Mission Ulja Funk (2021)
Eine Filmkritik von
Autofahrt mit Huhn
Raumfahrt, Sterne, Meteoriten: Ulja findet in ihrem Umfeld niemanden, der oder die ihre Interessen so richtig teilt. Es ist ja nicht so, dass sie ihre Begabungen nicht einzusetzen wüsste: Für einen Euro pro Stück verkauft sie in der Turnhalle fertig erstellte Hausaufgaben, das Geschäft brummt, sogar eine Lehrerin kauft bei ihr ein, und Mitschüler Henk würde sie sogar für alle Fächer nehmen.
Aber beim „Kindergottesdienst“ in ihrer Gemeinde, wo der Nachwuchs seine Talente vorführt, wird sie als einzige von der Bühne aus dem Altarraum geholt. Denn Wissenschaft und Glaube, das geht weder für den Pastor noch für Uljas russlanddeutsche Großmutter Olga so richtig zusammen – Ulja (Romy Lou Janinhoff) hatte für den Gottesdienst einen Vortrag vorbereitet über den Meteoriten, den sie selbst entdeckt hat und der in vier Tagen in einem Dorf in Belarus abstürzen werde, gleich hinter der polnischen Grenze.
Und während der Pastor (Luc Feit) und Oma Olga (Hildegard Schroedter) Uljas Bücher und Computer einkassieren, denn schließlich wolle kein Mann sie später heiraten, wenn sie intelligenter ist als er, hat die Zwölfjährige ganz andere Pläne: Sie schnappt sich Henk (Jonas Oeßel), der sich gut mit Autos auskennt, klaut den ausrangierten Leichenwagen, mit dem ihre Mutter zur Arbeit fährt, und macht sich auf den Weg nach Osten.
Von der Mitte Deutschlands im fiktiven Lemheim durch Polen hindurch und aus der EU heraus: Mission Ulja Funk, der Debüt-Langfilm von Barbara Kronenberg, ist ein veritables Roadmovie im eigentlichen Sinne, mit viel Tempo und Verve transponiert in die Perspektive eines Kinderfilms und zugleich so vielfältig anspielungsreich, dass einem schwindlig werden kann.
Die Dynamik zwischen Ulja und Henk ist reinstes Buddy-Movie-Gold, beginnend als erkaufte Gemeinschaft zweier sehr gegensätzlicher Figuren mit herzlicher Abneigung, die zu widerwilligem Respekt und womöglich zu Freundschaft wird. Und dabei bleibt es ja nicht: Aus verschiedenen Gründen, die hier nicht erklärt werden sollen, sind nicht nur Oma Olga und ein Huhn mit im Leichenwagen, im Bus der Gemeinde haben sich nicht nur der Pastor und Uljas Eltern (Anja Schneider, Ivan Shvedoff) aufgemacht, um Ulja zu stoppen, der Gemeindechor ist auch mit dabei – zunächst im guten Glauben, man sei auf dem Weg zu einem Chortreffen.
Mission Ulja Funk – das jüngste Projekt der Initiative „Der besondere Kinderfilm“ nach zuletzt Madison – Ungebremste Girlpower – verweigert sich konsequent dem gutbürgerlichen Alltag, den sonst viel zu viele deutsche Kinderfilme als Normalzustand feiern, und sucht das ganz und gar Außergewöhnliche hinter eher schlichten Fassaden. Dazu gehört auch, dass viele Figuren nach und nach an Tiefe gewinnen, etwa die zunächst durchaus garstige Großmutter, die zunehmend komplexere Konturen und deutlich flashigere Schuhe bekommt.
Kronenberg, die das Drehbuch geschrieben und Regie geführt hat, stapelt hier gleich mehrere Running Gags auf- und hintereinander: Immer wieder wird eine_r aus der Chorgruppe versehentlich zurückgelassen (und erlebt dabei schicksalhafte Momente), immer wieder probieren Uljas Brüder Zaubertricks aus, die nicht funktionieren, oder werfen Knallfrösche. Das Huhn, das Ulja und Henk begleitet, ist zugleich mehr als nur eine respektvolle und sehr herzliche Anspielung an Arend Agthes Flussfahrt mit Huhn, dem Mission Ulja Funk in Story wie Erzählhaltung so einiges verdankt.
Damit sind die Anspielungen aber noch lange nicht erschöpft: Eine Gruppe Nonnen, die sich immer wieder aus einem absurd winzigen Auto faltet, erinnert doch sehr an Das verrückteste Auto der Welt (die Älteren werden sich an Dudu und seine Abenteuer erinnern) oder Louis de Funès.
Das ist alles großer Spass und großer Quatsch, aber als stets gewollte, gesetzte Komik, nie beliebig. Barbara Kronenberg hält die Fäden nicht nur in der Hand, sie verflicht und verknüpft sie auf das Eleganteste. Man spürt es vor allem am Timing, an den gekonnten Schleifen und Wiederholungen, an kleinen Details. Daran, dass einzelne Momente wie nebenbei passieren und dann in einem größeren Gag kulminieren, wenn man es nicht mehr erwartet. An den Running Gags (die Nonnen!), die für sich etwas willkürlich wirken, bevor sie dann plötzlich unerwartet eine ganz andere Funktion annehmen.
Ergänzt und verstärkt wird das durch einen auf den ersten Blick eklektischen Soundtrack, der von den Pet Shop Boys bis hin zu dem wunderschönen irischen Segen „Möge die Straße“ reicht, zum Teil vom Chor gesungen in diesem heruntergekommenen Minibus irgendwo auf einer Straße in Polen. Die Musik unterstützt die Handlung oder konterkariert sie, verstärkt Emotion oder sorgt für komischen Kontrast.
Was für ein Glück das ist, einen deutschen Kinderfilm zu sehen, der so eine gelungene, so vielfach verankerte und zugleich selbstironische Komödie geworden ist. Mission Ulja Funk ist einfach ein riesiges Vergnügen.
Mission Ulja Funk (2021)
Freikirche Lemheim, mitten in Deutschland: Im Kindergottesdienst ernten selbst die schrägsten Beiträge Applaus, nur Uljas Vortrag über Sternkunde wird abgewürgt. Dabei hat die zwölfjährige Nachwuchswissenschaftlerin gerade ihren ersten Asteroiden entdeckt. Insbesondere für Uljas russlanddeutsche Großmutter lassen sich göttliche Schöpfung und Wissenschaft nicht vereinbaren. Kurzerhand entsorgt sie das technische Equipment ihrer Enkelin. Wütend haut Ulja mit Mitschüler Henk, der noch nicht ahnt, wohin die Reise geht, aber umso mehr Ahnung von Autos hat, im Leichenwagen von Familie Funk Richtung Weißrussland ab. Hier soll bald ihr Asteroid einschlagen. Eine skurrile Verfolgungsjagd beginnt, auf deren bunt ausstaffierten Stationen schon länger schwelende Konflikte in einem neuen Licht erscheinen. Auf Abwegen entlarven sich Moralapostel als Scheinheilige und entzweite Familien, Freund*innen, Liebende und Länder finden zueinander.
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