Bis 2020 war es in Deutschland nicht erlaubt, einem sterbewilligen Menschen bei seiner Selbsttötung zu helfen. Nachdem Ärztinnen und Ärzte, Sterbehilfe-Vereine sowie Betroffene dagegen geklagt hatten, erklärte das Bundesverfassungsgericht dieses Verbot für verfassungswidrig. Der sogenannte "assistierte Suizid" ist seitdem zwar nicht mehr strafbar, eine gesetzliche Neuregelung gibt es aber bisher nicht. In den kommenden Wochen plant der Bundestag, über zwei Gesetzesentwürfe abzustimmen, in denen die Sterbehilfe unterschiedlich streng reguliert werden soll. Gehört zu einem selbstbestimmten Leben auch das Recht auf Hilfe beim Sterben? Oder hat eine legale Suizidassistenz womöglich negative Auswirkungen auf unsere Gesellschaft?
Freie Entscheidung?
Als das Bundesverfassungsgericht vor drei Jahren das Sterbehilfe-Urteil verkündete, war Ute geschockt. Die 51-Jährige ist Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie sowie Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention. Sie möchte, wo immer es geht, verhindern, dass Menschen sich selbst das Leben nehmen. Mit der Möglichkeit des assistierten Suizids würden vor allem Alte und Kranke unter Druck gesetzt, diesen in Anspruch zu nehmen, um der Gesellschaft nicht zur Last zu fallen. Um das auszuschließen, brauche es laut Ute eine umfängliche gesetzliche Regulierung: "Die Politiker haben die Aufgabe, Menschen zu schützen, die das beeinflusst tun, die das nicht freiwillig tun, die das aufgrund eines gesellschaftlichen Drucks tun." Dass niemand am Ende des Lebens, zum Beispiel wegen schwerer Krankheit, leiden möchte, dafür hat Ute Verständnis. Sie sieht es auch als ihre ärztliche Pflicht, dieses Leid zu verringern. Doch Patient*innen ein tödliches Medikament zur Verfügung zu stellen, widerspreche ihrem Berufsethos: "Ich möchte auch, dass Menschen gut sterben können, aber ich möchte sie nicht in den Tod befördern."
Selbstbestimmung bis in den Tod
Seit über 40 Jahren setzt sich Helga dafür ein, dass sie und andere ihr Ende selbst bestimmen dürfen. Die 81-Jährige ist Mitglied in einem Sterbehilfeverein und berät dort Menschen, die Sterbehilfe in Anspruch nehmen möchten. Auch für Helga wird das eines Tages der Fall sein, wenn der natürliche Tod auf sich warten lässt: "Ich weiß, wie schrecklich letzte Stunden sein können. Diese Abhängigkeit von Maschinen oder Pflegern, das will ich einfach nicht haben." Selbst die Palliativmedizin habe ihre Grenzen und könne im Falle einer schweren Krankheit nicht jedes Leiden lindern. Helga ist überzeugt, dass es in jeder Lebenssituation erlaubt sein müsse, auf die Suizidassistenz zurückzugreifen: "Es ist ein Menschenrecht sagen zu können: Ich will nicht mehr. Dafür muss ich nicht mal sterbenskrank sein." Einer neuen gesetzlichen Regelung steht sie daher kritisch gegenüber. Helga war selbst schon bei einigen assistierten Suiziden dabei, um die Sterbenden zu begleiten - für sie jedes Mal eine positive Erfahrung: "Es ist sehr beruhigend und schön zu sehen, wie glücklich die Menschen sind, dass sie sterben können."
Bei "Sag’s mir" begegnen sich zwei Menschen, die sich einen ganz unterschiedlichen Umgang mit der Sterbehilfe wünschen. Gelingt es zwei Fremden, sich trotz ihrer konträren Ansichten näherzukommen?
"Sag’s mir" mit diesen Gästen: Helga Liedtke, Sterbehilfe-Begleiterin und Ute Lewitzka, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie