythmi scher Fluktation
hat ihr K0rrelat in der harmonischen. Beide wirken zu gleicher
Zeit. Die Elemente der harmonisch e indeutigen Initialstruktur
fungieren nun in anderem Kontext und tragen zur Alteration und
Auflsung des fixen G erstes bei. Diese Auflsung greift in den
Abbau der vier Initial- Phras e n (T. 5 - 10) kontinuierlich ein. Die
Tne a und c werden statt e inem f einem e zugeordnet, mit
welchem die B-Phrase des Superius einsetzt. Zwar bleibt das
Terz- Schema des Beginns aufrechterhalten, jedoch mu e s sich
einer U m d e u t u n g unterziehen: (Bsp. 1 2)

Analog zur wieder angestrebten Periodisierung der Einsatzab

C-TEN=
stnde wird das Alternativ - I ntervall a - c zum neu en Modell. E s
ist die harmonische Vorau s - S etzung beim Eintritt der B- Phras e
d e s Contratenor s : ( Bsp. 1 3)

SUP

BSS :
TEN

Ferner wird die Ambivalenz (also entweder f- a - c oder a- c - e )


-- --

zur K o n s t i t u e n t e der B- Phrase von Tenor und Bassu s ,


welche nur d ie se s e inen Intervalle s sich bedient. ( Bs p . 14)
----
0 0
29

Diese Phrase be s itzt wenig melodische Prgnanz und dient vor


alle m der V e r m i t t 1 u n g . Whrend im Tenor die beiden c er
klingen , wandelt sich das harmonische Gefge . Das er ste c fun
giert als ,. Mediante " (Basis: a) , das zweite als Quint (Basis: f) .
Bleibt auch die Funktion der beiden folgenden a die gleiche , so
s pielt doch das Terz- Intervall, welches die Phrase bestimmt,
im Verlauf des Kyrie eine bedeutsame Rolle ( cf. Bsp. 2 2) .

Die Phase harmonischer (und rhythmischer) Fluktuation be stimmt


auch die Struktur der einzelnen Phrasen. Die B - Phrase des
Superius enthlt ein f als Wechselnot e , welches innerhalb der
Zelle die lngste Dauer hat. Es fungiert rckbezglich auf die
harmoni sche Initialstruktur. Die vier anderen Tne e - (f) - e - c - c ,
die alle gleich lang dauern , weisen eine starke Affinitt der
Phrase zu jener v ermittelnden des Tenor und Bassus auf.
(Bsp. l 5 )
-- ee

16
ee - I!J:
V

Sie wird also durch Kriterien be stimmt, welche der ihr zeit
lich vorangehenden Phrase des Superius entstammen. Das har
monis che Alternativ- Modell: f- a- c - e , welches die Auflsung der
ersten Struktur bewirkt e , entfaltet sein Korrelat in der ., melo
dische n " Verknpfung. Die se tritt als dritte s Kriterium flexib
ler formaler Artikulation in Kraft und die s auf mannigfaltige
Art .

Die B- Phrase des Superius w ird mit der B- Phrase des Tenor
verknpft, und zwar auf einer Tonhhe : ( Bsp. 1 6 )

Dem betonten ( l=l ) f im Superius wird der Tenor durch den Be


ginn s e iner C - Phrase antworten. Zusammen mit dem doppelten
a der B- Phrase wiederholt er die Struktur des Superius in der
Umkehrung. Ein ge staltbildende s Argument wird dadurch zu
einem der V erknpfung. Hie e s im Superius e - f - e - c - c , so
verbinden die beiden Teile der B - und C - Phrase de s Tenor sich
zu c - c - a-a-.:-a . Die beiden Linien kompe nsieren einander:
30

Dem Anfangston g der Teno r - C - Phrase eignet darber hinaus


eine d o p p e 1 t e Ve rknpfungsfunktion. Er setzt genau auf den
letzten Ton (c) der Initialphrase des Bassus ein, mit welchem
der Simultan- Kanon des Beginns sich endgltig in einen Sukzes
siv- Kanon auflst (T. 1o) . D a s g markiert die Verknpfungsstel
le beider Formen. Die C - Phrase de s Tenor steigt bis zu ihrem
Schlu u m eine Quint, wodurch der zweite ,.Antipoden " - Ton d e r
ursprnglichen harmonischen Zelle er stmalig eingefhrt wird
(f- a- c : a - c - e : d-f-a ) . Am Ende der Tenor- Phrase setzt die
gleiche Phrase im Bassus ein, ihr Anfangston wird also ihrem
Endton verknpft, - die " horizontale " Quint erscheint als ver
"
tikale " , ihre doppelte Funktion wird er sichtlich. (Bsp. 1 7)

Wiederum wird deutlich, da die Disposition der kanonischen


Einsatzab stnde fr die harmonische und melodische Struktur
der folgenden Phrasen bedeutsam i st.

Die bemerkenswerte Krze der Unterstimmenphrase B wird


e rneut zu einem funktionellen Kriterium. Diese Phrase i st ge
nau so lang, da sie als Bindeglied zwischen der A- und C
Phrase d e s Bas su s zu fungieren vermag, u m berdies die oben
be schriebene Verkettung d e r Tenor- mit den korre spondieren
den Bassus- Gliedern zu e rmglichen. (Bsp. 18)

Beide Unterstimmenphrasen, B und C , verhalten sich mime


tisch zur Initialphrase. Das imitatorische Prinzip, welches ge
meinhin die g 1 o b a 1 e Struktur eines Kanons zu bestimmen
pflegt , wird hier auf die Struktur der einzelnen Z ellen selber
bertragen. ( B sp . 19)
31

Die F l e x i b i l i t t der Form wird aus j enen akzidentiellen


Beziehungen gezeugt , welche zwische n formaler Disposition und
Material - Struktur sich herstellen. Das mimetische Moment,
welche s in den dargestellten Phrasen Allu sion an schon verklun
genes Material bewirkt, i st auch da in die Struktur der Phrasen
eingegangen , w o ihr s i m u l t a n e s Erklingen unmittelbar Be
ziehungen zu zeugen vermag.

In Bsp. 16 wurde die Verknpfung zweier Phrasen ( Superius


und Tenor- B) in einem T o n be schrieben. Beider Rahmeninter
vall - eine Terz - wird durch den gleichzeitigen Einsat z der
B- Phrase des Contratenor zu einem Simultanintervall ( cf. auch
B s p . 17 ) . (Bsp. 2 0 )

e-.
_.

Der durch die Terz ber lagerten Verschrnkung Superiu s - Tenor


im Tone c antwortet eine neue ein-tnige Verknpfung, w e lche
d e s markanten f (cf. Bsp. 15) sich bedient, indem die s e s zum
Ausgangspunkt der folgenden Phrase (C) des Superius gemacht
wird. ( Bsp. 2 1 )

Von diesem Ausgangston weicht der Contratenor nach unten,


der Superius nach oben ab. Beide Sekundschritte fchern sich
zu e iner Terz, welcher UIJ.mittelbar in beiden Stimmen ein ab
w rts gerichteter Terz- Schritt sich anschliet. Die Struktur des
einen Melodieverlaufe s bewirkt die des anderen: Mime s i s .

D i e Bewegungsfolge dieser Terzen steht innerhalb einer Textur,


in w elcher die ses Intervall fundamentale strukturelle Bedeutung
besitzt. Auf die doppelte Funktion der Terz, die in der Simul
tanitt als Auflsung seleme nt und in der Sukze s sivitt als V er
knpfungselement fungiert , wurde s chon hingewiesen. Das fol
gende Beispiel fat die vielfltigen Erscheinungsformen die s e s
Intervalles noch einmal zusammen . ( D i e eckigen Noten zeigen
32

j eweils die betreffenden Tne an) (Bsp. 2 2)

fl 5 6 '1 8 9 10 11 12
s
I. -- ...__V

( r
--
CT
.., c___S
.0.
':+c.+
T :

I+ ;. t--
/"" ++
B

L----;-1

Keine der melodischen Terzen steigt ; beme rkenswerterweise


fallen s ie alle .

Indem an die C - Phrase d e s Superius die des Contratenor im


Einklang (also wieder f, cf. Bsp. 2 1) sich knpft , i st auch deren
letzter Ton determiniert. E r wird gleichzeitig zum Zentrum
der be ide n verschlungenen Teile . Analog zu den Zellen aus B sp .

16 (cf. auch Seite 29 unten) kompensieren auch hier die beiden


melodischen Linien e inand e r . Waren es dort aber verschiedene
Phrasen, so ist es nun die gleiche , die als Beginn und Fortfh
rung fungiert. Das Material i st selber vieldeutig; das Prinzip
der U mkehrung i st der Intervallstruktur des melodischen Ele
mentes schon zu eigen. ( B s p . 2 3 )

II::t e' )
6 e II H -....._;..-
e '"
=----"'

Die se Technik struktureller Bildung von Affinitten d ank Viel


deutigkeit der Materialstruktur hat ihre Konsequenzen fr fol
gende Zellen und G e stalten. Abgesehen davon, da die E- Phrase
der Obe r stimmen auf G rund hnlicher Kriterien sich formiert
( Bsp. 2 4 ) -

n c/'
. II II ; ;, z
\
h

Q ;.[\
r s;l
abgesehen davon auch, da d ie dazwischen liegende D- Phrase
gar symmetrisch, als U mkehrung des Krebses gebaut ist (Bsp.
25) -

I J. r r r e J r II

greift in den Unterstimmen zu gleicher Zeit das Kreb s - P rinzip


in die Struktur der einz elnen Phrasen ein, um darber hinaus
mehrere zu einer bergeordneten Einhe it zu verbinden. Damit
i st die nchste Phase der flexiblen Ockeghemschen Formie
rungs - Technik erreicht : vorher singulare Verknpfungskrite
rien (die sich zue rst auf die Ton- Verbindungen, dann auf die
Struktur ganzer Phrasen bezogeD) werden nun zu strukturellen
Kriterien erweitert, welche die G e stalt der Phrasen rckwir
kend aus der Struktur von Phrasen-Ve rbnden be stimmen.

Die zusammengefaten Phrasen B, C und D de s Tenor und Bas


sus bilden eine lineare und e ine gekreuzte Krebsform gleich
zeitig, wobei der B- Phras e , dank welcher dieser Verband er
ffnet wird, am Ende der G e s amt - Ge stalt die Auflsung des
symmetrischen Gefges e ntspricht, - seine berleitung in die
folgende Form- Phase . (Bsp. 26)

Zur Verdeutlichung d e s Kreuzungs - Krebse s seien d ie beiden


Stimmen je zur Hlfte in e in System bertragen: .( Bsp. 2 7 )
34

Das Prinzip doppelter Spie ge lung wre e infach zu realisieren,


hielte e s sich nur an ein einziges i soliert e s Material und eine
einzige Achse. Beide s verbietet sich jedoch in Ocke ghems Kom
ponieren, welches durchwegs e ine starke Allergie gegen simple
Phrasieru ng und periodisch- s c he matische Gliede rung hegt ( 3 1 ) .
Beide Symmetrieach sen s ind gegeneinander verschoben . Der
Ab stand der beiden linearen Achsen i st mit dem kanonischen
Einsat zabstand ide ntisch (31=1 ) Die Kreuz-Achse befindet s ic h
.

im Zentrum , also 1=1 v o n den beiden anderen entfernt. D i e


Symmetrie entfaltet s i c h unter mehreren Perspektiven gleich
zeitig; berd ie s korre spondie ren ihr analoge Formvorgnge in
den Oberstimmen (Bsp. 23- 2 5 ) . E rneut weist die Materialstruk
tur, w elche unter funktionellen G e s ic ht s punkten (nicht unter cha
rakte rologis chen ode r fragwrdigen phnotypis chen) konzipiert
ward, sich als Trger m e h r e r e r Funktionen gleichzeitig aus .

Zwe imal fllt das wiederholte d ( T . 1 3 und 16) der hchste Ton
-

des unteren Stimmpaare s - mit dem ebenfalls repetierten h der


D- Phrase de s Superius und C ontratenor zusamme n . Beide Tne
markie ren (cf. B sp. 2 5 ) die Abgrenzung einer Grundge stalt ge
gen ihre(n) Krebs(umkehrung) . De r zweimalige Zu sammenklang,
der sich gleichwohl dem Kanon- Aufbau verdankt, verdeutlicht ,
da topalogis che Kriterien ( E insatzabstnde der Phrasen) und
morphologische (Wendepunkte der G e stalt - Retrograde) in inni
gem Zusammenhang stehen. Auch hie r sind Ge samt - Struktur
und Detail- Struktur innig miteinander verbunden; die e r ste spie
gelt sich in der zweiten.

Da die Wahl kr zerer D auernwerte die unregelmige Augme n


tation d e r Initialstruktur nach und nach au er Kraft treten lt,
periodisiere n sich die kanonis chen Phraseneinst z e im Verlauf
d e s Kyrie . Hierdurch stabilisiert s ich das zu Beginn flexible
Dauern-G efge , w a s an Zusammenhngen sich able sen lt, wel
che man als Re sultanten der G e samt - Di sposition bez e ichne n
knnte.

31) Freilich sind solcherlei Krebsbildungen wie auch andere komplexe


Strukturmerkmale nicht nur bei Ockeghem zu finden. Bei ihm jedoch gewinnen
sie einmalige Bedeutung nicht nur durch ihre beraus komplexe und differen
zierte Kompo sition, sondern auch durch die Tatsache, da es ihm dank der
ihnen innewohnenden Beziehungen gelingt, Material und Struktur auf so innige
Weise miteinander zu verschmelzen, da daraus im wahrsten Sinne des Wor
tes .. unwiederholbare Formen resultieren.
35

Das " Iterationsprinzip " , welche s solch formale Stabilisierung


bewirken mag, ist aber weniger ein kompositorisches Postulat
( es wre dann in der globalen Disposition schon formuliert) ,
sondern darf viel eher als Resultat formaler Prmissen be
trachtet werden, - als Sekundr- P arameter. Die ser wirkt als
Vermittlung zwischen dem Material- und dem Struktur- Bereich.
Es erweitert das lineare Kanon- Prinzip auf die Gesamtverfas
sung des Strukturgefge s; seine reale Auswirkung mu im Be
reich gesucht werden, in welchem strukturelle und formale Kri
terien sich berschneiden, wo letztere au s ersteren sich er
geben.
Die ersten drei Phasen des Kyrie I, welche bis hierhin unter
sucht wurde n , gingen sukzessive auseinander hervor. Die Kom
ponenten , dank welchen die zweite Phase in das Gefge der er
sten e ingriff um e s aufzulsen, galten fr die dritte als ver
bindliche Kriterien. Das ambivalente Verhltnis zwischen har
monischem und rhythmischem Parameter bedingte den fluktuie
renden bergang von einer Phase zur nchsten: das aperiodi
sche V erebben der Initialstruktur determinierte die Einsatzab
stnde der folgenden Phase, die auch die zunehmend freigeleg
ten Konstellationen der Initialstruktur anderen Kontexten inte
grierte.

Das wichtigste Merkmal der dritten Phase war das der bertra
gung r c k b e z g l 1 c h e r Prinzipien auf die Struktur der ein
zelnen Zelle n. Verfahren wie die der Krebs- und U mkehrungs
bildungen, das der Verknpfungs-Analogie oder gar das doppel
ter Symmetriebildung griffen wie mit Polypenarmen in den Kon
text ein und verschrnkten die Phase mit ihrer Umgebung.

Die Zunahme der Beziehungen einzelner Elemente zueinander,


ihre Mehrdeutigkeit, stiftet den Ausgleich zwischen strukturel
ler Flexibilitt und wachsender Stabilisierung. Letztere wird
e ingefhrt, indem die einzelnen Elemente einander a n g e g 1 i
c h e n werden (cf. Bsp. 15 , 19 , 21) , was ihre Gestaltgrenzen in
einander verflieen lt. Der zunehmenden Stabilitt ihrer Kon
stitution entspricht die Fluktuation ihrer Beziehungen.
Ist der Sukzes siv- Kanon - das oberste strukturelle Kriterium
des ganzen Werkes - im Kyrie erst einmal ganz "zu sich " ge
kommen, so periodisiert sich die Struktur des Satze s umfas
send. Dehnt man das Verfahren, welche s der rhythmischen Ana
lyse des Initial-Kanons diente , auf die Untersuchung der fol-
36

genden Phasen au s , will sagen: addiert man die Einsatzabstnde


aller vier Stimm- Fden zu einer einzigen Folge, so re sultiert
eine Dauernkette, in welcher die Entwicklung von labiler zu sta
biler Rhythmik mit erstaunlicher Przision organisch sich voll
zieht. Sie wird durch das Zusammenwirken von Kanon- Struktur
und flexibler Konsistenz der einzelnen Phrasen bedingt. Von T. 8
an resultiert folgende Reihe (deren Teil-Gruppen hier schon ge
geneinander abgegrenzt werden sollen) : (Bsp. 28)

.-----c

'0 o tj .---a------

'o o
' '
J JJJJ wJJ

0 1 2

3
c'... c''

4 15
a'
b

8 9
b'

20 I f.
etc.

6 17
JJJJJ JJJJJJ JJ JJJJJ 0 Jj J 0 J 0 JJ

3
0 0 0 0 0 0 0

2 1

Der versiegenden unregelmigen Augmentation von D a u e r n


antwortet im Mittelteil eine regelmige Augmentation von Ton
Ei n s t z e n , deren Gruppen-Dauern regelmig zu- und dann
wieder abnehmen (1 2 3 - 2 - 1 ) . Dies wre nicht sonderlich
- -

genuin, htte der Komponist die melodischen Eleme nte stur


periodisch eingesetzt. In Ockeghems Verfahren jedoch rekru
tieren die gleichen rhythmischen Resultate sich durchaus nicht
aus gleichen Phrasen. Vielmehr entfaltet sich auch in ihnen ein
Prinzip, welche s der Mehrdeutigkeit der Ele me nte Rechnung
trgt und die se zu komplexen V e r b n d e n kombiniert, so da
teilweise aus den Konstellationen v e r s c h i e d e n e r Materiale
verwandte rhythmische Muster resultieren. Man darf von einer
E n t f a 1 t u n g des Organisationsprinzips sprechen, denn seine
Re sultate sind in (teils miteinander verschrnkte) Abschnitte
geordnet , deren einzelne Zellen zum Trger m e h r e r e r
Fu n k t i o n e n gleichzeitig werden knnen.
37

In der ersten Teil-Phase setzt sich das Resultat noch aus iso
morphen Phrasen zusammen, deren rhythmische Struktur die
spe zifischen Dauern-Divisionen und Akzente der Gesamt- Struk
tur bewirkt. Die korrelativen Gruppen entstehen aus i s o m o r
p h e n Materialien (man knnte meinen, das Prinzip " schwinge
ein " ) : (Bsp. 29)

11 12 (D) 13 i4 (14) 15 lG (t)


(\
s

CT
(c)

tl -- ... ..._

TB J. J
(Rh. Summer .. .
Ges. 0 0 J .J JJJ .J.J.J JJ 0 0 0 ..J ..J JJ..J J J'I'JJ JJ 0
Res. a a'

Die durch einen Pfeil gekennzeichnete Stelle weicht vom ersten


Mu ster ab und markiert die berschneidung zweier Teil- Phasen.
Tatschlich wird diese Modifikation zum verbindlichen Vorbild
der zweiten Teil- Phase. In ihr entwickelt sich das rhythmische
Summations-Prinzip zu einer hheren Stufe . Die gleichen rhyth
mischen Summen werden hier aus recht verschiedenen Phrasen
gebildet. ( Bsp. 3 0)
16 17 18 19 20 21
(\ !
s

CT
---

tl
T
B
J.
(
J J J JJ
)
J J -:'j
Ges. ..J J J..J J J 0 .J J 0 0 .JJ.I..J.IJ 0 J ..J 0 0
Res.
------ b --------_J L...---b '------....J

(Auch die Abweichung in der Summe der beiden Unterstimmen


entsteht aus der Kombination verschiedener Elemente in jenen
beiden Feldern. Jedoch stellt das gleiche Gesamt-Resultat sich
ein. )
Die durch d ie zunehmende rhythmische Periodisierung der Teil
Phasen wachsende Redundanz wird kompensiert durch die Viel
falt der E lemente, welche zu den korrespondierenden G ruppen
beitragen.
Der d ritte Abschnitt schliel3t den Wirkungsbereich de s Summa
tions- Prinzip s . In ihm greift das " Iterations " - P r inzip in die
Struktur der erklingenden Phrase selber e in . Rhythmisch wird
hierdurch die se Phrase fr eine abschlieend e Engfhrung pr
disponiert . ( Bsp. 3 1 )

Die re sultierende rhythmi sche G ruppe( J o .I .I , s . u . ) be r


nimmt e i n Element der schon a l s ambivalent bekannten Gruppe
J .I .IJ .I.I , wiede rholt die se aber nicht wrtlich. Da die bei
den tJ - Werte an der Stelle wegfallen , an welche sie in der er
sten Phase e ingefhrt wurden (cf. Bsp. 29:a' ), entsteht der Ein
druck eine s e choartigen rhythmischen " Au s s c hwingen s " . Be
merke n s wert i st die Ve rteilung der Ton- Dichte in jenen letzten

32
G ruppen; die Anzahl der simultanen Einstze ( harmonis che Dich

161411311 19
te) i st wie folgt: (Bsp. 3 2)

13 212
J.I .IJ.I.I 1
0 J
21
..I.I .1.1 .1.1

Die re gelmige Dichteabnahme auf den langen Werten wird einer


Zunahme auf den ku rzen konfrontiert . Auch hier wieder wird
der Erhrtung d e s organi sato ri s chen Prinzips vorgebeugt, in
dem e in neues Kriterium den strukturellen Akzent verschiebt .
Die Engfhrung, auf welcher d ie letzte rhythmi s c he Zelle ba
siert , s e i hier noch aufge zeichnet: (Bsp. 3 3)
_h (F)
s
t) - - .......

CT

J J J J
0 0 J0 J.l 0 J J
Res.

Im 3 2 . Be ispiel war der Zusammenhang zwi schen horizontaler


und vertikaler Dichte der Toneinst ze be schrieben. Die zweite
und dritte G ruppe des Beispiels e rhellen, wie d ie Dichte- Ab
nahme auf den langen Werten ins Pendeln gert. Auf den kurzen
We rte n nimmt die Dichte zu. Die vie rte , abs c hlieend e G ruppe
e rhht die v e rtikale Dichte auf dem langen Wert bis zum Maxi-
39

mum und lt sie auf den kurzen Werten s chnell abnehmen, um


die se nicht ber G ebhr zu betonen ( e s htte die s eine Schlufs
G e staltung gestrt ) . Der Dichte - Verteilungs - Plan j ene r vier
Gruppen liee sich schemati sch etwa folgender maen darstel
len: (Bsp. 3 4 )
Max. =----r---- --
-.-- -,
Ii
--

Dichte t-0t-7T---IM:;. D =Langer Wert

!===============

Kurzer Wert
:.

Min. _

Die Phase struktureller Stabili sierung (der Mittelteil de s Kyrie


I) lst sich dank der Kriterien auf, dank welcher sie zustande
kam. Jene drei G ruppen, welche die Konstitution der e rsten
zerfetzen und auflse n , stehen alle in gleiche m Abstand ( l=ll=tl
zueinander. Die ser Auflsung antwortet die unmittelbarste ge
staltliche Anlehnung d e s ganzen Satze s . Sie bewirkt , als Ab
we ichung vom Kanonbau, das, was der Kanon seiner Struktur
nach nicht zu zeugen ve rmag: die Schlubildung. Die G - Phrasen
des Superiu s und Tenor, die L.eide im anderen Stimm- Paar nicht
mehr wiederholt w erden , setzen auf jeweils eigene Art die F
Phrase d e s Tenor fort: im Superius wird deren Bewegung s i
m u 1 t a n ube rnommen ( P arallele) und im Tenor wird der G e stus
der Phrase so fortge setzt, da die Anschlu- Phrase (G) wie
derum paralle l zu der des Superius verluft:

Sup . : G.
Ten.: F--7" G
Beider V erlauf richtet sich nach dem de s C ontratenors, wel
cher seine letzte Phrase erklingen lt. Diese war (es ist die
F- Phra se) in die rhythmi s che Maserung de s Mittelteils ver
wickelt, aus welchem sie , nun versiegend , herausragt. Die sie
umgebenden Linien lehnen ihrer rhythmis chen Struktur sich an
und wollen da keine neuen Elemente mehr einfhren, wo defini
tiv ge schlo s sen wird . (Bsp. 3 5 )

24 25 26
0 O J 0

i
0
i
o lJ i
0

t
0
J,
.0
t
0
t
0

Der harmonischen Eindeutigkeit de s Kyrie - Beginns antwortet


die rhythmi sche Einfrmigkeit des Schlu s s e s .
40

Die stete Fluktuation de s Formgefges sowie die Ambivalenz de r


Elemente und der auf ihnen basierenden Strukturen drfte an
den errterten Beispielen zur Genge sich erhellt haben. Der
Nachweis einer flexiblen Form- Entwicklung kann freilich so
wohl von einem V ollstndigkeit s be weis als auch von einer Reduk
tion der Form auf ein uniforme s S chema absehen ( 3 2 ) . Hat beid e s
auch se ine verfhrerische Eleganz , so vermchte d o c h kein e s
darber hinwegzutuschen, da e s dort lediglich als Surrogat
theoretische r Schl sse fungie rt , wo die kompositoris che Inten
tion - fr welche das Werk einsteht - gegen j eden Schematis
mu s s ich wehrt , der die Formgenese und G e staltungs bildung zu
reglementieren trachtet. Und keinesfalls lt das Ockeghem
sche Formdenken in Tabellen s ich ordnen, welche - V orwand
der Analyse - dann a posteriori mit musikalischen " G ehalten "
gefllt wrden, denen sie doch nur uerlich anhafteten.

Die Kriterien der Ockeghem sc hen Form be stehen in der M e h r


d e u t i g k e i t der sie konstituierenden Elemente und Zellen,
im a m b i v a l e n t e n Verhltnis ihrer G rund- Parameter und in
der f l e x i b l e n Be ziehung d e r Ge stalten aufe inander. Einige
der prinzipiellen Kriterien, welche die Struktur der einzelnen
Form- Phasen be stimmen, seien abschlieend noch e inmal auf
gezhlt:

a) Simultane Spreizung einzelner Ge stalt- Modelle in verschie


dene Zeit - Rume (Rhythmik und Harmonik unterliegen den
Bedingungen der Mehr- Zeitigkeit) .

b) Sukzes sive Auflsung von Struktur- Modellen zugunsten fol


gender, wobei d iese die Kriterien k o n s t i t u t i v verwenden ,
welche vorher Kriterien d e r De struktion waren.
c) Umd eutung kleine r , schon etablierter Zellen (ode r gar ein
zelner Elemente im harmonischen und rhythmischen Bereich.

d ) Zersetzung stabiler Modelle und Verfe stigung der Elemente ,


die solche Zer setzung bewirken, woraus wiederum einheit
liche G e stalten und deutliche Grade der Verwandt schaft ent
stehen .

3 2 ) Entsprechend wurde auch auf eine Analyse aller Parameter a n allen


Stellen verzichtet. Es war vor allem um die flexiblen B e z i e h u n g e n zwi
schen Parametern und um deren gegenseitige B e e i n f 1 u s s u n g zu tun, die
zur wesentlichen Komponente der Formbildung wird. Insbesondere wurde die
Harmonik nur da einer eigenen Betrachtung gewrdigt, wo die s fr die Er
kenntnis solcher Beziehungen aufschlureich war.
41

e) Unmittelbare Anlehnung von G e stalten aneinander ( Mimesis).


f) Zus ammenfassung mehrerer Ge stalten (melod . u . rh. ) durch
bergeordnete Strukturkriterien (wie Krebsbildungen u sf. )
g) Organisation einzelner Ge stalten zu e inheitlichen Re sultan
ten ( Pe riodisie rung des rhythmischen G e s amtgefge s auf der
Basis vers chiedenartiger Konstellationen; harmonische Dichte
resultiert au s rhythmi schen Dispositionen etc . )

Bei Guido von Are zzo handelte es sich noch um vorwiegend or


ganisatorische Probleme . Dem Material, w elche s als vor- indi
viduell, dinglich , beze ichnet wurde , entsprachen handwerkliche
Anweisungen. Auc h Ockeghems .. Material " ist nicht individuell
wie etwa thematische s Material dies spter wurd e . Jedoch er
mglicht genau dies - seine Bereit schaft zur Inte gration - un
verwe chselbare Form- V orgnge zu artikulie ren . Es wird kom
positorisch so energisch in den Griff genommen, da es in ein
von ihm selber vielleicht noch nicht einmal Intendiertes um
schlgt .

Die formale Intention durchsetzt das flexible Material. Dies be


grndet historisch eine musikalische Entwicklung, welche auf
eigene Physiognomie und Individualitt der Werke schlechthin
zielt. Deren Idiom wurde die Tonalitt. - Am Ockeghemschen
Satz wird die in jener Epoche au sgebildete Situation de s musika
lischen Materials deutlich. Die Erweiterung materieller K o d i
f i z i e r u n g und Organisation , in welcher abendlndi sches Mu
sikdenken seinen Be ginn hatt e , vollzieht sich durch die Einfh
rung kompositorischer, formal- syntakti scher Kriterien, welche
zunehmend den Plat z der organisatorischen einnehmen. Dies
war gemeint , als Ockeghe ms Werk be scheinigt wurde, es stehe
im Schnittpunkt Vielfltigster Tendenzen. Es hat zumind e st die
V ielfalt der Epoche wie in einem Hohlspiegel zu reflektieren
vermocht . -

Dank f o r m a 1 e r Kriterien gelingt e s dem Kyrie d e r Prolations


me s se , den Kanon - die vorhersehbare Form par excellence -
in dem Mae mit sich selber zu verschrnken, da aus der Dif
fere nzierung eine stndig unvorher sehbare , permanent flexible
Form re sultiert. In ihr wird Variabilitt zur musikalischen
Sprache . Ockeghems Form i st Kristallisation und Materiali sie
rung der Formierungs- Prozesse selbe r . Was die s e in Bewegung
geraten lassen, wird aufge schrieben und die Partitur i st deren
Oszillogramm.
42

Dem vagierenden Material- Begriff bei Guido und dem funktio


nellen, der Ockeghe ms Formartikulation be stimmt, ist - als
Modell e ine s tertium bene datur - ein w e iterer hinzuzufgen,
welcher die U mkehrung mu sikalischer Funktions zu sammenhnge
in Material- Konstellationen au sdrckt .
Wurde noch bei Ockeghe m die Funktion einzelner Elemente auf
Grund formaler berle gungen fr den jeweiligen Kontext ( 3 3 )
bestimmt, so i st d a s hierin w altende Moment v o n Spontaneitt
im tonalen System in pr-disponierte , verbindliche Zusammen
hnge aufge gangen, deren fundamentalster die vollstndige Ka
denz i st . Inde m musikalische Zu sammenhnge zu einem festen
System geordnet werden, wird gleichzeitig die mu sikali sche
Syntax kodifiziert ( 3 4 ) . In hohem Mae tendiert das tonale Sy
ste m bis zu Mozarts Epoche dahin, formale Be ziehungen in Fi
gurationen ( 3 5 ) zu materialisieren, welche dann als . Bausteine "

3 3 ) Cf. A. Schering, Geschichtliches zur ars inveniendi in der Musik, in:


Jahrb. der Musikbibl. Peters fr 1 9 25 , Leipzig 1 9 2 6 , S. 25 ff (Schering weist
auf den traditionellen Unterschied zwischen Phonascus - Erfinder - und
Symphoneta - Bearbeiter - hin, In ihm sind Spontaneitt und formale Vermitt
lung noch getrennt. Bei Ockeghem jedoch ist historisch dieser Unterschied
vllig aufgehoben. Die Momente von Spontaneitt wirken unmittelbar in den
formalen Zusammenhang hinein und aus ihren individuellen Setzungen ergibt
sich die Normierung, welche die Einheit der Form ermglicht.

34) Schering, a. a. 0. , S. 28 nennt ein typisches Beispiel solcher Kodifizie


rungen aus dem Bereich der Figure n-Technik. Der Prager Mnch Mauritius
Vogt hatte die technischen Konsequenzen aus den historischen schon zu Clichs
geratenen Manieren gezogen. Er ordnete sie beliebig durcheinanderwrfet
baren gekrmmten Hufngeln zu, was mu sikalisch zwar stumpfsinnig ist, aber
insofern den dem Material innewohnenden Tendenzen entspricht, als diese
schon vllige Unempfindlichkeit gegen differenziertes Komponieren ausdrck
ten - was die Figuren beliebig auswechselbar macht. Dies betrifft vor allem
die aus der Praxis notierter Diminutionen hervorgegangenen Elemente und
weniger die syntaktischen Figuren, wie sie H. Brandes (in: Studien zur mu
sikalischen Figurenlehre im 1 6 . J ahrhundert , Berlin 1 9 35) dargestellt hat.
Wie aber Kirchmeyer (Vom historischen Wesen, a. a. 0. , S. 2 1 ) der Gedanke
sich nahelegen kann, jene Technik de s Prager Mnches in Zusammenhang
mit der .ufallstechnik eines John C age zu bringen, die den Autor angeblich
.Musikaggregate schreiben heit, .deren kombinatorische Verbindung mg
lich, in der letztbestimmten Fassung aber dem Zufall eines Mnzwurfs ber
lassen bleibt " , war nach ausfhrlichem Studium der Cageschen P artituren
nicht zu erklren. Cage nmlich lt (in wenigen Werken ! ) eben jene Musik
aggregate durch Mnzwrfe teilweise zustandekommen, das heit, im Gegen
satz zu Vogt sind die Figuren hier schon aus Zufallsmanipulationen entstan
den, wobei deren Kombinationen sich. meist aus - wenn auch erst von den
Interpreten definierten - so doch streng eingehaltenen Gesetzen ergeben.

35) H . Gttle r ( in: Musik und Wrfelspiel, ZfM Clll / 1 , 1 93 6 , S. l 9 1 ) spricht


von genormten musikalischen Floskeln
43

die formalen topoi be set zen. Ihrer Struktur nach verbrgen sie
die Kontinuitt des formalen Proze s se s; dank der ihnen einbe
s chriebenen Funktionen schlieen sie sich zur G e stalt zusam
men - die latenten Verknpfungsge setze schlieen die Form.

So sehr auch Mozarts und seiner Zeitgenossen (36) mu sikali


sche " Wrfelspiele " als harmlose brgerliche Beschftigung
gedacht waren, so refle ktieren sie doch eine obj e ktive Tendenz
des zu ihrer Zeit strukturierte n tonalen Materials, nmlich die
zum tautologischen V erhltnis von Struktur- Anordnung ( syntak
tischem Plan) und Konsisten z der funktionstragenden Figuratio
nen, in welchen das tonale Material sich noch einmal materiali
sierte . - Die variable Reihenfolge der Figurationen in Mozarts
Wrfelspielen ist durchaus nicht fr variable Form zu hal
ten , - prziser ist sie Ausdruck von deren G egenteil, einem auf
die Exposition prparie rter Muster reduzierten Strukturdenken,
welche s die musikalischen Be ziehungen verdinglicht und hand
lich macht. Die Be schreibung ein e s Wrfe lwalzers, welcher als
dritt e s Modell fr das Verhltnis von Materialbegriff und Form
struktur steht, mag die s verdeutlichen (37 ) .

Die Struktur de s Formverlaufs wird durc h ein aus 1 6 G ruppen


be stehend e s Schema fixiert. Jede G ruppe dauert drei Achtel
Noten . Einer jeden sind 1 0 andere G ruppen in vertikaler Anord
nung zuge sellt, die ihr - der formalen Funktion nach - gleich
wertig sind. Die Beschrnkung auf die Zahl 1 1 ergibt sich au s
der Spielregel, die zur Be stimmung der in eine Version einzu
setzenden G ruppen zwei Wrfel vorschreibt. Jede der 1 6 x 1 1 =

3 6 ) Das hier besprochene Wrfelspiel, welches Mozart zugesprochen wird,


wird im Appendix zu Gttlers Aufsatz als anonym, bei Rellstab, Berlin, Ende

(a. a. 0. , S. 29)(. Die positive Leistung besteht im bloen Entdecken und Kom
des 1 8 . Jhdts erschienen, bezeichnet. Folgt man der Bemerkung Seherings

binieren von nicht regelwidrigen Satzmglichkeiten, wobei der Meister sich


freilich schon im ersten Takte vom Handwerker unterscheiden wird. ) , so
mu man, angesichts der enormen kompositorischen Unzulnglichkeiten des
vorliegenden Stckes annehmen, da e s nicht von Mozart stammt. Jedoch
spielt in dem Zusammenhang, der hier von Intersse ist, die Identifizierung
des Autors keine wesentliche Rolle, zumal solche Kombinations spiele zu jener
Zeit recht verbreitet waren und ihr wesentliches Moment die eine Seite des
Selbstverstndnisse s tonaler Idiomatik ist, die nicht an nur einen Komponisten
gebunden sein kann.

37) Musikalisches Wrfelspiel, eine Anleitung, Walzer oder Schleifer mit


zwei Wrfeln zu komponieren; Autor dieser Ausgabe; W. A. Mozart, Hrsg.
Karl Heinz Taubert, Mainz o . J.
44

1 7 6 G ruppen i st mit einer Ziffer bezeichnet. Die Reihe nfolge der


Ziffern innerhalb des Verteilungsplane s i st vllig beliebig ( 3 8 ) .

1 . Walzerteil:
I II Ili IV V VI VII VIII
2 96 22 141 41 1 05 1 22 11 30
3 32 6 1 28 63 1 46 46 1 34 81
4
5 etc .

Die dem Wrfelwurf anvertrauten Entscheidungen haben nur Ein


flu auf die Au swahl au s den vertikalen Figuren- Reihen, nicht
aber auf die horizontalen, den Formverlauf, der in allen Ver
sionen der gleiche bleibt . Seine harmonische Struktur ist denk
bar einfach; ber eine authentische Kadenz ( mit Wechseldomi
nante) reicht s ie nicht hinau s :
( l . Walzerteil)
I II Ili IV V VI VII VIII
T T D T WD D WD D
( T , D , WD)
Auf einer gesonde rten Seite ist einer jeden Ziffer des Schemas
ein Takt zugeordnet , dem sie vorgezeichnet i st . Da alle Takte
in der Reihenfolge de.r Bezifferung von 1 , 2 . bis 1 7 6 stehen,
. .

sind auch sie , im V e rhltnis zum Gruppe n - Schema , beliebig


durcheinandergewrfe lt . Doch hat die ganze Verschls selung
mu s ikali sch berhaupt keine Bedeutung.
Da jede der 1 6 den Walzer konstituierenden Takt- Parzellen durch
1 0 andere e rsetzt werden kann, richtet sich der Blick auf die
Morphologie .

38) Cf. auch H. Scherchen, Manipulation und Konzeption, Gravesaner Blt


ter IV , Mai 1 9 5 6 , S. 3 ff. Scherchens Meinung, die Ankndigung auf dem
Simrockschen Titelblatt " mittels einer Zahlenmanipulation die Kunst der
Komposition ausben zu knnen " erhalte aktuelle Bedeutung, sowie man
akzeptiert, da allen musikalischen G e staltungsprinzipien Manipulierungs
schemen zu Grunde liegen " , wird man allerdings so wenig folgen knnen wie
den Gedanken Kirchmeyers. Man s ollte vor allem in der gegenwrtigen Musik
streng zwischen Organisationssche mata und Manipulationsschemata unter
scheiden, will man nicht eine unentwirrbare Konfusion stiften, die dann jenes
verbreitete Vorurteil nhrt, heute wrde nur noch mit Wrfeln komponiert.
Auch technisch mu zwischen Prinzipien wie etwa dem (numerisch formulier
baren) seriellen und Prinzipien unterschieden werden, die - in mobilen For
men - die einzelnen Versionen zustande kommen lassen. Prziser : man mu
diese beiden Kategorien in ihrem rechten, historisch durchaus neuen und be
sonderen Verhltnis sehen.
Cf. ferner F. K. Prieberg, Musica ex Machina, Berlin 1 9 60, S. l l 2 ff
45

Das tonale Material der einzelnen Takte ist auf ein Minimum
reduziert , welches hinreicht um deren Funktion im metrischen
Schema zu verdeutlichen. Hierdurch hneln die Typen der 1 1
substituierbaren G ruppen einander recht stark. Da der Ba -
das Fundament der harmonischen Bewegung - die s e in den ein
zelnen Parzellen so knapp wie mglich andeutet , weichen seine
Typen in den 1 1 G ruppen kaum voneinander ab; zum groen Teil
sind sie identisch (39) . In den Melodien herrschen gebrochene
Dreiklnge und Lufe , - Elemente also, die in einem differen
zierteren Komponieren nur als berleitung dienen.
Das rein materielle , fast pe rmutatoris ch- mechanistische V er
fahren wird an P arzellen gleichen Stellenwerte s wie etwa fol
genden deutlich: ( B s p . 36)
( 1 : Walzerteil, I - 2 , 3 , 4 , 1 0, 1 1 )

( 2 . Walzerteil, I- 2 , 3 , 6 , 1 0 , 1 1 )

Im Idiom von Lufen und Dreiklngen lt nicht s sich entfalten,


w a s formal w e sentlich ber sie hinau sgriffe , zumindest, solange
keine anderen Mittel verwendet w e rden. So bleibt denn auch die
V e r knpfung der 2 x 8 T akte ein additiver Zu s ammenschlu von
Fragme nten, die zu nichts mehr herhalten sollen, als die funk
tionellen Bedingungen de s Struktur - Schemas einzuhalten. Im Be
reich der G e staltbildung wird eine stndige S e t z u n g d e s ele
ment aren Materials voll zogen: Expo sition statt Kompo sition. D a s
tonale Schema wird z u m G arant eines Zu s ammenhange s , wel
cher w eitgehend von einer individuellen, a n ihm sich entfalten
den Konzeption der Klanggestalten absieht .

39) Unterscheiden sich zum Beispiel im zweiten Walzerteil die 1 1 Ober

verschiedene Typen (im ersten Teil nur 4 , 5 , 8 , 3, 5 , 6 , 1 und 1) . Das Tautolo


stimmen in allen 8 Takten, so findet man im Ba nur 8, 7 , 7 , 7, 6, 8 , 5 und zwei

gische der angeblich variablen Anordnung wird hier deutlich.


46

Obs chon die einzelne n horizontalen Zeilen zum Teil aus einheit
lichem M aterial zusammengefgt sind, also im Ansatz kompo
sitorische Kriterien e rkennen lassen, w erden an den Verbin
dungs ste llen der einzelnen Parzellen dort Brche deutlich, w o
deren e infache s Material nur ge zwungen dem Kadenz schema sich
fgt: ( B s p . 3 7 )

( 1 . W . - Teil, 5 - IV , V , VI )

( 2 . W. - Teil, 7- IV, V , V l)

Treffen solche Brche zusammen ( w a s durch die zufllige Be


stimmung der Gruppen mglich i st) , s o denunziert die mus ika
lisch une rfreuliche Version das Verfahren: (Bsp. 3 8)

( 1 . W. - Teil: I li III IV V VI VII VIII


2 7 3 9 10 5 3 alle Schl s se glei ch )

D e r v ariable Mechanismus verwei st auf das e infache Struktur


modell; harmonis che Struktur und Barform fallen in den aufs
uer ste redu z ierten Figurationen zusamme n , dank welchen sie
artikuliert werden. Deren Simplizitt e rmglicht ihre Austausch
barkeit, und Funktion haben s ie nur in der Be sttigung de s i m
mer gleichen Modells . Dur c h e i n e harmoni sche Kadenz gege
bene V e r bindungsmglichkeiten, dank w elchen gr ere formale
Z u s amme nhnge sich stiften lieen, sind auf ihnen zugeordnete
Mate rial - Konstellationen, Sprachcli c h s . redu ziert: die vor
ge sehene Entwicklung wird be s e itigt und auf ein additives V er
fahren zurckgefhrt.
47

Da die Figurationen in ein fixes Strukturmodell einge set zt wer


den, w elche s przise die Funktionen vors chreibt , die den Zel
len schon innewohne n , wird das System tautologi sch. Die Aus
tauschbarkeit der einzelnen Figuren i st lediglich Ausdru c k die
ser Tautologie . Von formaler V ariabilitt oder Fle xibilitt fin
det sich in den Wrfelwalzern keine Spu r .

Dem tautologischen Konzep. tat histori sch die Differenzierung


der strukturellen und meli smatischen mu sikali schen Dimensio
nen geantwortet. Die zunehmende Komple xitt der mu sikali s c hen
Phraseologie hat die harmoni schen und rhythmischen Parame
ter und schlie lich auch den der Klangfarbe ihren individuellen,
stets wandelnden Bedingungen unterworfe n und sie au s dem Be
reich der Material-Ord nungen in den der Formkonzeption ver
setzt. Die s hat - in letzter Kons e quenz - zur Aufhebung tonaler
Harmonik und periodi scher Form gefhrt. Die Atonalitt i st , in
dem die Kon sequenzen der histori schen Entwicklung in ihr sich
austrage n , das Mal wachsL nder V e rfgbarkeit be r das mu sika
lische Mate rial, sie markie t des sen neuen formalen Be zug.
..
48

II . Determination - Indetermination. Rei he und Form

Ein betrchtliches Geschft aber bleibt


noch zu be sorgen: das Proble m der Form,
den Begriff der Form gnzlich und von
G rund auf neu zu durchdenken.
Boulez

Herbert Eimerts G edanke , das Prinzip der Re ihe sei die einzig
wesentliche Erfindung, welche das zwanzigste Jahrhundert den
kompos it ionstechni schen Errungenschaften der Vergangenheit
hinzugefgt habe, hat sich in vollem Umfange erst bewahrheitet ,
a l s d i e Formentwicklung neuer Musik dahin tendie rte , d e m neu
gewonnenen Prinzip umfa s send Rechnung zu tragen. Tatschlich
hat die bertragung des seriellen Prinzips auf die Formstruktur
vllig neue Mglichkeiten und Schwierigkeiten d e s Kompanierens
offenbart , welche die Problematik der gesamten nach-webern
sehen Musik ausmachen ( 1 ) , auch der, die sich " postse riell " ,
-

,. antiseriell " , ., Klangfarbe nkomposition " oder unter welcher


Marke nur immer prsenti e rt .

In d e m Augenblick j edoch, i n welchem Gliederung und Artiku


lation der G roform durch das Reihenprinzip vollzogen wur-

1) Eine Betrachtung der geschichtlichen Entwicklung zu geben, die zur


Auflsung der geschlossenen Form und ber sie hinaus zu den kompositori
schen Prinzipien von Indetermination in der Gegenwart fhrt, also das Ver
hltnis von Form und Struktur in der frhen Atonalitt und vor allem beim
mittleren Schoenberg zu untersuchen, berschritte bei weitem die Intentionen
und den Rahmen dieser Arbeit. Umfassend hat Theodor W. Adorno in seiner
Philosophie der neuen Musik" (Tbingen 1 949, Frankfurt 2 1 958) dies Pro
blem in dem Schoenberg gewidm eten Teil behandelt, in welchem die Frage
nach Zwlftonstruktur und musikalischem Zusammenhang unter mannigfaltigen
Per spektiven beleuchtet wird. Der zweite Abschnitt des Buches - er befat
s ich mit Stravinskij - erhellt die Kehrseite der bei Schoenberg in ihrer ge
schichtlichen Notwendigkeit erkannten Tendenz zur zergehenden Form: auch
Stravinskijs Form ist nicht geschlossen. Schoenberg gegenber reprsentiert
sie, obwohl ihr Schematismus dies gern verdecken mchte, die music box
beliebig aus der Tradition herbeizitierter idiomatischer Fragmente - Eklek
tizismus als System.
Auf der anderen Seite kann an dieser Stelle der Versuch nicht unternommen
werden, eine Abhandlung technischer Probleme des Reihenmaterials zu geben.
Dem weniger erfahrenen Leser wird geraten, vor der Le ktre der folgenden
Ausfhrungen Herbert Eimerts G rundlagen der musikalischen Reihentech
nik " (Wien 1 964) - zumindest die technischen Kapitel des Buches - zu lesen.
49

den - Zeichen t o t a 1 e r Durchorganisation der Komposition - ,


d i s s o z i i e r t e sich das unter die sem Prin zip Befate. Das
musikalische Material wurde in , Parametern' konzipiert, deren
j ed e r selber wieder se riellen Organisationen unterworfen wur
d e . Doch htte alleine diese Konzeption, die lediglich eine pr
zisere Be stimmung des mus ikali schen Materials ermglichte ,
noch nicht zum Bersten d e s formalen Zusammenhanges zu fh
ren vermocht . Dazu verhalf vielmehr die Forderung, daf3 die
Reihe in allen Dimensionen des Materials g 1 e i c h z e i t i g sich
s piegeln sollte. Historisch als Extrem simultaner V ariation
deutbar, stiftete die s eine zuvor kaum gekannte Vereinheitli
chung der kompo s itorischen Methodik. In deren Re sultaten, den
musikalis c hen Strukturen, stellte dank der Allgegenwart der
R eihe das G e genteil von Zusammenhang: strengste I solierung,
s ich ein. Die punktuelle " Musik, Menetekel allen auseinander
"
klaffenden musikalischen Gefge s , mag zwar sthetisch am Ideal
der letzten Werke Weberns sich orientiert haben ( 2 ) , tech -

nisch j edoch hat sie ihrem G rund im s eriellen Analogieverfah


ren. Dieses schrieb e ine Zuordnung einzelner (durch die Struk
tur der verschiedenen Parameter gestaltlieh verschieden deter
minierter) Reihen- G lieder in ihren j e weiligen Formen zueinander
vor . Wie aber dies e s V erfahren der " Komposition " des einzel
nen Klanges au s verschiedenen Reihen- Dimensionen (je einer
s eriell bestimmten Hhe , Daue r, Farbe und Intensitt) nicht eben
dazu geeignet war, Klnge als G e s t a 1 t e n unmittelbar zu ver
binden, sie ohne den Umweg ber das serielle Gerst aufeinan
der zu be ziehen, so erwies sich d ie v e r m e i n t 1 i c h e Analogie
der reihenmig geordneten Parameter als d as strkste Mittel
struktureller Dissoziation. Stellt nmlich die abstrakte Tonh
henreihe (in welcher die Oktavlagen der einzelnen Glieder noch
nicht seriell fixiert sind) noch ein relativ homogene s Gebilde
dar, so erweist sich schon die ihr zugeordnete analoge " Dau
"
ernreihe als uerst uneinheitlich. D'ls berwiegen der !angen

2) Zumindest stand das Oeuvre Weberns im Mittelpunkt fast aller theore


tischen Auseinandersetzungen in den Darmstdter Ferienkursen der ,. punk
tuellen Epoche " (ca. 1 9 5 0- 1 95 5 ) . Doch ist es interessant, da man sich we
niger den - theoretisch und kompositionstechnisch uerst fndigen - frheren
Werken widmete, sondern sich vor allem auf die spten Werke zwischen opus
27 und 31 konzentrierte, deren Widerspruchsfreiheit des seriellen Plans man
bewunderte. Da diese Werke - vor allem die zweite Kantate und die Varia
tionen op. 27 und 31 - kompositorisch nicht eben zu den strksten Weberns
zhlen, wird heute kaum mehr bestritten. Die Widerspruchsfreiheit ihrer
Reihen-Dispositionen, deren bloes Ineinander- Aufgehen, welches Wider
spruch nicht laut werden lt, haben den kunstgewerblichen Aspekt des spten
Webernsehen Oeuvre s betrchtlich gefrdert.
50

Dauernwerte lt die wenigen ku rzen a l s heterogene Ele mente


um so strker hervortreten ( 3 ) . Die Gerechtigkeit , welcher da
durch G enge getan werden sollte, da alle Elemente einmal -
zuminde st gleichoft - e rscheinen, schlug um in die Hegemonie
bestimmter Gren ber andere . Daher die stete Bewegungs
lo sigkeit frher serieller Musik. Die seriell geforderte Gleich
berechtigung der dynamischen Werte bewirkte ihrer seits ein un
vermitteltes Nebeneinanderstehen der E xtreme ( 4 ) . Die au s die
s e m V erfahren re sultierende Abkapselung der Klnge gegenein
ander v e r st rkte sich durch d ie serielle Disposition der Oktav
lagen , die zwar die Reihenelement e ziemlich gleichmig auf
den gegebenen Tonumfang verteilte, hierdur c h j edoch extreme
Ungleichmigkeit und Diskontinuitt bewirkt e .

Der Eindruck v ollstndiger Isolierung, andauernder Unvermit


teltheit und d e nnoch nicht existenter Unmittelbarkeit , wie e r
beim Hren punktueller und seriell deter minierte r Werke ent
steht , entspringt nicht nur den Idealen von totaler Ordnung und
sthetischen Vorstellungen, sondern den Konstruktionsbedingun
gen selber. Weil die s e n zufolge die Form in all ihren Aspek
ten einheitli c h organisiert werden soll, wird sie - kraft der Me
thodik - von den Klang- Gestalten isoliert. Anstatt objektiviert
zu werden , wird sie lediglich rationalisie rt . Doch fllt die mu
sikalische Struktur d e r falschen Materialbehe rrschung zum Op
fer. Diktatorisch soll Form noch im periphersten Element sich
spiegeln, doch wirkt sie nirgends . Nonos frhe Werke der punk
tuellen Phase sind v llige Abkapselung der Klang- Elemente , j e
d o c h nicht n u r d e n te chnischen Verfahren nach . Vor allem " Po
lifonica- Monodia- Ritmica" (5) haben auf frappierend e Weise das
Proble m der V e reinzelung von Elementen in einer total organi-

I:;
f= r.
3) Bei einem gegebenen krzesten Wert von ,;he die traditione lle Dau-
ernreihe so :
j., I 1. au s . Das berwiegen
....._...
\
......._..
f= ....
....__...
I .__...
langer Tne lilt die kurzen wie Punkte aus dem Satz herausstechen .

4) ltl alledem, vor allem in der nicht existenten gestaltliehen Vermittlung,


wird handgreiflich der S e t z u n g s c h a r a k t e r der Reihe deutlich. Im inte
gralen seriellen Komponieren nat er insofern etwas Gewaltsames an sich, als
er eine historische Situation undialektisch zu korrigieren trachtet. Diese
Situation besteht in der geschichtlich ve rschieden weit getriebenen Differen
zierung der Parameter, wobei die Differenzierung des Tonhhenparameters
am subtilsten ist. Deren Komplexitt wird nun auf die anderen Parameter
bertragen, ohne da man sich um aus diesen abgeleitete und ihnen angepate
Reihenbildungen be mht htte .
5) Luigi Nono : Polifonica- Monodia-Ritmica, Urauffhrung: Darmstadt 1 9 5 1
51

sierten Form zum G e genstand der kompositorischen Intentionen


gemacht. Wenn jahrelang vom Schock geredet wurde , den punk
tuelle Musik auf Hrer au sbe , so wird er bei Nono nicht etwa
durch berra s c hungseffekte hervorgerufe n , sondern einzig kraft
d e r gewollten Sprdheit separate r Klnge , die im wahren Sinne
de s Wort e s keinerlei V erbindlichkeit zula s sen. Es ist, als be
kenne die Musik sich ohne Vorbehalt zu dem, was ihr durch das
Diktat der Methodik aufgebrdet ward .

In vieler Hinsicht ist der Kei m zur Entstehung variabler Formen


in der punktue llen Musik s chon angelegt - sowohl in deren Or
ganisationsformen als auch im V e rhltnis der klingenden Struk
turen zueinand e r . Beide werden vom Prinzip der Reihe be stimmt .
Bietet der Ableitungsproze s s aller Struktur- Elemente au s der
Reihe den methodischen Anhaltspunkt, s o ergibt der ge staltliehe
sich au s dem statistischen Charakter d e r abgeleiteten musika
li s chen Strukturen ( 6 ) . Dieser entsteht au s dem Wide rspruch
zwischen vermeintlicher Individualitt der kompo sitorisch voll
end s v erfgbar gewordenen Struktur und dem Diktat der Reihe .
Ind e m die se s e inzelne Elemente zu obligaten Verbnd e n - Rei
hen - ord ne t , zerstrt es deren Individualitt . Jede s Element
s oll in seiner Reihe e inmal erscheinen, - in jeder Pe rmutation
e r s cheint e s in anderem Zus ammenhang: .als e in zelner Punkt soll
e s stndigem Funktionswechsel standhalten und in j eder Funk
tion sich nur einmal bewhren. Da die seriellen Elemente jedoch
nicht Be standteile e iner musikalischen Idiomatik sind, durch
w elche sie ihre Obj e ktivation erfhren und formalen Sinn er
hielten, ist das Re sultat des Funktionswandels E nt ropie. Stock
hau sen (7) hat d arauf hingewiesen, da das Miverhltnis zwi
s chen der punktuellen Klange r s c heinung und dem permanenten
Funktions w ande l kompo sitorisch die Hrzeit nicht bercksich
tige , die bentigt wird, um die Strukturvernderungen auf ein-

6) Auf diesen C harakter - den Umschlag totaler Prdetermination in Zu


flligkeit - sind frh schon die Komponisten punktueller Musik aufmerksam
geworden, Boulez sptestens zwischen den Structures und dem Marteau
sans mattre " , Stockhausen bei der Arbeit an den Zeitmallen , wenn nicht schon
frhe r .

7 ) Karlheinz Stockhausen, Texte zur elektronischen und instrumentalen


Musik, Kln 1 96 3 , S. 1 54 (In diesem Band und im zweiten Texte zu eigenen
Werken, zur Kunst Anderer, Aktuelles , Kln 1 96 4 , sind alle, bisher ver
streut pu blizierten Arbeiten Stockhausens enthalten. Der Einfachheit halber
werden sie alle aus diesen beiden Bnden zitiert . Stockhausen, Schriften I
und Schriften II
52

ander z u be ziehen. Kornpositionstechnisch bedeutet jenes Per


rnutationsverfahren eine durch die Konzeption getrennter Para
meter entstehende informatorische berbelastung einfachster
Informations- Trger (einzelner Tne ) . Auer s chlichte sten For
men wie Tremoli ode r G lis s andi vermag in die sen jedoch keine
Bewegung, keine formale E n t w i c k 1 u n g sich zu vollziehen .
Dem statistischen Charakter gesellt der statische sich bei. Die
ser eignet nicht nur dEm einzelnen Klngen, sondern umfassend
der musikalischen Struktur ( 8 ) . Was man frher als Klangge
stalt bezeichnete, ist ihr fern. Nicht da nun , wie bse Zungen
die s behaupteten, die Strukturen einander glichen wie ein Ei d e m
anderen: Boulez ' " Structures " und Stockhausens viert e s Klavier
stc k beweisen klar das G e ge nteil. Vielmehr liee die q u i -
v a 1 e n t e F u n k t i o n der Strukturen als Grund ihrer mgli
chen Vertau schbarkeit sich nennen. Die s e gehen nicht in der Zeit
a u s e i n a n d e r hervor, zu ihrer G enese bedarf ( 9 ) e s keiner
Entwicklung i n der Zeit ; letztenendes sind sie - die Struktur
ge stalten - ge setzt , wie die E lemente der ihnen zugrunde lie
genden Reihe.
So sehr das Serielle kraft tiefgreifender Diffe renzierung die
0 r g a n i s a t i o n des G anzen gewhrleistet, so w enig garantiert
es den sinnflligen Zusammenhang, der das Eine durch das An
dere rechtfertigte , aus dem e s sich ergeben htte . Das serielle
Prinzip hat genetische Proze s s e an der Oberflche der Form
liquidiert, u m sie in den Bereich der Konstruktionsbedingunge n
zurckzunehmen, wo sie freilich hrend nicht nachzuvollziehen
sind. Darob zerfllt die Form in Strukturen. Kein Strom treibt

8) Stockhausen, Schriften I, S. 1 5 4 " . . . man durchmit in krzester Zeit


immer den ganzen Erlebnisbereich und s o gert man in einen schwebenden
Zustand: die Musik , bleibt stehn ' . "

9 ) Wenn auch in der seriellen Methodik der Ableitung a 1 1 e r Details eines


Werkes aus dem Reihenmodell die Summe der Strukturen - die Form - wie
ein einheitliches Feld .von oben gleichsam gesehen wird, so bleibt es denn
noch vernnftiger, theoretisch das zu errtern, was musikalisch sich in der
Zeit entfaltet. Was " rumlich" als Einheit sich prsentiert, kann zeitlich als
statistisch empfunden werden. Die Einheit des Ganzen, die des Feldes, in
welches die Permutationen und Ableitungen sich ausgebreitet haben, verbrgt
durchaus nicht den sinnflligen bergang von einem Element zum nchsten.
Wer aus dem Flugzeug die fremde Stadt als einheitliche Ge stalt sah, mag
dennoch in ihren Gassen hilflos sich verirren. " Die serie lle Expansion hat
die Reihe aus dem Hrfeld zurckge zogen. Sie ist nicht mehr Kompositions
reihe, zu verkomponierende Reihe, sondern technischer Inbegriff eines Rei
henpotentials auf dem statischen Grund dessen, was dennoch unverndert die
Reihe ist . . . " (Eimert, Grundlagen, a. a. 0. , S. 38)
53

durch sie hindurch, der ihnen Richtung wiese und s ie in der Zeit
aufeinander wirken liee, wenn auch die Einheit der seriellen
Organis ation v erbrgt, da sie, obschon disparat e , im glei
"
chen Licht " leuchten. (1 0)

Es ist j ene quivalenz der Funktionen musikali scher Strukturen,


dank w elcher in Boulez' er stem Buch der " Structures " ( 1 1 ) der
Kei m zur mobilen Form ang< . gt ist. Die Structures selber sind
freili c h bis ins Detail hinein festgelegt; keiner ihrer Teile kann
aus gtauscht w erden. Das kras s e Gegenteil scheint sogar der
Fall zu sein : d ie Structures de s e r sten Buches zhlen zu den
frhesten Zeugnissen integral serieller Mu sik. Alle s in ihnen,
von der G e samtdauer der Strukturen bis in die Aufeinanderfolge
einzelner Tne, i st nach seriellen ode r au s dlesen abgeleiteten
( 1 2) Verfahren determiniert. In all ihren Schichten, einem j eden
ihre r Aspekt e , i st die Form gem e i n e m G rund- Kriterium
( 1 3) - der R eihe , ihren Permutationen und Ableitungen - defi
niert. Wie j edoch die Vertauschbarkeit - Permutation - der
Elemente i m Reihenprinzip schon enthalten ist, s o eignet sie
nicht mind e r der groen Form, der Summe der Strukturen. In
deren Aufeinanderfolge spie ge lt sich erneut das Mal permanen
ter S e t z u n g . Sie sind die Resultate der Komposition von Rei
hen, w elche q u a 1 i t a t i v von ihren Permutationen nicht unter
schieden sind. G e staltlieh sind sie es zwar, nicht jedoch in ih
ren Funktionen, ihrem Bezug aufeinander ( 1 4 , 1 5) .

1 0) Stockhausen, Schriften I, S. 3 7
1 1 ) Pierre B oule z , Structures pour d e u x pianos, premier livre, Landon
Wien 1 95 5; siehe zum Beispiel die Takte 3 2 / 3 2 , 39 / 4 0 , 5 6 / 5 7 , 7 2 / 7 3 der
Structure Ia

1 2) Unter dem Titel ., Entscheidungsfreiheit und Automatik , welcher schon


aufden engen Zusammenhang zwischen totaler Prdetermination und Alea
torik hinweist, hat i m vierten Heft der Reihe (Wien 1 958, S . 38 ff) Gyrgy
Ligeti eine Beschreibung der seriellen Methoden gege ben, die der Structure I a
Boule z' zugrunde liegen. Diese Be schreibung, die einen guten Einblick in die
kompositorischen Verfahren integral- serieller Musik gewhrt, soll hier nicht
wiede rholt werden; doch sei der Leser umso eindringlicher an jene Arbeit
verwiesen, die ber ihren unmittelbaren Gegenstand hinaus das Verstndnis
mancher Probleme zu erleichtern vermag, die hier nur theoretisch errtert
werden knnen.

1 3) I n der integral seriellen Musik ist die Reihe - ihrem materiell- syntak
tischen Doppe icharakter gem - Axiom und Operator zugleich. Axiom ist sie
insofern, als - analytisch zumindest - alles auf sie zurckgefhrt zu werden
vermag. Operator ist sie dadurch, da die Kriterien der Permutationen, Ab
leitungen und Analogiebildungen in ihrer Struktur e benfalls enthalten sind.

1 4 ) In der Phase punktueller und integral serieller Musik war das Krite-
54

Indem zur Organisation der Struktur- Folge das gleiche Prinzip


angewandt wird , welches die Folge von Tnen innerhalb einer
Reihe be stimmt, unterliegen Strukturen und Reihentne dem
gle iche n Schicksal: potentiell sind sie austau schbar. In ihrer
festgelegten Verknpfung erfllen sie die durch die Reihe gege
bene syntakti sche Ordnung. Diese Ordnung be stimmt auch d a s
innere G e fge d e r Strukturen, in welchem sie differenzierter e
Formen annimmt. D o c h scheinen d i e Organis ationsformen, die
s ich auf das Innere der Strukturen beziehen , in die sen aufzuge
hen, obwohl sie ihnen gegenber Allgemeinheit beanspruchen.
Ge rade in der Phase integral serieller Mu sik und entgegen d e
r e n Intentionen s cheinen sich d ie mu sikalischen Strukturen in
sich selb st zu bescheiden und gegeneinander sich zu isolieren
( 1 6 ) , weil die in sie inve stierten syntaktischen Ordnungen allem
Ansche in zuwider hchstens als e i n Bestandteil mu s ikalis che

rium der .. Gleichberechtigung aller musikalischen Elemente und Struktu


ren ein wesentliches Theorem. Man hatte auf die Struktur der Groform das
bertragen, was Schoenberg frher fr die Reihe - als Gleichberechtigung
der in ihr enthaltenen Tne - gefordert hatte. Wie Schoenbergs Forderung d as
hierarchisch- tonale Schema aufhob, so hat deren bertragung auf die Aspekte
der Form die qualitative Untersche idung von deren Gliedern, die traditionelle
musikalische Syntax schlechthin, liquidiert.

1 5 ) Kompositionstechnisch hat s ich in den letzten Jahren ein Verfahren


der .. Ver bindung" von Strukturen e ingebrgert, welches man pseudo-osmo
tisch" nennen knnte . Entw ickelte in den dialektischen tonalen Formen eine
Struktur sich aus der anderen, so werden nun die Rnder " serieller Struk
turen durch Prinzipien der Antezipation und Verlngerung miteinander ver
schmolzen. Das Material einer Struktur X erscheint und verringert sich in
nerhalb der folgenden Struktur Y b i s zum Verschwinden; umgekehrt kann das
Material der Struktur Y schon gegen Ende der Struktur X erklingen. Jedoch
tendieren die jngsten Entwicklungen serieller Ve rfahren - bei Boulez und
Koenig und Kagel - dahin, diese Struktur- berlappung durch eine wirkliche
Struktur- Verbindung zu ersetzen.

1 6) Dahin deutet auch der Dualismus zwischen rhythmischen Extremwerten


(cf. Anm. 3 ) , wie er in der frhen s e riellen Musik sich ausgebildet hat. Zu
mal in Boule z ' ., Structures " herrschen Gruppen maximaler und minimaler
rhythmischer Dichte vor (cf. S. 36 f, 52 f, 60 f) , die einander wie massive
Blcke konfrontie ren. Einerseits i st dies auf die schon erwhnte Polaritt
der Daue rn- Werte innerhalb der Dauern-Reihen zurckzufhren (cf. auch
Stockhau sen, Schriften I, S . 1 04) und andererseits auf das - verstndliche -
Bedrfnis der Komponisten, die ohnehin schon uerst komplexen Strukturen
durch deutliche und bertriebene Unterscheidung ihres G e samtcharakters von
einander abzuhebe n . Freilich verfiel man oft - um das eintnige G rau in Grau
zu vermeiden - i n ein nicht minder simples Schwarz- Wei- Denken (cf. Henri
Pousseur, Sinfonies ( l 9 54 / 5 ) , London 1 9 6 1 , oder; Franeo Evangelisti, Ordini,
1 . Teil, Darm stadt 1 962)
55

Sprache z u artikulieren beitragen, nicht abe r fr diese insge


s amt stehe n knnen .

Will man i n all d e m nach d e r Form fragen, so s ieht man sich


stndig auf Struktur - Merkmale ve rwie sen. Wie immer auc h von
" " Form (1 7) ge
" punktueller " , " G ruppen - , .. statistischer
s chrieben wird , so haben diese Merkmale mit Form- Kriterien
nichts gemein; hchstens ihre spe zifi s chen Verbindungen und
Konfigurationen vermc hten Form- Kriterien zu sein . Isoliert
aber s ind sie Merkmale der Struktur oder der Klang- Ge stalt,
Totale Deter mination , statistische Anordnung usf. sind metho
dische Kriterien, ke ine der Form , die ja - als Fixierung struk
tureller Vorgnge - ohnehin ste t s determiniert i st , und sei e s
erst bei d e r Auffhrung.

Die extreme V erbindlichkeit, w e lche der kompo s itorischen Me


thodik durch die Anwendunp.- von Reihen auferlegt wird , hat ihr
G e genstck in der extre men V erein zelung der Forme n . Darum
lt s ich keine kompositorische E ntwicklung von einer .. seriel
len " zu einer .. offenen " F o r m be schreiben, da diese Form
den be stehende n Werke n gegenber nicht als Allgemeine s exi
stiert , in w elchem sie aufgehoben wren. Allenfalls lassen sich
gemeinsame Strukturmerkmale fe ststellen. So wird man sich
vorerst darauf beschrnken ms se n , Kriterien anzufhren , wel
che den Ursprung von Indetermination im e xtrem determinierten
seriellen V erfahren be stimme n . Sie be ziehen sich auf Methodik
und Stru ktur , nicht aber auf eine Form , die durch sie s chon in
ihrer Allgemeinheit zu be stimmen wre . Es sei denn, man wolle
willkrlich den abendlnd i s chen Formbegriff mibrauchen ( cf .
Anm. 1 7), n u r u m ihn erhalten z u knnen . D i e folgenden Unter
suchungen w e rden sich also lediglich mit den Bedingungen zu

L 7 ) Obwohl Stockhausen (Schriften I , S . 2 2 2 Erfindung und Entdeckung " ) ,



darunter Formen versteht. Zwar. schreibt e r : I c h meinte aber - mit Be
griffen wie , punktuelle Form' , , G ruppen- Form ' - niemals bestimmte For
men, sondern immer die Prozesse, die zu einer undefin ierbaren Vielzahl
isomorpher Formen fhrten, also die Entstehung von Form auf G rund eines

,punktuellen', , gruppenmigen' etc . Formvorgange s . Jedoch lt sich diese
Definition mit gleichem Recht auf Formen wie die der Suite, Fuge oder So
nate anwenden, die j a ebenfalls eine Vielzahl i somorpher Formen umfassen,
welche durch bergeordnete Formierungskriterien - Addition, Polyphonie,
Dialektik der thematischenKonfrontation - miteinander verbunden sind. Stock
hausen scheint also tatschlich Form und Schema miteinander zu verwech
seln, ganz ungeachtet der Tatsache, da e s eine undefinierbare Vielzahl
isomorpher Formen nicht gibt; - so lange wenigstens nicht, wie isomorph"
gleich-frmig " bedeutet.
56

beschftigen habe n , denen die Integration d e s Prinzips d e r U n


bestimmtheit i n mu sikalische Strukturen unterworfen i st . Die s e
Bedingungen j edoch haben keine sfalls den Charakter v o n Regeln.
D a abe r - und die s nicht um blo e r Analysierbarkeit der Werke
willen - daran festgehalten w ird, da d ie kompositorischen Me
thod en in Funktion formaler Konzeptionen und somit auch i n
Funktion nicht blo zufllige r R e sultate stehen, s chliet eine
Betrachtung sich von vornh e rein au s , die den Zufall als solchen
zu Komposition sgesetz erhebt . Die Bedingunge n , unt e r welchen
e r Einla in das Mus ikdenken finden kann , wohnen d e r Struktur
d e s mu sikali.3chen Materials inne; weder kann es darum zu tun
sein, sie durch fragwrdige Philosopheme von auen herbeizu
zitieren, noch knnen sie da s chon erfllt sein, wo nur das sta
tisti sche Kalkl stimmt. "Wer Mu siker wird , i st dem Mathema
ti klehrer entlaufen; es wre s chre c klich , wenn e r am Ende doch
noch von ihm erwischt wrde . " ( 1 8 ) .
Die Momente von Dissoziation de s Form- Zusammenhange s , die
au s der Seriali sierung der F orm hervorgingen, haben wesent
lich dazu be igetragen, die G egenstze seriell ( = streng determi
niert) und statistisch als verwandt zu durchschauen. G anz un
geachtet der Tats ache , da - allen gezieHen Fehlinformationen
zum T r ot z - total prdeterminierte Kompositionen berhaupt
nicht vorliegen, ist die kompositorische Entscheidungsfreiheit
stet s ein we sentliche s Pendant zum seriellen Prinzip gewesen.
Meist verhalf sie den seriellen Konstruktionen zu ihrer musika
lis chen Authentizitt , wie dies zum Bei spiel in Stockhausens
" G ruppen fr drei Orchester" deutlich wird ( 1 9 ) . Die Unabhn
gigkeit d e s s eriellen Schemas von verbinJ:Ilichen musiksprachli
chen For meln gestattet dem Komponi sten e ine freie Definition
seiner syntakti schen Regeln . Da diese im se riellen Ve rfahren
zumeist au s der Struktur eines gewhlten Reihenmaterials ab
geleitet wurden , hat seine ge s chichtlichen Grnde gehabt, die ,
w enn s i e auch als Notwendigkeit aus der Struktur d e s Materials
sich e rgabe n , dennoch sorgfltig von j e ner Unterste llung ge
trennt w erden m ssen, das Reihenprinzip werde von den Kom
ponisten als N atur system miverstanden.
Im se riellen V e rfahren werden M aterial und Syntax als Einheit
kon zipiert. Stiftet die serielle Technik auch nicht notwendig be-

1 8) Th. W . Adorno. V e r s une mu sique informelle, in: Darmstdter Bei


trge zur Neuen Musik IV, 1 9 6 1 , S . 73

1 9 ) Cf. Karlheinz Stockhausen, Gruppen fr drei Orchester, Wien 1 9 6 3 ,


z. B . S. 95 ff
57

stimmte F o r m typen, so ist sie doch als G enerator formaler


M o d e 1 1 e zu betrachten. Schon eine einmal als fr alle Dimen
sionen verbindlich gesetzte Reihe ist ein solche s Modell. Auf
grund der in ihm gesetzten syntaktischen Krite rien knnen aus
ihm die Strukturen einer Komposition a b g e 1 e i t e t werden .
Die se s Kompositionsprinzip hat seine Konsequenzen fr die Ar
tikulation der musikalischen Zeit und das Verhltnis de r Mor
phologie zur Topologie in einem umfa ssend seriellen Kompo
nieren. Inde m das Reihenprinzip auf die Artikulation der groen
Form bertragen wird, - indem also G e stalt u n d Folge der
Formteile seriell be stimmt werden - wird das dialektische Aus
einander- Hervorgehen der Strukturen suspendiert und durch den
S e t z u n g s c h a r a k t e r der Reihe e rsetzt. Zwar ist mit der
Definition einer e r sten Struktur die letzte noch nicht bis ins De
tail determiniert , - so einfach vollzieht sich serielle s Kompo
nieren nicht. Doc h determiniert das Reihen- Schema die S t r u k
t u r - K r i t e r i e n , die seriell abgeleitet werden. Da das Ma
terial potentieller Strukturen zu Be ginn der seriellen Determi
nation s chon vorgeste llt ist , werden die Erfahrungen, welche in
frheren Zeiten aus der e mpirischen Artikulation der musika
lischen Zeit ( 20) im Kompositionsprozess selber entstanden, nun
in den seriellen G rundmodellen selber schon vorweggenommen.
Damit wird die musikalis che Zeit als R e s u 1 t a t des realen
Kompositionsvorgange s und struktureller E n t w i c k 1 u n g weit
gehend liquidiert. Im G e gens atz zu V erfahren der tonalen Mu
sik, welche eine G e n e s e der Formge stalt bezweckten, wer
den im seriellen Komponieren die Strukturen g e s e t z t . Es ist ,
als ob sie im Reihenmodell alle von Anfang an schon vorau sge
wut wrden , um dann im e mpirischen Kompo sitionsvorgang aus
die sem Modell lediglich noc h abgeleitet zu werden wie Kon
klusionen aus logischen Prmissen. Hie rdurch hat der Stellen
wert von Strukturen innerhalb einer Form eine gnzlich andere
Funktion erhalten. Die E n t w i c k 1 u n g s p r o z e s s e von Struk
tur zu Struktur sind durch die serielle Dispo sition vorwegge
nommen und als fr die Form - Genese w e s e ntliche Kategorie
auer Kraft ge setzt. Die Une mpfindlichkeit s erieller Struktur
anordnung gegen e mpiris ch artikulie rte musikalische Zeit trifft

20) So lieen zum Beispiel in Sonaten Beethovens Stellen sich anfhren,


die zum Verlauf der Gesamtform wie H spontane N Einflle sich verhalten (cf.
u . a. Sonate op. 1 0 Nr. 2, I . Satz, Takte 6 5 ff). Sie sind nicht aus der Formidee
abstrakt erwachsen, sondern sie sind Resultate der konkreten Erfahrungen,
die im r e a 1 e n , e m p i r i s c h e n Kompositionsprozess gewonnen wurden.
Einmal exponiert, werden sie dann der Formentwicklung integriert und hier
durch zum Bestandteil der Formidee.
58

mit der geforderten G le ichbe rechtigung der Strukturen zusam


men ( 2 1 ) . Da die Folge der Formteile erst durch eine bertra
gung d e r syntaktischen Kriterien de s Reihenmodells (de s sen Ab
leitungen sie sind) auf die groe Form be stimmt wird, ent ste
hen q u i v a 1 e n t e Struktu r - und Anordnungs- Krit e rien. Wie
innerhalb der Strukturen in Permutationen die Vertaus chung d e r
Reihenelemente s ich vollzieht , so knnte innerhalb der G ro
form eine Struktur den Ort einer anderen be setzen und eine
Struktur- Folge (ein " Weg " also) knnte zugunsten e iner and e
r e n weichen . Die s ist- e iner der Grnde fr d ie Entstehung von
Unbe stimmtheit skriterien im seriellen V e rfahren. Es ist der
der S u b s t i t u i e r b a r k e i t von Strukturen oder der gleich
berechtigter, doch ve rschieden verlaufender Form- Wege . Das
Re sultat ist entweder selektive Variabilitt (a) oder quivalen
tes Fortschreiten (b) . (Bsp. 3 9 )

( = x oder y
oder z, dann
weitergehen)

(von w den Weg zu x , zu y


oder zu z gehen; also die
zwischen w-x etc . befind
lichen Strukturen spielen,
dann we itergehen)

Whrend die Substituierbarkeit ( a) eine Ent scheidung ist, die


nur auf einen " Ort " innerhalb der Form sich bezieht, s o wird
bei " b " d ie Artikulation der Form auf verschiedenen W e g e n
vollzogen. Die beiden V erfahren sind in verschiedenen Werken
Stockhau sens ( Klavie r stck XI , Zyklus ) und Boule z ' ( Ill. Sonate)
angewandt , an welchen s ie noch erlutert werden sollen.

2 1 ) Die Gleichbere chtigung der Struktu ren war im frhen seriellen Kom
ponieren nicht nur notwendij!es Ereignis der Reihen- Methodik, sondern sie
wurde auch ausdrc klich als sthetisches Ideal behauptet; cf. Stockhausen
Schriften I, S. 1 7 ff, S. 65
59

Auf d e m Stand des s eriellen Komponie ren s , aus welchem die


Einfhrung solcher Unbe stimmtheitskriterien sich ergeben hatte ,
spielte das Problem der P ermutation eine w e s e ntliche Rolle .
Die Reihe hatte nicht vermocht , die Funktionen thematischer
Formentfaltung zu erfllen und war zum Modell geworden , des
s e n A bleitungen beim H ren durchweg nicht mehr auf e s zurck
gefhrt werden knnen. Die einzelnen Permutationen der Reihe ,
die das konkrele musikalische Material abgebe n , sind zwar au s
dem G rundmodell wie V ariationen abgeleitet , doch werden sie
im Komposition sproze s s so miteinander ver schrnkt , da ihre
V e rwandt schaften gegeneinander sich aufheben. Die Einheit, die
mit d e m seriellen Ableitungsverfahren herge stellt werden soll
te, v e r schwand hinter dem Gerst der seriellen Strukturen. Da
mit war der qualitative Unterschied zwischen Modell und Per
mutationen aufgehoben . Die Reihen- Formationen wurden selber
permutierbar. In die sem Sinne wurden sie weitgehend unabhn
gig von topalogischen G e sichtspunkten. Die e r sten " mobilen "
Kompositionen , in welchen Strukturen miteinander vertauscht
w erden konnten, trugen dem Re chnung.
Ihr Schema: x - y- - - z
oder:
y -- Z - - X

ode r :
z --y -- x etc .
w e i st den einzelne n Strukturen innerhalb d e r G e samtfolge meh
rere Stellen zu, an w elchen sie m g l i c h e r w e i s e erklingen
knnen . (Die Konsequen zen fr die Formartikulation w erden im
nchsten Kapite l am Beispiel des elften Klavier stcks Stockhau
sens e rrtert . ) Wesentlich ist , da in die sem Falle die Struk
turen nicht stellvertretend freinander fungier e n . Alle sind zwar
ihrer Funktion nach an eine gleiche Stelle der Komposition ein
setzbar, doch werden sie hintereinander gespielt. Die Mglich
keit ihres E r scheinen s wird somit unvermittelt zur Realitt, zu
e iner Re alitt freilich, die das Prinzip der Mglichkeit nicht
durchs cheinen lt . Die Funktion der Form- Stellen, die frher
durch die Q u a 1 i t t der sie einnehmenden Strukturen gegeben
war, wird nun , da die se Stellen von dem sich getrennt haben,
was ihnen berhaupt e rst Sinn verleiht, zu einer rein q u a n t i
t a t i v e n . Obgleich ihrem Begriffe nach R e sultat struktureller
Entfaltung, werden die Formstellen nun zu einer der seriell
verfgbaren G ren , die zwar selber keiner Permutation unter
liegen kann, die aber darum u m so grndlicher eine dialektische
Entfaltung in der Zeit, eine Entw icklung des formalen Zusam-
60

menhange s ve rhindert. Zeit w ird in mobilen Formen zum Ge


gen stand einer Organisation, deren Resultate geme i nhin i n der
Z e it aufeinander sich zu be ziehen pflegen. Daher der statische
Charakter dieser Formen, der konkreter Ausdruck eine s blo
fiktiven strukturellen Zu sammenhangs i st .

Will man annehmen, d a zur Ausarbe itung einer Komposition


nicht smtliche - ohnehin astronomisch vielen - Permutationen
der gegebenen Re ihenmodelle , sondern nur e inzelne verwendet
werden, so lt s ich au ch von dieser Seite her das P rinzip der
M g 1 i c h k e i t als fr d ie se rielle Form konstitutive s begrn
d e n . Analog zur Substituierbarkeit ihren Funktionen nach qui
v alenter P ermutationen stellt sich die Frage nach den qualita
tiven Kriterien, die ber eine Beschrnkung und Auswahl d e r
fr eine Komposition z u verwendenden Permutationen be.stim
men. Falls diese Auswahl wied erum nach seriellen Kriterien
vorgenommen w ird , ist noch keinerlei G arantie fr eine spe zi
fische - im klingenden Zu sammenhang wahrnehmbare - Funk
tion der e inzelnen Materialverbnde gegeben. Statt einer P e r
mutation, auf w elche das serielle G lckslos fiel, htte womg
lic h eben so gut e ine andere stehen knnen - eine unter vielen ,
die sich hnlich sind . Die - s e riell vermittelte - Entscheidung
des Komponisten be z ieht sich also auf eine groe Anzahl in Be
zug auf die Form gleichbere chtigter Materialkonstellationen .
Sie soll e i n e e inzige auswhlen, obschon sie s elber - ange
s ichts des bestehenden Materials - auf einen M e n g e n c h a
r a k t e r s ich bezieht. Will man die serielle Form als o r g a
n i s i e r t e Selektion au s den totalen Mglichkeiten d e s f r s i e
definierten Reihenmaterials definieren, so wird offenbar, da
das Material, welches in einer Komposition zur Er scheinung
gelangt , stellvertretend fr eine Flle gleichberechtigten Mat e
rials steht. D e r Widerspruch zwischen dem - durch die Menge
der Permutationen gegebenen - Kriterium der groen Z ahl und
der zur s innvollen Artikulation notwendigen Be s c hrnkung auf
e in zelne Teil- Bere iche die s e s ge samten Materials (die wiede r
um d e n Anspruch des Permutationsverfahrens fragwrdig macht,
w eil s ie es an seiner umfas senden Entfaltung hindert) ist ein
w e iteres Kriterium fr ,.aleatorische " Momente in der Struktur
des Serielle n . Denn wenn auch die Methodik der Materialaus
wahl seriell determinierbar sein mag , so spiegeln deren Kri,
terien sich nicht im G eringsten in der Qualitt der Material
strukturen, die au s dieser Wahl hervorgehen. Die Determina
tion der Wahl- Kriterien bestimmt noch nicht die G e stalt des G e
whlten.
61

V o n vielen - auch v o n Komponisten - wurd e lange Zeit geglaubt,


musikali s c he r Zu sammenhang e rgbe sich in einem seriellen
Komponie ren durch mglichst wid e r spruchsfreie Ableitungsre
ge ln und Permutations schemata ( 2 2) . Als Ideal galten d ann ge
meinhin Regeln, welche d e n gleichen G esetzen wie die Reihe
selber gehorchten , auf die s ie d oc h appliziert w e rden sollen.
Doch ist dieser Gedanke naiv, da er sich auf Automatismen ver
lt, die au s d e m reinen Material herau s schon musikalischen
Sinn stiften sollen ( 2 3 ) . Das wrde die mechanistische bertra
gung rein zahlenmiger Kohren z auf musikalische G e stalten
bedeuten und ist als Idee wie auc h als Methode zu einfach ge
dacht. Ohnehin spricht die Simplizitt der Werke , die solchem
., Mate rialfetisc hismu s " entspringen, gegen d ie The s e . Der Wi
d e rspruch zwischen groer Zahl und spe zifischer musikalischer
Konstellation ist aber nur kompositorisch zu lsen. Er bedingt
deo Einbe zug aleatorischer Krit e rien und verweist in den Be
reich der kompo sitorisc he n Methodik, die seiner Herr werden
mu .

Sollen im seriellen Werk die beiden e xtrem entgegengeset zten


B ereiche de s Reihenmodells und d e r G r oform zur Einheit sich
finden, so bleibt d e m Komponisten die E ntscheidung, auf w el
chem W e ge e r die V e r mittlung methodisch bewerkstelligen mch
t e . Je nach seinem individuellep V o r stellungsvermgen wird er
fr die induktive oder fr die deduktive Methode sich entschei
den. Whlt e r die e rste , s o gebietet sie ihm, von der przisen
V o r st e llung ein e s Reihenmodells au s zugehen, welche s er in sei
nen E lementen definiert und von welchem e r dank vielfltiger
Ableitungen methodisch den Weg bis zur Konstitution der groen
formalen Zusammenhnge s chreitet. Ind e m d ank mannigfaltiger
Ableitungsverfahre n die Reihe , vordem fe stumrissenes Modell,
ihre v e r s c hiedensten Formen und Perspektiv e n entfaltet, indem
die Flle ihrer Permutationen gewonnen wird , verliert sie sel
ber ihre spezifischen Male an die Masse der Element e , die aus
ihr hervorgingen und unter welchen sie untertaucht. Das G e setz

22) Cf. Stockhausen, Schriften I , S. 1 8 Die Sinnhaftigkeit einer Ordnung


grndet in der Widerspruchslosigkeit zwischen Einzelnem und dem Ganzen .
S. 1 9 ,.Ein- Ordnung aber ist eine Bedingung fr Widerspruchslosigkeit " (sie ! ) .

2 3 ) Stockhausen, a. a. 0. , S. 2 1 ., Voraussetzung ist allerdings, da das


Einzelne bereits alle Ordnungskriterien i n sich trgt - und zwar widerspruchs
los - die dem ganzen Werk zu eigen sind. Die Frage, wie e s dies, als blo
Einzelnes, berhaupt vermchte, wird freilich bei Stockhausen keiner Pr
fung unterzogen.
62

d e r groen Z ahl, welchem d i e so entstandenen Element - Mas


sen unterworfen sind , setzt deren individuelle Kontrolle vorerst
auer Kraft . Auf der Mitte d e s methodischen Weges zwischen
Modell und Form ste llt Entropie , Unverbindlichkeit der Mate
rialkonstellationen, sich ein. Falls nun der Komponist auf der
konsequenten Ableitung seiner Groform aus dem Reihenmodell
weiter be steht , sieht er sich an dem Punkte , an welchen sein e
methodischen Unternehmungen i h n gefhrt haben, eir.er doppel
ten Konfu s ion gegenber. Eine rseit s gehen ihm ange sichts der
Flle gle ichberechtigter Permutationsresultate - gleichberech
tigter Material- Felder - die przisen Kriterien verloren, auf
deren Verllic hkeit er baut e , als er seine Reihe als individu
elle s , b e r s c h a u b a r e s Modell konzipiert e . Andererseits
wird er der Tatsache inne , da, wenn e r der entstandenen Ma
terialflle durch serielle Aus sonderungsvorschriften Herr zu
werden gede nkt , die se V orschriften schon nicht mehr auf ber
s ehaubare Mate rialkonstellationen sich beziehen. be rdies war
vorausge setzt, da er die Individualitt se iner Form aus den
Kriterien se ine s Reihenmodells herzuleiten gedachte , welche s
sich nun von seinen zahllosen Ableitungen kaum mehr unter
s cheiden lt . In diesem Augenblick wird der Komponist, will
er den Kanon se iner Methode nicht preisgeben, damit rechnen
mssen, da die Resultate weiterer methodischer Schritte von
ihm vorher nicht mehr abzu sehen sind : er wenciet um der in zu
nehmend e m Mae inhalt slee ren Ordnung willen Regeln und Ver
fahrensweisen auf eine Materialflle an, ohne j edoch die damit
bezweckte m u s i k a 1 i s c h e Ordnung vorweg ausmachen i'"U
knne n . I n den Kompo sitions- P r o z e s s tritt damit - kraft d e s
J. U S der Entfaltung d e s Materials hervorgehenden G e setzes d e r

groen Zahl - das Prinzip der Unvorhe rsehbarkeit ein . Die R e i


he , a l s s p e z i f i s c h e s Modell, liH unvermittelt nicht auf die
s p e z i f i s c h e n Kriterien der Werkgestalt schliee n . Der Ab
stand, welcher methodisch zwi schen Mikro- und Makroform ge
setzt ist , zitiert in dem Augenblick Kriterien der Indetermi
nation herbei , in welchem der Komponist methodisch sich um
die Vermittlung der beiden Extreme bemht. Um der Material
flle , welche nur noch in G ruppen oder gar groe Felder sich
ordnen lt , in den w eiteren Stadien seiner Arbeit wieder Herr
zu werden, mu der Komponist sich zwi schen zwei Alternativen
ent scheiden. Entweder verw irft er das Prinzip der permutativen
Materialentfaltung und reduziert die se auf nur wenige Ableitun
gen minimalen Umfange s . G anz ungeachtet der Tat sache , da
die s immer noch kein G arant fr die Vorhersehbarkeit der Re
sultate i st und auf der anderen Seite unerwnschte Beschrn-
kungen aufe rlegt , hat dies Verfahren den Nachteil, den integra
len Anspruch d e s Seriellen zu beschneiden, dank d e s sen ja ge
rade die V ermittlung zwischen den Extremen methodisch be
werkstelligt w e rden sollt e . Zieht man sich nmlich von vorn
herein nur auf bes chrnkte Ableitungen zurck, s o verliert man
nun den berbli c k ber d ie u n g e n u t z t e n Mglichkeiten, die
dem Material innewohnen und deren einige der Form htten zu
gute kommen knnen. - Oder aber der Komponist entschliet
s ich, die au s dem F e 1 d - Charakter seiner Materialflle re
sultierenden Kriterien als fr die Weiterarbeit ve rbindliche zu
akze ptieren. In die sem Falle wrde das Ideal einer streng de
terminierte n seriellen Induktion hinfllig. Zur Artikulation der
Groform und zur Investition des Mate rials in deren Strukturen
knnten t e ilwei s e statistische Kriterien ve rwendet werden. Die
groe n Feld e r , in welche geordnet das mu sikalische Material
ers cheint , fnden ihren Spiegel in der nun erfolgenden Definition
globaler Kriterien , G ruppenunterschiede und umfas sender Kon
ture n, mit welchen die Ge stalt der groen Form sich bestim
men liee . Logisch ist dies V erfahren insofern, als ohnehin die
Groform au s Zusammenhngen von Element m e n g e n und
nicht einfach au s partikularen Elementen sich zusammensetzt.
Da die groe Form nicht bloes Analogon einer einzelnen Reihe
ist, ist sie auch nicht ohne Weiteres nach G e sicht spunkten zu
bestimmen, die fr die Konstruktion e i n e r Reihe Gltigkeit
haben mgen . Die Unmglichkeit, au s den Perspektiven eines
Reihenmodells die G e stalt de s Werke s vorhe rsehen zu knnen,
findet ihren Niede r schlag in der Kompo s itionsmethodik. Tritt
auch zum Merkmal der Substituierbarkeit das der teilweisen
Unvorhersehbarkeit hinzu, so bedeutet die s nicht , da in einem
konsequenten seriellen Komponieren au hasard gearbeitet wer
de. Im G egenteil ist die aus dem Prinzip des Seriellen resul
tierende Indetermination ein Mittel, den Widerspruch zwi schen
groer Zahl ( Materialbereich) und spe zifi scher Form zu schlich
ten, und zwar dadurch, da sie die Korrektur nur auf den ma
teriellen Einzelfall (Reihen - Modell) be zogener mu sikali scher
Vorstellungen in der Arbeitsphase er zwingt , in welcher die se
auf die bergeordneten Zusammenhnge bertragen werden sol
len.

So ermglicht ein Einbezug der Unbestimmtheitskrite rien, die


aus der Entfaltung des seriellen Materials entstanden, in die
kompo sitorische Methodik grere formale Zusammenhnge zu
stiften, welche die rein partikularen Konzeptionen punktueller
Musik betrchtlich e rweite rn.
Dem induktiven Komposition sverfahren steht das dedu ktive ge
genber. Zu de ssen Beginn steht die V orstellung einer groen
Form. Der Komponist, welcher von der Idee eines groen Form
Planes sich leiten lt, d e s se n innere G e staltung ihm gewisser
maen vorschweben " kann, wird zur Przisierung seiner Ge
"
samtvorstellung die sen Plan vielleicht nach seriellen Kriterien
festzulegen ve rsuchen . Er mag womglich d ie Dauern der ein
zelnen Formteile nach einem Reihenprinzip regeln, ferner die
Dichte der musikalischen Strukturen, die bergeordneten Klang
farbencharaktere undsofort. Indem er nun solche globalen Be
stimmungen s eriell zu ordnen versucht , muf3 er von vornherein
dem A spekt des Reihenprinzips Rechnung tragen, der sich im
induktiven V erfahren erst in einem fortge schrittenen Arbeit s
stadium ergab. Er sieht nun z u Beginn se iner Arbeit der Tat
sache sich gegenber, G ruppen von Elementen, M e n g e n ein
zelner Werte in ihrem vorge stellten Zu sammenhang s eriell be
stimmen zu mssen. Das Reihenverfahren mu also im deduk
tiven Kompositionsprozess ganze Verbnde musikalischer Ele
mente an Stelle von nur einzelnen regulieren.

Doch kann der Komponist e s bei der Definition solch bergeord


neter Kriterien nicht einfach belassen: Methodisch wird er von
ihr au s zu einer Determinierung des Details fortschreiten wol
len , um nicht dabei verharre n zu mssen, nur uerlich seriell
definierte Blcke mit undifferenziertem Material zu fllen. Fr
den Fall, da der Weg vom G roen ins Kleine sich wiederum
seriell vollzieht - da am End e der seriell determinie rten Gro
form die ser ihre ebenso seriellen Details ent sprechen sollen -
treten wiederum Kriterien zunehmender Unbe stimmtheit in die
Arbeit ein. Denn auch hier ist ein Zusammenhang zwischen dem
Mengencharakter des Serielle n, wie er an der G roform in Er
scheinung tritt, und den Ele mentar- Reihen nicht unmittelbar ge
geben (24) . Diese nmlich gehen als Einzelgren in den Struk
tur- Formationen unte r, deren (nun schon serie ll definierte) Be
dingungen sie nicht sdestoweniger re spektieren mssen.

24) .Je mehr das Reihenprinzip als Pe rmutationsprogramm (das die Per
mutation der V erknpfungen ein schliellt) verstanden wird und damit zur Sta
tistik tendiert, sperrt e s sich gegen die Komposition zum Musikstck; je
sorgsamer die Auswahl getroffen wird, desto mehr wird der Reihencharakter
suspendiert: die Deklaration der vom Geschmack des Komponisten verknpf
ten Daten als Zahlenverhltnis , Parameterdarstellung, srie ist pleonastisch.
(Gottfried Michael Koenig, " Kommentar in: Die Reihe 8, Wien 1 9 6 2 , S. 8 1 )
65

Ind e m also d e r Komponist von der Definition d e r groen Kon


turen zur Dispo sition der einzelnen Elemente fortschreitet , n
dert s ich im Verlauf seiner Arbeit die F u n k t i o n d e s Rei
henprinzips. Die Vorstellung groer Form- Konturen beinhaltet
s chon eine Flle homogenen Materials, d e s sen " Umri" sie
sind. Die Definition dieses Materials mu also bercksichtigen,
da die es umfassende Kontur, als bergeordnete Kategorie ,
innerhalb d e r G e samtform ja nur e i n R eihenglied ist. Daher
mu sich die Dispo sition der die Einzelstrukturen begrndenden
Ele me nte unter zwei Gesichtspunkten gleichzeitig vollziehen.
Eine r seits soll der umfassende Charakter des seriellen Prin
zips gewahrt bleiben, welches eine stndige Erneuerung der un
mittelbar einander folgenden Elemente beinhaltet. Andere r seits
aber sollen diese Elemente zur Artikulation eines ihnen ber
geordneten Strukturcharakters dienen. Sie mssen also einan
der derart hnlich sein , da ihre Individualitt jenem greren
Zu sammenhang s ich unterzuordnen vermag. Unter die sem Ge
s icht spunkt betrachtet legt es sich wiederum nahe , da der Kom
ponist die Flle des au s dem seriellen Schema der Groform
hergeleiteten Materials in G ru ppen verwandter Feldbereiche ord ,
net, deren jede einem bergeordneten Kriterium gehorcht. In
ihre r reinen Individualitt knnen sich d ie Elementreihen nicht
behaupten, da sie die Einheitlichkeit der Form- Teile sprengen
wrden. Kme nmlich eine m j eden Reihen- Element die serielle
Funktion zu , die ihm nach den Kriterien aus schlielich seiner
Reihe zu eigen ist, so wrde wieder - wie in der punktuellen
Musik - von Ton zu Ton komponiert werden m ssen. Stndige
umfas sende V ernderung von Punkt zu Punkt liee die Klarheit
der G roform zunichte werden.

Der Kompon i st , welchem an der d e u t 1 i c h e n Artikulation


bergeordneter formaler Zu sammenhnge gelegen ist , wird also
um deren Erhaltung willen Reihen fr Mengen- Relationen auf
stellen, die einerseit s e ine se rie lle V erknpfung der Formteile
gestattet und andererseits so be schaffen sind, da sie e ine dif
ferenzierte Strukturkomposition ermglichen.

So i st auch im deduktiven Kompositionsverfahren die Progre s


s ion v o n d e r G roform zum Detail mannigfaltigen Unvorherseh
barkeiten unterworfen, welche den Einbezug statistischer Kri
terien mglich machen. Darum erfordert dieses Verfahren eine
stndige Korrektur des ur sprnglichen Plans ( 2 5 ) . Waren des
sen Charakteristika zu Beginn der Arbeit mehr ode r minder

25) Cf. Gyrgy Liget i , Wandlungen der musikali schen Form , in: Die Rihe
7, Wien 1 9 6 0 , S. 1 2
66

abstrakt in summari sche R e ihen geordnet, so steht ihnen im


Verlauf der Arbeit das au s diesen 0 r d n u n g e n hergeleitete
M a t e r i a 1 gegenber. Es wre zu einfach und kompositorisch
belanglos , wollte man diese s nun en bloc in die Formteile e in
setzen. Denn wenn auch i m deduktiven Verfahren d a s Material
nach freieren Kriterien begrenzten Zufalls ( 2 6 ) geordnet wird ,
so mu e s dennoch den realen Zusammenhang vorhe r nur ab
strakt definierter Strukturen herzustellen beitragen. Die Kon
stellationen von Material, die au s den Permutations- und Ab
leitungs-V erfahren hervorgehen, gewinnen im Laufe ihrer Ver
arbeitung dem ursprnglichen Plan gegenber an Gewicht . Als
reale Eleme nte w irken sie zurc k auf das ursprngliche Kon
zept, bei de s se n Konstruktion sie noch nicht so przise vorher
gesehen werden konnten. Die definitive Form i st demnach das
Resultat eines kompli zie rten Prozesses stndiger Wechselwir
kung zwischen ursprngliche m Formschema und au s ihm herge
leiteten Kriterien der Detail- Struktur. Der deduktive Kompo si
tionspro z e s s , w elcher das strenge serielle Konzept in Richtung
auf umfa s sendere Prinzipien hin transzendiert, wird selber fle
xibel. In der Korrektur d e s ursprnglichen Plans, welche die
sen im Hinblick auf die realen Klangge stalten " fl ssig macht,
i st ein dritte s Kriterium fur den Zu sammenhang zwischen Seriel
le m und Indetermination gegeben. Das ursprngliche serielle
S c h e m a wird dank der au s ihm hergeleiteten M a t e r i a 1 -
konstellationen aufgelst.
Substituie rbarkeit,Unvorher s ehbarkeit und Flexibilitt der Form
G enese stehen alle drei im Zusammenhang mit der K o m p 1 e x i
t t der seriellen Struktur. I st die Sutstituierbarkeit - die Au s
tau schbarkeit der Strukturen - e i n Ausdruck deren entropische n
C harakters und ent stammt d ie Unvorher sehbarkeit dem aufzuhe
benden Widerspruch zwi schen definierbarem Element und Menge
der definierten Elemente , s o ist die Flexibilitt das Re sultat bei
der zugleich. Wie das Prinzip der Substituie rbarkeit eine stn
dige Korrektur gestattet, s o macht das Prinzip einer U nvorher
sehbarkeit a 1 1 e r Details d i e s e Korrektur erforderlich.

Im induktiven wie im deduktiven V erfahren i st die komplexe


serielle Struktur aus einer V ielzahl von Klang- Elementen zu
sammenge setzt, die zu ihre m V e r stndnis notwendig sind, wenn
sie sich auch nicht alle als individuell wahrnehmbare in ihr be
haupten. Sie gehen im Zu sammenhang auf.

26) Begre nzt wird der Zufall durch die bergeordneten Strukturcharakte
ristika.
67

Dem Doppelcharakter ct e s Serie llen gem, welcher e inerseits


durch d ie totale Proportionierung des formalen G efge s Ord
nung stiften soll, andererseit s aber die dieser Proportionierung
unterworfenen musikali schen Ge stalten unmittelbar , e mpirisch,
aufe inander zu be ziehen trachtet , habe n jedoch die Struktur- De
tails den Zusammenhang z u v e r a n s c h a u 1 i c h e n , der durch
die se rielle Formorganisation vorerst in re iner Abstraktion dik
tiert ist. Sie mssen also rckwirkend , auf der Ebene der s inn
lichen Erscheinung, den Ordnungsprinzipien des serie lle n Ge
rstes zur musikalischen G e stalt verhelfe n . Dies vermchte in
duktive s und deduktive s Komponieren ineinander aufgehen zu
las sen und die kompositorische Ent scheidungsfreiheit mit dem
seriellen Prinzip zu vermitteln.

Die bisher e rfolgte Darstellung struktureller Konzeptionen knnte


den Anschein erwecken, im se riellen Komponie ren stnden ::.wei
Strukturtypen einander gegenber : der Typus konfuser und ge
geneinander kaum abgegrenzter Strukturen, wie er oft in der
punktuellen Mu sik e rklang, und der Typus klarer , au s homoge
nem Material gefgter und blockartig wirkender Strukturen , die
suitengleich einander folgen. J ed och w ider sprche solch mono
lithische Strukturkonzeption zutiefst dem Wesen des Seriellen.
Existierte sie, so wren die be schriebenen V erfahren der Ma
terialentfaltung berfls sig. Denn um Strukturblcke herzustel
len bedarf es keiner seriellen Diffe renzierung des in ihnen ent
haltenen Materials . Die s bedeutet nicht , da nicht tatschlich
in einer Reihe von Werken der letzten Jahre (be sonders in so
genannten Klangfarbenkompositionen) die strukturellen Bezie
hungen rein linear seien (a- b- c . . . - z) . Doch macht die serielle
Dispo s ition komplexerer Werke nicht schon bei der Verteilung
homogenen Materials auf Strukturen Halt. Sie versucht vielmehr,
die mannigfaltigen Struktur - Zu sammenhnge schon in die Mate
rialordnung der einzelnen Strukturen einzubeziehen. Das heit:
die Strukturcharaktere werden zwar als einheitliche , deutlich
wahrnehmbare G e stalten konzipiert , doch sind sie in sich re
flektiert und flexibel ( 2 7 ) . Das in ihnen e nthaltene Material kom
muniziert mit dem Material anderer Strukturen. Dies erweitert
die Strukturbezge , da einerseits die Strukturen musikalische
Eigenstndigkeit be sitzen, andererseit s aber ein vielfltige s ,
umgebenden Strukturen verwandt e s Material enthalten. Erst au s
die sem Prinzip, welches der Strukturgestalt schon die gestalt
liehen Be ziehungen integriert, die zwischen den Formteilen sich

27) Cf. Stockhausen, G ruppen, a . a . 0. , S . 4 0 , S. 8 0 f, S. 1 04 ab Ziffer 1 22


68

herstellen, entsteht wirkliche se rielle Komplexitt und kompo s i


torische Dialektik. Das lineare Ve rbindungsprinzip eines naiven
seriellen Anordnungs schemas wird also durch die Investition
verschiedener Tendenzen inne rhalb e i n e r Struktur aufgeho
ben , w obei diese Teil- Kriterien (also die anderen Strukturen
entlehnten) dem umfas senden Kriterium der zu artikulierenden
Struktur unterworfen sind : X , X ' X , etc . ( Bs p . 4 0)
a z m

40 __z:=.J_m__,,
x{l..a_f._ _r- etc.

I n n e r h a 1 b einer Struktur kommunizieren die verschiedenen


Charaktere besonders stark miteinand e r . Sie knnen sich ber
lage rn, sich au seinander entwickeln, einander abwechseln und
sofort . Bei der Artikulation solch komplexer inner strukturel
ler Vorgnge spielt das serielle Mengenprinzip e ine bedeutende
Rolle. Der einfache Fall lt s ich konstruieren, da die einzel
nen Teilkomplexe einer Struktur aufgrund der seriellen Unter
teilung der fr die se vorge sehenen ge samten Materialmenge zu
stande kommen. Bei etwa 65 vorge sehenen Ans chlgen und 6
Teilfeldern verschiedenen Charakters knnte deren Ans chlags
zahl 5 + 6 + 8 + 1 1 + 1 5 + 2 0 T ne betragen , d a s heit, d a unter
s chiedlich groe Teilmengen e rster Ordnung be stimmt wrden.
Was fr die umfassende Struktur gefordert wurd e , nmlich deut
liche Wahrnehmbarkeit und e inheitliche Kontur , das mu in ver
strktem Mae fr deren T eilbereiche gelten, da sonst die alte
Konfu sion der punktuellen Mu sik wieder ihre Herrs chaft ber
die mu s ikali sche G e staltbildung antrt e .

W a s innerhalb d e r Teil strukturen erklingt , geht in der Artiku


lation d e s deutlichen Umri s s e s auf. Auf dem Niveau der Ele
mente zeigt sich dadurch ein Phnomen, welches dem hnlich ist,
das vorhin fr die groen Strukturen be s chrieben wurde. Die
przise A n o r d n u n g der einzelnen Elemente tritt hinter der
Notwendigkeit ihre s E r s c h e i n e n s zurck. Sollen zum Bei
spiel zur Artikulation eines hohen, " durchbrochenen " Frequenz
bandes 5 00 hohe , " spitze " Tne verwendet werden, d ie wie ein
Tonschwarm anmuten, so ist die Klarheit des Re sultat e s auc h
dann noch ge whrle istet, wenn einzelne dieser Tne vertauscht
oder gegene inander vers choben werden. Nicht ihre kontextuelle
Funktion - ihr unmittelbare r Be zug auf Nachbartne - sondern
ihr Ge staltkriterium (hier: hoch, spitz) ist fr die Wahrnehmung
des gewnschten Re sultate s au sschlaggebend. Denn die Wahr
nehmung bergeordneter Z u s a m m e n h n g e tritt vor die
der Einzelele ment e . Auch hierin zeigt sich e ine Kon sequen z de s
seriellen Prinzips. Im Falle e ine r komplexen seriellen Struktur
mit vielfltigen internen Beziehungen knnen deren Einzelele
mente - d ie Elemente der Teilstrukturen - unter dem gleichen
G e sicht s punkt der Substituierbarkeit organisiert werden, wie
vorhin die e inzelnen quivalenten Strukturkomplexe. In Bezug
auf die mus i kali sche Wahrnehmung allerdings haben beide For
men der Indetermination e ine voneinander gn zlich ver schiede
ne Funktion. Wo die Indete rmin8.tion der Makrostruktur (Ver
tauschbarkeit von Strukturen) formale Beliebigkeit e r zeugt , da
ist die Indetermination der Mikrostruktur Au sdruck gestaltli
cher Klarhe it.

Analog zur M o b i 1 i t t ganzer Strukturen inne rhalb einer G e


samtfolge kann man d i e Mobilitt einzelner Elemente innerhalb
einer Struktur als V a r i a b i 1 i t t der Struktur bezeichnen ( 2 8 ) .
D e n quivalenten Funktionen gan zer (mobiler) Strukturen stehen
in der strukturellen V ariabilitt vers chiedene Konstellationen
der gegebenen Elemente gegenber , die dennoch i n ihrer Ver
s chiedenheit die Artikulation e i n e s strukturellen Proze s s e s
bewirke n .

In d e n folgenden Kapiteln wird d i e Entwicklung d e r hier err


terten Kriterien i n den Kompo sition sverfahren einzelner Werke
be schriebe n . Dabe i w ird von der einfachsten Form - der Mobi
litt ganzer Strukturen - bis zur dem Scheine nach komplexe
sten - der totalen Mobilitt aller Dimensionen - fortgeschritten.
Dies geschieht nicht nur um didaktischer Klarheit wille n , son
dern auc h , weil die Wandlung der Komposition stechniken in den
letzten 15 J ahren in gleicher Richtung sich vollzogen hat.

Mit der Beschreibung der erwhnten Kriterien i st j edoch noch


nichts ber deren Funktion in realen formalen Zusammenhn
gen au sge sagt . Denn in dem Augenblick, in welchem mobile ,
variable , statistische , kur z : aleatorische Prinzipien in die Kon
struktion der Werke als aktive , den Formproze s s bestimmende
Kriterien einbezogen werden, unterliegen sie selber der Dia
lektik der Form. Insofern gilt alle s , was bisher ber das Ver
hltnis von Indetermination und mu sikalischem Zu sammenhang
berichtet wurde , vorerst als Forderung.

28) Diese Form von Variabilitt der Struktur ist nicht mit jener ungewoll
ten strukturellen Statistik zu verwechseln, wie sie sich in der integral ,;c
riellen Musik aus der umfassenden Seria!isierung aller Parameter ergeben
hatte. Dort nmlich stand die v i rtuelle V ertau:;chbarkeit nicht in Funktion
bergeordneter G e staltcharaktere.
70

Mu siktheoretisch ist es wenig sinnvoll, aleatorische Komposi


tionstechniken unter sthetischen, psychologischen, gar anthro
pologi schen Ge sichtspunkten aburteilen zu wollen. Sie sind ein
zig aus den Werkzu sammenhngen heraus zu begutachten . E s
gilt also z u prfen, o b sie d ie musikalische Funktion, welche
sie als M i t t e 1 stiften sollen , auch w irklich erfllen oder ob
dem nicht Merkmale ihrer Eigengesetzlichkeit - die notwendig
in den Kompositionen sich entfalten - entgegenstehen. Darum
werden die folgenden Kapitel sich nicht bei einer Phnomenolo
gie aleatorischer Einzeltechniken aufhalten . Was mit dem Zu
fall alle s anzustellen ist, be sitzt musikalisch kein Intere s s e .
E s soll also nach d e r intendierten und d e r wirklichen Funktion
aleatori s c he r Ve rfahren gefragt werden, was man ruhig als
Kompositionskritik wird be z eichnen drfen.
71

111 . Mobil itt der Stru kturen

Die beiden ersten Werke , in welchen au s dem Phnomen der


Substituierbarkeit quivalenter serie ller Strukturen Konsequen
zen fr d ie Formge staltung gezogen wurden, s ind Stockhau sens
" Klavier stck XI " ( 1) und Boule z ' 3 . Klaviersonate ( 2 ) . So sehr
Sto c kh ausen - entgegen seiner Gewohnheit - sich mit theoreti
schen Kommentaren zu seinem Klavierstck zurckgehalten hat,
so sehr haben s e ine Kritiker sich in Lob und Tadel an Unsach
lichkeit berboten . Rudolf Stephan ( 3 ) hat s ich lediglich an die
der Partitur beigegebenen Spielanw eisungen gehalten und den
Notente xt bei der Beurteilung de s Werkes gar nicht bercksich
ti gt . Dahe r folgert er unter andere m (4) : . . . denn s chliefHich
"

kommt ja bei Stockhausens Klavierstck XI doch so etwas wie


ein freies R o ndo heraus . . . " . Jens Rohwe r hat in e iner gegen
neue Musik gerichteten Schrift (5) das gesamte Prinzip der Mo-

1) Karlheinz Stockhausen, Klavierstck XI, London 1 9 5 7

2 ) Pierre Boulez, lll. Sonate fr Klavier ( 1 95 6 ff) , bisher teilweise publi


ziert: H Trope H , London U l 6 l , H Constellation- Miroir " , London 1 9 6 3

3 ) RudolfStephan, Neue Musik, G ttingen 1 95 8 , S. 6 5 ff; Stephan ist e s auch


gelungen (a. a. . , S. 6 1 ff) , das dritte Klavie rstck Stockhausens ( Klavier
stcke I-IV, London- Wien 1 954, S. 9) als auf tonalen Kadenzen beruhend zu
analysieren. Freilich !(elingt solch eine Analyse nur, wenn lediglich ein ein
ziger von vier wesentlichen Parametern untersucht wird. und der Autor die
Dissonanze n , losgelst von allen formalen Funktionen, so behandelt , als ob
sie, wie bei Mozart, ihre tonale Auflsung erfhren.

4) Stephan, a. a, . , S. 6 6

5 ) Jens Rohwer, Neueste Musik - E i n kritischer Bericht, Stuttgart 1 9 6 4 ,


S . 1 6 0 f und S. 1 6 6 f f . Rohwers Buch, W-e lches e i n e umfassende Kritik des
seriellen Prinzips betreiben mchte, kann im Verlauf unserer Betrachtungen
Flicht weiter bedacht werden. Auf seinen 200 Textseiten konnten allein bei der
ersten Lektre schon uber 1 5 0 so grobe sachliche Fehler festgestellt werden,
da eine wissens chaftliche Brauchbarkeit des Werkes sich ausschliet. Man
findet i n Flle falsche und tendentis entstellte Zitate, falsche Definitionen
musikalischer und physikalischer Termini, Verwechslungen von Begriffen;
Interpreten werden in der Reihe der Komponisten abgeurteilt; Schemata, de
ren Fehlerhaftigkeit (obwohl es sich lediglich um die Abrundung von Zahlen
hinter dem Komma handelt) Rohwer den Komponisten nachweisen mchte,
werden bei ihm durch Schemata ersetzt, deren Fehlergrad sich zum pythago
rischen Komma w ie eine Oktave verhlt; eine eigene Analyse so11 Zweifel
am kompositorischen Niveau Weberns erwecken, doch hat Rohwer i n der Par
titur Tne - j a ganze Reihen - entdeckt, die bei bestem Willen in ihr nicht
aufzuspren sind. (Eine Korrektur von Rohwers Webern- Analyse soll in einem
Heft des J ahrgangs 1 9 67 der .. Musikforschung erschein.-n.)
72

bilitt unter ihr vllig fremden Gesichtspunkten wie V or- und


Nachsatzbildung oder gar Krebsbildung am Boden zerschmet
tern zu knnen ve rmeint . Jedoch trifft auc h seine Kritik nicht
die existierenden Werke . Helmut Kirchmeyer gar hat ( 6 ) , voll
des Lobe s , in Stockhausens Klavierstck die .. Kompanieridee
rhythmischer Improvisationsmodelle " zu entdecken vermocht ,
was die rhythmi sch und harmonisch vollkommen determinierte
P artitur jedoch nicht besttigt - denn an Improvisationsmodel
len, wie auch immer sie be schaffen sein mgen, enthlt das
elfte Klavierstck kein einzige s .

Ange sicht s der theoretischen Konfu sion, die wohl durch die un
konventionelle Anordnung der musikalischen Strukturen auf dem
Notenblatt hervorgerufen sein mag, ist der Hinw e i s auf kompo
sitoris che P robleme um so dringlicher.

Das elfte Klavierstck besteht au s einem Bogen, auf welchen 19


Notengruppen in unre ge lmiger Anordnung verteilt sind. Am
Ende einer jeden Gruppe befinden sich Angaben ber Tempo ,
Dynamik und Anschlagsart, mit welchen die folgende - beliebig
aus zuwhlende - G ruppe zu spielen ist . In den Spielanweisungen
(7) heit e s : .. Der Spieler schaut absichtslos auf den Papierbo
gen und beginnt mit i rgend einer zuerst gesehenen G ruppe; diese
spielt er mit beliebiger Geschwindigkeit (die klein gedruckten
Noten immer ausgenommen) , G rundlautstrke und Anschlags
form. I st die erste G ruppe zu Ende, so liest e r die folgenden
Spielbeze ichnungen fr G e s chwindigkeit (TO), Grundlautstrke
und Anschlagsform, schaut absichtslos weiter zu irgend einer
der anderen G ruppen und spielt die se , den drei Bezeichnungen
gem . - Mit der Bezeichnung , absichtslos von G ruppe zu G ruppe
weiterschauen ' ist gemeint, da der Spieler niemals be stimmte
G ruppen miteinander verbinden oder e inzelne auslassen wilL -
J ede G ruppe i st mit jeder der 1 8 anderen G ruppen verknpfbar,
so da also auch jede Gruppe mit jeder der sechs G e s chwindig
keiten, G rundlautstrken und Anschlagsformen gespielt werden
kann. " . . . .. Wird eine Gruppe zum zweiten Mal erreicht , so gel
ten einge klammerte Bezeichnungen; meist sind es Transpositio
nen um eine oder zwei Oktaven . . . aufwrts oder abwrts , . . .
e s werden Tne hinzugefgt oder weggelassen. - Wird eine G rup
pe zum dritten Mal erreicht, so ist eine der mglichen Realisa
tionen de s Stcke s zu Ende. Dabei kann es sich ergeben, da
einige Gruppen nur .e inmal oder noch gar nicht gespielt wurden. "

6) Kirchmeyer, Vom historischen Wesen, a. a. 0 . . S. l l

7) Stoc khau sen , Klavierstck XI , a . a . 0 . , ver so


Zum Worte ,. absichtslos " haben die Kritiker (8) - ungeachtet
der Stockhau sensehen Erluterung - bemerkt, der Spieler ms
s e doch alle Gruppen so gut einstudiert haben, da Absichtslo
sigkeit nicht mehr mglich sei. Doch hat er sie hoffentlich alle
gle ich gut e instudiert - womit dann die Wahrscheinlichkeit der
Au swahl fr alle G ruppen wieder gleich hoch wre .

Dennoch knnen phy siologische Kriterien einerseits und ande


rer seits Kriterien, die in der optischen Verteilung der G ruppen
lie gen, Einflu auf die Spontaneitt der Wahl nehmen und die
statistische G leichberechtigung aufheben . Zum Vergleich sei
die Partitur verkleinert wiedergegeben , wobei die Lnge und
Dichte der G ruppen noch erkennbar ist . (Bsp. 4 1 )

P sychologisch gesehen liegt dem Selektionsprinzip s t e t s e ine


Motivation zu Grund e , die dem Interpreten nicht bewut sein
mu , die aber in seiner Per sonalstruktur begrndet i st und beim
optischen Abtasten de s Blatte s be stimmte Wege au sschliet und
andere bevorzugt. Es ist hufig fe stzu stellen gewe sen, da die
Ver sionen des Klavierstcks tat schlich dem Temperament der
Interpreten e nt s prachen. - Der behaviouristischen Theorie zu
folge mte zur Be sttigung die s e s Eindrucks ein Test vorge
nommen werden, in dessen Verlauf mehrere Pianisten j e etwa
5 0 v e rs chiedene Versionen de s Stcke s spielen; sie drften da
bei natrlich nicht w i s sen, da sie gete stet werden. Die re sul-

8) Cf. u. a. Stephan , Neue Musik, a . a . 0 . , S. 65


74

tierenden V e r sionen lieen s ich dann statistisch untersuchen ,


mit d e m Ziel, herau s zu stellen o b e s erstens G emeinsamkeiten
in der Wahl der G ruppenfolgen und ob es zweitens Tendenzen zu
homo- oder heterogenen Formbildungen gibt .

Drei w eite re Kriterien s chrnken die vllige G leichberechtigung


der Gruppenwahl ebenfalls ein . Man wird - informationspsycho
logis ch - vermuten drfen, da die (durch grere Notendichte)
schwrzeren G ruppen das u mherschweifende Auge strker auf
sich lenken als die G ruppen, die sich vom we ien P apier weni
ger abheben. Die Spielanweisungen befas sen sich nicht mit d e r
Frage , ob d e r e r s t e optische Haltepunkt (die beim Umher
schweifen d e s Auges zuerst gesichtete Gruppe) ge s pielt werden
s oll, oder ob die Entscheidung willkrlich ( ohne bewuten E nt
s chlu) hinausgezgert werden darf. I m ersten Falle wre das
Konzept der statistischen Gle ichberechtigung zunicht e gemacht .
Hat der Pianist nmlich eine G ruppe zu Ende ge spielt, so wird
er mit s e h r h o h e r Wahrscheinlichkeit die ihr benachbarten
zue rst wahrnehmen. Im zweiten Falle rckt die psychologische
Komponente so stark in den V ordergrund , daf angenommen wer
den darf, die Personalstruktur bertrage sich unmittelbar auf
den Charakter der jeweiligen Interpretation. In beiden Fllen
existiert ein - entweder durch die Anordnung der G ruppen oder
aber durch die Person d e s Interpreten gegebenes - " preferential
choice " , welches unter Umst nden noch durch die Tempoanga
ben am Schlu der G ruppen determiniert sein kann ( 9 ) . Dem
Argument , d a das Auge zu ( " s chwarzen " ) G ruppen hheren op
tischen Informationsgehalt e s " hingezogen " werd e , kommt d e
ren - sicherlich v o m Komponisten nicht beabsichtigte - Anord
nung auf dem Notenblatt entgegen. Die G e samtdicht e (Ausdeh
nung und " innere " Dichte) der G ruppen nimmt nmlich zur un
teren Hlfte de s Blatte s hin betrchtlich zu. Da das Notenblatt
5 3 cm hoch ist , ist es fr den Pianisten (hat er es vor sich auf
dem Notenstnder) recht unbequem, die Augen auf die obere
Hlfte zu richten . Daraus ent steht eine erhhte Wahrscheinlich
keit der Selektion im " G esichtskreis " befindliche r G ruppen . Da
diese Gruppen durchschnittlich die lngsten und dicht e sten s ind ,
ergeben sich wahrs c heinlich viele Ver sionen, welche Tropu s
Charakter be s it zen: lange Strecken mit kurzen, heteromorphen
Ein schben. V iele der bisher realisierten V e rs ionen de s Kla-

9) Bei der Angabe des schnellsten Tempos (Tempo 6) kann zum Beiopiel
unterbewut die Hemmung auf die Entscheidung EinflulS nehmen , eine sehr
dichte Gruppe folgen zu lassen. Die Version wrde also zu einem Tempo
und Dichte-Mittelwert tendieren.
75

vierstcks haben tatschlich diesen C harakter . Im V erhltnis


zur freien saccadi schen Bewegu ng des Auge s , zu seinen .,drifts "
( 1 0) und vor allem zum natrlichen Nystagmus ( 1 1 ) stellen die
ein zelnen G ruppen grobe Blcke d ar ( 1 2 ) , we shalb die se phy sio
logisch bedingten Seh- Richtungen keinen fe st stellbaren Einflul3
auf die G ruppenauswahl be sit zen drften.

Haben auch die opt ischen Kriterien mit den formalen und kom
positionstechni schen Problemen nichts zu tun , und beziehen sie
s ich auf die interpretatorische ., Steuerung " und Einfluf5nahme ,
so wird gerade deswegen ihre Bedeutung in Werken zunehmen,
die ., unbe stimmter" sind als das elfte Klavie rstck. In dessen
Zusammenhang sollten sie nur darauf hinweisen, da die der
Formidee zugrundeliegende Konzeption von Wahrscheinlichkeit
sich nicht realisiert.

Wollte man die Anzahl mglicher Versionen des Klavierstcks


berechnen, so ergbe s ich fr den Fall, da jede der 19 Grup
pen zwei mal gespielt werden s oll, e ine 4 5 - stellige , also astro
nomisch hohe Zahl ( 3 8 ! ). Die se Zahl nimmt u m ein V ielfaches
zu, wenn alle anderen Mglichkeiten ( also d ie Realisation von
3 7, 3 6 .
. 3, 2 G ruppen innerhalb der einzelnen Versionen) hinzu
.

genommen werden. Jedoch hat das Kalkl, so faszinierend es


vielleicht sein mag , keinerlei musikalische Funktion.

Kompo sitionste chnisch kann sich das Problem der Vertau sch
barkeit nur als Frage nach der variablen Zuordnung einzelner
G ruppen zueinander und nicht unter dem Blickwinkel e iner ( oh
nehin nur fiktiven) Total- Form stellen. Darum steht im Falle
des elften Klavierstcke s d ie Frage nach der Struktur der G rup
pen- V erbindung im Vordergrund d e s analytischen Intere s se s .
Dadurch v erliert d ie astronomische Zahl d e r V e rsionen fr die
Struktur der G ruppen an Bedeutung und wird durch d ie empirisch
kontrollierbare V erbindungsmglichkeit e i n e r Gruppe mit
den anderen 1 8 G ruppen e rsetzt. Auch fr den Hrer spielt ja
die unmittelbare Ge staltverbindung e ine vorrangige Rolle , denn
es darf au s der V ielzahl mglicher Versionen nicht geschlos sen
werden, da man beim Hren e rst aus der Wahrnehmung der
G e samtform herau s ber den Sinn des Details zu befinden ver
mchte.

l 0) den der saccadischen Bewegung folgenden Gleitbewegungen des Auges


l l ) Tremorbewegung

1 2) Die kleinste G ruppe nimmt eine Flche von etwa 30 cm 2 ein.


76

Stoc khau sen hat bemerkt ( 1 3) , daf3 die 19 G ruppen des Klavie r
stcks au s einem " gemeinsamen Keim " entwickelt seien. Die
Organisation vollzieht s ich nach einfachen se riellen Kriterien .
Von den 19 G ruppen haben ( 1 4 )
vie r (A 1 - 4 ) eine Gesamtdauer von j e 3 Vierteln
drei ( B 1 - 3) 6
drei (C 1 - 3) " 10
vier (D1 - 4) .. 1 5
.
zwei ( E 1 - 2) . 21
und drei (F 1 - 3 ) .. 2 8

Die G ruppenkomplexe sind als o geordnet in:


1 Komplex 2 Gruppen gleicher Dauer,
2 Komplexe 4 G ruppen gleicher Dauer und
3 Komplexe 3 Gruppen gleicher Dauer 1 9 G ruppen. =

Da die Be s chreibung des strukturellen Zusammenhangs a 1 1 e r


G ruppen einen viel zu breiten Raum einnhme, soll s ie - pars
pro toto - an den vier kr zesten G ruppen (A 1 - 4 ) vorgenommen
werden.

Die Dauernreihe , nach welcher die Lnge aller G ruppen be


stimmt wird ( 3 t 6 t 1 0t 1 5 + 2 1 2 8 ) i st eine einfache Addition sreihe :
3 ( + 3 ) = 6 ( + 4 ) = 1 0( + 5) = 1 5 (+ 6) = 2 1 ( + 7 ) = 2 8 . Sie kann auch als Mengen
- -
Re ihe ge deutet werden; und in die se r Eige n schaft be stimmt s ie
zum Beispiel die Ton- Anzahl der in die einzelnen Strukturen
eingefgten Gruppen von Vors chlagsnoten, die nach dem glei
c h e n Kriterium dann wiederum in sich unterteilt werden knnen .
So e nthlt F 3 zum Beispiel 6 V o r s chlagnoten- Blcke ( Noten, die

1 3) Stockhau sen, Schriften II, S. 69

1 4 ) Diese Dauern beziehen sicl:l nur auf die mensurierten Passagen, nicht
aber auf die Blcke von Stichnoten ( " so schnell wie mglich ) , die - e benfalls
nach einem seriellen Schema - in die e inzelnen Gruppen eingefgt sind. Da
mit die G ruppen, die hier A l . . . , B I . . . etc . bezeichnet sind, auf dem Blatt
wiede rgefunden werden knnen, sollen sie der Reihenfolge nach aufgezhlt
werden. Da die Tempo- und Laut strke- Angaben in ihrer Kombination sich
bei keiner G ruppe wiederholen, kann man sie dank folgender Tabelle in der
Partitur leicht auffinden.

Al : T(empo) :l , pp; A2: T l , ad lib. ; A 3 : T ad lib. , ff; A4: T 5 , mf;


ppp; B :l : T 2 , f;
C 2: mf; C 3 :
Bl : T 6 , p; B2. T4 ,
Cl: T5 . PP; Tl , T 3 , ff;
T2, p; D2: T4 , f ; D:l: T l , pp;
T 5 , ff;
Dl : D4 : T 6 , ppp;
E2: T2, ppp;
T4,
El:
Fl : T 3 , mf; F2: p; F 3 : T6, f.
77

" s o schnell wie mglich gespielt werden) mit: 2 8 , 3 , 1 5 , 1 0, 6


"
und 2 1 Anschlgen. In F 2 befinden sich G ruppen mit : 2 1 , 3, 1 0, 6
und 1 5 An schlgen . In D 4 : 1 5 (unterteilt in 5 + 2 + 1 + 3+ 4) , 6 , 1 0 (un
terteilt in 4+ 1 3 2) und 3 Anschlge (15). Dabei i st freilich der
den Zus ammenhang erzwingende se rielle Schematismu s kaum
zu ber sehen.

Die Anzahl der mensurierten Noten betrgt in den vier A-Grup


pen: 6, 8, 1 0 und 1 2 Anschlge. Hinzu- und eingefgte Noten ma
chen 0, 1 , 3 und 6 ( 3 + 3) Anschlge aus . In Beispiel 42 werden die
vier G ruppen hintereinanderge stellt. (Bsp. 4 2 )

(8._,_ . . . . ..... j

(A 1)

(8'''""'"'"''""''"''"""''')
>J:-,
# r;-:4-,

(A 2)

Die Zellen, aus dene n d ie Gruppen entwickelt werden (oder be s


ser: d i e Z e llen, d ie innerhalb ihre r permutiert werden) , sind

1 5) In C 3 besteht die letzte Stichnotengruppe aus 7 statt 6 Noten. Die sie


bente Note - ein dis - i st wohl eingeschoben worden, um die Tonfolge hdfg,
welche sehr ., tonal" anmutet, zu vermeiden.
78

leicht e r sichtlich. Im rhythmischen Bereich ( 1 6) sind es je eine


Triolen- und eine Quintolengruppe , die - durch Achtel- und Sech
zehntel - Gruppen kontrapunktiert - als Ganze vertau s c ht werden
und in sich selber nochmals einer Mutation unterliegen.
(Bsp. 4 3 )
Al A3

{ T3r ; :Jj l.W- , n 1 I+Jm


, J : J rt------, : :r-3 1
t_5 i-fUJ___J
A2
--, r:--5 A4
I
l J3 J J.
I 11 111 1
I l J ,- -----i -..J
1J:4[C i C
'
5
r- :r-;"! 11
L..-:._
I j:. ----J,
5 -' I c__
i C
_ ______

J ___j

t
6 freie Noten

Die Idee besteht in progre s s iver rhythmischer und harmonischer


Verdichtung bei Wahrung e le mentarer G e meinsamkeiten . Wie
in jede G ruppe neue s Material e ingefhrt wird , s o werden an

'I
dererseits die schon existenten Elemente mutie rt . In den G ru p
pen A1 - 4 stellt sich die Wandlung der Triolen- und Quintolen
Gruppe wie folgt dar: (Bsp. 4 4 )

.. . . ,.H.l

: ::[:
A4 i<r"H.)\
6 1. it4 i#-fl


.____.

Die vier Gruppen sind also in zwei G ruppenverbnde unterteilt,


innerhalb welcher die Folge der Triolen- und Quintolen - G ruppe
gleich ist. berdies hneln die beiden Gruppenverbnde durch
ihre rhythmische Dichte einander an:
G ruppe Al hat 7
8 ( + 1)
5 ( + 7)
A2
.. 1
A3
( 1)
A4 .. 1 6 + Anschlge .

1 6) Der rhythmischen Analyse des Klavie rstcks sind durch fehlende Takt
Bezeichnungen Schwierigkeiten bereitet. So mu im ersten mensurierten Teil
von C3 (unteres System) offensichtlich eine Viertel- statt einer halben Note
stehen; die Klammerbe zeichnungen im oberen System von 83 sind ebenfalls
Irrtmer. Statt falsch 5 : 6 und 5 : 6 kann es vielleicht richtig 4 : 6 und 5:4 heis
sen)
19

In ihre r Dichte verhalten sich die beiden G ruppenve rbnde quasi


" symmetrisch " zueinander . Au s dem Doppelproze s s : Zellen
mutation und Element-Addition, e rgibt sich nicht nur die hn
lichkeit rhythmis cher Zellen ( 1 7 ) . Auch andere Kriterien ge
staltlic he r Verwandt schaft la s s e n sich aus ihm ableiten. Ein
te ilweiser Auszug der harmonischen Konstellationen von Al - 4
mag dies verdeutlichen. (Da e s im Rahmen der Untersuchung
nicht inte re s siert , welche serie llen Manipulationen diese Ge
stalt- Verwandts chaften hervorbringen, sondern einzig, w ie die
se sich zueinander verhalten und w ie sie h r b a r sich au s
einand er ableiten, ist ein Kommentar zum folgenden Schema,
der d e s s en Elemente ja doch nur auf die ,. serie " zurckfhren
knnte, nicht notwendig ) . Die Pfeile bezeichnen nicht den Weg
s erieller Ableitungen, sondern lediglich die verwandtschaftli
che n Be ziehungen zwischen be stehenden Elementen. (Bsp. 4 5 )

a) b)
" r----- 5--., < r-- 5 ----, >

TYsp !! Transp.

:
+o
" 3-, r--- 5 t \
tl ll . 1 {' \
r. !!... - "!;:- I
Kl . 2

..,
r. !1:,10 7ft:.1
(.. I r-37:_ ,-
I
+
(KJ dim.
(9)

\
..,
" #3-, R .. augm.
I!!... I 'l !n \ J
.r IL-5---' I
:

I freie Noten

1 7 ) (Die 6 .freien Noten von A4 sind in der Zhlung nicht enthalten) . Aus
der Art der Zellenmutation ist ersichtlich, da die Mobilittskriterien der
Groform schon in der Zusammensetzung der einzelnen Zellen wirken: Ein
heit der Methode ohne wrtliche Analogie .
80

be r ihre rhythmische und harmonische V e rwandtschaft hinaus


weisen die vier G ruppen auch tmlichkeit in den melodischen
Richtungen und Lagenwechseln auf: (Bsp. 4 6 )

s-f
Al
.
f
A2
1 f -s s ' steigend
f ' fallend
A3

f - s (-f)
f- s
1 ' liegenJ

A4 V ) )\ :1 -s
-- t

Mit zunehmender Anschlagsdichte und steigender polyphoner


Komplexitt werden die L i n i e n , die sich immer strker un
terteile n , so miteinander verschlungen , bis (in A4) der Ein
d ru c k eines Lagen - F e 1 d e s entsteht.

Nicht alle G ruppen sind auf die gleiche Weise miteinander in


Be z iehung gebracht wie die A - G ruppen. Mit zunehmender G rup
pendauer und Anschlagsdichte verschrnken s ich die Charak
tere . Denn die einzelnen G ruppen sind ja nicht nur auf G ruppen
gleicher Dauer (also B- nur auf B-Gruppen) bezogen, sondern
eine j ede soll an eine jede gefgt werden knnen. Um dies zu
ermglichen und dennoch das serielle Verfahren nicht bis in die
Bereiche unentwirrbarer Komplexitt treiben zu ms sen, wer
den Methoden angewandt , die e ine grtmgliche E i n h e i t d e s
Materials inne rhalb d e r einzelnen Gruppen garantieren sollen.
Zum Bei spiel wird das Prinzip der Zellenmutation zu einem
Prinzip der Zellen- Verknpfung i n n e r h a 1 b einer G ruppe
erweitert ( 1 8) In einem Abs chnitt der G ruppe F 3 stellt der Zel
len- Verband d e s oberen Systems sich wie folgt dar: (Bsp. 4 7 )

r-- r---

r.H. I I I I I 1 1 1 I I
5--, .----5---, .-----5---, 5----,
l I I I I I I ---'
.----5 ---,

6 L------' 1 LJ 4 1------l
1 l I I 1 L---
3 L--J 7

(1.H.'f'--5---' '----5---'
I I I I 1 ---- 1 I I I I J I I" u L:......J )
'--5 ----' '---5- ----' '--5 ----' '---5- --l

( Einheiten zu 1 , 2 , 3 , 4 , 5 , 6 , 7 Anschlgen in
d e r oberen Schicht)

B 1 o c k wirkt. Cf. : E2, Anfang; F2, 1 . Abschnitt nach Stichnoten; F3, jeweils
1 8) Als Resultat entsteht ein Ve rband einheitlicher Zellen, der wie ein

Abschnitte nach Stichnoten.


81

Indem d a s Verfahre n , welches i n den kleineren G ruppen Zusam


menhang stiftet e , nun auf die A r t i k u l a t i o n ganzer G ruppen
Abschnitte angewandt wird , bewirkt e s das G e genteil von Ver
mittlung. Die ehemals s y n t a k t i s c h e Funktion schlgt um in
eine a d d i t i v e . Die E n t f a 1 t u n g innerhalb der Gruppenbe
ziehungen wird zunichte gemacht und zugunsten einer blockar
tigen Exposition der e inzelnen Zellen- Ketten ersetzt. Auf diese
Weise werden grere Zeitabschnitte mit Material - bloen Per
mutationsre sultaten - gefllt und wirken statisch ( 1 9 ) . Indem aber
musikali sches Material in den lngeren Gruppen zu Komplexen ,
zu Blcke n , sich verhrtet , sperrt es s ich gegen das formale
Prinzip der Integration . Die Wahrnehmung ist auf disparate
Blcke , Materialquader, verwie sen und der statische Eindruck
wird durch die monoton langen Pau sen zwischen den einzelnen
Gruppen noch verstrkt. Dem in die Struktur der lngeren Grup
pen eingefhrten Additionsprinzip entspricht auch das Verfahren
der Verteilung von Vorschlagsnoten ( " so schnell wie mglich " ) .
Werden diese i n d e n kurzen G ruppen geringerer Dichte als Ein
zelele mente - als Vor- und Nachschlagnoten etc . - dem Kontext
noch inte griert , so s a mmeln sie sich in den dichteren G ruppen
zu getrennten Blcke n , die dem strukturellen Gefge lediglich
eingeschoben werden und e s unterbrechen ( 2 0) . Wenn auch die se
Blcke in ihrer Struktur teilweise (wie in F 3 ) dem Charakter der
mensurierten Teile s ich annher n , so bleiben sie doch fr sich,
zumal die variablen Tempobe stimmungen fr sie nicht gelten.
Wie in den rhythmische n Zellen das Mutationsprinzip nach und
nach zu einem einfachen Additionsprin zip sich umformt , so wird -
durch das Einschieben von mengenmig seriell determinierten
Stichnotenblcken - das Permutationsprinzip der musikalischen
Struktur noch einmal aufgepfropft. Innerhalb der groen G ruppen
findet keine V ermittlung mehr statt: in ihnen ist blo Material
e x p o n i e r t . Bedingt durch die Idee der strukturellen Mobili
tt dringt d as Permutation sprinzip - welches ur sprnglich die
G ruppenverwandt schaft bewirken sollte - nun an die Oberflche
der mu sikali schen Struktur . Das Kompositionsprinzip ist damit
reduziert auf e in organisatori s che s .

1 9 ) Zum statische n C harakter trgt auch das harmonische Ve rfahren bei,


in welchem stabile Akkorde arpeggio-artig zerlegt werden (wesentlich un
differenzierter als in Boulez' Sonate allerdings ) . Cf. : F 3 , 1 . Abschnitt nach
Stichnoten.

20) Cf. u. a. die G ruppen F2, F 3 , C 3 , 04 und E2


82

Die Kriterie n , welche die G e stalt der jeweils folgenden G ruppen


determinieren (die am Schlu jeder G ruppe befindlichen Anga
ben fr T e mpo , Lautstrke und Anschlagsart) tragen ihrerseit s
zu einer U mw andlung des vorwiegend statischen Strukturcha
rakters i n einen statistischen Form - C harakter bei. D i e sechs
Dynamikangaben wurden jeweils dreimal verwendet (also drei
mal ppp . . . 3 mal ff; die 1 9 . Angabe ist: ad libitum) . Da sie s ich
immer auf die ges amte folgende Gruppe be ziehen ( 2 1 ) , die dann
auch in diesen Parametern als B 1 o c k konzipiert wird, besteht
eine hohe Wahrscheinlichke it statistisch gle icher Verte ilung d e r
Laut strke grad e . hnlich verhlt e s s ich mit den Tempoanga
ben ( 2 2 ) . Doch ve rmag das G e setz der groen Zahl, welche s
statistische n Anordnungen Funktion verleihen knnte, in e i n e r
Version d e s Klavierstcke s nicht zu wirken. Darum klingt die
Mu sik statistisch. Was als methodische r Wide rspruch i n and e
r e n Werken noch deutlicher sich offenbaren wird , ist i n d e r An
lage des 1 1 . Klavierstc ke s schon vorhanden: statistische Kri
terien, welche nur in Be zug auf groe - und auch inne rhalb einer
Form erklingende - Materialmengen sinnvoll sind , w erden auf
uerst be schrnkte Mengen bertragen, wo sie - anstatt um
fassende gestaltliehe Konturen zu erzeugen - lediglich metho
dische s Programm bleiben.

Stockhau sens Klavierstck i st vorgeworfen worden ( 2 3 ) , da mit


ihm die Form radikal abge schafft worden s e i . Stockhausen sel
ber hat bemerkt , da sein Klavierstck " den G e d anken des Zeit
feldes in die G roform " (24) bertrage . In Bezug auf die Summe
aller mglichen Versionen wre das zu verstehen, doch i st da
mit ber den mu s ikalischen Sinn einer Version nicht s gesagt,

2 1 ) Innerhalb der Gruppen gibt es bezeichnenderweise (aufler verschiede


nen Anschlagsarten , die punktuell drei verschiedene Lautstrken bezeichnen
knnen) keinerlei Zeichen fr dynamische Vernderungen.

22) Tempo 1 erscheint 2mal ( Langsamstes Tempo)



2 4mal
3 3mal
4 3mal
5 3mal
6 3mal (Schnellstes Tempo)
Die neunzehnte Tempoangabe ist w ieder: ad libitum.

23) Cf. Stephan, Neue Musik, a . a. 0. , S. 66

24) Stockhausen, Schriften II, S. 69


83

da in ihr die wohlgemeinte Theorie j a nicht mitgehrt wird . Dem


Argument der radikalen Formabschaffung liee sich entgegnen,
da ange sichts der Widersprche in der Konzeption Form gar
nicht erst zustande kommt, weil die Methoden nicht in ein Ver
hltnis zum Material gebracht wurden.

Was zum kompositorischen V e rfahren der Struktur- Erzeugung


s chon kritisch angemerkt wurde - da e s nmlich sukzes siv von
Prinzipien syntaktischer Organi s ation zu bloer Materialexpo
sition abweiche - das lt s ich auch zur Formkonze ption be
merke n . Anstatt den G edanken des Zeitfeld e s ( 25) mu sikali sch
zu realisieren, belt sie es bei e inem - vllig unbestimmten -
P ermutationsprogramm fr d ie gegebenen G ruppen, - also bei
einem M a t e r i a 1 f e 1 d , d e s sen Konstellationen nicht ber
schaubar sind. Dadurch wird in jeder Ve rsion nur ein P ermu
tationsre sultat (eine 1 i n e a r e Folge also, k e i n Feld) zu Ge
hr gebracht.

Dieses P ermutationsprogramm hebt auch all die Sorgfalt auf,


welche in der Bezugs setzung einzelner Gruppen zueinander wal
ten mag. Denn die zeitlichen Abstnde solcher G ruppen knnen
berau s gro sein, s o da die Erinnerung sie nicht mehr auf
einander be zieht. Da berdies die e inzelnen Gruppen nicht un
bedingt realisiert werden m ssen, w ird d as P rinzip der Ver
wandt schafts bildung selber fragwrdig. Was nicht gespielt wird,
wird auch nicht zu Erklingend e m in Bezug ge setzt werden. Man
mte denn s chon so viel direkte Wiede rholungen komponieren,
da immer noch genug Material erhalten bleibt. Die s aber liee
sich mit der seriellen Methode kaum noch vereinen.

Die G roform bleibt im Klavierstck XI auf der Zwischenstufe


statistisch ausgebreiteter Pe rmutationsfelder stehen , welche
oben als Station auf dem Weg zwis chen Modell und Form im in
duktiven und deduktiven Kompositionsprozess be schrieben wur
de . Eine Ge stalt der G e s amtform existiert nicht , wohl aber exi
stieren Ge stalten, die aus der Idee dieser fiktiven G e samtform

25) Bei der Anwendung des Begriffes Zeitfeld ist ohnehin grte Vor
s icht geboten. Real gibt es Materialfelder oder Felder mglichen Materials.
Letztere als Zeitfelder zu bezeichnen, ist in Bezug auf die musikalische Zeit
komposition nicht sinnvoll, da ein Zeit- Feld nur auf dem Papier als Feld er
scheint, nicht in der Zeit. Wenn die Musik in der Zeit erklingt, kann sie keine
Zeit sein. Nur Mnchhausen hat sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf zu
ziehen vermocht.
84

abgeleitet wurden . Da die Wechselwirkung zwischen Detail und


bergeordnetem Zusammenhang sich nicht verwirklicht (26) ,
t reten untergeordnete methodische Kriterien an die Stelle syn
takti sche r . Wie die Elemente e iner Reihe im Permutationspro
gramm, so werden im Formplan de s 1 1 . Klavier stcks die mu
sikali schen G e stalten zum bloen Material. Der .. schillernde
Tanz der Vertaus chbarkeit " ( 2 7 ) i st ange sicht s der musikali
s chen Re sultate so schillernd denn doch nicht mehr.

In vielen seiner Aspekte reprsentiert das 1 1 . Klavierstck Stock


hausens den etwa um 1 955 ausgebildeten Stand des seriellen
Komponierens, au s dem e s die Kon sequenzen zieht. Dem Vor
wurf, das Stck habe des Formverlu st e s sich schuldig gemacht ,
lt sich mit der Frage begegnen, ob denn die .. fe stgelegten "
seriellen Formen dem Stockhau sensehen Klavie rstck an for
maler Verbindlichkeit s oviel vorau shtten. Die Schwchen der
Komposition Stockhausens liegen vorab in der Art des Einbezu
g e s statistischer Prinzipien. Dies spricht nicht gegen die Prin
zipien selbe r . Entsteht bei Stockhau sen der Wide rspruch au s
der nur theoretisch bedachten Komplikation von groer Zahl
( Permutationsfeld) und kleiner Anzahl existenter G e stalten, so
ist seine Lsung dann abzusehen, wenn beide Extreme in den
musikali schen G e stalten selber zur Vereinigung gelangen.

Angesicht s de s seriellen P rinzip s , de ssen Tendenzen zur for


malen Dissoziation schon be s chrieben wurden, hat Stockhausen s
Klavie r stck allen anderen re staurativen Versuchen gegenber
den Vorzug, die dringliche Frage nach der authenti schen seriel
len Form kompositorisch ge stellt zu haben. Und da diese Form
nicht mehr der Illusion von Verbindlichkeit sich unterwerfen
knne , i st im Klavier stck XI zur Sprache gekommen.
Pierre Boule z' 3. Klaviersonate , die teils vor, teils gleichzei
tig mit Stockhausens Klavie rstck entstand, macht - ganz im
G e gensat z zu diesem - von Indetermination skriterien zur Arti
kulation der G roform Gebrauch. Die G rnde fr den Einbezug
aleatorischer Verfahren sind bei Stockhausen und Boulez recht
verschieden. Whrend Stockhausen gem s e iner im dritten Heft
( 2 8 ) der .. Reihe - entwickelten Zeittheorie den Feldbegriff auf

26) Es existiert ja auch keinerlei Kontrollmglichkeit, die musikalisch


belanglose Versionen des Werkes verhinderte.
27) Samuel Beckett, Murphy, deutsche bersetzung, Harnburg 1 9 5 9 , S. 5 8

2 8 ) Stockhau sen , . . . w ie die Zeit vergeht . . . , Schriften I, S. 9 9 ff; Erst


verff. in: Die Reihe, Heft 3, Wien 1 9 5 7 , S. l 3 ff
85

die Groform anwenden mchte - obwohl er dort keine Funktion


be sitzt - , hat Boulez se ine Anregung vor allem au s der Lektre
von Werken Joycens und Mallarms gewonnen . Mallarm hat in
s einem letzte n, nur in Skizzenfragmenten berlieferten Werk
"
" Le Livre den Versuch unternommen, die Summe der Mg
lichkeiten d e s Prinzips Buch " dadurch in e i n e m Buch zu
"
vereinen, da er dessen geschlos sene , d e f i n i t i v e Konzep
tion im Hinblick auf ein Universum mannigfaltigster v ariabler
Konstellationen der Details durchbrach ( 2 9 ) : tout le monde doit
aboutir un livr e .
Stockhau sen hingegen hat s i c h streng gegen Einflsse Mallarms
verwahrt und tut dem Autor betrchtliches Unrecht , wenn er
schreibt ( 3 0 ) : " . . . Darber hinaus sche int mir Mallarms indi
vidualistischer Pers nlichkeit s- Mythos mit meiner gegenwr
tigen Arbeit wenig verw andt zu sein. " Dokumentiert sich in all
dem recht deutlich der gei stige Ur sprung des Boulez schen Wer
kes als von dem Stockhau sens verschieden, so hat Stephan denn
noch auf die Anmerkung nicht verzichtet ( 3 1 ): " Dieser neue Ver
such " - gemeint ist das Klavierstck XI - " dem Interpreten
e inen greren Anteil an der endgltigen Gestaltung des Kunst
werks zu geben, den in selt samer Verblendung Boule z in sei
ner dritten Klavier sonate noch berbot , ist tatschlich ein Ver
zweiflungsakt , das Einge stndnis der Unmglichkeit, noch ver
bindliche Formen zu s chaffen . " Die dritte Klaviersonate er
weist sich jedoch als das Gegenteil die ser Behauptungen und hat
recht wenig vom Ver zweiflungsakt an sich.

Der Komponist hat den Formbau seine r Sonate im dritten Band


der " Darmstdter Beitrge " ( 3 2) eingehend be schrieben . Schon
in der Organi sation der G roform - der Anordnung der 5 Stze,
die bei Boule z Formanten " heien - tritt ein striktes Kontroll
"
system in Kraft, w elche s die Mglichkeiten der Mobilitt be
schrnkt. Um einen Ze ntralformanten ,. Constellation " s charen
sich zwei Formantenpaare: ,. Antiphonie + Trope " und ,. Strophe

29) Cf. Jacques Scherer, Le , Livre' de Mallarm, Premi!!res recherches


sur des documents indits, Paris 1 95 7; Rudolf Zeller, Mallarm und das
serielle Denken, in. Die Reihe, Heft 6 , Wien 1 9 6 0 , S. 5 ff

30) Stockhau sen. Schriften I, S . 1 87

3 1 ) Stephan , Neue Musik, a. a. 0. , S. 6 6

32) Pierre Boulez, Sonate " Que m e veux tu , in: Mdiations 7 , Prin
temps 1 9 64, S. 61 ff (Paris); deutsch in: Darmstdter Beitrge III, Mainz 1 9 60,
s . 27 ff
86

Squence " , die wiederum paarweise vertauschbar sind. Auch


-+-

knnen sie untereinander die Stellung wechseln, wobei jedoch


die paarweise Zuordnung aufrecht erhalten bleibt. Als mgliche
Anordnungen der Groform ergeben sich:
A + T - c - St + s
A + T - c -
s + St
T + A - c - St + s
T t A - c -
s + St
und : St + s - c - A + T etc. ,

also 8 verschiedene Versionen, in welchen durchweg das Prin


zip der Symmetrie gewahrt bleibt.

Die Idee, durch Zuordnungen das Prinzip der Mobilitt komposi


torisch zu kontrollieren, entfaltet sich auf verschiedenste Weise
in der Struktur eines jeden der fnf Formanten. Boule z hat in
seiner Be schreibung diese 5 Formierungs- Typen dargelegt, so
da hier eine Zusammenfassung gengt. Wesentlich ist, da die
Mobilitt s- Prinzipien eng miteinander zusammenhngen, so da
sie sich auseinander entfalten . Im Formant ., Antiphonie " han
delt es sich um eine Wahl zwischen zwei Strukturtypen, deren
erster (A) aus jeweils zwei und deren zweiter (B) aus jeweils
drei Gruppen besteht . Die Wahl be zieht sich auf die Reihenfolge
und die Form der Gruppen zugleich, die jeweils in einem ., Ori
ginale " und - auf der Rckseite des Papiers - in einer variier
ten Version (A' und B ' ) existieren. Die fnf G ru.gpen sind in je
weils zwei Verbnde zusammengeiat (AB und A. Leserichtung
immer von oben nach unten) und die variierten Versionen befin
den sich auf der Rckseite der Bltter in gleicher Anordnung,
so da die Vernderung der Reihenfolge auch stets die Gestalt
vernderung nach sich zieht. Boulez hat die vier mglichen Ver-
sionE'n in Tabellen zu sammengefat:

A'-,
B/ B0' A'
B ,...... B
/B ....- B B''- B''
A
B ,B B0 ' B0 '

Von der einfachen Alternativ- Struktur der " Antiphonie " , wel
che die D e t a i 1 s der Einzelstrukturen noch unangetastet lt,
wird fortgeschritten zu komplexeren Konstellationen, welche je
weils die schon definierten in sich aufnehmen und erweitern. In
., Trope " zum Beispiel ist das antiphone Schema zu einem zyk
lischen erweitert. Die vier Teile de s F ormanten, exte, !'aren-
87

thse, Glose , Commentaire, knnen in folgender Re ibenfolge ge


s pielt werden (wobei " Commentaire" an zwei Stellen wahlweise
erscheinen kann) :

T - p - c - G
T - p G - c

p - c - G T
p G - c - T
c - G T - p

G - c - T - p
D T - p - c

G - T - p G.

Auch hier existieren acht verschiedene Versionen der Struktur


anordnung - diesmal i n n e r h a 1 b eines Formanten. Die Na
men der einzelnen Strukturen drcken deren gegenseitiges mu
sikalisches Verhltnis aus. Wiederum sind zwei G ruppen ver
wandter Strukturen verbunden. Glose verhlt sich zu Texte wie
des sen freie Interpretation. Parenthse und Commentaire, die
sich ihrem musikalischen Material nach ebenfalls auf Texte be
ziehen , haben als gemeinsames Prinzip das der strukturellen
Interjektion , welches sie wiederum ihrer Form nach unterein
ander verbindet. Hierbei verhlt Commentaire sich zu Paren
thse wie Glose zu Texte . Aus der vier - poligen Beziehung einer
jeden Struktur resultiert eine Hierarchie der Verwandtschaften:

In dieser Genealogie ist Commentaire der umfassendste und


strukturell vieldeutigste Teil. Daher die Mglichkeit, ihn in der
Reihenfolge zu vertauschen. Dank der verschiedenen Mglich
keiten der Strukturanordnung werden die Beziehungen der ein
zelnen Strukturen jedes Mal - in jeder Version - in neuer Ge
stalt hrbar.

Parenthse nimmt das Prinzip der Alternativ - Struktur in ande


rer Form wieder auf. Whrend es sich im Formanten ,. Anti
phonie " auf die K o m b i n a t i o n der Strukturen bezog und so
mit nur m i t t e 1 b a r die Entscheidung ber das Erklingen oder
BB

den Wegfall einzelner Strukturen bewirkte ( 3 3 ) , liegt in Paren


thse - wie auch in Commentaire - der Typus einer Ja- Nein
Entscheidung vor. Die Struktur ist " doppelgesichtig . Ihre Be
stimmung , innerhalb des Formanten Parenthese zu sein, be
stimmt auch ihr eigenes Gefge . Dies besteht aus einem obli
gaten, durchgehenden Notentext, in welchen fnf Parenthesen
eingeschoben sind, die beliebig gespielt oder ausgelassen wer
den knnen: - ( P ) - ( P) - (P) - (P) - (P) - . Doch ist die dem Interpreten
zugestandene Ents cheidungsfreiheit durch eine umso strengere
Konzeption der Form kompensiert. Die sechs obligaten Teile
der " Parenthse " beziehen sich schlssig aufeinander. Sie bil
den eine krebsartige Form, in welcher jedoch keine wrtliche
Umkehrung e xistiert , sondern deren zweiter Teil in der Um
kehrung den ersten entwickelt. In der formalen Retrograde ist
die Dialektik von Rigorositt und Entscheidungsfreiheit schon
ausgetragen. Im Tonhhenparameter wird die Krebsbildung mit
der Umkehrung der Intervalle verbunden ( 3 4 ) : (Bsp. 4 8)

Anfang

I
! i I j2 1
J,. _ : ! I i ! 11 2 !

, \'1
Ende Leserichtung

Im rhythmischen Parameter sind die Analogien an den Struktur


" Rndern " (also gegen Anfang und Ende) przise; zur Mitte hin
lsen sie sich in freie Entsprechungen auf. Die Form bleibt,
trotz aller Strenge, flexibel.

Die eingeschobenen fnf Parenthesen sind nach dem gleichen


Prinzip organisiert. Doch wird auch in ihnen keine platte Spie
gel- Analogie angestrebt. In der zweiten Hlfte ( von der Mitte
der 3 . Parenthese an) befinden sich Augmentationen und Kon
traktionen der rhythmischen Zellen. Der Tonhhenparameter

33) Mittelbar insofern, als das jeweilige Original- Fragment in anderen


Konstellationen nur durch seine Variante e r s e t z t werden kann.

:34) Cf. Pierre Boulez, Musikdenken heute, Darmstdter Beitrge V, Mainz


1 9 6 3 , s. 64
89

folgt d iesem Prinzip. Deutlich wird dies an den beiden Stichno


tengruppen, welche sich um die Symmetrieachse der gesamten
Struktur ordnen ( 3 5 ) : (Bsp. 4 9 )
s-;::
g----
' :
(\ - IL

tJ
V
/ I .,..,
:

it -
11 fl>l
Das Ton - Reservoir erscheint zweimal; beim zweiten Male je
doch werden die sukzes siven Intervalle zu simultanen geschich
tet . Gleichzeitig wird die Tonfolge (und in einem Falle - cis -
auch die Lage) gendert. Auch die Anschlagsart wird verndert;
aus legato wird martellato.

Das Material der Parenthe sen ist jeweils aus den Konstellatio
nen der obligaten Teile hergeleitet und mndet in die se. So wird
der Be ziehungsreichtum des gesamten Formanten auch in sei
nen Mikrostrukturen realisiert. Beide retrograden Formen nm
lich - die des obligaten Textes und die der Parenthe sen - ver
e inigen sich zu einer bergeordneten Form. Und da die Aufl
sung der strikten Analogie schon in der Struktur beider Teil
Formen enthalten ist und berdie s die Doppeldeutigkeit der Be
ziehungen jeder Struktur schon innewohnt, stiftet die Entschei
dung ber Ausfhrung oder Wegfall einzelner Parenthesen in je
der ihrer Lsungen musikalischen Sinn. (Bsp. 5 0)
) Symrn.Fo ( :
:\ f
L--P-! -Z: -:.:_:2: ::S:.:. ::.S:::_ . J f !:.;il)
__

.... .... _ _ _ ..,.. ,. ..... .... .... ..... ..... _

L -- -_-: l
.... __ __ -"" ..... .... _ _ _ _ _ _ ...

;:. beziehungen
Struktur
. . . . ...

'--
- ----"-
- ..._
- L-____..._
)' Symrn. Form

- - verbindet also die fe sten Angelpunkte des Systems. Falls P


ausgelassen wird, schafft - - ...> die unmittelbare Beziehung be
nachbarter Strukturen; wird P gespielt , so tritt die durch - . - ..-.
bezeichnete Be ziehung in Kraft . Werden mehrere einander fol
gende P gespielt, so stehen auch sie in Beziehung miteinander.

35) Es sind dies brigens die beiden einzigen Stichnoten-G ruppen der gan
zen Struktur, die gewissermaen den Mittelpunkt musiksprachlich artikulieren.
90

Die uerst f l e x i b l e Form entfaltet ihre Mglichkeiten zwi


schen dem Extrem der Alternativform (Antiphonie) und dem ei-
ner Text-Glossen- Form (Glose) : beide sind auch in ihrem Na
men " Trope " vereint .

Whrend in den beiden beschriebenen Formanten ( 3 6 ) der


V e r l au f der Form entweder ber groe Strecken festgelegt
war, oder aber gem strikt begrenzten Kriterien der V ariabi
litt weitgehend determiniert wurde , wird er in dem Forman
ten (,. Constellation ), dessen P o s i t i o n innerhalb der Gro
form gnzlich (als Zentrum) fixiert ist, in hohem Grade varia
bel. Doch sind auch die Mglichkeiten der Vertauschbarkeit hier
kompositorisch beschrnkt worden, so da eine Kontrolle des
Formverlaufes stets mglich ist . Der Formant, welcher - als
Achse des mobilen Werkes - in zwei Richtungen gelesen werden
kann ( 3 7) , verdeutlicht am klarsten die Boulez ' sehe Konzeption
des formalen Labyrinths ( 3 8) . Dennoch verliert die Form sich
nicht in dessen Gngen. Die Organisations- Kriterien des struk
turellen Verteilungsplans stehen in enger Beziehung zu denen
der Formanten ..,Antiphonie " und " Trope . Das P rinzip der Al
ternative, welches in " Antiphonie " die Substitution einer Origi
nal- Struktur durch ihre Variante ermglichte, um so gewisser
maen die " Frbung " des Formverlaufes zu ndern, wird nun
zu einem Prinzip der - wiederum fixen - Placierung verschieden
gestalteter komplexer Teil- Formanten, die ihrerseits aus mo
bilen Strukturzellen sich zusammensetzen. Drei dieser Teil
formanten haben punktuellen Charakter (Points 1 , 2 und 3) und
zwei haben einen block- hnlichen Charakter ( Blocs f und 2). Ein
sechster Teilformant (,. Mlange ), welcher seinerseits aus 6
Gruppen besteht, macht das Wechselspiel zwischen .points und
" Blocs" zu seinem eigenen Charakter: Mlange ist selber mehr
deutig. Die Phasen des groen Formverlaufes folgen einander:
entweder: P(oints) l - B(locs) l - P2 - B2 - P 3 - Ml. ;
oder: Mlange - P3 - B2 - P2 - Bl - P l (bei rcklufiger
Lektre ( 3 9 ) .
3 6 ) Die Formanten Strophe und Squence liegen i m Druck noch nicht
vor , weshalb man sich mit den sporadischen Anmerkungen vorerst wird be
gngen mssen, die Boulez in den Darmstdter Beitrgen (cf. Anm. 3 2) zu
ihnen machte.

37) Cf. Boulez, Zu meiner III. Sonate, Darmstdter Beitrge III, s. 36

38) C f. Boule z , Zu meiner III. Sonate, a . a. 0 . , S. 29

39) Die P artitur dieser Version ist vom Komponisten eigens ausgeschrie
ben und Constellation- Miroir bezeichnet.
91

Auch hier also ist die Morphologie der Groform fe stgelegt . Die
einzelnen Teilformanten setzen sich aus Strukturzellen, Grup
pen verschiedener Menge doch gleichen Charakters zusammen:
entweder sind sie punktuell (points) oder komplexe Klang- Blcke
(blocs) . Im Unterschied zu Stockhausens Klavierstck mssen all
diese G ruppen gespielt werden (die Phasen- Proportionen blei
ben also konstant) und der bergang von einer zur nchsten darf
nicht (oder nur in wenigen Ausnahmefllen) durch lange Pausen
zerstrt werden. Es ist also Kontinu1tt angestrebt. Indes dr
fen die G ruppen der einzelnen Teilformanten - beschrnkt -
miteinander vertauscht werden: die Wege von Gruppe zu G ruppe
sind dabei vorgezeichnet. Hinter den einzelnen Gruppen befinden
sich Pfeile verschiedenster Form, die auf gleichartige Pfeile zu
Beginn anderer Gruppen verweisen. Die Variabilitt des Form
verlaufes - der Freiheitsgrad des Interpreten - i st hierdurch
vorgezeichnet. Gruppen, denen nur ein Pfeil voransteht, bezie
hen sich demnach e i n d e u t i g auf Gruppen, denen nur ein
Pfeil folgt; mit steigender Anzahl der Pfeile werden die Zuord
nungen vieldeutiger .
Es ist unmglich, d e n umfangreichen und komplexen Formanten
" Constellation" hier auch nur auszugsweise in seinen groen
Zusammenhngen zu analysieren. Ein einziges Modell soll darum
das Prinzip gelenkter Variabilitt und seine Konsequenzen fr
die strukturelle Morphologie veranschaulichen. Der ., Mlange"
bezeichnete Teilformant, welcher der Analyse dient, hat den
Vorzug, beide Strukturtypen - point s und blocs - zu enthalten.
Die Gruppen sind wie folgt auf dem Papier verteilt (b= blocs; p
points): (Bsp. 5 1) (1)

[I}! ( 3) "1.1
< z> 1(!] <>
0 [}]+(5)
f
Es sind also folgende Verbindungen vorgezeichnet, die zwei ver
schiedene Versionen ermglichen: (Bsp. 5 2 )
92

Mgliche Gruppenfolgen sind : 1 - 2 - 3- 4 - 5 - 6 und 1 - 4 - 5 - 2 - 3 - 6 . Da


die Strukturen 1 , 4 und 5 .. bloc s " und die Strukturen 2, 3 und 6
.. points " sind , ergeben sich folgende Gestalt-Verbnde: bppbbp
und bbbppp. Im ersten Falle existiert ein doppelter Wechsel,
whrend der zweite Fall eine einfache A - B- Form prsentiert:
Antiphonie s . Beide Form- Konstellationen sind aus den anderen
Formanten schon bekannt. Da die alterierenden Gruppen aber
selber schon zweideutig komponiert sind , erzeugt jede der bei
den formalen Konstellationen musikalische Beziehungen. Punkte
schichten sich zu Blcken und Blcke erscheinen als komplexe
Punkte. Die erste und die letzte Gruppe (bl und p6) , deren Pla
cierung in beiden Konstellationen festgelegt ist, zeigen diese
Ambivalenz in einfachster Form: (Bsp. 5 3)

Sie bestehen aus je einem Anschlag - einem Punkt also, der in


bl aus zwei verschiedenen Frequenzen (bloc) sich zusammen
setzt, whrend er in p6 Einzelfrequenz - Punkt - bleibt. Die
beiden anderen Punkt-Gruppen sind ebenfalls ambivalenter Na
tur . p2 schichtet einzelne Punkte zu Akkord- Blcken (Bsp. 54) ,

und p3 ordnet sie zu Punkt-Gruppen (Blcken sukze ssiver Ele


mente ) : (Bsp. 55)

Der statische Charakter die ser Punkt- Blcke wird durch die
repetierten Tne erzeugt.
93

Umgekehrt tendieren die Block - Gruppen zur punktuellen Ge


stalt. Je zweiteilig, enthalten sie die in den beiden Punkt - Grup
pen getrennt e xponierten Charakteristika. In b4 folgen sie wie
in p2+ p3: (Bsp. 56)

(Man beachte die Funktion


der Tonwiederholungen im
zweiten Teil)

und in b5 ist ihre Folge umgekehrt, wodurch b4 und b5 zu einer


Einheit sich verbinden (was seinen Ausdruck darin findet, da sie
in den beiden Konstellationen zwar an anderer Stelle , doch un
mittelbar miteinander verbunden erscheinen) . Vor allem knpft
b5 durch die bernahme des Akkord- Punkt- Charakters eng an
b4 an. Da die Akkorde arpeggiert werden, stellt berdies eine
Beziehung zu den Vorschlagsnoten von p3 sich her, wobei die
hnlichkeit des Ton- Re servoirs die Verwandtschaft noch ver
deutlicht . Wie in p3 (cf. Bsp. 5 5 ) , so tragen auch in b5 Ton- (und
Akkord- ) Wiederholungen zur Erzeugung des statischen, block
artigen Charakters bei: (Bsp. 5 7 )

Die Charaktere der sechs G ruppen fgen sich zu folgender Ord


nung zusammen (der groe Buchstabe gibt jeweils den berge
ordneten, der kleine den untergeordneten Charakter an) :

1 Bp
2 Pb
3 Pb
4 Bbp
5 Bpb
6 P
94

Jede der beiden Konstellationen erhlt hierdurch eine spezi


fische gestaltliehe T e n d e n z . In der ersten Konstellation be
steht sie in der Verdichtung des Materials (Tendenz von Punkten
zu Blcken) :
Bp Pb Pb Bbp Bpb P,
I r II I I

und in der zweiten Konstellation wird strukturelle Auflsung an


gestrebt:
Bp Bbp Bpb Pb Pb P

Die variablen Form-Verlufe erfllen, wie hierdurch deutlich


wird, eine formale F u n k t i o n , und damit erzeugen sie musi
kalischen Sinn. Sie sind nicht einfach Fahrplne innerhalb eines
unbestimmten Materials, sondern sie sind Ausdruck einer fle
xiblen Form. " Diese Form, fix und beweglich zugleich, steht
eben dieser Doppeldeutigkeit wegen im Zentrum des Werks,
dem sie als Drehpfeiler und Gravitationszentrum dient (40), so
hat Boulez selber das Kompositionsprinzip beschrieben.
Die Betrachtung einiger Teilaspekte der 3. Klaviersonate zeigt
die Unterschiede zum Klavierstck XI Stockhausens. Der Idee
des Zeit- F e 1 d e s , welche bei Stockhausen (als undifferenzierte
Summe aller gegebenen Permutationen) formale Kontinuitt und
somit formale Syntax verhindert hatte, steht bei Boulez die Idee
des W e g e s gegenber. Boulez hat sich selber von der Stock
hausenseben Auffassung ( 4 1 ) distanziert, der es um eine bloe
Vernderung und Vergleichbarkeit verschiedener Versionen zu
tun ist , als ob dies schon fr musikalischen Sinn brge. Er hat
die Notwendigkeit eine s Prinzips flexibler Form in der Entwick
lung des Musikdenkens selber zu begrnden versucht: " In der
Tat richtet sich die musikalische Technik mehr stets auf die
Suche nach einem relativen Universum, auf eine permanente
Entdeckung . . . Unser eigentlicher Beweggrund ist weit eher die
Verfolgung dieses Gesichtspunktes, als die - ziemlich banale -
Sorge , das Ohr jedesmal aufs neue einer gewissen Unschuld zu
folge zu taufen " ( 4 2 ) .

40) Boulez , Z u meiner Ill. Sonat e , a . a. 0 . , S . 3 7

4 1 ) Stockhausen : (aus den Spielanweisungen zum Klavierstck XI, a . a . 0 . )


.,Dieses Klavierstck sollte mglichst zweimal oder mehrmals in einem Pro
gramm gespielt werden.

4 2) Boule z , Zu meiner Ill. Sonat e , a. a. 0. , S. 2 7


95

Die Be s chrnkung aleatorischer Prinzipien e rlaubt ihre kompo


sitorische Kontrolle . Da in Boule z ' Sonate die musikalische Kon
struktion der Strukturen, Strukturverbnde , Formteile - schliel.l
lich die der G roform, Beziehung durch Variabilitt schafft, sind
Plan und musikalische Idiomatik gleichermal.le n flexibel. Die Kri
terien der Indetermination stiften in der 3 . Sonate formalen Zu
sammenhang.

Das Problem einer kompositorisch sinnvollen Kontrolle d e s Zu


falls hat in den beiden Werken Stockhausens und Boulez ' ex
trem verschiedene L sungen gefunden. Im Klavierstck XI i st
die Wirksamkeit d e s Zufalls lediglich durch die begrenzte An
zahl der Gruppen einge schrnkt , whrend in der 3. Sonate die
mglichen G ruppenbe ziehungen einer strikten kompositorischen
Kontrolle unterliegen. In beiden Werken jedoch wirkten die Zu
falls - Kriterien in Be zug auf G r u p p e n - Folgen oder auf Ver
bnde " obligat " komponierter Strukturen. In der Folge i st die
Funktion des Zufalls zu prfen, der i n d i e S t r u k t u r e n und
ihre G e stalt eingreift.
96

IV. Erw artung und Wahrscheinlichkeit

(Disku rsive und rationale Probleme struktureller Indeter


mination)

Schwierigkeiten bei der Be stimmung einer von aller Begriff


lichkeit immer weiter s ich entfernenden " offenen Form " lassen
die Untersuchung allgeme iner Kriterien angebracht sein, die in
den ver s chiedensten und gegenstzlichsten Werke n der Gegen
wart als P r i n z i p i e n der Struktur - Konzeption fungieren .
Wenn auch offene Form " s ich keineswegs mit aleatorischen
"
ode r statistischen Verfahren deckt , so s ind diese nichtsdesto
weniger der t e c h n i s c h e A u s d r u c k formaler Unbe stimmt
heit. Doch i st der Zufall nicht einzig als R e s u 1 t a t flexible r
Formkonzeptionen zu begreifen. G an z ungeachtet der Tat sache ,
da " aleatorische " Partituren in Flle existieren, die an Sche.
matismu s Sechtersehe Fugen noch berbieten, erhlt der Zu
fall, wird er nur e inmal zum probaten Mittel, das G e s icht einer
Methode, eines handw erklichen Kanons , der s ic h von den un
mittelbaren formalen Notwendigkeiten abkapselt .

Am Beis piel des Klavier stck XI war z u beobachten, da der


Zufall, lt man ihm nur freies Spiel, eine r s eits die formale
Syntax beseitigt und anderer seits die Strukturkonzeption ver
grbert; die Einfhrung unbe s chrnkter Zufalls kriterien bewirkt
also einen Rc kfall vom kompositorischen ins expo sitorische
Niveau. Umgekehrt ergab sich aus der strikten Be s chrnkung von
Zufalls - Wirkungen, wie sie in Boulez ' Sonate e xi stiert, die Mg
lichkeit eine s Einbezugs aleatori s cher Prinzipien in die Form
konstruktion.

Da der Zufall kein Kompositions - S y s t e m ist, wird theore


tisch allenfalls die Frage zu stellen sein, wieweit der Einbezug
von Zufallskriterien eine conditio sine qua non s p e z i f i s c h e r
musikalis cher Zusammenhnge i st , die ohne diese technische
Innovation nicht zu realisieren wren.

In diesem Zusammenhang wre die Erluterung einer numeri


schen Zufallstheorie sinnlo s , da sie keine Hinweise auf kompo
sitorische Probleme bietet . Eine noch so kohrente mathema
tische Zufallstheorie brgt nicht im G eringsten fr musikali
schen Sinn.
97

Andererseits ist eine mu sikalische Logik als sichere s System


ebensowenig zu entwerfen, denn stets interveniert das Problem
musikalis cher Sprache . Wie rechtens zu komponieren sei, ha
ben ohnehin stets nur die Werke verraten, nicht die Theorien. ( 1 )

Aus der unkritischen bertragung mathematischer Ge setze auf


musikalische Zu sammenhnge entstehen kompositionstechnisch
kaum zu lsende Schwierigkeiten. Die Applikation des P rinzips
der groen Zahl " auf Strukturzusammenhnge, die wegen ih
"
rer Individualitt und der mengenmigen Beschrnkung ihrer
Ele mente die s e s P rinzip nicht reflektieren k n n e n , e rzeugt
d ie Widersprche zwi sche n Formidee und musikalischer G e
stalt, welche am Beispiel des Klavierstcks X I errtert wurden.
Das Prinzip der groen Zahl, dank welchem sich Aussagen ber
Mengencharaktere machen las sen, enthlt in seinem Bezug auf
einzelne Elemente solcher Mengen zwei fr d ie Kompositions
praxis we sentliche A spekt e , den d e s Orte s , an welche m e in Ele
ment m g 1 i c h e r w e i s e in Erscheinung treten kann, und den
der Gleichartigkeit von Elementen, deren eines m g 1 i c h e r -
w e i s e in Erscheinung treten kann. Wie im ersten Falle die
Wahrscheinlichkeit des Erscheinens eines Elemente s mit der
steigenden Anzahl der Orte abnimmt, an welchen es erscheinen
kann, so ist eine zunehmende Menge von Elementen der G rund
fr d ie abnehmende Wahrsche inlichkeit , da e in be stimmtes von
ihnen erscheine . Je weniger M glichkeiten (mgliche rter )
fr die Transplantierbarkeit einer Struktur oder eine s ihrer
Elemente gegeben s ind, umso prziser lt s ich das Resultat
der Transplantation vorau s sehe n . Kompositionstechnisch bedeu
tet die s , da im umgekehrten Verhltnis zur Anzahl mglicher
(beliebiger) Placierungen einer Struktur (oder eine s Elementes )
d i e Kontrollmglichkeiten ber deren musikalische F u n k t i o n
s chwinden . Dies trifft auf den - in der Instrumentalmus ik gn
gigen - Fall zu , in w elchem der Bezug variabler Strukturen zu
einem ihnen bergeordneten Mengencharakter nicht existiert, -
in welchem mikrostrukturelle Vorgnge in die Makrostrukturen
transponiert sind. Im Extremfall (bei totaler Vertauschbarkeit)
bleibt darum nur noch das Niveau unvermittelten Materials, an
dessen Funktion nichts gelegen i st.

1 ) " . . . Uenn kein (musikalisches) System liee sich finden, welches aus
sich heraus schon logisch wre. Eine jegliche musikalische Logik ist erst ge
rechtfertigt, wenn sie musikalische S p r a c h e zu werden vermag. " {K. Boeh
mer, Anathema in Musica, Rundfunkprogramm SFB, 3. Progr. , 1 6 . 1 2 . 1 9 65 ,
2 0 Uhr, vom Sender vervielfltigtes Manuskript, S. 3 )
98

Die vom V orhandensein gleichartiger Elemente abhngige Wahr


scheinlichkeit ist musikalisch kaum von Bedeutung. In einem
Kartenspiel ist zum Beispiel die Wahrscheinlichke it , eine rote
Karte zu ziehen, grer als die , Herz- Dame zu ziehen. Dem
Spieler j edoch ist diese Wahrscheinlichkeit nur bewut, weil
seinem Bewut sein die Summe aller Be zugselemente p r s e n t
ist . In der zeitlich sich entfaltenden Musik kann die se Prsenz
keinerlei Rolle spielen, ganz ungeachtet der Tatsache , da man
innerhalb einer Komposition dem Hrer die Bezugsnormen fr
das klingende Roulette nicht e igeqs noch miterklren kann. Bei
der Wahrnehmung von Musik vermag die mathematisc he Wahr
scheinlichkeit nicht zu interes sieren, sondern nur deren Resul
tat : das re sultierende musikalische Ereignis , welches in dem
Kontext, in welchen Statistik oder Zufall es versetzten, seine
musikalische Funktion au szuweisen hat. Musikalisch kann nicht
die Wahr scheinlic hkeit beurteilt werden, aufgrund welcher ein
Klang hier oder dort ersche int , sondern einzig die Konfigura
tion, in w elcher er klingt . Kein Hrer wird fr deren Qualitt
das System v e rantwortlich machen, sondern stets den Kompo
nisten .
Mathematische Aspiration und musikalische Erwartung stimmen
nicht im G eringsten be rein. Der Wahrs che inlichkeitsgrad fr
das Erklingen eines Element e s zu einem be stimmten Zeitpunkt
mag - innerhalb der vom statistischen Kalkl definierten Gren
zen - noch s o gro sein, wie e r will: er sagt nichts ber die
mu siksprachliche , die kontextuelle Funktion die ses Elemente s
in mu sikali schen Zusammenhngen aus . Die Erwartung wieder
um, welche der Hrer aufgrund d e s schon Gehrten in kommende
Partien d e s Werke s hegt , i st mit der kompositorischen Ver
wendung von Wahrscheinlichkeitstheorien nicht zu lenken. Die se
knnen Konstel.lationen musikalischer Elemente determinieren ;
nicht abe r knnen sie von ., sich " aus Formen artikulie ren. Kur z :
d i e mathe matische Theorie d e r Wahrscheinlichkeit bestimmt das
V e rhltnis der Zahl von Eintritten eine s Ereignis se s zur Zahl
der Nichte intritte . Sie sagt j edoch nicht s be r die Funktion de s
Ereign i s s e s au s , i st e s nur e inmal eingetreten ( 2 ) . Diese abe r
kann einzig kompositorisch von Intere s s e sein und nur im Zu
sammenhang mit der Funktionsfrage kann das aleatorische Prin
zip musikalische Bedeutung e rlangen.

2) Die mathematische Aspiration - der Wahrscheinlichkeitsgrad fr das


Eintreten eines Ereignisses - setzt immer schon die Entscheidung voraus ,
also das Ziehen einer Karte, d e n Wrfelwurf etc., whrend die musikalische
Erwartung, die ein Hrer hegen kann, die Frage einschliet, ob denn der
Komponist so sich entscheidet, wie e s beim Hren eines Werkes zu progno
stizieren wre .
99

Funktion der musikalischen Element und das Prinzip der gros


sen Zahl stehe n im Wechselve rhltnis zueinander. Wo das Prin
zip der groen Zahl auf einzelne Elemente angewandt wird ( z .B.
als Beliebigkeit der Placierung, wobei d ie Zahl der mglichen
rter gegen oo gehen kann), stellt sich die Frage nach deren
Funktion. Denn immer mu beachtet werden, da probabilisti
sche V erfahren , die in den P a r t i t u r e n die Vielfalt ihrer
Mglichkeiten prsentieren, dem Hrer nur die einmal getroffe
ne Entscheidung - das Klangre sultat - offenbaren, die er dann -
womit er selbst angesicht s des technischen Verfahrens noch nicht
einmal unrecht hat - als festgelegt, determiniert, sich vorstel
len mu ( 3 ) . Die mathematische Errterung des Proble m s der
Indetermination ist also da von vornherein sinnlos , wo - wie dies
leider an vielen Partituren der letzten zehn J ahre allzu deutlich
abzule sen ist - mathematische Kohrenz und formale Schl s s ig
keit , Kompliziertheit der Strukturdetermination und Komplexitt
der musikalischen Form, miteinander verwechselt werden .

Um der berschaubarkeit der Theorie willen bte vielleicht eine


andere M glichkeit der Darstellung sich an. E s liee systema
tisch die Anwendung probabilistischer Kriterien auf alle mu
sikali schen P arameter und deren Formation sich be s chreiben,
auf die sie im Laufe der letzten Jahre angewandt wurden. Doch
knnten hieraus nur Binsenweisheiten re sultieren, die einfacher
zu erhalten sind , ist man sich nur der Tatsache bewut, da
Zufallskriterien auf alle menschlicher Formierung unterliegen
den Ereignisse angewandt werden knn-en, wobei sich allerdings
schneller als im musikalischen, in manch anderem Bereich die
Fatalitt der Konsequenzen heraus stellen wrde.

Prinzipiell lassen sich G r a d e der Indetermination fr musi


kalische Elemente aufstellen. Systematisch liee eine Aufstel
lung etwa wie folgt s ic h vornehmen (wobei der Tonhhenpara
meter als Beispiel dienen soll) :

Indeterminationsgrade fr
,w e nige 1
1 ) Placierung e i n e r Tonhhe an \ . mgliche Stellen.
v1e le/
2) mehrerer - n an

3) Dadurch wird also das komplizierte Netz von Wahrscheinlichkeitsgra


den, wie es dem Komponisten angesichts seiner Dispositionen sich darstellen
mag, auf eine betrchtlich einfachere Form reduziert, die der Binr-(Ja
Nein- )Entscheidung. Ein Element kann erklingen oder nicht; fr die konkrete
Formentwicklung ist einzig dies von Interesse.
1 00

3) Tonreservoir, welches au sge schpft werden mu; die Ton


folge i st (bedingt / ganz) frei.
(Tonreservoir schliet die Mglichkeiten von 1) und 2 ) ein)

4) (Un-) Kontrollierte De- placierung eines Tones i n n e r h a l b


eines gegebenen (kleinen / groen) :Leitabschnitt e s .
5 ) ( U n -) Kontrollierte De- placierung meh!"erer Tne (eines Ton
re servoir s , siehe 3 ) ) , deren Folge festgelegt oder frei sein
kann, innerhalb e ine s ge gebenen Zeitabschnittes.
6) Totale Indetermination der Placierung

7) Ton " hhe " ( z . B . .. fis " ) benannt, Oktavlage frei

8) frei Oktave determiniert

9) frei

1 0) Totale Indetermination.
Dieser Katalog lie e sich beliebig erweitern oder diffe renzieren
und durch alle Parameter und Parameterkombinationen w ieder
holen. Doch sind es nicht s e ine Daten, die kompositorisch orga
nisiert werden mten, um musikalischen Sinn zu stiften. Viel
mehr kann be r ihre Anwendung nur aus formalen Zusammen
hngen heraus entschieden werden.

Bei der Betrachtung von Problemen der Vertauschbarkeit scheint


es sich anzubieten, au s ihnen neue Theorien der musikalischen
Zeit herleiten zu wolle n . Tatschlich ist die s in der neueren
Musiktheorie hufig versucht worden, woraus zume i st heillose
Verwirrung entstand. Denn gerade die serielle Konzeption lt
keine Zeitbe griffe zu , die der Bergsansehen Konzeption verhaf
tet sind (4) .

Marion Rothrmel hat in ihrer Dissertation ( 5 ) darauf hinge


wiese n , da die Menge von Zeitbe griffen in der neueren Musik-

4) Siehe die entsprechenden Gedanken in Henri Bergsans beiden Abhand


lungen Essai sur les donnes immdiates de la conscience und Matire
et mmoire , Oeuvres, Presses universitaires de France, Paris 1 9 5 9 , S. 5 ff
und S. 1 69 ff (insbe sondere S . 3 24 ff).

5) Marion Rothrmel, Der musikalische Zeitbegriff seit Moritz Haupt


mann, Klner Beitrge zur Musikforschung, Regensburg 1 96 3
101

theorie fast logarithmisch zunimmt. " Wahre Zeit " , " Tonraum
zeit " , " Zeitagens " , " Zeitgrad " , " Zeitmorphologie " , " Zeit
konomie " , " Zeitschwelle " , " Zeitwerdung " , " Zeitdauer- H
ren " , " Jetztform " ( 6 ) , gehren zu den absurdesten Termini,
deren die Autorin eine Flle aus der Literatur zusammenstellte
( 7 ) und deren Hufung sie in einer Tabelle dargestellt hat, wobei
sie darauf hinweist, " da die musikalische Zeit unter dem Aspekt
der Mebarkeit leichter zu fassen ist als unter dem Aspekt des
Erlebens " ( 8 ) . Viele Zeit-theoretische Po stulate der neueren
Theorie mgen sich am Modell horizontaler und vertikaler Um
kehrung gebildet haben, welche s in der Zwlftontechnik neue
Bedeutung e rlangte. Doch i st eine Umkehrung oder V e rtauschung
von Elementen und Gestalten i n der Zeit nicht im Geringsten
mit einer U mkehrbarkeit der Z e i t s e 1 b e r fraglos ineinszu
setzen. Wrde nmlich die Zeit bei der Umkehrung von Ele
menten ebenfalls reversibel, so knnte der Rcklauf berhaupt
nicht wahrgenommen werden. Verdeutlicht man sich die s , so
lt die angebliche Zeit-Reversibilitt sich auf Fragen der mu
sikalischen M o r p h o 1 o g i e reduzieren. Erst nach Betrachtung
dieser Fragen wird man zu denen der zeitlichen Artikulation
vordringen knnen (9); nicht umgekehrt. Ohnehin lt sich in
einer probabilistischen Strukturanordnung die Frage nach der
Umkehrbarkeit der Zeit ad absurdum fhren. Kann in einem
komplexen Zusammenhang ein Element an verschiedene " rter "
transplantiert werden , so fllt der Bezug zu einer exponierten
Originalgestalt fort, an welcher der G rad vorgenommener Ver
nderung sich messen liee . Mit die sem Fortfall bricht das ge
samte theoretische Gebude zu sammen, welches die Zeit-Trans
plantation zur reinen Spekulation machte , w eil es nicht bedachte,
da es lediglich Beziehungen im Material konstatierte. Da mu
sikali sche Strukturen in all ihren Komponenten i n der Zeit und
d u r c h die Zeit sind, darf nicht zur Annahme verleiten, sie
seien Zeit.
Es i st daher wenig sinnvoll, aus dem Problem der Indetermi
nation eine neue Zeittheorie unvermittelt ableiten zu wollen.
Wesentlich sind vor allem die Probleme , die sich fr die Mor
phologie e rgeben, will sagen, fr die Artikulation der Zeit unter

6 ) Die beiden letzten Termini stammen aus: Stockhau sen, Momentform,


Schriften I, S. 1 95 und 2 0 5
7) Rothrmel, Zeitbegriff, a. a. 0. , S. 1 6 5 ff
8) Rothrmel, Zeitbegriff, a. a . O . , S. l 6 2

9) C f . Herbert Eimert, Grundlagen, Wien 1 9 6 4 , S. 2 7 f


1 02

der Bedingung aleatorischer V erfahren. Daher wird man auc h


dem Unte rschied Bedeutung beime s se n mssen, der zwischen
einem Einbe zug aleatorischer Kriterien in den Kompositions
pro z e s s ( 1 0 ) und e iner Verwendung aleatorischer Kriterien i m
Realisierungs- (Interpretations- ) Pro z e s s ( 1 1 ) be steht. Im ersten
Fall i st die Form definitiv , whrend sie im zweiten indetermi
niert ist.

In den folgenden Untersuchungen, die sich mit der zunehmenden


Indetermination der Strukturen befassen, wird d ie Aufmerksam
keit vor allem auf ein Problem sich konzentrieren mssen. E s
grndet i m Unterschied zwischen d e n v i r t u e 1 1 e n Bezugs
netzen, wie sie in probabilistischen Systemen vorhanden sind ,
und den r e a 1 e n Be zugsnetzen definitiv erklingender musika
li scher Zusammenhnge . Wiederholt wird zur Diskussion stehen
mssen, ob und wie die virtuellen Beziehungen mit den realen
zusammenhngen und ob der Grad ihrer Konkretion eine kom
positionste chnisch sinnvolle Dimension sei. Denn die Differen
zierungen im Bereich des M g 1 i c h e n bleiben musikalisch -
komposition stechnisch, gestaltlich, formal - eine bloe Fiktion ,
wenn sie nicht gleichzeit ig als Bedingung fr die Differenzierung
im Bere ich des W i r k 1 i c h e n - der Struktur - fungieren.
Meistens ist das Gegenteil der Fall. Dies mag daran liegen, da
e s im Zuge der Entwicklung seit etwa 1 9 5 6 fr viele Komponisten
vorab von Inte re sse war , die Mglichkeiten des E r s c h e i n e n s
von Zufall durch alle Parameter hindurch abzuta sten, wobei der
Wunsch nach dessen umfassender Verwendung oft die Frage nach
formaler Funktion und idiomatischer Differen zierung verdrng
te ( 1 2) .

1 0) C f. Gottfried Michael Koenig, Streichquartett 1 9 5 9 , Darmstadt 1 9 6 2,


Takte :n , :! 7 , 1 7 2
1 1 ) C f . u . a . Stoc khausen, Zyklus (London 1 9 60); Kagel, Transieibn II
( London 1 9 6 3); Pousseur, Mobile ( Mailand 1 9 6 1 ) , Haubenstock- Ramati, Liai
sons ( London 1 9 6 1 )
1 2) Dabei wird die o p t i s c h e Gestalt der Partituren eine nicht unwesent
liche Rolle spielen. Oft nmlich sind aleatorische " Partituren mit einem

rungsanweisungen berzogen, die sich jedoch nur auf den Bereich v i r t u e 1 -


uerst komplizierten Netz von Pfeilen, Hinweisen, Symbolen und Ausfh

1 e r Beziehungen erstrecken. Ob ihrer zumeist komplizierten graphischen


Ge stalt tuschen sie dann reale Beziehungen vor; die Partitur mchte den
Anschein erwecken, da die musikalische Form ebenso komplex sei wie die
.
Anweisungen, sie zustande kommen zu lassen. Die G e fahr besteht, da der
Komponist der Trennung von Aktions- und Resultat- Notation sich nicht bewut
wird und deshalb versumt, vor lauter Aktionshinweisen die musikalischen
Re sultate (und deren Differenzierung) als eigentlichen Gegenstand komposi
torischer Arbeit zu beachten.
1 03

V. Bei spiele z u r strukturellen Variabi l i tt

., S 'ils croient qu ' importe l'exemple vcu,


ils s ' illusionnent . Ils se trompent en disant
qu ' ils c ontribuent l:l clarifier . "
Michel Robic

Luciano Berios Komposition ,. C ircles " ( 1 ) fr Frauenstimme ,


Harfe und zwei Schlagzeuger ist e in Beispiel, an welchem die
Konseque nzen u ntersucht werden knnen , die sich aus der Ver
s chiebbarkeit und Variabilitt gegebenen Materials fr d ie mu
sikalische Struktur ergeben knne n . In den vier Sektionen de s
Werke s sind vier G edichte E . E . Cumming s ' vertont. Die Prin
zipien einer variablen Disposition der Elemente werden sukze s
s iv in den Ve rlauf der Forrr. eingefhrt . Die e rste Sektion (S. 2-
8 ) ist in allen Parametern obligatori sch notiert , also gnzlich
festgelegt. Im harmonischen und rhythmischen Bereich weist sie
die grte Differenzierung auf. Die stark an Boul e z ' ,. I mpro
visation I sur Mallarm " gemahnende Pas sage fhrt im Bereich
der Tonhhendi sposition ein Prinzip durch Tonwiede rholungen
gegliederter Monophonie ein ( 2 ) .

I n der zweiten Sektion ( S . 9 - 1 6 ) setzt eine Tendenz zur Stabili


sierung des harmonischen Parameters ein, die in e ngem Zu
sammenhang mit der ebenfalls hie r beginnenden Indetermination
rhythmischer Angaben steht. Die Notation hnelt zwar der me n
suralen ( 3 ) , doch drfen die einzelne n Noten innerhalb der durch
Taktstriche markierten G renzen frei einge setzt werden. ( B sp. 5 8)

--=

m
-==

1 ) Luciano Berio, Circles, London 1 9 6 1

2) Dieses Moment bildet einen wesentlichen Bestandteil d e r melodischen


Konstruktion in Boulez' erster Mallarmimprovisation , die (London 1 9 5 8
publiziert) i n Instrumentation und Duktus vieles d e s Berioschen Stckes vor
wegnimmt (cf. I. Improvisation sur Mallarm, Seite 1 - 4; Boulez , Musikden
ken heute, Darmstdter Beitrge 5 , a. a. 0. , S. l l 8)

3) Diese hnlichkeit ist jedoch notationstechnisch nicht sehr geschickt,


1 04

Die in G renzen indeterminierte Placierung von Tnen hat eine


V erringerung der harmoni schen Kontrollmglichkeiten zur Fol
ge. Knnen zum Beispiel innerhalb eines gegebenen Zeitab
s chnittes 3 Spieler je drei Tne unabhngig voneinander plac ie
ren, so ergeben sich schon 3 6 2 88 0 mgliche Tonfolgen ( 4 ) . Ent
weder werden die Kriterien sukze s sive r Harmonik ganz aue r
Acht gelassen, oder sie mssen zumindest durch Kriterien har
monischer Felder ersetzt w erden. Notwendigerweise beinhaltet
die Entscheidung, e inzelne Tne innerhalb einer " filigranen "
Struktur zu vertau schen, e ine betrchtliche Reduktion harmo
nischer Differe nzierung, denn die einer verbindlichen Tonfolge
obwaltende Syntax wird durch das Kriterium der V e rtauschbar
keit w ieder aufgehoben. Auf Seite 9 der Partitur hat die se R e
duktion ihre gestaltliehen Konsequenzen ( 5 ) . D i e harmonische
Stabilitt w ird durch ein V erfahren der heterophonen U mspie
lung chromatisch eng beieinander liegender Haupt- Tne zu er
reichen versucht: (Bsp. 5 9 )

I
I I I

##1 if4rrr rrtJ" JJJJJJJJ J \l \


-==

Die kleinen Noten - so schnell wie mglich, quasi wie Triller


zu spielen - verlngern einzelne Tne zu Ton- Linien einheit
licher G e stalt. Jenes " so s chnell wie mglich " aber , welches
den Tonhhenzus ammenhang herstellen soll, nivelliert seiner
seits die rhythmische Diffe re nzierung. Diese wird auch da ge
opfert , wo lediglich Schlaginstrumente erklingen: die Differen
zierung, welche im Be zug einzelner Dauern oder Einsat zabstn
de zueinander ihren Sinn hat , gerinnt zur Konstitution einzelner
Blcke. (Bsp. 6 0)

denn periodische J'


- Folgen suggerieren, auch wenn sie flexibel gespielt
werden sollen, dem Interpreten stets Periodizitt. Abweichungen vom men
suralen Prinzip sollten in den Notationssymbolen przise ausgedrckt werden.

4) Die Zahl verringert sich natrlic h , wenn die Reihenfolge der Tne in
jeder der drei Linien festliegt.

5 ) Und auf allen Seiten der zweiten Sektion (S. 1 0 - 1 6)


1 05

p
J]JPtJJI
..-3--, r-J--,
I
I
Zwar erscheinen solche Blcke
auch in mensurierter Form (S.8,
Ende; S . l O, Anfang, S. l 2 , Mitte;
etc . ) , doch liegt die Vermutung
voice nahe , eine durch die Unbe stimmt
'f#JP (
"-.;
J I
heit der Einsatzabstnde beding
te Nivellierung sei in den men
surierten, festgelegten Bereich

ftl[rfr[rfr[[ff!
bernommen worden.

Die Idee der Komposition liegt in zunehmender Indetermination


der Ele mente innerhalb stndig sieh e rweiternder G renzen. Wh
rend noch in der 2. Sektion die einzelnen T ne " frei " innerhalb
der Taktgrenzen e ingesetzt werden knnen und gem den appro
ximativen Dauernproportionen ( Lngen auf dem Papier ) gespielt
werden sollen ( B s p . 6 1 ) ,

treten in der dritten Sektion (S. l 6 ff) die einzelnen Klangeleme nte
in variable Beziehung zueinande r , wobei eines der zeitliche Be
zugspunkt des anderen werden kann. Die Differenzierung und
die Kontrolle der Ele me ntfolge werden dabei jedoch fast gnz
lich aufgehoben. Vor allem tritt das in der vorige ;1 Sektion noch
verbindliche Kriterium der Aufeinande rfolge (und der Element
reihung in den einzelnen Linien) auer Kraft . Das Material wird
nun in einzelne Rechtecke notiert, die die Grenzen seiner Ver
wertbarkeit innerhalb des Z eitablaufes markieren. Innerhalb die
ser G renzen aber herrschen keine syntaktischen Kriterien mehr .
(Bsp. 6 2 )

ltml l : I
1 06

Das Prinzip e iner G ruppierung rhythmisch unbestimmter und


klangfarblieh homogener Materialmengen, wie e s vorher in die
weniger freien und mensurierten Teile schon Einla gefunden
hatte , wird nun fr einen langen Teil ( S . 1 7 - 3 0) zur Basis der
Konstruktion. Die kompositorische Kontrolle ber die elemen
taren Be ziehungen erreicht d amit ein Minimum. Die einzelnen
Rechtecke (cf. Bsp. 6 2 ) , die die Verwendungsdauer der in ihnen
enthaltenen Klnge (Bsp. 6 3 a) und Einsatzdauer der ganzen Grup
pe innerhalb des Zeitablaufe s (Verschiebungsbereich, B sp. 6 3b)

unters cheiden, enthalten ein im we sentlichen aus Schlagzeug


klngen bestehendes homogen e s Material. Entweder handelt e s
sich also u m Klnge unbestimmter Tonhhe oder u m Angaben
fr e i n Instrument mit bestimmter Tonhhe ( 6 ) . Auch Kombi
nationen sind mglich. And e rerseit s e xistieren Strukturen, in
we lchen mehrere Rechtecke einander berlappen, wobei ein j e
des i n Grenzen ver schiebbar und d a s in ihm enthaltene Tonma
terial variabel e in setzbar ist. (Bsp. 64)

..
:
P 1TIJ
. -
P IP.Pl

..
..
P ::;,...
II

...
. p----i> 11IJ

Be stimmte Mate rialgruppen haben also in ihrer Dauer vonein


ander unterschiedene und nur vage bestimmbare Wirkungsbe -

6 ) Die Angewohnheit, bei stndig wechselnden Systemen die Instrumenten


bezeichnungen nur auf der ersten Seite oder beim erstmaligen Eintreten eines
Instrumentes vorzuze ichnen - eine Unsitte, die mit der ohnehin zunehmenden
Unbersichtlichkeit aleatorischer P artituren sich auszubreiten sche int - er
schwert die Lektre ungemein, da man stndig zum Anfang zurckzublttern
gezwungen ist, um, bei wechselnder Instrumentenkombination, auch noch die
Systeme abzuzhlen.
1 07

reiche. Von Bsp 64 lieen sich unter vielen zum Bei spiel fol
. .

gende beiden Versionen au s s chreiben: ( Bsp. 6 5 )


1) 2)
D c ...... ..1 o c=:=J
D oder
D
r--------------,
L_. ____j
_______"._______________ o::::::::!
Wre es in solchen Fllen um die variable (und statistische)
D i s position groer Tonscharen (etwa in einer Partitur fr groes
Orche ster) zu tun, die als E i n h e i t e n wahrgenommen werden,
dann liee in dem Verfahren Berios zumind e st konstruktiver
Sinn s ich e rkennen. Be i den .. C ircle s " jedoch handelt es sich
u m eine bis ins Detail gut .. durchhrbare " Kammermu sikpar
titur, deren einzelne Elemente und strukturellen Be ziehungen
individuell gehrt werden knnen. Dem jedoch trgt die - im
Partiturbild so verfh rerisch ,.individuell " wirkende - struktu
relle Variabilitt nicht im Geringsten Rechnung. Innerhalb der
Rechte c ke ist der rhythmische Parameter berhaupt nicht fixiert.
Die Einhe itlichkeit der Element - Gruppen nimmt mit der wach
senden Breite ihrer Verschiebbarkeit ab, da die Element - Fol
gen der vers chiedenen G ruppen zueinander d u r c h d r i n g e n
um - bei einzeln wahrnehmbaren Ton- Punkten jeder Folge -
den G ruppenzusammenhang aufzuheben. Dank der rhythmischen
Indetermination des innerhalb der Rechtecke befindlichen Ma
terials und jener s chier zuflligen Verknpfung der auf ver
schiedene Rechtecke verteilten Ele me nte i st jegliche struktu
relle Syntax liquidiert . Das Kriterium (cf. Bsp. 5 8 und folgenden
Text) , welches in Ermangelung einer przi sen Kontrolle ber
d ie Tonhhenbe ziehungen, Tonbnder - einfachste Triller- und
Reperku s sion s - G e stalten - vonnten machte, hebt nun den G rup
penzu sammenhang von Klangfarbenbereichen auf, weil die Ein
zelele mente verschiedener Gruppen in - nicht kontraHier bare -
u n m i t t e 1 b a r e Be ziehung zueinander treten.

Die doppelte Relativitt des strukturellen Gefges - hie variable


Dauer=Verschiebbarkeit ganzer Materialgruppen gegeneinander
und da freie Di sponierbarkeit=freie Verknpfbarkeit der in die
sen G ruppen befindlichen E inzele lemente - macht eine Kontrol
lierbarkeit des flexiblen Prinzips und s e in e Verwendung zu spe
zifi scher Struktur- Artikulation s chier unmglich. Dem Scheine
nach lassen s ich zwar die musikalischen G r en (also G ruppen
dauer, Anzahl der G ruppenelemente , Verschiebbarkeitsgren
zen etc . ) przise - vielleicht sogar seriell - determinieren. In
1 08

Wirklichkeit wird jedoch der Anspruch solcher Determination


durch das Schicksal der ihr unterworfenen Elemente innerhalb
der Realzus ammenhnge zunichte gemacht . Die Organisation
htte sich um diese zu kmme rn und nicht um die virtuellen Be
ziehunge n, in deren Be stimmung sie sich bei Berio zu erschp
fen scheint. Die Frage , innerhalb welcher G renzen e ine Mate
rialkonste llation frei transplantiert werden knne , ist nur dann
sinnvoll, wenn gleichzeitig die musikali s che Funktion jene r Kon
stellation an ihren mglichen Einsatzpunkten bedacht wird .

Die umfa s sende rhythmische und ge staltliehe Nivellierung, die


s ich au s den in den .. C ircles " angewandten variablen Verfahren
ergibt, i st jedoch keine notwendige Konsequenz au s der Methode.
Es lieen sich durchaus andere Formen von Variabilitt und
Verschiebbarkeit vorstellen, die dem Anspruch prziser Ge
staltbildung gengen wrden. Doch setzt die s vorau s , da au s
dem Prinzip der V ariabilitt in jeder seiner spe zifischen For
men K o n s e q u e n z e n gezogen werden , was in den C ircle s "

nicht d e r Fall ist . Eine Struktur zum Beispiel, die nur vage
fixiert ist , erfordert nicht mehr denn rein materielle Kriterien ,
um einge setzt oder verschoben zu werden. (Bsp. 66)

II

Ihr Ge staltcharakter und ihre F u n k t i o n in Be zug auf ihren


mglichen K o n t e x t sind nur gem der Qualitt in ihr enthal
tener Eleme nte definierbar; sie sind es jedoch nicht gem einer
spe zifischen Ordnung oder eines vom Komponisten definierten
Zusammenhanges dieser Elemente. Formbildende Tendenzen
zeichnen sich auf d iesem Niveau der Konstruktion nur in aller
grbsten Umrissen ab, wie etwa auf Seite 2 1 der Partitur, wo
auf engstem Raum sieben Rechtecke mit variablen Material
mengen bere inand erge schichtet sind - alle fff zu spielen - was
einen clat e rgibt, der aber wiederum subtilere Unter schiede
gnzlich nivelliert , die zwischen mglichen V e r sionen bestehen
knnten.

Obwohl das V ariabilitt sprinzip die mu s ikali schen Ordnungen


der meisten in den ,.Circle s " vorhandenen Strukturen bestimmt ,
ergeben die Kriterien d e r G e staltbildung sich wenige r aus ihm ,
sondern vor allem au s Definitione n, die gnzlich unabhngig von
aller Variabilitt s ind.
1 09

Die Singstimme bildet dabe i e inen we sentlichen Einheit stiften


den Faktor. Seinen uerlichen Schein e rhlt er dadurch, da
die Sngerin den Instrumentali sten teilweise ihre Einstze gibt .
Darber hinaus steht d ie vorwi e gend lineare und kontinuier
lich geformte Ge sangspartie im Gege n satz zu den sie hetero
morph ode r punktuell umspielend e n Instrumentalstrukturen. Da
durch werden zwar klarere Konturen ge zeichnet, e ine entfal
tete Dialektik, w elche zwischen den beiden Bereichen vermitteln
wrde, entsteht jedoch kaum. Denn die melodische Konstruktion
nimmt - obw ohl auch hier te ilwe ise freie Dauern- und Tonh
hen- Notation e xistiert - an den variablen Prinzipien keinen An
teil. Es ist , als fungiere sie der G e s amtstruktur gegenber wie
e in Cantu s firmu s .

Auf die durch Blcke " so schnell wie mglich " zu spielender
Noten e r z eugte s c hrfere (doch mu siksprachlich recht monotone)
Zeichnung ge staltlicher Konturen i st schon verwiesen worden.
(cf. Partitur, S. l 2 Mitte , S . l 4 Mitt e , S . l 7 , S . l 8 Anfang, S . 26
End e , S. 28, S. 2 9 ) Solche Pas sagen bilden zwar klar e , eindeu
tige Mome nte innerhalb der fast durchwegs diffu sen Strukturen.
Doch geben sie - wegen ihre s Pauschalcharakters - keinerlei
differenziert e rhythmis che Krite rien ab, die zu ihrer Integra
tion in den Konte xt beitragen oder au s welchen andere Struktu
ren dann sich entwickeln knnten. Auf Seite 29 ist dem Pau schal
charakter in sofern schon Rechnung getragen, als beim Marimba
phon und beim Xylophon auf die B e st immung der Tonhhen ver
zichtet wird; - dies i st natrlich ein in einem Kammermusik
werk hchst bedenkliche s V erfahren, insbe sondere, da aus ihm
keinerlei Kon sequenzen ge zogen werden.

Das G e genteil zu solch undurchdringlichen Blcken bilden Pas


s agen einfachster rhythmi scher Periodizitt , wie sie sich in
einer rhythmis c h so vieldeutigen Partitur merkwrdig ausneh
men mssen ( cf. S . 1 5 unten End e , S. 1 8 unten Mitte , S . 2 2 An
fang, S . 26 Mitt e , S. 3 5 ) . In Be zug auf gleichzeitig zu spiele nde ,
rhythmis c h nicht festgelegte Pas s agen knnte man die P eriodi
zitt als ordnenden Raster ve rstehen. Auf Seite 35 der Partitur
und gegen Schlu des Werke s (S. 28 Mitte bis S. 3 9 Ende) nimmt
sie j edoch das ge samte musikalische G efge in Anspruch. I n
keinem Falle aber stiften d i e variablen Passagen eine Vermitt
lung zwis chen starrer Periodizit t und diffu ser Aperiodizitt.
So e nt steht der Eindruck, da an den Stellen, an we lchen au s
schlielich periodi sche , determinierte Strukturen e rklingen, d a s
Skelett ohne Beigabe s i c h pr sentiere .
1 10

Berios ,. C ircles " fordern d ie Frage nach der kontextuellen Funk


tion aleatorische r Prinzipien herau s . Die in den ,. Circle s " zur
Anwendung gelangenden Formen von Indetermination knnen al
le samt Teil- Funktionen innerhalb grerer , komple xerer , w i e
auch a n Material reicherer Strukturen erfllen, in welchen Ele
ment- Felder als Einheiten grerer Formationen konzipiert w
ren. Doch bezieht das Verfahren in den " Circle s " sich auf e in
zelne, getrennt wahrnehmbare Ele mente und bewirkt deren sta
tisti sche Anordnung, ohne Kriterien fr eine s pe zifische Ver
bindung die ser Ele me nte zu stiften. In den Circle s" arklingen
"
die Material- Verbnde nicht in Funktion ihre s G ruppencharak
ters, sondern nur d i s soziiert, - in ihre Elemente ze rlegt ( 7 ) .
Dem htte kompositorisch Rechnung getragen werden mssen,
um den aleatorischen Prinzipien auf d e m Niveau der w i r k l i c h
e rklingenden Klanggestalten Funktion verleihen zu knnen. Grofe
Zahl und Individualitt d e s Ele mentes sind in den " C ircle s " kon
struktiv nicht im Geringsten v ermittelt . Die Kriterien der er
steren v ermgen - obgleich s ie dies vortus chen - d ie Funktion
der letzteren nicht zu e rhellen . Darum gelingt den " C ircle s "
keine variable Form, sonde rn ber weite Strecken nur eine Klang
statistik. I n i h r haben Strukturele mente nicht mehr Individuali
tt , als e s die Aussage eines ein zelnen Befra gt en in einem de
mo skopis che n Testresultat be sitzt.

Bei Komponisten, die sich intensiver u m przise G e stalt- Krite


rien be mht haben und die, trotz aleatorischer Verfahren, die
G e stalt ihrer Werke nicht selber dem Zufall berlassen wollten,
lt s ich das Proble m einer Kompensation variabler " Abwei
chungen " durch d ie Struktur des Sat zes deutlicher erfassen.

In Stockhausens " Refrain " fr 3 Spieler (8) w ird die Mobilitt


der vers chiebbaren Strukturen auf zwe i Weisen gleichzeitig kon
trolliert. Erstens durch eine Einrichtung, dank welche r die Pla
cierungen der Strukturen voneinander abhngig gemacht werden.
Die sechs Notenlinien der er sten Partiturseite sind kreisfrmig
aufge zeichnet und die sechs ihnen zugeordneten mobilen Struktu
ren befinden sich untereinander auf einem transparenten Lineal,
welches dem fixen Notentext berlagert wird . ( Bsp. 6 7 )

7) Indetermination in Funktion d e s Gruppencharakters findet man zum Bei


spiel in Stockhausens Carr fr vier Orchester und vier Chre , Wien 1 9 6 1

8 ) Karlheinz Stockhausen, No . 1 1 , Refrain, London 1 9 6 1


111

Das Lineal i st um seinen Mittelpunkt


(und das Zentrum d e s Partitur- Krei
ses) bis zu den in B sp . 6 7 angegebenen
G renzen drehbar. Die Abhngigkeit
der sechs Strukturpositionen ist leicht
er sichtlich. Befinden die Strukturen der oberen Z eilen sich am
Zeilenbeginn, so befinden die drei unteren sich am Zeilenende
und umgekehrt . Dabei sind alle Z w is chenstufen mglich. Die
Placierung der sechs Strukturen ist variabel, der zeitliche Ab
stand, den sie zueinander haben, bleibt jedoch immer gleich.
Dies ermglicht formale G e staltungen, die der Mobilitt, dem
Einbruch des Akzidentiellen in dete rminierte Strukturzusam
menhnge , w e itgehend Rechnung tragen knnen. Stockhausen be
s chreibt den ., Refrain " wie folgt ( 9 ) : Ein stille s und w e itru
.,

mig komponiert e s Klanggefge wird sechsmal durch einen kurzen


Refrain ge strt . Dieser Refrain enthlt G l i s s andi und C luster,
Trille r , Batne (im Klavier) und kurze Melodie stckchen, und
die s e Elemente kommen in der brigen Form nicht vor. Die
Zeitpunkt e , zu dene n ein Refrain gespielt wird , werden von den
Spielern selbst gewhlt und knnen sich von Auffhrung zu Auf
fhrung ndern; s ind s ie jedoch e inmal fixiert , so wird d ie end
gltige G e stalt e ines Refrains von se iner unmittelbaren Umge
bung beeinflut (Triller, Glissandi und Melodie sollen dann mit
Tnen d e s vorausgegangenen oder folgenden im Text fixierten
Akkordes gebildet werden); umgekehrt bewirkt ein Refrain j e
desmal nach seinem Erklingen e ine Vernderung d e s Formver
laufs: Die Klnge von Klavier, C ele sta und Vibraphon ndern
ihren C harakter durch hinzukommende , v e rfrbend e ' Schlag
instrumente , und zwar in zunehmendem oder in abnehmendem
Mae je nach den gewhlten Zeitpunkten d e s Refrai n s . So w ird
in einem statischen Zustand durch unvorher ge sehene , Strun
gen' e in dynamis c her Formproze s s geweckt; und einer beein
flut und prgt den anderen, ohne da e in Konflikt ent stnde . "

Die zweite Kontrollmglichkeit i st im fixierten Notentext ange


legt, des sen jeweiligen Konstellationen die ihn berlagernden
Stru kturen sich w e itgehe nd anpassen ( 1 0) ( be rnahme der im
Text befind li chen Tonhhen) .

9) Stockhausen, Schriften ll, S. 1 01


1 0) In: Stockhau sen, Schriften I, S. 241 ff, sind mehrere Versionen des
Stcke s mehrfarbig ausgeschrieben und erlutert, we shalb hier nur auf die
unmittelbar interessierenden Fragen eingegangen wird.
112

Das " stille und weitrumig komponierte Klanggefge " hat eine
vorwiegend homophone Struktur. Die s e ermglicht eine deut
liche U nterscheidung zwischen Text und Refrains " . Doch sind

in den Text selber s c hon Strukturen von betrchtlicher Dichte


verwoben, deren G e stalt den Refrains sehr hnlich ist. Sie fun
gieren als ge staltliehe Vermittlung zwischen fixem und variab
lem Bereich. Vornehmlich s ind sie im zweiten Teil d e s Stcke s
(auf der zweiten Seite der Partitur, die vom Lineal nicht ber -
lagert wird) anzutreffen . Zwis chen ihnen und den mobilen Struk
turen bildet ein Zusammenhang sich auf zweifache Weise :

1 ) Durch die regulierte Distanz. Mobilen Strukturen, de ( z . B .


i n der oberen Hlfte des Partitur- Kreises) zeitlich v o n fixen
dichten Strukturen weit e ntfernt sind , entsprechen (in die sem
Falle : auf der unteren Hlfte des Kreises) mobile Strukturen,
die den fixe n , d ichten gan z nah sind oder sie gar berlagern.
In diesem Falle wrde d ie Form sich also aus ,. antiphonen "
Konstellationen entwickeln (aus Akkorden und ,Str ' - Refrains)
und zur Bildung dichter , .. heterophoner " (oder gar polypho
nen Strukturen tendie ren.
Hierzu ist der extreme Fall mglich: Die Refrains der obe
ren Hlfte treffen auf in sich schon gebrochene Akkorde , de
ren G eflec ht sie verdichten ( Linealposition: oben Mitte bis
recht s ) , wobei die Refrains d e s unteren Teils sich von den
dichten fixierten Strukturen entfernen. In d ie se m Falle w r e
die Formentwicklung w e sentlich kontinuierliche r , will sagen ,
die V erhltnisse zwische n statischen und beweglichen Partien
wren differenzierter und die Gruppen wren gleichmiger
verteilt . Zwischen diesen beiden (durch die extremen Lineal
positionen bedingten) V er s ionen sind viele Zwischenstufen
mglich.

2) Durch konkrete Beziehungen zwischen mobilen und fixen (dich


ten) Strukturen. Der gesamte Notentext ist mit einzelnen Ton
punkten durchsetzt , die auf Neben- Instrumenten zu spielen
sind . Da jedes dieser Instrumente sowohl durch seine Klang
farbe als auch durch se in be schrnktes Tonhhenre servoir
(pro Nebenin strument nur 3 sich wiederholende Tne) deut
lich aus dem Kontext hervorsticht, ist das au s ihren Tnen
gebildete Punkt- Netz deutlich wahrnehmbar. Da diese Punkte
nur j ew eils nach den mobilen Unterbrechungen (also recht s
des Lineals) ge spielt w e rden drfen, wird der Zeitabschnitt
zwischen den Unterbrechungen und den dichten Strukturen (am
Ende der Zeilen) auf eine spe zifische Weise artikuliert: das
113

variable V erfahren hat seine Konsequenzen fr die fixierten


Strukturen. Die se Konsequenzen (wie auch die konkreten Be
ziehungen zwischen fixen und mobilen Strukturen) sind mg
lich nur durch eine rigorose Beschrnkung der Mobilitt und
durch die zeitliche Abhngigkeit der mobilen Strukturen von
e inander.
Doch legt die e rwnschte P rgnanz der mobilen Strukturen dem
mus ikalis chen Satz groe Beschrnkungen auf. Wie die Kreis
w e llen u m den ins Wasser geworfenen Stein nur dann s ichtbar
sich ziehen, wenn kein Wellengang sie verwischt , so heben die
mobilen Strukturen vom determinierten T e xt nur dann sich ab ,
wenn in diesem selbst keine zu intensive Bewegung s ic h voll
zieht. Stockhausen selber hat auf den " statischen Zustand " hin
gewie sen, der seiner Meinung zufolge dank der Strungen und
dem nach ihnen hinzugefgten Material in einen dynamischen
Formprozes s s ich wandele. Doch kann man dem nicht zustim
men, denn die sechs Unterbrechungen ndern nichts an der sta
tischen Struktur d e s G e samtgefges ; auch Strungen knnen sta
t i scher Natur sein, insbe s onde re , da im " Refrain " die Konse
quenzen selber statischer Natur sind (fix e , sich wiederholende
Tonhhen der hinzugezogenen Nebeninstrumente, die als Raster
wirke n ) . berdie s hat die Betonung des flexiblen C harakters der
Unterbrechungen eine Reduktion der Sat z - Elemente zur Folge,
wobei diese ebenfalls zur Statik tendie ren. Da zum Beispiel in
den Refrain Banoten fr das Klavier notiert sind, dank wel
cher d ie Unterbrechungen sich vom Text abheben sollen , ist die
Tonhhen - Dimension in den brigen Teilen nur auf die Hhe
beschrnkt, was die strukturelle Entfaltung harmonischer Kri
terien behindert und dem Satz eine nicht unbedingt notwendige
Starrheit verleiht . Auch unterscheiden sich die dichten (fixen)
Strukturen ( in denen keinerlei " Entwicklung " stattfindet) sich
nur durch ihre zeitliche Dicht e . Harmonisch weisen sie zumeist
gebrochene Akkorde auf, die von den e inzelnen Instrumenten in
verschiedener " Richtung " ze rlegt werden. (Bsp. 6 8)
#

etc.
1 14

Dieser Effekt ist aus tonalen Partituren zur G enge bekannt, in


welchen die " Breite " eine s Orchestersatzes durch gebrochene
Akkorde hergestellt wird . Ferner lt an die Reduktion der
Strukturen auf homo- und heterophone Prinzipien die Frage sich
knpfen, ob denn, nur damit einige wenige mobile Strukturen
deutlich von ihrer Umgebung sich abzuheben vermchten, eine
ganze Komposition so starke gestaltliehe Vereinfachungen sich
leisten knne , wie dies im " Refrain " der Fall i st , der ber
groe Strecken hinweg nur aus ausklingenden Akkorden sich zu
sammensetzt, d ie berdies stets von den gle ichen Instrumenten
vorgetragen werden. Die Gefahr , da aus der Vereinfachung
der Sat z struktur um der E rkennbarkeit des Mobilittsprinzips
willen ein rein didaktische s Komponieren sich ergebe, welches
ein reine s Zweck- Hren beabsichtige , lt sich nicht von der
Hand weisen. Auch die Be s chrnkung d e s Tonumfange s auf die
hohe Lage (nur damit die Klav ier- Batne der mobilen Struktu
ren hrbar werden) mu in e inem fast zehnmintigen Werk not
wendigerweise zu bedenklicher Monotonie fhren. Im Falle der
verwendeten Instrumente w irkt diese Lagenbegrenzung zusam
men mit der durchwegs statischen Harmonik (insbe sondere in
den gebrochenen Akkorden) wie bloe s G eklimpe re , hnlich dem
Klang jener Glasinstrumente aus dem Arsenal der chinoiserie s .
Der determinierte Notente xt , der doch als " Grund " fr d ie mo
bilen Strukturen konzipiert wurd e , wird selbe r akzidentiell.

Im Gegensatz zu Beri o s Ci rcle s " ( 1 1 ) ist in Stockhausens


"
" Refrain " der Versuch unternommen worde n, die festgelegten
und die mobilen Strukturen miteinander in Be ziehung zu setzen.
Dabei erzeugt d ie - re in uerliche - Beweglichkeit der let z
teren um s o grere Starrheit d e r ersteren, nur, damit keine
Tautologien entstehen. Dies Phnomen i st bedingt dem der har
monischen Vereinfachung be i wachsender Anzahl der Stimmen in
eine m polyphonen tonalen Sat z zu vergleichen. Nur ist die Hu
fung der Stimmen e in konkrete s Merkmal, whrend die Mglich
keit der Placierung mobiler Strukturen nur ein virtuelles ist.
Hieraus e nt steht fr Verfahren w ie die im .Refrain " augewand
ten ein Widerspruch. Der Satz mu potentiell - aber in seiner
Struktur real - einer Flle mglicher Vernderungen und Ein
flsse standhalten, sie gar integrieren knnen: darob geht er
seiner realen Komplexitt ve rlu stig. Zumindest kann e r keine
konsequente und differenzierte Entfaltung seiner eigenen Ele-

1 1 ) und in vielen anderen Werken, die hier nicht eigens untersu cht werden
knnen. Z . B. : Bo Nilsson, 2 0 Gruppen ( 1 958); Pousseur, Caractres (London
1 96 2); Haubenstock-Ramati, Liaisons (London 1 9 6 1 ) u, a .
115

mente ris kieren. Die S u m m e der M g l i c h k e i t e n aber,


auf die e r - im Idealfalle - von vornherein abge stimmt " ist,

tritt nicht in Erscheinung. Von allen Mglichkeiten wird jeweils
nur eine realisiert. Deren Komplikation mit dem Satzgefge mag
dann vielleicht hrbar s ich vollziehen, whrend die restlichen
Partien d e s musikalis chen Sat z e s vergeblich ihrer Ergnzung zu
harren scheinen und ohne sie lee r , bloer background, bleiben.

In einem anderen Werk Stockhausens, dem . Zyklus ( 1 2) , tritt


das V erhltnis zwischen Mobilitt und Materialorganisation pro
blemati scher noch zu Tage . Die au sfhrliche Beschreibung der
im .,Zyklus angewandten Kompositionsmethoden ( 1 3 ) , die Stock
hau sen selber gegeben hat, mu hier in extenso nicht wiede rholt
werden, weil sie mit keinem Wort auf die Problematik d e s ein
fach unterstellten Zusammenhange s zwischen Indetermination
und G e staltbildung eingeht. Die I d e e seine s Werke s hat der
Komponist wie folgt bes chrieben ( 1 4) : Die Form de s , Zyklus
,.

fr einen Schlagzeuger' i st ein Versu ch , eindeutige und mehr


deutige musikalische Gedanken zu vermitteln. - In einer Folge
von 1 7 Perioden soll stetig zunehmende Vieldeutigkeit der Inter
pretation mglich werden. Es e rgibt sich ein dynamischer offe
ner Prozess; dynamisch, da die Vieldeutigkeit stetig zunimmt,
offen , da die Vieldeutigkeit keine Grenze erreicht und kein Ende
abzusehen ist. Gleichzeitig soll aber jede Zunahme an Vieldeu
tigkeit durch eine V erringerung und Annherung der zu deuten
den Formeleme nte und durch eine entsprec hende Eins c hrnkung
der Verknpfungsge setze aufgewogen werden. " In die se Be
s chre ibung mischen sich, neben offensichtlichen Widersprchen,
Behauptungen , die fragwrdig werden, vergleicht man sie nur
mit ihrer Durchfhrung in der Partitur. Obwohl ,.eindeutige und
mehrdeutige musikalische Gedanken " vermittelt werden sollen,
wird die stetig .. zunehme nde Vieldeutigkeit " von vornherein als
eine der I n t e r p r e t a t i o n bezeichnet: als Kriterium formaler
Artikulation wird sie also nur uerst bedingt konzipiert. Denn
noch soll aus ihr ein ,. dynamischer offener P ro z e s s " ergeben,
da d ie Vieldeutigkeit ., stetig zunimmt . Stockhau sen zufolge soll
aber .. jede Zunahme an Vieldeutigkeit durch eine Verringerung
und Annherung der zu deutenden Formelemente und durc h eine

1 2) Karlheinz Stockhausen, Nr. 9 Zyklus fr einen Schlagzeuger, London


1960

1 3) Stockhau sen, Schriften II, S . 7 4 ff

1 4 ) Stockhau sen, Schriften II, S. 74


116

e nt s prechende Einschrnkung der Verknpfungsge setze " kom


pen siert w erden, wodurch der Proze s s einer zunehmenden Viel
deutigkeit ohnehin s ic h s e lber aufhebt . berdie s bedeutet die
Zunahme von Indetermination das G e genteil von Dynamik: Entro
pie . Offen soll, laut Stoc khau sen, der Proze s s sein, ,. da die
Vieldeutigkeit keine Grenze e rreicht und kein Ende abzu sehe n
i st " . Da sie eine Grenze e r reicht , i st bei einer be schrnkten
Anzahl v e rtau schbarer Elemente mathemati sch leicht zu b e
wei sen; ob V ieldeutigkeit ein Ende erreichen knne , ist fr die
Formentwicklung ohnehin bedeutungslo s , denn Vieldeutigkeit (die
sich im Falle des " Zyklus " als Indetermination und nicht im
G e ringsten als idiomati sche Vieldeutigkeit entpuppen wird).kann
man nicht hren - wahrnehmbar sind Tne und Strukturen, nicht
aber stati stische Anordnungs plne , denen s ie ihren Platz ver
d anken. Stoc khau sen denkt zwei voneinander v llig unabhngige
Kategorien zusammen, die sich kompositorisch nicht ve rmitteln
las se n : die der indeterminierten Placierung von Elementen und
die der Entfaltung oder Bes chrnkung musiksprachlicher , struk
turbildender Kriterien. Da ihrer Struktur nach vieldeutige mu
sikali sche G estalten die Flle der ihnen innewohnenden Be zie
hungen durch ihre variable Kombination manife stieren knnten,
ist einsichtig. Da aber um einer Vield eutigkeit der Interpre
tation willen (die in der Formstruktur nur als Indetermination -
als Beliebigkeit der Anordnung - sich niederschlgt) die Ver
knpfungsgeset ze (au s deren voller Entfaltung doch e r st struk
turelle Vieldeutigkeit resultieren knnte) einge schrnkt und die
vielfltigen Eleme nte verringert und einander angeglichen w e r
den ms sen, e r scheint a l s Wider spruch in sich.

Stoc khau sen zieht aus seinen berlegungen folgenden Schlu ( 1 5 ) :


" Dadurch wird die dynami sche offene Form zuglei ch e ine sta
tische , ge schlo ssene; stati sch, da jede Zunahme an Vieldeutig
ke it durch eine e ntsprechende Ein s chrnkung an V erknpfung s
ge s etzen und Formelementen kompensiert ist; ge schlossen, da
die nach beliebiger Fort setzung strebende Vieldeutigkeit ihrem
( eindeutigen) Ursprung hnlich und s chlielich ganz verwandt
wird, so da die Form sich kreisfrmig - , zykli sch' - schliet. "
All dies ist der logische Schlu au s Prmissen, die darum falsch
sind, weil die Zunahme von Indetermination nicht im Gering
sten ein formbildender Vorgang i st , wenn sie lediglich die belie
bige Austauschbarkeit e inzelner Eleme nte durch den Interpre-

1 5 ) Stockhausen, ibidem
1 17

ten meint. Koenig hat ( 1 6) , in der w ohl przise sten bisher vor
getragenen Unte rsuchung zum Zusammenhang zwischen Inde
termination und seriellem System, ausgefhrt ( 1 7 ) : Der Zufall
"
wird also e r st wirksam, wenn unter den gleichen Voraus setzun
gen immer wieder neue Ents cheidungen fallen, deren Einzel
heiten ungewi bleiben. Zufallsereignis s e die s e r Art kommen in
der Musik praktisch nicht vor; und wenn man mit ihnen operie
ren w ollt e , w ren die Resultate musikali sch unsinnig. Der re
duzierte Zufall hingegen spielt eine Rolle. Wir wollen darunter
die einmalige aleatorische Entscheidung innerhalb eines Feldes
mglicher Entscheidungen verstehen oder doch so wenige Ent
scheidungen, da der Zufallscharakter e mpirisch nic ht in Er
s cheinung t ritt; der Zufall lenkt zwar, wird aber nicht als sol
cher e rkannt . Eine Rolle spielt natrlich auch der scheinbare
Zufall, also der chaotische Aspekt einer nicht j ederzeit erkenn
baren Regelhaftigke it . Die Wirkungsweise, abe r auch d ie Frage,
ob berhaupt eine Wirkung eintritt, hngt von mehreren Fak
toren ab. Wir konstruieren hierfr ein Dreieck , dessen drei
Punkte Komponist, Interpret und Hrer heien . "

Unter den aus die s e m Dreieck resultierenden Mglichkeiten, von


denen Koenig vier symptomati sche aufzhlt, sind zwei in Bezug
auf den " Zyklus " und sein Programm von Interes se ( 1 8) :
Der Komponist t rifft definierte Entscheidungen,
der Interpret kann in G raden darber frei ent s c heiden,
der Hrer glaubt . . . , ein definiertes Ereignis zu hren;
der Komponist wrfelt ,
der Interpret wrfelt ,
der Hrer glaubt , e inen streng definierten Zusammenhang
zu hren. "
So wird an Stockhau sens Ausfhrungen fraglich, wie denn die
" dynamische offene Form zugleich eine statische , ge schlosse
ne " w e rden knne. Hrbar ist in j edem Falle nur d ie Reduk
tion vieler Klangelemente auf wenige und die Einschrnkung an
Verknpfungsgeset zen. Der theoretische R e st deckt sich nicht

1 6 ) Gottfried Michael Koenig, Musik in ihrer technischen Rationalitt, Vier


Referate anllich der Internationalen Musikwoche 1 96 1 der , Stichting Gau
deamus, Bilthoven' vom 2 . -9. September des Jahres; als Manuskript von der
Stiftung verffentlicht; S . 14, Kapitel Aleatorik und serielles Komponieren

1 7 ) Koenig, a. a. 0 . , S. 2 0

1 8 ) Koenig, ibidem
1 18

mit der komponierten Form. So i st nicht auszumachen, warum


denn die Vieldeutigkeit " nach beliebiger Fortsetzung " s t r e b e .
Ungeachtet der Tatsache, da der Entropie satz das Gegenteil
behauptet, wird in jener Be s chreibung vorgetu scht , komposito
rische Entscheidungen seien Naturvorgnge; der Formplan wird
zum Naturereigni s , dessen E ntfaltung durch ihm innewohnende
Krfte gewi s s e rmaen von s elbst sich vollzieht. Anders ist die
Vokabel streben " , solange sie sich auf Materialzu stnde be
"
zieht, nicht zu deuten. So unablssig und ntzlich auch heute
physikalische Erkenntni sse fr eine grndliche Kenntnis de s
musikalischen Materials sind , so oberflchlich ist e s , den Kau
salitt sbegriff der Phy sik in musikalische Zusammenhnge ber
tragen zu wollen. Knstlerische Form und Naturproze sse haben
nichts miteinander gemein . Verstndlich ist, da Reisenberg
sich deutlich ( 1 9) von Stockhau sens unkritis cher Anlehnung an
neue Physik distanziert haben soll. Weit nmlich ist die knstle
rische Form davon entfernt, aus s chlielich durch die Material
struktur der Elemente determiniert zu werden , in welchen sie
s ich gleichwohl materialisiert.
Im " Zyklus " kann der Interpret mit einer beliebigen der 1 7
Perioden beginnen, um mit den folgenden so lange fortzufahren,
bis er bei der ersten wie<ie r angelangt ist. Das Klangmaterial
ist zyklisch ve rteilt. 9 Klangkategorien nehmen in Form von
Accelerandi zu und in Ritardandoform wieder ab. Sie haben ver
schiedene Anschlagshufigkeiten (Kl . Trommel, 1 1 Anschlge;
Schelle n , 1 3; Triangel 1 7 . . . bis: rimshot s , 4 1' Anschlge ( 2 0 ) ) .
Die Dichtemaxima verteilen sich auf verschiedene Zeitpunkte,
der Zunahme - und Abnahme - Vorgang j eder Klangkategorie e r
streckt sich fast ber d i e ge samten Perioden, so da sich ein
quasi- zyklischer Vorgang ergibt ( 2 1 ) : ( Bsp. 6 9 )
Dichte maxima.
----- .q
:-<:> ....<?
(\>->
..oe 1A

f/.."9)
------

Dichte minima
1 9 ) Cf. H. H. Stuckenschmidt, Am Kreuzweg der Neuen Musik, Bemerkun
gen zu den theoretischen Schriften von Karlheinz Stockhausen, in: Frankfur
ter Allgemeine Zeitung vom 30. Mrz 1 96 5 , 2. Spalte des Artikels.

20) Cf. Stockhausens Zyklu s-Analyse, Schriften II, S. 7 6 ff

2 1 ) Die Tabelle, in welcher Stockhausen (a. a. 0 . , S. 77) jene Dichtemaxima


beschreibt, stimmt jedoch mit der Partitur nicht berein. So befindet sich
das Guero-Maximum nicht in der 9 . , sondern erst in der 1 0 . - l l . Periode, das
1 19-

Diese neun Zyklen, deren einzelne Anschlagsreihen sich ber


lagern, bilden einen " Skelettzyklus " , der festgelegt i st. Zwi
schen die einzelnen Anschlge sind nun - zunehmend frei - an
dere Klangelemente (Ele me nte eines v a r i a b l e n Zyklu s) ein
zusetzen, wobei neun Strukturtypen existieren, deren Form zu
nehmender Unbestimmtheit sich verdanken soll. Stockhausen be
schreibt sie wie folgt (2 2):

1) alle s ist fe stgelegt (Skelettzyklus);


2) aus zwei bis fnf Systemen ist eines auszuwhlen, wobei des
sen Struktur - der Vieldeutigkeit wegen - rhythmisch etwas
weniger " be stimmt .. formuliert ist;
3) Eine innerhalb e ines Rechtecks notierte Folge von Elementen
ist frei permutierbar. Alle Elemente mssen gespielt und an
vorbe stimmte Punkte in den Skelettzyklus eingesetzt werden
( Bsp. 7 0) :

Elemente x y w z v ...

Zeit

4) Die Elementfolge ist unbestimmt (wie bei 3 ) " ) und die Ein
,.

satzstellen fr das Material sind ebenfalls (innerhalb der


durch die Vertikalen des Rechtecks bestimmten Grenz en) un
bestimmt. Statt Einzelelementen existieren Element-Gruppen
(Bsp. 7 1 ) :

B

Tamtam- Maximum, welches sich in der 13. Periode finden soll, erscheint in
Marimba-Maximum erscheint statt in der 1 1 . in der 1 2. und 1 4 . Periode. Das

der 10. Periode; in der 1 3 . kommt das Tamtam hingegen berhaupt nicht vor
etc . . .. Es ist bei solch offensichtlichen Unkorrektheiten kaum mehr ersicht
lich, worber denn die suberlich gezeichneten Tabellen der Analyse auf
klren sollen; ber die musikalischen Zusammenhnge eines Werkes oder
ber Wunschtrume einer Theorie, die sie nur deskriptiv, nicht aber kompo
sitorisch verwirklicht.

22) Diese Typen werden hier nur sehr knapp beschrieben, da sie (Stock
hausen, Schriften li, S. 77 ff) in der Stockhausensehen Zyklus-Beschreibung
ausfhrlich behandelt und mit Beispielen verdeutlicht werden.
120

5) Wie " 4) " , statt Gruppen existieren nur Punkte;


6) Wie " 4 ) - 5 ) " (Bsp. 7 2 ) :
die Punkte und Gruppen mssen alter Punkte

Zeit
nierend einge setzt werden:
PGPG . . . G PGP etc. ;

Gruppen

7) Die Rechtec ke , welche die Elemente umfassen, werden zeit


weilig erweitert, wobei die in der Erweiterung befindlichen
Elemente nur innerhalb der ihnen gesteckten Grenq,en erklin-
.:---:
.
gen drfen ( Bsp. 7 3 ) :
..
.

.
.

: :
I ., o .
.

Zeit

8) Wie " 2) " , statt eines von mehreren Systemen wird jedoch
hier eines von zwei Element- Feldern gespielt.
9) Einzelne Parameter (Tonhhe, Intensitt, Rhythmu s , zeitliche
Dichte) sind indeterminiert , gleichzeitig aber durch Global
kriterien begre nzt .

Diese Aufstellung tuscht vor , da die Grade der Indetermina


tion formal s innvoll zunehmen um s ich, wie Stockhausen erlu
tert ( 2 3 ) , in die Determination zurckzuwenden. Tatschlich er
wecken die M e c h an i s m e n der Auswahl den Eindruck, in
ihnen entfalte sich ein kompositori sche s Prinzip, welches die
Entwicklung der Form begrnde. Doch sind dabei Material und
Syntax verwechselt worden. Betrachtet man die 9 Strukturtypen,
so ergibt sich, da sie sich ausschlielich gem morphologi
scher Krite rien voneinander unterscheiden, die mit dem vari
ablen Prinzip nichts zu tun haben und genauso gut Kriterien einer
in allem festgelegten Form sein knnten.

1 ) Alle s ist fe stgelegt;


2) Kontinuierliche Vorgnge ( z . B . Accelerando - Ritardando von
Beckenschlgen, alte rnierend mit ausklingenden Punkten )

23) Stockhausen, Schriften II, S. 7 4


12 1

3) Kleine Einhe iten von Eleme ntgruppen (die aber auch schon in
"
" 2) erscheinen); die Einsatzabstnde dieser Gruppen haben
einfachste rhythmi sche Ge stalt ( Ace. - Rit . ; ganzzahlige Pro
portionen)
4) Nur Klein-Gruppen ohne regelmige Gruppenfolge
5) Punkte
6) Punkte und Gruppen alternieren
7) Punkte und Gruppen alternieren nur zeitweilig
8) Nur Punkte oder nur Gruppen erklingen
9) Kontinuierliche Vorgnge haben eine statistische Struktur.

Ein jeder Typus von Variabilitt wird also mit je einem einfa
chen morphologischen Kriterium ( 24) identifiziert; nur durch
dieses unterscheiden die Typen sich voneinander. Da Variabili
tt als K a t e g o r i e nicht hrbar i st - geschweige denn ihre Zu
oder Abnahme - erklingt der Zyklu s wie jedes andere festgelegte
Werk. Teilweise herrschen period ische , teilweise aperiodische
Rhythmen vor. Streckenweise dominiert ein Instrument, strek
kenweise treten mehrere ins Spiel ein . Nicht s , was nicht mit
den allgeme insten Grundstzen traditioneller serieller Verfah
ren bereinstimmte.
Damit jedoch die Idee zunehmender Indetermination berhaupt
s ich realisiere, wird das Prinzip der Determination mit ein
fachen rhythmischen Formen identifiziert. Die Elemente des
Skelettzyklus nehmen in Form einfacher accelerandi zu und in
Form einfacher ritardandi ab ( . etc . ) .

Ebenso erklingen i n den Strukturtypen, die noch relativ deter


minie rt wirken sollen, accelerandi, ritardandi oder " einfache
ganzzahlige Rhythmen " ( z . B. im Strukturtyp 2 ) . Zunehmende
Unbestimmtheit wird durch zunehmende Aperiodizitt zu reali
sieren versucht. Da aber in " unbe stimmteren " Strukturtypen
die Rhythmik selber der Entscheidung des Interpreten anheim
ge stellt wird , ist keine Gewhr dafr gegeben, da die Identifi
kation Periodik = Determination , Aperiodik Unbestimmtheit
=

24) Intere ssant hierbei ist, da vorwiegend das E r s c h e i n e n bestimm


ter G estaltcharaktere (Punkte , Gruppen etc . ) eine Rolle spielt und erst in
zweiter Linie das Verknpfungsprinzip, welches dann auch meist sehr einfach
(A- B-A etc . ) ist. Die Exposition von Material verdrngt, wie in vielen va
riablen Werken, die Komposition.
122

berhaupt mglich sei. In vorliegenden Versionen des Zyklus (25)


entsteht ohnehin der Eindruck, da die Interpreten Passagen,
deren rhythmische Gestaltung ihnen anheimgestellt ist , quasi
jazz-artig interpretieren. Die entgegenge setzten Kategorien fal
len dabei ineinander und das Vorhaben ihrer Vermittlung wird
zur Tautologie . Teilwei se w ird das Schema der Periodi zitt so
verdeckt, da seine gliedernde Funktion nicht mehr deutlich ist;
teilweise auch greifen Periodizitt und Aperiodizitt derart in
einander, da man sie nur noch auf dem Papier voneinander
unterscheiden kann. Demgegenber bleibt die " zyklische " Zu
und Abnahme der Klangfarbendichte (innerhalb des Skelettzyk
lus) eine reine uerlichkeit. Vie lleicht wird darum die formale
Deutlichkeit durch ein optisches Hilfsmittel her zustellen ver
sucht. Die Instrumente sind im Kreise aufgestellt. , so da der
Interpret im Verlaufe einer Ve rsion sich einmal um seine eigene
Achs1 ht.

Die Kategorisierung von Determination und Indetermination, wie


auch die Zuordnung beider zu bestimmten Strukturtypen, haben
ihre methodischen und ge staltliehen Konsequenzen. Denn damit
die beiden Kategorien sich entfalten , werden die mit ihnen iden
tifizierten Strukturtypen nur exponiert , nicht aber formal ent
wickelt . Der Zwie spalt zwischen Komposition und Organisation,
welchen Stockhausen in den ,. Gruppen fr drei Orchester " noch
genuin gelst hatte, wird im Zyklus eindeutig zugunsten bloer
Organisation verdeckt. So werden zum Beispiel die neun ver
schiedenen .,Skelett " - Reihen einfach - phasenverschoben - mit
einander berlagert. Zwischen ihren nun einander abwechseln
den Elementen w ird jedoch keinerlei kompo sitorische Be ziehung
hergestellt, kein Kontinuum vermittelt zwischen ihnen, keine
zwisc hen sie geschobenen - vieldeutigen - Strukturen vermittel
ten zwi schen den e inzelnen Elementen. ( Bsp. 74)

(--VVV
.----1
.
"""- ------
.... .
,"-->)
Die Reihe als Organisationsschema dringt an die Oberflche der
Konstruktion, - ohne dadurch schon selber differenzierte Form
sein zu knnen. Zur Charakterisierung der 9 Zyklen werden die
Klangfarben, die einen jeden bestimmen, deutlich voneinander
unterschieden. Darber hinaus mssen sich die aus diesen Far
ben komponierten Ge stalten von denen der variablen Strukturen

25) Verschiedene Versionen des Zyklus sind auf Schallplatten eingespielt,


.
T1me- Records No. 58001 und Wergo No. 6001 0
123

deutlich untersche iden, in welchen die gleichen Klangfarben ver


wendet sind. So ist zum Beispiel definiert, da - um der Unter
scheidbarkeit von den variablen Teilen willen - die dem Skelett
zyklus angehrenden Vibraphon- und Marimbaphon- Anschlge
stets durch G 1 i s s a nd i verdeutlicht werden sollen. Da diese
Glissandi abstrakt eingesetzt werden und nicht au s musiksprach
lichen, gestaltliehen oder strukturellen Zusammenhngen ent
stehen, da sie ihrem Kontext nicht verwoben werden, sondern
einfach nur als Elemente des Skelett zyklus exponiert sind, wir
ken sie - die doch fr Determination einstehen sollen - rein zu
fllig . In ihrer Ble erwecken sie den Eindruck beliebig ein
geset zter Effekte, wie sie berdies stets an die Glissandoeffekte
au s Tanzmusik gemahnen. Doch s ind sie im " Zyklus " zur for
malen Sttze, zum wesentlichen Bestandteil des Skelettzyklus
gemacht; es sind ihrer ungefhr 7 0 . Wo die Zunahme (acc. )
oder Abnahme (rit . ) dieser Glissandi (an den Stellen der Maxi
ma) deutlich als rhythmi sche G e stalten hrbar werden, da w ird
nicht der formale Plan sinnvoll realisiert. Hingegen wird das
abstrakte Organisationsprinzip in seiner gewaltmigen Reali
sierung zur Ges chmacklosigkeit. (Cf. z. B. die Pe rioden 5, 2 .
Hlfte; 6 , 2 . Drittel; 8; 9 ; 1 0; 1 1 ; 1 2 ; 1 3; 1 4; 1 5 ) ( 2 6 ) . Es sind
diese Gestalten , deren Hufung man hrt - nicht aber die fiktive
" nach beliebiger Fortsetzung strebende Vieldeutigkeit " , nicht
der dynamische offene Proze s s , der gleichzeitig als statische
geschlos sene Form sich darstellen soll, und auch nicht die Ver
mittlung eindeutiger und mehrdeutiger mu sikalis cher Gedanken.
Angesichts der tatschlich erklingenden mu sikalischen Figuren
mu man die Frage nach der Vieldeutigkeit vergeblich stellen.
(Bsp. 7 5 , Periode 8, Vibraphon- Glis sandi)

hnlich w ie mit der G lis sando -Reihe verhlt es sich mit den an
deren Reihen des Skelett- Zyklus. Die 1 0. , 1 1 . und 1 2 . Periode
sind zum Beispiel mit Glis sandi auf dem Guero durchset zt , nur
weil die Klangfarbe dieses Instruments dort das ihr zuge wie
sene Dichtemaximum absolvieren mu . Musiksprachlich oder

26) Da die Seiten des Z yklus nicht numeriert sind, werden die Perioden

der Doppelseite befindlichen Periode (Per. 1) an gezhlt.


hier (wie auch in Anm. 2 1 ) , wie in Stockhausens Analyse, von der unteren auf
124

formal leuchten diese unergiebigen Ge staltelemente jedoch nicht


ein. Das Herumreiben auf d e m Guero lt sich zwar seriell mit
Akribie determinieren, doch hrt man nur ein undifferenziertes
Gerusch, das sich gegen alle serielle Subtilitt sperrt.
(Bsp. 7 6, Per. 1 0 bis Per. 1 1 Anfang)

Desgleichen liee an der Triangel- Reihe sich aufweisen, deren


Anschlge teils ebenfalls im Accelerando- Ritardando- Schema
erklingen (Bsp. 7 7 , Per. 6 ) :

aLrZ.
T!....T
..LL..L

Die Abwesenheit kompositorischer Vermittlung, die durch das


sche matische Formgerst gerechtfertigt sein soll, lt zwei
Unzulnglichkeiten der Konzeption klar zutage treten. Die erste
entsteht aus der Opposition von Determination und Indetermina
tion, der zu verdanken ist , da zur Artikulation der Groform
lediglich Reihen und zur A rtikulation der Strukturen lediglich
Materialre servoires abgespult werden. Die zweite ergibt sich aus
dem unvermittelten Umschlag diese s schematischen Reihenpla
nes in klingende Gestalt. Die Zuordnung eines Instruments (oder
einer Spie lart) zu jeder der 9 Reihen des Skelettzyklu s , welche
rein schematisch vollzogen wird , trgt dem Charakter der ein
zelnen Klangfarben keinerlei Rechnung. Organisatorisch und in
den Tabellen mag das nicht weiter stren; kompositorisch je
doch fhrt es zu jenen grobe n Vereinfachungen und Effekten, wie
sie an den Vibra- Glis sandi, d en Guero- Reibereien und den Tri
angel- Ritardandi darge stellt wurden. Erinnert man sich nur der
Funktion des Triangels in Opernpartituren, so i st e s peinlich,
des sen Klang so beraus hufig in einer Komp' s ition wiederzu
finden, die s icherlich as sotiationsfrei gehrt werden mcht e .
Dabei i st gegen die Verwendung solcher lnstrumefite nichts ein
zuwenden, sondern nur gegen die Art, wie sie s ich vollzieht ( 2 7 ) .

2 7 ) E s ist erstaunlich, da Stockhausen, der erstmals die serielle Gleich


berechtigung der Parameter kritisierte, weil sie geschichtlich nicht gleich
differenziert sind, und daraus die kompositorischen Konsequenzen (in den
125

Das Miverhltnis zwi schen organisatorischer Widerspruchs


freiheit und Klangge stalt , welche s sich aas der abstrakten Kon
zeption instrumentale r Kategorien (28) ergibt , spiegelt sich in
der rhythmischen Konzeption. Denn auch Periodi zitten, Acce
lerandi und Ritardandi, die das ganze Werk durchsetzen (29) ,
vermgen kaum als Kriterium fr Determination abstrakt emp
funden zu werden. In er ster Linie s ind sie e infache Gestalten,
nicht minder anekdotisch als jene Accelerandi und Ritardandi
der frhen musique concrte , die durch auf den Boden gewor
fene und dort bis zum Stillstand au skre iselnde Metallscheiben
und Tonbandspulen er zeugt wurden.
Dem Skelettzyklus i st der Zyklus zunehmend indeterminierter
Struktu ren be rlagert , der in ste igendem Mae eine " Verrin
gerung und Annherung der zu deutenden Formelemente " und
eine " Ein schrnkung der Verknpfungsge setze" vorsieht . Doch
kann er darum aus der Struktur seiner G e stalten fortlaufend
we niger Kriterien ableiten , die zur Vermittlung zwischen den
Elementen des Skelett zyklus und zu deren V e rmittlung mit dem
variablen Zyklus d ienen knnten. Die kompositorische Kontrolle
bes chrnkt sich also auch hier auf die Exposition von Elemen
ten und die kategorische Konzeption der Indetermination ver
hindert , da diese Elemente in realen, der Wahrnehmung u
gnglichen Dimens ionen miteinander vermittelt werden. Im Ge
gen sat z wird die elementare Vie lfalt reduziert und die Syntax
beseitigt. Da ein zelne Eleme nte (des variablen Zy klu s) ver
tau scht werden knnen, spielt dabei !:eine Rolle und hat , wie aus
der Be schreibung der Strukturtypen he rvorging , keine formale
Funkt ion . Paradox ist, da anstelle der vom Komponisten pro
klamierten Vieldeutigkeit genau das Gegenteil re sultiert: Belie
bigkeit. Denn bei schwindenden formbildenden Krite rien und bei
zunehmend einander angleichenden Elementen ist es bedeutungs
los , in welcher Reihenfolge man sie prsentiert .

Zeitmaen und den G ruppen) zog, mit einem der empfindlichsten Parameter,
der instrumentalen Klangfarbe, so schematisch verfhrt, als ob dieser auer
halb aller geschichtlichen Entwicklung stnde.

28) In der instrumentalen Fassung der Kontakte ( 1 960) ist dieser Sche

matismus aufgelst. Die Instrumentalklnge sind dort in einen komplexen


elektronischen Kontext verwoben, der sie - elektronisch - miteinander ver
mittelt.

29) C f. Periode 2, Hihat; Periode 3, ( ) - Struktur und Schlu; Periode 4,

u. a. ; Periode 1 0, Tamtam; und sofort.


Hihat; Periode 6, Triangel und Vibraphon; Periode 8, Vibraphon und Tamtam;
126

Der Zusammenhang zwi schen Indetermination und komposito


ris cher Methodik, wie er an e inigen Aspekten des " Zyklus " er
lutert wurde , hat seine problemati schen Konse quenzen fr d ie
Werkge stalt , wenn die Indetermination als strukturbildende Ka
tegorie aufgefat w ird , die - wie gemeinhin Gestalt- Kriterien -
mus ikali sche n Sinn erzeugen soll. Denn d ie Zuordnung einzel
ner Strukturformen zu bestimmten Graden der Unbe stimmtheit
bleibt willkrlich. Im " Zyklus " erzwingt die Verwendung d e s
Zufalls als Kategorie uer ste gestaltliehe Ve rgrbe rung und
Schematisierung - sie erheischt gleichsam einen formalen Neo
klassizismu s , nur um s iCh, verd inglicht, im Werk behaupten zu
knnen. Das kompo sitoris che Intere sse hat sich auf ve rschie
dene Formen der Vertauschbarkeit ve rlagert und darber ver
gessen, ihr in der Komplexitt und Vieldeutigkeit der Struktu
ren formale Funktion zu verschaffen. Tatschlich wren ganze
Pas sagen des Zyklus spontan in der Improvisation herzustelle n
( 3 0 ) . Die gleichzeitig mit der wachsenden gestaltliehen Verein
fachung zunehmende Indetermination verhlt der Struktur gegen
ber nicht sich dialektis ch. Denn wo - als Re sultat unbe stimm
ter Strukturordnung - nur j e eine Ver sion in e iner Auffhrung
realisiert wird , bleibt als hrbares Kriterium die zunehmende
Simplizitt, - nicht der variable Apparat, der sie bedingt . ( 3 1 )
Darin macht sich die Dialektik des Zufalls geltend - allerdings
gegen die Konstruktion. Strukturge stalt und mgliche Struktur
ge stalt sind nicht nach e inem Ve rfahren zu organisieren, wel
che s , anstatt die Wider sprche zu schlichten, sie mit se riellen
Schemata berdeckt. Die Probleme , welche bisher an den We r
ken Boulez', Stockhausens und Berios errtert wurden, finde n
sich in hnlicher Form bei vielen anderen Komponisten, unter
welchen - par s pro toto - Kagel, Haubenstock- Ramati, Nilsson ,
Otte, Pousseur, Bussotti, Evangelisti z u nennen wren. Wenn
auch diese Probleme in den einzelnen Werken der Komponisten
verschiedene Deutungen erhalten haben, so kehren sie doch in

30) Periode 1 6/17 zum Beispiel. Fortschrittliche Jazz- Schlagzeuger be


wegen sich tatschlich schon improvisatorisch im gleichen Idiom wie der
seriell vertrackte Zyklus. Jacques Thollot wre als ein Beispiel unter vielen
zu nennen .
31) D a dieser variable Apparat als Strukturtypus gedeutet wird, liegen
denn auch (bei den Typen zunehmender Indetermination) offensichtlich Ver
wechslungen vor, die das gesamte Konzept fragwrdig erscheinen lassen. So
behauptet Stockhausen (a. a. 0., S. 94 f) , der neunte Strukturtypus sei vieldeu
tiger als zum Beispiel der fnfte . Er leitet dies aus der Wahlfreiheit her,
obwohl formal der fnfte Typus we sentlich vieldeutiger ist. Die Vieldeutigkeit
der Strukturbeziehungen kann man vielleicht hren, Wahlfreiheit hingegen
bleibt eine private Absprache zwischen Komponist und Interpret.
127

ihren Grundzgen unverndert wieder. Die oft gnzlich vonein


ander verschiedenen Partitur- Bilder sollten nicht be r die Ge
mein samkeit der Proble me hinwegtuschen, an deren Lsung
recht vie le Partituren scheitern.

Die Probleme , die sich aus dem Zusammenhang zwi schen Inde
termination und Struktur ergeben, lassen sich zusammenfassen
in Probleme der

Strukturdetermination (syntaktische Determination des Struk


turcharakters oder Determination durch die bloe Auswahl
eines begrenzten Klangmaterials.

Struktur- Qualitt ( Bei zunehme nder Indetermination der Struk


turelemente entsteht die Frage nach der Unvorhersehbar
keit des Resultat s, woraus sich die zunehmende Unkontrol
lierbarkeit der Struktu r- Funktion ergibt, selbst wenn die
Struktur als ganze nicht mobil, sondern im Formverlauf
fixiert i st);

kontextuellen Funktion der Struktur (Dieses Problem ergibt


sich aus den beiden ersten.)
1 . Bei przise definierter Syntax (Element- Zusammenhang)
entsteht das Problem der Integration in verschiedene
Kontexte (bei mobilen Strukturen) .

2. Bei bloer Definition des Materials ohne Przision der


Syntax entsteht dazu noch d ie Frage nach der s p e z i f i
s c h e n Funktion der Strukturen entweder i n Be zug auf
einander oder in Be zug auf einen determinierten Kontext.

3 . Bei zunehmender ,. inner struktureller " Indetermination


entsteht die Frage nach der Kontrollierbarkeit mgli
cher - nicht mehr przise vorhersehbarer - Versionen
und darber hinau s die Frage , ob die Transplantation
indete rminierter Strukturen musikali sch nicht s innlos
sei, da doch, was selber unbe stimmt i st , kaum in sei
nen Konsequenzen s ich vorhersehen lassen knne .

Global lt zu diesen Fragen sich feststellen, da bei zunehmen


der Unbe stimmtheit 1 . und 2. Grade s ( 1 . = Mobilitt , 2. =Varia
bilitt) d ie musikalis che n Kontrollmglichkeiten rapide s chw in
den. Schematisch liee das Verhltnis zwischen Indetermination
und Formkontrolle sich etwa so darstellen:
1 28

G ro- Form Strukturen Kontrollmglichk.


1 ) total determin. -- tot . determin. ---- maximal
2) determiniert --- partiell variabel -- relativ gro
(einzeln ver-
tauschbare Elem. )
3) indeterminiert -- determiniert ---- stark eingeschrnkt
(mob . Strukturen)
4) indeterminiert --variabel ( s . o. )-- sehr stark einge
schrnkt; kaum noch
mglich
5) indeterminiert indeterminiert bei zunehmender
struktureller Inde
termination gar
nicht mehr mglich.
Als Zusatz zu " 2 ) " liee s ich angeben: Form determiniert,
=

Strukturen indeterminiert. Doch i st die se Aufstellung unsin


=

nig, da auch wenn man den Zufall in suberlich gemes sene Sek
tionen aufteilt , noch kein Zusammenhang entsteht. Da also in
diesem Falle kein kontraHierbarer Strukturzu sammenhang exi
stierte, w rde auch eine Morphologie der Form nicht mglich
sein, selbst, wenn dies den Anschein erweckt . Praktisch i st
d iese Kategorie also mit de r fnften des Schemas identisch.

Die Frage nach der kontextuellen Funktion, die sich aus der
Unter suchung variabler Strukturen in den letzten drei Kompo
sitionen ergab, brachte das Problem der Klanggestalt nur ver
mittelt zur Sprache. Gemeinsam i st den drei Kompos itionen ,
da sie d ie Mobilitt und V ariabilitt der Strukturen (den ge
samten Bereich der Indete rmination also) durch d ie Vereinfa
chung der Gestaltkriterien zu kompensie ren trachten. Dadurch
soll e in e infaches Be zugssystem he rge stellt werden, innerhalb
welchem die weniger determinierten Kriterien s ich auswirken
knne n, ohne das G anze dem Zufall anhe imzugeben. In Berios
" C ircles " wurde dem zunehmend indeterminierten Gefge e ine
immer einfachere Strukturgestalt gegenberge stellt , die gewis
sermaen den in den variablen Partien sich vollziehenden Ab
bau syntakti scher Differenzierung in den verbindlichen Noten
text bernahm. - Stockhau sens " Refrain " , in welchem die mo
bil- variablen Strukturen d ie Funktion einer Unterbrechung erfl
len, reduziert die Struktur des festliegenden Textes auf starre ,
harmonisch stati sche Konstellationen, die wie e in Raster klin -
1 29

gen , in welchen dann pr zisere Formkriterie n erst noch einzu


tragen w ren. - Im " Zyklu s " wird , um den variablen Prinzi
pien scheinbare Funktion zu verleihen, die determinierte Gro
form auf e . i n einfachstes Reihenskelett reduziert ,welches den in
determinierten Strukturen gegenberge stellt wird , ohne da aus
den ihm innewohnenden Kriterien Konsequenzen gezogen wrden;
andererseits begibt d ie bei Stoc khau sen theoretisch geforde rte
Vieldeutigkeit der variablen Strukturen sich ihre s eigenen An
spruchs , da die Kriterien, welche als Vorbedingung fr Viel
d eutigkeit gelten: Reichtum der musikalischen Elemente und
Mannigfaltigkeit der Verkopfungsge setze , den Strukturen zu
nehmend um der bloen Vieldeutigkeit der I nte r p r e t a t i o n
entzogen werden.

Vielen anderen Stcken hnlicher Struktur haben die be sproche


nen drei Werke voraus , die Frage nach der formalen Funktion
der Unbe stimmtheit zumindest berhrt zu haben. Doch ist in
variablen Konzeptionen diese Funktion nur dann herzustellen,
wenn im umgekehrten Verhltnis zur zunehmenden Indetermi
nation einzelner Strukturen d ie Struktur der Ge samtform sich
vergrbert und an Differenzierun g verliert. Ob jedoch ein Kom
ponist diesen hohen Pre i s zahlen mchte, nur um durch Indeter
mination skriterien se ine Werke auf die Hhe des Zeitge schmacks
zu bringen, mu seiner eigenen Urteilskraft anheimgestellt blei
ben. Theorie kann lediglich auf die Konsequenzen aleatorischer
Verfahren hinweisen; keine sfalls hat s ie verbindlich fe stzulegen,
wie denn rechtens zu komponieren sei.
1 30

VI. Strukturelle Indetermination und Klanggestalt

,. La confusion tait la libert; tant6t le


plus habile, tant6t le plu s fort 1' empor
tait.
Saint-Just

So sehr Untersuchungen zum Problem formaler Kontrolle und


struktureller Funktion ber den Verdacht erhaben scheinen, die
Theorie unter das Joch de s G e schmacks beugen zu wollen, so
sehr luft die Frage nach der Klanggestalt, deren Aspekte i m
Folgenden untersucht werden sollen, Gefahr, von den bedin
gungslosen Adepten musikalischer Zufalls- Moden als reaktionr
angeprangert zu werden. Der vo ihnen bewunderte John Cage
hat das Dogma eines als substantiell zu betrachtenden System s ,
welches nur d e r Zufall bestimmt, formuliert ( 1 ) : ,. Komponieren
i st e i n e Sache , Auffhren e ine andere und Zuhren eine dritte.
Was sollten sie miteinander zu schaffen haben ? " Doch wird man
auf dem Niveau derartiger Stze mit denen gar nicht erst sich
auseinandersetzen knnen, denen der Zufall a n s i c h schon
d ie Lsung ihrer mu sikalischen Probleme ist - die folglich kei
ne haben.

Vielmehr soll untersucht werden, wieweit aleatorische Metho


den sich auf Klanggestalten beziehen knnen und wieweit die In
determination der musikalischen Struktur eine Vorstellung der
aus ihnen re sultierenden Klanggestalten berhaupt noch zult.
Es soll also nic ht - was ohnehin be sser das Ge schft von
sthetikern bleibt - die Klangge stalt als solche beurteilt wer
den , sondern der U nterschied , will sagen, das Auseinanderklaf
fen zwischen Strukturorgani sation und Strukturge stalt soll an
konkreten Beispielen errtert werden. berhaupt verdrngt die
permanente Unmittelbarkeit der durch Zufallsmanipulationen
organisierten Klnge in Strukturen zunehmender Indetermination
den kompositorischen Anspruch der Formbildung. Aus diesem
Grunde mssen in vorwiegend indeterminierten Kompositionen
F o r m - Fragen nicht weiter errtert werden.

1) John Cage, Silence, Middletown (196 1 )


13 1

Zur bloen Besonderheit sind die me i sten Zufallsmanipulationen


in neuerer Instrumentalmu s ik schon dadurch verurteilt, da sie
mit Form- oder Ge stalt- Kriterien verwechselt werden. So be
ruhen denn viele Partituren auf einem aleatorischen ,. Gag " ,
der zumei st nur unwesentlich modifiziert durch das ganze Stck
hindurch erscheint, wobei er offensichtlich mit musikalischer
G estalt verwechselt w ird. Da gibt es das Verfahren, weitgehend
unbestimmtes Material in .. Kstchen " anzuordnen (2), oder die
vielfltigen Methoden, in kompliz ierten Spielanweisungen mit
zuteilen, da die Strukturartikulation gnzlich dem Interpreten
anheimge stellt bleibt. Auch kann die Deutung vom Komponisten
nicht definierter Notations symbole in das Belieben des Inter
preten gestellt werden, wie andererseits die Auffhrungsmodi
der Unbe stimmtheit berantwortet werden knnen ( 3 ) . Zumeist
wird in den langen Vorworten der Partituren auf umstndliche
Weise ein System von Regeln aufge stellt, die dafr brgen, da
der Notentext keinerlei Verbindlichkeit mehr besitze (4) . Nicht
nur die isolierte Struktur grndet auf Zufalls kriterien, sondern
auch die Interpretation soll - wie be i Cage , Brown und vielen
anderen - dem Text gegenber unbestimmt werden. Nur wenige
Komponisten wurden bei der Anwendung solcher Unbestimmt
heitskriterien von musikali schen Vor stellungen geleitet. In sol
chen Fllen i st dann allerdings der Zufall unter strengere Kon
trolle gebracht .
In Boule z' zweiter " Improvisation sur Mallarm " (5) finden
sich zwei einfache Formen der Variabilitt: die der begrenzten
Verschiebbarkeit einzelner Klanggruppen innerhalb homogener
Strukturen, von denen sie sich abheben, und die de s Rubato, das
hei t , der begrenzten Dehnbarkeit der Klang- (oder Struktur-)
Dauer . Doch bleibt die Kontrolle ber die Ge samt struktur er
halten, da z. B. die Fermaten, welche e ine freie Behandlung der
Dauern gestatten, fr alle Instrumente gleich gelten und sich
durchweg nur auf e infache , be rschaubare Ge stalten beziehen
(cf. S. 2 der Partitur) . Auch die Verschiebbarkeit einzelne r Ele -

2) Earle Brown, Available Forms I, NY 1 9 6 1

3) C f . z. B. : Bussotti, Piano pieces (London 1959) und sonstige graphische


Musik; Evangelisti, Aleatorio (Darmstadt 1 964)

4) Cf. z. B. : Brown, Available Forms 11 (U: Kln 1 963); Cage; Nilsson,


Reaktionen (a. a. 0.); Kagel, Improvisation ajoute. Frankfurt 1961; Pousseur,

for Pianists 11 (NY 1962) und viele andere.


Mobile (Mailand 1 9 6 1 ); Cardew, Octet (Frankfurt- London- NY 1 96 2); Wolff,Duo

5) Boulez, Improvisation sur Mallarm 11, London 1958


1 32

mente (6) w ird in Funktion der G e samt struktur begrenzt.


(Bsp. 7 8)
r j

Die vers chiebbaren Ge stalten sind im filigranen Strukturgewebe


deutlich wahrnehmbar; weder werden sie vom Kontext verdeckt ,
noch sollen s ie prte ntis vieldeutige Formen stiften.

Eine hnliche Form streng kontrollierter und in unmittelbar for


maler Funktion stehender Indetermination findet sich i n Mauricio
Kagels " Sexteto de cuerdas " (7) , wo sie sich auf die Tonhhen
bestimmung be zieht (8). Sie steht in unmittelbarer Be ziehung zu
der in diesem Werk differenzierten Behandlung der verschied e
n e n Streicher- Klangfarben. Te ilweise werden durch be stimmte
Stricharten gerus chartige Klnge er zeugt, de ren Tonhhe nicht
przise au szumachen ist, deren Bewegungsrichtung aber hrbar
bleibt. In einem solchen Falle mu die Notation nur approxima
tive Tonhhen angeben, entsprechend dem konkreten Re sultat
ihrer Interpretation. Kagel notiert ( 9) in solchen Fllen nur die
Lage und die Lagenbewegung, also die globalen Kriterien, die
fr die Strukturartikulation von Bedeutung sind . Indetermination
ist hie r das Re sultat kompositorischer konomie.

Im Gegensat z zu Boulez wird in Bo Nilssons " Reaktionen fr


vier Schlagzeuger " (1 0) das Rubato zum formbe stimmenden Kri
terium und hat weitreichende Konsequenzen fr die Klangge stalt.

Das Stck gliedert sich in vier Abschnitte , die jeweils mehrere -


durch Pausen vone inand e r getrennte - Strukturen enthalten. Die
Spiele r setzen gle ichzeitig jeder bei einem der Abschnitte ein,

6 ) Boulez , Improvisation ll, a . a. 0., S . 9 , Takt 1 8; Klavier, oder S. 1 9 ,


Takt 45

7 ) Mauricio Kagel, Sexteto de cuerdas, London 1 962

8) Kagel, Sexteto, a. a. 0.; cf. z . B . : S . 1 0 , Takt 3 ; S. 1 3 , beide Systeme;


S. 2 2 , oberes System.

9) In der Sprechgesang-Notation in Schoenbergs Pierrot lunaire (Wien


1 9 14) ist eine hnliche Lsung realisiert.

1 0) Nilsson, Reaktionen, Wien 1 9 6 1


133

spielen dann aber das durchlaufende " Strukturband " zyklisch


weiter , bis eine Spieldauer von 1 0 Minuten e rreicht ist.
(Bsp. 7 9 )
2 3 4

I Strukturfolge

III
Prinzipiell kann solch eine Disposition die stndige Kontrolle
ber den Zusammenhang s chon ermglichen, wie dies ja in al
len nur einstimmig notierten Kanons der Fall ist. Wenn die Ge
s chwindigkeit (zum Beispiel durch Metronomangaben) festgelegt
i st , be steht auch in e inem komplexeren Stck die Garantie , daf
die Proportionen der Einsatzabstnde whrend des Spiels ge
wahrt blei ben. Bei Nils son wird jedoch eine auch nur annhern
de Kontrollmglichkeit durch die Spielvors chriften zunichte ge
macht. Zwar heit e s da (11 ) : " Die vier Musiker sollen be strebt
sein, whrend der gesamten Dauer des Spieles die durch die
Startziffern , 1 ' , , 2' , 3' und , 4' angedeuteten Z e itabstnde zu
,

wahren. Wenn ein Spieler mit e ine m anderen zusamme nstoen


oder sonstwie Gefahr laufen sollte ( 1 2) , in eine von d ie se m ge
spielte oder zu spielende Struktur hineinzugeraten (diese Gefahr
i st vornehmlich zw ischen dem dritten und v ierten Schlagzeuger
vorhanden) , macht der vierte Spieler ein Accelerando bzw. der
d ritte Spieler ein Ritardando. "

Die freie Tempomodifikation steht in keine rlei Zusammenhang


mit der mus ikalis chen Struktur . Da s ie lediglich Abweichungen
korrigieren soll, die ohnehin nur dank mangelhafter Przision
der Strukturge stalt ent stehen, wird sie du rch ein uerliche s ,
spielte chnisch konvent ionelle s Moment bedingt; w o und wie sie
erscheint, ist nicht festgelegt . Zwar soll sie die Proportionen
der Groform wahren helfen. Doch ist d ie s illusionr, denn jene
Proportionen werden durch das freie, flexible Tempo selber zu

1 1 ) Nilsson, Reaktionen, a. a. 0. , Vorwort

1 2) Schon das Vokabular dieser Spielanweisung deutet auf Vorstellungen,


die sich mit der Aufstellung von Spielregeln begngen, die allenfalls bei je
nem Typus elektrischer Tischautobahnen angebracht sind, bei welchem die
Spieler den Zusammensto ihrer kleinen Gefhrte frmlich mitleiden. Bei
Nilsson stoen die Spieler zusammen, einer kann gar in die von einerri ande
ren zu spielende Struktur hineingeraten. Wenn die Spieler whrend der Auf
fhrung an ihren Pltzen bleiben, pflegt solcherlei gemeinhin nicht zu pas
sieren.
1 34

Abstraktionen auf dem Papier. Das Dilemma rhrt vom eigent


lichen Programm d e s Stckes her, welches durch dessen Titel -
Reaktionen - gekennzeichnet ist. Im Vorwort heit e s (cf. Anm.
1 1 ) : Das Reaktionsmoment des Werkes liegt im Spannungsver

hltnis zwischen der P ause, die zwei Strukturen voneinander


s cheidet , und dem Ein satz des ersten Tones in der Reproduktion
der folgenden Struktur. " ( sie!) . . . " Fr jeden Musiker gilt e s ,
durch visuelle Beobachtung oder. , intuitives Hren' d e n jeweils
ersten Ton seiner Strukturen so einzu schalten, da jede neue
Struktur in einem s innvollen Zusammenhang (oder zumindest
gleichzeitig mit einer anderen) beginnt. Die Pau sen zwischen
den Strukturen nehmen somit relativen Charakter an und werden
verl,ngert und verkrzt, je nach den Reaktionen des Spielers
auf die manuelle n Bewegungen irgendeines seiner Mitspieler.

Diese Anweisung macht den Anspruch strukturellen Zusammen


hange s endgltig zunichte . Wenn die Interpreten von der ihnen
als fr das Werk substantiell zuge standenen Reaktionsfreiheit
Ge brauch machen, so steht das ge samte Proportionsschema in
Frage; soll dieses aber erhalten bleiben, so werden die Inter
preten d ie Einsatzab stnde gem strikt befolgter Tempoanga
ben wahren mssen: das - ohnehin nicht sprbare - Spannungs
moment der Reaktion fllt fort.

berdies ist d ie Forderung, jede Struktur sei so zu placieren,


da ein sinnvoller Zusammenhang zu den anderen gewhrleistet
sei, eine Unmglichkeit . Wie soll denn der Interpret seine Struk
tur auf (ebenso frei einge setzte) Strukturen der drei Mitspieler
abstimme n , die er noch gar nicht gehrt hat , von denen er nicht
wei, wann und mit welcher Ges chwindigkeit sie gespielt wer
den? Die Unsinnigkeit des gesamten Plans lt sich an einem
einfachen Be ispiel dartun. Gegeben sei der Zeitpunkt X whrend
einer Auffhrung. Die Spieler 1, 2 und 3 interpretieren Struk
turen, deren vertikaler Zusammenhang auf Grund der Flexibili
tt von Einsatzabstand und Te mpo nur uerst vage kontrolliert
ist und vom vierten Spieler nicht vorau sge sehen werden kann
1
(Bsp. 8 0):
!
2
-z....- /"\.
...

3 z ",."I.,)

4 t
1 35

Nun soll der vierte Spieler seine Struktur so placieren, dali ein
Zu sammenhang mglich wird. Er mte hierzu

a) die drei Strukturen der anderen Spieler auswendig kennen,


w as prinzipiell mglich ist (Kanonform) , da diese Strukturen
zu anderem Zeitpunkt auch von ihm gespielt werden. Er mte
b) eine genaue Kenntnis der Konsequenzen besitzen, die sich
aus der Reaktionsfreiheit der anderen Spieler und der daraus
folgernden aleatorischen Einsatz- V erschiebung und Struktur
dauermod ifikation ergeben. Und er mte
c) e ine genaue Kenntnis des nicht vorhersehbaren Zusammen
klingens jener drei Strukturen haben, so da er sich ber die
unmittelbaren V erbindungen all der in ihnen enthaltenen Ele
mente - vertikal und horizontal - Rechenschaft abzulegen im
stande wre. Dann mte er
d) d iese gesamten Daten e iner Prfung unterziehen knnen, die
zum Ziele hat, eine sinnvolle Verbindung mit der eigenen -
nun erst zu spielenden - Struktur zu ermglichen. Dabei mte
der Interpret innerhalb krzester Zeit in der Lage sein,
e) den optimalen Zeitpunkt seines Struktureinsatzes bestimmen
zu knnen. Er mte also alle (auch die noch nicht realisier
ten) M g 1 i c h k e i t e n des Zusammenklingens der vier
Strukturen unter der Bedingung zeitlicher Verschiebung kon
trollieren knnen. Also (Bsp. 8 1 ) :

r=mdergSltirchuekrtZuusrenammenhang
2 1-+----+--' 1-3

:
X
mdergSlitcrhuektr Eiurnsatz
;------ ---- ----- ----- -;
------------------

:::::::::::::::::::::::] 4

:::::::::::::::::::::::! etc.

U m jene Zusammenhnge prfen, beurteilen und realisieren zu


knnen, bedrfte e s e iner langen Zeit. Dem Spieler soll in Nils
sons Vorhaben das in Sekundenschnelle gelingen, was ein ge
wissenhafter Komponist oft nur nach stunden- , nach tagelan
gen berlegungen zu entscheiden sich zutraut. So hat denn auch
Nilsson seinen Spielanweisungen musikalisch vllig belanglose
Kriterien eingefgt wie etwa - als Alternative - die Reaktion
des Spiele rs auf die " manuellen Bewegungen irgendeines seiner
Mitspieler " . Das mchte fr ein Ense mble von Taubstummen
wohl eine Hilfe sein knnen. Gleiche rwei se w ird die Forderung
nach sinnvollem Zusammenhang der Strukturen auf die Anwei
sung reduziert , die Strukturen " zumindest gleichzeitig mit einer
anderen " zu beginnen. Alle rdings wird dadurch die ganze Theo
rie von der Spannung zwis chen Pause und Strukturbeginn hin
fllig.

Das Moment struktureller Indetermination, welche s in den " Re


aktionen " im Gewande der Spontane itt und in Form zeitlicher
Unbestimmtheit auftritt, kehrt sich in der resultierenden Klang
gestalt als vllig unverbindliche Improvisation, als im Detail
unkontrollierbare s Abspulen musikalischen Materials hervor.
Denn der Wider spruch zwis chen Spontaneitt und Kontrolle ver
mag sich in der Organisation oder in der Bildung klanglicher
Zusammenhnge nicht aufzulsen. Da jene Improvisation an
nehmbar und gefllig klinge , dafr brgt die Verwendung des
Schlagzeugs, bei welche m sich differenzierte Probleme der Ton
hhen und Klangfarbenkomposition leicht umgehen lassen,ohne
da die Re sultate darum sofort manifest falsch klingen mssen.
Aus der Kanon- Form ( zyklische Wiederkehr gleicher Struktur
folgen in den vier Stimmen) und d e r Unkontrollierbarkeit der
Detailzusammenhnge re sultiert eine Klangge stalt, die einein
aleatorisch modulierten Frequenzband , einem differenzierten
Gerusch, hnelt. Vielleicht sind einzelne Gestalten wiederzu
erkennen, vie lleicht ergeben sich durch Zufall hie und da prg
nantere Strukturkonstellationen. Doch i st all dies im Verhltnis
zum Anspruch und methodischen Apparat , mit welchem das Werk
realisiert werden mchte, recht wenig.

Wenn auch in Nilssons " Reaktionen " die Unbe stimmthitskri


terien dazu dienen sollen, aus der Spontaneitt heraus spezi
fische Struktur zusammenhnge zu schaffen, so sind sie doch -
ihrer Bestimmung nach - selber so vage und in ihrer Be ziehung
aufeinander so wenig spe z ifi sch, da sie es nicht vermgen,
eigenstndige, individuelle Klanggestalten hervorzubringen. D as
stndige blo vage Beieinander und bereinander von Strukturen ,
deren Organisation auf die kontextuelle Funktion s ich nicht be
zieht, erzeugt e in Klang- Band mit einem durchschnittlich kon
stanten und recht geringen Informationsgrad, der im Verlaufe
der Auffhrung zur Verringerung tendiert , weil Erneuerungs
grade in die Strukturorganisation nicht einbe zogen worden sind .
I n der Stockhau sensehen Terminologie gesprochen lieen sich
1 37

d i e .,Reaktionen" als .,Zeitgerusch " bezeichnen, welches ., ge


filtert" ist, das heit, welches zum " weien Rauschen indi
viduell sich verhlt , aber dennoch nur Gerusch bleibt. Doch
ist die ses " Gerusch " nicht etwa ein Parameterwert unter vie
len, der im Zusammenhang sinnvoll und konomisch verwendet
wrde. Es i st vielmehr die S u m m e aller Klanggestalten, die
aus einer unspezifischen und widersprchlichen Verwendung von
Unbe stimmtheitskriterien sich ergibt, die sich auf die P sycho
logie des Interpreten vielleicht be ziehen, nicht aber auf die mu
sikalische Struktur.
Auf eine andere - methodisch bedeutend einfachere Art - lassen
sich Klanggestalten in der Form von Zeitgeruschen hervor
bringen. Jedoch ist auch bei ihr fraglich, ob die aleatorische
Methode eine spezifische Klanggestalt hervorbringen knne . In
Luciano Berios ,. Tempi concertati " ( 1 3 ) , einem Werk, das in
vielen seiner Aspekte recht eng an Stockhau sens .. Zeitmae "
sich anlehnt, finden sich (im V orwort abgebildet) folgende Nota
tionsformen: (Bsp. 82)

.,
At B
J..

2 TJ

Die Form B ist aus der Beschreibung der ., Circle s " schon be
kannt . Hier drfen die Spieler " die Tne (oder Tongruppen) und
die angegebenen dynami schen Werte innerhalb des Zeitraumes ,
der der Gre (14) der Quadrate oder Rechtecke entspricht , frei
verteilen " ( 15). Die Form A wird im Vorwort wie folgt darge
stellt: " A kann von jedem Punkt angefangen und von links nach
rechts oder umgekehrt gelesen werden - immer so schnell wie
mglich und imme r innerhalb der Grenze des proportional vor
geschriebenen Zeitraum s , und kann berall unterbrochen wer
den, auer bei anderer Vorschrift . . . . "

1 3) Luciano Berio, Tempi concertati, 'London 1 96 2


1 4 ) Natrlich mu es nicht heien Zeitraum und Quadrate , sondern
Zeitabschnitt" und Lnge (der Quadrate) . Doch findet in aleatorischen
Partituren selten sich ein Vorwort, welches nicht ebenso unklar wre, wie
das, was es erst noch klren mchte.

1 5 ) Berio, Vorwort der ,. Tempi concertati


138

Die zyklische Folge der Tne i st also festgelegt , die Leserich


tung und die Auswahl der Periode bleiben dem Interpreten an
heimgestellt. Da mehrere Zyklen innerhalb eines Zeitabschnit
tes so schnell w ie mglich hintereinander gespielt werden kn
nen , so da e ine rhythmische Differenzierung der Einzelele
mente wegfllt , entstehen Ketten hintereinandergestellter Per
mutationen, die nach Belieben abgespult werden. (Bsp. 83)

Diese Me:thode , gegebene Zeitstrecken mit Permutationsresul


taten anzufllen, hat zwei Nachteile : Spielt e in Instrument al
leine, so da als bergeordnetes Kriterium der Permutationen
d ie Intervallcharaktere und die Lagenbegrenzung wahrgenom
men werden knnten, (Bsp. 84)

&..
.....

so wrde d ie Folge der Tonketten als peinliches Ostinato wahr


genommen werden , da das schlichte Ve rfahren sehr gut ,.durch
hrbar" i st und keinerlei rhythmische Kriterien existieren, die
der mechanischen Permutation eine gest altliehe Funktion ver
leihen knnten (etwa als Variation sreihe) . Realisieren anderer
seits mehrere Spieler gleichzeitig solche Tonketten (nach den
von Berio gegebenen Anweisungen) , so resultiert ein Durchein
ander, eine kaum kontrollierbare Ansammlung von Tnen, hn
lich den .,Reaktionen " Nilssons. Die Spielanweisung " so schnell
wie mglich " , d ie eine konstante Dichte des Zeitgerusches ga
rantieren soll, verhindert dessen przise Artikulation, da die
maximale Spielgeschwindigkeit bei jedem Spieler und Instrument
ver schieden ist. berdies ist sie von Gren wie Intensitt, Ar
tikulation und Intervallabstand abhngig. Um das Zusammen
wirken der Instrumente kontrollieren zu knnen, mten jene
Gren jedoch mit groer Przis ion bestimmbar sein; andern
falls hebt eine Permutationsform die andere auf. In der Instru
mentalmu sik drfte dies auch fast unmglich und nicht sehr
sinnvoll sein; in der elektronischen Musik sind komplexe Ge
ruschstrukturen differenzierter und wirksamer herzustellen,
ohne an das Handicap von Spielbedingungen gebunden zu sein ,
welche vergebens zwischen musikalischer Struktur und P sycho-
1 9

logie des Interpreten vermitteln. Da das gege nseitige Verhlt


nis der ,. So schnell wie mglich " - Proportionen in den einzel
nen Instrumenten in den .. Tempi concertati " nicht kontrolliert
i st , spielt jeder Instrumentalist das ihm gegebene Material nach
e igene m Gutdnken innerhalb des gegebenen Zeitabschnittes: Al
le spielen durcheinander. Die Extreme ( Lage , Dynamik, Arti
kulation) werden verw ischt, die Intervallbeziehungen und - folgen
tauchen in der Masse unter. Die Zeitphasen, innerhalb welcher
jedes Instrument seine e inzelnen Permutationsreihen spielt,
verwi schen sich ebenfalls, da die nicht festgelegten Periodi
zitten einander (bei mehreren Instrumenten) nivellieren und
berdies die Einzeltne, mit welchen d ie Zyklen versehen sind,
in der Masse untergehen. Statt eines artikulierten Geru sches,
in welchem formale Entwicklung sich abspielte, hrt man ein
e intnige s , starres Gerusch- Band , das zumeist an seinen En
den wie .. abgeschnitten wirkt. Auch bei Berio sind keine Be
stimmungen ber Erneuerungsgrade in die Geru sch - Struktur
einbezogen ( 1 6 ) . In der Partitur stellt das Verfahren sich wie
folgt dar: (Bsp. 85)

Ange sicht s des Klangre sultates stellt sich die Methode seiner Er
zeugung selber in Frage. Denn die Notation von Tonketten samt
der komplizierten Anweisung zu ihrer aleatorischen Permuta
tion hat kein quivalent in der re sultierenden Ge stalt. Stock-

1 6 ) in Berios Epiphanie- (U: Kln 1 965) finden sich solche (durch die
H

gleiche Methode erzeugte) Tonwolken ebenfalls in groer Flle. Als Effekt


sind sie jedoch sehr schnell verbraucht, da sie sich strukturell kaum erneu
ern.
1 40

hausen hat in seinen " Zeitmaen " ( 1 7) das Modell fr die kom
positorische Integration v o n Zeitgeruschen geschaffen. Doch
war seine Konzeption ungle ich prziser und in ihren Ergebnis
s e n gelungener als etwa die Berios. Denn d a s Moment der In
determination steht in den " Zeitmaen " in unmittelbarer Funk
tion der Klangge stalt (1 8) . Die " Linien " der einzelnen Tonfolgen
sind entweder streng mensural aufeinander bezogen , so da eine
bergeordnete Kurve der Lagenbewegung deutlich sich artiku
lieren lt; oder (cf. S. 27 ff) die Bestimmungen ,. schnell ver
langsamen " , " langsam be schleunigen"' etc . , welche auf men
sural :Notiertes sich be ziehen, sind derart aufeinander abge
stimmt, da trotz der Indete rmination (die dem Realisations
proze s s innewohnt) die Global - Kriterien der Gestalt deutlich
sich herstellen. Stockhausen hat e mpirisch die ungefhren Zeit
proportionen fr accelerandi , ritardandi und deren Zwi schen
form festge stellt und die Ze itabstnde in seiner Partitur pro
portional zu den Werten notiert , die sich ergaben. Im Falle der
" Zeitmae " ist die Indetermination keine " Methode an sich " ,
sondern nur ein funktione lles Mittel zur Erzeugung gestaltlieh
kontrollierter flexibler Ton s charen. Deren Kontrolle ermglicht
auch die Formentwicklung von dichten Tonscharen zu individuel
len Strukturen (z. B. S. 44 - 4 5 - 46 oder S. 2 5 - 26 der Partitur) .

Berios Methode hingegen versucht , die Kontrolle der Global


struktur durch die Notationsformen einzelner Elemente herzu
stellen. Wie schon in den C ircles " , wie auch in " Passagio "

( 1 9 ) , so finden sich in den ,. Tempi concertati " Notationsformen


verschiedener Unbestimmtheitsgrade. Noten der Form: J' kn
nen in Grenzen frei placiert werden; Noten der Form: r sind
bis zur jeweils nchsten Note au szuhalten, wobei das Prinzip
mensuraler Dauernbestimmung zugunsten eines nur proportio
nalen aufgegeben ist. Berio kommentiert die Anwendung jener
Notation sformen w ie folgt ( 2 0 ) : " Von Takt 1 6 1 " (der Tempi con
certati) " an wird an statt der blichen (rhythmi schen) (2 1) Nota-

1 7 ) Karlheinz Stockhau sen, Zeitmae, London 1 95 7

1 8) Cf. Zeitmae, a. a. O. , S . 1 0 - 1 3 Anfang; S. 2 1 - 28; S . 37-47; S, 52/ 53;


cf. auch Stockhausen, Schriften I , S . 1 28; S. 2 3 5 ff

1 9) Berio, Passaggio, Mailand 1 963, S. 9, S . 1 5 u. a.

20) Berio, Tempi, a. a. 0. , Vorwort

2 1 ) Natrlich ist keine rhythmische, sondern die mensurale Notation ge


meint (cf. Anm. 1 2 und 1 4)
141

tion allmhlich die proportionale Notation angewandt, die nicht


die absoluten rhythmischen Werte angibt, sondern die relativen
Zeitverhltnisse ( 2 2) . Die rumliche Verteilung der Noten gibt
also Zeitwerte an , d ie allerdings immer von der vorhergehen
den (oder gleichzeitigen) rhythmischen Notation und dem Metro
nom werte bedingt ist . Die proportionale Notation mu also als
Weiterentwicklung der rhythmischen Notation aufgefat werden
und nicht als deren Vereinfachung " . Stockhausen hingegen
. .

hat, in Kritik an der proportionalen Dauern- Notation, bemerkt


( 2 3 ) : " Damit wird jeder Beginn und jedes Ende einer Dauer weit
unsicherer gespielt als bisher. Anstelle des , Zhlen s ' - einer
Aufteilung der Dauern in Quanten - mit jetzt das Auge die Zeit
proportionen au s und bertrgt diese in die Artikulation des
Spielens. Die optischen Maverhltni sse sollen in die akusti
schen der Dauern bersetzt werden. Zwar erhlt so jedes Zeit
ereignis eine Feldgre, die psychologisch determiniert ist;
aber die Feldgre ist fr alle Zeitproportionen wieder konstant
und somit unproportioniert . Alle Proportionen
. . werden in
. .

strkerem Mae verwischt , als es bisher geschah, und es ergibt


sich eine durchgehende zeitliche Desorientierung, bei der die
Dauer eines Zeitablaufs ungewhnlich stark empfunden wird . .

Die Vorstellung von einer Feldkomposition htte aber erst dann


einen Sinn, wenn nicht einfach ein differenzierteres System durch
ein grberes ersetzt wird in der Erwartung, so eine grere
, Lebendigkeit' der Zeitstruktur zu erreichen. Ein Punkt wird
durch einen Strich ersetzt. Das ist nicht gemeint. "

In der Tat ist die " proportionale " Notation , trotz Berios Be
teuerung, eine starke Vereinfachung der mensuraler Denn sie

hat ihren rein pragmatischen Wert nur in der statistischen Feld


komposition: Sie i st also lediglich der Ausdruck mangelnder
Individualitt einzelner Elemente, die durch przise Notation
nicht verdeckt werden soll. In einem differenzierten Satzgefge
(24) verhindert die proportionale Notation weitgehend die Kon
trolle der horizontalen Beziehungen und fast gnzlich die der
vertikalen. Wenn die definitive Dauer einzelner Tne, die Dau-
22) . . was die mensurale Notation ja auch tut; geschichtlich ist ihr dies
.

einbeschrieben, da sie aus dem Bedrfnis entstand, innerhalb polyphoner


Strukturen die Zeitverhltnisse zu prz sieren.

23) Stockhausen, Schriften I, S. 1 30

24) Im Unterschied zum "monolithischen Klangblock oder zum Gerusch,


dessen Einzelkomponenten weitgehend unartikuliert bleiben, ist damit ein
musikalischer Satz gemeint, dessen Einzelelemente innerhalb der Dimensio
nen von Horizontale und Vertikale hrbare strukturbildende Funktion besitzen.
1 42

ernproportionen von Tonfolgen, und somit die Dauern einzelner


Tongruppen dem recht vagen optischen Schtzungsvermgen der
Interpreten berlassen werden, ohne da d1.1rch den Einbezug
psychologischer Konstanten das Verhltnis der Interpreten zu
einander bis ins Detail przi siert werden knnte, dann bewirkt
der Einbezug jener rein subjektiven opti schen Kontrolle " Ver

ein zelung, keinesfalls aber Kommunikation. Das heit: eine Kon


trollmglichkeit der vertikalen Satzbeziehungen weicht der Ver
dichtung der Gesamt struktur zu einem einzigen umfas senden
Element. Dies ist der Extremfall. Im Falle eines weniger dich
ten Tonmaterials, des sen Zusammenklingen filigranere Gebil
de ergbe, liee sich folglich darber streiten, welchen Sinn
denn der Verzicht auf eine przise Determination der Tondau
ern haben knne. In einem Partiturbild wie etwa dem folgenden
(Bsp. 86)

" ...-- *---


;. t;. ....-::--- ... -- .


b...-


...-
;
. \.:

; " . t--:--
-:./ -
-- fr

.J ' ;

wre das przise (und dank der harmonischen Struktur wohl not
wendige) Zusammenwirken nur durch Hilfmittel zu erzielen,
die aber wiederum die proportionale Notation berfls sig ma
chen: Einteilung in Sektionen, die die Dauer des kleinsten ge
meinsamen Zeitwertes haben. Dies bedeutete eine Mensurierung
der Werte. Die ,. unbestimmte " Notation (die den Namen ,. pro
portionale" zu Unrecht der mensuralen enteignet hat) kann kei
nesfalls als Weiterentwic klung der mensuralen betrachtet wer
den. Sie kann hc hstens da an Bedeutung gewinnen, wo gleich
zeitig weitgehend auf eine Kontrolle der Klanggestalt verzichtet
oder diese vergrbert wird .
1 43

An Earle Browns Partitur .Available Forms I (25) las sen sich


die Konsequenzen deutlich able sen, die sich aus der Verwen
dung .. proportionaler unbestimmter Notation fr die K 1 a n g
g e s t a l t ergeben.
Teil des weltans chaulichen Programms Earle Browns ist , sich
nur fr das " vorgeformte Material " VP.rantwortlich zu fhlen,
nicht aber fr die ,. geformte Ausfhrung ( 2 6 ) . Jedoch ist bei
Brown das Material nur zu geringem Teil ,. vor geformt " , denn
se ine - in den " Available Forms ohnehin weitgehend unbe
stimmte - Notation ist mit Vorformung dann nicht identi sch,
wenn es auf zwei recht beliebige Weisen gedeutet werden kann.

Die Partitur der .. Available Forms " besteht aus 6 miteinander


vertauschbaren Seiten, auf welche jeweils vier oder fnf mit
einander vertauschbare Felde r unbe stimmten Materials notiert
s ind. ( Bsp. 87, Partiturseite 2)

Die Bestimmungen ber Tondau


er und Einsatzabstnde, teilwe ise -
""'

die ber Dynamik und Tonhhe :=


. -""
-

(cf. z. B. S. 4, Gruppe 5) sind nur


frei .proportional" vorgenommen
und teilweise ganz dem Belieben
der Interpreten anheimge stellt .
...
Der weitgehend indeterminierten
Komposition gesellt sich die Inde
termination der Ausfhrung hinzu .
Jedoch wird dieser Pleonasmus
in einem hochkomplizierten Vor '.
wort verteidigt und mit Auffh
....
... -- ... .
rungsanweisungen umgeben.
....

.___
_ ...
___
__
j ..._..__
_
....,
"'"
2 .. .

25) Earle Brown, Available Forms I, a. a. 0.

26) Cf. Heinz Oepen, Die 20. Internationalen Ferienkurse fr Neue Musik,
Darmstadt 1 965, S. 4
1 44

Dem Dirigenten steht e s frei, Seite und zu interpretierende Grup


pe aus zu whlen, sowie seine Wahl durch Zahlen und Handzei
chen den Instrumentalisten kundzutun. Durch Ge sten deutet er
dann die Form an, d ie er den Materialmengen zu geben wnscht :
langsam - schnell, dnn - d icht , laut - leise etc . : ,. The activity
begins w ith a conventional ( right hand) down beat at the large
black arrow, on the score and parts, at the beginning on each
event . The r e 1 a t i v e speed and dynamic intensity with which
the event is to be performed is implied by the speed and large
ne s s of the down beat as given by the right hand (27). Der R est
von Determination - ,. as signed dynamic values " - kann eben
falls noch dem Belieben des Dirigenten anheimfallen: .. . . . but
the conductor may , override ' these particular values . .Die" .

Bedingungen, unter welchen er dies darf, werden aber nicht ge


stellt, um etwa d ie Authentizitt des Komponierten zu wahren;
im Gegenteil sind es ,. Bedingungen " , die ihrerseits das mu si
kali sche Gefge nivellieren. So kann ( z . B . beim ersten Ereigni s
der ersten Seite) der Dirigent die Ge samtlaut strke verringern
und vergrern, jedoch soll er die dynamischen Proportionen
zwischen den Instrumenten wahren. Nun ist dies darum schon
eine nicht eben sinnvolle Bestimmung, weil jene Proportionen
( the relative accustic situation " ) keine Konstanten sind, die
.,

sich beliebig transponieren lieen, und Zu- oder Abnahme der


Intensitt den musikalischen Sinn einer Struktur betrchtlich
modifiziere n, wenn nicht gar entstellen kann. Um der Vollstn
digkeit w illen ist dann im Vorwort dem Dirigenten anheimge
ste llt .. to modify the loudness on different planes in different
sections - to create predominance w ithin the ensemble , still in
respect to the relative intensities indicated . " Mit die ser Zu
rcknahme der ersten Bestimmung ist es nicht getan, denn einer
dritten zufolge drfen ,the strings . . be rised and the winds

and percus sion maintained as indicated; the percus sion may be


rised to its maximum volume while the strings and winds are
held to the indicated levels etc . " . Dank den Be stimmungen, die
eine Einschrnkung totaler Willkr vortuschen, ist nun alle s
wieder erlaubt : .. The foregoing principal may be further exten
ded to allow the conductor to pull o n e instrument out of the
ensemble up to a place of predominance . . . " . Die se vierte Be
stimmung macht die erste definitiv berflssig. Alle Weisungen
und Rat schlge des V orwortes drcken umstndlich in Bestim
mungen au s , da nichts bestimmt sein soll: .. There are indefi
nite pos sibilitie s and exceptions to , rule s ' , but the exceptions

27) Brown, Available Forms, Vorwort zur Partitur


145

and modifications must be made (by the conductor) in terms of


the basic nature of the scored relationships. " Falls d ie notier
ten Proportionen (die ja laut Spielanweisung gar nicht verbind
lich sind) auch nur ein Minimum an Spe zifitt besitzen und bei
der Realisation behalten sollen, dann gibt es nicht unzhlige
Mglichkeiten der Interpretation; wenn Regeln nicht sinnlos sein
sollen, dann gibt es nicht unzhlige Ausnahmen - anders wird
das gesamte Vorhaben zur mit falscher Seriositt sich tarnen
den Farce . Brown fat seine Intentionen zu sammen: " The con
ception of the work is that the score is specific material, having
different charakteristics, which is subject to many i n h e r e n t
modifications , s p o n t a n e o u s 1 y created du ring the perfor
mance: modified combinatorially (event plus event ) , sequentially ,
dynamically, temporally. " Das " specific material " darf also
genau in den Dimensionen modifiziert werden, die gemeinhin
die Spe zifitt musikalischen Materials auszumachen pflegen:
Strukturfolge , elementare Syntax, Dynamik und Zeit. Der knst
lerische Materialbegriff Browns ist beraus kindlich.

---
Die unmittelbaren Konsequenzen -.::--6< ...""il
des Vorwortes la ssen sich am
Notentext der ,.Available Forms I"

able sen. Vor allem wird in ihm
deutlich, wie es um das spe zifi .L
;, __",

sche Material, fr welches einzig


,.,..._
-.
der Komponist sich verantwort
"'-
lich fhlt, be stellt ist. Au s den
27 Materialfeldern der Partitur .

'I!
seien drei au sgesucht , die symp
tomatisch fr die anderen stehen .r '--..:'L _ _ _:__,
knnen. ...".
I -,r
I
Der dritte Bloc k auf Seite 6 setzt
sich vornehmlich au s lngeren
-....
Tnen und glissandi zusammen.
'
Diese beiden Qualitten determi
nieren mglicherweise die Klang
gestalt. (Bsp. 8 8) -- -
1 46

Jedoch kann von e iner musikalischen Funktion solcher Qualit


ten erst gesprochen werden, wenn ihre Funktion i n n e r h a 1 b
der Struktur sich bestimmen lt. " Lang " oder ,.Glissando " an
sich brgen noch nicht fr strukturellen Zusammenhang. Wenn
zum Beispiel der folgende Au sschnitt aus Bsp. 88

: \;-- -
\- - - ---- -. :-. - - - - - - -i - - '
.Li. - = - .s = b. : '\ I

---..--= ..
.... - - - - - - - - - - .}
..

(Bsp. 89)

l ..

--
T Ii

I - :c -- :- .... di.,,
uerst gesc hwind ge spielt werden soll, (Bsp. 9 0)
etc.
b
etc . . J b
.JL ... ...

...

...
.... oder:J ... b...

Csie!> tc.
b... b... T

dann stellen ganz andere Kriterien sich ein w ie im Falle , da er


uerst langsam gespielt werden soll. Hier nmlich wird der
Grad von Unbe stimmtheit stark zunehmen, da inne rhalb groer
(oder: gedehnter) Zeitabschnitte die Placierung und Dauernbe
stimmung eines nur " proportional " fixierten Materials unend
lch viel vager, beliebiger i st (28) : (Bsp. 9 1 )

:
28) Cf. Stockhausen, Schriften I, S. 1 01 und S. 1 1 5 oben
1 47

Es wre einzuwenden, da doch zumindest bestimmte Charak


teristika, wie zum Beispiel Tonanzahl, Tonhhen, Lagenbereich
etc . erhalten bleiben. Doch lt sich dem entgegnen, da diese
Charakteristika in dem Augenblick jeder gestaltliehen Funktion
sich entledigen und bloe Dekoration werden, in welchem we
sentliche Dimensionen der Struktur der reinen Beliebigkeit an
heimfallen. Der Unterschied zwi schen den Gestalten der Bei
spiele 9 0 und 9 1 -ein Unterschied, der sich noch betrchtlich
vergrern liee - drfte dies deutlich machen. Tonhhen an
sich haben keine strukturelle Funktion, wenn die P arameter, die
ihnen ihren Zusammenhang zuweisen knnten, in ihrer Struktur
nicht vorhersehbar sind . Der kompositorische Akt bl<!ibt dem
Niveau bloer Materialsammlung verhaftet . Bei Komponisten,
die den Gedanken John Cages nahestehen, in letzter Zeit auch
bei Stockhausen ( 2 9) , wird jene fragwrdige Bescheidenheit als
Fortschritt angesehen.
Ein anderes Beispiel (Partitur S. 4, Gruppe 5) zeigt deutlicher,
was Brown unter " specific material versteht (Bsp. 92):
+

Wie Orchestermusiker solcherlei in musikalische Daten ber


setzen, bedarf keiner ausfhrlichen Erklrung. Diese Pas sage
in C - Our zu spielen, hat das Vorwort brigens nicht verboten.
Vielleicht stellt in solchen Strukturen das ideologische Moment
des miverstandenen Freiheitsbegriffs, w ie ihn die amerika
nis che Schule aus der geforderten Spontaneitt des Interpreta
tionsvorganges entwickelte, am Unverhlltesten sich dar : Die
Aktivitt des Musikers wird dem unentfalteten, nackten Mate-

29 ) Zum Beispiel in Stockhausens Komposition: wPlus- Minusw (Wien 1 965),


bei deren Klner Auffhrung Radios angestellt wurden, die zwischen von zwei
Klavieren erklingende serielle Clichs Leharklnge und den abendlichen Film
bericht ausstrahlten.
1 48

rial " konfrontiert. Der Freiheits


begriff wird zum Sub stitut fr die
Absenz jeglicher Reflexion ( 3 0) .
brig bleibt das unvermittelte Ma
terial.
:

Wo das Material in spezifischeren


Formen ersche-i nt, wie etwa in der
vierten Gruppe von Seite 3, da wird
seine Individualitt entweder durch
vage Disposition zunichte , oder aber
sie fungiert als Vortuschung aller
simpelster Effe kte. ( Bsp. 93)

Die einzelnen Instrumente haben (von oben nach unten) folgendes


Tonhhenmaterial zu spielen (Bsp. 9 4):

111-1q tJ
... Rhg!. '-._ Mba. Xyl. V1br. Ba
Piano
15 - ._ a-
. Violine Vl.2
15- VIa. Cello
I& *111-..n-1& 1.-J l..[IIBI.I''-..1..'1

Jedes Instrument hat einen Tonleiterausschnitt (meist sind e s


Dur- Skalen) od er einen verminderten Terzakkord z u spielen,
wobei es an Oktavierungen nicht mangelt. Da au s der zeitliche n
Dispo sition der Tongruppen keinerlei Kriterien fr ein przi
ses Zusammenklingen sich ergeben, resultieren zufllige tonale
Cliche s , die sich in einer aleatorischen Partitur der v ordersten
Avantgarde natrlich be sonde rs merkwrdig ausnehmen. Jedoch
hat die tonale Mu sik differen ziertere Vorstellungen, subtilere
Ge stalten , hervorgebracht, als blo durcheinandergewrfelte
Tonleiterfragmente. In ihrer " avanciertesten " Produktion fllt
die ale atorische Instrumentalmu sik hinter den Stand der ein-

30) Siehe hierzu das achte Kapitel.


1 49

fachsten tonalen zurck; die s , weil ihre Komponisten sich nur


fr das " Material " verantwortlich fhlen, ohne zu merken, da
sie , indem s ie es kritiklos exponieren, es aus seine n ge schicht
lichen Konstellationen nicht schon befreien knnen, die in den
neuen Partituren eklektizistisch einander folgen wie Muster auf
einer Tapete .
Die Frage stellt sich, ob denn angesichts solch beraus groer
musikalischer konomie ein jegliches theoretische s Argument
nicht Verschwendung s ei. Doch s cheint es augenblicklich sinn
voller , musikalische Phnomene , die in ihren technischen Zu
sammenhngen kaum noch durchleuchtet w orden sind, auf ihre
Konstellationen hin zu prfen, anstatt e s beim bloen Vorurteil
zu belassen, selbst wenn dies ein Krnchen Wahrheit enthalten
sollte.
In Browns ,.Available Forms treten zwei Typen der Einschrn
kung struktureller Beliebigkeit in Erscheinung: der Typus der
B e s t i m m u n g (Auffhrungsbestimmungen) und der Typus der
Determination von G 1 o b a 1 - Charakteren durch przisere De
finition einzelner Parameter. In Gruppen und Gruppenverbn
den, in welchen Tons charen so dicht sind, da ohnehin nur glo
bale Kriterien ( z . B. sehr hoch, sehr tief etc. ) hrbar sind, ha
ben solche bergeordneten Bestimmungen unmittelbare Funktion.
In dem Augenblick jedoch, in welchem e i n z e l n e Elemente
getrennt voneinander hrbar werden, i st ein jedes Globalkrite
rium an die Individualitt seiner separaten Erscheinung gebun
den: deren besondere Gestalt spielt eine vorrangige Rolle und
nicht etwa der globale Charakter, welcher nun an diese Ge stalt
gebunden ist und dadurch ebenfalls individuiert wird . Erst nach
der Wahrnehmung einer greren Zahl einzelner Tonelemente
ergeben sich dann mglicherweise Gemeinsamkeiten zwis chen
ihnen, die auf e inen bergeordneten Gruppencharakter schlieen
lassen. Im Gegensatz hier zu w ird eine komplexe Tonwolke -
Summe unzhlbarer Einzelele mente - selber als Einzelge stalt ,
als spe zifisch " gefrbte s " Gerusch, wahrgenommen. Das Prin
zip des Gruppencharakters hat also in beiden Strukturtypen ver
s chiedene Funktion. I m Mas sen- Zusammenhang spe zifiziert e s ,
w hrend es im Individual- Zusammenhang filigraner Strukturen
vergrbert. Denn wo zum Beispiel fr eine rhythmisch nicht
determinierte Struktur ein Tonhhenraster angegeben wird , da
fllt die syntaktische Komposition (hrbare s Fortschreiten von
Element zu El.ement) zugunsten einer primren Summenkonzep
tion fort. Die Summe spielt aber hier in den realen Zusammen
hngen erst eine sekundre Rolle .
1 50

In Mauricio Kagels ., Transieibn Il " (31 ) , einer Komposition, in


deren Strukturen auf mannigfaltige Weise Unbestimmtheitsgrade
eingefhrt sind , finden sich Teile , die aus vernderliehen rhyth
mischen Angaben und fixen harmonischen Bestimmungen zusam
menge setzt werden. In anderen Teilen ist die rhythmische Va
riabilitt mit harmonische r Variabilitt gekoppelt , was durch
e ine rumliche Konzeption der beiden Parameter in Form eine s
Koordinatensystems ermglicht wird . Dieses Koordinatensystem
t (Harmonik)
'
Zeit (Rhythmik)
tuscht ein Kontinuum zwischen den beiden Parametern vor, wel
che s natrlich in dieser Form nicht existiert . Denn der Sinnbe
zug zwischen einer harmoni schen und einer rhythmischen Kon
stellation , wie er sich aus einer Drehung innerhalb des Koor
dinaten sy stems ergeben soll, ( Bsp. 95)

L L
stellt s ich nicht her, da die Kriterien der beiden Parameter
ordnungen inkommensurabel sind . Es liee sich aus der Rotation
zwar folgern, da ein groes Intervall einem groen Einsatzab
stand entsprechen msse . Doch i st solch eine Festlegung nur in
allerbegrenztestem Umfange sprbar und sinnvoll verwertbar .
Methodisch lt sich berdie s eine Determinierung rhythmi
s cher Kriterien durch harmonische sicherlich konomischer,
mu sikali sch kontrollierbarer und darum prziser vornehmen
(3 2) .

31) Mauricio Kagel, Transieibn II, fr Klavier, Schlagzeug und zwei Ton
bnder, London 1 963

32) Gegen d e n privaten Gebrauch solcher Verfahren, deren sich brigens


viele Komponisten bedienen, ist dabei nichts einzuwenden, denn belanglose
Resulte knnen dabei immer in den Papierkorb geworfen werden, bevor sie
auf dem Podium erklingen. Doch bleiben Versuche, dererlei Manipulationen
zum System zu machen, uerst fragwrdig, da die Widersprchlichkeit der
Prmissen vor allem da zu Tage tritt, wo diese zu einem theoretischen Ge
bude von Schein-Schlssen gefgt werden. Methoden der Translation und
Rotation sind ohnehin im seriellen Permutationssystem schon rationalisiert
worden. Demgegenber ist der Versuch, ihre graphische Gestaltung zum Aus
gangspunkt struktureller Determination zu machen, regressiv. (Cf. Kagel,
Translation - Rotation, in: Die Reihe 7, Wien 1 960, S. 31 ff)
1 51

Auf Seite 26a von ,. Transieibn " befindet sich eine Struktur, die
au s einem Tonhhenraster und einer drehbaren Scheibe be steht,
auf welche in unregelmigem Abstand Punkte verte ilt sind . Die
se Scheibe kann in (durch Winkel angegebene) acht Positionen
gebracht werden, wobei die Positionsbezeichnung durch Grade
(wie in der Kreislehre) unsinnig i st und keinerlei musikalische
Sachverhalte tangiert; wer vermag denn eine Strukturrotation

von 2 25 zu hren ? Zwei Versionen ( 1 35 und 270 ) seien hier
abgebildet . (Bsp. 9 6 )
90' 90'

135'



:. 180'

-: .t-
'
I

315' , .... - 225'
I
/.

Punkte , die durch die Drehung nach ..,oben" rcken, werden dank
des unterlegten Tonhhenrasters zu hohen Tnen und umge kehrt.
Die rhythmi sche D ichte ergibt sich au s dem horizontalen Abstand
der Tonpunkte . Da der Abstand zwischen den beiden Systemen
(Violin- und Baschl s sel) ebenfalls mit einem Raster gefllt
ist , welcher unter dem oberen System den Geltungsbereich des
Baschl s sels und ber des sen Syste m den Geltungsbereich des
Violins chls sels schon vorzeitig beginnen lt (wodurch beide
Bereiche sich berschneiden) , wird die Eindeutigkeit der Ton
hhenzuordnung (die durch das przise kartographi sche Schema
vorgetu s cht wird) weitgehend nivelliert ( 3 3 ) .

3 3 ) Der Pleonasmus, welcher aus der Ka


gelschen Aufzeichnung resultiert und durch
welchen die Tonhhendetermination fr einen
weiten Bereich (zwischen den beiden Syste
men, wo man entweder Baschlssel oder
Violinschlssel lesen kann) selber unbe
stimmt wird,
152

Der Strukturcharakter i st punktuell. D ieser Charakter i st allen


acht Versionen gemein. Alle s andere jedoch, Tonhhenstruk
tur, Tonfolge , rhythmische Struktur, i st in jeder Version zwar
annhernd auszumachen , jedoch lt sich ke in Zusammenhang
zwi schen der Rotation und den resultierenden Strukturverwandt
schaften erkennen. Lt sich au ch das Rotationsverfahren als
Permutation der ihm berantworteten (auf der Drehscheibe be
findlichen) Punkte ansehen , so ist es doch, als Permutations
anwe isung dessen, was diese Punkte musikalisch bedeuten (nm
lich: Tne mit jeweils mehreren Eigens chaften) , ohne Sinn. Die
Variierung von Tonzusammenhngen knnte durch unmittelbare
Permutationen deutlicher s ich herstellen las sen. Im Kagelsche n
Ve rfahren, dem in der Struktur der musikalischen Ge stalten
nichts entspricht , wird led iglich auf dem Papier Zusammenhang
vorgetu s cht. Eine Transkription der beiden in Bsp. 96 darge
stellten Versionen she etwa folgendermaen aus (Bsp. 9 7 ) :

f\ r-3--, ,.- 3 ..., r3 r-3--, ... f::. b r-3--o. r-3-, rJ-, ..

--;r .. ,..

!>- \r::' I ... r:: ) o- r1


...
L-3--' -3.!.....1 '-3-'
bli L
r3-,
b-

rJ--,

F. . /! - .-3-,

3
1 (;,;_)....
.._ .. , L...:.J
...
> L ..J

Die Tonhhenstruktur (wie die gesamte Ge stalt) ist in beiden


Ve rsionen recht einfrmig. Eine Organisationsfarm, die sich
unmittelbar auf sie bez ge , htte sicherlich Differenzierteres

htte sich leicht durch eine etwas geschick


tere Einteilung vermeiden lassen, bei welcher
die Tonhhenbestimmung durchgehend gleich
przise sich vornehmen lt.
1 53

zuwege gebracht . Da aber die kompositorische Aufmerksamkeit


sich auf die graphische Darstellung konzentrierte, ist ihr ent
gangen, dall diese lngst noch kein Garant fr die Differenziert
heit der musikalischen Struktur ist. Der Text - zum Bild ge
ronnen - bewahrt seine Autonomie gege n die Klanggestalt, wel
che dadurch ihre Authentizitt einbt . Zwar knnen im Kagel
schen Verfahren die Tonhhen als solche determiniert werden,
doch i st die Definition ihre s Zusammenhange s , die der Inter
vallstruktur, recht vagen Bestimmungen berlassen. Auch hier
wieder mu die Beantwortung der Frage , ob in einem filigranen
kammermusikalischen Werk der Komponist um mobiler, vari
able r, - aleatorischer Verfahren willen der Kontrolle ber die
realen musikalischen Zus ammenhnge sich begeben solle , sei
ner eigenen Intelligenz berlassen bleiben.

Ein anderer Aspekt , der aus den " Available Forms " sich er
gab , war der der B e s t i m m u n g . Be stimmt wird in indeter
minierten Strukturen zumeist die Grenze ihrer mglichen Aus
deutungen, indem entweder bestimmte Verhaltensweisen unbe
stimmten Materialkonstellationen, oder aber eine Reihe mg
licher Ereignisse der Entscheidung der Interpreten gegenber
gestellt werden. Doch .lt sich hier auch argwhnen, da die in
das Verhltnis m g 1 i c h e r Elemente - ein Scheinverhltnis -
kompositorisch investierte Komplexitt nicht die der realen Ge
stalt einer der mglichen Versionen sei. Eine Illusion, die je
doch Schule gemacht hat, be steht in der seriellen Organisa
tion des Verhltnisses einer zur Auswahl angebotenen Reihe von
Elementen. Da nur eines von ihnen verwendet werden soll, und
da d ie Folge ver schiedenen Entsche idungen sich verdankender
Elemente keinen seriellen, sondern aleatorischen KriteriE!'n ge
horcht, bleibt die serielle Organisation m g 1 i c h e r Elemente
selber dem blo Mglichen ve rhaftet und schlgt sich in der mu
sikalischen Struktur nicht nieder.

Ein einfache s Modell solch fr die Struktur bedeutungsloser Or


ganisation befindet sich in Franeo Evangelistis Streichquartett
" Aleatorio " . ( 34)
Di e i n drei Abschnitte gegliederte Form umfat 4 8 - 4, also
-

insgesamt 16 Takte. Jedes der vier Instrumente kann in vier


Takten unter drei verschiedenen Versionen whlen. Das Au s
wahlschema der gesamten Partitur ist eine einfache Permuta-

34) Franeo Evangelisti, Aleatorio, Darmstadt 1 964


1 54

tion aller simpelster Fraktur ( 1 2 3 4 / 4 1 2 3 / 34 1 2 / 2 3 4 1 ; die dicken


Linien im folgenden Beispiel zeigen jeweils die Stellen an, an
welchen ein Instrument Wahlfreiheit zwischen verschiedenen
Ver sionen hat). (Bsp. 9 8 ) :

Schon zum Pe rmutationsschema liee sich anmerke n, da e s in


seiner Schlichtheit den eigentlichen Sinn serieller Verfahren -
Differenzierung zu stiften - hinfllig mache .
Neben der sche matisch auf einzelne Takte verteilten Freiheit
der Wahl zwischen vers chiedenen Versionen sind in " Aleatorio "
die Besti mmung des Tempos (und des Tempowe chsels ) , der In
ten sitt, der Tonlage und der Tondauer teilweise dem Belieben
und der gegenseitigen Absprache der Interpreten: der Unbe
stimmthe it, be rlassen. Fr eine Quartettpartitur von nur 1 6
Takten ist das recht viel. Die Bestimmungen grnden darber
hinausgehend selber auf Unbe stimmthe iten, was sie ihrem Be
griffe nach hinfllig macht , oder sie werden doppelt gegeben,
was sie berflssig oder widersprchlich werden lt. So ist
die Dynamik in re lativen Graden ange geben, die sich auf drei
"
" carattere ipotetici (forte , medio und debole) beziehen sol
len. Da aber diese Charaktere in der Partitur nirgends angege
ben sind , ist der Bezugspunkt der Dynamikangaben selber un
bestimmt. Diese Angaben ( F = Pii) forte des carattere assunto,
M = c . ass. , P meno intenso del c . a. ) sind selber wieder Be
=

standteil eines Systems , welches sie der Ausw ahl durch den In
terpreten zur Verfgung stellt . Im Extremfalle degradiert dies
alle Bestimmung zum Akt, der nichts meint. Dank eines be
trchtlichen Aufwandes von Zeichen und Regeln wird schlielich
gar nichts definiert. Komponieren wird hierdurch zum brokra
ti schen Manver. Es be zieht sich kaum noch auf die Musik, die
da eigentlich komponiert werden sollte.
Um anhand eines Beispiels die Konsequenzen verdeutlichen zu
knnen, die sich aus solcherlei Verfahren konkret ergeben, sei
angenommen, da die Interpreten sich einigen, dem 1 2 . Takt
( Partitur Seite 5 Ende) den " carattere medio " zu geben. Dem
ersten Geiger stehen danach zur Auswahl: F, M und P zur Ver
fgung; der zweite kann zwi schen F, M , P und einem mglichen
Crescendo in der zweiten Takthlfte whlen; der Bratscher kann
1 55

s ich zwi schen . F, M und P , sowie zwischen einem mglichen


Crescendo oder Decre scendo in der zweiten Takthlfte entschei
den; der Cellist schlielich darf pro Achtel de s 3 / 8 - Takte s zwi
schen M und P, dann zwischen P und M und schlielich ganz
eindeutig fr F sich ent scheiden. (Bsp. 9 9 )

{li.
F
I. Viol. -- W --

Viol . -- <---9
.
oder: P

---
p

(
F
Vla. -- M )
p

M p
Cello
F
p M - -

Doch ist mit all dem die Unbe stimmtheit der Struktur noch nicht
aufwendig genug be stimmt . Im gleichen Takt (Takt 1 2) sind Far
be, teilweise die Oktavlage der Tne ebenfalls variabel. Die
Generalanweisung zu Beginn des Taktes lautet, da alle Instru
mente die Klangfarbe wechseln sollen. Der Instrumentalist kann
also von zwlf gegebenen Anschlags- oder Strich - Arten eine
whlen, die im vorigen Takt nicht erklungen ist. Im Falle der
zweiten Violine , die in diesem Takt zwi schen drei Versionen
be rhaupt whlen kann, treten Doppelbestimmungen in Kraft ,
d ie nur tautologisch sind. Dort werden dem Interpreten: arco,
col legno, pizzicato, mandolinato, al ponticello , tremolo und
noch drei weitere Arten der Klangfarbenvernderung zur Wahl
anheimge stellt, deren Symbole in der Spielanweisung zu erkl
ren verge ssen wurde ( 3 5 ) . Die zehn Mglichkeiten, die allesamt
im zweiten der drei zur Wahl stehenden Systeme aufge zeichnet
s ind , beziehen sich - auf e ine e inzige Note.
Die be rbestimmung der variablen Elemente findet jedoch kei
nen Niederschlag in der musikali schen Ge stalt und ist kompo
s ition stechni s ch in nicht s begrndet. Die Vielzahl der aufge
zeichneten Elemente ode r Artikulationsanweisungen verleiht der
Partitur den Anschein betrchtlicher Differenzierung und Komp
lexitt. Doch kommen in den einzelnen Ver sionen immer nur

35) Darber hinaus mu man beachten, da dem zweiten Geiger noch zwei
andere Versionen zur Auswahl zur Verfgung stehen.
1 56

ganz wenige der verfgbaren Daten zur Geltung. Ange sichts der
Flle des notierten Materials (teilweise werden in einem Takt
fast alle be kannten Artikulationsformen fr Klangfarben ange
boten) wre die schlichte Spielanweisung: " Spielt Dynamik und
Klangfarbe, spielt Tempo und Strukturcharakter, wie es euch
gefllt, der Komponist hat nur Tonhhen geliefert " weitaus we
niger prtentis als die Unzahl einander aufhebender Bestim
munge n, deren Gegenstand wiederum unbestimmt ist - Diffe
renzierung, die nichts differenziert - steht in ,. Aleatorio " im
umgekehrten Verhltnis zur strukturellen Komplexitt, die einen
recht geringen Grad be sitzt. Der Aufw and an Mitteln bezieht
sich auf Strukturen, die diesen Aufwand nicht lohnen, weil sie
die Mittel nicht integrieren knnen. (Bsp. 1 00, Takt 1 1 und 1 2) .

Die Idee, die musikalischen Daten nur


e.ou.
. .

..
CJIU.

........ =. " H '


. als Gerst zu konzipieren, welches dann
von den Interpreten auf unvorhersehbare
Weise in vllig verschiedenen Formen
und Ge stalten interpretiert werden kann,
ist auf den ersten Blick wohl faszinierend.
In ihren Konsequenzen beinhaltet sie je
doch vllige Unabhngigkeit der Werkge
stalt von den durch den Komponisten zur
Verfgung gestellten Daten. Definition und
Konstruktion de s Materials gerinnen an
gesichts dessen zu Schein- Aktionen. Denn
ein Kompositionsakt, der festlegt, da die
Festlegung der Werkgestalt nicht Sache
des Komponisten sei, be stimmt lediglich
die Indifferenz des Komponisten seiner
eigenen Arbeit gegenber. Komponieren
will demnach nicht mehr Kompositionen,
sondern nur noch Auffhrungen zustande
bringen.

Au s allen ernsthaften Fragen zur Variabilitt und Flexibilitt


neuer Formen ist dies: Indetermination als Selbst zwec k, her
vorgegangen . Hier entsteht jedem Komponisten, dem am Gesicht
seiner Werke noch etwas gelegen ist, das Recht , die gesell
schaftliche Funktion des schpferischen Musiker s gegen jene
blo spielerisch- sthetizistische Aktivitt energisch zu vertei
digen.
1 57

Wie auch immer mit der Wandlung der Formen der Formbe griff
selber grundlegend sich wandeln wird , so bleibt doch die Ten
denz sinnlos , die dahin fhrt , da kompo sitorische Ideen und
Bestimmungen den Komponisten selber der Ent scheidung ber
die Ge stalt seine s Werkes entheben. All jene technischen Mittel,
welche dazu dienlich sind , mgen ihrer eigenen Form nach noch
so faszinierend sich darstellen. Vielleicht machen sie von der
"
" Freiheit der Interpreten, der angeblich in der Tradition so
strflich unterdrckten, Gebrauch - doch vermgen sie. nicht zu
verdecken, da sie die Entscheidungsfreiheit des Komponisten
paralysiere n.

Die zunehmende Indetermination, wie sie sich in der Folge der


bisher betrachteten Werke darstellt , hat den Charakter der Un
bestimmtheit in die Form der Notation selber verlagert , deren
Gestalt zum Symbol von Beliebigkeit wird . Graphische Musik
reprsentiert die Situation, in welcher Unbestimmtheit zum Sub
strat musikalischer Vorstellungen selber wird .
1 58

VI I . Indetermination als Gestalt


(Zur graphi schen Mu sik und zur Freiheit des Interpreten)

" Die Schwmme , Herr Doktor, da, da


steht ' s . Haben Sie schon ge sehn, in was
fr Figuren die Schwmme auf dem Bo
den wachse n ? Wer das lesen knnt ! "
Bchner, Woyzek

Die Arbeitsteilung zwis chen Komponist und Interpret , die sich


aus der zunehmenden Differenzierung der musikalischen Struk
tur ergibt , basiert auf der schriftlichen Fixierung von Musik.
Die Partitur ist, in ihrer doppelten Eigenschaft einer Fixie
rung formaler Konzeptionen und einer Aktionsanweisung, Mitt
ler zwis chen Produzent und Reproduzent ( 1 ) . Dank der Einheit
von Aktions- und Resultatschrift , wie sie die berlieferte Nota
tion darstellt , hat sie sich nicht zum reinen Bild emanzipiert .
Vornehmlich ist die s auch an der Idee des individuellen Werke s ,
d er einmaligen Konzeption, ,gelegen, die verhinderte, da ihr
Periphe re s - die A u f z e i c h n u n g des Vorge stellten - zur
autonomen Kategori e s ich erheben konnte.

Die Tendenz der musikalischen Notation zur autonomen Graphik


hngt , wie Stockhausen festge stellt hat ( 2 ) , eng mit den Prinzi
pien formaler Indetermination zusamme n . Die mangelnde Spe
zifitt struktureller Kriterien, dank welcher statt eines fiktiven
" Originals " ebens ogut dessen Permutationen oder hnliche Ab-

sikalischen Kommunikation, in: Die Reihe B, Wien 1962, S. 7 ff


1 ) Cf. Werner Meyer- Eppler: Informationstheoretische Probleme der mu

Erst nach Fertigstellung des Kapitels ber graphische Musik wurde mir der
neunte Band der Darmstdter Beitrge" (Mainz 1 9 65) zugnglich, der die
"
Referate des im Vorjahre abgehaltenen Kongresses ber Notationsprobleme
enthlt. Die meisten Beitrge des Bandes sind leider nur Wiederholungen der
subjektiven Wirrnis, die die Komponisten in Notationsfragen und Probleme
gebracht haben und die sie hier zu legitimieren trachten. (Siehe besonders
d ie Ausfhrungen Browns, S. 64 ff und te ils auch die Ausfhrungen Kagels und
Haubenstock- Ramatis . ) Darum verdient der Aufsatz Carl Dahlhaus' Noten

schrift heute" (S. 9 ff) besondere Erwhnung. Es ist der einzige Beitrag, der
die Frage nach dem Zusammenhang zwischen Form und Notation stellt und
auf diese Frage durchaus einleuchtende Antworten gibt. Dieser Aufsatz befat
sich auch mit technischen Einzelheiten und tut die s so sachlich, da sie an
dieser Stelle weitgehend bergangen werden knnen.

2) Stockhau sen, Schriften I, S. 1 86


1 59

wandlungen steh,en knnten, trennt die Fixierung des zu Reali


sierenden von der Realisation . Die Austauschbarkeit der die
Klangge stalt bestimmenden Struktur- Determinanten fhrt zum
Schlu der empirischen Untersuchungen zu ihrem Anfang zu
rck. Indem die innige Bezogenheit des be stimmenden definier
ten Symbols zu dem von ihm Be stimmten durchbrachen wird,
ent steht die Autonomie des Partitur- Bildes auf Kosten musika
lischer Authentizitt ( 3 ) . Wenn auch Musikve rlagen neue Ab
satzmrkte sich erschlieen mgen, indem sie graphische Par
tituren ., auch als Wand schmuck geeignet " (4) in den Kunsthan
del einfhren, so ist doch die geschichtstrchtige Inte rpretation
einer Tendenz zur ., Trennung von Spielen, Hren und Lesen -
wie sie in ganz verschiedenen Formen der musikalis chen Gra
phik sichtbar wird " (5) , ange sichts der Graphiken, angesichts
ihrer Klangresultate und angesichts der Interpretenaktionen arg
bereilt. Es liee nmlich umgekehrt die mangelnde Authentizi
tt der Klangve rsionen graphi scher Musik gerade auf die Eman
zipation des Optischen und die der Interpretenaktion sich zu
rc kfhren. Sinnlos ist e s , die Mglichkeit einer nur gelesenen
Musik ernsthaft ins Auge fassen zu wollen, wenn ihr Grund, die
graphische Partitur, den musikalischen Mglichkeiten formaler
und idiomatischer Diffe renzierung Gewalt antut und sie damit
nivelliert .

3)Emphatischen bertreibungen bei der Bewertung der graphischen Schn


heit solcher Partituren wird man wohl kaum folgen knnen. Die Partituren
Bussottis ausgenommen (Bussotti war Maler. bevor er Komponist wurde) , die
tatschlich optisch sehr subtil und interessant sind, lie keine andere Partitur
sich finden, die auch nur annhernd am gegenwrtigen Stand der Malerei sich
messen knnte . Im G egenteil mssen Partituren etwa Logotheti s ' , Morans,
Cerhas und anderer auf einen Betrachter, der von Bildern Pollocks, Sonder
borgs oder Rau schenbergs wei, einen eher dilettantischen Eindruck machen.
Die Tendenz zum Zeichen und zum Bild, die in avancierten literarischen Ar
beiten sich abzeichnet, darf keinesfalls mit der musikalischen zur G raphik
verwechselt oder auch nur verglichen werden. Denn das we sentliche Moment
lite rarischer Kommunikation ist der Lesevorgang. Und indem literarische
Darstellungsformen zum Bild tendieren, artikulieren sie diesen Vorgang auf
eine unmittelbare und spezifische Weise. Das heit: die graphische Gestalt
der literarischen Strukturen steht in unmittelbarem Bezug zur literarischen
Form, die mit und aus ihr entwickelt wird . Zwischen den literarisch und op
tisch gleichermaen faszinierenden Sehtextenn und .. poem- paintings (Kln

1 96 0 ff und Dsseldorf 1 964 ff) Ferdinand Kriwets etwa, und den bisher pub
lizierten graphischen Partituren neuer Musik besteht darum ein sachlicher
und qualitativer Unterschied.
4) Katalog der Universal Edition, Wien; Titel: Womit man auch sich
selbst beschenken kann , ohne Ort, ohne Jahr
5) Stockhausen, Schriften I, S. 1 88
1 60

Als Typen graphi s cher Notation existieren :


a) die Aktion s schrift,
b ) die Klang- zeichnende Schrift,
c) d ie nur symbolische (au s schlielich syntaktis che) Notation.

Die Aktions schrift verwendet ein Arsenal von Zeichen, welche


den Interpreten zu bestimmten Aktionen anhalten. So kann zum
Beispiel =:-=.
heien: mit der flachen Hand auf die Tasten
schlagen; kann heien: langsamer werden, etc . Der
Nachteil dieser Notation besteht darin, da sie nur auf recht
und ifferenzierte Klangereignisse reflektiert. In dem Augenblick
nmlich, in welchem die Struktur der zu produzierenden Klnge
przisiert werden soll, ms sen andere Bestimmungen hinzu
treten, die Lage, Dauer , Tonhhe, Farbe etc . bestimmen: je
konomischer ein Komponist notieren w ill und je differenzierter
er komponieren mchte, umso strker wird er seine Notation
dem P r i n z i p der traditionellen annhern, deren Vorteil - in
definierten Zeichen Aktionsanweisung und Klangdetermination
zu vereinen - bis heute dur ch keine andere Instrumental- Nota
tion (6) bertroffen wurde. In Kagels ,. Transieibn II " existiert
eine Mischung von klangdefinierender und aktionsdefinierender
Notation ( 7 ) . Teils ist jedoch die Aktions- Notation berfls sig,
denn ein einigermaen erfahrener Interpret wird schon selber
w i ssen, wie er bestimmte Klnge auf seinem Instrument zu re
alisieren hat . ( Bsp . 1 01 )

---- - '

In ihren Konsequenzen i st die Aktionsnotation als neue Kategorie


wenig tauglich. Wenn eine Komposition ausschlielich vermge
ihrer Auffhrungsmodi kommuniziert wird , dann schlgt das

6) Ausgenommen sind die den technischen Produktionsbedingungen ange


paten Notationsformen in Partituren elektronischer Musik.

7) Kagel, Transieibn II, a. a. 0. , S. 4 af B; cf. auch Kagel, Improvisation


ajoute. Frankfurt 1 96 1 - 2 , S. 8
161

Mittel der Kommunikation - die Summe d e r Aktionsanweisun


gen - wieder um in eine strikte Notation, ohne jedoch die musi
kalischen Vor stellungen so pr zise reflektieren zu knnen, wie
eine (Klang- ) Notation dies vermag. Mit bedeutend grerem Auf
wand w rde pedeutend weniger erreicht. Denn die Aktionsschrift
ist insofern unverbindlich, als sie zwar des Interpreten eigene
Vorstellung seiner Aktion und des aus ihr hervorgehenden Klang
re sultats stimulieren kann, nicht aber mit gle icher Przision zu
vermitteln ve rmag, was der Komponist von der Aktion des Inter
preten e rwartet.

Die traditionelle Musiknotation wie auch die Notation elektro


nischer Kompositionen hat ihren Sinn in der Verbindlichkeit des
Texte s, der die Verbindlichkeit der kompositorischen Entschei
dungen reflektiert . Solange die Abschaffung oder Umgehung die
ser Verbindlichkeit lediglich in der Vergrberung urid Nivellie
rung eines differenziert entwickelten musikalischen Struktur
denkens be steht, ist keinerlei Grund anzufhren, der sie zu
rechtfertigen ve rmchte. Und wenn die in aus schlielicher Gl
tigkeit verwendete Aktionsnotation es mglich macht, da, wie
im Falle des " Plus- Minus Stockhausens ( 8 ) , gem seriellen
Spielregeln Radios ein- und ausge stellt werden, wodurch OpeF
rettenklnge unversehens ins Zentrum der musikalischen Avant
garde gerckt werden, dann e ntlarvt das vom Komponisten ver
tretene Programm s ich als reine Ideologie . Ihr Korrelat hat sie
in der Banalitt des Werke s .

Die klangzeichnende Notation ist das wohl verbreitetste Dar


stellungsmittel graphischer Partituren. Sie hat ihr Modell im
Oszillator, der zeitliche Vorgnge in rumliche Dimensionen
transponiert. So hat denn die se Notation ihre Funktion da, wo
musikalische Bewegungsve rlufe mitgele sen werden sollen oder
wo optische Erleichterungen fr die Interpreten ge schaffe n wer
den sollen. Sehr hufig werden zum Beispiel in Kompositionen
fr Schlagzeug (9) Dichtevernderungen von Tremoli oder Tril
lern durch Zeichen wie etwa (Bsp. 1 0 2) :

8) Stockhausen, Plus-Minus, a. a. 0. Die Bemerkungen beziehen sich auf


die Klner Auffhrung vom 29. Januar 1 965

9) Stockhausen; Zyklus; Kagel: Transieibn Il; Boehmer: Information(1964 / 5)


1 62

angegeben, was den Vorteil hat , einen approximativen Bewe


gungsverlauf nicht durch seine mensurale Notation unntig komp
liziert erscheinen la ssen zu mssen, wie dies in der bertra
gung des Bsp. 1 0 2 deutlich wird ( B ,; p . 1 0 3 );
.J
J--J-;J--J--J .r--J .
r-

'-.... p resto '\.Tp o


Tpo accRit sub. Rit

Auch lassen sich etwa kompliziertere Anschlagsbezeichnungen


durch einfache graphi sche Zeichen anschaulicher darstellen, wie
etwa: .. Mit einem Eisenschlegel kreisfrmig schnell ber das
Tamtam streichen, dann ausklingen lassen " . Dies liee sic h
zum Beispiel einfacher s o ( Bsp. 1 0 4 ) :

darstellen ( 1 0) . Die Verwendung solcher grafischen Ze ichen hat


ihre Funktion, wo sie dazu dient, rationell Klangereignisse zu
definieren. Die andere Verwendungsart klangzeichnender Nota
tion ha:t ihren Sinn als Orientierungsnotation . So sind zum Bei
spiel in jeder der vier getrennten Orche sterpartituren von Stock
hausens " Carre' ( 1 1 ) die Bewegungsverlufe der jeweils drei
anderen Orcheste r, mit denen jeder Dirigent synchron bleiben,
die er aber nicht selber dirigieren mu, nur approximativ gra
phisch wiedergeben, so da jeder der vier Dirigenten auf den
ersten B lick markante Schlge, Klangblcke , Punktfelder et c . ,
konstatie ren kann, ohne durch die mhselige Entzifferung von
seiner eigenen Aufgabe abgelenkt zu werden. Auch in Werken
fr elektronische Klnge und .. life " whrend des Bandablaufs
spielende Instrumentalisten hat sich diese Orientierungsnotation
bewhrt ( 1 2) . D ie Notation ist in diesen Fllen Re sultat schrift;
sie taugt nicht dazu, da man in der Lektre ein Werk sich
e r s c h 1 i e e , sondern existiert n e b e n eine r przisen Nota
tion desselben als Hilfsmittel.
Nicht ohne Ironie wird man die Umkehrung die ses durchaus
sinnvollen Notationsprinzips in graphische r Musik konstatieren
knnen. In der beschriebenen Art der Klangzeichnung werden

1 0) Cf. Boehmer: Information, Seiten Cl bis 3

1 1 ) Stockhausen, Carrt! fr vier Orchester und vier Chre, Urauff. : Harn


burg 1 96 0

1 2) c f . z . B . : Pousseur: Rimes; Boulez: Pot!sie pour pouvoir; Stockhausen:


Kontakte (Wien 1 964); Boehmer: Position (Darmstadt 1 963)
durch die Notation differenzierte musikalische Strukturen (um
schneller Le sb'lrkeit willen) vereinfacht. Jedoch existieren Par
tituren, in w elchen das gleiche Notationsverfahren zur Grund
lage der Interpretation gemacht wird, wobei die Klangstruktur
weitgehend indeterminiert bleiben mu. Denn die Skizzierung
eines musikali schen Bewegungsablaufs bleibt hinter dessen kom
positorische r Differenzierung weit zurck. Aus diesem Grunde
hat die Notation im Verlauf abendlndischer Musikge schichte
von einer Bewegungs- zu e iner Verhltnis- ( syntaktischen) No
tation sich entw ickelt.

Die bertragung vager akustischer Vorstellungen in optische


Signale bedient sich meist der einfachen Formen (von denen be
liebig mehr aufzuzhlen sind) :

Punkt = Impuls ( e- ""' )


dicke s Zeichen = laute s Ereignis
dnne s Zeichen = leise s Ereignis
Aufwrts gerich = Bewegung von der tiefen zur hohen Lage
tete s Zeichen (auch:acc; auch: crescendo)
Abwrts gerich = Bewegung von der hohen zur tiefe:n Lage
tetes Zeichen (auch rit. und decre s cendo)
Ununterbrochene s = kontinuierlicher Vorgang (oder Zustand)
Zeichen

Da in Werken, die e ine Trennung zwischen Notation und Reali


sation vollziehen, die meist recht vage musikali sche Imagina
tion nur an die graphische Reprsentation gebunden ist, wird
d ie Klanggestalt von der Bildge stalt diktiert. Dahe r ist es nicht
verwunderlich, da sich in solchen Werken hufig Glis sandi ,
Tremoli , undifferen zierte und wahrhaft improvisierte punktuelle
Ereignisse vorfinden, die aber in der Zeit nicht vermittelt wer
den, da der ins Bild gebannten, verrumlichten musikalischen
Vorstellung die Dialektik zeitlicher Bewe gung nur ein uer
liches i st. Ein Au s schnitt aus Anestis Logothetis' " Ody s see " ,
e iner berau s belanglosen graphischen Partitur, mag fr jene
Gattung von Werken als Beispiel stehen ( 1 3 ) (Bsp. l 05 ) :

1 3) Anestis Logothetis, Odyssee, Wien 1964


( B sp. 1 05 ) :

Der dritte Typus graphischer Notation, die au ss chlielich sym


bolische ( syntaktische) Notation, erweckt den Ans chein, formale
B e z i e h u n g e n in rigorose ster Form darzustellen. Es werden
Symbole angegeben, deren Bedeutung jedoch erst vom Inter
preten auszumachen ist . Die einmal definierte Bedeutung mu
dann bei der Wiederkehr des Zeichens beibehalten werden ( 1 4 ) .
S o existiert ein au s schlielich syntaktischer Plan, dessen Ele
mente Verhlt nisse zwischen nicht definierten Klangereignis
sen definieren. In dieser Abstraktion gert das Verfahren zum
pseudo- logistis chen Kalkl. Denn musikali sch ist e s nicht ge
rade sinnvoll, Beziehungen zu definieren, ohne das zu bestim
men, was denn aufe inander bezogen werden soll. Ein Beispiel
aus den ,. 5 piano pie ces for David Tudor " von Sylvano Bus sotti
( 1 5) mag die graphische Ge stalt solcher Konzeptionen veran
schaulichen.

Die horizontalen Linien - es sind ber hundert - werden wohl


kein Analogon zu den Klaviersaiten darstellen. Man knnte sie

1 4 ) Z. B . : RIIIIGIII = aperiodisches Glissando auf den Klaviersaiten etc.

1 5) Sylvano Bussotti, Five piano pieces for. David Tudor, No. 3, Landon
Wien 1 95 9
1 65

vielleicht als Zeitachse oder als kontinuierlich sich verndern


den Klang deuten; die Bgen lieen sich sowohl als glissandi
wie auch al::> Legatobgen, wie auch als Richtungsweiser fr den
Lesevorgang etc . deuten. ( Bsp. 1 06):

Kaum wird man der Stockhausensehen Behauptung folgen kn


nen, " Zeiterfahrung " lasse " in Raumerfahrung sich transpo
nieren " ( 1 6) , obwohl vielleicht fr die beiden Dimensionen Dauer
und Klangbewegung sich allereinfachste optische quivalente
finden las sen. Doch sperrt eine auch nur annhernd differen
zierte musikalische Struktur sich gegen ihre unvermittelt gra
phisch- " rumliche " Transposition. Der Behauptung liee leicht
an einem tonalen oder seriellen Werk sich beweisen.

Die Mehrdeutigkeit der graphischen Elemente (die als Determi


nanten beliebiger Parameter verwendet werden knnen) durch
bricht e ndgltig die Beziehung zwischen der kompositorischen
Idee und ihrer Realisierung. Die hnlichkeit verschiedener Ver
sionen entsteht meist aus Angaben, die auerhalb des graphi
schen Konzept e s stehen: Instrumentenbe zeichnungen, Auffh
rungsdauern etc . In vielen Fllen auch bernehmen Interpreten
s chon vorliegende Interpretationsmodelle und reproduzieren sie
approximativ: hnlichkeit wird da vorab aus Imitation, nicht
unbedingt aber durch die Struktur des Werkes . Was in diesem
sich zutrgt, lt sich von seinem Autor nicht voraus sehen .
Der Komponist begngt sich mit der Funktion des Graphikers.
Nur liee autonome Graphik sicherlich ebenso gut (oder ebenso
schlecht) musikalisch sich interpretieren, ordnet man nur ihren

1 6 ) Stockhausen, Schrinen I , . S. l 8 1
1 66

Elementen musikalische Bedeutungen zu . Kaum ist abzusehen,


was - graphischen Skizzen entsprungen - noch alles als musi
kali sche s Werk sich gerieren wird. Selbst Photozellen hat man
in jngster Zeit vor beliebige Malereien gehalten und zu be
haupten sich erdreistet, die T ransformation optischer Daten in
Klangimpulse erzeuge mus ikalische Strukturen ( 1 7 ) . Jeder ge
radewegs herbeigeholte Informationstheoretiker knnte jedoch
die Adepten solch kindlicher Unternehmungen ber die Unstim
migkeiten ihrer theoretischen Voraussetzungen und die offen
sichtlichen Unkorrektheiten ihrer technischen Konkretisierungen
belehren.

Die symptomatischen Formen der Indetermination in neuer In


strume ntalmusik las sen sich in drei Typen zusammenfassen, in
welchen der Unbestimmtheit je eine verschiedene Funktion zu
teil w ird .
Im ersten Typus befindet sie sich in unmittelbarer Funktion der
Klangstruktur. Geruschartige dichte Klangmassen knnen - in
ihren definierten Grenzen - so darge stellt werden, wie sie ge
hrt werden sollen. Es w ird also durch die aleatoris chen Kon
struktionen solcher Klangkomplexe nicht die Indetermination der
Struktur erzeugt; vielmehr findet der Geru sch- Charakter der
Klangstruktur seine quivalente Aufzeichnung, deren statisti
sche Einzeldaten keine individuellen Bestimmungen sein ms
sen, wo doch nur Summen erklingen. An diesem Verfahren,
welches in der elektronischen Musik ( 1 8) immer grere Be
deutung gewinnt, w re in der instrumentalen Mu sik vor allem
sthetische Kritik zu ben. Denn seine Anwendung als Prinzip
setzt recht grobe und wenig subtile musikalische Vorstellungen
vorau s . Die kleinsten Ele mente instrumentaler Musik, die man
innerhalb statistis cher Felder verteilen kann, sind immer schon
ganze T ne . Deren Addition zu Massen nivelliert also gleich
zeitig den differenzierten Klang, der als ihre Summe intendiert
w ird. Um diesen Mangel - das heit, die stete Einfrmigkeit -
solcher Massenstrukturen zu beheben, haben einige Komponi
sten auf Verfahren der ehedem von ihnen befehdeten " musique
c oncrte " zurckgegriffen. Sie nehmen solch dichte Klangil" a s
s e n ber Mikrophon auf und " vertremden " und modulieren sie
mittels elektroakustischer Apparaturen, um s1e dann ber Laut-

1 7) C f. z . B. Gnter Maas , Klangbilder, Ausstellungskatalog Lempertz ,


8 . 5 . 1 965; cf. Der Spiegel, N o . 4 6/ 1 965, S . 1 70: Die Resultate aber sind we

nig ermutigend.
1 8) Siehe hierzu Kapitel 9
1 67

sprecher in den Konzertsaal zurckzuspielen ( 1 9 ) . Nur hat die


Kritik an der ,. musique concrte " , die deren jngste Anhnger
einst gebt haben, gerade an deren neuen Werken bewiesen, da
s ie zu Recht besteht.

Der zweite Typ von Indetermination umfat alle Formen von


Mobilitt und struktureller Variabilitt. Die Arten formaler Va
riabilitt, deren einzelne Versionen Teil des Formplane s sind
und kompositorischer K o n t r o 1 1 e unterliegen, wie etwa in
Boule z ' dritter Sonate, sollen dabei nicht unmittelbar unter das
Problem der Indetermination subsumiert werden, obwohl sie,
im Wunsche , neue Perspektiven eine s ,. relativen " formalen Uni
versums zu schaffen, weit ber alle Zufalls- Kompositionen hin
ausgreifen. - Die Kompositionen jedoch, die - in welcher Form
auch immer - in der Vielfalt m g 1 i c h e r Versionen einen
Garant ihrer eigenen Vielfalt erblicken, haben von einem Makel
des traditionellen serie llen Syste ms nicht sich befreien knnen
und sind nur dadurch ,. modern " , da sie ihn zum eigenen Pro
gramm erklrten. Es i st der der qualitativen Unterschiedslo
sigkeit von Permurationen einer Materialkonstellation , die dann
besteht , wenn man es beim Vertrauen auf d ie Materialqualitten
belt anstatt die se im Kompo s itionsvorgang zu erzeugen. Wenn
in einer " aleatorischen " Komposition eine Struktur sich findet,
die genauso gut ganz anders sein kann als sie ist, so drngt in
ihr sich die Gleichgltigkeit der Permutationstechnik an die
Oberflche des musikalischen G e schehens. Mit seriellen und
post - seriellen Kompositionsmethoden lassen sich recht wohl
mu sikalische Strukturen erfinden, die uerst spezifisch sind .
Diese knnten zwar auch anders sein als sie sind - denn Musik
folgt keinen Naturgesetzen - jedoch wrde dies ihren formalen,
ihre n musikalischen Sinn in Frage stellen. Das macht ihre In
dividualitt aus .

Anscheinend hat man jedoch i n indeterminierter Instrumental


musik Kunst und Natur verwechselt. Tatschlich lt au s keiner
Logik sich herleiten, da eine Struktur n u r so und nicht an
ders sein knne. Wenn abe r in musikalischen Konzepten hieraus
abgeleitet wird, da Permutationen beliebig freinander stehen
knnen , dann i st damit lediglich der Beweis erbracht, da sol
cherlei materiell m g 1 i c h ist . Jedoch opfern die Strukturen
um ihrer Variabilitt willen ihre Individualitt . Das " stheti-

19) Cf. Stockhausen: Mixtur fr 5 Orchestergruppen, Wien 1 965; Mikro


fanie II (1 964/5)
1 68

stische Materialgebastel " ( 2 0) tangiert jedoch kaum kompositori


sche Probleme. Denn die Strukturen werden in eine r Form pr
sentiert , die, als provisorische Disposition des Materials, der
kompo sitorischen Entscheidung v orangeht. So sind die Werke ,
deren Strukturen auf Unbestimmtheitskriterien beruhen, durch
weg dem Niveau der Materialsammlung ve rhaftet. Dieser htte
d ie Komposition erst noch zu folgen. Doch wird dif'!se, wie sehr
man auch die " Freiheit des Interpreten " in den letzten Jahren
betonte ( 21 ) , vom Interpreten bestimmt nicht zufriedenstellend
erledigt werden knnen, falls nicht alle seine Ent scheidungen
kompositorisch schon verbedacht werden. Die Entscheidungs
freiheit des Interpreten kann jedoch nur den Komponisten will
:wmmenes Mittel sein, d ie auf ihre e igene Entscheidungsfrei
heit zu verzichten gedenken. Wie d ie Entscheidungsfreiheit des
Komponisten spezifische Konstellationen des Materials bewirkt ,
so ist die Entscheidungsfreiheit des Interpreten Ausdruck des
Gegenteils - der materiellen Beliebigkeit.

Es wre sinnvoll, anstelle aller Freiheit s-Ideologien, die sich


aus der Verwendung von Zufallskriterien ergeben haben, zu be
denken, da ein Werk, de s sen spezifische Konfigurationen in
der Entscheidungsfreiheit des Komponisten grnden, fr den
Begriff von Freiheit besser e inzustehen vermag als all jene
aleatorischen Konzepte , die ihn mit Beliebigkeit verwechseln .
Denn Musik i st nicht die Summe von Material, sondern darber
hinaus Sprache; sie ist nicht unvermittelte Natur, sondern Re
flexion. In aleatorischer Musik hat die Erfahrung, die man mit
dem entropischen " zuflligen " Charakter der total organisier
ten serie llen gemacht hatte , zum gleichen Phnomen zurckge
fhrt. Nur soll es diesmal durch eine Flle von Theoremen ver
schleiert werden, die den Be zug auf musikalische Sachverhalte
j edoch blo vortuschen. '

Allen Bemhungen , in instrumentaler Musik Formen des Zufalls


kompo sitorisch zu entfalten, liee sich die Forderung entgegen
stellen, die kompositorischen Techniken dergestelt zu entwik
keln, da sie der Sanktionierung von Zuflligkeit in musikali
schen Dimen sionen gar nicht erst bedrfen. Zum starren se
riellen Musikde nken sind die " Freiheiten , welche der Zufall

20) Luigi Nono, Geschichte und Gegenwart in der Musik von heute, Darm
stdter Beitrge III, Mainz 1 960, S, 46

2 1 ) Stockhausen, Schriften I, S. 148 ff


1 69

gewhrt, keine Alternative . Fruchtbarer - wenngleich auch m


hevoller - i st es, das serielle System selbst vom Verdikt bloer
Dinglichkeit zu befreien und es zu einem System der Freiheit
umzuwandeln. Und tatschlich sind d ie bedeutendsten Schritte in
diese Richtung nicht durch Zufalls manipulationen, sondern durch
beraus verbindliche Kompositionen - Stockhausens ,. Gruppen
oder Boule z ' .. Pli selon Pli " etwa - getan worden.

Im dritten Typus von Indetermination sieht der Zufall sich zur


Intention der kompositorischen Arbeit, zum Ziel des musika
lischen Denkens selber erhoben. Musiktechnisch i st kein Wort
darber zu verlieren, denn das Phnomen ist bloe Weltanschau
ung. John C age , der es zur Ehre der Konzertpodien erhob, ist
auch in Europa von jungen Komponisten ber Gebhr bewundert
und imitiert worden. Ein ganzes Kapitel wird ihm nicht im Ge
ringsten wegen seiner Bedeutung gewidmet, sondern vielmehr
wegen des betrchtlichen Einflusses, den er ausgebt , und we
gen der Argumente, mit welchen er gewirkt hat . Hinter diesen
nmlich verbirgt sich eine Anschauung, die , einmal dechiff
riert, das theoretische G ebude fragwrdig macht.

Cages weltanschauliches System manifestiert sich weder im po


litischen noch im erotischen Bereich, sondern es hat die Ge
stalt von Mu sik angenommen. Aus diesem Grunde verdient es,
i m Rahmen d ieser Unte rsuchungen betrachtet zu werden: Musi
kalische Indetermination als Ideologie.
1 70

VIII . Zufall als Ideologie

G emeine Harfen klingen unter jeder


Hand . . . "
Karl Marx, Dis sertation

Als im Jahre 1 958 der amerikanische Komponist John Cage das


Podium der Darmstdter Ferienku rse fr Neu e Musik betrat,
u m dort ber Unbestimmtheit zu reden und sie gleichzeitig zu
demonstrieren, war in Europa der ungeteilte Primat serieller
Organisation ber die mus ikalische Formvorstellung schon ge
brochen. Der Zusammenhang zwischen Serialitt und Indeter
mination, der ohne Cage s Zutun kritisch durchleuchtet worden
war, hatte Werke wie Boulez ' dritte Sonate und Stoc khausens
Zeitmae hervorgebracht. Stockhau sen hatte den traditionell
seriellen Parameterbegriff einer umfassenden Kritik unterzo
gen, Unstimmigkeiten in der Determination analoger Parameter
kritisiert und gleichzeitig Grundrisse einer " neuen Morpholo
gie " der musikalischen Zeit entworfen (1).

Boulez hatte schon 1 957 in seinem Vortrag Alea (2) der pro
grammatischen Verwendung des Zufalls tzend scharf und un
zweideutig die Absage erteilt, indem er einerseits die geistige
Drftigkeit derer blostellte, die vom Zufall die Lsung ihrer
musikalischen Probleme s ich erhofften, um andererseits die
Mglichkeiten zu skizzieren, die dem Musikdenken sich erff
nen , wenn es Kriterien streng kontrollierter Indetermination
integriere . Es ist anzunehmen , da die Weiterentwicklung und
Entfaltung des seriellen Systems auch ohne den Ansto Cages
htte gelingen knnen - denn durch sein Zutun ist sie ber Jahre
hinaus verwirrt worden.

beraus groen Erfolg hatte Cage wohl meist bei Komponisten


minderer Qualitt, die der Rigorositt seriellen Kompanieren s
ohnehin gerne sich entzogen htten, die jedoch - dem Diktat der
Mode gehorchend - sich nicht getrauten, zum unverbindlichen
Idiom des Neoklassizismus zurckzukehren. Ihnen kam Cage
recht, der nicht nur bestrzende Simplizitt im Technischen of
fenbarte, sondern diese zugleich durch handliche philosophische

1) Stockhausen, Schriften I, S. 99 ff
2) Boulez, Alea, Darmstdter Beitrge I, Mainz 1 95 8 , S. 44 ff
171

Versatz stcke als u p t o date legitimierte. Doch ist die Klage ,


Cage habe der musikalischen Entw icklung eine katastrophale
Wendung verliehe n , w ie s ie in der Presse jahrelang erhoben
wurde, so halbwahr nur wie d ie Beteuerung einzelner Kompo
nisten , in ihren aleatorischen Konzeptionen von Cages Ideen nie
mals beeinflut worden zu sein . Komponisten er sten Range s,
wie Boulez , Nono und Koenig, haben in der Tat ber Cages Phi
losophie blo gelchelt, und kein Verdacht entsteht , da sie sie
in ihren Werken heimlich doch sich zu eigen gemacht htten.
Komponisten wie Stockhausen und Pousseur allerdings haben -
wie weit sie dies auch persnlich von sich weisen mgen - recht
viel von der Cage schen Weltanschauung innerviert, was ihrem
Schaffen nicht gerade zum Vorteil gereichte. Zumal im Falle
Stockhausens , der doch bis zu den Gruppen fr drei Orchester
A rbeiten allerhchsten Niveaus geschrieben hatte, i st - seit sei
ner Anbiederung an ideologische Formen der Indetermination -
ein vehementes Absinken der kompositorischen Qualitt nach
zuw eisen.

Den Erfolg, den Cage in Darmstadt und dann in anderen europ


ischen Zentren neuer Kunst zwischen 1 9 5 8 und 1 9 6 1 fr sich ver
buchen konnte, verdankt er wohl dem passenden Auge nblick, zu
welchem er dort erschien. Wenn auch am Horizont des Seriel
len der Durchbruch zu umfas senderen Organisationsprinzipien
s ich abzeichnete , so hatten d iese - und mit ihnen das P rinzip
kontrollierter Indetermination - kaum schon zu Begriffen und
weniger noch zu geschlossenen Theorien gefhrt, dank deren
kompositorischer Anwendung die Widersprche des Seriellen
prinzipiell htten transzend iert werden knr.en. Cage kam so als
deus ex machina. Was kein im seriellen Denken ge schulter Kom
ponist als Rezept zu verwenden sich getraute , w e il das musika
lische Ungengen zu prompt sich eingefunden htte, das brachte
Cage als w iderspruchsfreies philosophisches System mit: den
Zufall. Faszinieren mochten dabei die Nonchalance, mit wel
cher er seine The sen vortrug, wie auch der mangelnde Re spekt
vor seriellen Doktrinen. All dies erweckte den Anschein, als
habe die Verwendung des Zufalls in seiner Au sschlielichkeit
ihren Autor j edem geschichtlichen Zwang e nthoben, gegen den
er sich ja auch theoretisch kehrte . Doch ist die Ideologie abso
luter Freiheit, die w ohl weit ins 1 9 . Jahrhundert zurckreicht,
selber das Re sultat ungelster geschichtlicher Antagonien.

Da e s in den Werke n Cage s , d ie ausschlielich auf Zufallskri


terien beruhen, nichts zu analy sieren gibt, da auch durch Zu-
1 72

fall nichts in ihnen entstand, was musikalischer Betrachtung


standhielte, rckt ihre Idee in den V ordergrund. Diese hat ih
ren Ursprung weniger in philosophischen Reflexionen, denn in
den unausgetragenen Widersprchen des frheren Cageschen
Oeuvres. Diesem ist, seiner gesamten Struktur nach, das Prin
zip der V ermittlung fre md , welches es durch bloe Setzung,
Addition von Material, ersetzt hat. Darin s chon tendiert es zur
Isolation der musikalischen Elemente. Im traditionellen musi
kalischen Idiom w ird diese I solation oft Ge stalt durch ostinato
hafte Wiederholung rhythmi scher Muster oder einfacher Inter
vallve rbnde. Cages ,. Metamorphosis " ( 3 ) zum Beispiel setzt
sich aus Re ihenfragmenten zusammen, die keinerlei differen
zierte r Variation unterliegen (4) : Die Zellen der Reihe werden
zu ostinatohaften Figuren, deren an folkloristische Ele mente
gemahnende Wiederholung die Notwendigkeit einer Verwendung
von Reihen fragwrdig macht.

Zum Modell w ird d ieses Additionsverfahren in anderen Werken,


wie etwa dem " Trio " (5) oder dem " Quartett " ( 6 ) , die ohne An
sat z von Differenzierung gleichbleibende rhythmische Muster
ane inanderreihen.

Es hat diese Methode etwas vom technischen Reservatcharak


ter an s ich, wie er amerikanischer Mu sik der ersten Hlfte des
zwanzigsten Jahrhunderts d e s fteren eignet , welche mangels
e iner eigenstndigen amerikanis chen Tradition fr die Anleh
nung an amerikanische Folklore oder Kirchenmusik sich ent
schied (7) . Der Clichcharakter solcher Werke bertont zumeist
ihre kompositionstechnischen Neuerungen, falls die se berhaupt
erheblich sind.

3) John Cage , Metamorphosis ( 1 9 38) fr Klavien. Da alle Werke Cages ab


1 96 0 bei Peters, New York und Frankfurt, erschienen sind, werden sie hier
mit ihrem teils weit vorher datierenden Entstehungsdatum angefhrt.

4) hnlich auch ist die Music for w ind instruments (1 938) gebaut.

5) Trio, 1 9 3 6

6 ) Quartett (fr Schlaginstrumente), 1 935

7 ) Man denke etwa an Charles Ives' 3 . Sinfonie ( 1 905) oder die folkloristi
schen Muster seiner Concord Sonata , deren Primitivitt besonders deut
lich wird, da sie musiksprachlich mit den verwendeten Relikten technischen
Fortschritts - unaufgelsten Dissonanzen, bitanalen Strukturen, mobilen Ab
s chnitten - nicht im Geringsten mitzuhalten vermag.
1 73

Im Stre ichquartett von 1 9 3 6 (8) fgen Muste r, ClicMs und de


ren Isolation s ich zum Prinzip der Collage , welches heterogene
Floskeln verschiedener musikalis cher Idiome zusammenstckt,
ohne da j ed och - w ie solcherlei vielleicht bei Stravinskij sich
fnde - deren Addierung ironisch, kritisch oder gar zusammen
hangbildend fungierte. - An den Partituren Cages bis etwa 1 9 3 8
frappiert die Simplizitt der kompositorischen Verfahren; die
mangelnde Authenti z itt des Partiturbildes i st nicht zuletzt ein
Zeichen dafr.

Wer Cage vorwiegend als Autor total indeterminierter ,.experi


menteller " Musik kennt, i st nicht we nig erstaunt, in den rhyth
mischen Konstellationen seiner frheren Musik alles - 'wie nach
Kapellmei stermanier - am Taktstrich au sgerichtet zu sehen.
Auch in Werken, die an Var se sich anlehnen, wie etwa die
.,C onstructions in Metal ( 9 ) , zeugt dieser Schematismus schier
paralysierende Monotonie. Stets tritt die Integration der Schiag
zeuggeru sche - c onditio sine qua non ihrer musikalischen Eman
zipation - hinter d ie simplen rhythmischen Frakturen zurck,
die, meist periodisch, es bei einfachsten Wechseltonwirkungen
innerhalb abge schlos sener Strukturblcke belassen. Die rhyth
mische Struktur hat an der Organisation musikalischer Sach
verhalte kaum teil; im Gegenteil verhindert sie jegliche diffe
renziertere Entfaltung des Materials, indem sie sich einfach
ster , stndig repetierter Schemata bedient . In der ersten Con
struction lautet das Takt schema: 4 - 3 - 2 - 3-4; es w ird 16 Mal un
verndert w iederholt (eine Coda 2- 3 - 4 ist angefgt ) . Der revo
lutionre G e stus mndet in die schulmei sterlichen Symmetrien,
die jedoch zur musikalischen Phrasierung rein uerlich s ich
verhalten.

Tatschlich hat C age solche Schemata, die berhaupt nur dank


der mu sikalischen Zu sammenhnge Sinn besitzen (deren T e i 1
sie allenfalls sein knnen) , fr eine Qualitt, e ine Sache an sich
gehalten und im G e samtkatalog seine s Oeuvres ( 1 0) bei e inigen

8) Manuskript (im Peters-Gesamtkatalog nicht angefhrt)

9) Cage , Construction in Metal l (1 939); Construction in Metal Il ( 1 940);


Construction in Metal lll ( 1 9 4 1 ) . Die obenstehenden Bemerkungen beziehen
sich auf die erste Construction, die man etwa mit Varl!ses ,. Ionisation ver
gleichen mte, um den eklatanten Unterschied im kompositorischen Niveau
festzustellen. In der Integration der Schlagzeuggerusche ist Cage weit hinter
Varl!se zurckgeblieben.

1 0) Edition Peters , John-Cage- Katalog, New York 1 96 2


1 74

seiner Werke deren " rhythmic structure " eigens ange merkt ( 1 1 ) .
Der Taktverband , der in der Idiomatik tonaler Mu sik eine mu
siksprachlich- syntaktische Funktion hatte, wird zum eigenstn
digen Schema, dessen mechani sche Verwendung nun umgekehrt
die Phrase nbildung skelettiert. Dabei sind nicht etwa Verfahren
variabler Metrik gebildet worden; vielmehr herr scht in den me i
sten Wer ken d ie G ruppierung gle icher Takte vor. W as Schoe n
bergs Musik bis in die einzelne Note konsequent ausgetragen
hat , nmlich eine kompositori sche Kritik am fragwrd ig gewor
denen Begriff des musikali schen Zusammenhangs , das ist bei
Cage Resultat unterentwickelter, mangelnd reflektierter Kom
positionste chnik, und sollte Kritik nicht eigentlich genannt wer
den .

Die disparaten Blc ke oder Zellen, die gleichsam von oben her
zusammenbefohlen werden, geraten in der milungenen Eman
zipation des Geruschs selbe r zu einer falschen Substantialitt .

Das Prinzip der " Prparierung von Klavie rsaiten, wie e s C age
seit ungefhr 1 9 3 8 ( 1 2) angew e ndet hat, bewirkt Isolierung u nd
tuscht zur gleichen Zeit die Substan zvermehrung der dispara
ten Tne vor, als Belohnung fr den geopferten Zusammenhang.
Diesem hat Cage stets unterstellt, er sei das Diktat des Men
schen ber die Natur, welcher von Menschen erdachte Kompo
sitionssy steme Gewalt antten. Aus dieser Versklavung gilt e s
die Klnge zu befreien : Or, a s before , one may give up the
de sire to control sound, clear his mind of music , and set about
discovering means to let sound s be themselfes rather than ve
hicles for man- made theorie s or expre ssions of human senti
ments " ( 1 3) .

Allem Anschein nach liegt i m technischen Verfahren der Kla


vierprparierung der K e i m fr alle ide ologi sche Konfusion, die
C age spter zum weltanschaulichen System, oberflchlich oh-

1 1 ) Cf. Katalog S. 8 , 1 7 , 1 5 , 38 u. a .

1 2) Cage , Bacchanale ( 1 9 38) fr prpariertes Klavier.

1 3) Alle Zitate sind der Sammlung smtlicher Cagescher Aufstze und


Reden " Silence " entnommen, wo sie leichter aufzufinden sind als in den ver
streuten und teils kaum mehr zugnglichen Erstverffentlichungen. John Cage,
Silence, Weseleyan University Pre s s , Middletown, Connecticut, o . J . ( 1 9 6 1 ) ,
5. 1 0
1 75

negleichen, ausbaute. Denn d ie zum Programm gemachte I so


lie rung, welche i m Falle des " prepared piano die Basis kom
positorischer Zusammenhangsbildung: das Prinzip homogener
Skalen, zugunsten der bloen Partikularitt klanglich verfrem
deter Einzeltne aufhebt , legt in diese an Sinn hinein, was ehe
mals nur ihre Konfigurationen vollbrachte n. Die abstrakte Ein
zelheit w ird legitimiert als System. Dank ihrer Klangfarben
verfremdung durch Metall- oder Gummi- Teile werden einzelne
T ne des Klaviers aus ihrem funktionalen Kontext genommen
und zu Phnotypen gemacht, deren ein jeder fr sich steht und
durchaus keinem Klangfarbenkontinuum eingeordnet ist , wel
che s zwi schen ihm und den nicht verfremdeten Tnen vermitteln
knnte. Jedoch reflektiert das kompositorische Verfahren nicht
auf diese Besonderheit. Der Klavier satz ( 1 4) orie ntiert sich auch
weiterhin an der Skala homogener Klaviertne, was die prpa
rierten zum Epiphnomen degradiert. Doch ist C age die ideolo
gische Rechtfertigung schnell bei der Hand . Die bar jeden funk
tionellen Zusammenhangs stehenden Klnge scheinen ihm fr
Freiheit zu stehen. Anllich einer Be schreibung probabilisti
scher Ve rfahren in Browns " Indices merkt er an ( 1 5 ) : The
sound s of Indices are just sound s . Had bias not been introduced
in the use of the table s of random numbe rs, the sounds would
have been not just sounds but elements acting acc ording to scien
tific theorie s of probability, elements acting in relationship due
to the e qual distribution of each one ofthose present - elements,
that is to say , under the control of man. " Nur sind die Tabel
len von Zufallszahlen auch von Menschen dank komplizierter
Te chniken entworfene Schemata.

Obschon der kritische Zweifel an etablierten musikalischen Zu


sammenhngen - und somit der Zweifel an deren kompositions
technischen Grundlagen - Ansto zu aller musikalischen Evolu
tion ist , mchte Cage aus dem ge schichtlichen Schema au ssche
ren - um sich allerdings einem betrchtlich simpleren zu fgen .
Die Liquidation von Sinn und Zu sammenhang kehrt sich in die
Verdinglichung des Zusammenhngenden um, so, als ob dies
nur d a sei und nicht auch g e w o r d e n sei. " Several other
kinds of sound have been distasteful to me : the works of Beet
hoven, Italian Belcanto, jazz, and the vibraphone . I used Beet
hoven in the , Williams Mix' , jazz in the , Imaginary Landscape

14) Cf. u. a . : Meditation ( 1 94 3 ) ; The Perilous Night ( 1 944); Room ( 1 943).

1 5 ) Silence, S. 3 7
1 76

Number V ' bel canto in the recent part for voice in the , Con

cert for Piano and Orchestra' . It remains for me to come to


terms with the vibraphone . In other word s, I find my taste for
timbre lacking in necessity, and I discover, that in the propor
tion I give it up, I find I hear more and more accurately. Beet
hoven now is a surprise , as acceptable for the ear as cowbell. "
( 1 6)

Kein Komponist ist auf Zuneigung zu Beethoven zu verpflichten.


Fragwrdig bleiben jedoch seine Konzepte , wenn sie zwischen
Beethoven und Kuhglocken nicht zu differenzieren vermgen und
imbeziler Kommentare sich nicht enthalten, wie ( 1 7 ) : ,. ls what ' s
clear t o me clear t o you ? . . . Are sounds just sound s or are
they Beethove n ? . . . People aren't sounds , are they ? " Oder: ( 1 8)
" We know now that sounds and noises are not just frequencie s
(pitche s ) : that is why so mu ch of European musical studies and
even so much of modern music is no langer urgently necessary .
It is pleasant if you happen to hear Beethoven or Chopin or what
ever, but it isn' t urgent to do so any more . "

Voreilig i st die gelufige Meinung, Cage betriebe seine musi


kalischen oder theoretischen Veranstaltungen um der Destruk
tion des falschen brgerlichen Kulturideals willen - er betriebe
Kritik, die in mu sikalischen Aktionen sich manife stiere. Hat
Adorno ( 1 9) vermutet, Cage s Musik sei " Prote st gegen die Na
turbeherrschung " , so lt dem sich entgegnen, da sie darob
zur Naturideologie sich verbildete. Denn tatschlich hat Cage
lange schon im Sinn, wovor Adorno kritisch Zurckhaltung emp
fahl ( 2 0) : ., Fatal wird die Blague erst, wenn sie exotisch- kunst
gewerbliche Metaphysik bemht , um in eben jene Po sitivitt sich
zu berhhen, die sie denunziert. " Die se Positivitt ist dem
Kern des C ageschen Unternehmens jedoch schon einbe schrie
ben. Denn seine Kritik am musikalischen Zusammenhang, wel
chen er schlicht mit Herrschaft des Menschen ber Natur identi
fiziert ( 2 1 ) , vollzieht sich zugunsten einer Befreiung de s .,rohen

1 6) Silence, S. 30 f
1 7 ) Silence, S. 4 1
1 8) Silence, S. 7 0
1 9) Theodor W. Adorno, Vers une musique informelle, Darmstdter Bei
trge IV, 1 960, S. 9 8
2 0 ) Adorno, ibidem
2 1 ) Silence, S. 2 2 , S. 37 f
1 77

Klangs aus der Umstrickung durch v o m Menschen gemachte


Systeme. Da, wie Metzger vermutet, jene Kritik fr die am
Prinzip der Herrschaft von Menschen ber Menschen stehen
mchte, ist lblich. Doch ist der Begriff von Herrschaft nicht
von Herrscher und Beherrschtem zu abstrahieren und zum Ana
thema schlechthin zu erklren. Wie an der Beherrschung ( 2 2)
der Natur nichts au s zusetzen ist , wre sie nicht zwec khart der
Beherrschung von Menschen durch ihresgleichen verbunden, so
kehrt bei C age das Mitleid mit der versklavten Natur in deren
Herrs chaft ber die Menschen sich um. Denn die Reduktion des
musikalischen Zusammenhanges auf die Exposition iso rter
Klangphnomene , Einzelgerusche, liquidiert den m u s i k a -
1 i s c h e n Klang, dem erst sein kontextueller Bezug Sinn ver
leiht, und ersetzt ihn durch vormusikali sche s NaturmateriaL
In vllig dem Zufall berlas senen Werken Cages ist darum je
der Klang, woher er auch stamme , stets der rechte. Begrndet
w ird dies mit dem Postulat einer Einheit von Kunst und Leben,
welche s aber vor der konsequenten Forderung sich scheut, da
Leben erst einmal be sser werden solle als es ist, um jene Ein
heit gut machen zu knnen. Im Gegenteil wird der Kunst ihr kri
tisches Wesen vollends ausgetrieben. Sie wird zum schlechten
Bestehenden, den Banalitten des tglichen Trotts vermengt:
" When we separate music from life what we get is art (a com
pendium of masterpie ces) . With contemporary music , when it
is actually contemporary, we have no time to make that Separa
tion (which protects us from living) , and so conte mporary mu sic
is not so much art as it is life and any one making it no sooner
finishes one of it than he begins making another just as people
keep on washing dishes, brushing their teeth, getting sleepy,
and so on. (2 3)
"

Die Isolierung der Klnge voneinande r, die damit begrndet


wird , da sie nur so sie selber zu sein vermchten, kehrt - re
volutionr sich gebrdend - unverzglich ihre reaktionre Seite
hervor . Analog zu jenem Wilden vielleicht, der an Naturereig
nissen nur ihre phnomenale , nicht aber ihre funktionale Seite
apperzipiert, der blo ihre Besonderheit begreift und sie per
sonifiziert, ereignet bei Cage die Liquidation des Zusammen
hangs sich als Regre ssion in falschen Mythos . Um des unsinni-

2 2) . . Falls das Wort Herrschaft in diesem Zusammenhang berhaupt


.

Sinn hat. Denn der Widerstand, den Natur menschlichem Tun leistet, grndet
nicht in ihrem subjektiven Willen. Vielmehr ist seine Kraft Zeichen fr die
unvollkommene Kenntnis, die Menschen ber Natur bisher sich aneigneten.

23) Silence, S. 44
1 78

gen Vorwurfs willen, musikalische Systeme htten das musika


lische Material in eine dessen Freiheit unangepate Zwangsjacke
gepfercht (24 ) , mu diesem Material eine seine vllige Isolie
rung berdauernde Qualitt zugesprochen werden, bei der nicht
auszumachen ist, woher s ie ihm zuw chst. Dieser Antagonis
mu s bleibt in Cages Philosophie - wie auch in seiner Musik -
unaufgelst. Die Tneorie macht es sich einfach, indem s ie statt
der Vermittlung des Widerspruchs diesen selber als Natur ver
herrlicht , - seine nicht gelungene Auflsung hinter bloer Sub
jektivitt versteckt. Darin geht Cage so weit, da man versucht
ist, das Niveau seine s Philosophierens mit Hermann Lns' li
terari scher Produktion zu vergleichen. Zumindest hneln Spra
che und Argumente einander frappie rend : " Hearing sound s which
are just sounds immediately sets the theorizing mind to theori
zing, and the emotions of human beings are continually aroused
by encounters with nature . Does not a mountain unintentionally
evoke in us a sense of wonder ? otters along a stream a sense
of mirth? night in the wood a sense of fear ? Do not rain falling
and mists rising up suggest the love binding heaven and earth ?
Is not a de caying flash loathsome ? Does not the death of some
one we love bring sorrow ? And is there a greater hero than the
last plant which grow s ? What is more angry than the flash of
lightning and the sound of thunde r ? These responses to nature
are mine and will not nece ssarily corre spond with another' s .
Emotion take s place in the per son who has it. And sound s, when
allowed to be themselve s, do not require that those who hear
them do so unfeelingly. The opposite is what is meant by re
sponsability. " ( 25)
Wo die Qualitt der Klnge als durch deren Funktion ihnen zu
gewachsene s e m a n t i s c h e Seite sich erweist - wie etwa bei
Donner, Autohupe oder Flugzeuggerusch - , da geriert die
Forderung nach deren Kontemplation sich selber schon als Ba
nalitt. Wo jedoch die Forderung e ines unvermittelten Bezuge s
zwischen reinem Objekt und menschlichem Gefhl das " Mate
rial " der Kunst auf akzidentielle Klnge der Umwelt reduziert -
so, als seien sie darum schon das Wesentliche - , da begibt die
Theorie sich ihres Anspruchs der Reflexion und wird zur dump-
24) Es zeugt dieser Vorwurf, der im spten Oeuvre Cages zum Manifest
wird , von einer recht schlichten Vorstellung musikalischer Systeme. Denn die
Unterstellung, sie seien dem knstlerischen Material uerlich, unterschlgt,
da die Systeme - als Objektivierung der musikalischen Idiomatik - selber
Teil des Materials in seinen geschichtlich wandelbaren Formen sind.

25) Silence, S. 1 0
1 79

fen Naturideologie ( 2 6 ) . Darin ist wohl d e r wahre G rund des


C ageschen Schrittes zu sehen, Zufallsmanipulationen zu ver
wenden. Denn in ihm reichen die totale Isolierung und die Ado
ration unvermittelter Natur sich die Hand. Sinn, der musikali
s chen Klngen aus ihrem Zusammenhang zuwchst , wird ihnen
bei C age ausgetrieben, um ihnen, als falschen Subjekten, als
isolierten absoluten Ichs , wieder eingepumpt zu werden. Cages
These, da die zufllige Anordnung der Klnge den Zuhrer
des Zwange s e nthebe , den komponierte Werke ihm auferlegen,
s chlgt, obwohl sie Fre iheit sich auf' s Panier geschrieben hat,
um in nackten, sinnlosen Terror, in den Zwang de s Zufallsy
stems . Auf diesen antwortet C ages Publikum oft mit Gelchter,
weil es ihn nicht durchschaut. Denn in seiner T otalitt ist der
Zufall ein rigorose s System, welches in seinen musikalischen
Formen gerade dadurch der C age schen Systemkritik zu unter
liegen htte, als es in der zwanghaften Vereinzelung seiner Ele
mente den menschlichen Eingriff zu dem Zwecke verbietet, der
bei Cage bloer Name bleibt: Begrndung von Freiheit ( 27) .
Denkt man an Ideologien aus der Ge schichte des Liberalismus
oder des Anarchismus , oder an Konzeptionen w ie die de s Stir
nersehen ,. Einzigen " ( 2 8) und manch hnliche G edanken bei Ba
kunin ( 2 9 ) , so bleibt bei Cage, der geistig wohl manches aus der
anarchistischen Bewegung zur Zeit der amerikanischen Wirt
schaftskrise e mpfangen hat, kein Rest von Originalitt. Sein
weltanschaulicher Entwurf hat in der politischen Sphre schon
viel frher kapitulieren mssen, vor allem in den Bereichen
faschistischer Ideologie, die die unvermittelte Emanzipation de s
Einzelnen mit Schlagworten bezeichneten, die " Kraft , " Tu
gend " oder w ie auch immer lauteten.

26) Das treffendste Modell einer solchen Konfusion von Geist und Natur
ist von Martin Heidegger berliefert. Cf. Heidegger, Schpferische Land
schaft; Warum bleiben wir in der Provinz ? " , in: Guido Sehneeberger, !:lach
lese zu Heidegger, Bern 1 962, S. 2 1 6 ff

27) .. Wir mssen daran erinnern, da Freiheit ein lgnerisches Emblem


wird - eine feierliche E rgnzung' der Gewalt - sobald sie zur Idee erstarrt

und sobald man beginnt, die Freiheit statt der freien Menschen zu verteidi
gen. (Maurice Merleau- Ponty, Humanisme et Terreur, Paris 1 94 7; deutsch:
Humanismus und Terror, Frankfurt 1 96 6 , Band I, S . 1 8)

28) Max Stirn e r . Der Einzige und sein Eigentum, Leipzig 1 847

29) Cf. Marx- Enge1 s , Werke, Berlin 1 96 1 , Band 6 , S. 2 7 0 ff: Der demo
kratische Panslavismus; Band 1 8, Berlin 1 96 2 , S. 3 3 1 ff, S. 4 7 7 ff und S. 599 ff
(Konspekt von Bakunins Buch Staatlichkeit und Anarchie " )

1 80

Die Konfu sion zwi schen Natur als dem nur Objektiven und Frei
heit , wie sie in Cage s Musik die G e stalt reiner Beliebigkeit an
nimmt, rc kt d eren Autor, zumindest seiner Philosophie nach,
in die Nhe jener gesellschaftlichen Ideologien.

Isolierung und Zufall sind Korrelate insofern, als erstere die


Bedingung des letzteren ist und als umgekehrt aus der Verwen
dung von Zufall die Isolierung der ihm unterworfenen Objekte
re sultiert . Dies hebt jeglichen Begriff von Freiheit auf, denn
Freiheit, die , wie bei Cage, auf nichts sich bezieht , wird ihrem
eigenen Begriffe nach hinfllig. Marx hat in seiner Dis sertation
dies kritisch durchleuchtet , und fast ist man geneigt, seine G e
danken, obwohl hundert Jahre z u frh ge schrieben, als spe zi
fisch fr (oder gegen) Cage formuliert zu betrachten . Zumin
dest beweist dies, wie wenig Neues im Cageschen System sich
findet. Bei Marx heit es ( 3 0) : " Die abstrakte Einzelheit ist die
Freiheit v o m Dasein, nicht die Freiheit i m Dasein. Sie ver
mag nicht , im Licht des Daseins z u leuchten. Es ist dies ein
Element, in welchem sie ihren Charakter verliert und materiell
wird. "

Deutlich tritt, worauf diese Kritik sich bezieht, bei Cage mit
unberhrbarer Naivitt hervor. In einem " Experimental Mu sic
Doctrin " betitelten Inte rview, welches der Komponist sich sel
ber gewhrte, heit es ( 3 1 ) : Question: I have noticed that you
..

write durations that are beyond the possibility of performance . -


Answer: Composing' s one thing, performing s another , liste
ning' s a third . What can they have to do with another ?

Die Konfusion, welche C age zwischen Bewutsein und knstle


rischem Material stiftet , tritt in der Negation des Bewutseins
noch deutlicher hervor ( 3 2 ) : . . . the interpretation of imper-
.,

30) Karl Marx, Differenz d e r demokritischen und epikureischen Natur


philosophie ( 1 84 1 ) , MEGA I , 1 ; hier zitiert nach: Marx, Texte zu Methode und
Praxis I, Harnburg 1 966, S. 1 63
Wenn von der Emanzipation des Einzelnen in der faschistischen Ideologie ge
sprochen wird, so ist damit die falsche Emanzipation gemeint. Die Individuen
werden in ihrer Individualitt nur darum unvermittelt angesprochen und be
strkt, damit diese umso bruchloser unter den absoluten Primat des gesell
schaftlichen Systems sich passen lt. hnlich bei Cage, der die von ihm
beschworene Individualitt als solche" der Tne dadurch letztenendes mit

Miachtung straft , da er s ie Zufallsoperationen ausliefert .

3 1 ) Silence, S. 1 5
32) Silence, 5. 1 0/ 1 1
181

fections i n the paper upon which one i s w riting, may provide a


music free from one ' s memory and imagination the com
. . .

poser resembles the maker of a camera who allows someone


else to take the pictu re. "

Die musikalische Komposition w ird , in einem durch und durch


zweifelhaften Vergleich, zum bloen Instrument ihrer eigenen
Darstellung degradiert. Dies ist weder dialektisch noch para
dox, sondern einfach unzulnglich gedacht . Denn das Verhltnis
v on Kamera, Photo und Objektwelt ist mit dem, we lches zwi
schen Werk und einzelner Version sich herstellen mag, nicht zu
vergleichen. Jedoch gehrt e s zu Cages Logik, von der Bezie
hung zwi schen Objekten abzusehen. Nur dadurch nmlich wer
den ihm Beethoven und Kuhglocken eins. Doppelt ze igt sich in
C ages Gedanke die Tendenz zur bloen Verdinglichung: die Kom
position w ird zum bloen Instrument (zur Kamera) , whrend die
klangliche Reali sation zum bloen Objekt w ird , zum Naturpano
r ama vielleicht , welches mit der Kamera aufgenommen wird .
Freilich treten sich beide nicht gegenber. Die Kamera photo
graphiert sich selber .
Die RealisaHonen C age scher Oeuvres, deren stndig unaufge
lste s Nebeneinander von Material Monotonie hervorruft, haben
statt der unterstellten Radikalitt nur allzuviel vom Kunstge
werbe an sich. Luigi Nano hat auf den Zusammenhang der Cage
s chen Freiheitsideologie mit kunstgewerblicher Dekoration ver
w ie sen. Auch ihm ist dabei aufgefallen, w elche Vorliebe Cage
fr orientalische Philosophien hegt, die er bunt durche inander
wrfelt. Nano schre ibt (33) : Man kann au s allem e in Dekor
,.

machen, und es gibt das ganz e infache Mittel, einer Kultur Ele
mente zu entnehmen und sie, ihres ur sprnglichen Sinnes be
raubt, ohne jede Be ziehung in eine andere Kultur zu stellen " .
Und (34) : ., . . . es ist kein funktioneller Unterschied zwischen
einer hohlen indischen Bes chwrungstrommel, die in einem eu
ropi schen Haushalt als Mlleimer dient , und den Orientalis
men, deren sich die abendlndische Kultur bedient, um ihr sthe
tizistisches Materialgebastel attraktiver zu machen. "
Wie sehr e s Cage um jene Attraktivitt zu tun ist , geht aus ei
nem anderen Sachverhalt hervor, der sich technisch aus den
Zufallsoperationen ergibt, den jedoch die sthetis che Legitima-

33) Luigi Nono, G eschichte und Gegenwart in der Musik von heute, Darm
stdter Beitrge Ill, a. a. 0. , S. 45

34) Nono, Geschichte, a. a. 0. , S . 45 f


1 82

tion zum Requisit von Weltanschauung macht. In Cages spteren


Stcken erscheinen beraus lange Pausen, zwischen die meist
nur einze lne Tne gebettet sind. Doch sind sie nicht einfach nur
Mittel zur Liquidierung des Zusammenhangs; vielmehr werden
sie zur Instanz von Freiheit umgedeutet - auch hier jedoch wie
der unter dem Joch bloer Verdinglichung. Sie werden zu L
chern, durch welche Natur hindurchschaut. Freilich ist die s -
wohin C ages Einsicht nicht reicht - tautologiscq, da die Werke ja
zuvor selber zur Natur erklrt wurden, Indem jedoch die Pau
sen dazu herhalten mssen, die Schicht unmittelbarster Natur
von den Klngen der " Komposition abzuheben - wo ich die nicht
hre, hre ich vielleicht die Autos ode r die Grillen drauUen -
wird der Anspruch des Werkes, Natur zu sein, zum bloen
Zwang , die Zufallsmethode als Arrangement wird zur Maf5nah
me . Die musikalische Struktur, die dem Autor blo unterlaufen
zu sein scheint , wird , da es ihm suspekt wre , sie als Resul
tat von Reflexion begreifen zu mssen, selber zum blo belie
bigen Ding, mehr nicht, als zur Butzenscheibe : For in this
new music nothing take s place but sound s : those that are notated
and those that are not. Those that are not notated appear in the
written music as silences, opening the doors of the music to
the sound s that happen to be in the environment. This openne ss
exists i n the fields o f modern sculpture and architecture. ( 35 )
Der Tendenz zur V erdinglichung kommt die zur Verrumli

chung " musikali scher Vor stellungen zu Hilfe. Adorno hat dies
Moment frher schon am Neoklas sizismus konstatiert ( 3 6 ) , wel
c hem C age nicht zuletzt durch d ie Unempfindlichkeit gegen knst
lerische s Material verbunden ist, das de swegen hie wie da zur
Natur erklrt wird ( 3 7) .
Dieser steht das menschliche Aufnahmevermgen selber nur als
bloes Objekt gegenber . In einem anderen Zusammenhang kon
zipiert denn auch Cage " a mind that has nothing to do" , wobei
er1:1t diese, in ihrer angeblichen Unbelastetheit , fhig zur unbe
fangenen Perzeption der Klnge sein soll, welche aber selbst
wiederum nur sind w ie sie sind, bloe Dinge What happens,
.

for instance, to silence ? That is, how does the mind ' s percep
tion of it change ? Formerly , silence was the time lapse between
35) Silence , S. 7 f

36) Cf. Th. W. Adorno, Philosophie der neuen Musik, a, a. 0 . S. 1 5 2 und


S. 1 80 ff

37) Cf. Paul Hindemith, Unterweisung im Tonsatz, I. Teil, Mainz 1 9 3 7


1 83

sounds , useful towards a variety of ends , among them that of


tasteful arrangement , where by separating two sounds or two
groups of sounds theire differences or relationchips might re
ceive emphasis; or that of expres sivity, where silepces in a
musical discourse might provide pause or punctuation; or again,
that of architecture, where the introduction or interruption of
silence might give definition either to a predetermined structure
or to an organically developing one. When non of the se or other
goals is present , silence becomes something else - not silence
of all, but sound s , the ambient sounds . The nature of these is
unpredictable and changing. These sounds (which are called
silence only because they do not form part of a musical inten
tion) may be depended upon to exist. The world temms with them,
and is, in fact, at no point free of the.m. He who has entered an
anechoic chamber, a room made as silent as technologically
pos sible , has heard there two sound s , one high, one low - the
high the listener' s nervous system in operation, the low his
blood in circulc>.t ion. There are, demonstrably , sounds to be
heard and forever , given ears to hear. Where the se ears are in
c onnection with a mind that has nothing to do, that mind is free
to enter into the act of listening, hearing each sound just as it
i s , not as a phenomenon more or less approximating a precon
ception . " ( 3 8 ) Der Gedanke , da absolute Stille nic ht existieren
knne , wie Cage ihn am dubiosen Beispiel belegt , impliziert,
musikalische Pausen seien bislang als Demonstration physika
lischer Stille verwendet worden. Zwar lt Cage die syntakti
sche Verwendung von Pausen in frherer Musik nicht unerwhnt,
doch propagiert er schleunigst die Antiquiertheit musikalischer
Artikulation, um selbst die P ause noch als Behlter fr unbe
rhrtes Klang- Dasein aufwerten zu knnen. Die Klnge der Um-'
welt , die durch musikalische Pausen hindu rch hrbar werden,
( " which are called sile nc e only because they do not form part
of a musical intention " ) werden nur darum zur Substanz , die
Interesse erhei scht, weil die " Welt an keiner Stelle frei von ih
nen ist " . So erfahren gemeinhin Krieg, Elend und Unterdrk
kung ihre reaktionre Legitimation: da qie allerorten walten,
werden sie zur ge schichtslosen Gre , deren Abschaffung zu
erstreben von vornherein utopisch ist. - C age, der unreflektiert
d as Wort Freiheit verwendet , begibt sich unter' s Diktat dessen,
was ihm Garant dieser Freiheit scheint : die Zuflligkeiten der
Natur , die Kontemplation darum verdienen, weil sie nicht Be
standteil geistiger Konzeptionen sind. Was C age fordert, hat

3 8) Silence, S. 2 2
1 84

Marx in der Deutschen Ideologie " tierisches Bewutsein ge


nannt, was ein Verhltnis der Menschen zu einer Natur meint,
die " noch kaum ge schichtlich modifiziert ist ( 3 9 ) .
jener Tendenz be i Cage, d a s e igene Unvermgen zur Artikula
tion zum obersten Kriterium musikalischer G estalt zu erheben,
Artikulation als bloen Zwang zu verdammen , hat Koenig un
zweideutig die Antwort erteilt (40): Die Kompliziertheit stati
sti scher Ereignis se ist dagegen nur eine scheinbare. Sie ver
dankt sich einem ideologischen Fre iheitsbegriff, als ob die vom
Subjekt ergriffene Mglichkeit, e inen dichten und erfllten Text
zu schreiben, ein uerer Zwang sei. Recht umgekehrt stellt
bei Cage der Primat von Naturereigni ssen ber menschliche s
Tun als Zwang sich dar. Und wenn Musiker diesen Zwang repro
duzieren anstatt ihn zu durchbrechen, so machen sie die Bhne
zur Schaubude , die falsche Fre iheit zum fatalen Spektakel. Wer
immer einmal Auffhrungen Cagescher Werke sah, wird von
der Peinlichkeit berhrt worden sein, die schnell entsteht, wenn
Pianisten unter den Flgel kriechen, ohne da es dort etwas zu
suchen gbe. " Seine - C ages - Zufallsoperationen haben ih
ren Grund allerdings weniger in theoretischen berlegungen als
im Wunsch, die Verfgung des Menschen ber seinesgleichen
au szuschlieen. Die lautere Ge sinnung bleibt aber auerhaib der
musikalischen Ereignisse , wird nicht Sprache. Die Aktionen
seiner Interpreten erwecken vielmehr den Verdacht, da Frei
heit, wenn s ie nicht ausgesprochen, sondern schlicht ins Bild,
man mchte sagen ins Benehmen gesetzt wird, nur im infantilen
Stadium sich realisiert. " (4 1 )

Wie allerorten, so ist e s auch in Cages cher re aktionrer Philo


sophie ein zentrales Moment, da sie hybride zum Absolutum
s ich erhebt. Selbst elementarste historische Fakten vermag die
se Philo sophie , die ohnehin von Geschichtlichkeit nichts hlt,
zu ihren eigenen Zwecken umzudeuten wie etwa da, wo Cage
vermeint , das Prinzip der integrierten Pause sei von Amerika
nach Europa gekommen, ganz , als ob er das Vorbild gegeben
htte und nicht etwa Webern : . The silences of American experi
mental music and even its technical involvements w ith chance
operations are being introduced into new European music. It

39) Marx- Engels, Werke, Band 3, Berlin 1 95 9 , S. 31

40) Gottfried Michael Koenig, Kommentar, in: Die Reihe 8, Wien 1 9 6 2 , S. 80

41) Koenig, Kommentar, a. a. O. , S. 80 f


1 85

will not be easy, however, for Europe to give up being Europe.


ltwill, neverthele ss, and must: for the world is one world now.
(42) " An anderer Stelle ( 4 3 ) ist dem Autor, dessen apodiktischer
Ton zumal in Europa einen peinlichen Beige schmac k besitzt,
angemerkt worden, da der letzte Sat z wohl eher einer W ahl
rede G oldwaters anstnde.
Die Summe der Kurzschls se, welche Cages Denken bestimmen
und in seiner Musik als Langeweile sich manifestieren, schlies
sen sich gerade in Pas.:;agen wie der zuletzt erwhnten zum fa
talen Krei s . Der Anspruch auf bloe Obje ktivitt, wie ihn die
Ideologie des Zufalls erhebt , erweitert sich zum Anspruch, da
diese Objektivitt, unreflektiert wie sie es in ihrer Ble ist,
darum schon als verbindliche s System Anerkennung verdiene,
weil sie keinen Widerspruch dulden mag. Doch gilt es nicht im
Geringsten, dem Cageschen System eine ebenso geschlossene
Theorie gegenberzustellen. Denn innerhalb der hier gegebenen
Zusammenhnge reprsentiert Cages Philosophie der Beliebig
keit nur e in Extrem, welche s, gerade weil es sich fr die ganze
Sache, oberhalb aller Ge schichte deucht, Widersprche in sich
verhrtet, die nur in geschichtlichen Prozessen selber zu lsen
sind. Wie schon der verabsolutierte Zufall ein der musikali
schen Ge stalt uerliches ist , so i st auch sein Korrelat, das
unreflektierte Material, dem me nschlichen Vermgen zur Bil
dung von Zusammenhang - dem eigentlichen Grund der Frei
heit - unangeme ssen.

Wie es sinnlos i st , dem Ideal Cage s sich zu beugen, so i st es


auch sinnlos, ihm gegenber jegliche Indetermination in musi
kalischen Methoden und Proze ssen zu verdammen. Denn durch
das bloe Verdikt der absoluten Isolation ist lngst noch kein
musikalischer Zus ammenhang hergestellt. Umso entschiedener
mu d aher gefordert werden, da dem Zufall, da er Ausdruck
einer Situation ist , in die das Musikdenken geschichtlich geriet,
Korrelate des musikalischen Materials zugeordnet werden, die
sein Fungieren innerhalb einer umfas senderen Kompositions
methodik sinnvoll erscheinen lassen.

Die Pleonasmen und Antinomien, die in instrumentaler Musik


ohne die Chance zur Vermittlung nebeneinander stehen, geben
dabei freilich keinen rechten Ansatz her. Wo sie , wie im Extrem

42) Silence, S. 75

43) Cf. Konrad Boehmer , Anathema in Musica, a. a. 0 . , S. 38


1 86

bei C age , nur im Schlagwort gelst werden - ob dies nun Inter


pretenfreiheit, Momentform oder variable Form heit - wird
darob die Struktur der instrumentalen Werke noch nicht ein
sihtiger. Es wre also der Zufall au s seiner Verhaftung an
makrozeitliche Vorgnge "'Zu lsen, wo er nur Klangobjekte ar
rangiert, um ihn in einem Be reich zur Wirkung zu bringen, in
we lchem er - ge rade entgegengesetzt - zur Determination kom
plexer Gebilde verwendet we rden kann.
1 87

IX . Indetermination und neue Perspektiven der Formbildung

(ber e inige Verfahren elektronis cher Musik)

" . . . bis heute nur ist noch nicht recht


bekannt, w ie die Musik selber heit und
wer sie sei. "
Ernst Bloch
Unter den Typen von Indetermination, die aus der Untersuchung
instru mentaler Mu sik sich ergaben, findet sieb der statistischer
Artikulation von Mengen, von Tonscharen. Da er im instrumen
talen Bereich lediglich - recht grobe - S t r u k t u r e n zu er
zeugen vermag, (1-) , wurde seine Tauglichkeit als Mittel zur Ent
wicklung einer neuen musikalischen Idiomatik in Frage ge stellt.
Eindeutig ist nicht auszumachen, ob dieser Typus der elektro
nischen Musik entlehnt wurde; zumindest hat er in ihr eine an
dere Funktion und rckt hier in den Mittelpunkt aktueller Be
mhungen der Klangkomposition.

zu ihrem Beginn wurde die elektronische Mu sik prinzipiell als


Fortsetzung der instrumentalen konzipiert (2). Sie ermglichte -
zumindest den theoretischen Erwartungen nach, die man in sie
hegte - eine vollstndige Durchdringung des musikalischen Ma
terials mit Kriterien serieller Organisation. Doch scheiterte
die Idee umfassender Materialbeherrschung am Begriff des Se
riellen, w ie er zwischen 1 9 5 0 und 1 954 etwa ausgebildet war .
Denn die Organisation von Klngen durch serielle Addition von
Sinusschwingungen ( 3 ) entsprach nicht im Geringsten den Vor
stellungen von permanenter Flexibilitt, w ie sie in den anderen
Parametern viellei cht zu reali sieren war. In der Klangkompo
sition wurde zuerst - im Gegensatz zu den brigen Parametern
das serielle Ve rfahren auf die Vertikale " angewandt, wobei

die Unter schiede der einzelnen Parameterwerte betrchtlich

1) Zumindest ist uns in instrumentaler Musik bisher kein Beispiel bekannt


geworden, welches das Gegenteil bewiesen htte .

2) Cf. Stockhausen, Arbeitsbericht 1 9 5 2 / 5 3 , Schriften I, S. 35; Arbeits


bericht, Schriften I, S. 39 f (Die Entstehung der elektronischen Musik)

3) Darunter ist ein Zweifaches zu verstehen; Serielle Bestimmung der


Schwingungsanzahl und serielle Bestimmung der Intervalle .
1 88

nivelliert wurden. Hieraus re sultierte , was man in der elektro


nischen Musik " stationren Klang " (4) nennt. Die Klnge der er
sten elektronischen Werke w aren ihren Farbunterschieden nach
weit weniger d ifferenziert als instrumentale Klnge. Auch ver
harrten sie , einmal als Bndel von Sinusschwingungen definiert ,
starr in der Zeit, ohne den formalen Evolutionsprozess in der
Bewegung ihrer eigenen Struktur zu reflektieren. Die Stock
hausensehe Apologie, Werkstruktur und Materialstruktur seien
e ins (5) , bewhrt s ich zumindest nur am Plan der seriellen Ab
leitungen, am S u b s t i t u t fr musikalische Sachve rhalte - den
Zahlen - , nicht aber an jenen Sachverhalten selber. Denn die
unendlich komplizierten Beziehungen zwischen Groform und
Einzelelementen lassen sich nicht durch serielle Ableitungs
sche mata umstandslos rationalisieren.

Wenn auch die frhen elektronischen Werke (6) der gleichen


Konzeption abge stufter getrennter Parameter sich verdankten
wie die instrumentalen, so lieen sich dennoch die einzelnen in
ihnen verwendeten Skalen strker und flexibler diffe renzieren.
Vor allem waren kontinuierlich bergnge zwischen einzelnen
Skalen elektronisch herzustellen, was in der vokalen und in
strumentalen Praxis fast gnzlich unmglich ist. Andererseits
sind im elektronischen Studio alle fr die Wahrnehmung rele
vanten Dauern und Dauernproportionen unabhngig von Spiel
und instrumentaltechnischen Bes chrnkungen realisierbar. Zu
mindest im Bereich der Dauernorganisation waren die ersten
elektroni schen Werke dem Stand der instrumentalen betrcht
lich voraus. So i st zum Bei spiel in Stockhausens Studie I ( 7 )
die rhythmische Struktur v o n einer s o groen Flexibilitt, da
sie das starre Klangbild homogener Klanggemische zu durch
dringen vermag. In diesem Stck ist der erste Ansatz zu einem
der wesentlichsten Aspe kte elektronischen Kompanierens gege -

4) Cf. Stockhausen, Schriften II , S. 2 2

5) Karlheinz Stockhausen, Gesang der Jnglinge, Vorgeschichte, Schrif


ten II, S. 5 6

S. B ff; dieses Heft d e r Reihe ist ausschlielich Problemen d e r zu seinem


6) Cf. Herbert Eimert, Die sieben Stcke, i n : Die Reihe 1 , Wien 1 95 5 ,

Publikationsdatum noch jungen elektronischen Musik gewidmet. Viele Pro


bleme, die erst spter ins Zentrum des kompositorischen Interesses gerckt
sind, finden s ich in Werner Meyer-Epplers Aufsatz . Statistische und psycho
logische Klangprobleme , S. 22 ff

7) Eingespielt auf DGG-Schallplatte LP 1 6 1 33; cf. Stockhausen, Schriften


II, S. 23 ff
1 89

ben: dem kompositori sch verfgbar gewordenen Kontinuum zwi


schen ( Makro-) Struktur und Klangge stalt ( Mikrostruktur).
Die ses Kontinuum ermglicht Formbildungen in elektronischer
Musik auf zwei verschiedene Weisen. In Stockhausens ., Ge sang
der Jnglinge " ( 8 ) erklingen gleich zu Beginn des Werke s Klang
Ketten, deren einzelne Elemente so rasch aufeinander folgen
und so d icht miteinander verschrnkt sind , d2. vorrangig ihre
zusammenhngende Bewegung wahrgenommen w ird, d ie " Kurve "
also , d ie sie beschreiben. Sie selber erwecken den Eindruck
einer uerst flexiblen .. Ton schar " . Hier wird der Grenzbe
reich zwischen Struktur- und Klang- Wahrnehmung zum wesent
lichen Element der Form. Auch d ie Beziehung zwischen uerst
subtil verflochtenen vokalen Elementen und elektronischen Kln
gen verdankt sich im ,. Gesang de r Jnglinge " (und vor allem in
der erwhnten Anfangspassage) jener Ambiguitt. Kompositi
onstechnisch ist es w esentlich, da d ie Strukturkriterien streng
determiniert, die Elementfolgen der Tonscharen jedoch nach
statisti schen Kriterien bestimmt werden knnen: Struktur- und
Klang- Komposition greifen unmittelbar ineinander. Determina
tion und Indetermination ergnzen einander und ermglichen die
Identitt von Flexibilitt und Differenzierung, wie sie im Beginn
des .. Ge sang der Jnglinge " so bei spielhaft realisiert ist.
Die zweite Art einer Integration der Strukturkonzeption in die
Klangvorstellung e xistiert in Koenigs .,Klangfiguren " (9) und ist
in seinem .. Es say " ( 1 0) zum formbildenden Prinzip gemacht.
Auch sie ist technisch durch die Mglichkeiten bedingt, die das
elektronische Studio ber die instrumentalen Techniken hinaus
zur Verfgung stellt ( 1 1 ) .
Das Prinzip der Transposition, welches zu frheren Zeiten le
d iglich die Verschiebung innerhalb fixer Skalen meinte , stellt
sich in der elektronischen Mu sik als Mglichkeit der T r a n s
f o r m a t i o n gegebener Elemente oder Strukturen dar. Die se
Transformation kann rumlich " ( 1 2) (die Tonhhe betreffend)

8) Siehe hierzu Gesang der Jnglinge, Vorgeschichte , Stockhausen,


Schriften II, S. 54

9) G. M. Koenig, Klangfiguren, eingespielt auf DGG-Schallplatte LP 1 6 1 34

1 0) G. M. Koenig, Essay (Partitur) , Wien 1 960

1 1 ) Cf. G. M . Koenig, Studium im Studio, in: Die Reihe V, Wien 1 959, S. 7 4 ff

1 2) Dies ist hier als HUfsbegriff verwendet.


1 90

oder ,. zeitlich " (die Dauer betreffend) oder auf beide Arten
gleichzeitig sich vollziehen. Hieraus e ntsteht die Mglichkeit,
Strukturen , die als Ordnungsgefge disparater Klnge existie
ren , dergestalt zu raffen, da sie sich selber zum komplexen,
gefcherten Klang verdichten, innerhalb dessen starke Vern
derung hrbar ist, ohne da die sie bedingenden Elemente als
e inzelne noch wahrgenommen wrden. Eine auskomponierte
Struktur, die in sich schon formale Prozesse birgt, kann also
auf diese Weise wieder zum - in sich reflektierten - Material
werden. In jenem Kontinuum zwischen Klanggestalt und Struk
turformen, welches typisch fr die Formbildungen elektroni
scher Mu sik ist, hat diese Transformation von Strukturen eine
unmittelbar einsichtige Bedeutung: Sie erzeugt Grade der Wie
dererkennbarkeit, also hrbare und kompositorisch vermittelte
Beziehung der Formteile zueinander, ohne da es sich um Wie
derholungen oder Variationen handelte. Im Vorwort zu seinem
.,Essay hat Koenig d ieses Prinzip und den durch es bedingten
Wandel des musikalischen Materialbegriffs beschrieben ( 1 3) :
,. Material heit hier: , bereits komponierte Anordnung' elemen
tarer Schallvorgnge: Sinustne, Rauschen, Impulse . Entspre
chend den unterschiedlingen Lngen der Abschnitte und unter
schiedlichen Charakteren, die ihnen zugedacht sind, variieren
auch die Materialien in Lnge und innerer Zusammensetzung.
Zudem werden sie mannigfaltigen Transformationen unterwor
fen. Diese betreffen hauptschlich Klangfarbe und Zeit. Durch
starke Raffungen und Dehnungen werden die Materialien in einen
, Zeit - Raum' proJiziert; e s entstehen ver schiedene Schichten
der Prsenz, das heit der Wiedererkennbarkeit . "
Die beiden be schriebenen Beziehungen zwi schen Struktur und
Klang be sitzen Gemeinsamkeiten, die wesentliche Grundlagen
fr einen Einbezug begrenzter Indetermination in die Kompo si
tionsmethodik elektroni scher Musik sind . So eignet beiden die
Idee , da die Forderung nach einem formal sinnvollen Eingriff
in die Klangstruktur nicht dadurch schon sich erfllen lasse,
da man an dieser schlicht serielle Methoden exerziere - nicht
dadurch e infach, da man den Klngen Form- Proportionen un
terstelle . Denn die bertragung groformaler Proportionen in
die Details zehrt - ungeachtet der Tatsache, da dabei eine Ein
heit wahrnehmungsgem inkommensurabler Bereiche unter
stellt wird - am musikalischen Sinn, der dem Hrer ohnehin nur
im Zeitablauf - empirisch - sich erschlieen kann. - In beiden
Beziehungstypen zeichnet die Tendenz sich ab , innerhalb der

13) Koenig, E ssay, a. a. O. , Seite 1, Vorwort


191

Klangstruktur s chon Vernderungen, Entwicklungen hrbar wer


den zu las se n, die unmittelbar Teil haben an den formalen Ent
wicklungen , die auf ihnen beruhen ( l 4 ) . Es sollen sich also nicht
in der Proportion der Klangelemente abstrakt Formproportio
nen spiegeln, sondern umge kehrt sollen d ie im Einzelklang be
findlichen Bewegungsverlufe die Genese einer ber diesen hin
ausweisenden Formbewegung ermglichen. Historisch hat dies
die Tendenz zur Komposition nicht- stationrer Klnge begrn
det , di sich im ,. Ge sang der Jnglinge " zum ersten Male um
fassend in e inem elektronischen Werk manife stierte .
Indem jedoch der nicht- stationre Klang, der eigentlich ein
Klang- Feld ist, zum Trger formaler ,Entwicklung wird , rckt
er zur Form in ein Verhltnis , welches seine Mobilitt verbie
tet ( 1 5 ) . Denn der komplexe elektronische Klang, der nicht nur -
wie in der instrumentalen Musik - an der Artikulation der Form

14) Da hier keine technische Unterwe isung in elektronischer Musik vor


genommen, sondern lediglich ein Aspekt, nmlich der des Indeterminations
problemes , behandelt werden soll, werden .alle technischen Erklrungen ver
mieden, die den Blick auf dieses Problem verstellen wrden. Stockhausens
Aufsatz .. Die Einheit der musikalischen Zeit (Schriften I, S. 2 1 1 fO vermit
telt konkrete Beispiele zum Zusammenhang zwischen Struktur- und Klang
komposition und mag daher aufschlureich sein. Den Thesen, alle Dimensio
nen lieen sich kompositorisch auf einen einheitlichen Nenner bringen, wird
man allerdings in ihrer technischen Ausfhrung nicht ganz folgen knnen.

15) Der Komponist Henri Pousseur hat eine elektronische Komposition


Scambi geschrieben, von welcher eigentlich nur das - nach bestimmten
Anweisungen variabel zusammensetzbare - Material existiert. Neben der
Version, die der Komponist selber ausarbeitete, existiert eine zweite, von
Berio im Mailnder Studio realisierte. Hier wird das Verfahren der Mobili
tt - in instrumentaler Musik s chon unkritisch genug angewandt - aufelektro
nische Musik bertragen, ohne da jedoch die spezifischen Eigenheiten dieser
Gattung bedacht worden wren. Jedoch scheint Pousseurs Unterfangen weni
ger musikalischen als weltanschaulichen Gedanken entsprungen zu sein. In den
.Gravesaner Blttern (No. 1 3 , Jahrg. IV, Mainz 1 959, S. 46) schlgt Pousseur
vor, da . das ganze Material in irgendwelchen neuartigen Mu siklokalen den
, Amateurs' zur Verfgung gestellt werden" knne, kurz, er fordert, da
musikalische Formbildung zum Objekt von Basteistunden werde. Die Vermu
tung liegt nahe, da Mobilitt hier nur am Modell des Stabilbaukastens sich
orientierte . Andererseits ist der Wunsch einer Einrichtung von Musiklokalen
lngst schon Wirklichkeit geworden. Mobil ist in ihnen das musikalische In
ventar der Musikboxen verfgbar, bei welchem tatschlich ein Hit beliebig
durch einen anderen zu ersetzen ist, fast so, wie ein Klang durch den ande
ren in den uerst sprden Scambi . Die Konzeption des Stckes hat ihre
Schwche in der auermusikalischen Proklamation einer Utopie, die ihr Mo
dell j edoch nur am schlechten Bestehenden hat, ohne da sie in der Struktur
des Werkes sich spiegeln wrde. Darum schon besitzt es keine Chance, den
Platz von Twist und Beat einzunehmen.
1 92

Teil hat, sondern diese Artikulation in seiner eigenen Struktur


mitvollzieht, steht in eine m weitaus Substantielleren Verhlt
nis zu seinem formalen Ort und zu seinem Kontext, als dies ge
meinhin in serieller Instrumentalmusik der Fall ist. Wurde dort
der Klang zum Eleme nt , welches nur dank bestimmter - mehr
oder minder einsichtiger - Organisation sprinzipien in einem
Funktion szusammenhang g e s e t z t wird (daher die Tendenz
zur Mobilitt, denn der Funktionszusammenhang wird durch das
Permutationsverfahren weitgehend in Frage gestellt ). So ve r
mag er in elektronischer Mus ik unmittelbar das seiner Struktur
nach darzustellen, was seine formale Funktion von ihm fordert.
Wenn auch die Klangstruktur teilweise statisti sch organisiert
werden kann, so gewinnt doch in der elektronischen Musik das
Verhltnis des Klanges zur Form zunehmende Individualitt, e s
ist weitgehend determiniert. Die Mobilitt ganzer Klnge oder
Strukturen wrde den Anspruch der Klang-Komposition zunich
te machen. Nicht einzusehen nmlich wre , warum einerseits
kompositorische Anstrengung aufgewandt wird, die den Klang
.. durchdringt" , um ihn in frher unbekanntem Mae dem struk
turellen Kontext zu integrieren, whrend er andererseits w ie
ein bloe s Obj ekt vertauschbar sein sollte , also zu seinem Kon
text in einem recht beliebigen Verhltnis stnde. Kompositions
techni sch ist dies der eigentliche G rund dafr, da der Form
verlauf elektronischer Werke festgelegt ist.
Es wre rein uerlich, w ollte man der " fixie rten" Tonband
musik die sogenannte Freiheit der Interpreten gegenberstellen.
Erstens ist es technisch heute ohne Weiteres mglich, mobile
elektronische Kompositionen zu produzieren, und zweitens ist
musikali sch kein G rund zu nenne n, warum aleatorische Instru
mentalmusik der elektronischen gegenber einen Bereich der
Spontaneitt , der .. freien E ntscheidung" , reprsentieren sol
len ( 1 6 ) . E s werden da stets musikalische Ge stalt und Auffh
rungsmodi der Werke miteinander verwechselt. Da die Ent
scheidungsfreiheit der Interpreten s ich dem Zuhrer durchaus
nicht als Kriterium der musikalischen Struktur mitteilt, ist hier
hinlnglich dargelegt worden . Im Gegenteil le gt der Ve rdacht
stet s sich nahe, da diese Entscheidungsfreiheit da als Argu
ment vorge schoben wird , wo der Komponist differenziertere
Formulierungen sich versagt e . So hat auch Stockhau sen zur Le-

1 6) Da , Improvisation' und Phantasie ' als Kunstformen spontanen


,.

Musizierens eingingen, ist kein Zufall. . . . Spontaneitt setzt Kenntnis der


Umstnde und Urteilskraft voraus, nicht eine kurze Reaktionszeit, die mit
Recht Schrecksekunde heit. (G. M. Koenig, Kommentar, a. a. 0. , S . 80)

1 93

gitimation einer eigenstndigen instrumentalen Mu sik neben der


elektronischen vermerkt ( 1 7 ) : " Der gelenkte Zufall wurde in
j ngste r Zeit immer wichtiger fr solche Kompositionen, die
von Menschen im Beisein der Zuhrer ge spielt werden sollen.
Die Einmaligkeit einer Auffhrung - unwiederholbar wie der
Spieler selb st, der nie der gleiche i st - , die verschiedenen vom
Komponisten erlebten " ( ? ) " und in einer Komposition beschrie
benen G rade der Aktionsfreiheit (die vom Spieler intellektuell,
instinktiv oder intellektuell- instinktiv beantwortet werden) " ( ? ) ;
.. . . . : All dies sind Kriterien, die von den spielenden Musikern
abhngen und ihnen eine Verantwortung geben, die sie niemals
vorher in die sem G rade gehabt haben. Freilich, denn es gab
Zeite n, in w elchen die Komponisten fr ihre Werke selber ge
rade standen und sich nicht damit beschftigten, Grade der Ak
tionsfreiheit zu erleben; auch spielten die Interpreten zum Werk
gefgte Strukturen , anstatt G rade der Aktionsfreiheit zu beant
worten . Die Einmaligkeit der Auffhrung ist kein stichhalti
ges Kriterium fr die Authentizitt neuer I nstrumentalmu sik;
schlielich interessiert den Hrer nicht die Einmaligkeit der
Werkge stalt (die ja zumeist doch nur als Exzerpt eine s Permu
tations schemas sich erweist) , sondern er ist vorab an dem in
teres siert, was die Auffh rung mitteilt. Und wenn die Mobilitt
ber Gebhr am Niveau der We rkgestalt zehrt , dann ist sie
wohl das Gegenteil dessen, was unter Spontaneitt verstanden
wird. Als ein Kriterium, welche s in strumentale von elektroni
scher Musik scheidet , ist sie nicht anzusehen. Interessant ist
bei Stoc khausens Ausfhrungen, da die Schwierigkeiten der Ma
te rialkomposition , die in der elektronischen Mu sik sich einge
funden haben , dadurch verdeckt werden, da die elektronische
Mu sik (die ihrem Prinzip nach ber die instrumentale Musik
hinausweist und ihre Ent stehung instrumental nicht zu vermit
telnden seriellen Widersprchen verdankt) , nun einfach n e b e n
die instrumentale Mu sik gestellt wird , so, als ob beide nur
Disziplinen w ren und als ob ihr Verhltnis nicht weitaus komp
lizierter sich darstellte. Vielleicht ist Stockhau sen dadurch
unsicher geworden, da Fortschritte in der Technik und sthe
tik elektronischer Klangkomposition sich nicht so prompt er
zielen lassen, wie sie in theoretischen Proklamationen gefor
dert werden. Doch w re dies eher ein Grund dafr, die akusti
schen Kenntnisse zu erweitern, die Realisationstechniken der
Stud ios zu verfeinern, kurz, intensiver als bisher sich um eine
Erweiterung der kompositorischen Perspektiven zu bemhen.

1 7 ) Elektronische und instrumentale Musik, Stockhausen, Schriften I , S . l 48f


1 94

Den Schwierigkeiten aus zuw eichen, indem man knstlich einen


" Dualismu s zwischen Instrumentalmusik und elektronischer Mu
sik " (1 8) konstruiert, der dann durch vllig veraltete Techniken
der musique concrte gelst werden soll, ist jedoch eine Me
thode, ber deren Stichhaltigkeit das letzte Wort noch zu spre
chen ist (1 9).
Von Vorteil ist, da dank des Miverstndnisses Methoden der
Mobilitt gar nicht erst auf e le ktronische Musik bertragen wer
den sollen. Dadurch i st zumindest die Chance gegeben, da man
die Klangkomposition nicht durch formale Probleme belastet,
d ie sich in der instrumentalen Musik schon als Scheinprobleme
entpuppt haben . Von vordringlicher Bedeutung ist die Frage , wie
sich in der elektronischen Mu sik Indetermination und Determi
nation zueinander verhalten, - welche Funktion die Unbestimmt
heitskriterien besitzen. Dabei verdienen die Kategorien Ton
schar und Strukturtransformation, die komplementre Dimen
sionen beinhalten, be sonde re Beachtung.
Beide stehen in Bezug zum Phnomen summarischer Wahrneh
mung. Die erste , indem ihre Elemente beraus dicht einander
folgen und zur Kontinuitt te ndieren, die zweite , indem sie ent
weder durch " Raffungen " vorher Disparates zusammenschmilzt
oder durch "Dehnungen den Strukturzusammenhang aufl st, um
die Einz elklnge - als nun in ihrer strukturellen Komplexitt
wahrnehmbare Gebilde - zu prsentieren. (20)

1 8) Stockhausen, Kommentar z u Mikrofonie I , Konzertprogramm des


WDR vom 1 1 . 6. 1 965; dieser Behauptung liee forciert die Frage sich entge
genhalten, ob zwischen einem Volkswagen und einem Dsenclipper ein Dua
lismus bestehe. In jenem Programm heit es weiter: Der Titel , Mikropho

nie' weist ferner darauf hin, da normalerweise unhrbare Schwingungen (des


Tamtams) durch e inen aktiven Prozess des Abhorchens hrbar gemacht wer
den (dem Abhorchen eines Krper s durch einen Arzt vergleichbar); . . . hn
liches geschieht, hlt man sich Stanniolpapier nur nahe genug ans Ohr. Doch
implizieren solche rein aku stischen Phnomene noch keinerlei musikalische
Verwendbarkeit. Da Klnge nicht hrbar sind, prdestiniert sie lngst noch
nicht zum besonders aktuellen Material, gar Kompositionsanla, der womg
lich die Hrer .,fr einen Moment sprachlos werden zu lassen vermag (Stock
hausen, ibidem). es sei denn, sie wrden es aus Bestrzung ber die Simp
lizitt des Werkes , welches den Stand der musique concrMe um etwa 1 955
reprsentiert.
19) Cf. Konrad Boehmer, Zum gegenwrtigen Standort elektronischer und
konkreter Musik, in: Nesyo, Zeitschrift fr Dichtung und bildende Kunst, 2.

20) Transponiert man z. B. einen Impuls nach unten, so wird die Gestalt
Jahrg. , No. 7, St. Gallen- Mnchen 1 964, S. 22 ff

seines Einschwingvorgange s, der zuerst nur seine Klangfarbe zu determinie


ren beitrug, nun selber als Struktur, als Folge von Elementen hrbar, die
eine bestimmte Kurve" artikulieren.
195

I m komplexen elektronischen Klang vereinen sich also die Berei


che von Struktur und Gestalt. Seine Struktur nmlich, das heit,
die Be ziehung der einzelnen Mikro- Elemente (Impulse) zueinan
der, i st analysierbar und prinzipiell reproduzierbar . Die Ele
mente , welche die Klangstruktur begrnden, sind j edoch als ein
zelne nicht hrbar : Ihre Summe und ihre gemeinsamen Tenden
zen w erden als die K 1 a n g g e s t a 1 t wahrgenommen. Wenn
gleich auch diese Klangge stalt aus einer groen Anzahl einzelner
Partikel sich zusamme nsetzt, so sind doch ihre K o n t u r c n
die fr die Wahrnehmung bedeutsame n G ren. Die se Konturen
lassen sich streng determinieren, whrend die Einzelelemente
in ihren Konstellationen nur bergeordneten globalen Kriterien
gehorchen mssen, die e ine optimale Artikulation der Klangge
stalt garantieren sollen ( 21 ) .

Durch die ses Verhltni s , welches die Klang- Elemente zur Klang
gestalt be sitzen und welches dadurch gekennzeichnet i st , da
sie hinter ihr zurcktreten ( 2 2) , fallen im Klang Struktur und
Ge stalt zusammen, die in den neueren Verfahren instrumentaler
Musik voneinander seziert worden s ind. Dank der Identitt bei
der Aspekte gewinnt das Gesetz der groen Zahl, wie auch der
Einbezug kontrollierter Zufallskriterien, musikalische Funk
tion. Rein praktisch schon ist nicht einzusehen ( 2 3 ) , warum man
die Eleme nte komplexer Tonscharen oder " gemaserter " Klnge
so determinieren solle , als ob sie e i n z e 1 n stnden. Tech
nisch i st es rationeller , das Gehrte , die Klang- Konturen und
deren Vernderung streng zu determinieren und von diesen Kri
terien aus Feld- Be stimmungen fr die Verteilung der Mikro
Elemente vorzunehmen, die statistischer Natur s ind ( 24) . Gegen

der elektronischen Musik, in: Die Sonde, 5 . Jahrg. , Heft l , Kln 1 965, S. 26
2 1 ) Cf. Gottfried Michael Koenig, Serielle und aleatorische Verfahren in

ff; in diesem Aufsatz sind Gedanken, die hier nur kurz beleuchtet werden kn
nen, ausfhrlich entwickelt.

22) Die ses Phnomen ist als technischer Prozess beschrieben in: Stock
hausen, Die Einheit der musikalischen Zeit, a. a. 0 . , S. 2 1 9 (untere Abbildung) .

23) Stockhausen hat dies im Gesang der Jnglinge zum ersten Male gefol
gert und daraus kompositorische Konsequenzen gezogen.

24) Ein deutlich hrbares Exempel fr dieses Verfahren ist die Anfangs
struktur von Position , in welcher noch wahrnehmbar ist, da Vernderung
auf wechselnden Konstellationen kleinster Klangpartikel, Impulse, beruht,
wobei das Hren sich jedoch nicht auf diese Konstellationen, sondern auf die
Vernderung als Prozess konzentriert. Cf. Konrad Boehme r , Position, fr

0' oo bis ca. 1 ' 1 5 " ; Partitur: Darmstadt 1 9 6 3 , S. 3 ff


elektronische Klnge, Vokalklnge (Text: Ferdinand Kriwet) und Instrumente,
1 96

die statisti sche Feldkomposition in instrumentaler Musik wu rde


das Argume nt geltend gemacht , da s ie , um der Realisierung
bergeordneter Kriterien willen , gegen die F o rd e rung nach d if
fe renzierter Zeitartikulatio n wegen der Flle v on Klngen un
empfindlich werde, d ie s ie zu ihrer eigenen Verwirklichung ver
w e nden mu. In der elektroni s chen Mu sik spielt diese Element
flle j edoch im einzelnen Klang sich ab. Das Problem einer
Anwendung des Feldbegriffs auf Makrostrukturen (Instrume n
talmusik) , w elches e rzwingt , da entweder die Feldwahrneh
mung in die statistischer Anordnungen zerfllt, oder abe r , da
die Materialbegrenzung das statistische V erfahren berflssig
mac ht , findet seine Lsung in der elektronis ch e n Komposition .
Hier steht die Wahrnehmung d e s ., Feld e s " (der Klangkontur)
im Vordergrund; die statist i s chen V erfahren huldigen nicht dem
Ideal der Indetermination, s onde rn stehen in Funktion einer op
timalen Reali sierung musikalischer Vorstellungen.

Die Determination der Klanggestalt und die (begre n zte) Indeter


mination d e r Klang- Struktur mchten darauf s chlieen las s e n ,
d a i n d e r elektroni schen Mu sik d e r Bereich, in welchem U n
be stimmtheit w irkt, streng abgegrenzt sei, s o d a alle s , w a s
b e r d i e Klangkomposition hinau sreich e , streng determiniert
sei. Doch hiee d i e s , das P rinzip der Klang- Komposition wie
der auf das der Artikulation m i t Klngen zu reduzieren .

Wenn d i e Beziehung zwi schen Klang u n d F o r m in elektronischer


Musik ihren G rund in der Struktur des Klanges selber, das heit ,
in der formalen Entwicklung hat , die sich im komplexen Klang,
seinen w e chselnden Farben und Skandierungen vollzieht, dann
ve rmag die Form nicht mehr als bloes Ordnungsschema fr
Klnge konzipiert zu werden , welches diese als fixe Elemente
regi striert. Soll die Wechselbe ziehung nicht geopfert w erden, so
wird die Form Kriterien enthalten ms sen, die auch dem Klang
innewohn e n , damit sie aus ihm sich entfalte n und er ihr inte
grieren kann. Die Reihe , welche in seriell- i n strumentaler Mu
sik als Modell unterstellt worden war , hatte ihre U nzulnglich
keit durch die Methoden offenbart , dank welchen die Ableitungen
permutatori sch sich vollziehen. Die Komplizitt von Modell und
Groform , oder gar eine kontinuierliche Be ziehung zwische n
beiden , erwies sich als Pleonasmu s , da d a s Reihenmodell qua
litativ ber seine Pe rmutationen nicht sich erhebt. In der elek
tronischen Musik hingegen hat der Begriff der Kontinuitt sein
Korrelat im Material selber . In ihr ist das Kontinuum zwischen
Klang und Ge rusch verfgbar geworden, das heit, ein Konti
nuum zwischen dete rminierter und stati stischer Klangstruktur.
1 97

Da dieses Kontinuum nicht nur in der Strukturorganisation sich


manife stiert, sondern unmittelbar in den Ge stalten miteinander
verwandter und aufeinander be zogener Klnge - deren Verbin
dung wieder unmittelbar an der Formge staltung Teil hat - sich
darstellt, hat d ie Beziehung zwi s chen Determination und Inde
termination ihr Korrelat in der Gestalt-Qualitt elektronischer
Kompositionen.
Will man die Tatsache , da der Klang, als Trger einer spe
zifisch komponierten Struktu r, gleichzeitig die Funktion eine s
Modells hat , von welchem aus vielfHigste Ableitungen mglich
sind , als eine s der Kriterien betrachten, welches - im Gegen
satz zu den instrumentalen Reihen- Modellen - dem Begriff des
Modells musikalische Funktion verleiht, so wird deutlich, wa
rum das Prinzip der begrenzten Indetermination nicht nur auf
die Organisation des .Klanges be schrnkt bleibt, sondern ber
ihn hinau sgreift bis in den Bereic h der Makro struktur.
Am Beispiel von Koenigs " Essay " ( 2 5 ) wurde das Prinzip der
Strukturtransformation beschrieben, dank welchem sich ein kon
tinuierlicher bergang zwischen komplexem Klang und Makro
struktur herstellen lt. Dank der mglichen Kontinuitt dieses
bergangs stellt sich die Beziehung zwischen Determination
und Indetermination auf doppelte Weise her. Sie existiert im
Klang-Ge rusch- Kontinuum innerhalb der Klangstrukturen, und
im Klang- Makro struktur- Kontinuum, welches durch Transfor
mationen sich herstellen lt.

Transformation:
EIN ZELKLANG MAKROSTRUKTUR
.......__ in den Makrobereich /
""-..
j in den Mikrobereich ____./..,
Kontur S t r u kt u r a) Anordnung der Elemente
determiniebar ------- determiniert
a) Klang usch - b) Anordnung der Elemente
(determi- (begrenzt vllig indeterminiert (statische
-- --
nierbar) indeterminiert) Feldverteilung)
--

KLANG ALS STRUKTUR KLANG als ELEMENT


innerhalb der Mkrostruktur

25) In Stockhausens Kontakte (eingespielt auf Wergo-Schallplatte 60009)


n

ist dieses Prinzip auf andere Weise realisiert w orden, wobei Stockhausen
vornehmlich von der Klanggestalt ausgeht.
1 98

Klangelement flexibler be rgang


von Determination zu
Indetermination, der
7
kompositorisch arti-
kulierbar i st.

determinierte Anordnung von Einzelklngen


indeterm. " " "

determinierte Anordnung von Geruschen


indeterm. " "

- alle Mischformen und alle kontinuierlichen


Verbindungen (und Transformationen) .

Natrlich kann e s im elektronischen Komponieren nicht darum


sich handeln, alle Re sultate einer Transformation des Klanges
zur Struktur (ode r umgekehrt) blo hintereinander zu ordnen
ode r gar aus ihnen eine Reihe zu bilden. Vielmehr ist das tech
nisch ve rfgbar gewordene Kontinuum zwischen Klang und Ge
rusch, zwischen Mikro- und Makro- Struktur selber Gegenstand
der musikalischen Formbildung, d. h. es kann in seinen vielfl
tigen Formen d ie Funktion der Vermittlung, der Entwicklung
i n n e r h a 1 b der Mikroformen, innerhalb der Makrostrukturen
und zwis chen diesen besitzen. Wesentlich dabei ist, da Krite
rien kontrollierten Zufall8 al::; Ge staltqualitten konzipierbar
sind, sobald statistische Felder als Ge stalten ( komplexe Klnge)
wahrgenommen werden knnen. Der instrumentalen Musik ist
die Verfgung ber dieses Kontinuum ver sagt.

Nicht nur in j enem doppelten Kontinuum Klang-Gerusch Klang


gestalt- Makrostruktur entfaltet sich Indetermination als form
bildendes Kriterium; auch die Beziehung zwischen Klangstruk
tur und Klangge stalt wird teilweise von ihm bestimmt . Will zum
Beispiel ein Komponist einer Impulsschar, die ihm der Gene
rator liefe rt oder die schon auf Band fixiert ist, eine berge
ordnete Tonhhenkurve verleihen (26) , so ist es angebracht, da
er diese Kurve mit der Hand am Generator oder an der Trans
paniermaschine herstellt. Dies zumindest solange , bis elektro
nische Studios voll automatisiert sind. Wenn er sich dabei auch
am Idealbild seiner Kurve, welches vielleicht in einer graphi
schen Darstellung existiert, orientiert , so treten doch unzhlige

26) Cf. Koenig, Serielle und aleatorische Verfahren, a. a. 0. , S. 3 1


1 99

Imponderabilien ins Spiel, welche durch die Ungenauigkeit der


Gertehandhabung, das Verhltnis zwischen Kurve und durch sie
modifizierten Tonscharen, unbewut vorgenommene Korrektu
ren etc . , entstehen. Fr solche Unwgbarkeiten, die technisch
Unbe stimmtheit oder aleatorische Abweichung bedeuten, gibt es
in der Studiopraxis zahlreiche Beispiele. Bei allen aber hat die
Unbe stimmtheit nur ve rmittelnde Funktion: sie markiert den
Bereich des Subje ktiven, der bei der Realisation przise vorge
stellter musikalischer G e stalten interveniert. In traditioneller
Musik umfat er die Abweichungen der Interpretation, die sich
zum Werk verhalten wie das gesprochene Wort zur Sprache.

Die se s Prinzip der e mpirisch erst endgltig zu determinieren


den Klanggestalt hat sein Korrelat in der Bestimmung der sta
tistischen Kriterien der Klangstruktur, die ja ihrerseits wieder
die Kontur artikulieren.

Werden zum Beispiel diese Kriterien in die Form eine s Pro


gramms gebracht ( 2 7 ) , welches von einer Datenverarbeitungs
anlage ausgewertet wird , so ergeben sich, bei gleichbleibenden
konstitutiven Kriterien, eine Reihe verschiedener Versionen,
deren Verschiedenheit sich den stati stischen Kriterien verdankt.
Hat die Datenverarbeitungsanlage diese Versionen au sgedruckt
ode r auf Tonband aufge zeichnet, so ist e s nun Sache des Kom
ponisten, die seinem Empfinden nach ideale Version auszuwh
len . In diesem Falle hat die Indetermination eine recht konkrete
Bezie hung zur Subjektivitt des Komponisten, welche gleicher
maen die letzte Instanz bildet. Die s rckt das Prinzip der Un
be stimmtheit in eine andere Perspektive. Denn hier ist sie nicht
mehr das Ziel des Formdenkens , sondern ein B e s t a n d t e i 1
des selben; das Formdenken reicht dabei weit ber die falsche
Emanzipation die se s Bestandteils hinau s, an der ihm nicht viel
gelegen ist, weil es ihn integriert hat.

In der instrumentalen Musik (z.B. im Klavierstck XI) hatte das


Prinzip der V er sion " eine musikalisch nicht im Geringsten

befriedigende Funktion, da alle mglichen Versionen unabhngig


von ihrer Qualitt als gleichwertig anerkannt wurden und fr das
Werk einstehen durften. In dem Augenblick jedoch, in welchem
eine Maschine die Herstellung vieler Versionen (Ausdeutungen
eines Modells) in kurzer Zeit bewerkstelligen kann, so da sie

27) Cf. Koenig, Serielle und aleatorische Verfahren, a. a. 0. , S. 32; cf.


K. Boehmer, Neue Wege elektronischen Komponierens, Vortrag, Sonderdruck
Dsseldorf 1 967
200

dem Komponisten gleichzeitig zur Verfgung stehen, wird d as


Versionen-Prinzip der kompositorischen Entscheidungsfreiheit
wieder integriert, da der Komponist ber die jeweils beste in
eigener Verantwortung befindet und sie fr sein Werk auswhlt.
Und Ietztenende s hat Entscheidungsfreihe it nicht darin schon ih
ren Sinn, da sie als blo exi stierende bedacht wird , sondern
darin erst , da sie der G rund vernnftiger Urteile ist. Auf diese
We ise dem Formd enken elektronischer Musik integriert , wird
sie dort - und mit ihr alle Indetermination, die nurmehr eine
ihrer Instanzen i st - neues Musikdenken weit ber das hinaus
entwickeln helfen knnen, was jene mechanistischen Manipula
tionen der mobilen Instrumentalmusik als leeres Versprechen
offerierten.

Es mag paradox sche inen, da den Prinzipien und technischen


Verfahren der Indetermination vor allem in der Musik Funktion
zugesprochen wird , die gemeinhin als blo starr determinierte
angesehen w ird.

Jedoch i st ein Formdenken heute sinnlos geworden, welche s


einem blo in Kate gorien geordneten Material formale Schemata
aufdrngt, die ihm inadquat sind. Da Freiheit ohne Vermitt
lung ihres eigentlichen Anspruchs sich entledigt , hat, vor aller
instrumentalen , die elektronische Musik erkannt, die das Prin
zip der Unbe stimmtheit nicht zum bloen Objekt uneinsichtiger
Bettigung macht, an welchem Freiheit. schon ihr Genge fin
den soll, sondern die sie als V e rmittler zwischen der gegenwr
tigen Situation des musikalischen Materials und der Entschei
dungsfreiheit des Komponisten begreift. Nur aus beidem zugleich
wchst neuer Musik die Chance, eine neue Musiksprache zu e nt
wickeln, ohne die jegliche Form hohles Reglement bleibt.

In elektroni scher Mu sik hat d ie Indetermination die Funktion,


ein Mittel zu sein, dank. welchem die Kenntnisse ber Mglich
keiten formaler Determination sich betrchtlich erweitern zu
lassen.
201

X Rckblick
.

Der Beitrag ,. zur Theorie der offenen Form sollte sich im We


sentlichen auf die technischen Momente konzentrieren, die das
gegenwrtige Komponieren mobiler , variabler und aleatorischer
Werke bestimmen. Die Verfahren musikalischer Indetermina
tion wurden nicht als der Determination blo gegenbergestellte
begriffen, sondern in ihrer engen Verbindung mit dem Prinzip
des Seriellen be schrieben, aus des sen organisatorischen und
kompositorischen Divergenzen sie entstehen. Die Frage nach
dem musikalischen Zusammenhang wurde zuerst fr die Struk
tur des serie llen Materials gestellt, dessen Tendenzen zum Um
schlag von Determination in Indetermination im Verlauf des
Kompositionsproze sses analysiert wurden.
Danach wurden d ie mannigfaltgen Zufallsprinzipien, wie sie in
vielen neuen Werken sich manifestieren, als konkreter Ausdruck
im Material s c hon vorhandener Tendenzen gedeutet.
In den folgende n Kapiteln (Kap. III ff) wurden anhand von Analy
sen die Konsequenzen untersucht, d ie der Einbezug von Zufalls
kriterien in die musikalische Struktur besitzt. Dabei wurde von
e infachen Formen der Mobilitt kontinuierlich bis zu Formen
totaler musikalischer Indetermination fortge schritten. Die Un
tersuchungen konstatierten ein Miverhltnis zwischen den or
ganisatori schen und (ii e n kompositorischen Kriterien. Zum gr
ten Teil wird der Zufall vllig unkritisch in die Organisation
der Makrostrukturen einbezogen. Dem liegt berall eine latente
Konfus ion zwischen dem Prinzip mathematischer Wahrsche in
lichkeit und dem der Erwartung zugrunde. Es lie sich nach
weisen, da der Einbezug des Zufalls in die Formen instrumen
taler Musik nur dann eine musikalische Funktion haben kann,
wenn man ihn - wie etwa in Boule z ' Klaviersonate - einer ber
aus gestrengen Kontrolle unterwirft .
Das Schwinden kompositorischer und formaler Kontrolle , wel
ches Hand in Hand mit der Zunahme von Zufallsmanipulationen
geht , ruft eine - musikalisch jedoch nicht minder unvernnf
tige - Gegenreaktion hervor. Der formale Zusammenhang nm
lich, welcher aufgrund der angewandten lndeterminationskrite
rien nicht hergestellt werden kann, wird durch Proklamation
202

anderer Phnomene als ::>inntrger vorgetu scht , die jedoch kei


ne formale - geschweige d en n musiksprachliche - Bedeutung
besitzen. Interes sant hierbei ist, da mit schw indender Kon
trolle ber die musikalische Struktur diese Substitutionsphno
mene umso nachdrcklicher als Garanten musikalischen Sinns
behauptet werden.
So lie sich feststellen, da der Regre musikalischer Form
auf stati stische Strukturkombinationen - wie er etwa in Stock
hausens elftem Klavierstc k existiert - zur Proklamation einer
sogenannten ,. mobilen Form " fhrte, der sich jedoch technisch
nachweisen lie, da sie den vorgegebenen Ansprchen nicht
im Geringsten gengt . - Von der statistisch- beliebigen Gestalt
indete rminierter Strukturen sollte abgelenkt werden durch die
Behauptung, da nun endlich d ie Freiheit der Interpreten akti
viert werden und zu sich se lbst gelangen knne. Doch lie sich
an den musikalischen Resultaten nachweisen, da diese Frei
heit , da sie in den Re sultaten ihrer Aktivitt nicht im Gering
sten sich zu spiegeln vermag, eine hohle Formel bleibt, die
weder mu sikalische Ge stalten zu erzeugen vermag, noch dem
Begriffe von Freiheit in irgend gerecht wird. - An Werken wie
etwa N ilssons " Reaktionen" oder Evangelistis ,. Aleatorio lie
sich verdeutlichen, da der statistische Aufwand keinerlei qui
valent in der resultierenden Struktur besitzt und da andere r
seits aus der Anordnung des Materials bloe Tautologien re sul
tieren. - In der nchsten Phase, in welcher die einzelnen mu
sikali schen Elemente der U nbestimmtheit berantwortet wer
den, stellte als Substitutionsreaktion die Proklamation einer
graphischen Musik sich e in . G anz ungeachtet der Tatsache, da
Realisahonen der existierenden musikalischen Graphiken schon
das hrteste Urteil ber das gesamte V erfahren spre chen, weil
sie in allem unzulnglich s ind und den mindesten Anforderun
gen musikalischer Artikulation und Differenzierung nicht im G e
ringsten gengen, lie z u d ie ser G attung sich feststellen, da
sie die Preisgabe jeglicher Kontrolle des komponierenden Sub
jekts ber sein Werk bedeutet und somit in die Unterwerfung
des Komponisten unter die Z uflligkeiten und Beliebigkeiten um
schlgt , die Interpreten dem weder definierten noch artikulier
ten Material abgewinnen. Bei alledem wurde die Frage gestellt,
ob nicht mu sikali sche, kompositorische Vernunft ein geeigne
teres Mittel 2.ur Begrndung einer authentischen neuen Musik
sei und ob nicht all jene Proklamationen neuer musikalischer
Typen, deren musikalische Funktion jedoch gar nicht erst unter
Beweis ge stellt wurde, e ine - trotz aller scheinbaren Radikali-
203

tt - reaktionre AngelegP.nheit seien, eine Regre ssion entfal


teten Bewutseins auf die Beliebigkeiten unreflektierten Mate
rials. Am Bei spiel des Komponisten John C age , dessen Werk
das Extrem von Indetermination: Zufall als e inzige s Prinzip,
darstellt , wurde diese Frage ausfhrlich errtert, wobei sich
herausstellte , da die Vereinzelung der formalen Elemente, ih
re durch die Zufalls methoden bedingte Isolation voneinander,
umschlgt in reaktionre Naturideologie, die gesellschaftlich
konkrete Be zge aufweist . Zumindest lie sich C age s Theorie ,
obwohl sie der Konzeption ihres Autors nach von aller Zeitlich
keit befreit Anspruch auf Totalitt erhebt, als e inem Bewutsein
ve rhaftet er klren, ber welche s lngst schon der geschichtliche
Prozess hinwegge schritten ist.
Als Resultat de r Untersuchungen, die sich bis hierhin ausschlie
lich mit der Anwendung von Zufallskriterien auf Makrostruktu
ren instrumentaler Mu sik be schftigten, ergab s ich, da kaum
e ins der Argume nte , mit welchen Komponi sten und Theoretiker
bisher die se Anwendung zu rechtfertigen versucht haben, Stich
haltigkeit be sit zt.
Darum konnte im let zten Kapitel, welches der elektronischen
Mu sik gewidmet i st, der fundamentalen The se w idersprochen
werden, mit welcher die musikalische Indetermination bisher
stets begrndet worden i st. Im Kern behauptet diese The s e , da
d ie instrume ntale Musik neben der elektronischen nur sich be
haupten knne, wenn sie dieser gegenber einen Bereich re
prsentiere , in welchem Kriterien der Unvorhersehbarkeit und
Spontaneitt wirken. Zu Unrecht unterstellt diese - auch in an
deren Argumenten beraus fragwrdige - The se der elektroni
schen Mu sik, sie sei der Bereich blo mechanischer Determina
tion, zwanghafter Festlegung, mangelnder Spontaneitt, Starre,
bersehen w ird dabei, da Spontaneitt oder U nvorher sehbarkeit
nicht als Auffhrungsmodi, sondern einzig als Kriterien mu si
kali scher Artikulation formbildende Funktion be sitzen.
In starkem G egensatz zur herrschenden Theorie wird im letzten
Kapitel versucht , entgegen aller instrumentalen, der elektro
nischen Musik die Mglichkeit zuzusprechen, Zufallskriterien
sinnvoll in ihre Strukturen e inbeziehen zu knnen . Dies wird
durch die Struktur des elektroni schen Materials und durch die
Be sonderheiten der Kompositions- und Realisationsve rfahren
elektroni scher Musik begrndet. Die Anwendung von Zufallskri
terien auf die Makrostruktur, die sich in der in strumentalen
Mu sik als so wenig s innvoll erwiesen hat, kann in der elektro-
204

ni schen Mu sik durch eine Anwendung auf die Mikro struktur er


setzt werden, die der strukturellen Indetermination ein unmit
telbares Korrelat in der Klangge stalt zuordnet. Aus der Verf
gung ber das Klang-G eru sch- Kontinuum und ber das Mikro
Makrostruktur- Kontinuum, die kompo sitorisch umfas send nur
der elektronischen Mu sik - und nicht der instrumentalen - mg
lich ist , wurde die formbildende Funktion von sinnvoll verwen
deten Indeterminationskriterien begrndet.
Damit haben die Aspekte sich grundlegend gewandelt, unter wel
chen Prinzipien der Indeter mination ihren Einzug in musikali
sche Struktu ren und Formen gehalten haben. Wie sie die weitere
Entwic klung der elektronischen Mu sik bestimmen werden, lt
sich przise noch nicht vorau ssehen; da sie jedoch die Ent
wic klung der instrumentalen Musik paralysiert haben, drfte
nun hinreichend deutlich geworden sein .
205

Erluterung einiger te chnischer Termini

ALEATORISCH Aleatori sch wird ein Vorgang genannt,


dessen Verlauf im Groben festliegt, im
Einzelnen aber unbestimmt i st. (Abgelei
tet vom lateini schen alea Wrfel)
=

DETERMINATION : Dieser Terminus meint musiktechnisch


die Festlegung musikalischer Strukturen,
wobei die Art der Fe stlegung verschieden
sein kann.

G ROSSE ZAHL Der Begriff i st der Wahrscheinlichkeits


theorie entlehnt und meint eine Menge von
Eleme nten, deren Individualcharakter hin
ter den Mengencharakter zurcktritt.

GRU P PE : Als Gruppe be zeichnet man Strukturen ,


deren Elemente in einem oder mehreren
Parametern nach bergeordneten, einheit
lichen Kriterien definiert sind , und die
hierdurch als Mengen konzipiert werden.

INDETERMINATION : Musikali&ch meint d ieser Terminus Un


bestimmtheit, wobei er sich e ntweder da
rauf beziehen kann, da gewisse musika
lische Elemente nicht definiert werden und
somit dem Zufall berantw ortet sind, oder
aber, da ihre Strukturanordnung keiner
(oder nur einer sehr globalen) Determi
nation unterliegt.

MUSIQUE : Im Gegensatz zur elektronischen Musik


CONCRETE verwendet die M. C. mechanische Klnge ,
die sie be r Mikrophon auf Tonband auf
zeichnet und erst dann mittels elektroaku
sti scher Gerte moduliert und verfrem
det.

PARAMETER : Bestimmungsgre
206

PUN-KTUELL Be zei chnung fr eine Gattung serielle r


Musik, deren formale Prozesse vorwie
gend von Tonpunkt zu Tonpunkt sich voll
ziehen, ohne da ubergeordnete Struktu
ren und Formen in ihrer Eigengesetzlich
keit unmittelbar als formbildende Kate
gorien konzipiert wrden. Der Terminu s
ist von Herbert Eimert geprgt worden.

SERIELL Im Gegensatz zur Dodekaphonie, die ledig


lich Tonhhenreihen verwe ndet , versteht
man unter dem Begriff .,seriell " die rei
henmige Organisation mehrerer oder
gar aller Parameter, also au ch der Ton
dauern, der lntens itten und der Klang
farben. Im Laufe der letzten Jahre ist die
Bedeutung des Begriffs erwe itert und ver
allgemeinert worden. Allgemein wird un
ter " seriell " heute verstanden, da es sich
um Strukturen handelt, die auf mannigfal
tige Wei se durch Reihenprinzipien organi
siert sind, ohne da es sich dabei um das
in der frhen seriellen Musik ausgebildete
Analogieverfahren handeln mte.
207

Bibliog raphie

Zeitschriften
Die beiden fr Theorie und Praxis avancierten Kompanierens mageblichen
Publikationsreihen sind:

" Die Reihe" J Informationen ber serielle Musik, Herausgegeben von


Herbert Eimert unter Mitarbeit von Karlheinz Stock
hausen. - Universal Edition, Wien- Zrich- London;
nach acht Bnden vorerst abgeschlossen. Jahre: ( 1 )
1 95 5 , (2) 1 95 5 , ( 3 ) 1 95 7 , (4) 1 958, ( 5 ) 1 95 9 , ( 6 ) 1 960,
(7) 1 960, (8) 1 962

.. Darmstdter Beitrge zur Neuen Musik" , Schott Verlag, Mainz, herausge


geben von Wolfgang Steinecke und vom vierten Bande
an von Ernst Thomas. Jahre: ( 1 ) 1 95 8 , (2) 1 959, (3)
1 960, (4) 1 96 1 , (5) 1 96 3 , (8) 1 964, (9) 1 965; die Bnde
6 und 7 sind nicht erschienen. Abkrzung in der fol
genden Aufstellung: DBeitr

Bcher. Artikel und musika lische Kompositi onen


(Bei Komponisten werden Schriften und Kompositionen in getrennten Ab
schnitten angefhrt)

Abert, Hermann : Die Musikanschauung des Mittelalters und ihre Grund


lagen, Halle 1 905

Adorno, Th. W . : Philosophie der neuen Musik, Tbingen 1 949; 2 Frank


furt 1 95 8
: Vers une musique informelle, in: DBeitr I V , S. 7 3 ff

Arezzo, Guido von Micrologus, cf. a. u. a. 0. ; Gerbert, Band 2; deutsch:


Micrologus Guidonis de disciplina artis musicae, d. i.
Kurze Abhandlung Guidos ber die Regeln der musi
kalischen Kunst, bersetzt und erklrt von Michael
Hermesdorff, Trier 1 87 6

Beckett, Samuel : Murphy, deutsch: Harnburg 1 959

Bergson, Henri : Essai sur les donnes immdiates de la conscience,

1 959, s. 5 ff
in: Oeuvres, Presses Universitaires de France, Paris

: Matire et Mmoire, a. a. 0. , S. 1 69 ff
208

Berio, Luciano Circles, fr Stimme , Harfe und Schlagzeug, London


1 96 1
Tempi concertati, fr Flte, Violine und Kammeror
chester, London 1 962
Passaggio, Messa in scena, Mailand 1 96 3
Epiphanie, fr Frauenstimme und Orchester, Urauf
fhrung der Neufassung: Kln 1 965

Boehmer, Konrad : Zum gegenwrtigen Standort elektronischer und kon


kreter Musik, in: Nesyo - Zeitschrift fr Dichtung
und bildende Kunst, 2. Jahr g . , No. 7, Mnchen-St. Gal
len 1 964, S . 22 ff
Anathema in Musica, Kritische Reflexionen ber den
Zufall in der Musik, Rundfunkprogramm des SFB, 3 .
Programm, 1 6 . 1 2 . 1 965, vom Sender vervielfltigter
Text, Berlin 1 965
: Neue Wege elektronischen Komponierens, Sonder
druck der Staatl. Kunstakademie, Dsseldorf 1 9&7
(Musikal. Kompositionen)
: Position, Komposition fr elektronische Klnge, Vo
kalklnge und Instrumente, Darmstadt 1 96 3
: Information , fr vier Schlagzeuger und zwei Klaviere,
Urauffhrung: Hilversum 1 966

Boulez , Pierre Alea, in: DBeitr I (Mainz 1 958) S . 44 ff


Zu meiner III. Sonate, in: DBeitr III ( Mainz 1 960) , S.
27 ff (franzsischer Originaltext: " Sonate, que me

s. 61 ff
veux-tu" , in: ME!diations 7 , Paris Printemps 1 964,

Musikdenken heute, DBeitr V (Mainz 1 963)


(Musikal. Kompositionen)
Structures I pour deux pianos, London- Wien 1955
Le marteau sans maitre , pour voix d 'alto et 6 instru
ments, London 1 954 und London 1 95 7 (endgltige Ver
sion)
: Improvisation sur MallarmE! I, fr Stimme und In
strumente, London 1 95 8
: Improvisation sur MallarmE! I I , fr Stimme und In
strumente , London 1 95 8
3 . Sonate fr Klavier, London 1 96 1 ff; bisher publi
zierte Formanten:
Trope ( 1 9 6 1 ) und
Constellation (- Miroir) ( 1 963)
Breidert, Fritz Stimmigkeit und Gliederung in der Polyphonie des
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Brenn, Franz : Die gregorianischen Modi nach dem Speculum Musi


cae , Kongrebericht Basel 1949, S. 74
: Ockeghems spiritueller Rhythmus , Kongrebericht
Kln 1 95 8 , S. 74

Brown, Earle Available Forms I , fr Kammerorche ster, New York


1 96 1
Available Forms I I , fr groes Orchester, Urauffh
rung: Kln 1 96 3

Bussotti, Sylvano : Five Piano Pieces for David Tudor, London 1 959

Cage , John : Silence, Lectures and Writings, Weseleyan University


Press, Middletown, Connecticut, o. J . ( 1 96 1 )
(Musikal. Kompositionen)
: Quartett fr Schlaginstrumente, 1 9 35
: Trio fr Schlaginstrumente, 1 93 6
Metamorphosis fr Klavier, 1 93 8
Mus ic for wind instruments , 1 9 3 8
Bacchanale fr prpariertes Klavier , 1 93 8
First Construction i n Meta!, 1 9 39
Second Construction in Meta!, 1 940
: Third Construction in Meta!, 1941
Meditation, 1 94 3
Room, 1 94 3
The perilous night, 1 944
(Anmerkung: Cages Werke - seit etwa 1 93 0 - sind alle
erst seit 1 9 60 ff geschlossen bei Peter s , Frankfurt
New York, erschienen und darum hier nach ihren teils
weit vorher datierten Entstehungsjahren bezeichnet.
Zufallskompositionen Cages aus den spteren Jahren
sind hier nicht erwhnt. Angaben ber Werke wie: Mu
sic for Piano, 34' 46. 776 For a pianist, 26' 1. 1499
For a string player , Winter Music, Aria, Variations
I - II, Music Walk, Fontana Mix, Concert for Piano
and Orchestra, Atlas Eclipticalis etc . , Werken, die
teils vorwiegend, teils ausschlielich auf Zufalls
operationen beruhen, sind im Cage- Katalog, Peters,
a. u. a. 0. , zu erfahren)

Cardew, Cornelius : Octet (Chamber Music, graphic) , Frankfurt- London


New York 1 962

Xlll, Kassel 1 96 0, S. 307 ff


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: Grundlagen der musikalischt!n Reihentechnik, Wien
1 96 4 (Sonderband der Reihe )

Eitner, Robert : Ockeghems Chanson uMa beuche rit , in: Monatshefte


fr Musikgeschichte (Leipzig 1 869 ff) VIII, Leipzig
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geht . . . " , zu: Fokker ., Wozu und Warum und zur
augenblicklichen musikalischen Praxis aus der Sicht
des Autors) in: D i e Reihe 8 (Wien 1 9 62), S. 7 3 ff
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E ssay (Elektronische Musik) , Partitur, zugleich tech
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Streichquartett 19 59, Darmstadt 1 96 2

Kriwet, Ferdinand : Sehtexte, Kln 1 9 6 0 ff


Poem- Paintings - Publit, Ds seldorf 1 964 ff
Leserattenfaenge - Sehtextkommentare, Kln 1 965

Levitan, J. S. : Ockeghems clefle s s compositions, in: Musical Quar


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Rothrmel, Marion Der musikalische Zeitbegriff seit Moritz Hauptmann,


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Salzer, Felix : Sinn und Wesen der abendlndischen Mehrstimmig


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IV, Gravesano- Mainz Mai 1 95 6 , S. 3 ff

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Instrumente. Wien 1 9 1 4

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berge, J. Amsterdam 1 9 5 7

Stephan, Rud. : Neue Musik, G ttingen 1 95 8

Stirner, Max : D e r Einzige und sein Eigentum, Leipzig 1 84 7 (Einzige


gegenwrtig im Handel befindliche Ausgabe, franz
sisch bei J. J. Pauvert Edition, Paris)
Stockhausen, K. : Texte zur Elektronischen und Instrumentalen Musik,
Kln 1 96 3 (zitiert als Schriften I). Daraus die Texte:
: Situation de s Handwerks , So 1 7 ff
: Arbeitsbericht 1 95 2 / 5 3 : Orientierung, So 32 ff (erst
verff in: Structure 1 95 8 f 1 , Amsterdam)
0

: Arbeitsbericht 1 9 5 3 : Die Entstehung der elektroni


schen Musik, S. 39 ff
: Gruppenkomposition: Klavierstck I" , S. 63 ff
: wie die Zeit vergeht . . , S. 99 ff (erstverff. in:
0 0 0

Die Reihe 3 , Wien 1 95 7)


: Elektronische und instrumentale Musik, S. 1 4 0 ff (erst
verff. in: Die Reihe 5, Wien 1 959)
Musik im Raum, S. 1 5 2 ff (erstverff. in: Die Reihe 5 ,
Wien 1 959)
214

(Stockhausen, K. ) : Musik und G raphik, S . 1 7 6 ff (erstverff. i n : DBeitr.


III, Mainz 1 960)
: Momentform, S . 1 89 ff
: Die Einheit der musikalischen Zeit, S. 2 1 1 ff (erst
verff. in: Zeugnisse , Frankfurt 1 963)
: Erfindung und Entdeckung, S. 222 ff (erstverff. in:
Neue Musik IV, Mnchen 1 96 1
: Texte zu eigenen Werken, zur Kunst Anderer - Aktu
elles, Kln 1 964 (zitiert als Schriften Il). Daraus die
Texte:
Elektronische Studien I und II, S. 22 (erstverff. in:
Programm WDR Kln, Musik der Zeit 1 954)
Komposition 1 9 5 3 Nr. 2 (Analyse der Studie I), S. 23

NWDR, Jg. 6 , 1 / 2 . Harnburg 1 954)


ff (erstverff. in : Technische Hausmitteilungen des

: Gesang der Jnglinge - Vorgeschichte (Aktuelles ) ,


S. 5 1 f f (erstverff. in: Die Reihe 1 , Wien 1 955)
: Klavierstck XI, S. 69 (Sonderdruck zu den Darmstd
ter Ferienkursen 1 9 5 7)
: Zyklus fr einen Schlagzeuger - Analyse, S. 74 ff

Refrain fr drei Spieler, S. 1 01 (Angaben ber die


Erstverffentlichungen nach: Stockhausen, Schriften
I - II)
(Musikalische Kompositionen)
Zeitmae fr 5 Holzblser, London 1 95 7
Klavierstck XI, London 1957
Zyklu s fr einen Schlagzeuger, London 1 96 0
Refrain fr drei Spieler, London 1 961
Kontakte , fr elektronische Klnge , Schlagzeug und
Klvie r (Urauff. Kln 1 960)
: Carr fr 4 Orchester und 4 Chre (Urauff. Harnburg
1960)
: G ruppen fr drei Orchester, London 1 96 3
Mikrofonie 1 1 ( 1 964/5) (Urauff. : Kln 1 965)
Plus- Minus, London 1965
Mixtur fr 5 Orchestergruppen und elektroakustische
Gerte, London 1 965

Stuckenschmidt, H . Am Kreuzweg der Neuen Musik - Bemerkungen zu


den theoretischen Schriften von Kh. Stockhausen, im
Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom
30. Mrz 1 965
21 5

talog neuer Partituren, ohne Ort, o. J. (Wien 1 965 ? )


Universal Edition : Womit man auch sich selbst beschenken kann, Ka

Wolff, Chr. : Duo for Pianists Il, New York 1 9 6 2

Zeller, H. R. Mallarm und d a s serielle Denken, in: D i e Reihe 6


(Wien 1 960), S. 5 ff

Anmer kungen

1 ) Die Werke von: Berio, Boulez, B ussotti, Haubenstock- Ramati, Kagel


(Sextett, Transieihn II) , Koenig (Es say ) . Nilsson, Logothetis, Pousseur und
Stockhausen sind in der Universal Edition, Wien-London-Zrich, erschienen.
Der Abdruck der Beispiele erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Ver
lages.
Der Abdruck der Beispiele aus Earle Browns , Available Forms' erfolgt mit
freundlicher Genehmigung der Associated Music Publishers, New York.
Bei Peters sind Kagel (Improvisation ajoute. Antithese) und Cage erschie
nen: Edition Peters, Frankfurt- New Yor k .
D a s Streichquartett von Evangelisti und das Quartett von Koenig sind i n der
Edition Tonos , Darmstadt, erschienen. (Dort auch alle weiteren Werke von
Evangelisti und Koenig)

2) Nicht publizierte oder noch nicht im Handel erschienene musikalische


Werke sind entweder ( soweit dies bekannt ist) nach ihrem Entstehungsjahr
oder nach dem Datum ihrer Ur- oder Erstauffhrung angefhrt. Elektroni
sche Werke sind, da Partituren meist nicht vorliegen, nach ihrem Erschei
nen auf Schallplatten angefhrt, soweit sie eingespielt worden sind.
Kon rad Boehmer
wurde 1941 in B erlin geboren. Studierte
Musikwissenschaft, Soziologie und Phi
losophie in Kln und war Kompositions- .
schler Gottfried Michael Koenigs . Mit
der vorliegenden Abhandlung promo
vierte er 1966. D anach siedelte er in
die Niederlande ber, wo er seitdem (in
Amsterdam) lebt. Von 1968-1973 war er
Musikredakteur der Wochenzeitschrift
Vrij Nederland. Seit 1972 ist er Professor
(Soziale Geschichte der Musik, zeit
genssische Musiktheorie) an der Knig-
lichen Musikhochschule Den Haag. Fr seine elektronische Kom
position erhielt er 1968 den Musikpreis der ve B iennale de Paris .
Fr sein Musikdrama "Doktor Faustus" wurde er 1983 mit dem
Rolf-Liebermann-Preis ausgezeichnet .

zu d iesem Buch :
Je weniger die Musiktheorie sich fhig erweist, die technischen
Neuerungen gegenwrtiger Musik zu erfassen, um so voreiliger ist
sie mit Ressentiments zur Hand. Den vielfltigen Vorurteilen , die
vom Cliche der "Entarteten Kunst" bis zu dem der "Ingenieurs
musik" reichen, will das vorliegende Buch durch materialgerechte
Untersuchungen begegnen und nicht etwa durch sthetische
Gegenargumente . Dennoch soll keine geschlossene Theorie der
"offenen Form" proklamiert werden. Vielmehr ist es dem Autor
darum zu tun, anband technischer Analysen und kritischer Re
flexionen die Problematik heutigen Kompanierens ohne B eschni
gungen darzulegen. Kritik bezieht sich hier j edoch nicht auf's Fr
und Wider avancierter Musik, sondern greift korrigierend in deren
Resultate ein, in der Hoffnung, da in diesen Argumente fr ein
vernnftiges Komponieren zuknftiger Werke sich finden lassen
und in der berzeugung, da die avancierten Kompositionen der
letzten Jahre Teil der Entwicklung einer neuen musikalischen
. Sprache seien. Diese zu entfalten bedarf es ununterbrochener
Kritik des Bestehenden.

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