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Ein Abenteuer zu Wasser und in der Luft, mit wunderschönen Naturbildern.

Der Junge und die Wildgänse (2019)

Eine Filmkritik von Rochus Wolff

Und dann ab in die Luft

Ein Sommer in der Camargue ist zwar schön heiß, aber nicht unbedingt eine verlockende Aussicht, wenn man gerne Computerspiele spielt, 14 Jahre alt ist und der Vater, den man schon lange nicht mehr gesehen hat, ein seltsamer Kauz ist. Außerdem sind die südfranzösischen Sümpfe eine Brutstätte für Mücken - im wörtlichen Sinne.

Thomas (Louis Vazquez) hat also allen Grund, erstmal schlecht gelaunt zu sein, aber weil es eh nix anderes zu tun gibt – WLAN gibt‘s in dem Häuschen nicht, selbst der Telefonempfang ist schlecht – macht er halt mit bei dem, was Papa Christian (Jean-Paul Rouve) so treibt. Der brütet nämlich gerade die Eier einer vom Aussterben bedrohten Wildgansart aus – und beschallt die Viecher noch vor dem Schlüpfen mit dem Geräusch eines Rasenmähermotors.

Sein Ziel: Die Gänseküken direkt nach dem Schlüpfen auf sich prägen lassen, damit sie ihn als Elterntier akzeptieren, dann mit dem Auto in ein Naturschutzgebiet in Norwegen fahren, wo sie in Ruhe und Sicherheit zukünftige Sommer verbringen können – und ihnen dann eine sichere Wanderroute zurück nach Südfrankreich zeigen. Denn die Art ist vor allem bedroht, weil Flughäfen, Lichtverschmutzung und andere menschengemachte Probleme die natürlichen Routen der Zugvögel zu gefährlich gemacht haben. Das Geräusch des Rasenmähermotors braucht es, weil Christian sie dazu bringen will, ihm in einem Ultraleichtflugzeug hinterherzufliegen – um auf diese Weise auch zu beweisen, dass es möglich ist, eine Zugvogelart so vor der Vernichtung zu retten.

Christian hat ein Vorbild in der realen Welt: Die französischen Aktivist_innen Christian und Paola Moullec haben seit Mitte der 1990er Jahre ähnliche Rettungsaktionen betrieben und vor allem gezeigt, dass sie überhaupt möglich sind. Die Technik der Prägung und den Flug mit Ultraleichtflugzeugen haben dann auch Dokumentarfilmemacher_innen genutzt, zum Beispiel für den Film Nomaden der Lüfte – Das Geheimnis der Zugvögel.

Regisseur Nicolas Vanier, selbst ein Grenzgänger zwischen Dokumentar- und Spielfilmen, hat für Der Junge und die Wildgänse die dafür eingesetzte Kameratechnik noch verfeinert und verbessert, um ruhige Aufnahmen zu schaffen, die auf der Kinoleinwand Bestand haben – und das Ergebnis sind wahrhaft atemberaubende Bilder aus der Luft. Ob vom Ultraleichtflugzeug selbst oder von einem begleitenden Flugzeug aus gemacht: Vaniers Talent für großartige Naturbilder, das in seinen Dokumentarfilmen ebenso zur Geltung kommt wie zum Beispiel in dem berührenden Drama Belle & Sebastian, kann sich hier auf mehr als Gänseflügelspannweite entfalten.

Und, seien wir ehrlich, das ist durchaus nötig. Denn die Geschichte um Christian und Thomas und um ihre Gänse, die – das ahnt man schon sehr früh im Film – dann vor allem Thomas‘ Gänse werden, ist, was Handlung und Konflikte angeht, nicht sonderlich komplex. Das Drehbuch, an dem Christian Moullec zusammen mit Matthieu Petit beteiligt war, bringt zwar einige Konflikte und Aufregungen, aber dass und auf welchen Wegen der Film auf sein Happy-End zusteuern wird, dürfte den meisten Zuschauer_innen schon sehr früh klar sein.

Das macht jedoch überhaupt nichts. Man schaut sich Der Junge und die Wildgänse wahnsinnig gerne an, zuallererst, weil alle Hauptfiguren bis hin zu Christians Exfrau Paola (Mélanie Doutey) und seinem Freund Bjorn (Fred Saurel) nicht als eindimensionale Abziehbilder daherkommen, ganz im Gegenteil; die Schauspieler_innen geben ihnen emotionale Tiefe, völlig glaubhaft Motive und Handlungsweisen. Das hält die einfache, aber keineswegs schlichte Abenteuerhandlung davon ab, in den Kitsch abzugleiten. Und die - erwähnte ich es schon? - sensationell schönen Naturbilder (Die Camargue! Norwegen! Zwerggänse! Akka, die Nonnengans!) sorgen für den Rest.

Vaniers Film ist, gerade jetzt im April 2020, wo er nicht im Kino zu sehen sein kann, sondern direkt auf Streaming-Plattformen erscheint, wie eine warme, weiche Decke von heiler Welt – gewiss, die Natur ist bedroht, aber wir können daran womöglich etwas ändern. Der Horizont ist weit, die Menschen einander zugetan. Nicht nur für Kinder und Eltern ein dringend nötiges Aufatmen.

Der Junge und die Wildgänse (2019)

Der visionäre Wissenschaftler Christian betreibt Studien an wilden Vögeln. Für seinen Sohn allerdings, der Computerspielen verfallen ist, bedeutet die Vorstellung, gemeinsam mit seinem Vater in den Ferien eine Exkursion zu begehen, der blanke Horror.Dennoch ziehen die beiden los. Und die verrückte Mission, in deren Verlauf sie eine bedrohte Vogelart retten wollen, schweißt sie umso mehr zusammen.

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