Kurzbeschreibung
In Zusammenarbeit mit der Universität Stuttgart und dem Baden-Württembergischen Genossenschaftsverband (BWGV) erforscht das Ferdinand-Steinbeis-Institut derzeit einen nachhaltigen Ansatz, der den unternehmensübergreifenden Austausch von Objektdaten unterstützt. Im Rahmen sogenannter Datengenossenschaften werden Konzepte erforscht, die die gemeinschaftliche Nutzung von Daten digitaler Abbilder innerhalb der Rechtsform der Genossenschaft ermöglichen. Das Projekt wird gefördert vom Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau Baden-Württemberg.
Im Fokus des Vorhabens stehen dabei betriebswirtschaftliche, technische, aber auch rechtliche Fragestellungen. Ziel des Projekts ist es, insbesondere kleinen und mittelständischen Unternehmen so eine Möglichkeit zu geben, neue Geschäftsmodelle auf Basis von KI zu realisieren, mit denen zusätzliche Wertschöpfung generiert werden kann. Das Rechtskleid der Genossenschaften bietet hier gleich mehrere Vorteile: Es ist seit jeher ein etabliertes Konzept zur Umsetzung von Verbundvorhaben in dem Ziele gemeinsam und gemeinschaftlich verfolgt werden. Zudem wird durch das Identitätsprinzip sichergestellt, dass die Interessen der Mitglieder in den Mittelpunkt gestellt werden – ein Prinzip, das die Genossenschaften von anderen Formen der kooperativen Zusammenarbeit abgrenzt. All diese Vorzüge bilden eine gute Grundlage für die Bildung eines Vertrauensraums, in dem beteiligte Partner selbstbestimmt und gleichberechtigt zusammenkommen.
Im weiteren Verlauf des Forschungsprojekts werden die Datengenossenschaften in der Praxis prototypisch verprobt und weiterentwickelt. Dazu sucht das Forschungskonsortium noch interessierte Unternehmen bzw. Unternehmensverbünde, die an dem Forschungsprojekt teilnehmen möchten.
Sollten Sie Interesse haben, an einer experimentellen Datengenossenschaft mitzuwirken, können Sie sich an Patrick Weber (patrick.weber @ steinbeis-fsti.de) oder Maximilian Werling (maximilian.werling @ steinbeis-fsti.de) wenden.
Weitere Informationen zum Forschungsprojekt finden Sie unter
Daten digitaler Abbilder
Die Digitalisierung schafft Abbilder der Realität in der Virtualität – in einem Produktionskontext beispielsweise das digitale Abbild einer Bearbeitungsmaschine. Die Daten digitaler Abbilder unterscheiden sich von klassischen Stamm- oder Planungsdaten: Sie bilden vor allem den Zustand des realen Objekts, auch Asset genannt, sowie Abhängigkeiten verschiedener Messwerte in Form digitaler Modelle ab. Bei einer Bearbeitungsmaschine sind relevante Zustandsdaten beispielsweise der Vorschub oder die Werkzeugtemperatur. Der Zustand des digitalen Abbilds lässt sich durch Funktionen und Services beeinflussen, die Änderung am Zustand des digitalen Abbilds wird wiederrum auf das reale Objekt übertragen. Der Schlüssel zum Erfolg neuer Wertschöpfungsszenarien durch digitale Abbilder besteht darin, dass mit deren Hilfe die Steuerung komplizierter Prozesse und anderer Abläufe in der Realität möglich wird. Dem Erfolg steht der in Deutschland stark mittelständisch geprägten Wirtschaft eine wesentliche Herausforderung gegenüber: Wie können Mittelständler von der Digitalisierung und den daraus entstehenden neuen Wertschöpfungsmöglichkeiten profitieren, ohne dabei in die Abhängigkeit großer, internationaler Plattformen zu geraten? Das Forschungskonsortium liefert mit dem Konzept der Datengenossenschaften eine mögliche Lösung.
Internationales Umfeld
Die Unternehmenspraxis in Deutschland ist von proprietären Einzellösungen geprägt, sie fokussieren die Optimierung der unternehmensinternen Produkte und Prozesse. Deutsche Unternehmen verbessern mit ihrem großen, fachspezifischen Know-how kontinuierlich die eigenen Produkte und Prozesse. Die unternehmenseigenen Daten werden als Grundlage für die Optimierung sowie für KI-Anwendungen, wie beispielsweise Predictive Maintenance, verstanden. Die übergreifende Vernetzung digitaler Abbilder und kontextsensitive Steuerung kommt dabei häufig zu kurz.
International dominieren kommerzielle Plattformen und staatliche Datentreuhänder
Im internationalen Umfeld sind gegenwärtig andere Trends erkennbar: Branchenbezogene, digitale Plattformen im Umfeld des Industrial Internet of Things (IIoT) haben zum Ziel, die Wertschöpfung ganzer Sektoren virtuell abzubilden und so besser plan-, steuer- und kontrollierbar zu machen. Gut beobachten lässt sich dies unter anderem im asiatischen Raum, wo Unternehmen große Plattformen aufbauen, die das Orchestrieren ganzer Wertschöpfungsketten beispielsweise in der Baubranche oder in der Landwirtschaft ermöglichen. Diesem Ansatz liegt das Verständnis zugrunde, dass Wertschöpfungspotenziale vor allem dann realisiert werden können, wenn große Mengen vernetzter, digitaler Abbilder auf Plattformen zusammengebracht und gesteuert werden. Methoden der künstlichen Intelligenz können so auf eine ungleich größere und homogene Menge an Daten zugreifen und Optimierungspotenziale aufzeigen.
Ein anderer Ansatz, der insbesondere in Europa stark thematisiert wird, sieht den Staat oder suprastaatliche Institutionen in der Rolle eines Datentreuhänders. Dieser Ansatz ist besonders aus wirtschaftspolitischer Sicht interessant, da wirtschaftliche Interessen aus der Plattformebene herausgenommen werden und somit der tendenziell monopolistischen Vormachtstellung einzelner Anbieter entgegengewirkt wird. Gleichzeitig sollen so die Vertrauenswürdigkeit der Plattformlösung gesteigert und Vorbehalte abgebaut werden.
Dass beide Ansätze nicht jeweils exklusiv sind und sich somit nicht gegenseitig ausschließen, zeigen zahlreiche Anwendungsfälle datengetriebener Lösungen. Werden beispielsweise stark personenbezogene Daten oder gar Gesundheitsdaten verarbeitet, dann erzeugen staatliche Datentreuhänder womöglich ein größeres Vertrauen als gewinnorientierte Unternehmen. In einem anderen Kontext sollen Produktdaten zusammenfließen und die Grundlage für weiterführende Analysen und Benchmarkings bilden, dabei ist die unternehmerisch getriebene Plattformlösung die richtige Wahl. Die Art der verarbeiteten Daten, das Ziel sowie der Kontext der angestrebten Lösung entscheiden also über den jeweiligen Ansatz. Beide Varianten verbindet darüber hinaus, dass der Plattformbetreiber selbst nicht mit den nötigen anwendungskontextspezifischen Fähigkeiten ausgestattet ist, um das Wertschöpfungspotenzial vernetzter, digitaler Abbilder und der damit befähigten Steuerung von Wertschöpfung voll auszuschöpfen; diese Fähigkeiten liegen vor allem bei den der Plattform angeschlossenen Unternehmen.
Datengenossenschaften als Lösungsansatz
Basierend auf den Micro Testbeds nimmt das Konsortium im Forschungsprojekt Datengenossenschaften kooperativ-genossenschaftlichen Ökosystemen und neue Formen der Partizipation in den Fokus.
Das Ziel der Datengenossenschaften ist es, durch die gemeinsame Nutzung digitaler Abbilder neue, nutzenstiftende Szenarien für alle beteiligten Unternehmen sowie Verbundvorteile und Skalenerträge zu realisieren. In der ersten Projektphase werden zunächst Interviews mit zahlreichen Genossenschaftsvertretern und IoT-Experten geführt. Die Ergebnisse aus diesen Interviews bilden die Grundlage für die Ausarbeitung des Konzepts zur Gestaltung von Datengenossenschaften. In der zweiten Projektphase wird dieses Konzept durch die Gründung und Begleitung von drei experimentellen Datengenossenschaften in der Praxis erprobt und weiter ausgearbeitet werden.