Danke für den Fisch!

Ich ziehe mich von Twitter zurück. Ich werde meinen Account behalten, ihn aber stilllegen. Ich werde die App von meinen Geräten werfen und die Website nicht mehr ansteuern.

Ich spreche seit der Übernahme von Elon Musk immer wieder davon, dass ich diesen Schritt zunehmend als notwendig erachte. Ich brauche immer etwas, bis bei mir aus einer Idee ein Entschluss und aus dem Entschluss eine Tat wird. Nun ist es soweit.

Es gibt dafür gar keinen konkreten Anlass, eher ein Gesamtbild, dass sich immer erkennbarer zusammengefügt. Twitter ist jetzt die persönliche Waffe von Elon Musk im weltweit tobenden Kulturkampf. Momentan funktioniert das zwar eher schlecht als recht, aber der Schaden für den Diskurs und die Demokratie ist trotzdem heute schon real. Twitter verändert sich rasant und wird immer mehr zur rechten Trollhölle aber gleichzeitig wird es in der Öffentlichkeit nach wie vor ernst genommen. Das ist eine gefährliche Entwicklung, denn sie verschiebt gesellschaftliche und politische Erwartungen und normalisiert Dinge, die nicht normalisiert gehören.

Musks Waffe feuert nicht plötzlich, sondern sukzessive und allmählich und normalisiert eine neue Art des Diskurses „one scandal at a time“. Man konnte den Mechanismus bei Donald Trump gut beobachten: Trumps Erbe sind nicht die einzelnen Policyentscheidungen seiner Präsidentschaft, sondern die nachhaltige Veränderung der politischen Kultur in den USA. Musk arbeitet mit Twitter an etwas ähnlichem, aber weltweit und auf einem tieferen kulturellem Layer. Es ist eine neue, potentiell sehr mächtige Form von Politik durch Plattformen, die er betreibt.

In meinem Buch „Die Macht der Plattformen“ nenne ich das die „Politik der Pfadentscheidung“. Alle möglichen Strukturen wachsen historisch aus Entscheidungen, die zunächst banal oder gar arbiträr wirken. Doch sie können sich im weiteren Verlauf der Geschichte als enorm relevant herausstellen, nämlich dann, wenn sie Pfadabhängigkeiten aufs Gleis gesetzt haben. Denken wir an die QWERTY-Tastatur oder den ASCII-Standard. Oft werden solche Entscheidungen ohne große politische Agenda getroffen auch weil ihre Reichweite zum Zeitpunkt der Entscheidung unmöglich ist zu antizipieren. Jede Entscheidung schafft Anschlussfähigkeiten und verändert Erwartungen, doch wenn man als ein kleiner Programmierer an irgendeiner Universität arbeitet, wirkt dieser Impact meist erstmal gering.

Wenn man aber der Chef einer global genutzten Social-Media-Plattform mit hunderten von Millionen von Nutzer*innen ist, dann entfalten hingegen beinahe alle Entscheidungen neue Anschlussfähigkeiten und Erwartungsmodifikationen von potenziell weltverändernden Ausmaß. Man ist dann „Master of Pfadabhängigkeit“, quasi.

Und ich beginne diese Veränderungen auf Twitter zu sehen. Hass und Hetze ist normal geworden und es ist auch normal geworden, dass niemand dagegen etwas unternimmt. Es ist normal geworden, dass Journalismus abgestraft, diskreditiert und lächerlich gemacht wird. Es ist normal geworden, dass Nazi-Accounts und „konservative Sichtweisen“ auf Geschlecht und Sexualität nicht nur geduldet, sondern in die eigene Timeline gedrückt werden. Es ist normal geworden, dass der Ton sich zu einem ständigen Kulturkampfgeschreie gewandelt hat. Wir haben uns längst viel zu sehr an Dinge gewöhnt, an die wir uns nicht hätten gewöhnen dürfen. Musktwitter hat uns alle bereits verändert, weil es unsere Imagination davon verändert hat was möglich ist und verschoben hat, was wir als „normal“ empfinden.

Wir können Musk nicht davon abhalten. Es ist seine private Firma und er herrscht über sie wie ein Autokrat. Aber wer auf der Plattform verbleibt, dort postet, sie auch nur liest, aktualisiert und verstärkt die gesellschaftliche Wahrnehmung, dass Twitter nach wie vor relevant ist. Twitter war verglichen mit seiner eigentlichen Größe schon immer überproportional wichtig für den allgemeinen Diskurs. Die Debatten auf Twitter sind Flussaufwärts der Massenmedien, d.h. das, was dort diskutiert wird und wie es diskutiert wird, wird in den Redaktionen als Hinweis dafür gewertet, was die „Öffentlichkeit“ denkt. Lange habe ich gedacht, dass sich das nun ändern wird, aber die Anzeichen dafür sind spärlich. Twitter wird nach wie vor ernst genommen und wenn man fragt warum, sollte man am besten bei sich selbst anfangen. Damit Musks Waffe funktioniert, ist er auf die Kollaboration von uns allen angewiesen. Und diese Kollaboration werde ich nun beenden.

Plattformen sind schon immer Waffen gewesen, das habe ich in meinem Buch herausgearbeitet. Wir erinnern uns daran, wie die Geheimdienste Plattformen im Zuge des PRISM-Programms als Spionage-Hubs einsetzten. Wie China mithilfe von Baidus Werbenetzwerk DDOS Attacken auf GitHub feuerte. Nicht zu vergessen die Einflussoperationen der St. Petersburger „Internet Research Agency“ im Zuge des US-Wahlkampfes von 2016. Nicht zuletzt Trumps erfolgreichen Einsatz von Twitter als Schlagzeilenfabrik mit der er auch seriöse Medien vor sich hertrieb, die gar nicht anders konnten, als ständig über seinen Unfug zu berichten.

Doch das, was derzeit mit Twitter passiert unterscheidet sich in vielerlei Hinsicht. Zum einen passierte die Instrumentalisierung der Plattformen bislang immer von außen. Um aus Plattformen Waffen zu machen, mussten externe Akteure technische, personelle oder rechtliche Schwachstellen ausnutzen.1

Bei Twitter ist es nun der Chef und Eigentümer selbst, der die Plattform zu seiner Waffe umfunktioniert. Das eröffnet ihm nicht nur einen größeren Spielraum, sondern ermöglicht ihm den unbegrenzten Zugriff zu alle Werkzeuge des Plattformarsenals. Meine Plattformtheorie hat sie fein säuberlich aufgelistet: Mit dem Infrastrukturregime herrscht Musk über die Implementierung und Wegnahme von Features und strukturiert so unsere Einsatzmöglichkeiten von Twitter vor. Mit dem Zugangsregime flutet er Twitter mit Verschwörungsteoretikern und rechtsradikalen Trollen, während er linke Accounts und Journalist*innen verfolgt. Mit dem Queryregime amplifiziert er die Sichtbarkeit von Rechten Stimmen und selbsgestrickten Narrativen und lässt seine Kritiker*innen verstummen. Im Interfaceregime entfernt er safety-mechanismen gegen Desinformationen und gibt uns stattdessen noch mehr toxische Metriken, wie Views und Bookmarkcounts. Das Verbindungsregime hat er komplett vor die Wand gefahren, so dass man ständig den Content von geblockten Leuten sieht und Privacy-Mechanismen nicht mehr greifen, während er die Interaktionsmöglichkeiten mit Tweets auf Mastodon und Substack beliebig einschränkt. Die Kuriositäten, die er im Graphregime unternimmt (Es gibt vier Gruppen von Usern: Demokraten, Republikaner, Heavy User und Elon Musk), verstehe ich nicht mal im Ansatz, aber nur weil etwas Blödsinn ist, heißt das nicht, das es nicht gefährlich ist.

Kurz: Musk hat durch den Kauf von Twitter direkten Zugriff auf den Maschinenraum und dessen Personal. Wenn Musk beispielsweise der New York Times den blauen Haken aberkennt, kann er das per Fingerschnipp tun. Wenn er NPR wahrheitswidrig als Staatsmedien labeln lässt und dabei gegen die Twittereigenen Richtlinien verstößt, dann ändert er eben die Richtlinien. Auf Zuruf holte er Nazis und Verschwörungstheoretiker*innen wieder auf die Plattform. Desinformationen über Corona und das Klima werden nun fröhlich in alle Timelines promotet, egal ob man den entsprechenden Spinnern folgt oder nicht. Regeln zu Desinformation und Hatespeech werden einfach umschrieben, gestrichen, schlicht nicht mehr durchgesetzt. Hier geht es nicht mehr um den Missbrauch einer Plattform durch „bad actors“, sondern um absolute und uneingeschränkte Macht eines Einzelnen.

Ein weiterer Unterschied zu bisherigen Fällen ist, dass Musk eine sehr klar faschistische Agenda verfolgt. Hier geht es nicht mehr um Sicherheitsinteressen oder geopolitisches Hickhack, sondern um eine kulturkriegerische, faschistische Mission. Musk wähnt sich in einem Endkampf gegen den „Woke Mindvirus“ wie er es immer wieder nennt. Damit ist jede Form von sozialer Gerechtigkeit und Rücksichtnahme auf Minderheiten gemeint. Er scheint bereit zu sein, sein gesamtes Vermögen dafür aufs Spiel zu setzen und mittlerweile kann ich nicht mehr ausschließen, dass er erfolgreich sein könnte.

Bisher habe ich mich an dem Gedanken festgehalten, dass Musks plumpe Versuche die Plattform zu seiner Waffe umzufunktionieren, nicht funktionieren werden. Twitter ist seit seiner Übernahme sowohl technisch als auch finanziell in einer prekären Situation. Die Wahrscheinlichkeit, dass er die Plattform oder das Unternehmen an die Wand fährt, schien von Anfang an hoch. Das ist sie immer noch, aber ich will mich darauf nicht mehr verlassen. Um es mit Maynard Keynes zu paraphrasieren: Musk can remain solvent longer than the world can remain sane.

Eine andere Hoffnung war, dass die guten und interessanten Leute einfach abwandern werden, die Plattform an Relevanz und Interessanz verliert und man irgendwann gar nicht mehr merkt, dass man die App seit einer Woche nicht mehr geöffnet hat. Ja, viele sind gegangen, aber die meisten bleiben bis heute. So wie ich ja auch bisher. Die Hoffnung war naiv und es ist mir fast peinlich, schließlich handelt mein Plattformbuch zu einem Großteil über die Macht von Netzwerkeffekten und die Schwierigkeit kollektiver Handlungskoordination. Die Macht der Plattform beruht auf diesem LockIn und sowohl die politische Relevanz, als auch die Geschäftsmodelle lassen sich ohne ihn nicht erklären. Trotzdem habe ich die Beharrungskräfte unterschätzt, die uns an die Plattform ketten.

Hinzu kommt das Faszinosum des Wahnsinns selbst, der sich auf Twitter tagtäglich ereignet. Lange schaute ich wie viele gebannt auf die nächsten erratischen Entscheidungen von Musk und Twitter eignete sich nicht nur perfekt dafür, sie zu verfolgen, sondern auch meinen sarkastischen Senf dazuzugeben. Doch damit spielt man nur mit im zynischen Spiel und reinforced genau die LockIn Effekte, die Twitter und damit Musk seine Macht geben. Man schafft dadurch nur wieder neue Relevanz, die andere Leute auf der Plattform hält.

Die New York Times hat viel zu spät begriffen, dass sie es war – und zwar noch vor Fox News – die Trump ins Weiße Haus katapultiert hat. Nicht trotz, sondern wegen ihrer kritischen Berichteratattung. Wie heute wir auf Twitter, hat sie damals immer wieder genüßlich die neusten Skandale Trumps auf die Titelseite gehoben und ihm damit eine enorme Sichtbarkeit und Relevanz verliehen. Und wir ahmen gerade die NYTimes nach, indem wir uns auf Twitter über die neusten Streiche von Elon Musk echauffieren oder lustig machen. In einer Welt, wo die wichtigste Ressource Aufmerksamkeit ist, ist das geben von Aufmerksamkeit – zweitrangig ob positive oder negative – ein politischer Akt. Entweder wir schaffen es, Twitter den Rücken zu kehren, oder wir machen uns mitschuldig daran, wie Musk Twitter als Waffe gegen die Demokratie wendet.

Ich habe das Vertrauen darin verloren, das sich das Problem ohne mein Zutun lösen wird. Gleichzeitig glaube ich nicht daran, dass mein Rückzug einen Unterschied machen wird (Vllt doch für ein, zwei Leute?) Ich will mich einfach nicht mehr mitschuldig machen. Das kann ich mit meinem Gewissen nicht mehr vereinbaren.

Ich weiß nicht, wie es weitergeht. Vielleicht bricht Twitter ja noch zusammen. Vielleicht geht Twitter und dann Musk noch pleite. Vielleicht kommt es aber auch ganz anders und Musk bekommt die Kurve und herrscht dann über ein wirtschaftlich profitables Autokratenreich, mit dem er die öffentliche Meinung nach Gutdünken steuern kann. Ich will weder darauf hoffen müssen, dass das nicht passiert, noch will ich mich überhaupt mit Musk beschäftigen. Ich will, dass mir Musk wieder so egal ist, wie vor 2021.

Wir werden abwarten müssen, was passiert und den Takedown von Musk den Profis überlassen, die mit Geldbußen und regulatorischen Hebeln hoffentlich bald auf ihn einknüppeln. Derweil empfehle ich allen, die Zeit auf Mastodon zu überbrücken. Ich jedenfalls warte dort auf euch.

  1. Zwar kann man in einigen der Fälle den Plattformen eine gewisse Kollaboration unterstellen, doch in den meisten Fällen führte die Instrumentalisierung zu einem kommerziellen oder zumindest Reputationsschaden und hat entsprechend interne Gegenreaktionen ausgelöst.
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7 Kommentare zu Danke für den Fisch!

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