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Wie kann ein Kind den Tod des Vaters verkraften? Bei Domien Huyghe schreit es voll Wut das Meer an.

Meeresleuchten (2023)

Eine Filmkritik von Rochus Wolff

Wir winken den Lichtern im Dunkeln zu

Eine jede trauert auf ihre eigene Weise; das ist eine Binsenweisheit, aber natürlich sind das immer wieder Geschichten, derer sich das Kino gerne annimmt: Trauer als Krise, als Prozess und schmerzhaftes Wachstum.

Zeevonk, der Debütfilm von Domien Huyghe, der die Kinderfilmsektion der Berlinale 2023 eröffnet hat, taucht tief in so eine Krise ein. Nur wenige frohe Minuten gibt er uns, in denen wir sehen, wie Lenas Vater Antoine (Valentijn Dhaenens) sie als kleines Kind auf dem Arm hält, um ihr das titelgebende Meeresleuchten („Sea Sparkle“) zu zeigen, und wie sie einige Jahre später mit einem winzigen Segelboot ein Rennen gewinnt und anschließend mit den zwei Geschwistern, der Mutter und vielen Freund*innen zusammen feiert.

Dann der harte Schnitt: die Seebestattung. Antoine und zwei andere Männer sind umgekommen, als sie trotz Unwetterwarnung hinausgefahren sind, um zu fischen. Kurz nach der Zeremonie sieht Lena (Saar Rogiers) vom Schiff aus einen riesigen Schatten im Meer vorbeigleiten und ist von nun an überzeugt davon, dass ein Monster ihren Vater auf dem Gewissen hat.

Die Unruhe, der durch den Schmerz verengte Blick sind in die Ästhetik des Films eingeschrieben. Mit der Handkamera folgt Anton Mertens der Hauptfigur an den Hafen, zur Skateboard-Anlage, wo sie sich mit ihrer besten Freundin Kaz (Dunia Elwaleed) trifft (auch ihr Vater kam bei dem Unglück ums Leben), und an den Strand. Das Wasser, das Meer, es schwappt hier an alle Aspekte des Lebens, überall sind Wind, Schiffe, Fische, der Himmel darüber grau und dennoch nicht weit.

Und so unfassbar viel Verzweiflung, so viel Wut. Lena tobt gegen Kaz’ Mutter (und irgendwann auch ihre eigene), die nicht ausschließen will, dass Antoine den Unfall auf dem Meer durch einen Fehler selbst verursacht haben könnte. Sie steht am Strand und tritt schreiend auf die flachen Wellen ein: „Gib ihn zurück! Gib ihn zurück!“

Das Buch von Jean-Claude van Rijckeghem und Wendy Huyghe fängt Lenas Umgang mit dem Verlust immer im Kontrast mit dem Verhalten ihres Umfelds ein: Kaz macht sich ein Album mit Erinnerungen an ihren Vater, um sich die möglichst gut zu bewahren. Lenas Mutter Christine (Hilde De Baerdemaeker) hingegen hängt im gemeinsamen Fischgeschäft alle Fotos ab, auf denen Antoine zu sehen ist – als Versuch, einen notwendigen Alltag möglich zu machen, ohne immerzu an den Schmerz erinnert zu werden.

Lena hingegen will den Schmerz nicht hinter sich lassen, will den Verlust nicht anerkennen. Zeevonk fängt damit die Trauer eines Kindes ein, das gerade dabei war, seine ersten Schritte zum Erwachsensein zu machen. Sie ist eben kein Kind mehr, das den Verlust hinnimmt oder womöglich durch magische Erklärungen erträglich macht; aber ihr fehlt auch noch die Fähigkeit, Endgültigkeit so richtig zu verstehen und dann mit ihr mal mehr, mal weniger gut umzugehen, wie es die Erwachsenen tun.

Sie schwebt dazwischen, sucht nach Erklärungen, so wild sie auch sein mögen, nach einem Weg aus ihrem Schmerz, der ihn ungeschehen machen könnte. Sie kann (und will) die Ambivalenz der Ungewissheit nicht ertragen, sie kann (und will) sich nicht ins Unvermeidliche fallen lassen.

Lenas Trauer ist ein einziges Aufbegehren, in das sie ihre Freund*innen Kaz und Vincent (Sverre Rous) mit hineinzieht, auf der Suche nach dem Monster, nach einem Ziel für ihre Wut. Dass dieses Aufbegehren nicht in Selbstzerstörung, in einer Katastrophe endet, dafür sorgt letztlich ein Kreis von engen Freund*innen, der vom Segeltrainer Marre (Zouzou Ben Chikha) bis zu ihrem Bruder Jules (Thibaud Dooms) reicht.

Stattdessen gibt es irgendwann endlich ein Ende, das das Magische mit dem Realistischen zu verknüpfen versucht, das dem zornigen Kind eine Auflösung anbietet, dank der dann endlich auch die Tränen fließen können. Dass das nicht in Kitsch zerbricht, verdankt der Film der erstaunlichen Saar Rogiers, die die Bilder bewohnt, die die Härte, die brodelnde Wut, die Verzweiflung ihrer Figur in einem so furchtbar jungen Gesicht sichtbar macht, unter dem grauen Himmel, stets wartend auf das Meeresleuchten.

Meeresleuchten (2023)

Als Lenas Vater auf offenem Meer ums Leben kommt, sucht sie verzweifelt nach der Ursache. Schuld kann nur ein Seemonster gewesen sein. Ihre resolute Fahrt gegen den Wind erzählt von Wut, Trauer, Trost und vom Halt, den das Meer auch gibt.

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