Warum ich die Cannabis-Legalisierung begrüße – und kritisch sehe
Die Legalisierung ist natürlich sinnvoll, überfällig. Marihuana zu verbieten und harmlose Konsumenten in den Knast zu stecken war ein disqualifizierender staatlicher Übergriff – inszeniert von den gleichen Politikern, die sich im Bierzelt fröhlich mit ihren Wählern besaufen, deswegen auch noch heuchlerisch. Wie konnte man nur Gras juristisch verfolgen, aber das mindestens ebenso schädliche Alkohol in jedem Supermark regaleweise anbieten, Werbung dafür in jeder Werbepause zulassen?
Gleichzeitig ist die Legalisierung jetzt zu kurz gegriffen. Privater Anbau wird erlaubt, organisierter Anbau aber nur über gerade erfundene Cannabisvereine zugelassen, denen auch noch der Verkauf verboten. Während also weiterhin massenweise Gras auf dem Schwarzmarkt einfach zu erwerben sein wird, kommt legales Gras nur mit viel Aufwand in die Konsumentenhände, oder wahrscheinlicher eben: Gar nicht. Der jetzt legalisierte Drogenkonsum wird also weiterhin die Verbrecherbanden in Mexiko & Co finanzieren, sie dort ihre Terrorherrschaft weiter ausbauen.
Aber meine kritische Haltung zu dem Ganzen kommt noch mehr aus diesem Gedanken: Cannabis ist nicht harmlos. Ich habe einige Menschen kennengelernt, denen das Zeug stark geschadet hat. Den Schulkollegen, der sich in der Oberstufe an seine Mittelstufe kaum noch erinnern konnte, der sich generell sein Antriebs- und Erinnerungsvermögen so geschädigt hatte als sei er permanent bekifft. Und zweimal WG-Mitbewohner, die sich mit der Droge in ein passives Leben manövriert hatten, die antriebslos vor sich hin kifften und dadurch ihr Studium versauten. Einmal war das krimineller und unsympathischer, einmal war das tragischer, aber in beiden Fällen tat ihnen die Droge nicht gut.
Wäre es denen besser gegangen, wenn sie primär Alkohol getrunken hätten statt nur zusätzlich ein bisschen? Bestimmt nicht. Und rechtfertigte ihr scheiterndes Leben die staatlichen Repressalien aller Konsumenten? Nein. Aber trotzdem, auch wenn die Kriminalisierung vorher falsch war, ist die Legalisierung aus dieser Perspektive unangenehm, wurde da etwas legalisiert, was auch einige sehr gefährliche Seiten hat. Hoffentlich werden diese nun nicht gesellschaftlich ebenso ignoriert wie sie es beim Alkohol schon werden.
Anti-Nazi-Demos
Zehntausende haben am Samstag allein in Baden-Württemberg gegen Rechtsextremismus demonstriert. Die teilnehmerstärkste Demonstration fand am Samstag in Karlsruhe statt, am Sonntag in Freiburg.
Quelle: swr.de
Einer von den Demonstranten war ich. Uneingeschränkt eine gute Sache, so viele gegen die AFD und andere Nazis auf den Straßen zu sehen. Es gibt Zuversicht, einen Kontrapunkt zu den sonst sehr deprimierenden Nachrichten.
Aber es stimmt auch: Was passiert nach den Demos? Darauf kommt es an.
Inwiefern Hochsensibilität existiert
Ich habe am Anfangspunkt dieser Recherche keine Ahnung, ob Hochsensibilität wirklich so existiert, wie sie besprochen wird – als eine bestimmbare Charaktereigenschaft, die mit Fragebogen oder anderen Methoden klassifizierbar ist. Zu wackelig ist Forschung in diesem sozialwissenschaftlich psychologischen Bereich, ist die genutzte statistische Auswertung von Fragebögen zu fragwürdig, zu drückend ist die Replikationskrise.
Wenn es das Phänomen gibt, wüsste ich immer noch nicht, ob ich darunter falle – was mir mehrmals nahegelegt wurde. Mit dem Begriff wird ja ein ganzes Sammelsurium von Eigenschaften gemeint, von denen einige bestimmt jeder für sich beanspruchen wollte, andere jeder von sich weisen würde. Da geht es mir nicht anders. Änderungen weniger gut wegstecken zu können will niemand unbedingt zugeben und wäre mir auch nicht bewusst, Rückzugsmöglichkeiten zu brauchen genausowenig und spricht nicht für den starken Mann, auch nicht stark auf emotionale Szenen in Filmen zu reagieren. Auf der positiven Seite wird bei Hochsensibilität zum Beispiel von einer Verbindung zur Hochbegabung geredet, von einer stärkeren Empathie in gewissen sozialen Situationen, von durch Übung gestähltem Umgang mit stressigen Situationen mit entsprechenden Vorteilen bei der Arbeit.
Das mag alles Quatsch sein. Aber die Anfälligkeit für eine gewisse, vielleicht nicht ganz normale Überempfindlichkeit für Geräusche kann existieren und ich an mir beobachten. Vielleicht ist das interessant mal niedergeschrieben zu sehen.
Beispiele für Unerträgliches
Da ist zuerst Lärm beim Einschlafen. Diese Szene wiederholte sich dutzendfach in meinem Leben: Ich liege in einem Gästebett und kann nicht schlafen, weil irgendetwas summt, oder besonders häufig weil eine Uhr tickt. Nach einiger Zeit stehe ich entnervt auf, hänge die Uhr von der Wand und trage sie aus dem Zimmer. Bei den regelmäßigen Besuchen bei meinen Großeltern hat irgendwann mein lieber Opa, als guter Gastgeber, nach ein paar Wiederholungen dieses Rituals schon selbst die Uhr vor meinem Besuch abgehängt. Nun ist der Einwand klar, lauter Lärm ist für niemanden beim Einschlafen hilfreich. Aber dass der Lärm die andere Person im Bett nicht störte wiederholte sich auch desöfteren und wäre wohl ausschlaggebend.
Man kann sich vorstellen, dass sowas unangenehmer als eine kleine Umräumaktion vor dem Einschlafen werden kann. Als ich nach Frankreich zog wohnte ich eine Weile in einem frisch gebauten privaten Studentenwohnheim. Eine vorher unbesehene Mini-Wohnung. Darin eine integrierte nicht abstellbare Lüftung, also Dauerrauschen. Plus ein regelmäßig lärmender Kühlschrank im kombinierten Schlaf-Wohnzimmer mit Kochnische. Das war Folter, nur ertragbar weil ich schnell lernte mit Ohrstöpseln zu schlafen und tagsüber am PC Kopfhörer trug. Trotzdem hatte ich da diesen einen Tag, als noch dazu im Büro an der Uni irgendetwas summte und es irgendeine stressige Situation gab, dass ich einer Freundin gestand den ganzen Lärm nicht mehr zu ertragen und mich auf ihrem Ratschlag hin ein paar Stunden in den Park setzte. Das half. So einen akuten Rückzugsbedarf hatte ich zuvor nie und danach nie wieder. Nicht, dass ich mich vorher und seitdem nie zurückgezogen hätte, aber der unbedingte Bedarf war nie so heftig – aber es war auch nie wieder so lange so viel Dauerlärm zu ertragen.
Ich habe mich damals gefragt, wie eine integrierte Lüftung mit ihrer Lärmbelästigung legal sein kann. Im Gegenteil sei das in dem Land gerade Vorschrift geworden für Neubauten. Da trifft die Diskussion um Hochsensibilität dann bei mir einen Nerv, weil das recht sauber erklären würde, warum andere Menschen damit kein Problem haben.
Meine anderen Beispiele sind Menschen und zeichnen ein nicht unbedingt sympathisches Bild. Sie klingen nach Misophonie, dafür fehlt aber der unkontrollierbare Ärger.
Da war die eine Weile im gleichen Büro sitzende Doktorandin aus anderem Kulturkreis, die nicht gelernt hatte die Nase zu schnäuzen und stattdessen sie immer wieder hochzog. Widerlich, unerträglich, da konnte sie noch so hübsch sein. Meinen zweiten Bürokollegen schien es nicht zu stören.
Der Junge zur Schulzeit morgens am Frühstückstisch, der sich irgendwann angewöhnt hatte beim Löffeln der Cornflakes auf den Löffel zu beißen, also mit den Zähnen über das Metall zu schleifen. Auch das unerträglich, gerade direkt nach dem Aufstehen. Mein Protest führte zu Beleidigtsein bei ihm, sodass er erst recht so weitermachte, und Schelte für mich von den Eltern. Der Junge isst meines Wissens immer noch so.
Regelmäßig werden Reisen unangenehmer. Bei Zugreisen, wenn ein Sitznachbar ein Ekel ist und an den Nägeln knibbelt, ist das unheimlich schwer auszublenden. Besonders, wenn der die dann zerbeißt, dieses "Knack". Unhöflich ist das für alle, aber offensichtlich gibt es Menschen, die sich trotzdem so verhalten (und sich also nicht dran stören?). Wenn bei Autoreisen der Fahrer einen Tick hat und immer wieder geistesabwesend mit seinem Fingernägel über das geriffelte Material des Lenkrads fahren muss ist das wenigstens nicht eklig, aber auch schwierig zu ertragen.
Konsequenzen, auch für die Arbeit
Bestimmte Dinge nicht gut ertragen können, das ist eine gute Umschreibung. Bestimmte Geräusche, Lärm, Reize.
Im Zusammenhang dem Phänomen zugeschriebenes weitergehendes, also z.B. den geübten Umgang mit Stress und gleichzeitig die vermehrte Entstehung desselben bei vielen gleichzeitigen Aufgaben, kann ich weniger gut einschätzen. Natürlich vermeidet man die, aber das machen alle, oder? Natürlich sind wir alle mehr oder weniger geübt darin, mit stressigen Situationen umzugehen und haben unsere Taktiken, richtig? Dass ich gerade – es ist 15 Uhr – in einem abgedunkelten ruhigen Raum sitze ist auch völlig normal und keine verinnerlichte Reizreduzierungsstrategie, zweifellos? Und dass ich nur selten Kaffee trinke und dann das Koffein deutlich spüre ist auch nur eine zufällige Überschneidung mit dem Fragebogen (der sowieso fragwürdig ist), keine Frage.
Thema abgedunkelter Raum: Ohne Witz ist das ja tatsächlich meine bevorzugte Arbeitsumgebung. Bevor ich diesen Artikel schrieb habe ich entspannt an einem Skript programmiert, das hier ist der Raum, in dem ich das letzte Jahr gearbeitet habe, generell entstanden in solchen Umgebungen fast alle meine Softwareprojekte. Wenn diese Eigenschaft wirklich existiert und ~20% der Bevölkerung betrifft, erklärt das die heftigen Reaktionen zum Gegenmodell Großraumbüro. Dann ist es eben nicht nur so, dass mit 50 Personen gefüllte Menschenställe für bestimmte Arbeiten nicht passen, sondern, dass sie für einen relativ großen Teil der Bevölkerung kaum zu ertragen sind. Während die verbliebenen 80% kein Problem wahrnehmen. Gleichzeitig erhöhte Hochsensibilität den Reiz der Heimarbeit für manche, während andere höchstens die reduzierte Pendelzeit als Vorteil sehen.
Also ein hilfreiches Modell?
Hey, klar: So zusammengeschrieben klingt Hochsensibilität erstmal total passend für mich und schlüssig als Konzept. Aber es ist ja nicht immer so, die beschriebenen Situationen wiederholen sich ja nicht alle fünf Minuten. Das Klackern meiner mechanischen Tastatur stört mich null, zu meiner eigenen und zur Verblüffung der Hausphysikerin. Und dass manche Menschen Lärm weniger gut ertragen als andere macht noch keine feste Persönlichkeitseigenschaft, mit der dann alles mögliche andere verbunden ist. Im Zweifel ist da einfach nur eine Lärmempfindlichkeit, was dann gleich noch weniger positiv klingt, die manche typische Konsequenzen hat.
Ich habe daher massive Zweifel daran, dass Hochsensibilität so existiert wie es besprochen wird. Schon vom Wort her ist es zu einfach, damit positives zu verknüpfen, sodass dann nahezu jeder zwecks Wunschdenken sich entsprechend deklarieren wird. Jeder ist mal von Lärm, Stress oder Gerüchen gestört, will mal alleine sein und sieht sich gelegentlich als empathisch; Jeder kann die Klassifizierung dann entsprechend rechtfertigen. Jede Frauenzeitschrift wird die Eigenschaft positiv thematisieren, etwaiges Leid romantisieren. Die mit dem Konzept dann auch beschriebenen negativen Aspekte sind im Extrem schwer nachzuvollziehen, für nicht tatsächlich betroffene – wenn es denn Betroffene gibt – entsprechend kaum einzuschätzen. Eine Selbsteinschätzung per Fragebogen ist für sowas völlig anfällig, entsprechend völlig ungeeignet. Man müsste schon mit Gehirnscans Unterschiede bei der Reizverarbeitung nachweisen. Dazu gibt es eine Studie, die immerhin nahelegt, dass es ein solches Phänomen gibt. Aber mit 18 Teilnehmern ist es unzulässig, davon auf die große Masse zu schließen, zudem wurden von ihr nur Teilaspekte (wie eben Empathie durch Emotionenidentifikation) getestet. Dass manche darin besser sind als andere ist unstrittig, die Überschneidungen mit dem Fragebogen in dem Aspekt erstmal nicht überraschend, auf den ersten Blick sehe ich bei diesen Ergebnissen auch keine Aufdröselung nach Geschlecht, was bei Empathie relevant erscheint.
Völlig unklar ist mir auch, was davon Gewöhnung ist. Wie viel der Bevorzugung des abgedunkelten Büros ist veranlagte Reizreduzierung, wie viel ist Gewöhnung durch die Notwendigkeit des Abdunkelns früher, angesichts der damals nicht ausreichend hellen Bildschirmen? Bevorzugen manche Leute eine ruhige reizarme Arbeitsumgebung, weil sie entsprechend veranlagt sind, oder weil sie es kaum anders kennen, und nach zwei Monaten im Großraumbüro wäre da kein wahrnehmbarer Unterschied zu den lärmerprobten Kollegen?
Aber bis mindestens dahin gibt es diese Empfindlichkeit eben, ob sie als Hochsensibilität mit anderen Eigenschaften zusammengepackt wird oder nicht. Für die Existenz von Lärmempfindlichkeit als solche habe ich ja genug Beispiele beschrieben. Auch die Annahme der Existenz des vollen Phänomens ist in einem gewissen Umfang hilfreich. Erstens schafft es eine verständliche Grundlage für Vermeidungsstrategien, für die Rechtfertigung derselben auch vor sich selbst. Das Verbannen der tickenden Wanduhr aus dem Gästezimmer z.B. ist dann kein Spleen mehr, sondern angemessen. Zweitens erklärt es auch in vielen anderen Situationen eigene Reaktionen, Verhaltensweisen und Stimmungen. Beispielweise die oben beschriebene Szene aus meiner Anfangszeit in Frankreich, oder auch die unerwartete und überraschend stark gefühlte Erleichterung, als durch einen vorherigen Umzug ein (vorher mir gar nicht als Problem bewusster) regelmäßiger Straßenlärm aus meinem Leben verschwand.
Und vielleicht erklärt sich so auch entsprechend unentspanntes Verhalten während Dauerlärms, aber da wird es wackelig. Aber als einfaches Beispiel, alles so zusammengeschrieben ist es kein Wunder, dass eine gute passive Geräuschisolierung bei meinem letzten Kopfhörerkauf ein gesetztes Auswahlkriterium für mich war. Oder warum ich mich über die Lärmreduzierung durch fan2go so gefreut habe.
Noch wackeliger wäre der Versuch, mittels Hochsensibilität bestimmte meiner Stärken in manchen Bereichen bei Hochbegabung ausschließenden Schwächen in anderen zu erklären. Aber es würde so gut passen, dass ich den Reiz des Konzepts nur zu gut verstehen kann.
Ich zweifel daran, dass es Hochsensibilität gibt. Aber ob es sie gibt oder nicht: Es gibt genug andere Sensibilitäten wirklich, die in diese Richtung gehen. Wenn wir Arbeit und Leben mit Rücksicht auf diese entsprechend organisieren können, kann das nur ein Vorteil sein. Für vermeintlich Betroffene helfen Selbstakzeptanz, Kopfhörer, Ohrenstöpsel und wenn möglich eine angepasste Berufswahl.
Warum ich nicht gendere
Und warum du es auch nicht machen solltest.
Mit Gendern meine ich, statt normalem Deutsch zu schreiben oder zu sprechen bei Bezeichnungen eine vermeintlich inklusive Form zu wählen. Egal, welche Form das annimmt: Ob Student*in, Studierende statt Studenten zu schreiben oder StudentInnen am besten noch zu sprechen, also so komisch dieses Innen nach einer kurzen Pause anzuhängen. Nichts davon wird von mir jemals gemacht werden.
Mir ist es zutiefst unsympathisch. In meinen Augen ist es eine Überlegenheitsbekundung. Wer so spricht und schreibt, meint so viel besser zu sein als all die gewöhnlichen Menschen um ihn herum. Wenig ist mir mehr zuwider als solch eine Haltung zu seiner Umgebung zu haben, geschweige denn sie auszudrücken.
Nun mag das für manche Menschen nicht gelten. Die glauben vielleicht wirklich, dass Sprache die Welt formt und wollen ohne überzogene Eitelkeit ihren Beitrag zu einer weniger ungleichen leisten. Doch schaden sie dadurch der Sache: Eben weil diese künstliche Sprachänderung so unsympathisch ist und so vielen gegen den Strich geht, machen sie dadurch auch valide Bemühungen zur Chancengleichheit zunichte. Menschen hassen nichts mehr als wenn zu ihnen hinabgesprochen wird, aber genau so wirkt das – was effektiv linke Mehrheiten bei allen gesellschaftspolitischen Positionen verhindert.
Außerdem steckt hinter diesem Beharren auf unterschiedliche Ansprache absurderweise ja ein Beharren auf dem Betonen der Unterschiede. Als wäre es undenkbar, dass eine Frau ein Arzt sein könnte, wenn man das nicht extra ausspricht. Diese vermeintlichen Progressiven stecken in ihrer eigenen Egalitätsperspektive also weit hinter dem, was für viele andere schon völlig normal war.
Nun wird daraus ja mehr als eine eigene Wahl, sondern es wird von gewissen Leuten als Pflicht gesehen. Diese Sprachpolizei ist Auszeichen einer verklemmten puritanischen Denkweise, von meiner Position aus einem gestörten Umgang mit Sexualität – wenn die Unterschiede so extrem betont werden sollen, weil Gleichheit unerträglich wäre. Mit alarmistischen und ausgrenzenden Sprachrichtlinien wird derzufolge im Lagerdenken Bekenntnis und Gehorsam gefordert, ohne dass es der Sache auch nur einen Deut bringen würde. Genauso, wenn das Ansprechen einer Transperson mit ihrem ursprünglichen Namen oder Geschlecht als schlimmes Verbrechen gewertet wird. Das ist das gleiche Denken, was das Tragen von Stilen "fremder" Kulturen als Verbrechen sieht (als kulturelle Aneignung, wie hier) – was über einen anderen Begründungsweg exakte Naziposition ist. Nein, das macht die Problematisierer "kultureller Aneignung" nicht automatisch zu Nazis, aber sie bewegen sich da nunmal in deren Nähe. Damit will ich gerade als Linker nichts zu tun haben… Aber ich komme vom Thema ab, zurück zum Gendern.
Neben all diesen politischen Überlegungen: Ich empfinde es schlicht als hässlich. Als jemand, der regelmäßig Text produziert, habe ich an ihre Ästhetik zumindest einen minimalen Anspruch. Deswegen schreibe ich entsprechend – und weigere mich jemanden zu konsumieren, der das nicht ebenfalls tut.
Es gibt also keinen validen Grund, künstlich geschlechtsneutral zu schreiben. Es macht Texte nicht schöner, denn es verschandelt Texte ästhetisch. Es bringt aber auch die Chancengleichheit nicht weiter, weil es im Gegenteil ein ungewinnbares Nebenschlachtfeld aufmacht, das echte Chancengleichheitsmaßnahmen über die gesellschaftliche Konterbewegung teuer bezahlen werden. Von daher: Schreib echtes Deutsch.
Letzte Chance: Ukraine-Humblebundle
Das erst kürzlich gestartete "Stand With Ukraine"-Humblebundle endet bereits bald. 125 Items sind darin, darunter vor allem ein paar interessante Spiele wie Metro Exodus.
Einiges davon war noch nicht in meiner Spielesammlung, die ja doch schon einige andere Spielebündel gesehen hat.
Das Angebot läuft noch etwas mehr als 24 Stunden. Über 14 Millionen Euro wurden bereits eingenommen, 100% davon sollen an vier Hilfsorganisationen gehen: Razom for Ukraine, International Rescue Committee (IRC), International Medical Corps und Direct Relief.
Wichtiger Hinweis: Boosterimpfungen ab jetzt (regional?) ohne Frist
Ich war gestern beim Arzt und wurde von einer Auskunft überrascht, die ich hier teilen will: Die Sechsmonatsgrenze für die dritte Impfung hat sich erledigt.
Die Praxis hat schon vorher Leute auch vor Ablauf der sechs Monate geimpft, wenn es ein erhöhtes Risiko gab, sei es durch die medizinische Lage oder z.B. durch den Job des Impflings. Ansonsten wurde die sechs Monate gewartet und Impfwillige abgewiesen, wie es ja auch jetzt noch die offizielle Empfehlung der STIKO ist:
Aus immunologischen und infektionsepidemiologischen Gründen ist es sinnvoll, über die genannten Risikogruppen hinaus mittelfristig auch allen anderen Grundimmunisierten eine Auffrischimpfung anzubieten. Bei einer Auffrischimpfkampagne sollte soweit wie möglich nach absteigendem Lebensalter vorgegangen werden. Die Geschwindigkeit im Vorgehen bei einer solchen Impfkampagne wird maßgeblich von den regionalen Impfkapazitäten abhängen.
Eine Auffrischimpfung soll bei immunkompetenten Personen frühestens sechs Monate nach Abschluss der Grundimmunisierung erfolgen. Die konkreten Empfehlungen zur Auffrischimpfung für Personen mit Immundefizienz wurden bereits in der 11. Aktualisierung der COVID-19-Impfempfehlung der STIKO ausführlich dargestellt.
Also nicht nur wird da die Montagsgrenze betont, sondern bedeutet die gewollte Priorisierung noch zusätzlich Warten für die Nicht-Priorisierten.
Das wird zumindest die Praxis bei der ich war aber nicht mehr so halten. Die Kassenärztliche Vereinigung habe da umgedacht. Ich war überrascht, weil ich davon (auch jetzt noch) nichts gelesen habe, aber das sei eine Entwicklung der letzten vier Tage. Jetzt soll jeder, der sich nochmal impfen lassen will, direkt geimpft werden. Klar, wenn jemand vor zwei Monaten mit Biontech geimpft wurde macht die dritte Impfung wenig Sinn, aber bei den meisten ist es ja länger her und da würde nicht mehr abgewiesen.
Ich finde das gut. Die Lage ist so mies, zudem wäre bei mir das Risiko bald nochmal erhöht gewesen, vor dem regulären Boostertermin im Januar. Meine Zweitimpfung war Ende Juli. Sie war wie die Erstimpfung im Impfzentrum, es hat also auch nichts mit Praxisloyalität zu tun. Die Drittimpfung wird jetzt am Donnerstag sein.
maiLab: Impfpflicht ist OK
Wieder wichtig. Pragmatismus, jetzt:
Warum bei Anonymität, Privatsphäre und Sicherheit im Netz keine Kompromisse möglich sind
Es ist nicht überzogen zu sagen: Die gesellschaftliche Auseinandersetzung um Anonymität, Privatsphäre und IT-Sicherheit entzündet sich gerade zu einen echten Kampf. FOSS-Software spielt in diesem eine Sonderrolle, weil sie unheimlich schwer zu regulieren ist und so Fakten schafft. Dagegen und gegen Anonymität versprechende Firmen gehen Staaten und bestimmte andere Firmen aber verstärkt vor.
Doch kann es hier nicht einfach einen Kompromiss geben? Gibt es sinnvolle Regelungen, die nur da partiell Anonymität entfernen und in die Privatsphäre hineingreifen wo es wirklich sinnvoll ist? Nein, das ist völlig unmöglich und wäre bei umfassender Anwendung das endgültige Ende von Anonymität im Internet, eine nie dagewesene Reduzierung der Privatsphäre und eine gesamtgesellschaftliche Schwächung der IT-Sicherheit.
Zum Kontext: Dies ist eine Entgegnung auf einen Kommentar von Gerrit bei curius.de, der wiederum war wohl eine Reaktion auf meinen Kommentar zu seinem Blogartikel über die Datenweitergabe von ProtonMail an US-Behörden. Ich ziehe mir meine Position nicht völlig in der Kürze der Zeit aus dem Allerwertesten; Anonymität – wenn auch nicht in diesem Kontext – war Thema meiner Doktorarbeit. Außerdem arbeite ich momentan im Randbereich privatsphärenwahrender Kommunikation.
Die derzeitige gesellschaftliche und technologische Ausnahmesituation
Machen wir uns erst einmal kurz klar wo wir stehen: Am wahrscheinlichen Endpunkt einer historisch einmaligen Ausnahmesituation. Dem Staat gegenüber anonyme Kommunikationsmittel hat es praktisch nie gegeben. Wo kommuniziert wird, wird potentiell mitgehört und kontrolliert – das haben sich Staaten immer herausgenommen. Und doch haben wir sie derzeit.
Gerade der deutsche Zensor war eine historische Konstante, der nicht nur prüfte was die Bevölkerung untereinander sich schrieb und sagte, sondern auch was veröffentlicht werden durfte. Bekanntes Beispiel ist der Einfluss des Zensors auf die deutschen Aufklärer im 18. Jahrhundert. Geistig verwandte Fortführung davon ist die Zensur von Videospielen via einem Index, nichts anderes als einer Zensurliste ungewollter Kunst, oder die Impressumspflicht, die der Minimierung anonymer Publikationen dient. Gerade Deutschland hat also eine tradierte und aktive Zensur- und Kontrollpraxis. Das Land ist aber beim Zugriffnehmen auf Kommunikationsmedien nicht einmalig.
In Telekommunikationsinfrastruktur muss der Staat mithören dürfen, sagt dieser. Telefonleitungen beispielsweise wurden einfach angezapft. Bei Internettechnologie wurden solche Vorschriften früh übernommen. So gibt es verpflichtend Abhörschnittstellen bei jedem Email-Provider ab einer gewissen Kundenanzahl, mit denen dann das gesamte Emailpostfach heimlich mitgelesen werden kann. Auch andere Staaten sind da extrem, die USA beispielsweise verbot kurzerhand den Export von brauchbarer Verschlüsselung und versucht immer wieder, die Anwendung ganz zu verbieten.
Dieser absolute Überwachungsanspruch zusammengenommen mit den technischen Gegenmaßnahmen und Überwachungsmöglichkeiten schafft eine interessante Situation, die sowohl in die Richtung von unerreichten Freiheitsrechten als auch unbekannt totaler Überwachung ausschlagen kann:
- Unsere Kommunikation und unsere Alltagstätigkeit erfolgt mehr als jemals auf potentiell komplett abhörbaren Netzwerktechnologien.
- Gleichzeitig haben wir aber Verschlüsselungsmethoden gefunden, die den Nutzern dieser Dienste vollständige Schutz vor dem Mitlesen ihrer Kommunikationsinhalte gewähren könnten.
- Allerdings hat der Staat jetzt erstmals die Möglichkeit, unverschlüsselte oder Kommunikation mit geknackter Verschlüsselung vollständig aufzuzeichnen und auszuwerten.
Man kennt vielleicht dieses Bild der sich wiederholenden Geschichte. Und die Entgegnung, dass sich nichts wiederholt, es reime sich nur. Das passiert hier: Im Grunde laufen die gleichen Entwicklungen wie bei jedem Kommunikationsmedium – anfängliche Anonymität und Datensicherheit durch Ignoranz, dann bekommt der Staat Angst um seine Macht, dann wird mitgelesen. Hier aber ist die Dimension neu, mit der zum einen dagegen vorgegangen werden kann und wie vollständig zum anderen das Abhören durchgeführt würde. Und außerdem ist enorm anders, wie weit in den privatesten Lebensbereich die Technologienutzung und damit das Abhören hineinreicht. Es ist eine Weiterentwicklung der damaligen Situationen.
Sicherheit geht nicht stückchenweise
In dieser historisch einmaligen Situation rennen wir also in die Frage: Wieviel Anonymität und Privatsphäre wollen wir zulassen? Und damit in zwei Probleme: Der alte Kompromiss der staatlichen Legitimierung des Eingriffs war niemals gut und ist es heute noch weniger, zweitens ist die technische Konsequenz dieser Eingriffsermöglichung enorm.
Nehmen wir einen Chatanbieter, der bis jetzt vollständig anonymisierte und Ende-zu-Ende-verschlüsselte Kommunikation ermöglicht hat. Logdateien gibt es nicht. Die Entschlüsselung bräuchte für jede einzelne Nachricht jeweils das jahrelange Arbeiten von Supercomputern. Selbst Metadaten darüber wer wem schreibt wird mittels Datendurchmischung unerhebbar gemacht. In Sachen Datenschutz und Anonymität die perfekte Lösung – und nah dem, was Dienste wie Signal heute tatsächlich anbieten.
Wenn wir dem Staat hier einen Eingriff auch nur auf Einzelne erlauben, wird die Anonymität und der Datenschutz aller reduziert. Denn der ginge jetzt hin und sagte: Logdateien müsst ihr führen. Ergo ist der Dienst nicht mehr anonym, ein entsprechend mächtiger Angreifer kann die IP-Daten zuordnen. Dann sagt er: Mitlesen will ich auch. Also ist die gesicherte Privatheit der Kommunikation weg, weil die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung abgeschafft wird.
Das ist keine Theorie: Genau das ist bei der Kommunikationslösung für Rechtssachen(!) passiert, da weder das Anwaltspostfach noch De-Mail eine direkt aktive integrierte Ende-zu-Ende-Verschlüsselung haben. Wenn staatliche Lösungen das schon bei so absolut kritischen Daten machen, dann sieht man wo das Ziel liegt. Und tatsächlich fordert "der Staat" derzeit die Abschaffung von Ende-zu-Ende-Verschlüsselung bei Chatdiensten und will das per Gesetz durchdrücken.
Der Angreifer ist mächtiger als je zuvor
Schlimmer: Es ist nicht so, dass diese Daten dann nur per Richterentscheidung in kritischsten Situationen erhoben werden. Sondern da sie nun als gewollte Schwachstelle in die Kommunikationssysteme eingebaut sind, stehen sie auch anderen Angreifern zur Verfügung. Das kann die Hackerbande aus Nordkorea sein, die sich Zugriff auf die nun erhobenen Logdateien verschafft. Oder, garantiert ist der Zugriff der Geheimdienste.
Das ist keine Verschwörungstheorie. Oder anders: Es war mal eine, aber sie hat sich als wahr herausgestellt. Dass die Geheimdienste eine umfassende Datenabhöraktion am Laufen haben war der Kern der Enthüllungen von Snowden. Die NSA will den gesamten Internetverkehr durchleuchten und soweit möglich speichern. Geheimdienste wie der BND helfen dabei, indem sie den Internetverkehr auf den sie Zugriff haben an diesen fremden Geheimdienst weiterleiten. So umgehen sie, dass sie keine Dauerüberwachung der eigenen Bürger durchführen dürfen – machen sie auch nicht, sie leiten nur die Rohdaten weiter und bekommen im Gegenzug Auswertungsergebnisse.
Ich halte das für Landesverrat – obwohl das bekannte Ausmaß der BND-Involvierung vergleichsweise gering ist. Doch selbst wenn die Einschätzung stimmen würde, Konsequenzen gab es ja nichtmal als bekannt wurde, dass Merkels Telefon abgehört wird. Welchen staatlichen Schutz können sich normale Bürger da erhoffen?
Und nebenbei: Ja, das geheimdienstliche Datensammeln ist mehr als das Mitlesen von Texten. Es schließt den Zugriff auf Audio- und Videodaten ein, inklusive der Fähigkeit, heimlich Kameras von Laptops und Smartphones aktivieren zu können. Das mag in einem kleineren Maßstab passieren, ist aber grundsätzlich auch eine Fähigkeit, über die Geheimdienste wie Strafverfolgungsbehörden verfügen wollen.
Aber nochmal: Es geht nicht alleine um Geheimdienste. Wer das für Aluhutzeug hält kann sich dieses Argument wegdenken. Auch ohne sie ist das Wirken des Gesetzgebers und der normalen Behörden zerstörerisch für die digitale Privatsphäre. Das Vorschreiben von Überwachungsmöglichkeit bedingt Systeme, die überwachbar sind – so trivial kann man es sehen. Überwachbare Systeme aber sind angreifbar, nicht nur von dem, der die Überwachbarkeit in Auftrag gegeben hat. Außerdem ist es völlig berechtigt, auch bei den derzeit nach Überwachungsmöglichkeiten schreienden Staatsgewalten ein enorm hohes Missbrauchspotential zu sehen. Und sei es nur durch Missbrauch einzelner - man denke an die Adressen von Zielpersonen, die wohl über Polizeicomputer an Naziterroristen weitergegeben wurden.
Das ist die Welt, in dem wir uns bewegen. Und in dieser kann es nur absolute oder keine Softwaresicherheit geben. Das diktiert die Technik, aber es diktiert auch das Angreifermodell. Da der Angreifer staatliche Stellen sind und damit fast allmächtig, ist die einzige Chance auf anonyme und private Kommunikation in den globalen Kommunikationssystemen das Erstellen von Kommunikationswegen, die vollständig von jedwedem Fremdzugriff geschützt sind und bei denen keine verwertbaren Metadaten anfallen. Auf Endgeräten, die von Hardware- bis Softwareebene vollständig sicher sind, sonst werden die angegriffen.
Von diesem Idealzustand sind wir weit entfernt, gerade die Software und die Hardwareseite ist ein Thema für sich – Apple zeigte gerade wieder, dass proprietäre Systeme die eigenen Nutzer ausspionieren und an Strafverfolgungsbehörden verraten. Wir können aber hoffen, dass der Zugriff über diese Ebenen noch nicht vollständig ist.
Mit den Grenzen könnten wir leben
Kommen wir zum Begriff des rechtsfreien Raums. Der sei die Folge, wenn der Staat keine Vollkontrolle hat. Das stimmt nicht, denn es ist ein maßlos überzogenes Konzept und pure Propaganda von Verfechtern staatlicher Überwachung.
Es geht nicht um Rechtsfreiheit. Es geht um Grenzen der Rechtsdurchsetzung. Diese Grenzen gibt es auch heute schon außerhalb des Netzes und wir glauben trotzdem nicht, dass in Deutschland keine Rechte mehr gelten würden.
Was wir machen, ist abzuwägen: Es gibt Gesetze, die in einem gewissen Maße akzeptiert werden. Andere Regeln sind veraltet, offensichtlich Grundrechtswidrig und gehören abgeschafft, wie damals die erlaubte Vergewaltigung in der Ehe oder heute (natürlich weniger schlimm) das fundamentalchristliche Tanzverbot. Aber wir haben auch heute natürlich ernste Missstände, wie das Verbot der Aufklärung über Abtreibungen. Die Gesellschaft in einem diffusen Prozess entscheidet dann, welche Regeln wie hart durchgesetzt werden, welche außer Kraft fallen schon bevor sie offiziell abgeschafft werden. Und schaut dabei auf die Verhältnismäßigkeit: Der Staat wirft keine Bombe auf einen kompletten Frankfurter Stadtteil, wenn Karfreitag dort jemand Musik abspielt. Selbst wenn die Musik ansonsten nicht abschaltbar ist.
Den Komplettanspruch der vollständigen Regeldurchsetzung mit allen Mitteln gibt es, aber er ist hoch autoritär und keine Mehrheitsmeinung. Und führt nicht zu einen Staat, in dem Menschen freiwillig leben würden.
Genau diesen Abwägeprozess gilt es auch im vermeintlich rechtsfreien Raum des Internets zu durchlaufen. Nationale Gesetze mögen in Einzelfällen gelten, aber wie und wie weit sie durchgesetzt werden können hat Grenzen. Es kann nicht weltweit jedwede Anonymität abgeschafft werden, nur weil ein Mensch einmal einem anderen eine Morddrohung geschickt hat. Oder: Ja, wir könnten das tun, aber es wäre völlig unverhältnismäßig.
Doch es gibt keinen Mittelweg, keinen Kompromiss, der die Grundrechtsaufhebung nur temporär für einige wenige erlauben würde, denn der Mechanismus dafür ist angesichts der übermächtigen Angreifer und der notwendigen Schwächung der Grundsicherheit verbaut. Wir sehen das bei den alten Kommunikationsmedien wie dem Telefonnetz: Die Protokolle dahinter sind komplett unsicher. Das ist der Grund, warum SMS keine besonders sichere Wahl bei einer Zwei-Faktor-Authentifizerung ist. Aber die Unsicherheit der Netze wurde – so die These – bewusst in Kauf genommen um Abhörbarkeit herzustellen. Auf jeden Fall wurde sie Jahrzehntelang nicht problematisiert. Es ging ja auch meist um nationale Netze, mit wenigen ausländischen Angreifern.
Die aber gibt es im globalen Internet. Gleichzeitig kommen wir da zu dem Problem, dass ganz verschiedene Staaten Daten von Firmen anfordern. Der eine mag dem demokratischen Deutschland noch vertrauen. Der in den Faschismus rutschenden USA dann schon weniger. Und dem genoziden China schon gar nicht. Aber die alle fordern verfügbare Daten an, zunehmend selbst bisher nicht verfügbare.
Die durchaus vernünftige Alternative ist, eine begrenzt mögliche Rechtsdurchsetzungsfähigkeit einfach hinzunehmen. Ja, dann kann der Staat eben nicht die IP des Senders einer unschönen Nachricht herausfinden. Aber wenn der Empfänger die Nachricht zur Anzeige bringt kann die Strafverfolgsbehörde den Text analysieren und findet den Sender vielleicht so. Oder es gibt es einen Informant im Umfeld des Täters. Sogar bei Naziterroristen hätte das funktioniert, wenn da sorgfältig gearbeitet worden wäre. Nur weil das Extreminstrument der vollständigen Internetüberwachung nicht verfügbar ist heißt das ja nicht, dass es gar kein Instrument für Strafverfolgungsbehörden gäbe.
Deswegen kann es hier keinen Kompromiss geben. Erstens, weil dann Kommunikationsdienste generell nicht mehr anonym und privat wären (insofern sie das heute sind). Zweitens, weil wir über die Vertraulichkeitseigenschaften von technischen Systemen reden, die bedroht werden durch skrupellose Angreifer mit den Fähigkeiten von Staaten, mit technischen fähigen Auswertungssystemen. Gegen die ist ein partieller Schutz über Regularien im Sinne einer verstaubten Bonner Behördenstube nicht mehr möglich.
Impfzentrum, circa Juni 2021
Die in Deutschland aufgebauten Impfzentren sind Ausdruck unbedingten Impfwillens. Dort durchgeschleust zu werden fühlt sich an, als sei man ein Produkt auf einem Fließband. Gleichzeitig ist das schnell, effizient und relativ unbürokratisch – genau was gebraucht wurde.
Die Schlange wartet
Ankommen zum vergebenem Termin mit dem vorausgefüllten Aufklärungs- und Anamnesebogen in der einen Hand, dem Telefon mit dem QR-Code der Terminbestätigunge in der anderen. Es fehlt die dritte und vierte, um sich problemlos wie vorgeschrieben die Hände zu desinfizieren – bei dem folgenden Herumbalancieren sind sicher schon viele Telefonbildschirme zerstört worden. Die Frau vor uns, über 60, meint sie habe keinen QR-Code erhalten (er steht immer in der Terminbestätigung). Aber sie weiß auch nicht was das ist. Unser wird überhaupt nicht gescannt, der Ausweis ist aus gerade klargewordenem Grund wohl doch genug.
Weiter zur Anmeldung. Nett: Wir werden zusammengestellt, obwohl jeder seinen eigenen Termin hat, das macht alles einfacher. Vor dem Strich warten, dann setzen. Die Empfangsdame schaut auf die Dokumente, gibt meiner Begleiterin einen neuen Impfpass. Weiter zum Wartebereich.
Ob der QR-Code schon gescannt wurde? Nein. Aber eingecheckt seien wir. Also geht es trotzdem mit Papierwartenummer in der Hand – statt dem nicht mehr nötigen Telefon – in den Wartebereich. Der ist ziemlich voll.
In NRW wurden am Tag der Impfung die Impfzentren für alle freigegeben. Das war später als ich erwartet hatte, deutlich nach der offiziellen (wohl nur Möglichkeit der) Freigabe zu Beginn des Monats. Es hatte dazu geführt, dass ich uns doch bei Ärzten auf Wartelisten habe setzen lassen, auch wenn das so aussichtslos schien wie es dann auch ergebnislos war. Jetzt aber war das Impfzentrum für uns nicht nur offiziell freigegeben, sondern auch direkt greifbar, weil frühmorgens vor der offiziellen Freischaltung das Online-Buchungssystem schon funktionierte. Und dort gab es sogar Termine für den jetzigen Tag.
Entsprechend viele sitzen hier, wobei das Wort Zweitimpfung oft fällt und der Großteil älter ist als wir. Man muss dem Zentrum zugute halten, dass es überhaupt keine Probleme mit uns gibt – fällt doch der Impfberechtigungsnachweis weg und sind wir damit so ziemlich die ersten. Aber die Leute sind vorbereitet.
Das Nummern-Aufrufen ist etwas chaotisch. Die vorher noch Wartenden brauchen einen Moment um zu verstehen, wohin sie bei Aufruf der Nummer gehen sollen. Und dann fehlen manche Nummern einfach, sind die Impflinge verschwunden. Vielleicht waren es Begleiter, wobei wir zwei eine gemeinsame Nummer bekommen haben. Leichtem Chaos zum Trotz geht es schnell, nach wenigen Minuten sind wir in einer Kabine.
Ärmel hochkrempeln. Der Arzt schaut in die Mappe. Noch Fragen? Eigentlich nein, ein kurzes Detail wird noch von mir erwähnt, aber es passt nicht ins Schema, er zuckt die Schultern. Kleiner Pieks, Stempel ins Dokument, fertig!
Fertigstellung
Nicht ganz, es gibt noch den Wartebereich. Der scheint entgegen der offiziellen Beschreibung inzwischen optional geworden zu sein, wir werden freundlich gebeten doch bitte erstmal zu warten, weil die Schlange so lang sei. Angesichts der super-seltenen Nebenwirkungen ist das verständlich, aber gleichzeitig sind die für uns Grund genug sowieso auch warten zu wollen. Man weiß ja nie.
Beim Warten schätzt meine Begleitung den Durchsatz des Zentrums. 2 pro Minute sind es wohl, was auch genau mit unserer Wartenummer und Terminzeit zusammenpasst. Es ist bestimmt eines der kleineren Zentren.
Bei der Abmeldung wird nochmal auf die Dokumente geschaut. Dem Nachbar neben uns wird mit Händen, Füßen und etwas Englisch erklärt, dass er nochmal wiederkommen muss für die Zweitimpfung. Uns, dass ein weiterer QR-Code für den digitalen Impfausweis per Post ankommen wird. Auch wir sollen die Zweitimpfung nicht vergessen. Als ob wir die nicht schon begierig erwarten. Und jetzt hocherleichtert den Parkplatz erreichen.
Die Impfzentren müssen bleiben
Die Impfzentren sind eine gute Einrichtung und sie sollten unbedingt bis zum vollständigen Ende der Pandemie erhalten bleiben. Das ist keineswegs sicher, sie kosten ja Geld, die Finanzierung steht bis September. Anlass für Laschets NRW-Querdenker-CDU, pro-Corona zu wirken. Dass es Mutationen und weitere Impfungen geben wird wollen solche wohl ignorieren – so wie die CSU-Spinner jetzt schon wieder Lockdowns ausschließen. Immerhin fordert Söder mal wieder genau das richtige: Einen Erhalt der Impfzentren. Man kommt nicht umhin, dem Mann und seinen Positionen Respekt zu zollen.
Denn die Impfzentren viel besser geeignet als Hausärzte, fair und schnell viele Menschen zu impfen. Gerade solche wie uns, die weder Wurzeln noch einen Hausarzt in der Region haben wo sie wohnen. Die Praxen können die Impfrate erhöhen, indem sie ihre Stammkundschaft abdecken, aber sie haben nie im Leben die Kapazität und die Organisationsfähigkeit, so viele Menschen wie die Zentren effizient zu behandeln. Nichtmal, wenn alle Praxen mit einem gemeinsamen Buchungssystem arbeiten würden, wovon es sowieso keine Spur gibt. Unser Besuch und dass wir überhaupt einen Termin bekommen haben hat das nur zu deutlich gezeigt. Es braucht diese Fließbänder, keine verstaubten Warteräume mit Spielecke für die Kinder.
Urheberrechtsreform: SPD und CDU dienen der Medienindustrie
Via Zeit.
Das war damals die Entgegnung auf die Vorwürfe der Demonstranten, zu denen auch ich mich zählte:
Die Union veröffentlichte im März 2019 einen Vorschlag, laut dem der Einsatz von Uploadfiltern insgesamt vermieden werden können sollte. Und das deutsche Justizministerium ließ in einer Protokollerklärung bei der Zustimmung zur EU-Richtlinie im Frühjahr 2019 verlauten, dass Uploadfilter "nach Möglichkeit" zu verhindern seien.
Und das kam bei raus:
Genau an diesem Punkt, der zuvor unter dem Stichwort Pre-Check hitzig diskutiert worden ist, dürften in vielen Fällen die heiß diskutierten Uploadfilter zum Einsatz kommen. Denn wie anders wären im Meer der minütlich hochgeladenen Inhalte sofort diejenigen zu erkennen, die einen Schnipsel enthalten, für den ein Sperrverlangen vorliegt und die zudem auch noch die Schranken für die Bagatellnutzung überschreiten? Der Gesetzgeber ist sich darüber im Klaren: Im Kabinettsbeschluss sind explizit Regelungen für den Fall definiert, dass es bei dieser Überprüfung zum "Einsatz automatisierter Verfahren" kommt.
Nichts ändert sich. Seit über einer Dekade kämpfen wir gegen die korrupte Unfähigkeit der Politikerkaste bei allem, was mit Internet, Urheberrecht und Datenschutz zu tun hat. Aber es bleibt konstant alles beim alten: CDU und SPD sind Parteien, die heute dem Volk das eine versprechen, um morgen im Auftrag von Lobbyisten das Gegenteil zu machen. Man kann es auch Verrat nennen. Diese "Volksparteien" haben keine einzige Wahlstimme verdient.
Zehn Jahre Haft für eine Feier
Aus einem Zeit-Artikel:
"Wir haben ein Jahr alle Regeln beachtet und dann gesagt: Silvester feiern wir und tanzen uns die Seele aus dem Leib", sagt ein Teilnehmer der unerlaubten Party. Sie hätten dringend "alle Sorgen vergessen" müssen.
"Die junge Generation hat sich monatelang sehr vernünftig und folgsam verhalten – nun schlagen die Jugendlichen einmal über die Stränge und werden wie Schwerverbrecher behandelt", sagt Tommy Vaudecrane, Präsident des Vereins Technopol, der dutzende Festivals, Konzerte und die jährliche Technoparade in Paris organisiert. "Die Regierung missachtet, wie lebenswichtig für viele junge Menschen diese ausgelassenen Stunden sind", sagt Vaudecrane.
Wenn ich solche Zitate lese, dann wundert mich nichts mehr. In Menschenmassen tanzen ist auf einmal lebensnotwendig? Es braucht unbedingt eine Massenfeier, um alle Sorgen zu vergessen? Wenn solche Einstellungen in die Köpfe der jungen Franzosen transportiert werden wird klarer, warum deren Lockdown so gar nicht funktioniert.
Wobei ich weiß, dass die Sache in Frankreich eigentlich komplizierter ist. Das komplette Scheitern des französischen Lockdowns hat viel mit den Lebenssituationen dort drüben zu tun und damit, wie welche Maßnahmen durchgesetzt wurden. Trotzdem ist es kompletter Quatsch, Technoparties für lebensnotwendig zu halten.
Es mag in diesem Fall den falschen treffen, wenn der Angeklagte die Feier gar nicht organisiert hat – wobei er laut Artikel auf jeden Fall bei ihrer Durchführung half. Und dass die Anklage mit Drogenverkäufen lächerlich konstruiert ist hilft da auch nicht. Aber wären die angedrohten 10 Jahre Haft grundsätzlich viel zu viel für die Organisation einer Massenfeier während einer tödlichen Pandemie? Meinem Empfinden nach nicht. Es ist ja nicht einfach das Organisieren einer Feier, es ist das bewusste Töten von möglicherweise unzähligen anderen Menschen, die sich während der Feier und dann später an den Feiernden mit dem Coronavirus anstecken. Das wird fahrlässig in Kauf genommen. Bei einer solchen Tat geht es also nicht um eine Ordnungswidrigkeit, mittelbar geht es hier um eine Straftat mit Todesfolge, was sich immer wieder auch beweisen lassen müsste. Warum soll es dann bei Bußgeldern bleiben?
Coronaperspektive im Dezember
Wie Deutschland diese zweite Coronawelle nicht bewältigt ist erschreckend.
Im Frühjahr war nach einem ersten Zögern auf die Pandemie noch richtig reagiert worden. Es war erstaunlich, es war auf andere Art erschreckend und gleichzeitig ein bisschen toll zu erleben, wie die vom Balkon zu sehende Hochstraße auf einmal autoleer war. Das passiert sonst nie! Schulen zu, Kindergärten zu, Geschäfte geschlossen: Es wirkte. Die Infektionszahlen gingen schnell und für eine lange Zeit zurück. Details mussten ausgehandelt werden, aber das schien zu gelingen.
Die zweite Welle jetzt nur halbherzig anzugehen zeigt den Kontrast: Es wirkte kaum. Jeden Tag sterben Hunderte am Virus, Krankenhäuser sind überfüllt, ist die Hochstraße voller Autos. Nichts wurde wirklich zurückgefahren was nicht vorher schon unmöglich war – wie Massenveranstaltungen – und die von Politikern geforderten Einschränkungen erscheinen lächerlich, wenn immer noch alle Geschäfte aufhaben, hier die Idioten ohne Masken durch die Stadt gehen und die Schulen sich zu einer Brutstube für den Virus entwickelt haben.
Als Konsequenz litten und starben die letzten Wochen über unnötig viele Infizierte in Krankenhäusern, der Rest litt an den wenigen Beschränkungen des Lockdowns und mehr noch an dem Gefühl der Bedrohung durch den sich weiter ausbreitenden Virus. Dazu kommt, dass dieser Periode der Schande nun wahrscheinlich ein echter Lockdown folgen muss.
Währenddessen ist das große Thema, dass für den öffentlichen Rundfunk wieder mehr Geld aus den Taschen der Leute gestohlen werden soll. Was die Parteien bis auf eine CDU(!)-Landtagsfraktion betont mittragen und es zu einer Frage des aufrechten Kampfes gegen die Nazis machen, obwohl ein großer Teil der Bevölkerung ohne Nazisympathie die Abgabe ebenfalls ablehnt. Was kein Wunder ist, angesichts des gebotenen und dass es ein sozial ungerechter Festbetrag ist. All das, während trotz der Menschenleben kostenden Wirtschaftsförderung – denn nur für die Wirtschaft gab es bisher in dieser zweiten Welle keinen echten Lockdown – es vielen finanziell doch schlechter geht. Klar, es ist individuell ein kleiner Betrag, aber die Botschaft ist keine der Solidarität. Es zeigt, wo die Prioritäten eben nicht liegen.
Das Verhalten der Politik ist auf der einen Seite nicht so überraschend: Schon im ersten Lockdown gab es Stimmen dagegen, fanden einzelne Verwirrte Abiprüfungen wichtiger als eine mögliche Verbreitung des Virus, wurde gestöhnt über die unmögliche Last der Eltern, die sich jetzt ganz allein mit ihren Kindern beschäftigen müssen (wobei fairerweise die Schulen online im gleichen Tempo weiterführen zu wollen auch unmöglich war und die Schüler wohl durchaus belastet), sollten für die Wirtschaft Beschränkungen schnell aufgehoben und jetzt verhindert werden. Dazu jetzt die Corona-Leugner, die zusammen mit Nazis das Parlament stürmen wollten und die ersten Anschläge planen. Und doch: Da der Großteil der Bevölkerung Verschärfungen des allzu lockeren Lockdowns befürwortet überrascht es dann schon, wie schlecht und zögerlich die Politik diesmal gegen den Virus vorgegangen ist.
Hätte man es nur gleich richtig gemacht! Aber sie wollten nicht hören.
Atomkraft: Typische Argumente
Auf Hacker News tauchen immer wieder Pro-Atomkraftartikel auf, mich nervt das jedes mal.
Die Diskussionen laufen immer sehr ähnlich ab, die gleichen Argumente werden ausgetauscht, viele davon falsch. HN hat oft sehr interessante Artikel auf der Startseite und auch häufig gute Kommentare, aber bei Atomkraft sind die meist aus den USA stammenden Nutzer erschreckend technik- und systemgläubig. Die Behauptungen sind:
"Atomkraft ist sicherer als andere Energiequellen"
Was meinen sie mit sicherer? Wenn Atomkraftgegner die Sicherheit von Atomkraftwerken kritisieren geschieht das auf der Grundlage des Vernichtungspotentials eines Super-GAUs. Die bekannten Katastrophen (Tschernobyl, Fukushima, wenn US-lastig wird auch oft Three Miles genannnt) zeigen, dass in menschlicher Hand diese Technik nicht sicher eingesetzt werden kann, weil irgendwer immer irgendwann Sicherheitsmaßnahmen ignoriert. So hat Tschernobyl eine 30-km Zone unbewohnbar gemacht.
Die Befürworter ignorieren das Potential und brechen es auf eingetretene Todesfälle herunter. Dabei werden gerne minimale Todeszahlen für die Katastrophen angenommen, Tschernobyl z.B. als 30 direkte Todesfälle gezählt. Zitiert werden dann aus der Luft gegriffene Statistiken, nach denen Atomkraft viel weniger Menschen töte. Die hübschgemachte Seite ourwoldindata listet zum Beispiel diese Zahlen für deaths per terawatt-hour:
Kohle |
24.62 |
Gas |
2.82 |
Atomkraft |
0.074 |
Wind |
0.035 |
Es gibt andere Varianten dieser Zahlen in denen dann Nuklearenergie sogar sicherer als regenerative Energien dasteht.
Gegenstrategien:
- Dieses Aufrechnen von Menschenleben ist widerlich.
- Die Zahlen sind falsch. Ein Greenpeace-Artikel geht darauf ein.
- Bei Sicherheit geht es nicht nur darum was eingetreten ist, sondern um das Gefährdungspotential eines Super-GAUs. Das Beschränken auf Betriebstodeszahlen (selbst wenn bislang eingetreten Katastrophen eingerechnet werden) verzerrt den Sicherheitsbegriff zugunsten von Atomkraft.
- Wir haben keins und können kein sicheres Endlager für Atommüll haben. Das Gefährungspotential durch den bleibt uns Jahrhunderte erhalten.
"Der Atommüll ist kein Problem, den lagern wir sicher ein oder produzieren damit Energie"
Technik- und Systemgläubigkeit in trauter Zweisamkeit.
Das sichere Einlagern schaffen wir nicht. Es kann gar nicht gehen: Wir müssten den Müll so sicher weglagern, dass auch lange nach dem Zusammenbruch unserer Zivilisation jeder verstehen würde, dass das Atommülllager nicht betreten werden sollte. Ja, es müsste unmöglich sein. Doch die dafür nötige Architektur und Kommunikationstechnik haben wir nicht.
Schon jetzt sind wir nicht in der Lage, keine Unfälle in Atommülllagern zu produzieren. So wurden in Deutschland im gescheiterten Lager Schachtanlage Asse tropfende und rostende Fässe voller Atommüll vergraben, die dann in Kontakt mit Lauge kamen. Das Lager war daraufhin mit radioaktiver Lauge versetzt und wurde unbrauchbar (ich werde hier öfter zur FAZ linken, denn sie ist der Atomkraftgegnerschaft unverdächtig). Für ein US-lastigeres Beispiel eignet sich Hanford. Aktiv im kalten Krieg, währenddessen wurde fröhlich Strahlung in die Luft und den Columbia River geleitet, war die USA auch später nicht in der Lage den Müll zu kontrollieren:
DOE later found water intruding into at least 14 single-shell tanks and that one of them had been leaking about 640 US gallons (2,400 l; 530 imp gal) per year into the ground since about 2010. In 2012, DOE discovered a leak also from a double-shell tank caused by construction flaws and corrosion in the bottom, and that 12 double-shell tanks have similar construction flaws. Since then, the DOE changed to monitoring single-shell tanks monthly and double-shell tanks every three years, and also changed monitoring methods. In March 2014, the DOE announced further delays in the construction of the Waste Treatment Plant, which will affect the schedule for removing waste from the tanks. Intermittent discoveries of undocumented contamination have slowed the pace and raised the cost of cleanup.
Aber wenn wir nur endlich die Technik einsetzen würden, um den Müll wiederaufzuarbeiten und so zu entschärfen! Doch die gibt es nicht. Die Technik entpuppte sich als Sackgasse:
Nicht nur das bei der Wiederaufarbeitung anfallende Plutonium, auch die Emissionen, und die Gefahrgut-Transporte der aus der Wiederaufarbeitung zurückzuführenden radioaktiven Abfälle führten zu steigender Kritik an der Wiederaufarbeitung. Unregelmäßigkeiten in den produktbegleitenden Unterlagen und Dokumentationen, insbesondere bei der Verarbeitung des aus der Wiederaufarbeitung zurückgewonnenen Plutoniums in der britischen MOX-Brennelementefabrik in Sellafield, ließen das Vertrauen in die Zuverlässigkeit der Betreiber sinken.
Anders: Es bliebe immer noch Müll über, es entstehen Emissionen und der nötige Transport ist kritsch. Zudem - Thema Systemvertrauen - ist zu ungewiss, wo das entstehende gefährliche Plutonium landet.
"Atomkraft produziert kein CO2, sie wäre gut gegen den Klimawandel"
Das Argument ist nicht ganz verkehrt. Verglichen mit Öl, Kohle und Gas hat Atomkraft wohl sogar dann eine bessere CO₂-Bilanz, wenn man versucht den gesamten Lebenszyklus eines AKWs zu betrachten.
2014 einigte sich das IPCC, also das Klimawandelpanel, auf diese Zahlen für den CO₂-Ausstoß (Median) pro KWh:
Kohle |
920 |
Gas |
490 |
Atomkraft |
12 |
Wind |
11 |
Gegenstrategien:
- Diese Zahlen sind nicht unumstritten. In Life Cycle Greenhouse Gas Emissions of Nuclear Electricity Generation, was zu ihrer Auswahl benutzt wurde, wird auf ihre Unsicherheit hingewiesen. Zum Beispiel wenn Uranium knapp wird und schwieriger abzubauen erhöht sich dieser Aufwand und damit auch der CO₂-Ausstoß. Es wird Aufwand für die Endlagerung geschätzt, wenn der aber aufgrund ihrer ersichtlichen Unmöglichkeit immer größer wird sind die Zahlen ebenfalls falsch.
- Es geht ja eben nicht nur um den CO₂-Ausstoß, sondern um den radioaktiven Abfall.
"Aber Kohleenergie ist schlecht!"
Ja. Kohleenergie ist scheiße, sie produziert Unmengen an CO₂ und schleudert Radioaktivität in ein riesiges Gebiet um das Kraftwerk herum. Dazu kommt die Umweltzerstörung durch den Kohleabbau.
Aber sie hat immerhin kein Gefährdungspotential eines Super-GAUs. Und: Kein Atomkraftgegner wollte Kohleenergie. Sie wird von konservativen Politikern eingesetzt, die gegen ihre eigene Überzeugung die AKWs abschalten mussten und eine möglichst ähnlich aussehende Lösung suchten, sodass weiterhin die Energiefirmen an wenigen Standorten große Kraftwerke betreiben können. Das geht Hand in Hand mit der Verweigerung gegen einen Ausbau der Nord-Süd-Stromtrasse, der Umlagerung der Kosten der Energiewende auf den Verbraucher (per EEG-Umlage), dem Ende der Subventionen von grüner Energie und der effektiven Blockade des Baus weiterer Windräder durch Abstandsregelungen.
Dass Kohleenergie Mist ist macht Atomenergie aber nicht besser. Die gewünschte Alternative ist regenerative Energie.
Immerhin: Atomkraft verliert
Auch wenn es frustrierend ist, wenn so viele immer noch Atomkraft gut finden: Es ist irrelevant. Kohleenergie wird schon deswegen jetzt beendet, weil sie im Wettbewerb mit Ökostrom viel zu teuer ist. Atomkraftwerke sind irre teuer, sie rechnen sich für die Betreiber nur durch die massiven Subventionen. Es ist absehbar – nein, beschlossen – dass die Betreiberfirmen auch bei ihrem Abbau subventioniert werden, mindestens indem der Staat die Verwantwortung für den Atommüll übernimmt. Aber diese Korruption ist der letzte Akt im Kapitel aktiver Atomkraftwerke. Trotz ihr wird die Marktkraft des günstigen Ökostroms auf kurz oder lang zum Abbau weiterer Atomkraftwerke auch außerhalb Deutschlands führen. Völlig egal, welche Argumente in Onlinediskussionen wiederholt werden.
ZEIT verschleiert Ausmaß des Wirecard-Skandals
Wer die aktuellen Berichte über den Betrug bei Wirecard liest, wie in diesem Artikel auf ZEIT ONLINE, bekommt folgendes Bild vermittelt: 1,9 Milliarden Euro fehlen, der Gründer ist zurückgetreten, die Aktie ist am Boden, die Staatsanwaltschaft ermittelt. Soweit, so schlimm, so normal. Dass im Finanzsektor betrogen wird ist alltäglich, ein illegitimer Bonus hier, ein paar faule Kredite da, ein bisschen Milliarden des Staates stehlen per Cum-Ex dort. Und der Staat ist ja jetzt per Staatsanwaltschaft München aktiv, alles wird gut.
Doch bei Wirecard geht es um viel mehr als nur das Fehlverhalten eines Unternehmens und der Staat war schon lange aktiv. Um Wirecard zu schützen.
Denn die Betrugsvorwürfe gegen Wirecard sind keinesfalls neu. Ihr großes Finale war Anfang 2019 ein Artikel in der FT, in der die Zeitung dem Unternehmen Betrug vorwurf. Die Bilanzsumme in Asien sei künstlich aufgebläht worden. Dann passierten drei Dinge:
- Die BaFin stellte Strafanzeige gegen die FT wegen Kursmanipulation.
- Die Münchner(!) Staatsanwaltschaft ermittelte gegen Dan McCrum als FT-Journalisten, ebenfalls wegen Marktmanipulation.
- Die BaFin untersagte Leerverkäufe gegen Wirecard, um so den Kurs der Aktie angesichts der Vorwürfe zu schützen.
Die BaFin ist übrigens die dem Finanzministerium unterstellte Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht.
Hier wurde also das volle Arsenal des Staates eingesetzt, um einen wichtigen deutschen Aktienwert vor feindlichen Journalisten zu schützen. Dass die Vorwürfe stimmen konnten war offensichtlich keine Option. Nur: Sie stimmten.
Einen Zusammenschrieb davon findet sich zum Beispiel auf Twitter.
Das gäbe es zu berichten. Und noch viel mehr. Zum Beispiel darüber, wie absurd der Betrug ist. Da gibt es seit Jahren Vorwürfe, mindestens seit einem Jahr ganz konkrete, und die ganze Zeit kommt keiner der Prüfer mal auf die Idee, bei den asiatischen Banken nachzufragen ob die zugehörigen Konten überhaupt existieren? Was waren denn das für Prüfer?
Gleichzeitig lief wohl eine massive illegale Kampagne pro Wirecard gegen Shortseller und Journalisten. Dark Basin war angeheuert gegen sie vorzugehen, mit gestohlenen Infos und Falschinformationen. Mehr dazu bei citizenlab. Stimmt das? Wer bezahlte die? Wie tief ist der Sumpf?
Die ZEIT (und jede andere größere deutsche Zeitung) kennt diese Hintergründe. Sie berichtete teilweise damals selbst darüber. Doch in den aktuellen Berichten hat sie das alles praktischerweise vergessen. Das ist das Einmaleins der Manipulation durch Medien: Klare Lügen sind schlecht, das fällt auf, aber selektives Weglassen ist viel effektiver. Es wird seltener entdeckt und wenn, ist es wenigstens nicht strafbar. Hier erlaubt es die Manipulation, den Skandals als einen ganz gewöhnlichen darzustellen. Die Firma ist schuld. Dass Deutschlands Institutionen mindestens massiv versagt haben oder wahrscheinlicher direkt korrupt waren wird durch Weglassen des Kontexts verschleiert. Obwohl es nur ein bis zwei erklärende Sätze brauchen würde.
Ob das nun bewusste Manipulation oder Inkompetenz ist, auf jeden Fall ist es eine Schande.
Edit: Noch mehr Hintergrundinfos dazu wie alt die Vorwürfe sind und wie massiv Wirecard und der Staat gegen Kritiker vorgingen (und wie die Medien in ihrem Sinne berichteten) sowie generell eine interessante Perspektive finden sich in diesem Blogartikel auf valueandopportunity.com.
Update 25.06.2020: Jetzt, da Wirecard Insolvenz angemeldet hat, ist der Damm gebrochen. In einem Kommentar erklärt die Zeit mehr der Hintergründe und benennt manche der Versager. Die BaFin, EY als Prüfer der Vorjahresbilanz sowie Analysten, die den KPMG-Bericht vom April ignorierten.
Klopapier, Handelsabkommen und Parkbänke
1.
Dass heute noch, Wochen nach dem Anfang der Vorsorgungskrise, kein Toilettenpapier in den Supermärkten vorhanden ist zeigt ein Systemversagen. Es ist höchst bedenklich: Bedürfnisse besser zu befriedigen als alle anderen Systeme war immer das große Plus des Kapitalismus. Aber in der jetzigen Form reicht es nichtmal fürs saubere Kacken. Ob verstaatlichte Produktion oder Verteilung der Güter: Auf einmal sehen extremste antikapitalistische Maßnahmen vernünftig aus. Das ist ein historischer Moment, manifestiert im gewöhnlichsten der Konsumgüter.
2.
Stefan Sasse scheibt in Wie Weltordnungen sterben über das Ende der liberalen Nachkriegs-Weltordnung:
Und nun zu Corona. Die Geschwindigkeit und Leichtigkeit, mit der die Nationalstaaten sich ihre Souveränität, die noch in der Brexit-Debatte (auch von mir) als Anachronismus gehandelt wurde, wieder zurücknahmen, die Flüsse von Menschen, Kapital und Waren zwischen den Grenzen zum Erliegen brachten und Vertragswerke von den WTO-Regeln bis zu Maastricht einfach ignorierten, dürfte nicht nur unter der Knute des IWF leidende Entwicklungsländer oder die Bevölkerung Athens überrascht haben. Es ist gerade die Selbstverständlichkeit, mit der das Abtreten all dieser Regeln hingenommen wurde, die ein Alarmzeichen sein sollte.
Und auch wenn ich befürchte, dass er Recht hat und wir keinesfalls den Schwanengesang des Kapitalismus erleben: Der Versuch, überaggressive globalkapitalistische Handelsabkommen durchzusetzen ist auch ein großer Teil dieser Entwicklungen. ACTA und TTIP zeigten überdeutlich, dass im jetzt sterbenden System wichtigste Nationalstaatsbefugnisse bedroht waren. Mit ihren Inhalten wie mit dem Versuch, sie außerparlamentarisch durchzudrücken. Die Retrospektive macht die Richtigkeit der Kritik nochmal überdeutlich: Dass mit TTIP US-Schrottprodukte auf europäische Märkte gespült worden wären bekommt doch nochmal besondere Brisanz wenn Krisen wie die momentane zeigen, wie wichtig Produktions- und Hygienestandards sind. Und auch die Bedeutung autarker Produktionslinien wird deutlich, wenn globale Versorgungsketten zusammenbrechen. Autarke Systeme jedoch stehen im direkten Konflikt mit der Intention solcher Handelsabkommen, die allerdings die Essenz der bisherigen Weltordnung waren.
Noch dazu gäbe es mit TTIP jetzt übernationale Schiedsgerichte, die gegen Firmen und Staaten vorgehen würden, die auf den Coronavirus reagieren. Auch deshalb, weil die Neoliberalen maßlos überzogen haben, gehen jetzt kritiklos die Grenzschranken runter.
Auch wenn Faschisten wie Trump aufgrund höchstmöglicher Unfähigkeit von der Krise nicht profitieren - senil, diktatorisch und komplett der Realität entrückt kann auch ein Möchtegernalleinherrscher nicht angemessen auf eine Krise reagieren -: Dieser Grundkonflikt zwischen Allmachtsanspruch des Globalkapitalsmus und seiner jetzt besonders deutlich werdenden Missachtung nationaler Interessen (wie Autarkie, Lohnsteigerungen, Wohlstandsgewinn, funktionierenden Sozialsystemen) wird ein großes Problem für Politiker bleiben, die Globalismus als Heilmittel predigen - ob das nun eine Clinton, ein Biden, Macron oder ein Merz ist. Wenn wegen ihrer Kernidelogie Menschen in unterfinanzierten Krankenhäusern verrecken und in vielen Ländern so viele trotz Virus arbeiten gehen müssen und sich und andere deswegen anstecken; weil sie sonst verhungern würden, dann ist das definitiv kein gutes Propagandamaterial für die Globalisierer. Wenn das nicht den Linken nützt wird es mittelfristig doch den Nazis zugute kommen.
3.
Der Konflikt ums Sitzen auf Parkbänken ist nicht belanglos und nicht zu verharmlosen. Zu verbieten, alleine in Parks zu gehen und dort die Sonne zu genießen, ist absurd. Daran festzuhalten ist absurder.
Die uns allen auferlegten Beschränkungen sind massiv, das Demonstrationsverbot grundgesetzwidrig. Das scheint derzeit egal – denn es ist egal, solange alle Seiten überzeugt sind, dass derzeit von allen ehrlich das bestmögliche versucht wird und temporäre Überschreitungen der Rechtsordnung nötig sind, um den Virus unter Kontrolle zu bekommen. So abgedroschen das klingen mag: Es ist ein ganz frischer Gesellschaftsvertrag. Und damit ein hochheikler Balanceakt. Der direkt zu kippen droht, wenn von Seiten der Staatsmacht offensichtlich unsinnige Maßnahmen durchgesetzt werden, wenn die einzige Rechtfertigung weil sie es kann und du hast zu gehorchen ist.
Wenn sich daran die Gesellschaft erzürnt ist das keine überzogene schildbürgerhafte Debatte, nicht Ausdruck deutscher Verantwortungslosigkeit, sondern Erfüllen einer wichtigsten Alarmfunktion. Da drohte der fragile Zusammenhalt zu kippen. Und auch hier ist ein ganz gewöhnliches Objekt plötzlich von womöglich historischer Wichtigkeit, setzt sich die Parkbank zum Klopapier.