Filmkritiken

Amelie rennt (2017)

„Bums dich, du Kackvogel!“ Amelie flucht ganz gern, es hilft ihr anscheinend, auch wenn es erkennbar immer noch eine bürgerlich-reservierte Form des Ankackens ist, die hier gepflegt wird; ein Berliner Kindl zwar, aber eben doch aus gutsituiertem Haus, kein „Ich komm aus Kreuzberg, du Muschi!“

F-Rated

Double F-Rated
Und das trifft eigentlich schon ganz gut ein Kernproblem des eigentlich sehr schönen Coming-of-Age-Selbstfindung-in-den-Bergen-Films Amelie rennt: Er ist bei aller Streiterei sehr freundlich. Was zwar insofern logisch ist, als sowohl Rebellin Amelie als auch ihre getrennt lebenden Eltern sich im Grunde sehr gerne mögen. Was aber zugleich den Furor der Protagonistin (von Mia Kasalo sonst wunderbar verkörpert) eben auch ein wenig runterregelt: Seit wann halten sich wütende 13-jährige sonst damit auf, was statthaft ist? Zumal, wenn sie in der freien Natur quasi allein unterwegs sind.

Amelie hat Asthma und möchte das eigentlich gerne ignorieren, zumal sie auch sonst grundgenervt ist. Von der Trennung ihrer Eltern (samt „Wechselmodell“) ebenso wie von ihrer Fürsorge, davon, dass ihre Mutter ihr Zimmer zum Wäschetrocknen nutzt, wenn Amelie nicht da ist. Und extrem genervt ist sie natürlich sowieso davon, dass sie nach einem heftigen Anfall von ihren Eltern in ein Erholungsheim in Südtirol (ein eigenes Thema wäre mal die Frage, wie Menschen immer so flott bei Tageslicht von Berlin ins bayerische oder alpine Idyll gelangen: hier ebenso wie in Burg Schreckenstein. Aber das ist eine andere Geschichte) verfrachtet wird, wo sie zusammen mit anderen, allesamt jüngeren Kindern lernen soll, mit ihrer Krankheit umzugehen.

Stattdessen haut Amelie ab. Sie rennt weniger, wie der Titel suggeriert, sondern steigt planlos den nächsten Berg hinauf; sie trifft auf den kaum älteren Bart (Samuel Girardi), der sich seit dem Tod seines Vaters um die Kühe im elterlichen Hof kümmert. Der begleitet sie hoch, aus Sorge und Verantwortungsgefühl, aber auch Belustigung und sicher ein wenig Verliebtheit. Auch wenn Amelie die ganze Zeit schimpft, auf ihn, auf die Welt und überhaupt. „Wenn ich fluche, merke ich, dass ich noch atme.“

Eine Bergwanderung mit Inhalator, samt Sturz in den ziemlich reißenden Gebirgsbach, natürlich eine Fish-out-of-water-Geschichte; Tobias Wiemann nutzt in seinem Film (nach einem Buch von Natja Brunckhorst und Jytte-Merle Böhrnsen) die Natur reichlich aus, weicht aber nie in den schmalzigen Heimatfilm aus. Stattdessen Selbstfindung, sehr dezentes Verliebtsein, einige dramatische Momente und natürlich die Wandlung vom Scheißegal zum Etwas-Wollen: Da rauf auf den blöden Berg, mit Macht und Flüchen. Wo es dann natürlich wunderschön ist.

Wiemann erspart uns glücklicherweise die Art von Wunderheilung, die die letzte Heidi-Verfilmung in Minuten kredenzte; das Ende ist dann allerdings doch einen kleinen Hauch zu harmonisch, auch musikalisch zu schmalzig. Das darf für einen Kinderfilm schon sein, aber ein wenig mehr Kratzbürstigkeit darf man sich auch von der erneuerten Amelie noch erhoffen.

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Amelie rennt, Deutschland/Italien 2017, Regie: Tobias Wiemann. Länge: 97 Minuten. Kinostart: 21. September 2017.

(Fotos: Lieblingsfilm)

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