Vergessene Hauptachse: Bundesstraße 30 in Oberschwaben
Von Franz Fischer
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Über dieses E-Book
Vergangenheit, Entwicklung und Zukunft einer vergessenen Hauptachse. Interessierte, Studierende, Berufseinsteiger und Praktiker erhalten umfassend Einblick in die Landes-Nord-Süd-Hauptachse im Südosten von Baden-Württemberg - eine der schlechtesten Fernstraßen Deutschlands. Anschaulich stellt der Autor Theorie und politisches Handeln mit der gelebten Praxis und den Folgen dar.
Der Leser erhält ergänzend Einblick in die Entstehung des deutschen Straßennetzes und Verkehrswesens. Er erfährt, wie die Verkehrsnetze entstanden sind. Die Zusammenhänge von gesellschaftlicher Entwicklung, Verkehrsmittel und Verkehrswege werden beleuchtet. Informationen über den aufwendigen Planungsablauf einer deutschen Bundesfernstraße und die nicht immer einfache Bürgerbeteiligung runden das Buch ab.
Franz Fischer
Franz Fischer, geboren 1980 in Bad Waldsee, Bautechnische Schule Nürtingen, Schwerpunkt Straßenbau, anschließend Wirtschaft und Informatik in Ravensburg, danach selbstständig tätig. Seit 1996 befasst sich Fischer mit dem deutschen Straßen- und Verkehrswesen, der Entstehung, Entwicklung und Planung funktionsfähiger Verkehrsnetze. Er ist Herausgeber der Zeitung "B30 Insider", Gründer der Webseiten b30-oberschwaben.de, b30neu.de sowie der gemeinnützig tätigen "Initiative B30".
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Buchvorschau
Vergessene Hauptachse - Franz Fischer
Wenn ein Buch erscheint, so steht immer der Autor im Vordergrund. Das ist nicht besonders fair, weil es immer vieler Menschen bedarf, die eine solche Publikation ermöglichen. Das war natürlich auch bei mir der Fall. Die lieben Menschen, die mir während des Schreibens eine Hilfe gewesen sind, sollen hier nun besondere Erwähnung finden. Ich hoffe, an alle gedacht zu haben.
Zunächst richtet sich mein Dank an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Stadtarchivs Bad Waldsee und Landesarchivs Baden-Württemberg, der Straßenbauverwaltung des Landes Baden-Württemberg, insbesondere dem Bundesministerium für Verkehr, der Bundesanstalt für Straßenwesen, des Kraftfahrt-Bundesamtes und Statistischen Bundesamtes für die hilfreiche Unterstützung, die Bereitstellung von Informationen und Abbildungen. Nicht vergessen möchte ich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Bundesamtes für Kartographie und Geodäsie, der Ortschaftsverwaltung Reute-Gaisbeuren für die hilfreiche Unterstützung bei der Recherche in Ratsprotokollen, der Schwäbischer Verlag GmbH & Co. KG für die Bereitstellung von Texten und Bildern sowie der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV) und dem FGSV-Verlag.
Mein Dank gilt auch meinem Verlag. Das jemand bereit war etwas für das Fachpublikum und den Nischenmarkt zu veröffentlichen. Dafür vielmals danke – auch für die offenen Ohren.
Selbstverständlich geht der Dank auch an alle weitere lieben Menschen, die bereit waren konstruktiv zum Gelingen des Werks beizutragen.
Vielen Dank an alle – ich weiß das sehr zu schätzen.
Franz Fischer
INHALT
KAPITEL 1
Entwicklung des Straßennetzes
Erste Anfänge
Entstehung der ersten Straßen
Entstehung der ersten Straßenverkehrsnetze
Antike, Römerstraßen
Mittelalter
Neuzeit
Industrialisierung
Entwicklung der modernen Kanalisation
Zunehmende Verstädterung
Zeitalter der Eisenbahn
The Rocket
Anfänge des Eisenbahnwesens in Deutschland
Rückgang der Bedeutung von Straße und Wasserstraße
Entwicklung des Automobils
Beginn der Individualmotorisierung
Entwicklung moderner Teer- und Asphaltstraßen
Teer
Teerstraßen
Bindung von Deckschichten
Tränkbeläge
Verbot von Teer im öffentlichen Straßenbau
Asphaltstraßen
Straßenöle
Erstes Kraftwagenstraßennetz
Erste Motorisierungswelle
Zweite Motorisierungswelle
Aufbau des Bundesstraßennetzes
Aufbau des Autobahnnetzes
Entwicklung im 21. Jahrhundert
Gegenwart
KAPITEL 2
Errichtung der Bundesstraße 30
Von der Kupfersteinzeit zum Herzogtum Württemberg
3800 vor Christus
Römerzeit
Poststraße und Straße in die Schweiz
Vom Königreich Württemberg zur Weimarer Republik
Übergabe an das Königreich Württemberg
Erste Verbesserungen
Schwerpunktsetzung auf die Südbahn
Von der Weimarer Republik zum Dritten Reich
Zunehmende Motorisierung Anfang des 20. Jahrhunderts
Kraftwagenstraßenprogramm der Weimarer Republik
Verlegung Ravensburg - Untereschach
Planung Ortsumgehung Unteressendorf
Planung Ortsumgehung Waldsee
Von der Staatsstraße zur Fernverkehrs- und Reichsstraße
Einstellung aller Planungen im Zweiten Weltkrieg
Von der Reichsstraße zur Bundesstraße
Bundesrepublik Deutschland
Planungen nach dem Zweiten Weltkrieg
Zwischenausbau Gaisbeuren - Baindt 1956
Ausbauplan für die Bundesfernstraßen 1957
Umsetzung des Ausbauplans für die Bundesfernstraßen
Erster Bedarfsplan für die Bundesfernstraßen 1971
Umsetzung des ersten Bedarfsplans 1971 und weitere Planungen
Zweiter Bedarfsplan für die Bundesfernstraßen 1976
Zunehmende Ablehnung von Straßenbaumaßnahmen
Trassenstreit von Mettenberg
Ausbau alte Baindter Steige
Planungen Ende der siebziger Jahre
Erste Planung Egelsee - Biberach/Jordanbad
Aufgabe der Bundesautobahn 89
Freigabe der letzten als A 89 erbauten Streckenabschnitte
Dritter Bedarfsplan für die Bundesfernstraßen 1980
Vierter Bedarfsplan für die Bundesfernstraßen 1986
Neue Schwerpunktsetzung auf das Schienennetz
Fertigstellung von Ulm bis Biberach
Eröffnung erster Bauabschnitt der Ortsumfahrung Ravensburg
Einsparungen wegen der Wiedervereinigung Deutschlands
Fünfter Bedarfsplan für die Bundesfernstraßen 1993
Eröffnung zweiter Bauabschnitt der Ortsumfahrung Ravensburg
Planungsfall 7
Neubau Egelsee - Niederbiegen
Planung 3-streifiger Ausbau Oberessendorf - Biberach/Jordanbad
Bundesverkehrswegeplan 2003
Prioritätenliste im Landkreis Ravensburg
Referentenentwurf des Bundes
Position des Kreistages Biberach
Sechster Bedarfsplan für die Bundesfernstraßen 2004
Vorbereitung des Bundesverkehrswegeplan 2015
Erster Bundesverkehrsminister sagte Prüfung der B 30 zu
Gründung Initiative B 30
Waldseer Erklärung
Trassenkorridore Egelsee - Bad Waldsee
Projektanmeldung zum Bundesverkehrswegeplan 2015
Erstmals Zustimmung zu Anmeldetrassen bei Bad Waldsee
Anmeldekonzept des Landes
Entwurf der Anmeldeliste des Landes
Stellungnahme zum Landeskonzept und der Anmeldeliste des Landes
Petition der Initiative B 30
Gutachten des Landes
Projektanmeldung des Landes
Abschluss der Petition der Initiative B 30
Korrekturen des Bundes zum Bundesverkehrswegeplan 2015
Korrektur bei Gaisbeuren und Enzisreute
Bundesverkehrswegeplan 2030
Siebter Bedarfsplan für die Bundesfernstraßen 2016
Ausblick
KAPITEL 3
Einzelprojekte der Bundesstraße 30
Ursprüngliche Planung
Planungen Günzburg (A 8) - Neu-Ulm (A 80)
Planung ersetzt durch
B 10 Nersingen - östlich Neu-Ulm
B 10 östlich Neu-Ulm - AD Neu-Ulm (B 28/B 30) - Südosttangente Neu-Ulm
Planungen Neu-Ulm - Biberach an der Riß
B 30 Dreieck Neu-Ulm (Ringbrücke) - Ulm-Wiblingen (Kastbrücke)
B 30 Ulm-Wiblingen (Kastbrücke) - Achstetten
B 30 Achstetten - Äpfingen
B 30 Äpfingen - Biberach/Jordanbad
Planungen Biberach/Jordanbad - Hochdorf
Bisherige Ausbauten
Ziele der aktuellen Planung
Voraussichtlicher Nutzen
Länge und Kosten
Planungsstand
Bisherige Planungen
Streckenverlauf und voraussichtliche Ausführung
Planungen Hochdorf - Oberessendorf
Bisherige Ausbauten
3-streifiger Zwischenausbau
Ziele der letzten Planung
Voraussichtlicher Nutzen
Länge und Kosten
Planungsstand
Bisherige Planungen
Planungen Oberessendorf - Bad Waldsee
Bisherige Ausbauten
Besonderheiten
Ziele der letzten Planung
Voraussichtlicher Nutzen
Länge und Kosten
Planungsstand
Bisherige Planungen
Planungen Ortsumfahrung Bad Waldsee
Bisherige Ausbauten
Ziele der letzten Planung
Voraussichtlicher Nutzen
Länge und Kosten
Planungsstand
Bisherige Planungen
Streckenverlauf und voraussichtliche Ausführung
Planungen Enzisreute - Gaisbeuren
B 30 Gaisbeuren und Enzisreute
Bisherige Ausbauten
Voraussichtlicher Nutzen
Länge und Kosten
Planungsstand
Bisherige Planungen
Streckenverlauf und voraussichtliche Ausführung
Bürgervorschläge
Planungen Baindt/Egelsee - Ravensburg/Eschach
BA I - Verlegung der B 33 bei Ravensburg, Umfahrung Weststadt
BA II - Verlegung der B 32 bei Niederbiegen
BA III - Neubau der B 30 Niederbiegen - Ravensburg-Nord
BA IV - Neubau der B 30 Niederbiegen - Egelsee (Nordbogen)
Bundesverkehrswegeplanung
Vor dem Bau
Der Bau
Verkehrsfreigabe, abschließende Arbeiten
Denkmalschutz
BA V - Neubau der B 30 Ravensburg-Nord - Ravensburg-Süd
Bundesverkehrswegeplanung
Vor dem Bau
Der Bau
Verkehrsfreigabe
BA VI - Neubau der B 30 Ravensburg-Süd - Eschach (B 30-Süd
)
Ziele der aktuellen Planung
Länge und Kosten
Planungsstand
Bauabschnitte
Voraussichtliche Fertigstellung
Bisherige Planungen
Streckenverlauf und Ausführung
Vor dem Bau
Der Bau
Planungen Ravensburg/Eschach - Friedrichshafen
Ziele der aktuellen Planung
Voraussichtlicher Nutzen
Länge und Kosten
Planungsstand
Geplanter Baubeginn
Bisherige Planungen
Streckenverlauf und voraussichtliche Ausführung
KAPITEL 4
B 30 heute - aktueller Wissensstand
Verlauf und Lage
Lage im TK25-Raster
Ausbaustandards
Höhenlage
Anschlüsse
Zuständigkeiten
Nebenanlagen
Tankstellen
Parkplätze und WCs
Gaststätten, Restaurants, Verpflegung
Übernachtung
Fotos vom Streckenverlauf
Rad- und Fußwege
Bestand
Planungen
Jakobsweg
Bedeutung
Raumordnerische Bedeutung
Verkehrsbedeutung
Fahrleistung
Güterströme
Autobahnersatz
Behelfsumfahrung bei Autobahnstaus
Maut-Ausweichverkehr
Touristische Bedeutung
Bedeutung im Fernbusnetz
Militärische Bedeutung
Einzugsbereich
Maut
Amtliche Verkehrszahlen
Verkehrsentwicklung seit 1952
Großbauwerke
Brücken
Defizite
Verkehrliche Defizite
Kurvigkeit
Längsneigung
Staus
Unfälle
Lärm
Luftschadstoffe
Zukünftige Entwicklung
Ausbaupläne
Musik
KAPITEL 5
Planungsablauf einer Bundesfernstraße
Stufe 1: Bundesverkehrswegeplanung
Stufe 2: Vorplanung
Stufe 3: Entwurfs- und Genehmigungsplanung
Entwurfsplanung
Genehmigungsplanung
Planfeststellungsverfahren
Stufe 4: Ausführungsplanung
Bürgerbeteiligung bei der Planung von Bundesfernstraßen
In Gedenken an
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Lizenzen
Entwicklung des
Straßennetzes
Erste Anfänge
Der Straßen- und Wegebau ist fest mit der Menschheitsgeschichte verbunden. Jäger und Sammler transportierten zunächst nur fußläufig beispielsweise Lebensmittel und Baumaterial. Durch die beginnende Arbeitsteilung entstanden neue Verkehrsbedürfnisse. Die ersten Wege wurden nicht planmäßig erbaut, sondern von der Natur vorgegeben. Sie entstanden dort, wo Menschen und Tiere auf einfachstem Wege zu Unterkunft, Nahrungs-, Futter-, Wasser- und Lagerstätten gelangten. Transportiert wurde zu Lande und zu Wasser. Der Landverkehr wurde zunächst mit menschlicher, dann mit tierischer Muskelkraft betrieben. Mäßige Anstiege, geeignete Pfade zur Durchquerung von Sümpfen und Moore sowie Gewässerquerungen spielten eine große Rolle. Die Menschen lernten die natürlichen Pfade und Wege für die Jagd und den Transport zu nutzen. Eine dauerhafte Befestigung war aufgrund des Nomadendaseins nicht notwendig.
Entstehung der ersten Straßen
Mit der Sesshaftwerdung und der Entstehung von Hochkulturen wurden die ersten Wege und später Straßen angelegt. Somit konnten Personen schneller vorankommen und Güter schneller und bequemer transportiert werden. Breite Straßen waren anfangs nur für religiöse Zwecke gedacht oder sollten den Herrschaftsanspruch verdeutlichen. Später wurden Straßen für militärische Zwecke (Heerstraßen) und den Handel (Handelsstraßen) errichtet. Das Transportvolumen blieb gegenüber dem Wassertransport zunächst unbedeutend. Schwimmende Transportmittel auf natürliche Wasserwege bildeten erste Verkehrssysteme mit überregionalen Aufgaben.
Entstehung der ersten Straßenverkehrsnetze
Im frühen Altertum waren die Babylonier, Ägypter und Perser die ersten Völker, die sich die Vorteile eines ausgebauten Verkehrsnetzes zu Nutze machten und Techniken auf diesem Gebiet entwickelten. Die frühen Straßen waren sehr unterschiedlich ausgeprägt und abhängig vom Entwicklungsstand der jeweiligen Kultur. Neben einfachen Erdstraßen wurden Bohlenwege oder Schotterstraßen angelegt. Besondere Prachtstraßen erhielten schon früh einen Pflasterbelag.
Abbildung 1: Ungefährer Verlauf der Römerstraßen im mittleren Oberschwaben
Antike, Römerstraßen
Die Etrusker bauten noch vor dem Römern bis zu 15 Meter breite gepflasterte Straßen mit Fußgängerstreifen in ihren Städten. Unter den Straßen befand sich bereits eine Wasserleitung. Das schachbrettartig angelegte Straßennetz diente später in der Renaissance als Vorbild italienischer Architekten.
Mit der Ausdehnung des Römischen Reiches wurde die Straßenbautechnik weiterentwickelt. Viele Römerstraßen sind noch heute vorhanden, wenn auch vielerorts nicht mehr sichtbar. Der Streckenverlauf vieler Fernstraßen - vor allem in den Alpen - deckt sich mit dem Verlauf der damaligen Römerstraßen. Viele Römerstraßen wurden mit breiteren Straßen überbaut. Die ersten Römerstraßen bildeten ein Grundnetz das die strategisch wichtigen militärischen Punkte sowie die wichtigsten und größten Städte des Römischen Reiches verband. Davon ausgehend entstand ein weiteres feinmaschigeres Netz aus Römerstraßen, das Kastelle und Legionslager über weitere Strecken mit einander verband.
Es entstand das erste dauerhafte und weitreichende Straßen- und Wegenetz in Europa. Römerstraßen waren südlich der Alpen meist mit sauber bearbeiteten Steinplatten gepflastert. Bei der Konstruktion wurde bereits zwischen Ober- und Unterbau unterschieden. Flussläufe wurden vielfach durch steinerne Bogenbrücken überspannt und ermöglichten die Überquerung von Flüssen ohne Umweg über Flussauen. Tunnel, Stützmauern und in Fels gemeißelte Geleise halfen beim Aufstieg zu Pässen. Um den Auf- und Abstieg zu erleichtern, waren manchmal zusätzlich Stufen in die Fahrbahnmitte gemeißelt oder angelegt. Die überregionalen Verkehrswege wurden in erster Linie militärisch zur zügigen Fortbewegung der Legionen und zur schnellen Nachrichtenübermittlung genutzt. Später entwickelten sich Handelsbeziehungen, mit zunächst für damalige Verhältnisse luxuriöse Güter, wie Gewürze und Salz. Für die meisten Bürger hatten diese Wege noch keine große Bedeutung.
Auf den bestens gepflegten und unterhaltenen Hauptstrecken waren im Abstand einer Tagesreise Unterkünfte für Reisende angelegt. Wechselstationen für Pferde ermöglichten hohe Reisegeschwindigkeiten. An bestimmten Wegstrecken, Flüssen oder Kanälen lagen alle drei bis vier römische Meilen (mille passus = 1 000 passus = 1,48176 km) sogenannte Villa Rusticae (Landgüter im Römischen Reich), die die Versorgung der umliegenden Bevölkerung als auch der Militärstationen gewährleistete.
Abbildung 2: Oben: Römerstraße bei Tall Aqibrin, Syrien (Bild: Bernard Gagnon/Wikimedia Commons, Lizenz: CC BY-SA 3.0); Unten: Querschnitt durch eine Römerstraße am Heidenkopf bei Dahlem in der Eifel (Bild: Pfir/Wikimedia Commons, Lizenz: CC BY-SA 3.0).
Rund 2 000 Jahre lang waren Römerstraßen die überwiegende Basis des europäischen Straßennetzes. Der Straßenbau und die Straßenunterhaltung auf dem rund 80 000 km langen römischen Verkehrsnetz war zentral organisiert und gesetzlich geordnet.
Neben der Anwendung des Pflasterbaus nutzten die römischen Baumeister die antike Form des Betons (Opus caementitium) zur Befestigung der Straßen.
Römerstraßen waren bereits in mehreren Schichten aufgebaut und bestanden meist aus einem bis zu einem Meter starken Straßenkörper. Den Unterbau bildete der gewachsene Boden, der bis über einen Meter Tiefe ausgehoben, geebnet und durch Stampfen verdichtet wurde. Über dem Unterbau folgte das Statumen (lateinisch für Stütze), eine Schicht aus meist hochkant gestellten, flachen, faustgroßen Natursteinen, die zum Teil mit Mörtel verfestigt wurden. In einer weiteren Schicht, die Ruderatio (lateinisch für Schüttung), wurden faustgroße Kiesel und kleinere Bruchsteine eingebaut, die mit Zement stabilisiert wurden. Darauf kam der Nucleus (lateinisch für Kern), eine Schicht aus nussgroßen Kieseln, die auch aus Steinsplitter und Kies bestehen konnte und zum Teil mit heißem Kalkmörtel oder Zementstücke stabilisiert wurde. Als Deckschicht wurden vor allem auf den wichtigsten Fernstraßen, auf Steigungen oder Abschnitte, die besonders gegen Witterungseinflüsse geschützt werden sollten, behauene Steine aus Silex, Basalt oder Steinquader - je nach Gegend - eingebaut. Ansonsten bestand die Deckschicht aus grobem festgewalztem oder gestampftem Kies oder Sand - vor allem nördlich der Alpen. Manchmal wurde eine Schicht auch weggelassen oder aus einem anderen Material gefertigt. Die Deckschicht wies eine Wölbung auf. Durch diese Wölbung konnte das Regenwasser in seitliche Regenrinnen abfließen. Die unteren Schichten sollten damit trocken bleiben. Ähnlich der heutigen Straßen wurden schon Ecksteine verbaut, die den heutigen Bordsteinen ähnelten. Auf bestimmten Abschnitten wurden beidseitig erhöhte Fußwege angelegt. An Hängen herunterlaufendes Wasser wurde mittels Kanäle unter den Straßen durchgeleitet, um ein unkontrolliertes Unterspülen zu verhindern.
Meilensteine informierten über die Entfernungen zu Städten sowie über die Kaiser, die die jeweilige Straße erbauen und reparieren ließen.
Die wichtigsten Straßenverbindungen im Römischen Reich wurden in der Tabula Peutingeriana
und dem Itinerarium Antonini
dargestellt. Eine mittelalterliche Kopie der Tabula Peutingeriana
aus dem 12/13. Jahrhundert wird im Original in der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien aufbewahrt, ist jedoch kaum zugänglich. Öffentlich einsehbar ist die Tabula Peutingeriana
als Carte de Peutinger
unter euratlas.net.
Abbildung 3: Auszug aus der Tabula Peutingeriana, 1-4 Jahrhundert nach Christus, Ausfertigung von Konrad Miller 1887/1888. Dargestellt ist der Bereich von den Vogesen im Westen bis Wien im Osten.
Mittelalter
Nachdem der Straßenbau zur Zeit der Römer außerordentliche Fortschritte machte, geriet das erlangte bautechnische Wissen mit dem Beginn des Mittelalters in Vergessenheit.
Die fehlende Zentralgewalt nach dem Zusammenbruch des Römischen Reiches wirkte sich negativ auf die Siedlungsentwicklung und das Verkehrswesen aus. Mit den Völkerwanderungen im vierten und fünften Jahrhundert nach Christus verfielen größtenteils ehemals bedeutende Städte und die mit ihnen verbundenen Strukturen. Die in römischer Zeit übliche einheitliche Gestaltung der Straßen und regelmäßige Unterhaltungsmaßnahmen unter dem Einfluss einer zentralen Verwaltung existierten nicht mehr. Es fehlten die Mittel und das Interesse des neu entstandenen Gemeinwesens zur Erhaltung des Wegesystems. Erschwerend machten Raubritter und Wegelagerer die Straßen unsicher und behinderten den Warenaustausch. Bald erfolgte der größte Teil des Warenaustausches auf dem Landweg wieder zu Fuß oder auf Lasttieren entlang der alten Saum- und Viehpfade. Fahrzeuge mit Rädern waren nur noch selten anzutreffen. Die vorhandenen Römerstraßen wurden zwar weiterhin genutzt, verfielen jedoch durch Krieg und mangelnden Unterhalt zunehmend. Vielerorts wurden wenig dauerhafte Erdwege angelegt. Nur wenige Stadtstraßen waren mit einem Pflasterbelag ausgestattet.
Erst Karl der Große (771-814) unternahm wieder erste Anstrengungen zur Verbesserung des Verkehrsnetzes. Sein Ziel war es die Vorherrschaft der Franken im neuen Reich zu sichern. Er suchte nach Möglichkeiten die Reisen seines Hofes zwischen Kaiserpfalzen und Burgen zu erleichtern. Seine zahlreichen militärischen Unternehmungen erforderten gute Wegeverbindungen. Der Straßenbau wurde wieder zu einer staatlichen Aufgabe. Handel und Warentransporte gewannen wieder an Bedeutung. Da auch größere und schwere Lasten transportiert wurden, bezog Karl der Große neben den Landverkehrswegen die Wasserwege ein. Über die Wasserwege war zu dieser Zeit ein weitaus bequemerer und leistungsfähigerer Transport möglich.
Eine wichtige Rolle nahmen in dieser Zeitepoche große Pilgerwege nach Rom und insbesondere Santiago de Compostela ein. Ihr Beginn lag bei Hamburg und entlang der Hansestraße nach Riga. Sie führten über Köln, Trier und Paris nach Süden. Zu den Hauptrouten existierten bereits Seitenäste. Kapellen, Kreuze, große Kirchen, Münster, Basilika und Gasthäuser sind noch heute entlang der Routen nachweisbar und zu Teilen vorhanden. Sie belegen die Bedeutung dieser Wege für die Entwicklung von Siedlungen, Infrastruktur und Verkehrswegen, auch unabhängig von Handel und militärischen Beziehungen.
Mit dem Erstarken der feudalen Herrschaft wuchs der Bedarf an Gütern und Waren. An den Kreuzungspunkten der neuen Handelswege, an Furten und Königsburgen wuchsen Siedlungen heran.
Ab etwa 1000 nach Christus entwickelten sich die ersten Städte im mittelalterlichen Sinne. Die sehr eng bebauten und nahezu kreisförmigen Städte waren zu ihrem Schutze von Stadtmauern und Wällen umgeben. Die Stadtausdehnung wurde durch das Erfordernis der fußläufigen Erschließung bestimmt. Auch die Versorgung mit Lebensmitteln und Gütern aus dem Umland beschränkte die Größe der Städte. Die größten Städte erreichten Einwohnerzahlen von 20 000 bis 30 000 Menschen. Markt, Kirche, Gasthaus und Rathaus bildeten das Zentrum. Von dort verliefen die Hauptstraßen radial gerichtet durch die Tore der Stadtmauer in das Umland.
Der allgemein schlechte Zustand der Verkehrswege sowie die geringen Reichweiten und Transportkapazitäten begrenzten noch über lange Zeit die Möglichkeiten zur Versorgung der Stadtbevölkerung aus dem Umland. Große Städte, wie wir sie heute kennen waren nicht möglich.
Abbildung 4: Europäische Postkurse 1563 nach dem Reisebuch des Giovanni da L'Herba, Karte von Joseph Rübsam, Thurn-und-Taxis-Archiv Regensburg
Wesentliche Verbesserungen der Straßeninfrastruktur erfolgten erst mit der Erhebung von Wegezöllen. Damit wurde ein Teil der Einkünfte in den Straßenbau und in die Straßenerhaltung investiert.
1520 richtete Kaiser Maximilian I. mit der Generalpostmeisterei das erste Angebot im öffentlichen Verkehr ein. Er errichtete ein regelmäßig und zuverlässig verkehrendes gewerbliches Angebot. Innerhalb des weiteren habsburgischen Besitzes entstand ein dichtes Netz von Poststationen, auf dem ab 1560 auch privater Postverkehr abgewickelt wurde. 1597 erklärte Rudolf II. das Postwesen zum kaiserlichen Hoheitsrecht. Das so genannte Postregal beinhaltet das Alleinrecht des Staates, Posteinrichtungen zu gründen und zu betreiben. Unter dem Namen der Reichspostmeisterfamilien Taxis, die sich 1650 in Thurn und Taxis unbenannten, entstand im gesamten Kaiserreich ein regelmäßig verkehrendes Post- und Transportsystem, für dessen Nutzung Gebühren erhoben wurden. Aus dem an den Reichspostmeister verliehenen Postregal entwickelten sich Liniengenehmigungen und Konzessionen bis hin zu den heute geltenden Personenbeförderungsgesetzen der Länder. Aus dieser Zeit stammen auch die ersten Reisehandbücher, aus denen sich die ersten Straßenkarten entwickelten (Abbildung 4).
Neuzeit
Im 18. Jahrhundert erschwerte zunächst noch die Zersplitterung des Heiligen Römischen Reiches die Entstehung eines durchgängigen und hochwertigen Verkehrsnetzes. Durch die Zerschneidung der Verbindungen bestanden durch zahlreiche Grenzen und Zollschranken negative Auswirkungen auf den Handel und Warentransport. Dennoch kam es im Bereich des Straßenbaus zu Neuentwicklungen.
Zunächst waren es in erster Linie französische Ingenieure der École nationale des ponts et chaussées, wie etwa Daniel-Charles Trudaine (1703-1769), Pierre Marie Jérôme Trésaguet (1716-1796) oder Hubert Gautier (1660-1737), die Untersuchungen durchführten. Sie stellten fest, dass die Dauerhaftigkeit von Straßen unmittelbar mit der Tragfähigkeit des Unterbaus und mit der Dichtigkeit der Deckschicht zusammenhängt. Die Straßenentwässerung wurde weiterentwickelt.
Der Schotte John Loudon McAdam (1756-1836) entwickelte eine Schotterbauweise (Makadam), deren Kornaufbau von unten nach oben hin feiner wurde. Sein Landsmann Thomas Telford (1757-1834) befasste sich mit der Querneigung und Linienführung von Straßen.
Ende des 18. Jahrhunderts verloren die Fürsten ihre dominierende Stellung. Angeregt vom französischen Vorbild entstanden im deutschsprachigen Raum Kunststraßen und Chausseen. 1791 wurde Hanns Moritz Christian Maximilian Clemens Graf Brühl (1746-1811) zum preußischen Chausseebauintendanten ernannt. Er stand der ersten preußischen Straßenbaubehörde vor. Es begann der planmäßige und flächendeckende Ausbau von neuzeitlichen Straßen in Preußen.
Industrialisierung
Mit Anbruch des Zeitalters der Industrialisierung im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert veränderten sich die Stadtstrukturen. Die Agrarproduktion trat hinter der industriellen Produktion in den Hintergrund. Vor allem in Städten und Revieren entstanden neue Industrieanlagen.
1834 erfolgte die Gründung des Deutschen Zollvereins. Die Handelshemmnisse der kleinstaatlichen Strukturen wurde beseitigt und ein großer zusammenhängender Markt gebildet, der die industrielle Entwicklung ungemein förderte. Die Folge war eine zunehmende Urbanisierung bis hin zur verstädterten Gesellschaft.
Die zunehmende Urbanisierung stellte die wachsenden Städte vor hygienische Probleme. Dem Anspruch nach einer angemessenen Erschließung bei rasch zunehmendem Verkehr musste ebenfalls entsprochen werden. Dies führte zur Pflasterung von Straßen, die Einrichtung von Straßenbeleuchtungen, Anlage von Gehwegen, die durch Borde von der Fahrbahn abgetrennt waren, Anlage von Ver- und Entsorgungsleitungen im Straßenraum und die Entwicklung erster Massenverkehrsmittel.
Entwicklung der modernen Kanalisation
Die Abwasserbeseitigung und Errichtung von Entwässerungsanlagen ist heute eng mit dem Straßenbau verbunden. Erste Entwicklungen gehen auf das Altertum zurück: Archäologen entdeckten in Mohenjo-Daro, nahe dem Fluss Indus in Pakistan, ein 4 000 Jahre altes gemauertes Entwässerungssystem. Auf 3000 vor Christus gehen Entwässerungskanäle im Euphrattal zurück. Die Römer bauten die ersten Schwemmkanalisationen. Meistens handelte es sich dabei um offene Gerinne. Wegen des hohen Bauaufwandes waren Abwasserrohre selten.
Im frühen Mittelalter ging das Wissen um die hygienische Bedeutung einer geordneten Abwasserentsorgung weitgehend verloren. In der Folge kam es bei stark wachsender Bevölkerung über Jahrhunderte zu verheerenden Cholera-Epidemien. 1739 war Wien als erste Stadt Europas vollständig kanalisiert.
Im Laufe des 19. Jahrhunderts vervielfachte sich die Bevölkerung in London. Große hygienische Probleme bestanden seit den 1840er Jahren: Immer mehr Abwässer gelangten in die Themse oder wurden über Sickergruben entsorgt. Wiederholt traten große Cholera-Epidemien auf, die viele Opfer forderten. Zu dieser Zeit war nicht bekannt, dass die Cholera durch verseuchtes Grundwasser im Stadtgebiet verursacht wurde, das aufgrund zahlreicher Sickergruben verunreinigt wurde. Stattdessen machten die meisten Experten das sogenannte Miasma dafür verantwortlich - ein übel riechender Dunst.
Abbildung 5: Eiprofil, Original Konstruktionsskizze zum Londoner Abwassersystem von Joseph Bazalgette, erstellt 1854
Nachdem durch mehrere Cholera-Epidemien über 30 000 Einwohner Londons verstarben, wurde Joseph Bazalgette (1819-1891) im Jahre 1856 zum Chefingenieur des Metropolitan Board of Works berufen. Unterstützt wurde er durch seinen Kollegen Isambard Kingdom Brunel (1806-1859). Sein Plan war, ein 135 km langes Kanalnetz zu errichten, um die jährlich mehr als 140 Milliarden Liter Abwasser östlich von London abzuleiten. Dafür entwickelte er das noch heute bei Kanalisationen verwendete und bewährte Eiprofil.
Das Projekt brachte Bazalgette immer wieder an die Grenzen seiner Ausdauer und Belastbarkeit. Der Baubeginn wurde durch das Parlament wegen finanzieller Bedenken verzögert. Die Parlamentarier ließen Bazalgette sein Konzept fünfmal überarbeiten und wiesen es jedes Mal aufs neue zurück. Erst als im ungewöhnlich heißen Sommer des Jahres 1858 der Große Gestank
(engl. Great Stink
) die Stadt heimsuchte und die Parlamentarier die Flucht ergriffen, wurde der Bau einer Kanalisation beschlossen und drei Millionen Pfund dafür bereitgestellt. Der Beschluss erfolgte jedoch nicht umgehend. Das Parlament hegte weiterhin Bedenken gegen das Projekt. Deshalb setzte es nach dem Großen Gestank
eine Expertenkommission ein, um der Ursache auf den Grund zu gehen. Erst als die Experten das Abwasser als Ursache feststellten, sah sich das Parlament genötigt zu handeln.
Das Londoner Abwassersystem wurde schnell zu einem der größten und wichtigsten städtebaulichen Projekte Europas im 19. Jahrhundert. Der Bau gestaltete sich als schwierig. Immer wieder wurden Schächte der damals schon bestehenden Londoner U-Bahn tangiert und führten zu Einsturz oder Wassereinbruch. Während des Baus gab es Streiks, die den Bau verzögerten und das Budget stark belasteten. Zudem führte ein Teil der Trasse an einem Truppenübungsplatz der königlichen Artilleristen vorbei, wobei es immer wieder zu Beschuss kam. Eine Gasexplosion forderte ein Todesopfer. Zeitweilig wurden sechs Arbeiter verschüttet, wovon drei lebend und zwei tot geborgen wurden. Einer blieb vermisst. Weniger als zehn Unfälle ereigneten sich während der gesamten Bauzeit, was für diese Epoche gering war. Wegen der zahlreichen Probleme wurde Bazalgette von der Presse verhöhnt. Dies endete erst, als er Pressevertreter zu einem Tunneldurchbruch einlud, der so exakt erfolgte, dass durchweg lobende Worte folgten.
Das Londoner Abwassersystem wurde 1865 vom Prinzen von Wales eingeweiht, obwohl es erst zehn Jahre später vollständig fertiggestellt wurde. Nach der Fertigstellung des Londoner Abwassersystems hatten alle Londoner sauberes Trinkwasser. Dadurch sank die Sterberate rapide. Fortan wurde London nur noch ein Mal von einer Cholera-Epidemie heimgesucht, nach dem ein Sturm das flussabwärts in die Themse eingeleitete Abwasser zurück in die Stadt drängte. Bazalgette wurde 1875 zum Ritter geschlagen und 1888 zum Präsidenten der Tiefbauingenieurinstitution gewählt. Bazalgettes Abwassersystem ist noch heute in Betrieb.
Zunehmende Verstädterung
Mit der zunehmenden Verstädterung und Entwicklung der Industrie nahm im 19. Jahrhundert der Verkehr erheblich zu. Mit der Bildung von Pendlerströmen und der Zurücklegung längerer Wege stieg das Bedürfnis nach bequemeren und schnelleren Fortbewegungsmitteln. Innerhalb weniger Jahre revolutionierten Erfindungen und Entwicklungen die Möglichkeiten zur Personenbeförderung und zum Gütertransport. Dampfkraft, Elektrizität und Verbrennungsmotor ermöglichten leistungsfähige Verkehrsmittel die eine arbeitsteilige und räumlich differenzierte Wirtschaftsstruktur erlaubte. Sie prägen die gesellschaftliche Entwicklung bis heute.
Für die breite Bevölkerung standen im 19. Jahrhundert weiterhin zunächst nur die bis dahin üblichen Verkehrsmittel zur Verfügung, bis 1817 Freiherr Karl von Drais (1785-1851) das Laufrad entwickelte. Die erste Fahrt unternahm er von Mannheim nach Schwetzingen.
Zeitalter der Eisenbahn
Der Ursprung der Industrialisierung war die Weiterentwicklung der Dampfmaschine durch den schottischen Erfinder James Watt (1736-1819). Er verbesserte den Wirkungsgrad der von Thomas Newcomen (1663-1729) erfundene atmosphärischen Dampfmaschine, die wiederum auf der von Thomas Savery (1650-1715) erfundene Dampfmaschine basierte, die auf die Kolben-Dampfpumpe von Denis Papin (1647-1712) zurückging. Watt erhielt 1769 für seine Weiterentwicklung der Dampfmaschine ein Patent. Nach den Verbesserungen des Wirkungsgrades lohnte es sich gegen Ende des 18. Jahrhunderts Dampfmaschinen in der wachsenden Textilindustrie zum Antrieb von Textilmaschinen einzusetzen. Schnell verbreitete sich die neue Technik in weiteren Industriebranchen, wo sie Wasser- und Windmühlen ergänzte. Die verbesserte Dampfmaschine von Watt bildete ebenfalls eine der Grundlagen für das moderne Eisenbahnwesen.
Im 19. Jahrhundert stand der Ausbau des Eisenbahnwesens im Vordergrund. Die Ursprünge der Eisenbahn gehen schon auf 1530 zurück. Damals fuhren Hunte und Güterloren über hölzerne Gleise. Erhebliche Fortschritte erlebte die Eisenbahn jedoch erst 1804, als der Engländer Richard Trevithick (1771-1833) die erste funktionsfähige Dampflokomotive in Betrieb nahm. Seine Maschine lief jedoch noch auf Rädern ohne Spurkränze und scheiterte daran, dass sie an den gusseisernen Schienen der ursprünglichen Pferdebahn angepasst war. Zwar gab es schon im 18. Jahrhundert Neuentwicklungen bei Lokomotiven. Diese blieben jedoch erfolglos. Ursprünglich sollten Lokomotiven mit Reifen auf Straßen fahren. Dies scheiterte an dem schlechten Zustand der damaligen Straßen. Zu gewissen Jahreszeiten versumpften manche Straßen regelrecht. Ein Durchkommen war schon mit Fuhrwerken und Pferdegespannen mühsam, von schweren und breiten Lokomotiven ganz zu schweigen. Aus diesem Grund fiel die Entscheidung später auf Schienen. Da sich die ursprünglichen Schienen aus Holz schnell abnutzten, wurden eiserne Schienen entwickelt und eingesetzt.
1814 baute der englische Ingenieur George Stephenson (1781-1848) die erste Dampflokomotive, die über lange Zeit als die erste brauchbare Lokomotive galt. Stephenson erfand zwar nicht die Dampflokomotive, war aber der erfolgreichste Eisenbahnpionier des beginnenden 19. Jahrhunderts.
Unter der Leitung von Stephenson eröffnete 1825 in England die erste öffentliche Eisenbahn. Sie verkehrte zwischen Stockton und Shildon und beförderte neben Gütern erstmals Personen. Die neue Technik stieß zunächst auf Ablehnung. Kritiker befürchteten eine Gefahr für Leib und Leben. In Flugblättern machten sie darauf aufmerksam: Sie verteufelten die neue Technik und stellten zeichnerisch explodierende Züge und zerfetzte Personen dar.
Der Bau der Liverpool-Manchester-Eisenbahn 1830 begründete Stephensons Ruf endgültig. William James (1771-1837) und später Robert Stephenson (1803-1859), der Sohn von George Stephenson, unternahmen ab 1822 erste Vermessungen. Der Widerstand der Grundbesitzer war immens. Teilweise mussten die Vermessungen heimlich in der Nacht durchgeführt werden. Es kam zu Handgreiflichkeiten und Auseinandersetzungen. Die Arbeit wies dadurch Mängel auf. Robert Stephenson gründete 1823 ein eigenes Unternehmen, um Dampfmaschinen zu produzieren und unternahm anschließend eine Geschäftsreise nach Südamerika, um seine Produkte zu bewerben. James musste Insolvenz anmelden.
Abbildung 6: Lokomotive von Richard Trevithick 1802. Gravur von 1958 aus dem Wissenschaftsmuseum, zur Veröffentlichung freigegeben durch The British Railway Locomotive, H.M.S.O.
Abbildung 7: Links: The Rocket
von Stephenson, Science Museum, London (Bild: William M. Connolley/Wikimedia Commons, Lizenz: CC BY-SA 3.0); Rechts: Das legendäre Rennen von Rainhill, Illustration in The Illustrated London News etwa 1829. Im Vordergrund The Rocket
, im Hintergrund die Sans Pareil
(rechts) und Novelty
(links).
1824 wurde ein erster Prospekt für die Liverpool-Manchester Eisenbahn veröffentlicht, mit dem für das Vorhaben geworben und die Idee verbreitet werden sollte. Die Liverpool and Manchester Railway Gesellschaft ernannte 1824 George Stephenson zum neuen Ingenieur. Stephenson überließ jedoch wegen Arbeitsüberlastung einem Angestellten die Überprüfung der Vermessungen. 1824 beriet das englische Parlament die Gesetzesvorlage zum Bau der Strecke. Es stellte sich heraus, dass George Stephenson, als er den Bahnbau im Parlamentsausschuss vertreten sollte, den juristisch vorgebildeten und ihm rhetorisch überlegenen Abgeordneten nicht gewachsen war. Es entstand der Eindruck, dass die der Gesetzesvorlage zugrunde liegenden Berechnungen ungenau waren. Der Widerstand im Parlament war erheblich. Die Mehrheit der Abgeordneten konnte sich nicht vorstellen, dass eine Eisenbahn dieser Dimension funktionieren könnte. So kam der Gesetzentwurf innerhalb von 10 Wochen 38 Mal auf die Tagesordnung des Parlamentsausschusses und drohte schließlich im Plenum zu scheitern, worauf die Abgeordneten, die den Entwurf eingebracht hatten, ihn zurückzogen. Anstelle von Stephenson, dessen Ruf durch die parlamentarische Niederlage gelitten hatte, ernannte die Gesellschaft George und John Rennie als neue Ingenieure. Diese engagierten Charles Vignoles (1793-1875) als Vermesser. Dieser vertrat auch die geänderten Pläne vor dem Ausschuss, als der zweite Gesetzentwurf im Parlament eingebracht wurde. Der zweite Gesetzentwurf erhielt die Zustimmung des Parlaments und wurde am 5. Mai 1826 von König Georg IV. unterzeichnet. Die genehmigte Strecke wich den Grundstücken der Gegner der ersten Planung weitestgehend aus. Da die Rennies inakzeptable Forderungen stellten und die parlamentarische Hürde genommen war, wurde erneut George Stephenson zum verantwortlichen Ingenieur ernannt. Er leitete die Bauarbeiten. Am 15. September 1830 wurde die 56,327 km lange Strecke eröffnet.
The Rocket
Beim berühmten Rennen von Rainhill für die beste und schnellste Lokomotive dieser Bahn, welche ihr dreifaches Gewicht mit 10 englischen Meilen Geschwindigkeit in der Stunde ziehen sollte, ohne Rauch zu erzeugen, errang The Rocket
von George Stephenson und seinem aus Südamerika zurückgekehrten Sohn Robert den Preis, indem sie ihr fünffaches Gewicht zog, 14 bis 20 englische Meilen in der Stunde zurücklegte und damit die gestellten Bedingungen weit übertraf. Von da an leitete Stephenson den Bau der bedeutendsten Eisenbahnen in England, baute Maschinen für dieselben und wurde zu gleichem Zweck nach Belgien, Holland, Frankreich, Deutschland, Italien und Spanien berufen.
Abbildung 8: Entwurf zu einem Deutschen Eisenbahnsystem aus dem Jahre 1833 von Friedrich List (1789-1846), Illustration von Robert Krause, Leipzig 1887: Links unten Basel, rechts daneben der Bodensee mit Lindau, oben rechts Danzig.
Anfänge des Eisenbahnwesens in Deutschland
1833 erschien eine programmatische Schrift zum Aufbau eines Eisenbahnnetzes im Deutschen Bund. Die erste Eisenbahn mit Lokomotivbetrieb nahm 1835 den Betrieb auf. Sie verkehrte mit einer Streckenlänge von sechs Kilometern zwischen Nürnberg und Fürth. In den folgenden Jahren entstanden zahlreiche neue Eisenbahnstrecken, die im erreichten Endzustand ein dichtes Netz bildeten. Ein einheitliches und durchdachtes Schienennetz entstand anfänglich jedoch nicht, da