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Manche Filme beginnen charmant und werden immer schlimmer. Der kleine Spirou macht es umgekehrt.

Der kleine Spirou (2017)

Eine Filmkritik von Rochus Wolff

Sexistische Schwindelgefühle

Wozu sollte man Abenteurer werden, fragt der Großvater, wenn man auch Hotelpage sein kann? Die Hotelgäste erzählen dir ihre Abenteuer und Geschichten – und schon hast du alle Vorteile ohne die lästigen Nachteile.

Das funktioniert natürlich nicht so richtig bei einem präpubertierenden Jungen, den es in die Welt zieht und der schon beim Betreten eines Aufzuges klaustrophobische Beklemmungen bekommt. Und das sind auch nicht gerade perfekte Voraussetzungen für die von der Familie vorausbestimmte Karriere als Hotelpage, der die Familie Spirou allerdings seit Generationen treu ist. Vater, Mutter, Großvater, alles Pagen – nur einen Onkel gibt es, der war irgendwie ein schwarzes Schaf und zog in die Welt hinaus …

Wer die Abenteuer von Spirou und Fantasio kennt, die berühmte belgische Comicreihe, die André Franquin groß gemacht hat, weiß natürlich schon, worauf es hinauslaufen wird: Spirou wird Abenteurer und Held wilder Geschichten, die Uniform des Hotelpagen aber wird er niemals so richtig los. Von Spirous Kindheit hatten zuerst Franquins Nachfolger, Tome und Janry (eigentlich Philippe Vandevelde und Jean-Richard Geurts), erzählt – und nun hat Nicolas Bary einen Film daraus gemacht, mit einem Gutteil des bekannten Personals, aber nur einem Bruchteil der Komik.

Der kleine Spirou (Sacha Pinault) will erst einmal seine gleichaltrige Flamme Susi (im französischen Original anspielungsreicher „Suzette“; Lila Poulet-Berenfeld) beeindrucken und weiß nicht recht wie – und zugleich sind da die etwas älteren Mädchen sowie die sehr weibliche Mathematiklehrerin. Der Großvater (Pierre Richard) pflegt seine Sammlung anzüglicher Heftchen und findet es sehr angemessen bis angenehm, wenn sein Enkel mit einem Freund sein Teleskop auf das Fenster ausrichtet, hinter dem die ältere Schwester des Freundes ihr Schlafzimmer hat. Mutter Spirou (Natacha Régnier) ist empört, aber hinter dem Rücken der Mutter wird mit den Augen gezwinkert.

Je nun. Solch nonchalante Reduktion des weiblichen Geschlechtes auf Äußerlichkeiten, der leicht herablassende Blick auf die als verklemmt inszenierten Einwände der Frau im Haus, die Erwartung, Frauen (außer der Mutter, natürlich) sollten mit ihren Reizen für die Männer verfügbar sein – das feiert hier fröhliche Urständ. Besonders sichtbar wird das in der Figur der bereits erwähnten Mathelehrerin Claudia Chiffre (ein Wortspiel auf Claudia Schiffer, die Älteren werden sich erinnern), die stets mit „schwindelerregendem Dekolleté“ zu sehen ist, wie es ein französischer Kritiker bezeichnete – dabei in einem Ausdruck ästhetische Anerkennung (es ist ein schönes Dekolleté) und filmkritische Irritation verbindend, weil die Kamera die Schauspielerin Gwendolyn Gourvenec und ihre Rolle praktisch nur darauf reduziere.

In der Tat ist es Chiffre, die sich von allen Erwachsenen am erwachsensten verhält und Spirou die einzigen vernünftigen Tipps zum Umgang mit seiner verehrten Suzette gibt: Er möge ihr nicht hauptsächlich Geschenke bringen, sondern reden, der jungen Dame zuhören, sie zu Wort kommen lassen, mit anderen Worten: sie als Person ernst nehmen.

Genau das aber widerfährt Chiffre selbst eben nie, die zwar als Lehrerin vielleicht ernst genommen wird, ansonsten aber nur Fokus des Begehrens ist – für Männer ebenso wie für ihre kaum halbwüchsigen Schüler. Zugegeben, Chiffre ist schon in den Comics „Der kleine Spirou“ hochgradig erotisiert gezeichnet und positioniert – aber zum einen sollte man auch das sehr kritisch sehen, zum anderen überträgt es sich auf die Leinwand eben doch noch einmal sehr unmittelbarer und lebensnaher als purer, herablassender Sexismus. Zumal Vincent Gallots Kamera den Blick der Jungen und Männer ins Dekolleté eben nicht nur dokumentiert, sondern nachahmt – daher der Schwindel des französischen Kollegen. Muss man hinzufügen, dass das – in Zeiten, in denen sexuelle Belästigung durch Männer endlich öffentlich diskutiert und verurteilt wird – nichts ist, was man Kindern, Jungs wie Mädchen, als positives Rollenbeispiel zeigen möchte?

Manche Filme beginnen ja sehr charmant und enden dann auf so grässlichen Unter- und Obertönen, dass man nur enttäuscht das Kino verlassen kann. Der kleine Spirou macht das umgekehrt: Er fängt in den beschriebenen Weisen ganz und gar furchtbar an, nachgerade moralische Klaustrophobie induzierend, mäandert dann unsortiert, scheinbar ohne Ziel und stellenweise völlig bescheuert durch die Gegend, um schließlich mit einem stereotyp-faden, aber gut gemeinten Ratschlag an den Titelhelden („Lass niemals eine Frau warten!“) in ein fast dreißigminütiges Finale abzuheben, dass zwar äußerlich zwischen Roadmovie und Verfolgungsjagd changiert, aber so charmant und liebevoll ist, dass man gar nicht weiß, wo das nun auf einmal herkommt. Vor allem nicht nach den moralischen Lektionen der ersten Filmstunde.

Denn Suzette will Abenteuer erleben und die Welt bereisen; Spirou möchte ihr das von Herzen geben (und ein Geschenk). Weil er aber weder weltfremd noch auf den Kopf gefallen ist, flieht er nicht in die weite Welt hinaus, sondern inszeniert mit Hilfe seiner Freunde für sie, respektvoll und aufmerksam, ein Abenteuer, wie es nur ein Film zaubern kann – völlig unecht und doch wahrhaftig, mit Momenten, die außerdem einem Comic würdig wären.

Der kleine Spirou (2017)

Basierend auf der weltberühmten Comicreihe Spirou und Fantasio widmet sich Nicolas Bary in der Realverfilmung Le petit Spirou der Schulzeit des kleinen Helden, bevor er zum Abenteurer in Pagenuniform wurde.

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