Start Meinung Glück im Spiel (Fröhlich am Freitag)

Glück im Spiel (Fröhlich am Freitag)

4
Reines Glücksspiel: Welcher Kicker sich in welcher EA Sports FC 25-Lootbox befindet, ist zufallsabhängig (Abbildungen: EA)
Reines Glücksspiel: Welcher Kicker sich in welcher EA Sports FC 25-Lootbox befindet, ist zufallsabhängig (Abbildungen: EA)

Verbraucherschützer fordern mehr Eigenverantwortung von der Games-Industrie – dort wehrt man sich gegen geschäftsschädigende Regulierung.

Verehrte GamesWirtschaft-Leserin,
verehrter GamesWirtschaft-Leser,

aus nicht mehr nachvollziehbaren Gründen bin ich vor einigen Jahren auf den Verteiler einer Fachzeitung für die Convenience-Branche geraten, die mir monatlich zugestellt wird.

Ich hab unnormal großen Spaß an der Besprechung irrer und teils abseitiger Produkt-Innovationen, die demnächst in den Regalen, Theken und Tiefkühltruhen von Tankstellen, Supermärkten, Autobahn-Raststätten und ‚Spätis‘ aufschlagen – koffeinhaltige Kaubonbons, Salted-Caramel-Impulseis, Mix-Getränke in den absurdesten Geschmacksrichtungen und vegane Mini-Bagels, die „dank ihrer „fingerfreundlich fettfreien Oberfläche“ auch zum Mitnehmen geeignet seien.

Großartig!

Fröhlich am Freitag - die wöchentliche Kolumne bei GamesWirtschaft
Fröhlich am Freitag – die wöchentliche Kolumne bei GamesWirtschaft

Die Lebensmittel-Industrie ist dazu verdammt, pausenlos solche Neuheiten zu generieren – denn die Konkurrenz ist gigantisch groß. Zur Anuga 2025, die nur wenige Wochen nach der kommenden Gamescom in Köln ausgetragen wird, werden 8.000 Aussteller und 140.000 Besucher erwartet. Dort ist dann ein Bruchteil jener zigtausend Produkte zu besichtigen, die jedes Jahr neu auf den Markt kommen und um den begrenzten Platz in den Auslagen buhlen – also eine ähnliche Lage wie in der Games-Industrie, wo im vergangenen Jahr allein auf Steam mehr als 14.000 Spiele hinzugekommen sind.

Und analog zur Videospiele-Industrie sieht sich auch die To-Go-Branche scharfer Kritik ausgesetzt. Das gilt insbesondere für Tabak-Produkte, die in der Berichterstattung der Fachpresse abseits der Mini-Bagels extrem breiten Raum einnehmen. Schließlich geht es um sehr, sehr, sehr viel Geld.

Ganz aktuell droht mal wieder Gefahr von der EU-Kommission, die in dieser Woche erste Vorschläge vorgelegt hat, wonach das Paffen und Dampfen auch im Freien stärker eingeschränkt werden soll – etwa in Biergärten, in Schwimmbädern, an Haltestellen oder (Gott bewahre) vor Krankenhäusern und an Spielplätzen.

Lobbyverbände und Hersteller schäumen über die „Ausgrenzung von Rauchern“ und die „unverhältnismäßige und nicht zielführende Bevormundung erwachsener Konsumentinnen und Konsumenten“ – zumal der Umstieg auf „neuartige, potenziell risikoreduzierte Alternativen wie E-Zigaretten“ und Vapes ausgebremst werde. Und überhaupt: Wer soll all das überhaupt kontrollieren? Geht ja gar nicht. Im Editorial eines Beilegers zur Fußball-EM des eingangs erwähnten Fachblattes heißt es wild entschlossen: „Zeigen Sie dem Gegenwind aus Politik und Gesellschaft, der Rauchern und Händlern heftig ins Gesicht weht, die Rote Karte.“

Für eine Branche, die auf ihren eigenen Produkten in großen Lettern vor Hautalterung, Impotenz, Schlaganfällen und einem „langsamen und schmerzhaften Tod“ warnt, ist solch demut-befreites Auftreten einigermaßen erstaunlich.

Gleichwohl darf es mit Blick auf die bespielte B2B-Zielgruppe natürlich nicht verwundern, wenn kommerzielle Interessen mit Händen und Füßen verteidigt werden – inklusive Tausenden Arbeitsplätzen und Double-Digit-Milliarden-Umsätzen.

Deshalb wird branchen-übergreifend mit allerlei Nebelkerzen gegen Regulierungs-Unheil anlobbyiert – vielfach mit Erfolg. Und so kommt es, dass sich marktführende Bundesligisten weiterhin von Sportwetten-Anbietern sponsern lassen und dass sich Werbung für Hochprozentiges zwar nicht an Kinder und Jugendliche richten darf, aber die Schokoriegel-‚Quengelzone‘ an der Supermarktkasse trotzdem nahtlos übergeht zu den Cognac-, Whisky- und Wodka-Fläschchen.

Machen wir uns nix vor: Ernstgemeinter, weil wirkungsvoller Verbraucher-, Gesundheits-, Kinder- und Jugendschutz ist nun mal per se ein Stimmungs- und Umsatz-Killer.

Das weiß auch die Videospiel-Industrie. Nehmen wir die seit Jahren diskutierten, aber weiterhin frei verkäuflichen Lootboxen, die seit diesem Freitag wieder Fußballstars im Online-Modus in EA Sports FC 25 freischalten. Je höher der Marktwert des Kickers, desto minimaler die Chancen auf einen Treffer. Heißt umgekehrt: Je höher die Einsätze, desto Kane.

Einer von 10 „Fakten“ im aktualisierten Positionspapier des deutschen Industrieverbands lautet, dass der Großteil aller Spielerinnen und Spieler ja gar kein Geld für solche Zusatz-Angebote ausgibt. Was natürlich genauso stimmt wie die Tatsache, dass ein Großteil der Oktoberfest-Besucher kein pathologisches Alkoholproblem entwickelt – die Veranstalter aber trotzdem nicht von einer gewissen Verantwortung entbindet.

Und genau diese Verantwortung wird mir in der Games-Branche immer etwas zu lässig wegmoderiert und wegdelegiert. Auf Kritik von unabhängiger Stelle an shady Geschäftsmodellen folgt zuverlässig der dringende Appell, es brauche erstmal irgendwas mit Medienkompetenz.

Als der Dachverband der europäischen Verbraucherzentralen vor einigen Tagen anregte, die Brüsseler Kommission möge doch mal die Intransparenz mit Blick auf In-Game-Währungen in Roblox, Clash of Clans, Diablo 4 oder eben EA Sports FC durchleuchten, dauerte es keine zwei Stunden, bis sich die EU-Games-Lobby bei mir per Mail meldete und auf eine hauseigene Studie verwies. Eindeutiges Ergebnis der sehr unabhängigen Analyse: Bitte gehen Sie weiter – hier gibt es nichts zu sehen.

Der Aktionismus hat Gründe, denn der politische Kesseldruck steigt: In Australien werden Spiele mit zufallsabhängigen In-Game-Käufen seit dieser Woche serienmäßig mit einem „M“ (Mature) gekennzeichnet – interaktive Glücksspiel-Mechaniken führen zu einem 18er-Rating.

Anders in Deutschland, wo der Anbieter-Schutz weiterhin offenkundig die höhere Priorität hat: EA Sports FC 25 wurde von der Branchen-Selbstkontrolle abermals ab 12 Jahren freigegeben – woraus exakt null Konsequenzen für Vermarktung und Vertrieb resultieren. Erst Ende des Jahres will sich die USK mit der Überarbeitung der Leitkriterien befassen.

Kann der mündige Verbraucher eigentlich nicht selbst einschätzen, ob das Spiel für den Sprössling geeignet ist? Geht so: Denn dass die USK-Prüfer dem Spiel „erhöhte Kaufanreize“, „Druck zum Vielspielen“ und natürlich „In-Game-Käufe + zufällige Objekte“ (die Chiffre für Lootboxen) bescheinigen, erfährt der Kunde weder bei Amazon noch bei MediaMarkt noch im PlayStation Store noch im Nintendo Online-Store.

Ich meine: Jugend- und Verbraucherschutz, der niemandem weh tut, ist keiner.

Wie sehr sich gerade Deutschland im internationalen Vergleich zum Eldorado für mindestens fragwürdige Praktiken entwickelt hat, demonstriert seit Jahren eine zu Recht umstrittene Spiele-App, die im 1. Halbjahr 2024 erneut auf einem stabilen 1. Platz der umsatzstärksten Apps lag: Bei Coin Master lassen sich für den Spielfortschritt erforderliche Münzen an einem als Spielautomaten getarnten ‚Zufallsgenerator‘ erdrehen. Deutschlands Smartphone-Spieler sind laut Sensor Tower der zweitwichtigste Coin Master-Markt, nach den USA. Weißte Bescheid.

Aber solange der Großteil der Spielerinnen und Spieler kein Geld für Zusatzangebote ausgibt, ist ja ziemlich sicher alles in bester Ordnung.

Ein schönes Wochenende wünscht Ihnen

Petra Fröhlich
Chefredakteurin GamesWirtschaft


Immer freitags, immer kostenlos: Jetzt GamesWirtschaft-Newsletter abonnieren!
GamesWirtschaft auf Social Media: LinkedIn ● Facebook ● X ● Threads ● Bluesky

4 Kommentare

  1. Leider liest man dieses „Niemand ist dazu gezwungen Geld in solchen Spielen auszugeben“ immer häufiger in sozialen Medien. Es ist vor allem deswegen schön endlich mal einen Artikel zu lesen, der auch die negative Seite beleuchtet, die mit dieser Argumentation von den mittlerweile meisten legitimiert wird. Danke dafür.

  2. Es ist doch schön zu sehen, dass in Deutschland auch weiterhin der Lobbyismus regiert. Kinder- und Jugendschutz interessiert die Aktionäre von EA, Blizzard, Ubisoft & Co. herzlich wenig. Eine Verantwortung für aus Lootboxen bewusst generiertem Suchtverhalten lehnt man natürlich ab. Ich finde diesen Artikel gut, insbesonders in Anbetracht der Ausrichtung dieser Website hier.
    Vermutlich wird es auch weiterhin niemand der Verantwortlichen interessieren, wieso unsere Kinder nur noch am PC hängen, schulische Leistungen deutlich abfallen und sie Geld ausgeben, was sie nie selbst hart verdienen mussten.
    E-Sprt in allen Ehren, wenngelcih das absolut gar nichts mit Sport zu tun hat. Auch das sind letztlich überteurte Verkaufsveranstaltungen von einigen daran gut verdienenden „Stars“, um letzlich noch mehr Umsatz zu generieren.
    Vielleicht können die Marketingabteilungen dieser Publisher ja mal den Firmen, welche händeringend nach Fachkräften erklären, wieso heutzutage kaum noch ein Kind / Jugendlicher zuhause mal lernt sondern halt lieber zockt. Ich denke, kausale Zusammenhänge könnte man sehen, aber dies wäre ja dann fast so etwas wie ein Eingeständnis daran, zumindest eine Mitschuld zu haben. Kinder- und Jugendschutz könnte so einfach sein, aber dank Lobby ist es auch den Verantwortlichen in der Politik immer sehr gut gelungen, durch „Motivation“ der Entscheidungsträger diuesen aktiv zu verhindern.

    • „Games sind verantwortlich für schlechte schulische leistung und den Sittenverfall der Gesellschaft“ ist ja wohl ein Paradebeispiel für Westentaschenstammtischgesaier! Leistungsdruck durch Helikoptereltern, Konkurenzkampf unter den Kindern/Jugendlichen und Abschieben der Verantwortung von Politik und Staat auf die Bürger sind ja auch überhaupt keine Probleme unserer Zeit – wie immer sind es natürlich die Games.

      Solche Leute kotzen mich einfach an!

Kommentarfunktion ist geschlossen.