Boehmer - Zur Theorie Der Offenen Form PDF
Boehmer - Zur Theorie Der Offenen Form PDF
Konrad BOEHMER
5
Einleitung
Fast berall kehrt dies sich in der Musik des Mittelalters wie
der hervor. Abert (2) hat auf den Drang mittelalterlicher Theo
rie zur Symbolbildung hingewiesen, der sich die einfachen nume
rischen Verhltnisse, die zwischen Klangelementen und Ele
menten beschrnkter Anzahl berhaupt bestehen, zur Bildung
falscher Analogien zunutze machte.
So hat zur Zeit Guidos schon die spekulative Theorie von der
Wirklichkeit sich abgehoben, welche sie doch eigentlich reflek
tieren und korrektiv durchdringen sollte (3). Neben ihr existiert
:3) Freilich ist Guido selber hierbei nicht einfach stehen geblieben. Jedoch
spiegelt die Theorie seiner Zeit die Zwieschlchtigkeit von kosmologisch
symbolistischer Theorie hie und handwerklich-praktischer Instruktion da.
11
Diese wirken als Netze, deren Maschen sich ber jedwede Kon
stellation legen, um diese, wie durch einen R aster, zu organi
sieren. Die Anweisung fr eine bestimmte, singulre MJ.te
rialkonstellation stellt sich der Mglichkeit von Konstellationen
berhaupt voran und wird somit zur R e g e 1, die nicht eigens
begrnden mu, was sie ausschaltet (5).
4) Die Selektion wird also nicht erst durch formale Kriterien betrieben;
sie steht ihnen vielmehr, als Kodex verbindlicher Bedingungen, schon voran.
6) Dies wird sich noch an der Konfrontierung einer zyklischen und einer
linearen Material-Organisation in Guidos Micrologus erhellen.
12
7)"Aribo Scholasticus, nach ihm vor allem Marchettus von Padua und Jakob
von Lttich, erweitern die Allegorie im Zusammenhang mit den neun M.i sen.
Zwei Musen bedeuten die authentische und plagale Tonart, Arsis und Thesis
der Stimme, die Einteilung der Schlag- und Blasinstrumente. Sieben Musen
die septem discrimina vocum, die sieben Planeten, sieben Sakramente. Wenn
Johannes Gallicus den vollendeten Klang mit Quart und Quint als die aus Glaube
und Hoffnung erzeugte Liebe allegorisch deutet, wird die Weite dieser sym
bolischen Musikauffassung und Richtung der musica auf die Theologie in den
artes liberales als deren geistige Vorstufe deutlich." (K. G. Fellerer, Die
Musica in den Artes Liberales, Leiden-Kln 1959, S. 37 f)
9) ber die historischen Aspekte des Verfahrens, die fr die hier vorzu
nehmende Untersuchung nicht unmittelbar interessieren, siehe: Helmut Kirch
meyer, Vom historischen Wesen einer rationalistischen Musik, in: Die Reihe
8, Wien 1962, S. 11 ff
:i
.
. . . .
.. . --
Sancte Johannes meritorum tuorum copias neq(u>eo
. . - ....
dig-ne caner- e ae i o u
eine mndet, verfolgt man sie bis ins Extrem, in die Kollision
mit Verboten, die zweite hebt sich von einem bestimmten Au
genblick an selber auf, indem sie soviel an Entscheidungsfrei
heit zult, da die Verbote nun beachtet werden o r f e n ohne
da diese mit der Methode in Kollision gerieten. Die zweite
Verfahrensweise mndet al.3o in eine Tautologie.
. . .
-
; Sancte 0 a e e i 0 u u o u 0 ia e eo e a e e a P. i o u
. .]
.
"'!
Sancte 0 a e ei 0 u u o u 0 i a e eo e a e e a e i o u
(Bsp. 4)
Z:
[ .. ]
.
. ..
..
; Sancte 0 a e ei 0 u u o u 0 ia e eo e a e e a e i o u
sind die beiden Ketten der Zuordnungen nicht mehr nach glei
chen Kriterien organisiert. Der linearen Tonreihe, in welcher
kein Element einem anderen gleich w e r t i g ist, steht die zyk
lisch geordnete Vokalreihe gegenber. Ihrer eigenen Organisa
tionsform nach sind jeweils das erste und sechste, das zweite
und siebente Element etc. gleichwertig. Dank der verschiedenen
Organisationsformen mssen also System und variable Methode
in dem Augenblick auseinanderfallen, wo in letzterer eine nur
an deren Kriterien sich haltende Ausfhrung von der Auflsung
der eindeutigen Zuordnung profitiert-. Gem der oben angege
benen Tabelle knnen dem Vokal a die Tne GG, E, c oder a'
zugeordnet werden. Da dies musiksprachlich sich verbietet,
ist augenscheinlich, - die variable Methode aber verhlt dem
gegenber ihrer S t r u k t u r nach sich indifferent. So treten
Verbote in Kraft. Im fnften Beispiel werden deren Forderun
gen noch teilweise beachtet; dem Sprung in der Intervallfolge,
welcher nach einer den fremden Zyklus hinzuziehenden Ent
scheidung eintritt, folgt mglichst Kontinuitt innerhalb dieses
neuen Zyklus. Die zugrunde liegenden R eihen sind: cdefg f aeiou
/
ahcde aeiou. In dieses Beispiel wurden absichtlich ,. Fehler "
eingebaut (so die recht fragwrdige Passage ,. Johannes meri
)
torum" , damit selbst im Kompromi die methodische Unstim
migkeit offenbar werde. (Bsp. 5)
Vokalzyklus I:
Vokalzyklus I!:
s s
s
z:
[::: ;:]
t1 s a s 0
.. . W
Sancte o a e eio u u 0 u o ia e e o e a e e ae i ou
1 :J) Micr. , a. a. 0. , S. 99
16
60 a
.
Sancte o
...
a e
ei o u
u 0 u
.....
o ia e eo
. ....
e a
6
e
6
e
[:::::]
a e i o u
; .
Sancte o a e e i o u u o u o ia e eo e a e e
(Bsp. 8)
/"'-, etc.
:'1..
..
Sancte o a e eio u uo u o ia e eo e a e e
a e i o u
u o e i a.
I : a
.3As
e 0
:
u
uaeio uuuuu
17) Mic r . , a. a . O . , S. 1 03
18) Fritz Breidert (in: Stimmigkeit und G liederung in der Polyphonie des
Mittelalter s , Leipzig- Wrzburg 1935, S . 1 o:l) erwhnt zum Beispiel die .. offe
ne " Struktur der Melodien bei Obrecht.
Cf. F . Gennrich, Musica sine littera, Darmstadt 1956, Heft 13/ 4 ; Hinweis auf
20
19:35, S. 94 f: Die Motette des 1 :1. Jahrhunderts ist eben ihrem Aufbau nach
Cf. F. Salzer, Sinn und Wesen der abendlnd ischen Mehrstimmigkeit, Wien
21) Cf. Franz Brenn, Die gregorianischen Modi nach dem Speculum Musi
cae, KgrBer. Basel 1949, S. 74
den. Tat schlich sind durch die Di sku s sion d i e Schwieri gkeiten
nicht gan z behoben worden, welche eine r definitiven, andere
aus schlieenden Lsung im Wege stehe n . Die Frage nach der
konomie d e r Ver schl sselu ng wirft stets da erneut sich auf,
wo die Suche nach der einzigen, musikalisch authentischen L
sung an d e r V or stellung des individuellen Werke s s ich orientiert
und den Werkbegriff v iel spt e re r Z e iten in die Struktur lterer
Kompositionen projiziert (26). Wo d ie Mglichkeit gleichberech
tigter Lsungen theoreti sch negiert w ird , bleibt der Verdacht
be stehe n, die kompo sitorische Intention htte womglich sich
auf sekundre Momente ihrer schriftlichen Darlegung verla
gert. Jedoch vermag die mensurale Notation - vor allem die ihr
entsprungene P raxis getrennter Aufze ichnung der Stimmen -
optisch ber den musikalis chen Verlauf d e s klingenden Werke s
u n m i t t e 1 b a r nicht zu informieren. Ihr sthe ti s cher An
spruch ist durchau s periphe r. Kompo sitorische Praxis , die e s
in me nsurale r Mu sik bei einem bloen Spiel mit den Requisiten
der Notation beli e e , wre w ahrhaftig als reine Marotte abzu
tun . Denn solange Musik berhaupt (noch) notiert wird , verm
gen scheinbare Kohrenz oder sthetischer G ehalt der Notation
da nicht zu interes sieren, w o sie nicht ihre Ent spre chung in
mu sikali s cher Form und G e stalt finden , auf die sie teleologisch
sich beziehen. Die s ist nicht nur Reflexionen auf Ockeghems che
Not ations- Praktiken vorzuhalten, sondern vielmehr noch Speku
lationen der Gege nwart , in we lchen oft bei "graphi schen " Wer
ken deren musikalische Seite mit dem Notations-Bild berhaupt
nicht mehr Schritt zu halten v e rmag.
26) Cf. Rob. Eitne r , Ockeghems Chanson Ma bouche rit, in; MfM VIII,
1 87 6 , S. 8 ff (Eitner weist darauf hin, da zu Ockeghems Zeit ein jeder unbe
sorgt um die Authentizitt de s Werkes die Kompositionen anderer zu seinen
eigenen Zwecken arrangierte . )
2 7 ) Johannes Ockeghem, Missa Prolationum, Hrsg. Dragan Plamenac
1 9 2 7 ff, Band 2
einer in sich schon mehrdeutigen Entfaltung des musikalischen
Material s . Die einzelnen Teile des Werke s ( 2 8 ) bilden einen
Zyklus von Kanon s , deren Fundamental- G r en sukzes siv die
inne rhalb einer Oktave liegenden Intervalle sind. Der hierdurch
fr jeden Teil ve rschiedenen Bedingung kanoni scher Stimm
V e r s chiebung entspricht d ie innere Struktur der Stimmen sel
ber , welche wiederum auf die greren Formen bergreift. So
wird zum Beispiel beim Sekund- Kanon ( Chri st e eleison " ) auf
"
Vierstimmigkeit und Stimm- berlagerung ve rzichtet , da beides
den Einbe zug von Intervallen und melismatischen Figurationen
erheis c ht htte , welche dem in der ge samten Komposition er
s che inenden Materialtypus nur schwerlich zu integrieren ver
mocht htten. Auch der Kanon in der Septime ( " Pleni sunt " )
b e s c hrnkt sich auf zwei Stimmen. Der Stimmeinsatz in der
Unterseptime wird kompensiert durch einen Quinthll der s chon
erklingende n Stimme - die Terz wird zum Kernintervall, welches
die meli smatischen Elemente beider Stimmen ausbalanciert .
Wie im Kanon eine noch erklingende Stimme mit ihrer eigenen
Vergangenheit konfrontiert wird, so bestimme n in Ockeghems
M e s se die Intervalle des Folgenden rckwirkend die harmoni
s c he Struktur des Vorangegange nen . Hierdurch wird das Pro
blem der Einsat z - Abstnd e , vermittelt durch das kanonische
Einsat z - Intervall, zur gewichtigen Be stimmungsgre harmoni
s cher Ge staltung.
28) Siehe auch die Beschre ibung der Messe bei Plamenac, a . a . 0., S, X X
Cf. Breidert, Stimmigkeit , a . a . 0., S, 96
29) Cf. Missa Prolationum, Kyrie I und II, Gloria, Credo, Hosanna.
24
rung der Sektionen von 1 bis 26 soll lediglich ein leichteres Auf
finden der ( mit A , B ... G bezeichneten) melodischen Teile e r
mglichen ( B sp . 1 1 ) .
Superius : 2 2: 2 : : 2
C - Tenor : 3 3 : 3 : 3
Tenor 3 1, 5 1, 5 : 3 1, 5 : 1 , 5 (3) 2
Bassus 4,5 : 1, 5 : 3 4,5 1,5 : .3 (: 2)
(Bsp. 1 1 )
(\l 2 3 4 5 6 7 8 9 10 2 3 4
SUP.
- - D
A B
C.TEN
1-Ff c
tJ - -
A B
Ir:&:::::
A B c D
-1---....- .. ..---.- .&. - -&&
BASS
A B c
(\ 5 6 7 8 9 20 2 3 4 5 6
., I
E -e-F -e-G
tJ ... -
D E -e.F
- -
(G
--. ." J";e .0."1," -&e
E F
-ta- .0. .0. 1-Ej. .kn - - I
:
D E F/2
27
4x 1=1) beendet ist. Ruhepunkte von der Dauer 1=1 (mit Dichte
maximum 4) treten dann bis zum Schlu des Kyrie nicht mehr
auf. Zur Auflsung der Initialstruktur tragen harmonischer und
Dauernparameter alternativ bei. Die Bas su s - Stimme , deren A
Phrase am weitesten in das folgende Gefge hineinragt, wirkt
28
C-TEN=
stnde wird das Alternativ - I ntervall a - c zum neu en Modell. E s
ist die harmonische Vorau s - S etzung beim Eintritt der B- Phras e
d e s Contratenor s : ( Bsp. 1 3)
SUP
BSS :
TEN
16
ee - I!J:
V
Sie wird also durch Kriterien be stimmt, welche der ihr zeit
lich vorangehenden Phrase des Superius entstammen. Das har
monis che Alternativ- Modell: f- a- c - e , welches die Auflsung der
ersten Struktur bewirkt e , entfaltet sein Korrelat in der ., melo
dische n " Verknpfung. Die se tritt als dritte s Kriterium flexib
ler formaler Artikulation in Kraft und die s auf mannigfaltige
Art .
Die B- Phrase des Superius w ird mit der B- Phrase des Tenor
verknpft, und zwar auf einer Tonhhe : ( Bsp. 1 6 )
e-.
_.
fl 5 6 '1 8 9 10 11 12
s
I. -- ...__V
( r
--
CT
.., c___S
.0.
':+c.+
T :
I+ ;. t--
/"" ++
B
L----;-1
II::t e' )
6 e II H -....._;..-
e '"
=----"'
n c/'
. II II ; ;, z
\
h
Q ;.[\
r s;l
abgesehen davon auch, da d ie dazwischen liegende D- Phrase
gar symmetrisch, als U mkehrung des Krebses gebaut ist (Bsp.
25) -
I J. r r r e J r II
Zwe imal fllt das wiederholte d ( T . 1 3 und 16) der hchste Ton
-
Das wichtigste Merkmal der dritten Phase war das der bertra
gung r c k b e z g l 1 c h e r Prinzipien auf die Struktur der ein
zelnen Zelle n. Verfahren wie die der Krebs- und U mkehrungs
bildungen, das der Verknpfungs-Analogie oder gar das doppel
ter Symmetriebildung griffen wie mit Polypenarmen in den Kon
text ein und verschrnkten die Phase mit ihrer Umgebung.
.-----c
'0 o tj .---a------
'o o
' '
J JJJJ wJJ
0 1 2
3
c'... c''
4 15
a'
b
8 9
b'
20 I f.
etc.
6 17
JJJJJ JJJJJJ JJ JJJJJ 0 Jj J 0 J 0 JJ
3
0 0 0 0 0 0 0
2 1
In der ersten Teil-Phase setzt sich das Resultat noch aus iso
morphen Phrasen zusammen, deren rhythmische Struktur die
spe zifischen Dauern-Divisionen und Akzente der Gesamt- Struk
tur bewirkt. Die korrelativen Gruppen entstehen aus i s o m o r
p h e n Materialien (man knnte meinen, das Prinzip " schwinge
ein " ) : (Bsp. 29)
CT
(c)
tl -- ... ..._
TB J. J
(Rh. Summer .. .
Ges. 0 0 J .J JJJ .J.J.J JJ 0 0 0 ..J ..J JJ..J J J'I'JJ JJ 0
Res. a a'
CT
---
tl
T
B
J.
(
J J J JJ
)
J J -:'j
Ges. ..J J J..J J J 0 .J J 0 0 .JJ.I..J.IJ 0 J ..J 0 0
Res.
------ b --------_J L...---b '------....J
32
G ruppen; die Anzahl der simultanen Einstze ( harmonis che Dich
161411311 19
te) i st wie folgt: (Bsp. 3 2)
13 212
J.I .IJ.I.I 1
0 J
21
..I.I .1.1 .1.1
CT
J J J J
0 0 J0 J.l 0 J J
Res.
!===============
Kurzer Wert
:.
Min. _
Sup . : G.
Ten.: F--7" G
Beider V erlauf richtet sich nach dem de s C ontratenors, wel
cher seine letzte Phrase erklingen lt. Diese war (es ist die
F- Phra se) in die rhythmi s che Maserung de s Mittelteils ver
wickelt, aus welchem sie , nun versiegend , herausragt. Die sie
umgebenden Linien lehnen ihrer rhythmis chen Struktur sich an
und wollen da keine neuen Elemente mehr einfhren, wo defini
tiv ge schlo s sen wird . (Bsp. 3 5 )
24 25 26
0 O J 0
i
0
i
o lJ i
0
t
0
J,
.0
t
0
t
0
die formalen topoi be set zen. Ihrer Struktur nach verbrgen sie
die Kontinuitt des formalen Proze s se s; dank der ihnen einbe
s chriebenen Funktionen schlieen sie sich zur G e stalt zusam
men - die latenten Verknpfungsge setze schlieen die Form.
(a. a. 0. , S. 29)(. Die positive Leistung besteht im bloen Entdecken und Kom
des 1 8 . Jhdts erschienen, bezeichnet. Folgt man der Bemerkung Seherings
1 . Walzerteil:
I II Ili IV V VI VII VIII
2 96 22 141 41 1 05 1 22 11 30
3 32 6 1 28 63 1 46 46 1 34 81
4
5 etc .
Das tonale Material der einzelnen Takte ist auf ein Minimum
reduziert , welches hinreicht um deren Funktion im metrischen
Schema zu verdeutlichen. Hierdurch hneln die Typen der 1 1
substituierbaren G ruppen einander recht stark. Da der Ba -
das Fundament der harmonischen Bewegung - die s e in den ein
zelnen Parzellen so knapp wie mglich andeutet , weichen seine
Typen in den 1 1 G ruppen kaum voneinander ab; zum groen Teil
sind sie identisch (39) . In den Melodien herrschen gebrochene
Dreiklnge und Lufe , - Elemente also, die in einem differen
zierteren Komponieren nur als berleitung dienen.
Das rein materielle , fast pe rmutatoris ch- mechanistische V er
fahren wird an P arzellen gleichen Stellenwerte s wie etwa fol
genden deutlich: ( B s p . 36)
( 1 : Walzerteil, I - 2 , 3 , 4 , 1 0, 1 1 )
( 2 . Walzerteil, I- 2 , 3 , 6 , 1 0 , 1 1 )
Obs chon die einzelne n horizontalen Zeilen zum Teil aus einheit
lichem M aterial zusammengefgt sind, also im Ansatz kompo
sitorische Kriterien e rkennen lassen, w erden an den Verbin
dungs ste llen der einzelnen Parzellen dort Brche deutlich, w o
deren e infache s Material nur ge zwungen dem Kadenz schema sich
fgt: ( B s p . 3 7 )
( 1 . W . - Teil, 5 - IV , V , VI )
( 2 . W. - Teil, 7- IV, V , V l)
Herbert Eimerts G edanke , das Prinzip der Re ihe sei die einzig
wesentliche Erfindung, welche das zwanzigste Jahrhundert den
kompos it ionstechni schen Errungenschaften der Vergangenheit
hinzugefgt habe, hat sich in vollem Umfange erst bewahrheitet ,
a l s d i e Formentwicklung neuer Musik dahin tendie rte , d e m neu
gewonnenen Prinzip umfa s send Rechnung zu tragen. Tatschlich
hat die bertragung des seriellen Prinzips auf die Formstruktur
vllig neue Mglichkeiten und Schwierigkeiten d e s Kompanierens
offenbart , welche die Problematik der gesamten nach-webern
sehen Musik ausmachen ( 1 ) , auch der, die sich " postse riell " ,
-
I:;
f= r.
3) Bei einem gegebenen krzesten Wert von ,;he die traditione lle Dau-
ernreihe so :
j., I 1. au s . Das berwiegen
....._...
\
......._..
f= ....
....__...
I .__...
langer Tne lilt die kurzen wie Punkte aus dem Satz herausstechen .
durch sie hindurch, der ihnen Richtung wiese und s ie in der Zeit
aufeinander wirken liee, wenn auch die Einheit der seriellen
Organis ation v erbrgt, da sie, obschon disparat e , im glei
"
chen Licht " leuchten. (1 0)
1 0) Stockhausen, Schriften I, S. 3 7
1 1 ) Pierre B oule z , Structures pour d e u x pianos, premier livre, Landon
Wien 1 95 5; siehe zum Beispiel die Takte 3 2 / 3 2 , 39 / 4 0 , 5 6 / 5 7 , 7 2 / 7 3 der
Structure Ia
1 3) I n der integral seriellen Musik ist die Reihe - ihrem materiell- syntak
tischen Doppe icharakter gem - Axiom und Operator zugleich. Axiom ist sie
insofern, als - analytisch zumindest - alles auf sie zurckgefhrt zu werden
vermag. Operator ist sie dadurch, da die Kriterien der Permutationen, Ab
leitungen und Analogiebildungen in ihrer Struktur e benfalls enthalten sind.
1 4 ) In der Phase punktueller und integral serieller Musik war das Krite-
54
( = x oder y
oder z, dann
weitergehen)
2 1 ) Die Gleichbere chtigung der Struktu ren war im frhen seriellen Kom
ponieren nicht nur notwendij!es Ereignis der Reihen- Methodik, sondern sie
wurde auch ausdrc klich als sthetisches Ideal behauptet; cf. Stockhausen
Schriften I, S. 1 7 ff, S. 65
59
ode r :
z --y -- x etc .
w e i st den einzelne n Strukturen innerhalb d e r G e samtfolge meh
rere Stellen zu, an w elchen sie m g l i c h e r w e i s e erklingen
knnen . (Die Konsequen zen fr die Formartikulation w erden im
nchsten Kapite l am Beispiel des elften Klavier stcks Stockhau
sens e rrtert . ) Wesentlich ist , da in die sem Falle die Struk
turen nicht stellvertretend freinander fungier e n . Alle sind zwar
ihrer Funktion nach an eine gleiche Stelle der Komposition ein
setzbar, doch werden sie hintereinander gespielt. Die Mglich
keit ihres E r scheinen s wird somit unvermittelt zur Realitt, zu
e iner Re alitt freilich, die das Prinzip der Mglichkeit nicht
durchs cheinen lt . Die Funktion der Form- Stellen, die frher
durch die Q u a 1 i t t der sie einnehmenden Strukturen gegeben
war, wird nun , da die se Stellen von dem sich getrennt haben,
was ihnen berhaupt e rst Sinn verleiht, zu einer rein q u a n t i
t a t i v e n . Obgleich ihrem Begriffe nach R e sultat struktureller
Entfaltung, werden die Formstellen nun zu einer der seriell
verfgbaren G ren , die zwar selber keiner Permutation unter
liegen kann, die aber darum u m so grndlicher eine dialektische
Entfaltung in der Zeit, eine Entw icklung des formalen Zusam-
60
24) .Je mehr das Reihenprinzip als Pe rmutationsprogramm (das die Per
mutation der V erknpfungen ein schliellt) verstanden wird und damit zur Sta
tistik tendiert, sperrt e s sich gegen die Komposition zum Musikstck; je
sorgsamer die Auswahl getroffen wird, desto mehr wird der Reihencharakter
suspendiert: die Deklaration der vom Geschmack des Komponisten verknpf
ten Daten als Zahlenverhltnis , Parameterdarstellung, srie ist pleonastisch.
(Gottfried Michael Koenig, " Kommentar in: Die Reihe 8, Wien 1 9 6 2 , S. 8 1 )
65
25) Cf. Gyrgy Liget i , Wandlungen der musikali schen Form , in: Die Rihe
7, Wien 1 9 6 0 , S. 1 2
66
26) Begre nzt wird der Zufall durch die bergeordneten Strukturcharakte
ristika.
67
40 __z:=.J_m__,,
x{l..a_f._ _r- etc.
28) Diese Form von Variabilitt der Struktur ist nicht mit jener ungewoll
ten strukturellen Statistik zu verwechseln, wie sie sich in der integral ,;c
riellen Musik aus der umfassenden Seria!isierung aller Parameter ergeben
hatte. Dort nmlich stand die v i rtuelle V ertau:;chbarkeit nicht in Funktion
bergeordneter G e staltcharaktere.
70
4) Stephan, a. a, . , S. 6 6
Ange sicht s der theoretischen Konfu sion, die wohl durch die un
konventionelle Anordnung der musikalischen Strukturen auf dem
Notenblatt hervorgerufen sein mag, ist der Hinw e i s auf kompo
sitoris che P robleme um so dringlicher.
9) Bei der Angabe des schnellsten Tempos (Tempo 6) kann zum Beiopiel
unterbewut die Hemmung auf die Entscheidung EinflulS nehmen , eine sehr
dichte Gruppe folgen zu lassen. Die Version wrde also zu einem Tempo
und Dichte-Mittelwert tendieren.
75
Haben auch die opt ischen Kriterien mit den formalen und kom
positionstechni schen Problemen nichts zu tun , und beziehen sie
s ich auf die interpretatorische ., Steuerung " und Einfluf5nahme ,
so wird gerade deswegen ihre Bedeutung in Werken zunehmen,
die ., unbe stimmter" sind als das elfte Klavie rstck. In dessen
Zusammenhang sollten sie nur darauf hinweisen, da die der
Formidee zugrundeliegende Konzeption von Wahrscheinlichkeit
sich nicht realisiert.
Kompo sitionste chnisch kann sich das Problem der Vertau sch
barkeit nur als Frage nach der variablen Zuordnung einzelner
G ruppen zueinander und nicht unter dem Blickwinkel e iner ( oh
nehin nur fiktiven) Total- Form stellen. Darum steht im Falle
des elften Klavierstcke s d ie Frage nach der Struktur der G rup
pen- V erbindung im Vordergrund d e s analytischen Intere s se s .
Dadurch v erliert d ie astronomische Zahl d e r V e rsionen fr die
Struktur der G ruppen an Bedeutung und wird durch d ie empirisch
kontrollierbare V erbindungsmglichkeit e i n e r Gruppe mit
den anderen 1 8 G ruppen e rsetzt. Auch fr den Hrer spielt ja
die unmittelbare Ge staltverbindung e ine vorrangige Rolle , denn
es darf au s der V ielzahl mglicher Versionen nicht geschlos sen
werden, da man beim Hren e rst aus der Wahrnehmung der
G e samtform herau s ber den Sinn des Details zu befinden ver
mchte.
Stoc khau sen hat bemerkt ( 1 3) , daf3 die 19 G ruppen des Klavie r
stcks au s einem " gemeinsamen Keim " entwickelt seien. Die
Organisation vollzieht s ich nach einfachen se riellen Kriterien .
Von den 19 G ruppen haben ( 1 4 )
vie r (A 1 - 4 ) eine Gesamtdauer von j e 3 Vierteln
drei ( B 1 - 3) 6
drei (C 1 - 3) " 10
vier (D1 - 4) .. 1 5
.
zwei ( E 1 - 2) . 21
und drei (F 1 - 3 ) .. 2 8
1 4 ) Diese Dauern beziehen sicl:l nur auf die mensurierten Passagen, nicht
aber auf die Blcke von Stichnoten ( " so schnell wie mglich ) , die - e benfalls
nach einem seriellen Schema - in die e inzelnen Gruppen eingefgt sind. Da
mit die G ruppen, die hier A l . . . , B I . . . etc . bezeichnet sind, auf dem Blatt
wiede rgefunden werden knnen, sollen sie der Reihenfolge nach aufgezhlt
werden. Da die Tempo- und Laut strke- Angaben in ihrer Kombination sich
bei keiner G ruppe wiederholen, kann man sie dank folgender Tabelle in der
Partitur leicht auffinden.
(8._,_ . . . . ..... j
(A 1)
(8'''""'"'"''""''"''"""''')
>J:-,
# r;-:4-,
(A 2)
J ___j
t
6 freie Noten
'I
dererseits die schon existenten Elemente mutie rt . In den G ru p
pen A1 - 4 stellt sich die Wandlung der Triolen- und Quintolen
Gruppe wie folgt dar: (Bsp. 4 4 )
.. . . ,.H.l
: ::[:
A4 i<r"H.)\
6 1. it4 i#-fl
.____.
1 6) Der rhythmischen Analyse des Klavie rstcks sind durch fehlende Takt
Bezeichnungen Schwierigkeiten bereitet. So mu im ersten mensurierten Teil
von C3 (unteres System) offensichtlich eine Viertel- statt einer halben Note
stehen; die Klammerbe zeichnungen im oberen System von 83 sind ebenfalls
Irrtmer. Statt falsch 5 : 6 und 5 : 6 kann es vielleicht richtig 4 : 6 und 5:4 heis
sen)
19
a) b)
" r----- 5--., < r-- 5 ----, >
TYsp !! Transp.
:
+o
" 3-, r--- 5 t \
tl ll . 1 {' \
r. !!... - "!;:- I
Kl . 2
..,
r. !1:,10 7ft:.1
(.. I r-37:_ ,-
I
+
(KJ dim.
(9)
\
..,
" #3-, R .. augm.
I!!... I 'l !n \ J
.r IL-5---' I
:
I freie Noten
1 7 ) (Die 6 .freien Noten von A4 sind in der Zhlung nicht enthalten) . Aus
der Art der Zellenmutation ist ersichtlich, da die Mobilittskriterien der
Groform schon in der Zusammensetzung der einzelnen Zellen wirken: Ein
heit der Methode ohne wrtliche Analogie .
80
s-f
Al
.
f
A2
1 f -s s ' steigend
f ' fallend
A3
f - s (-f)
f- s
1 ' liegenJ
A4 V ) )\ :1 -s
-- t
r-- r---
r.H. I I I I I 1 1 1 I I
5--, .----5---, .-----5---, 5----,
l I I I I I I ---'
.----5 ---,
6 L------' 1 LJ 4 1------l
1 l I I 1 L---
3 L--J 7
(1.H.'f'--5---' '----5---'
I I I I 1 ---- 1 I I I I J I I" u L:......J )
'--5 ----' '---5- ----' '--5 ----' '---5- --l
( Einheiten zu 1 , 2 , 3 , 4 , 5 , 6 , 7 Anschlgen in
d e r oberen Schicht)
B 1 o c k wirkt. Cf. : E2, Anfang; F2, 1 . Abschnitt nach Stichnoten; F3, jeweils
1 8) Als Resultat entsteht ein Ve rband einheitlicher Zellen, der wie ein
25) Bei der Anwendung des Begriffes Zeitfeld ist ohnehin grte Vor
s icht geboten. Real gibt es Materialfelder oder Felder mglichen Materials.
Letztere als Zeitfelder zu bezeichnen, ist in Bezug auf die musikalische Zeit
komposition nicht sinnvoll, da ein Zeit- Feld nur auf dem Papier als Feld er
scheint, nicht in der Zeit. Wenn die Musik in der Zeit erklingt, kann sie keine
Zeit sein. Nur Mnchhausen hat sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf zu
ziehen vermocht.
84
32) Pierre Boulez, Sonate " Que m e veux tu , in: Mdiations 7 , Prin
temps 1 9 64, S. 61 ff (Paris); deutsch in: Darmstdter Beitrge III, Mainz 1 9 60,
s . 27 ff
86
A'-,
B/ B0' A'
B ,...... B
/B ....- B B''- B''
A
B ,B B0 ' B0 '
Von der einfachen Alternativ- Struktur der " Antiphonie " , wel
che die D e t a i 1 s der Einzelstrukturen noch unangetastet lt,
wird fortgeschritten zu komplexeren Konstellationen, welche je
weils die schon definierten in sich aufnehmen und erweitern. In
., Trope " zum Beispiel ist das antiphone Schema zu einem zyk
lischen erweitert. Die vier Teile de s F ormanten, exte, !'aren-
87
T - p - c - G
T - p G - c
p - c - G T
p G - c - T
c - G T - p
G - c - T - p
D T - p - c
G - T - p G.
Anfang
I
! i I j2 1
J,. _ : ! I i ! 11 2 !
, \'1
Ende Leserichtung
tJ
V
/ I .,..,
:
it -
11 fl>l
Das Ton - Reservoir erscheint zweimal; beim zweiten Male je
doch werden die sukzes siven Intervalle zu simultanen geschich
tet . Gleichzeitig wird die Tonfolge (und in einem Falle - cis -
auch die Lage) gendert. Auch die Anschlagsart wird verndert;
aus legato wird martellato.
Das Material der Parenthe sen ist jeweils aus den Konstellatio
nen der obligaten Teile hergeleitet und mndet in die se. So wird
der Be ziehungsreichtum des gesamten Formanten auch in sei
nen Mikrostrukturen realisiert. Beide retrograden Formen nm
lich - die des obligaten Textes und die der Parenthe sen - ver
e inigen sich zu einer bergeordneten Form. Und da die Aufl
sung der strikten Analogie schon in der Struktur beider Teil
Formen enthalten ist und berdie s die Doppeldeutigkeit der Be
ziehungen jeder Struktur schon innewohnt, stiftet die Entschei
dung ber Ausfhrung oder Wegfall einzelner Parenthesen in je
der ihrer Lsungen musikalischen Sinn. (Bsp. 5 0)
) Symrn.Fo ( :
:\ f
L--P-! -Z: -:.:_:2: ::S:.:. ::.S:::_ . J f !:.;il)
__
L -- -_-: l
.... __ __ -"" ..... .... _ _ _ _ _ _ ...
;:. beziehungen
Struktur
. . . . ...
'--
- ----"-
- ..._
- L-____..._
)' Symrn. Form
35) Es sind dies brigens die beiden einzigen Stichnoten-G ruppen der gan
zen Struktur, die gewissermaen den Mittelpunkt musiksprachlich artikulieren.
90
39) Die P artitur dieser Version ist vom Komponisten eigens ausgeschrie
ben und Constellation- Miroir bezeichnet.
91
Auch hier also ist die Morphologie der Groform fe stgelegt . Die
einzelnen Teilformanten setzen sich aus Strukturzellen, Grup
pen verschiedener Menge doch gleichen Charakters zusammen:
entweder sind sie punktuell (points) oder komplexe Klang- Blcke
(blocs) . Im Unterschied zu Stockhausens Klavierstck mssen all
diese G ruppen gespielt werden (die Phasen- Proportionen blei
ben also konstant) und der bergang von einer zur nchsten darf
nicht (oder nur in wenigen Ausnahmefllen) durch lange Pausen
zerstrt werden. Es ist also Kontinu1tt angestrebt. Indes dr
fen die G ruppen der einzelnen Teilformanten - beschrnkt -
miteinander vertauscht werden: die Wege von Gruppe zu G ruppe
sind dabei vorgezeichnet. Hinter den einzelnen Gruppen befinden
sich Pfeile verschiedenster Form, die auf gleichartige Pfeile zu
Beginn anderer Gruppen verweisen. Die Variabilitt des Form
verlaufes - der Freiheitsgrad des Interpreten - i st hierdurch
vorgezeichnet. Gruppen, denen nur ein Pfeil voransteht, bezie
hen sich demnach e i n d e u t i g auf Gruppen, denen nur ein
Pfeil folgt; mit steigender Anzahl der Pfeile werden die Zuord
nungen vieldeutiger .
Es ist unmglich, d e n umfangreichen und komplexen Formanten
" Constellation" hier auch nur auszugsweise in seinen groen
Zusammenhngen zu analysieren. Ein einziges Modell soll darum
das Prinzip gelenkter Variabilitt und seine Konsequenzen fr
die strukturelle Morphologie veranschaulichen. Der ., Mlange"
bezeichnete Teilformant, welcher der Analyse dient, hat den
Vorzug, beide Strukturtypen - point s und blocs - zu enthalten.
Die Gruppen sind wie folgt auf dem Papier verteilt (b= blocs; p
points): (Bsp. 5 1) (1)
[I}! ( 3) "1.1
< z> 1(!] <>
0 [}]+(5)
f
Es sind also folgende Verbindungen vorgezeichnet, die zwei ver
schiedene Versionen ermglichen: (Bsp. 5 2 )
92
Der statische Charakter die ser Punkt- Blcke wird durch die
repetierten Tne erzeugt.
93
1 Bp
2 Pb
3 Pb
4 Bbp
5 Bpb
6 P
94
1 ) " . . . Uenn kein (musikalisches) System liee sich finden, welches aus
sich heraus schon logisch wre. Eine jegliche musikalische Logik ist erst ge
rechtfertigt, wenn sie musikalische S p r a c h e zu werden vermag. " {K. Boeh
mer, Anathema in Musica, Rundfunkprogramm SFB, 3. Progr. , 1 6 . 1 2 . 1 9 65 ,
2 0 Uhr, vom Sender vervielfltigtes Manuskript, S. 3 )
98
Indeterminationsgrade fr
,w e nige 1
1 ) Placierung e i n e r Tonhhe an \ . mgliche Stellen.
v1e le/
2) mehrerer - n an
9) frei
1 0) Totale Indetermination.
Dieser Katalog lie e sich beliebig erweitern oder diffe renzieren
und durch alle Parameter und Parameterkombinationen w ieder
holen. Doch sind es nicht s e ine Daten, die kompositorisch orga
nisiert werden mten, um musikalischen Sinn zu stiften. Viel
mehr kann be r ihre Anwendung nur aus formalen Zusammen
hngen heraus entschieden werden.
theorie fast logarithmisch zunimmt. " Wahre Zeit " , " Tonraum
zeit " , " Zeitagens " , " Zeitgrad " , " Zeitmorphologie " , " Zeit
konomie " , " Zeitschwelle " , " Zeitwerdung " , " Zeitdauer- H
ren " , " Jetztform " ( 6 ) , gehren zu den absurdesten Termini,
deren die Autorin eine Flle aus der Literatur zusammenstellte
( 7 ) und deren Hufung sie in einer Tabelle dargestellt hat, wobei
sie darauf hinweist, " da die musikalische Zeit unter dem Aspekt
der Mebarkeit leichter zu fassen ist als unter dem Aspekt des
Erlebens " ( 8 ) . Viele Zeit-theoretische Po stulate der neueren
Theorie mgen sich am Modell horizontaler und vertikaler Um
kehrung gebildet haben, welche s in der Zwlftontechnik neue
Bedeutung e rlangte. Doch i st eine Umkehrung oder V e rtauschung
von Elementen und Gestalten i n der Zeit nicht im Geringsten
mit einer U mkehrbarkeit der Z e i t s e 1 b e r fraglos ineinszu
setzen. Wrde nmlich die Zeit bei der Umkehrung von Ele
menten ebenfalls reversibel, so knnte der Rcklauf berhaupt
nicht wahrgenommen werden. Verdeutlicht man sich die s , so
lt die angebliche Zeit-Reversibilitt sich auf Fragen der mu
sikalischen M o r p h o 1 o g i e reduzieren. Erst nach Betrachtung
dieser Fragen wird man zu denen der zeitlichen Artikulation
vordringen knnen (9); nicht umgekehrt. Ohnehin lt sich in
einer probabilistischen Strukturanordnung die Frage nach der
Umkehrbarkeit der Zeit ad absurdum fhren. Kann in einem
komplexen Zusammenhang ein Element an verschiedene " rter "
transplantiert werden , so fllt der Bezug zu einer exponierten
Originalgestalt fort, an welcher der G rad vorgenommener Ver
nderung sich messen liee . Mit die sem Fortfall bricht das ge
samte theoretische Gebude zu sammen, welches die Zeit-Trans
plantation zur reinen Spekulation machte , w eil es nicht bedachte,
da es lediglich Beziehungen im Material konstatierte. Da mu
sikali sche Strukturen in all ihren Komponenten i n der Zeit und
d u r c h die Zeit sind, darf nicht zur Annahme verleiten, sie
seien Zeit.
Es i st daher wenig sinnvoll, aus dem Problem der Indetermi
nation eine neue Zeittheorie unvermittelt ableiten zu wollen.
Wesentlich sind vor allem die Probleme , die sich fr die Mor
phologie e rgeben, will sagen, fr die Artikulation der Zeit unter
--=
m
-==
I
I I I
4) Die Zahl verringert sich natrlic h , wenn die Reihenfolge der Tne in
jeder der drei Linien festliegt.
p
J]JPtJJI
..-3--, r-J--,
I
I
Zwar erscheinen solche Blcke
auch in mensurierter Form (S.8,
Ende; S . l O, Anfang, S. l 2 , Mitte;
etc . ) , doch liegt die Vermutung
voice nahe , eine durch die Unbe stimmt
'f#JP (
"-.;
J I
heit der Einsatzabstnde beding
te Nivellierung sei in den men
surierten, festgelegten Bereich
ftl[rfr[rfr[[ff!
bernommen worden.
treten in der dritten Sektion (S. l 6 ff) die einzelnen Klangeleme nte
in variable Beziehung zueinande r , wobei eines der zeitliche Be
zugspunkt des anderen werden kann. Die Differenzierung und
die Kontrolle der Ele me ntfolge werden dabei jedoch fast gnz
lich aufgehoben. Vor allem tritt das in der vorige ;1 Sektion noch
verbindliche Kriterium der Aufeinande rfolge (und der Element
reihung in den einzelnen Linien) auer Kraft . Das Material wird
nun in einzelne Rechtecke notiert, die die Grenzen seiner Ver
wertbarkeit innerhalb des Z eitablaufes markieren. Innerhalb die
ser G renzen aber herrschen keine syntaktischen Kriterien mehr .
(Bsp. 6 2 )
ltml l : I
1 06
..
:
P 1TIJ
. -
P IP.Pl
..
..
P ::;,...
II
...
. p----i> 11IJ
reiche. Von Bsp 64 lieen sich unter vielen zum Bei spiel fol
. .
nicht d e r Fall ist . Eine Struktur zum Beispiel, die nur vage
fixiert ist , erfordert nicht mehr denn rein materielle Kriterien ,
um einge setzt oder verschoben zu werden. (Bsp. 66)
II
Auf die durch Blcke " so schnell wie mglich " zu spielender
Noten e r z eugte s c hrfere (doch mu siksprachlich recht monotone)
Zeichnung ge staltlicher Konturen i st schon verwiesen worden.
(cf. Partitur, S. l 2 Mitte , S . l 4 Mitt e , S . l 7 , S . l 8 Anfang, S . 26
End e , S. 28, S. 2 9 ) Solche Pas sagen bilden zwar klar e , eindeu
tige Mome nte innerhalb der fast durchwegs diffu sen Strukturen.
Doch geben sie - wegen ihre s Pauschalcharakters - keinerlei
differenziert e rhythmis che Krite rien ab, die zu ihrer Integra
tion in den Konte xt beitragen oder au s welchen andere Struktu
ren dann sich entwickeln knnten. Auf Seite 29 ist dem Pau schal
charakter in sofern schon Rechnung getragen, als beim Marimba
phon und beim Xylophon auf die B e st immung der Tonhhen ver
zichtet wird; - dies i st natrlich ein in einem Kammermusik
werk hchst bedenkliche s V erfahren, insbe sondere, da aus ihm
keinerlei Kon sequenzen ge zogen werden.
Das " stille und weitrumig komponierte Klanggefge " hat eine
vorwiegend homophone Struktur. Die s e ermglicht eine deut
liche U nterscheidung zwischen Text und Refrains " . Doch sind
etc.
1 14
1 1 ) und in vielen anderen Werken, die hier nicht eigens untersu cht werden
knnen. Z . B. : Bo Nilsson, 2 0 Gruppen ( 1 958); Pousseur, Caractres (London
1 96 2); Haubenstock-Ramati, Liaisons (London 1 9 6 1 ) u, a .
115
1 5 ) Stockhausen, ibidem
1 17
ten meint. Koenig hat ( 1 6) , in der w ohl przise sten bisher vor
getragenen Unte rsuchung zum Zusammenhang zwischen Inde
termination und seriellem System, ausgefhrt ( 1 7 ) : Der Zufall
"
wird also e r st wirksam, wenn unter den gleichen Voraus setzun
gen immer wieder neue Ents cheidungen fallen, deren Einzel
heiten ungewi bleiben. Zufallsereignis s e die s e r Art kommen in
der Musik praktisch nicht vor; und wenn man mit ihnen operie
ren w ollt e , w ren die Resultate musikali sch unsinnig. Der re
duzierte Zufall hingegen spielt eine Rolle. Wir wollen darunter
die einmalige aleatorische Entscheidung innerhalb eines Feldes
mglicher Entscheidungen verstehen oder doch so wenige Ent
scheidungen, da der Zufallscharakter e mpirisch nic ht in Er
s cheinung t ritt; der Zufall lenkt zwar, wird aber nicht als sol
cher e rkannt . Eine Rolle spielt natrlich auch der scheinbare
Zufall, also der chaotische Aspekt einer nicht j ederzeit erkenn
baren Regelhaftigke it . Die Wirkungsweise, abe r auch d ie Frage,
ob berhaupt eine Wirkung eintritt, hngt von mehreren Fak
toren ab. Wir konstruieren hierfr ein Dreieck , dessen drei
Punkte Komponist, Interpret und Hrer heien . "
1 7 ) Koenig, a. a. 0 . , S. 2 0
1 8 ) Koenig, ibidem
1 18
Dichte minima
1 9 ) Cf. H. H. Stuckenschmidt, Am Kreuzweg der Neuen Musik, Bemerkun
gen zu den theoretischen Schriften von Karlheinz Stockhausen, in: Frankfur
ter Allgemeine Zeitung vom 30. Mrz 1 96 5 , 2. Spalte des Artikels.
Elemente x y w z v ...
Zeit
4) Die Elementfolge ist unbestimmt (wie bei 3 ) " ) und die Ein
,.
B
Tamtam- Maximum, welches sich in der 13. Periode finden soll, erscheint in
Marimba-Maximum erscheint statt in der 1 1 . in der 1 2. und 1 4 . Periode. Das
der 10. Periode; in der 1 3 . kommt das Tamtam hingegen berhaupt nicht vor
etc . . .. Es ist bei solch offensichtlichen Unkorrektheiten kaum mehr ersicht
lich, worber denn die suberlich gezeichneten Tabellen der Analyse auf
klren sollen; ber die musikalischen Zusammenhnge eines Werkes oder
ber Wunschtrume einer Theorie, die sie nur deskriptiv, nicht aber kompo
sitorisch verwirklicht.
22) Diese Typen werden hier nur sehr knapp beschrieben, da sie (Stock
hausen, Schriften li, S. 77 ff) in der Stockhausensehen Zyklus-Beschreibung
ausfhrlich behandelt und mit Beispielen verdeutlicht werden.
120
Zeit
nierend einge setzt werden:
PGPG . . . G PGP etc. ;
Gruppen
.
.
: :
I ., o .
.
Zeit
8) Wie " 2) " , statt eines von mehreren Systemen wird jedoch
hier eines von zwei Element- Feldern gespielt.
9) Einzelne Parameter (Tonhhe, Intensitt, Rhythmu s , zeitliche
Dichte) sind indeterminiert , gleichzeitig aber durch Global
kriterien begre nzt .
3) Kleine Einhe iten von Eleme ntgruppen (die aber auch schon in
"
" 2) erscheinen); die Einsatzabstnde dieser Gruppen haben
einfachste rhythmi sche Ge stalt ( Ace. - Rit . ; ganzzahlige Pro
portionen)
4) Nur Klein-Gruppen ohne regelmige Gruppenfolge
5) Punkte
6) Punkte und Gruppen alternieren
7) Punkte und Gruppen alternieren nur zeitweilig
8) Nur Punkte oder nur Gruppen erklingen
9) Kontinuierliche Vorgnge haben eine statistische Struktur.
Ein jeder Typus von Variabilitt wird also mit je einem einfa
chen morphologischen Kriterium ( 24) identifiziert; nur durch
dieses unterscheiden die Typen sich voneinander. Da Variabili
tt als K a t e g o r i e nicht hrbar i st - geschweige denn ihre Zu
oder Abnahme - erklingt der Zyklu s wie jedes andere festgelegte
Werk. Teilweise herrschen period ische , teilweise aperiodische
Rhythmen vor. Streckenweise dominiert ein Instrument, strek
kenweise treten mehrere ins Spiel ein . Nicht s , was nicht mit
den allgeme insten Grundstzen traditioneller serieller Verfah
ren bereinstimmte.
Damit jedoch die Idee zunehmender Indetermination berhaupt
s ich realisiere, wird das Prinzip der Determination mit ein
fachen rhythmischen Formen identifiziert. Die Elemente des
Skelettzyklus nehmen in Form einfacher accelerandi zu und in
Form einfacher ritardandi ab ( . etc . ) .
(--VVV
.----1
.
"""- ------
.... .
,"-->)
Die Reihe als Organisationsschema dringt an die Oberflche der
Konstruktion, - ohne dadurch schon selber differenzierte Form
sein zu knnen. Zur Charakterisierung der 9 Zyklen werden die
Klangfarben, die einen jeden bestimmen, deutlich voneinander
unterschieden. Darber hinaus mssen sich die aus diesen Far
ben komponierten Ge stalten von denen der variablen Strukturen
hnlich w ie mit der G lis sando -Reihe verhlt es sich mit den an
deren Reihen des Skelett- Zyklus. Die 1 0. , 1 1 . und 1 2 . Periode
sind zum Beispiel mit Glis sandi auf dem Guero durchset zt , nur
weil die Klangfarbe dieses Instruments dort das ihr zuge wie
sene Dichtemaximum absolvieren mu . Musiksprachlich oder
26) Da die Seiten des Z yklus nicht numeriert sind, werden die Perioden
aLrZ.
T!....T
..LL..L
Zeitmaen und den G ruppen) zog, mit einem der empfindlichsten Parameter,
der instrumentalen Klangfarbe, so schematisch verfhrt, als ob dieser auer
halb aller geschichtlichen Entwicklung stnde.
28) In der instrumentalen Fassung der Kontakte ( 1 960) ist dieser Sche
Die Probleme , die sich aus dem Zusammenhang zwi schen Inde
termination und Struktur ergeben, lassen sich zusammenfassen
in Probleme der
nig, da auch wenn man den Zufall in suberlich gemes sene Sek
tionen aufteilt , noch kein Zusammenhang entsteht. Da also in
diesem Falle kein kontraHierbarer Strukturzu sammenhang exi
stierte, w rde auch eine Morphologie der Form nicht mglich
sein, selbst, wenn dies den Anschein erweckt . Praktisch i st
d iese Kategorie also mit de r fnften des Schemas identisch.
Die Frage nach der kontextuellen Funktion, die sich aus der
Unter suchung variabler Strukturen in den letzten drei Kompo
sitionen ergab, brachte das Problem der Klanggestalt nur ver
mittelt zur Sprache. Gemeinsam i st den drei Kompos itionen ,
da sie d ie Mobilitt und V ariabilitt der Strukturen (den ge
samten Bereich der Indete rmination also) durch d ie Vereinfa
chung der Gestaltkriterien zu kompensie ren trachten. Dadurch
soll e in e infaches Be zugssystem he rge stellt werden, innerhalb
welchem die weniger determinierten Kriterien s ich auswirken
knne n, ohne das G anze dem Zufall anhe imzugeben. In Berios
" C ircles " wurde dem zunehmend indeterminierten Gefge e ine
immer einfachere Strukturgestalt gegenberge stellt , die gewis
sermaen den in den variablen Partien sich vollziehenden Ab
bau syntakti scher Differenzierung in den verbindlichen Noten
text bernahm. - Stockhau sens " Refrain " , in welchem die mo
bil- variablen Strukturen d ie Funktion einer Unterbrechung erfl
len, reduziert die Struktur des festliegenden Textes auf starre ,
harmonisch stati sche Konstellationen, die wie e in Raster klin -
1 29
I Strukturfolge
III
Prinzipiell kann solch eine Disposition die stndige Kontrolle
ber den Zusammenhang s chon ermglichen, wie dies ja in al
len nur einstimmig notierten Kanons der Fall ist. Wenn die Ge
s chwindigkeit (zum Beispiel durch Metronomangaben) festgelegt
i st , be steht auch in e inem komplexeren Stck die Garantie , daf
die Proportionen der Einsatzabstnde whrend des Spiels ge
wahrt blei ben. Bei Nils son wird jedoch eine auch nur annhern
de Kontrollmglichkeit durch die Spielvors chriften zunichte ge
macht. Zwar heit e s da (11 ) : " Die vier Musiker sollen be strebt
sein, whrend der gesamten Dauer des Spieles die durch die
Startziffern , 1 ' , , 2' , 3' und , 4' angedeuteten Z e itabstnde zu
,
3 z ",."I.,)
4 t
1 35
Nun soll der vierte Spieler seine Struktur so placieren, dali ein
Zu sammenhang mglich wird. Er mte hierzu
r=mdergSltirchuekrtZuusrenammenhang
2 1-+----+--' 1-3
:
X
mdergSlitcrhuektr Eiurnsatz
;------ ---- ----- ----- -;
------------------
:::::::::::::::::::::::] 4
:::::::::::::::::::::::! etc.
.,
At B
J..
2 TJ
Die Form B ist aus der Beschreibung der ., Circle s " schon be
kannt . Hier drfen die Spieler " die Tne (oder Tongruppen) und
die angegebenen dynami schen Werte innerhalb des Zeitraumes ,
der der Gre (14) der Quadrate oder Rechtecke entspricht , frei
verteilen " ( 15). Die Form A wird im Vorwort wie folgt darge
stellt: " A kann von jedem Punkt angefangen und von links nach
rechts oder umgekehrt gelesen werden - immer so schnell wie
mglich und imme r innerhalb der Grenze des proportional vor
geschriebenen Zeitraum s , und kann berall unterbrochen wer
den, auer bei anderer Vorschrift . . . . "
&..
.....
Ange sicht s des Klangre sultates stellt sich die Methode seiner Er
zeugung selber in Frage. Denn die Notation von Tonketten samt
der komplizierten Anweisung zu ihrer aleatorischen Permuta
tion hat kein quivalent in der re sultierenden Ge stalt. Stock-
1 6 ) in Berios Epiphanie- (U: Kln 1 965) finden sich solche (durch die
H
hausen hat in seinen " Zeitmaen " ( 1 7) das Modell fr die kom
positorische Integration v o n Zeitgeruschen geschaffen. Doch
war seine Konzeption ungle ich prziser und in ihren Ergebnis
s e n gelungener als etwa die Berios. Denn d a s Moment der In
determination steht in den " Zeitmaen " in unmittelbarer Funk
tion der Klangge stalt (1 8) . Die " Linien " der einzelnen Tonfolgen
sind entweder streng mensural aufeinander bezogen , so da eine
bergeordnete Kurve der Lagenbewegung deutlich sich artiku
lieren lt; oder (cf. S. 27 ff) die Bestimmungen ,. schnell ver
langsamen " , " langsam be schleunigen"' etc . , welche auf men
sural :Notiertes sich be ziehen, sind derart aufeinander abge
stimmt, da trotz der Indete rmination (die dem Realisations
proze s s innewohnt) die Global - Kriterien der Gestalt deutlich
sich herstellen. Stockhausen hat e mpirisch die ungefhren Zeit
proportionen fr accelerandi , ritardandi und deren Zwi schen
form festge stellt und die Ze itabstnde in seiner Partitur pro
portional zu den Werten notiert , die sich ergaben. Im Falle der
" Zeitmae " ist die Indetermination keine " Methode an sich " ,
sondern nur ein funktione lles Mittel zur Erzeugung gestaltlieh
kontrollierter flexibler Ton s charen. Deren Kontrolle ermglicht
auch die Formentwicklung von dichten Tonscharen zu individuel
len Strukturen (z. B. S. 44 - 4 5 - 46 oder S. 2 5 - 26 der Partitur) .
In der Tat ist die " proportionale " Notation , trotz Berios Be
teuerung, eine starke Vereinfachung der mensuraler Denn sie
...-
;
. \.:
; " . t--:--
-:./ -
-- fr
.J ' ;
wre das przise (und dank der harmonischen Struktur wohl not
wendige) Zusammenwirken nur durch Hilfmittel zu erzielen,
die aber wiederum die proportionale Notation berfls sig ma
chen: Einteilung in Sektionen, die die Dauer des kleinsten ge
meinsamen Zeitwertes haben. Dies bedeutete eine Mensurierung
der Werte. Die ,. unbestimmte " Notation (die den Namen ,. pro
portionale" zu Unrecht der mensuralen enteignet hat) kann kei
nesfalls als Weiterentwic klung der mensuralen betrachtet wer
den. Sie kann hc hstens da an Bedeutung gewinnen, wo gleich
zeitig weitgehend auf eine Kontrolle der Klanggestalt verzichtet
oder diese vergrbert wird .
1 43
.___
_ ...
___
__
j ..._..__
_
....,
"'"
2 .. .
26) Cf. Heinz Oepen, Die 20. Internationalen Ferienkurse fr Neue Musik,
Darmstadt 1 965, S. 4
1 44
---
Die unmittelbaren Konsequenzen -.::--6< ...""il
des Vorwortes la ssen sich am
Notentext der ,.Available Forms I"
able sen. Vor allem wird in ihm
deutlich, wie es um das spe zifi .L
;, __",
'I!
seien drei au sgesucht , die symp
tomatisch fr die anderen stehen .r '--..:'L _ _ _:__,
knnen. ...".
I -,r
I
Der dritte Bloc k auf Seite 6 setzt
sich vornehmlich au s lngeren
-....
Tnen und glissandi zusammen.
'
Diese beiden Qualitten determi
nieren mglicherweise die Klang
gestalt. (Bsp. 8 8) -- -
1 46
: \;-- -
\- - - ---- -. :-. - - - - - - -i - - '
.Li. - = - .s = b. : '\ I
---..--= ..
.... - - - - - - - - - - .}
..
(Bsp. 89)
l ..
--
T Ii
I - :c -- :- .... di.,,
uerst gesc hwind ge spielt werden soll, (Bsp. 9 0)
etc.
b
etc . . J b
.JL ... ...
...
...
.... oder:J ... b...
Csie!> tc.
b... b... T
:
28) Cf. Stockhausen, Schriften I, S. 1 01 und S. 1 1 5 oben
1 47
111-1q tJ
... Rhg!. '-._ Mba. Xyl. V1br. Ba
Piano
15 - ._ a-
. Violine Vl.2
15- VIa. Cello
I& *111-..n-1& 1.-J l..[IIBI.I''-..1..'1
L L
stellt s ich nicht her, da die Kriterien der beiden Parameter
ordnungen inkommensurabel sind . Es liee sich aus der Rotation
zwar folgern, da ein groes Intervall einem groen Einsatzab
stand entsprechen msse . Doch i st solch eine Festlegung nur in
allerbegrenztestem Umfange sprbar und sinnvoll verwertbar .
Methodisch lt sich berdie s eine Determinierung rhythmi
s cher Kriterien durch harmonische sicherlich konomischer,
mu sikali sch kontrollierbarer und darum prziser vornehmen
(3 2) .
31) Mauricio Kagel, Transieibn II, fr Klavier, Schlagzeug und zwei Ton
bnder, London 1 963
Auf Seite 26a von ,. Transieibn " befindet sich eine Struktur, die
au s einem Tonhhenraster und einer drehbaren Scheibe be steht,
auf welche in unregelmigem Abstand Punkte verte ilt sind . Die
se Scheibe kann in (durch Winkel angegebene) acht Positionen
gebracht werden, wobei die Positionsbezeichnung durch Grade
(wie in der Kreislehre) unsinnig i st und keinerlei musikalische
Sachverhalte tangiert; wer vermag denn eine Strukturrotation
von 2 25 zu hren ? Zwei Versionen ( 1 35 und 270 ) seien hier
abgebildet . (Bsp. 9 6 )
90' 90'
135'
:. 180'
-: .t-
'
I
315' , .... - 225'
I
/.
Punkte , die durch die Drehung nach ..,oben" rcken, werden dank
des unterlegten Tonhhenrasters zu hohen Tnen und umge kehrt.
Die rhythmi sche D ichte ergibt sich au s dem horizontalen Abstand
der Tonpunkte . Da der Abstand zwischen den beiden Systemen
(Violin- und Baschl s sel) ebenfalls mit einem Raster gefllt
ist , welcher unter dem oberen System den Geltungsbereich des
Baschl s sels und ber des sen Syste m den Geltungsbereich des
Violins chls sels schon vorzeitig beginnen lt (wodurch beide
Bereiche sich berschneiden) , wird die Eindeutigkeit der Ton
hhenzuordnung (die durch das przise kartographi sche Schema
vorgetu s cht wird) weitgehend nivelliert ( 3 3 ) .
--;r .. ,..
rJ--,
F. . /! - .-3-,
3
1 (;,;_)....
.._ .. , L...:.J
...
> L ..J
Ein anderer Aspekt , der aus den " Available Forms " sich er
gab , war der der B e s t i m m u n g . Be stimmt wird in indeter
minierten Strukturen zumeist die Grenze ihrer mglichen Aus
deutungen, indem entweder bestimmte Verhaltensweisen unbe
stimmten Materialkonstellationen, oder aber eine Reihe mg
licher Ereignisse der Entscheidung der Interpreten gegenber
gestellt werden. Doch .lt sich hier auch argwhnen, da die in
das Verhltnis m g 1 i c h e r Elemente - ein Scheinverhltnis -
kompositorisch investierte Komplexitt nicht die der realen Ge
stalt einer der mglichen Versionen sei. Eine Illusion, die je
doch Schule gemacht hat, be steht in der seriellen Organisa
tion des Verhltnisses einer zur Auswahl angebotenen Reihe von
Elementen. Da nur eines von ihnen verwendet werden soll, und
da d ie Folge ver schiedenen Entsche idungen sich verdankender
Elemente keinen seriellen, sondern aleatorischen KriteriE!'n ge
horcht, bleibt die serielle Organisation m g 1 i c h e r Elemente
selber dem blo Mglichen ve rhaftet und schlgt sich in der mu
sikalischen Struktur nicht nieder.
standteil eines Systems , welches sie der Ausw ahl durch den In
terpreten zur Verfgung stellt . Im Extremfalle degradiert dies
alle Bestimmung zum Akt, der nichts meint. Dank eines be
trchtlichen Aufwandes von Zeichen und Regeln wird schlielich
gar nichts definiert. Komponieren wird hierdurch zum brokra
ti schen Manver. Es be zieht sich kaum noch auf die Musik, die
da eigentlich komponiert werden sollte.
Um anhand eines Beispiels die Konsequenzen verdeutlichen zu
knnen, die sich aus solcherlei Verfahren konkret ergeben, sei
angenommen, da die Interpreten sich einigen, dem 1 2 . Takt
( Partitur Seite 5 Ende) den " carattere medio " zu geben. Dem
ersten Geiger stehen danach zur Auswahl: F, M und P zur Ver
fgung; der zweite kann zwi schen F, M , P und einem mglichen
Crescendo in der zweiten Takthlfte whlen; der Bratscher kann
1 55
{li.
F
I. Viol. -- W --
Viol . -- <---9
.
oder: P
---
p
(
F
Vla. -- M )
p
M p
Cello
F
p M - -
Doch ist mit all dem die Unbe stimmtheit der Struktur noch nicht
aufwendig genug be stimmt . Im gleichen Takt (Takt 1 2) sind Far
be, teilweise die Oktavlage der Tne ebenfalls variabel. Die
Generalanweisung zu Beginn des Taktes lautet, da alle Instru
mente die Klangfarbe wechseln sollen. Der Instrumentalist kann
also von zwlf gegebenen Anschlags- oder Strich - Arten eine
whlen, die im vorigen Takt nicht erklungen ist. Im Falle der
zweiten Violine , die in diesem Takt zwi schen drei Versionen
be rhaupt whlen kann, treten Doppelbestimmungen in Kraft ,
d ie nur tautologisch sind. Dort werden dem Interpreten: arco,
col legno, pizzicato, mandolinato, al ponticello , tremolo und
noch drei weitere Arten der Klangfarbenvernderung zur Wahl
anheimge stellt, deren Symbole in der Spielanweisung zu erkl
ren verge ssen wurde ( 3 5 ) . Die zehn Mglichkeiten, die allesamt
im zweiten der drei zur Wahl stehenden Systeme aufge zeichnet
s ind , beziehen sich - auf e ine e inzige Note.
Die be rbestimmung der variablen Elemente findet jedoch kei
nen Niederschlag in der musikali schen Ge stalt und ist kompo
s ition stechni s ch in nicht s begrndet. Die Vielzahl der aufge
zeichneten Elemente ode r Artikulationsanweisungen verleiht der
Partitur den Anschein betrchtlicher Differenzierung und Komp
lexitt. Doch kommen in den einzelnen Ver sionen immer nur
35) Darber hinaus mu man beachten, da dem zweiten Geiger noch zwei
andere Versionen zur Auswahl zur Verfgung stehen.
1 56
ganz wenige der verfgbaren Daten zur Geltung. Ange sichts der
Flle des notierten Materials (teilweise werden in einem Takt
fast alle be kannten Artikulationsformen fr Klangfarben ange
boten) wre die schlichte Spielanweisung: " Spielt Dynamik und
Klangfarbe, spielt Tempo und Strukturcharakter, wie es euch
gefllt, der Komponist hat nur Tonhhen geliefert " weitaus we
niger prtentis als die Unzahl einander aufhebender Bestim
munge n, deren Gegenstand wiederum unbestimmt ist - Diffe
renzierung, die nichts differenziert - steht in ,. Aleatorio " im
umgekehrten Verhltnis zur strukturellen Komplexitt, die einen
recht geringen Grad be sitzt. Der Aufw and an Mitteln bezieht
sich auf Strukturen, die diesen Aufwand nicht lohnen, weil sie
die Mittel nicht integrieren knnen. (Bsp. 1 00, Takt 1 1 und 1 2) .
..
CJIU.
Wie auch immer mit der Wandlung der Formen der Formbe griff
selber grundlegend sich wandeln wird , so bleibt doch die Ten
denz sinnlos , die dahin fhrt , da kompo sitorische Ideen und
Bestimmungen den Komponisten selber der Ent scheidung ber
die Ge stalt seine s Werkes entheben. All jene technischen Mittel,
welche dazu dienlich sind , mgen ihrer eigenen Form nach noch
so faszinierend sich darstellen. Vielleicht machen sie von der
"
" Freiheit der Interpreten, der angeblich in der Tradition so
strflich unterdrckten, Gebrauch - doch vermgen sie. nicht zu
verdecken, da sie die Entscheidungsfreiheit des Komponisten
paralysiere n.
Erst nach Fertigstellung des Kapitels ber graphische Musik wurde mir der
neunte Band der Darmstdter Beitrge" (Mainz 1 9 65) zugnglich, der die
"
Referate des im Vorjahre abgehaltenen Kongresses ber Notationsprobleme
enthlt. Die meisten Beitrge des Bandes sind leider nur Wiederholungen der
subjektiven Wirrnis, die die Komponisten in Notationsfragen und Probleme
gebracht haben und die sie hier zu legitimieren trachten. (Siehe besonders
d ie Ausfhrungen Browns, S. 64 ff und te ils auch die Ausfhrungen Kagels und
Haubenstock- Ramatis . ) Darum verdient der Aufsatz Carl Dahlhaus' Noten
schrift heute" (S. 9 ff) besondere Erwhnung. Es ist der einzige Beitrag, der
die Frage nach dem Zusammenhang zwischen Form und Notation stellt und
auf diese Frage durchaus einleuchtende Antworten gibt. Dieser Aufsatz befat
sich auch mit technischen Einzelheiten und tut die s so sachlich, da sie an
dieser Stelle weitgehend bergangen werden knnen.
1 96 0 ff und Dsseldorf 1 964 ff) Ferdinand Kriwets etwa, und den bisher pub
lizierten graphischen Partituren neuer Musik besteht darum ein sachlicher
und qualitativer Unterschied.
4) Katalog der Universal Edition, Wien; Titel: Womit man auch sich
selbst beschenken kann , ohne Ort, ohne Jahr
5) Stockhausen, Schriften I, S. 1 88
1 60
---- - '
1 5) Sylvano Bussotti, Five piano pieces for. David Tudor, No. 3, Landon
Wien 1 95 9
1 65
1 6 ) Stockhausen, Schrinen I , . S. l 8 1
1 66
nig ermutigend.
1 8) Siehe hierzu Kapitel 9
1 67
20) Luigi Nono, Geschichte und Gegenwart in der Musik von heute, Darm
stdter Beitrge III, Mainz 1 960, S, 46
Boulez hatte schon 1 957 in seinem Vortrag Alea (2) der pro
grammatischen Verwendung des Zufalls tzend scharf und un
zweideutig die Absage erteilt, indem er einerseits die geistige
Drftigkeit derer blostellte, die vom Zufall die Lsung ihrer
musikalischen Probleme s ich erhofften, um andererseits die
Mglichkeiten zu skizzieren, die dem Musikdenken sich erff
nen , wenn es Kriterien streng kontrollierter Indetermination
integriere . Es ist anzunehmen , da die Weiterentwicklung und
Entfaltung des seriellen Systems auch ohne den Ansto Cages
htte gelingen knnen - denn durch sein Zutun ist sie ber Jahre
hinaus verwirrt worden.
1) Stockhausen, Schriften I, S. 99 ff
2) Boulez, Alea, Darmstdter Beitrge I, Mainz 1 95 8 , S. 44 ff
171
4) hnlich auch ist die Music for w ind instruments (1 938) gebaut.
5) Trio, 1 9 3 6
7 ) Man denke etwa an Charles Ives' 3 . Sinfonie ( 1 905) oder die folkloristi
schen Muster seiner Concord Sonata , deren Primitivitt besonders deut
lich wird, da sie musiksprachlich mit den verwendeten Relikten technischen
Fortschritts - unaufgelsten Dissonanzen, bitanalen Strukturen, mobilen Ab
s chnitten - nicht im Geringsten mitzuhalten vermag.
1 73
seiner Werke deren " rhythmic structure " eigens ange merkt ( 1 1 ) .
Der Taktverband , der in der Idiomatik tonaler Mu sik eine mu
siksprachlich- syntaktische Funktion hatte, wird zum eigenstn
digen Schema, dessen mechani sche Verwendung nun umgekehrt
die Phrase nbildung skelettiert. Dabei sind nicht etwa Verfahren
variabler Metrik gebildet worden; vielmehr herr scht in den me i
sten Wer ken d ie G ruppierung gle icher Takte vor. W as Schoe n
bergs Musik bis in die einzelne Note konsequent ausgetragen
hat , nmlich eine kompositori sche Kritik am fragwrd ig gewor
denen Begriff des musikali schen Zusammenhangs , das ist bei
Cage Resultat unterentwickelter, mangelnd reflektierter Kom
positionste chnik, und sollte Kritik nicht eigentlich genannt wer
den .
Die disparaten Blc ke oder Zellen, die gleichsam von oben her
zusammenbefohlen werden, geraten in der milungenen Eman
zipation des Geruschs selbe r zu einer falschen Substantialitt .
Das Prinzip der " Prparierung von Klavie rsaiten, wie e s C age
seit ungefhr 1 9 3 8 ( 1 2) angew e ndet hat, bewirkt Isolierung u nd
tuscht zur gleichen Zeit die Substan zvermehrung der dispara
ten Tne vor, als Belohnung fr den geopferten Zusammenhang.
Diesem hat Cage stets unterstellt, er sei das Diktat des Men
schen ber die Natur, welcher von Menschen erdachte Kompo
sitionssy steme Gewalt antten. Aus dieser Versklavung gilt e s
die Klnge zu befreien : Or, a s before , one may give up the
de sire to control sound, clear his mind of music , and set about
discovering means to let sound s be themselfes rather than ve
hicles for man- made theorie s or expre ssions of human senti
ments " ( 1 3) .
1 1 ) Cf. Katalog S. 8 , 1 7 , 1 5 , 38 u. a .
1 5 ) Silence, S. 3 7
1 76
Number V ' bel canto in the recent part for voice in the , Con
1 6) Silence, S. 30 f
1 7 ) Silence, S. 4 1
1 8) Silence, S. 7 0
1 9) Theodor W. Adorno, Vers une musique informelle, Darmstdter Bei
trge IV, 1 960, S. 9 8
2 0 ) Adorno, ibidem
2 1 ) Silence, S. 2 2 , S. 37 f
1 77
Sinn hat. Denn der Widerstand, den Natur menschlichem Tun leistet, grndet
nicht in ihrem subjektiven Willen. Vielmehr ist seine Kraft Zeichen fr die
unvollkommene Kenntnis, die Menschen ber Natur bisher sich aneigneten.
23) Silence, S. 44
1 78
25) Silence, S. 1 0
1 79
26) Das treffendste Modell einer solchen Konfusion von Geist und Natur
ist von Martin Heidegger berliefert. Cf. Heidegger, Schpferische Land
schaft; Warum bleiben wir in der Provinz ? " , in: Guido Sehneeberger, !:lach
lese zu Heidegger, Bern 1 962, S. 2 1 6 ff
und sobald man beginnt, die Freiheit statt der freien Menschen zu verteidi
gen. (Maurice Merleau- Ponty, Humanisme et Terreur, Paris 1 94 7; deutsch:
Humanismus und Terror, Frankfurt 1 96 6 , Band I, S . 1 8)
28) Max Stirn e r . Der Einzige und sein Eigentum, Leipzig 1 847
29) Cf. Marx- Enge1 s , Werke, Berlin 1 96 1 , Band 6 , S. 2 7 0 ff: Der demo
kratische Panslavismus; Band 1 8, Berlin 1 96 2 , S. 3 3 1 ff, S. 4 7 7 ff und S. 599 ff
(Konspekt von Bakunins Buch Staatlichkeit und Anarchie " )
1 80
Die Konfu sion zwi schen Natur als dem nur Objektiven und Frei
heit , wie sie in Cage s Musik die G e stalt reiner Beliebigkeit an
nimmt, rc kt d eren Autor, zumindest seiner Philosophie nach,
in die Nhe jener gesellschaftlichen Ideologien.
Deutlich tritt, worauf diese Kritik sich bezieht, bei Cage mit
unberhrbarer Naivitt hervor. In einem " Experimental Mu sic
Doctrin " betitelten Inte rview, welches der Komponist sich sel
ber gewhrte, heit es ( 3 1 ) : Question: I have noticed that you
..
3 1 ) Silence, S. 1 5
32) Silence, 5. 1 0/ 1 1
181
machen, und es gibt das ganz e infache Mittel, einer Kultur Ele
mente zu entnehmen und sie, ihres ur sprnglichen Sinnes be
raubt, ohne jede Be ziehung in eine andere Kultur zu stellen " .
Und (34) : ., . . . es ist kein funktioneller Unterschied zwischen
einer hohlen indischen Bes chwrungstrommel, die in einem eu
ropi schen Haushalt als Mlleimer dient , und den Orientalis
men, deren sich die abendlndische Kultur bedient, um ihr sthe
tizistisches Materialgebastel attraktiver zu machen. "
Wie sehr e s Cage um jene Attraktivitt zu tun ist , geht aus ei
nem anderen Sachverhalt hervor, der sich technisch aus den
Zufallsoperationen ergibt, den jedoch die sthetis che Legitima-
33) Luigi Nono, G eschichte und Gegenwart in der Musik von heute, Darm
stdter Beitrge Ill, a. a. 0. , S. 45
chung " musikali scher Vor stellungen zu Hilfe. Adorno hat dies
Moment frher schon am Neoklas sizismus konstatiert ( 3 6 ) , wel
c hem C age nicht zuletzt durch d ie Unempfindlichkeit gegen knst
lerische s Material verbunden ist, das de swegen hie wie da zur
Natur erklrt wird ( 3 7) .
Dieser steht das menschliche Aufnahmevermgen selber nur als
bloes Objekt gegenber . In einem anderen Zusammenhang kon
zipiert denn auch Cage " a mind that has nothing to do" , wobei
er1:1t diese, in ihrer angeblichen Unbelastetheit , fhig zur unbe
fangenen Perzeption der Klnge sein soll, welche aber selbst
wiederum nur sind w ie sie sind, bloe Dinge What happens,
.
for instance, to silence ? That is, how does the mind ' s percep
tion of it change ? Formerly , silence was the time lapse between
35) Silence , S. 7 f
3 8) Silence, S. 2 2
1 84
42) Silence, S. 75
oder ,. zeitlich " (die Dauer betreffend) oder auf beide Arten
gleichzeitig sich vollziehen. Hieraus e ntsteht die Mglichkeit,
Strukturen , die als Ordnungsgefge disparater Klnge existie
ren , dergestalt zu raffen, da sie sich selber zum komplexen,
gefcherten Klang verdichten, innerhalb dessen starke Vern
derung hrbar ist, ohne da die sie bedingenden Elemente als
e inzelne noch wahrgenommen wrden. Eine auskomponierte
Struktur, die in sich schon formale Prozesse birgt, kann also
auf diese Weise wieder zum - in sich reflektierten - Material
werden. In jenem Kontinuum zwischen Klanggestalt und Struk
turformen, welches typisch fr die Formbildungen elektroni
scher Mu sik ist, hat diese Transformation von Strukturen eine
unmittelbar einsichtige Bedeutung: Sie erzeugt Grade der Wie
dererkennbarkeit, also hrbare und kompositorisch vermittelte
Beziehung der Formteile zueinander, ohne da es sich um Wie
derholungen oder Variationen handelte. Im Vorwort zu seinem
.,Essay hat Koenig d ieses Prinzip und den durch es bedingten
Wandel des musikalischen Materialbegriffs beschrieben ( 1 3) :
,. Material heit hier: , bereits komponierte Anordnung' elemen
tarer Schallvorgnge: Sinustne, Rauschen, Impulse . Entspre
chend den unterschiedlingen Lngen der Abschnitte und unter
schiedlichen Charakteren, die ihnen zugedacht sind, variieren
auch die Materialien in Lnge und innerer Zusammensetzung.
Zudem werden sie mannigfaltigen Transformationen unterwor
fen. Diese betreffen hauptschlich Klangfarbe und Zeit. Durch
starke Raffungen und Dehnungen werden die Materialien in einen
, Zeit - Raum' proJiziert; e s entstehen ver schiedene Schichten
der Prsenz, das heit der Wiedererkennbarkeit . "
Die beiden be schriebenen Beziehungen zwi schen Struktur und
Klang be sitzen Gemeinsamkeiten, die wesentliche Grundlagen
fr einen Einbezug begrenzter Indetermination in die Kompo si
tionsmethodik elektroni scher Musik sind . So eignet beiden die
Idee , da die Forderung nach einem formal sinnvollen Eingriff
in die Klangstruktur nicht dadurch schon sich erfllen lasse,
da man an dieser schlicht serielle Methoden exerziere - nicht
dadurch e infach, da man den Klngen Form- Proportionen un
terstelle . Denn die bertragung groformaler Proportionen in
die Details zehrt - ungeachtet der Tatsache, da dabei eine Ein
heit wahrnehmungsgem inkommensurabler Bereiche unter
stellt wird - am musikalischen Sinn, der dem Hrer ohnehin nur
im Zeitablauf - empirisch - sich erschlieen kann. - In beiden
Beziehungstypen zeichnet die Tendenz sich ab , innerhalb der
20) Transponiert man z. B. einen Impuls nach unten, so wird die Gestalt
Jahrg. , No. 7, St. Gallen- Mnchen 1 964, S. 22 ff
Durch die ses Verhltni s , welches die Klang- Elemente zur Klang
gestalt be sitzen und welches dadurch gekennzeichnet i st , da
sie hinter ihr zurcktreten ( 2 2) , fallen im Klang Struktur und
Ge stalt zusammen, die in den neueren Verfahren instrumentaler
Musik voneinander seziert worden s ind. Dank der Identitt bei
der Aspekte gewinnt das Gesetz der groen Zahl, wie auch der
Einbezug kontrollierter Zufallskriterien, musikalische Funk
tion. Rein praktisch schon ist nicht einzusehen ( 2 3 ) , warum man
die Eleme nte komplexer Tonscharen oder " gemaserter " Klnge
so determinieren solle , als ob sie e i n z e 1 n stnden. Tech
nisch i st es rationeller , das Gehrte , die Klang- Konturen und
deren Vernderung streng zu determinieren und von diesen Kri
terien aus Feld- Be stimmungen fr die Verteilung der Mikro
Elemente vorzunehmen, die statistischer Natur s ind ( 24) . Gegen
der elektronischen Musik, in: Die Sonde, 5 . Jahrg. , Heft l , Kln 1 965, S. 26
2 1 ) Cf. Gottfried Michael Koenig, Serielle und aleatorische Verfahren in
ff; in diesem Aufsatz sind Gedanken, die hier nur kurz beleuchtet werden kn
nen, ausfhrlich entwickelt.
22) Die ses Phnomen ist als technischer Prozess beschrieben in: Stock
hausen, Die Einheit der musikalischen Zeit, a. a. 0 . , S. 2 1 9 (untere Abbildung) .
23) Stockhausen hat dies im Gesang der Jnglinge zum ersten Male gefol
gert und daraus kompositorische Konsequenzen gezogen.
24) Ein deutlich hrbares Exempel fr dieses Verfahren ist die Anfangs
struktur von Position , in welcher noch wahrnehmbar ist, da Vernderung
auf wechselnden Konstellationen kleinster Klangpartikel, Impulse, beruht,
wobei das Hren sich jedoch nicht auf diese Konstellationen, sondern auf die
Vernderung als Prozess konzentriert. Cf. Konrad Boehme r , Position, fr
Transformation:
EIN ZELKLANG MAKROSTRUKTUR
.......__ in den Makrobereich /
""-..
j in den Mikrobereich ____./..,
Kontur S t r u kt u r a) Anordnung der Elemente
determiniebar ------- determiniert
a) Klang usch - b) Anordnung der Elemente
(determi- (begrenzt vllig indeterminiert (statische
-- --
nierbar) indeterminiert) Feldverteilung)
--
ist dieses Prinzip auf andere Weise realisiert w orden, wobei Stockhausen
vornehmlich von der Klanggestalt ausgeht.
1 98
X Rckblick
.
PARAMETER : Bestimmungsgre
206
Bibliog raphie
Zeitschriften
Die beiden fr Theorie und Praxis avancierten Kompanierens mageblichen
Publikationsreihen sind:
1 959, s. 5 ff
in: Oeuvres, Presses Universitaires de France, Paris
: Matire et Mmoire, a. a. 0. , S. 1 69 ff
208
s. 61 ff
veux-tu" , in: ME!diations 7 , Paris Printemps 1 964,
Bussotti, Sylvano : Five Piano Pieces for David Tudor, London 1 959
s 1 95 ff
schrift fr Musikwissenschaft VII, Leipzig 1 9 24/ 5 ,
Haubenstock- Ramati,
Liaisons (mobile Kammermusik) , London 1 961
Roman
( Middle se x) , England, o. J .
Series (MMA 1 1 01 0), E. M . I . Records Limited, Hayes
s. 3 1 ff
Kagel, Mauricio : Translation- Rotation, in: Die Reihe 7 , (Wien 1960)
1 96 5 , s. 26 ff
schen Musik, in: Die Sonde, 5. Jahrg. , Heft l , Kln
( Mu sikal. Kompositionen)
Klangfiguren (Elektronische Musik) , ( 1 95 6 ) , einge
spielt auf Schallplatte DGG : LP 1 6 1 34 , ohne Ort 1959
E ssay (Elektronische Musik) , Partitur, zugleich tech
nische Arbeitsanweisung, Wien 1 960
Streichquartett 19 59, Darmstadt 1 96 2
s . 9 ff
Marx, Karl (und Die Deutsche Ideologie, Werke , Band 3 , Berlin 1 95 9 ,
Engels, Friedrich)
212
Anmer kungen
zu d iesem Buch :
Je weniger die Musiktheorie sich fhig erweist, die technischen
Neuerungen gegenwrtiger Musik zu erfassen, um so voreiliger ist
sie mit Ressentiments zur Hand. Den vielfltigen Vorurteilen , die
vom Cliche der "Entarteten Kunst" bis zu dem der "Ingenieurs
musik" reichen, will das vorliegende Buch durch materialgerechte
Untersuchungen begegnen und nicht etwa durch sthetische
Gegenargumente . Dennoch soll keine geschlossene Theorie der
"offenen Form" proklamiert werden. Vielmehr ist es dem Autor
darum zu tun, anband technischer Analysen und kritischer Re
flexionen die Problematik heutigen Kompanierens ohne B eschni
gungen darzulegen. Kritik bezieht sich hier j edoch nicht auf's Fr
und Wider avancierter Musik, sondern greift korrigierend in deren
Resultate ein, in der Hoffnung, da in diesen Argumente fr ein
vernnftiges Komponieren zuknftiger Werke sich finden lassen
und in der berzeugung, da die avancierten Kompositionen der
letzten Jahre Teil der Entwicklung einer neuen musikalischen
. Sprache seien. Diese zu entfalten bedarf es ununterbrochener
Kritik des Bestehenden.